Geographische Zeitschrift
r )f-
*'1
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GEOGRAPHISCHE ZEITSCHRIFT.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr ALFRED HETTNER,
A. O. PROVUSSOR ÜKIl OKOGRAI'HIK AN HER INI VEHSITA T IIKIDKI.ItKKd .
SIEBENTER JAHRGANG.
MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND 5 TAFELN.
LEIPZIG,
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.
1901.
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4 5 0 5 2-
5" - /- .
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGS RECHTS, VORBEHALTEN.
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Inhalt.
Geschichte und Methodik der
Geographie. Allgemeines.
Kücherbesprechungen. gelte
Geographisches Jahrbuch, hrsg.
von H.Wagner. XXI. bis XXIII. Bd.
1899—1901. Von A. Hettner ... 707
Henning, Samuel Braun. Von
V. Kautzsch 169
Günther, S. , Geisteshelden: A.
v. Humboldt, Leop. v. Buch. Von
J. Grundmann 231
Günther, S., Das Zeitalter der Ent-
deckungen. Von K. Kretschmer 708
v. Thümen, E., Berühmte Ent-
deckung«- und Forschungsreisende
des 19. Jahrhundert«. Von Hch.
Fischer 232
Pauly-Wissowa, Real - Ency klo-
pädie der klussischen Altertums-
wissenschaft. Von W. Sieglin... 298
Mathematische Geographie und
Kartographie.
Zur kartographischen Darstellung
der dritten Dimension. Von
Dr. Karl Peucker in Wien.. 22
Bücherbesprechungen.
Zondervan, H., Allgemeine Karten-
kunde. Von A. Bludau 416
Allgemeine physische Geographie.
Die Verteilung der Schwerkraft auf
der Erde. Von Dr. J. B. Messer-
schmitt an der Seewarte in
Hamburg 305
Das „Laufen", bezw. „An- und Aus-
laufen" der Seen. Von Dr. Eber-
hard Graf Zeppelin 104
Wissenschaftliche Luftfahrten. Von
Prof. Dr. J. Hann in Wien ... 121
Iber das Problem früheren Land-
zusammenhangs 'auf der süd-
lichen Erdhälfte. Von Prof. Dr.
H. Simroth in Leipzig 665
Neuigkeiten.
Schwankungen der momentanen
Drehungsachse der Erde 648
Zur Erdbebenforschung 346
I. internationale Erdbebenkonferenz. 408
Zeitdauer gewisser Schichtenbü-
dungen am Meeresgrunde 291
Snito
V. Bericht der internationalen Glet-
Bcherkoramission 105
I Staubfall und Gletscherforschung . . . 592
i Einflufs der Pflanzendecke auf die
Wasserführung der Flüsse 49
Hydrographische Konferenz ....346. 465
Deutsche Expedition für Meeres-
forschung und Versuchstischerei in
der Ostsee 596
Mittlere Tiefe des Grofsen Ozeans . . 296
Gröfste bei einer Luftballonfahrt or-
reichte Höhe 626. 700
Temperatur in den höchsten Luft-
schichten 591
Atmosphärische Wärmestrahlung . . . 591
über Hagelschiefsen 290
Blut- und Sandregen in Italien und
Deutschland 222. 291
Der jährliche Gang der Luft- und
Bodentemperatur im Freien und in
Waldungen und der Wärmeaus-
tausch im Erdboden 50
Wetterberichte der Deutschen See-
warte 106
Lebensbedingungen und Verbreitung
der Korkeiche 161
Bücherbesprechungen.
Kars, 0., Der einstige zweite Mond
der Erde. Von F. Wiegers 230
Worgitzky, Werden und Vergehen
der Erdoberfläche. Von E. Fulda. 58
Forel, F. A., Handbuch der Seen-
kunde. Von W. Ule 232
Schreiber, P., Die Einwirkung des
Waldes auf Klima und Witterung.
Von W. Meinardus. 416
Allgemeine Geographie des Menschen.
Das Meer im Leben der Völker.
Vortrag, gehalten am Institut
für Meereskunde zu Berlin von
Prof. Dr. A. Kirchhoff in Hallo 241
Die Landbauzonen der aufer-
tropischen Länder. Nach den
Untersuchungen Th. H. Engel-
breeht's. Von Alfred Hettner 271
333
Einige Bemerkungen über Wirt-
schaftsstatistik, Wirtschaftsgeo-
graphie und kartographische Dar-
stellung. Von Regierungsrat
Dr. Horm. Losch in Stuttgart 425
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IV
Inhalt.
14*
64*
466
:$47
«48
10G
162
Geographische und statistische Me-
thode iiu wirtschaftsgeographi-
schen Untemcht. Von Prof. Dr.
R. Sieger in Wien 195
Uber die Untersuchung und Dar-
stellung der Bevölkerungsdichte.
Von Alfred Hettner 49*. 673
Bericht über den internationalen
Kimgrefs für Wirtschafts- und
Handelsgeogrnphie in Paris.
(27.— 31. August 1900.) Von
Prof. Dr. Alois Kraus in Prag
Neuigkeiten.
Untersuchung der physiologischen
Wirkung des Höhenklimas
Handelstlotten der Welt
Deutschlands submarines Kabelnetz .
Projekt eines französischen Welt-
kabelnetzes
Kabelverbinduug zwischen Canada
und Australien
Erschliefsung neuer IVtroleundager .
H ü c h e r b e s p r e c h u n g e n.
Ii rund D nun, .1 . Die geographischen
und völkerkundlichen Quellen und
Anschauungen in Herders ,, Ideen
zur (beschichte «1er Menschheit".
Von J. Partscb 70*
Peniker, Les races et les peuples
de la terre. Von A. Kirchhoff. 113
Ratzel. F., Der Ursprung und die
Wandlungen der Völker geogra-
phischbetrachtet, VonO. Schlüter 169
Schurtz, H., Urgeschichte der Kul-
tur. Von A. Kirch hoff 663
de Mortillet. G. et A., Le Pre-
historique. Von A. Kirchhoff .. 533
Helniolt, H., Weltgeschichte. Von
A. Kirchhoff 471
Supan , A., Die Bevölkerung der Erde.
XI. Asien und Australien samt den
Südsee-Tnseln. Von K Neukirch 709
Der Welt verkehr und seine Mittel.
Von A. Hettner 472
Bastian, A , Der Völkerverkehr
und seine Verstäudigungsmittel
im Hinblick auf China. Von O.
Schlüter 170
Jannasch, Ii, Telegraphenkarte für
den Weltverkehr. Von A. Kraus f>33
Grftfsere 1 i 1 räume.
B ücherbcBp rech un gen.
Gebauer, H , Handbuch der Länder-
und Völkerkunde mit besonderer
Berücksichtigung der volkswirt-
schaftlichen Verhältnisse. 1. Bd.:
Europa. Von R. Sieger 706
Lehmann, P., Länder- und Völker-
kunde. II. Bd.: Außereuropäische
Erdteile. Von A. Kirchhoff.... 653
Langhan s, P., Verkehrskarte von
Europa, Nordafrika und dem
Morgenland. Von K. Sieger ... . 234
Fitzner. lt., Deutsches Kolonial-
Handbuch. Von K. Dove 472
Közle, J. F. G., Neuer Wegweiser
für die deutschen Schutzgebiete in
Afrika, der Südsee und Ogtauien.
Von K. Hattert 1*1
Europa.
Annorika. Ein Vortrag von Geh.
Hergrat Prof. Dr. Hermann
Credner in Leipzig. Mit 1 Ab-
bildung im Text 250
Das Vorland der Pyrenäen. Von
Prof. Dr. .1. Früh in Zürich . . 220
Das Wachstum der Bevölkerung in
Österreich -Ungarn. Von Prof.
Dr. Andreas Rebhann in
Reichenberg i. B 2*7
Geographische Charakterbilder aus
Finland. Von Dr. J. E. Rosberg
in Helsingfors 4*1
Neue Beiträge zur Morphologie von
Norwegen. Von Prof. Dr. Ed.
Richter in Graz 642
Die Bevölkerung Norwegens nach
der Zählung vom 3. Dezember
1900. Von Dr. K. Neukirch
in Leipzig 514
Vorläufige Ergebnisse der allge-
meinen dänischen Volkszählung
vom 1. Februar 1901 (eigent-
liches Dänemark >. Von demselben 402
Berichtigung. Von A.H. Vgl. S. 287 346
Neuigkeiten.
Verkehrszunahnie in europäischen
Häfen 347
Bevölkerung Dänemarks 223
Bevölkerung Norwegens 292
Seen der schwedischen Lappmarken 409
Kabel nach Island.. 467
Die Färöer 649
Bevölkerung von Grofsluitannien und
Irland 466
Französische Kanalprojekte 347
Gletuchcrforschung in Frankreich . . . 526
Verlandung der Seen der franzö-
sischen Vogesen 592
Bevölkerung Italiens 410
Geodätische Aufnahme Sardiniens . . 34*
Thätigkeit des Vesuv» 223
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Inhalt.
Seite
Höhe des Ätna 693
Bahnen auf der Balkanhalbinsel .... 52
Inselbahn in Dalmatien 163
Eisenbahn in Montenegro 164
Bevölkerung Serbiens 293
liebung des Wasserspiegels im Asow-
scheu Meere 702
Eisenbahnen in Rufsland 466
WasserstrafBe zwischen Schwarzem
und Kaspischem Meer 411
Rückgang des Berghaus im Ural . . . 52
Bücherbesprechungen.
Matleko vitf, A. v. , Das Königreich
Ungarn. Von W. Götz 171
A 1 f ö 1 d i , B., Illustrierter Führer durch
Ungarn, Kroatien und Slavonien.
Von R. Sieger 172
Smiljanie, M. V. , Beitrage zur
Siedelungsknnde Südserbiens. Von
K. Hassert 473
(»elzer, Geistliches und Weltlich ?s
aus dem türkisch -griechischen
Orient. Von W. Rüge 353
Meyer 's Reisebücher: Griechenland
und Kleinasien. Von A. Phil ippson 114
Annales de l'observatoire national
d'Athenes. Von J. Partsch 173
Fischer, P. D., Italien und die Ita-
liener. Von Th. Fischer 713
La Riviera. Von A. Hettner. . . . 114
Goldstein. J., Bevölkerungsproblem
und Berufsgliederung in Frank-
reich. Von A. Hettner 299
Deecke, W., Geologischer Führer
durch Bornholm. Von A. Jentzsch 418
Norway Official Publication for the
Paris Exhibition 1900. Von F. Hahn 713
Schulz, A., Über die Entwicklungs-
geschichte der gegenwärtigen pha-
nerogamen Flora und Pflanzendecke
der skandinavischen Halbinsel und
der benachbarten schwedischen und
norwegischen Inseln. Von F. Höck 534
Deutschland und Nachbarländer.
Die Verbreitung der wichtigsten
einheimischen Waldbäiune in
Deutschland. Von Prof. Dr. Hans
Hausrath in Karlsruhe 625
Das mitteleuropäische Landsehafts-
bild nach seiner geschichtlichen
Entwicklung. Von Dr. Roh.
Gradmann in Tübingen .361. 435
Über die Oberfläehenformen der
Hochalpen. Nach den Unter-
suchungen Eduard Richters.
Von Alfred Hettner 447
Der Gletschersturz von Simpeln am
Seite
19.Märzl901. Von Ed. Richter.
(Mit 1 Abbildung) 459
Eine orographische Studie am Knie
des Rheines. Von Dr. F. v.
Huene in Tübingen. Mit einer
Karte (Tafel 2) 140
Die wasserwirtschaftliche Vorlage
in Preufsen. Von Dr. Wilhelm
Hochstetter in Berlin 188
Vorläufige Ergebnisse der 8. all-
gemeinen zehnjährigen Volks-
zählung im Königreich der
Niederlande vom 31. Dezember
1899. Von Dr. Karl Neukirch
in Leipzig 281
Neuigkeiten.
Bevölkerung des Deutschen Reiches 223
Deutsche Städte mit mehr als 50 000
Einwohnern 107
Die ältesten Wege in Sachsen. 7<H
Deutschlands submarines Kabelnetz . 347
Preisausschreiben der Zentralkoramis-
sion für wissenschaftliehe Landes-
kunde 466
Regenkarte des Kgr. Preufsen 51
Grundwasserschwankungen in Meck-
lenburg 162
Seichesbeobachtungen am Madüsee . 626
Vergletscherung der Vogesen 409
Seichesbeobachtungen im Starnberger
See 163
Marinelli's orographische Alpen-
studien 108
Ergebnisse der Beobachtungen am
Rhonegletscher 649
Seiches im Vierwaldstätter See 52
Wassertemperaturen des Wolfgang-
sees 223
Bevölkerung der Schweiz 163
Ergebnisse der Plattensee-Erforschung 163
Anschlufs des rumänischen an das
westeuropäische Längennetz 701
Trockenlegung des Zuidersees 409
Kanal zwischen Oder und Adria . . . . 292
Bücherbesprechungen.
Kirchhoff und Hassert, Bericht
über die neuere Litteratur zur
deutschen Landeskunde. Bd. I.
(1890—99.) Von F. Hahn 710
v. Erckert. It., Wanderungen und
Siedelungen der germanischen
Stämme in Mittel -Europa auf zwölf
Kartenblättern. Von K. Kretsch-
mer 711
Sieger, R. , Die Alpen. Von A.
Hettner 657
Alpine Majestäten und ihr Gefolge.
Von A. Hettner 471
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VI
Iu halt.
Seite
M eurer, J . Illustrierter Führer auf
«ler Bn-niu-rhahn, durch die Ziller-
thülcr und Stulutirr Mpcn und durch
dir Östl. bayerisch - tirolerischen
Kalkalpen. Von R.Sieger 300
Blümcke, A. und Hefs, H.. Untt-r
Buchungen am Hintereisferner. Von
W t'le — 899
Hfl hier H. M., Bayerisch Schwaben
und Ncuburg und seine Xachhar-
g« 'biete. Von Joh. Müller ....T. 656
Beschreibung de8 Oberanites Rotten-
luirg. Von K. Fricker . . . . 233
U'iehter. 0,. Wandkarte \<»n Kl-al's-
I.MthriiiL'i'n und d»T Ha vrri^chen
l'l'al/ Von \{. Langrnh'ei k .... .r»|n
Beuermann, A.. l.andr>kunde
PreufBens Von Hch Fischer. 661
Thüringen in Wort und Bild. — Die
BÖnni BäjfiääE in Wort und Hild~
Von F. Regel 655
Wahnschaffe, F., Die Ursachen
der Oberfläehengestaltung des nord-
deutschen Flachlandes. Von E.
Geinitz 417
Höck. F., Pflanzen der Kunsthestände
Norddeutsehlands als Zeugen für
die Vcrkehrsgeechichte unserer Hei-
mat, Von F. A. W. Schiinper. . . 352
Gerhardt, Handbuch des deutschen
Dünenbaues. Von A. Philipp son 50
Jensen, Die nordfriesiBchen Inseln
Sylt, Föhr, Amrum. VonE.Traeger 114
Buchenau, Die freie Hansestadt
Bremen und ihr Gebiet. Von F.
Hahn 58
De eck e, W. , Geologischer Führer
durch Pommern. Von A. Jentzsch 535
Hellmann. G ., Regenkarte der Pro-
vinzen Westpreufsen und Posen.
Von H. Kienast . 170
Zweck, A., Masuren Eine Landes-
und Volkskunde. Von W. Tic .. 536
Asien.
Der Weg von Osch nach Kaschgar.
Aus dem Russischen. Von Haupt-
mann H. Toepfer in Magde-
burg 323. 377
Eisenbahnen und Eisenbahnpläne
in Klein- und Mittel-Asien, Pcrsien
und Afghanistan. Von Ober-
leutnant a. D. Kü rehhoff in
Berlin 609. 677
Bemerkungen zur Morphologie des
Kaukasus. Von Prof. Dr." E d.
Richter in- Graz 61*2
Zur Geographie Kamtschatkas. Von
Hauptmann F. Immanuel in
Engers 694
Seit*
Der Salzsee von Larnaca auf Cy-
pem. Von Fnvatdozent Dr. Ott o
159
i1 it i i/ k o 1 1 *» n
«■ ' t_. II | U KV V 1 ICH.
Philippson's Reise nach Klein-
asien 293
593
Wachstum der Pptrolenmindust rie im
Kaukasus
53
Erforschung des Aralsees
_ — n _ _
298
Niveauschwankungen am Aralsee und
die Br fickner'sche Hypothese ..
64'.»
\ 1 in a ss v 's Iü'i-i1 nach Hussiseh-
Turkestan
293
Seiden- und Baumwollproduktion in
RoMisch-Arien
467
Die Seen Tenit und Kurgaldschin in
der Provinz AkmolinBk
l>us>isch*T Eintlufs in l'ersien
_5S
Markgraf's Reise zwischen Ob und
Jenissei 10S
Sven Hedin's Reisen in Zentral-
asien 164. 527
Ko/.lov's Reisen in Zentralaxien 294. 592
Five"s Forschungsreise in China ... 53
Deutsche Schiffahrtslinie Hongkong-
Wladiwostok 702
Theehandel von San-tu-lo 294
Volkszählung in Korea 349
Volkszählung in Indien 1901 348
Erforschung des Sanpo- Brahma-
putra 349. 411
Indische« Eisenbahnnetz 467
Bücherbesprechungen.
Merzbachcr, 0.. Aus den Hoch-
regionen des Kaukasus. Wande-
rungen. Erlebnisse, Beobachtungen.
Von Ed Richter 657
Sachau, Ed., Am Euphrat und Tigris.
Von F. Kobelt , ..' 174
v. Schwarz, F., Turkestan. Von J.
Walther 236
Krahmer, Rufsland in Asien Band
TH. Von F. Immanuel 41»
Dolgorukow, Reiseführer durch
Sibirien Von F. Immanuel .... 116
Wieden fei d, K., Die sibirische Bahn
in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung.
Von F. Immanuel 474
v. Hesse- Wartegg, E., China und
Japan. Erlebnisse. Studien, Beo-
bachtungen. Von F. Hirth 174
v Brandt« lf., Dreiunddrei fsig Jahre
in Ost -Asien. Erinnerungen eines
dentschen Diplomaten. Bd. I n. II.
420. 658
Von A. K i n- hin» ff
Schwabe, Die Verkehrsverhältnisse
des chinesischen Reiches. Von
F. Hirth 176
Kutschera, M., Macao, der erste
Stützpunkt europäischen Handels
in China. Von F. Hirth 353
xi by Google
Injhalt.
VII
^Afrika.
Die Eisonhnlinpn in Afrika und
ihre Bedeutung für den Handel.
Mit einer Ubersichtsskizze «Ta-
fel l i. Von Qberjggtnääj ;i. D.
K Ü i rli hot t in Berlin
Neuigkeiten.
Figcher1« Forschungsreise nach
Marokko &4
Lage den antiken Möris-Sees 61
Verlegung der abessinischen Resi-
denz 312
Le Roux' Reise im westlichen
Abessinien 702
Die Grenzen Erythraas 621
Goldvorkommen in den westlichen
Gallaländern 62ä
Itali eniwehes Afrika üüü
Kipeditionen im Hinterlande der
ElfcnLeinkflste T 225
Flufaveränderungen im französischen
Kongo gebiet . . . . . 2112
West afrikanische Kautschuk- Kxpedi-
tion 221
SchirTbarkeit des Niger 411
Etinde-Vulkan in Kamerun 650
Organisation von KranzÖBiHch-Zentral-
afrika 226.
Erforschung de s südwestlichen Schari-
Beckens 22ö.
Euiflufs des Bahr-el-Gbasal auf die
Nilschwelle 206
Frhrn. v. Erlanger's und Neu-
iii an ii'- Leise in n~tatrika liiT 412
Pönal daon Smith's Reisen in Ost,-
afrika lfi&
Eisenbahn in Beuguela 226
Ü ber die Zwergvölker des inner-
afrikanischen Lrwaldes Lüh
Deutsch - britisches Grenzgebiet zwi-
schen Nyassa und Tauganjika .... HO
Deutsche Dampfer auf den ostafri-
kanischen Seen und FlüBsen 100
Mfumbiro-Kirunga ; AfiH
Bf völ kerung Madagaskars Iiis
Bücherbesprechungen.
Karte über den Stand des Kisen-
bahubaues in Afrika. Von Kürch-
hoff 23ü
Fischer, Th., Wissenschaftliche Er-
gebnisse einer Reise im Atlas-Vor-
lande von Marokko. Von P. Sehn eil öo6
Autenrieth, F.. ins lnner-Hochland
von Kamerun . Von A Schenck . 3QO
Schlechter, K , Westafrikanischc
Kautschukexpedition. Von F. Höck
Wla»t. Südafrika Von A. Schenck 116
Brvce.J., Bilder aus Südafrika. Von
Ä. S. hi-ncki ~ 537
Australien
und die australischen Inseln.
Neuigkeiten. xü£ii£
Bau ftinpr fattnukonti Mentalen F.iHHti-
bahn 350
He im 's Forschungsreise nach Neu-
seeland - ft93
Volkszählung in Sauna 165
Britische Annektierung 56
Xetientdcckung einer Insel -tf,'.>
B ü c h er b es pre c h u n g e n.
Lauterer, J., Australien und Tas-
manien. Von E. Jung 287
v. L e n d e n f e 1 d , R., Neuseeland. Von
E. Jung 17ö
Mord- und Mittel-Amerika.
Galveston und seine Sturmflut. Von
Dr. Emil Deekert in Berlin.
Mit einer Karte im Text 42
Die Territorial- und Bevölkerungs-
verhältnisse der mexikanischen
Republik nach dem Census von
190U. Von demselben 6«J7
Über die geologische Bedeutung
der tropischen Vegetationsforma-
tionen in Mittelamerika und Süd-
mexiko. Nach Carl Sapper.
Von E. Werth 343
Die niederländisch - westindischen
Inseln. Von 11. Zunder van in
206
Neuigkeiten.
Xordamerikaniflche Erdmessung
350
Der höchste Berg Nordamerikas
5i>3
.) e s u p - Expedition i<;.'>
703
Neue Dampferverbindung zwischen
Nordamerika und Kuropa . . .
206
Wogenbrecher an der Delaware-Bai
Tot
1 »awson-City
56
Alaska -Eisenbahn
MM
Santa Lucia Mountains
704
Low k Reisen in Labrador. .
60
Kanadische Volkszählung
5U4
Schiffahrt und Schiffbau auf den
nordamerikanischen Seen.
110
l'mbau des Krie Kanals
504
Irrigatiousarbeiten in den Vereinigten
Staaten
IM
Theeanbau
Gevserthätigkeit im Vellowstone-Park 704
X i \ < au Veränderung im Grofsen Salzsee 205
Die grofsen Höhlen von Indiana....
660
.Nikaragua- Kanal
65
Kulturverhältnisse der französischen
05 1
VIII
Inhalt.
Bflcherbesp rechungen.
1 1 j 1 1 1 i < > g r a g h i e n
/. nr Li'tnJer-
k u n d e N o r <1 a m «■ r i k a s, < i r i M i n,
A. 1'. ('., List ol" Hooks relating t<>
i'ut.a, — Philips, 1'. G | Alaska
aii'i tlie Northwest l'art ffl North
America 1688 l*9s. Phillips,
P. L , List of Mups and Views
ol' Washington am! i »istriet of IV
hunbia in the Library ol 1 jöjjgrgäi.
— Morrison, H. A~, Library of
('un^n'ss, List ol Hooks and ol'
Artnlfv in l'rriodirals
Griffin, A. P. C., Library of Con-
gress, List of Books relating to
HägaD Von f. E EagärZHI
hü
Gardini. C. In der Sternenbanner-
Republik. Von E Deck er t 714
F i 1 i p p o d e F i 1 i p p i , Die Forschungs-
reise 8. K. H. des 1 'riny.ru Ludwig
Amadeus von Savoyen, Herzoge der
Abruzzeu, nach dem Eliasberge in
Alaska im Jahn- 1*97. Von E.
Deckt-rt 659
Seier. C. Auf alten Wegen in Me-
xiko und Guatemala
Von H. Lenk
714
Do tiein, F., Von den Antillen zum
fernen Westen. Von E. Deckert . 638
PauBche, Im Fluge durch Jamaica
und Cuba. Von A. Hettner 116
Hill, K. T., The Geology and Phy-
sical Geography of Jamaica. Von
E. Deckert 354
Süd-Amerika.
Neuigkeiten.
Kanalprojekt in Südamerika 696
Greiustreit /.wi-rln-n Kolumbien und
Costanka 66. 651
Schiffahrtseroffnung im Orinoko-Delta 66
Volkszählung in V enezuela 166
Kiwrnl.:ihn)H-t/. Roliviaa 227
GrpnzKtreit zwischen Frankreich nnd
Hrasilirn
_fcfi
KiHftnlialinnt-ty. Riasiliens 56
Die Seen Patagoniens 227
Bücher beaprechun gen.
Krueger,P., Die chilenische Renihue-
Expedition. Von P. Stange 178
Uno Id. J.. Dan Deutochtum in Chile
und Wintzer. W.. Die Deutschen
im tropischen Amerika. Von A.
Ilrttnrr 301
Polarregionen.
Neuigkeiten.
Verbreitung des Moachuaoehaeu und
des Polarwolfa 57
Wiaaenachaftliche Ergebnisse der
Jackaon-Harmaworth- und der
„ Fram**-Expedition
X § n ae n 1 s nördlichster Punkt
III
4_1^
l'olari'xpedition des Herzogs der
A Ii r n / / o n 1 f>ti
222
Hilfsexpeditiou Guerini 5'28
Rauendahl'* Nordpolarexpedition ■ 5-'s
l'eary'.s Nonlpolarexpedition . .5'J6. 651
v. Toll's l'olareX]teilitiou 46U. 695
HuHsis< he KisineerYorschungen an der
Mnniiaiiküate
JJili
I iradmessnngsexpedition auf Spitz-
bergen 413. 469. 661
Baldwin's und Wellman'a Nord-
polarexpeditionen. • ••••• 360. 629
413
A ii sehii t / - K ä in pl'e" s Plan einer
Nordpolarcxpedition
Rückkehr Dr. Stein 'a 704
Internationale Kooperation der Süd-
polarforschung 469
Stand des Baus dea deutschen Süd-
polarschiffes 167
Stapellauf der „Gaufs" und der
„Discovery" 296
Deutsche Südpolarexpedition 629. 596. 652
Englische Südpolarexpedition 413. 470. 629
Schwedische Südpolarexpedition .... 296
Stand der geplanten Südpolexpedi-
tionen 680
Kolonisatioiisversuch auf den Ker-
guelen 57
Stand der Südpolarexpeditionen .... 705
Geographischer Unterricht.
Die geographischen Ortsbestim-
mungen und unsere grofsen Uni-
versitäten. Von Prof. Dr. E.
Hammer in Stuttgart
Der ( leographieunterrieht au den
399
preufsischen höheren
Schulen
nnd die Juniknnferenz.
Von Dr.
Heinrich Fischer in
Berlin .
SM
Zur Lage des geographiii
hen Un-
terrichtes an den höherei
Schulen
Sa.-li-..-Ms
6M
Neuigkeiten.
Habilitation Dr. Fitzncr's in Rostock
Hahilitation Dr. Friedrich'» in
222
Leipzig. •••••••• • • • • • • •
Geographische Vorlesungen in Mar-
705
705
Professur Her Ethnologie und Ur-
geschichte in Leipzig 352
Professur für Geographie an der.
Universität l'psala 416
Geographische Vorlesungen im S.-S.
1U01 228
Geographische Vorlesungen im VV.-S.
1901/1902 530. 597
Jd by Googl
Inhalt.
JX
Seile
Erdkunde im Erlals des Kaisers .... 58
Geographie im neuen preufsischen
Lehr plan 414
Stellung der Erdkunde im seminaristi-
schen Lehrplan Preufsens 697
Geographisches Institut der Universität
Freiburg i. Hr 663
Geograph iseher L'uterricht in Frank-
reich 16«
Beschieferte Karten 531
B fl c h e r b e, s p r e c h u n g e n.
Gr über, Chr., Die Entwicklung der
geographischen Lehrmethoden im
Will im.! XIX .lahrluin.iert \ m
Heb. Fischer 475
Hand- und Lehrbücher.
Langenbeek.R., Leitfaden der Geo-
graphie für höhere Lehranstalten.
Von Hch. Fischer 476
E. v. Seydlitz'sche Geographie.
Vmn E Knl da. 179
Thotnaschky, I\, Schulgeographie
für höhere Lehranstalten. Von E.
Fulda 170
Pah de. A.. Erdkunde für höhere
Lehranstalti'u. Von Hch. Fischer 180
Schlemmer. Leitfaden der Erd-
kUTl.lf
\ (iH
für höhere
Fnlda
Lehranstalten,
Wollensack, A., Lehrbuch der Geo-
graphie fflr österr. Lehrer- und
Lehrerinnenbildungsanstalten. Von
A. Kraus 538
H anncke. It., Erdkundliche Aufsätze
für die oberen Klassen höherer Lehr-
anstalten. Von Hch. Fischer ... 355
H ü t tl . Elemente der mathematischen
Geographie. Von A. Bludau.... 60
Vogel, Hills- und Wiederholnngs-
LiüJb 1'i'ir den t nU:rri':lit in '.Irr
Himmelskunde an mittleren Lehr-
anstalten. Von A. Bludau Gl
Atlanten, Wandkarten, Anschauungsmittel.
Lüddeckeund H. Haack, Deutscher
Schulatlas. Von Hch. Fischer.. 631»
D i e r c k e . Schulatlas für höhere Lehr-
Yereine und Versammlungen.
Zeitschriften.
Seit.'
Der XIII. deutsche Geographentag
in Breslau. Von Dr. M a c h a c e k ,
Heinrich Fischer und Dr. O.
Schlüter 3*3. 465. 533
Die geographische Ausstellung des
XIII. Deutschen Geographen-
tages zu Breslau. Von Dr. Max
Friederic hsen in Hamburg . . 46-2
Der 1 3. schweizerische Geographen-
tag. Von Heinrich Hrmmer
in Zürich r,4.->
Neuigkeiten.
XIII. Deutscher Geographentag 112
73. Versammlung^ deutscher Natur-
forscher und Ärzte 297. 470
1\ Italienischer < ieii^raphenkniigrel's lüH
351
VIII. Internationaler Geographenkon-
grefs in Washington 1904 705
„Verhandlungen des VH. Internatio-
nalen Geographenkongresses" 297
..\ i'Ttfljali)>l)i'ttf iVir den p-ographi-
seilen I iilerrichf ' 6ÜÄ
„The Geographical Teaeher- 705
..Clitnaf "... 29s
„Asien" 705
Persönliches.
Heinrieh Kiepert. Ein Bild seines
Lebens und seiner Arbeit von
Prof. Dr. .T. Part sch in Breslau 1. 77
Anstalten
Richter. G.
Von Hch. Fischer . . 5:t9
Wandkarte von Elsafs-
Lothringen und der Bayerischen
Ca rnegie f.
Da wson .
168
■>:u)
Erhardt t 531
v. Erckert f
Fiorini f 113.
Foa f
Hartlaub f
Karsten t
Leconte f
1. ii k seil v
168
169
591»
112
112
652
Natt
e lt
230
v. Noi tlenskjöld t. 638
Prinz Heinrich von Orleans
699
Pfalz. V'on R. Langenbeck.
Schimper +
600
C. C. Meinhold & Söhne, Geogra-
phische Bilder ans Sachsen. 1.
LfK-T
S c h w a 1 he v
29 H
Blatt 1—6. v«in r. Wagner
715
23o
LangTs Hililer zur < ieschielite.
69.
Serpa Pinto t
Wl
Jerusalem ; To. Bethlehem ; 71
Na-
I' o in a s <■ h e k v
699
zureth. Von V. Schwöhel
660
1 1
Weigeldt, P., Aus allen Erdt«
ilen
Verleihung der goldenen Medaille an
Kflmmpntftr zu Ad Lehmann*«
fiha-
Prof v Rieht holen
rakterhildern. i Rpft- An*
<1pii
Hedarf an Axtrminmpn im Kolonial-
Upen. Von W, l~]»>
715
dinnat
16H
•
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X
Inhalt.
Litteratnr- und KartenverieicliniBiJe.
Seit«
Neue Bücher und Karten. Zusammen-
gestellt von H. Brunner, Biblio-
thekar in Zürich 61. 116. 18t. 237. »01
355. 420. 477. 54ü. «61. 716
Ü£U erschienene officielle Karten.
ZgjammenjgeBtellt von Dr. Max
Y r hm! e r i t' h s c u in Hamburg ■">■"» 7 *> t'J
/eHscliiiftciischau,
Petenuanii'x Geographische Mit-
teilungen . .63. 119. 1*3. 2397~3Ö3. 351)
Aftg A7H fiA3 R07 fifi« 71ft
Globus . .63. 119. 1H3. 23» 303. 350. 422
47«. 543. 607. 663. 7111
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik ...63. 110. 188. 231». 304
360. 423. 47'J. 544. 608. 663. 719
Zeitschrift für Gewässerkunde .119. 360
429
Meteorologische Zeitschrift . .64. 183. 289
304. 3H0. 423 479 544 fiOH. 663 710
Zeitschrift für Schulgeographie ..64. 183
•J3H. ES BBE 4--,.'i 47'.». ;"> 1 4 6i)s. MX. 719
Deutsche Geographische Blätter. 360. 719
Geographisches Jahrbuch 470. 663
Z''il>'hiif( >).;r Gesellschaft für 1-nl-
künde zu Berlin. . 239. 304 479. 719
Verhandlungen der Gesellschaft für
Erdkunde zu Herlin -J39. 304. 479. 719
Beiträge zur Kolonialpolitik und Ko-
lonialwirtM-lial't . . 719
Mitteilungen der K.K. Geographischen
Gesellschaft in Wien. 64. 239. 423. 544
663
Abhandlungen der K. K. Geographi-
schen Gesellschaft in Wien... 423. 544
Mitteilungen des Vereins für Erd-
kunde zu Leipzig 423
Mitteilungen des Vereins für Erd-
kunde zu Halle a. d. S 119. 663
Mitteilungen der Geographischen Ge-
sellschaft zu Jena 64
Jahresbericht der Geographischen Ge-
sellschaft zu München 184
Geographische Mitteilungen aus
Hessen 64
Seit«
Jahresbericht des Württembergischen
Vereins für Handelsgeographie . . . 608
Vereinsbericht der Geographen an der
Universität Wien 479
Geographische Jahresberichte über
Qttonaich iao
Mitteilungen des K. K. inilitargeo-
graphNchrn Instituts in Wien . . . . 608
X\ II, Jahresbericht der Geographi-
BcEfifl '."■■•ylK'bat't zu BbEEZZSüL 423
Festschrift der geogr. - ethnogr. Ge-
sellschaft in Zürich iW'»4
Th>' Geographica! Journal .,r>4. 1 •_»(>. ist
240. 304. 360. 423. 479. 544. 608.664. 720
The Scottish Geographical Magazine 120
240. 304 360. 479. 544. 608. 720
The Journal of the Manchester Geo-
graphical Society 720
Ymer 120. 423. 479
Norges geologiske undersogelse 664
La Geographie 63. 120. 184° 240. 304. 36Ö
423, 479. 544. 664. 720
Annales de Geographie 64. 184. 304
479, 544, 664
Revue de Geographie . 360
Rivista geogratica ltaliana . ,t>4. r.'u. 184
240. 3o4. 3)iO. 47H gg 7"JO
The National Geographie Magazine 120
184. 240. 304. 360 423. 479. 544. 664. 720
The Journal of School Geography . . 64
120. 184. 240. 304. 360. 423?479. 664. 720
Aus verschiedenen Zeitschriften . .64. 120
240. 360. 423. 479. 644. 608. 720
Verzeichnis der Tafeln. Talel
C'bersichtskarte der Eisenbahnen in
Afrika von Oberleutnant a. D.
Kürehhoff I
Die Flufsläufe im Norden und Süden
des Rheines von Dr. F. v. Huene II
Bilder von der Riesengebirgs-
Exkursion des XIII, deutschen
Geographentages von Dr. Max
Fried erichsen III. IV
Uber das Problem früheren Land-
Zusammenhangs auf der südlichen
Erdhalfte von Dr. H Simroth ... V
Berichtigungen.
S. 120, 1. unten lies „Freyreifs'' statt „Eregreifs".
S. 132 Fufsnote. Zeile 4 von unten lies „rasch" statt „langsam".
S. 189 Zeile, 11 von oben lies „durch Reibung" statt „durch die Erdrotation".
S. 301, Spalte 1, Zeile 19 von oben lies „unter den Nkosi" statt „unter dem Ukoai".
S. 409 (Seentabelle) lies: „Saggat" statt „Soggah".
„Skalkajaure" statt „Skalkojaure".
„Stroms Vattudal" statt „Vattndal".
„Volgsjön" statt „Volgrjön".
Google
Heinrich Kiepert.
Ein Bild seines Lebens und seiner Arbeit
von J. Partach.
Wer einmal die Geschichte der wissenschaftlichen Geographie des 19. Jahr-
hunderts für Deutschland zu schreiben unternimmt, wird bei der Mitte der
dreifsiger Jahre achtsam verweilen müssen. Wohl vernichtete des Geologen
Friedrich Hoffmann früher Tod die Hoffnung, dafs der physischen Geographie
zwischen den über des Lebens Höhe schon hinausgeschrittenen Geistern
Alexanders v. Humboldt und Leopold's v. Buch aus dem jüngeren Geschlecht
ein Führer erwachse, der an der Seite bahnbrechender Pfleger einzelner
Zweige der Forschung, wie H. W. Dove, Chr. Gfrd. Ehrenberg, G. A. Erman,
H. Fr. Link, die Berliner Universität zur kräftigsten Lichtquelle für die von
Humboldt s vielseitiger Wirksamkeit ausgestreute und genährte Saat natur-
wissenschaftlicher Erdkunde machen werde. Aber auch für die Blüte der
historischen Geographie bot dieselbe Hochschule damals überaus günstige
Bedingungen. In der Altertumsforschung und der Länderkunde wirkten an
ihr eine Reihe bedeutender Männer, die wohl geeignet waren, einem zu
fruchtbarer Verknüpfung beidor Studiengebiete gestimmten und befähigten
Geiste reiche Nahrung zuzuführen. Böckh auf dem Gipfel seiner Kraft,
Gerhard voll frischer Eindrücke heimkehrend von langem Aufenthalt in
Italien, Carl Ritter im vollsten Zuge rührigen Schaffens, eben sich rüstend
zur Wallfahrt nach Griechenland — • das war der Kreis der Lehrer, zu denen
der junge Kiepert, wissensdurstig aufblickte, als er — seines Zieles schon
sicher — 1836 die Berliner Universität bezog1).
In Berlin am 31. Juli 1818 geboren als Sohn eines Kaufmanns in
mittelguter Lebenslage, hatte er schon als Knabe in ungewöhnlichem Grade
Sinn und Fähigkeit für die Auffassung und Darstellung von Örtlichkeit und
Bodenformen gezeigt. Wenn die aus Schlesien stammenden Eltern ihn in
die wechselvolleren Landschaften ihrer Heimat führten, nahmen sie mit Er-
1) Als Quellen für dieses Lebensbild dienten eine 1873 niedergeschriebene
Selbstbiographie, welche 1899 im Globus LXXV, No. 19, S. 297-301 von R. Andrec
abgedruckt wurde, ferner Briefe und Tagebuchnotizen von den wichtigsten Reisen.
Mit ihnen zugleich wurden dem Verf. von der Familie Kiepert auch andere Auf-
zeichnungen und mündliche Mitteilungen anvertraut, die zu der nicht leichten Auf-
gabe ermutigten, eine zusammenhängende Durstellung dieses inhaltreichen Lebens-
ganges zu versuchen und seine Bedeutung für die Erdkunde zu würdigen. Mein
verehrter Freund, Dr. Richard Kiepert, hat mich überdies durch freundliche Durch-
sicht meiner Ausarbeitung unterstützt.
Oeot(T*phi»cbe Zeittchrift. 7. JahrB»ng. 1901. 1. Heft. 1
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2
J. Partsch:
stauuen wahr, wie der Kleine schon im fünften, mit höherem Eifer und Er-
folg im neunten Jahre den Reiseweg von Ort zu Ort einzeichnete und von
den Städten (Frankfurt, Bunzlau) Planskizzen entwarf. Mit den Eltern
wirkten nun auch ältere Freunde der Familie, Onkel Hoffmann, ein als
Direktor des Bunzlauer Waisenhauses und Seminars zu begründetem Ruf ge-
langter Pädagog, und mit gewichtigem Rate Leopold Ranke darauf hin, die
im Schulunterricht früh sich bekundende Vorliebe des Knaben für Geographie
zu pflegen und weiter zu entwickeln. Dafür blieb auch auf dem Joachims-
thalschen Gymnasium (1828 — 1836) Raum. Bei allem Eifer für altklassische
Lektüre unter Meinekes fester und doch erwärmender Führung blieb eingehen-
des geographisches Studium und unermüdliche tbung im Karten- und Plan-
zeichnen die Lieblingsbeschäftigung in allen freien Stunden. Die Kostspieligkeit
der besseren Originalkarten, namentlich englischer und französischer, denen
Deutschland damals nur wenig Ebenbürtiges zur Seite zu stellen vermochte,
trieb ihren jugendlichen Bewunderer zu emsigem, nicht nur die Handfertig-
keit, sondern auch Verständnis und Urteil entwickelndem Nachzeichnen. Die
tiefe Vertrautheit mit dem Inhalt vergleichbarer Karten weckte dann den
kritischen Sinn, welchen namentlich die damals verbreiteten Kartenbilder zur
historischen Länderkunde durch groteske Unvollkommenheit herausforderten.
Die Unzufriedenheit mit ihnen spornte zum ersten Versuche der eigenen
Kraft.
Als noch nicht 18 jähriger Primaner begann Kiepert seine kartographische
Laufbahn mit dem frühesten Anlauf zur Bewältigung einer Aufgabe, zu der
er oft wieder zurückkehrte und der GO Jahre später die letzte grofse, voll
ausgereifte Arbeit seines erntereichen Lebens gelten sollte: er entwarf auf
Grund eigenen Studiums aller ihm erreichbaren antiken Quellen und der ge-
samten damals vorliegenden Vorarbeiten möglichst genaue Pläne zur Topo-
graphie von Rom für die Königszeit (1:17 500), für die Republik und für
die Kaiserzeit (je 1 : 13333), ferner vom Forum und seiner Umgebung (1 : 5500 )
in voraugustöischer und in späterer Zeit, dazu eine Karte der Umgebung
Roms (1:200000) und Grundrisse und Aufrisse merkwürdiger antiker Ge-
bäude. Die Vermittlung des Zeichenlehrers, Generalstabszeichners Brückner,
ermöglichte ihm die autographische Vervielfältigung dieser Pläne und Zeich-
nungen, die er in die Hände seiner Lehrer und Mitschüler legte und im
nächsten Jahre als junger Student für Zumpt's Vorlesungen nochmals aus-
arbeitete. Niemand wird ohne Bewunderung die 3 Blätter (45 X 35 cm)
dieses Heftes ansehen und die reichen Erläuterungen, welche in Perlschrift
die Innenseite des Umschlages bedecken (8 Spalten mit 1200 Zeilen), durch-
mustern können. Mag man die Technik der Bergschraffierung, die Gewissen-
haftigkeit und die elegante Anlage jeder Zeichnung prüfen, mag man unter
Berücksichtigung des damaligen Standes der Kenntnis dem sachlichen Inhalt
und der bisweilen über die Grenze des Erreichbaren hinausgehenden Ge-
nauigkeit der Eintragungen oder den Erläuterungen seine Aufmerksamkeit
zuwenden, in denen mit verhaltener Lebhaftigkeit der jugendlichen Empfindung
eine überraschende Einzelkenntnls und tiefgehendes archäologisches Interesse
das Wort führen, immer gewinnt man den Eindruck einer den Jahren vor-
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Heinrich Kiepert.
ausgeeilten geistigen Entwicklung und einer zielbewufsten abgeschlossenen
Persönlichkeit, der die Zukunft wohl noch viel geistige Bereicherung zu-
führen, der sie aber kein anderes Gepräge mehr aufdrücken konnte.
Kiepert hat dieses Studium Roms auch in den nächsten Jahren beständig
weitergeführt und auf die mittelalterliche Stadt ausgedehnt, wie eine Reihe
von handschriftlich erhaltenen Plänen und architektonischen Grundrissen, die
er 1837 — 1839 entwarf, erkennen läfst. Chr. K. .7. Frh. v. Bunsen, der auf
seine Erstlingsarbeiten aufmerksam geworden war, hatte ihm die Aussicht
eröffnet, nach Abschlufs seiner Universitäts-Studien vielleicht selbst bei •
längerem Aufenthalt in der ewigen Stadt ihrer historischen Topographie die
voUe Kraft zu widmen. Die politischen Verhältnisse vereitelten diese Hoffnung.
Die Universitäts-Studien erweiterten den Horizont und weckten neue Interessen.
Auf der Universität legte Kiepert für den vollen Ausbau aller Seiten
der für seine Ziele erforderlichen wissenschaftlichen Bildung festen Grund.
Nicht nur die grofsen Hauptvorlesungeu über die wichtigsten philologischen
Disziplinen zogen ihn an, sondern bisweilen bildete er mit vier näheren
Freunden, Martin Hertz, Ernst Guhl, Wilh. Koner, Bernh. Köhne, das ganze
Auditorium bei den Archäologen Gerhard und Panofka oder bei dem Numis-
matiker Tölken1). Es war eine schöne Studiengemeinschaft, in der diese
fünf Berliner, jeder ohne sein Ziel aus den Augen zu verlieren, gegenseitige
Anregung übten und in lebendigem Gedankenaustausch auch die gemeinsam
gehörten grofsen Vorlesungen Böckh's, Ranke's, Ritter's doppelt wirksam ge-
nossen. Vorübergehend ward in dem Kreise der Gedanke erwogen, auf einige
Zeit nach Göttingen überzusiedeln, um Otfried Müller zu hören. Aber der
Verzicht auf diesen Wunsch nach dem „rohen Eingreifen kleinstaatlicheu
Übermuts gegen die edelsten Zierden deutscher Wissenschaft" ward grade
Kiepert am wenigsten schwer. Ihn fesselte Ritter s Lehre und sein vertrauter,
fast täglicher Umgang, der die Anregungen eines reichen Geistes am unmittel-
barsten auf den begeisterten Schüler überströmen lief« und ihm auch des
Meisters herrliche Bibliothek und Kartensammlung erschlofs. Als Ritter, aus
Griechenland heimgekehrt, dies Land zum Gegenstand eingehender Behand-
lung in seinen Vorträgen wählte, fühlte Kiepert sich augeregt, dessen antike
Topographie mit Hilfe der neuen, von deutscheu Altertumsforschern noch
wenig beachteten französischen Karte, der Küstenaufnalmien der britischen
Marine und der Forschungsergebnisse zahlreicher Reisenden gründlichst durch-
zuarbeiten und die neu begründete Darstellung in flott gezeichneten auto-
graphisch vervielfältigten Handkarten ganz unentgeltlich seinen Kommilitonen
zugänglich zu machen. Aus diesen zunächst nur für einen engereu Kreis
hergestellten Karten8) erwuchs dann auf Anregung des befreundeten Buch-
1) Worte der Erinnerung an W Koner Vh. G. f. E. XIV 1887, 866.
2) Von diesen Autogrammen haben mir 10 vorgelegen, 5 aus dem Jahre 1838
Griechenland 1: 600000 mit 14 Kartons für wichtige Städte und Schlachtfelder;
Hellas, Epeiros, Makedonien 1 : 1500000, Peloponnesos, Hellas, Thessalia 1 : 600000,
Das Lokal der llias, Umgebung Troias 1 : 166666, Das troische Reich 1:1000000,
Italia inferior 1:750000», 2 von 1839 (Nord -Hellas 1:600000. Boiotia, Phokis,
Lokris 1:300000), 1 von 1840 (Peloponnesos 1:600000), 2 ohne Jahr (Gebiet von
Megalopolis 1 1 80000, Attika mit Plänen von Athen und Akropolia).
1*
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4
.1 Partsoh:
händlers Dr. Parthey der Plan eines gröfseren, in Kupferstich auszuführenden
Atlas von Hellas und den hellenischen Kolonien (24 Blatt, Berlin, Nicolai
1841 — 1846; Supplement, neue Ausgaben von 4 Blättern mit Erläuterungen
1851». Die erste Lieferung dieses in Kiepert's letzten Studienjahren ent-
standenen Werkes war die erste grofse wissenschaftliche Leistung, welche
seinen Namen einführte in die gelehrte Welt. Eine Vorrede Carl Ritters
(25. III. 1841) beleuchtete die Entstehung und die Bedeutung dieses Unter-
nehmens, mit dem „seit d'Anville's Zeit eine zweite Epoche der Kartographie
für 'Alte Geographie' beginne".
Gleichzeitig aber war bereits der Beweis erbracht, dafs Kiepert's ein-
dringende Forschungen nicht auf den inhaltreichen Horizont der hellenischen
Welt sich beschränkten. Schon lag seine Erstlingsleistung für die historische
Topographie Kleinasiens vor, eine Karte und kritische Übersicht des Standes
der Topographie von Phrygien als Beigabe zu einer Monographie von
Jon. Franz „Fünf Inschriften und fünf Städte in Kleinasien" (Berlin 1840.
40 S. 4°). Auch in die Palästina forschung war Kiepert schon eingetreten
mit glänzender Lösung der Aufgabe, die sorgfältigen Routenaufnahraen des
Amerikaners Edw. Robinson zu konstruieren und mit den älteren Quellen für
die Kunde des Landes zu einer Spezialkarte zu verarbeiten, welche der von
Robinson begründeten biblischen Archäologie und Topographie die erste zu-
verlässige Grundlage bieten sollte. Der Ruf Carl Ritters hatte Robinson
1839/40 zur Ausarbeitung seiner Reiseergebnisse Berlin als den geeignetsten
Ort erscheinen lassen; und Ritter war es, der, als Heinrich Berghaus, da-
mals der berühmteste deutsche Kartograph, sich wegeu Überhäufung mit
anderen Pflichten der bereits übernommenen Aufgabe des Kartenentwurfs
entzog, Kiepert dafür in Vorschlag brachte. Das noch heute lesenswerte
Memoir1), das dieser zu dem Reisewerk beisteuerte, giebt einen lehrreichen
Einblick in die Summe geistiger Arbeit, welche in den 5 Blättern des Atlas
niedergelegt ist, und in die wesentlichsten Ergebnisse, unter denen das Ver-
dienst der ersten richtigen Darstellung der Lage und Gestalt des Toten
Meeres in der Erinnerung fortzuleben verdient, wenn auch seither weit voll-
kommnere topographische Aufnahmen das von den Pionieren der Palästina -
Forschung Erreichte in den Schatten gestellt haben. Für Kiepert hatte diese
grofse kartographische Leistung, die freilich aus buchhändlerischen Rück-
sichten nur auf die Hälfte der ursprünglichen Mafsstäbe reduziert, an die
Öffentlichkeit gelangte3), eine hohe individuelle Bedeutung. Sie machte ihn
in kritischer Erfahrung tiefer vertraut mit den von verschiedenen Reisenden mit
sehr verschiedenem Eifer, Geschick und Erfolg erfüllten Pflichten der Itinerar-
Arbeit, mit den Schwierigkeiten, Grundsätzen und Kunstgriffen der Kon-
struktion eines verwickelten Routennetzes; hier auch übte er, unterstützt 1
durch die sorgfältigen Aufzeichnungen von Robinsous sprachkundigem Reise-
gefährten Ely Smith, zum ersten Male an arabischen Ortsnamen die ver-
1) Ed. Robinson, Palästina und die südlich angrenzenden Länder. Halle 1841,
I, S. XL — LXXVI. Die Karten tragen die Jahreszahl 1840.
2) Sinaihalbüwel und Petracisches Arabien 1 : 600000. Palästina (9 BL) 1 : 400000.
Sinai 1:100000. Jerusalems Umgebung 1:100 000 Jerusalem 1:10000,
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Heinrich Kiepert.
5
stftndnisvolle Genauigkeit der Rechtschreibung und der wohlerwogenen Über-
tragung fremder Laute in das abendländische Alphabet. Die bewundernde
Anerkennung Robinson s für Kieperts Tollendete Leistung fand ihren schlagend-
sten Ausdruck darin, dafs Robinson später nach Vollendung seiner nächsten
Orientreise im Herbst 1852 in Weimar, Kiepert'» damaligem Wohnsitz, Auf-
enthalt nahm, um wiederum, wie 1839/40, persönlich dem Kartenzeichner
mit steter Auskunft zur Seite zu stehen. Auch die Frucht dieser Arbeit,
eine ueu konstruierte Karte von Palästina und Phönizien (1:800000) in
Robinson s Neueren Biblischen Forschungen, kam uur auszugsweise und stark
verkleinert an die Öffentlichkeit.
Die auf dem Felde der Palästina - Forschung erworbenen Erfahrungen
waren Kiepert's beste Vorbereitung fiir seine erste Forschungsreise in Klein-
asien (1841/42). Nach diesem unter türkischer Herrschaft schwer zugäng-
lich und unbekannt gebliebenen Gebiete hatte er schon beim Verfolgen des
Studiums antiker Topographie sich lebhaft gesehnt. Als aber die aus der
asiatischen Türkei 1839 heimkehrenden preufsischen Hauptleute Fischer,
K. Fr. L. v. Vincke - Olbendorf und Hellm. Baron v. Moltke gerade aus den
östlichen, bisher besonders selten besuchten Landschaften eine Fülle von
Routenaufnahmen und Erkundigungen mitbrachten, an deren Bearbeitung
sie selbst durch dienstliche Pflichten verhindert waren, trat dem jungen Kie-
pert, den Ritter als einzig geeignete Kraft für die Verarbeitung dieser wert-
vollen Materialien empfahl, die lockendste, ihn seither nie wieder loslassende
Aufgabe seines Lebens entgegen: der Neubau des Kartenbildes der klein-
asiatischen Halbinsel.
Dafür war besonders dringend nötig die Bereisung ihres nur von spär-
lichen sehr ungleichwertigen Routenzügen bisher durchsponnenen westlichen
Teiles. Auf ihn hatten zwei Posener Gymnasial - Professoren, der Philologe
Schönborn und der Naturforscher Low, grade damals ihre Aufmerksamkeit
gerichtet. Sie lockte besonders Lykien. Ritter's Empfehlung erwirkte ihnen
eine bescheidene staatliche Unterstützung. Kiepert entschlofs sich, auf eigene
Kosten, welche die einsichtsvolle, zu jedem Opfer freudig bereite Mutter zu
bestreiten sich entschlofs, nach Westkleinasien zu gehen und zunächst den
beiden Landsleuten sich anzuschließen.
Von Konstantinopel, das mit der Neuheit der Eindrücke des Orients,
mit dem Reiz und den geschichtlichen Erinnerungen seiner Umgebung einen
Monat lang die zur weiteren Reise sich Rüstenden festhielt, führte am
10. September 1841 der Dampfer sie hinüber nach Gemlik, dem Landeplatz
für Brussa. Acht Tage gönnten sie der Umgebung dieser Stadt und nament-
lich dem Olymp. Vier Tage arbeitete Kiepert mit dem Feuereifer der zum
ersten Male gekosteten Freude, beobachtend Neues zu erobern, an der Auf-
nahme des von tiefen Thälern gefurchten Nordhangs dieses Gebirges, und
harrte allein auf dem zweimal bestiegenen Gipfel Stunden lang aus, bis der
Nebel sich lüftete und vor ihm die Gliederung des wilden Gebirges und das
formenreiche, von steilen Bergen und breiten Seespiegeln durchwirkte Land,
die wechselvolle Küste und das Mannara-Meer bis zum dämmrigen fernen
Ufer Europas sich entschleierton. Wie hier, arbeitete er an zahlreichen an-
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ß .1 Partsch:
deren, sorglieh gewählten Punkten mit schneller, sicherer Zeichnung des mit
Winkehnessungen ausgestatteten Panoramas. Bim brauchte die Erfahrung
nicht mehr zu lehren, dafs damit nnd mit genauester Führung des Itinerars
die richtigste Vorbereitung gewonnen sei für die unmittelbar nachher am
ersten Ruheplatze vollzogene Ausführung der Karte.
Der zwölftägige Ritt von Brussa durch Mysieu und Lydien über die
Ruinen von Adrianoi, Balat (Blaudos), Bighaditsch, Balikesri, Kiresün, das
Ruinenfeld von Pergamon, Manisa (Magnesia am Sipylos) nach Smyrna führte
EU der Einsiebt, dafs die Interessen der Reisenden doch stark auseinander-
gingen. Löw drängte, um sein fernes Ziel nicht zu verlieren, zur äufsersten
Eile. Kiepert hielt darauf, den weiten Weg durch unbekanntes Land nicht
vergeblich zu raachen. Er blieb iu der Regel mit der Itineraraufnahme,
Winkelmessen und Zeichnen beschäftigt ein gutes Stück hinter den Gefährten
zurück, bemühte sich, die Namen der Berge und Gewässer, die Lage von
Ruinenstätten zu ertragen, und lediglich seiner Arbeit ist es zu danken, wenn
die Spur jenes eiligen Rittes nicht, wie bei nachtlicher Fahrt der Licbtstreif
des Meerleuchtens im Kielwasser des Schilfs, schnell wieder erlosch, sondern
noch beute streckenweise als vereinzelt gebliebener Gürtel sicheren Wissens
zwischen weiten leeren Flächen auf der Karte Klein -Asiens erkennbar ist.
Mit Bedauern sah er den Plan, von Balikesri aus westwärts nach Adramyttion
zu gehen und die Idathäler zu untersuchen, der Rücksicht aufgeopfert,
schneller Smyrna zu erreichen. Der Gewaltmarsch dahin, der nirgends aus-
giebige Nachtruhe und für Pergamon nur einen Vormittag liefs, endete mit
einem durch vorherige Erschöpfung, schlechten Weg und arge Hitze auf
i>4 Stunden ausgedehnten Ritt von Manisa bis Smyrna (30. Sept.). Die
Erfahrung, dafs mit solcher Eile gar nichts zu gewinnen sei, machte Kiepert
den Entschlufs leicht, die von seinen Gefährten ihm angebotene Trennung
anzunehmen und selbständig seine Reisezwecke zu verfolgen.
Nach einer viertägigen Tour, die der Umgebung Smyrnas, dem Hermos-
delta und den Ortslagen der alten Städte Phokaea, Kyme, Larisa galt,
wandte sich Kiepert nach Lesbos, in dessen Aufnahme er mit so liebevoller
Hingabe sich vertiefte, wie sie nur ein klar begrenztes Arbeitsfeld , wecken
und dauernd fesseln kann. Vom 10. Oktober bis Anfang November war er
hier in eifriger Thätigkeit und hatte das Ziel, von der ganzen herrlichen
Insel eine neue Karte vorzubereiten, die alle Vorgängerinnen völlig in
Schatten stellen sollte, ziemlich vollständig schon erreicht, als ein schwerer
Malaria-Anfall ihn niederwarf. Am 29. Oktober brechen seine überaus reich-
haltigen Tagebuchnotizen ab. Den ganzen November lähmte Krankheit seine
Thätigkeit.
Die Rekonvalescenz begann erst am Ende dieses Monats in Tschanak
Kalessi an den Dardanellen, wo er im Elternhause seines Dragomans bessere
Pflege fand. Aber auch im Dezember wollten die Kräfte nicht recht wieder-
kehren. Erst eine kleine Reise nach Konstantinopel stellte ihn völlig wieder
her. Er ging nun in Tschanak Kalessi emsig an die Ausarbeitung seiner
Aufnahmen und verwertete so die unfreundliche Zeit eines besonders rauhen,
stürmischen, sebneereichou Winters. Nur eine Periode günstiger Witterung
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Heinrich Kiepert
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(lO. bis 24. Januar 1842) konnte er ausnutzen zu einer weiter ausgreifenden
Tour in der nördlichen Troas. Vom Rhodios-Thal (Fodja Tschai) stieg er
hinüber ram Granikos und folgte ihm abwärts bis bis Mündungsgebiet, wo
ihn die später neu aufgenommene Frage nach der Lage des ersten Schlacht-
feldes des Alexanderzuges beschäftigte1). Den Rückweg nahm er durch das
östlich benachbarte Thal des Aisepos und stieg über einen hohen Pafs
herüber ins Quellgebiet des Skamandros (Menderez Tschai). War auch ein
Hauptzweck dieser Reise, die Aufspürung der Ortslage von Skepsis, unerfüllt
geblieben'), so war doch zum ersten Male von der Lage, Ausdehnung und
Verzweigung dieser früher ganz unsicher bekannten Thalsysteme ein festes
Bild gewonnen und die Grundzüge der Terraingestalt bildeten eine unver-
rückbare Grundlage für alle weitere Forschung.
Während die Einzelheiten dieser Wanderung mit Beleuchtung der lei-
tenden Probleme und lebendiger Schilderung der Landschaft und des Lebens
der Hirten des Gebirges vortrefflich übersehbar vorliegen in einem der beiden
überaus kondensierten, gehaltreichen Briefe Kiepert's an Ritter vom 8. und
20. Februar 1842, deren Einsicht mir vergönnt war, kenne ich von Kiepert's
weiterer Reise nur die Hauptstationen des Reiseweges. Danach scheint
Kiepert, nach einer den klimatischen Vorzug der Südseite der Troas ihm
recht eindringlich vorführenden Tour bis Assos und Kap Baba am Anfange
des Februar, den gröfsten Teil dieses Monats in Tschanak Kalessi der Aus-
arbeitung der letzten Beobachtungen gewidmet und nur kleinere Ausflüge
unternommen zu haben, teils nach der Troischen Ebene, für deren voll-
kommenere Darstellung er beobachtend thätig war, teils längs der Darda-
nellen bis gegen Lampsakos, wo ihm die gröfste seiner epigraphischen Ent-
deckungen beschieden war: das 87 zeilige Dekret über die Feier des Asklepios-
festes5).
Erst im März begannen wieder umfänglichere Reisen, die ihn durch
den ganzen tbrakischen Chersonnes (8. 9. 21. — 29. in., 6. — 10. V.), den
Norden (17.— 26. V.) und Westen (9 —13. III., 2.— 12. IV.) der Troas,
auch hinaus auf die ihr vorgelagerten Inseln Tenedos, Imbros4), Samothrake
(16.— 30. IV.) führten. Gegen Ende Mai hatte er aufbrechen wollen nach
dem Bergland der alten Silbergruben im Osten des Ida. Aber nochmals
warf Krankheit ihn nieder und beschränkte seine letzten Pläne. Am 3. Juni
erst konnte er aufbrechen, um die Troas in südöstlicher Richtung zu durch-
schneiden und, nach erneuter Bewanderung der äolischen Küste bis Smyrna
1) Globus Bd. XXX11, S. 263, 264; vgl. auch Menioir über die Konstruktion
der Karte von Kleinasien S. 56.
2) Erst neuerdings scheint diese Frage endgiltig entschieden durch W. Judeich,
Skepsis Festschrift für Heinr. Kiepert's 80. Geburtstag. Berlin 1898. 2*25—240.
Dazu nun Journ. of. hell stud. XIX, 330.
3) C. Inscr. Gr. II, No. 3641 b. Die von Kiepert zu diesem Werke beigesteuerten
Inschriften stehen Bd II, S. 978, 1022—1029, 1122—1136. Auch an dem dritten,
von Franz herausgegebenen Bande hat er beratend mitgearbeitet.
4) Sjrb. Akad. 1855, 616. E. Oberhummer, ImbroB in der Festschrift für
H. Kiepert S 279
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J. Partsch:
(10. VI.), Ephc808, Tralles, auch das sog. Sesostris- Monument bei Nymphi1)
zu besuchen (14.— 21. VI.). Die Rückreise ward durch 14tägige Quaran-
täne in ßyra und deren dreitägige Wiederholung in Triest so verlängert,
dafs Kiepert nur für Athen 5 Tage verfügbar behielt und ein ganzer Jahres-
kreislauf seit dem Aufbruch von Berlin sich geschlossen hatte, ehe er Mitte
August die Heimat wiedersah.
Diese grofse Reise ist für die Klärung der Topographie wenig bekannter
Gebiete, auch für Kiepert's persönliche Entwicklung, für die Schärfung seines
praktischen Blicks und seines Urteils über Fragen der historischen Geographie
überaus fruchtbar gewesen. Aber den äufseren Erfolg, den sie verdiente, hat
sie ihm nicht eingetragen, weil es ihm nicht vergönnt war, ihre Ergebnisse
in einer einheitlichen Veröffentlichung litterarisch zur Geltung zu bringen.
Das lag teilweise an dem Drange Sufserer Verhältnisse, an der Hochflut ver-
schiedener Anforderungen, die ihn umstürmten, zum guten Teile doch aber
an seiner absolut selbstlosen, nur immer die Förderung der Sache erstrebenden
Natur. Er hat zeitlebens — man kann schon nicht mehr sagen: die Schwäche,
sondern — ein wahres Geschick gehabt, die Früchte eigner Forschung in
den Arbeiten andrer zu vergraben. Wie er schon vor dem Aufbruch zur
Reise seine Erstlings-Studien über Kleinasien verborgen hatte in einer Mono-
graphie von Joh. Franz, die nur durch Kiepert'« Mitarbeit und seine selb-
ständige Beigabe dauernden Wert gewann, so war es ihm jetzt eine helle
Freude, der Dissertation des Jugendfreundes E. Guhl über Ephesos die Fülle
der eigenen Wahrnehmungen und sein treffendes Urteil über die schwierigsten
topographischen Fragen, namentlich über die lange verkannte Lage des Ar-
temis-Tempels zuführen zu können2). Die ausführlichen Ausarbeitungen aber,
die Kiepert thatsächlich ausgeführt, wurden — ebenso wie die von Schön -
born über den Südwesten Klcinasiens — absichtlich zurückgelegt als Material
für Ritter's Asien. Nur die topographischen Aufnahmen gelangten zur Ver-
wertung in der 1844 erschienenen Karte von Kleinasien (6 Bl. 1:1000000),
der erst 1854, zugleich mit der schönen Neubearbeitung (1 : 1 500000), das vor-
treffliche Meraoir zur Seite trat, das klassische Musterstück des Rechenschafts-
berichts und der kritischen Umschau eines Kartographen5). Es enthielt im
ersten Hauptteil lebendige Übersichtsdarstellungen der neuerdings erforschten
Teile Kleinasiens von allen vier Mitarbeitern, Kiepert schildert hier in vor-
trefflicher Überschau die westlichen Küstenländer, namentlich die Troas
(S. 53 — 60). Dann folgt die eingehende Erläuterung der Konstruktion der
Karte (61 — 114) mit kritischer Würdigung der Grundlagen; es tritt hinzu
eine statistische Studie, welche auf den Nachweis der Volkszahlen der Städte
1) H. Kiepert, Das sogenannte Monnment des Sesostris bei Smyrna. Aren.
Zeitung I, No. 3. S. 38—46 mit Taf. II.
2) E. Guhl, Ephesiaca. Berlin 1843. Nicht alle, die Kiepert gleich selbstlos
gefördert, haben ihm dafür so ehrlichen, herzlichen Dank gezollt, wie Guhl S. IX.
3) Memoir Ober die Konstruktion der Karte von Kleinasien und Türkisch
Armenien in 6 Blatt von v. Vincke. Fischer, v. Moltke und Kiepert. Nebst Mit-
teilungen über die physikalisch - freopraphischen Verhältnisse der neu erforschten
Landstriche. Redigiert von H. Kiepert. Berlin 1864
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Heinrich Kiepert.
9
eine Schätzung der Gesamtbevölkerung des Landes in methodisch interessanter
Weise aufbaut (115 — 174). Unter den Anhängen sind die Namenserklärungen
und die Profile besonders wichtige Ergänzungen des Kartenbildes.
Die Verzögerung dieses vorläufigen Abschlusses der kleinasiatischen
Studien Kiepert's erwuchs zum Teil aus den anspruchsvollen Anregungen
seiner Reise. Je lebhafter er empfand, welche Vertiefung und Bereicherung
der Kenntnis ihm die praktisch gewonnene Vertrautheit mit der türkischen
Sprache eintrug, desto dringender schien ihm das Bedürfnis, auch seinen
kartographischen und geographischen Arbeiten für die anderen Länder Vorder-
Asiens diesen Vorteil einer dio Quellen erschliefsenden, den ganzen Ortsnamen-
schatz lebendig machenden Sprachkenntnis zu sichern. So warf er sich bald
nach der Heimkehr unter der Führung von Heinrich Petermann auf das
Studium des Arabischen, des Persischen und des Armenischen und drang in
alle diese Arbeiten um so eifriger ein, da sie für eine unmittelbar vor-
liegende Aufgabe ihm wichtig waren, für die Bearbeitung einer Preisfrage
der Pariser Academie des Inscriptions. Ihre Forderung lautete:
Tracer lTiistoire des guerres qui, depuis l'empereur Gordien jusqu'ä
l'invasion des Arabes, eurent Heu entre les Romains et les rois de Perse de
la dynastie des Sassanides, et dont fut le theätre le bassin de l'Euphrate et
du Tigris, depuis l'Oronte jusqu' en Medie, entre Erzeroura au nord, Ctesiphon
et Petra au sud.
Das Ausschreiben war 1842 erfolgt. Mit Eifer warf sich Kiepert bald
nach seiner Rückkehr auf das Studium der klassischen und der orientalischen
Quellen, der Reisewerke und der modernen Lokalforschungen, um für die
Bearbeitung dieser Periode und für die möglichst genaue kartographische
Darstellung der Örtlichkeiten neue Grundlagen zu schaffen. Aber es fehlte
nicht an Hemmungen. Die Nach wirkun gen der Orientreisc machten sich
geltend in wiederholten Fieberrückfällen. Auch der Verkehr mit der lange
entbehrten Familie und den Freundon forderte sein Recht. Kiepert lebte
in engster Fühlung mit einem Kreise befreundeter Familien, den aufser der
Neigung harmonisch gestimmter Seelen eine schwärmerische Liebe zu klas-
sischer Musik innig verband. Sie ward auch die Mittlerin für die Annäherung
Kiepert's an die Erwählte, deren Bild er schon beim Abschied zur Orient-
reise im Herzen trug. Weihnachten 1843 verband ihn mit Siegelinde, einer
der 7 Töchter des Pastors Jungk, ein für sein Lebonsglück entscheidendes
Verlöbnis. In dieser Zeit tiefer innerer Bewegung ging die Arbeit etwas
langsamer von Statten. Aber hauptsächlich entschied doch ihr Umfang und
ihre Schwierigkeit die Verzögerung der Vollendung. Auf Grund eingesendeter
Proben erlangte Kiepert zweimal eine Verlängerung des Ausschreibens auf
ein weiteres Jahr und im Juli 1846, ein Jahr nach seiner am 27. Ge-
burtstage zu Jena vollzogenen Doktorpromotion, mit der vollendeten Arbeit
den von der Akademie ausgesetzten Preis von 2000 Franken. Der Ver-
öffentlichung der Arbeit stellten sich in den politisch bewegten Jahren die
Schwierigkeiten des Verlagshandels entgegen. Einmal vertagt ward der Druck
immer weiter hinausgeschoben, weil der Fortschritt der Forschung Um-
arbeitungen zu fordern schien. So ist er ganz unterblieben.
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10
J. Partscl):
Immerhin war der Erfolg dieser Preiskrünung wichtig für Kiepert, weil
er der wissenschaftlichen Welt recht deutlich bewies, dafs in der strengen
Wissensehaftliehkeit seiner Arbeitsweise auch die neueste ilufsere Wendung
seines Lebensganges keine Änderung bedeute. Kiepert hatte sich 1845 ent-
schlossen, die Leitung des einst von Bertueh begründeten und zu Ansehen
erhobenen geographischen Instituts in Weimar zu übernehmen, wiewohl
es unter schwächlicher Führung gealtert und hinter dem Aufschwung der
Perthes'schen Anstalt in Gotha immer weiter zurückgeblieben war. Da galt
es manchem lahmen Unternehmen, das nicht recht vorwärts wollte, auf die
Beine zu helfen und andererseits durch neue tüchtige Leistungen den Ruf
des gesunkenen Instituts wieder zu beleben.
Dem ersteren Zweck diente neben der Erneuerung der Atlanten auch
der Versuch, den Weiland'schen Globen die Aufmerksamkeit der Lehrenden und
Lernenden zuzuwenden durch ihre Neubearbeitung nach den neuesten Forde-
rungen der physikalischen Geographie, wie sie durch Humboldt, v. Buch, Dove
aufgestellt und auch schon in den länderkundlichen Werken von Ritter und
Heinr. Berghaus berücksichtigt waren. Zu diesem neugestalteten Globus
schrieb Kiepert Erläuterungen (Weimar 1846, 120 S.), ein ganzes konden-
siertes Kompendium der physischen Geographie, wie wir heute, so knapp
und stoffreich zugleich, keines haben. Das Büchlein ist selten geworden.
Es ist ein beachtenswerter Beweis für die Weite des Horizontes des Ver-
fassers, für den Emst, mit dem er auch die Fortschritte der allgemeinen
Erdkunde im Auge behielt. Die handschriftlichen Nachträge seines Hand-
exemplars verbürgen die Nachhaltigkeit des Interesses für den Stoff".
Aber die Hauptarbeit leistete er auch damals in eigener Kartenproduktion.
Den Atlanten des Verlages fügte er einen historisch-geographischen Schul -
atla.s der Welt (1848) hinzu, der später nach Kiepert 's Abschied aus Weimar
allmählich veraltend zu seinem Verdrufs doch immer wieder unter seinem
Namen an die Öffentlichkeit trat. Daneben trat eine Fülle von Karten
einzelner Länder, wiewohl er gleichzeitig zum Lisco'schen Bibelwerk einen
Bibelatlas mit Erläuterungen (Berlin 1847) erscheinen liefs, dem mehrere
Auflagen beschieden waren.
Bei aller Regsamkeit hatte Kiepert's Arbeit doch nicht den Erfolg, das
Institut zu neuer Blüte zu erheben. Dazu war schon die gedrückte Lage
des Buchhandels gerade in jenen Jahren gar nicht angethan. Sie machte
natürlich auch in der Leistungsfähigkeit der Anstalt gegenüber ihren wissen-
schaftlichen Kräften sich geltend. Die Verhältnisse waren geradezu dürftig und
Kiepert kam in die Lage, Jahre lang dort seine Kraft einzusetzen gegen
eine äufsere Entschädigung, die in argem Mifsverhältnis zu seinen Leistungen
stand. Das war für ihn doppelt empfindlich, da er 1 845 seinen eigenen Herd
sich begründet hatte. Aber so schmal es in dem jungen Hausstand herging,
herrschte doch immer guter Mut und Arbeitsfreude, und alle äufseren Sorgen
warfen keinen dauernden Schatten auf das Glück, mit dem Kiepert 1846
seinen ersten Sohn in die Arme schlofs. „Oft holte er den Spröfsling aus
der WTiege herüber in die Zeichensäle; dann kam die Mutter hinterher, um
ihren Liebling dem allzulebhaften Vater abzunehmen, und da gab es mit-
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Heinrich Kiepert.
11
unter ganz einzige Scenen! — Und es geschah nach Jahresfrist, dafs der
überglückliche Vater ausrief: 'Jetzt wollen wir den Jungen zum Geographen
machen!' Gesagt, gethan! — Eine Wandkarte wurde auf die Diele, der
Kleine darauf gelegt, in dieselbe ein- und längere Zeit hin und her gerollt!
Ganz ruhig ertrug er diese Exekution, und als er wieder entwickelt war,
sagte der Vater: 'So! nun wäre der Junge geweiht!' So wurde der Grund
zur 'Entwicklung' Richard Kiepert's gelegt." (Briefl. Mitteilung von
Carl Graf.)
Auch sonst fehlte es diesen kritischen Jahren nicht an Sonnenschein.
Kiepert fand tüchtige, treu ihm zugethane Mitarbeiter und lernte den Vor-
zug des engeren Zusammenhalts der Kräfte in einer Stadt von mäfsiger
Gröfse kennen — einen Vorzug, den er später in der Weltstadt vermifste.
Für die Stille des wissenschaftlichen Lebens bot die Pflege der Musik einen
gewissen Ersatz. Kiepert war ein begeisterter, zu tiefem Verständnis und
eigener erheblicher Fertigkeit gelangter Musikfreund und fand in dor
Weimaror Zeit nach dieser Seite viel Genufs und Anregung in engerem
Verkehr mit Hans v. Bülow und Joachim.
Das Gefühl wissenschaftlicher Isolierung ward Kiepert ferngehalten
nicht nur durch die Nachbarschaft der Jenaer Freunde Stoy, Stickel,
Frommami und Schleiden und durch enge Vereinigung mit Schöll, Preller
und Sauppe, sondern mehr noch durch die Fortdauer inniger Beziehungen
mit Carl Ritter, dessen wahrhaft väterliche Freundschaft seit den Studien-
jahren Kiepert's Lebensgang schützend und fördernd begleitet hat. Er hatte
auch bei der Entscheidung für Kiepert's Übersiedlung nach Weimar ver-
mittelnd mitgewirkt und blieb mit ihm in vertrautem geistigen Verkehr.
Kein Jahr verging, ohne dafs er auf seiner Reise nach der Schweiz in
Weimar vorsprach, einen ganzen Tag mit Kiepert arbeitete und mit teil-
nahmsvollem Einblick in seine Lage und seine Bestrebungen eigene Wünsche
und Anregungen verband. Vielleicht hat gerade Kiepert's Entfernung von
Berlin dazu mitgewirkt, seine Unentbehrlichkeit dem ehrwürdigen Meister
fühlbar zu machen, der mit allmählich abnehmender Kraft an der Bewältigung
einer trotz schrittweisen Vorwärtsstrebens immer weiter anschwellenden Auf-
gabe rang und manche alte Mitarbeiter dahinsterben, andere versagen sah.
Namentlich der Atlas zu Ritter 's Asien schien nach Erscheinen zweier
Lieferungen ganz ins Stocken zu geraten. J. L. Grimm, der Bearbeiter
der 4 Blätter über Inner -Asien, war gestorben, H. Mahlmann kam
mit den übernommenen indischen Blättern nicht vom Fleck. Inzwischen
lagen Ritters Bände für Iran, Turan, bald auch die über Arabien fertig
vor und die von ihnen gebotene Darstellung war durch raschen Fortgang
der Forschungen schon wieder teilweise veraltet, noch ehe die zugehörigen
Karten überhaupt in Angriff genommen wurden. Ein erster freiwilliger Ver-
such C. Zimmermanns befriedigte nicht. Den Schwierigkeiten dieser Aufgabe
war nicht der nächste beste Kartograph gewachsen. Die Sache kam erst
wieder in kräftigen Flufs, als Kiepert dafür gewonnen wurde. Er vollendete
im raschem Zuge auf Grund der neuesten Materialien bis zum November
1852 2 Blätter für Arabien (1 : 6 000 000) und zwei für Iran und Turan
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12
J. Parti» eh:
(\ : 5 000 000) nach Lemra's astronomischen Ortsbestimmungen, die einem ver-
wickelten Routennetze festen Halt gaben. Es folgten bis Januar 1854
4 Blätter für die Euphrat- und Tigris-Länder (1:1 500 000), grofsenteils auf
Chesney's Aufnahme begründet, aber unter Verwertung aller Reiseergebnisse,
welche der Aufschwung der archäologischen Forschungen in diesem Gebiete
gezeitigt hatte.
Schon den Abschlufs der ersten dieser beiden Lieferungen erlebte Kiepert
wieder in Berlin. Dorthin zog ihn am Ende des Jahres 1852 ein freudig
angenommenes Anerbieten des Verlegers des Atlas von Asien, Dietrich Reimer's,
das ihn aus den Schwierigkeiten seiner Weimarer Stellung heraushob und
ihm an den wissenschaftlichen Hilfsquellen der Hauptstadt eine freiere, reichere
Thätigkeit versprach. Kiepert hat mit treuer Hingabe diesen sein Schicksal
wendenden Freundschaftsdienst vergolten und Reimer's kartographischen Ver-
lag schnell zu Blüte und höherem Ansehen erhoben. Aber neben der Er-
öffnung einer Reihe grofser kartographischer Unternehmungen und dem Be-
ginn einer überaus mannigfaltigen und bei aller Universalität doch tiefgehenden
Thätigkeit für die kartographischen Beigaben der Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde brachte das Jahr 1853 ihm einen neuen Antrieb zur Fort-
führung seiner wissenschaftlichen historisch-geographischen Forschungen und
zu ihrer Verwertung in einer Lehrthätigkeit an der hervorragendsten
Stelle. Die Wahl zum Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der
Kgl. Akademie der Wissenschaften auf Carl Ritters Vorschlag stellte
den 35jährigen, zur vollsten Leistungskraft erwachsenen Gelehrten an einen
ebenso ehrenvollen wie wirkungsfähigen Platz. Wie er ihn zu füllen sich
bestreben wolle, das sprach seine Antrittsrede am 6. Juli 1854 aus1); be-
scheiden und doch des eigenen Wertes bewufst, dankbar auf den in treuer
Hingabe verehrten Lehrer, die ehrwürdigste Zierde dieses Gelehrten -Kreises,
und zugleich arbeitsfreudig auf die noch zu bewältigenden Aufgaben schauend,
bezeichnete er selbst das leuchtende Vorbild, das er bei seiner wissenschaft-
lichen Bahn sich immer vor Augen halten wolle: „den grofsen d'Anville, der
nach des gröfseren Meisters Niebuhr Ausspruch der Vervollkommnung der
Geographie und der historischen Philologie durch seine Karten gröfsere
Dienste geleistet hat, als er durch die gelehrten Schriften gekonnt hätte".
Als „unser neuer d'Anville" begrüfste ihn auch Böckh's Erwiderung. Und
dieser selbe Vergleich ist später manchem, der von den damals gewechselten
Reden keine Kenntnis hatte, von selbst aufgestiegen8). Er wird immer
einen sicheren Gesichtspunkt für die Würdigung der Lebensarbeit Kiepert's
bilden.
Noch 6 Jahre war ihm inniges Zusammenwirken mit Carl Ritter ver-
gönnt. Seine Arbeit in Wissenschaft und Lehramt zu unterstützen und zu
ergänzen war ihm eine pietätvolle Freude. Schon früher hatte er sich an
der Durchsicht der Bände von Ritter's Asien eifrig beteiligt. Nun bei den
1) Bericht über die Verhandlungen der Kgl Preur«. Akademie d. Wiasensch.
Au« dem Jahre 1854, S. 350—352.
2) J. Partsch, Philipp Clüver. Wien 1891 S. 44. (Justav Parthey widmete
Beine Mela- Ausgabe „Henrico Kiepert Anvillio nostri tcmporiB".
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Heinrich Kiepert.
13
letzten beiden Bänden über Kleinasien wuchs Kieperts Anteil an der Samm-
lung und Sichtung des Stoffes und an der Korrektur der Ausarbeitung
Bitter's, welche auf eine eingreifende, das Beiwerk zurückdrängende, die
Hauptsachen heraushebende Gestaltung immer mehr verzichtete, derartig
an, daTs ansehnliche Abschnitte dieser Bände nicht viel mehr bieten als
die von Kiepert geleisteten Vorarbeiten. Es wird versichert, dafs Ritter
diesem mit innigem Danke hervorgehobenen Thatbestand gemäfs auch das
volle Honorar dieser Bände seinem Mitarbeiter überantwortet habe. Kiepert
hat lange den Oedanken festgehalten, die Darstellung Kleinasiens, für dessen
südliche, zentrale und nördliche Landschaften die beiden vorliegenden Bände
eine dauernd wertvolle Schatzkammer kritisch gesichteter, zum Teil nirgends
anderwärts veröffentlichter Materialien bilden, zu Ende zu führen, ist aber
daran durch die Vielseitigkeit seiner Pflichten gehindert worden.
Auch an der Universität, deren Lehrkanzeln ihm die Zugehörigkeit zur
Akademie ohne besondere Habilitation öffnete, fafste Kiepert seine Aufgabe
zunächst nur als eine Ergänzung der Ritter'schen Wirksamkeit. Er las
einige Jahre nur publice über alte Geographie. Aber dieser Wirkungskreis
gewann für ihn an Bedeutung, seit er 1859 unter der Einwirkung von Be-
mühungen, ihn für einen neuen Lehrstuhl in München zu gewinnen, zum
aufserordentlichen Professor ernannt wurde und dieser bestimmte Lehrauf-
trag unmittelbar nachher im Augenblick des Todes von Carl Ritter
(28. Septbr. 1859) ihn zum einzigen Vertreter der Erdkunde an der Hoch-
schule machte. Nun erst setzte er voller seine Kraft dafür ein, in der
Lehrthätigkoit Boden zu fassen, und wenn auch noch lange die alte Geo-
graphie der drei Erdteile und einzelner besonders bedeutsamer Länder (Vorder-
asien, Palästina, Kleinasien, Griechenland, Italien) im Vordergrunde seiner
Leistung als akademischer Lehrer blieb, reihten doch auch Geschichte der
Erdkunde, Allgemeine Völkerkunde, Allgemeine Erdkunde und die Länder-
kunde ohne geschichtliche Beschränkung immer häufiger sich ein in die
Runde seiner Vorlesungen, deren anfangs nur kleine Zuhörerschaft mit dem
Vertrauen in den Gehalt des Gebotenen sich allmählich mehrte bis zu der
auch in Berlin merklichen, aber bald wieder ebbenden Hochflut vor der
Mitte der achtziger Jahre. Seit 1874 war er ordentlicher Professor.
Aufser der Lehrwirksamkeit stellte die kartographische Redaktion und
die starke eigene Mitarbeit an der Zeitschrift für Erdkunde1), die Leitung der
rührigen kartographischen Thätigkeit des D. Reimer sehen Verlages8), seit
1864 auch die Direktion der Topographischen Abteilung des Kgl. Statist.
Bureaus, für das er die Vorbereitung eines vollständigen und wissenschaft-
lich zuverlässigen Ortschaftsverzeichnisses des Deutschen Reiches in Angrifl'
1) Das Verzeichnis der Karten in den Zeitschriften der Berliner Gesellschalt
Z. G. f. E. XXVII, Blatt 7) führt von 1865—1890 unter Kieperts Namen 78 Karten
auf. Aber die Zahl der von seiner Hand gezeichneten ist wesentlich gröfser.
2) Bei der vollen Unmöglichkeit, hier eine vollständige übersieht der karto-
graphischen Leistungen von H. K. zu versuchen, mufs verwiesen werden auf den
grofaen Verlags-Katalog der Geograph. Verlagshandlung D. Reimer (Hoefer & Vohsen).
1846— 1896. S. 6, 6, 8—10, 12—28, 40. I. Nachtrag 6—13. II. Nachtrag 12—19.
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J. Part «eh:
nahm, so hohe und vielseitige Anforderungen an Kiepert's Arbeitskraft, dafs
die wissenschaftliche eigene Thätigkeit, für deren nie ruhenden Fortgang die
beständige rege Teilnahme au den Verhandlungen und Veröffentlichungen
der Akademie und, in den Jahren der Redaktionsthätigkeit seines Sohnes,
die Mitarbeit am Globus beredtes Zeugnis ablegt, nur mit grofser An-
strengung und in längeren Pausen zum Abschlufs grösserer eigener Werke
gelangen konnte.
Dieses rührige Arbeitsleben, dessen Früchte wir besser in systematischer
Anordnung als in ihrer zeitlichen Folge überschauen dürften, ward öfter
unterbrochen durch wissenschaftliche Reisen nach den Ländern der antiken
Kultur, und bisweilen trieben auch die grofseu Weltereiguisse die Bewegungen
ihrer Wellenringe in das stille Dasein des Geographen und trugen ihm
nicht nur manche Anregung und Bereicherung seines Arbeitslebens zu, sondern
auch das höchste Glück, das dem Mann der Wissenschaft beschieden sein
kann: sein Wissen und Können in entscheidungsvoller Zeit fruchtbar werden
zu sehen für das Heil des Vaterlandes.
In Kiepert's Natur lag keine Spur von Neigung, sich hochgestellten Per-
sönlichkeiten zu nähern; er ging ihnen eher aus dem Wege. Nur die An-
ziehungskraft seiner augenfälligen Tüchtigkeit hat immer wieder die Auf-
merksamkeit der Mächtigen auf ihn gelenkt und ihm Förderung von ihrer
Seite als Gegenleistung für seine Arbeit eingetragen. So war schon seine
lockere Beziehung zu den wissenschaftlichen Bestrebungen Napoleon's III.
Oberst v. Stoffel erbat 1869 Kiepert's kritische revidierende Mitwirkung
für die in Vorbereitung begriffenen Karten zu des Kaisers Werk über Cäsar's
Feldzüge. Kiepert ging darauf ein gegen die Zusicherung, dafs ihm für die
Neubearbeitung seines Atlas von Hellas und den hellenischen Kolonien Ein-
sicht vergönnt werde in die Ergebnisse der Ausgrabungen uud Aufnahmen,
die in des Kaisers Auftrage in Alexandrien ausgeführt worden waren.
Diese Beziehung zu den Arbeiten Napoleon's war wohl der äufsere An-
lars zur Einladung Kiepert's zu der festlichen Eröffnung des Suez-Kanals
(10. Nov. 1869). Die Nachricht erreichte Kiepert auf einer Ferienreise in
Süd-Tirol. Er lachte zunächst über den Gedanken so unnützer Zeit-
verschwendung. Aber die Sache gewann ein anderes Gesicht, sowie bei
näherer Erwägung die Hoffnung autblitzte, durch die Annahme der ehren-
vollen Aufforderung dem Osten der Mittelmeerländer, dem Gebiete seiner
anhaltendsten, tiefstgehendeu Studien so nahe gerückt zu werden, dals an die
Kanalfeier mit mäfsigen Opfern eine Studienreise nach Palästina sich knüpfen
liefs. Freilich war deren Ausführung aus eigenen Mitteln ihm nicht mög-
lich. Kiepert erbat deshalb aufser einem Urlaub für den Winter eine mäfsige
Unterstützung vom Ministerium und warf sich in sicherer Hoffnung auf die
Bewilligung mit Feuereifer in neues Studium des Arabischen und Türkischen.
Ganz überraschend traf ihn der Bescheid, dafs nur der Urlaub ihm bewilligt
werden könnte. Er stellte sofort alle Reisevorbereitungen ein und arbeitete,
um die Täuschung seiner schönen Hoffnung zu überwinden, um so eifriger
an seinem neuen Atlas von Hellas. Aber das Geschick seines Gesuches ward
doch allgemeiner bekannt und wurde in der Presse so eindrucksvoll besprochen,
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Heinrich Kiepert,
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dafs man an höherer Stelle darauf aufmerksam wurde. Aus dem Ministerium
selbst erging nun an Kiepert die Anregung, da die Zeit zum Anschlufs an
die Suez-Kanalfeier schon zu weit vorgerückt sei, der Akademie den Antrag
auf Unterstützung einer besonderen Orientreise zu unterbreiten. Auch die
Gesellschaft für Erdkunde steuerte bei. Ihm selbst war es möglich, die
Kosten aufzubringen für die Beteiligung seines mit jugendlicher Frische in
die väterliche Arbeitsbahn eintretenden Sohnes Richard. So konnte Kiepert
mit ihm und einem jungen Arzte Dr. P. Langerhans im Frühjahr 1870 auf-
brechen zum flüchtigen Besuch Unterägyptens1) und gründlicherer Bereisung
Palästinas. Seine Thätigkeit dort beschränkte sich nicht auf die Ergänzung
seiner Kenntnis wohl erforschter Striche durch eigene Anschauung und schärferes
Erfassen der Bodengestalt geschichtlich bedeutsamer Örtlichkeiten, sondern
im April trat er einen dreiwöchentlichen Forschungszug (7. April bis 1. Mai)
ins Ostjordanland ans). Bei ungewöhnlich rauhem, feuchtem Wetter wurde
von der tiefen Depression im Norden des Toten Meeres das östliche Hoch-
land erstiegen und zunächst das Ruinenfeld der Ammoniter-Stadt Philadelpheia
aufgenommen, dann über Salt die Ruinenstätte von Gerasa (Djerasch) auf-
gesucht. Von ihr aus näherte sich die Route wieder dem Jordanthale; am
Wadi Jäbis ward vergebens nach der Lage von Jabes Gilead gesucht, dann
über Tibne Gadara (Umm Keis) erreicht. Von hier begann ein weit östlich
ausgreifender Bogenzug, der dem Aufsuchen von Capitolias und Dion galt, bis
el Hosn und Mzerib im Grenzgebiete des Havrän und Bäsän. Ein nie begangener
mühseliger Weg längs des tief eingeschnittenen Jarmuk führte hinab zum
•Jordan; von Tiberias, dem nördlichsten Punkt der Route, ward der Rückweg
durch das Ghor abwärts genommen; eines seiner Ergebnisse war die Auf-
nahme von Skythopolis (Besan). Während dann eine Erkrankung Richard's
die beiden jüngeren Reisegefährten in Jerusalem zurückhielt, unternahm
Kiepert selbst noch eine längere Wanderung nordwärts durch das West-
jordanland (13. bis 22. Mai).
Nach diesem für seine kartographischen Werke wichtigen Blicke ins
Heilige Land folgte er der Anziehungskraft seines liebsten Arbeitsfeldes:
Kleinasiens. Das damals noch völlig unerforschte Innere Kariens lud ein
zu einer viel versprechenden Rekognoszierung, deren Ergebnisse allerdings bei
dürftiger Ausrüstung nur mit grofsen Entbehrungen zu erkaufen waren. Die
Bahnstation A'idin im Mäanderthal war Ausgang und Endpunkt einer
grofsen bis in den Hintergrund des Keramischen Meerbusens (Giova Bay)
ausgedehnten Route (16. — 27. Juni). Ihr erster gegen Süden gerichteter
Teil folgte südostwärts dem Thale des Marsyas (Tschina Tschai), berührte
das Hekate- Heiligtum von Lagina und das Ruinenfeld von Stratonikeia.
Von Mughla (Moboliaj aus, das der Stützpunkt des Ausflugs an den Kerami-
schen Busen wurde, ward ein sehr beschwerlicher Bergweg nordwärts ein-
geschlagen, der bei Kavakly Dcre den östlichsten Zweig des Marsyas-
1) Manche der dortigen Beobachtungen verwertet die Abhandlung Zur Topo-
graphie des alten Alexandria Z. d. G. f. E. VII 1872, 333—349 m Plan 1:20 000.
2) Zeitachr. d. Gesellschaft f. Erdk. V, 1H70, 261—265. Vergl. auch die Pläne
von Philadelphia <H. K.) und Gerasa (R. K.) in Baedeker's Roiwehandbuch.
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16
J. Partsrh:
gebietes berührte. Bei Mesewle gelang dann die Entdeckung der erst auf
einer späteren Reise voll gewürdigten Ruinen einer grofsen alten Stadt
mit zwei Theatern; dem Harpasosthal folgte die Route nordwärts zurück
zum Mäander. Die heifse Jahreszeit, welche die Anstrengungen dieses
Rittes noch gesteigert hatte, widerriet eine Fortsetzung der Feldarbeit in
Kleinasien.
Die Heimkehr ward beschleunigt durch den unerwarteten Ausbruch des
deutsch-französischen Krieges, der Kieperts Reisegefährten zur Fahne rief.
Auch bei ihm traten alle Gedanken an den Orient zurück hinter dem
spannungsvollen Gange der Zeitereignisse. Den Biegespreis, um den das
deutsche Volk damals zu ringen hatte, kannten wenige so genau wie Kiepert.
Seit 1861 hatte er wiederholt mit banger Aufmerksamkeit von Dorf zu
Dorf die Sprachgrenze in Elsafs und Lothringen bewandert, auch über ihre
frühere Lage und über die älteren Territorialverhältnisse gemeinsam mit
seinem Freunde Rieh. BÖckh tiefere Studien unternommen und den be-
trübenden Eindruck des beständigen Rückganges der Vorposten deutscher
Zunge auf der ganzen Linie gewonnen. Hin überkam die Sorge, dafs dieser
deutsehe Gau, wenn nicht bald das Schwert den durch die Schwäche des
alten Reichs verdorbenen Grenzzug wieder richtig stelle, dem Vaterlande
ganz entfremdet werden und ihm für immer verloren sein dürfte. Wie
ein Kriegsruf klang im Weltausstellungsjahre 1867 der von Mommsen vor-
geschlagene Titel „Vom Rhein bis Paris" auf Kiepert's Karte der deutsch-
französischen Grenzländer. Wie eine Verheifsung nahm er sich aus, als man
auf diesem Blatt den Fortschritt der deutschen Heere verfolgen konnte. Mit
begeisterter Erregung begleitete Kiepert, während sein Sohn im Felde stand,
Gattin und Tochter in den Lazarethen halfen, jeden Marsch der Heere im
Geiste, immer bemüht, die mitunter etwas entstellt einlaufenden Draht-
nachrichten durch Berichtigung der Ortsnamen für die Öffentlichkeit erst voll
verständlieh zu machen. Als die Sorge um den Ausgang des Kampfes nach-
ließ, trat die gespannte Erwartung der Friedensbedingungen in den Vorder-
grund. Für Kiepert stand dabei der nationale Gesichtspunkt in erster Linie.
Wie er nie ohne Ingrimm der Nachlässigkeit gedenken konnte, mit der man
bei der Abgrenzung Luxemburgs 1839 den deutschen Verwaltungsbezirk Arel
(Arlon) dem starkfranzösischen belgischen Anteil zugeschlagen und vom
politischen Zusammenhange mit der Nation abgeschnitten hatte, so war es
sein brennender Wunsch, wenn möglich, kein deutsches Dorf in Frankreichs
Hand bleiben zu sehen. Diesem Gedanken entsprach die erst« bekannt-
werdende Grenzführung nur unvollkommen. Kiepert war namentlich beunruhigt
über die in Aussicht genommene Grenzlinie bei Diedenhofen, welche eine für
diese Festung (154 m) in Zukunft vielleicht bedrohliche, sicherlich aber als
Beobachtungsposten unbequeme Anhöhe (374 m) in französischer Hand liels,
aufserdem aber in ganz unberechtigtem Respekt vor den recht willkürlich in
der Revolutionszeit zurecht geschnittenen Arrondissementsgrenzen eine Reihe
überwiegend deutsch redender Gemeinden dem Kanton Longwy überliefs.
Kiepert und Rieh. Böckh erhoben sofort öffentlich dagegen nachdrücklichst
Einwendung in Artikeln der Nationalzeitung (23. Febr.) und der Spener'schen
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Heinrich Kiepert.
17
Zeitung (22. Febr.). Wirksamer als dieser Appell an die öffentliche Meinung
war aber wohl eine eingehende Vorstellung, mit der Kiepert sich an seinen
alten Gönner, den Feldmarschall Moltke, wendete. Dessen Fürwort brachte
die „Professorenweisheit", über die der Leiter der deutschen Politik herzlich
gering dachte, im entscheidenden Augenblicke doch zur Geltung. Der Frank-
furter Friede brachte einen für Frankreich räumlich, für Deutschland national
vorteilhaften Gebietsaustausch, der im wesentlichen den Vorschlägen Kiepert's
entsprach1). Allerdings ergab eine nachträgliche Untersuchung, dafs das
Deutsche in den 10 zurückgewonnenen Gemeinden doch schon viel stärkereu
Rückgang erfahren hatte, als Kiepert und Böckb vorausgesetzt hatten8).
Noch zweimal hat später Kiepert sein Wissen und sein Urteil in den
Dienst staatlicher Verhandlungen zu stellen gehabt: 1872 bei der Vorbereitung
des Schiedsspruches des deutschen Kaisers im Streite Grofsbritanniens und
der Union über den San Juan-Archipel an der Haro-Strafse und 1878, als
Fürst Bismarck beim Berliner Kongrefs für einzelne Punkte Aufschlufs und
Rath über Grenzfragen auf der Balkanhalbinsel erbat8).
Mit Teilnahme und nicht ohne leidenschaftliche Erregung folgte er vom
Standpunkt des tief überzeugten, durch keine äufseren Erfolge der entgegen-
gesetzten Strömung in seiner Überzeugung erschütterten Grofsdeutschen dem
Gange der Weltereignisse, tief bekümmert um das Schicksal der Deutschen
in Österreich-Ungarn und bis ins Innerste erregt von jedem Übergriff fremden
Übermuts auf den Boden deutscher Kulturarbeit und deutschen Sprachgebiets.
Der ungarischen geographischen Gesellschaft schickte er 1883 mit offenem
Absagebrief das Ehrendiplom, das sie ihm zehn Jahre früher verliehen,
zurück, als eine redaktionelle Bemerkung im Organ der Gesellschaft gegen
die deutschen Kartographen den Vorwurf hartnäckiger Verbreitung von
Fälschungen lediglich deshalb erhob, weil diese Karten nicht auf die der
abendländischen Kulturwelt einzig bekannten, altüblichen Ortsnamen ver-
zichten und sie durch die magyarischen Namen ersetzen wollten4). In den
Umwälzungen des alten Bereiches der Türkenmacht ward er bei aller alten
Zuneigung für die biedere, schlichte Art türkischen Volkstums immer ent-
schiedener Philhellene. Die Überzeugung, dafs den Griechen die Zukunft
im ganzen Umkreis des ägäischen Meeres gehöre, ward in ihm noch ver-
1) H. Kiepert, Der Gebietsaustausch zwischen Deutschland und Frankreich
infolge des Frankfurter Friedens. Zeitschr. d. Geaellsch. f. Erdk. VI, 1871, 273
bis 288 m. K.
2) Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. VII, 1872, 89.
3) Diese Grenzveränderungen hat K. auch in besonderen Veröffentlichungen
dargestellt und zum Teil kritisch beleuchtet. Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. XVI,
1881, 74 -80, T. 1—6 (1:300 0001. XV7I, 1882, 244—253, T. 3. (1:200 000).
XIX, 1884, 55-64. T. 2. Vergl. Globus XXXIII, 1878, 263—269 in. K. u. XXXTV,
86-90 m. K. 102-105 m. K.
4) National-Zeitung 4. April 1883 Nr. 157. — Die Entgegnung Job. Hunfalvy's
„Die magyarischen Ortsnamen und Herr Prof. Kiepert", Ungar. Revue 1883, 405
bis 428 kann nicht umhin, die Redaktionsbemerkung, die Kiepert's Zorn erregte,
preis zu geben und zur Krzielung eines Eindrucks auf ihre Leser einen anderen
Kampfplatz zu wählen — die Schwächen des Daniel'schen Handbuchs.
Geographische Zeitschrift 7. Jahrgang. 1W1 1 Heft 2
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J. Partgeh:
stärkt durch die Erfahrungen seiner letzten Orientreisen, die ihm tiefere
Einblicke in den inneren Verfall der arg verrotteten Türkenwirtschaft und
andererseits den unmittelbaren Eindruck des hoffnungsfreudigen Aufstrebens
der griechischen Volkselemente eintrugen.
Im Jahre 1886 reiste Kiepert nach einem Besuche Siebenbürgens und
längerem Aufenthalte zu Konstantinopel (30. Aug. bis 9. Sept.), der emsiger
Ausbeutung handschriftlichen kartographischen Materiales gewidmet war, von
Artaki an der Propontis über Gönen, Ilidja Kiöi (Hiera GermeV) und Bali-
kesri landein nach Pergamon zu der deutschen Cielehrtenkolonie (Humann,
Conze, Bohn, Schuchhardt, Michaelis, v. Duhn), welche der Abschlufs der
grofsen Ausgrabungen dort vereinigt hatte. Von dieser „deutscheu Oase im
Barbarenlande" aus besuchte er zur Vervollständigung seines alten Routen-
netzes in Begleitung Schuchhardt's Leshos (21. — 29. Sept.). Im Oktober war
Smyrna das Standquartier, von welchem aus im Geleit des Pastors Meyer
Ausflüge in die weitere Umgebung unternommen wurden; bald ins Hennos-
delta1), bald südwärts auf der Suche nach Kolophon, dessen Umgebung so
gründlich durchforscht wurde, dafs für die Lage des Ruinenfeldes nur noch
ein enger Bereich übrig blieb, auf welchem es nach Kiepert's bestimmter
Weisung wirklich von Schuchhardt bald nachher gefunden wurde8). Einmal
drang Kiepert auch mit Hilfe der neuen Bahnlinie ins Innere Lydiens zu
zweimaliger Durchquerung des Tmolos - Gebirges auf beschwerlichen Berg-
pfaden im Südwesten und im Süden von Sardes8). Die Abreise von Smyrna
(5. Nov.) verzögerte sich soweit, dafs in Griechenland an ernstere Arbeiten
nicht mehr zu denken war. Kiepert mufste darauf verzichten, die beabsich-
tigte Bereisung der Pisatis zur Bearbeitung der Kart* der weiteren Um-
gebung Olympias noch in diesem Jahre vorzunehmen. Er fand für diese
Aufgabe 1888 im Verfasser einen Ersatzmann und behielt dadurch die Hände
frei für die erstaunlich nachdrückliche Durchführung seiner letzten klein-
asiatischen Reise.
Er ging seinem 70. Geburtstage entgegen, als er zum letzten Mal zu
ausdauernder Feldarbeit sich in den Sattel schwang. Mit Fabricius in Korfu
zusammengetroffen, hatte er dieses Mal über Athen seinen Weg nach Smyrna
genommen und mit der Eisenbahn A^din erreicht. Von dort durchzog er
auf vierwöchentlichem Ritt (28. April bis 24. Mai), der wieder nach dem
Ausgangspunkt zurückführte, Karien bis an den Keramischen Golf auf zwei
in Mylasa sich kreuzenden Routen4). Die Entdeckung der alten Stadt Amyzon
mit einer wichtigen Inschrift des karischen Dynasten Hidrieus, des Bruders
und Nachfolgers des berühmten Geschwister- und Ehepaares Mausolos und
Artemisia, eröffnete verheifsungsvoll diese Reise durch ein Land, dessen ver-
wahrloster Zustand in bittrem Gegensatz steht zu der herrlichen Natur und
1) Veränderungen im Mündungsgebiete de» Hermos. Globus LI, 1887, 150 bis
152 m. K.
2) Auftindung des alten Kolophon. Globus LI, 1887, 296—208 m. K.
3) Wahrheit und Dichtung aber einen Kitt in den Gebirgen Lydiens. Nat.-
Ztg. 1886, 24. Nov., No. 661. Im übrigen zu dieser Reise Globus L. 271, 272, 367.
4: Globus LUI. 1888, S. 381.
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Heinrich Kiepert.
19
den beredten Resten blähender Städte und prächtiger Tempel des Altertums.
Dann wurde die schon vod früheren Reisenden besuchte und richtig erkannte
Lage Alindas (Demirdschi Deressi) von Kiepert aufgenommen, die „über-
raschenden Prachtbauten" des Ortes ven Fabricius näher untersucht. Da-
gegen fragte und spähte man auf dem Weg nach Mylasa vergebens nach dem
altberühmten Heiligtum des Zeus von Labranda und der von Mylasa zu ihm
führenden 60 Stadien langen heiligen Strafse.
Auf Pedasa deutete man eine neu entdeckte, bis in die Römerzeit blühende
Stadt bei Karadscba Hissar. Einen halsbrecherisch steilen Abstieg zur Süd-
küste lohnte der überraschende Anblick der „gewaltigen Prachtruinen" des
früher für unbedeutend gehaltenen Keramos. Nur ein beschwerlicher Felsen-
weg führte von hier dem Ufer entlang nach Halikarnafs. Der Rückweg nach
Mylasa ward über Karyanda genommen und dann ein Vorstofs ostwärts über
das Ruinenfeld von Stratonikeia bis Mughla (Mobolia) geführt durch eine
Gegend, in welcher Inschriftenjäger der französischen Schule thätig gewesen
waren, ohne sich die Mühe zu nehmen, durch ordentliche Itinerarforschung
oder auch nur sorgfältige Ortsangaben die Örtlichkeiten ihrer Entdeckungen
in verständlicher Weise festzulegen. Ohne die beabsichtigte vielversprechende
Untersuchung des karisch -lykischen Grenzgebietes, dem sie zustrebten, in der
gewünschten Ausdehnung durchführen zu können, mufsten die Reisenden bei
dem geringen Entgegenkommen des Paschas in Mughla sich wieder nordwärts
wenden. Nach einem bis an Kariens Ostgrenze vordringenden Ritt zur
Untersuchung der Ruinen von Tabae (Kaie Davas) erforschten sie im Ost-
flügel des Marsyas- Gebietes gründlich die Reste von Kys (Pirlebol) und der
schon 1870 erreichten alten Stadt bei Mesewle1), ehe sie unter genauer
Aufnahme der Trümmerstätte von Alabanda durch das Marsyasthal zurück-
kehrten nach ATdin. Die Beschwerden des Zuges durch unwirtliches Gebiet
steigerten sich nach einer der Verarbeitung der ersten Ergebnisse gewidmeten
Rast in Smyrna mit Anbruch des Sommers bei der nordwärts gerichteten
Reise nach dem nie zuvor ernstlich angegriffenen vom Ida beherrschten Bergland
Mysiens und der Troas. Als Ausgangspunkt wurde gewählt der über die
Bahnstation Magnesia und den Strafsenendpunkt Akhissar (Thyatira) er-
reichte Binnenplatz Balikesri (Hadrianu Therae) an einem linken Zuflufs des
oberen Makestos. Das erste Ziel waren die alten Bergwerksorte nordöstlich
vom Ida im Quellgebiet des Tarsios und des Aisepos Ergasteria (Balia-Maden )
und Argyria (KaraXdin), zwischen denen auch die Lage des alten Argyza und
eine auf das vielgesuchte Skepsis gedeutete antike Siedelung aufgefunden
wurden. Von KaraXdin wurde unter besonders unfreundlichen Witterungs-
verhältnissen bei starken Gewittern, in denen „der Herrscher im Donner-
gewölk Zeus" seine Gewalt im alten Machtgebiet bewährte, das Ida-Gebirge
überschritten. Adramyttion (Edremid) bot nicht nur Erholung von den
letzten harten Reisetagen, sondern auch die nur an versteckter Stelle bisher
versuchte, nun gründlich von Kiepert begründete Aufklärung über die Ver-
1) Von E. Fabricius in der Festschrift für H. Kiepert 1898, 181 als Hyllarima
gedeutet
i*
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20
.1. Partach:
schiedenheit der modernen, erst seit 1100 wegen der Piraten ins Binnenland
zurückgeschobenen Ortslagp und der antiken am Ufer des Golfes1). Eine west-
wärts ausgreifende Tour brachte nähere Kenntnis über die alten Plätze Astyra,
Antandro*, Gargara. Trotz steigender Hitze wendete Kiepert dann, während
Fabricius noch nach Pergamou ging, sich nicht auf kürzestem Wege, sondern
mit einem Abstecher durch das Bergland von Edremid nach dem Seeplatz
AYvaly, um auch diese Reise zu schliefsen mit einigen Wandertagen auf dem
ihm besonders teuren Lesbos. Begleitet von Cichorius und Buresch machte
er erst eine Tour im Südosten (Plomari, Megachorio, Hagiasos), darauf, ge-
stützt auf den kleinen Dampfer des Paschas, eine ihm bisher fehlende Route
quer durch den Westen der Insel von Eresos nach Molyvo (Methymna ).
Dann hatte „das Reiten, Schwitzen, Fli»hjagenu ein Ende. Der Juli war an-
gebrochen, ehe er nach Smyrna zurückkehrte, um die Heimreise anzutreten.
Kiepert schied von Kleinasien mit dem bestimmten Eindruck, dafs sein Auge
zum letzten Male auf den schönen Umrissen seiner Berge, den Stätten einer
grofsen Vergangenheit und dem Schauplatz eines langsam aus der Barbarei
sich emporringenden Lebens geruht habe. So tapfer er die Entbehrungen
und die Mühsal der Forschungsreise auch dieses Mal getragen und so uner-
müdlich sein Zeichenstift gearbeitet und jede Bodenform behend festgehalten
hatte, konnte er sich doch nicht verhehlen, dafs er seine Kraft bis zur Er-
schöpfung angespannt hatte. Der Juli 1888 war ungewöhnlich heifs im öst-
lichen Mittelmeer. Von zwei glühenden Arbeitswochen auf Leukas hart mit-
genommen, schlofs ich eine mehr als viermonatliche griechische Reise zufällig
zur selben Zeit ab. Als ich in Korfu den Dampfer zur Heimfahrt bestieg,
fand ich auf ihm mit freudiger Überraschung den alten Freund, dessen Vor-
schlag mir diese längste meiner griechischen Reisen und das Eintreten iu
die ihm ursprünglich zugedachte Arbeit für das Olympia -Werk eingetragen
hatte. Mit Lebendigkeit sprach er von seiner Reise, breitete seine wunder-
vollen auf der Tour mit beneidenswerter Vollendung ausgeführten Karten-
blätter vor mir aus und sprudelte über von anregender Plauderei über die
seinen Geist bewegenden topographischen Probleme. Aber auf jede solche
erregte Anspannung folgte schnell die Erschöpfung; manchmal sank er mitten
im Gespräch zurück, um einzuschlafen. Nicht ohne ernste Sorge sah ich,
wie tief sein Arbeitseifer, seine Forschungsfreude dieses Mal eingegriffen
hatte in den durch die Jahre doch schon beschränkten Kraftvorrat seiner
kernigen Natur. Aber die Ruhe der behaglichen Seefahrt that ihm schon
sichtlich wohl, mehr noch das Wiedersehen mit den Seinen, unter denen er
unmittelbar nach der Rückkehr seinen 70. Geburtstag in stiller Zurück-
gezogenheit zu Erdmannsdorf im Riesengebirge beging.
Seither blieb der Kreis seiner wissenschaftlichen Reisen enger begrenzt.
Unter Europas Ländern hatte ihn seit jeher Italien besonders gefesselt. Die
fünf letzten Reisen dahin (1877, 1881, 1883, 1890, 1893) machte er im
Geleit seiner Gattin, die ihn, lebhaft teilnehmend an allem, was seinen rast-
1) Die alten OrUlagen am SüdiüfBe des Idagebirges. Zeitschr. der liesellsch. f.
Erdk. XXIV 1889, 290-303. Taf. 5 und fi.
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Heinrich Kiepert. 21
losen Geist beschäftigte, auch auf abgelegeneren Pfaden quer durch Corsica,
in stille Apennincuthäler, in die Ruinenfelder von Agrigent und Syrakus und
von dort 1883 auch zu einem flüchtigen Besuch von Athen und Korfu be-
gleitete. Auch die Alpen hatte Kiepert nicht nur bei diesen Fahrten nach
Italien, sondern auch in anderen Jahren (1854, 1861, 1862) auf verschie-
denen Routen mit Freude an ihrer Natur durchzogen, wenn auch seine kräf-
tige Gestalt sich zum Besteigen schwieriger Schneeberge nicht recht eignete
und er auf Pafs- und Thalwanderungen sich zu beschränken pflegte. Bis
nach dem 60. Lebensjahre folgte er gern der Anziehungskraft wissenschaft-
licher Kongresse und richtete danach wohl seine Sommerreise ein. So ward
er als Vertreter deutscher Wissenschaft 1865 bei der British Association in
Birmingham, 1867 und 1875 in Paris1), 1871 in Antwerpen, 1881 in Venedig
ehrenvoll willkommen geheifsen. Erst in späteren Jahren hielt er sich grund-
sätzlich von all solchen festlichen Veranstaltungen fern, und hat selbst die
in Berlin abgehaltenen Geographen - Tage gemieden. Neben den Reisen mit
bestimmtem wissenschaftlichen Programm und denen, die wissenschaftlichen
Vereinigungen galten, unterbrachen den regelmäfsigen Takt seines Arbeits-
lebens nur alljährliche Erholungs -Ausflüge, bei denen aber seinen Gewohn-
heiten gemäfs die wissenschaftliche Beobachtung nie völlig ruhte. Bisweilen
schrieb die Rücksicht auf seine Gesundheit ihm die Wahl der Sommerfrische
vor. So hat er 1875 Bad Nassau, in den letzten Lebensjahren das ihm
besonders lieb gewordene Hainstein bei Eisenach besucht. Ein Pfingstausflug
nach Nordböhmen 1874 hinterliefs ihm für sein ganzes Loben ein trübes
Andenken. Bei Schlackenwerth hatte er das Unglück, einen Sprung abwärts
auf eine tief eingeschnittene Chaussee nicht richtig zu bemessen und einen
Beinbruch zu erleiden, der ihm ein siebenwöchiges Krankenlager in Karls-
bad auferlegte. Geduldiger, als seine bewegliche Natur es erwarten liefs,
ertrug er diese Prüfung. Er grift' zum ersten Male im Leben zu leichtem
Zeitvertreib — freilich nicht zum Kartenspiel, das er als „eine ihm unfafs-
bare Kunst" immer nur mit dem Gefühl mitleidiger Verwunderung von an-
deren üben sah, wohl aber — zu behaglicher Lektüre; doch auch in ihr war
er sehr wählerisch; nur Fritz Reuter war so recht nach seinem Sinn und
wirklich seinem Wesen kongenial. Aufserdem aber führte ihn die dem
Zeichnen ungünstige Ruhelage des Krankenbettes zur ruhigen Sammlung für
litterarische Arbeit. Das Beste, was er je geschrieben, die einleitenden
Kapitel seiner alten Geographie, hat er in der erzwungenen Mufse seines
Krankenlagers damals dem ihn pflegenden zweiten Sohne, Walther, diktiert.
Auch die Berge Schlesiens hat er wiederholt und gern besucht, Es bleibt
dem Verfasser eine liebe Erinnerung, dafs er im August 1895 unter dem
Dache seines Elternhauses in Schreiberhau dem alten Freunde die Hand
drücken konnte: am Abend seiner goldnen Hochzeitsfeier. (Schlufs folgt.)
1) Bericht Kiepert s, Verh. (ies f. Erdk II, 226— -237.
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Karl Peucker:
Zar kartographischen Darstellung der dritten Dimension.
Von Dr. Karl Peuoker in Wien.
Anschauung, wo ßie fehlt, wird etwa Geigt ersetzen?
Bei Geistes Mangel mag Anschauung je dich letzen?
Nein — nur wo Geist sich hält zusammen mit Anschauung,
Entsteht vor dir die Welt in glänzender Erbauung.
Friedrich RUokert „Weisheit de« Hnhraanen"
Es soll von der Veranschaulichung der dritten Dimension, von der
Plastik an Globen, Geländemodellen und Karten gesprochen werden, und so
giebt die Anwendung des Ausdruckes „kartographisch" im Titel Anlafs zu
einer kurzen Vorerinnerung.
Der Begriff der Kartographie wäre hier im weitesten Sinne gefafst, indem
er sich mit dem einer „veranschaulichenden Geographie" decken würde. Die
Teile einer solchen gleichen heut noch Gliedern, die, oinem einheitlichen Or-
ganismus angehörend, sich gleichsam in empedokleTscher Zerstreuung befinden.
Es fehlt die einheitliche Auffassung, und so fehlt auch das die Fülle des
Inhalts knapp zusammenschliefsende Wort, da jenes für den engeren Begriff
altgewohnte doch vielleicht eine so weit den Wortsinn überspannende Aus-
dehnung nicht verträgt. So steht es oben nur in provisorischer Verwendung.
Das neue Wort raüfstc die kurze Kennzeichnung sein des ganzen Systems
der Darstellung geodätischer und geographischer Forschungsergebnisse im
Bilde. Es sind das wissenschaftliche Bilder, und der Begriff der Lehre von
ihnen steht dem der in Worten beschreibenden und erklärenden Lehre der
geographischen Wissenschaft gleichsam als eine „bildende Wissenschaft" — im
Sinne der „bildenden Kunst" gesprochen — gegenüber.
Die Ergebnisse erdkundlicher Forschung sind, gleich denen jeder an-
deren Forschung, zunächst eine Gedankenreihe, die, mit Sinnen nicht erfaßbar,
sich im Hirn des Forschers verborgen bewegt. Hier aber bliebe sie ver-
borgen, für Mit- und Nachwelt verloren und unfruchtbar in alle Ewigkeit,
wie ein Samenkorn in dürrer Erde — wenn sie nicht in Worten sich auf-
zuschliefsen und zu entwickeln, und in Bildern ans Licht zu treten und zu
blühen vermöchte.
„Der Schein, was ist er, dem das Wesen fehlt?
Das Wesen, wär' es, wenn es nicht erschiene?4'
Das Wort ist für die Forschung ein Darstellungsmittel, und das Bild
ist ein solches, jedes von Eigenart, keines an sich dem anderen vorangehend
oder übergeordnet.
Von allen exakten Wissenschaften aber bedarf gerade die Erdkunde der
Bilder, die Erdkunde, deren Inhalt und Formen nicht vom Orte löslich oder
beweglich wie die der drei Naturreiche, sondern nach Sinn und Wesen un-
trennbar mit dem Orte verbunden sind. Räumlicher Zusammenhang und
örtliche Anordnung der Merkmale bilden den wesentlichen Grundzug ihres
Begriffes, und dieser kann eben nur wieder im räumlichen Bilde ohne Rest
und ohne Lücke wiedergegeben werden. Das Wort, steht selbstredend deshalb
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension 2.J
nicht erst an zweiter Stelle, vermag es doch allein den kausalen Zusammen-
hang zeitlich und örtlich getrennter Phänomene zu unmittelbar erfafsbarer
Erkenntnis zu bringen. Bild und Wort stehen in der Erdkunde als sich er-
gänzende Erkenntnis -Vermittler ebenbürtig neben einander: Den rede- und
schriftgelehrten Geographen müssen sich bildgelehrte Geotechniker zugesellen.
Nun zu dem eigentlichen Thema, der Anschaulichkeit und der Ver-
anschaulichung der geographischen Grundformen am Globus, am sphärischen
Modell, am Geländerelief und insbesondere: an der Karte. Geographische
Veranschaulichungen, wie Ansichten, Panoramen und ähnliches, sollen aufser-
halb dieser Betrachtung stehen. Einer an sich objektiven Behandlung gewifs
ebenso zugänglich wie im geographischen Interesse bedürftig, stehen sie doch
den vorgenannten als im weiteren Sinne subjektive Bilder in sich abgeschlossen
gegenüber.
Wir durcheilen hier jene grofse Gruppe von Darstellungen, die jede
in ihrer Art die Aufgabe lösen soll, ein objektives Bild geographischer
Formen zu geben. Es sollen die Formen in ihnen nicht so sein, wie sie
in der Natur erscheinen, sondern umgekehrt: sie sollen im Bilde so er-
scheinen, wie sie in der Natur sind.
Wir haben da die beiden geographischen Grundformen vor uns, die
grofse Einzelform der Erde als Weltkörper und die Mannigfaltigkeit der
kleinen Formen ihres Reliefs, also die mathematische Form der Erde und
die physischen Formen ihrer Oberfläche. Die Gröfse der sphärischen Form
des Erdganzen drückt sich in der Natur darin aus, dafs der Mensch ihr
gegenüber zu klein ist, als dafs er sie, mit dem Blicke stets nur dicht an
die Oberfläche der ungeheuren Wölbungen geschmiegt, als das, was sie ist, also
als Kugel (oder gar als Sphäroid — um von dem Geoid ganz zu schweigen)
von irgend einem Standpunkte aus mit den Sinnen erfassen könnte. Er bat
sie seit den Zeiten der Pythagoreer und des Aristoteles mit steigender Sicher-
heit als Kugel nur begrifflich zu erfassen vermocht. In der Natur erscheint
sie ihm heute wie damals immer nur noch als kreisrunde Scheibe — und so
stellten sie die ersten Kartographen auch dar. Erst als mau den trüglichen
Schein durchschaut hatte, gab man jene wunderbare, in der Natur unsicht-
bare Thatsache, dafs die Erde eine Kugel ist, im Bilde wieder, um sie als
das, was sie wirklich ist, doch einmal vor sich zu sehen; der erste Globus
entstand, als ein plastisches Bild der sphärischen Form des Erdganzen. Er
veranschaulicht die Gestalt der Erde, somit zugleich den in sich geschlossenen
sphärischen Zusammenhang aller Teile seiner Oberfläche, d. h. die Verteilung
und den Zusammenhang von Wasser und Land auf ihr. Jede gröfsere Hori-
«mtalform ihrer Gliederung erscheint dem Auge beim Umwandern des Globus
in vollkommener Formentreue; und indem man die Kugel um ihre Axe
dreht und den Globus zum Tellurium ergänzt, läfst sich der durch eine
Denkarbeit von Jahrtausenden durchschaute Schein von Bewegungsvorgängen,
der in der Natur für das Auge der alte Schein geblieben ist, auf die ihm
zugrunde liegenden wirklichen Bewegungen sinnfällig zurückführen. Kurz,
der Globus giebt ein objektives reell -plastisches Bild der Erde als Welt-
körper. Um den Vorzug der formentreuen (= flächen-, winkel- und längen-
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Karl Peueker:
treuen) Ansieht der Glieder von Land- und Wasserflächen möglichst unein-
geschränkt zu erhalten, darf der Globus nicht zu grofs sein. Denn jede
Fonn, über welche sich das Auge des Beschauers nicht mehr lotrecht ein-
zustellen vermag, bildet sich auf der Netzhaut in externer Perspektive ab,
die bekanntlich derartig verzerrt, dafs man sie für geographische Karten
überhaupt niemals anwendet. Man würde dann also dem Auge am Globus
etwas zumuten, wovor man es bei der Karte bewahrt. So erreicht der
Mafsstab des Globus nach oben schnell eine Grenze, während auch der
kleinste Globus noch alle seine spezifischen Vorzüge behält, sobald nur die
wesentlichsten Horizontalformen der Erdteile auf ihm noch zur Anschauung
gebracht werden konnten.
Wenn der Geograph von der Erde im Ganzen spricht, so denkt er von
ihren beiden Hauptformen zumeist nur au die mathematische, spricht er aber
von einem Lande, so hat er in der Regel allein die physischen Formen im
Auge. Indessen steht doch die sphärische Form irgend eines Teiles der
Erde den Formen des Reliefs an geographischer Bedeutung an sich nicht
nach, indem es ja auch für ein Land eine Fülle geographischer Erscheinungen
giebt, die direkt auf der Thatsache der sphärischen Wölbung der Landfläche
beruhen. Nun gewährt der Globus von der Wölbung, sagen wir irgend eines
der westeuropäischen Länder keine Anschauung mehr, indem ja gerade in der
Unauffälligkeit der Krümmung solcher Teile der oben berührte Vorzug ihrer
formen treuen Ansicht beruht .
So haben denn hier die sphärischen Ländermodelle nach dem Muster
desjenigen von C. Pomba für Italien i. M. 1 : 1 Million eine klaffende Lücke
in der Reihe der geotechnischen Darstellungen ausgefüllt. An ihm erhalten
wir also eine vollkommen geometrisch ähnliche Darstellung (obj.), und doch
zugleich auch — bei nur mäfsiger Bewegung des Augenpunktes bezw. des
Modells — einen deutlichen Eindruck, ein vollkommenes Bild derselben (subj.).
Pomba hat auf seinem sphärischen Modell auch die Gebirge plastisch
dargestellt und so einen lebhaften Eindruck von der Geringfügigkeit der
Höhendimensionen gegenüber den ungeheuren Weiten der sphärischen Länge
und Breite hervorgerufen. Auch diese geographische Beziehung läfst sich
auf einem Globus von rationeller Gröfse nicht veranschaulichen, kommt auch
in den zur Zeit üblichen Karten nicht zur Darstellung1); und so haben wir
in den angegebenen die spezifischen Vorzüge der sphärisch-physischen Länder-
Modelle vor uns.
Wir sind bei der Darstellung der physischen Formen, der des Geländes
angelangt. Die Geringfügigkeit der Höhe gegenüber den Dimensionen des Erd-
ganzen ist wesentlich, nämlich in mathematisch-geographischem Sinne. Diese
Relation bedurfte und bedarf also einer bildlichen Darstellung. In einer
Reihe anderer Richtungen geographischer Forschung und Betrachtung aber
sind die Höhenmalse des Geländes mit einem Gewicht in Anschlag zu bringen.
In der Höhe gemessen zeigen sich schon von 1000 zu 1000 m ähnliche
1 Siehe K. Peucker „Studien an Pennesi's Atlante Scolaatico" Mitteilungen d.
K. K. Geograph. Gesellschaft in Wien 1899. Hft. 7 u, 8, S. 289(5) f.
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. 20
Unterschiede nach Klima, Vegetation, Tierwelt und menschlicher Besiedlung,
wie in der Breite, polwärts gemessen, etwa von 20 zu 20 Graden d. i. in
Abständen von etwa 2000000 m; so fallen die Höhen des Reliefs der Erde
an klimatisch-, kultor- und biogeographischer Bedeutung mit einem mehr-
tausendfachen Gewicht in die Wagschale. Das genügt, um zu sagen: Die
Höhenwerte sind darzustellen mit einem Gewicht ganz nach Malsgabe höchster
Anschaulichkeit.
Hier ist es nun zunächst schon der Eindruck in der Natur selbst, der
dem der wahren Bedeutung der Höhen entgegenkommt, Indem der Blick
die Flächendimensionen ungeheuer verkürzt, überhöht er die Höhen und lälst
er die Böschungen versteilert erscheinen1). Die Ursache ist die relative
Kleinheit des Menschen auch gegenüber den Höhen der Erde.
Aber das Wesentliche an der Form des Berges — das Aufragen in der
Vertikalen — ist, im Gegensatz zu der Form der Erde, doch schon in der Natur
mit den Sinnen zu erfassen. Also lag keine Nötigung vor, sie erst im reell-
plastischen Bilde fafslich zu machen. So kommt es, dafs wir von Gelände-
Modellen erst aus den jüngstvergangenen Jahrhunderten dio ersten Nach-
richten haben. Heut bewundern wir freilich bereits Meisterwerke dieser
Technik. Das richtige Gefühl ist zum Durchbruche gekommen, dafs die
(lewalt und der Reichtum des Höhon- und Formenwechsels in den Hoch-
gebirgen unserer Erde zur Verbreitung und Vermittlung ihres tieferen
Verständnisses einer plastischen Nachbildung bedarf. Die grofsen topo-
graphischen Geländemodelle, allen voran das Glockner-Relief Oberlercher's (in
Klagenfurt) i. M. 1 : 2000 sind ja heut in der That noch die einzigen geo-
technischen Veranschaulichungen physischer Formen grofsen Mafsstabes, in
welchen die dritte Dimension unmittelbar anschaulich wird. Man sieht die
Höhen im Aufrifs vor sich, ähnlich also wie in der Natur selbst (bei Ober-
lercher Meereshöhe des Grofsglockner 1,9 m — das Modell steht so hoch,
das das Meeres- Niveau dem Fufsboden ringsum entspricht), nur ungleich besser
zum direkten Vergleiche geeignet, weil räumlich soviel näher zusammen-
gerückt. So sieht man auch alle Böschungen von mehr als 45°, die zumal
in den Felsregionen der Alpen ja nicht selten überwiegen, wesentlich besser,
weil weniger stark verkürzt, als auf der Karte. Wenn so ein Modell nicht
zu umfangreich ist und die Besichtigung aller wesentlichen Teile von allen
Seiten und in verschiedener Höhenlage des Augenpunktes zuläfst, so lassen
sich an ihm nach einander alle Formen nach ihrer wahren Gestalt erfassen
— und das gewifs auf ganz ungleich schnellerem, bequemerem und billigerem
Wege als durch eine Wanderung in der Natur selber.
Es wäre lächerlich, auf die Vorzüge der unmittelbaren Betrachtung der
Natur einen Schatten werfen zu wollen, aber es ist notwendig, immer wieder
mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dafs die geotechnischen Darstellungen in
Bildern nicht blofse Notbehelfe sind, sondern in demselben Grade von Eigen-
wert für die menschliche Auffassung, wie die geographische Darstellung in
Worten.
I) Vergl. „Schattenplastik und Farbenplastik4'. S. 13 ff. Anm
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26
Kurl Pcucker:
Man kann sich an solchen Reliefs ohne Seil und Steigeisen die interessantesten
Ansichten von einer Reihe exponiertester Punkte verschaffen; aber — hierin liegt
auch die Kehrseite des spezifischen Anschauungswertes topographischer Gelände-
modelle, die sich immer mehr nach oben wendet, je gröfser Mafsstab und Um-
fang der Modelle wird. Sie zeigen dann von jedem Standpunkte aus immer
verblüffender die Ansicht, wie sie die Natur selber bietet, mit ihrer verzerren-
den Perspektive, und es wird ebenso wie in der Natur selber immer schwerer,
sich aus der Fülle der Gesichte ein klares objektives Gesamtbild des Ganzen
zusammenzusetzen — es schwindet die Übersicht. Um für Entfernung und
Höhe ein genaues Zahlcnmafs zu erhalten, bedarf es am übergrofsen Relief
schliefslich wieder derselben Umstände, deren es in der Natur bedurft hatte
— eben um dieses objektive Bild zu schaffen. Das letzte Ziel geotechnischer
Darstellung, an Stelle der unendlichen Mannigfaltigkeit subjektiver Ansichten
der Landschaft ein einheitliches, objektives Bild des Geländes zu setzen, löst
sich rückwärts immer mehr und mehr in seine Komponenten auf. Die Formen
erscheinen wieder so, wie sie in der Natur erscheinen, und nicht so, wie sie,
von jedem Scheine losgelöst, sind. Je kleiner andererseits der Mafsstab des
Modells wird, desto mehr tritt nach und nach der (rein) mathematisch-
geographische Gegensatz zwischen den Höhen- und Flächendimeusionen her-
vor. Es wäre widersinnig, hier in einer Überhöhung der Formen (die in
der Praxis ja leider vielfache Anwendung findet) ein Auskunftsmittcl zu
sehen; denn wie kann man kleine Formen durch gröfsere falsche Formen er-
setzen, nur damit überhaupt etwas wie eine Form gesehen werde! Was
hätte es für einen Sinn gehabt, wenn Pomba sein Relief von Italien stärker
gewölbt hätte, nur damit die Wölbung besser ins Auge fallen solle!
Es ist ein Fundamentalsatz der plastischen Geotechnik: Es sind stets
den natürlichen geometrisch ähnliche Formen zu bilden1).
Für den Mafsstab von General- und geographischen Karten reicht eben
die reine Plastik nicht aus. Ein spezifischer Anschauungswert kommt ledig-
lich den reell-plastischen Darstellungen des Geländes im Mafse topographischer
Karten bis zu dem von Katasteraufnahmen kleinerer Gebiete oder typischer
Einzelformen zu. — Bei kleineren Maisstäben mufs man die reelle Plastik
bereits mit der optischen vereinigen.
An Geländemodellen kleinen Mafsstabes wirken die Höhenunterschiede
in seitlicher oder schräger Ansicht nicht mehr so anschaulich, wie es ihre
geographische Bedeutung fordert. Was würde man wohl von der Anschaulich-
keit einer Karte halten, bei der die Unterschiede der Breite nicht mehr mit
fragloser Deutlichkeit in die Augen sprängen! Fällt aber der Blick recht-
winklig auf die Fläche, so schrumpfen auf der Netzhaut des Auges die
Höhen, wie wir wissen, zu Punkten (in der Bildebene) zusammen, ganz wie
in der Natur beim Ballonblick lotrecht auf ein Gebirge hinab. Hängt man uun
1) Sie sind gegenüber den Kleinformen der Natur in demselben Sinne geometrisch
ühnlich, in welchem die Meridiane und Parallelen ein geometrisch ähnliches Bild
der gesamten Erdform umgrenzen. Über dieses Verhältnis der geometrischen Formen
geotechnischer Bilder zu den Naturformen wird Näheres an anderer Stelle gesagt
werden. Vergl. zunächst „Studien an Pennesi's Atlante" III, 291, Anm y.
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. 27
das Modell in seitlich oder schräg einfallende Beleuchtung, so erhält man ein
ähnliches Bild, wie es eine Karte mit Geländezeichung „in schräger Be-
leuchtung" bietet — mit anderen Worten: die dritte Dimension wirkt nicht
mehr direkt, nicht mehr durch ihre Realität anschaulich (wie es bei den
topographischen Reliefs der Fall ist), sondern wird nur noch optisch an-
gedeutet
So sind wir bei den Karten angelangt
Hier denkt man nun unter den beiden Hauptforraen immer nur an eine
direkte Veranschaulichung der Geländeformen, während man im Gegensatz
hierzu die direkte Anschaulichkeit der sphärischen Form ausdrücklich aus der
Darstellung ausschaltet1), indem man ihre Wölbungen nach irgend einem von
Fall zu Fall bestimmten Projektions -Gesetze in die Ebene legt. Dagegen
hatte man von allem Anfang an das Bestreben, die Berge nach ihrer wesent-
lichen Dimension, der Höhe, direkt zur Anschauung zu bringen, d. h. dem
Auge in irgend einer Weise als kleinere Aufwölbungen aus der mathe-
matischen Grundfläche heraus vorzustellen.
Wie man nun die Gestalt des Erdganzen zuerst durchaus dem Augen-
schein in der Natur folgend als Scheibe veranschaulichte, so zeichnete man
anfangs auch die Berge diesem Augenscheine entsprechend in ihrer Protilgestalt
in die Karte ein. Solange es noch keine Messungen gab und man eben nur
andeuten wollte, wo ein Berg oder wo Gebirgsland sei gegenüber dem Lande
mit unauffälligem Höhenwechsel, war das auch eine durchaus einwandfreie,
gewifs überaus anschauliche und zugleich durchaus „natürliche", und selbst
der naivsten Auffassung unmittelbar verständliche Darstellung; denn man
hatte in diesen einzelnen, sich scharenden oder häufenden, mehr oder weniger
schematischen Bergprofilen die für den ganz allgemeinen Formencharakter des
Gebirges wesentliche dritte Dimension direkt im Aufrifs vor sich, nämlich in
die Ebene umgeklappt, ein Verfahren, das ja auch in der darstellenden
Geometrie bei der Veranschaulichung gewisser räumlicher Verhältnisse üblich
ist — die erste und zweite, oder horizontale und vertikale Projektionsebene.
Erst als die Messungen genauer wurden, genügte das Aufrifsgelände
nicht mehr, und jede zweite Projektionsebene drohte sich aus ihrer vertikalen
Stellung heraus der ersten Ebene entgegen, womit an Stelle des Profilschnittes
ein immer gröfser und gröfser werdendes Stück von der gesamten Oberfläche
der Erhebung zur Abbildung gelangte. So durch eine Reihe klinogonaler
Projektionen hindurchgegangen, mufste die Darstellung des Geländes schliefslich
in die orthogonale oder Grundrifszeichnung einschnappen — womit die
erste Grundbedingung zu einer wissenschaftlich exakten Geländezeichnung er-
füllt war. Die ersten Vorläufer echter Grundrifszeichnung von Geländeformen
reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück, erst seit der Mitte des 18. Jahr-
hunderts aber wurde sie — und zwar durch J. D. Cassini's „Carte geometrique
de la France" — zur Regel, die wieder ein halbes Jahrhundert später
durch Johann Georg Lehmann streng geometrisch begründet und ausgebildet
wurde (1794—1799).
1) „Studien an Pennesi's Atlante Scolastico" a. a. 0., S. 239(5) f.
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28
Karl Peucker:
Die Geländefornien waren nun in den Grund gelegt, also der Theorie
nach jede Höhe gleichmäfsig zum Punkte zusammengeschrumpft , d. h. für
die unmittelbare Anschauung nicht mehr vorhanden.
Wie hatte man da nun die Geländeformen, soweit man sie eben airf-
gefafst hatte, zum Ausdruck gebracht? Nun, das war damals noch nicht
als ein Problem empfunden worden und hatte sich ganz von selbst gemacht.
Die ersten topographischen Zeichner aus dem Wiegenalter der (offiziellen )
Topographie, das in Frankreich in die Zeit Ludwig's XIII., in Deutschland
in die des Grofsen Kurfürsten fallt, machten es wie alle Kupferstecher, die
ja, wie vor ihnen die Holzschneider — und beide gleich den Malern — , schon
seit den ältesten Zeiten den dreidimensionalen Raum auf der zweidimensionalen
Bildebene zu veranschaulichen hatten: sie modellierten die körperliche Forin
in die Bildebene hinein durch eine Schattierung in SchratTen. Schon durch
die Schattierung wird im Auge der Eindruck des Plastischen, des Räumlichen
erzeugt ; es ist die zeichnerische Plastik.
Sie wird wesentlich unterstützt durch die Auflösung der natürlichen
Schattentöne in einzelne Striche. Ursprünglich nichts als ein technischer
Zwang — denn es liefsen sich auf Holz und Kupfer eben unmöglich auf
andere Weise Scbattentöne von verschieden dunkler Wirkung erzeugen, als
durch ein System mehr oder minder breiter oder enger Linien in einfachen
oder gekreuzten Lagen — wurde dieser Zwang mit echt künstlerischem,
d. h. durchaus das gesetzlich Richtige unbewufst treffendem Gefühle von
den besten Meistern, so unter anderen namentlich auch von Albrecht
Dürer, zur Förderung des Eindruckes einer Plastik benutzt, Das geschah
in der Weise, dafs man die Schattenstriche der Krümmung der Formen in
einer Richtung folgen liefs, die nicht parallel der Bildebene lag, nicht
schon durch eine Umrifslinie angedeutet war, oder auch, und zwar bei den
Boden- und Bergformen der Landschaften, in jener Richtung, in der die Natur
selber ihre Formclemente ausmodelliert, das ist in der des Wasserablaufes.
Das Auge wird auf diese Weise gezwungen, den Linien zu folgen, und modelliert
nun, wahrhaft naturgemäfs, die Form in der geistigen Auffassung gleichsam
selbst noch einmal nach. Im Laokoon stellt Lessing einen Hauptunterschied
zwischen Malerei und Dichtkunst dahin fest, dafs, wie das Gemälde nur ein
örtliches Nebeneinander zeige, so das dichterische Bild nur dann mit der
vollen Kraft wirke, wenn es den Gegenstand dem geistigen Auge in seinem
zeitlichen Entstehen vorführe. Hier haben wir nun innerhalb der Malerei
selber ein kleines Analogon zu dieser grofsen Wahrheit.
So giebt es also schon in den rein malerischen Landschaften in Kupfer-
stich des 16. und 17. Jahrhunderts eine Böschungsschraffierung nach
dem Gefühl; und sie ging mit der Grabsticheltechnik unvermerkt in die topo-
graphische Geländezeichnimg über und kam damit allmählich auch, durch
mancherlei Phasen hindurch, in das Grundrifs- Gelände hinein.
Man kann also nach obigem die Bösehungsschraffen auch als malerische,
oder in ihrer exakten (Lehmann'schen > Form als „optische Modellier- Linien"
bezeichnen. Sie haben für die reine Anschauung denselben Wert, den die
Horizontalen in rein geometrischem Sinne haben. Diese Höhenkurven sind
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. 29
nun ihrerseits „geometrische Modellier-Linien" d. h. sie geben die Grundlagen
zur Konstruktion eines Modells; für die unmittelbare Anschauung wirken sie
unnatürlich, ebenso wie jene zur geometrischen Konstruktion unzulänglich sind.
Wo man aber doch einmal bei einfacher (nicht gekreuzter) Linien-
führung und in nicht geradlinig verlaufenden Formen eine Schattierung in
Parallellinien zur Bildebene findet, wirkt sie, wo sie nicht stofflich motiviert
ist, unnatürlich, wirkt sie als Manier.
Die Unnatürlichkeit der Wirkung einer Schattierung in Horizontalen
tritt noch klarer ins Bewufstsein, wenn man auf den Anschauungsbegriff der
„Stofflichkeit der Darstellung'4 eingeht, wie es hier andeutungsweise geschehen
soll. Der Kupferstecher vermag durch Gröfse, Form und Lage des Bild-
elements die stoffliche Beschaffenheit des darzustellenden Gegenstandes sinn-
fällig zu machen; und da findet man denn eine horizontale Linienführung
ganz speziell als die Grundlage für die Veranschaulichung glatter, insbesondere
metallischer Stoffe. Demnach bietet die Kartographie — selten genug,
aber doch schon — einige Muster, die als recht natürliche Darstellungen des
stahlblanken Magnetberges aus den Märchen der Scheherezade anmuten.
Wem nun hiermit nichts gegen ihre Anwendbarkeit in der Kartographie
gesagt erscheint, der mufs sich bei solchen Karten dann wenigstens dessen
bewuJst sein, worauf er bei dieser Darstellungsart verzichtet hat: auf die
Natürlichkeit des Bildes — also auf dasselbe, auf das man sonst in der
Kartographie einen Wert legt, der nur durch das Gewicht der Unklarheit,
in der man sich über den Begriff dessen, was man hier als natürlich und
unnatürlich bezeichnen darf, beeinträchtigt wird.
Auf den schwedischen Generalstabskarten kann man beide Arten neben-
und übereinander sehen, und liefse auf ihnen der Zug der Schraffen nicht hie
und da einiges zu wünschen übrig, derart, dafs sie das in ihrer wahren Natur
liegende Bild nicht rein zu geben vermögen, so würde man es an diesem
praktischen Beispiele grofsen Stiles durch eigene Erfahrung am schnellsten
bestätigt finden können, dafs man die Linien für die Veranschaulichung dt*s
Geländes und die Linien für die geometrische Grundlage desselben nicht un-
gestraft die einen für die anderen setzen dürfe, dafs vielmehr beide ihrer
Natur nach dazu bestimmt sind, einander zu ergänzen, und nicht, einander
zu ersetzen.
Wie die Böschungsstriche, so ging auch die Schattierung nach schräger
Beleuchtung aus der reinen Kunst in die Geländezeichnung über. Doch
waren hier die geographischen Übersichtskarten den topographischen Karten
lange vorangegangen. Die Bergprofile des Aufrifsgeländes sind schon auf den
ältesten Karten nach schräger Beleuchtung, meist auf der rechten, oft auch
auf der linken Seite, in Schraffen schattiert; und diese uralte künstlerische
und kartographische Manier der Schattierung nach schräger Beleuchtung ging
durch alle Grade der klinogonalen Darstellungen hindurch ganz von selbst
in die orthogonale Geländezeichnuug über. Schon im Aufrifsgelände findet
sich aber auch eine Schraffierung nach senkrechter Beleuchtung (sc. senkrecht
zur Bildebene), und mit der Drehung der zweiten Projektionsebene kommt
auch sie unvermerkt in das Grundrifsgelände hinein. Dies aber zuerst auf
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30
Karl Peucker:
topographischen Karten. Die an sich schon anschauliche Wirkung der
Böschungsstriche und noch einige andere Momente verschafften dieser Dar-
stellungsart schnell eine gröfsere Verbreitung, und dies insbesondere in
Deutschland, wo dann in den Fridericianischen Zeiten die Vorläufer Leh-
mann's einzugreifen begannen, was an anderer Stelle eingehender behandelt
werden soll.
Wie überall, so gab es aber auch hier Vermittlungen zwischen den
Gegensätzen. Zu diesen gehört auch die Zeichnung in dem ersten grofsen
Kartenwerke mit Grundrifsgelände, in Cassini's Karte von Frankreich. Sie ist
ebenso wenig die erste Karte mit schräger Beleuchtung, was man so oft zu
hören bekommt, wie überhaupt in ihrer Zeichnung des Geländes die Formen-
plastik das Wesentliche ist. Die schräge Beleuchtung spielt vielmehr liier
zumeist nur eine Nebenrolle, und das Führende iri der Darstellung sind die
Böschungsstriche als solche, die innerhalb der orthogonal wiedergegebenen Form
klinogonal eingezeichnet sind („schräge Schwungstriche"). Es scheint, dafs
man hierin anfangs mit einigem Bewufstsein einen letzten Rest von direkter
(Aufrifs-)Darstellung der Höhen erblickte, und somit — wie in der unmittel-
bar vorangegangenen Phase der Cavalier-Perspektive — zugleich ein eigenes
Veranschaulichungs- Moment für das Räumliche. Später schwand dieses Be-
wufstsein und es blieb dafür nur die ungeometrische Unbestimmtheit der
Lage der Böschungslinien. Diesem Zustande machte Lehmann ein Ende,
indem er die Böschungsschraffen als reelle Senkrechte zu (ideellen) Höhen-
linien definierte. Erst mit ihm also wird die Geländezeichnung auch in den
Darstellungselementen orthogonal. Gleichzeitig klärte er die bestehenden
Schattierungsregeln — auf deren vor Lehmann bestehende Unklarheiten ein-
zugehen hier zu weit führen würde — in der bekannten Weise. J. G. Leh-
mann hat damit das erste strenge System kartographischer Veranscliaulichung
oder „optischer Plastik" geschaffen.
Stets nur ein Gelände um sich, dessen Plastik in grofsverteilten Böschungs-
gegensätzen besteht, konnte er leicht seine Lösung der Aufgabe, ein plastisches
Bild zu geben und gleichzeitig die verkehrsgeographisch wie morphologisch
so bedeutungsvollen Böschungsverschiedenheiten anschaulich und mefsbar dar-
zustellen, für die Lösung des Problems der Geländezeichnung überhaupt an-
sehen, um so mehr, als er eine direkte Veranschaulichung der Höhen für
unmöglich hielt, und sie durch die geometrische Grundlage seiner Böschungs-
schattierung, mit dem Korrektiv eingeschriebener Höhenzahlen (die natürlich
weder zur geometrischen Darstellung noch zur optischen Veranschaulichung,
sondern, als arithmetische Ausdrücke, zur Schrift gehören) für beherrschende
Gipfel, in genügender Schärfe mefsbar gemacht zu haben glaubte.
Man ist in der Folge nur durch die Kombination der Ducarla'schen
Höhenkurven (deren Entwicklungsgang hier als bekannt vorausgesetzt werden
darf) mit der Lehmann'schen Schraffendarstellung wesentlich über J. G. Lehmann
hinausgegangen, in allem anderen steht man heute, insbesondere in militärischen
Kreisen, noch ganz und völlig auf seinem Standpunkte, nur dafs hie und da
vielleicht an Stelle der Ansicht von der Unmöglichkeit: die Nichtbeachtung
des Wertes einer direkten Höhen-Verauschaulichung getreten ist. Auf eben-
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Zur kartographischen Darstelluug clor dritten Dimension. 31
dieselbe Nichtbeachtung läuft auch die Lehmann unterschätzende Gegen-
strömung aus, die, in der Form einer Wertüberschätzung leerer Isohypsen-
Darstellungen, insbesondere von akademischer Seite immer wieder neuen Zu-
flufs erhält
Es mufste zur Ergänzung der an anderer Stelle1) bereits gegebenen
kurzen Charakteristik der böschungsplastischen Schraffenzeichnung des Ge-
ländes schon hier ein wenig näher auf das eutwicklungsgeschichtliche Moment
eingegangen werden, damit es endlich einmal klar werde, dafs man nicht,
wie so viele Geographen es wollen, auf die Geländezeichnung als auf eine
blofse „Zeichensprache" und „Symbolik" herabsehen dürfe8). Wollen diese
Gelehrten Recht behalten, dann haben auch der grofse Albrecht Dürer und
andere Meister des Grabstichels in ihren unvergänglichen Werken die Formen
nur sinnbildlich und durch konventionelle Zeichen zum Ausdruck gebracht.
Vermag, wie mancher meint, nur die reelle Plastik das Körperliche sinnfällig
zu machen, dann ist nur ein Bismarck in Marmor ein unmittelbar wirkendes
Bild, und ein Bismarck von Lenbach bemüht sich vergeblich, durch seine
nicht reellen, folglich nur symbolischen Zeichen für das Körperliche einen
direkt wirkenden Eindruck auf uns zu machen — dann ist die ganze Malerei
nur ein elendes Surrogat für die Plastik! — Wir wissen jetzt, dafs die
Schraffe an sich auf dem ganzen Wege ihrer Entwicklung von ihrer rein
künstlerisch -intuitiven bis zur wissenschaftlich berechneten Verwendung ein
„Bildelement" gewesen ist, das sowohl im Interesse der direkten An-
schaulichkeit, als auf Grund seiner geometrischen Natur da, wo es
einmal angewendet ist, durchaus notwendig so ist, wie es ist, und so und
nicht anders sein kann.
Ein Sinnbild, ein Symbol auf der Karte sind z. B. die zwei gekreuzten
Hämmer, mit denen man ein Bergwerk bezeichnet; denn sie wecken deu
Begriff nur durch eine Ideenverbindung, und sie sind zugleich — neben
vielen anderen für andere Dinge — konventionelle Zeichen, denn das Bergwerk
könnte ebensogut durch eine andere Signatur, meinetwegen durch ein Gruben-
licht gekennzeichnet werden.
Es wurde in der „Schattenplastik" (S. 36 ff.) nachgewiesen, dafe und in
welcher Weise die Lehmann'sche Böschungsplastik die Formen optisch Über-
halte5). Darin liegt nun keineswegs etwas Unnatürliches oder Unzulässiges;
1) Schattenplaetik und Farbenplastik S. 29 ff.
2) Vergl. für viele: R. Lehmann „Vorlesungen über Hilfsmittel und Methode
des geographischen Unterrichts" S. 35 „. . . es bleibt doch stets eine Zeichensprache,
welche die Karte zu uns redet .... Für die dritte Dimension, die Höhenverhält-
nisse, hat sie nur eine Anzahl mehr oder minder leicht fafslicher Symbole.44 -
Einzig und allein das Relief könne Höhen- und Böschungsverhältnisse unmittel-
bar ersichtlich machen, und zwar weil es alle drei Dimensionen reell wiedergiebt,
während die Karte ja nur zwei Dimensionen zur Verfügung habe. Als wenn es
irgendwie auf die Realität, und nicht einzig und allein auf das ankäme, was mau
zu sehen bekommt! (Vergl. noch a. a. 0 3. 19 u. S. 147f.)
3) Der Ausdruck „überhalten44 scheint nicht überall verständlich zu sein. Er
ist an Relief und Karte synonym mit „überhöhen44, und hängt, auch dem Sinne
nach, unmittelbar mit dem Ausdrucke „Haltung44 zusammen, den man in der Kunst-
sprache für die Abstimmung nach der Tiefe des Bildes angewendet findet.
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32
Karl Peucker:
im Gegenteil. „Unnatürlich" ist stets nur eine Überhöhung bei der reellen
Plastik, weil dabei eine thatsächliche Verzerrung der natürlichen Form statt-
findet; bei der optischen Plastik giebt es aber keine Verzerrung, weil ja
hier das Substrat fehlt, an dem eine Verzerrung, d. i. eine Veränderung
der geometrischen Form hätte stattfinden können; es ist folglich schon
von diesem Gesichtspunkte aus nichts Unnatürliches an einer optisch über-
haltenen Darstellung.
Auch beim Künstler galt und gilt dieser Ratz. Auch hier kommt es
lediglich darauf an, die Formen-Unterschiede und -Gegensätze mit allen Mitteln
technischen Könnens aus der Fläche heraus- oder in sie hineinzuarbeiten. Man
vergleiche doch einmal gewisse Porträts oder Landschaften in Kupferstich mit
der Natur, ob da solche Tiefen, solche Schwärzen vorkommen wie in dem Bilde!
Man wird sie vergeblich suchen. Ist das nun unnatürlich? — Wer es nicht
direkt aus dem Vergleiche zwischen Natur und Kunst inne wird, der kann es von
H. v. Helmholtz lernen, wie verschieden die Ausdrucksmittel der Kunst gegen-
über denjenigen der Natur sind, wie der Künstler nur eben innerhalb des von
ihm selbst auf der Bildebene zu schaffenden Raumes die Gegensätze und die
Abtönungen in Harmonie zu bringen hat, um eine geschlossene Wirkung zu
erzielen, und nicht die Aufgabe vor sich sehen kann, von Ton zu Ton ein
dummes Ebenso der Natur zu gestalten. Nun, der Kartograph soll kein
Künstler sein, aber die Kunst ist der Mutterboden der Kartographie, und
beider Ziel ist insofern das gleiche, als sie beide das Räumliche zum ein-
deutig sinnfälligen Ausdrucke bringen wollen. Nur der Weg ist verschieden,
entsprechend den getrennten Zwecken ihres Schaffens; denn wie jener dem
ästhetischen Zwecke des Kunstwerkes entsprechend beim Schaffen der warmen
Empfindnng individuell-subjektiver Intuition folgt, so hat der Kartograph —
bei der Geländezeichnung nicht anders wie bei der Projizierung der sphäri-
schen Erdform — den nüchternen Erwägungen und Berechnungen an der
Hand objektiv feststehender Gesetze zu folgen; denn er will mit seiner
Karte nicht Empfindungen wecken, sondern belehren und die Erkenntnis
fördern. Die Thatsache, dafs auch der Gefühlskartograph mit seinem „anch"
io sono pittore" schon Gutes «geschaffen hat und noch schafft, ist nur ein
Beweis von dem ihr selbst unbewufsten Spürsinne künstlerischer Individualität.
Die spricht sich aber nicht in allgemein giltigen Gesetzen aus; die Karto-
graphie aber braucht Gesetze, um bei jedem, der sie mit geschickter Hand
und treuem Wissen betreiben will, des Erfolges so sicher zu sein, wie der
Baumeister der Festigkeit seines Baues, der Elektrotechniker der Kraft und
der Wirkungen seiner Stromzuführung.
Also schon der Künstler arbeitet mit Uberhaltungen, ohne dafs sein
Werk deshalb als unnatürlich gilt. Noch wesentlich weniger Halt hat aber
der Vorwurf der Unnatttrlichkeit bei einer Höhenüberhaltung in der Karto-
graphie. Zunächst murs man sich bei der Beurteilung der Skalen daran erinnern,
dafs es ja stets freisteht — und so schon nach J. G. Lehmann selbst — statt
in der „schwarzen" das Gelände in „blasser" Manier zu geben. Dann aber —
was heifst eigentlich „natürlich"? Es wurde schon oben auf das, was bei den
Grundlinien der Geländezeichnung natürlich und was unnatürlich zu nennen
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. 33
sei, hingewiesen. Nnn soll aber einmal diesem ganzen Schlagworte nach
Möglichkeit auf den Grund gegangen werden. Wann mifst man dem Bilde
einer natürlichen Form die Eigenschaft bei , „natürlich" zu sein ? Nun , ich
meine, z. B. die Felsen an Oberlercher's Relief darf man als recht natürlich
bezeichnen und ebenso wohl auch alle Einzelblicke in das Relief hinein infolge
der geometrischen Ähnlichkeit der Formen, wie infolge des luftperspektivisch
zarten Kolorits, das ihnen Veiter mit richtigem Gefühl gegeben hat. Wird aber
jemals irgend einer in den Ausruf „wie natürlich!" ausbrechen, wenn er einen
Globus erblickt, und mag dieser noch so richtig die Formen der Erdteile, die
Schiefe der Ekliptik, die Abplattung an den Polen darstellen? Nun — und
es sind doch beides richtige Formen, beide genau den natürlichen ent-
sprechend? — Ich meine, man spricht gemeinhin nur dann von einer „natür-
lichen" Wiedergabe der Originalform, wenn das Bild dem Augenschein ent-
spricht, in dem die Form in der Natur vor dem Beschauer steht. Gegenüber
dem Globus fällt es da begreiflicherweise schwer, der Bezeichnung den
gleichen Sinn unterzulegen wie dem Relief gegenüber!
Nun, und so auch gegenüber der Karte, weil auch auf dieser die Formen
nicht wiedergegeben werden können und werden sollen, wie sie in der Natur
dem Auge erscheinen, sondern rein objektiv so, wie sie sind. Objektiven
Bildern gegenüber hat die Bezeichnung „natürlich" jedenfalls nicht jenen
vulgären Sinn von „dem natürlichen Augenscheine gemäfs", sondern ist
synonym mit „naturgemäfs" oder „naturgesetzlich". Diesen Begriff meint
man, wenn man sich gegen die optische Überhaltung wendet; aber man ge-
braucht ihn nicht in bewufster Trennung von dem andern. Denn gerade eben
von jener „Natürlichkeit des Scheines" leitet man eine Reihe von Urteilen und
Forderungen ab, die im höchsten Grade geeignet sind, die bestehende Verwirrung
in den Begriffen über die Geländezeichnung blühen, wachsen und gedeihen zu
lassen. So sieht man im Hinblick auf sie das Heil der Geländezeichnung in
der möglichsten Annäherung an das Landschaftsbild, führt die senkrechte Be-
leuchtung auf einen senkrechten Sonnenstand zurück, den wenigstens die Gebirge
Europas nicht geniefsen, weshalb es eben „unnatürlich" sei, nach senkrechter
Beleuchtung zu schattieren. In der That ist es das Natürliche, dafs bei jeder
Karte, mögen ihre Formen nach schräger oder — wenn es dem Zwecke der Karte
und dem Gelände-Charakter mehr angemessen erscheint — nach senkrechter Be-
leuchtung schattiert sein, eine fiktive Beleuchtungsquelle, und zwar
lediglich für die Bildebene, angenommen werde — eine Lichtquelle, die jedenfalls
mit der Sonne Homer's, auch wenn die Gebirge Griechenlands dargestellt sind,
nichts zu thun hat; endlich erhofft man gar, von jenem Irrtume geleitet, noch
ganz ungeahnte Förderungen der Geländezeichnung vom Blick aus dem Luft-
ballon! Ist es aber jetzt noch so schwer, aus diesem Meer des Irrtums auf-
zutauchen, wenn man den Satz von der Eliminierung alles natürlichen Scheines
der Formen1) festhält, den die ganze Entwicklungsgeschichte der Kartographie
und die Logik ihrer Begriffsdefinition mit eherner Zunge predigt?
1) Damit ist selbstverständlich nicht die Rucksicht auf die natürlichen Farben
des Landschaftebildes) aus der Kartographie ausgewiesen. Sie spielt nach wie vor
Geograi.hi.che Zeitschrift. 7. Jahrgang UN». 1. Heft
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34
Karl Peueker:
An Naturgesetze soll sie sich ansehliefsen, das ist richtig. Diese „Natür-
lichkeit" soll den Grundzug ihres Weseus bilden. Ihnen unterwirft sich auch
die Böschungsplastik nicht nur durch die Lage der Schraffen, wie oben ge-
zeigt wurde, nein, auch mit ihrer optischen Überhaltung. Sie folgt in diesem
Falle einem Gesetze der geographischen Natur der darzustellenden Formen,
mit dem das optische Gesetz verschmolzen wurde. Der Geländezeichnun^
liegen direkt nicht die rein physikalisch -optischen Gesetze, sondern eben,
wie man sich klar werden mufs, optisch-kartographische Gesetze zu Grunde.
Es wurde oben darauf hingewiesen, dafs bei der Veranschaulichuujr
die Höhen mit dem Gewichte ihrer Verkehrs- und physikalisch-geographischen
Bedeutung in Anschlag zu bringen seien, damit sie den hierin gleichwertigen
Breiten an Anschaulichkeit nicht nachstünden. Man sieht nun, wie vortrefflich
die optische Uberhaltung jener Forderung entgegenkommt. Da die Gelände-
modelle im Malsstabe geographischer Karten mit ihrer reellen Plastik dieser
Aufgabe, wie wir sahen, nicht entsprechen, weil sonst durch eine thataächliche
Formen Verzerrung gegen einen Fundamentalsatz der Geotechnik gefehlt würde,
so müssen wir diese auf der Karte dargebotene Möglichkeit, durch die optische
Plastik im geographischen Sinne mit höchster anschaulicher Kraft wirken zu
können, als einen spezifischen Vorzug der Kartographie bezeichnen.
Bei jener Herstellung eines anschaulichen Gleichgewichtes zwischen Höhe
und Breite handelt es sich nicht um Zahl und Mafs im mathematischen
Sinne. Die Veranschaulichung will allein das Augenmals befriedigen. Zahl
und Mafs in ganzer Schärfe wird vom geometrischen Grundrifs geliefert, der
von jener optischen Plastik (oder optischen Verkörperung) begrifflich streng
zu scheiden ist, wenn er auch bildlich aufs engste mit ihr verknüpft sein
mufs. Das Gradnetz mit den Isohypsen zusammen bildet das Liniensystem
der drei geographischen Koordinaten, den Rahmen, in welchen die optische
Plastik ihr Bild einspannt.
Wir sind hier auf den Punkt gekommen, an dem es nötig wird, die
Grundlagen, auf denen sich die objektive Berechtigung der Forderung einer
anschaulichen Gleichstellung der drei geographischen Koordinaten auf-
baut, elementar zu entwickeln, damit sie nicht auch nur eben eine Meinung,
subjektiv wie die so vieler anderer zu sein scheint, die heute das weite Feld
der Lehre von der Geländezcichnung mit allzu seichter Pflugschar beackern.
Um die Auseinandersetzung zu vereinfachen, sei eine topographische Karte
vorliegend gedacht, also eine Karte ohne merkbare Verzerrung von Breite und
Länge1)- Wir sehen in der Karte die beiden Dimensionen der mathemati-
schen Erdoberfläche innerhalb des geographischen Zusammenhanges in voll-
kommener Treue vor uns liegen. Welche Eigenschaften sind es nun, die
ihre hochbedeutsame Rolle und hat Mich im Wesentlichen eben nur dem Haupt-
zwecke der Herausarbeitung der objektiven Form unterzuordnen.
1) Setze ich an deren Stelle eine geographische Karte, so erfährt der Begriff
der Treue der zweidimensionalen Darstellung die für die bezügliche Projektion der
Karte geltenden Einschränkungen , die für Anschauung und Melsbarkeit durch das
Gradnetz, Tabellen der Verzerrungs - Werte, Entataltungsbilder etc. reguliert wird.
(Vergl. „Studien an Pennesi'B Atlante Scolastico11 II u. DI.)
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. 35
diese Treue ausmachen? Die eine besteht darin, dafs ich beliebige Strecken
nach ihrer gegenseitigen ungefähren Länge unmittelbar mit dem Auge ab-
schätzen kann, d. h. ich kann mit einem Blicke, nach dem blofsen Augenmafs
angeben, ob diese oder jene Strecke einer anderen etwa gleich, oder merklich
länger oder kürzer ist als sie. Zweitens kann ich dieselben Strecken durch
Anlegen eines Mafsstabes genau messen, d. h. in absoluten Maßeinheiten be-
ziffern. Von jeder der beiden Dimensionen der mathematischen Grundfläche
haben wir also ein subjektives Augenmafs und ein objektives Zahlen-
mafs, oder, wie man auch sagen kann: die Treue der Darstellung liegt
darin, dafs beide Dimensionen innerhalb des geographischen Zusammenhanges
anschaulich und zugleich mefsbar sind.
Nun ist aber der Gegenstand der erdkundlichen Formenbetrachtung nicht
Breite und Länge, nicht die mathematische Oberfläche der Erde allein, er
ist in wesentlich weiterem und tieferem Sinne vielmehr die Mannigfaltigkeit
der körperlichen, der räumlichen Formen, die die physische Erdoberfläche
bilden; und so tritt die Höhe, als die dritte geographische Dimension, hinzu.
An einer Raumform sind schon vom rein geometrischen Standpunkte aus
alle drei Dimensionen gleichwertig, in den räumlichen Formen des Geländes
aber die Höhe gegenüber den beiden anderen in gewissem Sinne geradezu
überwertig, also gewifs — was wir zunächst nur brauchen — jenen an geo-
graphischer Bedeutung nicht nachstehend. Die Kartographie endlich hat das
in geographischen Begriffen Festgestellte im objektiven Bilde darzustellen —
es mufs also auch die kartographische Darstellung der dritten Dimension
gleichwertig derjenigen der beiden anderen sein, d. h. die Höhe mufs
mit derselben Treue wie jene zum Ausdrucke gebracht werden,
auch sie mufs im oben definierten Sinne: anschaulich und mefs-
bar sein.
Eine derartige Treue der Darstellung vermag ich mir nun von den
Höhendimensionen des Geländes zunächst nur immer an einem einzelnen,
senkrecht zur Grundlinie geführten, Profilschnitte vor Augen zu legen; die
Gesamtheit der Höhen des Geländes würde ich also erst in einer unendlichen
Anzahl etwa paralleler (oder sonst irgendwie sich nicht kreuzender, die Ge-
liindefläche lückenlos darstellender) Einzelprofile vor mir sehen, die um-
geklappt und horizontal neben einander gelegt sind. Dann aber sehe ich wohl
die Höhen anschaulich und mefsbar vor mir — aber kein Gelände mehr; es
fehlt der geographische Zusammenhang, die Grundlage der Treue. Nur wenn
es gelänge, die Koordinaten der dritten Dimension zugleich anschaulich und
mefsbar als Profile und zugleich im geographischen Zusammenhange, beides
als ein einheitliches Bild vor mir zu sehen, wäre die Aufgabe gelöst.
Nun, die Lösung liegt bereits vor; es ist nur nötig, sie dieser neuen
Formulierung der Aufgabe theoretisch anzupassen. Das Gelände wird mittels
gleichabständiger Horizontalen in den Grund gelegt. Werden dann auf der
höhenlosen Ebene dieser geometrischen Zeichnung die Farben aus einer
der physiologisch -optischen Farbenskalen1) eingetragen (aufgedruckt), so
1) Siehe „Schattenplastik und Farbenplastik" 8. 80—112.
3*
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86
Karl Peucker:
werden durch die nun von der Bildebene ausgehenden farbigen Lichtstrahlen
die Profilebenen optisch bestimmt, und das bezügliche Profil selbst wird
auf jeder dieser unendlich vielen auf der Bildebene senkrechten optischen
Ebenen durch die den Höhenwerten proportionalen Reize, die beim Blick
auf die Bildebene von der Netzhaut des Auges aus empfunden werden,
optisch abgebildet. Das Empfinden eines Reizes auf der Netzhaut ist
nur der physiologische Ausdruck für: Sehen. Ich sehe also thats&chlich
alle Profile und gleichzeitig die Bildebene, aus welcher sie sich erheben
(wobei auch hier die „optische (Iberhaltung" ihre bedeutsame Rolle spielt).
Die Geländefläche ist also nach ihren Höhenverhältnissen in demselben Sinne
anschaulich, wie die Breite oder die Länge der Grundfläche, nämlich
innerhalb des geographischen Zusammenhanges und ein relatives Augenmafs
gewährend; sie ist aber auch mefsbar, wie eine von jenen, nämlich durch
das Liniensystem der Horizontalen , das für die Höhe die absoluten Mafs-
einheiten in demselben Sinne markiert, wie es für Länge und Breite durch
ein Gradnetz von entsprechender Engmaschigkeit auf der geographischen und
durch Anlegen des Mafsstabes auf der topographischen Karte geschieht
Das geometrisch-optische ( farbenplastische, farbenperspektivische) Gelände-
bild bietet die dritte Dimension in derselben Anschaulichkeit dar, wie die
alten Karten mit den umgeklappten Profilen, vereinigt deren Anschaulichkeit
aber mit der gröfsten Vollständigkeit und geometrischen Genauigkeit Indes
jene parallelperspektivischen „Maulwurfshügel" haben doch noch einen Vor-
zug — den Schatten. Was ist nun ein farbiges Bild ohne Schatten? —
Doch wir wollen nicht überreden, sondern überzeugen, nicht an das künst-
lerische Gefühl appellieren, sondern uns auf objektive Gesetze stützen.
Das Gesetz, das aller Intuition in diesem Falle immanent ist, möge
für die objektive Darstellung hier kurz als das der unmittelbaren Ver-
bildlichung bezeichnet werden.
So lernten wir bereits die Schraffen- Schatten als direkte Bilder von
Böschungselementen kennen, und in den Ausführungen über Farbenplastik
erkannten wir Farbentöne als direkte Bilder von Höhenabständen. Die
Schatten sind im optisch-kartographischen Sinne direkte Bilder
der Böschungen, die Farben in demselben Sinne unmittelbare
Bilder der Höhen.
Nun setzt sich die Geländefläche ja keinesfalls aus Höhenelementen zu-
sammen, sondern aus anschaulich kleinsten Teilen, die sich als Flächen
einheitlicher Böschung definieren lassen, also aus Böschungen. Diese sind nun
auf einer sorgfältig aufgenommenen Isohypsenkarte gröfsten Mafsstabes im
geometrischen Sinne bereits bestimmt, aber damit eben nur konstruierbar,
mefsbar geworden, eindeutig und anschaulich noch nicht. Ich sehe sie nicht,
diese kleinsten Teile der krummen Geländefläche, wie ich die kleinsten Teile
der zweidimensionalen Grundfläche sehe; ich sehe sie nicht unmittelbar, es
fehlt ihnen also die kartographische Anschaulichkeit. Auf der zweidimensionalen
mathematischen Grundebene habe ich das Augenmafs für die Länge, ich habe
es für die Breite, ich habe es aber aufserdem (worauf bisher mit Absicht
noch nic ht hingewiesen wurde) auch für jede der unendlich vielen Zwischen-
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. 37
richtungen ( Neigungen in der Horizontalen) und somit aueh für die Flächen-
teile der idealen sphärischen Form der Erde; auf der Geländekarte in reiner
Farbenplastik (Höhenschichten-Karte) habe ich nur die Anschaulichkeit der
Höben an und für sich, jene Anschaulichkeit der Geländeflächen- Elementen,
die der der horizontal geneigten Abstände äquivalent wäre, d. i. die direkte
Anschaulichkeit der im Räume geneigten Flächenteile, fehlt aber ganz und
gar. Sie liegt erst vor, sobald diese Neigungen nach ihrem absoluten oder
relativen Winkelwerte (d. i. nach senkrecht oder schräg einfallendem Lichte)
schattiert sind. Erst dann ist die krumme Geländefläche selbst veranschaulicht.
Wer die Notwendigkeit dieser Veranschaulichungen für fertige geo-
graphische Geländekarten nach Farben und Schatten nicht anerkennt, stellt
sich auf den Standpunkt, den einst Strabo einnahm gegenüber den Meridianen,
deren Verengerung gegen die Pole zu veranschaulichen er für überflüssig er-
achtete, indem ja die Einbildungskraft leicht zu ersetzen vermöge, was die
Karte nicht direkt biete.
Für die Lehinann'sche Schattierung (die Böschungsplastik) gelten also
nur die Gesetze des Augenmafses, d. h. es kommt nur darauf an, dafs
man wesentliche Unterschiede in den Neigungswinkeln im Auge als
wesentliche Unterschiede in den Schatten empfinde. Ein Zahlenmafs (Mefs-
harkeit) mit der dem Zwecke der Karte angepaßten — nicht aber ab-
soluten! — Genauigkeit für die Böschungen erhielt man durch das Anlegen
des Schatten-Mafsstabes — der sonderbarer Weise bei den (topographischen)
Böschungskarten mit derselben Konsequenz fehlte, mit welcher er in richtigem
fiefühl von je allen Höhenschichtenkarten beigegeben ward. Heut entnimmt
man sinngemäfs nur den Höhenkurven ein Zahlenmafs der Böschungen.
Man bedarf also der Überhaltung, wie sie die Skalen des Lehmannschen
Systems — gleich den farbenplastischen — im optischen Sinne herbeiführen,
und man bedarf der Augenfälligkeit der Unterscheidungen für die Grade
derselben im Interesse der Gleichstellung der Anschaulichkeit aller drei geo-
graphischen Dimensionen. Die Gesetze dieser kartographischen Anschaulichkeit
sind ans Zweck und Wesen der geotechnischen Wissenschaft, selbst abstra-
hiert, nicht aus Gesetzen, die als fremde von aufsen herein getragen wären,
wie es die rein physikalischen (physikalische Helligkeitsskala — reine
Regenbogenfarben), oder wie es „pädagogische Forderungen'4 sind, mit denen
sich ebenso wenig eine Karte konstruieren läfst, wie etwa ein Schulhaus
aufbauen.
Da die Lehmann'sche Bosch ungsplastik eine unmittelbare Anschauung
der Höhen Verhältnisse wohl gewährt, eine Messung derselben aber nicht mit
derselben Schärfe zuläfst, wie es die beiden Dimensionen der Grundebene
gestatten, was aus der Unbestimmtheit des überhöhungs- Quotienten der
Sehraffenskalen hervorgeht1), so sind die schichtlinienlosen Schraffenkarten
selbst in geometrischem Sinne unvollständig; hier fehlt für die dritte Dimension
sowohl Anschaulichkeit als Mefsbarkcit (so auf der deutschen Generalstabs-
karte und der Dufourkarte der Schweiz 1 : 100OO0). Die Einzeichnung der
1) Nach „Schattenplastik", S. 36 und 3*.
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38
Karl Peueker:
Horizontalen wird im Sinne exakter kartographischer Darstellung mit zu-
nehmendem Marsstabe in demselben Grade immer bedingungslos notwendiger,
wie es die Einzeiehnung des Gradnetzes mit abnehmenden Mafsstabe wird.
Die Höhenkurven haben auf topographischen Karten denselben
Wert, den das Gradnetz auf geographischen Karten hat.
Sind sie aber in der Zeichnung belassen, wie z. B. in der österreichi-
schen Spezialkarte 1 : 7A000, so ist zwar die Höhe mefsbar geworden, aber sie
liegt nicht anschaulich vor, wie Länge und Breite anschaulich daliegen. Ihre
Unsichtharkeit wirkt um so störender, je mehr die Doppeldeutigkeit der Aus-
lage (Exposition) hervortritt, die der Böschungsplastik mit und ohne Schicht-
linien bei gestreckten Formen des Geländes anhaftet1), je weniger ferner das
Gelände Böschungsgegensätze aufweist, die sich nach ausgedehnten Flächen
gruppieren, und je weniger es demgemäfs durch die blofse Böscbungszeiehnung
zu plastischer Wirkung gebracht werden kann2), je wesentlicher endlich die
Höhenunterschiede des Gebietes in klimatischer, bio- und kulturgeographischer
Beziehung sind.
Schon im 18. Jahrhundert findet man auf manchen topographischen
Karten wenigstens die Thalsohlen in höhenplastischem Sinne behandelt, indem
sie sich durch ein mildes Grün (in Handkolorit) von den Höhenzügen unter-
scheiden. Es ist damit auf Vorläufer Sydow's hingewiesen, der das Tiefland-
Grün dann auf geographische Karten übertrug und seine Anwendung wissen-
schaftlich — wenigstens von einer Seite — motivierte. Es sei bei dieser
Gelegenheit bemerkt, dafs auch in der orthogonalen Darstellung des Geländes,
in dem Lehmannisch exakten Zuge der Schraffen und in der steigenden —
ja erst in neuester Zeit, und nicht immer an richtiger Stelle, zurückgehenden ■ —
Verwendung der senkrechten neben der uralten schrägen Beleuchtung die topo-
graphische Darstellung für die geographische Muster gewesen ist. Nur in
der Praxis der direkten Höhen- Veranschaulichung in Farbenplastik ist neuer-
dings die geographische ( bersichtskarte den topographischen Detailkarten
vorangegangen.
Die Formenplastik (schräge Beleuchtung) tritt als anschauliche Darstellung
der krummen Oberfläche mit Recht an die Stelle der Böschungsplastik ( senkrechte
Beleuchtung), sobald diese eben der Natur des Geländes nach eine Plastik
(in Böschungen) nicht mehr darbietet, und sobald der Zweck der Karte die un-
mittelbare Anschaulichkeit der Böschungsgrade nicht mehr fordert. Das ist
besonders im Felsengebiete der Fall mit seiner mit der Steilheit verbundenen
geringen Verschiedenheit der Neigungswinkel (in der Vertikalen) und dem
schnellen Krümmungswechsel in der Horizontalen, weshalb hier von je eine eigene
Darstellungsart gewählt worden ist. Sie hat sich allmählich zu einer künst-
lerischen Charakteristik der Formen ausgebildet, in die bereits in den (»Oer Jahren
ein wissenschaftlicher Zug durch die Formencharakterisierung der Gesteinsarten
gekommen ist ( J. M. Ziegler). Im Anschlufs an das photogrammetrische Aufnahme-
verfahren beginnt sie heut ganz in exakte Bahnen einzulenken I Finsterwalder).
1) Nach „.Schattenplastik und Farhenplatitik" S. 40 f.
2) A. a. 0. 8. 42 ff.
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Zur kartographischen Darstelluug der dritten Dirnennion. 30
Die notwendige < J rund läge voller Exaktheit ist aber gerade hier, wo mit dem
schnellsten Wechsel horizontaler Krümmungsrichtungen die stärksten Höhen -
gc gensatze auf enger Grundfläche zusammentreffen, die Anwendung der farbigen
Höhenplastik1)! Sie hat hier denselben führenden Wert für die Veranschau-
lichung, wie für niedrige, flache Geländeformen (mit konvexen Gehängen) die
Böschungsplastik.
Die Formenplastik (Schattierung nach schräger Beleuchtung) ist
keine objektive Darstellung (wie die Lehniann'sche es ist), da sie
gleiche Formenelemente nicht mit gleichen Bildelementen zum
Ausdrucke bringt.
Aber auf einer „dreidimensionalen'1 Karte wird sie, als die eigentlich
malerische Plastik, schöne Wirkungen erzielen, ohne durch ihre Subjektivität
der Eindeutigkeit des Bildes zu schaden. Ja, wenn sie unter Benutzung
von Wiechel gegebener Grundlagen einmal dazu verwendet werden wird, die
Sonnen- und Schattenseite zu veranschaulichen, dann wird damit ein wert-
voller Ersatz für die Nichtveranschaulichung der Böschungsunterschiede ge-
wonnen sein, der gewifs für manche Zwecke und besonders im Hochgebirge
diesen — sonst gewifs nicht zu unterschätzenden — Mangel aufwiegen
dürfte.
Es ist wohl zu beachten, dafs es sich auch hierbei nicht direkt um die
Nachahmung einer Naturansicht handelt, sondern um die objektiv-naturgemäfse
Veranschaulichung geographisch bedeutungsvoller Gegensätze.
Es ist nun noch kurz das Hauptresultat der Untersuchung, soweit sie
sich auf die Karten bezieht, zusammenzufassen, wobei zugleich der Versuch
einer schärferen Formulierung gemacht wird.
Die allgemeine Form des Geländes wird durch ein rechtwinkliges drei-
axiges Koordinatensystem bestimmt, in dem
x die Breite, y die Länge, z die Höhe
sei, wo die Buchstaben nicht bestimmte Werte, sondern nur die bezüglichen
Dimensionen im allgemeinen bedeuten.
Die Aufgabe ist, diese objektiv, d. i. so, wie sie in Zahlen durch die
Erdmessung und Landesvermessung gegeben sind, mefsbar (oder geometrisch^
und anschaulich (oder optisch) im Bilde darzustellen, i wie y werden in
dir Bildebene gelegt, sie erscheinen demnach mit ihrer geometrischen Dar-
stellung von selbst zugleich auch in optischer, z geometrisch dargestellt (durch
Höhenkurven), verliert, rechtwinklig in die Bildebene projiziert, dadurch seine
Dimensionalität, wird optisch = 0. Es mufs also optisch selbständig dar-
gestellt werden, damit es der Darstellung der beiden anderen Raumaxen gleich-
gestellt erscheine. In einer Isohypsenkarte mit Höhenplastik in Farben ist im
kartographischen, d. h. geometrisch -optischen Sinne eine Gleichstellung der
drei geographischen Koordinaten erreicht.
Das genügt indes noch nicht. Mit der Darstellung von x und y er-
O Vergl. „ikhattenplaatik uud Farbenplastik" S. 110 ... Hilf
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40
Karl Peuckpr:
giebt sich von selbst auch die der Fläche a — f(x,y), d. h. erscheint die
raathematische Erdoberfläche oder Niveaufläche zugleich mefsbar (etwa durch
Planimeter) und anschaulich (für das Augenmaß) dargestellt. Der Ausdruck
für eine zweidimensionale Durstellung ohne Gelände ist also:
o = f(*,y) . . . (1)
Habe ich nun unter Zuhülfenahme der Farbenplastik alle drei Axen
veranschaulicht, so ist keineswegs auch schon die Funktion f («, y, z) im
optischen Sinne erfüllt — wenn f (r, y, z) der allgemeine Ausdruck für die
der Niveaufläche anschaulich gleichgestellte Geländefläche ist — ; denn es
fehlt noch die direkte Anschaulichkeit der Übergangsflächen zwischen z einer-
seits und x, tj andrerseits, da deren darstellbar kleinste Teile oder Elemente
nicht Flächen gleicher Höhe, sondern solche gleicher Neigung, kurz, krumme
und schräge Flächen sind. Der optische Ausdruck für Böschungen sind
Schatten. Wird also eine farbenplastische Darstellung mit einer schatten-
plastischen vereinigt, so ist die (allgemeine ) Lösung der Aufgabe, das Gelände
objektiv abzubilden, gelungen, die Funktion f(x, //, z) bildlich dargestellt.
f(x, //, z) wäre dann der Ausdruck für eine abgeschlossene dreidimensionale
Geländezeichnung.
Haben wir nun eine Isohypsenkarte vor uns, wie es die Mefstischblätter
der Karte des Deutschen Reiches i. IL 1:25 000, die neuen Blätter der
Topographischen Übersichtskarte i. 1 : 200000 sind, oder die Blätter des
Siegfried- Atlas der Schweiz, so ist nach obigem die Formel für ihre Dar-
stellung:
+ £ (2)
d. h. auf dieser zweidimensionalen Grandlage f (.r, ij) ist die dritte Dimen-
sion z für die (direkte) Anschauung =0; sie läfst sich aber aus der Karte
ihrem geometrischen Werte nach entnehmen, was beides durch die Form ~
angedeutet ist.
Es ist wohl selbstverständlich, dafs hiermit solchen grundlegenden
Karton nicht die Existenzberechtigung abgesprochen wird; man soll sich aber
dessen bewufst sein, dafs man in ihnen keine abgeschlossenen Darstellungen
besitzt, dafs sie von der geographischen Erdoberfläche nur ein geometrisches,
kein geographisches Bild geben, dafs es nur Geländerisse, aber keine Gelände-
karten sind, nur Grundmauern, aber kein Haus.
Unter diesen Darstellungsformen des Geländes zwischen / («, y) und
f(x, y, z) herrschen vor die „zweidimensionalen Geländekarten'4 nach Art
der deutschen Generalstabskarte (1 : 100000), der Generalkarte von Mittel-
europa des K. u. K. MU. Geogr. Instituts in Wien (1 : 200000), der Karten
der grofsen Handatlanten und der anderen Karten mit schraffiertem oder ab-
getöntem Gelände in senkrechter oder schräger Beleuchtung. Die Form der
Darstellung ist hier
ü=~ffa H) (3)
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Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. 41
da wohl die Beziehungen zwischen den 3 Koordinaten alle optisch her-
gestellt sind, die 3. Koordinate, die Höhe z selbst aber durchaus unbestimmt
geblieben ist.
Treten Höhenkurven hinzu, wie in der Spezialkarte der Öst.-Ung.
Monarchie (1 : 75000) und in den neueren Schweizer Karten mit Formen-
plastik, so ist die Darstellung von der Form
f-r(«,ir,5) (4)
d. h. die Höhe z ist wohl mefsbar, aber nicht gleich x und y anschaulich.
Bei (3) und (4) fehlt das optische Substrat der Körperlichkeit der
Formen.
Ist dagegen die Höhe z allein als solche geometrisch und optisch dar-
gestellt, so ändert sich die Formel (1) in
9 — f (*,*) + « (5)
Sie gilt also für reine (farbenplastische) Höhenschichtenkarten1), in denen
wohl alle drei Dimensionen kartographisch gegeben sind, aber keine der
Beziehung zwischen i und y gleichstehende Relation zwischen z und //
hergestellt ist.
Als die Formel für die vollkommene und abgeschlossene dreidimensionale
Gelände Zeichnung sei hier zum Schlüsse noch einmal angefügt:
g m /'(*,//, jp) (6)
Wien, im Juni 1899.
1) Die Sydow-Hauslab'schen Schichtenkarten (so Ravenstein 's Karte der Ost-
alpen, der Schweiz n. a.) erfüllen diese Formel (5) nur näherungsweise; sie gilt aber
selbstverständlich in keiner Weise für Schichtenkarten, die dem Sinne karto-
graphischer Darstellung entgegen auf den plastischen Eindruck verzichten, um mittels
einer mnemotechnisch-statistischen Skala lediglich die Unterschiede (nicht die natür-
lichen Übergänge und die geographischen Gegensätze! i der Höhen mit greller Deut-
lichkeit zu zeigen. Sie bilden innerhalb der Höhendarstellung ein Analogon zur
Müffling'schen Böschungs- Skala der mittleren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts mit
ihren wechselnden, gewellten, gestrichelten und punktierten Bergstrichen ; und es
entspricht durchaus der Jugendlichkeit der ganzen hypsographischen Erkenntnis-
richtung gegenüber der Reife der klinographischen , dafs diese manierierte Kom-
pilationsskala des Generals von Müffling — deren Abweichungen von der Lehmann -
schen Skala übrigens (vorläufig bemerkte nicht auf den hessischen Forstmeister
J. Chr. Bechstatt. wie man seit einem Jahrzehnt immer wieder liest (zuletzt im
vorigen Jahrg. dieser Zeitschr. S. 449) zurückgeht, sondern lediglich auf die Skalen,
die vor den Napoleonischen Wirren in Preufsen nach einander von den Offizieren
biw. Kartographen Schienert, Schneider und v. Humbert vorgeschlagen worden
waren — dafs diese manierierte Böschungsskala bis auf einen wenig wesentlichen
Rest längst abgethan ist , während jene willkürlich schematischen Schichtenskalen
heute noch Anwendung und Verteidigung finden.
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42
Emil Deckert:
Galveston and seine Stnrmflnt.
Von Dr. Emil Bockert.
Mit einer Karte im Text,
Wer die Naturverhältnisse der Küstenlandschaften des Mexikanischen
Golfes in gründlichere Erwägung zieht, der kann sich nicht darüber wundern,
dafs diese Landschaften in der amerikanischen Besiedelungs- und Kultur-
geschichte eine ausgesprochene Spätlingsrolle gespielt haben — abgesehen
allein von Kuba sowie von der Gegend von Veracruz, die seit Ferdinand Cortez
wohl oder Übel als die Haupteingangspforte in das silberreiche Aztekenland
zu dienen hatte.
In merkwürdiger Einförmigkeit umrahmt eine endlose Reihe von niedrigen
»Sanddünen und langgestreckten sandigen Nehrungen oder Nehruugsinscln das
fragliche Meeresbecken auf einer über 5000 km langen Strecke. Die weiten
Brackwasserlagunen hinter den Nehrungen aber sind sämtlich seicht und nur
durch schwer auffindbare, gefahrvolle Zugänge zu erreichen, und was in ihrer
Nachbarschaft liegt, ist teils unabsehbarer Schilfsumpf, teils von Dorngestrüpp
bestandene Halbwüste, teils lichte Kiefernheide, teils endlich — in dem Be-
reiche der Tropen — undurchdringlicher Urwald. Nirgends gewährt ein
Berg- oder Hügelgehänge dem Fahrzeuge, das in die eine oder andere Lagune
hinein gelangt ist, den in der berüchtigten Orkangegend doppelt nötigen
Windschutz, und das Kleinod, nach dem der Seemann immer zuerst aus-
zuspähen pflegt, wenn er an das Land geht: aus klarer Quelle fliefsendes,
frisches, gutes Trinkwasser, fehlt beinahe allerwegen. Dagegen versengt ihm
an den meisten Tagen des Jahres — wenn nicht der wohlbekannte Norther
weht — eine glühende Sonne den Scheitel, dichte Moskitoschwärme peinigen
ihn, wohin er sich auch wenden mag, und böse Fieberkeime bedrohen seine
Gesundheit und sein Leben. Das tragische Schicksal der grofsen Expeditionen
von Panfilo de Narvaez (1528) und von Hernando de Soto (1539), die die
Spanier zur Erforschung und Unterwerfung der Gegend nördlich von dem
Golfe aussandten, illustriert diese Thatsachen zur Genüge, und es begreift
sich aus dem Gesagten leicht, dafs der spanische Unternehmungs- und Er-
oberergeist an diesen Gestaden ebbte und sich anderen Zielen und Tummel-
plätzen zuwandte, sowie dafs selbst der gewaltige Riesenstrom, der sich in
den Mexikanischen Golf ergiefst und der nachmals so viel zur Kultivierung
Nordamerikas beigetragen hat — der Mississippi — , lange Zeit ein in tiefes
Dunkel gehülltes Geheimnis blieb.
Darf es nach dem Gesagten auch befremden, wenn die Geographen-
sprache den Mexikanischen Golf nach wie vor mit einer gewissen Gering-
schätzung behandelt, indem sie ihn nur als einen einfachen „Golf" und nicht
als ein „Meer" gelten läfst, wenngleich er an Ausdehnung und Tiefe die
meisten Rand- und Binnenmeere der Erde weit übertrifft und beispielsweise
gegen ein halbes Hundert „Meere" von der Art der deutschen Nordsee in sich
aufzunehmen fähig wäre! Ein durchgreifenderer kulturgeographischer Gegen-
satz, als er zwischen den Küstenlandschaften des altweltlichen Mittelmeercs
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Pialvfston und seine Sturmflut
43
und denjenigen der Nordhälftc des amerikanischen Mittelmeeres besteht, läfst
sich jedenfalls kaum denken.
Von dem unteren Lorenzstrome her drang aber die französische Be-
siedelung um das Ende des 17. Jahrhunderts nach den Grofsen Seen und
nach dem Oberlaufe des Mississippi vor, und von der Massachusetts-, der
New York-, der Delaware- und der Chesapeake - Bai her um die Mitte des
18. Jahrhunderts über die Appalachen- Pässe die angelsächsische nach dem
Ohio- Gebiete und nach dem Mittel- und Unterlaufe des Mississippi. Sodann
verbreitete sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von den
Carolinas her die Baumwollenkultur über die ganze Golf- und Mississippi-
niederung, und in Texas fand zugleich auch die Viehzucht eine hervorragende
Stätte.
Da niufste wohl allgemach auch eifriger darauf Bedacht genommen
werden, die brauchbarsten Ausgangspforten des Landes gegen Süden hin aus-
findig zu machen und, da es wirklich gute Pforten nicht gab, mit solchen
von geringerer Qualität fürlieb zu nehmen und sie durch Menschenkunst so
viel als eben möglich zu verbessern.
Im Jahre 1696, zwei volle Jahrhunderte nach den Entdeckerfahrten des
Columbus und reichlich einundeinhalb Jahrhundert nach dem Tode de Soto's
an dem Ufer des Mississippi, errichteten da die Spanier, zur Sicherung ihrer
Ansprüche auf das dem Namen nach ihnen gehörige Gebiet, an der besten
natürlichen Hafenbucht, die die festländische Golfküste überhaupt bot, die
Feste Pensacola. Die Franzosen aber, die in dieser Gegend ebenso wie in
Florida als ihre ältesten Rivalen auftraten, gründeten durch den Kanadier
Lemoyne de Bienville an der weiten und seichten Mobile-Bay Mohilo (1711)
und bald darauf inmitten der Schilfwiesen und Moskitobrutstätten des
Mississippi - Deltas New Orleans (1718). Und sehr viel später noch, lange
nachdem sowohl die Spanier als auch die Franzosen als auch die Engländer
sich die Herrschaft über das Golfgestade hatten entwinden lassen, erstanden
an den Buchten der texanischen Küste Galveston (1838), Corpus Cristi (1840)
und Indianola (1846) — das letztere freilich nur zu einem sehr kurzen
Dasein.
Dafs irgend einer von den genannten Golfhafenplätzen bald nach seiner
Gründung einen raschen und glänzenden Aufschwung genommen habe, kann
man nicht behaupten Dazu waren die natürlichen Vorbedingungen bei allen
ohne Ausnahme in vielfacher Hinsicht gar zu widrige, und auch die Mississippi-
Mündungsstadt New Orleans, bei der das weitverzweigte Schiffahrtsstrafsen-
system des grofsen Stromes so manchen Nachteil quitt macht, ist nur unter
unsäglichen Mühsalen und Anstrengungen und durch einen noch beständig
andauernden harten Kampf mit einer menschenfeindlichen Natur zu dem, was
sie heute thatsächlich ist, gediehen. In den ersten Zeiten ihres Bestehens
namentlich bedrohten auch sie Stürme und Fluten wiederholt mit völliger
Vernichtung.
Unter den texanischen Golfküstenstädten hat sich Corpus Cristi, seit
General Taylor es zu einem Hauptstützpunkte seiner kriegerischen Operationen
gegen Mexiko machte, am stetigsten und ruhigsten entwickelt, wenn auch der
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44
Kuiil Dickert:
ganzen Natur der Sache nach nur in einem bescheidenen Mafsstabe — bis
zum Jahre 1870 auf 2140, bis 1880 auf 3257 und bis 1890 auf 4387 Seelen
heranwachsend. An dem Hintergrunde der nach ihm benannten Rai erfreut
sich dasselbe eines etwas höheren (gegen 8 bis 9 m ansteigenden) Baugrundes
als die anderen Golfstädte, dergestalt dafs auch die höchstgehenden Wogen
der See es bisher noch niemals erreicht haben. Seine Lage zu dem Unions-
gebiete im allgemeinen sowie zu dem texanischen Viehzucht- und Ackerbau-
gebiete im besonderen ist aber eine sehr exzentrische, und aus diesem Grunde
sowie der Dürre seines unmittelbaren Hinterlandes halber hat mau es bisher
nicht für lohnend gehalten, ihm den tiefen Zugang von der See her, den ihm
die Natur versagt hat, unter der Aufwendung bedeutender technischer und
finanzieller Mittel künstlich zu schaffen.
Bei Indianola, an der Matagorda-Bai, stand es um die natürliche Zu-
gänglichkeit von der Seeseite ähnlich wie bei Corpus Cristi. die Lage dieses
Ortes zu den produktionsfähigeren Gegenden von Texas war aber eine wesent-
lich günstigere, und so durfte es scheinen, als könne derselbe seinem Kivalen
den Rang ablaufen. Es bedurfte dazu nur der Zuwendung einer beträcht-
licheren Summe von Seiten der Unionsregierung, die bekanntlich für Hafen -
ameliorationen an Stellen, wo sie irgendwelche Aussichten bieten, immer einen
sehr offenen Säckel gehabt hat. Im Juhre 1870 stand die Stadt Indianola
ihrer um ein reichliches Lustrum älteren Schwester an Einwohnerzahl — mit
2169 Seelen — ungefähr gleich. Da brach aber im Septembermonat des
Jahres 1875 eine jener Sturmfluten herein, wie sie die Golfküste so oft heim-
suchen, und der gröfste Teil der nur wenige Fufs über dem Meeresspiegel
gelegenen Stadt wurde davon fortgerissen und mehrere Hundert von ihren
Bewohnern fanden dabei ihr Grab in den Wellen. Der Census von 1880
fand ihre Volkszahl (1086) daher auf die Hälfte der früheren zurückgegangen.
Die Ausharrenden an dem Orte hatteu aber neuen Mut gewonnen und arbei-
teten rüstig daran, «las Gemeinwesen wieder cinpor/ubringen und ihm seine
Rolle als Ausfuhrhafen eines weiten und produkten reichen Gebietes besser
als vordem zu sichern. Da kam im August des Jahres 1886 ein neuer
Orkan und eine neue Orkanflut, noch furchtbarer als die von 1875, und
Indianola wurde von Grund aus zerstört, so dafs von ihm höchstens einige
umherliegende Holz- und Steintrflmmer übrig geblieben sind. Die Bewohner
der Stadt, welche ihr Leben auch bei der zweiten Katastrophe retteten,
wagten es nicht, sich abermals an der verhängnisvollen Stätte anzubauen.
Sollte das Schicksal von Indianola vorbildlich sein können für das Schick-
sal des dritten texanischen Hafenplatzes, der aus der angegebenen Reihe noch
erübrigt, für die Stadt Galveston, von deren entsetzlicher Verwüstung am
8. September 1900 die Welt mit Schaudern erfüllt wurde, da bei derselben nicht
weniger als 7- bis 8000 Menschenleben und nicht weniger als 50 Millionen
Dollars Volksvermögen von den wilden Wogen verschlungen worden sein sollen?
Die Lage Galvestons im Verhältnis zur See ist in gewisser Weise eine
noch exponiertere als bei Indianola. Auf eben so niedrigem, nur 1 bis 3 m
über den Meeresspiegel aufsteigendem Baugrunde, steht es nicht wie diese*
auf der festländischen Seite seiner Bai, sondern unmittelbar auf der der Bai
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Galveaton und »eine Sturmflut.
45
vorgelagerten Nehrungsinsel, sich über die ganze Breite derselben bis un-
mittelbar an den Strand des offenen Meeres erstreckend, und nur mit seiner
Hauptfront der Bai, die seinen Hafen bildet, zugewandt. Es ist in dieser
Weise sozusagen der vorgeschobenste Posten im Kampfe mit dem wider-
spenstigen Elemente, das der Menschenkultur in dieser Gegend so wenig
dienen will, und seine Gründung erscheint in jeder Beziehung als eine aufser-
ordentlich kühne That Zusammen mit der Nehrung, die das Wasser der Bai
von dem offenen Meere abdämmt und die einen natürlichen Wogenbrecher
bildet, hat es jeden ersten Anprall irgendwelcher höheren Flut über sich er-
gehen zu lassen, während die jenseits der Bai gelegenen Punkte in einem
beträchtlichen Mafse durch die Nehrung geschützt werden und nur die ab-
geschwächte Gewalt der Wogen zu empfinden haben. Überdies liegt. Gal-
veston nahe an dem Nordostende seiner Insel, weil sich dort die Haupt-
einfahrt in die Bai uud das tiefste Fahrwasser befindet, und erfahrungsgemäfs
wendet sich die Wucht der zerstörenden Wogen entlang der ganzen texanisehen
Küste immer vorwiegend gegen die Nordenden der Nehrungen und Nehrungs-
inselu — in augenscheinlichem Zusammenhange mit dem Drehungsgesetze der
Winde — , und die sämtlichen „Pässe" der texanisehen Lagunen sind infolge-
dessen in einem beständigen Vorrücken gegen Süden begriffen. Bei dem
A ran sas- Passe, der Einfahrt in die Corpus-Cristi-Bai, betrug dieses Südwärts-
rückeu seiner Zeit im Jahresdurchschnitte 78 m, und bei Galveston hat es
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46
Emil Meckert:
eines starken künstlichen Bollwerkes bedurft, um zu verhüten, dafs den Be-
wohnern des Nordteiles der Stadt der Boden unter ihren Fölsen weggcwaschen
wurde. Die einfache Thatsache des Vorhandenseins einer tieferen Rinne in
dem Galveston nächstbenachbarten Teile der Bai bekundet übrigens an und
für sich, dafs die Meereserosion an der fraglichen Stelle besonders rasch uml
stark vorwärts schreitet. Da der Abflufs der Bai infolge der Süfswasser-
zufuhr durch die einmündenden Ströme (Trinity und Jacinto) ein gering-
fügiger und auch der normale Gezeitenwechsel ein sehr schwacher ist (0,3 in ).
so sind es einzig und allein die Sturmfluten, die die Erosion bewirken
und die Rinne tief sowie den Pafs offen halten. Die heftigen Stürme aus
Ost und Südost stauen das Wasser in der Bai hoch auf, der den Südost-
stürraen fast ausnahmslos folgende Nordwest (Norther) treibt es aber alsbald
durch den Pafs wieder hinaus, und solchergestalt vollzieht sich die Aus-
räumung und Südwärtsverschiebung des Passes sowie des öfteren zugleich
auch eine gründliche Umgestaltung der vor dem Passe liegenden Sandbarre.
Sturmfluten haben die Bürger Galvestons demgemäfs bereits in grofser
Zahl erlebt, und eine Flut von mäfsigerem Umfange oder deren mehrere hat
ihnen beinahe jeder Spätsommer oder Herbst gebracht, bedrohliche Fluten,
die sämtliche Strafsen der Stadt unter Wasser setzten, aber vor allem die
Jahre 1867, 1875, 1880, 1886, 1891 und 1897. Der dadurch augerichtete
Schaden bezifferte sich indes auch in den schlimmsten Fällen nur auf etwa
150 000 Dollars, und der Verlust von einer beträchtlicheren Zahl Menschen-
leben war nur im Jahre 1897 zu beklagen. Wie Seeleute auf einem guten
Schiff, so wiegten sich die Galvestoner auf diese Weise bei dem heranbrau-
senden Sturme mehr und mehr in dem Gefühle vollkommener Sicherheit, sie
gewöhnten sich daran, eine Art amphibischer Existenz bei ihrem Gemeinwesen
als etwas Selbstverständliches zu betrachten, und bei dem Gedanken an
Indianola trösteten sie sich damit, dafs gerade die freiere und exponiertere
Lage ihrer Stadt gegenüber der Sturmflut einen unschätzbaren Vorteil inso-
fern biete, als dadurch eine so hohe Anstauung des Wassers, wie sie in den
inneren Winkeln der Lagunen stattfindet, unmöglich gemacht werde.
Wie trügerisch diese Rechnung war, haben die traurigen Erfahrungen
der letzten Tage gezeigt. Ganz wie es die Regel für die texanischen Sturm-
fluten ist, wehte gegen das Ende der ersten Septemberwoche anhaltender
und starker Nordoststurm in der Gegend, und derselbe trieb grofse Wasser-
massen durch den Galveston -Pafs, um sie besonders in dem südwestlichen
Teile der Galveston-Bai — an der sogenannten West-Bai — zu beträchtlicher
Höhe aufzustauen, dergestalt dafs die untere Stadt in der üblichen Weise über-
flutet wurde. Am Mittag des 8. September 1900 schlug der Sturm aber gegen
Südost um, und alsbald steigerte er sich zu einem der furchtbarsten Orkane,
die die texanische Küste gesehen hat. Die Wogen wälzten sich nun quer
über die ganze Nehrungsinsel in die West-Bai, und Galveston gewährte das
Bild einer Stadt, die mitten in die rasende See hinein gebaut ist, und in
deren Strafsen Rofs und Mann hilflos ertrinken. Die angerichtete Verwüstung
war eine unbeschreibliche, und die Katastrophe, die über die Stadt herein-
brach, stand an Furchtbarkeit sicherlich nicht hinter derjenigen von India-
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Galreston und seine Sturmflut. 47
nola zurück, ganz abgesehen davon, dafs es sich in Galveston bei der Ver-
nichtung von Menschenleben und Reichtümern um viel gewaltigere Zahlen
handelt. Während die voraufgegangenen Sturmfluten immer nur ungefähr
um einen Meter über die normale Flut gestiegen waren, so stieg die in Frage
stehende letzte Flut mindestens an die drei Meter darüber. Der Nordwest
aber, der in anderen Fallen die Fluten zurücktrieb, bevor sie einen so phä-
nomenalen Hochstand erreichten, blieb in dem gegebenen Falle aus, und auf
diese Weise war die Flut auch zugleich eine ungewöhnlich lange andauernde.
Die Sturrageschwindigkeit betrug, so lange sie von den Instrumenten
der Galvestoner Wetterwarte gemessen werden konnte, 135 km in der Stunde,
nachdem die Instrumente von dem Orkane zerstört waren, erhöhte sie sich
aber noch, und es wäre wohl möglich, dafs sie zeitweise das Mafs von 160 km
in der Stunde erreicht hätte.
Natürlich kann eine so verhängnisvolle Verknüpfung der Umstände wie
die geschilderte in jedem der kommenden Jahre wieder eintreten, und weil
sich viele von denen, die die Schreckenstage überlebt haben, dies sagen, so
haben sie sich alsbald von der Unglücksstätte weggewandt, um nicht wieder
nach ihr zurückzukehren. Und eine gute Zahl derjenigen, die die Katastrophe
aus der Ferne beurteilen, hat gemeint, dieselbe werde für Galveston das Ende
der Tage bedeuten, genau ebenso wie die von 188(5 für Indianola.
In vielfacher Hinsicht liegen die Verhältnisse aber doch bei Galveston
anders als bei der untergegangenen Schwesterstadt, und in der Mehrzahl der
Galvestoner Bürger wohnt im Zusammenhange damit zu viel von der be-
kannten amerikanischen Energie und Zähigkeit, als dafs sie den einmal auf-
genommenen Kampf nach der einen schweren Niederlage ohne weiteres auf-
geben sollten. Noch ehe die Fluten sich völlig verlaufen hatten und noch
ehe das Heer der Toten begraben war, haben sie dies in einem Meeting, das
sie abgehalten haben, einmütig kundgegeben, und wir hegen keinen Zweifel,
dafs sie den dabei gesprochenen mutigen Worten durch Thaten Nachdruck
geben werden. Die Stadt hat also alle Aussicht, neu aus ihren Ruinen zu
erstehen und ihre Mission als texanischer Haupthafen weiter zu erfüllen,
wenn auch zuvörderst mit erheblich verminderter Volkszahl.
In der bisherigen Entwickelungsgeschichte des „amerikanischen Venedig*'
hat sich die Thatkraft seiner Bürger bereits glänzend genug bewährt, und
das dadurch Erzielte und Geschaffene verdient offenbar nicht blofs höhere
Bewunderung, sondern auch nachdrücklichere Wahrung und Verteidigung als
bei Indianola.
Wie bei allen anderen texanischen Küstenlagunen, so genügte auch bei
der von Galveston die natürliche Einfahrt den Ansprüchen des modernen
Hochseeverkehrs in keiner Weise. Der etwa 2,5 km breite eigentliche Pafs
zwischen der Bolivar-Nehrung und der Galveston-Insel besafs zwar durch die
Sturmflut Wirkung eine beträchtliche Tiefe (10 bis 14 m) und ebenso auch
die unmittelbar an die Stadt anstofsende Gegend der Bai (9 ra). Die see-
wärts von dem Passe gelegene Barre hatte aber ursprünglich an der günstig-
sten Stelle nur 3,6 m Wasser über sich, und so waren nur kleinere See-
schiffe im Stande sie zu passieren, um unter den Mauern der Stadt die an-
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48 Emil Deckert: Galveston nnd seine Sturmflut.
gedeutete zweifelhafte Sicherheit beim Ein- und Ausladen zu finden. Dazu
war die Barre vor dem Galveston-Passe sehr viel breiter und mächtiger als
vor dem Aransas-Passe (der Einfahrt in die Corpus-Cristi-Bai) und vor dem
Cavallo-Pasäe (der Einfahrt in die Matagorda-Bai).
Da rasteten und ruhten die Galvestoner aber nicht, bis die Zentral -
regierung zu Washington unter Aufwendung von 7 Millionen Dollars zu dem
Baue von zwei gewaltigen Seedäramen („Jetties") schritt, die die zurück-
gehende Sturmflut zwingen sollen, auch durch die breite Barre eine 9 m tiefe
Durchfahrt auszugraben und offen zu erhalten. Zur Zeit sind diese Dämme,
von denen der südliche volle 9 km, der nördliche aber wenigstens über 6 km
lang ist, so gut wie fertig gestellt, und die Anlage hat sich so vorzüglich
bewährt, dafs es seit dem Jahre 1898 Schiffen von bedeutendem Tiefgange
(von reichlich 7 m) möglich war, in den Hafen einzulaufen.
Eine weitere Schwierigkeit für die Entwicklung der Inselstadt bestand
darin, dafs ihre Verbindungen mit dem Festlande naturgemäfs sehr schwer-
fällige und langsame waren. Um diesem Übelstande abzuhelfen, wurden
zwei über 3 km lange Riesenbrücken quer über die seichte West-Bai gelegt,
von ähnlicher Art, wie man sie von der italienischen Lagunenstadt kennt,
und dadurch wurde Galveston der Endpunkt von vier wichtigen Eisenbahn-
linien.
Endlich fehlte es auf der niedrigen Sandinsel an jedem Trink- und
Nutzwasser. Da schlug man auf der Insel ebensowie auf dem Festlande an
die 1000 m tiefe Bohrlöcher in den Grund und beschaffte sich einen reichen
Vorrat an artesischem Wasser, den man der Stadt durch lange Röhren-
leitungen zuführte.
Von anderen Einrichtungen, die sich die Bewohner Galvestons in der
Wüstenei zwischen den beiden Wasserflächen schufen, und auch davon, dafs
sie diese Wüstenei streckenweise in eine halbtropische Gartenlandschaft mit
stattlichen Oleander-, Magnolien- und Feigenbäumen umwandelten, dürfen
wir au dieser Stelle als von blofsen Nebensachen und Zugaben schweigen,
und gerade mit diesen Nebensachen hat ja auch die letzte Sturmflut auf das
gründlichste aufgeräumt.
Die Hauptsachen — - die bezeichneten grofsen Verkehrsanlagen — be-
stehen aber, und durch diese ist ein ausgedehntes, reiches Land und sind
mannigfaltige überseeische Handelsbeziehungen auf Galveston hingewiesen
und an dasselbe gefesselt, so dafs sie sich nicht gut davon loslösen können.
Hatte sich doch Galveston zum bedeutendsten Baumwollenausfuhrhafen nächst
New Orleans emporgeschwungen, durch seine Ausfuhrziffer — im Jahre 1895
1,4 Mill. Ballen — Baltimore, Charleston, Savannah u. s. w. weit in den
Schatten stellend, und waren doch seine Anstrengungen, sich nebenher zu
einem hervorragenden Brotstoffausfuhrhafen zu erheben, zuletzt auch von
gutem Erfolge begleitet. Irgend einen Ausgangspunkt für seinen Welthandel
mufs ein Land wie Texas haben, das ist klar, und da vor Sturmflutkata-
strophen, abgesehen von dem weit abseits gelegenen Corpus Cristi, kein ein-
ziger sicher ist, so wird dir zentrale Lage Galvestons an der Küste im
Verein mit dem einmal vorhandenen Verkehrsapparate das mafsgebeud»* Moment
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(ieographische Neuigkeiten.
49
sein müssen bei der Entscheidung über die Zukunft der Stadt. Die Bäume
und Gärten werden demgemäfs voraussichtlich wieder gepflanzt, und die
Häuser und Brücken werden wieder aufgebaut werden.
Freilich werden aber die Techniker, denen das Rekonstruktionswerk ob-
liegt, nach den harten Erfahrungen, die während der letzten Sturmflut ge-
sammelt worden sind, sorgsam darauf denken müssen, alle Bauten der Stadt
in einer Weise zu fundieren, dafs sie nicht blofs einem ähnlichen, sondern
allenfalls auch einem noch stärkeren Anstürme der Wogen Trotz zu bieten
vermögen.
Wollte man mit Rücksicht auf die Gefährlichkeit seiner Lage künftighin
ohne Galveston auszukommen suchen und die Stadt gänzlich aufgeben, wie
seiner Zeit Indianola, so würde sich als einzige Auskunft die bieten: künst-
lich eine tiefe Zufahrt für gröfsere Seeschiffe durch die Galveston - Einfahrt
und die Galveston-Bai und weiter bis Houston zu bahnen. Das würde aber
ohne Zweifel noch viel gewaltigere technische und finanzielle Anstrengungen
nötig machen, als die berührte Sicherung der Stadt an der Stelle, wo sie
nun einmal steht und wo sie in dem Verlaufe von einer kurzen Zeitspanne
zu einer recht ansehnlichen Bedeutung gelangt ist, wenn auch nicht gerade
zu der Bedeutung einer Königin der Meere, wie vor Jahrhunderten das alt-
weltliche Venedig.
Im Jahre 1860, zwei Jahrzehnte nach seiner Gründung, hatte Galveston
7300 Einwohner, 1870 war die Zahl auf 15000 gewachsen, 1880 auf 23000,
1890 auf 29000 und 1900 auf 37 789. Seine Entwickelung ist also eine
sehr stetige gewesen, keineswegs aber eine aufserordentliche, und wenn man
aus der Bevölkerungszunahme während des letzten Jahrzehntes seine Schlüsse
zieht, so könnte man geneigt sein zu behaupten, dafs die in dieser Zeit be-
wirkte künstliche Vertiefung der Galveston-Einfahrt mehr der binnenwärts
gelegenen Stadt Houston (mit einer Bevölkerungszunahme von 61,97 Prozent)
als Galveston (mit nur 29,93 Prozent Zunahme) zu gute gekommen ist.
Geographische Nettigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitzau.
Allgemeines.
* Auf Grund eingehender Beobachtungen
and Messungen „über den Einflufs der
Pflanzendecken auf die Wasser-
führung der Flüsse" kommt Wollny
(Meteor. Ztschr. 1900. 11. Heft) zu fol-
genden Ergebnissen:
1. Von den mit Pflanzen bedeckten
Flächen erhalten die Wasserläufe ins-
gesamt eine geringere Wassermenge zu-
geführt, alB von kahlen oder mit einer
schwachen Vegetationsdecke versehenen
unter sonst gleichen Verhältnissen. Die
Ursache hiervon ist darin zu suchen, dafs
der Boden unter den Gewächsen das Ver-
mögen besitzt, gröfsere Quantitäten von
Wasser aufzuspeichern, und dafs derselbe
durch die aurseronientlich starke Tran-
spiration der Pflanzen während der Vege-
tationszeit bedeutend mehr Wasser ver-
liert als der kahle.
2. Die lebenden Pflanzen verzögern
sowohl die ober- als auch die unterirdische
Wasserableitung in mehr oder minderem
Grade, weil sie mit ihren ober- und
unterirdischen Organen dem auffallenden
und absickernden Wasser entsprechende
Geographische ZeiUchrift. 7. Jahrgang 1901. 1. Heft.
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Geographische Neuigkeit en.
Hindernisse entgegensetzen, im Vergleich
zu dem nackten Lande, in welchem wegen
Fehlens der Wurzeln die Geschwindigkeit
der abgeführten WasBermassen eine un-
gleich gröfsere ist. Die Vegetation hat
sonach die Bedeutung, dafs öie eine gleich-
mütigere Zufuhr des Wassers zu den
Flüssen bewirkt.
3. Die Abschwenimung von Erde oder
Gesteinsschutt auf abhängigem Terrain
wird durch die verschiedenen Pflanzen-
formen in einem meist aufserordentlichen
Grade herabgedrückt , hauptsächlich aus
dem Grunde, weil dieselben vermöge ihres
Wurzelgeflechtes die Bodenelemente zu
einer zusammenhängenden, den mechani-
schen Einwirkungen des Wassers gegen-
über widerstandsfähigen Masse vereinigen
und aufserdem den Wasserablauf verlang-
samen. Deshalb werden vom bepflanzten
Boden beträchtlich geringere Mengen
von Erde und Schutt abgeführt als vom
kahlen oder mit einer ärmlichen Vege-
tationsdecke versehenen.
* Der jährliche Gang der Luft-
und Bodentemperatur im Freien
und in Waldungen und der Wärme-
Austausch im Erdboden ist von
J. Schubert l) auf Grund der Beobach-
tungen an IG forstlich - meteorologischen
Doppelstationen festgestellt worden, die
Mitte der 70er Jahre in Preufsen, Braun-
schweig und Elsafs - Lothringen zwecks
Erforschung der klimatischen Verschieden-
heiten des Waldinnern und freien Feldes
eingerichtet wurden. Eine ganze Reihe
von Untersuchungen, an denen sich Schu-
bert in hervorragender Weise beteiligt
hat, sind bereits im Laufe der Jahre aus
dem vortrefflichen Material jener Statio-
nen herausgearbeitet worden, jedoch ist
hier zum ersten Mal auf den Unterschied
der Boden temperatur im Freiland und
Wald gründlicher eingegangen Ohne die
Einzelheiten der Abhandlung, insbesondere
die wertvollen methodologischen Ausein-
andersetzungen näher zu berühren, mögen
hier nur die wesentlichsten Resultate her-
vorgehoben werden. Sch. behandelt zu-
nächst die Temperatur der Luft und die
des Bodens in 60 und 120 cm Tiefe auf
den Feldstationen als Funktion der geo-
graphischen Breite und Länge und der
1) Schubert, J. , I >er jährl iche Gang etc.
Berlin, Julius Springer 1900. 8°. 53 S
Seehöhe. Im Sommer ist die Zunahme
der Temperatur von West nach Ost im
Boden etwas gröfser als in der Luft, im
Winter ist die Abnahme der Temperatur
aber erheblich geringer im Boden (von
Dezember bi» Februar betragt die Ab-
nahme der Temperatur auf einen Längen-
grad in der Luft 0,27, in CO cm Tiefe 0.15°
und in 120 cm nur 0,12* C.j. Die letztere
Erscheinung wird auf die gröfsere Wir-
kung einer länger dauernden Schneedecke
im Daten zurückzuführen sein, da sie den
Boden vor Ausstrahlung schützt, aber die
Luft über sich stark erkalten läfst. Ebenso
erklärt sich zum gröfsten Teil aus der
Wirkung der Schneedecke der mit der
Seehöhe wachsende Wärmeüberschufs des
Bodens gegenüber der Luft (im Jahres-
mittel ist der Boden in 60 cm Tiefe in
der Seehöhe von Om, 500 m und 1000 m
bezw. 0,75°, 1,40° und 2,05° wärmer als
die Luft;. Dieser Temperaturüberschufs
beschränkt sich aber in der Jahresperiode
auf die Zeit von September bis März, im
Sommer ist der Boden kühler als die Luft.
— Weiterhin werden die viel besproche-
nen Unterschiede der Temperaturen im
Waldbestande und freien Felde erörtert.
Nach einer sorgfältigen Ermittelung und
Ausmerzung der Fehlerquellen führt die
Diskussion der Beobachtungeu zu folgen-
den wertvollen Ergebnissen: Im ganzen
Sommerhalbjahr und darüber hinaus ist
der Waldboden kühler als der frei gele-
gene. Der Betrag der Abkühlung steigt
in 60 bis 120 cm Tiefe bei Kiefern auf
2,7°, bei Fichten auf 3,0° und bei Buchen
auf 3,2" im Monatsmittel. In den Winter-
monaten ist der Waldboden nur ein wenig
wärmer als der freie, im Jahresmittel
überwiegt daher das im Sommer geltende
Verhalten. Die Lufttemperatur zeigt die-
selben Unterschiede zwischen Wald und
Feld, aber erheblich abgeschwächt. Im
Juli ist die Waldluft unter Kiefern 0,2".
unter Fichten 0,3° und unter Buchen 0,5°
kühler, im Januar ist sie bezw. um 0,1°,
0,3° und 0,2° wärmer als die Freilandluft.
Die Ermärsigung der jährlichen Tempe-
raturschwankung im Walde beträgt für
den Boden etwa 2,5U, für die Luft 0,5°.
Der Einthals des Waldes auf die Wärme-
verhältnisse macht sich also vornehmlich
in den tieferen Bodenschichten geltend,
während er in der Atmosphäre viel ge-
ringer ist. als man gewöhnlich annimmt.
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G eographische Neuigkeiten.
51
- Im zweiten Teil der Abhandlung sucht
?ch. die Wärmebewegung im Boden zu be-
stimmen. Kr berechnet nach einer metho-
dologischen Einleitung die Warmemengen,
die im Laufe des Jahres im Freiland- und
Waldboden zwischen der Oberfläche und
den tieferen Schichten ausgetauscht wer-
den, und setzt dazu die jährliche und täg-
liche Periode der Bodentemperaturen und
ihre mit der Tiefe zunehmende Phasen-
verschiebung in Verbindung. Wegen der
Einzelheiten, die besonders von theore-
tischem Interesse sind, mufs auf das Ori-
ginal verwiesen werden.
W. Meinardus.
Europa.
* Die dritte von G. Hellmann bear-
beiteteRegenkartedesKönigreithH
Prenfsen bringt die N iedcrschlags-
höhe der Periode 1890 — 1899 in den
Provinzen Westpreufsen und Posen zur
Darstellung. Am niederschlagreichsten
i Jahresmenge 700—800 mm) erweisen sich
das Plateau von Pomereilen und die
Elbinger Höhe, jenes nordwestlich und
iu der Nähe von Karthaus, dieses in den
Trunzer Bergen kulminierend. Dergröfste
Teil der beiden Provinzen gehört der
Niederschlagsstufe 650 — 600 mm an. Der
Text vermittelt eine Übersicht über die
Zugehörigkeit der Provinzareale zu den
in der Karte verwendeten Niedersehl ags-
«tufen.
Stufe ArcaUngehöriRkelt in %.
in mm. Weitpreufcen. Po.«n.
450—500 mm 27.0 40.6
600—550 „ 84.5 43.5
550—600 „ 22.8 15.8
600— 660 ,, 12.9 o.l
650—700 „ 2.4
700—800 „ 0.4 —
Unschwer erkennt man, dafs die Haupt-
masse beider Provinzen der zweiten Regen-
stufe angehört. So befindet sich denn
auch die mittlere Niederschlagshöhe inner-
halb derselben. Sie beträgt für Posen
513 und für Westpreufsen 541 mm.
Für Ostpreufsen betrug dieselbe 600, für
Schlesien 680 mm. Vorstehende Tabelle
und die Karte lassen erkennen, dafs den
Provinzen ein ganz exzessives Trockengebiet
eigentümlich ist, das räumlich von keinem
anderen innerhalb des norddeutschen
Flachlandes übertroffen wird. Es breitet
«ich, nur wenig unterbrochen, über mittlere
Warthe, obere Netze und das Weichselknie
bis hart an das Weichseldelta aus. Nord-
westlich von Strasburg in Westpreufsen
geht die Jahresmenge des Niederschlages
sogar noch unter 450 mm etwas hinab.
— Während in Ostpreufsen die nassen
Jahre der Zahl nach vorherrschten, waren
nach den bisherigen Ergebnissen in
Westpreufsen und Posen die trockenen
Jahre in der Mehrzahl. Die Schwankungen
in der Menge sind recht bedeutend. Die
äufsersten Grenzen bei Stationen mit
45 jähriger Beobachtungszeit bildeten
281 mm (1857) und 794 mm (1882) Beide
Extreme traten in Könitz in Erscheinung.
— Bei 11 Stationen mit 16- -62 jähriger
Beobachtungszeit sind die monatlichen
Niederschlagsraittel in Prozenten der
mittleren Jahresraenge angegeben, wodurch
es möglich wird, die auf die einzelnen
Monate entfallenden mittleren Betrüge
auch für Nachbarstationen mit hin-
reichender Genauigkeit zu berechnen.
Wie in Ostpreufsen ist auch in West-
preufsen und Posen der trockenste Monat
der Februar mit 4 — 5 Prozenten und der
regenreichste der Juli mit 12l/t— 16 Pro-
zenten der mittleren Juhresmenge.
Die gröfste absolute Monatsmenge
hatte in Posen die Station Bromberg mit
206 mm im Juli 1888, in Westpreufsen
Schönberg mit 272 mm im Juli 1855 auf-
zuweisen.
Die der Karte weiterhin beigegebenen
Tabellen bringen Ausführliches über die
Details des behandelten Elementes und
geben einen Überblick sowohl über die
gröfsten bisher beobachteten Tagesmengen
als auch über 134 Regenfälle von kurzer
Dauer. In dem der Karte zu Grunde
liegenden zehnjährigen Zeitraum hatte
in Posen Koschinin , in Westpreufsen
Wildgarten im Kreise Tuchel den er-
heblichsten Niederschlag. Am erst-
genannten Orte wurden am 30. Juli 1897
107,8, in Wiidgarten am 2. August 1896
154 mm gemessen. Von letzteren fielen
in der Zeit von nicht ganz 1% Stunden
nicht weniger als 134 mm.
Wie bis jetzt überall, so hat sich auch bei
den Niederschlägen der beiden Provinzen
herausgestellt, dafs die Intensität des
Regenfalles mit der Dauer abnimmt und
dafs demgemäfs für alle einschlägigen
Kragen der Landwirtschaft, der Melioration,
des Ingenieurwesens, der Ent- und Be-
1*
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52
Geographische Neuigkeiten.
Wasserung die Reduktion der Nieder-
schläge auf die Stunde als Einheit zu
verwerfen und nur die Reduktion auf
die Minute zu gestatten ist.
K i e n a s t.
* Ober die „seich es4' im Vierwal d-
stätter See liegt ein Bericht von Sarasin
vor, welcher etwa 1 '/, Jahre unifafst. Von
Juli bis Dezember 18i)7 war sein Limno-
graph in Luzern aufgestellt, von Anfang
Mai 1808 bis Ende Mai lstu» in Flüelen
In Luzern waren die Resultate wohl wegen
der Unregclniäfsigkeit des Sees von den
beiden Nasen bis dahin ziemlich unregel-
mäßig. Die gröfste uninodale Periode
hatte im Durchschnitt eine Schwingungs-
dauer von 447, Minuten, die binodalen
Schwingungen dauerten durchschnittlich
24,4 Minuten. Daneben traten noch
Schwingungskurven von kürzerer Dauer,
im Mittel von 11 Minuten auf, dcreu Ur-
sprung noch unaufgeklärt ist. Die Gröfse
der Schwankungen des Seespiegels be-
trägt meist nur wenige Millimeter bis
2 Centimeter, steigt aber unter besonderen
Umständen auf 1<>—12 Centimeter. Sehr
regelmäfsig zeigten sich die seiches an
der zweiten Beobachtungsstelle, die uni-
nodalen mit einer Dauer von 41V, Min.,
also nahezu der gleichen wie von Luzern
aus beobachtet wurde. Es verhält sich
also das Seebeckeu trotz Heiner kompli-
zierten Form wie ein langer gebogener
Kanal, der trotz der Biegung in Brunnen
und bei den Nasen ohne Abteilungen
schwingt; ein sehr interessantes und
ziemlich unerwartetes Resultat. Die Dauer
von 44 Minuten stimmt mit den theore-
tisch berechneten gut überein. Augen-
blicklich ist der Limnograph bei Schib-
beren unweit der Vitznauer Nase auf-
gestellt. W. H.
* Bahnen auf der Balkanbalb-
insel. Die österreichische und die unga-
rische Regierung haben im Principe den
Bau folgender Eisenbahnen beschlossen:
Die Verbindung des bosnischen Eisen-
bahnnetzes mit der Strecke Salonichi—
Mitrowitza und zwar von Sarajewo über
Gorazda an der oberen Drina durch das
Limgebiet oder Sandschak Novi-
pazar mit einer Abzweigung über Wisse-
grad an die serbische Grenze bei
l'rac, die Umgestaltung der Bosnathal-
bahn in eine normalspurige Bahn mit
einer Seitenlinie von Doboj nach Samac
an der Save, durch welche Budapest eine
kürzere Verbindung mit Bosnien erhalten
wird, und endlich die Verbindung Dal-
matiens mit seinem natürlichen Hinter-
lande durch die Bahn Spalato- Arz a no
- Buzojno im Anschlüsse an Sarajewo:
Diese Strecke wird als schmalspurige
Hochgebirgsbahn über die Karstflächen
der dinarischen Alpen geführt werden.
Die 150 km lange Strecke Mitrowitza —
Sarajewo wird eine internationale Be-
deutung erlangen, sie wird Mitteleuropa
mit Salonichi, da« das ägäische Meer
beherrscht, verbinden. Lokale Bedeutung
wird dieselbe nicht haben, denn da*
Limgebiet ist dünn bevölkert und in
wirtschaftlicher Beziehung ganz unbe-
deutend. Die technischen Schwierigkeiten
werden sehr grofs sein, da über 1000 m
hohe Karstflächen erstiegen werden müssen.
Bezüglich der Ausführung liegeu drei
Möglichkeiten vor : Von Gorazda ent-
weder in einem weiten Bogen im Drina-
thale bis Foca und dann im Thale der
Cechotina in das Limgebiet oder im
Drinathale abwärts bis zur Einmündung
des Lim und dann in demselben auf-
wärt«; die kürzeste, strategisch wichtig-
ste Strecke würde über Kajnita geführt
werden können, sie würde aber die gröfsten
Terrainschwierigkeiten zu bewältigen
haben, da der 1245 m hohe Metalkasattel
erklommen werden müfste. Öster-
reichischerseits wünscht man die baldige
Inangriffnahme der alten Projekte:
(Spalato) — Kuin — Unathal (Bihae) — Novi,
durch welche Strecke Wien mit Dal-
niatien auf dem kürzesten Wege ver-
bunden werden würde; dann die Aus-
führung des Mittelstückes B a n j a 1 u k a —
Jajce. welche Strecke schon in den
60 er Jahren nach Salonichi geplant war.
Die Entfernung von Wien über Banjaluka
nach Salonichi würde 640 km betragen,
wogegen derzeit die Fahrt über Budapest
876 km betragen wird. — Die romanische
Regierung hat den Bau der Timokthal-
bahn beschlossen, durch welche das
nimänische Eisenbahnnetz mit Nisch ver-
bunden werden wird. A. R.
* Rückgang des Bergbaues im
Ural. Nach den Berichten russischer
Fachzeitschriften ist im Ural allgemein
ein Stillstand, wenn nicht ein Rückgang
in der Erzproduktion zu verzeichnen.
Nur in der Eisenproduktion ist in den
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Geographische Neuigkeiten.
53
letzten zehn Jahren ein merklicher Fort-
schritt erzielt worden. Die Produktion
ist nämlich um 60% gestiegen. In der
Kupferproduktion ist hingegen eine merk-
liche Abnahme zu verzeichnen. Die
Goldgewinnung hat einen Stillstand er-
fahren, was um so hemerkenswerter ist,
als die Goldproduktion der Welt in dem
verflossenen Jahrzehnte um 16,3% ge-
stiegen ist. Auch die Produktion eines
Weltverbraucbsartikels, des Platins, zeigt
nur eine »ehr langsame Steigung. Gegen
das Jahr 1*90 hat die Platingewinnung
allerdings eine fast 60 % hohe Zunahme
erfahren, aber gegenüber dem Vorjahre
Mrug sie nur 0,80%! Auch die Pro-
duktion an Salz und Steinkohle ist sich
fast gleich geblieben und hat nur in den
letzten Jahren etwas zugenommen. Die
Ursachen dieser eigenartigen Erscheinung
liegen in dem Übelstande, dafs fast alle
Hüttenbetriebe mangels an Kohle und
Naphtha mit Holz heizen müssen. Die
Zufuhr der erwähnten Heizmateriale ist
mit Rücksicht auf die geringe Zahl von
Hahnen im Ural mit grofsen Schwierig-
keiten verbunden. Nicht in letzter Linie
wird auch der Mangel an Arbeitern,
welcher sich in Kufsland aus wirtschaft-
lichen Gründen fast überall bemerkbar
macht, schuldtragend sein. A. R.
Asien.
* Wachstum der Petroleum-
industrie im Kaus a su 8. Die in Kilasy
— 68 km nördlich von Baku — angestellten
Probebob mngen ergaben das Vorhanden-
sein von Naphtha in einer Tiefe von 264.6m.
l»as Lager befindet sich in der nächsten
Nähe der Baku-Petrowsker Bahn. Die
Rohprodukte ergaben einen Petroleum-
Gehalt von fast 58%, der vollständig frei
von Paraffin ist. Somit dürfte Kilasv
eiu wichtiges Zentrum der kaukasischen
Petroleumindustrie werden. — Einen be-
deutenden Fortschritt bildet die im Laufe
liieses Sommers dem Betriebe übergebene
Petroleumleitung von Michailowo-
Hatum an der Bahn Baku-Poti, welche
notwendig wurde, da die Industriebahnen
fast alljährlich überschwemmt wurden. —
Die vor drei Jahren begonnenen Probe-
bohrungen im Gebiete des Embaflnsses,
im südöstlichen Gebiete von Uralsk j
haben durchweg Anzeichen von Erdöl
gegeben, so dafs diesem Gebiete als Krdöl-
terrain vielleicht eine grofse Zukunft be-
vorsteht, umsomehr, als die Lage — der
Emba mündet in das Kaspischc Meer —
für den Transport aufserordentlich günstig
ist. Der Hafen Grujew, der dann als
Ausfuhrhafen für Erdöl in Betracht käme,
ist sehr nahe der Wolgamündung ge-
legen und somit mit ganz Rufsland günstig
verbunden. A. R.
* Um seinen Einflufs in Persieu
immer mehr auszudehuen, will Rufsland
neuerdings dort Eisenbahnen bauen, wobei
zunächst eine direkte Verbindung Moskau-
Teheran in Betracht kommt. Der Handel,
welcher bisher über das kaspische Meer
geleitet wurde, wird bald die Eisenbahn
von Kars, welche letztes Jahr eröffnet
wurde, zu seiner Verfügung haben. Die
Eisenbahn Tiflis- Alexandropol - Kars wird
bald nach Djulfa an der persischen
Grenze über Eriwan und Nahitachevanj
im Arad-Thal fortgesetzt werden. Die
Linie ist schon bis Eriwan beendet und
man rechnet darauf, dafs die Strecke im
Jahr 1903 dem Betrieb übergeben wer-
den kann. Es wird danu möglich sein,
von Moskau innerhalb fünf Tagen die
persische Grenze zu erreichen, und ein
Umladen der Waren ist dann bis dorthin
nicht mehr nötig. — Von Djulfa aus
haben zwei nissische Expeditionen eine
Tracc erkundet, welche Persien durch-
schneidet, um Diarbekr in der Türkei zu
erreichen. Von dem genannten Ort soll
sich dann die Eisenbahn wieder nach
Norden wenden, um über Erzerum führend
in Batum zu enden. Andererseits wurde
eine Verlängerung der transkaukasischen
Bahn als Umgehung des k ispischen Meeres
im Süden zur Verbindung mit der mittel-
asiatischen Bahn geplant. (Le Mouvement
geographique.) K ü.
* Zur Erforschung der chinesischen
Provinzen Tschili, Honan, Schansi,
Kansu, Szetschuan und der Gebiete
am Kuku-Nor hatte der König der
Belgier im Jahre 189'.» eine Mission unter
dem Oberst Five ausgesandt, die Mitte
Dezember l'JOO wieder in Lüttich ein-
getroffen ist. Im Interesse der Verwaltung
des Kongostaates sollte besonders der
Handel und die Industrie der genannten
Provinzen erforscht werden, t^ber den
Verlauf der Expedition äufsert sieb Five
folgendermafsen : Ausgerüstet mit Em-
pfehlungsschreiben Lihungtschang's an
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54
Geographische Neuigkeiten.
die Vicekönige brach die aus fünf Mit- 1
gliedern bestehende Expedition im No- 1
vember 1899 von Tientsin auf und bereiste I
ohne Unfall die Provinzen Tschili, Honan,
Schansi und Hanau. Dann teilte eich die
Expedition ; die Ingenieure Henrard und
Lcdent übernahmen die Erforschung von
Süd-Kansu und Nord-Szetsehuan, während
Five mit dem Dolmetscher Splingard, der
seit 34 Jahren in China ansässig ist und
die Mandarinenwürde besitzt, und dessen
Sohn die Gebiete am Kuku-Nor erforschte,
worauf sich die ganze Expedition in der
Hauptstadt der Prov. KanBti wiederver-
einigte. Die Rückreise der Expedition
gestaltete sich wegen des unterdessen
ausgebrochenen Boxeraufstandes etwas
schwierig. Da der Weg nach der Küste
von den Boxern versperrt war, mufste
man, um dem Ersuchen des Vicekönigs
von Kansu, Lantschou sobald als möglich
zu verlassen.naehzukommen,sich nordwärt»
wenden und durch die Wüste Gobi Urga
zu erreichen suchen. Am 8. September 1 900
erfolgte die Abreise von Lantschou und An-
fang Oktober, nach mannigfachen Kämpfen
mit den fremdenfeindlichen Eingeborenen
und Irrfahrten in der Wüste Gobi, wurde
Urga erreicht. Von hier ging es dann
weiter über Kiachta nach Irkutsk am
Baikal-See, wo die Transsibirische Bahn
erreicht und die Eisenbahnfahrt nach
Petersburg angetreten wurde.
Afrika.
* Prof. Dr. Th. Fischer in Marburg
beabsichtigt Anfang 1901 eine dritte Re i se
nach Marokko, diesmal auf Kosten und
im Auftrag der Hamburger Geogra-
phischen Gesellschaft, anzutreten.
Prof. Fischer, welcher auf seiner letzten
Reise im Jahre 1899 vornehmlich die Er-
forschung des Stromlaufes des Tensift,
des Um-er-Rbia und des Wadi Bcht aus-
geführt hat und sein reiches Material zur
Geographie des marokkanischen Atlas-
Vorlandes demnächst als Ergänzungsheft
zu Petermann's Geographischen Mittei-
lungen veröffentlichen wird, beabsichtigt
auf dieser dritten und letzten Marokko-
Reise den wirtschaftlich wertvollsten und
am leichtesten zu bereisenden Schwarzerde-
gürtel von Mogador im Süden bis Larasch
im Norden incl. einer Zone von etwa
100 km landeinwärts zu erforschen.
Dr. M. Friederichsen.
* „Über die Lage des antiken
Möns-Sees" machte Prof. Wessely der
K. Akademie der Wissenschaften in Wien
einige Mitteilungen, denen wir Folgenden
entnehmen: Den von den Alten be-
schriebenen Möris-See ohne weiteres mit
dem in der Landschaft Faijüm liegenden
See Birket el-Qariin zu identifizieren,
verbieten gewichtige Gründe; denn nach
Herodot (IL, 149) stand der antike See
mit dem Nil so in Verbindung, dafs
das Wasser einen Teil des Jahres in ihn
hinein-, den anderen wieder hinausflog,
was aber bei dem heutigen Birket el-
Qariin unmöglich ist , da er auf der nie-
drigsten Höhenstufe des von O. nach W.
in zwei Terrassen abfallenden, also drei
verschiedene Höhenstufen bildenden Fai-
jtims liegt. Durch Schweinfurt h's
Untersuchungen über das Depressions-
gebiet im Umkreise des Faijüms tZtschr.
d. Ges. f. Erdk. z. Berl. 1886) ist es be-
reits festgestellt, dafs, nach den Spuren
des ehemaligen Ufers zu schliefsen, der
Birket el-Qariin in griechisch-römischer
Zeit bis an den Fufs der im N.W. strei-
chenden Berge reichte und einen 40 m
höheren Wasserstand hatte als jetzt, also
die von Herodot erwähnte Eigenschaft
damals wohl haben konnte. Einen ur-
kundlichen Beweis für die ehemals
gröfsere Ausdehnung des Birket cl-Qaruii
enthalten die Papyrusfragmente, die
gegenwärtig in Wien, Sammlung Papyrus
Erzherzog Rainer, aufbewahrt werden.
Aus diesen Fragmenten gelang es Wessely,
einen Text zusammenzustellen, in dem es
sich um einen Hausverkauf in der Ort-
schaft Soknopaiu Nesos im J. 47 n. Chr.
handelt. Uber die Lage dieser Ortschaft
wird in dem Text gesagt, „an dem See
Möris, der da ist bei Ptolemais Euergetis".
Da nun Krebs bereits früher i Göttinger
Nachrichten, 18V2 S. 632) diese antike
Inselortschaft Soknopaiu Nesos vermittelst
einer Inschrift mit dem jetzigen Dimeh
3 km vom jetzigen Nordwestrande des
Birket el-Qarün identifiziert hat , so er-
giebt sich, dafs dieser ein Überrest des
einst viel gröfseren und einen viel höheren
Wasserstand aufweisenden Möris-Sees ist.
und dafs die Hypothese falsch ist , die
noch immer in Handbüchern wiederholt
wird: „nach der Zerstörung der Dämme
durch mangelnde Fürsorge in der mittel-
alterlich-arabischen Zeit sind die hinein-
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Geographische Neuigkeiten
55
Nilgewässer . . nordwestlich
in die tiefste Stelle jener Einsenknng ab-
geflossen und haben dort einen neuen,
durch den Natrongehalt den Wüstenbodens
salzig gewordenen See der Hörner
gebildet, der also heute eine ganz andere
Stelle als der trockengelegte antike Möris-
See einnimmt.41 (Anz. d. K. Ak. d. Wiss.
in Wien 1900 Nr XXII.)
Australien und Polynesien.
* Den ./Times" zufolge hat Lord Ran-
furly während seiner Kreuzfahrt an Bord
der „Mildura" die britische Flagge
auf den Inseln Mangaia, Aitutaki
und Savage hissen lassen. „Man er-
wartete," schreibt der Korrespondent der
Times, „Schwierigkeiten betreffs der letz-
teren Insel, aber die Verhandlungen endeten
erfolgreich, denn die Bewohner dieser
Insel verlangten, wie die der andern, ein-
stimmig die Annektierung. Diese Inseln
«ind fruchtbar und gestatten auf eine Er-
weiterung unseres Handels zu hoffen."
Diese drei Inseln liegen zwischen dem
160. und 170. Grade westlicher Länge
und dem 10. und 20. Grade südlicher
Breite. B.
Nord- und Mittelameiika.
* Dem Bericht des amerikanischen
Konsuls McCook zufolge hat Dawson
in Alaska von heute gar keine Ähnlich-
keit mehr mit dem Dawson vor zwei
Jahren. Wenngleich die Goldausbeute
noch gestiegen ist, so gleicht doch der
Ort in keiner Weise mehr einer Minen-
stadt. DawBon ist gegenwärtig ein blühen-
des Handelszentrum mit Reihen prächtig
auggestatteter Läden, Kais und Waren-
häusern, guten Hotels, Strafsen, die mit
Elektrizität erleuchtet sind, und von Neu-
jahr ab mit einer elektrischen Strafsen-
hahn. Öffentliche Schulen sind geöffnet
worden und werden gut besucht. B.
* ("her die i. J. 1899 im nördlichen
Labrador von Low ausgeführten
tteisen berichtet Geogr. Journal Vol. XVI
S. 686: Bereits am 23. Februar brach
Low mit seinem Gefährten Young vom
Orofsen Whale Flufs, wo sie überwintert
hatten, nach Norden auf, erreichten beim
Kichmondgolf die nördliche Baumgrenze
und wandten sich ungefähr 20 km nördlich
vom Nastapoka- River westwärts nach
dem Innern der Halbinsel, das hier
schnell zu ungefähr 700 Fufs Höhe an-
steigt, und mit zahlreichen kleineren
Seen besetzt ist. Nach Überschreitung
der Wasserscheide zwischen der Hudson
und Ungavabay ging Low zum Seal-See,
der durch den Leaf River zur Ungavabay
entwässert wird, kehrte dann ins Quell-
gebiet des Grofsen Whale Flusses zurück
und erreichte auf diesem wieder die Küste.
Hier wurde die Yacht für die Sommer-
reise in Stand gesetzt und dann die
Ostküste der Hudson-Bay vom Kichmond-
golf bis hinab zum Rupert-Fluh befahren.
Der gröfste Teil der betretenen Gegenden
war aus krystallinischen Schiefern, Gneisen
und Graniten aufgebaut, die Küste und
die Inseln zwischen Kap Portland und
I Kap Jones gehörten dem Cambrium an.
I Auf den Nastapoka - Inseln enthielten
diese Schichten grofse Einlagerungen
[von Eisenerzen, ähnlich denen im Süden
vom Oberen See. Die Halbinsel Labrador
war einst vollständig vom Eise überdeckt,
das Ausgangscentrum desselben lag zuerst
in der südlichen, dann in der nördlichen
Hälfte der Halbinsel. Seit der Eiszeit
hat sich das Land wenigstens 700 Fufs
gehoben, gegenwärtig sind keine Hebungs-
erscheinungen zu beobachten.
* Die „Scientific American" veröffent-
licht einen Artikel über den N icaragua-
Kanal von Professor Heilgrin, welcher
annimmt, dafs der Bau den Ingenieuren
unangenehme Überraschungen bereiten
wird. Die Techniker, welche seit 16 Jahren
die dortigen Gegenden erkunden, setzen
übereinstimmend den Spiegel des Nicara-
gua-Sees 32 m über das Ebbe-Niveau des
Stillen Ozeans fest. Man findet jedoch
wesentlich abweichende Zahlen, wenn man
frühere Beobachtungen in Betracht zieht,
welche alle wissenschaftlichen Garantien
geben. Der Oberst Childs stellte im Jahr
1851 34 m, der Leutnant Baily im Jahr
1838 ein wenig mehr als 39 m und der
spanische Ingenieur Galister im Jahr 1781
fast 41 m fest. Auch andere Thatsachen
sprechen nach Heilgrin dafür, dafs sich
der See allmählig leert. Im Jahr 1838
war der natürliche Kanal, welcher den
genannten See mit seinem Nebensee, «lein
Managua, verbindet, •*/, km lang und
schiffbar, Beine Tiefe schwankte zwischen
l'/t und 4 Vt öi. Im Jahr 1896 hatte er
eine fast vierfache Länge, und in der
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Geographische Neuigkeiten.
Mitte des Sommere war seine Tiefe so
gering, dafs man fast trockenen Fufses
hindurchwaten konnte. Kü.
Südamerika.
♦ Zur Schlichtung eines schon fast ein
Jahrhundert lang herrschenden Grenz-
streites zwischen Kolumbien und
Costarika wurde am 4. November 1896
in Bogota zwischen Kolumbien und Costa-
rika ein Vertrag abgeschlossen, nach
welchem dem Präsidenten Loubet die
Schiedsrichterschaft in dem Grenzstreit
übertragen wurde. Die Entscheidung ist
nun dahin gefallen: „Die Grenze zwischen
den Republiken Kolumbien und Costarika
wird durch den Ausläufer der Kordilleren,
welcher vom Kap Mona am Atlantischen
Ozean ausgeht und das Thal des Rio
Tiliri oder Rio Sixola nördlich begrenzt,
gebildet, dann setzt sie sich auf der
Wasserscheide zwischen dem Atlantischen
und Stillen Ozean ungefähr bis 9° n. Br.
fort, folgt dann der Wasserscheide zwi-
schen Chiriqui-Viejo und den Zuflüssen
des Duke-Golfes und endet an dem Punta
Burica am Stillen Ozean. Die Inseln,
Inselgruppen und Bänke im Atlantischen
Ozean in der Nähe der Küste gehören ohne
Rücksicht auf ihre Zahl und Ausdehnung,
soweit sie im Osten und Süd-Osten des
Mona-Kaps liegen, zu Kolumbien, im
Westen und Nordwesten des genannten
Punktes zu Costarika. Die vom Kontinent
weiter entfernteren Inseln, soweit sie zwi-
schen der Mosquitos-Küste und der Land-
enge von Panama liegen, nämlich: Mangle-
Chico, Mangle-Grande, Ceyos-de-Albuquer-
que, San- Andres, Santa-Katalina , Provi-
dencia, Esceido-de-Mongua, sowie alle an-
deren Inseln, Inselchen und Bänke, welche
von der alten Provinz Kartagena unter
der Bezeichnung San- Andres- Bezirk ab-
hängen, gehören ohne Ausnahme zu Ko-
lumbien. Im Stillen Ozean werden Kolum-
bien einschliefslich der Burica-Inseln alle
diejenigen Eilande zugeteilt, welche im
Osten des gleichnamigen Punktes liegen,
während diejenigen westlich desselben
Costarika erhält." Vergl. auch die Karte
in Pet. Mitt. Heft 11.) Kü.
* Die Regierung von Venezuela hat
die Schiffahrt auf den Kanälen Peder-
nales und Macareo im Delta des Ori-
noko freigegeben. Die Schiffahrt auf den
beiden genannten Wasserstraßen war
ehemals ein Monopol einer englischen
Oesellschaft. Kü.
* In dem seit 187 Jahren schwebenden
Grenzstreit zwischen Frankreich
und Portugal bezw. dessen Nachfolger
Brasilien wegen eines Grenzgebietes
zwischen Französisch-Guyana und Brasilien
ist Frankreich nach einem Schieds-
gerichtsspruch jetzt völlig unterlegen.
Von dem 260 000 qkm grofsen, streitigen
Gebiete erhält Frankreich nichts und die
Grenze zwischen Guyana und Brasilien
ist definitiv so festgestellt, wie sie schon
in Stieler's Atlas angegeben ist, im Osten
der Uyapoc-Flufs und im Süden du
Tumac-Humacgebirge. Der Kernpunkt
des Streites lag im Frieden von Utrecht
1714), dessen 8. Art. lautete: „Die
Schiffahrt auf dem Amazonenstrom und
den beiden Ufern des FIubbcs gehört
Portugal, und der Japocflufs oder Vicente
Pinzonflufs, der in den Ozean mündet,
dient für die beiden Kolonien als Grenze."
Die Portugiesen behaupten nun, der Japoc
sei der gegenwärtige Oyapoc, der westlieh
vom Oranjekap in den Ozean mündet.
Die Frauzosen ihrerseits wollten den
Japoc in dem weiter südöstlich fliefsenden
Araguary erkennen, der in die Vicente
Pinzon-Bueht fliefst. Das Schiedsgericht
hat Brasiliens Ansprüche auf die Oyapoc-
grenze anerkannt und eine entsprechende
Grenzbestimmung im Süden festgesetzt.
Da Französisch -Guyana heute noch be-
deutende jährliche Zuschüsse vom Mutter-
landc verlangt, wird sich Frankreich leicht
über die entgangene Vergrößerung der
kostspieligen Kolonie trösten.
* Das Eisenbahnnetz Brasiliens
umfafst nach einem dem Staatsdepartement
in Washington erstatteten offiziellen Be-
richte zur Zeit 63 verschiedene Linien mit
einer Gesamtlänge von 14 715 km; hiervon
gehören nur205U km der Bundesregierung
und 176 km den Einzelstaaten, der Rest
jedoch Gesellschaften, für die die Regierung
zum Teil Zinsgarantien übernommen hat
12 387 km der brasilianischen Bahnen
sind schmalspurig (1 m), die übrigen
haben Spurweiten von 1,6 oder 1,75 m.
Die erste Bahnstrecke wurde 1866 er-
öffnet, die meisten Bahnen wurden Ende
der 70er und Anfang der 80er Jahre
erbaut , als die wirtschaftlichen Verhältnisse
einen wesentlichen Aufschwung nahmen
und vor allem Kaffee und Gummi einen
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Geographische Neuigkeiten
guten Verdienst abwarfen. Seit Bestehen
der Republik wurden 5640 km gebaut.
Eine Eigentümlichkeit des brasilianischen
Bahnnetzes ist, dafs die verschiedenen
Strecken zum weitaifc gröfsten Teile
Stichbahnen sind, die von den Hafen-
plätzen ins Innere gehen und mit wenigen
Ausnahmen nicht miteinander in Ver-
bindung stehen. Der Reingewinn aus
dem Betriebe aller Linien betrug zuletzt
•2809 054 Dollar; er verzinst das in den
Hahnen angelegte Kapital nur mit
0,5 Prozent. Am schlechtesten rentieren
tüch die Staatsbahnen, denn sie werden
wenig benutzt, obwohl die Personentarife
niedrig sind. (Globus Bd. LXXVDJ S. 364.)
Polarregfonen.
* tjber die Verbreitung des
Moschusochsen vermochte Nathorst
auf seiner vorjahrigen Grönlandexpedition,
auf der er den König- Oskar- Fjord süd-
lich vom Franz- Joseph - Fjord entdeckte
und erforschte, sehr bemerkenswerte That-
>achen zu erkunden. Diese aus der Eis-
zeit übriggebliebene Tierart wurde von
Nathorst an verschiedenen Stellen der
von ihm untersuchten Ostküste Grönlands
angetroffen; verschiedene Exemplare
wurden erlegt und später deren mehrere
deutschen Museen schenkungsweise über-
lassen. Auf einer Karte (XX. Verwaltungs-
bericht des Westpreufsischen Provinzial-
Museums) hat Nathorst die jetzige Ver-
breitung des Tieres selbst skizziert; da-
nach lebt das Tier an der Ost- und Nord-
küste Grönlands nördlich vom Scoresby-
Sund, im nordöstlichsten Nordamerika
und auf den nördlich davon liegenden
Inseln westlich und nördlich von Baffin-
land. Da sowohl Scoresby , Vater und
Sohn, bei ihrem Besuche des Scoresby-
Sundes 1822, als auch Sabine 1823 bei
seinem Aufenthalte auf der Sabine-Insel
und Clawering bei seiner Fahrt nach Loch
Fine keine Moschusochsen bemerkt haben,
und in den Kjökkenmöddings keine Über-
reste dieses Tieres gefunden worden sind,
»o schliefst Nathorst, dafs der jetzige
•Stamm von Moschusochsen erst während
<ler letzten 70—80 Jahre über die Nord-
küste nach Nordostgrönland eingewandert
i«t. Jedoch erscheint ihm nicht ausge-
schlossen, dafs diese Tierart in noch
früherer Zeit bereits dort gelebt hat und
bis 1823 entweder sehr selten geworden,
57
oder ganz ausgestorben war. Nathorst
empfiehlt die Akklimatisation des Moschus-
ochsen in Europa, die jetzt bereits mit
fünf Kälbern im nördlichen Schweden
versucht wird.
Im Anschlufs an die Verbreitung und
Einwanderung des Moschusochsen er-
wähnt Nathorst auch die Einwanderung
des weifsen Polarwolfes nach Nordost-
grönland. Während weder Koldewey
1869/70 noch Ryder 1891 92 auf ihren
weitenSchlittenreisenundC"berwinterungen
Wölfe oder deren Spuren angetroffen
haben, bemerkte Nathorst am Scoresby-
Sund zahlreiche Spuren dieser Tiere; von
den beiden Exemplaren, die ihm selbst
begegneten, vermochte er leider keins zu
erlegen, dagegen erwarb er von einem
norwegischen Schiffskapitän das Fell
eines bei der Clavering- Insel erlegten
rolarwolfes. Es mufs deshalb angenommen
werden, dafs der Polarwolf erst nach
1892 in Nordostgrönland, und zwar auf
demselben Wege wie der Moschusochs,
eingewandert ist. Trotz dieser kurzen
Zeit hat sein Erscheinen schon bemerkens-
werte Änderungen in der Tierwelt hervor-
gerufen: Die Rentiere sind dort gröfsten-
teils ausgerottet, und die zahlreich ge-
fundenen Geweihe und Skelette lassen
sicher darauf schliefsen, dafs die Tiere
von Wölfen getötet wurden. Auch die
Existenz des Polarfuchses scheint sehr
gefährdet, da es Kolthoff im vorigen Jahre
nicht möglich war, dort ein Exemplar
davon zu erlangen. (Verh. d. Ges. f.
Erdk. z. Berlin Bd. XXVII. S. 427.)
* Einen Kolon isations versuch auf
dcnKerguelen unternimmt gegenwärtig
eine französische Oesellschaft „Compagnie
de Kerguelen". Anfangs Dezember hat
sich M. A. de Gerlache, der ehemalige
Leiter der antarktischen Expedition auf
der „Belgica", auf der Dampfyacht „Selika1'
nach den Kerguelen eingeschifft; zu seiner
Verfügung steht ihm aufserdem der fran-
zösische Segler ., Fanny", der auf den
Falkland-Inseln, deren Klima demjenigen
der Kerguelen sehr ähnlich ist, 1500 Schafe
aufnehmen soll, deren Akklimatisierung
man auf den Kerguelen versuchen will.
Aufserdem wird die „Fanny" auch einige
Hirten von den Falkland-Inseln nach den
Kerguelen bringen. In der Begleitung
des Herrn von Gerlache befinden sich ein
Prospektor und zwei französische Zoologen,
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5«
BüeherbeHprechungen.
Bonnier und Peres, welche die natürlichen
Verhältnisse der Inseln untersuchen »ollen.
Desgleichen sollen meteorologische Beob-
achtungen angestellt werden, sodafs auch
die Wissenschaft von dem Unternehmen
Nutzen haben wird. (La Geographie
liioo, Nr. 11.)
Geographischer linterriebt.
* Als Ergebnis der im Frühling d. J.
abgehaltenen Schulkonferenz im preufs.
Kultusministerium ist ein vom 26. November
datierter Erlafs des Kaisern bekanntge-
geben, der zwei auf die Stellung der
Erdkunde im Unterricht bezügliche Be-
merkungen enthält. 1. „Es erscheint
angezeigt, dafs im Lehrplan der Ober-
Realschulen, welcher nach der Stunden-
zahl noch Raum dazu bietet, die Erd-
kunde eine ausgiebigere Fürsorge findet"
und 2. „Für die Erdkunde bleibt sowohl
auf den Gymnasien wie auf den Real-
gymnasien zu wünschen, dafs der Unter-
richt in die Hand von Fachlehrern gelegt
wird " H. Fischer.
Böcherbesprechungeii.
Worgltzky, Dr. Georg, Werden und
Vergehen der Erdoberfläche,
Hauptthatsachen der physi-
schen Erdkunde in allgemein
verständlicher Darstellung.
127 S. Mit 76 Figuren im Text.
Breslau, F. Hirt 18'Ji». M 1,60.
Das Buch ist in doppelter Absicht ge-
schrieben. Es soll in der Zeit des ge-
steigerten Reiseverkehrs dem Wunsch
nach Aufklärung über die Ursachen der
gesehenen Erscheinungen genügen und
Abrundung schon erworbener Kenntnisse
bewirken. Es soll aber auch dem Unter-
richt der höheren Schulen in der physi-
schen Erdkunde dienen, doch weder ein
Buch zum Auswendiglernen, noch ein
blofses Nachschlagebuch sein. Es soll
dem Schüler es ermöglichen, durch Nach-
lesen zu Hause auch über die im Unter-
richt nicht durchgenommenen Kapitel
eigne Belehrung zu schöpfen. Demnach
scheint es sich der Verf. nicht als eigent-
liches (eingeführtes) Schulbuch zu denken.
Das wird es auch schwerlich werden, da
die Schulen, die sich noch mit dürftigen
Leitfaden der Länderkunde begnügen,
kaum das Bedürfnis einer physischen
Erdkunde fühlen werden, diejenigen aber,
welche bessere Lehrbücher besitzen, in
diesen schon genügende Anregungen und
ausreichenden Lehrstoff finden dürften.
Wir betrachten es somit als ein Buch,
das der Schüler zu Weihnachten erhält,
oder der wifsbegierige „Laie1' Bich an-
schafft, um sich über die physische Erd-
kunde „durch Darstellungen kürzester
Form" zu belehren.
Für diesen Zweck kann es auch em-
pfohlen werden. -- Der Stil hätte zuweilen
etwas frischer sein können, doch hat sich
der Verf. bemüht, allgemein verständlich
zu schreiben und induktiv zu entwickeln.
Besonders mufs das Beatreben anerkannt,
werden, überall für die einzelnen Erschei-
nungen auch die geographischen Gebiete
nachzuweisen und an der Hand alltäg-
licher Erfahrungen ursächliche Erklärung
herbeizuführen; z. B. wird (S. 22) zum
Verständnis der Verdunstung des Wassers
und der Verdichtung des Wasserdampfcs
auf die Vorgänge im geheizten Zimmer
hingewiesen. Wenn hie und da eine Un-
genauigkeit untergelaufen ist, so kann das
unser Urteil nicht herabstimmen; indessen
bedarf die Erklärung der Gezeiten iS. 40»
sorgfältiger Nachbesserung; schon die
Zeit des scheinbaren täglichen Mond-
umlaufs ist mit 24 Stunden «loch zu un-
genau angegeben.
Um den Inhalt dieser physischen Erd-
kunde zu kennzeichnen, seien die Haupt-
teile genannt: I. Die Luft, n. Das Meer.
III. Das Festland, IV. Aufbau der Erd-
rinde. Dazu kommt ein Register und ein
Verzeichnis der Abbildungen. — In letz-
teren haben wir zumeist liebe Bekannte,
namentlich aus dem „Seydlitz" wieder-
gefunden. Als (Quellen sind die besten
gröfseren Lehrbücher benutzt; sie werden
(8. 6) besonders aufgezählt^
Eckart Fulda
Buchenau, Prof. Dr. F., Die freie
Hansestadt Bremen und ihr Ge-
biet, Ein Beitrag zur Geographie und
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B fleh er Besprechungen.
59
Topographie Deutschlands. 3. völlig 1
umgearbeitete Auflage. Mit 26 Abbil- I
düngen im Text und 12 Tafeln und
Karten. Bremen, G. A. v. Halem. 1900.
Der kleine bremische Freistaat ist
immer reich an Männern gewesen, welche
sich um Geographie und Geschichte ihrer
Heimat Verdienste erwarben. Einer der
würdigsten unter ihnen int Franz Buchenau,
dessen topographisches Handbuch längst
in den Händen vieler war. Jetzt legt er
es uns in einer dritten, sehr erweiterten
und bin auf die Gegenwart fortgeführten
Auflage vor, damit gleichsam die Summe
seiner 43jährigen, Bremen betreifenden
Arbeit ziehend. In der That kann man
sich durch einen Vergleich dieser Auflage
mit der vorigen leicht davon uberzeugen,
daf* kaum ein einziger Absatz ganz un-
verändert geblieben ist. Vieles ist ganz
neu dazugekommen, z. B. die hübschen
Ansichten bremischer Landkirchen aus der
Zeit um 1870, die dadurch besonderes
Interesse gewinnen, dafs manche dieser
Kirchen seitdem durch neue ersetzt sind
und dafs überhaupt das Siedelungsbild
der Landorte ein anderes geworden ist.
Es dürfte jetzt kaum noch eine. Land,
Volk und Ortschaften Bremens betreffende
Frage geben, welche nicht bei Buchenau
eine meist recht ausführliche Antwort
finden könnte.
Der Staat Bremen ist nur ein sehr
kleiner Teil des weiten Deutschen Reiches,
die Höhenunterschiede beschränken sich
auf wenige Meter, natürlicher Wald kommt
gar nicht vor. Aber trotzdem bietet das
Kapitel „Grund und Bodenu und besonders
diejenigen über das Deichwesen uud die
Gewässer des Lehrreichen auch für die
physische Geographie in Fülle. Eine
ganz eingehende, freilich die Grenzen der
„Geographie11 im engeren Sinn manchmal
überschreitende Darstellung hat die Stadt
Bremen selbst gefunden, nicht minder
kommen die beiden Hafenstädte, das an
steilem Geestabhang liegende Vegesack
und das halbamerikanische Bremerhaven
loffiziell immer nur mit v geschrieben)
zu ihrem Recht. Auch die Angaben über
die Dörfer bis herab zu der kleinsten
Häusergruppe enthalten gerade hier in
diesem wasserreichen, unter strengster
Beaufsichtigung zu haltenden Terrain
viel Wichtiges für die Siedelungskunde.
Buchenau'« Werk hat eine gewisse Ähn-
lichkeit mit der neuen Reihe der württem-
! bergischen Oberamtsbeschreibungen. Aber
I wie viele Teile des Deutschen Weiches
giebt es, bei deren Studium wir derartige,
dem strengen Schema der Geographie
wohl nicht immer entsprechende, aber doch
absolut notwendige und höchst dankens-
werte Bücher noch ganz entbehren müssen!
Königsberg. F. Hahn.
Gerhardt, P., Handbuch des deut-
schen Dünenbaues. Im Auftrage
des kgl. preufs. Ministeriums der
öffentl. Arbeiten und unter Mit-
wirkung von J. Abromeit, P. Bock,
A. Jentzsch herausgegeben. 8°.
XXVHI u. 656 S. 446 Abbildungen.
Berlin, P. Parey 1900. geb. M 28.—
Es ist sehr erfreulich, dafs wissenschaft-
liche Darstellungen unserer deutschen
Küsten, die lange in der Litteratur recht
stiefmütterlich behandelt wurden, in der
letzten Zeit sich zu mehren beginnen.
Ein wichtiger Beitrag zur Kunde unserer
Meeresgestade ist das vorliegende, prächtig
ausgestattete Werk, zu dessen Bearbeitung
sich hervorragende Kenner des Gegen-
standes, Naturforscher und Techniker,
vereinigt haben. Der geologische Teil
von Jent zsch bringt eine im ganzen klare
und anschauliche übersieht über Begriff
und Verbreitung der Dünen, über die
Herkunft und Natur ihres Materials, die
Art ihrer Anhäufung, ihre äufseren Formen
und innere Struktur, ihr Wachsen und
Vergehen, sowie manche Nebenerschei-
nungen, wie Triebsand, Auf- und Nieder-
pressungen, Wasserführung u. a. Aller-
dings hätten wohl einige wichtige Punkte
gegenüber ausführlich geschilderten
Nebendingen etwas eingehender behandelt
werden können, wie das Wandern des
Sandes an der Küste entlang (durch
„Küstenströme", wie der Verf. sich meist
ausdrückt!, die Faktoren, welche die
Menge der Sandanhäufung bedingen etc.
über manche Auffassungen liefse sich
auch wohl streiten. Schmerzlich vermifat
man neben der allgemein-genetischen Be-
trachtung eine eingehendere Schilderung
der einzelnen Dünengebiete und ihrer
charakteristischen Eigentümlichkeiten, er-
klärt durch örtliche Ursachen. Gerhardt
schildert sodann das Wandern des Sandes
am Strande, ebenfalls recht kurz, und aus-
führlicher das Wandern der Dünen selbst.
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60
B ü oht'r h e s pr c c h u n g e n.
Der Botaniker Abromeit führt uns die
Dünenflora vor, ihre biologischen und
anatomischen Verhältnisse, die denen der
Wüsten- und Steppenflanzen ähneln, ihre
Vergesellschaftung nach Standorten und
ihre geographische Verbreitung; dann die
Kulturpflanzen: Gräser. Halbgräser und
Bäume. Zum Schlufs giebt er eine Be-
schreibung zahlreicher wild wachsender
Diineupflanzen. Zweck und Geschichte
des Dünenbaues, von den ersten tastenden
Versuchen zu den bahnbrechenden Ar-
beiten de« Danziger Sören Biürn (von
1795 an) und bis zu den weit ausge-
dehnten und technisch hoch entwickelten
Leistungen der Gegenwart beschreibt
Gerhardt und schliefst daran eine aus-
führliche Darstellung der verschiedenen
Methoden bei der Festlegung des Dünen-
sandes , besonders bei der Herstellung
und Unterhaltung einer fortlaufenden und
gleichmäfsigen Vordüne, der Grundbe-
dingung aller weiteren Verbesserungen.
Während die Befestigung des Sandes zu-
nächst im wesentlichen durch verschiedene
Arten von Sandgraspflanzungen zu ge-
schehen hat, ist ein dauerndes Ergebnis,
das beständige Ausbesserungen entbehr-
lich macht, nur durch Aufforstung zu er-
zielen, der freilich j»me Festlegung durch
Sandgras vorausgehen mufs. Die Auf-
forstung selbst wird uns von Bock ge-
schildert. Er zeigt anschaulich die grofsen
Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden
sind, die besonderen Kulturverfahren, die
dabei angewendet werden. Vor allem
kommt es darauf an, Bäume zu wählen,
die nicht nur in dem nahrungsarmen
Sande fortkommen, sondern auch dem
zerstörenden Einflufs des Seewindes und
der von diesem herangetriebenen Sand-
kürner und Eiskrystalle zu widerstehen
vermögen. Als solche haben sich be-
sonders die Berg- oder Hakenkiefer i Pinus
montana var. uncinata auf den Höhen,
die Schwarzerle i'Alnus glutinosa in den
feuchteren Mulden bewährt. An einen
forstlichen Nutzen der Dünenwälder darf
natürlich erst in letzter Linie gedacht
werden. Während an «1er Ostsee die Be-
fristung der Dünen grofse Fortschritte
gemacht hat und dadurch nicht nur die
meisten Wanderdünen befestigt, sondern
auch die benachbarten Grundstücke durch
klimatische Verbesserung ertragsfühiger
gemacht wurden, sind von der Nordsee
erst schwache Anfänge zu berichten;
doch hält der Verf. auch dort die Auf-
forstung für recht wohl möglich. Der
letzte Abschnitt, von Gerhardt, über
die so wichtige Befestigung des Strandes,
wodurch erst das ganze Werk vor Zer-
störung durch das Meer geschützt wird,
hat in den Einzelheiten vorwiegend für
Techniker Interesse.
Eine grofse Zahl lehrreicher Ab-
bildungen, besonders auch im botanischen
Abschnitte, erhöht den Wert des treff-
lichen Werkes, das die grofse Kultur-
arbeit, die an unseren Küsten geleistet
wird, dem Verständnis und der Würdigung
auch des niunenländers uahe bringt.
Philippson.
Schlemmer, Dr. Karl, Leitfadeu der
Erdkunde für höhere Lehran-
stalten. 2. verbesserte Aufl. Berlin,
WeidmannVhe Buchhandlung 1900.
I. Teil: Lehrstoff für die unteren Klassen
65 S. mit 3 Abbildungen.
II. Teil: Lehrstoff für die mittleren Klassen.
Vll u. 283 S. Mit 83 Abbildungen.
In der ausführlichen Besprechung der
ersten Auflage in dieser Zeitschrift (4 Jahrg.
1898 S. 47217) sind die besonderen Vor-
züge und Mängel des Buches hervorge-
hoben worden. Letztere haben sich ge-
mindert : die angeführten Fehler sind
meist berichtigt oder vermieden. Nament-
lich hat sich der Abschnitt über Deutsch-
land zu seinem Vorteil verändert; phy-
sische und politische Erdkunde kommen
jetzt auch hier zusammen zur Darstellung.
Am Satzbau ist sorgfaltig gefeilt, der
Depeschenstil ganz beseitigt. Am wenig-
sten befriedigt noch immer die mathe
matische Geographie. Zwei «1er früher
bezeichneten Unrichtigkeiten sind mangel-
haft, «ler schlimmste Felder ist gar nicht
verbessert; denn wieder lesen wir (I S. BfA,
dafs „die Erdachse mit «ler Ebene der
Erdbahn einen Winkel von 23 V, bildet".
Eckart Fulda.
Httttl, F., Elemente der mathemati-
schen Geographie. Ein Hilfsbuch
zinn Gebrauche an mittleren Lehr-
anstalten, sowie für Kandidaten der
Volksschul- und Bürgerschul-Lehr-
befähigungs- Prüfung. Mit 47 in den
Text eingedruckten Figuren. 2. Auf-
lage. 91 S. Wien. Hölzel, 1900.
.Ii 2 « Kr. 2.20.
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Neue Bücher und Karten.
fil
Das Buch ist für österreichische Schul -
Verhältnisse berechnet; da» bezeugt schon
allein der etwas langatmige, bureaukra-
tisch stilisierte Zusatz zum Titel. Aber
dieser thut dem Buche selbst keinen Ab-
brach. Der Stoff wird mit einem mini-
malen Aufwand von Mathematik behan-
delt, an 2 oder 3 Stellen sind ein paar
ganz elementare Satze vom Kreise und
Dreieck herangezogen, sonst behilft sich
der Verf. ohne jegliche Mathematik, was
■deher vielfach mit Dank empfunden wer-
den wird, zumal die Entwickelung aller
einschlägigen Verhältnisse klar und leicht
verständlich ist. Ausgegangen wird von
der scheinbaren Bewegung der Himmels-
körper, die in ununterbrochenem Zusam-
menhange erschöpfend dargestellt werden.
Dann wird die wirkliche Bewegung
derselben erörtert. Hieran schliefst sich
ein Abschnitt „Topographie des Himmels",
ein Anhang über wahre und mittlere
Sonnenzeit und den Kalender, und einige
Tabellen über Morgen- und Abendweite,
Deklination und Zeitgleichung bilden den
Schlufs.
An einigen wenigen Stellen geht der
Verf. über die sonst üblichen Grenzen
der mathematischen Geographie hinaus;
so z. B. erörtert er die tägliche und jähr-
liche Erwärmung der Erde durch die
Sonne und die Gezeiten, Fragen, die man
doch meist der physikalischen Geographie
zuzuweisen pflegt. Auch bei der Behand-
lung der mathematischen Zonen über-
schreitet der Verf. diese Grenzen, indem
er eine nicht blofs die mathematischen,
sondern auch die klimatologisch-meteoro-
logischen, botanischen, zoologischen u.s.w.
Verhältnisse umfassende Schilderung ein-
Üicht. — In dem Texte finden sich einige
Wortbildungen, die anscheinend nur in
Österreich bisher gang und gäbe sind,
aber eine weitere Verbreitung verdienten,
<la sie m. E. glücklich gebildet und gut
bezeichnend sind. Einige Proben mögen
hier folgen: Orte am Äquator sind je nach
der Stellung der Sonne uns chattig oder
zweischattig, solche an den Wende-
kreisen einmal im Jahre unschattig,
sonst c inschattig, die Pole sind je
'/, Jahr unschattig, Orte zwischen
Wende- und Polarkreisen einschattig.
Von kleinen Ungenauigkeiten in that-
sächlichen Angaben und im Ausdruck, so-
wie von Druckfehlern ist das Buch nicht
ganz frei ; dem im Titel angegebenen
Zwecke dürfte es aber gut entsprechen.
A. Bludau.
Vogel, J. G., Hilfs- und Wieder-
holungsbuch für den Unterricht
in der Himmelskunde an mitt-
leren Lehranstalten. 2. Auflage.
89 S. Erlangen und Leipzig, A. Dei-
chert 1900. JL 1,50.
Für den gleichen Leserkreis bestimmt,
wie das ebengenannte Buch von Hüttl,
auch die gleiche Aufgabe behandelnd,
zeigt das Buch in der Anlage keine über-
grofsen Unterschiede, dagegen weicht es
in der Form ab. Als Wiederholungsbuch
setzt es die Bekanntschaft mit den Lehren
und Sätzen der mathematischen Geogra-
phie voraus und behandelt demgemäfs
den ganzen Stoff in einem mehr oder
weniger lapidaren Stil, zum Teil in der
Form von kurz skizzierten Aufgaben.
Die Disposition des Stoffes ist mit Ge-
schick durchgeführt, und die Durcharbei-
tung desselben nach voraufgegangenem
systematischem Studium in Verbindung
mit einer selbständigen Erklärung und
. Lösung der angedeuteten Probleme und
Aufgaben dürfte ein guter Prüfstein für
das Mals und die Sicherheit des erwor-
1 beneu Wissens sein. Examenskandidaten
i aller Art kann das Buch gute Dienste
leisten. Ein Anhang enthält Aufgaben
aus der physikalischen und astronomi-
schen Geographie, welche bei der Aus-
trittsprüfung in bairischeu Seminaren zur
Bearbeitung vorgelegt wurden. Sie ge-
währen u. a. auch einen Einblick in das
Mufs der an Volksschullehrer gestellten
Anforderungen. A. Bludau.
Nene Bücher und Karten.
Zusammengestellt von Heinrich Brunner.
(•enrhirhte und Methodik der Geographie.
Gruber, Chm. Die Entwickelung der
geograph. Lehrmethoden im 18. und
19. Jahrb.; Rückblicke u. Ausblicke.
2 Kärtchen, 8 Skizzen. VH1, 2f>4 S.
München, Oldenbourg 1900. M 3.50.
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G2
Neue Bücher und Karten.
St y Hinski, Bruno. Die Entdeckung u.
der Entdecker Brasiliens. '(Zur 400-
.jühr. JubiläumBfeier).' 1 Bildn. VII, 95 S.
San Leopoldo, Rotermund 1900. Jfc 1 .50.
PayiUche Geographie.
Gerland. G. Die kais. Hauptstation f.
Erdbebenforseh. in Strasburg u. die
mod. Seismologie. (Beitr. zur Geophysik.
IV, 3 4). Leipz. 1900.
l'le, W. Grundrif« der allgemeinen Erd-
kunde. VIII. 396 S. 07 Abbildungen
im Text. Leipz., S.Hirzel 1900. M 9 -
Allgemeiae Geographie de* Meanrhea.
Brunhes, J. Differences psychologiques
et pedagogiques entre la conception
statiBtique et la conception geographi-
que de la geographie economique; re-
pr&entations atatistiques et represen-
tations geographiques. 50 S. (Etudes
geogr. Fase. I, 4). Fribourg 1900.
Helmolt.H.F. Weltgeschichte. Band VII:
Westeuropa I.Teil. XII, 678 S. 6 Karten,
6 Farbendrucktafeln u. 16 Bchwarze
Beilagen. Leipzig, Bibliograph. Institut
1900. .4L 10 —
Weltverkehr, der, u. seine Mittel; mit
einer lvberaicht über Welthandel und
Weltwirtschaft. In 9. Aufl. bearb. v.
C. Merckel, Münch, Nestle ... 14 Taf.
1 Karte, 846 Abb. X, 981 S. Leipzig,
Spamor 1900. M 12.50.
Murari Bru, V. Colonie degli Stati Euro-
pei e degli Stati uuiti d'America. 75 S.
1 Karte. Turin 1900.
Größere Erdria«ie.
Auatralasia. 2 maps. 384 S. (British
empire series). Loud., Paul 1900.
Brandt, M. v. Zeitfragen; die KriHis in
Südafr. , China, Kommerzielles u. Poli-
tisches, Kolonial-Frageu. VII, 394 S.
Herl., Paetel 1900. JL 7.—
Gabler, E., Neuester Handatlas über alle
Teile der Erde; mit besonderer Bcrücks.
des gesamten Weltverkehrs. 136 Karten
... 3. Aufl. 4°. Leipz., Berger 1900.
6.—
Karoaa.
Barron, La. Les fleuves de France: la
Garonne, la Loire. DesBins. 2 vol. 272,
268 S. Paris, Laureus 1900.
Bosnie-Herzegovine, la, ä l'exposition
univ. de 1900 ü Paris. 2 Chruinotyp .
1 planche, 60 ill. 135 S. quer-8". Wien,
Holzhauseu 1900. ^ 2.60.
Excursions en France; 8* congres g«;<>-
logique international 1900. 372 Fig.,
25 pl. et carte». 1032 S. Paris 1900.
Kaemmel, Otto. Herbstbilder aus Ita-
lien und Sizilien. YTI, 364 S. Leipz.,
Grunow 1900. 5.—
Marek, R. Der Wasserhaushalt im Mnr-
gebiete; ein Beitrag zur Hydrographie
der Mur. 57 S. 4 Tafeln. (Jraz, Verlag
des Naturw. Vereins 1900.
Pr ei mll ab erger- Mrazovic, MI. na. Bos-
nisches Skizzenbuch; Landschaft«- und
Kulturbilder aus Bosnien u der Hen e-
govi.ia. III. 1 Karte. XVI, 338 S. Dres-
den, Pierson 1900. JL 6 —
Atlea.
Bosse, R. Eine Dienstreise nach dem
Orient; Erinnerungen. V, 208 S. Leipz.,
Grunow 1900. M 3.50.
Gold mann, Paul. Ein Sommer in China;
Keisebilder. 2 Bde. 2. Aufl. IX, 277;
V. 301 S. Frankf. a. M., Litterar. Anst,
1900. X 6.-
Guide a travers la section des Indes
neerlandaises. 4 Carte«. XX, 455 S.
(Expos, univ. internat. de 1900 ä Paris;
groupe XVII: Colonisation). La Haye
1900.
Laughans, Paul. Der Kriegsschauplatz
der deutschen Truppen in China. . .
1 : l Ooo ooo. Mit Nebenkarten sowie Be-
gleitworten . . . Farbdr. 59,5 x 69 cm.
Gotha, .1. Perthes 1900. .JL 1.—
Leclerq, Jul. ün sejour dans l'ile de
Ceylan. 1 carte, 16 grav. hors texte,
293S. Par , Plön Nourrit C. 1900. Fr. 4.
Reclus, E. La Chine et la diplomatie
europeenne. 16 S. Paris 1900.
Richthofen, F. v. Baron R's letters
1870—72. 149 S. Neudruck 1900. P.
Shanghai 1900.
Royaume, le, de Siam; notice ... 142 8.
(Expos, univ. de 1900). Paris. Levy
impr. 1900.
Seifarth, F. China; Schilderung von
Land u. Leuten . . . Mit kurzer Berück-
sichtigung der jüngsten Ereign. und
Deutschlands Handelsinteressen. VII, II,
182 S. Leipz , Luckhardt 1900. M 1.80
Afrika.
Lorin, Hri. L'Afrique ä l'entre> du
XX* siede; le pays et les indigenes, la
peuetration europeenne. Carte. XII,
377 S. Paris, Challamel 1900. Fr. 3.00.
Lucas, C. P. West Africa. Maps. 306 S.
2nd ed. revised to end of 1899. (Au
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Zeitschriften schau.
histor. geography of British col. ITI).
Lond. , Frowde 1900. 7 s. 6 d.
Schweinfurth, Geo. Aufnahmen in der
östL Wüste v. Ägypten. 1. Ser., Lief. 2:
Bl. 4 u. 5. Farbdr. Berlin, D. Reimer
1904). Da« Blatt zu M 8.— [4: Die
südl. Galala mit dem nördl. Teil de«
krystallin Küstengeb. am Koten Meere.
1 : 200 OO0. 62,5 x 61 cm. — 6 : Die
krystalliu. Kflstengeb. am Roten Meere
zwischen Cadi Qeneh u. Gebel Set
1 : 200 00><». 53,5 X 63 cm].
Australien uml die australischen Inseln.
Handbook, illustrated, of Western Au-
stralia; i*sued by the W. A. Royal Com-
misaion. Map. VIII, 178 S. (Paris In-
ternat. Exhibition, 1900.) Perth, Pether
1900.
Schanz, Mor. Australien und die Sudsee
an der Jahrhundertwende; Kolonial-
studien. Abb. IV, 326 S. Berlin, Süsse-
rott 1900. 8.—
Nordamerika.
Powell, L. P. Historie towns of tho
Southern States. (American historic
towns). N.-York, Putnam 1900. 15 s.
I'olarreglotiea.
Drygalski, Krich v. Plan u. Aufgaben
der deutschen Südpolar-Expedition. Mit
G3
1 Karte. 23 S. Leipz., Hirzel 1900.
JL —.80.
Geographischer Unterricht.
Engelmann, J. Leitfaden bei dem Un-
terricht in der Handelsgeographie; für
Handelslehranstalten u. kaufmännische
Portbildungsschulen, sowie z. Selbst-
unterricht. 3. verb. Aufl. XIV, 314 S.
Erlangen. Palm & Enke 1900. JL 3.—
Kerp, Hch. Methodisches Lehrbuch einer
begründend - vergleichenden Erdkunde ;
mit begründ. Darstellung der Wirtsch.-
u. Kulturgeogr. II: Die Landschaften
Europas. 4 Taf. Zeichn. XIV, 468 S.
Trier, Lintz 1900. M 4.60.
Lindl, .1. Lehrbuch der Geographie für
gymnasiale Mädchenschulen , höhere
Töchterschulen und Mädchenfortbil-
dungsschulen. 189 S. 39 Fig. Wien
1900. 2 kr 90 k.
Mofshammer, Franz. Geograph. Kon-
struktionszeichnungen f. Mittelschulen
... Mit Einführung. Tl 1 u. 2. 4 S.
Kartenskizzen. Wien; Berl., D. Reimer
Komm. 1900. M b.—
Litteratar- and KartenrenclrhnlKNe.
Busch in, Otto. Bibliotheca geographica;
hrsg. v. der Gesellschaft f. Erdkunde zu
Berl. Bd. VI: 1897. XVI, 414 S. Ber-
lin, Kühl 1900. „iL 8.—
Zeitschriftenscliau.
Petermann' s Mitteilungen. 1900. 11 Hft.
Vamasaki: Das grofse japanische Erd-
beben im nördlichen Honschu am 31. Au-
gust 1896. — Sei er: Der Grenzstreit
zwischen den Republiken Costarica und
Columbia. — Frobenius: Die Kultur-
formen Ozeaniens. — Vorläufige Ergeb-
nisse der Volkszählung in den Vereinigten
Staaten im Juni 1900.
Das». Ergänzungsheft Nr. 132.
Richter: Geomorphologische Unter-
suchungen in den Hochalpen.
Globus. Bd. LXXVin. Nr. 19. Tetz-
ner: Die Tschechen und Mährer in Schle-
sien. — Mauritius und Reunion. — Singer:
Zur Kenntnis des Kongoquellengebietes. —
v. Luschan: Bruchstück einer Benin-
platte. — Die Moorleichen. — Die grofsen
.Städte der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika.
Dass. Nr. 20. Greim: Wissenschaft-
liche Luftfahrten. — Tetz n er: Die Tsche-
chen und Mährer in Schlesien.
Dass. Nr. 21. Neger: Die schwedische
Hülfsexpedition nach Ostgrönland zur
Aufsuchung AndreVs im Sommer 1899
unter A. G. Nathorst. — Hauthal: Die
Haustiereigenschaft des Grypotherium do-
me8ticum. — Tetz n er: Die Tschechen
und Mährer in Schlesien. — Karutz: Ein
„Pangkoh k der Dajakcn.
Dass. Nr. 22. Winternitz: Völker-
kunde, Volkskunde und Philologie. —
v. Vincenz: Ein Ausflug zu den Teppich-
knüpfern von Kula. — Hauthal: Die
HauBtiereigenschaft des Grypotherium do-
mesticum.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. XXIII. Jhrg. 3. Heft, Rofs-
mäfsler: Reise durch die Kalmüken-
steppe. - v. Hranilovic: Der Svicasee
in Kroatien. — Greger: Die Pirna de
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64
Zeitachriftentenan.
Atacama. — v. Kodolitseh: An der
Riviera di Levante. — Seidel: Nord-
Togo oder der deutsche Sudan.
Meteorologische Zeitschrift. 1900.
11. Heft. Bjerknes: Räumlicher Gra-
dient und Zirkulation. — Wollny: Über
den Einflufs der Pflanzendecken auf die
Wasserführung der Kiliane. — Müller:
Über die Beobachtung von Irrlichtern.
Zeitschrift für Schul geographie. XXII.
Jahrg 3. Heft. Aeppli: Bin schweize-
rischer Schulatlas. — Zu den Grundsätzen
für Lehrbücher der Geographie. — Aus
Ostasien.
Mitteilungen der K. K. Geographischen
Gesellschaft zu Wien. Bd. XLUI. Nr. 7 u. 8.
Schaffer: Das Maeanderthalbeben vom
20. Sept. 1899. — Ostreich: Reise in die
Europäische Türkei. — Natterer: Herrn
Dir. Th. Fuchs zur Antwort,
Geographische Mitteilungen aus Hessen
(hrs. v. d. Ges. f. Erdkunde zu Giefsen):
K r an s in ü 1 1 e r : Die Volksdichte d. Provinz
Oberhessen. — Kleinere geographische
Mitteilungen aus Hessen.
Mitteilungen d. geographischen Gesell-
schaft (für Thüringen) zu Jena. Bd. 18.
Kurze: Die Sanioaner in der heidnischen
Zeit. — Missionsgeographische Mittei-
lungen. — Wiefel: Da« Sormitzgebiet. —
Berg: Landeskundlicher Litteraturberich t.
Geographica! Journal. Vol. XVI. Nr. 6.
The President'» Opening Address, Session
1900 — 1901. — Donaldsou Smith: An
Expedition between Lake Rudolf and the
Nile. — Ravenstein: The Voyages of
Diego Cao and Bartholomen Dias, 1482
-1188. — Guest: The Oases of the Mu-
dirieh of Assyut. — Armdrup: The
Danish East Greenland Expedition. — On
the Afghan Frontier: A Reconnaissance
in Shugan.
Annales de Geograj)hie. 1900. Nr. 48.
Margerie et Ravenau: La cartogra-
phie ä 1' Exposition universelle de 1900. —
Dollfus: Relation entre la strueture gfo-
logique du bassin de Paris et son hydro-
graphie. — Pervinquiere: La Tunisie
centrale. — Vidal de la Blache: Paul
Blanchet. — La misaion Paul Blanchet. —
Margerie: Lapparent's „Traite de geo-
logie" (nouv. edit.).
La Ge'ograpliie. 1900. No. 11. Hau-
treux: La cote des Landes de Gaseojjrne.
— Jobit: Le cours inferieur de la Liko-
nala aux Herbes. — Chesneau: L'expe-
dition du Pendule. — Levasseur: La
houille britanique et la question de Fepui-
sement. - Chudeau: L'Elbe. son regime
et son importance econonrique. — Deni-
ker: La geographie de l'Asie ä l'Expo«i-
tion. — Deniker: Voyage d'Obroutchev
en Asie centrale.
Riv. Geogr. Ital. VII. Novemberheft.
Porena: Le seoperte Geografiche clel
Secolo XIX. — Marinelli: Di alcuni
scritti morfologici di Carlo Gemmellaro.
— Toni: Spedizione del Principe Luigi
di Savoia Duca deglo Abruzzi al Polo
Nord. — Gribaudi: Un buon exempio
da imitarsi par lo studio della geografia
di casa nostra. — Mori: Gommissione
Geodetica Italiana. - Mariuelli: Giu-
seppe Saija.
The Journal of School Geography.
Vol. IV. Nr. 9. Cleeve: A System of
Comparing Geographical Distances. —
Burrows: The Teaching of Geography
in Preparatory Sehools. — Dodge: Ä
School Course in Geography. — Dodge:
Volcanoes.
Aus verschiedenen Zeitschriften.
Gulliver, F. P. Vienna as a Type City.
Journal of school geograjihy, Vol. IV.
No. 6. 1900.
Hausrath, H. Der Wechsel der Holz-
arteu im deutschen Walde. 17 S. IVr-
handl. d. naturxciss. Vereins tu Karls-
ruhe. 1900.
Linck, G. Über die dunkeln Rinden der
Gesteine der Wüsten. Jenaische Zeit-
schrift für XaturMisiteiuichafl Bd. 35.
1900.
Lugeon, M. Los auciens cours de l'Aar,
pres de Meiringen (Suisse). 3. S. ('. H.
de l'acad. des sciences Paris. 1900.
Niermeyer, J. F. Der Vulkan Idjen in
Besoeki. 32 S. 1 Karte. Tijdschrift
Aardrijkskundig genootschap, 1900.
Walcker, Karl. Die Weltmilchte und die
Weltsprachen. Nord und Süd, Heft 284.
1900.
Verantwortlicher Herausgeber: Prof l»r Alfred Hettner in Heidelberg.
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Die Eisenbahnen in Afrika nnd ihre Bedeutung fttr den Handel.
Mit einer Übersichteskizze (Tafel 1).
Von Oberleutnant a. D. Kürohhoff.
Das Hinterland der Küsten des schwarzen Erdteils blieb, obwohl er
zur alten Welt gehörte, bis vor wenigen Jahrzehnten fast gänzlich uner-
forscht. Erst in jüngster Zeit hat für diesen Teil von Afrika ein neuer
Abschnitt der Entwicklung begonnen. Die politische Aufteilung ist im
grofsen und ganzen beendet, und überall beginnt nun die wirtschaftliche Er-
schliefsung und Ausnutzung des Landes. Um aber solches mit Nutzen und
Aussicht auf Erfolg vornehmen zu können, ist es zunächst nötig, leistungs-
fähige Verkehrs- Wege und -Gelegenheiten nach dem Inneren zu schaffen. Die
grofsen Ströme, die gerade in Afrika die Hauptverkehrs- und Handelswege
sind, bieten auf ihrem Lauf sämtlich an verschiedenen Stellen solche Hinder-
nisse, daüs eine durchgehende Schiffahrt ausgeschlossen ist. Der Grund dafür
liegt in dem Aufbau des ganzen Erdteils. Afrika ist das Land der Hoch-
länder, die meist steil zur Küste abfallen und durch deren Ränder sich die
gröfsten Ströme meist erst mühselig ihren Weg bahnen müssen. Dies ge-
schieht in den meisten Fällen dadurch, dafs sie sich in das Gestein tiefe uud
steile ThäJer gegraben haben, wodurch teilweise Stromschnellen, teilweise
Wasserfälle entstanden.
Fuhrwerk zum Warentransport ist im Inneren dieses Erdteils so gut wie
unbekannt, und es würde auch die Einführung von solchem, besonders in Folge
des Auftretens der Tse Tse - Fliege, zu den Unmöglichkeiten gehören, wie ja
auch z. B. die Engländer den Wagenverkehr in Ostafrika zwischen der
Küste uud dem Viktoria Njansa wieder einstellen raufsten. Man ist daher
genötigt, alle Waren durch Menschen weiter befördern zu lassen, was
natürlich mit empfindlichem Zeitverlust und namhaften Kosten verbunden
ist und überdies nur eine bedingte Sicherheit bietet. Trotzdem aber gerade
in Afrika die Transportfrage brennend ist und nur durch die Anlage
von Bahnen gelöst werden kann, hat sich doch der Unternehmungsgeist
der Europäer erst ziemlich spät auf Herstellung dieses Verkehrsmittels ge-
worfen, und erst in neuster Zeit entfalten die in Afrika beteiligten Kolonial-
mächte — mit Ausnahme Deutschlands — eine aufserordentliche Thätig-
keit zur Schaffung von Eisenbahnen. Die Frage ihres Baues hängt natur-
gemäfs mit der allgemeinen Entwiekelung des Laudes zusammen; anfangs
Oeographiiche Zeitachrift. 7 Jfthrganp 1901. S. HefL 5
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Kurchhoff:
folgten die Eisenbahnen einerseits dem Fortsehreiten der Kultur, wie im
Kapland und in Algier, andererseits dienten sie dazu, die für die Schiffahrt
ungeeigneten Teile der Ströme zu umgehen, und deshalb endigen die Linien,
von der Küste ausgehend, sobald sie die schiffbaren Stromstrecken erreicht
haben, wie z. B. die Kongobahn; erst in allerneuester Zeit sind Bahnen zur
Erschliefsung des Landes von der Küste nach dem Inneren zu gebaut worden,
welche unabhängig von Flüssen bestehen sollen. Dies tritt besonders an
der Küste von Guinea hervor, jedoch auch in diesem Fall streben sie als
Endpunkt doch Flüssen oder Seen zu, um an diesen aufzuhören. So finden
wir in Afrika zunächst meist nur einfache Schienenstrecken ohne irgend
welche Verzweigungen, und nur da, wo die Entwiekelung schnell einsetzte,
finden sich vollständige Eisenbahnnetze.
Es ist nicht der Zweck dieses Aufsatzes, statistische Angaben über die
vorhandenen Eisenbahnen zu machen, da solche schon in genügender Zahl
veröffentlicht sind, auch auf die Bauart u. s. w. soll nicht weiter eingegangen
werden, es sei nur darauf hingewiesen, dafs die afrikanischen Bahnen zumeist
eingeleisig und schmalspurig sind. Die Spurweiten schwanken zwischen
0,60 und 1 m.
In Südafrika wurde mit dem Eisenbahnbau, und zwar soll hier sowohl
das Netz in den englischen Kolonien als auch dasjenige in den beiden Buren-
Staaten — dem Oranje - Freistaat und der Südafrikanischen Republik — ,
deren Eisenbahnen sich sinngemäfs an die englischen anschlössen, zusanimen-
gefafst werden, der Anfang durch Herstellung der Strecken Kapstadt —
Wellington im Jahre 1859 gemacht. In der Folgezeit entwickelte sich der
Eisenbabnbau in dem gold- und edelsteinreichen Gebiet sehr schnell, indem
den erobernden Soldaten die Eisenbahn-Ingenieure in kurzer Zeit in die
Steppen Südafrikas folgten, und augenblicklich bestehen in Kapland drei
grofse von Seehäfen ausgehende Bahnsysteme, welche in der Richtung auf
das 1041 km nordöstlich von Kapstadt liegende Kimberley und den Oranje-
Freistaat konvergieren und durch zahlreiche Nebenbahnen mit einander ver-
bunden sind. Diese Eisenbahnen dienen aufser dem Lokalverkehr besonders
der Gold-, Edelstein- und Kohlen - Bergbau.
Von den genannten drei grofse n Hauptstrecken, die sämtlich durch
Querbahnen mit einander verbunden sind und die auch mehrfach Zweigbahnen
entsenden, läuft die westliche von Kapstadt beginnend über Kimberley — Mafe-
king — Vryburg nach Buluwayo mit einer Gesamtlänge von 2100 km; es
sind auch schon die Vorbereitungen getroffen, um in allernächster Zeit die
Bahn bis an den Zambesi, den sie bei Wankie erreichen soll, weiterzubauen.
Die Bahn, die meist durch flaches und ebenes Land führt und daher weniger
Bauschwierigkeiten bot, erschliefst jenseits des Oranje-Flusses reiche Gold-,
Edelstein- und auch Kohlengebiete. Die weiter in Aussicht genommene
Strecke, die einen Teil der geplanten nord-südafrikanischen Bahn bildet, soll,
nach allerdings einseitigen Angaben, durch Gebiete führen, in welchen rieb
mächtige Kohlenfelder befinden, deren Erschliefsung und Ausbeutung für
Südafrika deshalb von um so grölserer Bedeutung sein würde, weil bis jetzt
noch % der Kohlen aus Wales eingeführt werden mul's.
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Die Eisenbahnen in Afrika und ihre Bedeutung für den Handel, iu
Ferner macht sieh in dem zentral-afrikanischen Protektorat eine Bewegung
geltend, welche den Bau einer Eisenbahn wünscht, die von Chiromo am
Schire ausgehend, zunächst bis Blantyre und später weiter nach dem Xyassu
sreführt werden soll, um so die nicht schiffbaren Strecken des Schire zu um-
gehen. Der Bau dieser Eisenbahn bedeutet für diese Gebiete des englischen
zentral-afrikanischen Protektorats insofern eine Lebensfrage, als jetzt die ge-
samte Bevölkerung sich ihren Unterhalt als Träger erwirbt und es aus diesem
(Irund an den so nötigen Kräften zur Bebauung des Bodens fehlt. Bei dem
Vorhandensein genügender Landarbeiter würde in Verbindung mit der bezeich-
neten Bahn sich aus den Gegenden um den Nyassa ein gewinnbringender
Reisexport ermöglichen lassen.
Das mittlere Bahnsystem, die zweite Hauptlinie, beginnt in Port Elisa-
beth an der Algoa-Bai, führt nach Oranje-River- Bridge und weiter durch
den Oranje-Freistaat über Bloemfontein und Viljoensdrift am Vaalflufs nach
Johannesburg und seinen Goldfeldern.
Die östliche Hauptlinie geht von East-London aus und verläuft in
nordwestlicher Richtung nach Aliwal North, an der Südgrenze des Oranje-
Freistaates und schliefst später an die zweite Hauptstrecke an.
Auch Natal hat sein Eisenbahnnetz lebhaft entwickelt. Der Ausgangs-
punkt ist für diese Strecken der Hafenort Durban; von hier führt die
Eisenbahn über die Hauptstadt Pietermaritzburg nach Ladysmith und von
da mit einem Zweig nach dem Oranje-Freistaat. mit einem zweiten in
die Südafrikanische Republik nach Pretoria. Aui'ser der Verbindung der
englischen Besitzungen mit den genannten beiden Republiken dient diese
Eisenbahn hauptsächlich der Ausbeutung der im nördlichen Natal liegenden
Kohlenlager.
Ebenso wie im Süden entwickelte sich auch im Norden des schwarzen
Erdteils, in Algerien und Tunesien, ein weitverzweigtes Bahnnetz. Die
dortigen Linien sind ebenfalls in der Hauptsache für den lokalen Verkehr
bestimmt und sollen die Möglichkeit der Kolonisation erleichtern. 80
sehen wir den Ausbau der Bahnen nach Süden nur langsam vorwärts
schreiten, denn die Franzosen, die es nicht an Eifer zur Erschliefsung des
Landes fehlen lassen, haben leider nicht so glückliche Verhältnisse hinsicht-
lich des Hinterlandes dieser ihrer wichtigsten Kolonie, wie es bei den Eng-
ländern in Südafrika der Fall ist, und scheuen sich mit Recht, in die südlich
der französischen Besitzungen liegenden Wüsteneien hinein ins Blaue zu
hauen. In Algerien, wo die erste Strecke im Jahr 1862 erbaut wurde,
sind die Bahnen meist nur Küstenlinien; nur die bei Ain Sefra und Biskra
pndenden Verbindungen reichen etwas tiefer in das Land hinein.
Auch Tunesien weist ein nicht unbedeutendes Bahnnetz auf. Eine
Linie geht von der Stadt Turaira westlich nach Algerien hinein, kleinere
nach den Hafenstädten Biserta, la Marfa, la Goulette, sodann von Tunis ins
Binnenland nach Zeghuan. Diese Hauptbahn führt durch eine an Minen
reiche, von zahlreichen römischen Ruinen übersäete fruchtbare Ebene und
hat eine Abzweigung nach Pont du Fehs, ferner besteht von der
Hauptstadt des Landes aus eine Eisenbahnverbindung nach Suffa. Von
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G8
Kilrchhoff:
letzterem Ort ist eine Linie nach Kaiman im Betrieb und eine solche nach
Motenine im Bau. Von dem Hafenort Sfax geht eine Eisenbahn ins Innere
nach Gassa; sie soll über Tozaur nach den Schotts weiter gebaut werden
und dient hauptsächlich der Ausbeutung der dort befindlichen reichen
Phosphatlager.
Als dritte Stelle, an welcher sich ein reiches Bahnnetz entwickelt hat,
ist Ägypten zu nennen, welches jetzt über 24 Bahnlinien verfügt. Der
Ilauptmittelpunkt des ganzen Eisenbahnwesens ist Kairo, von wo ans in den
verschiedensten Richtungen Linien führen. Eine besondere Aufzahlung dieser
verschiedenen Strecken, die hauptsächlich dem lokalen Verkehr, besonders
innerhalb des Nildeltas dienen, scheint überflüssig, hervorgehoben soll nur
die Nilthalbahn werden.
Der Nil ist die schnellste, sicherste und billigste Strafse nicht allein für
die Beamten des Staates, sondern vor allem auch für die Waren, Nahrungs-
mittel, überhaupt für alle möglichen Bedürfnisse der Gebiete am Borau,
Uelle und Aruwimi, mit einem Wort des östlichen Sudan, ebenso wie dieser,
der als sehr fruchtbar bekannt ist, den Hauptteil des Verkehrs nach dem
Norden liefern würde. Allerdings haben die Engländer hinsichtlich der Aus-
beutung der dortigen Gegenden zunächst eine arge Enttäuschung erfahren.
Ein grofser Teil des wieder eroberten Gebietes ist in Folge des Derwisch-
Regiments entvölkert, landwirtschaftlich ruiniert, und jeglicher Handelsverkehr
ist ausgerottet. Es ist fast alles von neuem aufzubauen, um die Ausfuhr-
fähigkeit des Landes zu heben.
Der Nil ist selbst für größere Fahrzeuge schiffbar vom Albertsee bis
Dutilee und dann von Gondokoro bis Chartum. Nördlich Chartum beginnt
der Durchbruch des Flusses durch die vorliegende, durchschnittlich 330 m
hohe Wüstentafel; die verschiedenen Katarakte treten hier der Schiffahrt
hindernd in den Weg, und diese soll die Nilbahn, die Anfang Januar 1900
bis Chartum für den gesamten Verkehr eröffnet worden ist, umgehen. Aller-
dings wird ihre Leistungsfähigkeit dadurch sehr beschränkt, dafs bei Luxor
ein Wechsel in der Spurweite eintritt, und dafs die Strecke Assuan — Wadi
Haifa ganz ausfällt. Hier tritt Dampfschiffahrt ein; um sie leistungsfähiger
zu machen, ist nördlich von Assuan ein sehr wichtiges Werk in Angriff
genommen worden, nämlich der Bau eines Dammes, zu dem am 12. Februar
1899 der Grundstein gelegt wurdo, und der den Zweck hat, das Niveau
des Nils bis auf 225 km aufwärts zu erhöhen.
So ist trotz aller Bauten und Verbesserungen schon in Folge der
mehrfach nötigen Umladungen der Handelsweg von Süden nach Norden am
Nil entlang sehr unbequem, und es wurde daher schon wiederholt der Plan
in Betracht gezogen, einen anderen Abflufs herzustellen. Man hat diesen
gefunden durch einen geplanten Bahnbau nach dem Roten Meer. Die
Ausgangsstelle vom Nil würde Berber, der Punkt gröfster Annäherung
des Flusses an die See, sein, und die Bahn nach Suakin führen. Aller-
dings werden durch die Unsicherheit in der Wüste und die furchtbare Hitze
in letztgenanntem Ort grofse Schwierigkeiten für ihre Erbauung und ihren
Betrieb erwachsen.
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Die Kiseubahneu in Afrika und ihre Bedeutung für den Handel. 69
Von Chartuin aus sind nun noch neuerdings weitere Bahnen projektiert
und zwar:
1. eine Linie im Nilthal entlang nach Sobat in einer Länge von 771 km
zur besseren Erschliefsung des Sudan und als Glied der geplanten trans-
afrikanischen Bahn;
2. eine Linie Chartuin — Abu Harrar — Ghedaref, der Kornkammer des
Sudan, — Kassala — Suakin. Es scheint, dafs sich in neuester Zeit für diese
Bahn eine aufserordentlich günstige Stimmung geltend macht, und es dürfte
sich im Fall der Ausführung wohl der Plan Berber — Suakin, für welche
Strecke schon zum Teil Vorarbeiten gemacht worden sind, /erschlagen.
Allerdings würde sowohl die letztgenannte Eisenbahn, wie auch diejenige
über Kassala dem Handel nach Ägypten Abbruch thun; trotzdem erscheint
die Ausführung der unter 2. bezeichneten Strecke wahrscheinlich, da sie in
Rücksicht eines etwaigen Krieges mit Abessinien auch strategischen Zwecken
dienen soll. Diese Bahn war schon früher geplant worden; durch ihren recht-
zeitigen Ausbau wäre der Zusammenbruch der ägyptischen Herrschaft am
oberen Nil wahrscheinlich verhütet worden.
Würde dieser Bau ausgeführt werden, so wöre Massaua als Handels-
platz tot gemacht und die geplante Verlängerung der schon gebauten
Linie Massaua — Saati, deren Verzögerung bis auf das Hochland schon wesentlich
den Verlust des italienischen Einflusses in Abessinien und damit den
Verlust der Schutzherrschaft verschuldet hat, dürfte dann wenig Zweck
haben. Die Arbeiten für die Weiterausführung der genannten Strecke nach
Asmara sollen allerdings demnächst in Angriff genommen werden, und es
verlautet auch, dafs die Verhandlungen über die Fortsetzimg der Bahn von
Asmara über Keeren nach Kassala, die mit englischem und italienischem
Kapital hergestellt werden soll, guten Fortgang nehmen. Diese Verlängerung
ist für die zukünftige Entwickelung der italienischen Kolonie um so wichtiger,
als diese in der Richtung auf den Sudan zu suchen ist, besonders da der
Süden Abessiniens, wenn man denselben als Handelshinterland des italienischen
Hafens am Roten Meer glaubt ansehen zu können, für den Handelsverkehr
verloren gehen dürfte, sobald die im Bau befindliche Linie Dschibuti— Harrar,
welche im November 1899 bis 140 km dem Betrieb übergeben werden konnte,
fertig gestellt ist.
Diese Eisenbahn, welche die Anfangsstrecke einer geplanten allerdings
wohl noch in weiter Ferne liegenden gröfseren Linie in Abessinien ist, die
nach Adis Abeba und dann weiter nach dem oberen Nil geführt werden
soll, ist von sehr hoher politischer Bedeutung, denn wenn auch, infolge ver-
schiedener Umstände, das Ansehen der Franzosen am Hof des Königs Menelik
in letzter Zeit erheblich gesunken ist, so wird doch der französische Küstenort
Dschibuti nach der Fertigstellung der Bahn erst recht gleichsam zum Hafen
Abessiniens werden. Aus diesem Grunde wird die Bahn durch die franzö-
sischen Behörden gefördert, wenn auch der Bau durch eine Privatgesellschaft
ausgeführt wird.
Im Anfang wird diese Linie allerdings mit einigen Schwierigkeiten hin-
sichtlich der Erträgnisse zu kämpfen haben, bis ein regclmäfsiger Waren-
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Kilrchhoff:
austausch mit den ausfuhrfähigen Gebieten im Süden und Wösten von Schoa
sieb entwickelt hat, denn zunächst besteht zwischen Süd-Abessinien und der
Küste kein lebhafter Handelsverkehr. Später dürfte aber Gewinn zu er-
warten sein, besonders da der König Menelik die Absiebt hat, nach Fertig-
stellung der Bahn jeden Handelskarawanenverkehr zwischen Harrar und der
Küste zu untersagen, und da ferner der erbauenden Gesellschaft auf längere
Zeit hinaus ein Monopol zugesichert und derselben ausdrücklich versprochen
ist, dafs keine Konkurrenzlinien gebaut werden dürfen. Daher wird es
dieser Strecke auch möglieh werden, einen Teil des Handels des nördlich
gelegenen Massauas, besonders aber denjenigen des südlich befindlichen eng-
lischen Zellas, das wohl seine Handelsbedeutung vollständig verlieren dürfte,
an sich zu ziehen.
Aufser vom Nil aus versuchen die Engländer auch von ihren ostafrikanti-
schen Besitzungen her den Sudan zu erreichen, und zwar vermittels der im
Bau befindlichen bis jetzt in einer Länge von 582 km Länge fertigen Uganda-
bahn. Diese Linie, die eine Gesamtlänge von 938 km erhalten wird, beginnt in
Mombassa, das als Verkehrsmittelpunkt für Engliseh-Ostafrika angesehen werden
kann, und soll in Kavirondo an der Ostseite des Viktoria-Sees enden; die weitere
Verbindung über den genannten See vermitteln dann Dampfer. Zum Haupt-
hafenplatz am Indischen Ozean ist Kiliudi bestimmt, das einen geräumigeren
und geschützteren Hafen als Mombassa hat. Die Eisenbahn, die den Zweck
hat, die Ersehliefsung Ugandas zu fördern und die englisebe Oberhoheit da-
selbst sicher zu stellen, durchzieht Britisch-Ost- Afrika in einer der deutsch-
englischen Grenze fast parallelen Streike und ist am Kilimandscharo nur etwa
vier Tagereisen von dieser entfernt. Der bis jetzt eröffnete Teil bat schon
das Geschäft zwischen dem Hinterland und der Küste ganz bedeutend ge-
fördert. Die Geschäftsleute haben endgiltig auf den Karawauenverkchr, der
nach dem deutschen Gebiet führt, verzichtet, und es ist sicher, dafs, wenn
deutscherseits nicht bald mit dem Bau einer zentralafrikanischen Bahn be-
gonnen wird, der gröfste Teil des Handelsverkehrs aus dem nördlichen
Teil des ostafrikanischen Schutzgebietes auf die Ugandabahn hinüber-
getrieben wird.
In Deutsch-Ost-Afrika hat die Usambara-Bahn mit einer Gesamtlänge
von 87 km nur örtliche Bedeutung. Diese Linie, von Tanga beginnend, ist
bis Muhesa im Betrieb und von hier bis Korogwe im Bau.
Während England, wie wir weiter oben gesehen haben, von Norden
und Osten her den östlichen Sudan zu erreichen sucht, will von Westen her
der Kongostaat — Frankreich ist nach den Verträgen vom August und März
des Jahres 1899 ein weiterer Wettbewerb in dieser Richtung unmöglich ge-
macht — in die bezeichneten Gebiete eindringen.
Den Anfang zur Ausführung dieses Plaues machte die Kongobahn,
welche ein bedeutendes Werkzeug für die Ausdehnung des Handels und
der Civilisation ist. Sie wurde im Jahre 1889 bei Matadi, bis wohin die
grofsen Seedampfer gelangen können, begonnen und im Laufe von neun
Jahren, teils durch Mangel au Geldmitteln, teils durch Ausführimg be-
deutender Kunstbauten oft verzögert, bis nach Dolo und dann weiter nach
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Die Eisenbahnen in Afrika und ihre Bedeutung für den Handel. 71
Leopoldville, dem Regierungssitz, und den Faktoreien von Kinchafa erbaut.
Der Kongostaat hat mit dieser vollendeten Bahn eine starke Stütze er-
halten, die ihm ein namhaftes Übergewicht über die kolonialen Unter-
nehmungen der anderen europäischen Mächte in diesem Teil von Afrika
sichert und einer aufserordentlichen Ausdehnung des Handels die Wege öffnet,
da der im Innern schiffbare Flufs der wahre Weg in das Herz Afrikas ist.
Seine Bedeutnng für den Handel könnte jedoch erst voll ausgenutzt werden,
wenn die die Schiffahrt nach der Küste hindernden Stromschnellen durch
eine Eisenbahn umgangen würden. Diese wichtige Aufgabe löst die Kongo-
bahn. Neuerdings ist eine 30 km lange Zweiglinie von Borna nach Buki
eröffnet worden.
Die Kongobahn hat in Bezug auf die wirtschaftliche Entwickelung des
Landes die günstigsten Ergebnisse geliefert, denn das einzige Hindernis für
den erleichterten Transport und Ermäfsigung der Frachtsätze bildete jene
Strecke, auf welcher die Überwindung der Grenzgebirge sich schwierig ge-
staltete und der Lauf des Kongos nicht schiffbar ist. Welche Vorteile die
Bahn bietet, geht am deutlichsten aus der Thatsache hervor, dafs es jetzt
möglich ist, in zwei Tagen den Weg um die Stromschnellen zurückzulegen,
zu dessen Bewältigung noch vor einigen Monaten 18 Tage erforderlich
waren. Von Dolo aus vermitteln den Verkehr Dampfschiffe auf den weiten
schiffbaren Strecken des Kongo und seiner Nebenflüsse, und wo dieses wieder-
um unmöglich ist, setzen weitere Pläne des Kongostaates ein, die nach dem
Nil und seinen Verkehrslinien sowie nach den grofsen mittelafrikaniscben
Seen streben. König Leopold, der Souverän des Kongostaates, hat schon
seit langer Zeit sein volles Augenmerk auf die Wasserstrafse des Nils und
die vorzügliche Verbindung des Kongostaates durch diesen zum Mittelmeer
hingelenkt. Um an dem genannten Flufs festen Fufs zu fassen und um
dort einen Verkehrsmittelpunkt mit allen erforderlichen Einrichtungen zu
schaffen, haben Kongotruppen im vorigen Jahr den Ort Bor unter 6° 12' nörd-
licher Breite, 120 km nördlich von Lado, am rechten Nilufer besetzt und im
Anfang dieses Jahres wurde durch kgl. Erlafs die Summe von 300 000 Fr.
ausgesetzt, um Vorstudien zu machen für eine Bahn, welche an einem
noch näher zu bestimmenden Ort des bis Akue'tana schiffbaren Itimbiri be-
ginnen, in nordöstlicher und östlicher Richtung über den Bomokondi und
durch das Uellethal verlaufen und in der Nähe von Redjaf den Nil erreichen
soll. Diese Linie vom Kongobecken nach dem oberen Nil wird für den
Verkehr vom nördlichen nach dem zentralen Afrika von besonderer Be-
deutung sein, da durch sie der letztgenannte Flufs die unmittelbare und
bequemste Zufahrtsstrafse in den Osten des Kongostaates werden mufs.
Ein zweites ebenfalls vom König der Belgier angeregtes Projekt, für
welches von privater Seite schon Vorstudien gemacht worden sind, geht
dahin, den Osten und Südosten des Kongostaates, den durch Stromschnellen
und die Stanleyfalle dem Schiffsverkehr mit dem mittleren Kongo abge-
schnittenen oberen Kongo (Lualaba) durch eine Eisenbahn zugänglich zu
machen, die Sultanate am oberen Lauf des Flusses in ständige Verbindung
mit dem unteren Lauf zu bringen und die Landschaften Manyema, Urua
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Kürchhof f:
und Katcngo zu erschliefsen. Die Eisenbahn soll zunächst von Stanleyville
nach einem etwa 150 km östlich gelegenen Punkt am oberen Kongo, wahr-
scheinlich Mtawa oder am Ituri gebaut und dann von dort durch zwei
Zweiglinien einerseits längs des Lukuga bis an den Tanganjika, andererseits
bis an deu Albert Njansa weitergeführt werden. Die Belgier hoffen, auf
diese Weise die Uferländer beider Seen in das Wirtschaftsgebiet des Kongo
einbeziehen und die ersten Vorbedingungen eines transafrikanischen Handels-
weges zwischen Mittelmeer und atlantischem Ozean schaffen zu können.
Die Ausführung einer auf und an dem Kongo mit Dampf betriebenen Ver-
kehrsgelegenheit zwischen dem innerafrikanischen Seengebiet und der atlanti-
schen Küste ist von einschneidender Bedeutung für die Entwicklung des
Kongostaates.
Eine Privatgesellschaft beabsichtigt ferner zur Erleichterung des Ver-
kehrs auf dem zwischen Makanghai und Songo mit Stromschnellen durch-
setzten llbangi, einem rechten Nebenllufs des Kongo, zur Umgehung dieser
Hindernisse eine etwa HO km lange Schwebebahn anzulegen.
Am 1. August wurde aufserdem die von Borna direkt nach Norden
führende Mayumbe- Eisenbahn, die den Schiloango, den Grenzflufs zwischen
dem Kongostaat und Französisch - Kongo erreichen soll, auf eine Länge von
43 km fertiggestellt. Sie erreicht den genannten Grenzfluß) bei Lukundungi
und wird bis zu dem genannten Ort eine Gesamtlänge von 200 km er-
halten. Das Gebiet, nach welchem die im Jahre 1899 begonnene Linie
genannt wird, bildet den südlichen Teil von Französisch-Kongo. Der Boden
von Mayumbe ist aufserordentlich reich und von staunenswerter Fruchtbar-
keit; schon jetzt findet ein bedeutender Handel von Ebenholz nach dem
Kongostaat statt.
Die dritte der in Afrika mit grolsem Besitz beteiligten Mächte, Frank-
reich, entwickelt im Westen eine rege Thätigkeit im Ausbau des Bahnnetzes.
Die in Aussicht genommenen Strecken haben neben ihrer Wichtigkeit für
den Handel meist auch in politischer Beziehung grofse Bedeutung, da sie
die Ausführung der französischen Pläne, welche auf einen Zusammenschluß
aller Schutzgebiete, auf die Gründung eines nordafrikanischen Kolonialreiches
abzielen, unterstützen sollen.
Die älteste Eisenbahn in diesen Gegenden ist diejenige von St. Louis
nach Dakar in Französisch-Senegal, die im Jahre 1885 in Betrieb genommen
wurde. Ersteres liegt an der Mündung des schiffbaren Flusses, nach welchem
die Kolonie ihren Namen hat, so dafs hier also, wo die Waren aus dem
Inneren ankommen, der gegebene Ort. für den Regierungssitz ist. Jedoch
ist der Hafen schlecht, da nur Fahrzeuge von geringem Tiefgang unter
günstigen Umständen die vorgelagerte Barre passieren und in deh Flufs selbst
gelangen können. Dakar dagegen besitzt einen guten Hafen, der gegen die
Ozeandünung geschützt ist und in dem auch tiefgehende Schiffe an einer
Mole anlegen und bequem ihre Ladung löschen können. Die Eisenbahn ist
also von hoher handelspolitischer Wichtigkeit. Ebenso auch die 156 km
lange Strecke Khayes — Bufalube. Der Senegal ist bis zu dem erstgenannten
Ort, etwa 1100 km von der Mündung, schiffbar, und dann erst beginnen die
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Die Eisenbahnen in Afrika und ihre Bedeutung für den Handel. 73
die Schiffahrt hemmenden Stromsehnellen. Sie umgeht die genannte Bahn.
Diese schon seit mehreren Jahren betriebene Strecke soll nun bis zum Niger
verlängert werden; die ganze Linie würde dann neben dem Handel auch
der Politik dienen, denn sie ist die Folge der politischen Mafsnahmen,
welche Frankreich dazu geführt hat, sich mehr und mehr im Hinterland
der französischen Territorien in West-Afrika auszubreiten, und sie wird nach
ihrer Fertigstellung den Franzosen den Nigerbogen sicher stellen, indem
sie die französischen Kolonien des Sudan und von Dahomey verbindet, und
wird dem französischen Handel das ungeheuere innere Bassin des Niger
und seiner Zuflüsse öffnen, da sie an den schiffbaren Mittellauf direkt an-
schließt. Die Linie, welche eine Länge von 400 km erhalt, soll 1904
beendigt sein; die Gesamt-Baukosten werden auf 25 Mill. Francs veranschlagt.
Ein Bezahltmachen der Anlage ist bei der grofsen handelspolitischen Be-
deutung der Linie als ziemlich sicher anzunehmen, besonders wenn man in
Betracht zieht, dafs schon bei der oben genannten Bahn nach Bufalube die
Einnahmen die Unterhaltungskosten vollständig decken, obwohl auf dieser
Strecke kein wichtiger Handelspunkt berührt wird. Die Verlängerung, deren
Bau im Anfang dieses Jahres von dem Geniekorps begonnen worden ist,
endet am Niger bei Kulikoro, von welchem Ort aus die Schiffahrt das ganze
Jahr über auf dem mittleren Teile des genannten Flusses bis Say möglich
ist, wie einige Versuche gezeigt haben, bei denen auch die wenigen nicht
bedeutenden Stromschnellen ohne Schwierigkeit überwunden wurden.
Zu gleicher Zeit wie die angegebene Bahnlinie wurde auch von
Konakry aus der Bau einer Eisenbahn nach dem Niger in Angriff genommen,
welche ebenfalls den Zweck hat, die Vorherrschaft von Frankreich innerhalb
des Nigerbogens fester zu begründen und den Wettbewerb anderer Mächte
möglichst auszuschliefsen. Diese Bahnlinie, zu deren Bau die Erlaubnis
seitens der französischen Regierung im Februar 1900 erteilt worden ist,
soll das Hochland von Futa Djalon erschliefsen und bei dem Dorf Kadamania
30 km oberhalb des durch seinen reichen Markt berühmten Kurussa am Niger
endigen.
Die Herstellung dieser Bahnlinie war in gewissem Sinn dringlich, da
seit dem 1. Mai 1899 die englische Kolonie Sierra Leone eine Eisenbahn
besitzt, welche zunächst nur bis zur Entfernung von 50 km in das Land
hineinführt, in nächster Zeit aber bis zum Niger fortgeführt werden soll, und
mit Hilfe welcher England den Handel des Nigerbogens an sich reifsen
konnte, wenn sich Frankreich in der erwähnten Bahn nicht einen ähnlich
wichtigen, die Transportkosten verringernden Handelsweg zugelegt hätte.
In Dahomey soll eine Eisenbahn von Kotonu ausgehen und zunächst
nach Tschäuru fuhren, bis zu welchem Ort die Vorarbeiten schon beendet
sind. Später ist eine Verlängerung nach Paraku und zum Niger vorgesehen,
wodurch dieser Schienenweg eine Gesamtlänge von 700 km erhalten würde.
Diese Bahn würde den nicht schiffbaren Mittellauf des genannten Flusses
umgehen und gleich an den für Fahrzeuge benutzbaren Teil anschlicfson.
Trotzdem Kotonu nicht der wichtigste Hafen der Kolonie ist, wurde er
doch als Anfangspunkt der Eisenbahn gewählt, da er allein Entladungs-
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Kürchhoff:
einrichtungen besitzt, welche das Ausschiffen des schweren Materials gestatten.
Die Bahn folgt zunächst der Küste bis Nidah, wendet sich dann nach der
Provinz Allada, für welche man von diesem Verkehrsweg eine wesentliche
Erweiterung des Olpalmenbaues erhofft. Dann führt die Linie durch die
Provinz Abonn hindurch, berührt aber den Ort gleichen Namens nicht selbst
da dieser erstens auf dem höchsten Punkt des Landes liegt und zweitens
absolut keine handelspolitische Bedeutung hat.
Die Thätigkeit der Franzosen in diesen Gebieten liefs die Engländer
nicht ruhen, und sie begannen nun auch ihrerseits mit dem Bau von Eisen-
bahnen vorzugehen. Zunächst wurde in der englischen Kolonie Sierra Leone
eine Eisenbahn zwischen Freetown und Songotown 1895 begonnen. Die Gründe,
welche zur Herstellung dieser Bahn Veranlassung gaben, sind hauptsächlich
darin zu suchen, dafs es den Franzosen in den der Sierra Leone benachbarten
Gebieten gelungen war, durch geeignete Zollmafsnahmen u. s. w. fast den
ganzen Handel aus der Sierra Leone nach der französischen Küstenstadt
Konakry zu ziehen. Während die Franzosen ferner sehr rührig in dem Bau
von Verbindungswegen nach dem Inneren waren — so hatten sie z. B. eine
Strafse angelegt, die von Konakry nach dem Niger führt — , hatten die Eng-
länder an der Sierra Leona fast noch nichts für die Erschliefsung des Landes
gethan. Der Handel von Freetown ging von Jahr zu Jahr zurück. In der
richtigen Erkenntnis, dafs Verbindungswege die Strafse des Handels aufser-
ordentlich beeinflussen, bauten die Engländer noch in zwölfter Stunde die
obenerwähnte Bahn und haben dadurch den Franzosen den Vorsprung wieder
abgerungen. Die Strecke soll noch weiter in das Innere bis nach Kotombo
weitergeführt werden.
In der englischen Kolonie Aschanti ist der Bau einer Eisenbahn
von Akkra nach Kumassi zur Sicherung und Erschliefsung des Aschanti-
landes beabsichtigt und schon bis 22 km fertiggestellt. Die Verlängerung
nach den grofsen Handelszentren von Bontuku und Salega, von denen aus
dio Händler die europäischen Waren nach dem Inneren führen, ist vor-
gesehen.
Seit 1896 ist in der englischen Kolonie Lagos eine Eisenbahn im Bau,
die von Lagos über Aberkuta — 1897 eröffnet — und Ideban nach Rabba
am Niger führen soll. Die Bahn, die durch reiche Gegenden führt, soll
diese erschliefsen, weshalb die Anlage Aussicht auf einen beträchtlichen Erfolg
zu haben scheint; allerdings mufs in Betracht gezogen werden, dafs der
Niger von Rabba bis zur Küste schiffbar ist, also einen gefährlichen Kon-
kurrenten darstellt. In diesen Gegenden müssen noch zwei Bahnen, die jedoch
nur lokale Bedeutung haben, Erwähnung finden, und zwar die im Bau be-
findlichen Strecken von Sikundi nach Tarqua zur Erschliefsung der dortigen
Goldminen, und die geplante Linie von Komöe von der Mündung dieses
Flusses an aufwärts, erstere in Englisch- Aschanti, letztere in der französischen
Kolonie Goldküste.
Unabhängig von Flüssen sind die Eisenbahnen in den westafrikanischen
Kolonien Portugals erbaut, jedoch sind dieses nur Erschliefsungsbahnen für
kleinere Gebiete, eine gröfsere wirtschaftliche Rolle mit Beziehung auf die Er-
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Die Eisenbahnen in Afrika und ihre Bedeutung für den Handel 7f)
Schließung Innerafrikas können sie nicht spielen. Hierzu kommt noch, dafs
trotz aller fortgesetzt an die Öffentlichkeit tretenden Projekte der Bahnbau
neuerdings fast ganz zum Stillstand gekommen ist.
Die Linie Loanda- Ambakka, deren Ausbau bis Melange im Werke ist
und die später bis Rhodesia weitergeführt werden soll, dient der Erschließung
der reichen Kautschukdistrikte bei Melange. Diese Eisenbahn ist im
Jahr 188D begonnen worden, hatte jedoch im Jahre 1897 erst Ambakka
erreicht und 1899 im September erst den nur wenig weiter liegenden Lu-
kallafluTs, wodurch die Gesamtlänge 363y2 km erreichte. Im März 1897
wurde zwischen der portugiesischen Regierung und der erbauenden Gesellschaft
ein Vertrag abgeschlossen, nach welchem die Verlängerung nach dem loO km
entfernten Melange hergestellt werden sollte. Die Linie durchzieht einen
guten Kaffeedistrikt, und man hofft daher nach der Erreichung von Melange
auf reichliche Erträgnisse, welche bisher aus verschiedenen Gründen nicht
erzielt worden sind. Die Vorarbeiten sind bis zu dem letztgenannten Ort
abgeschlossen, aber über die Inangriffnahme dieser Strecke verlautet nichts.
Der Bau einer Zweigbahn nach Dondo ist ebenfalls schon in Aussicht ge-
nommen.
Die nur 23 km lange Bahn von Benguella nach Kalumbella ist eben-
falls von keiner grofsen Bedeutung und diente hauptsächlich dem Kautschuk-,
Elfenbein- und Wachshandel; sie ist augenblicklich aul'ser Betrieb und
wird zweifellos in kurzem zum Verkauf kommen. Das Kapital der Gesell-
schaft war zu klein, um den Kampf mit den bedeutenden Handelshäusern
Benguellas bestehen zu können. Letztere thaten sich zusammen in der
Absicht, die gut gebaute und wertvolle Bahn zu einem geringen Preise zu
erwerben.
In letzter Zeit sind noch zwei weitere Bahnprojekte an das Licht der
Öffentlichkeit getreten. Das eine, für welches schon die königliche Erlaubnis
erteilt worden ist und das auch besonders für die deutsche Kolonie Süd-
west-Afrika Interesse hat, betrifft eine Eisenbahn, die von Porto Alexandra
ausgehen und zunächst das Humbe-Hochland erreichen soll. Es ist anzu-
nehmen, dafs diese Bahn sich rentieren wird, da ein grofser Export von
Kaffee, Sprit, Kautschuk, Vieh, ölen und Wachs aus dem genannten Hoch-
land vorhanden und auch die Provinz Mossamedes reich an Handelsobjekten
verschiedener Art ist. Später soll die Bahn bis in die Golddistrikte weiter-
geführt werden. Der Bau dieser Bahn wird von der Mossamedes- Gesellschaft
sehr gewünscht; denn diese hat in der Provinz grofse Landkonzessionen,
kann jedoch den Wert derselben ohne Eisenbahn nicht ausnutzen.
Ein zweites mehr als lokale Bedeutung habendes Projekt betrifft eine
Bahn, die von Lobito, 38 km nördlich Benguella, ausgeht und über letzt-
genannten Ort, dann über Kakonda das Marutse-Reich erschliefsen soll.
Dieser Plan verdankt sein Entstehen den Mafsnahmen des Kongostaats, durch
welche der Handel auch südlich an seinen Grenzen nach diesem abgelenkt
würde und für die Kolonie Angola verloren ging. Dieses Projekt soll hierin
Wandel schaffen.
Ein drittes Projekt ist endlich dasjenige einer Eisenbahn von Kaliuda
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76 Kürchhoff: Kiwcnbahnen in Afrika u. ihre Bedeutung für den Handel.
nach Tschiloango. Die beiden letztgenannten Anlagen würden, wenn aus-
geführt, der dortigen Landwirtschaft einen aufserordentlich grofsen Auf-
schwung geben.
Auch in den portugiesischen Provinzen in Ost- Afrika haben es die
Eisenbahnen über eine lokale Bedeutung nicht hinausgebracht, hier sind im
Betrieb:
1. die Bahn Laurenzo Marqucz — Pretoria in Transvaal,
2. die Bahn Beira nach Fort Salisbury in Englisch-Rhodesien. Der
Bau dieser Linie wurde 1894 begonnen, und zwar wurde zunächst die Strecke
Fontesvilla am Pongwe nach Chimrio hergestellt. Man hatte gehofft, den
genannten Flufs zur Schiffahrt bis Beira ausnutzen und daher diese Eisen-
bahnstrecke sparen zu können. Man hatte sich aber getäuscht, und eine
Verlängerung bis an das Meer war notwendig. Vor kurzem erfolgte der
Ausbau nach dem Innern über Umtali bis Fort Salisbury, und hier dürfte
die Linie endgiltig beendet sein, nachdem die neuen englischen Eisenbahn-
Pläne eingreifen.
Neuerdings sind auch Pläne aufgetaucht, welche bezwecken, Beira mit
Jete und Ugundani, letzteres am Zusammenflufs des Schire und Sambesi, zu
verbinden.
In Deutsch -Südwest- Afrika ist eine Eisenbahn im Bau, die vom Hafen
Swakopmund ausgehend, die Hauptstadt der Kolonie, Windhoek, erreichen
soll. Die Linie, welche bis 108 km schon dem Verkehr übergeben ist, dient
zunächst rein örtlichen Interessen, da sie an Stelle des bis jetzt üblichen
Ochsenwagenverkehrs treten soll.
Die von dem englischen Hafen Walfisch-Bai ausgehende 1 8 km lange
Linie, welche eine Konkurrenzstrecke der eben angegebenen werden sollte,
dürfte nun wohl eingehen, besonders da sie nur durch beständiges Arbeiten
vor dem Verwehen durch Sand geschützt werden kann.
Die weiteren Eisenbahnbaupläne für die zuletztgenannte deutsche Kolonie
haben noch so wenig greifbare Gestalt, dafs ihre Angabe nicht in den
Rahmen dieses Aufsatzes passen dürfte. Dagegen sollen noch zwei Projekte
Erwähnung finden, welche, wenn ausgeführt, für die gesamte Entwickelung
von Afrika von grofser Bedeutung sein würden. Es handelt sich um die
nord-süd-afrikanische von Kairo nach Kapstadt führende und um die trans-
saharische Eisenbahn. Da die Absichten in beiden Fällen nach sehr all-
gemeiner Natur sind, so soll von einem genaueren Eingehen Abstand ge-
nommen werden. Als Glieder der ersteren sind im Norden die Bahn bis
Chartum gebaut und bis Sobat geplant, im Süden bis Buluwayo im Betrieb
und bis Waknie am Sambesi geplant, sodafs bis jetzt 3753 km schon im
Betrieb sind, während noch 5354 km zu bauen übrig bleiben. England,
dessen Projekt die ganze Unternehmung ist, würde im Norden den sehr be-
deutenden Vorteil haben, dafs Britisch-Ost-Afrika und Ägypten mit einander
verbunden würden. Die Fortsetzung im Sudan würde wohl noch längere Zeit
brauchen, bevor ihr Wert als Handelsader zu Tage tritt, aber als Transport-
mittel für Arbeitskräfte wird sie sofort für die industrielle Entwickelung des
Sudan von hoher Bedeutung werden. In Johannesburg und Kimberley arbeiten
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J. Partsch: Heinrich Kiepert.
77
— von dem Kriegszustand mufs allerdings abgesehen werden — ungefähr
80 0O0 Eingeborene mit einem Durchschnittslohn von etwas mehr als
4 Pfund Strl. monatlich, nördlich des Sambesi arbeitet die Bevölkerung, in
deren Mitte die Eisenbahn führen würde, gern zu Löhnen von etwas mehr
als 4 Schilling monatlich. Dieser Umstand würde natürlich nicht fortbestehen,
sondern leichter und billiger Verkehr durch die Mittelpunkte arbeitsuchender
Gebiete dürfte die Preise der Handarbeit in ganz Ost-Afrika ausgleichen.
Das zweite Projekt entstammt hauptsachlich den politischen Wünschen der
Franzosen, ihre sämtlichen Besitzungen in West-Afrika zu einem Ganzen zu
verbinden. Bedeutenden Handelsverkehr würde die Bahn nicht erhalten, da
sie hauptsächlich unfruchtbare Gebiete durchfährt und die Waren der
Kolonien an der Westküste doch dem atlantischen Ozean nach wie vor zu-
streben werden. Die Eisenbahn wird wahrscheinlich an die schon bestehenden
Strecken bei AIn Sefra oder bei Biskra angeschlossen werden. Die erstere
Linie hält man jedoch durch die marokkanischen unruhigen Stämme für ge-
fährdet, und Anfang des Jahres 1900 hat eine von der Zeitung „Matin" aus-
gerüstete Expedition unter Professor Blanchet, welcher leider Anfang Oktober
1900 zu Dakar in Französisch -Senegal bei einer Forschungsreise gestorben
ist, die Gegend südlich Biskra, woselbst das Thal von Igharyhas einen sehr
guten Eingang in die Wüste bildet, bis Wargla erkundet. Als Endpunkt
im Sudan sind Timbuktu oder der Tsad-See oder beide in Aussicht ge-
nommen.
Heinrich Kiepert.
Ein Bild seines Lebens und seiner Arbeit
von J. Partsch.
(Schlufs.)
Treten wir nun dem reichen Inhalt von Kiepert's Lebensarbeit näher, so
wird es sich empfehlen, gesondert den beobachtenden Reisenden, den Forscher,
den Lehrer, den Schriftsteller, den Kartographen zu würdigen und dabei die
wichtigsten seiner Leistungen zu überschauen. Das knappste Bild seiner
Arbeitsweise im Felde hat er selbst gegeben in dem Abschnitt: „Topogra-
phische Beobachtung und Zeichnung", der G. Neumayer's Anleitung zu wissen-
schaftlichen Beobachtungen auf Reisen (Aufl. 1. Berlin 1876. S. 39—48)
eingefügt ist. Noch vollkommener aber als aus der kleinen dort beigegebenen
Routenprobe aus der Gegend Jerusalems x) ersieht man Kiepert's Arbeitsmethode
und die durch ihre vollendete Ausübung erzielten Ergebnisse aus den Itine-
raren auf der Insel Lesbos von H. Kiepert und R. Koldewey, Berlin 1890
(66 S.), wo die Grundlage des Kartenentwurfs dieser Insel (1:120000) in
Routenzügen von 750 km Länge übersichtlich niedergelegt ist. Nur mufs man,
um auch von dem Gewinnen des Terrainbildes eine volle Anschauung zu haben,
l) Die kleinasiatischen Reisen sind auf seiner grofsen Karte Westkleinasiens
am besten übersehbar durch besondere Bezeichnung hervorgehoben.
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78
3, Partsch:
ergänzend etwa noch den Aufsatz über die Ortslagen am Südfufs des Ida-
Gebirges hinzunehmen, wo ein Beispiel der durch Winkelmessungen be-
reicherten Panoramenzeichnung gegeben ist, die Kiepert als beste Grundlage
für die Darstellnng des Reliefs empfahl und mit vollendeter Fertigkeit übte.
Auf einem nicht veröffentlichten Plan von Skythopolis (Besän) in Palästina
hat er um den Grenzkreis des runden Kartenbildes das vom Kartenmittel-
punkt aus aufgenommene Panorama perspektivisch eingezeichnet. Als In-
strumente verwendete er die Diopter- Bussole und den Douglas'schen Reflektor
für feinere Winkelmessungen nach fernen Objekten; für die Wendungen der
Route den Taschenkompal's. Die Uberzeugung der Leistungsfähigkeit
dieser einfachen Hilfsmittel, die er mit Wanne schon 1842 in einem Brief
aus der Troas an Carl Ritter vertritt, hat sich ihm bei steigender Übung
nur immer weiter befestigt. Aber man wird dabei nicht übersehen, dafs die
Leistung des Werkzeugs bei ihm verschärft wurde durch die individuelle
Neigung und Gewohnheit eines von vornherein ungewöhnlich begabten topo-
graphischen Beobachters. Itinerar führen war ihm zur andern Natur ge-
worden; er konnte schon kaum anders seine Wege machen. Ein Notizbuch
über eine vergnügte Ferienfahrt nach Bayern und dem Salzkammergut (1854)
zeigt ein wunderbares Geflecht, in dem exakte Itinerare auf Schlenderwegen
umrankt sind von jovialen Erinnerungen, drastischen Einfallen, frischen
derben Urteilen über Personen und Dinge. Und ebenso ist von Itinerarzeich-
nungen begleitet das Tagebuch einer Harzreise (1855 ) 1 j. Galt es aber auf
einer Tour im Dienste der Wissenschaft den Augenblick nutzen, so kannte
er weder Ermüdung noch Nachgiebigkeit wider rauhe Luft oder Sonnen-
brand, ehe er mit seinem Stift alles zu Erfassende sich erobert oder durch
Messung nach Möglichkeit gesichert hatte. So schildert ihn Aug. Schneegans
(Sizilische Skizzen, Unsere Zeit 1884, S. 409) in den Ruinen von Solunt:
„Neben den Trümmern eines Zeustempels hat die vorsichtige Fürsorge der
Altertümerverwaltung eine Hütte errichtet; wie kühl und erfrischend ladet
der Schatten zur Ruhe und zum ländlichen Mahle! Und wahrlich, von Nöten
sind Schatten und Ruhe nach diesem markvertrocknenden Umherwandern in
sengender Phöniziersonne f Einer aber von uns allen — darf ich ihn nennen?
Kein andrer war es als mein verehrter Freund Professor Kiepert, mit dem
mich das gütige Schicksal im Museum von Palermo zusammengeführt hatte
— er allein, obwohl der älteste unter uns, wollte von Ruhe und Schatten
nichts wissen, bevor er bis zum letzten Tropfen den Becher unsrer Alter-
tums- und Länderforschung geleert; und während wir schon die müden
(ilieder hinstreckten in der wohlthuenden Kühle, warf er noch mit rascher
Hand und raschen Strichen das Profil der Berge, die Höhen und Senkungen,
die Städte und Städtchen auf seine Papierrollen, eine Rundschau im Nu
skizzierend, zur Erinnerung an die Phönizierstadt und zur Belehrung auch
für die länderforschenden Gelehrten Deutschlands."
1) Bisweilen wuchsen diese auf Erholungswanderungen aufgezeichneten Itinerare
sich aus zu kleinen Veröffentlichungen. R v. Arnswaldt und H. Kiepert, Plan der
Umgegend von Eisenach (1:50000), Weimar 1853 (24 S. Text Plan des Ostsee-
bades Heringsdorf und seiner L mgebunpen. Berlin 1*62.
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Heinrich Kiepert.
Diese festgewurzelte Gewöhnung, mit dem scharfen Auge und der
strengen Aufmerksamkeit des Zeichners zu beobachten, gab nicht nur seinen
speziellen Kartonblättern frische, individuelle Lebenswahrheit, sondern war
auch eine wesentliche Vorbedingung seiner wissenschaftliehen Forscherarbeit.
Für den Zeichner sind die Erinnerungsbilder der Erfahrung sicherer und in-
haltsreicher; sie gewinnen damit unendlich an Wert für die doch nur der
Erfahrung entwachsende Ausbildung des Urteils über das, was topographisch
vernünftig und möglich ist. Dieser praktisch geschulte Blick gab Kiepert
eine ungemeine Sicherheit, einen festen Takt in der Beurteilung historisch -
topographischer Fragen, deren Lösung oft versucht werden mufs auf Grund
dürftiger mangelhafter Anhaltspunkte1). Deshalb stand er so fest in seinen
Schuhen und schritt zuversichtlich seinen Weg, wo andere zaghaft schwankten
und geneigt waren, dem Recht zu geben, der zuletzt das Wort geführt hatte;
und deshalb lohnt es sich- auch immer, wenn die Meinungen über alte Orts-
lagen noch auseinander gehen, Kiepert's Entscheidung zu Rate zu ziehen und
über die Gründe nachzudenken, die ihn geleitet haben mögen. Denn die
andre Vorbedingung, die Beherrschung der Quellen, kann man bei ihm in
der Regel von vornherein als sicher erfüllt betrachten. Die ernste Versenkung
in einzelne Blätter seiner historischen Atlanten, die Nachprüfung seiner Ent-
sehliefsungen und, soweit sie erkennbar sind, seiner Beweggründe erschliefst
dem Kundigen eine Ehrfurcht und Bewunderung gebietende Anschauung von
der Summe ernster Forscherarbeit, die in Kiepert's historisch-kartographischen
Leistungen niedergelegt ist. In der Bestimmtheit des Meinungsausdrucks,
zu der die kartographische Eintragung zwingt, im Gegensatz zu dem leicht
sich wendenden, jede Stufe der Sicherheit oder des Zweifels wiederspiegelnden,
jeden Spielraum ausnutzenden Wort, liegt ein gewaltiger Imperativ zu stren-
gem Nachdenken und für den ernsten Forschergeist ein Erziehungsmittel zu
scharfer Entsehlufsfähigkeit. Aber nur dem Tüchtigen füllt aus dieser Prüfung
eine Frucht für Geist und Charakter zu. Bei Kiepert fällt es schwer, zu
sagen, ob der historische Kartograph dem Menschen oder der Mensch dem
Kartographen mehr zu danken hatte.
Aus der strengen, wissenschaftlichen Auffassung der Aufgaben des Karto-
graphen erwuchsen unmittelbar eine Fülle von Problemen, die Kiepert in
tiefer dringenden, die Grenzen der Kenntnis erweiternden Untersuchungen zu
bewältigen hatte. Viele lagen auf dem Gebiete der antiken Topographie,
andre galten dem für ihren wissenschaftlichen Fortschritt unentbehrlichen
Horizont: der Geschichte der Erdkunde; besonders zahlreich aber und für
seine Arbeitsweise bezeichnend waren seine Studien zur historischen Völker-
kunde. Schon das Bestreben, die Namenselemente der historischen Karte
richtig zu erfassen, führte ihn über die Grenzen der blofsen kritischen Quellen-
l) Ein Beispiel seines treffenden Urteils in einer sehr schwierigen, lange ganz
anders beantworteten Frage bietet seine durch die späteren Ausgrabungen glänzend
bestätigte Bestimmung der Lage von Dodona; vgl. Globus XXXII, 1&78, 232—235.
Ebenso beurteilte er, lange ehe die örtliche Einzeluntersuchung dafür die sichere
Entscheidung erbrachte, im wesentlichen richtig die Frage der angeblichen antiken
Einmündung des Oxus ins Kaspische Meer. Z. d. G f. E. IX, 266—275.
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80
J. Partsch:
I
Forschung, welche die geographischen Namensformen bei Schriftstellern, auf
Inschriften und Münzen scharf zu vergleichen und zwischen ihnen zu ent-
scheiden hat, hinaus in sprachliche Studien. Sein bis in hohe Jahre wunder-
bar frisches Gedächtnis hielt ihm einen so reichen Stoff zu Namensvergleichen
gegenwartig, dafs er ganz unwillkürlich die für einzelne Völkerkreise cha-
rakteristischen, für die Beurteilung ihrer Verbreitung und Verzweigung be-
deutsamen Formenelemente der Orts- und Personennamen, Wurzeln, Abwand-
lungssilben, Suffixe, Präfixe unterscheidend auffafste und zu Schlufsfolgerungen
über Sitze, Wanderungen, verwandtschaftliche Zusammenhänge der Völker zu
verwerten begann. Das wurde ihm erleichtert durch den bedeutenden Umfang
seiner sprachlichen Kenntnisse. Aufser den lebenden und toten Kultursprachen
Europas standen ihm auch gründliche Kenntnisse im Hebräischen Arabischen,
Armenischen'), Türkischen8) zu Gebote. Die enge Freundschaft, die ihn
mit Albrecht Weber, A. Kuhn, R. Gosche und Th. Nöldeke verband, sicherte
ihm jeden Augenblick den berufensten Beirat. War dies schon ein gewal-
tiger Vorteil für die Redaktion des Namenschatzes der modernen Karten, so
entsprangen aus diesem weiten linguistischen Umblick über eine zusammen-
gehörige Kulturwelt, wie ihn kein Geograph der Gegenwart mehr besitzen
dürfte, auch unerschöpfliche Anregungen für die historische Ethnographie.
Insbesondere erwies sich die Prüfung des Namenbestandes der Länder als das
einzige verläfsliche Mittel, über die frühesten Grenzen sicherer geschichtlicher
Überlieferung hinaus den Gang alter Völkerbewegungeu, die Zusammenhänge
raumlich getrennter Stämme zu enträtseln. Hier liegt eine zweite Wurzel
der Treffsicherheit und der Selbständigkeit der Urteile Kieperts auf dem
Gebiete der historischen Geographie. Ihn lockt« nicht leicht ein ety-
mologisches Irrlicht in den Sumpf; ihm leuchtete die Fackel selbsterworbenen
Wissens.
Von der Vielseitigkeit dieser Studien Kiepert s giebt seine Alte Geo-
Geographie eine lebendige Vorstellung. Sie erstreckten sich von den Iberern4)
1) Eine spezielle Frucht »einer hebräischen Studien war die Untersuchung
über die geographische Stellung der nördlichen Länder in der phönikisch-hebräischen
Erdkunde. Sgb. Akad. 1859, 191—220 m. K.
2) Aus seiner armenischen Lektüre erwuchsen die Akademie- Abhandlungen
über die Landes- und Volksgeschichte von Armenien. Sgb. Ak. 1861», 216-243;
über die Zeit der Abfassung des dem Moses von Chorene zugeschriebenen geogr.
Kompendiums (ebenda 1873, 599). Armenische Quellen suchte Kiepert heranzuziehen
für seine Untersuchung über die Lage von Tigranokerta (Sgb. Ak. 1873, 164 — 210
und Hermes IX, 139—149 m. K), welche den Anstois gab zu Mommsen's vortreff-
licher Abhandlung und der entscheidenden Reise Sachau*« (Abh. Akad. aus 1880..
Auch die Erklärung des Itinerars Pegolotti's (Sgb. Ak. 1881, 901—913) bereicherte
Kiepert durch Nachweise aus armenischen Schriftwerken.
3) Die vollkommene Kenntnis des Türkischen setzte ihn in den Stand, einem
nach Berlin geratenen Syrer Arsenis, der in Urraia ansässig war, die Topographie
der Umgebung dieses Ortes mit einer für kartographische Dartellung genügenden
Genauigkeit abzufragen. Zschr. Ges. f. Erdk. VII, 538—515, Taf. 7. Eine ähnliche
Arbeit leistete er in dem Erfragen und Aufzeichnen der Route Schapira's in Jemen.
Globus XXXVIII, 183—186 m. K.
4) Beiträge zur Ethnographie der iber. Halbinsel. Sgb. Ak 1864, 143-164 m. K.
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c
Heinrich Kiepert.
81
bis Indien1), fanden ihren Schwerpunkt aber in der Forschung über die äl-
testen erkennbaren Bevölkerungsverhältnisse der griechischen und der klein-
asiatischen Halbinsel. Seine Akademie -Vorträge über das Pelasger- und
Leleger - Problem *) sind nur zum kleineren Teile veröffentlicht. Dagegen
liegt klar anerkannt vor uns das Verdienst, welches Kiepert sich erwarb
durch die erste Begründung der Annahme einer vor der arischen Einwande-
rung vorhandenen, weder arischen, noch semitischen, sondern eher vielleicht
mit den kleinasiatischen Stämmen verwandten Urbevölkerung Kleinasiens und
Armeniens, welcher die auf alle Vokale folgenden konsonantischen Affixe
nd und ss (die Endungen — anda, — enda, — inda, — onda und — assa,
— essa, — issa, — ossa resp. — ndos und — nsos) angehören5). Wer selb-
ständig solche Forschungswege geht, der ist auch am besten dafür vorbereitet,
die von anderen in gleichem Streben geernteten Früchte tiefgehender Unter-
suchungen nachzuprüfen und die vollwertig befundenen einzureihen in das
Gesamtbild des Völkerlebens der Vorzeit
Die Vereinigung dieser Vorbedingungen in der Person eines Forschers
begründete Kiepert's Beruf, die schwierige Aufgabe einer Übersichtsdarstellung
der Alten Geographie in Angriff zu nehmen. Dieses Lehrbuch (Berlin 1878,
XVI, 544 S.) ist die gröfste schriftstellerische Leistung Kieperts. Er war
im allgemeinen für kartographische Darstellung zweifellos reicher beanlagt,
als für die Schriftstellerei. In seinen Abhandlungen, mochten es originale
Aufsätze oder Erläuterungen eigener Kartenbilder, oder Besprechungen frem-
der Geisteswerke sein, begegnet uns überall ein entschiedenes Überwiegen des
sachlichen, geistigen Inhalts über den Wert der Form4). Bei Kiepert fühlt
man sich mehr noch als beim alten Clüver an dessen Wort erinnert: „Nus-
quam fuit animus plus laboris verbis quam rebus insumere." Das ungestüme
Temperament verrät sich auch bei der Federführung in dem raschen, zur
streng logischen Subordination sich nicht ruhige Zeit lassenden Hervorsprudeln
der lebhaft sich drängenden Gedanken, in der ungefügen Länge unübersicht-
licher Perioden. Unter unwillkürlichem Verzicht auf Rundung, Ebenmafs
und Glättung der Formen des Ausdrucks ging Kiepert nur rasch und fest
auf das Ziel los, lud in rascher Ausschüttung seine Meinung und seine
Gründe ab und stürmte weiter. Mit dieser Genügsamkeit, sich selber irgend
eine Einsicht erobert zu haben, sie schnell einmal anderen vorzutragen, aber
sich nicht die Zeit zu ruhig feilender Ausarbeitung zu lassen, hängt es
zweifellos auch zusammen, dafs so viele Themata, die er vor der Akademio
1) über die geographische Anordnung der Namen arischer Landschaften im
1. Fargard des Vendidad. Sgb. Ak. 1856, 621—647.
2) Sgb. Ak. 1861, 114—182 m. K., 704. 1862, 635.
S) Fritz Hommel, Die ältesten Bevölkerungsverhältnisse Kleinasiens (H. Zim-
merer und R. Oberhummer, Durch Syrien und Kleinasien, Berlin 1899, 423, 424).
4) Es ist recht merkwürdig, wie treffend schon Bein Abiturientenzeugnis diesen
Zug seines Wesens andeutet : „Er versteht seine Gedanken, wie sie ihm entstanden
sind, in guter Ordnung hinzugeben, wobei er mehr um den Reichtum, die Richtig-
keit und Klarheit derselben, als um lebhafte Darstellung und (iewandtheit des Aus-
drucks bemüht ist."
Geographische Zeitechri t. 7. Jahrgang. 1901. S Heft. 6
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82
J. Partsch:
behandelte, eben nur in Überschriften der Nachwelt vorliegen. Sein rastloser
Geist wendete sich dann rasch neuen Aufgaben zu, ehe die Erledigung der
gelösten eine feste, schriftliche Form gefunden hatte. So erscheint es
beinahe wie ein Triumph, den er der eigenen Natur abgerungen, dafs
er das Lehrbuch in wohl gcgliedeter Anlage, vollendetem Ebenmafs der
Teile und klarer, glatt flüssiger Darstellung fertig brachte. Es bleibt ein
schönes Denkmal seines reichen Geistes, seines vielseitigen Wissens, seiner
in die Tiefe dringenden Denkkraft. Welch dringendem Bedürfnis er Genüge
schaffte, das beweisen unter anderen die englischen und französischen
Ausgaben, die für seinen Auszug (Leitfaden der Alten Geographie) nötig
wurden.
Was von dem Schriftsteller gilt, das mag auch bei der Kennzeichnung
des Lehrers von Bedeutung bleiben. Die ernste Begeisterung für den sach-
lichen Inhalt begründete die Anziehungskraft seiner Vorlesungen, nicht irgend
ein blendender äufserer Schein. Die Vorlesungen waren in ihrer ganzen An-
lage sorglich erwogen und ebeninäfsig ausgebaut. Im Einzelnen forderte
das rasche, etwas stofsweise Hervorquellen der lebhaft sprudelnden Gedanken
eine gewisse Gewöhnung des Hörers. In dem Inhalt seiner Vorlesungen blieb
er — so bestimmt ihm auch Carl Ritters Wirken Zeit Lebens als Muster
vorschwebte — doch den besonderen chorosophischen Gedankenwegen seines
Lehrers mit kritischer Zurückhaltung fern. Seinen eigenen Standpunkt gegen-
über der Frage der Abhängigkeit des Menschen von der Landesnatur, die ihn
umfängt, hat er allerdings nie in ausführlicher methodischer Auseinandersetzung
bezeichnet. Aber in der Beurteilung von Tozer's Lectures on the geography
of Greece (Z. d. G. f. E. IX, 152) spricht er es rund aus: „Was Tozer
(Kap. V) über den Einflufs des landschaftlichen Charakters auf den ethnischen
und politischen der betreffenden Gegenden — mehrfach den Ideen deutscher
Vorgänger folgend — zusammenstellt, klingt theoretisch ganz gut, macht
aber doch den Menschen — uneingedenk der Warnung des Thukydides — zu
sehr zum Sklaven der Scholle, auf der er erwachsen ist, und ignoriert mensch-
liche Freiheit uod Naturanlage allzusehr."
In einer Beziehung unterschied sich Kiepert's Lehrwirksamkeit zweifellos
sehr bedeutend und sehr vorteilhaft von der jedes anderen geographischen Do-
zenten: durch die seiner besonderen Fähigkeit entsprechende Hilfe der selb-
ständig, speziell für die Wirksamkeit beim Vortrag geschaffenen Kartenbilder.
Kiepert entwarf in erstaunlicher Schnelligkeit Wandkarten mit energischer,
charakteristischer Terraindarstellung. Nur durch diese Fertigkeit war es ihm
möglich, bisweilen für den Bedarf weniger Lehrstunden eine Wandtafel für
die Anschauung der Bodengestalt eines Landes hinzuwerfen mit besondrer
Betonung der Hauptgrundzüge und Eigentümlichkeiten, auf die sein Vortrag
Gewicht legen wollte. Sein Lehrapparat enthält eine ganze Reihe solcher
Darstellungen. Andre habe ich in seinem Nachlafs gesehen. In einer seiner
Vorlesungen aber, der Geschichte der Erdkunde, griff er zu dem Mittel, in
eigner autographisch vervielfältigter Zeichnung die Kartenbilder, welche den
Standpunkt des Wissens und Könnens der verschiedenen Epochen veran-
schaulichten, wiederzugeben und in jedes Hörers Hand so einen Atlas der
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I
Heinrich Kiepert. 83
Geschichte seiner Wissenschaft zu legen, wie ihn sicher kein zweiter Dozent
seinen Schülern zu bieten vermochte l).
So tritt in jeder Seite seiner reichen Wirksamkeit der Meister der
Kartographie hervor. Für dessen Würdigung bieten eine gehaltreiche,
sichere Grundlage die umfänglichen Erläuterungen, welche er seinen Karteu-
werken mit auf den Weg zu geben pflegte. Sie eröffnen einen vollen
Einblick in die Quellen, in die Methode, auch in die Grenzen des Erfolges
jeder grösseren selbständigen kartographischen Arbeit und enthalten einen
Schatz gründlicher Belehrung für den Zeitgenossen, eine Fundgrube kritischer
Nachweise für die künftigen Geschichtsschreiber der Erdkunde und der
Länderkunde. Die beiden Memoirs für den Robinson'schen Palästina-Atlas
und die erste grofse Karte Kleinasiens wurden bereits rühmend hervorgehoben,
aber auch die Texte zu den in der Zeilschrift für Erdkunde veröffentlichten
Karten, zu zahlreichen selbständigen Einzelkarten und den grofsen Atlanten
sind eingehendster Beachtung noch heute würdig.
Die höchste Aufgabe des Kartographen ist die schöpferische Konstruktion
des Oberflächenbildes bisher unvollkommen bekannter Erdenräume. Vor ihr
hat Heinrich Kiepert oft gestanden; in allen Erdteilen hatte seine konstruktive
Gewandtheit und sein kritisches Urteilsvermögen gegenüber ungleichwertigen
Quellen sich zu bewähren. Aber die bevorzugten Schauplätze seiner Original-
arbeit waren doch Vorderasien und die Balkanhalbinsel, — Gebiete, für die ein
fester Rahmen geschaffen war durch befriedigende Küstenaufnahmen, für
deren Inneres aber aufser einer beschränkten Anzahl ungleichwertiger, erst
besonderer kritischer Prüfung bedürftiger astronomischer Ortsbestimmungen
1) Die Reihe dieser Kartenbüder zur Geschichte der Erdkunde enthielt: Die
Erdkarte de8 Ptolemäus mit farbiger Unterscheidung der von ihm eingetragenen
und der wirklichen Länderumrisse , bezogen auf den Meridian von Alexandrien;
Arabische Erdkarten (Abu-Ishäq al-Istachri um 960, Abu-Abdallah Muhammed al-
Idrisi 1154); Proben arabischer Spezialkarten aus dem Kitäbu'l-aqlim des Abu Is'h&q
al-Istachri um «J50; Erdkarte aus dem Kommentar zur Apokalypse des Abtes Beatus
(XI. Jhd . . ; Erdkarte des Richard von Baldingbam (um 1800) in der Kathedrale zu
Hereford; älteste datierte Kompafskarte von I'ietro Vesconte 1318; Catalauische
Erdkarte 1375, die Karte der Zeni 1380; Erdkarte des Fra Mauro 1459; die Wasser-
halbkugel nach Martin Behaim und nach Job. Schoners Globus 15-20; Erdkarte von
Juan de la Cosa 1500; Seekarte von Diego Ribera 152Ü; nördl. und südl. Halbkugel
nach Gerb. Mercator's Globus von 1641. Mittleres Toscana, gez. von Lionardo da
Vinci. Gewifs sind noch andere solche für den Unterrichtszweck hergestellte Karten
in den Händen der Hörer Kiepert'*, wohl auch handschriftliche, für die Veröffent-
lichung gar nicht bestimmte Skizzen. Zu diesen gehört das Blatt Schizzo inedito di
una carta riassuntiva dellc cognizioni greche suir India di Enrico Kiepert compilata
e donata nel 1875, durante un corso speciale di geografia dell' Asia antica al Dot-
tore Fr. L. Pulle in Berlino. Offerta da S E. Guido Baccelli, ministro della p. istru-
zione al congresso internazionale degli orientalisti in Roma e al congresso inter-
nazionale geogratico in Berlino lH'.i'J (Stadl Italiani di Filologia Indo-iranica.
vol. Fy", T. 1). Für das in solchen Karten sich ausprägende lebendige Interesse an
der Geschichte der Erdkunde zeugt uuter seinen Veröffentlichungen besonders deut-
lich die lange Reihe der Kartenbilder zur Entdeckungsgeschichte Afrikas. Z. d. G.
f E. VIH, T. 3, 4, 6. Text S. 150—170, 433—441 auch als Heft 1 und 2 der Bei-
träge zur Entdeckungsgesch. Afrikas). 1873, 1874.
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J. Partsch:
nur Itinerare von Reisenden, bald gute, bald mangelhafte, zur Verfügung
standen. Bisweilen kam mit einem Schlage Sicherheit und Ordnung in ein
verworrenes Netz von Reisewegen, wenn es dem Kartographen selbst ver-
gönnt war, eine so unvollkommen bekannte Landschaft einmal zu durch-
schneiden und das aufmerksame Auge auch über die Gebiete zu beiden
Seiten des begangenen Weges weithin schweifen zu lassen. Aber wo
eigene Anschauung fehlte, war aufser vollster Beherrschung einer weit-
schichtigen Reiselitteratur treffende Beurteilung der Gewahrsmänner von
Wichtigkeit, nicht minder sichere Kenntnis der Natur, der Bevölkerung,
der Sprachen des Landes. Durch die enge Vertrautheit mit diesen Vor-
bedingungen, kraft deren selbst unvollkommene ältere Berichte ihm un-
mittelbar verständlich wurden1), war Kiepert als konstruktiver Kartograph
für einzelne Gebiete in ungewöhnlich vollkommener Weise vorbereitet. Bei-
spiele für den Wert seiner Mitwirkung bei der Verwertung von Routen
anderer bieten seine Bearbeitungen der Reisen von H. Barth8), Blau5),
J. G. v. Hahn4), P. v. Tsehichatschef5), Chanykoff6), Schönborn, Sperling7),
G. Hirschfeld8), Buresch9), E. Chantre10), der österreichischen Expeditionen
nach Karien, Lykien , Pamphylien und Kilikien11), J. G. Wetzstein"),
Heinr. Peterraann13), 11 Hartmann, B. Moritz, Humann und Puchstein14),
1) Hans Dernschwam's orientalische Reise (1553— 1666) aus Handschriften im
Auszuge mitgeteilt. Globus LH, 1887, 180— 190, 202—206, 214-220, 230 -235,
vgl. Sbg. Ak. 1863, 307—325 m. K.
2) Z. f. E. n. F. XVI.
3) Reisen in Bosnien und der Herzegowina. Berlin 1877. — Z. f. E. n. F. XI T. 3.
4) Reise von Belgrad nach Saloniki. Wien, 1KG8. Karte von H. K. 1:1000 000.
Reisen in die Gebiete des Driu und des Wardar. Denksehr. Wien. Ak. phil -
hist, Kl. XVI, 1869. Karte von H. K. 1:600 000 mit Text
6) Z. f. E. n. F. VI. Erg.-HeR 20 zu Peterm. Mitt. 1867, 6« S. Text in K
1 : 2 000 000
6) Z. G. f. E. I.
7) Z. f. E. n. F. XV.
8) Z. G. f. E. xrv.
9) Aus Lydien. Epigraphisch-geograph. Reisefrüchte Leipzig 1898. Die
Karte l:6ü0000, das mühsame Werk vieler Wochen, ist ein rührender Beweis der
opferfreudigen Treue, die H. K., selbst dem Ende nah, — unter Hintansetzung seiner
eigenen Arbeiten — dem Andenken des jungen Freundes bewahrte.
10; Recherche« archeologiqueB dans L' Asie occidentale. Mission en Cappudocie
1893— 1894. Paris 1898.
Ii i Benndorf und Niemann, Reisen in Lykien. Wien, 1884. Karte 1:300000.
Graf Lanckoronski, Städte Pamphyliens und Pisidiens. Wien 1890. 1892. Karte
1:300 000. Heberdey und Wilhelm, Reisen in Kilikien. Wien. 1896 (Denkschriften
W. Ak. XLlVi. Karte 1:900 000.
12) Z. f. E. n. F. VU. Reisebericht über Hauran und die Trachouen. Berlin.
1860. Duzu Mitt, d. D. Pal.-Ver. 1899, 12.
13) Reisen im Orient, Leipzig 1860. 1861. Karte 1:3 000 000,
14) Karte des nördlichsten Teiles von Syrien nach den Zeichnungen und Reise-
berichten von C. Humann, 0. Puchstein, M. Hartmann. B. Moritz 1:300 000 i nebst
Puchst«'iirs und Sester s Reise zwischen Euphrat und Tigris). 3 Bl. in Humann und
Puchsteiifs Reisen in Kleinasien und Nordsyrien. Berlin 1890 Vergl. Sgb Akad.
1883, 29 64 und Globus XLIU Nr. 5 und 6, S. 76-80, 84—91.
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Heinrich Kiepert.
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E. Sachau1), Haufsknecht'), H. Brugsch3). Aber seine Mitarbeit an den
Forschungen wissenschaftlicher Reisenden beschränkte sich nicht auf die
Verwertung der Ernte, die sie eingeheimst hatten, sondern vielfach zogen
namentlich die Erforscher Kleinasiens und Syriens aus, gerüstet für ihre
Aufgabe mit besonders vorbereiteten handschriftlichen Spezialkarten ihres
Arbeitsgebietes von Kiepert's Hand, in denen der Bestand sicherer Kenntnis,
die fraglichen, unbestimmteren Erkundigungen der Vorgänger, die empfindlichen
Lücken der Forschung besonders bezeichnet und Fingerzeige für die
wichtigsten Aufgaben4) der Aufmerksamkeit empfohlen waren. In solchem
Falle liefs Kiepert die dringendsten Arbeiten ruhen, um mit seinem Rate
jedem hoffnungsreichen Unternehmen rechtzeitig beizuspringen und es für die
Forschung so fruchtbar wie möglich zu machen. Durch diese wertvolle Mit-
arbeit, die fremde Unternehmungen bisweilen vom Keimen des ersten Planes
bis zur Ernte ihrer Ergebnisse begleitete, ward sein Arbeitszimmer — wie
der Glückwunsch der Akademie zu seinem Doktorjubiläum 1895 es aus-
sprach — zum Hauptquartier der wissenschaftlichen Eroberung Klein-
asiens. Der Aufbau der Karte dieses Landes ward die gröfste Leistung seiner
konstruktiven Arbeit, in deren Natur es lag, dafs sie niemals vollständig fertig
werden konnte5). Es ist ein Riesenunterfangen, für ein Gebiet von dieser
GröCse mit eigener Kraft in der Dauer eines Arbeitslebens einen möglichst
vollkommenen vorläufigen Ersatz schaffen zu wollen für das, was anderwärts
mit den Mitteln grofser Staaten, mit der vielverzweigten Organisation eines
ganzen Stabes geschulter Kräfte im Laufe vieler Dezennien geleistet wird.
Und der Felsblock, den der Riese aufwärts wältzte, schien immer wieder eine
Strecke zurückzurollen. Jede Eisenbahnlinie, die einen Faden verhältnis-
1) Reise in Syrien und Meso]>otamien. Leipzig, 1888. 2 Blatt 1 : 750 000. Abh.
Herl. Akad. 1880, II, 1—9*2. Sachau'* Mitteilungen verwertet auch die ausgezeichnete
zusammenfassende Arbeit zur Karte der Ruinenfelder von Babylon (1 : 600000;.
55. G. f. E. VHI 1888, 1-26.
2) Z. f. E. n. F. III. Z. G. f. E. XVII. C. Hausknecht, Reisen im Orient,
Berlin 1884, 4 Bl., von H. K. (2 1 : 600 000, 2 1:800 000).
3) Reise der k. Preuss. Gesandtschaft nach Persien 1860. 1861. Leipzig 1892.
Karte Autographie von H. K. 1 : 2 000 000.
4) Den Mitgliedern der österreichischen Expedition nach Karien und Lykien
wurden 1882 von H. K. eine Menge Exemplare handschriftlicher, autographisch ver-
vielfältigter Karten (1:400 000) mitgegeben. Auch fiir Lesbos liegt mir solch ein
autographisches Blatt von 1887 vor mit griechischer Schritt und der Aufforderung
an die lesbischen Freunde zu Verbesserungen und Ergänzungen. Den Dank für
ähnliche vorbereitende Beihilfe und leitenden Rat haben nicht alle, die dazu ver-
pflichtet waren, so aufrichtig und herzlich der Öffentlichkeit kund gegeben, wie
die österreichischen Gelehrten und auch Heinr. Zimmerer bei Gelegenheit der
R. Oberhummer'schen Halys - Expedition (Durch Syrien und Kleinasien. Berlin,
1899, 17).
5) über den Unverstand von Reisenden, die selbst an Ort und Stelle nicht die
Verpflichtung fühlen, irgend etwas für die Topographie zu leisten, aber über die
mühevolle Arbeit des konstruktiven Kartographen, der doch eben nur die Itinerare
von Reisenden, keine übernatürliche Offenbarung zur Verfügung hat, schnöde ab-
zuurteilen sich erdreisten, hat H. K. einmal ein deutlich Wörtchen gesprochen
Verh. Ges. f. Erdk. IX, 267—264.
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.!. Partseh:
niüfsig sicherer topographischer Aufnahmen ins Innere hinein spann, ver-
schob ein ganzes zartes Gewehe minder fester älterer Routen und forderte
Umarbeitung weiter Flüchen. Aber allmählich ging es doch vorwärts und
schon das Ergebnis des vorläufigen Abschlusses, zu dem sich der hochbetagte
Meister rechtzeitig entschlofs, ehe der Abend für ihn hereindämmerte, bleibt
ein ehrfurchtgebietendes Denkmal seiner nimmer erlahmenden, nimmer sich
genugthuenden Arbeit.
Da die Erlangung der Routenaufnahmeu englischer und russischer
Offiziere im mittleren und östlichen Kleinasien sich weiter und weiter ver-
zögerte und zeitweise ganz zweifelhaft wurde, mufste H. Kiepert sich be-
gnügen, zunächst die Darstellung des Westens unter Dach zu bringen; das
geschah zuerst für Samos, Lesbos und für Lykien1). Dann aber schuf
seine „Spezialkarte des westlichen Kleinasien nach seineu eigenen Routen und
anderen gröfstenteils noch unveröffentlichten Routenaufnahmen", bearbeitet im
Malsstab 1:250000 (1Ä Blatt. Berlin 189U — 18112), für das ganze
Land im Westen des Meridians 31° 5' Gr. und für die westliche Jnsel-
flur, ein Gebiet von etwa 175 000 qkm Landfläche, eine neue Grundlage
der fortschreitenden Forschung. Breitet man die 15 Blatt auf einmal vor
sich aus, um den Gesamteindruck der 21/» m hohen, 2 m breiten Bildfläche
auf sich wirken zu lassen, so wird einem Neuling auf diesem Gebiete nichts
überraschender entgegentreten als die Gröfse der noch vollkommen unbekannten
Flächen im Innern, die auf Karten kleinen Mafsstabs verschwinden. Schon
ihre Ausscheidung und klare Umgrenzung ist ein Gewinn für die Wissen-
schaft, für die schärfere Fassung der noch offenen Probleme. Diesem Zu-
stand unvollständiger Erforschung mufs auch in der Darstellung Rechnung
getragen werden durch die Wahl der Tuschmanier, welche ebenso geeignet
ist, in kräftig charaktervoller Ausgestaltung die Bodenform gut bekannter
Gebirge zur Geltung zu bringen, wie in zartem verwaschenen Umriß die nur
unsicher erkundete oder durch Kombination erratene Richtung und Aus-
dehnung vieler Bodenerhebungen des Innern anzudeuten, ohne doch auf einen
grofsen inneren Zusammenhang des Ganzen zu verzichten. Das volle Ver-
ständnis der gewaltigen Leistung wird aber selbst dem ausreichend Vor-
gebildeten auch ein liebevolles Eingehen auf den Inhalt einzelner Blätter
nur annähernd gewähren. Man mufs schon ein wenig hinter die Kulissen
gesehen haben, um sich vorzustellen, welch«» begeisterte Opferwilligkeit und
Arbeitsfreude, welche Arbeitskraft und Geduld, welche Paarung liebevollster
Nachsicht und unerbittlich scharfer, schneidiger Kritik, wie umfassende und
tiefgehende Studien, welche Erfahrung und Geistesschärfe in einem Manne sich
zusammenfinden mufsten, um dieses Werk zustande zu bringen.
Mit Eifer arbeitete Kiepert in seinen letzten Lebensjahren an der Dar-
stellung des mittleren und östlichen Kleinasiens samt Armenien und Nord-
Syrien bis 42° östl. L. Green w. ostwärts, für die er den Mafsstab 1:500 000
1) Samoa 1:300 000 (Nage's Reise). Z. d. G f. K. X, 1875. Lesbos 1:120000
18!»0 (aus Koldewey's Lenbo.s Lykien 1:300 000. 1884 mit Erläuterungen 52 S.,
8° (aus Benndorf und Niemaun, K eisen in Lykien und Karien, Wien 1884).
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Heinrich Kiepert.
87
gewählt hatte. Die 24 Blätter dieser Karte blieben unvollendet. Die Sorge
für ihre abschliefsende Bearbeitung ist eine dem Sohne Richard hinterblieben«
Aufgabe, deren Umfang und Schwere man in Zukunft, wenn diese Blätter
an die Öffentlichkeit treten werden, nicht unterschätzen soll. Auf dem
Fundament der väterlichen Arbeit fortzubauen ist selbst für den Sohn hier
nicht leicht. H. Kiepert verliefs sich in ungemein weiter Ausdehnung auf
seine bis in hohe Tage ihm treubleibende, aber in den letzten Jahren doch
bisweilen versagende Gedächtniskraft. Er unterliefs viele Notierungen, die dem
Erben seiner Arbeit schmerzlich fehlen, begnügte sich mitunter eine ihm zu-
gänglich gewordene Route für seine Zwecke auf losem Blatte sich zu zeichnen
ohne zu erwägen, welche Mühe vor ihrer Einpassung die Ermittelung ihres
Ursprungs und ihres Wertes einem anderen machen müsse. So ist eine Un-
summe von Arbeit, die der Vater für sich schon bewältigt hatte, von dem
Sohne von frischem zu leisten, und es ist für diesen eine harte, aber uner-
läfsliche Notwendigkeit, erst selbst des Stoffes in nicht durch eigene Be-
obachtung bemeisterten und besonders verwickelten Berglandschaften so Herr
zu werden, dafs er zu der ganz neu nochmals durchzuführenden Zeichnung
den Griffel ansetzen kann. Die Vollendung des Werkes wird nicht nur ein
Denkmal der treuen Pietät sein, die der unabgeschlossenen Arbeit des Vaters
noch nachträglich zu öffentlicher Wirksamkeit verhilft, sondern auch der
schönste Beweis, dafs dio Kraft des alten Meisters nicht mit seinem letzten
Hauch erloschen ist, sondern fortlebt in dem unter seiner Leitung zur Be-
wältigung gleich schwerer Aufgaben gereiften Sohne.
Ihm ist schon früher die Sorge für die zeitgemäfse Fortführung einer
anderen Seite der reichen kartographischen Thätigkeit des Vaters zugefallen,
die weniger an den selbständigen Forscher und Gelehrten sich wendet,
sondern wirksam wird in Schule und Haus. Aus Kiepert's Hand waren
eine Fülle von Wandkarten und Handkarten für Unterrichtszwecke hervor-
gegangen. Das gröfste der Werke, welche die wesentlichsten Ergebnisse der
neuesten Forschungen der gebildeten Welt in treuen, dem Auge erfreulichen
Kartenbildern nach wohl erwogenem Plane vorlegen wollten, war sein neuer
Handatlas über alle Teile der Erde (40 Blatt, Berlin 1860). Das Unter-
nehmen ward erschwert durch den Mangel erfahrener Kupferstecher in Berlin.
Wohl bewährte Brose in dem technisch schwierigsten Blatte, der Schweiz,
noch einmal den alten Ruf seiner Kunstfertigkeit. Aber für die Mehrzahl
der Blätter mufsten süddeutsche Kupferstecher gewonnen oder unter Verzicht
auf Kupferstiche die Leistungen tüchtiger Berliner Lithographen zu Hilfe
genommen werden. So waren es keineswegs äufsere Vorzüge in der tech-
nischen Ausführung, die dem Atlas seinen namhaften Erfolg sicherten. In
dieser Beziehung, namentlich in der Schöpfung einer eigenen Schule gleich-
raäfsig arbeitender Kräfte war das Gothaer Institut schon damals in einem
während der nächsten Jahrzehnte sich schnell steigernden Vorteil. Die Be-
deutung von Kiepert's Atlas lag in den Grundsätzen des Entwurfs und in
der wissenschaftlichen Strenge der Ausführung. Im Gegensatz zu dem
Streben möglichster Raumausnutzung, welches den grofsen Stieler'schen Atlas
beherrscht, — die als Sektionen zusaminenfügbaren, auch vor dem Abfall von
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J. Partsch:
gesondert unterzubringenden Gebietsschnitzchen nicht sich scheuenden Blätter
der Spezialkarten, wie die Fülle allenthalben eingefügter Kartons, — verfolgte
Kiepert den Grundsatz, jedes Atlasblatt für sich abzurunden zu einem zu-
sammenhängenden, verständig abgeschlossenen Gesamtbild eines Gebietes, das
nicht in voller Isolierung, sondern in Beziehung zu seiner Umgebung dar-
gestellt werden sollte. Daraus ergab sich eine bedeutende Gröfse der Blätter
(60X49 cm) und in einzelnen Fällen eine Beschränkung des Grundsatzes
möglichst einheitlicher, in leicht vergleichbaren Abstufungen getroffener Mafs-
stabswahl. Die Begrenzung der Blätterzahl ermöglichte für die fremden
Erdteile, anch für manche europäische Länder nur Übersichtsdarstellungen, ein
reicheres Bild nur für die Länder deutscher Zunge. Aber diese zielbewufst
beschränkte Aufgabe wurde nun auch mit selbständigem Urteil in gründlicher
Filtrierung der Originalquellen in Angriff genommen, die Auswahl des Stoffs
nach streng erwogenen, folgerichtigen Normen geregelt und hohe Sorgfalt
auch der Rechtschreibung der Namen und ihrer zweckmäßigen Trans-
skription zugewendet. Den Gedankenwegen, welche in diesen Richtungen
die einleitenden Erläuterungen einschlagen, sind später auch andere gern
gefolgt. „Dem streng wissenschaftlichen Geist, von dem das Ganze durch-
drungen ist", huldigte in einer wohl abgewogenen Anzeige Karl Neumanu
(Zschr. f. Allg. Erdk. N. F. IX 488) und die Konkurren/, schnitt ein sauersüßes
Gesicht (Peterm. M. IV 128). Der Handatlas eroberte sich Ansehen und
Zuneigung in der gebildeten Welt. Erst nach einem Jahrzehnt ward er
durch die Anstrengungen zum Ausbau des grofsen „Stiel er" entschieden
überflügelt. Später teilte er dessen Schicksal, das Wirkungsfeld stärker durch
billige, geschickte Machwerke verengt zu sehen als durch ebenbürtige Wett-
bewerber.
Auch der kleine Schulatlas H. Kieperts hat seine eigenartigen Ver-
dienste, die ihm unvergessen bleiben mitten in der Hochflut sich unter-
bietender Erzeugnisse, die heute den Markt überschwemmen. Die Gebirgskarte
Deutschlands darin ist ein Kabinetstück, wie es nur ein grofser Meister schaffen
konnte. Die Fülle der Generalkarten einzelner Länder, die aus derselben Hand
hervorgingen — wer könnte sie alle nach Gebühr mit wenig Worten würdigen?
Der Geograph kann die Begriffe Empire Ottoman, Europäische Türkei, Italia
centrale nicht auftauchen sehen, ohne sogleich Kiepert'scher Werke zu ge-
denken1). Aber auch fernere Gebiete — ich erinnere nur an Südamerika —
hat er auf Grund selbständiger Durcharbeitung der Quellen eingehender dar-
gestellt. Ohne dabei und bei den vielen Wandkarten für den Schulgebrauch
I) Carte de la Syrie meridionalc 1:800000. 1860. Nord-Syrien 1:300 000.
1890. — Karte von Kleinasien 1:1 500 000. 1864. — Karte der Kaukasusländer
1 : 1 600 000. 1854. — Nouvelle carte generale des IVuvinces Asiatiques de l'Empire
Ottoman 6 Bl. 1:1 500 000. 1H89. — Generalkarte der Europ. Türkei. 4 Bl.
1:1000 000. — Carte de PEpire et de la Theualie 1:500 000. 18*0. — Spezial-
karte von Kreta 1 : 300 000. 1897. — Carta corogratica dell' Italia ceutrale, 4 Bl.
1:260 000. 1881. - Generalkarte von Unteritalien, 8 Bl. 1:800 000. 1882. —
Karte von Mittel-Amerika, 4 Bl 1:2 000 000. 1858. - Karte des nördl. trop.
Amerika, 6 Bl. 1:4000 000. 1858. — Generalkarte von Süd-Amerika. 1:10000000.
1882.
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Heinrich Kiepert.
«9
näher zu verweilen, müssen wir einer besonderen Seite seiner kartographischen
Arbeit noch mit einem minder flüchtigen Blick gedenken, der historischen
Kartographie.
Um hier den Kern seines Wesens und seine Starke scharf* herauszuheben,
sei betont, welch weiter Abstand Kiepert's Arbeitsweise trennte von der
mancher in topographischen Fragen dilettierenden Philologen und Historiker.
Für ihn war immer das Erste die genaue Ermittlung der Oberflächengestalt,
der Ortslagen und Wege der Gegenwart. Erst wenn er das heutige Bild
des Landes klar vor sich hatte oder diesem Ziel soweit sich genähert hatte,
als möglich, begann für ihn das Aufspüren des Kulturbildes der Vergangen-
heit. Ein freies Herumraten ohne Rücksicht auf das Terrain konnte ihn
ebenso unwirsch machen wie antiquarische Entdeckerarbeit ohne nebonher
gehende Beachtung des topographischen Zusammenhangs der Ortslagen und
der Oberflächengestalt, in die sie sich einfügten. Kiepert war auch in dieser
Seite seines Wirkens ein echter Geograph. Da schon vor Vollendung der
ersten Auflage seines Atlas von Hellas1) seine eindringenden Studien auch
Vorderasien und andererseits den alten Kern des römischen Reiches um-
spannten, war für ihn der Schritt nicht grofs zu einem vollständigen Atlas
antiquus. Er erschien — wenn wir von dem Weimarer Vorgänger absehen —
zum ersten Mal 1859 und seine 12 Karten haben in ebensovielen Auflagen
und in Sonderausgaben für Rufsland, Holland, Italien, Frankreich, England,
Amerika in 300000 Exemplaren ihren Siegaszug durch alle höheren Schulen
gehalten und mit steigender Vervollkommnung sich in dem errungenen An-
sehen dauernd behauptet. Diesem vortrefflichen Werke entsprach eine Reihe
von Wandkarten zur alten Geographie. Und in diesem Gebiet ist die Herrschaft
des Namens Kiepert bisher weniger als in der Herstellung moderner phy-
sikalischer und politischer Wand- und Schulkarten eingeengt worden durch
den erst neuerdings auch hierher stärker Übergreifendon Wettbewerb.
Die unbestrittene Beherrschung des ganzen Gebietes der alten Geographie
machte Kiepert auch zum Berater und kartographischen Mitarbeiter zahl-
reicher historischer Werke. Den Büchern von Rieh. Lepsius*), Eberh. Schräder''),
Neander*), Th. Mommsen5), G. Kramer6), Emil Hübner7), Karl Müllcnhoif8),
1) Eine durchgreifende Neubearbeitung de» Atlas von Hellas und den hellen.
Kolonien in 15 Blättern (Text 6 S. fol.) erschien 1867— 1872 — in Anlage und
Ausführung ein besonders schön ausgereiftes Werk.
t) Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien L Berlin 1859 Taf. 1—6. Nil-
länder (1 : 5 000 000) ; Aegypten und Sinaihalbinsel; Aethiopien (1 : 1 500 000;; Nildclta
Isthmus, Fayum; ostägypt. Wüste; Sinaihalbinsel (1:500 000); Lepsius Routen in
der Sinaihalbinsel (1 : 200 000). Herrliche Blätter!
3) Keilinschriften und Geschichtsforschung. Oiefsen 1878. Die Keilinsehrifton
und das alte Testament. Gießen 1883. Keilinschriftliche Bibliothek. Berlin 1889.
4) Geschichte des apostol. Zeitalters. 1841.
6) Die unterital. Dialekte. Leipzig 1850. Römische Geschichte V. Berlin
1885, 10 Bl. Eugippius (2. Ausg. in Mon. Germ, ant.) 1898.
6) Der Fuciner See. Berlin 1839.
7) Inaer. Hisp. Christ 1871. Monumenta linguae Ibericae. 1X93. Inscr. Brit.
thrist 1876. Die röm. Grenzwälle (Jhbb.d. Ver. v. Altert, Freunden im Rhld. LXm 1878 1.
8) Deutsche Altertumskunde I. H. 5 Bl.
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J. Partsch:
v. Wietersheim1), W. Giesebrecht') dienen Kiepert'sehe Karten nicht nur zur
Zierde, sondern als wesentliche Ergänzung, und zahlreiche Klassikerausgaben
(von Zumpt's Rutilius Namatianus bis auf eine Reihe erläuternder Be-
arbeitungen im Weidmann'schen Verlage) sind durch ihn mit Karten ver-
sehen, die — bei der Beschränkung des geographischen Unterrichts auf den
höheren Schulen — sehr wesentlich das nie zu vergessende Bedürfnis in Er-
innerung bringen, auch andere Unterrichtszweige durch Betonung ihrer
geographischen Beziehungen zu beleben und sie nutzbar zu machen für
das Erwecken geographischen Interesses und die Pflege geographischer Kenntnis
bei den Schülern3).
Viel tiefer als in den eben bezeichneten Fällen griff Kiepert's Mitarbeit
ein bei einem grofsen Werke, das für seine kartographische Arbeit einen
vollen neuen Rundgang durch die alte Kulturwelt bedeutete: beim Corpus
Inscriptionum Latinarum. Unter den vielen unvergänglichen Ruhmestiteln
Mommsen's wird der Ausbau und die schöpferische Förderung dieses Riesen-
werkes einer der ersten bleiben. Zu den Vorzügen, die es herausheben vor
allen anderen epigraphischen Sammlungen, bleibt ein besonders fruchtbarer
die streng durchgeführte enge Fühlung mit dem Boden der Länder, deren
Vergangenheit die beredten Steine beleuchten helfen. Wie die Naturwissen-
schaften hat auch die Epigraphik nicht sogleich bei ihren ersten Schritten
begriffen, dafs jeder Fund seinen vollen Wert erst erhalte durch die genaue
Angabe und durch die verständnisvolle Betrachtung der Örtlichkeit. Zu
geographischer Anordnung der Inschriftensammlungen war man schon vor
Mommsen gelangt, aber erst er hat die Vorbemerkungen zu den Inschriften
jedes Ortes zu einem Sammelplatz der gesamten historischen Ortskunde ge-
macht und die systematische Verwertung der Inschriften, der in alten
Städten gefundenen, wie der Reihen von Meilensteinen an den Römerwegen,
für die Klärung der antiken Topographie als eine Forderung an die Thätig-
keit des Herausgebers selbst zur Geltung gebracht. Dabei war die Mitarbeit
eines geographischen Fachmanns unentbehrlich, der mit voller Beherrschung
der landeskundlichen Litteratur, der Reisewerke, der besten Karten die Be-
reitwilligkeit und die Fähigkeit verband, jedem noch so unscheinbaren
topographischen Problem mit ernstem Willen und geübtem Spürsinn nach-
zugehen. Man darf sich nicht vorstellen, dafs Kiepert etwa in die Lage
kam, an einen fertigen Band des Corpus sich hinzusetzen und dazu ein
Kartenblatt zu zeichnen. Vielmehr war er schon bei der Ordnung der
Reihenfolge, bei der Abgrenzung der Provinzen, bei der Feststellung des
Textes der Inschriften, öfter aber noch bei ihrer Erläuterung, bei der Auf-
1) Geschichte der Völkerwanderung. L
2) Geschichte der Deutschen Kaiserzeit L
8) In einem Punkte scheint diese Nebenarbeit an Klassikerausgaben doch
für Kiepert selbst eine immer wiederkehrende Anregung zu weiterer Verfolgung
eines viel behandelten Problems gewesen zu sein, der Topographie des Rückzugs
der Zehntausend. Z. d. G. f. E. IV, 638 649, V 466—460, XVIII 888—393. — Einen
wichtigen Beitrag zur Erklärung Herodot's gab die Untersuchung über die persische
Königsstrafse durch Vorderasien. Sgb. Ak. 1857, 123—140 m. K.
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I
Heinrich Kiepert.
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Stellung und Korrektur der Indices zur Mitwirkung berufen und die Karte,
die er entwarf, war nur der letzte Sehlufsstein einer dornenvollen, viel Zeit
und Mühe verschlingenden Arbeit. 80 ernste Opfer auf Kosten selbständig
gewählter Arbeitsziele ihm diese Thätigkeit für das C. I. L. auferlegte, trug sie ihm
eines ein, woran er sein Leben lang mit freudiger Hingabe gehangen: die
enge Freundschaft und Geistesgemeinschaft mit Momrasen. Seit er für ihn
die Karte zur Sammlung der Inscriptiones Regni Neapolitani bearbeitet hatte
11852), ist er mit ihm in steter gemeinsamer Arbeit geblieben und hat nach
und nach nicht weniger als 30 Karten zu den Bänden des Corpus und ihreu
Ergänzungen beigesteuert1). So erwuchs nach und nach ein neuer speziellerer
großer Atlas antiquus durch den allmählichen Fortschritt dieser Reihe auf
gründlicher Einzelforschung ruhender Karten, und der Gedanke war unaus-
weichlich, ob er diese Arbeitsergebnisse nur als bequeme Beute für andere
an die Öffentlichkeit gegeben haben solle oder ob er selber die eigene Ernte
noch einmal in volle Garben binden wolle in einem grofsen Atlas der
alten Welt.
Zu spät entschlofs sich Kiepert zum Angriff dieser Aufgabe. Von seinen
Formae Orbis antiqui, die auf 36 Karten (52 X 64 cm) berechnet
waren, erschien 1894 die erste Lieferung mit 6 Blättern: voran als xr^Xavylg
nffoowtov die Karte des westlichen Kleinasiens (1:1200 000), die ägäische
Inselflur (1:900 000), Nordgriechenland (1:600 000), Illyrien und Thrakien,
Spanien, britische Inseln (je 1:2 500000). Wie ernst und tiefgehend auch
diese Arbeit angegriffen war, das lehrten die umfänglichen, ein ungeheures
Quellenmaterial bewältigenden und sichtenden Erläuterungen. Von der
zweiten Lieferung, in welcher Italien besonders stark vertreten sein sollte,
waren mehrere Blätter anscheinend der Vollendung nahe, als das Wanken
der Gesundheit die Arbeit zum Stillstand brachte; aber das verschärfte Ver-
antwortlichkeitsgefühl trieb den Sohn zu nochmaliger, gründlicher Neu-
bearbeitung, die namentlich in Gebieten mit so reicher Lokallitteratur nicht
schnell sich abschliefsen läfst. So sind von den für diese Lieferung be-
stimmten Blättern bisher nur drei gesondert vor die Welt getreten: die ge-
meinsam mit Ch. Hülsen vorbereiteten und von diesem erläuterten Blätter
der Formae urbis Romae antiquae (1:10 000, innere Stadt 1:2500),
Berlin 1896. Da Rieh. Kiepert in den Arbeiten zur alten Geographie längst
heimisch ist und nunmehr auch (zunächst für die Supplemente des III. Bandes)
die Fortführung der Mitarbeit am Corpus Inscriptionum übernommen hat, ist
für die würdige Durchführung des grofsen Kiopert'schen Atlas der alten
1) Britannia (1 : 2 500 000). Hiapania (1 : 8 000 000, 2. Aufl. 1 : 2 000 000). Baetica
(1 : 1 200 000). Gallia Narbonensis, 2 Bl. (1 : 1 000 000). Vallis Rhodani et Sabaudia
1 : 500 000. Raetia, Noricum, Pannonia (l : 1 500 000). Dacia (1 : 1 500 000). Dal-
matia (1 : 1 500 000). Italiae viae publicae (1 1 2 600 000). Latium vetuB 1 : 200 000.
Regio I, IV, V (je 1 : 500 000). X, IX et XI (je 1 : 800 000\ n, III, Sicilia, Sardinia
(je 1:1 000 000). Africa prov. 1 : 1 000 000 (mit 2 Nachtragskartons in Ephemeris
epigraph. VII). Africae prov. pars meridion. 1 : 4 000 000. Mauretania 1 : 1 500 000.
Imperii Romani pars Graeca 1 : 5 000 000. Asia minor 1 : 2 ßoo 000. Ferner zum
C. L Gr. Rhodus insula 1 : 250 000, urba 1 : 20 000. - Societas Delia.
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92
J. Partach:
Welt, soweit die wissenschaftlichen Vorbedingungen in Frage kommen, die
beste Garantie vorhanden.
Kieperts historische Karten beschränken sich indes nicht auf die Zeit-
grenze des Altertums. Er führte schon in der Zeit der Bewerbung um den
Preis der Pariser Akademie seine Forschungen über die Topographie des
Orients weiter ins Mittelalter fort. Auch davon bot er später für den
griechischen Syllogos als letzte von vier grofsen Wandkarten (Europa;
Balkanhalbinsel; Weltreich Alexander's) eine grofse zusammenfassende Dar-
stellung /Im*! ™v fuaatavtxov 'EU^viafiov xtaa xi\v dWr»jv huTOVTatxrßibti
(Berlin 1883, 1:500 000, 6 BL). Auf anderem Boden, dem des lebhaften
Interesses an den Zeitereignissen und insonderheit den Geschicken des Vater-
landes erwuchsen seine kartographischen Arbeiten zu der Territorialgeschichto,
der Geschichte der Verteilung von Völker- und Sprachgrenzen in der Neu-
zeit, so seine historischen und Sprachkarten Elsafs-Lothringens, so die Arbeiten
über die Verbreitung des Deutschtums in Europa, über die Vergangenheit
und die gegenwärtige Verteilung der Volker Südosteuropas Hier berührte
sich seine wissenschaftliche Arbeit mit dem warmen Herzen und dem nationalen
Sinn seiner kräftigen frischen Persönlichkeit.
Auch deren Andenken wird allen, die ihn gekannt, unvergefslich bleiben.
Kiepert war ein echter Berliner, lebhaften Sinnes, frei in seinen Uberzeugungen
und bis zur Unvorsichtigkeit in seinen Worten, kritisch aufgelegt, immer
unumwunden raisonnierend, aber doch mehr gutmütig polternd als innerlich
bitter, gewohnt seinem Denken frei Luft zu machen, ohne allzu ängstlich
zu fragen, ob das kräftig gegriffene Wort den Hörer befremden oder selbst
peinlich berühren könne. Trat man bei ihm ein, so war es bei der
sprudelnden Lebhaftigkeit, mit der er das, was ihn gerade bewegte, besprach,
nicht immer leicht, ihn bei dem, was man selbst erledigen wollte, festzu-
halten. So kräftig ging der Strom seiner Empfindungen. Aber immer ver-
nahm man den vielleicht mafslosen und übertriebenen, aber doch lauteren
ehrlichen Ausdruck einer starken Überzeugung. So gerade aufgerichtet, wie
die hohe Gestalt mit dem etwas zur Seite geneigten ehrwürdigen Haupt
vor einem stand, so war er durch sein ganzes Leben gegangen, vor keinem
sich beugend oder auch nur eine nachgiebige Wendung machend, immer ehr-
lich geradeaus mit dem kurzen raschen Schritt, unbekümmert um den
Wind, der um ihn oder über ihm wehte, bescheiden aber fest, des eigenen
Wertes sich bewufst. Die Unabhängigkeit von jedem andern als dem fach-
männisch berufenen Urteil machte ihn zum Feind aller äufseren Ehren. Titel
und Orden hat er wie etwas seinem Wesen Widersprechendes hartnäckig und
1) Völker- und Sprachenkarte von Deutschland und den Nachbarländern im
Jahre 1866. 1 : 3 000 000. Völker- und Sprachenkarte von Österreich und den
Unter-Donau-Ländern. 1 : 3 000 000. Ethnogr. Übersichtskarte des Europ. Orients.
1 : 3 000 000. Zur Ethnographie von Epirus m. K. Z. 0. f. E. XIII, 250—263. Ver-
breitung der grieeh. Sprache im pontischen Küstengebirge, ebenda XXV, 317- 330
m. K. 1 : 660 000. — Bemerkenswert durch einschneidende Kritik der Aufsatz zur
Ethnographie der Donauländer, Globus XXXIV, 1878, 215— 223. Vergl. XXXIII,
86—90 m. K., auch XXX, 327—338, Gruppierung der Konfessionen in Bosnien und
der Herzegowina m. K.
Heinrich Kiepert.
<
93
scheu gemieden, selbst wenn die Ablehnung einen alten Freund in eine
peinliche Lage brachte. Selbst die Auszeichnung der Grofsen Goldnen
Medaille für Wissenschaft, die ihm am 14. Juli 1895 verliehen ward, hat
ihm nicht die reine Freude gemacht, die eine hohe abschliessende Anerkennung
langer Jahre ernster fruchtbarer Arbeit wecken konnte. Nur die Ehren-
mitgliedschaft zahlreicher geographischer Gesellschaften nahm er gern und
freudig, mit dem Empfinden, dafs sie nicht unverdient sei, entgegen. Aber
auch den Geographen entzog er sich, sobald er fürchten mufste, ihren
Glückwünschen als Jubelgreis still halten zu müssen. Das war ein wesent-
lich mitwirkender Grund für seinen Austritt aus der Gesellschaft für Erd-
kunde, für die er einst so unermüdlich gearbeitet hatte, als der 50. Jahres-
tag seiner Mitgliedschaft nahe rückte. Dieser Entschlufs hing durchaus nicht
zusammen mit der sehr begründeten Verstimmung, die ihn 1885 zeitweise
der Gesellschaft entfremdet hatte. Eher kann die Festigkeit seiner Über-
zeugungen über die satzungsgemäfse Verwendung der Mittel der Carl Ritter-
Stiftung mitgewirkt haben bei seinem Scheiden aus einem von anderen Ge-
sichtspunkten beherrschten Kreise.
Die Zurückgezogenheit der letzten Jahre, das Fernbleiben von den
wissenschaftlichen Versammlungen der Fachgenossen ist ihm als mürrische
Isolierung ausgelegt worden; manche hielten ihn für bitter, rauh und unzu-
gänglich. Das traf nicht ganz das Rechte. Wohl fühlte er, wie der grofse
Strom seiner Wissenschaft vom historischen Ufer sich merklich zurückzog
und an ihm nur schwächere Wirbel warf, die Hauptbewegung an der natur-
wissenschaftlichen Wasserkante entlang ging, und er konnte sich mit dieser
Änderung der Strömung nicht befreunden, verfolgte vielmehr fest und un-
beirrt den altgewohnten, für ihn seit so vielen Jahrzehnten erntereichen Weg.
Aber seine Persönlichkeit kannten die nicht, welche ihn für abstofsend und
unfreundlich hielten. Bitter wurde er nur, wo er auf Falschheit zu stofsen
glaubte. Die verzieh er nie, ebenso wie er treue, echte Freundschaft nie ver-
gafs. Wem er einmal in Vertrauen ergeben war, der konnte jeden Augen-
blick auf ihn zählen. Ohne Besinnen liefs er eigene Arbeit liegen, wenn
ein Freund seine Hilfe oder eine noch so zeitraubende Auskunft verlangte.
Er war darin von wahrhaft kindlicher Gutmütigkeit, wenn auch die kluge
Gattin oft besorgt warnte, „nicht immer für Andere Steine zu karren".
Dafs er keineswegs in der wissenschaftlichen Welt isoliert dastand, nur
freilich seinen eigenen, durch die besondere Richtung seiner Forschung und
seiner Darstellungskraft erwählten Kreis um sich geschlossen hielt, das be-
wies sein 80. Geburtstag. Kiepert hatte nicht in der Weise, wie die be-
deutenden Universitätslehrer es zu erstreben pflegen, „Schule" gemacht. Dazu
waren die Anforderungen seines kartographischen Berufs und seiner historisch-
geographischen Arbeit zu mannigfaltig und doch wieder zu speziell; sie
finden sich nicht alle in Dutzenden von Personen vereinigt. Seine ganze
„Schule" war — sein Sohn. Aber dennoch erkannten viele, die nie zu seinen
Füfsen gesessen, ihn als ihren Meister und waren sich bewufst, von ihm ge-
lernt zu haben oder von seinen besonderen Gaben auf ihrer eigenen Bahn
gefördert zu sein. 8o vereinten sich die alten Freunde, A. Weber, Mommsen,
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94
H. Zondervan:
Nöldeke, mit einer Reihe jüngerer Gelehrten, namentlich unter Benndorfs
Vortritt eine stattliche Reihe von Erforschern Kleinasiens und Syriens, dazu
die Männer des Corpus Inscriptionum und die der wissenschaftlichen
Richtung nach nächst verwandten Lehrer au den Universitäten deutscher
Zunge, um — unterstützt durch einen weiteren Kreis von Subscribenten —
auf der Schwelle des hohen Greisenalters dem Nestor der Geographie eine
Festsehrift zu überreichen, die mit zwei vortrefflichen Porträts (1842 und 1898)
ein schönes Denkmal seiner Persönlichkeit, ein schöneres noch für die Stellung
bleiben wird, die er sich und seiner Disziplin, der geographischen Altertums-
forschung, in der Wissenschaft seines Zeitalters errungen hatte.
Es war seine letzte grofse Freude, der letzte aus der fröhlichen Tages-
helle des wissenschaftlichen Lebens erwärmend zu ihm dringende Strahl, ein
wohlthuender Trost in zunehmender Gebrechlichkeit. Still zurückgezogen auf
dem Hainstein bei Eisenach hatte er diesen letzten Geburtstag verlebt. Am
21. April 1899 erlosch das helle Auge, das der Länder Weiten so genau,
ihr Leben so tief in ferne Vergangenheit überblickt hatte, wie es wenigen
nur vergönnt war. Und auf den Lippen aller, die sein Wirken gekannt
und seine Kraft annähernd ermessen, schwebte die Frage, der in dankbarer
Erinnerung die um ein wertvolles Mitglied trauernde Zcntraldirektion des
Deutschen Archäologischen Instituts in ihrem Nachruf Ausdruck gab: „Wer
wird uns Heinrich Kiepert ersetzen?"
Die niederländisch west indischen Inseln.
Von H. Zondervan.
(Fortsetzung.)
Aruba.
Nach den Mitteilungen Professor Ernst's in Caracas an Prof. Martin soll
der Name der Insel (in älteren Schriften auch Oruba und Oma geschrieben'
von Oirubae, d. h. die „Begleiterin", herrühren, während van Koolwijk1) es
für wahrscheinlich hält, dafs Aruba ein karibischer Ausdruck ist, welcher
von Oroa herrührt und vielleicht an die Gegend und den Fluss Aroa in
Venezuela erinnert2). Die Insel teilte die politischen Geschicke Curacaos
(siehe daselbst), wurde aber erst 1740 unter niederländische Verwaltung ge-
bracht, während sie vordem als ein wertloser, von einigen Indianern be-
wohnter Fels nur dann und wann von den vorbeifahrenden Schiffen besucht
wurde.
Aruba liegt etwa 70 km westlich von Curacao, hat eine regelmässige
Gestalt und dehnt sich in NW.-SO -Richtung über etwa 26 km Länge aus,
lj Tijdachrift v. h. Kon. Ned. Aardr. Gen., 1884 Versl. en Med., S. 36u.
2) Bekanntlich triebt es heutzutage noch einen Ort. Aroa im veneznelischen
Staate Yaracui, in dessen Nabe bedeutende Kupferminen vorkommen.
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Die niederländisch-westindischen Inseln.
9f>
während die Breite im Mittel 5% km, der Flächeninhalt 165 qkm beträgt1).
Die kürzeste Entfernung von der Nachbarküste Venezuelas mifst kaum
30 km. Die Gesamtzahl der Bewohner belief sich am 1. Januar 1899 auf
9349, teilweise über die Insel, vor allem den westlichen Teil, zerstreut, teil-
weise in zwei Dörfern angesiedelt. Der Hauptort und Hafen ist das Dorf
Oranjestad an der Paardenbai an der Südküste, mit etwa 200 Wohnstätten,
deren bedeutendste das weifs getünchte Regierungsgebäude ist. Weiter können
die römisch-katholische und die kleine evangelische Kirche hervorgehoben
werden, während das Dorf im übrigen mit seinen kleinen, unansehnlichen
Häusern von Stein und seinen ärmlichen Strohhütten keinen erfreulichen Ein-
druck macht, „woran wohl hauptsächlich die unglaubliche Dürre des aus
Korallenkalken gebildeten Bodens Schuld trägt". Das zweite, kleinere Dorf,
Santa Cruz, liegt mehr im Innern, eine Wegitunde östlich vom ersteren,
jenseits des Hooibergs, umgeben von malerischen Felsenmeeren. Daneben ver-
dienen nur noch die Anlagen der Phosphatgesellschaft an der Südostecke der
Insel einer besonderen Erwähnung. Der Hafenplatz rar die Phosphatgruben
von Colorado ist St. Nikolas an der gleichnamigen Bucht, welche von der
Gesellschaft wesentlich verbessert und durch einen Schienenweg mit dem
Serro Colorado verbunden worden ist. Der Ort besteht aber nur aus wonigen,
diesem Betrieb dienenden, kleinen Gebäuden, während die Umgegend sehr
einsam und wüst ist. Alle übrigen Häuser liegen einzeln über die ganze
Insel zerstreut und sind fast ausnahmslos ärmliche, unansehnliche Wohnungen,
da es keine Plantagen im Sinne von Curacao giebt. Die einzige sogenannte
Plantage ist die von Fontein an der Nordküste, welche ihre relative Frucht-
barkeit dem kleinen dort fliefsenden Bache verdankt Und auch hier spürt
man nur tiefen Verfall und grofse Armut.
Die Nordküste, nach dem Meere zu durch eine Düne abgeschlossen, be-
sitzt zahlreiche Buchten, während landeinwärts eine Sandebene folgt, die ver-
einzelte, von zahlreichen Krabben bevölkerte Wasserlachen enthält. In diese
Buchten münden die kleinen von W. nach 0. und NO. gerichteten Schluchten,
welche nur zur Regenzeit Wasser führen und mit einer üppigen, aber nie-
drigen Mangrovevegetation bestanden sind. Von» diesen Buchten sind vor
allem die Boca von Daimarie, in deren Nähe die Rooi Fluit ins Meer mündet,
sowie die von Antikurie, letztere von grofser landschaftlicher Schönheit, be-
kannt An der Südküste soll nur die Spanische Lagune hervorgehoben
werden.
Was die Bodenbeschaffenheit betrifft8), so giebt es auf Aruba nur ein
Gebirge von einiger Bedeutung und zwar einen Gebirgsstock von annähernd
dreiseitigem Umrisse, dessen eine Seite der Nordküste entlang läuft vom
Matevidirie bis Fontein, während die Spitze in der Nähe des inneren Endes
der Spanischen Lagune zu suchen ist. Seine bedeutendsten Höhen liegen im
1) Diese, sowie die Flächenangaben der folgenden Inseln nach W. L. Loth,
Kaart van Suriname, Amsterdam 1899.
2) Ebenso wie bei Curacao folgen wir auch bei der Darstellung des Boden -
reliefs und des geologischen Baues der Inseln Aruba und Bonaire der Arbeit Martin's,
Bericht, 1 c, IL
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9G
H. Zondervan:
SW., hart an seiner Grenze, und hier befinden sich auch zwei isolierte Gipfel,
der Jamanota (183 m) und der Ariekok 167 m). Im W. dieses Gebirgs-
stockes dehnt sich ein Plateau aus, von einem Felsenmeere bedeckt. Am
SW.-Rande desselben liegt der kegelförmige Hooiberg (175 m), und von
diesem aus zieht sich ein niedriger Höhenzug, der in eine Reihe von Hügeln
aufgelöst ist, bis zum Innenrande der Spanischen Lagune hin. Ebenso schliefst
sich an der anderen Seit« des Gebirgsstockes ein Plateau an, welches den
Südostteil Arubas einnimmt, aber einen wesentlich anderen Charakter zeigt.
Seine Höhe mag im Mittel etwa 30 m betragen, die einzige etwas höhere
Erhebung ist hier der Serro Colorado mit nur 38 m.
Das Hauptgestein der Insel ist ein Quarzdiorit von rein granitisch-
körniger Struktur, durchsetzt von mehreren Kluftsystemen, welche zur Bil-
dung von unregelmilfsigen Blöcken Veranlassung gegeben haben, deren Durch-
messer 6 m und mehr betragen kann. Nächst den Dioriten nehmen Diabase
den wesentlichsten Anteil an dem Aufbau von Aruba. Es sind feinkörnige
bis dichte, sehr selten grobkörnige, dunkelgrüne Gesteine, in allen Einzelheiten
der Struktur mit den Diabasen von Curacao übereinstimmend1). In der
Diabasregion stehen Grünschiefer an, während innerhalb des Quarzdioritmassivs
Gänge von Diorytporphyren, sowie Granitgange vorkommen. Von cretacelschen
Ablagerungen ist auf Aruba nichts mit Sicherheit bekannt
Die Quarzgänge erhalten in grölserer oder geringerer Menge Gold; vor
allem an der NW-Ecke der Insel haben sie sich als reichhaltig erwiesen.
Auch Silber, Brauneisenerz, Magneteisen, Kupferkies, Malachit, Azurit, Rot-
kupfererz und Arsenkies kommen vor, aber nicht in abbauwürdiger Menge.
Das Gold wurde anfangs nur aus dem Seifengebirge, welches der Verwitte-
rung und Zertrümmerung der anstehenden Formation seine Existenz verdankt,
gewonnen, und zwar seit im Jahre 1824 durch einen Zufall die Aufmerk-
samkeit von neuem auf das schon im 18. Jahrhundert entdeckte Erz gerichtet
wurde. Im Jahre 1825 betrug die Goldproduktion im ganzen 142 Pfund*),
nahm aber sehr rasch ab, so dafs sie 1845 nur 500 — 600 Gulden an Wert
hatte. Seit 1867 erhielt die „Aruba Island Gold Mining Company" das
alleinige Recht der Goldgewinnung und wandte sich dem Abbau der Gruben
zu, die Ausbeute entsprach aber so wenig den Erwartungen, dafs die Arbeit
nach einigen Jahren eingestellt wurde. Später wurde der Grubenbau wieder
aufgenommen, kam aber nicht zur Blüte, denn 1898 betrug die Ausbeute
uur 2,394 kg im Werte von 3912 Gulden. Im Februar 1899 wurde von
der Gesellschaft ein neuer Kontrakt mit der Regierung eingegangen, wonach
ihr die ausschliefsliche Ausbeute des Goldes, Silbers und Kupfers in der
NW.-Hälfte der Insel zugesichert bleibt').
Gröfsere Bedeutung als das Gold erlangten die Phosphorit-Ablageningen,
welche 1873 oder Anfangs 1874 auf Aruba entdeckt wurden4) und, wie
1) Kloos in den Samml. des geologischen Reichsmuseums in Leiden, Ser. 2, Bd. I.
2» Gon Nets eher in den Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde
v. Ned-Indie, 1869 8. 494.
8) Koloniaal Versla^, 1899, III. Curacao, S. K.
4) Chumaceiro, De natuurlijke hulpbronnen, 1. c.
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Die niederländiach-weBtindiBchen Inseln.
97
schon bei Curaeao erwähnt worden ist, einige Jahre eine bedeutende Ein-
nahmequelle der Regierung bildeten. Das Lager befindet sich an der äufsersten
Ostecke der Insel und bildet einen Teil des Serro Colorado und des Serro
Culebra. „Die Phosphorite stellen ein lichtgraues oder gelbliches bis rot-
und leberbrauncs Gestein dar, welches allerorts zahlreiche (Iberreste von
Organismen einschliefst; teilweise sind die phosphathaltigen Gesteine meta-
ntorphosierte Riffkalke1'1). „Die Höhlenphosphate stellen eine zweite Gruppe
von Phosphoriten und phosphoritischen Kalken dar. So wie für die Um-
wandlung der Korallenkalke Soevögel und meeresbewohnende Tiere das
Material geliefert haben, so ist dies für die Bildung der Höhlenphosphate
durch die kleinen Saugetiere (Fledermäuse, Ratten, früher auch Kaninchen)
geschehen, welche die Grotten in grofser Zahl noch heute bewohnen." Die
Ausbeute wurde 1879 von der Regierung verpachtet, ist aber in neuerer
Zeit stark zurückgegangen, sodafs 1898 nur noch 20050 cbm Phosphat in
28 Schiffen ausgeführt- wurden').
Klimatisch stimmt die Insel durchaus mit Curaeao überein, ist daher
sehr gesund, hat aber bei einer hohen Temperatur einen geringen Nieder-
schlag, so dafs noch 1898, ebenso wie auf den Xachbarinseln, infolge des
Hegenmangels die Ernte fast ganz fehl ging und die Pflanzenwelt gleiche
Armut wie dort zeigt. „Die Eintönigkeit der Szenerie, kahler Felsboden und
Meer, spottet jeder Beschreibung", heilst es im Reisebericht Professor Martin 's
von der Gegend der SW.-Küste. Und nicht besser verhalt es sich an der
Nordküste: „Verläfst man den Strand, so dafs auch die kühnen von der
Welle umbuhlten Klippen dem Auge entzogen werden, so nimmt die Gegend
eine noch gröfsere, kaum besch reibliche Eintönigkeit an. Auf flachgewölbten,
länglichen Höhenrücken von rostbrauner Farbe, von denen die Sonnenstrahlen
eine unerträgliche Glut zurückwerfen, sieht man oftmals auf dem Räume von
vielleicht 10 Quadratmetern nur einen einzelnen kleinen Strauch, welcher
den Namen Kamari (Coccoloba punctata) trägt, und dieser hat sich ängstlich
vor dem Passate zu Boden gelegt, ist an der Windseite grau und blätterlos,
nur an den abgewendeten Teilen belaubt und selten bis 1 m hoch. Hin
und wieder bemerkt man eine Opuntia, aber keinen Cereus, welcher minder
Widerstandskraft zu besitzen scheint, und die Oberfläche der umherliegenden
Blöcke ist mit bunten Flechten überzogen. So weit das Auge reicht, kann
man die Zahl der Kamari- und Opuntia-Exemplare oftmals bequem zählen;
sonst aber' ist alles wüst und leer." Im Innern giebt es zwar ausgedehnte
Wälder, diese bestehen aber fast ausschliefslich aus baushohen Cereen und
bieten ebenfalls keinen Schatten.
Dadurch dafs von der Regierung immer mehr Grundstücke an arme
Leute verpachtet werden, dehnt sich der Ackerbau in den letzten Jahreu
aus, hat aber trotzdem nicht viel zu bedeuten. Aufser einer Maisart werden
vor allem Bohnen gepflanzt, sodafs diese bei ergiebiger Ernte sogar zur Aus-
fuhr gelangen. Weiter werden Pindanüsse [Finda amehio In/poyea), Dividivi
D Martin, Bericht, 1. c. II. S. 95.
2i Koloniaal Veralag, l8y*J, 1. c. S. 8.
(ieoffrmphUche Zeitschrift. i.J»hr(r»nir 1901. t. Heft 7
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08
H. Zondervan:
und Aloi;harz ausgeführt, Melonen und einige andern Obstgewächse gezüchtet.
Alles zusammengenommen liefert der Ackerbau aber nicht genug zur Er-
nährung der Bevölkerung, so dafs sogar in günstigen Jahren Lebensmittel
eingeführt werden müssen. Dividivi ist für die drei Inseln unter dem Winde
der einzige Exportartikel, welcher schon seit vielen Jahren einen bedeutenden
Gewinn abwirft, daher auch von der Regierung im vergangenen Jahre eine
Kommission eingesetzt worden ist, welche zur Aufgabe hat, Mittel zu beraten
zur Hebung des Ertrags dieser Pflanze, sowie zur Einführung neuer Gewächse
auf 001*9*0 und den Nachbarinseln1).
Die Fauna von Aruba ist besonders bemerkenswert durch ihre Ver-
schiedenheit von derjenigen von Curaeao und Bonaire*). So besitzt die Insel
zwei eigene Papageienarten; die Klapperschlange, eine Crotalus-Art, ist eben-
falls auf Aruba beschränkt und das Gleiche dürfte der Fall sein mit der
Dipsas annulata L. Unter den Eidechsen fehlt es nicht an Arten, welche
auf Curaeao vorkommen, daneben haben beide Inseln ihre eigenen Arten.
An den Küsten findet sich ein grofser Reichtum an Fischen, Schildkröten,
Hummeru, Garnelen und Austern. Auch die Perlmutterauster kommt hier vor
und in den sechziger Jahren bildete sich auf Aruba sogar eine Gesellschaft
zum Betrieb der Perlfischerei; doch ist die Sache nicht in Flufs gekommen3).
Hingegen scheint der Fischfang laut den „Koloniale Verslagen" zuzunehmen.
Die Gesamtausfuhr hatte einen Wert von: 1896 232 741 Gld., 1807
266 298 Gld., 1898 163 783 Gld. Es liefen 1898 ein: 291 Schiffe mit einem
Tonnengehalt von 31 973 cbm.
Der Wohlstand der Insel ist sehr gering, ja van Koolwijk glaubt, dafs
von allen niederländischen Inseln unter dem Winde Aruba am ärmsten sei.
Dafs die Bevölkerung trotz ihrer chronischen Armut in der zweiten
Hälfte dieses Jahrhunderts stark zugenommen hat, geht aus der folgenden
Übersicht hervor.
Jahr Einwohnerzahl Jahr Kinwohnenahl Jahr Einwohnerzahl Jahr Einwohnerzahl
1833 2746 | 1865 3484 1884 6177 1897 9191
1849 2760 i 1875 5670 1896 8955 | 1898 9349
Unter den Einwohnern giebt es nur wenig reine Nachkommen von
Europäern, denn auch die angesehenen Familien sind vielfach mit indiani-
schem Blute vermischt. In hohem Mafse gilt letzteres bei der niederen
Volksklasse, welche der Hauptsache nach ein Mischlingsvolk aus Indianern
und Negern ist. Daneben giebt es Leute , bei welchen der Negertypus vor-
1) Die Ausfuhr an Dividivi von Aruba und Bouaire (von Curaeao als Freihafen
liegen keine Exportzahlen vor) betrug:
Aruba. Bonaire.
Jahr Kilogramm Wert in Gulden Kilogramm Wert in Gulden.
1896 196840 7849 395 855 1583»
1897 126395 5065 619445 24777
1898 160 450 6658 .626163 25046
2) Martin, Bericht, 1. c. I, 8. 138.
3) van Koolwijk in der Tijdschr. v. h. Kon. Ned. Aardr. Gen, 1884 Versl en
Med , S. 602.
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Die niederländisch-westindischen Inseln.
99
herrscht, andere, im südöstlichen Teile der Insel, welche als reine Nach-
kommen der Kariben gelten können. In Sitten und Gewohnheiten zeigen
sich keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungselementen,
welche durchschnittlich, nach van Koolwijk's Darstellung, moralisch nicht
hoch stehen. An die ursprünglichen Bewohner, deren Sprache sogar seit
1800 ausgestorben ist1), erinnern die zahlreichen indianischen Altertümer,
welche die Insel besitzt, sowie die Zeichnungen, Inschriften und Beste von
Töpfen in den Höhlen, welche einst den Kariben zum Aufenthaltsorte ge-
dient haben. Sogar die Spuren von Indianerlagern sind erhalten geblieben,
z. B. südöstlich von Hooiberg*).
Die Sprache Arubas ist das Papiameuto, welches hier indessen mit weit
mehr indianischen Wörtern vermischt ist als auf Curacao. Holländisch wird
nur von wenigen der angesehenen Leute verstanden und von noch wenigeren
gesprochen.
Bonaire.
Während van Dissel glaubte, der Name sei von „Bon aire" = „gute
Luft" abgeleitet3), bedeutet er nach Prof. Ernst in Caracas die „niedrige
Insel14. Mit den Nachbarinselu kam Bonaire 1527 an Karl V. und teilte
seitdem ihre politischen Geschicke. Schon 16 26 soll der niederländische Schiffs-
kapitän Boudewijn Hendriksz die Insel besucht, einige spanische Kriegs-
gefangene zurückgelassen , hingegen Vieh und Farbholz mitgenommen haben.
Bis 1868 galt ganz Bonaire als Eigentum der Regierung, so dafs nur mit
ihrer Genehmigung Leute sich ansiedeln, Häuser bauen, Acker bestellen und
Viehzucht treiben durften. Alle Produkte, aufser denen, welche die Privat-
grundstücke lieferten, gehörten daher dem Staate an und wurden von seineu
Beamten verwendet oder verkauft. Es gab also auf Bonaire Staatsäcker
und Staatsherden, ja sogar die meisten Sklaven, deren Freilassung in nieder-
ländisch West-Indien erst 1863 stattfand, waren Eigentum des Staates.
In der Zeit, in der die Insel den Engländern gehörte (1807 — 1816), wurde
sie, nebst den Sklaven, dem Nordamerikauer Foulke vermietet gegen jährlich
1000 Gulden1). Da nach der Freilassung der Sklaven die jährlichen Ein-
nahmen der Regierung stets geringer wurden, die Ausgaben hingegen fort-
während stiegen, wurden 1868 die Bodenstücke Bonaires öffentlich verkauft5).
Bonaire liegt in einer Entfernimg von 52 km östlich von Curacao, hat
eine sehr unregelmäßige Gestalt und bei einer Länge von 37 km in N.-S.-
1) Gatchet, The Aruba and the Papiamento Jargon. Ainer. Philos. Soc.
Philadelphia, im*4.
2j tber diese Altertümer und Inschriften berichtet van Koolwijk in der
Tijdachr. v. h. Kon. Ned. Aardr. Gen., 1882, .S. 223 ff. Vgl. auch Martin, Bericht,
L c. I, S. 133 und Tafel XIV.
3) S. van Dissel, Kenige byzonderheden omtrent het eiland Bonaire. Be-
itragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlansch Indiö, 186U, 8. 470.
4) Teenstra, 1. c. II, S. 704.
6) Der Gesamtertrag dieses Verkaufs betrug 81 960 Gulden. Auch die Salz-
pfannen wurden zum Verkauf gebracht, fanden aber keine Abnehmer, van der
Uou Netscher in den Bijdragen, I. c. S. 492.
7*
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100
H. Zonderran:
Richtung und einer abwechselnden Breite von 3 — 10 km einen Flächeninhalt
von 335 qkm. Die kürzeste Entfernung von der Küste Venezuelas betrag*
93 km. Ihre Einwohnerzahl belief sieh am 1. Januar 1899 auf 4829 Seelen.
Der gröfsere Teil derselben ist in dem Hauptorte, dem Dorfe Kralendijk
(= Korallenwal), so genannt, weil die Wohnungen auf dem jungen Korallen-
boden gebaut sind) und dessen Umgegend angesiedelt. Ein zweites Dort",
Rincon, liegt anmutiger in einem Thale; aufserdem giebt es auf Bonaire nur
noch sehr vereinzelte Häuser, da die Insel noch ärmer ist als Aruba und
viele Einwohner ihr Brot in der Fremde suchen müssen.
Kralendijk liegt an der weiten Bucht, welche sich an der Südküste aus-
dehnt und die beiden Hälften verbindet, in welche sich die Insel nach ihrer
Bodenkonfiguration zerlegen läfst: einen gebirgigen westlichen und einen
flachen, kaum über dem Ozean erhobenen, östlichen Teil. In kurzer Ent-
fernung liegt vor dem Dorfe die niedrige, unbewohnte Insel Klein - Bonaire,
deren Felsbodeu mit niedrigem flebüsch bewachsen ist. Zwischen diesem
Inselchen und der Küste finden auch grofse Schifte eine sichere Reede; nur
bei Westwind ist dieselbe gefährdet. Kralendijk ist gleich armselig und öde
anzusehen wie Oranjestad auf Aruba. Aufser dem Regierungsgebäude, einem
grofsen, schönen Hause, in welchem der niederländische Beamte („Gezag-
hebber"! wohnt, giebt es nur wenige steinerne Häuser. Südlich von dem
Regierungsgebäude liegt ein altes, ganz in Trümmer gefallenes Fort, mit ein-
zelnen verrosteten Kanonen bewaffnet. In der Nähe stehen einige Häuser,
das Spital und eine kleine evangelische Kirche. Ein zweiter Teil Kralen -
dijks winl durch die sogenannte Savannah gebildet, eine wüste Ebene, welche
in Regenzeiten sofort unter Wasser gesetzt, sonst mit einer dicken Staub-
schicht bedeckt ist. Hier liegen einige bessere Wohnungen, darunter auch
das Haus der Barmherzigen Schwestern, welche hier eine Schule gegründet
haben, sowie die Pfarrwohnung unweit der römisch-katholischen Kirche.
In der Nähe liegen kleinere Wohnhäuser, welche den Weiler Rieba piedra
bilden, während weiter im 0. und S. noch zwei Weiler augetroffen werden,
Mundo nobo und Nikiboko. Da der Handel ganz unbedeutend ist, der Acker-
bau auf einzelne Maisfelder beschränkt ist, so leben die Bewohner haupt-
sächlich von der Ziegenzucht, sowie von dem Einsammeln von Dividivi und
Farbholz. Oft macht sich in Kralendijk der Mangel an Trinkwasser geltend,
da Cisternen nicht in genügender Zahl vorhanden sind und die Brunnen
nahe der Küste brackiges Wasser enthalten, so dafs trinkbares Wasser aus
grofser Entfernung herbeigeschafft werden mufs.
Rincou, im Innern des westlichen Teiles von Bonaire gelegen, war noch
anfangs der sechziger Jahre ein kleiner Weiler, aus armseligen Strohhütten
zusammengesetzt, ist aber seitdem zu einem Dorfe herangewachsen, welches
schon 18G8 mehr als 600 Einwohner zählte. Es hat eine anmutige Lage
in einem Thale, dessen Boden mit Ausnahme einiger felsigen Stellen frucht-
bar ist, während die Quellen hier eine genügende Menge guten Trinkwassers
liefern. Das Dorf hat eine römisch-katholische Kirche, eine Schule und eiue
nette I'farrwohnung. Neben äufserst bescheidenen steinernen Häuschen be-
merkt man viele erbärmliche Strohhütten. „So ärmlich indessen das Dorf
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Die niederländisch-westindischen Inseln. 101
ist, so reinlich scheinen doch seine Einwohner zu sein." Diese Neger und
Mischlinge leben vom Ackerbau (Mais, Bohnen, Erbsen) und von Viehzucht,
indem sie das Fleisch der Ziegen (Kabrieten) essen und das Fell verkaufen.
Auch züchten sie einige Obstbäume.
Ebenso wie Curacao besitzt auch Bonaire eine grofse Zahl kleiner, ab-
geschlossener Meeresbecken, von welchen das von Goto an der Süd- und das
von Slachtbai an der Westküste des westlichen Teiles der Insel die bedeutend-
sten sind. Ihr Charakter ist auf beiden Inseln derselbe. Dieser westliche
Teil ist gebirgig, und zwar erhebt sich hier der Kulminationspunkt Bonaires,
der Brandaris, ein Kegelberg von 254 m absoluter Höhe. Von hier aus
zieht sich nach Rincon zu in Südost richtung ein langgestreckter Bergrücken,
und ein zweiter mit gleichem Streichen geht von Karakao aus1). Beide sind
durch eine Anzahl von seichten Einschnitten in Höhen zerlegt, welche sich
als runde Kuppen und kleine Spitzen über der gemeinschaftlichen Basis er-
heben, ohne aber in Form von Bergen aus dem Rücken sich herauszulösen.
Der Juwa und der Makaku besitzen unter ihnen den gröfsten Grad von Selb-
ständigkeit und gleichzeitig die bedeutendsten Erhebungen (200 m). Der
Küste entlang läuft ein Gebirge von gleichem Charakter wie das Küsten-
gebirge Curacaos, denn es fällt seewärts mit sehr steilen Terrassen ab. Und
ebenso wie auf dieser Insel werden auch auf Bonaire im schmälsten Teile
die Gebirge der Nord- und Südküste durch eine Brücke verbunden, welche
hier aber bedeutend breiter ist und die Gestalt eines Plateaus annimmt,
dabei eine mittlere Höhe von etwa 40 m hat. Das Küstengebirge besitzt
an der Südküste viel mehr Zusammenhang als im Norden, und östlich von
Goto dehnt sich der Lange Berg in Form einer ununterbrochenen Mauer aus.
Der letzte Ausläufer des Langen Berges bildet die bedeutendste Höhe Ost-
Bonaires, und in der Verlängerung seines Streichens liegen noch einige andere
niedrige Hügel in der Mitte der Insel. Fast der ganze übrige Teil der Ost-
hälfte Ist flach und bildet eine kaum über den Meeresspiegel sich erhebende
Ebene.
Das bedeutendste Thal auf Bonaire ist dasjenige von Rincon. Es ist
ein Kesselthal, nur im SW. nach Goto hin geöffnet, sonst von steilen Ge-
hängen geschlossen. Ein zweites Thal und zwar ein Längsthal, trennt die
Höhenzüge im Innern von West-Bonaire, ein drittes erstreckt sich vom Fufse
des Brandaris aus in NO. -Richtung bis in die Nähe der Nordküste.
Während das flache Ost-Bonaire und ebenso die Gegend zwischen
Kralendijk und dem Nordstrande grofse Dürre und Eintönigkeit mit Mangel
an Formenschönheit verbindet, zeigt die Strecke von Fontein (einer Plantage
in der Mitte der Nordküste) bis Slachtbai landschaftliche Reize. Nahe bei
Fontein liegen auf der Uferterrasse am Fahrwege in ungemein grofser Zahl
mächtige, abgestürzte, scharfkantige Kalkblöcke, von Pflanzen umschlungen.
Fontein selber ist oben an dem steilen Abstürze eines Kalkplateaus nach der
Seeseite hin gelegen und kann nur nach dem Ersteigen einer hohen Treppe
erreicht werden. In den abenteuerlichsten Formen liegen die Kalkblöcke über
l) Vgl. wiederum Martin, Bericht, 1. c. II.
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102
H. Zondervan:
und neben einander, vor und hinter dem Hause. In einer Höhle befindet sieh
die kleine Quelle, der Pontein seinen Namen verdankt. Die höchsten land-
schaftlichen Reize aber bietet Goto, das grölst e der Binnenmeere von Bonaire.
„Weit greifen seine Grenzen zwischen die Klippen des eruptiven Gesteins
ein, welches hier das Innere der Insel bildet, und aus seinen trocken gelegten,
innern Teilen ragen /.ahlreiche, kleine Inselehen hervor, bestanden mit ('actus
und Dividivi, welche sich wie eben so viele Bouquets aus der Ferne aus-
nehmen und dem Reisenden stets neue Durchblicke mit immer wechselnden
Formen vorführen .... Das jetzige Ufer ist von einer Kruste von Koch-
salz eingefafst, der sich in parallelen Streifen weitere Krusten landeinwärts
anschliefsen, die allmähliche Eindampfung des abgeschlossenen Beckens, dem
neuer Wusservorrat so selten zugeführt wird, andeutend. Das mannigfaltige
Bild erhält noch mehr Abwechselung durch den äufserst verschiedenen
Charakter der umgebenden Gebirge.'1
Die Darstellung der geognostischen Beschaffenheit ist insofern leicht,
als die Insel in vielen Stücken die grölst mögliche Übereinstimmung mit
Curacao zeigt. Während die Osthälfte fast ganz aus jungen Rift kalken
und Alluvium zusammengesetzt ist, sich in der Mitte und der Nord- und
Nordwestküste eutlang quartärc Kalke ausdehnen, wechseln in der West-
hälfte Diabas-, Porphyr- und Kreidegesteine mit einander ab. Zwischen
Kralendijk und Fontein ist die Übereinstimmung mit Curacao vollständig:
die Diabase, die Sandsteine uud Kieselschiefer, die Mergel, das alles ist auf
beiden Inseln durchaus gleich entwickelt, der Übereinstimmung der quart&ren
Kalke beider Inseln nicht zu gedenken. Dasselbe gilt für die Gegend von
Fontein bis (ioto. Kurz bevor man den NO.-Kand von (ioto erreicht, ändert
sich indessen mit einem Schlage die ganze Landschaft: Relief und Formation
erscheinen im Vergleiche zu dem von Curacao und Aruba Bekannten durchaus
fremdartig. Das Gebirge im NW. Bonaires ist nämlich ausschliesslich aus
porphyrisehen Gesteinen aufgebaut.
Die drei Inseln Curacao, Aruba und Bonaire weisen in ihrem geo-
logischen Bau „eine sehr augenfällige Analogie zu der Cordillere des Fest-
landes auf. Sie sind Glieder einer Kette von Eilanden, die sich von Westen
nach Osten erstreckt und deren ältestes, auf Aruba aufgeschlossenes Grund-
gebirge das gleiche Streichen zeigt"1).
Phosphorite giebt es in kleineu Mengen, ebenso wie auf Curacao, auch
auf Bonaire in grofser Zahl zerstreut, in sogenannten Poekets. Nirgendwo
aber hat man abbauwürdige Lager gefunden. Aus dem Mineralreiche bildet
sonst Salz, wodurch Bonaire seit langem bekannt ist, das einzige nennenswerte
Produkt, während der Kalk, welcher früher ebenfalls in bedeutenden Mengen
zur Ausfuhr kam. heutzutage keine grofse Rolle mehr spielt2). Die Ziegel-
brennerei, welche es auf der Insel giebt, hat seit 1H98 gar nicht mehr ge-
arbeitet.
1) Martin, Bericht, 1. c. II, 8. 1S2.
2) Teenstra schätzte zu geiner Zeit den mittleren Wert des jährlich auf-
geführten Salzes auf 50 000, des Kalkes auf 10 000 Gulden.
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*
Die niederländisch-westindischen Inseln. 103
Das Klima stimmt durchaus mit demjenigen Curacaos und Arubas über-
ein, läfst sich daher ebenfalls als warm, trocken und gesund charakterisieren1).
Mangel an Niederschlag ist auch hier das gröfste Unglück, wodurch noch
1898, in welchem Jahre fast kein Tropfen Hegen fiel, die ganze Ernte fehl
ging und überdies Mangel an Trinkwasser Krankheiten erzeugte8). Die
Pflanzenwelt leidet unter diesen Umstünden gleichartig mit und ist ebenso
ärmlich, wie diejenige der Nachbarinseln; allein der westliche Teil Bonaires
hat einen im Vergleich zu Curacao und Aruba üppigen Pflanzenwuchs, wahr-
scheinlich dadurch, dafs die Höhen an der Nordseite dem übrigen Inselteile
Schutz gegen die schädliche Wirkung des Passates verleihen.
Acker-, Garten- und Obstbau sind gleich unbedeutend, so dafs sogar
das Hauptprodukt, eine Maisart-, nicht in genügender Menge gebaut wird
und jährlich eine gewisse Quantität desselben eingeführt werden tun Ts. Mit
der Viehzucht ist es besser bestellt, zumal die ,.Steineselu, wie man lüer die
auf dem steinigen Boden lebenden Tiere nennt, bekannt sind und das Fleisch
der „Kabrieten" (Ziegen) Bonaires mehr geschätzt wird, als das Ziegenfleisch
von Curacao.
Aufser Fleisch, welches auf der lusel billig ist, Geflügel, das in grofser
Zahl gezüchtet wird und Fischen, welche das Meer in grofsen Mengen liefert,
raufs alles, was die Bevölkerung an Lebensmitteln, Kleidern, Hausrat und
sonstigen Gegenständen nötig hat, eingeführt werden, hauptsächlich von
Curacao aus, wodurch die Preise hoch sind.
Die Gesamtausfuhr hatte einen Wert von: 189 G 82 367 fl., 1897 64 030 fl.,
1898 67 329 A. Es liefen 1898 ein: 303 Schiffe mit 23 584 cbm Tonnen-
gehalt.
Auch auf Bonaire ist die Bevölkerung aus Weifsen, Mischlingen und
Negern zusammengesetzt. Sie betrug am Schlufs des Jahres 1898
4829 Seelen. Die Zahl der Weifsen ist ebenso gering, wenn nicht geringer
als auf Aruba , soll sogar nicht 1 0 0 der Gesamtbevölkerung betragen.
Unter den Farbigen begegnet man wieder Leuten, die dem auf Aruba
herrschenden Typus entsprechen, Mischlingen von Indianern und Negern,
bei denen der indianische Ausdruck der überwiegende ist; aber diese Leute
treten doch sehr hinter den andern Farbigen mit vorwaltendem Negerblute
zurück. Die Sprache ist auf Bonaire ebenfalls das Papiamento. Der
Pfarrer predigt, der Lehrer unterrichtet in dieser Sprache und sogar die
Lesebücher der Schule sind in ihr geschrieben. Nach den Konfessionen gab
es 4686 Kömisch-Katholische und nur 143 Evangelische. Ebenso wie auf
Curacao und Aruba hat auch hier das starke Vorherrschen des Katholicismus
seinen Grund darin, dafs ehemals die evangelischen Sklavenbesitzer die
Sklavenkinder römisch-katholisch taufen Uelsen, damit die Kluft zwischen
Herren und Sklaven noch gröfscr sei.
1) Lange Zeit hindurch galt «las Klima Bonaires noch für besser als dasjenige
Curacaos, so dafs sogar Kranke von letztgenannter Insel auf Bonaire ihren Aufenthalt
nahmen, van Bissel, 1. c, S. 470.
8) Koloniaal Verslag, 1899, 1. c, S. 2.
*
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104
Kleinere Mitteilungen.
Den starken Zuwachs der Bevölkerung in der zweiten Hälfte dieses Jahr-
hunderts zeigen die folgenden Zahlen:
Jahr KinwohncrMhl | Jahr Einwohner/ »hl Jahr Eiuwouueriahl Jahr Einwohnaruh 1
1833 1348 1865 3579 1884 4031 1897 4677
1841» 2159 1875 4470 | 1896 4524 1898 4829
(Schluß folgt.)
Kleinere Mitteilungen.
Da« „Laufen", besw. „An- und Auslaufen" der Seen.
Nachdem der dem örtlichen Sprachgebrauch des Lac Leman entnommene
französische Ausdruck „Seiche" zur Bezeichnung der in stehenden Wellen
sich vollziehenden rhythmischen Schwankungen der gesamten Wassermasse
der Seen sich infolge des vermeintlichen Fehlens einer deutschen, den Begriff
in scharfer, jedes MifsverstUndnis ausschliefsenden Weise wiedergebenden Be-
nennung bereits ziemlich allgemein auch in unserer deutschen limnologischen
Terminologie einzubürgern im Begriffe war (vergl. „Handbuch der Seenkunde,
Allgemeine Limnologie" von Professor Dr. F. A. Forel in Ratzel s Bibliothek
geographischer Handbücher, Stuttgart, J. Engelhorn 1901, S. 63), haben
meine fortgesetzten Nachforschungen nach einer einwurfsfreien deutschen Be-
nennung nunmehr doch noch das Ergebnis der Auffindung einer solchen im
örtlichen Sprachgebrauche der Bodensee-Fischer gehabt: Die Mitteilungen, die
mir der Fischer Steinam von Überlingen, ein intelligenter und besser als die
Mehrzahl seiner Berufsgenossen gebildeter Mann, über seine schon vor vielen
Jahren und dann in jedem Jahr zu wiederholten Malen und zu jeder Jahres-
zeit gemachten Beobachtungen eines ihm ganz unerklärlichen, bei völlig
ruhigem Wetter und See sich vollziehenden langsamen Steigens und Fallens
des Seespiegels erst in den letzten Tagen ( — früher kannte ich ihn noch
nicht — ) gemacht hat, lassen nämlich auch nicht den leisesten Zweifel
darüber zu, dafs es sich bei den Wahrnehmungen des Genannten um etwas
anderes nicht, als eben um die rhythmischen Oscillationen der ,Seiches" ge-
handelt habe und dafs demgemäfs dann auch der von ihm den beobachteten
Denivellationen des Seespiegels als die im Kreise seiner Berufsgenossen von
Alters her allgemein gebräuchliche Bezeichnung gegebene Namen des „An-
u nd Auslaufens des Sees" als die dem Phänomen der „Seiches"
im (deutschen!) Sprachgebiet des Bodensees zukommende Benennung aner-
kannt werden mufs. Haben wir aber damit in dem „An- und Auslaufen"
einen durchaus sachgemäfsen deutschen Ausdruck für „Seiche" endlich über-
haupt gefunden, so wird es einer besonderen Empfehlung kaum mehr be-
dürfen, um ihm auch die allgemeine An- und Aufnahme in unserer deutschen
limnologischen Terminologie zu verschaffen. Ist dies doch auch bezüglich
rinderer Ausdrücke, wie z. B. „Schweb", „Wyfse", „Halde" u. dergl., die ich
schon früher aus der gleichen örtlichen Quelle geschöpft habe (vergl. meine
„hydrographischen Verhältnisse des Bodensees14, Abschn. III der Bodensee-
forschungen aus Anlafs der Herstellung der neuen Bodenseekarte im
XXII. Heft der Sehr. d. Vereins f. Gesch. d. Bodensees und sr. ümgebg.,
Lindau, J. Th. Stettner 1893), anstandslos schon seit längerer Zeit geschehen.
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Geographische Neuigkeiten.
105
Indessen möchte ich mir hier behufs Beseitigung des dem Ausdruck „An-
und Auslaufen des Sees" als einziger vielleicht fühlbarer Übelstand an-
haftenden Mangels der Einfachheit und Kürze doch noch den Vorschlag bezw.
Antrag erlauben dürfen, es solle in der Praxis entsprechend einer Art von
stillschweigender Übereinkunft unter den deutschen Geographen und Limno-
logen zur Bezeichnung der vollständigen „Periode" einer „Seiche" im
Deutschen künftig kurzweg das blofse Wort „Laufen des Sees" verwendet,
die Ausdrücke „Anlaufen" und „Auslaufen" aber im besonderen gebraucht
werden, wenn jeweils gerade von demjenigen Teil der ganzen Periode die
Rede ist, während dessen das Steigen und bezw. Sinken des Wasserspiegels
in der rhythmischen Oscillation stattfindet.
Dr. Eberhard Graf Zeppelin.
Geographische
Zusammengestellt von
Allgemeine Geographie.
* Von der internationalen Glet-
scher-Kommission. Da diese Kommis-
sion von einem internationalen Geologen-
Kon grefs — dem von Zürich 1894 —
eingesetzt worden ist, so hat sich der
Gebrauch eingebürgert, dafs sie bei jedem
Geologen-Kongrefs zu einer Sitzung zu-
sammentritt und bei dieser Gelegenheit
ihren Vorstand wechselt. So war in der
Sitzung zu Petersburg am 1 . September 1897
anstatt F. A. Forel E. Richter zum Vor-
sitzenden, und an Stelle des eben ver-
storbenen Du Pasquicr S. Finsterwalder
zum Schriftführer gewählt worden. Auch
für den im August 1900 in Paris abge-
haltenen Geologen - Kongrefs war eine
Sitzung ausgeschrieben worden , sie war
aber nicht beschlufsfähig, da die Skandi-
navier und einige andere Mitglieder, wohl
von der Pariser Augusthitze abgeschreckt,
ausgeblieben waren. Hingegen waren
gerade die femsten Länder, Amerika und
Rußland, vertreten. Trotzdem wurde
»*ine Sitzung abgehalten und die Beschlüsse
nachträglich auf schriftlichem Wege von
den abwesenden Mitgliedern genehmigt
Die wichtigsten davon sind: die Wahl
S. Finsterwalder's in München zum Vor-
sitzenden und des Forstinspektors in
Bern E Muret zum Schriftführer, des
Prinzen Roland Bonaparte zum Ehren-
präsidenten, des Professors W. Kilian
zum zweiten Repräsentanten für Krank-
reich, und de« Direktors des kgl. Obser-
Nenigkeiten.
Dr. August Fitzau.
vatoriums in Turin Prof. F. Porro zum
Repräsentanten Italiens an Stelle des
verstorbenen Marinelli.
Die Gletscher- Kommission hat vor
kurzem ihren fünften Jahresbericht in
den „Archives des Sciences" von Genf ver-
öffentlicht, aus dem hervorgeht, dafs die
rückschreitende Tendenz fast noch bei
allen Gletschern der Welt vorherrscht;
nur in den Ostalpen sind einige beachtens-
werte Vorstofsbewegungen, so vor allem
beim Vernagtgletacher, zu registrieren.
Die interessanteste Seite der Zusammen-
kunft in Paris waren die Besprechungen
über die Organisation der Gletscher-
beobachtungen in Frankreich seihst. Hier
hat Prinz Roland Bonaparte Anfang der
neunziger Jahre eine grofse Anzahl von
Gletscherenden in sehr grol'Bem .Malsstabe
aufnehmen und einige Jahre hindurch
revidieren lassen. Es liegt da ein un-
schätzbares Material aufgehäuft, wie es
in dieser Ausdehnung kein anderes Land
besitzt. Denn in der Schweiz ist die ganze
Mühe auf den Rhonegletscher aufgewendet
worden, und auch in den Ostalpen ist
die Zahl der vermessenen Gletscher viel
geringer. Doch hat vielleicht gerade
die Massenbaftigkeit des Begonnenen die
Vollendung und Fortsetzung bisher ver-
hindert, und so sind bis heute die Be-
obachtungen an den Gletschem de« Dau-
phin«*, welche die Gesellschaft der Tou-
risten in Grenoble hat vornehmen lassen
und die im Sommer 1900 durch Prof.
W. Kilian veröffentlicht worden sind, das
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106
Geographische Neuigkeiten.
einzige, was seit Jahren über die Verhält-
nisse der französischen Gletscher bekannt
geworden ist. Da aber »'in so reiches
Material und so bedeutende Anfänge
vorliegen, welche die Mitglieder des
Geologen- und des alpinen Kongresses
in der prachtvollen Bibliothek des Prinzen
Honaparte zu bewundern Gelegenheit
hatten, so bedarf es in Frankreich eigent-
lich nur eines Entschlusses und einer
entsprechenden Organisation, um er-
schöpfende Kenntnis über das Verhalten
der dortigen Gletscher zu erlangen. Der
Anstofe dazu kam nun tbatsächlich in
einer unerwarteten Weise, und es ist zu
hoffen, dafs das Jahr 1900 eine neue Ära
in der Gletacherbeobachtung in Frankreich
einleiten wird. Gelegentlich eines Vor-
trages, den der damalige Präsident der
internationalen Gletscher - Kommission,
Prof. E. Richter in Graz, bei dem inter-
nationalen alpinen Kongrefs am 13. August
in Paris über die Veranstaltung von
Gletscherbeobachtungen durch die alpinen
Vereine hielt, erhob sich Herr Küfs,
Forstinspektor im französischen Ackerbau-
ministerium, und erklärte, seit der Kata-
strophe von St. -Gervais, wo durch den
Ausbruch eines Gletschersees über 100
Menschen ihren Tod fanden, interessiere
sich die französische Regierung sehr für
Gletscherbeobachtungen und sei bereit,
dafür das Forstpersonal in den Alpen- und
Pyrenäendepartements zur Verfügung zu
stellen, wenn etwa durch den französischen
Alpenklub eine Organisation geschaffen
werde. Dieses Entgegenkommen wurde
entsprechend freudig begrüfst, und es ist
eine Sache der an solchen Untersuchungen
interessierten Kreise, das Nötige ins
Werk zu setzen. Dies wäre zunächst die
Gründung einer französischen Landes-
GletRcher-Kommission, ähnlich wie sie
in der Schweiz besteht, und die Sicherung
der Geldmittel für die Vornahme regel-
mäfBiger jährlicher Nachmessungen, was
in einem reichen Lande wie Frankreich
keine Schwierigkeiten haben kann.
* Nachdem es der Direktion der
Deutschen See warte gelungen ist, bei
der gegen Ende des verflossenen Sommers
in St. Petersburg stattgefundenen Tagung
des Internationalen Meteorologischen
Komitees die Unterstützung der ver-
schiedenen dabei in Betracht kommenden
meteorologischen Institute des In- und
Auslandes zu gewinnen, erscheinen seit
dem I. Juli 1900 neben den täglichen
Wetterberichten alle 10 Tage inter-
nationale Dekadenberichte, welche
die Witterungsverhältnisse auf der nörd-
lichen Halbkugel von Amerika quer
über den atlantischen Ozean und bis
tief nach Asien hinein zur Durstellung
bringen. Aufser einem Übers ichtskärtchen
des gröfseren Teils der nördlichen Halb-
kugel zur Darstellung der Temperatur-
abweichung und der Isobaren für den
jeweils dargestellten lOtäTgigen Zeit-
abschnitt, enthalten diese Dekadenberichte
die diagrammatische Darstellung der auf
Schiffen zwischen dem Kanal und Nord-
Amerika beobachteten meteorologischen
Elemente, sowie eine Tabelle der Luft-
druck-, Temperatur- und Niederschlags-
beobachtungen auf über 90 der wichtigsten
und bestausgerüsteten meteorologischen
Stationen unserer Hemisphäre.
Seit dem 1. Januar 1901 tritt nun auf
Anordnung des Reichsmarineamts zu
diesen Dekadenberichten eine ,.Nord-
atlantiscbe Wetterausschau" hinzu,
welche nach Art der in Washington
monatlich publizierten s.g. Pilot Charts
des „North Pacific" und des „Xorth
Atlantic" alle für die Schiffahrt auf dem
nordatlantischcn Ozean wichtigen An-
gaben enthält und am Ende eines jeden
Monats ausgegeben, die auf Grund jahre-
langer Erfahrungen und Beobachtungen
für den kommenden Monat zu vermutenden
Witterungsverhältnisse veranschaulicht.
Die Vorderseite des Blattes zeigt
eine Karte des nordatlantischen Ozeans
mit einer graphischen Darstellung der
Windverhältnisse für jedes Quadrat von
5 Gradseiten, sowie eine prozentualischo
Angabe der vorgekommenen Stürme, die
Wassertemperaturen und die Häufigkeit
des Nebels in Stunden für dieselben
Quadrate. Ferner gelangen zur Dar-
stellung: die mittleren Stände des Luft-
druckes, die Lagerung, resp. das Fort-
schreiten (gen Osten) der Luftdruck-
Maxima und -Minima über dem Gebiet
des Ozeans, die Grenze des Treibeises
und der Nebel, die Wahrscheinlichkeit
der Niederschläge, sowie vor allem in
deutlicher Einzeichnung die Linien
gleicher magnetischer Deklination,
abgeleitet für den 1. Januar 1901. DieKarte
umgiebt ein erklärender Legendenrand.
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Geographische Neuigkeiten.
107
Auf der Rückseite werden Auszüge'
aus den internationalen Dekadenberichten
der vorhergehenden beiden Monate ge-
gel>en in Gestalt von 8 Kärtchen über
Luftdruck und Abweichungen der Teni-
l»eratur in den betreffenden 1U tilgigen
Perioden, sowie einer Analyse der in
fliegen Dekaden ausgeführten Dampfer-
reisen und aller während dieser Fahrten
gemachten und der Seewarte mitgeteilten
Beobachtungen von allgemeinerem Inter-
esse. Auch enthalten genannte Kärtchen
eine graphische Darstellung der magne-
tischen Elemente: Deklination, Inklination
und Horizontalintensität. Für den See-
mann von ganz besonderem Interesse
sind die unter eigener Rubrik gegebenen
Angaben über treibende Wracks und
Treibeis, sowie die kurzen Auszüge aus
den neuesten bei der Seewarte einge-
laufenen Konsulats- und Kapitänsfrage-
bogen betreffend Mitteilungen über nau-
tisch interessante Verhältnisse auswärtiger
Häfen.
Zunächst erscheinen die Karten in
der Art der Wetterberichte autographiert
und ohne Farben und werden durch die
Agenturen der Seewarte unentgeltlich
und in gTofser Anzahl zur Verteilung
kommen. Indessen wäre es im Interesse
gröfsorer Deutlichkeit und dadurch er-
leichterter Verwendung des reichen und
vielseitigen Inhalts dringend er-
wünscht, dafs es späterhin möglich
würde, diese wertvolle deutsche nautische
Publikation in Farbendruck herzu-
stellen, vielleicht auch in etwas gröfserem
Format, etwa so wie die nordamerikani-
*chen Pilot Charts, deren oben Erwähnung
geschah. Jedenfalls besitzen wir in
Deutschland in der Hamburger Seewarte
und der ihr stets hilfsbereit reiches Be-
obachtungsmaterial zuführenden deutschen
Handels- und Kriegsmarine diejenigen
Kiemente, welche das Gelingen und die
immer weitere Vervollständigung dieses
für Wissenschaft wie Praxis gleich be-
deutungsvollenUnternehmens sicherstellen.
Dr. Max Friederichsen.
* Ein Vertrag über die Herstellung
und Legung eines unterseeischen Kabels
von Britisch-Nordamerika nach
Australien ist in diesen Tagen zwischen
Vertretern des Colon ial Office in
London, der Regierungen von Neu-Süd-
wales, Viktoria, Queensland und Neusee-
land einerseits und der „Telegraph Con-
struetion and Maintenance Company4'
andrerseits abgeschlossen worden. Das
Kabel, welches von der Insel Vancouver
nach Queenaland und Neuseeland geführt
werden soll, wird auf Funning-Insel, aut
den Fidschi- und den Norfolk-Inseln, die
sämtlich in englischem Besitz sind, ge-
landet werden. Die Länge desselben
wird gegen 16 000 km betragen, die Ge-
samtkosten für Herstellung und Legung
sind auf 36 Mill. Mark, also 2,40 M. für
den laufenden Meter, veranschlagt. Die
Fertigstellung der ganzen Kabellinie rnufs
vertragsmäfsig spätestens Ende 1902 er-
folgt sein.
Europa.
* Nach der Volkszählung vom
1. Dezember Ii» 00, deren bisher be-
kannt gewordenen Ergebnisse allerdings
nur als vorläufige anzusehen sind, giebt
es im Deutschen Reiche 70 Städte mit
mehr als 50 000 Einwohnern:
Einwohnt- wähl
1 Dp/, iüoo.
2 Do* 1896.
1 884 346
1 677 304
2. Hamburg . . .
704 669
625 552
3. München . . . .
498 503
407 307
4. Leipzig . . . .
455 120
399 963
5. Breslau . . . .
422 415
373 169
6. Dresden . , . .
395 349
336 440
7. Köln
370 685
321 564
8. Frankfurt a. M. .
287 813
229 279
9. Nürnberg . . .
260 743
162 386
10. Hannover . . .
234 986
209 535
11. Magdeburg . . .
229 732
214 424
12. Düsseldorf . . .
212 949
175 985
13. Stettin ....
209 988
140 724
14. Chemnitz . . .
206 584
161017
16. Charlottenburg
189 300
132 377
16. Königsberg . . .
187 186
172 796
17. Stuttgart . . .
176 318
158 321
160 885
148 944
19. Bremen . .
160 823
141894
20. Halle ...
156 631
116 304
21. Elberfeld . . .
156 503
139 337
22. Strasburg . .
150 268
135 608
23. Dortmund . .
142 418
111232
24. Barmen . . .
141 435
126 992
25. Mannheim . .
140 384
97 780
. 138 108
125 606
135 287
110 651
28. Braunschweig
126 052
115 138
29. Essen ....
11H817
96 12H
116 151
73 239
Digitized by Google
los
Ideographische Neuigkeiten.
31. Kiel ....
32. Krefeld . .
33. Kassel . . .
34. Karlsruhe
35. Schöneberg .
36. Duisburg . .
37. Rixdorf . .
38. Wiesbaden .
39. Augsburg . .
40. Mülhausen i. E
41. Erfurt . . .
4*2. Mainz . . .
43. Lübeck . .
44. Görlitz . . .
45. Würzburg .
46. Plauen . . .
47. Darmstadt .
48. Bochum . .
49. Spandau . .
50. Münster . .
51. Bielefeld .
52. Ludwigshafen
53. Frankfurt a. 0
54. Freiburg i. Br
55. Potsdam . .
56. Metz. . . .
57. Remscheid .
58. Königshütte
59. M.-Gladbach
60. Zwickau
61. Liegnitz
62. Rostock
63. Fürth .
64. Gleiwita
65. Elbing .
66. Bromberg
67. Osnabrück
68. Dessau. .
69. Linden . .
70. Offenbach
* 0. Marinell
des Boll, delle Soc
Fortsetzung seiner
Studien in den fr
l n«« 1900 s
107 071 85 666
106 887 107 245
105 055 81 752
98 000 84 030
95 939 62 696
93 605 70 272
90 514 59 945
? 74 133
88 700 81 896
88 464 82 986
85 828 78174
84 501 76 300
81 517 69 874
80 842 70175
74 905 68 747
73 908 55 191
71200 63168
64 702 53 842
64 496 66 841
63 495 67 135
62 464 47 455
61 796 39 799
61 672 59 161
61613 53 118
59 326 58 455
58 466 59 794
58 010 47 283
57 675 44 697
57 659 53 662
66 572 50 391
54 900 61 518
54 579 49 912
53 875 46 726
52 341 24 980
52 298 46 846
52 082 46 417
51 487 46137
50 750 42 376
50 704 35 861
50 400 39 388
giebt im Heft 9—11
Geogr. Ital. 1900 eine
orographiscben
iuulischen Alpen und
dem Grenzgebiet gegen Tirol, besonders
in der Umgegend von Tareento, Mauria,
Lorenzago, Comelico Superiore, Misurina
und den Ampezzaner und ('adorischen
Alpen. Die Höhenlage der tiefsten Punkte
der Gletscherzungen wird für den West-
gletscher des Anteiao auf 2281, den Ost-
gletscher auf 2396, den Westgletscher des
Sorapiss auf 2209, den Zentralgletscher auf
2182, den Ostgletscher auf 2140 m, den
Cristallogletscher auf 2270 m bestimmt
(18991 Von 13 kleinen Hochseen zwischen
1182 und 1*63 m Höhenlage, von denen
der gröfste, der bekannte Misurinasee nur
15 ha grofs ist und 3,6 m tief wird, ver-
danken wahrscheinlich 4 in Comelico Su-
periore gelegene Gypseinbrüchen ihre Ent-
stehung. Die gypsführenden Schichten
gehören teils der Permformation, teils den
Raibier Schichten an. Auch die Mehr-
zahl der übrigen Seen werden als Ein-
bruchsBeen angesprochen. W. H.
* über seine Reise in der Niede-
rung zwischen dem Ob und dem
Jenissei berichtet« 0. W. Markgraf
der Russischen Geographischen Gesell-
schaft in St. Petersburg. Die Reise hat
acht Monate gedauert, sie ging über
Krasnojarsk nach Jenisseisk, Turuchansk
(1200 Werst zu Schiff), Obdorsk und seine
Umgebung, die als die ödeste, seit 60
Jahren von niemand mehr besuchte Stelle
des ganzen Gebietes erscheint. Markgraf
kehrte dann nach Tobolsk zurück, begab
sich von dort nach Beresow und besuchte
Surgut. Als eine Eigentümlichkeit der
Obniederung erwies es Bich, dafs das
Land an der Meeresküste bedeutend
höher liegt als an den übrigen Teilen.
Der Boden ist überall aufgeschwemmt,
ausgehende Gesteinsschichten fanden sich
nur wenig vor; kegelförmige Berge sind
häufig, erratische Blöcke wurden nicht
gefunden; Abschwemmungen am Rande
der Niederung legen stellenweise Eis-
schichten von 3 m Dicke blofs. Seen
giebt es wenig, vorwiegend finden sie
sich an den Mündungen der Flüsse. Die
Flüsse des Gebietes, Tas, Nadym, Pur u. a.,
zeigen breite Thäler von 40—50 Werst
Breite., aber die Flüsse haben nicht ein-
mal 2 Werst Breite. Sehr eigenartig sind
die Grenzen des Pflanzenwuchses: auf
den Wasserscheiden dehnt sich der Wald
weiter aus als an den Flüssen. Das
Klima läfst, trotzdem das Thermometer
häufig auf — 67° C. herabsinkt, doch
ganz gut eine Kolonisation zu, die Luft
ist sehr trocken und gesund. Die Thäler
*ind mit reichen Weidenhainen bedeckt,
die Niederungen mit anderthalb Meter
langem Gras. Schon der Obische Bezirk
allein kann jährlich 2 Millionen sehr
schöner Balken liefern. Der an ihn auf
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Geographische Neuigkeiten
109
über 80O Werst sich ansch liefsende Teil
des Uralgebirges ist noch vollkommen
unberührt. Fischfang, Kenntierzucht und
Pelztierjagd sind ergiebig. Die Skopzen
in Turuchansk haben noch Felder unter
64* n. Br. Getreide gedeiht auch bei
Bere*ow; im allgemeinen mufs aber als
Grenze des Ackerbaus die Breite von 60 0
anerkannt werden. Um dieses reiche
Land zu beleben und der Bevölkerung
— den Russen sowohl als den Einheimi-
schen — die Möglichkeit zu geben, die
Gaben der Natur zu benutzen, ist nach
der Meinung des Referenten dreierlei
notwendig: Eine Eisenbahn (1200 Werst)
von Archangelsk nach Beresow, der grofse
Frachten von Bauholz, Getreide aus Süd-
sibirien, Bergprodukte aus dem Ural und
Naphtha zufliefsen würden ; Aufmunterung
der Flursdampfschiffahrt und Errichtung
von Beobachtungsstationen am Meere,
Kohlenstationen und Leuchttürmen an
der Küste des Ozeans. (Globus Bd. LXXIX.
S. SO.)
Afrika.
* Über die Zwergvölker des inner-
afrikanischen Urwaldes zwischen
Ituri und Semliki berichtet Johns t on
im Geogr. Journal Vol. XVII S. 39. Von
Uganda aus drang Johnston über den
Semliki in den Kongostaat ein, wo es
ihm gelang, mit den Zwergen in unmittel-
baren Verkehr zu treten und viele photo-
graphische Aufnahmen von ihnen und
ihren Tanzen, Geratschaften und Woh-
nungen zu machen und auch anthropo-
logische Messungen an ihnen vorzunehmen.
Es ergab sich, dafs man zwei Typen bei
den Zwergen unterscheiden kann: einen
schwarzen mit steifem, krausem Haar am
Körper und einen rötlich-gelblichen mit
rötlichem Haupthaar und gelblich-grauen
Haaren am Körper. Einige, besonders
junge, Zwerge waren am ganzen Körper
behaart und die Frauen hatten nicht
selten einen Anflug von Schnurrbart.
Nach der Meinung Johnston's sprechen
die Zwerge keine eigene Sprache mehr,
sondern die etwas korrumpierten Dialekte
der umwohnenden Negerstamme. Aber
beim Gebrauch dieser Dialekte schoben
sie merkwürdigerweise Schnalzlaute ein,
die den bei den Hottentotten und Busch-
männern gebrauchten sehr ähnlich klangen.
Wesentlich unterscheiden sich aueh die
Zwerge von ihren Nachbarn durch die
Gröfse und Plattheit, der Nase, die fast
keinen Röcken aber sehr grofse Flügel
hat; ihre Oberlippe ist sehr grofs, aber
kaum merklich aufgeworfen. In vieler
Hinsicht haben die Zwerge affenähnliche
Züge, aber ihre Intelligenz ist in der
Regel gut entwickelt ; und obgleich sie
abschreckend häfslich sind, sind sie doch
von gewinnender und freundlicher Gemüts-
art und ihre Tänze unterscheiden sich
durch Ausgelassenheit und angenehme
Bewegungen vorteilhaft von denen der
gewöhnlichen Neger. Bemerkenswert ist
auch eine besondere Anlage zu Gesang
und Tanz, wobei sie sich zu kleineu
Sängergesellschaften vereinigen.
* Die Besetzung der ost afrika-
nischen Seen und Flüsse mit
Dampfern ist jetzt zu einem vorläufigen
Abschlufs gekommen , nachdem „Hedwig
von Wissraann" auf dem Tanganjika
von Stapel gelassen und die Aluminium-
Pinasse „Ukerewe" auf ihrem schwierigen
Transport quer durch Deutsch-Ostafrika
am Viktoria -See angelangt ist. Die
deutschen Dampfer verteilen sich gegen-
wärtig folgendermafsen : Auf dem Nyassa
befindet sich der „Hermann von Wiss-
mann", dessen Einnahmen in den letzten
Jahren stetig gestiegen sind, wenn auch
ein englischer Dampfer und ein Missions-
dampfer „Paulus" ihm eine lebhafte Kon-
kurrenz machen. Der Verkehr zwischen
dem Nyassa und dem Ozean wird durch
eine Anzahl von Flulsdampfcrn englischer
Gesellschaften auf dem Sambesi und
Schire mit Unterbrechimg durch die
Stromschnellen zwischen Chiromo und
Matope vermittelt. Auf dem Rufigi
fährt der deutsche Dampfer „Ulanga" bis
Kungulio, der allerdings durch häufiges
Festfahren und die im Flufs treibenden
Baumstämme viel leidet und öfter der
Reparatur bedarf. Auf dem Tangan-
jika fuhren bisher nur mehrere deutsche
Segelschiffe; nunmehr wird „Hedwig von
Wissmann" hier auch den Dampferver-
kehr eröffnen. Am ungünstigsten wird
dann von der deutschen Flagge der
Viktoria-See bedacht sein. Mit Dampf-
betrieb fährt hier allein die Pinasse
„Ukerewe", die sich jetzt gegenüber dem
englischen Dampfer „William MacKimon",
der kürzlich in PortFlorence in der (Jgowe-
Bai von Stapel gelaufen ist, recht kläg-
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110
Geographische Neuigkeiten.
lieh ausnehmen wird. Von den deutsch -
ostafrikanischen Flüssen wird aufser dem
Ruflgi nur der Pangani befahren. Hier
läuft seit mehreren Jahren ein kleine»
Dampfer „Gustav Meinecke", der Pangani-
Gesellschaft gehörig, und leistet für die
Verbindung zwischen der Stadt Pangani,
dem Zuckerrohrdistrikt und der Zucker-
fabrik treffliche Dienste. In den Häfen
befindet sich eine grofse Anzahl kleinerer
Kegierungsfahrzeuge; aufser dem grofsen
Tonnenleger „Kaiser Wilhelm II." ver-
mitteln mehrere Gouvernementsdampfer
und Zollkreuzer u. s. w. den Verkehr mit
Zanzibar und deu einzelnen Häfen.
* Die neu aufgenommene Karte der
deutsch-britischen Grenze
zwischen Nyassa und Tanganjika
liegt jetzt, nachdem die deutschen Mit-
glieder der Grenzkommission, Kohlschütter
und Glauning, aus Ostafrika zurück-
gekehrt sind, im Mafsstab von 1:100 000
vor (4. Heft von Danckelman's Mit-
teilungen). Der Verlauf der Grenze, wie
sie die Kommission vorschlägt und wie sie
auf der Karte eingetragen ist, entspricht
im allgemeinen dem Vertrage von 1890,
berücksichtigt aber soweit wie möglich
die natürlichen Verhältnisse. Im Osten
folgt die Grenze dem Songwe von seiner
Mündung in den Nyassa bis zum 33" ö. L.,
im Westen den Flüssen Kalambo izum
Tanganjika) und Hurui und Massietc
(zum Kikwa) bis zum 32" ö. L. Das
dazwischen liegende Grenzstück schliefst
sich den orographischen Verhältnissen
unter Berücksichtigung der Stammes-
grenzen möglichst an. Aus dem Cber-
blick über die allgemeinen Verhältnisse
des Grenzgebietes, den Hauptmann Herr-
mann, das dritte deutsche Mitglied der
Kommission, der Karte beigiebt, geht
hervor, daß) das deutsche Grenzgebiet im
allgemeinen dichter bevölkert ist als das
englische und sehr gut bewässert ist
Das reiche und dicht bevölkerte, wenn
auch ungesunde Kondeland am Nyassa
verbleibt bei Deutsch -Ostafrika; weiter
aufwärts am Songwe, wo der Flufs durch
die Bundalivorberge bricht, liegt ein un-
bewohntes, bewaldetes Bergland mit
tiefen Schluchten und ausgedehnten
Kohlenlagern. Dann folgt auf deutscher
Seite das fruchtbare Berglaud Bundali
mit kühlem Klima und sehr dichter Be-
völkerung, die allerdings sehr träge ist.
Hierauf folgt das vorzügliche Katfeeland
Marira, die öde und steinige Landschaft
Urambia und hierauf wieder günstigeres
Gebiet, doch ist der Westen des Grenz-
endes meist sehr gebirgig. Die Be-
völkerung, besonders im Osten, ist den
Europäern leider noch wenig freundlich
gesinnt, Handelsverkehr hat mit ihr noch
nicht angeknüpft werden können.
Nordamerika.
* Über Schiffahrt und Schiff-
bau auf den amerikanischen Seen
veröffentlicht der britische Konsul in
Chicago einen sehr interessanten Bericht
Durch die Eröffnung des verbesserten
Wellandkanals, dessen Schleusen jetzt
270 Fufs langen, 4ö Fufe breiten und
14 Fufs Tiefgang habenden Schiffen die
Durchfahrt gestatten, ist den britischen
Fahrzeugen der Wettbewerb mit Aussicht
auf Erfolg mit den amerikanischen
Frachtern, die auf jeder Fahrt bis zu
7000 Tonnen Getreide befördern können und
die in regelmüfsiger Verbindung mit den
Eisenbahnen von Neu- York stehen, sehr
erschwert.
Die Canadier haben daher bereits
den Bau eines Kanals von der Georgia-
Bay nach den Ottawa-Flufs vorgeschlagen,
wodurch ein direkter Wasserweg nach
Montreal geschaffen und die Entfernung
nach Chicago und Duluth um ungefähr
400 engl. Meilen gekürzt wurde. Man be-
absichtigt, diesen Kanal so zu bauen, dal's
er gröfseren Schiffen die Durchfahrt ge-
stattet als der Welland-Kanal. An eiuer
Gesamteinfuhr nach Chicago im Jahr 1899
im Wert von 2 824 28:2 Pfd. Strl. ist Grofs-
Britannien mit 6f>3 540 Pfd. Strl., von
welchen fast alles durch die Vereinigten
Staaten gehen mufste, beteiligt. Getreide
und andere für Europa bestimmte Artikel
gehen grundsätzlich nach Bnffalo, wo sie
entweder auf Schiffe, die durch den
Erie-Kanal gehen, oder auf die Eisen-
bahn umgeladen werden. Eine Öffnung
für Schiffe Englands wird deshalb wohl
auch diesem einen Teil des Handels zu-
wenden. Die Gesamtflotte der grofsen
Seen umfal'st 3435 Schiffe, abgesehen von
den canadischen Schiffen mit einem Ge-
samttonnengehalt von 600 000 Tonneu.
Die Schiffsbauwerften an den Seen
machen jetzt ein grofses Geschäft, und
es ist anzunehmen, dal's die Verbreiterung
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Geographische Neuigkeiten.
III
des St. Lawrence-Kanal es ihnen möglich
macht, mit denjenigen an der atlantischen
Küste zu konkurieren. Durch eine der
gröfsten Werften an dorn genannten
Ozean wird an den Seen in Collingwood
lOntario , einer Stadt, welche zu grofsen
Hoffnungen berechtigt, da sie wahr-
scheinlich Hafen für die Erze des
Lauren tian-Gebirges wird, eine grofse
Schiffsbauanstalt errichtet. Die ameri-
kanischen Fahrzeuge sind mit jeder mög-
lichen, arbeitssparenden Vorrichtung ver-
sehen und erst neuerdings sind an ihnen
Maschinen angebracht worden, welche
fähig sind, 400 Tonnen Erz in der Stunde
umzuladen. Kü.
* Von den beiden ausgedehntesten
und wichtigsten Nordpolexpeditioneu der
letzten Jahre, der Jackson-Harms-
worth-Expedition auf Franz Joseph-
Land und der „Franr'-Expedi tion
Nansen' s, liegen jetzt die wissenschaft-
lich bearbeiteten Berichte vor, sodafs sich
die wissenschaftlichen Ergebnisse
beider Expeditionen nun in ihrem
vollen Umfange erkennen lassen. Aus
dem Berichte über die ersterwähnte Ex-
pedition (Jackson : A Thousand Days in
the Arctic) ergiebt sich in topogra-
phisch-geographischer Beziehung,
dafs Franz Josef-Land nicht, wie Payer
konstatieren zu können glaubte, aus zwei
grofsen Landmassen, sondern aus einer
beträchtlichen (ca. 60) Anzahl gröfserer
und kleinerer Inseln, die zwischen 7U° 4:V
u. 82° 15' n. Br. und zwischen 42° und
63° östl. L. liegen, zusammengesetzt wird.
Durch zwei gröfsere. nahezu nordsüdlich
verlaufende Sunde , Britischer Kanal im
Westen und Austria-Sund im Osten, wird
der Archipel in drei Inselgruppen ge-
schieden: im W. das einstige Alexandra-
Land, östlich vom Britischen Kanal das
aus vielen Inseln gebildete Zichy-Land
l'ayer's und im O. des Austria -Sundes
Fayer s Wilczek-Land, das sich als eine
nur mäfsig grofse InBel erwiesen hat, mit
den weiter nördlich gelegenen vier Inseln
des Hvidtenlandes. über die geologi-
sche« Ergebnisse der Expedition ist
bereite früher (VI. Jhrg. S. 226) berichtet
worden. Die Beobachtungen der Flora
ergaben , dafs die nicht vereisten Süd-
und Westküsten der Inseln eine verhol t-
nismäfsig reiche Pflanzendecke tragen,
die in erster Linie aus Flechten zusammen-
gesetzt ist, in der aber auch Phanero-
gamen (Papaver nudicaule, Cardamiue
bellidifolia, Draba alpina, Cochlearia
fenestrata, Cerastium alpinum, Saxifraga
oppositifolia u. stellarig, Alupecurus alpi-
nus, Phippsia algida u. Poa cenisia) nicht
so selten sind, über die Tierwelt des
Archipels kann man sich durch die zahl-
reichen, auf die Jagd bezüglichen Be-
merkungen und durch die Schufslisten
einigermafsen orientieren; von 10 Vogel-
arten gelang es NeBter und Eier zu finden
und von 21 Arten von Vögeln bringt
Jackson Angaben über das erstmalige
Auftreten und den Abzug, über Nestbau,
Standort etc. Über die zahlreichen mete-
orologischen und klimatologischen
Beobachtungen ist ebenfalls bereits früher
(FV. Jhrg. S. 172) berichtet worden.
Von dem monumentalen Keisewerk
Nansens (s. V. Jhrg. S. 167) liegt der
erste Band vor, der an erster Stelle eine
Schilderung der „Fr am" von ihrem
Erbauer Colin Archer enthält. Die von
Pompekj und Nathorst an zweiter Stelle
veröffentlichten Untersuchungen über
das gesammelte paläozoologische und
paläobotanische Material, denen Nan-
sen eine von einer Karte, Profilen und
mehreren Ansichten begleitete geologische
Skizze von Kap Flora beigegeben hat,
liefern eine wertvolle Ergänzung der
oben erwähnten geologischen Unter-
suchungen Jackson's. Die ornithologi-
s eben Resultate sind von Collet nnd
Nausen bearbeitet worden; in vier Ab-
schnitten werden die während der Ex-
pedition beobachteten Vögel behandelt.
Die meisten, 26, Arten wurden während
der Fahrt längs der sibirischen Küste
beobachtet. Während der Nordwestdrift
(Sommer 18Ü4 — 14. Mär/. 1896) konnten
nur 9 Arten beobachtet werden, unter
denen sich 8 Junge der Rosenmöve an
einer ca. 560 km vom nächsten Lande
entfernten Stelle befanden; die Vögel
kamen von NO. Verhältnismäfsig sehr
reich sind die ornithologischen Beobach-
tungen während der Schlittenreise Nan-
sen's und Johannsen's und auf der weiteren
„Fram"drift vom Mai bis September 1895
ausgefallen; auf jener konnten 15, auf
dieser 10 Vogelarten beobachtet werden,
jedoch wurden alle gesehenen Arten nur
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112
Geographische Neuigkeiten
in einzelnen Individuen bemerkt, sodafs
die Vogelwelt in diesen hohen Rreiten
nicht reich genannt werden kann; erst
in der Nähe von Spitzbergen wurde die
Vogelwelt wieder etwas reicher. Aus Sars'
Bearbeitung der Crustaceen, von denen
49 Arten mitgebracht wurden, ergeben
sich bemerkenswerte tiergeographische
Resultate: Die ganze Crustaceenfauna
war in dem durchfahrenen Gebiete die
nahezu gleiche und zeigte uberall eine
ausgesprochene Ähnlichkeit mit der Fauna
des nordatlantischen Ozeans; nCopepoden-
Arten, die auch von den norwegischen
Küsten bekannt waren, kommen dort nur
in Tiefen von mehr als 100 Faden vor,
während sie in der Arktis an der Ober-
Hache des Meeres leben; auch eine An-
zahl von Calanoiden, die in den Fjorden
von West- und Süduorwegen nur in Tiefen
von mehr als 100 m leben, war in der Arktis
unter der Oberflächenfauna zu finden.
Gradezu verblüffende Ergebnisse lieferte
die Untersuchung der Krebse : Hei 84° n.
Br. wurde eine Hemicalauus-Art in 130 m
Tiefe gefunden, deren nächste Verwandten
im Mittelmeer und in tropischen Gebieten
des atlantischen und pazifischen Ozeans
vorkommen; nördlich von Neusibirien
wurden zwei Oncaea- Arten gefischt, die
aus dem Golf von Neapel bekannt sind,
und noch mehrere Krebsarten wurden ge-
funden, deren Verwandte im Mittelmeer
und in den tropischen Teilen des Stillen
Ozeans leben. Zwei polare Ampbipoden-
Arten erwiesen sich als zwei Arten aus
dem Kaspischen Meere so auffallend nahe-
stehend, dafs Sars sie als Ausgangsformen
für die kaspischen Arten betrachten möchte.
Darnach könnte die während der Tertiiir-
zeit noch bestehende Verbindung zwischen
dem Polarmeer und dem Kaspischen Meere
noch gar nicht zu lange aufgehoben sein.
Petennann's Mittl. 1900. S. 285.)
Vereine und Versammlungen.
* Der 13. deutsche Geographen-
tag wird in der Zeit vom 28. bis 30. Mai
d. J. in Breslau abgehalten werden. Als
Gegenstände der Tagesordnung sind bis
jetzt die Sndpolarforschung, die Landes-
kunde der deutschen Schutzgebiete,
Gletscherkunde und Glacialforschung,
sowie sehulgeographische Fragen in Aus-
sicht genommen Die Anmeldungen der
auf dies.- Kragen bezüglichen Vorträge
sind bis spätestens zum 1. März 1901 an
den Vorsitzenden des Ortsausschusses,
Prof. Dr. J.Partsch, Breslau, Sternstrafse22,
gelangen zu lassen. Aufserdem bereitet
der Ortsausschurs eine Geographische Aus-
stellung vor, deren Schwerpunkt in der
Vorführung von Arbeiten liegen wird,
welche nur bei dieser Gelegenheit der
Öffentlichkeit zugänglich werden. An die
Tagung werden sich voraussichtlich zwei
wissenschaftliche Ausflüge schliefsen ; ein
geologischer wird die palaeozoischen For-
mationen zwischen Silberberg und Neu-
rode in einer Tagestour durchschneiden,
ein anderer von zweitägiger Dauer (31. Mai
bis I.Juni; den Spuren vormaliger Gletscher
im Kieseugebirge gelten.
Persönliches.
* Im Januar starb zu Lissabon im
Alter von 54 Jahren der Afrikareisende
Serpa Pinto, der in den Jahren 1877
bis 1879 Afrika von Benguela nach
Durban durchquerte und dadurch den
Portugiesen den ihnen nach lHHö zuer-
kannten Besitz ihrer südwestafrikanischen
Kolonien sicherte. Seit 1880 war er Ad-
jutant des Königs von Portugal.
* Am 20. November 1900 starb zu
Bremen im Alter von 87 Jahren Dr. med.
Gustav Hartlaub, der sich durch
mehrere Werke über die Vogelwelt Afrikas
und Polynesiens einen Namen gemacht
hat. Es erschienen von ihm: „System
der Ornithologie Westafrika«" 1857 ;
„Beitrag zur Fauna Centralpolynesiens"
1867; „Die Vögel Ostafrikas" als vierter
Band von v. d. Decken s „Reisen in Ost-
afrika" 18i0 und „Die Vögel Madagaskars
und der benachbarten Inselgruppen" 1877.
In den achtziger Jahren bearbeitete Hart-
laub die ornithologischen Sammlungen
Emin Pascha 's und veröffentlichte darüber
zahlreiche Abhandlungen.
* Am 22. November 1900 starb in
Altenburg Dr. Otto Kcrsten im Alter
von 61 Jahren. Er begleitete v. d. Decken
auf seinen ostafrikanischen Reisen, erstieg
mit ihm im November 1862 den Kiliman-
dscharo bis zu 4200 m Höhe und gab
nach v. d Decken's Ermordung (1864 in
Barderai dessen vierbändiges grofses
Reisewerk heraus | Leipzig, 1869—1879,/.
Kersten strebte bereits i .1 1869 bei der
preußischen Regierung eine Festsetzung
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Bücherbesprechungen.
113
der Deutschen in Ostafrika an und war versität Bologna. Er hat sich in geo-
auch in den folgenden Jahren bemüht, ! graphischen Kreisen hauptsächlich durch
die damals organisierten Afrika-Expedi- , seine Geschichte der Geographie bei den
tionen neben wissenschaftlichen auch Kirchenvätern (übers, von L. Neumann;
]>olitigchen Bestrebungen dienstbar zu und sein Buch über Erd- und Himmels-
machen, globen, ihre Geschichte und Konstruktion
* Am 14. Januar starb Matteo Fio- (deutsch von 8. Günther, Leipzig 189.',)
rini, Prof. der Geographie an der Uni- bekannt gemacht,
Bnclierbesprechungen.
Heniker, J., Les races et les peu-
ples de la terre. Elements d'an-
thropologie et d'ethnologie.
Avec 176 plancheB et figures,
et 2 carte s. Paris, Librairie Rein-
wald, 1900.
Ein durch wertvolle eigene Arbeiten
auf anthropologischem Gebiet wohlbe-
kannter Fachmann legt hier einen inn-
fassenden Grundrifs der Völkerkunde vor.
Das Werk zahlt (in kleinem Oktav) nicht
weniger als 692 Seiten und zerfallt wie
Peschel's Völkerkunde in einen umfang-
reichen allgemeinen und in einen beson-
deren Teil. Jener behandelt die Mensch-
heit überhaupt nach ihrer körperlichen,
psychischen, sprachlichen und kulturellen
Ent wickelung; dieser schildert die Völker-
gruppen und Völker im einzelnen. Ein
reichhaltiger Anhang stellt gut übersicht-
lich anthropologische, namentlich kranio-
metrische Zahlenwerte für eine grofse
Anzahl von Völkern tabellarisch zusammen.
Die Darstellung ist durchweg klar,
wohlgeeignet zur Einführung in die
Wissenschaft; bei der ansehnlichen Stoff-
fülle, die hier verarbeitet vorliegt, und
bei der Masse von litterarischen Nach-
weisen, die in inustergiltig genauen Fufs-
noten den Text begleiten, erhebt sich
das Ganze aber doch mehr auf den Hang
eines Handbuchs. Die Abbildungen sind
gut ausgewählt und meistens auch tech-
nisch lobenswert.
Deniker scheidet noch den Menschen
im zoologischen System von den Anthro-
poiden ab. Das kann man heute nicht
mehr billigen, wo wir wissen, wie voll-
ständig analog die Körperbeschaffenheit
des Menschen derjenigen der Anthropoiden
zur Seite steht (nach Selenkas wichtiger
Entdeckung teilen diese den diskoiden
Mutterkuchen vollkommeu mit dem
Geographische Zeitschrift. 7 Jahrgang, l "U. 2.
Menschen, aber nicht mit den übrigen
Affen), und wo uns seit kurzem durch
völlig schadlos verlaufene Transfusion von
Menschenblut ins Geäder des Schimpansen
sogar der experimentelle Nachweis der
Blutsverwandschaft des Menschen mit dem
Anthropoiden erbracht worden ist, Der
Mensch gehört zu den Ostaffen oder
Katarrhinen, er bildet innerhalb dieser
grofsen Haupthälfte der Zweihänder mit
den Anthropoiden zusammen eine Gruppe,
für die sich. der Name „Primaten" em-
pfehlen dürfte.
Kleinere Versehen begegnen selten,
z B. die Behauptung (S. 172), dars Völker,
die überwiegend Pflanzenkost geniefsen,
auf Salz ganz versessen seien. Die meist
von mehlreichen Knollen und Früchten
lebender Papua auf Neuguinea brauchen
trotzdem kein Salz, weil ihnen der sehr
geringe Salzgehalt dieser Kost genügt,
indem sie noch nicht wie die Hauptmasse
der anderen Völker den Gaumen an ein
unnützes Cbermafs von Salz (als Gewürz)
gewöhnt haben.
Mehrfach rächt es sich, dafs der Ver-
fasser der Sprache zu wenig Gewicht für
Bestimmung der Verwandtschaftsverhält-
nisse beimifst. So sollen (8. 657) die
Indonesier, wie unnützerweise die echten
Malaien des südostasiatischen Archipels
genannt werden, keinerlei Charakterzüge
mit den Polynesien) teilen, während diese
doch meist ganz malaiisch aussehen und
allesamt Sprachen des malaiischen
i Sprachenstamms reden. Die ausgestorbenen
Tasmanier sollen gar keine Australier
gewesen sein (während sie doch offenbar
eine auf insularer Abgeschiedenheit be-
ruhende Spielart der Australier auf-
machten); sie seien leiblich und in der
Lebensweise vielmehr den Melanesiern
verwandt gewesen, ihre Sprache aber
Heft. 8
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114
Büc herbes p rechungen.
habe weder mit dem australischen noch
mit dem raelanesischen Verwandtschaft
gezeigt, was doch entschieden zu viel be-
hauptet ist. Ganz irrig heifst es, die
„anglofriesische" Sprachengruppe Btamme
wahrscheinlich vom Gotischen ab (S. 899).
Gewifs steht das Friesische selbständig
zwischen dem Deutschen und dem Nord-
germanischen, hat aber mit dem er-
loschenen Ostgermanischen , d. h. dem
Gotischen, gar keinen näheren Zusammen-
hang, ist vielmehr reines Westgermanisch.
Ins Englische sind friesische Elemente
hineingekommen; das hindert jedoch
nicht, das Englische eine westgermanische,
im Grunde sogar deutsche Sprache zu
nennen, weil sie doch wesentlich moderni-
siertes Angelsächsisch ist, Beit der
Hastings-Schlacht bereichert durch eine
Menge französischer Worte, ein Abbild
des Kisuaheli, das durch Aufnahme
arabischer Vokabeln durchaus nicht auf-
gehört hat, eine echte Bantusprache zu
sein. Gänzlich verwirrt ist es endlich,
wenn der Verfasser die Haukoin oder
Bergdamara unter den „Hottentotten und
Buschmännern" aufführt (S. 638 f.). Hier-
bei fällt er ganz aus seiner Rolle, die
anthropologischen über die sprachlichen
Merkmale zu stellen: er sagt ja selbst,
die Haukoin trügen Negertypus, redeten
aber hotten tottiBth. Sie sind eben die
älteste Negerbevölkerung Südwestafrikas,
haben jedoch in inniger Berührung mit
den Hottentotten ihre alte Sprache preis-
gegeben. A. Kirchhoff.
Jensen, Die nordfri esiBchen Inseln
Sylt, Föhr, Amrum und die Hal-
ligen vormals uud jetzt. 2. Aufl.
Hamburg 1899.
Bei der ersten Durchsicht dieser
„zweiten Auflage" erregt es einige Über-
raschung, dafs die ganze Litteratur über
Nordfriesland, die seit der Herausgabe
der ersten Auflage vom Jahre 1801 er-
schienen ist, sowie die großartigen Ver-
änderungen, welche die Inseln, Watten,
Halligen und die Verkehrsmittel betroffen
haben, platterdings unberücksichtigt ge-
blieben sind. Die Überraschung ver-
schwindet aber, weuu man bei einem
Vergleich mit der Ausgabe von 1801 be-
merkt, dafs mit Ausnahme des Vorwortes
überhaupt nichts an dem Inhalt ver-
ändert worden ist, dafs das Buch vielmehr
mit allen Mängeln der ersten nur unter
der euphemistischen Bezeichnung einer
„zweiten Auflage" dargeboten wird. Hütt«
man es wirklich mit einer Neuauflage
zu thun, so könnte gar nicht scharf genug
gegen eine derartige Vernachlässigung
aller Autoq>flichten dem kaufenden und
Belehrung suchenden Publikum gegenül>er
protestiert werden. Unser Protest mufs
sich daher in erster Linie gegen die Ver-
lagsanstalt Aktien-Gesellschaft richten, die
durch den Aufdruck „zweite Auflage" den
Anschein zu erwecken sucht, als sei der
geographische Teil des Buches dem ver-
änderten Stande der Dinge entsprechend
verbessert worden, während er thatsäch-
lich durch obigen Zusatz noch wertloser
als vorher geworden ist. Ein Eingehen
auf den Inhalt erübrigt sich unter solchen
Umständen Eugen Traeger.
La Rlvlera. Sessanta due vedute della
Kiviera da Nizza hno a Spezia.
Quer 8°. 40 Bl. Berlin, Graphischer
Kunstverlag. JC 4.—.
Sauber ausgeführte Autotypien, die
eine hübsche preiswerte Erinnerung an
eine ltivierareise bilden. Den Zwecken
des geographischen Unterrichts und über-
haupt der geographischen Anschauung
kann aber nur eine Minderzahl der Ab-
bildungen dienen, da bei der Auswahl
mehr die Interessen des Touristen als
der Wissenschaft berücksichtigt sind, uud
la die Ausführung der Einzelheiten oft
zu undeutlich ist.
A. Hettner.
Meyer'» Keisebücher. Griechenland
und Kleinasien. 5. Aufl. Leipzig
und Wien, Bibliographisches Institut.
1901. 8". Xu. 338 S. Mit 30 Karten
und Plänen und 2 Bildern.
Früher als zweiter Band mit der
Türkei verbunden, erscheint nun zum
erstenmal Meyer's „Griechenland und
Kleinasien" als selbständiges Werk, und
zwar in ganz neuer, von den bekannten
Archäologen Kern und Zahn ausgeführter
Bearbeitung. Es hat vor dem Baedeker
den Vorzug, dafs es das westliche Klein-
asien (nicht das Innere mit umfafst, ein
Gebiet, dessen Besuch zu einer Griechen-
landreise eigentlich hinzugehört und that-
sächlich sehr häufig damit verbunden
wird. Auch die neuerdings so beliebt
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Büeherbesprechuugen.
115
gewordene Seereise von Hamburg nach
Piraeus ist eingefügt. Dafür ist freilich
die Zahl der Routen in Griechenland
etwa«« beschrankter, als im Baedeker; doch
fehlt kaum eine, die der nur kürzere
Zeit in Griechenland weilende, von archäo-
logischen Interessen geleitete Tourist ver-
missen wird, und die Darstellung ist so
gründlich und eingehend, wie es für den
Zweck des Buches nur gewünscht werden
kann. Dafs sie in archäologischer Be-
ziehung durchaus auf der Höhe steht,
dafür bürgen schon die Namen der Be-
arbeiter; viele Kapitel sind auf Grund
der neuesten Ausgrabungen völlig neu
bearbeitet, bez. eingefügt, wie Delphi,
Thera u. a. In Kleinasien erfahren be-
sonders Ephesus, Magnesia am Maeander,
Priene, Pergamon, Troja eingehende Dar-
stellung. Aber auch in praktischer Bezie-
hung verdient das Buch uneingeschränktes
Lob, und man kann nur jedem Reisenden
dringend empfehlen, die Ratschläge und
Winke der erfahrenen Bearbeiter zu be-
herzigen. Die Karten und Pläne sind
ebenfalls vortrefflich, so dafs »las Buch
als durchaus zuverlässiger, wissenschaft-
lich gediegener und bequemer Führer
bezeichnet werden mufs. Nur eine Ein-
schränkung dieses Lobes müssen wir hin-
zxifügen: sie betrifft die physikalisch-
geographische Seite. Die geographischen
nnd besonders die geologischen Ab-
schnitte der Einleitung sind fast die-
selben wie in den früheren Auflagen,
nämlich teils trockne Aufzählungen, teils
ein Gemenge von unverstandenen Einzel-
heiten, z. T. sehr unwichtiger Art, von
veralteten und von neuen Angahen durch-
einander; selbst in der kulturgeographi-
schen Darstellung des heutigen Griechen-
land finden sich auffallende Ungenauig-
keiten. Freilieh ist diese Art geogra-
phischer und geologischer Unkenntnis
mehr oder weniger allen unsern Reise-
büchern eigen, aber darum doch nicht
entschuldbar. Man sieht nicht ein, warum
der Tourist nicht auch in physikalisch-
geographischer Hinsicht zuverlässige Be-
lehrung beanspruchen darf ; wenn man
sich aber nicht entschliefst, einen sach-
verständigen Berater hinzuzuziehen, so
sollte man lieber diese Gegenstände ganz
beiseite lassen und sich mit einem Hin-
weis auf die betreffende Litteratur be-
gnügen! A. Philippson.
Dolgorukow, W« A., Reiseführer
durch Sibirien und die mittel-
asiatischen Besitzungen Rufs-
lands (Russisch.) 4. Jhg. 1 Karte,
zahlr. Abb. 411 S. Tomsk, Maku-
schin 1899.
Die Fortführung der sibirischen Eisen-
bahnen bis zur Grenze Chinas und die
rasche Entwicklung der Verkehrsanstalten
des Russischen Mittelasiens haben den
Wunsch nach einem zuverlässigen, er-
schöpfenden Aufschlufs über die wirt-
schaftlichen Eigenschaften und Bedin-
gungen Sibiriens und Mittelasiens hervor-
gerufen. Dem Bedürfnis kommt vor-
liegendes Buch, welches bereits im vierten
Jahrgang erscheint, in jeder möglichen
Weise entgegen. In volkstümlicher Form,
welche dem Bedarf des Reisenden wie
auch dem Wunsche nach übersichtlicher
Belehrung entspricht, wird die Bahnlinie
von Moskau bis Irkutsk mit dem anliegen-
den Lande geschildert. Auch die Ussuri-
Bahn im fernsten Osten findet eine
entsprechende Beschreibung. Hieran
schliefaen sich Hinweise auf den Dampfer-
verkehr auf den sibirischen Strömen und
auf den wachsenden Umfang der Schiff-
fahrtslinien naeh Ostasien (Wladiwostok
und Sachalin!, auch nach den Mündungen
der nordsibirischen Flüsse. Der Wagen -
und Schlittenverkehr auf den sibirischen
Landstrafsen tritt mit dem Ausbau der
Eisenbahnen natürlich zurück und be-
schränkt, sich mehr auf die Nebenlinien,
vorzugsweise nach den südsibirischen
Bergbaugebieten. In ähnlicher Weise
wie Sibirien werden auch die mittel-
asiatischen Länder, einschliefslich der
Verkehrsverhältnisse auf der Wolga und
dem Kaspischen Meere, behandelt. Den
Schlufs bilden praktische Hinweise auf
das Reisen im Lande, sowie auf eine
Frille von wirtschaftlichen und industriellen
Gesichtspunkten.
In demselben Verlag ist soeben ein Aus-
zug aus vorliegendem Buche in deutscher
und französischer Sprache erschienen.
Das Werkeheu kann Allen empfohlen
werden, welche Verbindungen mit dem
russischen Asien anknüpfen oder sich
über letzteres dauernd auf dem Laufenden
halten wollen. Immanuel.
WlMt, Peter, Südafrika. Ent-
wickelungageechichte und
8*
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Neue Bücher uml Karten.
Gegenwartsbildcr. 8°. 310 S.
Berlin. A. Sehall. 1900.
In dem ernten Teile de« vorliegenden
Buches behandelt der Verfasser zunächst
die Geschichte Südafrikas. Wenn auch
seine Darstellung nicht in allen Einzel-
heiten zuverlässig ist und eigentlich nur
tlas wiedersieht, was in anderen Schriften
schon öfter erörtert worden ist, so erreicht
sie doch immerhin ihren Zweck, den
Leser über die politische Entwickelung
Südafrikas, namentlich des Verhältnisses
zwischen Engländern und Boeren zu
orientieren. Alsdann erzählt der Verfasser
in dem zweiten Teile die Erlebnisse auf
seinen Reisen (meist Eisenbahnfahrten )
in Südafrika und entwirft uns ein an-
schauliches Bild von den sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnissen in Johannes-
burg. Interessant sind in erster Linie die
„politischen Briefe4*, welche Aufschlufs
geben über die Stimmung in Transvaal
und besonders in Johannesburg seit dem
Kinfall Jameson's bis zum Kriege mit
England. A. Schenck.
&,H., Im Fluge durch Jamaica
und Cuba. Vortrag. Stuttgart,
Cotta Nachf. 1900.
Dieser Abdruck des Vortrages, den
Paasche s. Z. vor den Mitgliedern des
Reichstages gehalten hat, giebt ein inter-
essantes kulturgeograpbisches Bild der
beiden westindischen Inseln. Während
Jamaica einst für eine der wertvollsten
britischen Besitzungen galt, ist heut«
sein Glanz verblafBt. Die hauptsäch-
lichen Erzeugnisse, Zuckerrohr, aufser wo
es sich zur Fabrikation feinen Rums
eignet, Kaffee, Kakao sind ziemlich ent-
wertet, die Weifsen ziehen immer mehr
weg, die schwarze Bevölkerung dagegen
vermehrt sich trotz der sehlechten Er-
werbsverhältnisse rapide, und die Gefahr,
dafs die Insel einst Negerrepublik werden
I könnte, liegt nahe genug. Die englische
Verwaltung ist an sich gut und sticht
sehr von der spanischen Mifs Wirtschaft ab,
1 aber sie ist im Verhältnis zu den heutigen
Hilfsquellen des Landes zu kostspielig
und hat es wohl auch zu wenig ver-
standen, die Bevölkerung zu erziehen.
Allmählich fängt man auch an. zu anderen
Kulturen : Bananen, Orangen, Ananas,
überzugehen; die meisten dieser Unter-
nehmungen sind in amerikanischen, einige
auch in deutschen Händen. — Nur
schwierig gelangt man von Jamaica nach
Cuba In Habana hat der Krieg nur we-
nig Spuren hinterlassen. Dagegen stöfst
| man aufser halb der Hauptstadt überall
auf Ruinen und Trümmerhaufen. Die
Schreckensherrschaft der Spanier, und
I insbesondere des Generals Weyler, ist ge-
radezu entsetzlich gewesen ; Zehntausende
hat man mit Absicht verhungern lassen.
Die grofsen Zuckerfabriken liegen zum
grofsen Teil zerstört, auf grorse Strecken
ist das ganze Land verödet. Zur Wieder-
belebung fehlt es vorläufig ebensowohl
an Kapital, da die Amerikaner vor
diesen landwirtschaftlichen Unterneh-
mungen zurückscheuen , wie an Händen.
Zwischen den Cubanern und den Ameri-
kanern besteht eine entschiedene Mifa-
8timmung. Nur die Tabakindustrie hat
I sich von dem Ruin schon wieder erholt,
und nach wie vor sind in ihr die
' grofsen deutschen Firmen mafsgebend.
A. Hettner.
Neue Bücher and Karten.
Zusammengestellt, von Heinrich Brunner.
Getthirbtf o Muhodlk der UMgrs-ihif j Streck, Max. Die alte Landschaft Baby-
Ahlenius, K. Till kännedomen om . lonien nach den arab. Geographen. Tl I.
Skandinaviens geografi och kartograti j XIX, 171 S. Leiden, Brill 1900..* 5 —
under 1600— talets, senare hälft. (Mit e. 1 Thiimen, Em. v. Berühmte Entdeckungs-
Resume in deutscher Sprache.. 140 S. u. Forschungsreisende des 19. Jahrh. . . .
l'psala, Lundstrüm ; Leipz., Harrassowitz i Mit einem biograph. u. chronol.-topo-
1900. | graph. Lex. 1 Karte. XIV, 272 8.
Hübl, Arth. Freih. v. Die photogrammetr. Berl., Deutsches Druck- u. Verlagshaus
Terrain-Aufnahme. 5 Taf., Abb. 67 S. | Komm 1901). .¥ 0.50.
SA. Wien, Lechner Komm. 1900. M 1 .20. ' Zondervan, H. Allgemeine Kartenkunde.
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Nein« Bucher
und Karten.
117
Ein Abrifs ihrer Geschichte und ihrer
Methoden. X, 210 S. 32 Fig. Leipzig,
Tetibner 1901. geh. JK 4.60, geb. JL 6 . 20.
A Upen eine ph)kl»che Urographie
Benndorf, Ihm- Ueber die Störungen
des normalen atmosphärischen Poten-
tialgefälles durch Bodenerhebungen.
1 Fig. 18 s. SA. (Beitr. zur Kenntn.
der atmosphär. Elektricitüt. VI) Wien,
Gerold'« Sohn Komm. 1900. .H. —.40.
W a 1 1 h e r , Joh. Das Gesetz der Wüsten-
bildung in Gegenwart u. Vorzeit; hrsg.
mit Unterstützg der k. Akad. d. Wiss.
zuBerl. [50 Abbildungen.] 175 S. Berl-,
D. Reimer 1900. 12 —
Allgemeine Geographie de« Meimchea.
Martin, Rud. Anthropologie als Wissen-
schaft u. Lehrfach. Akadem. Antr.rede.
30 S. Jena, Fischer 1901. X -.80.
Mortillet, Gabr. et Adr. de. Le Pr<?-
historique; origine et antiquite de
Fhomme. 3. ed. XXII, 769 S. 121 Fig.
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Lex.-Ö. XIV u. 658 S. mit 434 Abbildg.
im Text, 23 Tafeln u. 1 Kartenbeilage.
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Chun, Carl. Aus den Tiefen des Welt-
meeres; Schilderungen von der deutschen
Tiefsee - Expedition. 6 Chromolith.,
8 Heliograv., 32 Vollb., 2 Karten u
390 Abb. VU, 549 S. Jena, Fischer
1900. JL 18.—
Kunhardt, Egon. Wanderjahre eines
jungen Hamburger Kaufmannes; eine
Reise um die Erde in 777 Tagen. 2. A.
Abb., Uebers.-karten. , Bildnis. XII,
479 S. Berl., D. Reimer 1900. JL, 10 —
Lentz, Heh. Die Kolonien Deutschlands
... 5 Karten, Abb. IV, 161 S. Karlsr.,
Scherer 1901. JL 2.60.
Verschuur, G. At the Antipode»; tra-
vels in Australia, New Zealand, Fiji
Islands, New Hebrides, New Caledonia,
South America. Map, 01. 34» S. Lond.,
Low 1900. 2 s 6 d.
Karopa.
Carte des Chemins de fer francai*.
1 : 000000. 4 Bl. Par., Service geo-
graph. de l'armee 1900. Fr. 6.—.
Haardt v. Hartenthurn, Vinc. Notizen
über die Organisation der militär-to-
pograph. Arbeiten in den europ. Staaten.
25 S. SA. Wien, Lechner Komm. 1900.
—.80.
Hauptmann, F. Zum Nordende Europas ;
Reiseskizzen. III. V, 135 8. Bonn,
Hauptmann 1900. 3 —
Hennig, Anders. Geolog. Führer durch
Schonen. Übers. - Karte und 85 Fig.
VIU, 182 S. (Sammlung geolog. Führer.
VII). Berl., Borntraeger 1900. .«3 .60.
Lehrl, Franz. Das Pracisions - Nivelle-
ment in der österr.-ungar. Monarchie.
1 Karte, Abb. 27 S. SA. Wien, Lech-
ner Komm. 1900. JL, —.80.
Schneller, Chrn. Südtirolische Land-
schaften. Reihe II: Das Lagerthal —
La valle Lagarina. Titelbild. VII,
448 S. Innsbr., Wagner 1900. JL 4.60.
Tornquist, Alex. Das vicentinische
Triasgebirge; eine geolog. Monographie
... 2 Karten in 1 : 26 000, 14 geolog.
Landschaftsbilder, 10 Textfig. u. tekt.
Skizzen. Vin, 195 S. Stuttg., Schwei-
zerbart 1901. JL 12-
■ Ittelearopa.
Benecke, K. W., H. Bücking, E.
Schumacher u. L. van Werveke.
Geolog. Fahrer durch das Elsass.
56 Profile u. Abb. VII, 461 S. (Samm-
lung geolog. Führer. V). Berl., Born-
traeger 1900. JL 8 —
Eckert, Chrn. Rheinschiffahrt im 19.
Jahrh. III, XIX, 450 S. (Staats- u.
socialwiss. Forsch. ; hrsg. v. G. Schmoller.
Bd. 19, Heft 5). Leipz., Duncker &
Humblot 1901. JL 10.60.
Exner, Fei. M. Messungen der tu gl.
Temperaturschwankungen in verschie-
denen Tiefen des Wolfgangsees. 3 Fig.
18 S. SA. Wien, Gerold's Sohn Komm.
1900. JL —.60.
Gürich, G. Geolog. Führer in das
Riesengebirge. 24 Abb. u. 8 Taf. X,
301 S. (Sammlung geolog. Führer. VI).
Berl., Borntraeger 1900. JL 6.60.
Polis, P. Die Luftdruckverhaltnisse v.
Aachen. Fig. 10 S. SA. 4°. Karlsr.,
Braun Dr. 1900. .H. 1.20.
Richter, Ed. Geomorphologische Unter-
suchungen in den Hochalpen. 6 Tat'.,
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HS Neue Hüther
14 Fig. VI. 103 S. (Petenn. Mitteilen;
Erg. - heft 132). Gotha, J. Perthes 1900.
6.40.
Sachsen, die Provinz, in Wort u. Bild;
hrsg. v. dem Pestalozziver. d. Prov.
Sachseu 200 Abb. IV, 476 S. Beil.;
Leipz, Klinkhardt 1900. .H 4.50.
Thüringen in Wort u. Bild; hrsg. v.
den Thüringer Pestalozziver. 150 Abb.
IV, 476 S. Berl.; Leipz., Klinkhardt
1900. .H. 4 .50.
W a h n s c h a f f e , J. Die Ursachen der Ober-
Hächengestaltung des norrddeutachen
Flachlandes. 2. Aufl. gr. 8. IV u. 258 S.
mit 9 Beilagen und 33 Textillustrationen.
Stuttgart, J. Engelhorn 1901 .H 10.—.
Waltenberger, E. Specialkarte der
Rofan-Gruppe '(Sonnenwend - Gebirge)'
u. Umgebung des Achen-Sees. 1 : 50000.
43,5 x 37 cm. Farbdr. München. Lin-
dauer 1900. 1.50.
AnleB.
Dubois, Rob. Le Tonkin en 1900.
Carte, all . 32« S. 4°. Par., May
(190OJ. Fr, 37.50.
F u 1 1 e r e r , K. Durch Asien. Erfahrungen,
Forschungen u. Sammlungen während
der von Amtmann Dr. Holderer unter-
nommenen Reisen. Bd. I: Geograph.
Charakter -Bilder. Lex. -8 mit 203 Ab-
bildgn im Text, 42 Tafeln u. 1 Über-
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asien: Ostindien, China u. Japan. Tage-
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Keller, Ad. Eine Sinai-Fahrt. Abb. u.
Karte. XI, 170 S. Frauenf, Haber
1901. M. 3.20.
Navarra, B China u. die Chinesen . . .
15 Kunstbeil., 60 Bildertaf., III. VIII,
566 S. Bremen. Nüssler 1901. JL 10 —
Ravenstein, E. G. Map of the Indian
empire, incl. Ceylon and the Straits
Settlements. 1:5000 000. With an
index and gazetteer. Lond, Philip k S.
1900. 12 8. 6 d.
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tasche; Wanderbuchnotizen aus Palä-
stina. Abb. 264 S. Leipz., Wallmann,
Komm. 1900. JL 3.60.
Wae bor, Cb. Map of North - Eastern
China. 2. ed. 4 Bl. Farbdr. 67,6x46 cm.
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Innern Chinas. 67 III., 1 färb. Karte,
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Deutsche Verl.-Anst, 1900. JL 5 —
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Islam; studies in geography, peojde and
politics . . . III. Chicago, Lond. 1900
10 b. 6 d.
Afrika.
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lebn. u. Beob. während eines 6jähr.
Aufenth. in der Kapkol., Natal u. Pon-
doland. Titelbild. VU, 219 S. Berl,
Eichblatt 1900. ,H 3.—.
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1897 99. 1 : 50 000. Photolith. u Färb
druck. 71,6 x 75 cm Berl., D. Reimer
1900. JL 3.—.
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nisse einer Reise im Atlas- Vorlande
von Marokko 4 Taf. 165 S 'Peterm
Mitteilgn; Erg. -heft 188). Gotha, J.
Perthes 1900. ,£ 9.-.
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kultur in Südwestafrika; zugleich Hat
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scher Kolonial- Verlag 1900. IV, 95 S.
K o 1 1 m a n n , Paul. Auf deutschem Boden
in Afrika; ernste u. heitere Erlebnisse
Abb. 383 S. Berlin, Schall 1901.
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Kunowski u. Petzdorff, Der Krieg in
Südafrika. Tl III: Vom Eingreifen des
Feldmarschalls Lord Robert« bis zur
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länder. IV, 137 S 5 Karten, 4 Skizzen,
mehrere Skizzen im Text u. 2 Anlagen.
Leipz, Zuckschwerdt C. 1901. .«4.-.
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schuk-Expedition 1899/1900. VI u.
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Komitee 1900. ,« 12 —
Vallentin, Wilh. Transvaal; das Land
u. seine Urbevölkerung. 2. A. 1 Karte,
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Lond, Unwin 1900. 16 s.
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119
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Einzeln zu JL 3 — ; 6 Bl. zusammen
JL 12.—. fl: Lichtenstein mit Echatz-
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Nansens Polarexpedition. — Uhlig: Geo-
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von Liebhabern der Erforschung des
Kul »an - Gebietes. — Tornquist: Zur
Geologie von Klondike. — Zimmerer:
Zum Nationalitätenkampf in Macedonien.
Dass. Ergänzung« - Heft No. 133:
Fischer: Ergebnisse einer Reise im At-
las-Vorlande von Marokko.
Globus. Band LXXVIII. Nr. 23.
Krämer: Ein Besuch von Gran Canaria.
— Winternitz: Völkerkunde, Volks-
kunde und Philologie II.
Dass. Nr. 24. Heilboru: Zur Volks-
kunde von Hiddensoe. — And reo: Er-
innerungen an Otto Kersten. — Bosni-
scher Bäuerinnen - Kopfschmuck aus Sre-
benica. — Ein chinesischer politischer
Bilderbogen. — Sapper: Cecilie Seier auf
alten Wegen in Mexiko und Guatemala.
Dass. Bd. LXXIX. Nr. 1: Pleytc:
tenschan.
Die Mentawei-Inseln und ihre Bewohner.
— Krause: Die Schraube, eine Eskimo-
Erfindung? — Stenz: Die Gesellschaft
„vom grofsen Messer" i^Boxer). — Singer:
Die Polarforschung i. J. 1900.
Dass. Nr. 2. Ehrenreich: Wilhelm
Wundt's Völkerpsychologie. — Pleyte:
Die Mentawei-Inseln und ihre Bewohner.
— Greim: Der westindische Hurrikan
vom 1.— 12. Sept. 1900.
JJeutscJie Rundschau für Geographie
und Statistik. XXIII. Jahrg. 4. Heft,
Röll: Die westamerikanische Hafenstadt
Tacoma und ihre Umgebung. — Jung:
Die chinesischen Boxer. — Zweck: Die
Bernsteingruben nördlich von Polangen.
— Braun: Heide und Scrub im propon-
tischen Gebiete. — Reiner: Die Babia
Göra.
Zeitschrift für Gewässerkunde 1900.
5. Heft. Wang: Die Wildbachverbauung
in Österreich. — Gravelius: Die Was-
sermenge der Wolga bei Ssamara. —
G r a v e 1 i u s : WassermengenrueHsung in
Ungarn.
Mitteilungen des Vereins für Erdkunde
zu Halle a. d. 6'. 1900. Gerbing: Die
frühere Verteilung von Laub- und Nadel-
wald im Thüringerwald. — Schmidt:
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120
ZeiUchriftenschau.
Die Siedlungen an der Hainleite, Schmücke-
Schrecke und Finne. — Lorenz: Die
Hydrographie den Elbgystenis. — Kirch-
hoff: Der Brocken als Geisterberg. —
Stade: Winterbilder vom Brocken. —
Toepfer: Phänologische Beobachtungen
in Thüringen 1890
Jahresberichte, geographische, ülter Oster-
reich. Redig. von K. Sieger. III. Jahrg.
18%. 8. VIU u. 138 S. Wien, Hölzel
1901. 3.50.
The Geographical Journal. Vol. XVTI.
No. I. Moore: Tanganyika and the
Countries north of it. — Fergusson:
Methods used in Surveying, and Oeneral
Notes. — Sir Harry Johnston 's Ilecent
Journeys in the Uganda Protectorate. —
Chesnaye: A Journey from Fort Jame-
son to the Kafue- River. — Nathorst:
On the Map of King Oskar Fjord and
Kaiser Franz Josef Fjord in North -Ea-
stern Greenland. — Marr: The Origin of
Moels, and their Subsequent Dissection.
77k Scottish Geographical Magazine.
Vol. XVI. No. 12. Murray: On the
Deposits of the Black Sea. — Mt. St.
Elias: A. Review. — The Duke of Argyll.
Dm». Vol. XVII. No. 1. — Com iah:
On the Formation of Wave Surfaces in
Sand. — Koettlitz: From Para to Ma-
naos. — Begg: Review of the Alaska
Boundary Review. — History of the
Highlands.
La Geographie 1900. No. 12. Dis-
cours de M. Grandidier dans la Seance
solennelle de la Socidte de Geographie
du 6 de'eembre 1900. — Communication
de M. Foureau. — Discours de M. Ley-
gues. — Hautreux: La töte des Lan-
des de Gascogne. — Les travaux du
„Coast and Geodetic Survey" des Etats
Unis dans l'Alaska de 1867—1900. —
Ned Noll: Note sur la cartographie du
Dahouiey. — Marcel: Le« navigations
des Franvais dans les mers du Sud au
debut du XVIII siecle.
BAv. Geogr. Ital. VII. Dezemberheft.
Puini: Viaggio nel Tibet del P. Ippolito
Desideri. — Porena: Le scoperte Geogra-
tiche del Secolo XIX. — Marinelli: Un
esempio nostrale, a proposito di monografi
locali.
Ymer. 1900. 3. Heft. Theel: Uber
„Bipolarität" in der Ausbreitung der
Meeresorganismen. — Eregreiss: Bei-
trag zur Kenntnis der Urbevölkerung Bra-
siliens (1814— 1816). — de Geer: über
die Ausdehnung des Gradmessiuigsnetzes
über Süd- und Mittelspitzbergen (m. K *.
— Nathorst: Die bislang gefundeneu
Schwimmboyen der Andreescheu Expedi-
tion (m. Taf.). — Petersson und Öster-
gren: Wasserproben von der schwedincben
zoologischen Polarexpedition 1900. — Litte-
rat ur: Lundberg: Uber die Verbreitung
der schwed. Binnenseefische. Notizen ^dar-
unter über Seenforschung in Lappland etc.).
The Naiiotuxi Geographie Magazine.
Vol. XI. No. 12. Knight: The Wyo-
ming Fossil Fields Expedition of July 1899.
— Hilder: Gold in the Philippines. —
Dodge: The Teaching of Physical Geo-
graphy in Elementary Schools. — Geo-
graphy at the British Association. —
Decisions of the U. S. Board on Geogra-
phical X. Lines.
The Journal of tichool Geography.
Vol. II. No. 10. Semple: Louisville, a
Study in Economic Geography. — King:
Striking Characteristics of Certain Cities.
— Cleeve: A System of Comparing Geo-
graphical Distances.
Aus verschiedenen Zeitschriften.
Credner, H. Die vogtländischen Erd-
bebenschwärme während des Juli und
des August 1900. 44 S. 1 Tab. 4 Karteu.
Abdr. a. d. Her. d. niath. phys. Cl. d.
Kgl. Sachs. Ges. d. Wiss. z. Leipzig
1900.
J entsteh, A. Der vordiluviale Unter-
grund des nordostdeutschen Flach-
landes. 19 S. 1 Karte. Jahrb. d. k.
pr. geol. Landesanstalt 1899.
Jentzsch, A. Nachweis d. beachtens-
werten und zu schützenden Bäume,
Sträucher und erratischen Blöcke i. d.
Prov. Ostpreul'sen. IX, 160 S. 17 Taf.
4°. Beitr. z. Naturk. Preussens. 8.
(Phys. vek. Ges. z. Königsberg.)
Oberhummer, Eug. Die deutsche Süd-
polarexpedition. Zweiter Bericht. Mit
1 Karte i. Farbendruck. Jahresb. d.
geogr. Ges. in München. 1898 99.
18. Heft.
Oberhummer, Eug. Nachträgliches
zur Aventinkarte. Jahresb. d. geogr.
Ges. i. München 1898/99. 18. Heft.
Richter, E. Les variations periodiques
des glaciers. Uinquieme rapport. 1899.
20 S. Archires des sciences physiques et
naturelles. T. X. 1900.
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Verantwortlicher Herausgeber: Prof. Dr. Alfred Hettner in Heidelberg.
»
Wissenschaftliche Luftfahrten
Von J. Hann.
Mit grofser Spannung habe ich, und haben wohl auch die meisten meiner
Faehkollegen in den letzten Jahren der Publikation der Ergebnisse der Be-
obachtungen bei den Ballonfahrten des Deutsehen Vereins zur Förderung der
Luftschiffahrt in Berlin entgegengesehen. Die bei einigen dieser Fahrten
gewonnenen Ergebnisse siud allerdings schon früher gelegentlich in der „Zeit-
schrift für Luftschiffahrt4' veröffentlicht worden, dieselben waren auch ge-
eignet, das Interesse für eine zusammenlassende Bearbeitung zu erhöhen. In
dem ziemlich langen Zeitraum, den die Berechnungen und die Diskussion
dieser Beobachtungen im Ballon und deren Drucklegung notwendig in Anspruch
genommen haben, begannen zwei neue Methoden der Erforschung der höheren
Luftschichten, jene mittelst Drachen und mit unbemannten Ballons, denen
Registrier-Instrumente angehängt waren, die Aufmerksamkeit der wissenschaft-
lichen Kreise besonders für sich in Anspruch zu nehmen. Um die meteoro-
logische Erforschung der höheren Luftschichten mittelst Drachen hat sich
namentlich der Amerikaner L. Rotch auf seinem Privat-Observatorium auf
dem Blue Hill bei Boston verdient gemacht1), Leon Teisserenc de Bort
hat diese Beobachtungsmethode auf seinem Observatorium zu Trappes bei
Paris gleichfalls aufgenommen. Es ist diesen beiden thatkrüftigen Männern,
welche ihren Wohlstand in seltener Weise der Wissenschaft förderlich zu
machen verstanden haben, die erstaunliche Leistung gelungen, mittelst eines
Kinderspielzeuges, möchte man sagen, Instrumente bis über Montblanchöhe
in die Atmosphäre hinaufzusenden und aus diesen Höhen Registrierungen des
Luftdruckes, der Temperatur und Feuchtigkeit zu erhalten. Teisserenc de
Bort hat überdies in den letzten 3 Jahren noch eine andere Methode zur
Erforschung der höchsten Luftschichten, die mit bemannten Ballons kaum
oder gar nicht mehr zu erreichen sind, mit dankenswerter Ausdauer in Au-
wendung gebracht. Mit Wasserstoffgas gefüllten Papier- oder Seidenballons
von circa 60 (bis zu 400) Kubikmeter Kauminhalt werden leichte Hegistrier-
Instrumento angehängt und die Ballons dann steigen gelassen2). Dieselben
1) Blue Hill Met. Observatory. Exploration of the air by means of Kites.
Cambridge. I8D7. •
2) R^gistrier-Ballons „Ballons Höndes-', Pilot Ballons, wurden zuerst in Frank-
reich zur Erforschung der höheren Luftschichten verwendet, namentlich haben sich
G. Hermite und G. Besaneon um die Einführung dieser Methode verdient gemacht,
die auch von dem Berliner Verein mehrfach mit Erfolg angewendet worden ist.
Am 7. Juli 18114 erreichte der Ballon Citrus wenigstens 1<> km Höhe, Tcmp. —53°,
am 6. Sept. 18«J4 17 km, Tcmp. in 12,6 km — Ü8°, am 14. April l*y7 Cirrus II.
14,5 km —42°. Min aber — 53 in 13,9 km etc.
Ücographitche ZeiUcUrift, 7. Jahrgang IML 3 Heft 9
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122 J. Hann:
■
erreichen zumeist 10 km Höhe (und mehr) und fallen dann wieder nach
einigen Stunden auf die Erde herab. Worden sie gefunden, und sind die
Instrumente unversehrt, was zumeist der Fall ist, so geben die Aufzeichnungen
des Luftdruckes und der Temperatur uns Kunde von den Wiirmeverhältnissen
in den gröfsten Höhen der Atmosphäre. Teisserenc de Bort hat kürzlich
einige vorlaufige Ergebnisse von mehr als 240 solcher Ballonaufstiege mit-
geteilt.
Es könnte nach dem Gesagten scheinen, dafs der Zeitpunkt der Ver-
öffentlichung der Ergebnisse der Berliner Fahrten mit bemannten Ballons
(Hochsommer 1900) nicht mehr günstig gewesen und dafs das Interesse an
den Resultaten sich schon abgeschwächt habe.
Das ist nun aber keineswegs der Fall. Abgesehen davon, dafs das vor-
liegende grofse Prachtwerk *), welches mit Unterstützung des deutschen Kaisers
erschienen und demselben gewidmet ist, für die Technik der Ballonfahrten
und namentlich der wissenschaftlichen Ballonfahrten von grundlegender Be-
deutung ist, hierbei also keiner Konkurrenz von Seiten der oben erwähnten
neuen Unternehmungen unterliegt, sind auch die Beobachtuugsergebnisse in
einer Form mitgeteilt, wissenschaftlieh bearbeitet und diskutiert, welche jede
Konkurrenz aus dem Felde schlägt,
Wir gestehen, dafs der HL Band des Werkes, welcher der Darstellung der
Hauptergebnisse gewidmet ist, unsere hochgespannten Erwartungen weit über-
troffen hat, namentlich durch die Thatsache, dafs es den Bearbeitern gelungen
ist, aus den bei blofs 75 Fahrten gewonnenen meteorologischen Beobachtungen
so viele allgemein giltige Resultate von gröfster Bedeutung für die Physik der
Atmosphäre abzuleiten.
Was man von jeher als eine grofse Schwierigkeit oder Beschränktheit bei
der Erforschung der höheren Luftschichten mittelst bemannten Ballons, deren
Aufstiege zu sehr grofsen Höhen ja doch aus mehrfachen Gründen nicht sehr
häutig erfolgen können, hat ansehen müssen, dafs auf diesem Wege nur Stich-
proben von den Zuständen in grofsen Höhen der Atmosphäre erhalten werden
können, hat durch «Iiis Ergebnisse der Berliner Ballonfahrten und deren wissen-
schaftliche Verwertung eine mehr als blofs teilweise Widerlegung gefunden.
Allerdings spielte dabei auch ein glücklicher Zufall mit, indem die Mittel-
werte aus den Temperaturen der Aufstiegtage den mittleren Temperatur-
verhältnissen der Umgebimg von Berlin sehr nahe kommen. Aber es war
auch vom Anfange an darauf abgesehen, die Fahrten thunlichst gleiehmäfsig
auf alle Jahreszeiten zu verteilen und auch auf verschiedene Witterungslagen
auszudehnen. Dafs aber das Bchlufsergebnis den mittleren Verhältnissen so
nahe kommt, konnte nicht vorausgesehen werden.
Um nicht zu wTeit zu gehen, müssen wir gleich hinzusetzen, dafs in Be-
zug auf die Witterungslagen eine volle Vertretung derselben nicht erreicht
wurde und nicht erreicht werden konnte. Dies wird in der That wohl immer
eine Beschränktheit der Beobachtungen mit bemannten Ballons bleiben. Bei
1) Wissenschaftliche Luftfahrten, ausgeführt vom Deutschen Verein zur Förderung
der Luftschiffahrt in Berlin. Herausgegeben von Richard Afsmann und Arthur Berson.
Drei CJuartbände. Braunschweig, Vieweg. 1900.
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Wissenschaftliche Luftfahrten.
123
stürmischem schlechtem Wetter können grofse Ballons nicht, aufsteigen, wie
der 6. Dezember 1900, ein Termintag der internationalen. Simultan fahrten,
wieder gezeigt bat. Auch die Registrier-Ballons (Ballons soudes) können hei
stürmischem schlechtem Wetter mit Regengüssen oder dichtem Schneegestöher
nicht aufsteigen, oder mindestens keine sehr grofsen Höhen erreichen. Insofern
werden demnach die Mittelwerte aus Ballonbeobachtungen oder Registrierungen
mit den Mittelwerten aus den Beobachtungen auf Berggipfeln in gleicher
Höhe nicht völlig konkurrieren können, weil hei ersteren die stürmischen und
ganz schlechten Witterungslagen nicht vertreten sind. Einige Differenzen
zwischen den mittleren Beobachtungsergebnissen auf Bergen und jenen in
Luftballons in gleicher Höhe erklaren sich aus diesem Umstände. .
Ich mufs mich in dieser kleinen Abhandlung darauf beschränken, den
Lesern der „Geographischen Zeitschrift" die für die Geophysik oder spezieller
die für die Physik der Atmosphäre wichtigsten allgemeinen Ergebnisse der
wissenschaftlichen Luftfahrten in knapper Darstellung mitzuteilen. Diese Er-
gebnisse sind in mustergiltiger Form in dem III. Bande des Werkes zusammen-
gestellt worden. Auf diesen mufs sich deshalb unsere Aufmersamkeit kon-
zentrieren. Aber wir dürfen es doch nicht unterlassen, auch einen flüchtigen
Blick auf den Inhalt des ersten und zweiten Bandes zu werfen, was uns die
eigentliche Aufgabe erleichtern wird.
Der Inhalt des ersten Bandes (Geschichte und Beobachtungsmaterial
362 S. und 76 Tafeln graphischer Darstellungen von R. Afsmann, A. Berson
und H. Grofs) entspricht dem Charakter des grofs angelegten Werkes, indem
er uns in die Geschichte der wissenschaftlichen Luftfahrten einführt und
uns auch speziell mit den Forschungsmitteln des Deutscheu Vereins zur
Förderung der Luftschiffahrt in Berlin bekannt macht (das Ballonmaterial
von Hans Grofs, das Instrumentarium und die Beobachtungsniethoden von
Rieh. Afsmann, die Berechnungs- und Reduktions - Methoden von Arthur
Berson). Auf 150 Seiten werden ferner die sämtlichen Beobachtungen
bei 75 Luftfahrten und die Registrierungen einiger unbemannter Ballons
vollständig mitgeteilt, und daran schliefsen sich graphische Darstellungen
aller Fahrten (von H. Grofs und A. Berson), welche für eine weitere Ver-
wertung der Beobachtungen von ganz besonderem Nutzen sind. Die erste
Abteilung, welche eine Übersicht über alle Ballonfahrten zu wissenschaftlichen
Zwecken vom 1. Dezember 1783 an bis zum Jahre 1887 giebt und zum
Teil auch kurz deren Ergebnisse zusammenfaßt, gelangt zu dem betrübenden
Ergebnis, dafs alle älteren Temperaturaufzeichnungen im Ballon (sowie auch
jene der Luftfeuchtigkeit) bis zu den späteren Berliner Fahrten (1888)
gröfstenteils unbrauchbar sind, weil die Thermometer unter dem Einflüsse der
Sonnenstrahlung und der Nähe der Beobachter im Ballon zu hohe Temperaturen
angegeben haben.
Schon bei den Temperaturbeobachtungen an den festen Stationen auf der
Erdoberfläche bereitet es grofse Schwierigkeiten, die Thermometer so auf-
zustellen, dafs sie nicht der Wärme-Einstrahlung oder -Ausstrahlung unter-
liegen und infolgedessen Angaben liefern, die von der Temperatur der Luft
erheblich abweichen.
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124
J. Hann:
Im Ballon, namentlich in grofsen Höhen über der Erdoberfläche, wird
der Eint! uls der Sonnenstrahlung auf die Thermometer so machtig, dafs die-
selben ohne ganz besondere Vorkehrungen zur Abwendung desselben viel zu
hohe Temperaturen angeben. Die Ursache davon ist erstlieh die Zunahme
der Intensität der Sonnenstrahlung mit der Höhe1) und zweitens der Um-
stand, dafs, weil der Ballon mit dem Luftstrom treibt, in und um denselben
völlige Windstille herrscht, kein Luftzug die Thermometer abkühlt und sie
der wahren Lufttemperatur naher bringt. An der Erdoberfläche, namentlich
auf Beigen, fehlt eine kräftige Luftströmung selten, die Sonnenstrahlung ist
weniger kräftig und die Vorkehrungen zu deren Abhaltung leichter zu be-
schaffen. Es mufs befremdend erscheinen, dafs man früher diese sehr störende
Fehlerquelle bei den Temperaturmessungen im Ballon nicht beachtet hat.
Nur Welsh machte eine Ausnahme, welcher bei seinen Ballonfahrten 1852,
die bis 7000 m Höhe hinaufreichten, ein Thermometer mit künstlicher Venti-
lation verwendete und so auch richtige Temperaturen erhielt2). Dagegen hat
J. Glaisher bei seinen berühmten mit so viel Mut unternommenen 28 Hoch-
fahrten 1862/66 (die Balloutechnik hatte ja damals noch nicht die jetzige
hoho Vollendung erreicht), bei denen er einmal eine Höhe von circa 8700 m
erreichte, der Ventilation seiner Thermometer keine Beachtung geschenkt und
sieh damit um die Erfolge seiner nach Zahl und erreichten Höhen einzig da-
stehenden wissenschaftlichen Ballonfahrten gebracht8}. Mehr als 20 Jahre
ruhten dann die wissenschaftlichen Ballonfahrten, man darf sagen, ganz, und
die bei Glaishers Fahrten gewonnenen Beobachtungsergebnisse bildeten un-
angefochten den Grundstock unserer Kenntnisse von den Temperaturverhiilt-
nissen der gröfseren Höhe der freien Atmosphäre. Man findet sie in allen
Lehrbüchern, und sie wurden als Grundlage vielfacher Berechnungen und
Theorien genommen.
Erst die Ballonfahrten des Berliner Vereins zur Förderung der Luft-
schifffahrt gaben einen neuen Impuls zur wissenschaftlichen Erforschung der
höheren Luftschichten und zur Herstellung der hierzu dienlichen Instrumente.
Welsh' Vorrichtung zur künstlichen Ventilation der Thermometer war in
Vergessenheit geraten. R. Afsmauu hat das Verdienst, dieselbe neu erfunden
und wesentlich verbessert zu haben, wobei ihn v. Siegsfeld unterstützte.
Das neue verbesserte Aspirationsthermometer von Afsmann gestattet in vollem
Sonnenschein richtige Lufttemperaturen zu beobachten, und mit der Ver-
wendung desselben beginnt die neue Ära der wissenschaftlichen Ballon-
fahrten4).
Noch eine andere Fehlerquelle, der die Temperaturmessungen bei den
1) In grofsen Höhen der Atmosphäre wird die Sonnenstrahlung selbst bei den
dort herrschenden niedrigen Lufttemperaturen den Luftschiffern sehr lästig.
2) Einen Bericht über diese Ballonfahrten, die einzigen wissenschaftlich verwert-
baren vor 1888, hat Petermann in den Geograph. Mitt. 1856 gegeben.
3) Die Beobachtungen während derselben sind in den Reports of British
Association 1862 06 veröffentlicht worden.
4) Das Thermometer von Afsmann erhält nicht nur eine kräftige Luftzufuhr,
es ist überdies, und dus ist wesentlich, durch doppelte Metallhülsen, von welchen
die äufsere hoch poliert ist, gegen die «Strahlung fast vollständig geschützt.
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— <
Wissenschaftliche Luftfahrten. 125
früheren Luftfahrten ausgesetzt waren, wurde bei den neueren Berliner
Fahrten vermieden, das ist die Anbringung der Instrumente im Korbe selbst.
Die Nähe der Beobachter, die Erhitzimg des Korbes und seines Inhaltes
durch die Sonnenstrahlung mufsten die Thermometer im Sinne zu hoher
Ablesungen beeinflussen. Die Thermometer werden jetzt ca. ll/2 m vom
Korbrande angebracht und mit dem Fernrohr abgelesen.
Afsmann widmet den Glaisher'schen Beobachtungen und dem Nach-
weis der Unrichtigkeit derselben ein längeres Kapitel1). Es unterliegt gegen-
wärtig keinem Zweifel mehr, dafs man bisher auf Grund dieser Be-
obachtungen die Temperatur in grolsen Höhen der Atmosphäre viel zu hoch
geschätzt hat, und dadurch zu irrigen Annahmen über das Gesetz der Wärme-
abnahme mit der Höhe verleitet worden ist. Aus Glaishers Beobachtungen
ergab sieh für 7000 m eine mittlere Temperatur von — 10.6°, für 8000 m
von — 14.8°, und in der gröfsten erreichten Höhe ca. 8700 m (am 5.
Sept. 1862) las Glaisher noch — 20.0° ab, während alle neueren Beobach-
tungen übereinstimmend für 7000 m schon eine Temperatur von — 20°,
für 8000 m — 38°, für 9000 m -- 45° ergaben. Dr. Berson hat von
Londou aus am 15. Sept. 1898 zu dem besonderen Zweck eine Hochfahrt
bis über 8000 m Höhe ausgeführt, um dem etwaigen Einwände zu begegnen,
dafs die Temperaturabnahme mit der Höhe in dem Seeklima von England
eine andere sein könnte, als über Norddeutschland. Trotzdem am Erdboden
damals eine Temperatur von 26° herrschte, war die Temperatur in 8000 m
doch schon — 31.3° und in 8320 m — 34.1°.
Ein interessantes und beweiskräftiges Experiment wurde am 3. Okt. 1898
von Berson und Süring ausgeführt. Sie beobachteten bei einer Ballon-
fahrt bis zu ca. 7400 m zugleich mit Glaisher s Instrumenten und deren Auf-
stellung im Korbe selbst und mit Aspirationsthermometern aufserhalb des
Korbrandes. Die ersteren ergaben im Mittel die Temperatur um 15° C.
zu hoch.
Man mufs deshalb Afsmann Recht geben, dafs die älteren Temperatur-
Beobachtungen im Ballon wissenschaftlich wertlos und alle auf sie gebauten
Schlüsse hinfällig geworden sind. Afsmann kann für sich das hohe Ver-
dienst in Anspruch nehmen, dies aufgezeigt und die Mittel zur Abhilfe ge-
boten zu haben. Sein Aspirationsthermometer und dessen Abkömmlinge sind
jetzt die Normalinstrumente für dio wissenschaftlichen Ballonbeobachtungen
geworden.
Die ersten Fahrten mit diesem neuen Instrument wurden im Jahre
18S8 unternommen, aber erst mit dem Jahre 1891 begannen die systema-
tischen Freifahrten zu wissenschaftlichen Zwecken.
Der umfangreiche II. Band { 706 S. Autoren und auch Beobachter im
Ballon: Afsmann, Baschin, Berson, Börnstein, Grofs, Kremser, Stade, Süring).
enthält die Beschreibung und die Ergebnisse der einzelnen Fahrten. Der-
lj Es ist dies vielleicht das einzige in dem grofsen Werke, das gegenwärtig
veraltet erscheint, nicht ho sehr dem Inhalt als der Form nach. Die zu «ehr
detaillierten , oft kleinlichen Zurechtweisungen des verdienten greisen Forschers
J. Glaishers liest mau ungern.
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128
J. Hann:
selbe wird für lange Zeit die wichtigste Fundgrube detaillierterer Kennt-
nisse von den atmosphärischen Zuständen in grofsen Höhen der freien Atmo-
sphäre bilden. Die Bearbeitung der Ergebnisse im III. Bande weist häufig
auf denselben hin und beansprucht nicht, das hier niederlegte wissenschaft-
liche Material schon vollständig und allseitig verwertet zu haben.
Wir können uns jetzt unserer eigentlichen Aufgabe zuwenden, die Leser
dieser Zeitschrift mit den wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnissen der Ber-
liner Ballonfahrten vertraut zu macheu, welche den Inhalt des dritten
Bandes des Werkes (313 S.) ausmachen. Die vertikale Verteilung der
Lufttemperatur und die Änderung der Geschwindigkeit und der Richtung
des Windes mit der Höhe hat Dr. Arthur Berson bearbeitet, der bekannt-
lich als Luft Schiffer den höchsten „Record" erzielt hat, indem er am 4.
Dezember 1894, noch dazu als alleiniger Insasse des Ballons „Phönix", die
Höhe von 9155 m erreichte, wo er eine Temperatur von — 47.9° beobach-
tete. Die Verteilung des Wasserdampfes in der Atmosphäre und die Wolken-
bilduugen hat Reinhard Sflring bearbeitet, die Intensität der Sonnenstrahlung
Richard Afsmann, die Luftelektrizität Richard Börnstein und zum
Schlüsse hat Wilhelm v. Bezold in lichtvoller Weise von theoretischen Ge-
sichtspunkten aus die durch die Ballonbeobachtungen errungenen Fortschritte
der Physik der Atmosphäre dargestellt.
1. Die vertikale Temperaturverteilung in der Atmosphäre im allge-
meinen. Die bei den bemannten Ballonfahrten ausgeführten Temperatur-
Ablesungen geben zunächst folgende Mittelzahlen für Höhenintervalle von je
1000 rn. Zum Vergleiche stehen darunter die von Teisserenc de Bort
mit seinen Ballons sondes (bis Mitte 1899) gewonnenen Zahlen, welche aber
nur als provisorische gelten können.
Temperaturen
Höhe 0 1 2 3 4 5 6 7 8 ü km
Zahl d. Beob. 56 56 50 40 3'2 20 11 5 4 1
Brrlin. Fahrt. 10.1 5.4 0.5 — 6.0 — 10.3 — 16.6 — 24.2 — 29.4 — 38.3 — 46.4
Ballons ßondes 9 5 0 — l — 9 — 16 — 21 —29 — 38 (—44%)
Man wird die Übereinstimmung dieser Zahlen geradezu merkwürdig
tiuden müssen. Dieselbe bezeugt, dafs wir schon zu recht verläfslichen Re-
sultaten über die Temperatur der grofsen Höhen der Atmosphäre gelangt
sind, wie man sie bei der geringen Zahl der Beobachtungen nicht erwarten
durfte.
Diese Übereinstimmung ist um so überraschender, als die zahlreicheren
Befunde aus grofsen Höhen über X km, die mit den Ballons sondes erzielt
worden sind (im Vereiue mit den Ergebnissen der neuesten simultanen Ballon-
fahrten, die in dem grofsen Ballonwerk noch keinen Platz finden konnten),
ein unerwartetes Ergebnis geliefert haben.
Am 4. Dezbr. 1894 hatte man in 6 km — 23.8, in 7 km — 30.2
und in 8 km — ■ 37.9 beobachtet, am 11. Mai desselben Jahres aber in den
gleichen Höheu — 22.5, — 31.0 und 36.8. Man glaubte sich daher zu
dem Schlüsse berechtigt, dafs in Höhen oberhalb H km die Temperatur der
Atmosphäre schon ziemlich konstaut geworden sei. Diese Annahme hat sich
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Wissenschaftliche Luftfahrten. 127
aber als voreilig erwiesen, die spateren Temporaturbefunde in Höhen über
7 km haben noch eine sehr grofse Veränderlichkeit der Temperatur in diesen
Höhensehiehten ergeben, die inbetreff der Momentan-Tempcraturen noch bis
zu 10 km kaum eine Abnahme der Schwankungen erkennen läfst1).
Die Beobachtungen auf Berggipfeln bis zu 3 km dagegen zeigen eine
Abnahme der Temperaturschwankungen mit der Höhe, weil die Temperatur -
Maxima mit der Höhe stärker abnehmen, als die Temperatur- Minima zuneh-
men. Und dabei sind wohl noch erhebliche Einflüsse der Erwärmung und
Erkaltung des Bodens durch Insolution und Ausstrahlung im Sinne einer
Vergröfserung der Temperaturschwankungen thätig, die in der freien Atmo-
sphäre fehlen. Die Zukunft niufs entscheiden, wie dieser Widerspruch zu
erklären sein mag2).
Eigentlich steht auch die grofse Übereinstimmung der Mittelwerte aus
so wenigen Zahlen, wie die obige Zusammenstellung zeigt, in einem schein-
baren Widerspruch mit einer sehr grofsen Veränderlichkeit der Temperatur,
wenn man diese Übereinstimmung nicht einem blofsen Zufalle zuschreiben will.
Die Wärmeabnahme mit der Höhe darf man nicht unmittelbar aus
den obigen Zahlen ableiten, weil die Temperaturen in den verschiedenen
Höhen nicht zeitlich korrespondierende sind, wie schon die Zahl der Beobach-
tungen zeigt.
Berson findet folgende Werte für die Temperatur-Abnahme mit der Höhe
Mittlere Temperatur -Änderung pro 100 m
Von 0—1 1—2 2—3 3—4 4—5 5—6 6—7 7—8 8—9 km
T.. Abnahme 0.50 0.50 0.54 0.53 0.64 0.69 0.66 0.67 <0.90)
Zahl d. Beob. 67 62 46 41 24 14 5 5 2
Mittlere Wärmeabnahme bis 9 km 0.63.
In den unteren Schichten ist die Wärmeabnahme auffallend langsam, in
den hohen und höchsten Schichten sehr rasch. Das ist gerade das umgekehrte
Ergebnis von jenem, zu welchem man aus Glaisher's Ballonfahrten gelangt war.
Dieselben lieferten eine mit der Höhe verminderte Temperaturabnahme3).
1) Hergesell sagt auf Grund der neuesten Erfahrungen: Die Atmosphäre
zeigt in allen Höhenlagen bis zu 10 km Temperaturschwankungen, die innerhalb
eines 3jährigen Zeitraumes in sämtlichen Niveaus den Betrag von 40 u erreicht
oder uberschritten haben. Von einer Abnahme der Gröfse der zeitlichen Schwan-
kungen, ist noch nichts zu bemerken. „Die Temperatur der freien Atmosphäre."
P«t Geogr. Mitt. 1900 S. 97. Die von Teisserenc de Bort berechnete mittlere Ver-
änderlichkeit der Temperatur in den Höhensehiehten Ins zu 9 km zeigt keine
Ahnahme derselben mit der Höhe.
2) Z. T. mufs die grofse Veränderlichkeit der in gleichen Höhen gefundenen
Temperaturen auch dem Umstände zugeschrieben werden, dafs diese Unterschiede
für gleiche Höhe zugleich zeitliche und örtliche sind; die Temperaturen be-
ziehen sich ja nicht auf denselben Ort, wie die an einer festen Station beobach-
teten. Bei den Hegistrier-Ballons kommen auch Fehler in Betracht.
3) Höhe in engl. Fufs 0—5 5—10 10—15 16—20 Tausend
Temp.- Abnahme pro 100 m 0.67° 0.46° 0.40° 0.28"
Für eine Mittelhöhe von 6% km ergiebt sich 0.19°, für 8»/, km nur 0.17. In
Bezug auf die unteren Stufen ist zu beachten, dafs die Fahrten Glaisher's nur im
Sommerhalbjahr unternommen worden sind.
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128
J. Hann:
Die Ursache dieses entgegengesetzten Resultates für die höheren Schich-
ten kennen wir schon, Olaisher erhielt für dieselben bei weitem zu holie
Temperaturen und der Fehler wuchs ziemlich zugleich mit der Höhe. Die
rasche Wärmeabnahme in den unteren Schichten erklärt sich daraus, dafs
Olaisher seine Ballonfahrten fast ausschließlich im Sommer und Spätsommer
und meist um die Tagesmitte unternommen hat. wo die Wärmeabnahme in
den unteren Schichten sehr rasch ist. Die Berliner Ballonfahrten verteilen
sich einigermaßen gleichmäßig auf die Jahreszeiten und auch gleichmäßiger
auf die Tageszeiten. Die Wärmeabnahme mit der Höhe in den unteren
Schichten bis gegen 2 km hinauf hat je eine entschiedene tägliche und jähr-
liche Periode, sie ist namentlich sehr rasch in den Nachmittagsstunden und
im Sommerhalbjahr, sehr langsam in den Nacht- und frühen Morgenstunden
sowie im Winter. Bei Nacht und im Winter kommen häufig sogenannte
„Temperatur-l'mkehrungen" vor, d. h. die Temperatur nimmt mit der Höhe
zu, allerdings nur bis zu einer gewissen Höhe, die aber im Winter bis zu
1500 m und darüber betragen kann. Diese Erscheinung ist aus Gebirgs-
gegenden wohlbekannt, sie ist aber auch über ebenem Lande bei den Ballon-
fahrten im Winter konstatiert worden. Der Boden, namentlich der schnee-
bedeckte, wirkt im Winter, und in der Nacht fast das ganze Jahr hindurch,
abkühlend auf die Luit ein, die kältesten Luftschichten liegen dann unteu.
Bei Luft ruhe, also in dem mittleren Teile der Barometer-Maxima, sowie auch
in rings umschlossenen Gebirgsthälern höherer Breiten, kann sich dieser Zu-
stand natürlich am ungestörtesten entwickeln und grofse Verhältnisse an-
nehmen. Betrachtet man die jetzt gewonnenen Zahlenwerte für die Wärme-
abnahme nach oben vom Standpunkte der Theorie, so findet man im all-
gemeinen eine erfreuliche Übereinstimmung mit der letzteren.
Die Atmosphäre selbst erwärmt sich nur wenig direkt durch die Sonnen-
strahlung, sie strahlt auch wenig Wärme aus, dagegen unterliegt der feste
Erdboden grofsen Temperaturschwankungen unter dem Einflüsse der Insola-
tion und Wärmeausstrahlung. Auch die Wolkenoberflächen werden, natürlich
in viel geringerem Grade, der Erwärmung und Ausstrahlung unterliegen,
aber die Konsequenzen derselben entziehen sich fast ganz unserer Beobach-
tung. Einige Beiträge haben allerdings die Ballonfahrten geliefert. Wir
dürfen demnach den Sitz der Erkaltungen und Erwärmungen wenigstens der
unteren Schichten der Atmosphäre direkt etwa bis 1500 m, indirekt bis über
4 km an der Erdoberfläche suchen. Die schneefreie Erdoberfläche erwärmt
sich stark unter der Sonnenstrahlung. Die erwärmte Luft steigt empor und
bringt die Wärme in die höhereu Schichten, allerdings (thermometrisch)
nicht in vollem Maße, denn beim Aufsteigen dehnt sie sich aus und kühlt
dabei ab, und zwar im Verhältnis von nahezu je 1 0 pro 100 m Empor-
steigen1). Da für die warmen aufsteigenden Luftsäulchen kühlere nieder-
sinken, wobei Mischungen eintreten, wird die thatsächlich über erwärmtem
J i Der „Wänne^ehalt" oder die „potentielle Temperatur" der Luft bleibt dabei
ungei'mdert, denn wenn sie wieder auf gleichen Druck gebracht wird, erlangt sie
auch wieder die frühere Temperatur.
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Wissenschaftliche Luftfahrten.
129
Boden an heiteren sonnigen Nachmittagen zu beohachtende Wärineabnahme
nach oben meist etwas kleiner sein als 1 0 pro Hektometer. Die auf diese
Weise im Laufe eines Tages wirksame Erwärmung scheint sich direkt wenig
über 1000 m Höhe hinauf zu erstrecken1), aber im Laufe mehrerer Tage
wird die Erwärmimg allmählich bis zu gröfsercn Höhen fortschreiten können.
Schliefslich aber steigt die ganze überwärmte Luftmasse unter dem Ein-
flute irgend einer Störung in die Höhe, kühlt dabei weiter ab und konden-
siert ihren Wasserdampfgehalt unter Bildung von Regengüssen und Gewittern.
Auch die großen atmosphärischen Störungen, Wirbelbildungen im Gefolge
der allgemeinen atmosphärischen Zirkulation bringen beim Vorüberziehen
die unteren Luftschichten zum Emporsteigen und zur Kondensation des
Wasserdampfes. Sobald aber das Aufsteigen der Luft mit Kondensation des
Wasserdampfes verbunden ist, d. i. die Abkühlung den Taupunkt über-
schreitet, verringert sich die Temperaturabnahme in der aufsteigenden Luft
gegenüber trockener; bei 20° mit Wasserdampf gesättigte Luft kühlt nur
um 0.45 pro 100 m Emporsteigen ab, bei 10° gesättigte um 0.54, bei 0 0
gesättigte um 0.G3 und bei — 10° gesättigte um 0.76°.
Soweit also die Erwärmung der höheren Luftschichten von dem Empor-
steigen der am Boden erwärmten Luft abhängt, und wir sind gezwungen
anzunehmen, dafs dies in der That die Hauptursache der Erwärmung der
oberen Luftschichten ist, mufs die Temperaturabnahme nach oben folgendes
Gesetz befolgen. In den unteren Schichten, unterhalb des Kondeusations-
niveaus, erfolgt die Wärmeabnahme rasch, dann kommt eine Schicht lang-
samer Wärmeabnahme. Weiter aufwärts erfolgt die Wärmeabnahme wieder
rascher und erreicht in Höhen, wo die Luft fast allen W'asserdarapf konden-
siert, abermals die rasche Temperaturabnahme trockener aufsteigender Luft.
In der That geben die Ballonbeobachtungen in der hauptsächlichsten
Kondensationsschichte von 2 — 4 km eine langsame Wärmeabnahme von
0°,54 pro 100 m, von 4 — 5 km 0°.64 und von 5—9 km circa 0°.75 (mit
Einschlufs der internationalen Fahrten vom 3. Okt. 1899). Aber die unteren
Schichten von 0 — 2 km stimmen nicht, sie zeigen eine Wärmeabnahme
von nur O°.50. Wie erklärt sich diese langsame Wärmeänderung an Stelle
der von der Theorie geforderten Wärmeabnahine von mehr als 0°.9? Die
Ursache dieser Abweichung ist eine mehrfache.
Erstlich ist die rasche theoretische Temperaturabnahme nur in auf-
steigenden erwärmten Lnftmassen, also nur in den Nachmittagsstunden und
zumeist nur im Sommerhalbjahr zu erwarten, nicht im Mittel aller Zustände,
aller Tnges- und Jahreszeiten.
Die amerikanischen Drachenaufstiege, die zumeist bei windigem schönem
Wetter und im Sommerhalbjahr erfolgten, ergeben in der That nahezu dio
theoretische Wärmeabnahme in den unteren Luftschichten und zwar 0°.80
bis zur Hohe von 900 m und 0°.69 von 900 bis 1800 m.
Zweitens wirkt, wie schon oben erwähnt, der Boden in den Nacht-
1) In dieser Höhe ist in der freien Atmosphäre, wie die Temperatur-Registrie-
rungen mittelst Drachen ergeben haben, die tägliche Wärmeschwankung schon sehr
klein gewurden.
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130
J. Hann:
stunden und im Winter abkühlend auf die unteren Luftschichten, weil er
durch Wärmeausstrahlung stärker erkaltet als die Luft. Es bilden sich dann
die sogenannten „Temperaturumkehrungen" aus, oberhalb einer erkalteten
schweren Bodenschichte schwimmt eine wärmere Luftschichte, die ihre höhere
Temperatur wegen grösserer Entfernung vom Boden bewahren konnte. Die
Temperaturzunahme mit der Höhe kann zuweilen weit gröfserc Beträge er-
reichen, als die gröfste Wärmeabnahme nach oben, für welche es eine obere
Grenze giebt, d. i. 1° auf 100 m.
Mit dem Satze, dafs der Boden auf die höheren Luftschichten erwärmend
wirkt, ist der weitere Satz, dafs er zu Zeiten die untersten Luftschichten
abkühlt, ihre Temperatur erniedrigt, ganz wohl verträglich. Die Erwärmung
vom Boden her reicht bis zu grofsen Höhen hinauf, die Erkaltung bleibt auf
die untersten Schichten beschränkt, weil die erkalteten Luftmassen an der
Erdoberfläche liegen bleiben, und die höheren Schichten dem Einflüsse des
kalten Bodens nur wenig mehr unterliegen, nur wenig Wärme durch Strahlung
gegen denselben abgeben.
Dadurch erklärt es sich, dafs im Mittel aller Tages- und Jahreszeiten
die Temperaturabnahme mit der Höhe in den untersten Schichten verlangsamt
wird. Sehr deutlich zeigen dies die Beobachtungen auf dem Eiffelturm
verglichen mit jenen zu Paris. Die Temperaturabnahme ist im Jahres-
mittel vom Boden (Parc S. Maur) bis zur ersten Plattform in 123 m 0°.01,
zwischen dieser und der zweiten Plattform in 107 m 0°.44 und von dieser
bis zur Spitze in 302 m 0°.53 pro 100 m. «Der Boden kühlt die Luft im
Winter so stark ab, dafs bis zu 123 m Höhe im Jahresmittel die Temperatur
gleich bleibt1).
Dazu kommen aber auch noch die Temperaturumkehrungen infolge einer
kalten Luftströmung unten, einer wärmeren oben, was im Winter namentlich
am Westrande eines Barometer-Maximums öfter eintritt (unten herrscht oft
noch ein feuchter kalter SO -Wind aus dem Barometer- Maximum heraus,
oben ein warmer S oder SW). Das war z. B. der Fall bei der Ballonfahrt
am 12. Januar 1894, wo die Temperatur unten — 6° war, oben in 400 m
aber — |— 6°! eine Temperaturzunahme von 3°.2 pro 100 ra. Die Ursache
der Temperaturumkehr war hier und ist in solchen Fällen nicht Strahlungs-
kälte vom Bodon her.
Natürlich beeinflussen solche Fälle einen Mittelwert aus 65 Beobachtungen
noch erhebliih, und es wird begreiflich, dafs die Wärmeabnahme in Schichten
bis zu und noch über 1000 m hinaus kein Gesetz zu befolgen scheint. Bei
Ausschi ufs der Temperaturumkehrungen erhält man bis 1000 m eine Wärme-
abnahme von 0°.61 und dann eine Verminderung derselben auf 0°.54, eine
Annäherung an die Theorie.
1) Im Herbst und Winter ist die Wärmez u nah nie mit der Höhe in dieser
Schiebte 0°.18, von Mai bis Juli die Wärmeabnahme 0°.33 pro 100 m. Doch ist
zu beachten, dafs die Wärmeabnahme nach oben gröfser ausfällt, wenn man die
in Paris selbst beobachteten Temperaturen zur Basis nimmt, die um 0°.8 höher
sind. Parc 8. Maur liefert die Temperatur der Umgebung von Paris. Paris -Eiffel-
turm erste Terrasse giebt eine Wärmeabnahme von 0°.ö6 pro 100 m.
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Wissenschaftliche Luftfahrten. 131
Das Ergebnis der deutschen Ballonfahrten und der französischen Ballons
sondes, dafs die Temperaturabnahme in sehr grofsen Höhen über 6 oder 7 km
sich der theoretischen Wftrmeabnahmc in trockenen, aufsteigenden oder herab-
sinkenden Luftmassen erheblich nähert, ist deshalb von besonderer Wichtig-
keit, weil es mit Notwendigkeit darauf schliefsen läfst, dafs auch noch in
diesen grolsen Höhen starke vertikale Luftbewegungen vorkommen *).
Die jahreszeitlichen Änderungen der Temperatur in grofsen
Höhen der Atmosphäre. Aus der Abnahme der Jahresschwankung der
Temperatur mit der Höhe in den Alpen hatte man die Schätzung gewagt,
dafs, wenn dieselben Gipfel von 0000 m Höhe hätten, auf denselben der
Unterschied zwischen Winter und Sommer schon verschwunden wäre. Die Er-
gebnisse der Ballonaufstiege haben aber jetzt gezeigt, dafs noch in Höhen
von 10 km eine erhebliche Jahresschwankung der Temperatur vorhanden ist.
Gruppiert man die Temperaturbeobachtungen während der Berliner
Ballonfahrten nach Jahreszeiten, so erhält man trotz der geringen Zahl der-
selben schon recht wahrscheinliche Mittelzahlen, welche auch die Abnahme
der Jahresschwankung mit der Höhe und die Änderung des jährlichen Ganges
der Temperatur beurteilen lassen.
Mittlere Temperatur der freien Atmosphäre über Norddeutschland.
Jahreszeit Winter Frühling Sommer Herbst Jahr Jährl. Schwankg.
Erde
0.0
9.0
18.4
9.1
9.1
18.4
1000 m
— 0.6
2.5
11.0
5.4
4.6
11.6
2000 „
— 5.1
— 2.1
5.3
— 0.1
- 0.1
10.4
3000 „
— 10.8
— 8.6
o.i»
— 5.3
— 5.3
11.7
4000 „
— 14.6
— 14.5
- 5.0
— 10.5
— 10.5
9.6
Höhe der Isotherme 0°
Meter8) 330 1540 3150 2380 1850 < 2050
Die für die „Erde" erhaltenen Temperaturen stimmen sehr nahe mit den
mittleren Temperaturen für Berlin, weshalb auch die für die höheren Niveaus
gefundenen Zahlen als wahrscheinliche Mittelwerte gelten dürfen.
Die bemerkenswerteste Erscheinung, welche diese Mittelzahlen darbieten,
ist die Verspätung des Eintrittes der niedrigsten Temperatur gegen das
Frühjahr hin, und im Gegensatze hierzu der sehr warme Herbst.
Vorbereitet darauf haben allerdings schon die Beobachtungen auf den
Gipfelstationen der Alpen. Die niedrigste Temperatur fällt hier in Höhen
von 2% bis 3 km auf Ende Januar bis Mitte Februar. In der freien
1) Hätte sich da« Glaisher'sche Resultat einer sehr geringen Wärnieabnahme
von etwa 0.2° in 8 km bestätigt, so hätte man das Gegenteil annehmen müssen, das
Fehlen eines häußgeren vertikalen Luftaustausches in diesen Höhen. Da die
Temperaturleitung der Luft in 0—10 km bei einem Luftdruck von rund 200 Mm
schon den hohen Wert von nahe 0.66 (cm s ) erreicht und nahe gleich der des
Kupfers wird, so würde eine langsame vertikale Temperaturänderung, die ja dann
hauptsächlich eine Folge der Wärmeleitung wäre, erklärlich werden.
2) Dr. Berson stellt mehrere Schätzungswerte für dieselbe auf, die hier an-
gegebenen hält er Belbst für die wahrscheinlichsten.
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I
132 -I Hann:
Atmosphäre in gröfseren Höhen scheint dieselbe aber erst im Marz ein-
zutreten, die höchste Temperatur hat der August. Benutzt man neben den
Berliner Ballonfahrten noch die Registrierungen der Ballons sondes von
Teisserenc de Bort, so erhült man folgendes Bild vom jährlichen Wärmegauge
bis zu Höhen von 10 km.
Kaltester Monat \V ärmster Monat Jahr Schwankg.
in 3 km — 12.0 Febr. 1.4 August — 5.3 13.4
„ 5 „ —20.8 Marz — 7.6 „ —14.2 13.2
„10 „ —52.9 „ —43.9 „ —48.1 9.0
Die niedrige Temperatur der freien Atmosphäre in den Frühlingsmonaten
im Gegensätze zu den Herbstmonaten (z. B. Mai in 3 km — 5.3, Oktober
— 2.0) spielt sicherlich eine grofse Rolle als Ursache des verschiedenen
Witterungscharakters dieser Jahreszeiten. Die niedrige Temperatur in den
Höhen der freien Atmosphäre begünstigt die Entstehung von Niederschlägen,
Gewittern, Hagelwettern, während der Herbst ruhiger verläuft, die gröfseren
Aufregungen der Atmosphäre seltener werden1).
Dr. Berson findet folgende Zahlen für die mittlere Wärmeabuahme in
den vier Jahreszeiten pro 100 Meter (blofs Berliner Ballonfahrten)
Winter Frühling Sommer Herbst Jahr
0- 1000 m 0.04 0.49 0.71 0.48 0.43
1— 3000 „ 0.49 0.56 0.55 0.46 0.52
Im Winter unten häutige Temperaturumkehrungen, im Sommer rasche
Wärmeabnahme, im Herbst Übergang zu den Winterverhältnissen. Von 4 — 6 km
ist die Temperaturabnahme von der Jahreszeit ziemlich unabhängig 0.67 pro
100 m.
Der folgende Vergleich der Temperatur der freien Atmosphäre in 3000 Meter
und auf einem Berggipfel dürfte einiges Interesse beanspruchen können.
Mittlere Temperatur in einer Seehöhe von 3000 Meter.
Jahreszeit Febr. April Aug. Okt. Jahr Schwankg.
Atmosphäre über N.-Deutschld. — 12.0 —8.7 1.4 —2.0—5.3 13.4
Tauerngipfel (47° N) —12.2 -7.6 1.8—4.3—5.7 14.0
letztere Temperaturen nach den Beobachtungen auf dem Sonnblick. Der
Berggipfel ist im Herbst und im Winter kälter, im Frühling und Sommer
1) Man vergl. mein Handbuch der Klimatologie 13*1 III S. 20— '22 Charakter der
Jahreszeiten. Man hat früher gemeint, dafs die raschere Wärmeabnahme im Frühlinge
und Frühsonuner nur daher stamme, dafs wir selbe nach dem Temperaturunterschied
zwischen den schon warmen Thälern gegenüber den noch schneebedeckten Herg-
hühen berechnen. Ich habe aher gezeigt, dafs auch der Temperaturunterschied noch
schneebedeckter Berggipfel gleichfalls im Frfihlinge ein Maximum erreicht (z. B.
Schafberg — Sonnblick'. Die Ergebnisse der Ballonfahrten haben dies bebtätigt.
Die freie Atmosphäre ist im Frühlinge noch relativ kalt , im Herbste noch relativ
warm gegenüber der sich rasch erwärmenden, respektive sich langsam abkühlenden
Erdoberfläche. Die aufsteigenden Luftströmungen und ihre Witterungsfolgen werden
daher im Frühlinge begünstigt, lebhaft angeregt, finden dagegen im Herbste wenig .
Nahrung.
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Wissenschaftliche Luftfahrten.
133
warmer als die freie Atmosphäre. Die absoluten Temperaturen der letzteren
sind natürlich noch unsicher, weshalb auf die Differenz der Jahresmittel kein
Gewicht gelegt werden kann.
Sind die Berge kälter als die Luft in gleicher Höhe?
Dr. Berson meint, dies annehmen zu müssen, weil er die mittlere Wärnie-
abnahme mit der Höhe aus den Ballonfahrten zu U°.51 pro 100 m gefunden
hat, während die Beobachtungen im Gebirge sie zu 0.57 im Mittel ergeben
haben. Er gründet diese Annahme auf einen Satz von W. v. Bezold in
dessen „theoretischen Schlufsbetrachtungen" (S. 297), „dafs sich der Einfluß
des Erdbodens im Gesamtmittel in einer relativen Abkühlung der unteren
Schichten geltend macht'1.
Da der Einflufs der Erwärmung des Bodens bei Tage durch die auf-
steigenden Luftbewegungeu bis zu gröfseren Höhen der Atmosphäre wirksam
wird, während die nächtliche Erkaltung auf die unteren Schichten beschränkt
bleibt , hat v. Bezold mit Recht Nachdruck darauf gelegt, dafs die höheren
Schichten wohl die Erwärmung vom Boden her geniefsen, aber .der nächt-
lichen Erkaltung der Hauptsache nach entrückt bleiben, also der Boden auf
die unteren Schichten relativ abkühlend wirkt, worauf die geringere Wärme-
abnahme nach oben in der letzteren zurückzuführen ist.
Es ist aber wohl zu beachten, dafs der Boden im Mittel nicht wirklich
abkühlend, sondern erwärmend auf die ihm auflagernden untersten Luft-
schichten wirkt, weil er im Mittel stets um circa 2° und mehr wärmer ist
als die Luft. Dieser Wärmeübersehufs nimmt bekanntlich mit der Seehöhe
noch zu.
Der Satz von Bezold bezieht sich auch nur auf ebenes Terrain oder auf
Thalmulden, wo die kalten Luttschichten ruhig liegen bleiben, denn in diesem
Stagnieren derselben findet er seine Begründung. An den Berghängen und
auf den Berggipfeln aber fliefst die durch Strahlung erkaltete Luft fort-
wahrend ab, und wärmere ans der Höhe tritt an ihre Stelle. Es bildet sich
daher keine Temperaturumkehrung über dem Boden aus, und damit entfällt
daselbst auch die „relative" Erkaltung.
Die Bergabhänge und Berggipfel sind nur im Winter und in den Nacht-
stunden etwas kälter als die freie Atmosphäre in gleicher Höhe, im Sommer
und bei Tag wärmer, im Jahresmittel scheinen sie sehr nahe die Temperatur
der freien Atmosphäre zu haben1).
Die Annahme von Dr. Berson, dafs die Berge in 2—3000 Meter See-
höhe um circa 2° kälter sind als die freie Atmosphäre in gleicher Höhe,
widerstreitet den Erfahrungen und wird auch, wie oben auseinandergesetzt
worden ist, durch die Erwägungen von W. v. Bezold nicht unterstützt.
Eine erheblich niedrigere Mittelteraperatur der Bergstationeu hätte sich
auch längst iu den Ergebnissen der barometrischen Höhenmessungen ergeben
1) Die direkten Vergleichungen der im Ballon beobachteten Lufttemperaturen
mit jenen an dem Bergobservatorium haben in der That auch diese Verhältnisse
nachgewiesen: Finsterwalder u. Sohncke, Ergebnisse wissenschaftlicher Fahrten
den Münchener Vereins für Luftschiffahrt. Vergleichungen der Temperaturen im
Uebirge mit jenen in der freien Atmosphäre. Met. Z. B. 29 S. 362.
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134 J.Hann:
müssen. Dieselben lassen aber mit Bestimmtheit darauf schliefsen, dafs die auf
Bergen beobachteten Temperaturen in den Jahresmitteln mit jenen der freien
Atmosphäre sehr nahe überstimmen1).
Wir finden dagegen ohne Schwierigkeit eine andere Erklärung der rela-
tiv geringen Wärmeabnahme mit der Höhe aus den Beobachtungen der Ber-
liner Ballonfahrten. Die weitaus gröfste Mehrzahl der Fahrten hat in den
Gebieten von Barometer-Maximis stattgefunden und keine einzige im inneren Ge-
biete einer Cyklone. In den erstcren ist aber die Wärmeabnahme mit der Höhe
eine langsame, wie Dr. Berson selbst aus den Balloubeobachtungen nachge-
wiesen hat2). In den Beobachtungen der Bergstationen sind dagegen alle
Witterungslagen vertreten, auch die stürmischen Perioden mit schlechtem
Wetter, während welcher die Wärmeabnahme rasch ist; in den Ballon-
beobachtungen fehlen die stürmischen Tage ganz, die mittlere Wärmeabnahme
lallt daher langsamer aus.
Auch jene Gebiete der Alpen, über welchen häutig Luftdruck-Maxiroa
sich einstellen, haben eine sehr langsame Wärmeabnahme. In Kärnthen be-
trägt dieselbe blofs 0.46 im Jahresmittel, uud selbst für die ganzen Ost-
Alpen auch nur 0.51. Man hat also nicht nötig, eine niedrigere Tempera-
tur der Gebirge anzunehmen.
Höhe der Isotherme von 0°. Die Festlegung derselben für die freie
Atmosphäre aus relativ wenig Beobachtungen ist natürlich sehr schwierig.
Die von Dr. Berson gefundenen Mittelzahlen haben aber einen hohen Grad
von Wahrscheinlichkeit für sich. Sie schliefsen sich den in den Gebirgen
gefundenen Werten sehr nahe an und die Unterschiede entsprechen der nörd-
licheren Breite und dem mehr ozeanischen Klima von Norddeutschland.
Folgende Vergleiche der Mittelzahlen und extremen Lagen dürften einiges
Interesse haben.
See-Höhe der Isotherme von 0°
tiefste höchste Jahresmittel
Freie Atmospäre Lage
Norddeutschland 320 Jan. 3400 August 1850 Meter
Frankreich3) (1310?) Jan. 3650 August (2380?) „
Gebirge
Ost-Alpen, Nord-Seite .... 80 Jan. 3520 August 1910 „
Süd-Seite .... 550 Jan. 3590 Juli 2140 „
Nordseite der Pyrenäen (43°) . 1070 Jan. 3980 August 2480 „
Im Sommer ist die Übereinstimmung mit Rücksicht auf die Lagen eine
bemerkenswerte. Ich habe seinerzeit gezeigt, dafs in einer Seehöhe von 2000 m
1) Die nach dem Schafberg (1770 m) und dem Obir (2044 m) berechnete Seehöbe
deB Sonnblickgipfels ist 3100 m und stimmt völlig mit einer genauen trigono-
metrischen Messung. Eine um 2" zu niedrig angenommene Lufttemperatur hätte
einen Fehler von nahe 10 Meter ergeben müssen.
2) Mittlere Wärmeabnahme zwischen 0 und 3 km in den Anticyklonen 0.44, in
den Cy klonen 0.58; im mittleren Teile der letzteren vielleicht noch gröfser.
3) In dem Diagramm, in welchem Teisserenc de Hort die Seehöhen der
Isothermen von 0", — 20°, — 4o°, — öOu in den einzelnen Monaten dargestellt hat,
scheint bei der Einzeichuung der Isotherme von 0° ein Versehen passiert zu »ein.
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Wissenschaftliche Luftfahrten.
die Änderung der Temperatur mit der geographischen Breite eine mäfsige
geworden und viel geringer als an der Erdoberfläche ist1).
Es mag noch gestattet sein, an dieser Stelle die Höhenlage der Iso-
thermen von — 20°, — 40 ü und —50° in der freien Atmosphäre nach den
Ergebnissen der Registrier-Ballons von Teisserenc de Bort einzuschalten.
Isotherme von — 20° Minimum 4.8 km Februar, Max. 7.0 km August, 5.8 Jahr
—40° „ 7.8 „ h „ 9.5 „ „ 8.6 „
—50° „ 9.0 || März, ;, 11.0 „Aug.Sept.10.0 „
Die Höhen von 9 — 11 km entsprechen den mittleren Höhen der Feder-
wolken (den Cirren und Cirrostratus- Wolken).
Die Wärmeabnahme mit der Höhe bei verschiedenen Witte-
rungslagen. Temperatur der Anticyklonen und der Cyklonen.
Die Ergebnisse der Ballonfahrten haben die aus den Beobachtungen auf
Berggipfeln bis zu 3000 m Höhe gezogenen Schlüsso über die verschiedene
Temperatur- Abnahme mit der Höhe in den Gebieten der Barometer-Maxi ma
und -Minima bestätigt und erwiesen, dafs sie auch für die freie Atmosphäre
gelten, also eine allgemeine Erscheinung sind.
Die Wärmeabnahme nach oben ist in den Barometer-Maximis in den
unteren Schichten bis zu 3 — 1 km eine langsamere als in den Gebieten der
Barometer-Minima (oder Cyklonen), in den höheren Schichten gleichen sich die
Unterschiede aus, wie auch Teisserenc de Bort gefunden hat. Dr. Berson
findet folgende Mittelwerte: Wärmeabnahme pro 100 m
Höhenintervall 0—3 km 3—5 km 5 — 8 km Mittel
Anticyklonen 0.44 0.59 0.73 0.59
Cyklonen 0.58 0.59 0,64 0.60
Der erstere Witterungstypus repräsentiert zugleich heiteres, der zweite
bewölktes Wetter.
Es Ist aber zu beachten, dafs die für „Cyklonen" eingesetzten Zahlen sich
blofs auf deren Randgebiete beziehen, während für das Zentrum der Anti-
cyklonen vielfache Beobachtungen vorliegen.
Als mittlere Lufttemperatur in den Cyklonen und Anticyklonen ergiebt
sieh bis zur Höhe von 6000 m aus den Beobachtungen der Ballonfahrten:
Höhe Erde 1000 2000 3000 4000 5000 6000 m Mittel
Winter
Anticyklone 1.5 1.3 — 2.0 — 6.7 — 10.9 — 16.0 — 25.8 — 8.4
Cyklone 3.0 — 2.2 — 8.0 — 15.1 — 20.8 — 27.5 — 34.0 — 14.9
Sommer
Anticyklone 20.6 13.6 7.7 2.1 —3.3 —9.1 - 17.2 + 2.1
Cyklone 15.7 9.1 3.0 —0.8 — 7.0 — 15.3 (— 22.0) —2.5
1) Temperatur- Verhältnisse der Österr. Alpenländer. III. Sitzb. der Wiener
Akad. Juni 1886. S. 103—111. In den Meridianen der Ost-Alpen ist im Sommer
die TemperaturdifFerenz pro Breitegrad im Niveau von 2000 m nur die Hälfte von
jener in öOO m. Nur Kärnthen macht eine Ausnahme.
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130
J Hann:
Das Resultat, das ich vor Jahren aus den Sonnbliek- Beobachtungen, die
blofs bis 7,u 3 km hinaufreichen, abgeleitet habe, bestätigt sich jetzt aus den
Beobachtungen bei Ballonfahrten bis zur Höhe von 6 km. Der Luftkörper
der Anticyklonen ist im Mittel warmer, als jener der Cyklonen, während eine
Theorie der Cyklonen früher auf das Gegenteil gegründet worden war. Die
Theorie der Wärmeabnahme in aufsteigenden (Cyklonen) und herabsinkenden
(Anticyklonen) Luftmassen stimmt dagegen mit meinem Resultat und mit
den von Dr. Berson berechneten Daten übereiu.
Ein besonders schönes Beispiel für die hohe Wärme in einer Anticyklone
und die niedrige in einer Cyklone haben die Ballonfahrten vom 18. Februar
1897 und vom 13. Mai desselben Jahres geliefert, Jene fand fast direkt
im Zentrum eines Maximums statt, let/.tere vom 13. Mai im Gebiete einer um-
fangreichen Depression.
Höhe Erde 1120 2145 3390 4580 m
Anticyklone 18. Februar 2.7 5.8 1.0 —5.4 -- 13.1
Cyklone 13. Mai 9.2 -1.7 —8.2 -16.1 -24.1
Der Temperatur-Unterschied nimmt mit der Höhe zu und beträgt im
Mittel bis zu 4% km ca. 6%° zu Ungunsten der Cyklone, obgleich letztere
im Frühsommer, die Anticyklone im Winter stattfand1). Diese Temperatur-
Verhältnisse sprechen also sehr entschieden gegen die allgemeine Richtigkeit
der sog. „Konvektionstheorie" der Cyklonen. Allerdings und noch mehr auch
andere Tbatsachen.
Dr. Berson hat auch die Höhe der Isotherme von 0° iu den Anti-
cyklonen und den Randgebieten der Cyklonen berechnet. Ks mögen nur fol-
gende Ergebnisse hier Platz finden.
Höhe der Isotherme 0° im Jahresmittel.
Anticyklone Cyklone Übergangsgebiet
Rückseite Kern Vorderseite Rückseite Vorderseite
Höhe 1575 2800 2845 1120 2390 m
Die Temperatur von 0° ist in den Anticyklonen höher anzutreffen als
in den Cyklonen. Die hohe Wärme der Anticyklonen reicht in grofse Höhen
hinauf.
Dr. Berson stellt Betrachtungen an über die allgemeine Konstitution
der Cyklonen und Anticyklonen, die von grolseiu Interesse sind und viele
Wahrscheinlichkeit für sich iu Anspruch nehmen können. Es erscheint aber
nicht thunlich, hier darauf einzugehen.
Ebenso ist es nicht möglich, auf die weiteren die Temperatur in und
über den Wolken, und die Temperatur- Umkehrung betreffenden Unter-
suchungen des Verfassers des sehr lehrreichen Abschnittes „Lufttemperatur"
an dieser Stelle einzutreten.
Die vertikale Verteilung des Wasserda rapfgchaltes in der
Atmosphäre. Dieselbe wird von R. Süring in gründlicher und vielseitiger
1) Wissonschaftl. Luftfahrten. Bd. II S. ö'JO.
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W i s s e n a c h a f 1 1 i c h e Luftfahrten.
137
Weise untersucht. Ein näheres Eingehen auf die Ergebnisse würde aber
mehr physikalische Erörterungen nötig machen, als hier am Platze wären.
Der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre nimmt in den gröfseren Höhen
viel rascher ab, als man bisher nach den Ergebnissen der Ballonfahrten
Glaisher's angenommen hat. Dieselben lieferten ja zu hohe Temperaturen, da
war ein höherer Dampfgehalt möglich, der jetzt bei den niedrigen Tempera-
turen nicht bestehen könnte. Die folgenden Zahlen geben an, wie viel Pro-
zent«' des Wasserdampfgehaltes (Dampfdruckes) in den höheren Niveaus durch-
schnittlich noch vorhanden sind:
Höhe km 0 1 2 3 4 5 6 7 8
Dampfdruck Proz. 100 68 41 26 17 11 5.4 2.8 1.3
In 2000 m sind blofs noch 41%, in 5000 11% des Wassergehalts der
Luft an der Erdoberfläche vorhanden, über 8 km hinaus wird die Atmosphäre
fast vollkommen trocken. Das ergiebt sich ja auch direkt aus der niedrigen
Temperatur in dieser Höhe. Bei eiuer Temperatur von — 40°, die hier durch-
schnittlich herrscht, ist in der Luft nur noch eine Dampfspannung von 0.12 m
überhaupt möglich, oder etwa 0.15 (»ramm Wassergehalt im Kubikmeter Luft.
Die Verwendung der kleinen Tabelle zu Schätzungen des Wassergehaltes
der Luft in grofsen Höhen ist eine sehr einfache. In den Tropen z. B.
ist der Dampfdruck am Meeresniveau 20 mm und darüber (19.3 Gramm
Wasser im Kubikmeter). Tn einer Höhe von 3 km in der freien Atmo-
sphäre ist dann der Dampfdruck nur noch 5.2 mm, in 6 km 1.1 mm.
An der Erdoberfläche selbst, auf den Bergen, nimmt der Wasserdampf-
gehalt der Luft langsamer ab, er erhält ja stets vom Boden her immer
wieder einen Zuwachs. Aber auch hier setzt ihm die niedrige Lufttempe-
ratur eine Grenze1).
Die relative Feuchtigkeit (Verhältnis des vorhandenen Wasserdampfes
zu der bei der herrschenden Temperatur möglichen in Prozenten der letzteren)
ist in den Anticyklonen kleiner und nimmt rascher mit der Höhe ab als in
den Cyklonen, von welchem Verhältnisse die folgenden Zahlen eine Vorstel-
lung geben.
Mittlere relative Feuchtigkeit in Prozenten
Höhenschicht 0 u. '/j 1 u- 1% 2 u. 2% 3 u. 3% 4 u. 4% km
Anticyklone 68 56 50 50 47%
Cyklone 74 78 78 60 65
Die Rückseite einer Anticyklone hat die gröfste Lufttrockenheit, und
die Vorderseite hat mehr Wassergehalt als das Zentrum.
Süring diskutiert auch die auf die Wolken, ihre Struktur und ihre
Formen bezüglichen Beobachtungen während der Ballonfahrten. Es läfst sich
1) Für die Abnahme des WasBerdampfgehalts der Luft auf Bergen gilt eiue von
mir aufgestellte Formel, in welcher e» den Dampfdruck im unteren Niveau, <?a jenen
im Niveau von h in Kilometern darüber bezeichnet. Süring hat dieselbe so um-
gestaltet, dafs sie auch für die freie Atmosphäre gilt. Diese Formeln sind für Ge-
h ^
hirgelogeh — logen — für freie Atmosphäre hych ~-lo(je0 — ß ^ *j
Geographteche Zeitschrift 7. Jahrgang. 1901. 3. Heft. 10
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138 J- Hann:
wenig davon hier mitteilen, weil dies eine breitere Darstellung erfordern
würde. Neues von besonderem theoretischen Interesse hat sieh nicht ergeben.
Uberkaltete Wolken (Wolken aus feinen Wassertröpfchen bestehend bei
Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ) wurden selten angetroffen, Eiswolken
und Schneewolken häufig durchfahren. Bei der Hochfahrt vom 11. Mai 1894
wurde von 1750— 6000 m eine Schneewolke durchfahren, von 5 bis 7 km eine
Eiskrystallwolke, darauf folgte noch ein Eisnebel von 7 bis 7.G km reichend.
Die Mächtigkeit dieser Wolke erreichte demnach nahezu 6 km; auch am
14. März 1893 wurde eine Eisnadelwolke von fast 5 km Mächtigkeit beob-
achtet. Selbst im Sommer kommen Eisnadel- oder Ei skrystall wölken (also
Cirrusartige Wolkenschichten) schon in Höhen von 3 — 6 km vor.
Änderung der Geschwindigkeit und Richtung des Windes mit der
Höhe. Die darauf bezüglichen Ergebnisse hat Dr. Berson mit grofser Umsicht
und Sorgfalt abgeleitet. Die Windgeschwindigkeit nimmt bekanntlich in den
meisten Fällen mit der Höhe zu, und die Luftschiffer haben oft genug diese
Erfahrung machen müssen. Hier erhalten wir eingehende Nachweise der
numerischen Verhältnisse der Zunahme der Windstärke mit der Höhe. Um
allgemein giltige Zahlen zu erlangen und Mittelzahlen bilden zu können,
mufs man natürlich das Verhältnis der Windstärke in den höheren
Niveaus zu der gleichzeitig an der Erdoberfläche herrschenden Windstärke für
jeden Fall aufsuchen. Derart erhielt Dr. Berson folgende Mittelwerte:
Zunahme der Windstärke mit der Höhe
Mittlere Höhe Erde 0.5 1.5 2.5 3.5 4.5 5.5 km
Relative Geschw. 1 1.75 1.95 2.15 2.5 3.1 4.5
In einer Höhe von 2 — 4 km herrseht zumeist schon eine 2 — 3 mal
gröfserc Windstärke als nahe der Erdoberfläche, in 4—6 km eine 4 — 5 mal
gröfsere. Die Zunahme erfolgt anfangs rasch, dann wird sie langsamer, was
dein Eintritt in die hauptsächlichste Kondensationszone entspricht, über 3000 m
erfolgt wieder eine raschere Steigerung der Windstürke. Auch aus den
Wolkeubeobachtungen ist man schon auf die Verlangsamung der Windstärke
in dein Niveau der häufigsten Wolkeubildungen aufmerksam geworden.
Die Zunahme der Windstärke mit der Höhe erfolgt rascher in den Ge-
bieten der Barometerdepressionen als in jenen der Hochdruckgebiete. Die
Windstärke ist aber in den ersteren schon an der Erdoberfläche gröfser, und
steigt bis 5% km auf das fünffache von jener an der Erdoberfläche. Sehr
bemerkenswert ist das verschiedene Verhalten der West- und Ostwinde. Die
Westwinde zeigen eine bis zu den gröfsten Höhen stetig wachsende Wind-
stärke, bei den Ostwinden findet man, dafs die Zunahme sich etwa oberhalb
2 km wieder verringert, wie folgende Mittelwerte das in knapper Weise
zeigen :
Wrestwinde Zunahme von 0—2 km auf 2.0; 2—5 km auf 3.2 (Erdoberfl. = 1)
Ostwinde „ „ 0- 2 „ „ 1.6; 2 5 „ „ 1.4 ( „ -1)
Die Ostwinde sind zumeist seichte Winde, über welchen häufig West-
winde angetroffen werden, die Westwinde beherrschen dagegen die ganze
Atmosphäre. Am 6. September 1894 wehte unten ein Ostwind von circa 3 ra
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Wissenschaftliche Luftfahrten.
139
Geschwindigkeit, darüber gab es Weststurme mit 40 m Geschwindigkeit in
16 km Höhe.
Die Maxima der Windstärken bei den bemannten Ballonfahrten erreichen
nur 25 m pro Sek., weil bei sehr windigem Wetter keine Aufstiege statt-
fanden. Militärballons haben schon 28 m im Durchschnitt ganzer Fahrten
ergeben, Registrier-Ballons 30 — 40 m.
Die Windrichtung dreht sich mit der Höhe fast regelmäfsig nach
rechts, in den gröfsten Höhen von 5 — 7 km um 55° (circa 0.8° pro
100 m). Schon in etwa 3 km weht der Wrind, der an der Erdoberflache
in Bezug auf die Richtung der Linien gleichen Luftdruckes (der Isobaren)
durch die Erdrotation (nördl. Hemisphäre) nach links abgelenkt wird, parallel
zu den Isobaren. Oberhalb 3 km tritt dann zunächst ein bemerkenswerter
Stillstand der Weiterdrehung ein.
In den Anticyclonalen Gebieten ist die Rechtsdrehung der Windrichtung
mit zunehmender Höhe am stärksten, sie kann in 3 km 57°, in 7 km 88°
erreichen; in 5 — 7 km erfolgt schon ein Einströmen der Luft gegen das
Zentrum der Anticyklonen an der Erdoberfläche.
In den cyklonalen Gebieten erreicht die Rechtsdrehung des W'indes mit
zunehmender Höhe keine so groJsen Beträge, die Drehung erfolgt nur bis zur
Richtung der Isobaren, denen in 6 — 8 km Höhe die Ballons entlang zogen.
Ein Ausströmen der Luft kam nicht zur Beobachtung.
Die Cy klonen unserer Breiten erwiesen sich als räumlich begrenztere,
aber in Bezug auf Luftbewegung intensivere Gebiete, die bis zu den gröfsten
Höhen hinauf von nahezu parallel zu den Isobaren strömenden Luftmassen
um wirbelt werden. Die Anticyklonen sind räumlich von gröl'serer (hori-
zontaler) Erstreckung, reichen aber meist nicht hoch hinauf.
Die Zunahme der Intensität der Sonnenstrahlung mit der Höhe
wurde mittelst geschwärzter Thermometer, die in eine sehr luftverdiinnte
Glasbülle eingeschlossen sind, gemessen. Man erhält auf diesem Wege aller-
dings nur relative Messungen, welche aber doch erhebliches Interesse bean-
spruchen dürfen.
R. Afsraann hat diese Aufzeichnungen einer sorgfältigen Bearbeitung
unterzogen. Die Intensität der Sonnenstrahlung erwies sich vormittags
stärker als nachmittags, sie war auch im Winter sehr intensiv, am stärksten
im Herbst. Bei grofser Lufttrockenheit, also namentlich bei absteigender
Luftbewegung, ist die Intensität dsr Sonnenstrahlung am gröfsten. Ist eine
Bewölkung vorhanden, so ist die Strahlung geringer, auch wenn die Sonne
unverhüllt ist, offenbar giebt es dann unsichtbare Trübungen auch zwischen
den Wolken. Befand sich aber der Ballon oberhalb eines Wolkenmeeres, so war
die Strahlung konstant grofser als bei ganz reinem Himmel. Besonders an
der Oberfläche der Eiswolken war eine beträchtliche Zunahme der Strahlungs-
intensität zu beobachten. Die Ursache ist wohl in der meist sehr grofsen
Lufttrockenheit oberhalb der Wolken und in der von den Wolken reflektierten
Strahlung zu suchen.
Auch bei ganz verhüllter Sonne nahm die (diffuse) Strahlung mit der
Höhe erheblich zu.
10*
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140
F. v. Huene:
Die Beobachtungen und Berechnungen von Richard Börnstein in Bezug
auf Luftelektrizität sind für die Theorie von letzterer von grofccr Wichtigkeit.
Ks ist aber nicht möglich, auf dieselben einzugehen, ohne den gegenwärtigen
Stand der Theorie der Luftelektrizität einleitend zu erörtern, was an dieser
Stelle nicht zulässig erscheint.
Die „Theoretischen Schlufsbetraehtungen" von W. v. Bezold sind schon
in den Erörterungen über die Temperatur-Abnahme mit der Höhe angezogen
worden. Auf die wichtigen Folgerungen zur Thermodynamik der Atmosphäre
kann an dieser Stelle leider nicht eingegangen werden.
Wir nehmen hiermit von dem monumentalen Werke Abschied, das durch
seinen wissenschaftlichen Inhalt nicht weniger imponiert als durch seinen
Umfang.
Eine orographische Studie am Knie des Rheines.
Von P. v. Huene.
Mit einer Karte (Tafel 2).
Mit zu den interessantesten Problemen gehören die qrographischen.
Die Urographie ist ein Bindeglied zwischen (ieologie und Geographie, und
diese eine Grundlage der Kulturgeschichte und Geschichte. Liegt nicht ein be-
sonderer Heiz in der Erkennt nis, dafs von lange her die heut ige Oberflächen -
gestaltung schon vorbereitet war, und dafs die vorhandenen Konstellationen
notwendig diese und keine andere Modellierung hervorbringen mufsten?
Ein zu solchen Untersuchungen geradezu klassisches Gebiet ist der
nordwestliehe Jura und der südwestliche Schwar/wald, also die beiden Gebirgs-
komplexe, welche der Rhein durchbricht, um Basel zu erreichen. Klassisch,
resp. in hohem (trade lehrreich ist dieses Gebiet für den genannten Zweck
«leshalb, weil hier drei grundverschiedene Typen der Thalbildung in
charakteristischer Entwicklung auf engem Raum zusammengedrängt sind.
Die Eigenschaften der den Untergrund bildenden Gesteine und die
Lagerung derselben stellen der Drainierung einer Gegend und der Erosions-
arbeit des Wassers die Bedingungen so oder so.
Das Urgebirge der zentralen Teile des südlichen Schwarzwaldes formt
sich unter dem Zahn der Zeit ganz anders als die südlich anliegenden Sedi-
mente. Auch die Skulpturierung dieser letzteren ist verschieden, je nachdem
sie in Falten geworfen sind oder nicht,
Abgesehen von der wechselnden Fruchtbarkeit der Erde und der hierdurch
bedingten Vegetation und Bebauung wird die Verschiedenheit der Gesteine
und deren Lagerung sich heute in dem Landschaftsbilde auf
zweierlei Weise zu erkennen geben: erstens in der Form der
Berge und zweitens in der Figur der Flufssysteme. Daher wird es
gut sein, sich über diese beiden Punkte zunächst kurz zu orientieren.
Von einem günstigen Standorte in der Nähe Basels bietet sich den
Blicken des Beschauers der Schwarzwald im Norden mit seinen schön ge-
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Geographische Zeitschrift. Jahrgang VII.
Tafel 2.
Die Flufdftufe im Norden und Süden des Rheines.
I>ie punktierte Linie im Norden l.edeutet die Diuken>rrK»p»lte , die beiden »udlicheu die
de* Ki-tteiijura
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Eine orographische Studie am Knie des Rheines.
141
rundeten Formen dar, die wie ein Haufwerk von Wollsäcken immer höher
ansteigen, wo Kuppel an Kuppel sieh reiht und am fernen Horizont zu einem
einzigen herrlichen Dome zu verschmelzen scheint. Die ebenmäßigen Formen
und die zusammenhängende Bewaldung, welche dem Ganzen trotz der zahl-
losen Gipfel eine wohlthuende Ruhe verleiht, zeugen von dem einheitlichen
Charakter der Gesteine in diesem Teil des Schwarzwaldes.
Ganz anders im Süden! Auch hier türmt sich ein Gebirge auf. Wie
eine einzige Wand, nein — bei näherem Zusehen — wie viele parallele
Mauern streicht der hohe Kettenjura in geschlossenem Zuge von Osten nach
Westen. Es sind langgezogene gerade Bergrücken, oft von weithin leuchtenden
Felsbändern begleitet und ab und zu von einem schroffen Querthal durch-
brochen, doch nur um auf diese Weise den nächsten gleichlaufenden Gebirgskamm
durchblicken zu lassen.
Das Gebiet in der Mitte zwischen Schwarzwald und Kettenjura macht
einen vollkommen verschiedenen Eindruck je nach dem Standort, von dem
es betrachtet wird. Befindet man sich im Thal, so sieht man nur schroffe
Bergwände; steht man aber auf der Höhe, so schweift das Auge über eine
weite Hochfläche, wenn auch von zahlreichen breiten Thälern unterbrochen
und von manchen kuppel- oder domförmigen ') Bergen überragt. Dieselbe
Oberflächenform reicht auch nördlich vom Rhein in das geographische Gebiet
des Schwarzwaldes hinein, aus welchem es die südwestliche Ecke gleichsam
ausschneidet mit auffallend scharfer Begrenzung durch die Linie Kandern-
Hausen-Säckingen. Nicht weniger unvermittelt ist im Süden der I bergang
vom Plateau zu den Ketten. Im Westen bricht der Tafeljura mit steilem
Rande gegen die fruchtbare Rheinebene ab, welch letztere hier bis an die
hohen Faltenzüge des Kettengebirges heranreicht.
Wenn aus dieser kurzen Skizzierung die Verschiedenheit der drei Gebirgs-
formen einleuchtet, so wird ein rasches Überblicken der Anordnung der
Wasserläufe desselben Gebietes das Bild vervollständigen.
In der Mitte schneidet von Osten nach Westen als Hauptstamm das
Rheinthal ein. Soweit die Gegend hier in Betracht kommt, münden von
Süden zwei größere Thäler, das Ergolz- und das Frickthal. Beide holen
in S-fÖrmig geschwungener Linie weit nach Osten aus und beide haben
sämtliche irgend bedeutenderen Nebenthäler auf der Südseite. Diese sind un-
gefähr geradlinig von Süden nach Norden gerichtet, sie durchbrechen
die nördlichste Kette des Faltenjura oder auch zwei derselben und
empfangen dort ihre Zuflüsse unter ungefähr rechtem Winkel von Osten
und Westen aus den zwischen den Ketten gelegenen Thälern. Der Abflufs
aus den Ketten nach Süden (zur Aar) geschieht in der nämlichen Weise.
Von Norden her münden ebenfalls zwei Thäler in den Rhein, die hier
Erwähnung finden sollen, dasjenige der Wiese und das der Wehra. Ersteres
ist beinahe das Spiegelbild des Ergolzthales, S-förmig nach Osten und Norden
geschwungen erhält es seine Nebenflüsse geradlinig von Norden, während von
Süden kein einziges Seitenthal einmündet. Erst von Hausen, dem Geburtsort
1) Ein solcher Berg östlich von Sissach heilst auch landläufig der „Domberg".
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142
F. v. Hucne:
llebel's, an schlängelt sich das eng gewordene Thal in unregelmafsigen
Krümmungen nach Nordosten und empfängt von beiden Seiten Zuflüsse.
Ähnlich das Wehrathai; in seinem nördlichen Teil läuft es dem Wiesenthal
ungefähr parallel und nimmt von beiden Seiten kleine Wässerchen auf, aber
vom Dorfe Wehr an zieht es in schnurgerader Linie nach Süden bis zum
Rhein und wird nur noch von der Ostseite her mit einigen Bächen gespeist.
Soweit was auf der topographischen Karte1) abgelesen werden kann!
Müssen nicht jedem aufmerksamen und denkenden Beobachter die S-förmigen,
im Norden und Süden spiegelbildlich ähnlichen Flufstbäler wie tief in die
Erdkruste vom Griffel der Natur eingravierte Fragezeichen (,,?u) erscheinen?
Und ist dieses aufgefallen, so werden die geraden, nur von einer Seite
kommenden Nebenthäler nicht weniger frappieren, und ferner der Umstand,
dafs die scheinbar so gesetzmäfsige Erscheinung nur auf das Gebiet zwischen
dem Kettenjura und dem eigentlichen Schwarzwald beschränkt ist, und dafs
die Flufsläufe in den beiden hohen Gebirgen selbst wieder andere, aber unter
sich verschiedene Anordnung zeigen.
Ist solches konstatiert, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf: wie
kam dies zu Stande? und weshalb wurde es gerade so und nicht anders?
woher die Gesetzmäßigkeit? Um diesen Dingen näher zu kommen, ist es
nötig, die geologische Geschichte der ganzen Gegend zu Hilfe zu nehmen.
So wollen wir nun die beschränkte Gegenwart verlassen und die Vorgänge
längst entschwundener Zeiten sich vor unserem geistigen Auge aufrollen
lassen.
In der Oligocänzeit begann die Einsenkung des Rheinthaies zwischen
Basel und Mainz, die Gebiete des heutigen Schwarzwaldes und der Vogesen
von einander trennend, welche von den Sedimenten der Trias und des Jura
bedeckt waren. Ungefähr um dieselbe Zeit machte sich im Zusammenhang
mit der Hebung der Alpen von Süden her eine tangentiale Druckwirkung
auf die grofse Sedimeuttafel des jetzigen Jura und die nördlich anliegenden
Gegenden geltend. Es wurden an dem Südrand die ersten Anfänge paralleler
Faltenzügo gebildet, also dort, wo heute der Kettenjura steht'). Nördlich
davon dehnte sich eine weite, flach ansteigende Schichtenplatte aus. Inzwischen
sank der Rheinthalgraben immer tiefer ein, es bildeten sich auf seinen beiden
Seiten hauptsächlich zwei mächtige Spalten, nur die Ränder seiner Süd- und
Südostseite blieben im Zustande einer steilen Flexur. Die Rheinthal Ver-
senkung und andere Einbrüche im Osten hatten zur Folge, dafs der Schwar/.wald
schliefslich horstartig hervorragte, nach < )sten und Westen von Staffelbrüchen
begrenzt. Die Erosion hatte nun ein leichtes Spiel und entfernte bald den
gröfsten Teil der Sedimente. (Diese Vorgänge reichen schon weit in das
Miocän hinein.)
Als Begleiterscheinung der Rheinthalbrüche bildete sich von Kanderu
aus nach Osten eine grofse Spalte bis Hausen und von da nach Süden ab-
schwenkend bis Säckingon. Die innere Seite dieser bogenförmigen Ver-
1) Am meisten zu empfehlen ist die „Karte von Basel und Umgebung'' 1 : 7500m.
Verla« von R. Reich in Basel.
2) Vom westschweizerischen Jura ist hier nicht die Rede.
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Eine orographische Studie am Knie des Rheines. 14;}
werfung senkte sich recht bedeutend ein, während die äufsere Seite im alten
Niveau stehen blieb. Auf diese Weise kamen horizontal gelagerte Trias-
schichten in die gleiche Höhe mit dem Granit und Gneifs des südlichen
Sehwarzwaldmassivs zu liegen. Dies mufste für die spätere Oberflächen-
gestaltung von bedeutendem Einflüsse sein.
Die Denudation machte grofse Fortschritte nicht nur in dem jetzt hoch
emporragenden Schwarzwalde, sondern auch in dem zunächst südlich an-
scfa liefsenden Gebiet, da das Wasser hier noch seine volle Wucht hatte. So
konnte sich die Vertiefung vorbereiten, die vom Rhein zwischen Schwarzwald
und Jura später benutzt wurde. Wir befinden uns jetzt auf der Schwelle
zwischen Tertiär und Diluvium1).
Fassen wir nun das Gebiet der Faltungen im Kettenjura ins Auge,
so braucht nicht erst gesagt zu werden, dafs vom ersten Moment der Auf-
wölbung an dem abfliefsenden Wasser die Bahnen vorgezeichnet waren. Von
dem Gewölbescheitel, der Antiklinale, mufs es auf dem kürzesten Wege in
die Synklinale, das Thal zwischen zwei Falten, hinunterströmen, hier sammelt
es sich in den sog. „Längsthälern". Um abfliefsen zu können, mufs es die
Kette quer durchbrechen in „Querthälern'', die im Jura „Klüsen1* genannt
werden. Die Durchbrechung der Ketten ist durchaus keine Kraftprobe un-
geheurer Wassermassen im Kampf mit himmelanstrebenden Bergen, wie der
Unkundige leicht denken könnte, wenn er z. B. auf der Jurabahn zwischen
Delemont und Biel die jähen Schluchten und pittoresken Felsabstürze be-
wundert, welche diese Querthäler zieren. Es liegt ja auf der Hand, dafs
von vornherein bei Beginn der Faltung das Wasser sich seinen Weg suchen
muffte. Damals war es ein leichtes, eino kleine Furche quer durch das
geringe Hindernis zu graben, sobald die Synklinalenmulde angefüllt war.
Je mehr aber die Falten zu Hügeln und zu Bergen anwuchsen, desto mehr
vertieften sich auch die Furchen zu Thälern und zu Schluchten. Beide Vor-
gange hielten Schritt. Dies brauchte aber nicht immer von Anfang an der
Fall zu sein. Es konnte auch eine spätere Wasseransammlung durch Uber-
fliefsen eine Scharte hervorrufen, die allmählich mehr vertieft wurde, oder es
konnte die rückschreitende Erosion von einer oder auch von zwei Seiten zu-
gleich eine schon vorhandene Kette durchnagen. Bei all den möglichen
Fällen wählte das Wasser zur Durchbrechung meist tektonisch schwache
Stellen aus.
Durch verschiedene und zum Teil recht komplizierte tek tonische Vor-
gänge wie Faltenverwerfung, Überschiebung u. s. w. wurden auch weichere
Gesteine als die die oberste Decke bildenden Weifsjuraschichten der Erosions-
arbeit des Wassers zugänglich und so konnte die Zahl und Mannigfaltigkeit
der Thäler, speziell der Längsthäler, eine gröfscre werden! Häufig durch-
ziehen Störungslinien die Gewölbe der Länge nach und solche bieten dem
Wasser wirksame Angriffspunkte; die Erosion steigt von den Querthälern im
Osten und Westen herauf und bald ist das Gewölbe in zwei, drei oder mehr
1) Von der zeitweiligen Meeresiiberflutung im Oligocän (Rheinthal) und mittleren
Miocän (Rheinthal und Tafeljura) brauchte hier nicht die Rede zu sein.
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144
F. v. Hiicnc:
parallele Ketten zersägt. Die gegenseitig konvergierende Schiehtenstelliing
zeigt die ursprüngliche Zusammengehörigkeit solcher Bergrücken heute noch
au. Auch in der äufsereu Gestaltung weisen die primären und die sekundären
Längsthäler oder wie man zu sagen pflegt die Synklinalen und die Anti-
klinalenthälcr frappante Differenzen auf. Z. B. das Thal von Baistal und d.^-
jenige von Moutier, welche zur ersten Kategorie gehören, haben eine breite
Mulde und gleichmäßig bewaldete CJehänge, die mit mäfsigem Winkel an-
steigen, während die stets viel kürzeren und unregelmäfsigeren Antiklinalen-
thäler, deren es im Gebiete des Pafswang einige sehr typische giebt, schlucht-
artig oft von mehreren übereinander liegendeu Galerien von Felsbändern
eingefafst werden, zwischen welchen ebenere Terrassen folgen als Ausdruck
des Wechsels der Gesteine in den verschiedenen Höhenlagen der Thalwändc.
Solche Felshorizonte sind namentlich der Hauptrogenstein und der oben-
weifse Jura. Häufig kommt es vor, dafs die weicheren Gesteine zwischen
diesen beiden wiederum so tief aufgerissen werden, dafs ein tertiäres Längs-
thal entsteht. Eine charakteristische amphitheatralische Gestalt nimmt der
Abhang des Gewölbekerns gegen ein Querthal an, da hier die tieferen weichen
Schichten ausgewaschen werden und die härteren Flanken stehen bleiben;
das ist in der Nähe von Langenbrink sehr schön zu beobachten.
Wie das Bild auch im einzelnen modifiziert sein mag, jedenfalls sehen
wir im Faltengebirge Quer- und Längsthäler ungefähr unter rechten Winkeln
zusammenstofsen und die erstereu entführen das Wasser nach Norden und
Süden.
Ganz anders verhält sich der Schwarzwald. Hier konnten keine
Faltungen dem Wasser seine Bahnen vorschreiben , weil solche nicht vor-
handen waren. Nach allen Seiten standen ihm gleichmäfsig die Wege offen.
Daher verlaufen auch die Thäler in normalster Weise radial nach den
Rändern des Gebirges. Infolge dessen bilden die hohen Kammlinien des
südlichen Massivs ungefähr sternförmig verzweigte Systeme mit unzähligen
kleinen Seitenästen. Die Erosion hat sich bis tief ins Grundgebirge hinein-
gefressen, nur dem östlichen Theile ist die Buntsandsteindecke erhalten ge-
blieben (mit plateauartigen Bergformen).
Wenden wir uns nun wieder zu dem Gebiet zwischen Schwarzwald und
Kettenjura, und zwar um die Wende von Tertiär und Diluvinm. Im Norden
der Ketten dehnte sich ein weites Hochplateau aus, das bis an die Ab-
senkungsspalte Kandem — Hausen — Säckingen reicht, Diese ganze flache
Sedimenttafel ist im Westen von der Rheinthalflexur begrenzt, über welche
hinab zur Ebene ihr Wasser abfliefsen mufs. In der Mitte bildet sich eine
durch lokale untergeordnete tektonische Bewegungen begünstigte nach Westen
gerichtete Rinne. Eine schwach westliche Neigung bewirkt, die ebenfalls
westliche Richtung der entstehenden Hauptseitenthäler, Wiesen-, Ergolz- und
Frickthal.
Das Frickthal zieht direkt nach Nordwesten, bis die Hauptabzugrinne,
das jetzige Rheinthal erreicht ist. Die Ergolz liierst nach Westnordwesten
bis Liestal, biegt aber dort nach Norden ab, sei es dafs die härteren Ge-
steine der rauracischen Malmfacies sich ehemals vom Genipenplateau so weit
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Kino orographische Studie am Knie des Rheines. J45
nach Osten erstrecken, sei es dafs gewisse untergeordnete tektonische *
»Störungen dies veranlagten. Das Thal der Wiese endlich zieht genau nach
Westen bis zum Rande der Flexur (nördlich von Lörrach) und biegt erst
hier nach Süden um, dem Plateaurande folgend bis Basel.
Die Bildung der Seitenthäler dieser drei Flüsse beansprucht ein nicht
geringes Interesse. Es ist schon angedeutet, auf welche Weise die Drainierung
des Kettenjura vor sich geht und vor sich gehen mufste. Die Durchbruchs-
thäler leiten alles Wasser nach Norden, resp. Süden, ab. Nördlich von den
Ketten dehnte sich das Hochplateau des jetzigen Tafeljura in weiter Fläche
aus. Die von zahlreichen Punkten in bestimmten Abständen von Süden her
auf dasselbe geleiteten Wassermassen strömten auf dem kürzesten Wege der
Rheinthalrinne, resp. dem sich früher quer vorlegenden Ergolz- oder Frick-
thale zu. So kommt es, dafs die Oberflächengestaltung des Faltenjura die-
jenige des Tafeljura bedingt, denn hier kam im allgemeinen nur einfache
Erosion in Betracht. Die Tektonik dieses Gebirgsteiles ist nicht dazu an-
getban, den Flufssysteinen ihre grofsen Linien vorzuschreiben, wohl aber
treten Einzelheiten des Gebirgsbaues durch die Wasserbäche angeschnitten
sehr schön zu Tage. Dies soll unten zur Sprache kommen. Mit den an-
geführten Verhältnissen hängt es auch zusammen, dafs das Gebirgsstück
nördlich des Ergolz- oder Frickthales keine gröfseren Wasseradern aufzuweisen
hat und dafs die wenigen doch vorhandenen kleinen Bäche stets nach dem
Rhein selbst fliefsen. Sie haben nordwestliche Richtung wie das Ergolz- und
Frickthal, was ja auch natürlich, da sie relativ alt sein müssen und wohl
mit jenen gleichzeitig entstanden sind; arbeitet doch die Erosion in den
Thälern von unten nach oben.
Ganz analog liegt die Sache bei dem Flufssystem der Wiese. Es ist
gesagt worden, weshalb die Thäler des südlichen Schwarzwaldes ziemlich
radial nach Süden und Südosten ausstrahlen. Die Wiese selbst, soweit sie im
Urgebirge verläuft, ist einer der gröfsten Abflüsse. Sobald aber das südlich
anliegende Plateau erreicht wird, biegt sie wie schon erwähnt, dessen west-
licher Neigung folgend, dorthin ab. Die anderen westlich von der Wiese im
krystallinen Gebirge nach Süden fliefsenden Gewässer setzen auf dem Plateau
ihren Lauf einfach gerade fort, da diesem keine Ursache innewohnte, ihnen
ein Hemmnis in den Weg zu legen Sie werden von der Wiese abgefangen,
daher fehlen auch der Höhe von Adelhausen (Dinkelborgplateau z. Th.) alle
gröfseren Wasseradern.
Wie schon hervorgehoben, "scheint die Wehra sich etwas anders zu ver-
halten. Dies ist aber trotzdem auch auf dieselben Faktoren zurückzuführen,
welche den geschilderten Verlauf der anderen Flüsse veranlal'sten. Bis Wehr
ist das Wehrathai dem oberen Wiescnthal prinzipiell ähnlich, da es wie dieses
im krystallinischen Gestein eingesägt ist. Von hier an jedoch wird es rechts
von triassischen Sedimenten des Dinkelbergplateaus begleitet, links bleibt der
1) Es ist nämlich anzunehmen, dafs zu etwas späterer Zeit das Plateau
nicht mehr nach Westen geneigt war; eine schiefe Fläche bildete es wohl nur so-
lange die Dinkelbergscnkung noch nicht ganz abgeschlossen war. Das Wiesenthal
selbst als das grüfste ist jedenfalls das älteste, die Nebenthäler sind jünger.
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F. v. Huene:
Gnoifs. Das Thal verlauft also in seiner unteren Hälfte auf der grofsen Ver-
werfung Kandem — Hausen — Säekingen. Wirkungen desselben Vorganges,
welcher die Wiese nötigte, nach Westen abzubiegen, zwangen die Wehra,
eine direkt südliche Richtung einzuschlagen. Von Osten münden einige kleine
Bäche ein, von Westen dagegen empfängt sie mit Ausnahme des einen bei
Wehr keine Nebenflüsse, da die Wiese dort alles Wasser abfängt. Das eine
bei Wehr einmündende Thal kommt direkt von Norden au9 dem Urgebirge.
Im Bisherigen haben wir die Ursachen betrachtet, welche mit zwingender
Notwendigkeit gerade dieses Linienbild der Flulssysteme hervorbringen mufsten.
Die Anbahnung seiner Grundzüge reicht weit zurück. Wir haben gesehen,
wie dasselbe in den drei Gebirgskomplexcn ein durchaus verschiedenes Ge-
präge annimmt und speziell im Gebiet des Plateaus einen sozusagen passiven
Charakter trägt, und haben erkannt, dafs dies auf das Wesen des Gebirgs-
baues zurückzuführen ist. Im Anfang wurde der Satz aufgestellt, dafs
der Typus des Schichtenaufbaues sich nicht nur in der Art der Drainierung,
sondern auch in den Formen der Berge zu erkennen giebt. Für die drei
Hauptformen, Kuppeln im Urgebirge, lange Kämme im Kettenjura und
Plateaus im Tafeljura, mag es genügen, auf die oben gegebenen Skizzierungen
ihres allgemeinen Habitus zu verweisen. Es soll nur noch an einigen Bei-
spielen aus dem Ergolzgebiet erörtert werden, wie Einzelheiten der Tektonik
bestimmte Erosionsformen hervorbringen.
Die Thalränder sind im allgemeinen steil, wie dies durch Abschneiden
der wenig geneigten Schichten bedingt wird. Die gleichen jähen, mit
scharfer Kante beginnenden Abhänge finden sich in den Flufsthalern des Tafel-
jura wie auch des Dinkelbergplateaus. Wer das Frickthal zwischen Frick
und Effingen kennt oder die Berge bei Sommerau, wird unwillkürlich an
Verwandtes erinnert durch den Anblick des Plateaurandes zwischen Grenzach
und Herthcn bei Rheinfelden (Dinkelberg). In der Umgegend von Liestal,
aus der ich jetzt einige Beispiele herausgreifen will, nimmt der schwer ver-
witternde ca. 100 m mächtige Hauptrogenstein (mittl. brauner Jura) den
gröfsten Flächenraum ein und bedingt vornehmlich die Landschaft. Da die
Gegend von zahlreichen nach Nordosten streichenden Verwerfungen durch-
schnitten ist, tritt er in sehr verschiedenen Höhenlagen auf. Er wird durch
besonders steile, meist mit Buchen bewaldete Abhänge gekennzeichnet und
tritt auch nicht selten in kühnen Felsen hervor (Sissacherfluh). Über und
unter ihm befinden sich weichere Schichten, die fruchtbare Erde liefern und
sich stets durch sanftere Formen zu erkennen geben. Die oberste Decke
bilden nochmals harte Malmkalke (die in den meisten Fällen allerdings durch
Erosion entfernt sind). Dem entsprechend findet man auf dem Blomd bei
Bubendorf eine ebene Fläche aus oberem weifsem Jurakalk, der nach den
Seiten steile Abhänge bildet, dann folgt (auf der Nordseite bei Engelsburg)
eine terrassenartige Stufe, deren Steilrand nach unten aus Hauptrogenstein
. gebildet wird. Ebenfalls zwei deutliche Stufen zeigt die Tennikerfluh nach
Westen und Nordwesten, hier aber sind sie beide Male aus Hauptrogenstein
zusammengesetzt, da eine grofse Verwerfung zwischen ihnen durchgeht. Eine
riesige Platte aus dem nämlichen Gestein ist der Schlcifenberg bei Liestal,
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Eine orograph isehe Studie um Kniendes Rheines.
147
dessen Schichten nach Südosten ansteigen. Dies tritt schon orographisch
deutlich hervor; seine Fortsetzung findet er im „grofsen Grammont". Beide
sind durch ein breites Einbruchsthal, das Windenthal, getrennt, zu welchem
geologisch auch der Plänetzen gehört, der orographisch eine Vorstufe des
Grammont ist. Hier, also gegen 200 m niedriger, trifft man wieder die
gleichen Schichten des Hauptrogensteins wie auf dem Schleifenberg und dem
Grammont zu beiden Seiten; es ist ein abgesunkenes Gebirgsstüek. Eine un-
erwartete Abwechslung zwischen den steilen, bewaldeten Berghängen bieten die
sanft ansteigenden Wiesenflächen nördlich von Sissach. Sie befinden sich auf
weichen mergeligen und thonigen Schichten des Keuper, Lias und untern
braunen Jura, die durch Dislokationen auf das gleiche Niveau gebracht sind
und sich teilweise gegen das Thal hin neigen.. Scharf heben sich ringsherum
die Rogensteinwünde ab.
Auf manchen der Verwerfungen1) haben sich später Thäler ausgefurcht,
so die untere Hälfte des Oristhales, die grofse Thalweitung südlich von
Sissach u. a. m. Häutig sind die Spalten auch durch jäh abschneidende
Berghäng e markiert, so ist die Zun/.gerhardt auf beiden Seiten (Ost u. West)
von solchen eingefafst. Mitunter aber streichen die Verwerfungen quer oder
schief über einen Berg hinUber, wie z. B. an der Winterhalde, südwestlich
von Hingen. Nur bei genauerem Zusehen findet man auch hier einige Spuren
in der äufseren Form, indem nämlich auf der Nordostseite sich auf der Ver-
werfung eine tiefe Runse gebildet hat. Der Grund für das merkwürdig un-
deutliche orographische Hervortreten dieser Spalte liegt darin, dafs Haupt-
rogenstein und Weifsjurakalk in dem gleichen Niveau anstehen, fast horizon-
tal aneinanderstofseu und beide der Erosion ungefähr denselben Widerstand
entgegensetzen. Wo die sterilen Effingermergel (unt. weifser Jura) gröfsere
Flächen einnehmen, bilden sich unfruchtbare weite Mulden, von magerem Gras
und einigen Kiefern bestanden. Ein gutes Beispiel hierfür bietet die Gegend
östlich von Ramlinsburg. Dort stofsen auf der Fläche die für Kultur sehr
günstigen Variansschichten (oberer Dogger) an einer Spalte gegen die er-
wähnten Effingerschichten, der Unterschied in der Vegetation ist im Sommer
und Frühling geradezu erstaunlich und durch keinerlei Anstrengungen der
Landleute zu verwischen.
Beachtenswert sind auch die Quollen in diesem von Spalten durchzogenen
Gebiet. Ein grofser Teil derselben entspringt direkt auf den Verwerfungen
und namentlich in trockenen Zeiten sprudeln nur noch diese letzteren reich-
lich, während die übrigen rasch versiegen. Dieser Umstand mag darin seine
Erklärung finden, dafs die Spalten so aufserordentlich dicht beisammen liegen.
Die Verwerfungsquellen haben ein grofses Reservoir hinter sich, die Schichten-
quellen in diesem Falle nur ein sehr kleines.
Das Hervorspringen der Quellen, die Formen der Berge, die Anordnung
der Flufsläufe — das alles ist bedingt durch dio Schichten- und Gesteins-
folge sowie durch die Tektonik.
1) Näheres über die Tektonik ist einzusehen in meiner „geologischen
Beschreibung der Gegend von Liestal" mit einer Karte 1 : 25 000. Verh. d. Naturf.
Ges. in Basel. Bd. XII, H. 3. 1U00.
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14H
Alois Kraus:
Wir haben gesehen, wie Schwarzwald und Kettenjura infolge ihres
geologischen Aufbaues die ihnen eigentümlichen Flufssysteme annehmen
mufsten und wie hierdurch die Wasserlaufe des Tafeljura bestimmt wurden
und sich in der Folge ausbildeten. So war für die drei Gebirgskomplexe die
Art und Weise der Erosion gegeben. Letztere formte auf dem ihr nunmehr
vorgeschriebenen Wege die drei unter sich so verschiedenen Gebirgstypen.
Indem ein Gebiet früher als das andere anfangt, vom Wasser zernagt
zu werden, kann es ein anderes beeinflussen und ihm seine Zukunft dik-
tieren. Eine Gegend kann sich gleichsam aktiv, die andere passiv verhalten.
So ist durch gewisse Schachzüge die Entscheidung für das ganze Spiel ge-
fallen oft lange bevor ihre Wirkung sich zeigt.
Bericht über den internationalen Kongrefe für Wirtsehafts- nnd
Handelsgeographie in Paris.
(27.— 31. August 1900.)
Von Dr. Alois Kraus.
Jede allgemeine Ausstellung, führt Huber in einer bereits 1886 er-
schienenen aber noch immer wertvollen Schrift1) aus, ist bis zu einem ge-
wissen Grade ein praktischer Kursus der Wirtschaftsgeographie. So war es
denn seitens der verdienstvollen handelsgeographischen Gesellschaft in Paris
eine recht glückliche Idee, gelegentlich der Jahrhundert- Ausstellung auch
einen allgemeinen Kongrefs für Wirtschaftsgeographie zu veranstalten, an
welchem sich das außerordentlich gesteigerte Interesse au den vielseitigen
Fragen dieser Disziplin bekunden konnte.
Dieselben Männer, welche bereits 1873 an der Organisation des
ersten ebenfalls zu Paris abgehaltenen Fach-Kongresses dieser Art bedeuten-
den Anteil genommen haben, der bekannte Nationalökonom und Geograph
Levasseur, der hervorragende Forschungsreisende Monnier, der unermüdliche
und herzgewinnende Goneral-Sekretär der Gesellschaft Gauthiot, waren auch
jetzt die Seele der ganzen Veranstaltung. Dieser Umstand ersetzte den
Mangel einer ständigen internationalen Organisation und ermöglichte eine
gewisse Konzentration der gehaltenen Vorträge. In dieser Absicht waren
frühzeitig bestimmte Fragen zum Studium empfohlen und für jede einzelne
aus der Mitte der Gesellschaft Berichterstatter gewählt. Für die Gruppen-
bildung war im allgemeinen jenes Schema angenommen, welches bei der
vorerwähnten Gesellschaft in Kraft ist: I. Forschungsreisen und Verkehrs-
wege. II. Natur- und Kunstproduktion. III. Auswanderung und Koloni-
sation. IV. Unterrieht.
Da von den ungefähr 70 Vorträgen die wenigsten in gemeinsamen
Sitzungen, die meisten in den gleichzeitig tagenden Sektionen abgehalten
1 Die Ausstellungen und unsere Exportindustrie 18*6.
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Intern. Kongrefs für Wirtschaft«- u. Handelsgeographie in Pari«. 149
wurden, da ferner die öffentlichen Journale angesichts der grofsen Zahl der
abgehaltenen Kongresse nur die allerdürftigsten Notizen brachten, wäre
eine Berichterstattung über den Verlauf des Kongresses aufserordentlich er-
schwert, wenn nicht glücklicherweise einzelne wichtigere Vorträge bereits im
Druck erschienen wären.
Es sei mir gestattet, mit einer kurzen Besprechung der zur 4. Sektion
gehörigen Ausführungen, zunächst der glänzenden Eröffnungsrede des Präsi-
deuten Levasseur zu beginnen. Levasseur, der Bahnbrecher des wirtsehafts-
geographischen Unterrichts in Prankreich, zog die Stellung dieser Disziplin
zu den anderen Zweigen der Erdkunde, ihre Aufgabe und ihre Methode in
den Kreis seiner Betrachtung. Mit der politischen bilde die Wirtschafts-
geographie jenen Zweig der Gesamtdisziplin, welcher sich mit den Schöpfungen
des Menschen befasse und welchen man mit einer gewissen Kühnheit der
Sprache als Geographie des Menschen bezeichne. Aufgabe der Wirtschafts-
geographie, von welcher die des Handels nur einen Teil darstelle, sei es nun, die
wirtschaftlichen Erscheinungen als Ergebnisse des langen Kampfes des
Menschen mit der Natur vorzuführen, ihre Methode, die natürlichen, mitunter
auch die historischen Bedingungen der gesammten Produktion, vor allem
aber der landwirtschaftlichen zu erörtern, hernach die Verteilung und Gröfse
derselben, aber keineswegs ihre Technik. Die Verkehrswege und Verkehrs-
mittel, deren Darlegung den zweiten wichtigen Teil der Wirtschaftsgeographie
bilde, seien in ihrem innigen Zusammenhang mit den physischen Verhält-
nissen der Erdräume und der kulturellen Entfaltung derselben zu betrachten.
Der Zustand des Binnenhandels und der noch deutlicher erkennbare des
Aufseuhandels sei als eine Art Thermometer für die gesamte wirtschaftliche
Entwicklung eines Gebietes anzusehen. Mit der Betrachtung von Produk-
tion, Verkehr und Handel seien die Bevölkeruugsverhältnisse in Zusammen-
hang zu bringen, so das Anwachsen der Bevölkerung, die Dichte und Ver-
teilung derselben und das Anschwellen der Grofsstädte. Damit ungefähr
sei der Kreis von Materien erschöpft, welche von der Wirtschaftsgeographie
umfafst werden.
Die angedeuteten Ausführungen Levasseur's über die Methode der Wirt-
schaftsgeographie zeigen im allgemeinen eine erfreuliche Übereinstimmung
mit den in der deutschen Litteratur vertretenen Ansichten. WTeniger Beifall
dürfte dagegen die hier gegebene Gliederung der Kulturgeographie finden.
Es bedarf wohl auch die Aufgabe der Wirtschaftsgeographie einer schärferen
Formulierung. Der Rahmen eines Festvortrags bietet hierfür allerdings nicht
die passende Gelegenheit.
Mit grofser Spannung haben wir dem Referat des bekannten Verfassers
des Precis de Geographie Economique1), Marcel Dubois, über die beste Me-
thode des wirtschaftsgeographischen Unterrichts entgegen gesehen. Indes
hatten seine formvollendeten und rhetorisch überaus wirksamen Darlegungen
weniger die Methodik selbst zum Gegenstand. Es fehlte allerdings nicht an
treffenden Bemerkungen, so über die Notwendigkeit, die physische Geographie
J) Paria, MaBson. 1897.
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150
Alois Kraus:
dem Unterrichte zu gründe zu legen, über die Verkehrtheit statistischer
Gegenüberstellungen ohne Berücksichtigung der Natur der Länder, wie etwa
beim Vergleiche des Bahnnetzes Spaniens und Hollands. Für die Unterrichts-
praxis erscheint mir ferner der Wink recht beherzigenswert zu sein, den
wirtschaftsgeographischen Unterricht durch Stellung von Aufgaben zu be-
leben und damit die Selbständigkeit .der Schüler anzuregen. Der gröfste
Teil der Rede war jedoch einer Fernerstehenden unverständlichen Polemik
gegen Historiker, Sociologen und die ,.reinen Geographen" gewidmet, welche
in Frankreich die Wirtschaftsgeographie aus den Schulen zu gunsten ihrer
Disziplinen zu verdrängen bestrebt seien.
Besonderes Interesse erregte der gehaltvolle Vortrag Professor Siegers,
der seine in der Doppelstellung eines Universitätslehrers und Vertreters der
geographischen Disziplin an einer Handelshochschule (Export- Akademie in
Wien) gewonnenen methodischen Anschauungen in folgender Weise zusammen-
fafste:
Jeder Hochschulunterricht habe sich im allgemeinen von dem Mittel-
schulunterricht durch den wissenschaftlichen Charakter zu unterscheiden,
durch das Streben, den Hörern nicht blofs Kenntnisse zu vermitteln, sondern
auch die Fähigkeit selbständigen methodischen Urteils und eigener Forschung
zu wecken. Eine Konsequenz davon sei auch eine strenge Wahrung des
geographischen Charakters einer Disziplin, in die man so oft nationalökono-
mische und andere disparate Dinge presse, ja die man geradezu in National-
ökonomie aufgehen lasse. Dagegen bestehe zwischen den Handelshochschulen
und den Universitäten ein Unterschied zwischen den Endzielen des Unterrichts
in der Richtung, nach welcher hin die selbständige Forschungsarbeit des
Hörers sich zu bewegen habe, ein Unterschied, den die verschiedenartige
Vorbildung der Hörer noch verstärke. An Handelshochschulen ist die Wirt-
schaftsgeographie ein Teil des kommerziellen Unterrichts; man wird daher
aus den geographischen Thatsachen wirtschaftliche Schlüsse zu erzielen
suchen. An den anderen Hochschulen ist er ein Teil der Geographie als
Wissenschaft; mau wird daher trachten, aus geographischen Thatsachen
Schlüsse geographischer Art zu ziehen. Sieger zweifelt, ob die als Wirt-
schaftsgeographie zusammengefafsten Disziplinen unter einen einheitlichen
geographischen Gesichtspunkt zu bringen seien, wohl aber diene jede von
ihnen der Anthropogeographie. Sie ordnen sich also für die Lebrthätigkeit
an der Universität in die Anthropogeographie ein. — Und noch einen Schritt
weiter könne diese thun, sie habe auch die rein geographischen Wirkungen
jener ökonomischen Faktoren zu untersuchen, die nur zum Teil von der
Wirtschaftsgeographie aus geographischen Momenten sich erklären lassen.
Strenger genommen haben wir also, das deutet der Redner zum Schlüsse
an, eine doppelte Aufgabe der Wirtschaftsgeographie vor uns: die geogra-
phischen Momente hervorzuheben, welche wirtschaftlich wirksam sind, und
die geographischen Wirkungen wirtschaftlicher Verhältnisse aufzuweisen. —
Die anregenden Ausführungen Siegers zeigen am besten die Notwendigkeit,
den ganzen Komplex von Fragen über Stellung, Aufgabe und Methode
Unserer Disziplin trotz der grundlegenden Arbeiten von Götz einer noch-
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Intern. Kongrefs für Wirtschafts- u. Handelsgeographie in Paris. 151
maligen systematischen Erörterung zu unterziehen. Referent behält sich vor,
in einem späteren Aufsatz über den derzeitigen Stand der wirtsehafts-
geographisehen Litteratur auf diesen Vortrag näher einzugehen.
Der Ansicht Sieger's, dafs der wirtschaftsgeographische Unterricht an
der Universität in den engen Schranken der Anthropogeographie bleiben müsse,
könnte man die Mitteilungen Prof. Brunhes (Freiburg) entgegenstellen, dafs
viele Männer, die sich derzeit in leitenden kaufmännischen Stellungen oder
im Dienste von Handelskammern befänden, ihre Ausbildung in den geogra-
phischen Seminaren und Vorlesungen deutscher Universitäten, namentlich in
Marburg, gefunden hätten. An einen Vortrag desselben Redners über die
psychologischen und pädagogischen Unterschiede der einseitig statistischen
und andererseits der geographischen Fassung der Wirtschaftsgeographie
knüpfte sich eine sehr rege Debatte über das zulässige Mafs der Heranziehung
statistischen Materials an. Die Majorität der Sektion sprach sich begreif-
licherweise dahin aus, dafs dasselbe in abgerundeten Summen zur Be-
leuchtung der wirtschaftlichen Entwicklung und des gegen wärti gen wirt-
schaftlichen Standes in einer sparsamen und wohlerwogenen Auswahl zu
verwerten sei. — Man konnte sich während der Verhandlungen des Kon-
gresses dem Eindruck nicht entziehen, däfs dieser angewandte Zweig der
Geographie, welcher vornehmlich auf Anregung Levasseurs in das offizielle
Programm vieler auch nicht kaufmännischer Schulen aufgenommen ist, in
den weitesten Kreisen grofsem Interesse begegnet. Eine Bestätigung bot
vor allem die an geschichtlichen Rückblicken und beherzigenswerten An-
regungen reiche und gründliche Ausführung Prof. G. Burgoing's über die
Organisation des wirtschaftsgeographischen Unterrichtes in den Fortbildungs-
kursen1).
Ein Praktiker, der Direktor des „Passager", Dr. Bachmann, entwickelte
ein Programm seiner in Angriff genommenen „Wirtschaftsgeographie", welche
vornehmlich den Gesichtspunkt inländischer und ausländischer Verkehrs-
beziehungen verfolgen soll. Die Erfahrungen und Kenntnisse dieses Herrn
bürgen dafür, dafs die Durchführung der irn Vortrage geäufserten Gedanken
eine gewifs wertvolle Verkehrslehre im weitesten Sinne des Wortes ergeben
wird. Schwerlich aber dürfte nach den gemachten Andeutungen die Anord-
nung und Verknüpfung des Stoffes eine der geographischen Methode ent-
sprechende werden. *
Die Schwierigkeit, welche jede spezielle und allgemeine wirtschafts-
geographische Darstellung wegen des weit zerstreuten, aus verschiedeneu
Wissensgebieten heranzuziehenden Materials begegnet, wäre durch eine syste-
matische Sichtung und Zusammenstellung der Litteratur in bedeutendem
Habe vermindert. Gerade für das Reich, in welchem nach Prof. Rein die Be-
schaffung statistischen Materials bei einem bedeutsamen Produktionszweig,
l) Einige bezeichnende Stellen des Referates mögen hier wiedergegeben sein:
*La Conference geographique , la coniVrence coloniale est la plus demandee.« >ün
reclame a peu pres sur tous les points, les causeries qui out pour objet les
possessions exterieures de la France; les divers episodes de la conquetu au Tonkin,
ä Madagascar etc. ont ete" racontees dans des millicrs d'ecoles en 1898— 1899.«
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152 Alois Kraus:
wie es die Seidenindustrie ist1), noch vor kurzer Zeit unmöglich war, kün-
digte Prot'. Pujal y Serra aus Barcelona eine derartige Quellenkunde an.
Natürlich soll Catalouien in erster Linie berücksichtigt werden.
Neben methodischen und didaktischen Erörterungen sollten in der 4.
Gruppe auch Vorträge über die wirtsehaftsgeographischen Fortschritte be-
stimmter Länder während des 19. Jahrhunderts geboten werden. Dem Kon-
grefs wurde ein Aufsatz über die wirtschaftliche Entwicklung der Republik
Argentinien im 19. Jahrhundert von dem Advokaten Daireaux überreicht, in
welchem lediglich der Zusammenhang der wirtschaftlichen Entwicklung mit
der Erschliefsung weiterer Gebiete durch die modernen Verkehrswege betont
wird. Die physikalischen Grundlagen der Wirtschaft sverhältnisse werden nur
gelegentlich gestreift.
In der ersten Sektion, welcher das Thema Forschungsreisen und Ver-
kehrswege vorbehalten war, erstattete Dr. Spiro das Referat über die Frage
der zweckmäfsigsten Organisation kaufmännischer Forschungsreisen mit be-
sonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in den afrikanischen Kolonien
Frankreichs. Unerläfslich sei die Beschränkung der Zahl der Expeditions-
teilnehmer auf das mindeste Mafs. Nur so liefsen sich kriegerische Verwick-
lungen, Schwierigkeiten der Überwachung und Verpflegung grofser Massen
vermeiden. In die Augen springend sei der Vorteil gröfserer Beweglichkeit.
Die Beteiligung von drei Europäern hält Dr. Spiro für ausreichend. Dein
Expeditiousleiter, der mit den Verbältnissen des Landes bereits vertraut sein
müsse, sei die Routenaufnahme zu übertragen, dem kaufmännischen Teil-
nehmer obliege neben dem Intendantlirdienst die genaue Erkundigung und
Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse: der Produktion, der Möglich-
keit ihrer Steigerung und Verwertung unter Berücksichtigung des dortigen
Arbeitermaterials, der Bedarfsartikel, des regional so häutig wechselnden
Geschmackes, der gebräuchlichen Zahlungsmittel, der bisherigen Bezugs- und
Absatzgebiete, sowie der bisherigen Handelsvermittelung. Niemals dürfe die
Expedition auf sofortige kaufmännische Erfolge bedacht sein. Ein natur-
wissenschaftlich gebildeter Arzt genüge für alle übrigen Aufgaben. Diesem
werde die Orientierung über die natürliche Produktion des Forschungsgebietes
zufallen. Handstücke nutzbarer Materialien und Erze, Präparat« der Fauna,
vor allem aber eine möglichst sorgfältige Sammlung von Nutzpflanzen sollen
behufs Anstellung genauerer Studien in die Heimat mitgeführt werden. Es
folgten nun weitere Einzelheiten über die Ausrüstung .der Expedition und
die schliefslichen Aufgaben derselben in der Heimat. — Den Zuhörern
wurden durch den Vortrag alle Erscheinungen und Schwierigkeiten des pri-
mitiven Handels in Gebieten mit unentwickelten Verkehrsformen in lebhafter
Weise veranschaulicht,
Die grofsen Veränderungen, welche dem Handel aus den grofsen Fort-
schritten des Verkehrswesens im neunzehnten Jahrhundert erwuchsen, wurden
1 Heiträge zur Kenntnis der spanischen Sierra Nevada von Dr. Johannes Rein,
Professor in Bonn. Abhandlungen «1er k. k. geogr. Gesellschaft in Wien 18'J'J.
S. 306.)
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Intern. Kongrefs für Wirtschafts- u. Handelsgeographie in Paris. 153
wiederum durch die geistreiche Darstellung Levasseur's /um Bewufstsein ge-
bracht. Auch diejenigen, welche mit den entsprechenden Kapiteln des Ver-
kehrswesens durch die Darstellungen eines Sachs, van der Borght u. s. w.
vertraut sind, mufste die eigenartige Gruppierung und Beleuchtung des
Stoffes fesseln.
Das Thema der wirtschaftlichen Bedeutung der Seewege, welches während
der letzten Jahre in Deutschland an der Tagesordnung war, wurde gewifs
nicht zufälligerweise von dem genauen Kenner der Wirtsehaftsverhältnisse
des Reiches, dem Verfasser des Buches vom industriellen Aufschwung
Deutschlands, Prof. Blondel1) in gewohnt gründlicher Art behandelt. Die
grofse Entwicklung der deutschen und der Rückgang der französischen
Handelsflotte wurde von Payart, welcher die Handelsmarine der europäischen
Völker zum Thema gewählt hatte, ganz besonders hervorgehoben und auf
ihre wirtschaftlichen Ursachen zurückgeführt.
Begreiflicherweise kamen auch in dieser Sektion Verkehrsfragen zur
Verhandlung, welche ein vorwiegendes Interesse für Frankreich haben. Es
wurde aber mit Recht abgelehnt, dafs sich der Kongrefs auf Grund eines
einzelnen Vortrages seitens des Herrn Claparede (Genf) zu gunsten der
kürzesten Route zwischen Paris und Mailand über Lons le Saunier8), Gent
und den Simplon ausspreche. Ebensowenig hielt er sich angesichts der oft
hervorgehobenen technischen Schwierigkeiten für kompetent, sich für das
von Herrn Henequin befürwortete Projekt eines bis Paris reichenden Seekauais
einzusetzen.
Das Programm der 2. Sektion umfafste Vortrage über Natur- und
Kunstproduktion, namentlich in ihren Beziehungen zum Außenhandel; insbe-
sondere waren über folgende Fragen Referate zu erstatten: 1. Über Mittel
und Wege, die industriellen Erzeugnisse den Bedürfnissen des Aufsenhandels
und den Anforderungen der verschiedenen Völker anzupassen. 2. Über die
Organisation von grofsen Märkten. 3. Über den Charakter und die Ausge-
staltung von Handelsmuseen. Im allgemeinen also Fragen, die direkt nicht
in den Bereich der Wirtschaftsgeographie gehören und nur als Veranstal-
tungen heranzuziehen sind, durch welche der Aufsenhandel gefördert werden
soll. Kein Geringerer als der Chef des geographischen Dienstes beim
Ministerium der Kolonien Camille Guy hatte das Referat über die zuerst
gestellte Frage übernommen. Er wies auf das allgemeine Streben der
Nationen hin, sich industriell zu entfalten und den Überschufs der Erzeug-
nisse im Aufsenhandel umzusetzen. Bei dieser allgemeinen Konkurrenz
müisten jene den Vorrang gewinnen, welche den Absatzmarkt kennen, das
sollte aber bedeuten, dafs man die Landesnatur der Absatzgebiete in ihrem
Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Leben derselben erfasse. Ferner
diejenigen, welche die Sprache der Käufer beherrschten, welche sich syste-
matisch in den eroberten Absatzgebieten einrichteten, ihre Produkte dem Ge-
1) L'essor industriel et commercial du Peuple Allemand par Georges Blondel.
Paris, Larose. l'JOO.
2) Dep. „Jura11.
Ueographi.cbe Zeitschrift. 7. Jahrgang. 1001. 3 Heft. 11
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154 Alois Kraus:
sehmack, den Bedürfnissen und der Kaufkraft der Konsumenten anbequemten.
Notwendig sei es aucb, sieb mit der Kundscbaft direkt dureb Reisende und
nicht etwa durch Kommissionare in Verbindung zu setzen. Durch Associa-
tionen vermöchten auch kleinere Unternehmungen die erforderlichen Kosten
für solche Reisende aufzubringen; auf Grund desselben Prinzipefl könnte man
Musterlager, schwimmende Ausstellungen veranstalten u. s. w. Und in allen
diesen Mafsnahmen, namentlich in der Vergesellschaftung der Kräfte, seien
nicht die individualistischen Franzoseu, auch nicht die konservativen Eng-
länder, sondern die Amerikaner und vor allem die Deutschen mustergiltig. —
Bei diesem steten Hinweise auf die wirtschaftliche Überlegenheit der Deutschen
ist es leicht begreiflich, dafs der Vortrag Zilling's, des verdienten Direktors
des Stuttgarter Exportmusterlagers, über Handelsrauseen und Exportmusterlager
das gröfste Interesse erweckte. Redner empfahl den Franzosen, von Handels-
museen, die sich dem wechselnden Geschmack nicht anpassen könnten, abzu-
sehen und lediglich für Interessenten berechnete Exportmusterlager zu veran-
stalten. Er zeigte an den rasch anwachsenden Umsatzziffern des Stuttgarter
Institutes, das sich aus eigener Kraft erhalte, in welch bedeutendem Mafse
es den an seine Begründung geknüpften Erwartungen entspräche. — Als
ein vortreffliches Mittel, Frankreich wirtschaftlich zu heben, empfahl Herr
Aspe Fleuriraont bei dem Bezüge wichtiger Rohmaterialien, wie etwa der
tropischen Hölzer, des Kautschuks, Mafsnahmen zu treffen behufs Emanzipation
von fremden Märkten, namentlich von Liverpool. Schon habe man sich für
die Artikel Kaffee, Baumwolle und Reis eigene Märkte geschaffen. Jetzt
gelte es, eine grofse Börse für die Hauptprodukte der Ein- und Ausfuhr —
natürlich nur in Paris — zu begründen, die vornehmlich auf die Verwertung
französischer Kolonialerzeugnisse Bedacht nehmen müfste. Der Vortragende,
ein Mitglied des Rates für den Außenhandel, empfahl eine Nachahmung der
angeblich so wirksamen protektionistischen Mafsnahmen in Indochina für alle
Kolonien, durch welche ja der fremde Mitbewerb der Ein- und Ausfuhr lahm-
gelegt und dem Mutterland das Handelsmonopol in seinen Kolonien und vor
allem der billige Bezug wichtiger Rohmaterialien gesichert worden sei.
In vollem Gegensatz zu diesen Tendenzen standen die Ausführungen
Prof. G. NoeTs von der Pariser Handelshochschule, des Verfassers einer be-
kannten Geschichte des Welthandels. Bezugnehmend auf eine von der Kon-
grefsleitung für die dritte Sektion aufgeworfene Frage, welches Wirtschafts-
system am besten die Kolonisation begünstige, bestreitet der Vortragende die
Möglichkeit der Aufstellung von Grundsätzen, die für alle Kolonien zuträfen,
da ja ihr Ursprung und ihre Entwickelung nicht blofs von ihrem natürlichen
Wert, sondern auch von den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnissen
des Mutterlandes abhinge, nur hinsichtlich der günstigen Bedingungen für
die Auswanderung, der Landzuweisungen, der öffentlichen Arbeiten, der Zoll-
und Steuermafsnahmen liefsen sich gewisse allgemeine Regeln aussprechen.
Nachdem sich nun Noel zunächst gegen die bisher ausnahmslos geübte
Methode der Landzuweisung im kleinen erklärt, die sich doch vorwiegend
für dichter bevölkerte, höher kultivierte Gebiete etwa in der Form von
Veteranenansiedelungen eigne, und Landvergebungen im grofsen, an kapital-
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Intern. Kongrefs für Wirtschaft»- u. Handelsgeographie in Paris. 155
kräftige für umfassende und rasch durchzuführende Kulturarbeit ausschließlich
leistungsfähige Gesellschaften empfohlen, wendet er sich gegen den so oft
geübten Mifsbrauch, die Kolonien als ein Ausbeutungsobjekt des Mutterlandes zu
betrachten. Dies iiufsere sich nicht blofs in der vorzeitigen und übermUfsigen
gerade in dem Stadium der Entwicklung besonders drückenden Besteuerung
der Kolonien, sondern auch in den Zollmafsnahmen gegen den fremden Aufsen-
bandel. Jede Zollmafsregel, durch welche der Handel mit dem Auslande
unterdrückt werde, iuu ihn dem Mutterlande vorzubehalten, widerspreche den
wohlverstandenen Interessen nicht nur der Eingeborenen, sondern auch der
Kolonisten selbst; sie seien dann höher besteuert als ihre Mitbürger im
Mutterlande, ein Umstand, der sie bei der Unsicherheit kolonialer Thätigkeit
doppelt treffe. Ferner sei man gezwungen, eventuell schlechtere und teurere
Waren aus dem Mutterlande zu bezichen, als man sie vom Auslande be-
schaffen könnte; durch solche Mafsnahmen werde, um ein Beispiel anzuführen,
der Reingewinn der tunesischen Produzenten wesentlich geschmälert, welche
gehindert seien, ihren Bedarf an landwirtschaftlichen Maschinen aus England
und Deutschland zu decken. Konsequenterweise werde sich der protektio-
nistiscne Zug im Mutterlande auch gegen die Rohprodukte der Kolonien
wenden, gegen den Wein, die Mineralien, die Kohle, das Fleisch, die Wolle aus
den eigenen Besitzungen. Habe man doch schon beispielsweise die tunesische
Ausfuhr von Wein und Getreide besonderen Beschränkungen unterworfen und
zeitweilig die Salzeinfuhr von Madagascar erschwert. Redner weist auf die
Konsequenzen einer solchen Kolonialpolitik hin: auf den Abfall Südamerikas
und Cubas von Spanien, auf die Losreifsung der Vereinigten Staaten von
England. Nur durch Förderung der wirklichen Interessen der Kolouial-
gebiete durch Gewährung gröfstmögl icher Freiheiten für die wirtschaftlichen
Bestrebungen der Kolonisten werde auch das Mutterland von den kaufkräftig
gewordenen Besitzungen Nutzen ziehen.
Es ist höchst bezeichnend, dals diesen Ausführungen gerade von den
französischen Kongrefsmitgliedern der lebhafteste Beifall zu Teil wurde. Ver-
drossen, aber zutreffend konstatierte die Depeche Coloniale (so weit ich über-
sehen konnte, das einzige Blatt, das dem Gange der Verhandlungen mit
gröfserem Interesse folgte), dals der Kongrefs bei dieser und bei auderen
Gelegenheiten eine stark freihändlerische Tendenz zur Schau trage *).
In ungleich schärferer, vielleicht allzuscharfer Tonart und unter Anfüh-
rung zahlreicher Belege erhob ein ehemaliges Mitglied des Kolonialrates, Leo
Moncelou, derzeit selbst Kolonist in Tunis, die schwersten Anklagen gegen
die zentrale und koloniale Verwaltung Frankreichs. Er variierte das Thema:
Piskalität, Büreaukratismus , Militarismus. Die Kolonien seien von über-
flüssigen , der Verhältnisse unkundigen , einander rasch ablösenden Be-
amten überschwemmt. In den letzten 4 Jahren sei in Tunis die Zahl der
Beamten um das vierfache gestiegen, dabei der Cberschufs der Erträge trotz
1) Eine heftige Polemik gegen die herrschende schutzzöllnerische Richtung in
Frankreich enthalt die dem Kongresse vorgelegte Abhandlung des bekannten
Handelspolitikers Roux: Über die Begründung eine« Freihafens (Marseille).
11*
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150
Alois Kraus:
der Einführung violer neuer Steuern um 1 Million Franks zurückgegangen.
Wie Miether ein Haus mit ungenügender Ausstattung meiden, so wenden sieh
auch die 20000 auswandernden Franzosen von den französischen Kolonien
ah, denen es vor allem an Kahelverhiudungen, regelmlifsigen Post- und Fracht-
linien fehle. Aher auch im Innern der Kolonien sei für den Ausbau von
Verkehrswegen wenig geschehen. Von der Natur so wunderbar ausgestattete
Gebiete, wie Guyana, Xeu-Caledonien bitten trotz der tausende von Sträf-
lingen, diesor Staatspensionärc, welche Millionen verschlängen, noch immer
keine Strafsen. Nur durch Heranziehung grofser Gesellschaften, denen Sträf-
linge zuzuweisen wären, könne etwas für die Kultivierung ähnlicher Gebiete
geschehen. Geradezu unerträglich sei das finanzielle System in den Kolonien.
Leicht könnten diese dem Mutterlande einen grofsen Bruchteil der benötigten
Rohmaterialien, ferner der tropischen Genufsmittel liefern, die man bisher aus
der Fremde beziehe, aber die raffinierte Fiskalität ersticke jede Unternehmungs-
lust; so baue man nur das Notwendigste an. Die herrlichsten Böden blieben
unbestellt, so lange die Kolonisten keinen Vorteil dabei fänden, sie in Stand
zu setzen. Alle Beschwerden gegen die leitenden Kreise, in die er auch das
Parlament einbezog, fafst der Redner in den Worten zusammen, die ich
wiederzugeben mir nicht versagen kann :
Trop d'adminiHtration et de mauvaise administration - - Trop d'administrateurs
et de fonetionnaires improviseg — Trop d'euiployes inutileB et entravanb* — Trop
d'impöts, de taxes, de charges douaniereB Trop peu de securite en grneral
Trop de parsimonie et de conditions dans la cession des terres — Mauvais emploi
et repartition de la main-d'oeuvre pönale — Manque de parte, de routes, de voiefl
ferreea et canaux — Conflit« perpetuels entre » ivils et militaires — Manque de colo-
niaux experiment/'s ä la tete des affairen Absence d'une marine de commerce
desHcrvant Icb colonies ä fret abordable.
Jenes wirtschaftliche System, so beschliefst Moucelon seine höchst ein-
drucksvolle Rede, begünstigt die Kolonisation am meisten, welches ihr die
gröfste Bewegungsfreiheit gestattet, die gröfste Erle ich terung bei der Hebung
und Förderung der Güter unter Aufwendung denkbar geringster Kosten, und
dieses Kolonialsystem sei sicherlich nicht dasjenige Frankreichs. — Im Namen
des elementarsten Patriotismus erhob Oberst Perros Protest gegen dergleichen
unbegründete und übertriebene Behauptungen angesichts der erschienenen Gäste.
Der Hinweis auf die kolonialen Erfolge während des republikanischen Regimes
böte die beste Widerlegung.
Ungleich ruhiger verlief die Erörterung der schwierigen, von dem Kon-
grefskomite gleichfalls aufgeworfenen Frage nach der Beschaffung des Ar-
beiterpersonals in den Kolonien. Insbesondere sollte die Möglichkeit der
Einführung jenes Pachtsystems in Beratung gezogen werden, bei welchem
der Eigentümer von dem Pächter mit den Erzeugnissen des Bodens in natura
gezahlt, also der Bodenertrag nach Vereinbarung zwischen beiden geteilt
wird1). Auf Grand vieljähriger Erfahrung in Tunis und in Caledonien führte
wiederum Moncelon folgendes aus: Es herrsche im allgemeinen in allen
1) metayage. Vgl. hierzu den vorzüglich orientierenden Artikel über Kolonien
von Kurt Hassert im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 2. Aufl. Lfg. 17 u. 18.
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Intern. Kongrefs für Wirtschafts- vi. Handelsgeographio in Paris. 157
Kolonien Mangel an Arbeitskräften. Die Heranziehung von Franzosen als
Scharwerkor oder als Pächter in dem obenerwähnten Sinne habe sich auch
in klimatisch geeigneten Gebieten als aussichtslos herausgestellt. Die franzö-
sischen Bauernfamilien wandern höchstens nach Nordafrika ans und dort
ziehen sie ebenso wie die Italiener die selbständige Existenz auf dem kleinsten
Besitz vor. Im übrigen bestehe der gröfste Teil der französischen Auswan-
derer aus Junggesellen , die sich nur notgedrungen und in Erwartung eines
Besseren mit der Landwirtschaft befassen. In Algerien und in Tunis leiste
das arabische Element trotz der Flüchtigkeit der Arbeitsweise und trotz der
mangelhaften Empfindung für fremde Besitzrechte unentbehrliche Dienste. Als
höchst auffällig, aber als nichts weniger als willkommen wird von ihm die
Erscheinung hervorgehoben, dafs die Juden in Tunis sich in jeglichen land-
wirtschaftlichen Arbeiten vorzüglich bewähren. Die Ausbreitung des jüdischen
Grundbesitzes und jüdischer Landarbeiter betrachtet er als eine bereits auf-
tauchende Gefahr.
Der farbige Eingeborene erweise sich in seiner Heimat selten als ein
guter Arbeiter. Launenhaftigkeit, Mangel an Ausdauer und Umegelmäfsig-
keit kennzeichnen seine Thätigkeit. Aufserhalb derselben hätten sich Be-
wohner der neuen Hebriden in Caledonien sehr gut, die Madagassen auf Reuniou
und St. Mauritius hinlänglich bewährt. Indien und China seien übrigens die
grofsen Reservoire, aus denen Arbeitskräfte für alle Gebiete geschöpft wer-
den könnten. Aber die Engländer hätten es in der Hand, den Zuzug der
wohl schwächeren aber bescheidenen und deshalb willkommensten Hindu-
arbeiter zu verhindern, wie sie ihn bereits den Bewohnern der Hebriden
untersagt hätten. Auf das schärfste wendet sich der Redner gegen die bis-
herige unfruchtbare Verwendung der Sträflinge und ihre Beschränkung auf
Caledonien und Guyana. Das Gesetz gestatte und die bisherigen Er-
fahrungen gebieten dringend eine Zuweisung namentlich der farbigen
Sträflinge an alle Kolonien, in denen Arbeitermangel vorhanden sei, am
besten in den Dienst der auch von ihm befürworteten grofsen Com-
pagnien.
Manche der hier geäufserten allgemeinen Aufstellungen erfuhren eine
Widerlegung durch die Auseinandersetzungen des Kapitäns Feist, welche speziell
den Sudan betrafen. So wenig wie der europäische freie Arbeiter, so wenig
käme in Sudan der europäische Sträfling aus klimatischen Gründen in Be-
tracht. Aber auch die im Kongogebiet mit anamitischen Sträflingen ge-
machten Versuche seien mifslungen. Die Anamiten seien dem Klima ebenso
erlegen, wie die in Senegal zu den Bahnbauten herangezogenen freien chine-
sischen und marokkanischen Arbeiter. Man müsse sich in diesen Gebieten
an die kräftige und leistungsfähige, seit der Aufhebung der Sklaverei aller-
dings verwahrloste, aber doch bei entsprechender Behandlung lenkbare
schwarze Bevölkerung, insbesondere an jene von der Sierra Leone und der
Elfenbeinküste halten. Die Einführung des Pachtverhältnisses hält Kapitän
Feist für durchführbar. Seltener werden Schwarze als vielmehr ausgediente,
mit den Verhältnissen vertraute Unteroffiziere heanzuziehen seien. Dieses
System würde die gröfste Förderung von der Regierung erfahren. Hier wie
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15K Kraus: -Intern. Kongref» für Wirtschaft«- u. Handelsgeographie.
namentlich auch in einem Vortrage des Obersten Lyautey wurde auf die
Verwendung des militärischen Elements auf Madagascar durch den hervor-
ragenden Kolonisator General Gallieni und zwar zur Beaufsichtigung der
Wege und Kulturarbeiten und zur Heranbildung von eingeborenen Hand-
werkern hingewiesen. Für Indochina empfahl ein Kolonist aus Tonkin,
Duchemin, die allgemeine, staatlich zu regelnde Anwendung des Pacht- be-
ziehungsweise Akkordvertrages mit einheimischen Familien behufs Kultivie-
rung der abseits der dichtbevölkerten Deltas brachliegenden Gebiete. Die
Handhabung der Ordnung und Disziplin möge man dann getrost den ein-
heimischen Autoritäten überlassen. Aufserhalb des gewohnten Verbandes ver-
mögen sich die Eingeborenen in neue Verhältnisse nicht einzufinden. Sie
würden von Heimweh überfallen und seien unbrauchbar. In Luzon, Sumatra
und Java sei die Methode des Akkord Vertrages eine allgemein übliche und
habe sich bewährt. An die Auswanderung anamitischer Arbeiter wäre nicht
zu denken. Sie sei im ganzen Königreich verboten, und würde überdies als
die schlimmste Strafe angesehen werden. Zudem gäbe es daselbst aufserhalb
der Deltas auf ein Jahrhundert ausreichende, frei verfügbare Ländereien.
Das vorzügliche, unerschöpfliche Arbeitermaterial aus den chinesischen Küsten-
strichen liefse sich dagegen auch aufserhalb der gewohnten Wandergebiete
dieser Rassen in Polynesien, auf den ostafrikanischen Inseln und in Ost-
Afrika selbst heranziehen, wenn man es wohl mit Festigkeit, aber mit
Billigkeit behandle und ihm die gewohnten Lebensverhältnisse schaffe.
Die Zeit der grofsen Kolonialerwerbungen Frankreichs scheint abgelaufen zu
sein. Mit grofser Rührigkeit geht nun die Nation daran, das gcwonneuc reiche
Kolonialgebiet zu erschließen, aber auch gleichzeitig nach längerer wirt-
schaftlicher Stagnation eine neue Aera intensiveren Wettbewerbes vielleicht
auf freien handelspolitischen Hahnen auf dem Gebiete des Welthandels zu
eröffnen. Als das beste Rüstzeug in diesem Kampfe erscheint den führenden
Männern neben der kaufmännischen und technischen Schulung auch das ver-
tiefte Verständnis der wirtschaftlichen Verhältnisse der eigenen und der
fremden Gebiete auf der soliden Grundlage der Erdkunde. — Der wirt-
schaftsgeographische Kongrefs in Paris ist eine bedeutsame Kundgebung dieser
Anschauungen.
Es ist wohl der Energie und dem Takte der Kongrefsleitung zu ver-
danken, dafs das so überaus reichhaltige Programm in dem kurzen Zeitraum
von ö Tagen vollständig erschöpft wurde. Ein Festmahl vereinigte zum
Schlufs die Mitglieder des Kongresses; hier gelangte die Anerkennung für
die umsichtige und mühevolle Leitung, die Freude an dem aufserordentlichcn
Gelingen der Tagimg, das schöne Einvernehmen der Mitglieder zu leb-
haftem Ausdruck. — Der gewinnenden Herzlichkeit, mit der die Mitglieder
der handelsgeographischen Gesellschaft zu Paris allen Gästen und — wir
dürfen es unverhohlen sagen — insbesondere den deutschen Gästen entgegen-
kamen, sei auch an dieser Stelle mit innigem Dank gedacht.
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Kleinere Mitteilungen.
159
Kleinere Mitteilungen.
Der Salzsee von Larnaoa auf Cypern.
Nahe der Hafenstadt Larnaca befindet sich, ungefähr iy2 — 2 kin vom
Meer entfernt, ein Salzsee, der für die Insel von grofser wirtschaftlicher Be-
deutung ist, und dessen Produkt durch Menge wie durch Güte von altersher
einen Ruf genossen hat. Die Herkunft des Salzgehaltes ist bis jetzt strittig
gewesen. Da eine Barriere festen Landes, die sich an einigen Stellen bis zu
20 m Höhe erhebt, den See vom Meere trennt, so waren ältere Schriftsteller,
wie noch heute die meisten Einwohner der Ansicht, dafs das Salz nicht aus
dem Meere stamme, sondern aus dem Boden und aus demselben erst durch
die winterlichen Regengüsse ausgelaugt werde. Die alljährlichen Ereignisse
schienen diese Ansicht zu stützen; denn der See wird erst jeden Winter
wieder neu gebildet, trocknet im Sommer vollkommen aus, und die Produktion
an Salz ist um so ergiebiger, je mehr Regen gefallen ist.
Naturwissenschaftliche Beobachter, wie Gaudry1), sowie Unger und
Kotschy8) haben die gegenteilige Ansicht vertreten und den Salzgehalt auf das
Meerwasser zurückgeführt. Gaudry macht geltend, dafs im Winter zur Zeit
dauernden Südwestwindes das Meer über sein gewöhnliches Niveau steige,
das durchlässige quarternäre Stratum am Ufer überschreite und so Seen
bilde. Unger und Kotscby bringen gegen die Theorie des Salzes im Boden
den Einwand, dafs dann durch allmähliche Auslaugung im Laufe der Zeit
ein verminderter Ertrag statthaben müsse, was durchaus nicht der Fall ist.
Das Wasser des Meeres dringe durch die porösen Sandsteinschichten und
suche nach hydrostatischen Gesetzen das Wasser des Secbcckcns auf das
gleiche Niveau zu bringen. Im Winter, bei geringer Verdunstung und Zu-
flufs von Süfswasser könne der Salzsee sogar über Meeresniveau steigen, im
Sommer aber könne das Durchsickern des Meerwassers mit der Verdunstung
nicht Schritt halten, daher die Austrocknung.
Baker und andere Neuere haben jedoch wieder die Ansicht vom Salz-
gehalt im Boden vertreten; es könnte zu Gunsten hiervon angeführt werden,
dafs das Seebecken über dem Meeresniveau liege, und dafs der Salzgehalt
des Sees, worüber übrigens bis dato keine Messungen vorliegen, bedeutend
höher als der des Meeres sei.
Eine endgiltige Lösung dieser Frage ist nur zu erbringen durch genaue
Nivellierungen und besonders durch Bohrungen in der Umgebung des Sees
und zwischen See und Meer. Da es sich hierbei nicht um ein blofs geo-
graphisches, sondern auch um ein wirtschaftliches Problem handelt — denn
die Gegenwart eines Steinsalzlagers und anderer mit einem solchen gewöhn-
lich verbundenen Erdprodukte wäre von kommerziellem Interesse — , so war
die Inselregierung auf mein Ansuchen freundlichst bereit, durch den Director
of Public Works in meiner Gegenwart die erforderlichen Arbeiten vornehmen
zu lassen, über die ich hier in aller Kürze berichten will.
1) Genaue Nivellierungen ergaben in mehreren Richtungen für den See
bei seinem Stand von Mitte Dezember, dafs sein Niveau etwa 2,3 m unter
Meeresfläche liegt; sein Boden je nach den Stellen 3,3 — 4,2 m.
1) Recherches ecientifiques en Orient 1856. Paris.
2) Die Insel Cypern. Wien 1865.
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160
Kleinere Mitteilungen.
2) Der Salzgehalt ist nach Eintritt der ersten Regen am stärksten,
nimmt dann allmählich ab, und steigt erst wieder mit Eintritt der Soninior-
wiirrne. Mitte Oktober, nach dem ersten Regenfall, war der Salzgehalt zu
grofs, um mit meinem Aräometer registriert werden zu können, betrug aber
jedenfalls über 18%; am 29. Oktober nach weiteren heftigen Güssen 16,5%,
Mitte Dezember 10,5 — 11 %• (Das Meerwasser der Küste zeigte mit dem
gleichen Aräometer 3,35 %. )
3) Die Untersuchung der angrenzenden Gesteinsschichten , die zum Teil
an der Landstralsc anstehen, ergab ziemliche Übereinstimmung mit den
Resultaten von ünger und Kotschy. Die oberste Lage .r, die, auch die Mulde
für den See selbst bildet, besteht aus einem sandigen Thon, von gelblicher
Farbe, mit wenigen und fein zertrümmerten tierischen Resten. Darunter
folgt eine Saudsteinschicht i/, ein Konglomerat von sehr verschieden festen
Partikeln mit zahlreichen Versteinerungen, die, wie bereits früher beschrieben,
im ganzen noch den heutigen Formen des Mittelmeeres angehören und auf
eine Strandbildung von geringer Tiefe hinweisen. Nach der Tiefe zu wird
diese übrigens nur 1 — 2 m dicke Schicht immer gröber in ihrer Zusammen-
setzung und weitlückiger. Darunter folgt dann eine viel festere und un-
durchlässigere Schicht (-) aus sandigem Thon, der aber nach Säureprobe
auch mit kohlensaurem Kalk stark vermengt ist und sieh ziemlich weit in
die Tiefe fortzusetzen scheint; alles noch postplioeäner Natur.
4) Die Organismenwelt des Sees rekrutierte sich im Dezember aus den
bekannten Salinenkrustaceen Artemia, sowie aus einer mikroskopischen Alge,
der Palmella Ungers. Letztere war im Dezember nur in ganz geringen, im
Januar schon in gröfseren Mengen vorhanden; wahrscheinlich fällt ihre Haupt-
treibzeit erst in das Frühjahr. Die Artemia waren dagegen schon im
Dezember in ungeheuren Massen vorhanden, so dafs, wo der Wind hintrieb,
„mehr Tierkörper als Wassertropfen vorhanden'' waren. Die noch erstaun-
lichere Menge von Eiern, die den Rand des Sees und seinen Boden zum Teil
in mehreren cm Dicke bedecken, sind nicht die einer Krabbe Pilumnus wie
Unger raeint, sondern wenigstens, die ich fand, die Dauereier der Artemia
selbst. Auch deren Häute häufen sich in enormer Menge am Boden und
am Rand des Beckens an und geben dein im Wind entstehenden Schaum
eine bestimmte Konsistenz. Auch als Bodendeposit gewinnt die Artemia
Wichtigkeit durch ihr massenhaftes Auftreten. Den Boden des Sees unter
einer Salzkruste bedeckt ein weicher blauschwarzer Schlamm, der beim
Trocknen dunkelblau wird, eisenhaltig ist und sehr grofse Mengen organischer
Substanz, verfallene Artemien und Eier enthält. Zwischendurch zeigt sich
überall, auch nach starkem Regen noch, eine ungelöste Salzkruste.
5) Die Bohrversuche, die in der Nähe des Seeufers angestellt wurden,
zeigten nach der Tiefe zu fortschreitend eine Übereinstimmung in der Schich-
tung, wie für die Strandbarriere beschrieben wurde (S. o. 2). Unter einer
dünnen Lage von trockenem Sand kam eine nur wenige Zoll dicke weitere
Lage von schwarzem Lehm, dem Seebodenablagerung entsprechend, darunter
kam dann ein thoniger Saud //, mit mehr und mehr kalkiger Zusammensetzung
und teilweise deutlicheren Resten von Schalen. Bis etwa 3 m davon war
ziemlich hart und schwer zu bohren; dann wurde das Gefüge lockerer und
feuchter; in noch 1 m grölserer Tiefe enthielt die bohrende Röhre mehr
Wasser als Gesteinsproben, und das Wasser war gut erkennbar salzig
Darunter folgte dann eine Lage festeren Sandes zy der von 6 m ab so fest
wurde, dafs das Bohren sehr erschwert war. Die Versuche wurden dann,
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Geographische Neuigkeiten. 161
da namentlich durch die Auffindung der .salzwasserhaltigen Schicht der Zweck
erreicht war, eingestellt.
Nach allem Vorstehenden, namentlich aber nach dem letzten Punkt ist
der Schlnfs gesichert, dafs der Salzgehalt des Sees nicht von einem Stein-
salzlager, sondern ursprünglich aus dem Meer herstammt. Die durchlässige
Schicht, in der auch beim Bohren das hinübersickernde Wasser gefunden
wurde, wirkt wie eine Verbindungsröhrc zwischen dem Meer und dem See-
becken und zwar um so besser, weil sie nach unten durch eine undurch-
lässige Schicht abgeschlossen ist. Diese Wirkung kann aber nur eintreten,
wenn durch die Winterregen das Seebecken gofüllt wird, da es sich ja immer-
hin nicht um weit offene Kanäle, sondern um ein Durchsickern durch ein
poröses, mehr oder minder lückiges Konglomerat handelt.
Um das Hauptbohrloch hatte sich nach einigen Tagen ohne dazwischen-
kommenden Regen eine Wasserlache gebildet; ein sicheres Anzeichen, dafs
die Durchbohrung des dio wasserführende Schicht überliegenden Stratums
wie ein artesischer Brunnen gewirkt hatte, in dem das unterirdische Salz-
wasser durch das Bohrloch zur Oberfläche aufgetrieben wurde. Das Wasser
in diesem Tümpel hatte 8 % Salzgehalt, und seine Existenz ist, wenn es
noch eines Beweises bedürfte, eine sichere Probe auf die Theorie.
Warum der See aber einen viel gröfseren Salzgehalt hat. als das Meer,
ist leicht verständlich. Das Einsickern des Seewassers sucht sich beständig
zu vollziehen, beständig ist auch allerdings in verschiedener Stärke die Ver-
dunstung, und so ist im und am Boden, wie ja auch die Untersuchung zeigt,
ein immer gröfserer Überschufs an Salz entstanden, der durch die Regen-
mengen nur gemindert, nie ausgeglichen wird. In gewissem Sinn haben also
auch diejenigen Recht, die von einer Auslaugung des Bodens durch den
Hegen sprechen, allerdings in anderem, als sie selbst meinen.
Der Inselregierung, wie spez. dem Ingenieur C. V. Bellamy, bin ich zu
bestem Dank für die Anstellung dieser Untersuchungen verpflichtet.
Dr. Otto Maas.
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitz au
Allgemeines.
* Tber die Lebensbedingungen
und die geographische Verbreitung
der Korkeichen entnehmen wir einer
neuen Veröffentlichung E. M filier V)
folgendes :
Der Flaschenkork wird bekanntlich
von zwei nahe verwandten Eichenarten
gewonnen. Quercus suber und Q. occi-
dentalis, die sich hauptsächlich durch die
1) Müller, E. A. aber die Korkeiche.
t'QuercuB suber L. und Q. occidentalis Gay.
Ein Betrag zur Pflanzen- und Handcls-
geographie. Mit einer Karte des Verbrei-
tungsgebietes und zwei Tafeln. Abhandl.
d. k. k geogr. Oes. in Wien. IT Bd. 1900.
ungleiche Lebensdauer ihrer Blätter unter-
scheiden, welche bei der ersteren zwei-
oder dreijährig sind, während bei der
zweiten Art jedes Frühjahr eine voll-
ständige Neubelaubung stattfindet. Quer-
cus suber bewohnt das eigentliche Mittel-
meergebiet, während Q occidentalis auf
die feuchten Grenzgebiete am atlantischen
Ozean beschränkt ist und ein weit klei-
neres Areal einnimmt. (Der Verfasser
behandelt die beiden Arten meist ge-
meinschaftlich als „Korkeiche11. Gemein-
sam ist den beiden Korkeichen jedoch
das Verlangen nach frostfreier Winter-
temperatur, wo hingegen sie gegen hohe
Temperatur wenig empfindlich sind. Eino
Regenmenge von mindestens 50 mm im
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162
Geographische Neuigkeiten.
.Jahre gehört zu ihren Lebensbedingungen.
Diese Bedingungen sind für ihre Ver-
breitung innerhalb des von ihr einge-
nommenen Gesamtareals niafsgebend. So
bewohnt die Korkeiche in Nordafrika die
mittleren Höhen des ganzen Küsten-
gebietes, von Marokko bis Tunis, wahrend
sie in der Wüste und auf den trockenen
Hochsteppen durchaus fehlt. Die Be-
stünde der Korkeiche nehmen in Algerien
ein Areal von 45910» ha ein, während
sie in Tunis 116000 ha bedecken. In
Kuropa bewohnt die Korkeiche das süd-
westliche Küstengebiet, von der Mündung
der Garonne bis zum Golf der Adria.
Die erste Stelle bezüglich des Cmfanges
der Korkwälder, wie auch der Qualität
des Korks, nimmt Spanien ein. mit
255000 ha: die schönsten und best kulti-
vierten Korkwälder, nicht blofs Spaniens
sondern aller Korkwälder , sind diejenigen
Cataloniens, wo sie in der Provinz Gerone
allein 80 000 ha bedecken. Das Areal
der Korkwälder Frankreichs beträgt etwas
über 150000 ha, und gehört zum gröfsten
Teile der Provence an: Italien besitzt
etwa 80000 ha, für Portugal fehlen
nähere Angaben.
Die Kultur der Korkeiche hat sich seit
ihrem Beginne in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts, wo ein Deutscher die
ersten diesbezüglichen Versuche in Cata-
lonien ausführte, rasch entwickelt; die
Korkeichenwälder befinden sich gegen-
wärtig beinahe sämtlich in rationellem
Betriebe; auch hat man neuerdings,
namentlich in Algerien und Tunis, be-
gonnen, neue Korkeichenwälder anzu-
legen. Kork bildet einen wichtigen Aus-
fuhrartikel der meisten seiner Produktions-
gebiete: Spanien, das bei einer jährlichen
Produktion von etwa 30 000000 kg ca.
12 000000 kg exportiert, wird von Por-
tugal weit übertroffen, das ca. 50000000 kg
produziert und, im Jahre 1H97, 46 920 502 kg
ausführte. Kork bildet gegenwärtig
nebst dem Wein den wichtigsten Handels-
artikel Portugals; allerdings steht dessen
Geldwert weit hinter demjenigen der
spanischen Ware zurück. Frankreich pro-
duziert alljährlich ca. 6 000000 kg, die
zum weitaus gröfsten Teile im Lande
konsumiert werden, Italien exportierte
1897 1 774 200 kg, Algerien im gleichen
Jahre mehr als 11500000 kg, Tunis 1896
633 531 kg; der Korkexport Marokkos ist !
unbedeutend, etwas gröfser derjenige von
Korkeichenlohe, die, im Gegensatz zum
Korke, ausgeführt werden darf.
Schimper
♦ KrschliefsungneuerPetroleu ru-
higer. Neben den Petroleumquellen des
Ohiogebietes, Pennsylvaniens, der galizisch-
rumänischen und kaukasischen Gebiete
machen Bich in letzter Zeit Gebiete,
welche bisher weniger in Betracht kamen,
immer mehr bemerkbar. So sollen die
Krgebnisse in Texas (bei Beaumont) über-
raschend gewesen sein, und die Reich-
haltigkeit dieser Lager soll sogar gröfser
sein ab die der übrigen amerikanischen
Lager. Sehr günstig lauten auch die Be-
richte aus der Provinz Oran in Tunis,
wo man aus dem Hervorschwitzen von
Petroleum an der Erdoberfläche auf reiche
unterirdische Lager schliefst. Diese Mut-
mafsung wird durch die geologischen
Verhältnisse des in Betracht kommenden
Gebietes unterstützt. Ganz besondere Kr-
gebnisse liefert aber diePetroleumindustrie
Britisch-Indiens. Die Gesamtproduk-
tion dieser Lager betrug 1899 269 Mil-
lionen hl (Indien 50%, Assam 0.01% and
Birma 49.99% . Die Produktion Birmas
stieg im letzten Jahre um 75°/,! Auf-
fallend bleibt, dafs Indien trotz dieser
ungeheuren Produktion auf Petroleum-
einfuhr angewiesen ist. Schliefslich sei
noch erwähnt, dafs in der Nähe von
Enseli in Persien neue Lager entdeckt
wurden und dafs an der kalifornischen
Küste in Amerika am Meeresgrunde ein
Naphthalager entdeckt wurde, aus dem
mittelst gut verankerter Pontons das
Petroleum an die Oberfläche gebracht
wird. A. R.
Europa.
* Dr. Safs hat die Schwankungen
des Grundwassers in Mecklenburg
von ungefähr 140 Brunnen untersucht und
ist zu dem Ergebnis gekommen, dafs die
Grundwasserverteilung in erster Linie
nicht durch atmosphärische Niederschläge,
sondern durch die geologischen Verhält-
nisse bedingt ist; den gröfsten Wasser-
vorrat besitzen die Landstrecken südlich
der Kndmoräne und z. T. der Knd-
moräne selbst, dagegen findet man im
Gebiet der typischen Grundmoräne im
Gegenteil häufig Wassermangel. Ferner
. hat sich gezeigt , dafs das Gebiet , welches
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Geographische Neuigkeiten.
ganz oder in der Hauptsache von einem
See mit Grundwasser gespeist wird, in
der Regel keine grofse Ausdehnung be-
sitzt. Schliefslieh widerlegt der Ver-
fasser die oft geinachte Behauptung, dafs
schneereiche Winter dem Grundwasser
besonders viel Zufuhr bringen. (Mitt. der
aus der Grofsh. Meckl. Geolog. Landes-
anatalt XII.) W. H.
* Seiches im Starnberger See.
Professor Ebert von der technischen
Hochschule in München hat durch ein
auf Kosten der Kgl. bayr. Akademie
der Wissenschaften in München be-
schafftes Limnimetre enregisteur trans-
portable von Sarasin , welches am Nord-
ende des Starnberger Sees aufgestellt
wurde, sehr deutlich ausgeprägt unidale
oder Grundschwingungen von 25 Minuten
mittlerer Dauer, was genau genug mit
der nach der Merian-Forel'schen Formel
theoretisch berechneten Zeit von 24 Mi-
nuten übereinstimmt, und daneben noch
Oberschwingungen von etwas weniger als
*/s Schwingungsdauer der Grundschwin-
gung, nilml ich 15% Minuten gefunden,
welche der Eigenschwingung des durch
den unterseeischen Rücken bei Unter-
Zaismering abgegrenzten nördlichen
Beckens entspricht. Durch Aufstellung
eines zweiten Limnimeters am Südende
des Sees soll noch die genauere Konfigu-
ration des ganzen Schwingungssystenies
festgestellt werden. (Sitzungsber. der
math. phys. Klasse der kgl. bayr. Akad.
der Wissenschaften Bd. XXX, 1900 Heft 3.)
W. H.
* In den von der Plattensee-Kommission
der Ung. Geogr. Gesellschaft heraus-
gegebenen Resultaten der wissenschaft-
lichen Erforschung des Plattensees
berichtet Sarniger über die Tempera-
tur Verhältnisse dieses Steppensees,
die, weil der See in kontinentaler
Lage und von sehr geringer Tiefe ist,
vielfach von denjenigen anderer unter-
suchter Seen abweichen. Die Haupt-
resuftate sind die folgenden: Das Maxi-
mum der Wassertemperatur tritt, stets
schon 1 — 2 Tage nach denjenigen der
Lufttemperatur ein. Das monatliche
Mittel im Juni, Juli. August übersteigt
immer 20°. Die Differenz zwischen der
Temperatur des Oberflächen- und des
Boden wassers ist zu allen Jahreszeiten
sehr klein, dagegen ist vom Herbst bis
163
zum Sommer die Bodentemperatur höher
als die Temperatur des Bodenwassers,
im Sommer umgekehrt. Im Winter kühlt
sich vor Eintritt des Zufrierens das See-
wasser in seinem ganzen Umfang auf 0°
oder mehr ab — das ist sehr bemerkens-
wert, — sogar der Schlamm kühlt sich
bis auf 1 0 ab, ja sogar darunter, wenn
die Temperatur des Wassers und der
Luft längere Zeit um den 0 Punkt
schwankt, ohne dafs wirklicher Frost
eintritt. W. H.
* Die Bevölkerung der Schweiz
beträgt nach der Volkszählung vom 1. De-
zember 1900 3 312 551 Seelen gegen
2 917 754 am 1. Dez. 1888, d. i. eine Zu-
nahme von rund 394 800 Personen, oder
13.5°/0 in 12 Jahren. An dieser Zunahme
partizipieren alle Kantone mit Ausnahme
von Glarus, dessen Einwohnerzahl infolge
der Krisis in der Baumwollindustrie von
33 825 auf 32 397 zurückgegangen ist; am
meisten haben die Kantone mit vorwie-
gend städtischer Bevölkerung zugenommen :
Baselstadt 52,2% , Zürich 27,6°/ , und Genf
24,8"/,,. Die Einwohnerzahlen der 25 Kan-
tone und Halbkantone sind folgende:
Zürich 430 135; Bern 586 918; Luzern
146 474; Uri 19 701; Schwyz 55 497; Ob-
walden 15 280; Nidwaiden 13088; Glarus
32 397; Zug 25 046: Freiburg 127 719;
Solothurn 100 838; Baselstadt 112 246;
Baselland 68 451; Schaff hausen 41 523;
Appenzell Aufserrhoden 65 284; Appenzell
Innerrhoden 13 480; St. Gallen 250 066;
Graubünden 104 510; Aargau 206 460;
Thurgau 113 110; Tessin 142 719; Waadt
279 162; Wallis 114 980; Neuenburg
125 M04; Genf 131 674. Cber 20 000 E.
hatten folgende Städte: Zürich 150 250;
Basel 107 290; Bern 63 994; Genf 68 867;
Lausanne 46 407; St. Gallen 33 087; Chaux
de fonds 35 890; Luzern 29 203; Winter-
thur 22 320; Neuenburg 20 701. (Deutsche
Rundsch. f. Geogr. u. Stet. XXIII. Jhrg.
5. Heft.)
♦ Inselbahn in Dalmatien. Die
Erfahrungen, die man mit Trajekten in
Norwegen, Schweden und Dänemark, in
jüngster Zeit besonders am Baikalsee ge-
macht hat, wo es gelungen ist, bei einer
Seotiefe von 1500 in eine Eisenbahnüber-
fahrt von 68 km Länge zu bewerkstelligen,
haben maßgebende Faktoren bewogen,
Istrien durch Trajekte über die Inseln
Cherso und Pago mit dem dalmatinischen
164
Geographische Neuigkeiten.
Festlande zu verhinden. Die geplant«? Insel-
hahn wird auf der Halbinsel Istrien an das
Südbahnnetz anschliefsen und zunächst
nach der Bucht von Fianona geleitet
werden. Ein Trajekt wird den Zug Ober
den 5 km breiten Quarnero Canal nach
Cherso übersetzen, an deren Westküste
der Schienenstrang sodann bis Cherso
S. Andrea führen wird. Die Seefahrt
über den Quarnerolo zwischen Cherso und
Pago wird 20 km betragen. Die Bahn
wird bis zur Südspitze der letzteren
Insel geführt werden, den Meereskanal
Stretto di Ljubac übersetzen und schliefs-
lich nach Zara geleitet werden. Die Ge-
samtlänge der Bahn wird 160 km, die
Seefahrt 25 km betragen. Es wäre dies
die kürzeste Verbindung Wiens mit Zara
und, falls die dalmatinisch-bosnischen
Eisenbahn -Projekte ausgeführt werden,
auch mit Bosnien. A. R.
* Mit dem Bau einer Eisenbahn in
Montenegro wird voraussichtlich noch
in diesem Jahre begonnen werden. Nach
Mitteilungen dortiger Zeitungen ist be-
schlossen, eine 160 km lange Schmal-
spurbahn von der Hafenstadt Antivari
nach Niksic zu bauen, wo vor kurzem
reiche Eisenlagerstätten entdeckt worden
sind, deren Aubeutung bereits auswärtige
Kapitalisten in Angriff genommen haben.
Für den Bau der Eisenbahn hat die
montenegrinische Regierung zum 1. Mai
einen Wettbewerb ausgeschrieben. Die
Bahn soll am 1. Juli 1904 fertig sein. Zu-
gleich werden auch die Arbeiten zur Er-
weiterung des Hafens von Antivari be-
gonnen werden, die innerhalb zweier
Jahre vollendet sein sollen.
Asien.
* Über den Fortgang seiner Reisen im
Lop-Nor-Gebiet und im nördlichen
Tibet (V. Jahrg. 107) berichtet Sven
Hedin in zahlreichen Briefen an Freunde
und Gönner vom 30. Oktober aus Temirlik
im Tschimen-tag, denen Folgendes zu
entnehmen ist: Am 20. Juli brach Hedin
aus seinem Sommerquartier in Temirlik
mit einer kleinen Karawane gen Süden
auf, überschritt den Tschimen-tag, den
Ara-tag und den Kalta-Ulagan, erreichte
den See Kum-kul und erforschte weiter
südlich ziehend den Arka-tag, die Haupt-
kette des Kwen-Lun-Systems, die sich als
aus vier parallelen, durch grofse Längs-
thäler von einander geschiedenen Zügen
erwies, zwischen denen zahlreiche salzige
Binnenseen liegen. Am Südabhang des
Arka-tag beginnt das eigentliche tibeta-
nische Hochland, in das der Reisende
bis 34° 21' n. Br. in die Nähe der Jang-
ste-kiang-Quellen vordrang, wo ihn Man-
gel an Proviant und Erschöpfung zur Um-
kehr zwang. Ende Oktober war Hedin
wieder in Temerlik, nachdem er 1559 km
fast durchweg in Höhen von 5000 m über
dem Meere zunickgelegt und kartogra-
phisch aufgenommen hatte. Während 84
Tagen sah Hedin keinen einzigen Men-
schen und nur an einer Stelle zeigten
sich verwischte Spuren ehemaliger Be-
wohner, aber die Tierwelt ist auf diesen
Hochländern zahlreich vertreten, be-
sonders Yaks, Antilopen, Wildschafe,
Wildesel, Bären und Wölfe. Bereits im
November gedachte Hedin zu einer neuen
Reise aufzubrechen, die auf drei Monate
berechnet war und ihn naeh Satschou,
Altimisch-bulak (Kurruk-tag) und wieder
durch die Wüste nach Karakoschun
führen sollte. Er wollte dabei nochmals
den im Frühjahr entdeckten alten See
und die dort befindlichen alten Ruinen
besuchen. Der gröfste Teil der Karawane
sollte unterdessen in Tjarkhlik über-
wintern.
Afrika.
* über den Fortgang ihrer Reisen im
Osthorn von Af rika (s. VI. Jhrg. S. 463^
berichten Frhr. v. Erlanger und Neu-
mann in den Verh. d. Ges. f. Erdk. zu
Berlin (1900. S. 477) aus Adis Abeba am
1. u. 14. Nov. 1900: Am 22. Mai erfolgte
aus dem Etappenlager bei Ganda-Kore,
zwei Tagereisen südlich von Harrar, der
Aufbruch der Expedition, am 10. Juni
wurde der bereits stark angeschwollene
Webi überschritten und am 15. die Route
Donaldson Smith's erreicht , auf der man
westwärts bis Scheikh- Hussein weiter
marschierte. Von hier aus unternahm
v. Erlanger einen siebentägigen Ausflug
nach Djinir (Gmea), einer von hohem Gras
bestandenen Hochebene, ähnlich der
Arussi-Hochebene, und dann zog man
weiter, zunächst südwestlich zum Abunuf*
oder Gara-Daj (2780m) und Abu-el-Kassim
(3000 m), die beide erstiegen wurden, und
dann westlich zur Arussi-Hochebene, die
durch den unaufhörlich fallenden Regen
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Geographische Neuigkeiten.
165
in einen großen Sumpf verwandelt worden i
war und eint nach achttägigen mühe-
vollen Märschen durchkreuzt werden
konnte. Dann stieg man in das breite,
teilweise überschwemmte Thal des Hauasch
hinab, überschritt am dritten Tage den
Flui* und gelangte am Buchuftu-See, dem
südwestlichsten der fünf Adda-Seen, vor-
bei aui 15. August nach Adis-Abeba. Von
hier au» gedachten die Reisenden nach
Teilung der Expedition zunächst südlich
zum Suai- und Abuyu-See zu gehen, deren
Ingeln v. Erlanger erforschen wollte; dann
wollte dieser Reisende ostwärts nach
Djinir zurückmarschieren und dann in
südwestlicher Richtung zum Rudolf-See,
dem Lorian-Sumpf und zum Juba mar-
schieren. Sollten dies die Wasserverhält-
nisse des Rudolf-Sees nicht gestatten, so
wird dieser Teil der Expedition den Kenia
zu erreichen suchen und von dort nach
Mumbassa zurückkehren. Neumann ge-
dachte vom Abuyu-See nordwestlich über
Ubo und üofa nach Katta zu gehen und
von hier westwärts den Sobat zu erreichen
zu suchen, um auf diesem Wege nach
Faschoda zu gelangen. Vorher hat aber
Neumann noch einen vierwöchentlichen
Ausflug zum Blauen Nil unternommen,
wobei er Abessinien westlich von Guder
und östlich vom Muger, zwei Nebenflüssen
des Blauen Nil, erforschen konnte.
* Über seine zweite ostafrika-
nische Reise berichtet Donaldson
Smith im Geographical Journal (De-
zeml>erheft). Die Reise begann am 1. Au-
gust 1809 in Berbera und ging zuerst in
Gut südlicher Richtung zum oberen Juba
und dann westwärts zum Rudolf-See, der
Mitte Dezember erreicht wurde; von hier
aus wurde der Marsch westwärts fort-
gesetzt, das Land der Latuka unter ca. 6°
n. Hr. durchzogen und am 14. März 1Ü0U
Fort Berkeley am Nil (40 km oberhalb
Udo) erreicht. Die zweite Hälfte der
Heise von Egder (4° n. Br. u. 33° östl. L.)
au führte fast ausschliefslich durch noch
völlig unbekanntes Gebiet, das durch die
abessinischen Raubzüge der letzten Jahre
stark entvölkert und verwüstet war. Die
(iegn.ii ist von vulkanischen Bergzügen
bis zu 2500 m Höhe durchsetzt, deren
mit Alluvialboden bedeckte Thäler oft mit
zahlreichen kleinen Dörfern besetzt waren.
Die zwischen den einzelnen Volksstämmen
liegenden unbewohnten Strecken waren
I öde und wasserarm, überhaupt erwies sich
die Gegend als ziemlich trocken und die
zahlreichen, auf den Karten angegebeneu
Flufsläufe waren zur Trockenzeit wasser-
leer. Das gauze Land zwischen Rudolf-
See, Nil und Sobat hält Smith für einen
alten Meeresboden, dessen Austrocknuug
gegenwärtig noch anhält, wie das Sinken
des Wasserspiegels im Rudolf-See seit
1895 um ca. 4 m beweist. Der auch
schon von anderen Reisenden erwähnte
Unterschied in Fauna und Flora zwischen
dem Nilbassin westlich vom Rudolf-See und
Omo und dem südabessinischen Derglund
wird von Smith ebenfalls erwähnt. Die
Bevölkerung östlich vom 35° östl. L war
massaiähnlich, die westlich davon gehörte
zu den Sudanvölkern.
Australien and Polynesien.
* Die erste Volkszählung in Sa-
uioa, die in der Zeit vom 15. August bis
30. September 1000 veranstaltet wurde,
hat für die Insel Upolu 17 755, für Ma-
mma und Apolima 1038, für Savaii 14 0*22,
für das gesamte Deutsch - Sumoa also
32 815(16 804 männliche und 15 021 weib-
liche) Einwohner ergeben. (D. Ku misch,
f. Geogr. u. Stat. XXI1I. J. 5. H.)
Nordamerika.
* Die neuesten Pläne der Jesup-
Expedition verfolgen Ziele, die für die
Völkerkunde von aufserordentlicher Be-
deutung sind. Das von dem Leiter des
amerikanischen National -Museums ins
Leben gerufene wissenschaftliche Unter-
nehmen bezieht sich bekanntlich auf die
Erforschung der noch tust unbekannten
Volksstämme in den Küstengebieten des
nördlichen Stillen Ozeans auf nordameri-
kanischer wie auf asiatischer Seite. Der
Zweck ist, die Völkerverwandtschaften
zwischen den Gebieten beider Erdteile
festzustellen und darauf die Wahrschein-
lichkeit von Volkswanderungen von Asien
nach Amerika oder umgekehrt zu prüfen.
Die bisherigen bereits hochbedeuteuden
Ergebnisse der Jesup-Expedition sind be-
sonders durch die Ausstellung von Ge-
sichtsmasken und Geräten der erforschten
Volksstämme bekannt geworden, die ge-
legentlich des VII. Internationalen Geo-
grapheukongresses in Berlin veranstaltet
worden war. Jetzt haben zwei Gelehrte,
Jochelson und Bogoras, Amerika ver-
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166
Geog raphische Neuigkeiten.
lassen, um «ich über Wladiwostok nach
dem nordöstlichen Asien nordöstlich vom
Amur zu begeben. Es sollen dori die
Beziehungen der Kingeborenenstämme zi»
den Völkern des äufsersten Nordwestens
von Amerika und auch zu den früher
erforschten, etwas weiter westlich wohnen-
den asiatischen Stämmen untersucht wer-
den. Jochelson wird zunächst die Kiisten-
stämme am Nordostufer des Oehotskischen
Meeres besuchen, welche zu der grofsen
Tungusen-Familie gehören, und Bogoras
wird eine lange Reise mit Hundeschlitten
durch das Gebiet unternehmen, das nörd-
lich von der Halbinsel Kamschatka liegt,
und dort eine geraume Zeit unter den
Tschuktschen verbringen, bei denen er
bereits früher mehrere Jahre geweilt hat.
Nach Beendigung seiner Arbeiten am
Ochotskischen Meere will sich dann
Jochelson nach Westen landeinwärts zu
den Jukagiren wenden und später durch
Asien, über Moskau nach Neu -York
zurückkehren. Die ganze Expedition ist
auf zwei Jahre bemessen. ( Verh. d. Ges.
f. Erdk. z. Berlin l'JOO, S. 496.)
Südamerika.
* Die letzte Volkszählung in der
Republik Venezuela hat eine Bevölke-
rung von 2 444 91C Seelen, darunter etwa
44 000 Ausländer, ergeben. Die Ein-
wohnerzahl der Hauptstadt Caracas be-
trug 72 429 Seelen; es folgen dann Va-
lencia mit 38 654, Maracaibo mit 34 284;
Barquisimeto mit 31 476, Ciudad de Cura
mit 12 198, Barcelona mit 12 785, Ciudad
Bolivar mit 11 686 und Guanare mit
lo 880 Einwohnern. B.
Polarregionen.
* Die wissenschaftlichen und
praktischen Ei smeer forsch u n gen,
die eiue russische Expedition seit zwei
Jahren auf Kosten der Regierung an der
Murmanküste ausführt, haben neuer-
dings bedeutende Ergebnisse zu ver-
zeichnen. Es gelang der Expedition,
Klarheit über die StrömungsverhültniHse
in den Gewässern an der Murmanküste,
sowie in der Barendza-See zu gewinnen
und die Richtung und den Verlauf des
sogenannten Nordkapstromes, des gröfsten
Zweiges des Golfstroines, zu bestimmen.
Aufserdem fand man unter 74" n. Br. eine
bisher unbekannte, warme Strömung und
vermochte fernerden Verlauf zweier kalter
Strömungen zu bestimmen. Sitz der Ex-
pedition, die einen in Bremen gebauten
Stahldampfer, „Andry Perwoswanny", und
verschiedene Segelfahrzeugc und Huder-
boote besitzt, ist Alexandrowsk, die von
den Hussen an der Kola-Bucht angelegte
und vor zwei Jahren feierlich eingeweihte
neue Kreisstadt, wo sich gleichzeitig eine
biologische Station befindet. An der
Spitze der wissenschaftlichen Arbeiten an
der Murmanküste Bteht der Biolog Kni-
po witsch in St. Petersburg, der sich
jedoch nur im Sommer am Eismeer auf-
hält; im Winter hat Dr. BreitfuTH die
Leitung. Für die im Mai beginnende
gleichzeitige internationale Meeresfor-
schung ist Hufsland auf diese Weise
bereits vollständig vorbereitet und es hat
auch schon im letzten Jahre auf dem ihm
von der Stockholmer hydrographischen
Konferenz zugewiesenen Untersuchungs-
gebiete, das sich von der Murmankü9te
bis Nowaja Semlja und von dort bis zur
Bäreninsel erstreckt, wiederholt Versuchs-
reiseu ausgeführt,
(Beilage Nr. 15 der Allg. Ztg.)
♦ Der Herzog der Abruzzen hielt
am 15. Januar in der Geographischen
Gesellschaft zu Rom einen Vortrag über
seine Nordpolfahrt. Nachdem er tlie
Ausrüstung der „Stella Polare", ihre
Fahrt nach Archangel, die Einschiffung
der 120 Schiitteuhunde au diesem Orte
und den Abschied von dort am 1. Juli
1899 beschrieben hatte, gab er eine ein-
gehende Darstellung des Unternehmens
an der Hand des sorgfältig geführten
Reisetogebuches. Die Fahrt nordwärts
nach Franz Josef - Land ging aufaugs flott
von statten; bei 74° n. Br. wurde das
Schiff zum ersten Mal vom Eise blokiert
und 17 Stunden von ihm festgehalten,
aber bis 76° 27' n. Br. war noch freies
Meer. Nach vielen Hemmnissen und Um-
wegen kam man am 7. August 1899 an
der Prinz Rudolf-Insel an, wo man in der
Teplitz-Bai vor Anker ging. Nachdem an
Land Hütten für die Überwinterung er-
richtet worden waren, begannen die klei-
neren Forschungsreisen auf der Insel; aber
zu Anfang September drückte das Kis
einige Schiffsplanken ein, wodurch man
zur endgültigen Übersiedlung aufs Land
gezwungen wurde; das teilweise voll
I Wasser gelaufene Schiff vermochte man
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I
Geographische Neuigkeiten.
noch vor Weihnachten wieder auszuflicken.
Bei einer der während dieser Zeit unter-
nommenen Schlittenreisen geriet der Her-
zog durch einen Sturz von 7 m Höhe in
ernste Gefahr, die nicht ohne nachteilige
Folgen für ihn blich, da er durch
Frost die Yorderglieder zweier Finger
einbüfste und, da sich Fieber einstellte,
infolgedessen auf die Schlittenreise nach
dem Nordpol verzichten mufste. Den
weiteren Verlauf der Expedition schilderte
nun Kapitän Cagni, dem der Herzog die
Führung der Schlittencxpedition zum Pol
übertragen hatte. Ein erster Versuch, mit
der Schlittenkarawane nordwärts vorzu-
dringen, wurde am 19. Febr. 1900 unter-
nommen, aber infolge der fürchterlichen
Kälte , bis — 52° C, mufste man nach
einigen Tagen wieder zur Teplitz-Bai
zurückkehren, wo die zweite Reise vor-
bereitet wurde, die mau am 11. März,
13 Mann stark mit 13 Schlitten und 108
Hunden, in drei Gruppen geteilt, antrat.
Am 23. März schickte Cagni die erste
Gruppe, bestehend aus dem Leutenant
fiuerini, dem Führer Ollier und dem
Norweger Enriko Stokken, zum Lager
zurück, wo sie aber nicht angekommen
i«t. Die zweite Gruppe, Dr. Cavalli mit
3 Mann, zwei Schlitten und 16 Hunden,
kehrte am 31. März um und langte am
24. April wieder im Lager an. Das Ziel
der dritten Gruppe war der 87. Breiten-
grad, den Cagni zu erreichen hoffte, da
sich Mitte April die Eisverhältnisse bes-
serten und ein schnelleres Vorrücken er-
möglichten. Mit Aufbietung aller Kräfte
legte man täglich 16 bis 17 Kilometer
zurück, aber bei 86° 33' 49" n. Br. ent-
«chlofs sich Cagni angesichts der stark
zusammengeschmolzenen Lebensmittel zur
Umkehr. Nachdem man am Abend des
25. April die italienische Flagge auf-
gepflanzt und die Beschreibung der Reise
in einer Blechkapsel niedergelegt hatte,
trat man den Rückmarsch an, für den
man noch 30 Tage Proviant hatte, während
der Vormarsch 45 Tage gedauert hatte.
Anfangs ging die Rückkehr rasch von
statten; aber mit der abnehmenden Kälte
wuchs die Gefahr des Aufgehens der Eis-
decke, der Boden unter den Füfsen wurde
immer unsicherer, die Kanäle zwischen
dem Eise breiter und häufiger und oft
mufste man grofse Umgehungen ausführen,
wodurch man achliefslich um 8 Längen-
167
grade von der Richtung auf die Teplitr.-
Bai abgedrängt wurde. In einem weiten
Bogen mufste man sich der Inselgruppe
von Süden her nähern und nach 101-
tägiger Abwesenheit trafen die vier Nord-
polfahrer am 20. Juni wieder bei ihren
Gefährten an der Teplitz-Bai ein. Wäh-
rend der Abwesenheit der Schlittenreisen-
deu hatten die Zurückgebliebenen Jagd-
ausflüge und wissenschaftliche Streifereien
von der Teplitz-Bai aus unternommen und
auch vergebliche Versuche angestellt, die
verlorene Gruppe Guerini wieder aufzu-
finden. Nach Cagni'8 Rückkehr wurden
die Vorbereitungen zur Rückfahrt emsig
betrieben, das Schiff wurde mit unend-
lichen Mühen wieder aufgerichtet, vom
Eise befreit, in sein Element zurück-
gebracht und im August 1900 die Heim-
reise südwärta angetreten. B.
* über den augenblicklichen Stand
des Baues des deutschen Südpolar-
schiffes macht Professor v. Dry-
galski, der erwählte Leiter der deut-
schen Südpolarexpedition, nach einem
Berichte des Bauleiters Ruser in Peter-
mann's Mitteilungen (1901 S. 24) folgende
Mitteilungen: Der Bau des Südpolar-
schiffes schreitet rüstig vorwärts, es ar-
beiten zur Zeit ca. 100 Zimmerleute am
Bau , die erste Aufsenhaut wird innerhalb
14 Tagen befestigt seiu, es kann dann
mit der zweiten Plankenlage von oben
und unten gleichmäfsig begonnen werden
und dadurch wird, trotzdem die zweite
Lage mit zwei durchgehenden grofsen
Spanten, auf die Innenseite verklinkte
Bolzen befestigt werden, diese schnell be-
endet werden. Das Überdeck liegt seit
Ende November und es wird, da die
Horizontal-, sowie die Vertikalkniee im
Unterraum an den Zwiachendecksbalken
schon angebracht sind, das Zwischendeck
Ende dieser Woche (Ende Januar; fertig-
gelegt sein. Die eichenen Stützen unter
den Balken , sowie die starken eicheneu
Bugbänder in Knieform sind bereits an-
gebracht und wird mit den Heckbändern
demnächst begonnen. An den Rund-
hölzern wird fleifsig gearbeitet und sind
die drei Untermasten, aus prächtiger
Oregon-Tanne, bereits fertiggestellt. In
der Tischlerei arbeitet man an den Decks-
häusern und der inneren Einrichtung der
Wohnräume der gesamten Besatzung.
Die Zwischenräume der Spanten, welche
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1C8
Geographische Neuigkeiten.
mit Korkstücken ausgefüllt sind, werden
bereits mit Pech ausgefüllt. Die Kessel
haben die kalte Druckprobe bestanden
und harren, ebenso wie die bereits fertig-
gestellte Maschine, der Zeit des Stapel-
laufs, um an Ort und Stelle gebracht zu
werden. So in allen Teilen vorwärts-
schreitend, wird voraussichtlieh der Hau
im Mai beendet werden.
<i)eographi8cher Unterricht.
* Geographischer Unterricht in
Frankreich, l'nter dem Titel: Uni-
versite de Paris. Horaire des cours et
Conferences de Pannee scolaire 1H99 lüOO.
Progranmies des certificate d'etudes
superieures, Melun, Imp. administr. 99,
ist ein kleines Heft erschienen, das etwa
ein Mittelding zwischen unsern Vorlesungs-
verzeichnissen und unsern Prüfungsord-
nungen darstellt. Alles in allem sind für
Physische Erdkunde zwei einstündige
Collegien von M. Ch. Velain angekündigt,
das eine „allgemeine „Hedingungen der
Uberflächengestaltung mit spezieller He-
handlung Kuropas und Asiens", das an-
dere „Entwicklung der im ersten Teil des
Programmes für das Keifezeugnis in phy-
sischer Erdkunde gestellten Fragen".
Aufserdem ist zweimal in der Woche
unter Leitung des Professors Gelegenheit
zu praktischen Übungen gegeben. Con-
ferences (Kolloquien; Huden in der Erd-
kunde nicht statt, ("brigens ist die Fakultät
der ..Wissenscharten" | sciences) in Paris die
einzige, die in Erdkunde prüft und Zeug-
nisse ausstellt. Die anderen Fakultäten,
mit sehr verschiedenen zahlreichen Fächern,
enthalten alle Geologie, Geographie keine.
Es Bind die Fakultäten in Hordeaux,
Ca&n, l'lermont, Dijon, Grenoble, Lille,
Lyon, Marseille, Montpellier, Nancy,
Poitiers, Kennes und Toulouse. — Das
Programm zur Prüfung ist nun ausser-
ordentlich eingehend, 5—6 enggedruckte
Seiten lang (S. 60 — 55). Es unterscheidet :
1. Morphologie der Erdoberfläche,
wozu auch „die Erde im Weltraum" ge-
rechnet wird; G e om orphogonie, diese
sehr ausführlich besonders nach der Seite
der Erosion hin. Physiologische He-
dingungen in der Jetztzeit unter den
drei Unterabteilungen: Das Leben auf
dem Festland, das Leben im Meere
und — Menschenrassen. 2. A n w e n d u n g
geologischer Daten auf das Stu-
dium der grofsen Festlandsabtei-
lungen. 3. Praktische Prüfung:
„Lesen einer geographischen Karte. Die
Kandidaten müssen aus der Prüfung eines
Teils einer Karte in grofsem Mafsstabe
eine vernünftige Erklärung der darge-
stellten Formen herleiten können." „He-
stimmen zweier Gesteine, die aus den
topographisch wichtigen gewählt worden
sind, nebst Beschreibung ihrer Umwand-
lungs- und Yerwitteruugserscheinungen.
sowie den sich daraus ergebenden Formen."
Heinr. Fischer.
Vereine und Versammlungen.
* Der IV. italienischeGeographen-
kongrefs wird in der ersten Hälfte des
April in Mailand abgehalten werden. Alle
sich darauf beziehenden Zuschriften, An-
fragen und Anmeldungen sind au das
Gomite, Palazzo di Brera, zu richten.
Die Mitgliedschaft kann durch Zahlung
von 10 Lire erlangt werden. Voraus-
sichtlich werden der Herzog der Abruzzen
und Kapitän Cagui an den Verhandlungen
des Kongresses teilnehmen und über di»:
von ihnen ausgeführte Nordpolreise be-
richten.
Persönliches.
Am 12. Dezember 1900 starb zu Berliu
im Alter von 79 Jahren der russische
General a. D. Koderich v. Erckert,
der seit seinem 1884 aus der russischen
Armee genommenen Abschiede in Berlin
wohnte und sich hier geographischen
Studien widmete. Aufser zahlreichen Bei-
trägen in geographischen Zeitschriften
sind von ihm erschienen „Der Kaukasus
und seine Völker" (Leipzig 1887) und
„Wanderungen und Siedelungen der ger-
manischen Stämme in Mitteleuropa"
(Berlin 1901).
* Am 27. November 1900 starb der
junge Heisende Wynford Carnegie,
welcher mehrere Reisen in Westaustralien
ausgeführt und Bich um die Erforschung
dieses Landes grofse Verdienste erworben
hat („Spinifex and Sand; a record of
five years' pioncering and exploration
in West Australia";. Als er starb, war
er Assistent- Resident der Middle-Niger-
Kolonie in Nigeria.
* In Petermaun's Mitteilungen {1901
S. 22 1 wird anscheinend offiziös darauf
hingewiesen, dafs jüngeren Matbema-
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Büch erbe sprech Vinnen.
169
tikern, welche allerdings auch etwas
praktischen Sinn haben müssen, sich
gunstige Aassichten bieten, falls sie
Neigung haben , auf Reichskosten als per-
fekte Astronomen für Längen- und Breiten -
bestimmungen sich ausbilden zu lassen.
Da noch ein grofser Teil der Grenzen
der deutschen Kolonien der genauen Fest-
setzung harrt , so wird das Deutsche Reich
noch für eine ganze Reihe von Jahren
Bedarf haben für so ausgebildete Astro-
nomen, und für eine geeignete und reise-
lustige Persönlichkeit eröffnen sich in-
folgedessen sehr gute Aussichten, um so
mehr als bei dem Mangel an Angebot
die Honorarfrage keine Rolle spielt. An-
gebote sind zu richten an die Kolonial-
abteilung des Auswärtigen Amtes.
Berichtigung.
* Im vorigen Hefte ist in der in letzter
Minute von mir eingeschobenen nekrolo-
gischen Notiz über Fiorini diesem ver-
1 sehentlich auch das Buch: Die Geographie
bei den Kirchenvätern , das vielmehr von
Marinelli ist, zugeschrieben, das wichtige
1 Werk: Le projezioni delle carte geo-
grafiche 1881 dagegen vergessen worden.
i A. H.
Büclierbesprecliangcn.
Henning, Samuel Braun. Beitrag zur Er-
forschungsgeschichte von Westafrika.
143 S. M. K. Basel, Birkhäuser 1900.
Samuel Braun, ein Wundarzt aus
Stiel, darf, wenn man von dem leider
noch allzu wenig bekannten und ge-
würdigten Hieronymus Münzer absieht,
auf den Namen des ersten wissenschaft-
lichen deutschen Afrikareisenden An-
spruch erheben. Er lebte von 1580
bis ItiGK und unternahm in den Jahren
1611 — 1620 drei Seefahrten nach West-
afrika. Er hielt sich längere Zeit an ver-
schiedenen Orten der beiden Guineaküsten
auf und lernte einzelne der dortigen
Landschaften mit ihren Bewohnern und
Erzeugnissen ziemlich genau kennen.
Nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt
verfafste er' einen Bericht über seine
Reisen, der 1624 zuerst in Basel gedruckt
wurde und bald darauf in die grofsen Sam-
melwerke von deBry undHulsius überging.
Leider fand das Buch nicht die genügende
Beachtung und blieb bis in die neueste
Zeit fast gänzlich unbenutzt. Auch über
Braun'» Lebensumstände war nichts be-
kannt. Das Verdienst, ihn der Vergessen-
heit entrissen zu haben, gebührt Friedrich
Katzel, der ja durch seine Beiträge zur
Allg. deutschen Biographie und durch
verschiedene Dissertationen der Mitglieder
»eines geographischen Seminars schon
manchem wenig bekannten älteren Reisen-
den zur Auferstehung verholfen hat. Er
machte seinen Schüler Henning auf Braun
aufmerksam, und so entstand die vor-
Gcographische Zeitschrift. 7. Jahrgang. 11)01. 3.
liegende Arbeit. Henning schildert zu-
nächst auf Grund handschriftlicher Quellen
des Baseler Archivs denLebensgang Braun's,
berichtet dann in Anlehnung an die ge-
druckte Reisebeschreibung eingehend über
dessen afrikanische «Reisen, fafst hieraut
deren wissenschaftliche Ergebnisse auf
geographischem und völkerkundlichem
Gebiete übersichtlich zusammen und ver-
gleicht endlich Braun's sehr beachtens-
werte Leistungen mit denen anderer
Reisender (Lopez, Linschoten, Marees,
Battel, Hemmersam, Bellefond und Wil-
helm Johann Müller), die einige Zeit vor-
oder nachher in den Küstenländern des
tropischen Weatafrika verweilten und Be-
schreibungen derselben hinterlassen haben.
— Henning's Arbeit ist ein dankens-
werter Beitrag zur Geschichte der Erd-
kunde. Hoffentlich findet der Verfasser auch
weiterhin Mufse, um seine biographischen
Untersuchungen über wenig bekannte
ältere deutsche Reisende in ergebnis-
reicher Weise fortsetzen zu können.
Victor Hautzsch.
Ratzel, Friedrich, Der Ursprung und
die Wandlungen der Völker
geographisch betrachtet. U.Geo-
graphische Prüfung der Thatsacheu
über den Ursprung der Völker Europas.
(Berichte über die Verhandlungen der
Königlich Sächsischen Gesellschaft
der Wissenschaften zu Leipzig. Philol.-
hist. Klasse. Bd. 52. Leipzig, B. G.
Teubner, 1000.)
Heft. 12
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rechungen.
170 Bücherbesp
Dem Ursprung der Indogennanen nach-
zugehen , ist eine der reizvollsten Auf-
gaben der Wissenschaft; reizvoll, weil sie
so gefahrvoll ist, weil sie einer „exakten11
Behandlung noch so sehr widerstrebt.
Freilich hat dann auch jeder Forscher,
der sich mit dieser Frage eingehend be-
fafst, seine eigene, von anderen ab-
weichende Ansicht. Aber es kann bei
dem Versuch, das Rätsel zu lösen, nicht
so sehr auf die Richtigkeit der Ergebnisse
ankommen als auf die Auffindung neuer
Wege, die uns auf das Ziel hinleiten.
So inufs auch dieser neuste Versuch Fr.
Itatzel's, die Entwickelung der Völker
Kuropas zu erklären, angesehen werden.
Der Fachmann in der einen oder anderen
der beteiligten Wissenschaften wird ver-
mutlich des öfteren anderer Meinung sein
als der Verfasser; aber die Art, wie Ratzel
die Frage angreift, das Heranziehen der
geographischen Verhältnisse in dieser
Ausdehnung ist neu, und es ist damit
unzweifelhaft eine der allerwichtigsten
Seiten des Problems berührt. Das Beste
Ratzel'scher Denkweise, die räumliche
und zeitliche Weitsichtigkeit, kommt hier
zu vollster Geltung.
Es ist in einer kurzen Anzeige nicht
möglich, den Inhalt der Studie mehr als
nur ganz schattenhaft anzudeuten. Ratzel'*
Grundgedanke ist der: eine Rasse von
ausgeprägter Eigenart kann nur entweder
hei insularer Abschliefsung entstehen,
oder wenn sie einen weiten Raum zu-
sammenhängend bewohnt. Im letzteren
Fall ist die Einwirkung des Fremden
durch die verhältnismäl'sig geringe Aus-
dehnung der Feripherie vermindert; der
gröfste Teil der Bewegungen trifft auf
Verwandtes, sodafs also Gelegenheit ge-
geben ist, die Unterschiede auszugleichen.
Das Ergebnis seiner Studien fafst
Ratzel am Sehlufs ungefähr folgender-
mafsen zusammen:
Dem heutigen Europa, das, getrennt
von Afrika, mit Asien in ganzer Breite
zusammenhängt, ging ein älteres vorher,
welches von Nordasien getrennt war, da-
gegen über das östliche Mittelmeer hin-
weg in engerer Verbindung mit Afrika
und Vorderasien stand. Im Norden wurde
es durch die Eisdecke eingeschränkt. Als
das Eis sich zurückzog, ging aus der spär-
lichen Jägerbevölkerung, #die Mittel- und
Osteuropa, soweit es eisfrei war, bewohnt
hatte, die blonde, hochgewachsene „Ko-
lonialvarietät der weifsen Rasse" hervor.
Schon früher hatte sich eine helle Abart
der dunkleren Völker Afrikas und Süd-
asiens über Westasien und das Mittel -
meergebiet ausgebreitet. Später, als die
Verbindung mit Nordasien hergestellt
war, kamen von hierher mongolische Ein-
dringlinge. Durch die mannigfachen Ver-
bindungen dieser drei Elemente sind die
seit der neolithischen Zeit Europa be-
wohnenden Völker entstanden.
Die blonde Rasse, die extremste Aus-
bildung der weifsen Rasse, scheint sich
in inselhafter Abgeschlossenheit entwickelt
zu haben.
Von einer arischen Rasse zu sprechen,
ist unrichtig; die europäischen Rassen
bestanden schon vor dem Eintreffen der
Völker des arischen Sprachstammes. Diese
sind erst ziemlich spät nach Europa ge-
kommen. Ihren Ursprung haben sie in
den Steppen nördlich der Mittelpunkte der
westasiatischen Kultur, von wo aus sie eben
diese Kult ur auf dem Landwege weiter nach
Westen verbreiteten. 0. Schlüter.
Bastian, Adolf, Der Völkerverkehr
und seine Verständigungs-
mittel im Hinblick auf China.
Berlin, D. Reimer, 1900. 31 S. 8°.
In der nur zu gut bekannten Form,
die den Schriften des Altmeisters der
Ethnologie eigen ist, ruft dieses Heftchen
den kolonisierenden Mächten der Gegen-
wart die nicht genug zu beherzigende
Mahnung zu: lernt die Völker, die ihr
beherrschen wollt, auch kennen, lernt ihre
Sitten, ihren eigentümlichen Vorstellungs-
kreis verstehen. 0. Schlüter.
Hellmann, ti., Regenkarte der
Provinzen Westpreufsen und
Posen, mit erläuterndem Text und
Tabellen. 1:1600000. 27 S. gr. 8°.
Berlin, Reimer. 1000. M. 1.—
Die vorliegende Karte ist die dritte
innerhalb der die Niederschlagsverhältnisse
des Königreiches Preufsen zur Darstellung
bringenden, im Vorjahre begonnenen Reihe
von Veröffentlichungen. Sie giebt die
Beobachtungsresultate der Jahre 1890 bis
1899 hinsichtlich der während dieser Zeit
gewonnenen mittleren jährlichen Nieder-
schlagshöhen in sechsBlautönuugen wieder,
deren dunkelste die Stufe 700— 800 mm
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Bücherbesprechungen.
171
einschliefst, während die anderen Hieb
auf Intervalle von je 50 mm beziehen.
Im ganzen sind bei den der Karte zu
Grunde liegenden Berechnungen 189
westpreufsische und 84 posensche Orte
berück sichtigt worden, von welchen 83
über eine ununterbrochene Beobachtungs-
reihe verfügten. Wo eine solche nicht
vorlag-, wurde auf die Ergebnisse benach-
barter, in topographischer Hinsicht ähn-
licher Stationen mit zehnjähriger Be-
obachtungszeit zurückgegangen und nach
diesen reduziert. Obwohl die vorliegende
Karte der besseren Übersicht wegen frei
von Höhenschichtenlinien bleiben mufste,
läfst sie doch wegen der mit zunehmen-
der Bodenerhebung sich steigernden
Niederschlagsmenge und der zwischen
Luv und Lee in Bezug auf diese bestehen-
den wesentlichen Unterschiede das Relief
der Provinzen auf das deutlichste erkennen,
ja sie bringt selbst Uöhenwellen von
weniger als 100 Metern zu unmittelbarer
Anschauung.
Ein kurzer Überblick über die Häufig-
keit der Niederschlag«, Eintritt des ersten
und letzten Schneefalls an den Stationen
mit langer Beobachtungsreihe: Danzig,
Könitz, Posen und Bromberg bildet den
Schlufs der umfassenden Darstellungen.
H. Kienast.
Matlekovic, Alex, t., Das Königreich
Ungarn, volkswirtschaftlich und sta-
tistisch dargestellt. 2 Bände. XXXII
u. 616 S., sodann 959 S. Leipzig,
Duncker & Huinblot 1900. J£. 3G —
Zwar ist dieses Werk, aus Anlafs der
ungarischen Millenniumsausstellung ent-
standen, nach Anlage und Zweck kein
geographisches; doch wird man über wich-
tige Teile der Länderkunde Ungarns von
keinem anderen Buche ebenso verlässige,
vollständige und übersichtliche Belehrung
erhalten wie von dem vorliegenden. Auf
den reichlich gegebenen Grundlagen der
ungarischen Statistik erhebt sich vor uns
ein klares und gefälliges Bild des viel-
seitig und rasch vorwärts geschrittenen Er-
werbslebens in Ungarn, sowohl der produk-
tiven als der distributiven Gewerbe und
insbesondere der nachdrücklich fürsorgen-
den Thätigkeit der Staatsverwaltung. Nicht
nur befähigte eine langjährige Thätigkeit
in letzterer den Autor, die Masse des
verfügbaren statistischen Materials zu
durchgeistigen, sondern auch sein Takt
als vielgeübter Schriftsteller leitete dazu
an, nur praktisch Interessantes und zu
weiteren Schlüssen Verwendbares dem
Leser vorzuführen.
Der erste Band behandelt die soge-
nannte Naturproduktion, also Land- und
Forstwirtschaft sowie Bergbau; der zweite
Band befafst sich mit der Industrie, dem
Handel und Verkehr, sowie den auf das
Erwerbsleben direkt einwirkenden Staats-
und anderen öffentlichen Einrichtungen.
Wir können hier natürlich nur auf einzelne,
für den Geographen wichtigere Abschnitte
hinweisen, möchten aber immerhin zur
Orientierung beispielsweise anführen,
welche Gegenstände der Schlufsabschnitt
de» Kapitels „Landwirtschaft" darlegt.
Es sind dies: die Bodenverbesserung, die
Wasserregulierung und Schutzarbeiten, die
Kolonisation, die landwirtschaftlichen Ge-
setze und Institutionen, die landw. Vereine,
den landw. Fachunterricht, desgl. Ver-
suchswesen, die Fischerei. Dafs der Para-
graph, welcher die Regulierung der einzel-
nen Flüsse mit zahlenmäfsigen Angaben
vorführt, dem Geographen als Fundstätte
dienlich sei, desgl. eine Skizze der Fische-
rei, bedarf keines Nachweises. Letzteres
gilt auch von anderen der 58 Paragraphen,
welche Landwirtschaft und Forstwesen
darstellen. Als allgemeineren Zug in der
fortgehenden Umänderung, welche das
Aussehen des Landes durch die Boden-
kultur ertUhrt, und zwar auch in Bezug
auf Siedelurigen und Wege, werden wir
die Zunahme des Ackerlandes auf Kosten
der Wiesen und der Weideflächeu hervor-
heben, ein Umstand, welcher einerseits zu-
gleich die Bevölkerungszunahme mitbe-
stimmt, andrerseits die Abnahme des
Kleinviehs. Weniger augenfällig aber
ist die Steigerung in der Krtragsmenge
des Getreides und besonders im Anbau
von Hackfrüchten, letztere dort, wo früher
die l'ufstenwirtsehaft ihre zwar roman-
tische, aber wenig rationelle Pflege fand.
Zu den klargelegten neueren Anbauände-
rungen gehört ebenso die allerdings lang-
same Wiederherstellung des Weinbaues,
welcher auch noch i. J. 1H99, nicht nur
1897, dem letztverwendeten Jahrgänge
unseres Werkes, beträchtlich hinter der
Zeit vor 1890 zurücksteht, so dafs die Aus-
fuhr von der Einfuhr sehr beträchtlich
übertroffen wird.
VI*
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172
Bücherbesprechungen.
Der zweite Rand sodann, last um ein
Drittel stärker als der erste, wird dem Geo-
graphen weniger Auskünfte bieten, wenn
dieser nicht der eigentlichen Fabrik-
industrie eine rechtmässige Heimstätte in
seinem Fache zuerkennen will, weil sie
das Aussehen der Städte und die Anlage
und Benützung der Verkehrswege sicht-
bar mannigfach beeinflufst Auch die
Abschnitte, welche die sogen, landwirt-
schaftlichen Industrien schildern, berück-
sichtigen meist die Entwicklungsgeschichte
und die statistischen Verhältnisse, weniger
dagegen ihre örtlichen, natürlichen Be-
dingungen. Jedoch haben immerhin die
regelmäfsigen Angaben der Sitze aller
größeren Betriebe Wert für uns, während
z. ß. die Darstellung der Thon- und Glas-
industrie auch die Herkunft der Rohstoffe
aufmerksam behandelt. Im ganzen finden
wir gewil's, wie Matlekovic hervorhebt,
viele Fortschritte gegenüber dem indu-
striellen Leben von 1870 als erwiesen vor,
wie ja jeder, welcher durch Ungarn seit
zwanzig Jahren dann und wann reist, stets
wieder eine Anzahl neu erbauter Fabrik-
anwesen erblickt. Allein wenn man sein
Auge auf das überaus weitgehende finan-
zielle und administrative Eingreifen des
Staates zu guusten aller einheimischen
Neuunternehmungen der Industrie richtet
und erfuhrt, dufs Ungarn eine sehr grofse
Zahl derselben österreichischem und aus-
ländischem Unternehmersinn verdankt,
dann wird dieRewunderung abgeschwächt.
Resondere Gesetze der Begünstigung der
heimischen Industrie von 1881, 18U0 und
18U1 letzteres über die Hedarfsdeckung
von seiten der Behörden) haben ja eine
ermunternde Kraft notwendig äufsern
müssen. Bei der Behandlung der Bevölke-
rungsfragen begegnen wir leider eiuiger-
mafsen dem Magyarismus des Verfassers
in seiner von uns Deutschen verurteilten,
weil gegen das Deutschtum so gehässigen
Erscheinung. Mit grofsem Eifer hat M.
insbesondere die Zunahme des Magyaren-
tums, statistisch untersucht. Wir kennen
die Thatsache des starken Anwachsens
der Zahl derer, welche sich für Magyaren
erklären, wie wir jene amtlichen Mafs-
regeln und Verführungsmittel verurteilen,
durch welche bis zum Wegwerfen des
Namens ihrer Familie die Magyaronen ge-
wonnen werden. Dafs größtenteils Deut-
sche diesen Schimpf sich anthun, kann
uns den Kampf der Magyaren gegen alles
Deutsche nicht anmutender werden lassen
Aber allerdings ist es auch die Zunahme
des Wohlstandes in vielen Landesgebieten
und die vermehrte Erwerbsgelegenheit,
wodurch u. a. die Abnahme der Kinder-
sterblichkeit und die hohe Zahl der Ge-
burten begünstigt wird, während nach M
letztere „die kräftige Konstitution des
ungarischen Volkes beweist". Hier kann
jedoch sein statistischer Nachweis (I, S. 125
u. 126) nicht als zu Gunsten der Magyaren
erbracht erscheinen; es bedürfte hiezu
einer eingehenderen Untersuchung, als sie
mit ganzen national-gemischten Komitats-
bezirken versucht wird. — Was endlich
die vorderen geographischen §§ 1—5 be-
trifft, so steht die Darstellung zum Teil
nicht auf gleicher Höhe mit dem trefflich
gegebenen Gehalte deB übrigen Werkes.
Das trockene Umsetzen der Landkarte in
Angaben eines Textes ist sowohl in der
Skizze der ßodengestalt als in geologischen
Abschnitten bemerkbar. Doch wechseln
letztere mit klaren, anregenden Bericht-
teilen. Die späteren Paragraphen über die
Beschaffenheit des Bodens und des Klimas
verlaufen gleichfalls vorteilhafter, wenn
sich auch etliche zu bestimmt ausgedrückte
Erklärungen hier vorfinden, z. B. über die
Ursachen des Tschernosems im Alföld und
über den grauen Sandboden zwischen
Donau und Theifs. Eine Anzahl von
Schilderungen der Naturproduktion erfolgt
unter sachgemäfser Einteilung der ver-
schiedenen Qualitäten nach geographischen
Landesgebieten, gewifs eine sehr fafsliche
Behandlung in statistischem und sozusagen
aufzählendem Verfahren. Zu den geo-
graphischen Zügen des Werkes dürfen
wir auch die Vergleichung der Thatsachen
oder Mengen in Ungarn mit den betreffen-
den der anderen Länder Europas rechnen,
wodurch es M. anschaulich macht, wie es
in seinem Lande steht. — Nach dem allen
giebt es also ausreichende Gründe, die um-
sichtige und ansprechende Leistung, mit
welcher uns das wirtschaftliche lieben und
Arbeiten Ungarns gezeigt und erklärt
wird, auch als einen wertvollen Dienst
für die Länderkunde Europas zu be-
zeichnen. W. Götz.
AlfÖldi, Bela Dr., Illustrierter
Führer durch Ungarn, Kroatien
und Slavonien. Mit 50 Hl., 4 K.
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Bücherb esprechungen.
173
Wien, Pest, Lpzg., Hartleben 1900.
12°, VII u. 260 S. geb. 5.40 .H.
Als erster deutschgesehriebener Führer
durch Ungarn kann das Büchlein auf
viele Nachsicht rechnen und thut die«
auch. Nach Art aller „Hartlebenführer"
ist viel Wert auf Illustrationen gelegt,
dagegen von Karten nur eine Übersichts-
karte 1 : 2 Millionen, die Karte der Donau
von Prefsburg bis Ofen-Pest, der Plan der
Hauptstadt und die Karte der Donau -
katarakte beigegeben. Die Anordnung
nach Reisetouren ist praktisch. Die
Nomenklatur ist in der Regel die magy-
arische, doch sind daneben die deutschen
Namen angeführt. Von jedem Stand-
punkte aus, den man auch immer in
dieser Beziehung einnimmt, wäre wohl
eine Unterscheidung erwünscht zwischen
deutschen Namen deutscher Orte, die noch
lebendig sind, wie Hermannstadt, und
solchen, die heute als Buchnamen gelten
müssen. Das touristische Detail ist wesent-
lich Städtebeschreibung. Stichproben
zeigen grofse Lücken: so sind z. B. die
Ruinen von Aquincum, da« Rathaus von
Kecskemet und andere Sehenswürdigkeiten
von Bedeutung nicht erwähnt. Auch
Fehler: so folgt nach S. 24 die Bahn
Pärkäny-Csata der Eipel statt der Gran.
Die allgemein geographischen und geo-
logischen Bemerkungen sind spärlich.
Nach S. 26 ist der Neusiedler See im
Austrocknen begriffen, von seinen grofsen
Veränderungen wird kein Wort gesagt.
Vom Thebener Schlofsbcrg erfahren wir
B. 8, dafs „dieser Berg einst daB Ufer
eines SüfswasBereees war, der das unga-
rische Tiefland bedeckte". Das ergiebt
sich aus Überbleibseln von „Tieren der
Vorzeit" etc. Solche Angaben ohne
exakte geologische Bezeichnungen sind
wohl in Reiseführern üblich, aber sie
sollten durchaus vermieden werden. Ein
für den Heisenden interessantes Moment,
die Verteilung der Nationen, das schon
»üb rein praktischen Rücksichten (Ver-
ständigung) Hervorhebung verdiente, ist
nur gelegentlich gestreift. Dagegen leistet
sich der Autor bei den historischen Ex-
kursen politische Anspielungen, deren
chauvinistischer Tenor nicht angenehm
Wührt (man vgl. da« Lob von Klausen-
berg S. 177 mit der historischen Charak-
teristik der Hermannstädter und ihres
..zweimaligen Verrats" S. 1X4;. Dem ent-
[ spricht auch , dafs ein Verein von dem
Alter und den Verdiensten des Hermann-
städter Siebenbürgischen Karpat hen Vereins
keine Erwähnung findet, wohl aber der
magyarische Kampfverein gleichen Namens
in Klausenburg als „kulturelles Institut"
dieser Stadt verzeichnet ist, Doch braucht
dies nicht auf gehässiger Absicht zu be-
ruhen, sondern es kann ganz gut dei
lückenhaften Kenntnis entspringen, die
Verfasser von Siebenbürgen hat. Vergeb-
lich suchen wir z. B. in dem Buche die
Namen Negoi und Bucsec«, dafür aber
finden wir auf S. -.'03 die Mitteilung, daf«
der Retyczät mit 24*4 m der höchste
Berg Siebenbürgens sei (die Karte giebt
demselben Berg 2608 m). Der Name
Siebenbürgens selbst wird mit der
deutschen Volksetymologie von den sieben
Burgen der Ordensritter statt vom Flusse
Cibin abgeleitet u. s. w. Jedenfalls könnte
eine sorgfältige Umarbeitung dem Buche
nicht schaden. Sieger.
Annales de l'observatoire national
d'Athenes publice« par Dem. Egi-
nitis. T. II. Athene«, Imprimerie
royale Inglessi - Papageorgiu 10ou
347 pp. 4U.
Von dem neuen Leben, das an der Stern-
warte von Athen mit der Direktion von
Eginitis eingezogen i«t , legt nun bereits
ein neuer inhaltreicher Quart band ihrer
Veröffentlichungen Zeugnis ab. In llhn-
licher Weise wie in dem früher besproche-
nen Bande (vgl. 0. Z. VI, S. 124) reichen
auch hier Beobachtung und antiquarische
Gelehrsamkeit «ich die Hand. Den eigenen
Sternschnuppenbeobachtungen des Verf.
(S. 41, 42) steht gegenüber eine Unter-
suchung (S. 7—15) über die aus byzan-
tinischen Quellen geschöpfte Kunde von
grofsen Meteor- Schwärmen, die in den
Jahren 762, 632, 558, 518, 763 Aufsehen
erregten. Der Verf. setzt die vier erst-
genannten mit den Andromediden und mit
den Perioden der Erscheinung des Biela-
schen Kometen in Verbindung ; der Schwärm
von 763 wird den Lyriden vermutungs.-
weisc zugewiesen. — Auch eine Darlegung
(8. 17—24) der scheinbaren Vergrößerung
von Sonne und Mond in der Nähe des
Horizonts greift auf die antiken Beobach-
tungen dieser Erscheinung zurück. — Be-
obachtungen bei einer Sonnenfinsternis
(8. VIII. 1896) regten den Verf. zur Wieder-
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174
Büch erb esprech ungen.
aufnähme der schon von früheren Beob-
achtern aufgeworfenen Frage an, oh man
dem Mond nicht eine, freilich »ehr dünne
Atmosphäre zu schreiben müsse i'S.25— 27 i.
— Den Hauptinhalt de« Bandes aber
bilden aufser den meteorolog. Beobach-
tungen des Jahres 1896 (S. 43 — 18«), die
für Temperatur, Feuchtigkeit, Luftdruck
auf Grund der selbst registrierenden In-
strumente stündliche Werte bieten, die Be-
obachtungen der Erdbeben Griechenlands
(1893—1898) auf Grund der Wahrneh-
mungen von 5*>0 Beobachtern iS. 1 H*> 347,
dazu 29—35 allg. Ergebnisse über zeit-
liche Verteilung!. Der Übersicht über die
räumliche Verteilung der Stöfse (85 — 38),
welche aufser Zante namentlich die Bruch-
linien des Golfs von Korinth und des Eu-
böischen Meeres als stark beteiligt an
den Bodeubewegungen dieser Jahre er-
weist, ist. angeschlossen eine speziellere
Beschreibung des Erdbebens von Manti-
nea (2. VI. 1898). Es ist hoch erfreulich,
dafs auch in der seismischen Forschung
Eginitis mit gröfseren Mitteln und Hilfs-
kräften die Bestrebungen wiederaufnimmt,
für welche schon Julius Schmidt Athen
zu einem wichtigen Herde gemacht hatte.
Breslau. J. Bartsch.
Sachau, Ed.« Am Euphrat und Tigris.
Reisenotizen aus dem Winter 18'J7
bis 1898. Mit 5 Kartenskizzen und
32 Abbildungen. Leipzig, J. C. Hin-
Yicha, 1900. 8*. 100 S. „¥.3.60.
Die Auswahl einer geeigneten Arbeits-
stelle für die Gesellschaft zur archäo-
logischen Erforschung der Euphrat- und
Tigrislande hat den berühmten Orienta-
listen zum zweiten Male in das Gebiet
der mesopotamischen Zwillingsströme ge-
führt. Diesmal hat er die Beise in um-
gekehrter Ordnung gemacht, d. h er hat
sich zu Schilf nach der Mündung des
Schfttt el-Arab begeben und ist von dort
aus über Bagdad und Mosul nach der
Mittelmeerküste gewandert. Alle die
Stätten alter Kultur und mittelalterlicher
Herrlichkeit ziehen an uns vorüber. Es
ist kein erfreuliches Bild: noch kann das
einst so blühende band sich nicht von
den Folgen der entsetzlichen Mongolen-
verwüstung erholen, obschon über sechs
Jahrhunderte seitdem vergangen siud;
die türkische Regierung ist gerade auch
nicht geeignet, ihm neues Leben ein-
zuflößen. Doch macht sich auch liier der
Pulsschlag der Neuzeit fühlbar: derGrund
und Boden geht mehr und mehr in den
Privatbesitz des Sultans über und wird
als „aräzi-i-seiiije" von dem Civilkabinet
verwaltet, und diese Domänen, vor den
Räubereien der Beamten geschützt, werden
entschieden Borgsamer bebaut und sind
in besserem Zustand als der Rest de*
Landes. Sie können wohl der Ausgangs-
punkt für einen Aufschwung werden,
wenn einmal die Lokomotive vom Mittel-
meer zum persischen Meerbusen läuft.
Der Sachau'sche Bericht ist sowohl für den
Archäologen als für den Politiker und
Nationalökonomen, der die Zukunft
Deutchlands im Südosten sucht, unent-
behrlich ; die beigegebenen Karten er-
möglichen eine gute Übersicht des ganzen
Gebietes von Cilieien bis zum persischen
Meerbusen. Ko,
Ton Hesse- Wart egg» E., China und
Japan. Erlebnisse, Studien.
Beobachtungen. Zweite vermehrte
und verbesserte Auflage. Mit 61 Voll
bildern, 212 Abbildungen und einer
Generalkarte von Ostasien. Leipzig
(Weber, 1900. 18.-
Seitdem der fleifsige Verfasser im
Jahre 1807 die erste Auflage dieses für
die weitesten Leserkreise berechneten
interessanten Reisewerkes veröffentlichte,
hat eine neue Reise ihn in den Norden
Chinas, insbesondere in die Provinz Schan-
tung. das Hinterland der neuen Kolonie
Kiautschou, geführt. Ein besonders reich
illustriertesWerk,,,SchantunguudDeutsch-
China" enthält die Ergebnisse dieser Reise.
Die vorliegende neue Auflage des den
beiden Hauptländern des fernen Ostern?
gewidmeten Buches ist nun ganz he-
deutend vermehrt worden. Insbesondere
ist der gröfste Teil des Werkes über
Schantung mit seinen ausgesucht schönen
Illustrationen dem neuen Buche einver-
leibt worden, wodurch «lern Besitzer des-
selben ein wahrhaft reicher Schatz guter
Abbildungen und anschaulicher Schilde-
rungen geboten wird. Die Lebhaftigkeit
der Darstellung, die den unkritischen
Leser gefangen nimmt, mufs allerdings
i für recht viele Ungenauigkeiten entschä-
digen; aber bei der allgemeinen Unkennt-
nis unseres Publikums, das sich bisher
für die wissenschaftlichen Fragen des
Digitized by Google
BücherbeRprechungen.
chinesischen Kulturlebens nicht besonders
zu erwärmen vermochte, wird dies von
den meisten Lesern, die nur in anregen-
der und gleichzeitig einigermaßen be-
lehrender Weise unterhalten sein wollen,
kaum als störend empfunden werden. Das
Buch ist nicht für Sinologen geschrieben,
und wenn ich gestehe, dafs es mir so wie
es ist, trotz aller Fehler, recht gut ge-
fallt, so darf ich es jedem, nicht gerade
fachmannische Ansprüche machenden LeBer
als in hohem Grade zeitgemäfse , inter-
essante Lektüre empfehlen. Sollte es zu
einer dritten Auflage kommen, so würde
ich dem Herrn Verfasser sorgfältige Wie-
dergabe aller chinesischen Namen nach
deutscher, nicht englischer Rechtschrei-
bung empfehlen. Friedrieb Hirth.
Schwabe, Die VerkehrsverhältniBsc
des chinesischen Reiches. 8. A.
29 S. M. K. Berlin, Siemenroth u.
Treschcl 1900. M 1 —
Der Verfasser, Geheimer Regierungs-
rat a. D., als Fachmann für Eisenbahn-
wesen wohlbekannt, behandelt in dieser
augenscheinlich noch vor Ausbruch der
Wirren entstandenen kleinen Schrift ein
für die augenblicklich mit Spannung ver-
folgte Entwickelung der Verhältnisse in
China höchst wichtiges Thema. Die Ver-
kehrswege bilden selbstverständlich die
hauptsächlichste Grundlage für das, was
wir jetzt von China erwarten: frucht-
bringende Entfaltung seines Handels.
Die vorliegende Broschüre besteht aus
dem Sonderabdruck zweier vorher in
fachmännischen Zeitschriften erschienener
Arbeiten, von denen die eine über
..Bmnenwasserstrafsen", die andere über
„Eisenbahnen" handelt. Der Verfasser hat
zwar das Land, dessen Verkehrsverhält-
nisse er schildert, nicht selbst bereist, aber
er zieht die richtigen Schlufsfolgerungen
aus der ihm vorliegenden Litteratur. Die
Eisenbahnen der Zukunft werden ihre
Hauptrolle im Norden Chinas spielen, im
Süden treten die Flüsse und Kanäle mehr
in den Vordergrund. Der Leser erhält
einen lehrreichen Überblick über die
Lage der Dinge, waB die Verkehrswege
betrifft, wenn er im Geiste die in den
beiden Aufsätzen noch nicht berücksich-
tigten neuesten Ereignisse in Betracht
rieht. Unter diesen wäre bei der Schil-
derung des Yang-tzi vor allen Dingen
175
nachzutragen, dafs zwei englichc Ka-
nonenboote thatsächlich den Endpunkt
der möglichen Dampfschiffahrt Sü-tschöu-
fu, von den Chinesen in Ssi'-tsch'uan ein-
fach Sui-tu genannt, erreicht haben; ein
kleiner englicher Handels-Dampfer hat
die Reise zwischen I-tschang und Tschung-
king schon öfter zurückgelegt; ein deut-
scher Dampfer ist 45 Seemeilen ober-
halb I-t«chang leider ein Opfer der dort
so gefährlichen Stromschnellen geworden.
Besonders sind jedoch die Eisenbahnen
durch die Kriegswirren einigermafsen in
ihrer Entwickelung gestört (hoffen wir
nur zeitweilig aufgehalten) worden. Mit
Recht legt der Verfasser das gröfste Ge-
wicht auf das, waB Referent geneigt ist,
für eine der wichtigsten, wenn auch nicht
unmittelbaren Ursachen zur Boxerbewe-
gung zu halten, wenn er sagt: „Mit der
Erwerbung von Kiautschou hat Deutsch-
land ein unmittelbares Interesse, dafs der
Wohlstand der chinesischen Ebene und
ganz besonders im westlichen Teile
Schantungs nicht immer von neuem durch
die Überschwemmungen de« Hwangho
zerstört werde. Mit Bezug hierauf würde
es jedenfalls von Wert sein, wenn der
Gesandtschaft in Peking als tech-
nischer Attache* ein Wasser-Bau-
ingenieur beigegeben würde, um
die Wasserstra fsen Chinas, ins-
besondere den Hwangho zu stu-
diren." Auf der beigegebenen Übersichts-
karte ist augenscheinlich bei der Er-
klärung der Kartenzeichen das die letz-
teren darstellende Cliche verkehrt ein-
gestellt worden, was der Leser im Auge
behalten mufs, wenn er die übersichtliche
Skizze verstehen will.
Friedrieh Hirth.
Lendenfcld, R. v., Neuseeland (Biblio-
thek der Länderkunde 9. Bd.). VHI u.
186 S. Berlin. Alfred Schall 1900.
M 7-
Die von Prof. Kirchhoff und R. Fitzner
herausgegebene Bibliothek der Länder-
kunde hat mit diesem soeben erschienenen
Bande die sechste Nummer erreicht und
zugleich eine wertvolle Bereicherung er-
fahren. Der Verfasser hat die neusee-
ländischen Inseln eingohend durchforscht
und die Ergebnisse in verschiedenen geo-
graphischen Zeitschriften niedergelegt. Er
war also ganz besonders dazu berufen,
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17<>
Bücherbesprechungen.
« ine Arbeit, wie die vorliegende, zu über-
nehmen. Denn seit Hochstettens klassi-
schem Werk haben sich zwar viele eng-
lische Federn daran gemacht, über die
beiden erdkundlich so interessanten, in
ihrer Natur aber so verschiedenen Iiisein
zu berichten, doch sind dies meist nui
touristische oder geschichtliche Publika-
tionen gewesen. An der Durchforschung
des Landes ist aber immer wacker ge-
arbeitet worden, auch der Verfasser hat
seinen Teil daran gehabt, und es mufste
daher wünschenswert erscheinen, diese Er-
gebnisse mit den bedeutenden wirtschaft-
lichen Fortschritten zusammenfassend dar-
zustellen. Das ist in dem vorliegenden
Werke, unter Benutzung aller seiner zahl-
reichen Vorläufer, auch geschehen. Am
Schlüte des Buches stellt Lendenfeld seine
eigenen alpinistisehen Krfolge mit denen
anderer Forscher in den neuseeländischen
Alpen in anziehenden Schilderungen zu-
sammen. Bei der Aufführung der „ferner
liegenden Inseln" wird gesagt, dafs die-
selben zu Neuseeland gerechnet werden
können. Thatsächlich werden dieselben
auch wirklich zu Neuseeland gerechnet,
mit Ausnahme freilich der Norfolk-Insel,
die politisch zu Neusüdwales gehört. Po-
litisch unterstehen ja bekanntlich auch
die Cook- oder Hervey-Inseln der neusee-
landischen Regierung. Von den Abbil-
dungen sind einige vortrefflich, während
andere zu wünschen übrig lassen.
K. Jung.
Bibliographien zur Länderkunde Nord-
amerika»,
herausgegeben von der Kongrefsbibliothek
in Washington.
Griffin, A. P C, List of Books rela-
tiug to Cuba (in ein ding liefe -
rences to Collected Works and
P e r i o d i c a 1 s;, w i t h Bibliograph}-
of Maps, by P. Lee Phillips. 18UH.
61 S. 8°. (66th Congress. -- Senate.
— Document No. 161.)
Die Arbeit zerfällt in mehrere Ab-
• schnitte. Im ersten werden 103 Schriften
in alphabetischer Anordnung der Ver-
fasser, meist englisch oder spanisch ge-
schrieben, aufgeführt. Lcr zweite Ab-
schnitt zählt 174 englisch, spanisch oder
französisch geschriebene Journ Partikel,
chronologisch geordnet , aus den Jahren
1825 — 9* auf, davon 64 allein aus den
90 er Jahren. Auf diese folgt ein Ver-
zeichnis von H4 Kongreß- und englischen
Kegierungsdrueksaehen mit Ausschlufs
von Resolutionen, Anträgen und Reden.
Beigefügt sind die Namen von 35 ge-
lehrten Gesell schaffen Cubas, mit welchen
die Smithsonian Institution in Austausch
steht, davon 33 allein in Havana.
Für uns ist schliefslich die Haupt-
suche das Phillips'sche Karten Verzeichnis.
Dies zählt 49 Karten von Cuba, 22
Karten und Pläne von Havana, 14
Karten von Portorico und 95 von West-
indien überhaupt auf, von letzteren 1 <">
allein aus dem 1H. Jahrhundert. Die
ältesteu von Cuba sind Reproduktionen
von Handzeichnungen und enthalten in
R. de la Sagra, Historia fisica etc. de la
isla de Cuba, Paris IMS, sie beziehen
sich auf die Jahre 1492—1592, dagegen
ist der älteste Originaldruck einer Kurie
von Cuba in C. Wytfliet etc., Histoire
universelle des Indes. Douay 1605, ent-
halten. Auch die ältesten Pläne von
Havana, Reproduktionen von Hand-
zeichnungen, für die Jahre 1615 und 1 GV»7
geltend, sind bei R. de la Sagra zu
finden. Der älteste datierte gedruckte
Plan von Havana stammt aus dem Jahre
1722. Vom Jahre 1719 ist die älteste
topographische Karte von Portorico, »ie
ist aber erst im Jahre 181U in Paris im
Drucke erschienen. — Am weitesten zu-
rück, d. h. bis 1492, geht für Westindien
die in F. A. Varnhagen, nicht, wie in
Griffin's Arbeit zu lesen, Varhagen, La
verdadera Guanahani de Colon, im Jahre
1864 in Santiago erschienene Skizze eines
Teiles der Bahama- und Antillen- Archi-
pele, während der älteste Originaldruck
in der oben genannten Histoire universelle
des Indes aus dem Jahre 1605 vor-
kommt.
Den Schlufs des Heftes macht das
von H. Friedenwald, Superintendent der
Handschriften - Abteilung der Kongrefs-
bibliothek, angefertigte Verzeichnis von
39 auf Cuba bezüglichen Handschriften
aus den Jahren 1710 — 1794, enthalten in
der für die amerikanische Kolonial-
geschichte hochwichtigen 12 Bände
füllenden Sammlung der „Vernon-Wager
Navy Papers'*, und einer anderen Samm-
lung, betitelt „Papein relating to Ha-
vanna!)".
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Bücherbesprechungen.
177
Phillips, P. Lee, Alaska and the
Northwest Part of North Ame-
rica 15*8- 1898. — Maps in the
Library of Congress. Washington,
119 S. 8°.
Der Verfasser dieser Bibliographie,
..Superintendent" der Karten und Pläne
der Kongrefsbibliothek, stellt hier zu-
sammen, was seine Sammlung an selbst-
ständig erschienenen, wie an in Werken
oder Zeitschriften enthaltenen Karten
jener unwirtlichen aber an Kobheuarten
und Gold reichen (legenden besitzt. Auf-
geführt, s. T. mit kurzen bibliographischen
Notizen, werden 739. Von «Uesen stellt
die zuerst aufgeführte jene Gegenden im
Jahre 1588 dar, sie gehört zur Reise
L. F. Maldonado's, die im Jahre 1812 in
Bologna erschien, die zweite, von A. Peter-
mann gezeichnete, gehört zu dessen Auf-
satz: Wrangelland 1648—186«, aber mit
1736 beginnen die Originalkarten. Von
solchen aus dem 18. Jahrhundert und
ihnen nachgezeichneten zählt Lee 84 auf,
sodafs für das 19. Jahrhundert 653 übrig
bleiben. Amtliche Veröffentlichungen
sind davon 12 canadische aus den Jahren
1857 — 98, 41 englische aus den Jahren
1792- 1895, I französische aus den Jahren
1852 — 50, 22 russische aus den Jahren
1H23— 64, aber 60 amerikanische aus den
Jahren 1864—98.
Phillips, P. Lee., List of Maps and
Views of Washington and
District of Columbia in the
Library of Congress . . .
Washington, 1900. 77 S. 8°. (56 th
Congress, Ist Session. — Senate. —
Document No. 154. i
Der chronologisch geordneten Arbeit,
welche 434 sowohl selbständig als in
Drucksachen vorkommende Karten und
Pläne aus den Jahren 1782 — 1900 um-
fafst , ist ein alphabetisches Verzeichnis
der Autoren — t. Zeichner, t. Stecher —
mit Angabe der Erscheinungsjahre voraus-
geschickt. Die Grüfte der Blatter ist in
amerikanischen Zollen angegeben, und
vielfach sind den Titeln bibliographische
Zusätze beigefügt. Den Schlufs macht
ein Abschnitt von 18. meist mit der
Hand gezeichneten Plänen ohne Datum,
welche für einzelne Privathäuser Washing-
tons angefertigt worden sind.
Morrison, Hugh A., Library of Cou-
Kress. List of Books and of
Articlea in Periodicals relating
to Intcroceanic Canal and Rail-
way Routes (Nicaragua; Panama,
Darien, and the Valley of the Atrato;
Tehuantepec and Honduras; Suez
Canal). With an Appendix: Biblio-
graphy of U. S. Public Documenta.
Washington, 1900. 174 S. gr. 8".
(56 th Congress, 1 st Session. — Senate.
— Document.)
Im Jahre 1899 erschien, von L C. Ferrell
bearbeitet, Bibliograph}- of U. S. Public
Documenta relating to Interoceanic Com-
munication across Nicaragua, Isthmus of
Panama, Isthmus of Tehuantepec, etc.
prepared in the Office of Superintendent
of Documenta. Government Printing
Office, ein Heftchen mit etwa 200 Titeln.
Morrison jr., von der Kongrefsbibliothek,
hat ihm nun sein Verzeichnis von 863
Büchern und Flugschriften (davon 482
im Besitze der Kongrefsbibliothek) und
1176 Aufsätzen in Periodicis (davon 980
in der Kongrefsbibliothek) folgen lassen,
jedenfalls eine willkommene Ergänzung,
wobei die FerrelPsche Arbeit auf 224
Nummern vermehrt wieder abgedruckt
worden ist. Die Zusammenstellung der
Titel erfolgte z. T. auf Grund der Be-
stände der Kongrefsbibliothek, z. T. mit
Hilfe von Werken, die bibliographische
Angaben enthalten. Da der Zweck der
Arbeit der ist , praktischen Studien über
die Probleme interozeanischer Kanäle zu
dienen, so sind Schriften vorwiegend ge-
schichtlicher Richtung weniger berück-
sichtigt worden. Von denen über die
Monroe Doktrin und den Clayton-Bulwer-
Vertrag sind nur die wichtigsten auf-
genommen , dagegen ist es Litteratur
über den Suezkanal, weil sie praktisch-
illustrativen Stoff bietet. Das ganze
Material zerfällt in 5 Abteilungen : 1. All-
gemeines über interozeanische Kanäle und
Eisenbahnrouten, a) Bücher aus den
Jahren 1745 — 1899: 70, b) Aufsätze in
Periodicis aus den Jahren 1836—99: 91;
2. Nicaragua-Linie: a Bücher aus den
Jahren 1791 1899: 170, b) Aufsätze aus
den Jahren 1833 — 99: 223; 3. Panama,
Darien und Thal des Atrato, a) Bücher
aus den Jahren 1825 'bez. 1699) — 1899:
216, b) Aufsätze aus den Jahren 1817—99:
1372; 4. Tehuantepec- und Honduras-
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178
BücherbeRp rechungen.
Linien, a) Bücher au« den Jahren
1794 — 1899: 81, b) Aufsatze aus den
Jahren 1844 — 99: 39; 6. Suezkanal.
a) Bücher aus den Jahren 1833—99: 218,
b) Aufsatze aus deu Jahren 1836—1900:
283. Ein allgemeiner Index, in den aber
die FerreU'sche Bibliographie nicht auf-
genommen ist, weil Hie einen eigenen
Index besitzt, macht den Schlufs.
Griff in, A. P. C. , Library of Congress,
List of Books relating to Ha-
waii ( including References to collected
Works and Periodicals). Washington,
1898. 26 S. 8°.
Der Verfasser giebt in der Einleitung
eine mit bibliographischen Angaben ver-
sehene übersieht über die Entdeckungs-
und Erforschungsgeschichte Hawais, deren
Anfang Cook's 1776—80 in London er-
schienene Reise macht. An selbständigen
Schriften werden 143 alphabetisch ge-
ordnet, bis auf 2- 3 englisch geschriebene
aufgezahlt, darunter nur einige wenige
neue Auflagen und 102 chronologisch ge-
ordnete Periodicaaufsätze aus den Jahren
1839—98. Von diesen stammen nur 10
nicht aus den 90 er Jahren und sie sind
mit Ausnahme von 3 französischen und
1 spanischen samtlich aus englischen und
amerikanischen Periodicis genommen.
Dafs das Verzeichnis eigentlich nur in
englischer Sprache geschriebene Werke
und Aufsätze aufzählt, hätte billigerweise
im Titel ausgedrückt werden sollen.
P. E. Richter.
Krueger, Dr. P., Die chilenische
Renihue-Expcdition. Ein Bei-
trag zur Erforschung der Patagoni-
schen Anden. 126 S. M. 6 T. Berlin,
Pormetter 1900.
Die Arbeit besteht aus 2 Teilen: Im
ersten ist der Reisebericht enthalten über
die Expedition, die Verf. mit dem Refe-
renten 1896/97 nach dem unter 42° 30'
s. Br. mündenden Renihuefjord unter-
nommen, um von hier aus nach der
interozeanischen Wasserscheide vorzu-
dringen. Es sollte dabei auch das Strom-
system des in seinem Mittel- und Unterlauf
noch ganz unbekannten Ftalenfü-Stromes,
auch Futalenfü genannt, festgestellt wer-
den. Nachdem Verf. über die Reisevor-
bereitungen sich verbreitet hat, folgt die
Einzelbeschreibung der Expedition: 1. Die
Seefahrt vom sfidchilenischen Hafen Puerto-
Montt (dem Ausgangspunkte aller in das
andine Qebiet Westpatagoniena unter-
nommenen neuern Reisen) an der Küste
entlang bis zum Corcovadostrom (Orien-
tierungsfahrt über Küste und Strommün-
dungsverhältnisse). 2. Die Fufswanderung
mit Tragern das Reftihuethal aufwärts
bis zur sekundären Wasserscheide am
Navarropasse 3. Der Marsch durch das
Alerze-Thal zum eigentlichen Ftalenfü.
4. Von hier thalaufwärts zur Erforschung
sämtliche! Qucllarme und Feststellung
der oro- hydrographischen Verhältnisse
zwischen diesem Strom und den Puelo-
und Chubutsystemen. 5. Die Flufsfahrt
in Segeltuchbooten flufsabwärts bis zum
Ausflufs des Barros-Aranasees und Fixie-
rung des Zusammenhanges mit dem
Cerro Situacion an der Kolonie des
16. Oktober.
Als Hauptergebnisse dieser Expedition
sind die folgenden zu nennen: 1. Die
Erforschung des Renihue- und Ftalenlü-
Strome» hat die oro - hydrographische
Kenntnis der Anden zwischen 42° und
43" s. Br. erweitert, Beide Ströme inün
den in den Golf von Ancud, letzterer als
Rio Yeliho, wie Verf. auf einer spätem
Expedition feststellte. Die von den er-
forschten Flüssen durchströmten Seen
(3 Renihue-Seen , 6 Ftalenfü-Seen und
6 Cholila-Seen) haben eine Form und
Lage, die von der kartographischen Dar-
stellung einiger der bereits bekannten
sehr abweicht. 2. Der orographische
Aufbau der Anden ist sehr verwickelt:
Eine ununterbrochene Hauptkette, die den
„Kamm" des Gebirges bildet, ist nicht
vorhanden; alles löst sich in eine Reihe
einzelner Ketten auf. 3. AUe durch-
forschten Flufsthaler liegen im Anden-
bereich. Das obere argentinische Ohubut-
thal ist vom Puelothal durch die Maitcn-
Kette getrennt, die wie die durch eine
tiefe flachweUige Depression von ihr ge-
trennte Leleque- und ihre südliche Fort-
setzung, die Esquel-Kette zur Haupt-
wasserscheide gehören. 4. Die Erreichung
des Lelequethales und des Cerro Situacion
bringen die neue Reiseroute in Anschlufs
an die grofse früher ausgeführte Palena-
expedition.
Im zweiten Teile giebt Verf., dem aus
den verschiedenen von ihm unternommenen
Reisen ein überaus reiches und wertvolles
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Büch erb esprechun gen.
selbst gesammeltes Material astronomi-
scher und topographischer Arbeiten zur
Verfügung steht, eine eingehende Be-
sprechung der auch während der Renihue-
espedition vorgenommenen Arbeiten. Er
handelt eingehend von den verwendeten
astronomischen Instrumenten, ihrem Trans-
port, ihrer Berichtigung u. ihrem Gebrauch ;
es folgen wertvolle Tabellen und Erlaute-
rungen über die von ihm gemachten Zeit-,
Breiten- und Längenbestimmungen, Ober
Azimute und Triangulationen. Der Weg-
aufnahme, den Barometer- und Thermo-
meterbeobachtungen und den auf sie sich
gründenden Höhenmessungen widmet Verf.
je ein Kapitel. Das Resultat all dieser
mühevollen, mit peinlicher Gewissenhaftig-
keit von ihm durchgeführten Arbeiten ist
dann in der die Arbeit begleitenden und
im Mafastabe 1 : 300 000 angefertigten
(vom Rezensenten in vorher gröfserem
Mafsstabe getuschten) Karte niedergelegt.
P. Stange.
K. v. Sey dlitz'sche Geographie. In
5 Ausgaben. C. Gröfste Ausgabe.
22. Bearbeitung, besorgt von Prof.
Dr. E. Oehlmann. XVI u. 608 S.
Mit 227 Karten und Abbildungen, so-
wie 5 Karten und 8 Tafeln in viel-
fachem Karbendrucke. Breslau, F. Hirt
1899. Lwd. „fc 5,25.
Vm den Fortschritt zu erkennen und
zu würdigen, den der „grofse Seydlitz"
durch Oehlmann's sorgfältige Arbeit ge-
nommen hat, betrachteten wir die 19. Aus-
pabe von 1881. Von einer mit Namen
und Zahlen überfüllten, dürren „Schul-
geographie-', die weder nach Inhalt noch
Methode ihrem Zweck entsprach, hat das
Werk seitdem sich zu einem zuverlässigen,
lesbaren Nachschlage- und Handbuch ent-
wickelt. Als solches eignet es sich zum
Geschenk für den wissensdurstigen reiferen
Schüler, verdient aber auch einer guten
Hausbibliothek und namentlich der Hand-
bibliothek des Lehrers eingereiht zu wer-
den; denn bei seinem vielseitigen Inhalt
vermag es manche Frage zu beantworten,
die der Unterricht oder die Vorbereitung
dazu anregt; insonderheit giebt es die
bette Auskunft über die Aussprache der
Namen und häufig auch über deren Her-
kunft. — Das Buch enthält aufser einer
allgemeinen Erdkunde und dem Material
einer Länderkunde eine recht brauchbare
179
HandelBgeographic und eine allerdings
kurze Geschichte der Geographie. Das
hier angeschlossene Literaturverzeichnis
wird manchem willkommen sein, zumal
auch die Preise der Werke beigefügt sind.
Dies gehört zu den Neuerungen der letzten
Auflage; andere betreffen besonders die
mathematische und die Handebgeographie
und die deutschen Kolonien, die jetzt auf
18 Seiten behandelt werden.
Zahlreiche Übersichtstabellen und drei
Register erleichtern den Gebrauch. —
Der Vor-Oehlmann'sche Seydlitz besafs
zwar schon einen Bilderanhang; sonst be-
standen aber die graphischen Beigaben
zumeist in den berüchtigten häfslichen
Skizzen, die II. Wagner uuf dem 1. deut-
schen Geographentage deutlich gekenn-
zeichnet hat. Diese Bind seitdem fast
ganz verschwunden; dagegen finden wir
eine Fülle von charakteristischen Land-
schaftsbildern im Text, und im Anhang
die vortreffliche Darstellung menschlicher
Wohnungen und der Nutzung einiger
Kulturpflanzen. In diesem Bilderschmuck
liegt ein ganz besonderer Vorzug des
Werkes. — In der vorliegenden Bearbei-
tung sind nun noch 8 Tafeln in Bunt-
druck hinzugekommen. Kine davon (VII.
Tropischer Urwald in Brasilien) ist zwar
völlig verunglückt, die andern aber zeigen
beim Vergleich mit. den entsprechenden
Schwarzdruckbildern, wie das Eigenartige
durch die Farbe in erhöhtem Mafse zur
Geltung kommt; das gilt nicht nur für
die Landschaften (Alpen, Dünen, Fjord,
Wüstet, sondern auch für die Rassen-
köpfe. Eckart Fulda.
Thomaschky, Dr. Paul, Schulgeogra-
phie für höhere Lehranstalten.
Leipzig, Dürr'sche Buchhandlung.
Unterstufe 65 S. Mit 22 Figuren
im Text. 1897. „*: —,80. Ober-
stufe 182 S. Mit Figuren und Dar-
stellungen im Text, 1899. JC 1,60.
Die einfach ausgestatteten Leitfäden
(I. für Quinta und Quarta, II. für Tertia
und Untersekunda) enthalten Länderkunde
und im Anhang mathematische Geogra-
phie. Sie sollen „lediglich als Hilfsmittel
für die häusliche Wiederholung dienen
und das auf der Karte Gebotene ergänzen".
Die Auswahl des Stoffes ist gut; neben
den physischen Grundlagen haben auch
Siedlungslehre und Wirtschaftekunde eine
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1 80
Biicherbcsprechungen.
ausgiebigere Behandlung erfahren. Auf
lehrreiche Vergleichungen sowie auf kau-
sale Verbindung iat wohl Bedacht ge-
nommen, indessen haben (wie in manchem
neueren Schulbuch) die Lehrpläne von
1892 zuweilen und besonders hinsichtlich
Deutschlands, das übrigens gebührend in
den Vordergrund gerückt ist, eine nach-
teilige trennende Wirkung ausgeübt. Ein
häfsliches Aussehen aber erhält der Text
durch die vielen Anmerkungen in runden
und eckigen Klammern mit Ausrufungs-
und Fragezeichen, die „den Schüler zur
Benutzung der Karte und zur Selbst-
tätigkeit" anregen sollen. Wir lesen
fl S. 11) Bogar: [In ähnlicher Weise ver-
bindet die Sueslandengc welche Erdteile?]
— Das ist um so bedauerlicher, als wir
sehen, dafs der Verf. durch die Verarbei-
tung des zusammengestellten Materials
eine lesbare Länderkunde hätte herstellen
können. — Die mathematische Geogra-
phie, die meist den schwächsten Teil der
Schulgeographien bildet, ist trotz der
Kürze (9 Seiten in II; nach Inhalt und
Form wohlgelungen.
Hie und da sind noch Ungenauigkeiten
zu berichtigen, z. B.:
II. S. 178 sind die Jahreszahlen 1806
und 1890 unverständlich; sie stehen wahr-
scheinlich für 1896 und 1900. — S. 178:
Tierkreis (Zodiakus) ist der Name einer
Zone, nicht der Ekliptik. Auch der Ab-
satz über die Präcessiou enthält Unklar-
heiten. — S. 115: Die Bukowina war ehe-
dem nicht polnisch, sondern türkisch. —
S. 83: Die Letten sind nicht finnischen,
sondern indogermanischen Stammes. —
S. 48: Statt Erythrea ist entweder Ery-
thraea oder (italienisch) Eritrea zu
schreiben.
I. S. 36: Ostrumelien ist nicht = Ost-
römerland. — I. S. 10: Zu dem Satz: „Fast
das einzige Säugetier ( Australiens > war
das Känguruh.'1 sei auf Schneiders Typen-
Atlas, Tafel XI und auf Kirchhoff, Pflanzen-
und Tierverbreitung (Hann, Hoehstetter
und Pokorny Hl) S. 287—292 verwiesen.
Eckart Fulda.
Pahde, Dr. Adolf, Erdkunde für
höhere Lehranstalten. II. Mittel-
stufe, erstes Stück (für Quarta und
Unter-Sekunda). Mit 8 Vollbildern
und S Abbildungen im Text. geb.
.V 1.80.
Die Unterstufe, deren Fortsetzung das
obige Schulbuch ist, hat in der G. Z.
seine Besprechung gefunden (VI, 125;. Das
dort Gesagte kann auch für die Mittelstufe
gelten. Es ist ein dankenswertes
Unternehmen, wenn Schulmänner, die in
der modernen wissenschaftlichen Geo-
graphie erzogen sind, sich, an die Her-
stellung neuer Lehrbücher machen. Aber
es ist ein schwieriges Unternehmen,
so ungeklärt wie noch die ganze Lage
unseres Unterrichtsfaches ist. Da* be-
beweist auch P.'s Mittelstufe. Die richtige
Erkenntnis, dafs die Zeit in U. II nicht aus-
reicht, den Lehrstoff der Quarta erweitert
und vertieft zu geben, hat den Verfasser
veranlafst, sein Buch für beide Klassen
zusammen zu verfassen. Ich fürchte, er
hat nun noch mehr über die Quartaner-
köpfe hinweggeschrieben, als es so schon
in unsern Lehrbüchern üblich ist: „Schonen
ähnelt wegen der jüngeren Gesteins-
schichten mehrder Unterlage des deutschen
Flachlandbodens als dem übrigen Skandi-
navien" (78). „Fast das ganze böbnnRch-
mährische Land bildet eine ausgedehnte
Urgebirgsscholle . . ., die der Auffaltung
der Alpen Halt geboten hat" (99). Ich
bin der ganzen Schulgeologie reichlich
gram. Dem Quartaner ist sie „böhmisch-,
dem Sekundaner fehlt die Zeit. Über-
haupt bin ich für die Losung: „alles
irgend Entbehrliche aus unserm Unter-
richte fort" \ind sehe es daher auch für
keine Bereicherung eines Lehrbuches an,
dafs die Schüler so eingehend, wie es
gleich anfangs geschieht, mit Meerestiefen.
Wasserwärme (wobei der Grund für den
Wärmeunterschied des atlantischen und
des Mittelmeer-Bodenwassers noch dazu
verschwiegen werden mufs) vertraut
gemacht werden, hielte es auch für mich
persönlich für ein hoffnungsloses Unter-
nehmen, Quartanern das Orograpbische
des Absatz XIII (Alpen-Länder) wirklich
nahe zu bringen. Ich würde aber diene
Ausstellungen, die ich noch reichlich ver-
mehren könnte, nicht machen, wenn ich
nicht lebhaft wünschte, dafs wir auf dem
Wege, den nach KirchhofF s Vorgehen die
Jüngeren, Pahde, Langenbeck u. s. w. ein-
geschlagen haben, in unsrer Sache vor-
wärts kämen, und gerade den Verf, als
einen derthätigsten Förderer unserer Schul-
geographie seit Jahren schätzte. Ich
wünsche dah^r auch, dafs recht viele
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Neue Bücher und Karten.
181
einsichtige FachgenoBsen in die Lage
kommen mögen, das Buch im Sehulge-
hrauch zu erproben, nur dadurch kann
hier wie überall ein vom allzu indivi-
duellen Auflassen befreites l'rteil über
die beste Form dieses, wie jedes Lehr-
buche* gewonuen werden.
Heinr. Fischer.
Kozle, J. F. «., Neuer Wegzeiger
für die deutschen Schutzgebiete
in Afrika, der Südsee und Ost-
asien. VIII, 120 S. M.K. Stuttgart,
M. Kielmann 1900. JC 2.60.
Das anspruchslose Buch behaudelt
nach einigen einleitenden Bemerkungen
über Deutschland als Kolonialmacht und
die Deutschen als Missionsvolk unsere
Schutzgebiete, wobei im allgemeinen
folgende Gliederung des Stoffes inne ge-
halten wird: 1) Lage und Ausdehnung,
2)Geschichtlichesund Politisches, 3j Boden-
gestalt Bewässerung, Klima und Gesund-
heitsverhältnisse, 4) Bevölkerung, 5) Re-
ligion, Mission und Schule, 6) Ortschaften,
7) Erzeugnisse, 8) Handel, Schiffahrt und
Verkehrswesen, 9) Verwaltung und Rechts-
pflege. Die geographische Beschreibung
tritt zurück und ist stellenweise recht
dürftig. Im Vordergrunde der Dar-
stellung steht die durch Kultur und
Mission bewirkte Entwicklung der letzten
Jahre. Entsprechend dem Charakter des
Buches als Wegzeiger werden Schiffs-
verbindungen und Postbetrieb, Fahrpreise
und (»ehälter, gesundheitliche Verhält-
nisse u. s. w. angegeben, vor allem aber
j ist der Missionsthätigkeit Aufmerksam-
keit geschenkt worden. Auch die sehr
lückenhaften Litteraturangaben, die viele
wichtige Werke vermissen lassen, siud
meist Missionszeitschriften entnommen.
Druckfehler und Flüchtigkeiten falleu
öfters auf, z. B. Lisbert statf Liebert,
Statzner statt Natzmer, Nachtigall statt
Nachtigal, Bomy statt Bonny, Para statt
Pare, Marrongu statt Marangu.
K. Hassert.
Nene Bücher und Karlen.
Zusammengestellt von Heinrich Brunner.
tiMrhlrhte ..n.l Methodik der Geographie.
Morris, H. E. History of «»Ionisation
. . . to present day. 2 vol. Lond., Mac-
millan 1901. 15 s.
Allgeiaelae pk}»Urhe Geographie.
Fritzscbe, H. Die Elemente des Erd-
magnetismus und ihre säcularen Än-
derungen während des Zeitraums 1561)
bis 1916. Publikation IH. 62 S.
St Petersburg 1900.
Höck, F. Die Brotpflanzen; ihr Ursprung
und ihre heutige Verbreitung. 40 S.
(Samml. gemeinverst wiss. Vortr. —
Virchow. Heft 366). Hambg, Verlags-
anst. 1901. JC 1-
baurent, L. Le tabac; '(sa culture et
sa preparation , produetion et consom-
mation . . .)'. IX, 338 S. Paris, Ohal-
lamel 1900.
UrStiMere F.rdriuitie.
Satow, Sir Ern. M. The voyage of Capt.
John Saris to Japan, 1613; ed. from
contempor. reeords. Map, Ul. LXXXIII,
242 S. (Hakluyt Soc). London, Hakl.
Soc. 1900.
Jannaach, R. Telegraphenkarte für
den Weltverkehr. Berlin W., Export
JC 1 —
Benger, G. Rumänien im J. 1900. 2. A.
des Werkes „Rumänien, ein Land der
Zukunft". 1 Karte, 14 Taf'., 26 Abb.
VIII, 304 S. Stuttg., Engelhorn 1900.
JC 10.—
Kallina, Leop. Hölze 1 's Verkehrakarte
von Österreich - Ungarn ... 1 : 800000.
Wien. Hölzel 1900.
Lentheric, Charl. Cötes et ports franc.
de l'Ocean; le travail de l'homme et
1'oeuvre du temps. 11 cartes et pl.
VIII, 401 S. Paris, Plon-Nourrit C. 1901.
Fr. 5.-
Meyrac, Alb. Geographie illustree des
Ardcnnes. Preface de A. Chuquet. 230
grav. XIII, 801 S. Charleville, Jolly 1900.
Schulz, Aug. über die Entwickelungs-
geschichte der gegenwärtigen Phanero-
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182
Neu erschienene officielle Karten
gamenflora und Pflanzendecke der Skan-
dinavischen Halbinsel u. d. benachbarten
schwedischen u. norweg. fnstdn. 31 G S.
Stuttgart, Schweizerbart 1900. 8.—
Mitteleuropa.
Cramer, Franz. Rheinische Ortsnamen
aus vorrömischer u. röm. Zeit. V, 173 S.
Düsseid., Lintz 1901. 3.—
Schultheifs, Chr. Die Niederschlags-
verhaltnisse des Grofsherz. Kaden. 2. He-
arbeitg auf Grund der Beob. 1888 97.
8 graph. Beil., Fig. Vll, 100 S. (Beitr.
zur Hydrogr. d. Grofsh. Baden. Hit 10;.
Karlsr., Braun'sche Hofbuchdr. 1900.
JL 16. —
Ebbecke, C. Mit dem Dampfer über die
Yangtse-Schnellen ... S. 43 -61. (Ost-
usiat. Rundschau. Jahrg. 1, Heft 8).
Shanghai, Deutsche Druckerei 1901.
—.70.
He fs, J. J. Die geograph. Lage Mekkas
u. die Strafse von Gidda nach Mekka.
1 Kärtchen. 28 S. Freiburg, Univ.-
buchh. 1900. JL 1.60.
Afrika.
Duveyrier, Hri. Journal d'un voyage
dans la province d'Alger \Fcvr., mars,
avril 1857)'. 2 cartes, grav. Vll, 89 S.
Paris, Challamel 1900.
Langhans, Paul. Karte des Afrikander-
Aufstandes im Kaplande u. de« An-
griffskrieges der Buren. 1:4 000000.
Farbdr. 58x69 cm. Nebst Text. Gotha.
J. l'ertkes 1901. JL 1.—
' Michel, Chart. Mission Bonchamps; ver»
Fachoda, ä la reacontre de la missioti
Marchand ä travers l'lkthiopie. Carte,
grav. 668 S. Paris, Plon-Nourrit C.
[1900]. Fr. 10.—
Michel, Charl. Mission de Bonchamps. <k
Djibouti au Nil Blanc . . . Itineraire en
14 feuilles. 1 : 200 000. Paris, Barrere
1901. Fr. 20.—
Wohltmann, F. Bericht über seine
Togo-Keise; ausgef. im Auftr. der Kol -
Abt, d. auswart. Amtes 1899. 20 Abb.,
1 Karte. HI, S. 197-223. SA. Berl.,
Mittler k S. 1900. JL 2-
tieoeraphU. h r Uaterricht.
Denkschrift über die Ergebnisse einer
Studienreise nach Frankr. , Engl, und
Holland für die Ausgestaltung des In-
stitut* u. Museums f. Meereskunde zu
Berlin. 64 8. 4". Berlin, Sittenfeld
1900.
Neu erschienene officielle Karten.
1. Deutsches Reich.
Seekarte der Kais, deutschen Admira-
lität Nr. 160: Stiller Ozean. Bismarck-
Archipel. French-Inseln. Deslacs-lnsel.
Peter Hafen 1 : 7500. Nach e. flucht
Aufnahme S.M.S. „Möve" 1900. JL — . 4u.
— Nr. 161. Stiller Ozean. Bismarck-
Archipel. St. Matthias-Insel. Nach e.
thieht. Aufnahme S. M. S. „Seeadler".
1 : 75 000. JL —.80.
Karte des Deutschen Reiches
1:100 000. Vergl. Eisenschmidt's Ein-
sendungen au d. Red. d. Zeitschr.
Mefstischbliltter des Preu fsischen
• Staates. 1:25 000. Desgl.
Topographische Karte des Königr.
Sachsen. 1:25 000. Sekt. 104. Schöna.
Curreutgestellt. 44,6x46,5 cm. Kpfrst.
A. Farbdr. JL 1.50.
Geologische Spezialkart e des
Königr. Sachsen. 1:25 000. Blatt 62.
48x60 cm. Farbdr.: Waldheiin-Böhri-
gen von E. Dathe. 2. Aufl. rev. von
E. Danzig.
Höhenkurven karte des Königr eich«
Württemberg. 1:26 000. Bl. 26.
Wildbad. Neu -Aufl. 47,5x62,6 cm.
Kpfrst. k Farbd. JL 2.—
Karte von dem Königr. Württem-
berg nach der allgemeinen Landes-
vermessung. 1 : 50 000. Nr. 26. Göppin-
gen. 48,6x48,5 cm. Kpfrst. JL —.76,
Höhenschichtenkarte des Grofs-
herzogt. Hessen. 1:25 000. Blatt
Grofs-Gerau. Lindenfels. Seligenstadt
ü 47,5x51 cm. Farbdr. ü ,H. 2.—
AmtlicherPlan vonHamburg. 1 : 1OO0
Sekt. Krohnskamp & Bramfelder Strafse.
ü 56.5x85.5 cm. Kpfrst. ii JL 5.—
AmtlicherPlan vonHamburg. 1 : 4O00
Sekt. Eichbaum. 56,5x85,6 cm. Kpfrst.
JL 5.—
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Zeitschriftenschau.
183
Nord atl an t ische Wetterausschau.
Herausgesehen von der Deutschen See-
warte. Dampferkarte für Januar lüOl.
Gratis.
Neue Oeneralkarte von Mittel-
Europa, 1:200 000. Herausgeg. v. k.
u. k. niilitär-geogr. Institut in Wien.
23. Lfg. 5 Blatt ä 57x40 cm Farhdr. :
Egri Palanka. 40°. 42°. — Orsova 40*.
45? — Saloniki. 41°. 41°. — Vodena.
40°. 41°. - Zajecar. 40°. 44°. ä Blatt
1'20.
2. Frankreich.
Cart e de la France. 1:100 000. Feuille
XXVI — 10: Saint- Die. — XXVI-24:
Vallorcine. — VIII— 19: Paimhoeuf. —
IV— 14: Morlaix. — XII— 15: Aleneon.
— XV -7: Montreuil. — XXIII -19:
Gray. — XVI- 7 : Saint-Pol. — XIX-13:
Montuairail. — XIX — 28: Langeac. —
XXIII — 20: Döle. — III- 15: Brest. —
XVI — 29: Saint Cere\ — XVI — 34:
Castres. — XXII — 26: Lyon.
Carte topographique de l'etat-
major. Carte geologique ditaillee.
1:80 000. Feuüle 119: Saumur. Feuille
205: Agen.
Carte lithologique sous-marine des
Cotes de France. Par M. Thoulet.
Feuille 3: De Fecamp ä la pointe de
Saint- Quentin. — Feuille 4: De DiveB-
ä Saint-Valery-en-Caux, ä JL 4 —
3. Französische Kolonien.
Carte de la Cochinchine franeaise,
revue et mise ä jour d'aprfcs les tra-
vaux du service geographique de l'Indo-
Chine, du service du cadastre de la
Cochinchine et du lieutenant Oum par
le commandant Friquegnon. 1: 400 000.
4 Bl. JL U.-
Atlas des colonies francaises, dresse
par ordre du miuist^re des colonies.
Nr. 9: Afrique occidentale (Senegal)
1:3000000. — Nr. 12: Congo (feuille
Sud) 1:3000 000. - Nr. 26: Polyurie
(etablissements francais de l'Oceanie)
1:6000 000. — Nr. 11: Afrique occi-
dentale (Dahotncy) 1 : 3 000 000.
Carte de Madagascar. 1:1000 000,
dessint'e par J. Hansen et Ch. Oehrli.
Nr. 18: Partie centrale (feuille Nord). —
Nr. 19: Partie centrale (feuille Sud).
4. Afrika.
R, Kiepert's Karte von Deutsch-
Ostafrika 1:300 000. Im Auftrage
und mit Unterstützung der Kolonial-
Abi d. Ausw. Amtes. Blatt B. 6: Mo-
horn. 58x75,5 cm. Frbdr. JL 2.—
Map of Transvaal and the Orange
Free State, issued hy the Intelligeuce
Division of the War Oftice. London.
1 : 250 000. Section: Rouxville. M. 2 —
Map of the Oold Coast with part of
Ashanti. Bv Henry Wallach. 1 : 253 440.
Nach offiziellen Quellen. 4 Blatt.
JC 25.—
5. Asien.
Plan de Pekiu, publie par le Service
geographique de 1'arniee. 1:15 000
JL 1.50. Dr. Max Friederichsen.
Zcitseliriftciischan.
Pctrrmann's Mitteilungen. 1901. Nr. 1.
Schweinfurth: Am westlichen Kande
des Nilthaies zwischen Farschüt und Kom
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polexpedition: Fischereiversuche. — End-
ffiltige Ergebnisse der Volkszählung in
den Ver. Staaten 1900. — Bevölkerung
von Kreta am 4. Juni 1900.
Globus. Bd. LXXIX. Nr. 3. K atz er:
Zur Ethnographie des Rio Tapajös. —
Kannengiefser: Deutach-Südwestafrika
im J. 1900. — Ehren reich: Religiöser
Glaube der Centraieskimos. — Müller:
Folkloristische Ewhetexte.
Dms. Nr. *. Leue: üha (Deutsch-
Ostafrika). — Seidel: Neue Forschungen
und Fortschritte auf Madagaskar. —
Rademacher: Dr. Soldan's Ausgrabung
einer vorrömischen Stadt bei Neuhäusel
in Nassau. — Friedrichsen: Neue Nach-
richten von Sven Hedin.
Uass. Nr. 5. Lauf er: Felszeichnuugen
vom Ussuri. — Hansen: Das Wasser-
wesen der niederländischen Provinz Zee-
land. — Leue: Uha. — Zimmermann:
Die zukünftige Vermehrung der Bevölke-
rung der Vereinigten Staaten. — Wilser:
! Die Häuptlingsstäbc.
Dass. Nr. 6. Preufs: Mexikanische
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1*4
Zeit Schriften sc bau.
Thonfiguren. — Leue: Uha. — Bischoff:
Die germanisch-romanische Sprachgrenze
in Belgien und Nordfrankreich. — Foy:
Zur Ethnographie von Neuporaniem.
Deutsche Jiundschau für Geographie
utul Statistik. XXIII. Jhrg. 6. Heft,
v. Fischer Treuenfeld: Paraguaythee
— Toball: Heynuhnen, eine ostpreufsische
Kunststätte. — Jung: Die Eisenbahnen
de» Australkontinents. — Schütte: Der
„Wald" der Insel Ouessant. — Reichel t:
Dr. Laufer's Forschungen in der Ainur-
gegend.
Meteorologische Zeitschrift. 1900.
12. Heft. Einer: über neuere Unter-
suchungen auf dem Gebiete der atmo-
sphärischen Elektrizität. — Toepler: Zur
Kenntnis der Kugelblitze.
Dass 1901. 1. Heft. Billwiller:
Bildung barometrischer Teilminima durch
Föhne. — Woeikof: Klima und Föhne
der Dänemark -Insel, Seoresby-Suud. —
Valentin: Einige Ergebnisse der öster-
reichischen Luftballons bei der inter-
nationalen Fahrt am 12. Mai 1900. —
Zur Einführung in die neueren Anschauun-
gen über die Ursachen der Luftelektri-
zität.
Zeitschrift für ScJtulgeographie. XXII.
Jhrg. 4. Heft. Wermbter: Zur Lage des
geographischen Unterrichts an den höheren
Schulen Preufsens um die Jahrhundert-
wende. — Longo: Zur Frage des Karten-
zeichnens in der Schule. — Zu deu Grund-
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Janson: Über Schülerreisen. — Aus
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Jahresbericht der Geographischen Ge-
sellschaft in München 189H und 1899.
Heft 18. Auszüge aus den Vorträgen. —
Therese, Prinzessin v. Bayern: Zweck u.
Ergebnisse meiner 189H nach Südamerika
unternommenen Heise. — v. Spei de 1: Be-
richt überdie Heise Ihrer kgl.HoheitTherese
von Bayern nach Südamerika 18U«. —
Erk, Klimatologische Landesforschuug in
Bayern. — U b e r h u m m e r : Nachträgliches
zur Aventinkarte — Ders.: Die deutsche
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tonne: Sur la formation des cirques. —
Bleicher: La vallee de l'Ingressin et
ses dt'bouches dans la vallee de la Meuse.
— Barre: La haute vallee de la Saune.
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le bassin de la Saöne.
La Geographie. 1900. Nr. 1. Nat
horst: Le loup polaire et le boeuf nnis-
que dans le Grönland oriental. — De la
Vaulx: La Patagonie. — Giraud: Le
Probleme du Tanganjika. — Chesneau.
La mission du capitaine WoelfFel. —
Deniker: Voyage de M. Kozlov en Asic
centrale. — Giraud: LVrosion glaciaire.
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Marotseland and Neighbouriug Regions. —
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Berteiii: Studi intorno ad alcune ipotesi
e teoui geogeniche. — Porena: Le sco-
perte Geografiche dei Secolo XIX —
Baldacci: La lingua italiana in relazione
al nostro commercio uell' Albania e uell'
Epiro. La Conferenza dcl' Duca degli
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Societa Geogratica Italiana.
The Xatituxil Geographie Magazine.
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Naval Supremacy. — Hatcher: The In-
dian Tribes of Southern Patagonia, Tierra
del Fuego and the Adjoining Islands.
Davis: Location of the Boundary betweeu
Nicaragua and Costa Rica. — The Nicara-
gua Uanal. — liubbard: The Tsaugpo
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The Journal of School Geographg. 1901.
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Trees of California. — Dodge: A School
Course in Geography.
Vemutwortlnher Her»uigrl,er ! l'rof. Dr. Alfred Hettner in Heidelberg
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Die wasserwirtschaftliche Vorlage in Preufsen.
Von Dr. Wilhelm HochBtetter.
Nachdem der Gesetzentwurf der preufsischen Staatsregierung über den
Rhein - Elbekanal , der den Rhein bei Laar über den Kanal Dortmund-
Emshäfen bei Herne bezw. Bevergern und über die Weser bei Minden mit
der Elbe bei Heinrichsberg bezw. Magdeburg verbinden soll, am 19. August 1899
von der Mehrheit des Abgeordnetenhauses abgelehnt worden war, hat die
Regierung diesen Plan keineswegs aufgegeben, sondern vielmehr durch Hinzu-
fügung mehrerer anderer „seit längerer Zeit geplanten Projekte" zu einer
grofsen „wasserwirtschaftlichen Vorlage" erweitert, durch welche der Ausbau
eines zusammenhängenden Wasserstrafsennetzes, das die preufsische Monarchie
„vom Westen bis zum äufsersten Osten" durchzieht, gesetzlich festgelegt
werden soll. Sie fügte dem — unveränderten — Gesetzentwurf über den
Rhein-Elbekanal, der im 1. Heft des 5. Jahrgangs (1899) „der Geo-
graphischen Zeitschrift" bereits eingehend besprochen worden ist, noch
folgende wassenvirtschaftlichen Pläne hinzu:
1. Herstellung eines Grofsschiffahrtsweges Berlin-Stettin (Wasser-
strafse Berlin-Hobensaathen),
2. Verbesserung der Wasserstrafse zwischen Oder und Weichsel, sowie
der Schiffahrtsstrafse der Warthe von der Mündung der Netze bis Posen,
3. Verbesserung des Schiffahrtsweges zwischen Schlesien und dem
Oder-Spreekanal,
4. Verbesserung der Vorflut in der unteren Oder,
5. Verbesserung der Vorflut- und Schiffahrtsverhältnisse in der unteren
Havel,
6. Ausbau der Spree.
Dem ersten Blick auf die Karte zeigt sich, dafs die Vorlage, so weit-
ausgreifend sie auch ist, doch nicht alles hält, was sie mit den Worten:
„vom Westen bis zum äufsersten Osten" der Monarchie zu versprechen
scheint; denn sie läfst sowohl ein grofses Landgebiet im Osten, nämlich das
Gebiet östlich der Weichsel, als auch das südwestliche Grenzgebiet, das links-
rheinische, unberücksichtigt. Dem ersteren Mangel wäre durch Einbeziehung
des Projekts eines „masurischen Kanals", der von Angerburg ausgehend die
masurischen Seen mit Königsberg verbinden soll, dem zweiten durch Ein-
beziehung der Kanalisation der Mosel und Saar in die wasserwirtschaftliche
Vorlage abzuhelfen. Dahingehende Wünsche werden denn auch gegenwärtig
von den beteiligten Kreisen lebhaft geäufsert, Ja sogar für das Gebiet inner-
halb des durch Rhein und Weichsel gebildeten Rahmens werden Wünsche
GwgrapbJicbe Zeitichrift. 7 Jahrgang 1901. 4 Heft. 13
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18G
Wilhelm Hochstetten
nach Berücksichtigung in der „wasserwirtschaftlichen Vorlage" laut, so be-
sonders der nach Kanalisierung der Lippe anstatt oder wenigstens neben der
zur Verbindung des Kanals Dortmund- Einshäfen mit dem Rhein gewählten
„Emscherlinie". Da jetzt noch nicht abzusehen ist, wie weit derartigen
Forderungen noch Rechnung getragen wird und werden kann, müsseu sie
von einer Besprechung zunächst ausgeschlossen werden. Der in der jetzigen
Gesetzesvorlage entwickelte Wasserstrafsenplan ist auch ohne sie von grofser
Bedeutung nicht blofs für das Wirtschaftsleben, sondern auch für das geo-
graphische Bild Norddeutsehlands.
So tief einschneidende Veränderungen, wie durch den Rhein-Elbekanal
geschaffen werden sollen, bringen die jetzt neu hinzugekommenen Pläne aller-
dings nicht. Sie bezwecken keine neuen Verbindungen zwischen den vor-
handenen Wasserstrafsen, sondern wollen nur die bereits vorhandenen natür-
lichen und künstlichen Wasserwege in einer den Anforderungen sowohl des
modernen Verkehrs als auch der Landeskultur entsprechenden Weise aus-
bauen bezw. regulieren. Neue Querverbindungen in gröfserer Ausdehnung
östlich der Elbe — und auf dieses Gebiet beziehen sich alle neu hinzu-
gekommenen Plane der Vorlage — zu schaffen, ist bei der durch den geo-
logischen Bau bedingten Oberflächengestalt des norddeutschen Tieflandes nicht
mehr leicht möglich, nachdem schon seit 200 Jahren eine weitausschauende
Regierung auf den Bau von Wasserstrafsen in den hauptsächlich in Betracht
kommenden Linien bedacht gewesen ist. Der ostelbische Teil des nord-
deutschen Flachlandes wird durch drei in westöstlicher Richtung laufende
Thalzüge, deren wesentliche Ausbildung in die Zeit des Abschmelzens des
skandinavisch-norddeutschen Inlandeises zu verlegen ist, durchschnitten: das
( rlogau-Baruther, das Warschau-Berliner und das Thorn-Ebcrswalder Haupt-
thal. Nördlich von dem letztgenannten zieht sich durch Pommern, West- und
Ostpreufseu die preufsiseh-pommersche Seenplatte hin, die mit ihrer verhältnis-
rnäfsig grofsen Erhebung für die Anlage von Wusserquerverbindungen sich
nicht eignet, mit Ausnahme der — übrigens teilweise grofse Schwierigkeiten
bietenden — Linie von der Weichsel - Drewenz über die oberländische zur
masurischen Seenplatte. Auch von den 3 genannten Hauptthälern kann das
erstgenannte, das (llogau-Baruther Hauptthal, hierfür nicht iu Betracht
kommen, vor allem deshalb, weil es keine Fortsetzung zum We ichsei gebiet
hut. In den beiden allein übrig bleibenden Thalzügen sind aber künstliche
Wasserwege bereits angelegt, und zwar in dem Thorn -Eberswalder Haupt-
thal in seiner ganzen Ausdehnung von der Weichsel bis zur Havel bezw.
Elbe, in dem Warschau-Berliner Hauptthal wenigstens in seiner für Preufsen
hauptsächlich in Betracht kommenden westlichen Hälfte zwischen Oder und
Spree, während seine zwischen Oder und Warthe sich hinziehende östliche
Hälfte, deren Hauptteil der Obrabruch bildet, keinen durchgehend schiffbaren
Wasserweg hat1) und auch, weil er von untergeordneter wirtschaftlicher Be-
deutung wäre, in absehbarer Zeit nicht bekommen wird. Der die westliche-
1) Der Ohrakanal, der in diesem Thalzuge die Oder und die Warthe mit-
einander verbindet, ist ein Eutwässerungskanal.
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Die wasserwirtschaftliche Vorlage in Preuf«en. 187
Hälfte des Warschau- Berliner HauptthaLs durchziehende Wasserweg, der
Oder- Spreekanal, gentigt seit seinem in den Jahren 188Ü — 90 erfolgten Um-
bau den modernen Anforderungen des Verkehrs, indem er Schiffen von
400 1 Tragfähigkeit Durchgang gewährt. Dagegen weisen die im Thorn -
Eberswalder Hauptthal angelegten Wasserstrafseu ganz ungenügende Dimen-
sionen auf. Und doch ist — wie auch aus dem bisher Gesagten sich er-
giebt — gerade diese Linie die natürliche und zugleich einzige direkte Fort-
setzung der mit dem Rhein-Elbekanal geplanten Querverbindung der die
norddeutsche Tiefebene durchziehenden grofsen Ströme. Deshalb wird auch
in der wasserwirtschaftlichen Vorlage der Ausbau der Wasserwege des
Thorn - Eberswalder Ilauptthales, nämlich des Großschiffahrtsweges Berlin-
Stettin und der Wasserstraße zwischen Oder und Weichsel (Warthe, Netze,
Bromberger Kanal, Unter-Brahe) an erster Stelle erwähnt. Diese Wasser-
strafse soll, zusammen mit dem Rhein-Elbekanal, gleichsam das Rückgrat des
Wasserstrafsennetzes der preufsischen Monarchie bilden. Die andern Pläne
der neuen Vorlage bezwecken den Ausbau bezw. die Regulierung der von
diesem Hauptstrange sich abzweigenden Seitenäste.
Wenn der Mittellandkanal gebaut sein wird, kann man auf Binnenwasser-
strafsen vom Rhein bis zur Weichsel bezw. bis nach Königsberg gelangen,
und zwar nach Ausführung der in der neuen Vorlage hinzugekommenen Pläne
auf Fahrzeugen, die den Anforderungen des modernen Verkehrs vollauf genügen.
Von dem Plan, für sämtliche Wasserstraisen Preufsens Normalabmessungen
in erzielen, mufste allerdings Abstand genommen werden, „weil das Be-
dürfnis des Ostens die grofsen 600 t-Schiffe des Dortmund-Emskauals nicht
bedingt und einige neuere Anlagen östlich von Berlin, wie der Oder-Spree-
kanal, die Kanalisierung der oberen Oder und die Regulierung der Netze,
entsprechend den Schiffahrtsvcrhältnissen der anschliefsenden natürlichen
Wasserstraßen, in kleineren Abmessungen zur Ausführung gebracht sind4'.
Nach der neuen Vorlago sollen die westlich der Elbe anzulegenden Wasser-
strafsen und der Berlin -Stettiner Großschiffahrtsweg für 600 t-Schiffe, die
östlich der Oder vorgesehenen Hauptwasserstrafsen dagegen für 400 t-Schiffe
ausgebaut werden.
Der alte Finowkanal, dessen Weg der geplante G rofs Schiffahrtsweg
Herlin - Stettin im allgemeinen beibehalten wird, läfst nur den Verkehr
von Schiffen bis zu 170 t Tragfähigkeit zu. Da er nicht nur ein wichtiges
Verbindungsglied des Wasserweges von der Elbe zur Weichsel, sondern vor
allem auch den Vermittler des Wasserstrafsenverkehrs zwischen Berlin und
Stettin bildet, ist er bei diesen kleinen Abmessungen „nahezu an der Grenze
der Leistungsfähigkeit angelangt". Eine Zeit lang ist erwogen worden, ob
man nicht den Fiuowkanal unverändert lassen und in einer ganz neuen Linie
eiuen Wasserweg bauen solle. Zwischen dem vom Fiuowkanal benutzten
Thorn- Eberswalder Hauptthal und dem vom Oder -Spreekanal durchzogenen
Warschau-Berliner Hauptthal liegt nämlich noch ein drittes, kleineres Quer-
thal, das die Spree mit der Oder verbindet, das Stobberbachthal. Diese
Linie hätte den Vorzug, die kürzeste Verbindung zwischen Berlin und Küstrin
zu bilden. Östlich von Berlin (deshalb „Ostlinie'* geheißen) im Seddinsee
13*
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188
Wilhelm Hochstetten
gegenüber Schmöckwitz beginnend sollte sie das Hochmoor „Rotes Luch*' durch-
schneiden und, bei Alt-Friedland sich gabelnd, einerseits in östlicher Richtung
nach Küstrin, andererseits in nördlicher Richtung über Wriezen nach Oder-
berg und Hohensaathen tühren. Trotzdem die „Ostlinie" vor der dem Finow-
kanal folgenden „Westlinie" den Vorzug hat, dafs sie einen Wasserweg
schaffen würde, der von Küstrin nach Berlin um 54 km, nach der Elbe um
30 km, sogar von Hohensaathen nach Berlin wenigstens um 10 km kürzer
sein würde, mufste der Gedanke an ihre Ausführung fallen gelassen werden
wegen technischer Schwierigkeiten, die vor allem das mit Fliefssand von
feinster Beschaffenheit angefüllte „Rote Luch" geboten hätte, wegen bedeutend
erhöhter (beinahe verdoppelter) Baukosten und verlängerter Bauzeit. Da der
Nachteil der Westlinie, die gröfsere Lange und infolge davon die Erhöhung
der Frachtkosten, dadurch zum Teil beseitigt wird, dafs auf der Stromoder
zwischen Hohensaathen und Küstrin keine Abgaben erhoben werden, und die
schweren Nachteile der Ostlinie bei der Westlinie nicht vorhanden sind, hat
man sich definitiv für den Ausbau der Westlinie entschieden. Bei dem
Plane hierfür war man nach Möglichkeit bestrebt, den bereits vorhandenen
Finowkanal zu benutzen; eine einfache Vergröfsemng desselben erwies sich
jedoch nicht als zweckmafsig, es mufste vielmehr teilweise eine ganz neue
Linienführung gewählt werden. Zunächst kann bis unterhalb Pinnow a. d. Havel
der alte Weg beibehalten werden, nur mufs in Spandau eine neue grofse
Schleuse errichtet und der Schiffahrtskanal von Plötzensee, wo die vorhandenen
Schleusen ebenfalls umgebaut werden müssen , bis zum Tegelersee ver-
breitert und vertieft werden. Unterhalb Pinnow mufs ein neuer Weg be-
gonnen werden, der über den Lehnitz-See nach der alten Wasserstrafse ober-
halb der Mälzer Schleuse führt. (Oranienburg soll bei Lehnitz durch eine
Schleuse mit Finowmafsen angeschlossen werden.) Nunmehr wird wieder
der alte Wasserweg bis Dusterlake beibehalten, dann wird wieder ein neuer
Weg gebaut in östlicher Richtung nach Ruhlsdorf, wo der alte Finowkanal
gekreuzt wird, und, mit kurzer Benutzung des Werbellinkanals, weiter in
neuer Linie nördlich von Steinfurth und Eberswalde nach Liepe, von wo aus
mittels einer „geneigten Ebene" und einer daneben liegenden Schleusentreppe
unter Benutzung der gröfstenteils im Bette der alten Oder sich hinziehenden
Wasserstrafse der Abstieg ins Oderthal nach Hohensaathen erfolgt, wo zur
Verbindung mit der Stromoder eine neue grofse Schleuse angelegt werden
mufs. Der Schiffahrtsweg, der von der Plötzenseer Schleuse ab 99,5 km
lang sein wird, soll fast dieselben Abmessungen wie der Rhein-Elbekanal
erhalten, nämlich 18,5 m Sohlen- und 32,35 m Wasserspiegelbreite und 2,05
bis 2,55 m (in der Mitte) Tiefe, so dafs 600-t-Schiffe ungehindert darauf
verkehren können. Das vom Kanal durchschnittene Gelände ist für einen
zweckmäfsigen und billigen Bau sehr günstig. Die angestellten Bodenunter-
suchungen haben überall diluviale, zum Teil scharfe Sande gezeigt, die an
einigen Stellen mit Lehm schwach durchsetzt sind; die Gründung der Bau-
werke stöfst also hier (im Gegensatz zur Ostlinie!) auf keine Schwierigkeiten.
Ebenso ermöglicht die Bildung des Geländes verhältnismäfsig lange Haltungen.
Von l'lötzensee bis Hohensaathen werden nur zwei Schleusen, bei Lehnitz
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Die wasserwirtschaftliche Vorlage in Proufsen.
189
und bei Liepe, und die geneigte Ebene bezw. Schleusentreppe ins Odcrthal
hinab zu bauen sein; die erste Haltung des Schiffahrtsweges, von Plötzensee
' bis zur Lehnitzschleuse, bei gewöhnlichem Wassserstande N.N. -f- 31,30 in,
wird 34 (bezw. von Spandau aus gerechnet 28) km, die Scheitelhaltung von
der Lebaitzschleuse bis Liepe ( Wasserspiegel N.N. + 36,85 ra bis 37,35 m)
sogar 50 km lang sein, der Höhenunterschied zwischen Liepe und der Strom-
oder (rund 36 m) wird durch die geneigte Ebene bezw. die Schleusentreppe
mit 5 Schleusen von je 7,2 m Gefälle überwunden. Auch die Wasser-
speisung des Kanals wird keine Schwierigkeiten bereiten; wie beim bisherigen
Kanal wird die Speisung der Scheitelhaltung durch den Zehdeniek-Lieben-
walder Kanal aus der oberen Havel erfolgen. Die Kosten des Kanals, dessen
Bauzeit auf 5 Jahre berechnet wird, sind zu 42 Millionen Mark veranschlagt.
Die Bedeutung des geplanten Grolsschiffahrtsweges beruht vor allem in der
Verbesserung der Verkehrsbeziehung zwischen Stettin und Berlin bezw. dem
Elbegebiet infolge der zu erwartenden Ermäfsigung der Frachtsätze. Für
den Handel Stettins, der infolge der Verbesserungen an der Elbe und dem
westlichen Teil der märkischen Wasserstrafsen , des Baues des Oder-Spree-
kanals und besonders des Elbe-Travekanals durch die Konkurrenz Hamburgs und
Lübecks schweren Schädigungen ausgesetzt ist, wird vom Bau des Grofs-
>chiffahrtsweges ein neuer Aufschwung erhofft, auch für Berlin und die
industriellen Unternehmungen des vom Kanal durchschnittenen Gebietes, sogar
weiterhin für die Gebiete bis nach Magdeburg und Halberstadt werden von
der Verkehrsverbesserung beträchtliche Vorteile erwartet. Auch auf die
Förderung der landwirtschaftlichen Interessen ist bei der Linienführung des
neuen Kanals nach Möglichkeit Rücksicht genommen worden.
Durch den Bau des Grofsschiffahrtsweges Berlin -Stettin wird der ge-
plante Rhein-Elbekanal zu einem durchgehends für 600 t-Schiffe befahrbaren
Rhein-Oderkanal. Der von der Oder ab östlich liegende Teil des „Rhein-
Weichselkanals" soll dagegen aus den angeführten Gründen zu einer Fahr-
strafse für nur 400 t-Schiffe ausgebaut werden. Die Wasserstrafse
zwischen Oder und Weichsel ist noch gegenwärtig streckenweise nur
für Schiffe von 150 t Tragfähigkeit benutzbar, also ungenügend für die An-
forderungen des modernen Verkehrs. Während bei der Warthe von Küstrin
bis Zantoch und der unteren Netze von der Dragemündung bis zur Ein-
mündung in die Warthe verhältnismäfsig unbedeutende Regulierungsarbeiten
genügen werden, müssen an der mittleren und oberen Netze, dem Bromberger
Kanal und der unteren Brahe durchgreifende Veränderungen vorgenommen
werden. Auf der 78 km langen, mittleren Strecke der Netze (von der Drage-
bis zur Küddow-Mündnng), der sog. „lebhaften Netze" müssen vor allem die
Stauanlagen verbessert werden, indem vier Staue neu gebaut und von den vor-
handenen zwei erhöht werden. Auf der oberen Strecke der Netze, der 50 km
langen sog. „trägen Netzeu, sollen zwei vorhandene Schleusen umgebaut und
Begradigungen und Erweiterungen vorgenommen werden. Auf dem Brom-
berger Kanal, der gegen 27 km lang ist, sind in beiden Schleusentreppen
neue Schleusen zu bauen, der Kanalquerschnitt zu verbreitern und in der
Scheitelhaltung eine Senkung des Wasserspiegels herbeizuführen. Auf der
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190
Wilhelm Hochstetter:
unteren Brahe endlich, die 12 m Länge hat, genügen wieder kleinere Arbeiten,
der Umbau zweier Wehre und zweier Schleusen. Die Kosten des Baues, für
dessen Durchführung ein Zeitraum von zehn Jahren in Aussicht genommen
ist, sind auf rund 20 400 000 Mark veranschlagt. Von der geplanten Ver-
besserung, welche Fahrzeugen von 400 t Tragtähigkeit auf der ganzen Strecke
ungehinderten Verkehr verschaffen wird, erwartet man eine Verminderung
der Frachtkosten um 30 — 35, mindestens aber 25 0 0. Der dadurch bedingte
Verkehrsaufschwung darf als ein ziemlich beträchtlicher angesehen werden.
Es ist zu erwarten, dafs nicht blofs von den Gütern, die jetzt entweder den
Seeweg über Danzig oder die Eisenbahn benutzen, ein grofser Prozentsatz
dem Wasserverkehr zufallen, sondern auch der auf dem Binnenwasserwege
bereits bestehende Verkehr einen bedeutenden Aufschwung nehmen wird.
Insbesondere ist eine Steigerung des Holzverkehres, auch des Verkehres von
Zucker, Spiritus, Petroleum u. s. f. zu erwarten, wovon nicht blofs die Industrie,
bei der in erster Linie an die Bromberger Schneidemühlen zu denken ist,
sondern mindestens ebensosehr auch die Landwirtschaft Vorteil haben wird.
Für die letztere, die in diesem Gebiete auch überwiegende Bedeutung vor
der Industrie hat, ist die geplante Verbesserung der Wasserstrafse aufserdem
noch insofern von grofsem Werte, als bei den Neubauten an der Scheitel-
strecke des Bromberger Kanals für Entwässerung der anliegenden Grundstücke
und bei den Bauten an der Netzestrecke zwischen Küddow- und Drage-
mündung für die Möglichkeit umfangreicher Bewässerung der anliegenden
Wiesen gesorgt werden soll.
Unmittelbar mit der geplanten Verbesserung des letzten Teilsttickes des
„Rhein- Weiehselkanals" hängt der Plan zusammen, die Schiffahrtsstrafsc
der Warthe von der Mündung der Netze bis Posen zu verbessern. Die
Aufnahme dieses Projekts in die Kanalvorlage, das der Provinz Posen Anteil
an dem vom Ausbau der Wasserstrafsen zu erwartenden Aufschwung des
Wirtschaftslebens zu geben bezweckt, ist zweifellos auch durch nationale Er-
wägungen veranlafst worden. Die von der Verbesserung des Wasserweges
bewirkte Steigerung des Verkehres, an dem hauptsächlich landwirtschaftliche
Erzeugnisse (Zucker, Getreide und Spiritus) bezw. Bedarfsgegenstände teil-
haben werden, soll die Provinz nicht blofs wirtschaftlich stärken, sondern
auch enger an die übrige Monarchie anschliefsen. Bisher sind die Schifl-
fahrtsverhältnisse auf der Warthe häufig recht ungünstig gewesen, obgleich
schon lange an der Verbesserung der Wasserverhältnisse gearbeitet wird.
Deshalb ist nunmehr beabsichtigt, mit einem Aufwand von 2 231000 Mark
eine durchgreifende Regulierung vorzunehmen durch Baggerimg der das Strom-
bett durchsetzenden Lettebänke und Steinhäger, durch Abflachung der weniger
als 300 m Radius besitzenden Krümmungen , durch Schmälerung einiger
Strecken des Strombettes und durch Umbau einer Anzahl von Brücken.
Wenn auch wegen der geringen Wassermengen, die der Flufs bei Niedrig-
wasser führt, eine gröfsere durchgehende Tiefe, als 1 m bei mittlerem Niedrig-
wasser, sich nicht erreichen läfst, werden dennoch künftig Schiffe von 400 t
Tragfähigkeit ständig von Posen an auf der Warthe verkehren können, wenn
auch zeitweise mit vermindertem Tiefgange.
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Die wasserwirtschaftliche Vorlage in TrenTscn.
101
Als ein weiterer Seitenweg des „Rbein-Weichselkanals" ist die Oder in
der neuen Vorlage berücksichtigt worden, und zwar sowohl der südlich davon
liegende Teil, die Oderstrecke zwischen Schlesien und dem Oder-
Spreekanal, als der nördlich davon liegende Teil, die untere Oder.
Die Schlesier fürchten eine Schädigung hauptsächlich ihrer Kohlen- und
Eisenproduktion durch die Konkurrenz, die ihnen insbesondere auf dem
Berliner Markte von dem rheinisch- westfälischen Industriegebiet infolge des
Rhein-Elbekanals und von dem Auslande infolge des Berlin - Stettiner Grofs-
schiffahrtsweges droht. Deshalb beabsichtigt man, die Schiffbarkeit der
Oder so zu verbessern, dafs die Wassertiefe von der Mündung der Glatzer
Xeisse, also vom unteren Endpunkt der kanalisierten oberen Oder, bis zum
Oder-Spreekanal bei Fürstenberg auch in trockenen Zeiten nicht unter 1,40 m
hinabsinkt und Schüfe von 400 t Tragfähigkeit mit voller oder Dreiviertel-
Ladung verkehren können. Dieses Ziel hoflt man zu erreichen: 1) durch
Anlage von Stauweihern im Quellgebiet der Oder und ihrer Nebenflüsse,
2) durch Ausgestaltung der vorhandenen Regulierungsbauten , welche die
Mindestwassertiefe der Fahrstrafse erhöhen sollen, und 3) durch Kanalisierung
der Stromstrecke von der Neissemündung bis Breslau. Da aber auf ein Ge-
lingen des Werkes nach den bisherigen Erfahrungen noch nicht mit absoluter
Sicherheit gerechnet werden kann, sollen die schon früher vorgenommenen
Versuche zunächst noch fortgesetzt werden, aber in umfangreicherer Weise,
als bisher. Es ist geplant, mit einem Kostenaufwand von 4 100 000 Mark
an zwei besonders ungünstigen Strecken des Stromes zwischen Breslau und
Fürstenberg von je etwa 10 km Länge eine intensive Regulierung vorzunehmen
und im Gebiet der oberen Oder ein oder mehrere Staubecken von zusammen
mindestens 9 Millionen Kubikmeter Fassungsraum herzustellen. Erst nach
Beendigung dieser Versuche, von denen man ein günstiges Ergebnis erhofft,
soll ein Gesamtplan für die Verbesserung der Schiffahrt auf der Oder bis
zum Oder-Spreekanal aufgestellt werden.
Während die bisher besprochenen Wasserstrafsenpläne, sowohl bezüglich
des Hauptstrangs als der Seitenzweige, in erster Linie Verkehrsrücksichten
im Auge haben, wird bei den nunmehr zu besprechenden drei Plänen in
erster Linie auf die Landesmelioration Rücksicht genommen. Eine scharfe
Trennung der beiden Arten von wasserbaulichen Plänen ist ja allerdings
nicht möglich; eine umsichtige Wasserbautechnik wird auch bei Plänen, die
für Förderung der Schiffahrt gemacht werden, die Interessen der Landes-
kultur nicht aufser Acht lassen, wie dies auch bei den Plänen des Rhein-
Weser-Elbekanals, des Grofsschiffahrtsweges Berlin-Stettin, der Wasserstrafse
zwischen Oder und Weichsel, der Schiffahrtsstrafse der Warthe und der Oder
bis zum Oder-Spreekanal der Fall ist, und umgekehrt wird sie bei Aus-
arbeitung von wassertechnischen Plänen, welche die Melioration des an einem
schiffbaren Flusse liegenden Geländes bezwecken, gleichzeitig auch den Schifl-
fahrtsverhältnissen Rechnung zu tragen suchen. So wird auch bei den Plänen
betreffs der unteren Oder, der unteren Havel und der Spree das Schiffahrts-
interesse nicht aufser Acht gelassen werden, wenn auch ihr Hauptzweck die
Landesmelioration ist.
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192
Wilhelm Hochstetten
Die Arbeiten, die an der unteren Oder vorgenommen werden sollen,
werden nur durch die Rücksicht auf die Landeskultur veranlafst. Die in
Betracht kommende Strecke der Stromoder wird allerdings einen Teil des
Grofsschiffahrtsweges zwischen Berlin und Stettin bilden; allein die bisher
vorhandenen Verhältnisse in der unteren Oder hätten auch künftig den er-
höhten Anforderungen der Schiffahrt genügt. Dieser Plan bezweckt vielmehr,
die Wiesenbesitzer des Oderbruchs und des Thaies der unteren Oder von den
unzeitigen Sommerüberschwemmungen zu befreien , welche in den letzten
Jahrzehnten in bedenklicher, die anliegenden Wiesen aufserordentlich schädigen-
den Weise1) zugenommen haben, vor allem weil wegen des geringen Gefälles
des Stromunterlaufes*) die Flufssohle und damit der Wasserstand sich immer
mehr erhöhte und gleichzeitig infolge der Veränderungen im Laufe der oberen
Oder und ihrer Nebenflüsse und der dadurch veranlafsten rascheren Zuführung
der Niederschlagsmengen zum Unterlauf des Stromes die Wassermassen in
diesem Gebiet vermehrt wurden. Die Arbeiten, welche diese Mifsstände be-
seitigen sollen, werden das bisherige Landschaftsbild in einer Weise verändern,
wie es sonst bei keinem der neuen Pläne der wasserwirtschaftlichen Vorlage
der Fall ist. Es ist geplant, die teilweise bereits vorhandene Zweiteilung
des Stromlaufes von Hohensaathen bis zum üammschen See folgerichtig aus-
zubilden, so dafs künftig das Wasser in zwei von einander getrennten Strom-
schläuchen dem Meere zugeführt wird. Der am Ostrande des Thaies liegende
Arm, die „Ostoder", soll als Hauptstrora ausgebildet werden, der die Wasser
und Sinkstoffe aus dem Oberlauf aufnimmt und als eigentlicher Schiffahrts-
strom dient; der am Westrandc des Thaies fliefsende andere Arm, die „West-
oder", soll dagegen hauptsächlich dem anliegenden Gelände als Entwässerungs-
kanal dienen. Die vorhandenen Verbindungen zwischen West- und Ostoder
sollen sämtlich abgeschlossen werden. Um jedoch den Verkehr zwischen
beiden Flufsarmen aufrecht zu halten, vor allem um die Städte Schwedt und
Gartz an dem durchgehenden Verkehr der als Schiffahrtestralse dienenden
Ostoder teilnehmen zu lassen , sind zwei Querverbindungen geplant , eine
zwischen Schwedt und Niedersaathen, die andere zwischen Greifenhagen und
Mescherin. Nicht ausgeschlossen ist, dafs, wenn besonders dringende Wünsche
laut werden, auch die Westoder von Hohensaathen bis Stettin als zweite
durchgehende Schiffahrtsstrafse ausgebaut wird. Zur vollständigen Durch-
führung der Landesmelioration mufs neben dem Ausbau der beiden Strom-
arme auch für Anlage von Rückstandeichen, Polder, Kahn- und Entwässerungs-
schleusen gesorgt werden. Der Aufwand von 46 100 000 ^, welche der
innerhalb 15 Jahren auszuführende Bau der geplanten Gesamtanlagen er-
fordert, wird gerechtfertigt durch die grofsen wirtschaftlichen Erfolge, die da-
durch erzielt werden: die Hochwassergefahren werden beseitigt und der Oder-
bruch entwässert: ja auch auf den Oberlauf des Stromes erstreckt sich die
1) Der Schaden wird auf jährlich rund 1464 000 Mark geschätzt.
2) Da« Gefälle beträgt in dem an Schwedt vorüberffihrendon Oderarme auf
der 76 km langen Strecke von Hohensaathen bis Stettin im Maximum 6,33, im
Minimum etwa 1,14 m. DaB Gefalle in dem an Greifenhagen vorüberführenden
Arm ist etwas stärker, wenngleich absolut noch immer recht gering.
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Die wasserwirtschaftliche Vorlage in Preufsen.
193
günstige Wirkung, indem die Vorflutverbesserung des Unterlaufcs die Vor-
nahme von Meliorationen im Gelände des Oberlaufes (/.. B. im Warthebruch)
ermöglicht, gegen welche bisher wegen der schädlichen Wirkung auf das
Gebiet des Unterlaufes Bedenken vorlagen.
Ein weiterer in die neue Vorlage hauptsächlich im Interesse der Landes-
kultur aufgenommener Plan betrifft die Verbesserung der Vorflut- und Schiff-
fahrtsverhältnisse in der unteren Havel. Schon von Spandau an leidet
die Havel an zu geringem Geiälle1), so dafs das anliegende, weitausgedehnte
Niederungsgebiet unter Hochwasser sehr zu leiden hat. Die Kalamität wird
noch erhöht, wenn gleichzeitige Hochwasserstände in der Elbe nicht nur
keinen Abflufs zulassen, sondern sogar noch Rückstau bis nach Rathenow
hinauf bewirken. Von den vielen Entwürfen, die zur Hebung der Mifs-
stände schon gemacht worden sind, ist besonders der Plan zu nennen, die
Havelmündung um etwa 13 km unterhalb Quitzöbel zu verlegen; er mufste
verworfen werden, vor allem weil er für die Elbeniederung schwere Nachteile
gebracht hätte. Jetzt ist geplant, mit Benutzung der zahlreich vorhandenen
alten Flufsarme und Schienken besondere Flutwege herzustellen, die, am
oberen Ende durch bewegliche Wehre verschliefsbar, offen gehalten werden
sollen, wenn die Havel mehr Wasser hat, als sie ohne Ausuferung der Elbe
zuführen kann. Zugleich mit diesen zu Gunsten der Landesmelioration aus- .
zuführenden Arbeiten sollen auch noch im Interesse der Schiffahrt auf der
Havel Begradigungen und Durchstiche des Stromes vorgenommen und sonst
noch Nebenanlagen ausgeführt werden. Die Gesamtkosten des Entwurfes,
zu dessen Ausführung die Zeit von 6 Jahren angenommen wird, sind auf
11 225000 JC veranschlagt.
Der letzte der Pläne, der sich auf den Ausbau der Spree bezieht, be-
zweckt die Beseitigung ähnlicher Mifsstände, wie sie das vorher besprochene
Projekt beheben will. Auch die Spreegegend leidet unter zahlreichen und
lange anhaltenden Überschwemmungen und sonstigen Hochwasserschäden; be-
sonders schlimm sind in den letzten Jahren die Zustände im Spreewalde ge-
worden. Die Schwierigkeiten, welche der Beseitigung dieser Übelstände ent-
gegenstehen, werden dadurch noch gesteigert, dafs eine allzustarke Wasser-
entziehung den Wiesenbesitzern des Spreewalds ebenfalls schweren Schaden
bringen würde. Der Entwurf sieht nun hauptsächlich folgende Mafsregeln
vor: Der starken Sandführung der kleinen Spree, des schwarzen und des
weifsen Schöps soll Einhalt geboten werden, im Spreewald sollen die Flufs-
betten verbreitert und vertieft werden, um den Abflufs des Hochwassers zu
erleichtern, und von Leibsch bis zur Dahme soll ein Umflutkanal gebaut
werden, durch den das Hochwasser dem Unterlauf der Spree zugeführt wird.
Für die schiffbare Spreestrecke, die bei Leibsch beginnt, ist geplant: Kürzung
der 67 km langen Strecke von Leibsch bis zum Wergensee vermittels
30 Durchstichen (der dadurch ausgeschaltete Schwielochsee wird durch eine
1) Auf der 31 km langen Strecke von der Ausmündung deB Sakrow- Paretzer
Kanals unterhalb Potsdam bis zur Abzweigung des alten Plauerkanals beträgt das
Gefälle bei Mittelwasser nur 1,67 m und auf der hieran Bich anschliefsenden, 101 km
langen untersten Strecke nur 4,61 m.
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1D4 Hochstetten Die wasserwirtschaftliche Vorlage in Preufsea
Schleuse wieder angeschlossen), wodurch nicht blofs für die Schiffahrt Vor-
teile geschaffen, sondern auch die Hochwasserschäden für die anliegenden wie
für die oberhalb gelegenen Grundstücke beseitigt werden; ferner Schaffung
eines Umflutkanals von der Drahnendorfer Spree bei Kersdorf nach der
Fürstenwalder Spree, Beseitigung von einigen Vorfluthindernissen der Müggel-
spree von Grofse Tränke bis zum Dämeritzsee und endlich Ausbau des be-
stehenden Schiffahrtskanals (Teil des Oder -Spreekanals) von Grofse Tränke
bis Wernsdorf als Urnflutkanal. Die Gesatntkosten für das Werk, für dessen
Durchführung 8 Jahre in Aussicht genommen sind, sind auf 10 720 000 M
veranschlagt; die Schäden, welche dadurch abgewendet werden sollen, sind auf
jahrlich 933 300 Jt geschätzt worden.
In der neuen wasserwirtschaftlichen Vorlage werden also in weitgehender
Weise neben den Interessen des Verkehrs auch die Interessen der Landes-
kultur berücksichtigt. Den Hauptvorteil wird aber von der Ausführung des
Gesamtplanes natürlich der Verkehr haben, dessen Hebung jedoch wieder
zurückwirken wird nicht nur auf die Industrie und den Handel, sondern
auch auf die Landwirtschaft. Die Schaffung eines über die ganze prenfsische
Monarchie sich ausdehnenden, zusammenhängenden Wasserstrafsennetzes wird
eine wesentliche Verbilligung der Transportkosten für die zum Wasserverkehr
geeigneten Massengüter zur Folge haben, also vor allem für Kohle und
Eisen, die wichtigsten Industrieerzeugnisse, wie auch für landwirtschaftliche
Produktions- und Konsumtionsgegenstände, besonders für Getreide und Holz.
Von aufserordentlicher volkswirtschaftlicher und politischer Bedeutung wird es
sein, dals infolge davon der industriereiche Westen der Monarchie und der
vorwiegend Landwirtschaft treibende Osten einander wirtschaftlich näher ge-
rückt und zu lebhafterem Güteraustausch veraulafst werden. Auch zur Be-
lebung der gewerblichen und landwirtschaftlichen Thätigkeit der einzelnen
kleineren, von den Wasserstraßen durchzogenen Gebiete wird der geplante um-
fassende Ausbau der Wasserwege beitragen. Aufserdem mifst die Regierung
den neuen Verkehrswegen auch strategische Bedeutung bei und erwartet von
ihnen eine Steigerung der Defensivkraft des Landes. Als eine mittelbare
Wirkung der durch die Wasserst rafsen zu schaffenden Verkehrserleichterung
wird endlich auch eine Entlastung der in verkehrsreichen Gebieten beinahe
überlasteten Eisenbahnen angesehen. Im Zusammenwirken mit dem „bereits
vorhandenen und weiter auszubildenden Netze an Voll-, Neben- und Klein-
bahnen, sowie befestigten Stral'sen" wird das künftige grofse Wasserstrafsen-
netz, wie die Denkschrift sagt, „in hohem Mafse geeignet sein, den wirk-
samsten Hebel für die Beförderung und Stützung aller Wirtschaftszweige
sowie der Wehrkraft des Staates zu bilden".
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Sieger: Gcogr. u. statist. Methode im wirtschaf tsgcogr. Unterricht. 195
Geographische und statistische Methode im wirtschaftsgeographischen
Unterricht *).
Von R. Sieger.
Auf dem Gebiete des Unterrichts ist es nicht selten, dafs gewisse Er-
fahrungen und Grundsätze Gemeingut geworden sind, ehe sie noch in der Litte-
ratur mit der wünschenswerten Scharfe ausgesprochen wurden. Erscheint dann
ein Werk, in welchem dies unternommen wird, so mischt die Freude des
Lesers an den zutreffenden und auch ihm nicht fremden Beobachtungen und
Gedankengängen des Verfassers sich doch mit einem gewissen Gefühl der
Enttäuschung darüber, dafs das Werk nichts wesentlich Neues enthalte. Man
ist leicht geneigt, das Verdienst des Verfassers zu unterschätzen, der doch
zuerst aus Einzelheiten und Bruchstücken ein Ganzes bietet und dadurch
die werbende Kraft der betreffenden Ideen steigert, ihrer praktischen Durch-
führung in immer weitereu Kreisen vorarbeitet. In dieser Richtung ist das
hauptsächliche Verdienst des Vortrages über geographische und statistische
Methode zu suchen, den Professor Jean Brunhes auf dem vorjährigen Pariser
Kongrefs für Wirtschaftsgeographie hielt. Wie schon öfter trat Brunhes als
Vorkämpfer ausländischer wissenschaftlicher Ergebnisse und Anschauungen
unter seinen Landsleuten auf — und die Diskussion seines Vortrages ergab,
dafs die von ihm vertretenen Meinungen nicht so ungeteilte Zustimmung
fanden, wie dies wohl im Deiitschen Reiche oder in Österreich, wo durch
Zehden's Wirksamkeit die geographische Methode des handelsgeographischen
Unterrichts tiefe Wurzeln geschlagen hat, der Fall gewesen wäre2). Nun-
mehr liegt uns der Vortrag in erweiterter Form im Drucke vor und die
Erweiterung, die er gefunden hat, bewegt sich insbesondere in jener Richtung,
welche wohl die fruchtbarste, der Weiterbildung und Vertiefung fähigste Seite
des Problemes darstellt. Für den Fachgeographen kann es sich nämlich
kaum mehr darum handeln, den von Ratzel8) so zutreffend formulierten
Gegensatz der statistischen und der geographischen Auffassung, sowie die
Vorzüge der letzteren weiter zu erläutern, wie dies wohl dem kauf-
männischen „Praktiker" gegenüber auch bei uns noch vielfach notwendig
ist. Es gilt vielmehr dem Unterricht und überhaupt der Darstellung die Wege
zu weisen, auf denen man das Tatsachenmaterial der Statistik zu einem
geographischen Bilde verwerten, in manchen Fällen darf man wohl sagen:
ihm geographische Auskünfte abzwingen kann. Die Schwierigkeiten, die
sich oft diesem Versuch entgegenstellen, rechtfertigen wohl die Bezeichnung
l) Brunhes, Jean, Differences psychologiques et pe'dagogiques entre la con-
ception statistique et la coneeption geographique de la geographie economique.
Representation!* statistiques et representations geographique*. Etudes geographi-
que» I. annee, fascicule 4. (Octobre 1900.) Fribourg, Institut geographique de l'uni-
versit«. gr. 8°, S. 45—108.
S) Vgl. meinen Bericht über den Kongrefs in der Zeitschrift für Schulgeo-
graphie Märzheft 1901.
8) Insbes. Anthropogeographie L 2. AuÖ. S. 104 f., II, 147 ff.
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196
R Bieger:
gerade dieser Seit* des Problems als der „wichtigsten pädagogischen Frage
auf dem Gebiete der Wirtschaftsgeographie"1). Die folgenden Anmerkungen
sollen daher hauptsächlich den Äufserungen des Verfassers gerade hierüber
gelten, auch wenn dieselben — der freien Form eines Vortrags entsprechend, —
nur als Andeutungen und gelegentliche Anmerkungen erscheinen.
Demgemilfs will ich auch eine wichtige prinzipielle Frage nur im Vor-
beigehen berühren, über die ich in kurzer, aphoristischer Form auf dem er-
wähnten Pariser Kongrefs mich geäufsert habe und über die ich bei Gelegen-
heit mich ausführlicher auszusprechen gedenke, jene nach den Grenzen der
Wirtschaftsgeographie2). In Bezug auf die wissenschaftliche Entwicklung
und den Hochschulunterricht — den Brunhes aus seiner Darstellung grund-
sätzlich ausgeschlossen hat — scheint es mir wohl dringend geboten, darüber
zu wachen, dafs die in Rede stehende Disziplin wirtschaftliche Geo-
graphie bleibe und nicht zu einer — an sich berechtigten — geographi-
schen Abteilung der Wirtschaftslehre sich umgestalte. Für die
mittleren und unteren IJnterrichtsstufen (und in gewissem Mafse auch für
die Handelshochschule) läfst sich aber eine solche Grenze nicht ziehen, da
hier die Geographie in ähnlicher Weise der Konzentration des Unterrichts zu
dienen hat, wie etwa auf dem Gymnasium. Wie dort das geschichtliche,
politische und ethnographische, mufs hier beim kommerziellen Unterricht das
handelskundliche, haudelsgeschichtliche und warenkundliche, ebenso wie das
nationalökonomisebe Element im geographischen Unterricht vielfach seine
Stelle auch dort behaupten, wo es mit den eigentlich geographischen That-
sachen nur in oberflächlichem Zusammenhange steht. Insbesondere ist man
neuerlich darauf aufmerksam geworden, dafs die Verknüpfung warenkundlicher
mit geographischen Thatsachen dem Lehrer seine Aufgabe erleichtern und
das Interesse des Schülers steigern kann. Als Beleg hierfür möchte ich
einerseits die neue österreichische Prüfungsordnung für das Lehramt an
höheren Handelsschulen anführen, welche die Vereinigung dieser beiden
Fächer in der Hand eines und desselben Lehrers anstrebt , und andererseits
auf den starken warenkundlichen Einschlag im wirtschaftsgeographischen
Unterricht hinweisen, den Brunhes und schon der eine oder andere seiner
französischen Vorgänger it. B. Marcel Dubois) befürworten. Ebenso tritt
Brunhes, wie wir noch sehen werden, auch für die Verknüpfung ethno-
graphischer und sozialer Thatsachen mit dem handelsgeographischen Unter-
riebt ein3).
Den Hauptgegenstand des Vortrags bildet dagegen, wie der Titel besagt,
die Stellung der Statistik in dem Unterrichte der Wirtschaftsgeographie. In
dieser, wie überhaupt in manchen Zweigen der Anthropogeographie, spielt
die Statistik eine ähnliche Rolle, wie in anderen Zweigen der letzteren die
1) Hrunhe* S. 46.
2) Vgl. das obenerwähnto Referat in d. Zeitschr. f. Schulgeogr.
3) 8. 49 ist die charakteristische Bemerkung zu finden „que la geographic
economique a etc jusqu'ici une tnaison bien hospitaliere, et que ce serait fort
dommage de fermer — ä la geographic memo — une porte, qui a ete si largement
ouverte!"
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Geograph, u. Statist. Methode im wirtschaftsgeograph. Unterricht. 197
Geschichte und wie — dies hat Cl aparede auf dem Kongreß glücklich
hervorgehoben — in der physischen Geographie die Geologie. Sie ist hlofs
Hilfswissenschaft, deren Resultate noch viel mehr in geographischem
Sinne verarbeitet werden sollten, als dies heute „insbesondere in einigen
Ländern" geschieht. Statistische Daten werden noch vielfach als nackte
Daten in solchem Ausmafs vorgetragen, dafs sie den geographischen Charakter
des Unterrichts beeinträchtigen. Um dies zu zeigen und zugleich um die
Grenzen ihrer Anwendung zu ziehen, behandelt Brunnes in den drei ersten
Abschnitten seiner Abhandlung die drei Hauptarten von Material, das uns
die Statistiker liefern: 1. absolute und relative Zahlenwerte, 2. Mittelwerte,
3. graphische Veranschaulichungen. Ziemlich systematisch, doch bald in
knapper Andeutung, bald in ziemlicher Weitschweifigkeit und etwas un-
geordneter Reihenfolge erörtert er den Umfang, in welchem diese verwertet
und die Mittel, durch welche ihre Erlernung erleichtert werden kann.
Streng genommen haben letztere mit der geographischen Methode nichts zu
thun; sie kommen aber schliefslich doch dem Unterricht in der Geographie
zugute, insofern sie eine geringere Belastung des Gedächtnisses mit anders
geartetem Material zur Folge haben. Was die absoluten Zahlen betrifft1),
so mag in diesem Sinne ihre thunlichst sparsame Verwendung als päda-
gogische Hauptforderung erscheinen. Eine zweite Hauptforderung, die Brunhes
ebenfalls erhebt, ist die Verbindung dieser wenigen Zahlen mit Realitäten,
in unserem Falle mit geographischen Realitäten. Er empfiehlt hierfür einer-
seits solche Gegenstände, mit denen der Schüler wenigstens halbwegs richtige
Vorstellungen verbindet und die dann als Vergleichsmafsstäbe dienen können —
etwa Areal oder Bevölkerung des Heimatlandes, des Heimatbezirks, der Heimat-
stadt — anderseits solche, deren Anschauung der Schüler durch (von Brunhes
im weitesten Umfang empfohlene) Übungen im Messen und Schätzen
erwirbt. Es bedarf wohl keiner Hervorhebung, wie grofse Vorsicht bei diesen
Übungen geboten ist; suchen doch erfahrungsgemäfs ehrgeizige Schüler, wenn
sie beobachten sollen, gerne den Lehrer durch eingelernte „sichere" Kenntnisse
zu täuschen. Was Brunhes sonst in diesem Kapitel hervorhebt, sind wesent-
lich Hilfsmittel zur Erleichterung des Lernens, z. B. verständige Abrundung,
Vermeidung falscher Exaktheit, Wahl der richtigen Einheiten8), um möglichst
kurze Ziffernreihen zu erlangen, eine Relation zwischen den gröfseren und
kleineren Einheiten, etwa jenen für Städte- und für Staatenbevölkerungen,
analog der Kommensurabilität der Mafsstäbe in Atlanten, Hervorheben der
Zahlenordnung, bez. Größenklasse, vor der Ziffer, und insbesondere häufige
Vergleichungeu. Die Anregung zu letzteren soll durch Tabellchen ge-
1) Abschnitt I S. 49-59.
2) Sehr zutreffend wird bemerkt , dafs lange Ziffernreihen auch dann den
Schüler ermüden, wenn sie zumeist Nullen enthalten; daher will Brunhes z. B. l»ei
Tabellen für Areale europäischer Länder als Einheit nicht den Quadratkilometer,
sondern da» Tausend von Quadratkilometern anwenden, was m. K. doch auf niederen
Stufen erheblich erschwert wird durch den Mangel eines eigenen Namens für
diese Einheit, etwa so wie die metrische Meile der Skandinavier ihn für das Myria-
meter in geschickter Anlehnung an ein älteres Mafs bietet.
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198
R. Sieker:
geben werden, die dem Lehrbuch angehängt siud, aber nicht zum Lernstoff
gehören; überhaupt sind Zahlen nie vereinzelt, sondern immer vergleichend
neben anderen vorzuführen.
Wird von diesen keineswegs neuen Forderungen die letztgenannte be-
sonders auch durch die Krwägung unterstützt, dafs ein Handelsschüler lernen
mufs, Tabelleu zu lesen und zu benutzen, so scheint mir jene der Gröfseu-
k lassen vom geographischen Gesichtspunkt aus am wichtigsten, weil sie
zu klaren Raum- und Mengenvorstellungen führt1). Sie ist von vielen Lehrern
in der Praxis mehr oder weniger bestimmt durchgeführt worden. Hierbei sollte
man indes viel entschiedener als Brunlies betonen, dafs Gröfsenk lassen
nicht immer mit Zahlenordnungen zusammenfallen müssen. Als Bei-
spiel möchte ich die Kategorieu für Flächeninhalte vorführen, die ich im Unter-
richte verschiedener Stufen erprobt habe2): 1. außereuropäische Grofsstaaten
und Rufsland, Millionen von km2 (Vergleichszahl: Rufsland 5 Millionen),
2. europäische Grofsstaaten und aufsereuropäisehe Mittelstaaten, mehrere
Hunderttausend von km2 (genauer 3 —800000, noch genauer 287000 — 812000,
Vergleichszahl Deutschland bzw. Österreich-Ungarn), 3. europäische Mittelstaaten
und aufsereuropäisehe Kleinstaaten, wenige Hunderttausend von km* (genauer
1—300 000, noch genauer 98 000—287 000, Vergleichswert Rumänien
130000), 4. europäische Kleinstaaten, gröfsere Provinzen, aufsereuropäisehe
Zwergstaaten: Zehntausende von km2 (Vergleichszahl ein österreichisches
Krouland, etwa Niederösterreich 20 000; uahe der oberen Grenze Bayern
HO 000), 5. europäische Zwergstaaten und kleinere Provinzen (Vergleichs-
wert Luxemburg 3000, unterer Grenzwert: Monaco 22). Um die Nachteile,
die sich aus der Verschiedenheit, der üblichen Kartenmafsstäbe für europäische
und aufsereuropäisehe Gebiete ergeben, noch nachdrücklicher zu bekämpfen,
als dies durch die oben versuchte Nebeneinanderstellung geschehen ist, kann
man dem zu lernenden Vergleichswert ein aufsereuropäisches Land hinzufügen,
das ihm fast genau entspricht, also z. B. „Österreich -Ungarn ist ungefähr
gleich grofs mit Siam". Eine Einteilung der österreichisch-ungarischen Kron-
länder nach den Volksdichtestufen: über 100, 50—100, unter 50 ergiebt
natürliche Gruppen. Dagegen Uelsen sich beim Aufsenhandel der Staaten
zwei Gröfsenk lassen durch die Milliarde Mark als Grenzwert ganz gut sondern.
Den Mittelwerten3) gesteht Brunhes geographischen Wert nur in Bezug
auf die allgemeinsten Veranschaulichungen zu, während sonst die „Mannig-
faltigkeit der Natur" als solche vorgeführt werden soll. Normalwerte, Ex-
treme, örtliche und zeitliche Verteilung, mit einem Wort die Darstellung der
thatsächlicheu Verhältnisse soll die Mittel soweit als möglich ersetzen.
1) Eh ist Brunhes nicht entgangen, dafs selbst Höhergebildete Kehler in Be-
zug auf die Stelle des Dezimalpunkts leichter begehen, als solche in Bezug auf die
einzelneu Ziffern und sich ihrer Tragweite oft nicht genügend bewufst sind.
2) Teilweise die gleichen Gruppen und Vergleichszahlen hat eine Notiz von
J. Bachmayer in der österreichischen Handelsschulzeitung Nr. 1, Oktober 11)00
S. 4 f. im Auge, die in kürzester Form eine Anzahl der auch von Brunhes ver-
tretenen Forderungen ausspricht.
3) Abschnitt II 8. 59-66.
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Geograph, u. statist. Methode im wirtschaftsgeograph. Unterricht. 199
Ganz unzulässig sind sie dort, wo sie nur scheinbar Gleichartiges zusammen-
fassen, wo die Grenzwerte zu weit von einander abliegen und wo die Einzel-
werte allein interessant sind. Auch für diese wohl allgemein gebilligten
Forderungen kann Brunhes frühere französische Stimmen anführen. Wenn
indes darunter Marcel Dubois' bekannte, aber noch wenig beherzigte Aus-
einandersetzung über das Verkehrswesen1) erscheint, so ist das charakteristisch
für die Oberflächlichkeit und Aufserlichkeit mancher Anknüpfungen bei
Brunhes. Dubois wehrt sich gegen Schlüsse auf Verkehrs- und Kulturzustand
der Länder, die man aus der Vergleichung der Dichte ihres Eisenbahnnetzes
einseitig zieht. Erstens kämen daneben die Wasserstrafsen und andere Ver-
kehrsmittel wesentlich mit in Betracht, zweitens sei die Bedeutung eines
Kilometers Bahnlänge sehr verschieden je nach der Geleisezahl, Fahr-
geschwindigkeit, Kohlenbedarf und anderen, zum Teil aus der Terrain-
beschaffenheit hervorgehenden Umständen. Das ist durchaus zutreffend. Wer
aber das eine, speziell geographische, Moment der gegenseitigen Entfernung
der Schienenwege in den einzelnen Ländern übersichtlich darstellen will,
wird trotzdem zu irgend einer Art von Relation zwischen Areal und Bahnlänge
■ — , sei es nun auch die Maschendichte oder die mittlere Bahnferne — , also zu
dem verpönten „Mittel*' greifeu müssen. Und es bedarf kaum eines Beweises,
dafs dieses spezielle Moment mannigfaches Interesse auch für Siedlungs-, Ver-
kehrs- und Wirtschaftsgeographie bietet. Ob es im Unterricht eine Rolle
spielen wird, ist eher fraglich; aber Dubois' Bemerkungen beziehen sich
in erster Linie nicht auf den Unterricht.
Die graphischen Darstellungen bespricht Brunhes ausführlich2)
und empfiehlt sie im allgemeinen warm, namentlich die Kurven. Ihre Er-
wähnung giebt ihm Gelegenheit, auf ein Haupthindernis der Verwertung
statistischer Zahlen im Unterricht zu kommen, das in den voranstehenden
Ausführungen nur gestreift war: ihre Veränderlichkeit. Diese zeigt uns
die Kurve, wo sie anwendbar ist, auf einen Blick, noch mehr, die Kurve
zeigt uns auch die Richtung und den relativen Betrag der Veränderung, und
ich möchte hervorheben, dafs sie ein Gegengewicht bildet gegen die durch
Mittelzahlen so leicht erzeugte falsche Vorstellung der Stabilität, indem sie
bestimmte Tendenzen der Zu- oder Abnahme deutlich unterscheiden lehrt
von blofsen Schwankungen der Zahlenwerte. Einen mehr geographischen
Charakter strebt das Diagramm dort an, wo es mit der Karte in Verbindung
tritt In Bezug auf Kartogramme und geographische Karten steht Brunhes
durchaus auf dem Standpunkte RatzeTs. Er hebt eine gröfsere Anzahl von
Bevölkerungs-, Produktions- und Verkehrskarten rein geographischer Art
lobend hervor3), unter welchen uns die angeführten französischen Karten am
interessantesten sind, weil aus dieser Zusammenstellung ein Überblick der
1) Geographie ecouomiquc de TEurope. Introduction p. VIII et IX, z. T. wieder-
holt in Dubois' Vortrag auf dem wirtschaftsgeogr. Kongrefs und bei Brunhes
S. 62 f.
2) Abschnitt HI S. C6-76.
3) S. 07 f., 70 ff., Ann» S. 76 ff. Besonders empfohlen wird Langhaus' kleiner
Handelsatla«.
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200
R. Sieger:
dortigen Leistungen zu erlangen ist. Er billigt eine Relation zwischen der
Schrift gröfse und dem numerischen Wert, dem der Name entspricht, er
billigt die Bezeichnung der Intensität des Verkehrs durch verschiedene Dicke
der die Verkehrswege wiedergebenden Linien. Er lehnt dagegen auf das
entschiedenste solche Kartogramme ab, die einfach statistische Diagramme in das
Kartenbild einsetzen und dadurch falsche Lokalisierungen bewirken. So wird
z. B. bei einer solchen Darstellung der Importraengen einzelner Artikel aus
den verschiedenen Ländern leicht der Anschein erregt, als ob das betreffende
Produkt gerade jenem bestimmten Teil des Staatsgebietes angehörte, in den
sein Diagramm zufällig eingezeichnet wurde. In Bezug auf die Darstellung
von Mittelwerten durch Kartogramme empfiehlt Brunhes möglichst natür-
liche Einheiten verschiedener Ordnung statt der administrativen, und be-
tont, dafs man im Laufe des Unterrichts stufenweise von den allgemeinsten
zu den spezielleren Kartogrammen übergehen, z. B. die Volksdichtekarte
Europas nach Ländern jenen der einzelnen Länder auf Grund kleinerer Ein-
heiten voranschicken solle. Ganz im Sinne Ratzel 's betont Brunhes jedoch
die Vorteile einer Darstellung wirklicher, lokalisierter Verhältnisse vor jener der
unwirklichen und räumlich nicht scharf fixierten „Mittel"; auch er sieht daher
die wahre Bevölkerungskarte in der Siedlungskarte. Deshalb will er auch
ausgewählte Spezialkarten im Unterricht vergleichend verwendet und Siedlungs-
karten (namentlich solche grofsen Mafsstabes) nebeneinandergestellt sehen;
etwa so wie Ratzel nach Levasseur französische Typen ungleichmäfsiger
und gleichmäfsiger Siedlungsverteilung1) oder Vidal de la Bl ach e Kärtchen
der Hauptindustriegebiete in gleichem Mafsstab*) nebeneinanderhält.
In offenbarer Anlehnung an jenen Satz Ratzel's bezeichnet ferner eine
gelegentliche Bemerkung3) als die wahren geographischen Gruudkarten
(cartes geographiques fondamentales) für die Geographie der Mineralproduktion
die geologischen, für jene der organischen Produktion die klimatischen und für
jene der industriellen Produktion die Volksdichtekarten. Das will besagen,
dafs sich aus diesen Karten und Kartogrammen durch eine Schlufskette die
Verteilung jeuer Produktionszweige ableiten läfst, durch eine ähnliche Schlufs-
reihe, wie sie die Folgerung aus der Siedlungskarte auf die Verteilung der
Volksmengen darstellt, nur etwas weniger einfach. Diese Schlufskette wird
aber m. E. wesentlich unterstützt, wenn ich neben die kartographische Dar-
stellung der verursachenden Momente auch jene der aus ihnen abgeleiteten
Phänomene stelle, die logische Operation also mit der Veranschaulichung
verbinde. Dadurch werden auch die Ausnahmsfälle sofort, deutlich, in
welchen die erwartete Folgeerscheinung nicht eintritt, und es ergiebt sich
sofort die Erörterung der Ursachen, warum sie gerade in diesem Falle aus-
blieb. In einem anderen Zusammenhang4) erörtert Brunhes Beispiele eines ähu-
1) LevaHseur, La population francaise I, 4*26 f.; Ratzel, Anthropogeo-
graphie II, 428 f. (Dep. Arle« und Anas*. Brunhes erwähnt dies im Abschnitt über
Mittelwerte S. Cl Anm., und wieder S. 75.
2) Atlas dMuqne Blatt 93, Brunhes S. 76 Anm.
3) S. 73 Anm.
4; S, 84 ff. (Baumwoll- und Steinkohleuproduktion.)
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Geograph, u. Statist, Methode im wirtscha fUgeograph. Unterricht. 201
liehen Lehrgangs nach der sokratischen Methode. Er leitet die Verbreitung
der Baumwolle von den physiologischen Bedürfnissen des Baumwollstrauches
ab. Zunächst führt der Lehrer die Regenverteilurlg der warmen Zone an der
Hand von Karten vor, lüfst die Länder bezeichnen, in welchen sie die Baum-
wollkultur begünstigt, und erörtert, inwieweit die Volksdichte den Anbau er-
möglicht und inwieweit die faktische Ausdehnung der Kultur mit der kon-
statierten möglichen Entwicklung derselben Schritt hält oder nicht. Dann
läfst er die Gebiete aufsuchen, in welchen durch künstliche Bewässerung
die BaumwoUkultur ermöglicht wird. In ähnlicher Weise, wie diese zwei
Kategorien der Produktionsländer, werden die Länder ermittelt, in welchen
die Verarbeitung stattfindet, und dabei die neuerlich sich vollziehende Rück-
verschiebung der letzteren in die Produktionsländer des Rohstoffs erörtert.
Dieser Teil des Buches gehört zu den am meisten fesselnden. Weniger glück-
lich ist ein zweites Beispiel: Brunhes geht für die Verbreitung der Kohle zu-
nächst von dem Altersunterschied zwischen Ketten- und Massengebirgen und von
der Entstehungsweise der Kohle aus, um zu zeigen, dafs die letztere nur in
alten Ablagerungen und daher vorwiegend in und an Massiven vorkomme.
Dadurch wird allerdings eine Anzahl der gröbsten Irrtümer ausgeschlossen,
aber der Weg, der zu einer nur sehr allgemeinen Vorstellung von der Ver-
breitung der Kohle führt, ist doch wohl zu kompliziert. Soll ein Bild der
wirklichen Vorkommen gewonnen werden, so mufs der Schüler ebensoviel
Mühe an die Erlernung von Ausnahmen wenden, als er andernfalls für die
Erlernung der Hauptgebiete der Kohle selbst bedarf. Immerhin zeigen diese
Beispiele, wie die vorerwähnte aphoristische Aufserung zu verstehen ist, die
in ihrer Zuspitzung leicht falsch aufgefafst werden kann. Es wäre nämlich
sehr bedenklich, neben der geologischen oder meteorologischen „Gruudkarte'4
die Produktionskarte selbst zurückzustellen, ebenso wie ich im Unterricht
neben der Siedlungskarte die Volksdichtekarte nicht entbehren möchte. Neben
dem Wo mufs doch auch das Wieviel Ausdruck finden. Die Übereinstimmung
beider Darstellungen zeigt dem Schüler erst die Art und den Grad jeuer Ab-
hängigkeit der wirtschaftlichen von den natürlichen Verhältnissen, die ihm
gelehrt werden soll.
In dieselbe Kategorie gehört, was Brunhes in einer anderen anmerkuugs-
weisen Bemerkung zu Gunsten der Verwertung von Bildern vorbringt,
welche die Rede erläutern sollen. Er verweist auf das Beispiel des Unter-
richts am agronomischen Institute in Paris, wo die geologische Karte, Photo-
graphien und Handstücke1) zur Charakteristik verschiedener Gebiete zusammen
vorgeführt werden - und könnte vielleicht mit noch mehr Recht auf
Velain's Unterricht der physischen Geographie an der Sorbonne hinweisen,
wo den Hörern das frische Gestein, seine besonders charakteristischen Varie-
täten, seine Verwitterungszustände und Verwitterungsprodukte, endlich Bild
und Karte einiger von ihm gebildeten typischen Landschaften vorgeführt
t) Uli weif« nicht, oh „c'chantillons" in diesem Beispiele nicht „Getreide-
proben1- der betr. Gegend bedeutet; dann wäre der hier ausgesprochene Wunsch
»chon teilweise erfüllt.
Geogrtpbiiche Zeitschrift 7. Jahrgang. 1901. 4 Heft. 14
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202
R. Sieker:
werden. Warum soll nun, meine ich, Bild und Muster nicht gerade in die
Lücke treten, welche zwischen physischer und wirtschaftlicher Geographie
klafft? Im ohenangegehenen Falle braucht man nur ein Vegetationsbild
und eventuell Warenmuster von Rohstoffen beizufügen, und die Brücke ist
geschlagen. Eine Karte der agrarischen Produktion des Gebietes würde
dann die Erntestatistik soweit ersetzen können, dafs man sie höchstens
in Form eines Diagramms hinzuzufügen brauchte. Solche Zusammenhange
verfolgt Brunnes indes ungern bis an ihr natürliches Ende. So hat er ganz
unterlassen, zu erörtern, in wie weit Bilder auch Gröfsen- und Mengen-
verhältnisse veranschaulichen und dadurch die statistischen Daten ersetzen
können. Man denke an Bilder eines Industriezentrums, eines Riescnetablisse-
ments, verschiedener Typen von Verkehrsmitteln, Strafsen u. dgl. Mit ihrer
Hilfe kann so manches geographisch, d. i. räumlich, ausgedrückt werden,
was uns die Zitier nur unvollkommen veranschaulicht.
Die Kritik der statistischen Hilfsmittel schliefst Brunhes mit einem
besonderen Hinweis auf die Wichtigkeit der SiedJungskarten, und hebt in
einer Anmerkung insbesondere auch im Sinne Ratzels die Darstellung der
unbewohnten Gebiete als wünschenswert hervor1). Dann geht er im vierten
Abschnitt zu seinen Vorschlägen für die geographische Gestaltung
des Unterrichts über. Vor allem solle die Mannigfaltigkeit der wirk-
lichen Verhältnisse dem Schüler immer wieder ins Bewufstsein gerufen
werden, auch dadurch, dafs man auf besonders auffallende Beispiele rapider
Entwicklung hinweist und dadurch auch für langsame Verschiebungen Inter-
esse weckt; überhaupt sei es gut, durch ungewohnte, von dem gewöhnlich
benutzten Zusammenhang abweichende Gruppierungen staunendes Interesse
zu erregen, wie z. B. Haus er die Betrachtung der deutschen Kolonien mit
jener der deutschen Auswanderung verknüpft oder wie Boysen die „Be-
völkerungsdichten der Meeresteile'* mit solchen der Festländer vergleicht. Ein
zweites Kennzeichen der „geographischen Methode", jedenfalls ein zuverlässiges,
1) Ein Beispiel für ihre wirtschaftsgeographische Auswertung, die Brunhes
besonder» hervorhebt, möchte ich als irreführend bezeichnen. In „La Norvege"
p. 8 ist eine Karte der Bevölkerungsverteilung in Skandinavien gegeben und auf
den vorhergehenden Seiten benutzt A. M. Hansen die Thatsache, dafs auf der
gröfsten Strecke die Reichsgrenze von einer ..Anökumene" begleitet ist, zu der
Folgerung, dafs Schweden und Norwegen anthropogeographisch getrennte Gebiete
darstellen. Diese geht zu weit. Die unbewohnte Zone erklärt wohl manche der
Gegensätze zwischen Ost und West und z. T. auch die geringen Handelsbeziehungen
der beiden Länder, die weit mehr aus der Gleichartigkeit ihrer Produktion und dem
Mangel an Absatz ihrer Massenprodukte auf der Halbinsel selbst resultieren. Man darf
aber nicht übersehen, dafs der volkreichste Teil Norwegens bei Kristiania auf der
schwedischen Seite dieser Anökumene liegt und dafs die zweitwichtigste Volks-
anhäufung des Landes bei Drontheim eine Überbrückung der menschenleeren Zone
längs eiuer wichtigen Verkehrslinie aufweist, der in kurzem eine ähnliche bei
tiellivare folgen wird. Die Anökumene trennt das ^norwegische Kolonistenland",
als welches Finmarken von Reu seh mit Recht bezeichnet wurde, von dem schwe-
dischen Kolouistenland Norrland — nicht mehr und nicht weniger. Der Geograph
wird es also dem Politiker überlassen müssen, sie so stark zu betonen, wie dies
mit Rrunhes' Zustimmung geschieht. Das Heispiel aber mag zeigen, mit wie grofser
Vorsicht im Unterricht anthropogeographische Folgerungen gezogen werden müssen.
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Geograph, u. statist. Methode im wirtschaf tsgeograph. Unterricht. 203
ist auch nach Brunhes die Berücksichtigung der Rat /.ersehen Forderung:
„Die Lage im Mittelpunkt des geographischen Unterrichts!"1).
Ein dritter Punkt, der besonders ausfuhrlich behandelt wird, bezieht
sieh auf die Wirtschaftsgeographie speziell. Es ist die Forderung, dafs ihr
Unterricht sich auf der physischen Geographie aufbauen und die allgemein
geographische Methodik befolgen solle. Ihre Begründung, so wenig um-
stritten diese Forderung auch ist, giebt doch Gelegenheit zu einer Erörte-
rung der Stellung der Wirtschaftsgeographie im geographischen System.
Eine solche versucht auch Brunhes. Physische und politische Geographie
umfassen zusammen ,,1'activite, dont notre terre est le theätre". Aber sie
sind zwei getrennte Gebiete, auf denen das Studium der Erscheinungen
grundverschieden ist. Aus der Vorherrschaft des Naturgesetzes auf dem einen,
des menschlichen Willens auf dem anderen Gebiete leitet Brunhes die richtige
Folgerung ab, dafs die Naturbedingtheit in dem einen Falle Notwendig-
keit, in dem anderen aber nur Möglichkeit oder höchstens Wahrschein-
lichkeit bedeute8). In der Wirtschaftsgeographie zeige sich aber eine Art
Mittelstellung, da in ihrem Bereich das Walten der Natur stärker hervortrete,
als in dem der reinen politischen Geographie. Daher müsse der Lehrer auch ihre
Erscheinungen enger mit den von der Natur gegebenen, die grofsen Züge be-
stimmenden, Bedingungen verknüpfen. Wie dies geschehen soll, zeigt.
1) Die Art de« Überganges zu diesem Punkt verdient eine Anmerkung. Die
S. 196 Anm. 3 angeführte Stelle zeigt uns, dafs Brunhes sich gegenüber der Frage,
ob alle die wirtschaftlichen Fakten überhaupt zur Geographie gehören, etwas beengt
fühlt, obwohl er das Levasseur'sche Schema der drei geographischen Disziplinen als
giltig voraussetzt. So ist ihm denn S. 80 die Auffassung willkommen, jene Fakten
seien durch ihre Lage und den Platz, den sie einnehmen, mit der Geographie
verknüpft. Zum Teil nimmt er diese Verknüpfung rein äufserlieh: „Wo ihr eine
Fabrik (usinc) baut, da hindert ihr das Gras aufzuspriefsen, wo ihr einen Weg an-
legt, da vermindert ihr die Oberfläche der Felder oder Gärten!"
2) Die vorgebrachten Beispiele für die Geringfügigkeit des Einflusses, den
Naturverhältnisse auf die politische Geographie ausüben ('Verschiebbarkeit der
„natürlichen" Grenzen, Lage von Paris, zeigen doch, dafs Brunhes die Gesetz-
mäfsigkeit in der Anthropogeographie unterschätzt. Schlüters Ausführungen über
dieses Thema (diese Zeitschrift 189Ü, 67 f.)i haben ihn nicht stark beeinflufst, und er
übersieht vor allem ein Moment, das sich bei dem Studium der „natürlichen
Grenze" wie der Ortslagen geradezu aufdrängt: dafs nämlich dieselben natürlichen
Bedingungen verschiedene Effekte erzielen müssen, wenn körperliche Beschaffen-
heit, Sinnesart., Kulturform und Kulturstufe des Menschen, auf den sie wirken,
verschieden sind. Dafs z. B. Flufsgrenzeti bei zunehmender Kultur zu Gunsten
besserer Orenzlinien verlassen werden, ist seit Ratzel allgemein als Gesetz an-
erkannt, und kaum ein Ergebnis des „freien Willens" allein. Für Ausiedlungen
aber ist Bettner's Vergleich mit Pflanzen, die u. a. „in jeder Entwicklungsperiode
andere Bedingungen an ihren Staudort stellen" (vgl. diese Zeitschrift I 361 ff.) sehr
zutreffend. Wie wir bei naturwissenschaftlichen Erwägungen nicht nur die wirkende
Kraft, sondern die Beschaffenheit der Objekte in Erwägung ziehen müssen, auf
welche sie wirkt, so auch bei anthropogeographischen. Geschähe das immer, so
würde auch auf dem Gebiete der eigentlichen politischen Geographie manche
scheinbare Willkür des „geschichtlichen Zufalls" in die Reihe der gcsetzniärsiRen
Erscheinungen sich einordnen lassen. Ich komme hierauf nocji in anderem Zu-
sammenhange kurz zurück.
14*
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204
R. Sieger:
Brunhes an den schon oben erwähnten Beispielen *). Sie erläutern zugleich
die Forderung, dafs die Methode der allgemeinen Geographie angewendet
werde, das will sagen, dieselbe vergleichend genetische Methode, wie in
der physischen Geographie — eine Forderung, für die sich Brunhes auf
Alois Geistbeck8) beruft. Gegen den Einwand, dafs eine derartige Be-
handlung des Lehrstoffs zu zeitraubend sei — in der That ist ja Zeitmangel
der ärgste Feind jeder vorgeschrittenen methodischen Behandlung — , wendet
Brunhes mit Recht ein, es sei wichtiger, den Schüler auf diese Weise die Ver-
breitung einer Anzahl von wichtigen Produkten verstehen zu lehren, als
ihm für zahlreiche Staaten nur eine Aufzählung der Produkte zu bieten.
Vor allem aber kommt es ihm auf eines an: der Schüler, der unter Führung
des Lehrers die Thatsachen selbst zu rinden glaubt, soll auch den Eindruck
dauernd gewinnen, dafs der Mensch „sich in die Naturbedingungen schicken
mufs, wenn er die Schätze der Natur ausnutzen will". Nach diesem Ziele
mufs die Wirtschaftsgeographie ebenso hinarbeiten, wie Wirtschafts- und
Handelsge schichte.
Auf der anderen Seite aber verlangt Brunhes auch eine stärkere Be-
rücksichtigung des menschlichen Elements in der Wirtschaftsgeographie.
Nach französischer Gepflogenheit rechnet er die Bevölkerungsgeographie ohnehin
der letzteren zu. Er verlangt aber auch, dafs der Mensch als Arbeitskraft
betrachtet, dafs somit die allgemeinen Arbeits- und Lohnverhältnisse be-
rücksichtigt werden, die von der Bevölkerungsverteilung stark beeinflufst sind.
Hat doch Augustin Bernard die reichliche Menge arbeitskräftiger Arme für
den Hauptreichtum eines Landes erklärt, und die Bedeutung der kolonialen
Arbeiterfrage hat auf mehreren Kongressen dieses Jahres ihren Ausdruck ge-
funden. Ebenso wichtig erseheint Brunhes die Behandlung der verschiedenen
Kultur- und Wirtschaftsformen, deren Studium der Neigung des Lernenden, sich
alle Menschen so vorzustellen, wie sie bei ihm zu Hause sind, Abbruch thun
soll. „Geographie der menschlichen Arbeit" genügt also nicht, es wird auch
„allgemeine Geographie der Nahrung, Kleidung und Wohnung" verlangt.
Mit auderen Worten also Ethnographie. Weder diese Forderung selbst,
noch die Art, wie sie vertreten wird, sind neu. Bei uns zu Lande ist in
manchen Lehrplänen eine Berücksichtigung ethnographischer Verhältnisse mit
vorgeschrieben3) und Lehrbücher für kommerzielle Mittelschulen berücksichtigen
auch Arbeiter- und Lohnverhältnisse. Brunhes selbst citiert ausführlich einen
Aufsatz von P. de Rousiers4), den er gutheifst. In diesem geistreichen
Artikel wird daraufhingewiesen, dafs man in Ländern, die durch die Kultur
noch wenig umgestaltet sind, auch die sozialen und politischen Verhältnisse
aus natürlichen geographischen Ursachen herleiten kann, so z. B. Lebens-
weise, Staatswesen und geschichtliche Rolle der Wüstennomaden; in einem
komplizierten Staatsgebilde wie Grofsbritanuien kann man hingegen uur be-
1) Oben S. 200 f.
2; Diese Zeitschrift 1897, S. 14 ff.
3) Z. B. in dein der Kxport-Akademie des k. k. Handelsmusoums, der, nebenbei
bemerkt, vor meiner Berufung an diese Lehranstalt festgestellt war.
4) La .Science XVII (1*1*4; p. 245-208, Scottish geogr. magaz. X (1884) p. 82—80.
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Geograph, u. itatist. Methode im wirtschaftsgeograph. Unterricht. 205
günstigende und hemmende Einflüsse der Natur (geogr. Lage und vieles
andere) als mitwirkend nachweisen. Daher würde die gnn/.e wirtschaftliche
Organisation jener niedrigeren, oder hesser: einfacheren, Stufe zwar der Geo-
graphie zugewiesen, die britische Verfassung aber selbstverständlich nicht.
Hiernach fiele also — was für den Unterricht nicht bestritten werden kann —
der Geographie alles zu, was sich aus geographischen Voraussetzungen leicht
ableiten läfst. Brunhes selbst betont dagegen mehr eine andere Seite: die
wirtschaftliche Bedeutung jener ethnographischen Momente. Handel und
Wandel, Produktion und Verkehr werden von Gewohnheiten der Völker be-
einflufst — sie sind z. B. schon bei Wein- und Biertrinkervölkern ver-
schieden. Diese Begründung mag vom wirtschaftlichen Standpunkt genügen;
ein grofser Teil jener Beeinflussungen bezieht sich jedoch auf Gegenstände
der HandeLskunde , die nur aus praktischen Gründen mitunter mit dem
Geographieunterricht verbunden wird. Vom geographischen Standpunkt aus
möchte ich den Sachverhalt lieber anders formulieren: Die wirksamen Kräfte
der Natur, die den Menschen beeinflussen, wirken auf verschiedenartige
Menschen auch verschieden. Und im speziellen wird ihre Benutzung und
Regelung zum Behufe der Produktion und des Transports verschieden aus-
fallen, je nach ethnographischen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnissen
der Völker, denen diese Aufgaben zufallen. Mit anderen Worten: für Wich-
tigkeit und Wert des Geschenks kommt neben der Geberin auch der Be-
schenkte in Betracht, der es nicht blofs zu verwerten, sondern selbst um-
zugestalten vermag je nach seinen Kräften und Hilfsmitteln. Deswegen bedürfen
anthropogeographische Erwägungen überhaupt1) und wirtschaftsgeographische
im besondern einer Rücksichtnahme auf alle Arten menschlicher Verhältnisse;
alle Wissenschaften, die sich mit dem Menschen abgeben, von der Anthro-
pologie bis zur Soziologie, können und müssen ihnen als Hilfswissenschaften
dienen, aber auch nicht mehr und nicht weniger, denn als Hilfswissenschaften.
■ — - Dazu tritt endlich das praktische Moment, dafs der künftige Kaufmann
nur in der Geographiestunde die erste Bekanntschaft der „Nativcs" machen
kann, mit denen er später Handel treiben soll, und ähnliche sekundäre Er-
wägungen.
Aus all diesen Betrachtungen würde sich mir ergeben, dafs die geo-
graphische Methode im Unterrichte der Wirtschaftsgeographie von der
statistischen sich unterscheide: 1. durch Vorführung der konkreten Wirklichkeit
an Stelle von Abstraktionen und Mittelwerten, 2. durch besondre Rücksicht-
nahme auf Raum und Lage, 3. durch Zugrundelegen der Daten, welche die
physische Geographie liefert, 4. durch Verwertung von anthropogeogra-
phischen neben den demographischen und ethnographischen Thatsachen, 5. durch
strengere ursächliche Verknüpfung der von ihr behandelten Erscheinungen.
Was nun aber die Verwendung statistischen Materials in diesem
Unterrichte anbelangt, so wären wohl aus Brunhes' Erörterungen drei
Hauptforderungen abzuleiten: 1. möglichste Sparsamkeit in der Anwendung
statistischer Daten, 2. Auswahl der geographisch wertvollsten unter ihnen,
1) Vgl. oben S. 203 Anm. 2.
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206
H. Zondervan:
3. Veransehauliehung derselben, wo es möglich ist, mit geographischen
Mitteln. Dafs daneben Kurve, Diagramm und Mittelwert nicht ganz ver-
schwinden können, ist selbstverständlich. Zutreffend ist aber auch, wenn
Brunhes neben diesen Veranschaulichungsmitteln die Vorführung der
Thatsachen selbst durch Tabellen fordert (vgl. oben S. 197 f.). Es ist kein
Widerspruch zu seinen Ausführungen, wenn er sogar für die höheren und
höchsten Stufen kommerziellen Unterrichts eine Ergänzung der geographischen
Unterweisung durch eine solche in der Statistik empfiehlt. Diese soll
die jungen Leute in den Stand versetzen, statistische Nachschlagewerke, wie
„Statcsmans Yearbook" zu benützen, und daher vor allem die Methode der
Statistik umfassen1). Dadurch soll die Fähigkeit zur kritischen Be-
handlung der genannten Werke und zur raschen Übertragung der Tabellen
in Graphika erlangt werden.
Es ist kein wesentliches Plus gegenüber dieser Forderung von Brunhes,
wenn man sagt: Die jungen Leute sollen die Benutzung statistischer Quellen-
werke praktisch lernen, deren Wirtschaftslehre und Geographie in gleichem
Mafse bedürfen. Doch ist das eine Aufgabe, deren Lösung der Hochschule
vorbehalten ist. Auch an der Handelshochschule soll indes die Statistik
die geographische Methode nicht beeinträchtigen. Im Gegenteile durch die
Ausscheidung aller der Nachbardisziplinen, deren sich die Geographie auf
niederen Stufen anzunehmen hat, wird erst ihre Durchführung in besonderer
Reinheit ermöglicht. Insofern aber auf dieser höchsten Stufe selbständige
Arbeit des Schülers eine gröfsere Rolle spielen kann2), indem ihm einerseits
Kalkulieren auf Grund geographischer und nicht geographischer Momente,
andererseits die selbständige Beurteilung der geographischen Verhältnisse auf
Grund von Originalquellen zugemutet werden raufs, erscheint es um so not-
wendiger, ihn die Behandlung der Quellen zu lehren, unter denen die
statistischen nicht zu übersehen sind.
Wien, Ende Januar 1001.
Die niederländisch-westindischen Inseln.
Von H. Zondervan.
(Schlufs.)
St. EustatiuH.
Die Insel wurde wahrscheinlich von Columbus auf seiner zweiten Reise,
1493, entdeckt ; denn obwohl sie nicht ausdrücklich von ihm erwähnt wird,
so unterliegt es doch keinem Zweifel, dafs er sie gleichzeitig mit St. Christoffel
zu Gesicht bekam. In dem ersten Jahrhundert nach der Entdeckung wird
St. Eustatius nicht erwähnt, wohl weil sie unfruchtbar, unbewohnt und ohne
1) S. 96 f. „Moins de chiffres, et plus de methode!" Ich bemerke, dafs
solche statistische Vorlesungen an der Wiener Export-Akademie bestehen.
2) Vgl. meinen S. 11(6 angezogenen Vortrag (diese Zeitschrift S. 160).
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Die niederländisch-westindischen Inseln,
207
trinkbares Wasser war. Die Cariben haiton hier wahrscheinlich keine festen
Niederlassungen, sondern besuchten die Insel nur dann und wann. Saba
hingegen, und ebenso St. Martin scheinen eine feste, wenn auch wenig zahl-
reiche caribische Bevölkerung besessen zu haben. Es wurden wenigstens auf
Saba in mehr als 600 m Höhe caribische Pfeil- und Lanzenspitzen gefun-
den1). Haid wurden die Inseln von den Spaniern, welche sich auf San
Domingo niedergelassen hatten, besucht, und die Eingeborenen als Sklaven
für die Grubenarbeit weggeführt; von St. Martin heifst es nämlich in einer
Heisebeschreibung ans dem Jahre 1630, dafs sie unbewohnt sei*). Es gelang
den Spaniern längere Zeit hindurch alle übrigen Natiouen von den Inseln
über dem Winde fern zu halten. Zwar unternahmen Niederländer, Franzosen
und Engländer einige Reisen in das caribische Meer, gründeten dort aber
vorläufig keine Kolonien. Der erste Versuch dazu geschah etwa 1625 durch
Engländer und Franzosen auf St. Martin und St. Eustatius, bald aber wurden
die Inseln wegen Wassermangels wieder verlassen. Ein zweiter Versuch auf
St. Martin schlug ebenfalls fehl. Nicht lange nachher liefsen sich Nieder-
länder auf St. Eustatius und Saba nieder und ergriffen später auch von
St. Martin Besitz, sie wurden jedoch 16119 von neuem von letztgenannter
Insel durch die Spanier vertrieben. Weil die Insel aber keinen Gewinn lie-
ferte, zogen die Spanier 1640 fort.
Seit 1632 bildete St. Eustatius ein Besitztum der niederländisch- west-
indischen Compagnie und durch ihre günstige Lage, im Verein mit der hier,
im Gegensatz zu den Nachbarinseln, herrschenden Handelsfreiheit, wurde die
Insel allmählich der Marktplatz Westindiens, trotz der ungünstigen, bei hef-
tigem Südwestwinde sogar gefährlichen Rhede. In den Kriegen zwischen den
Niederlanden, England und Frankreich wurde St. Eustatius mehrmals hart
mitgenommen und von 1665 an bis zu Anfang dieses Jahrhunderts wieder-
holt erobert und wieder zurückgewonnen, bis sie 1816 endgiltig an die
Niederlande zurückkam. Dennoch wuchs ihre Bedeutung als Handelsemporium
im 18. Jahrhundert und damit die Zahl und die Wohlfahrt der Bewohner
fortwährend, so dafs die Einwohnerzahl, welche 1665 nur 1600 Seelen betrug,
1780 auf 25000 gestiegen war8). Der Name „Golden Rock'4, womit die
Insel in ihrer Blütezeit bezeichnet wurde, war richtig angebracht, denn wäh-
rend die zahlreichen Zucker-, Indigo-, Tabak- und Kaffeeplantagen 5000 Neger-
sklaven beschäftigten, war die Bedeutung des Handels noch viel gröfser.
St. Eustatius wurde von Schiffen aller Nationen besucht, so dafs oft 600 bis
700 Fahrzeuge vor Anker lagen. An der Bai der einzigen Stadt (heutzu-
1) Historische schets vin de Nederlandsche Bovenwindsche Antillen tot op bei
eiride der l~e eeuw, door J. H. J. Hamelberg. Tweede jaarlijksch verslag van het
Oesehied-, Taal-, Land-en Volkenkundig genootschup, gevestigd te Willemstad
(Curavao). 1898, S. 107.
2) „Daer en is geen volck op", sagt Joannes de baet in seiner Beschrij-
vinghe van West-Indien, 2. Aufl., 8. 38.
3) Obwohl diese Zahl allgemein von älteren und neueren Schriftstellern an-
gegeben wird, behauptet A. R. Blommendal in der Tijdschrift v. h. Aardr. Gen.,
Bd. I (187G), S. 62, dafs die Einwohnerzahl niemals 10000 überstiegen habe.
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208
H. Zondervan:
tage nur ein Dorf) zog sich eine doppelte Reihe Packhäuser hin, welche aber
manchmal nicht genügten, die Menge der eingeführten Waren unterzubringen
Im Jahre 1779 lieferte die Insel der Westindischen Compagnie einen Rein-
gewinn von etwa 70000 Mark, und noch 1789 betrug die Ausfuhr allein
in niederländischen Schiffen und nach den Niederlanden: 6 440700 kg
Zucker, 576 955 kg Tabak, 19060 kg Kaffee, 45 520 kg Cacao, 750 kg
Tndigo, 8650 kg Baumwolle, 2970 kg Pfeffer und 112 500 kg Schildkröten,
nebst 1165 kg Häute, 611 Stücken gelbes Holz und 81 Fässern Rum*).
Gegen 1780 erreichte diese Blüte ihren Höhepunkt, hauptsächlich infolge des
Schmuggelhandels mit den amerikanischen Kolonien, während deren Be-
freiungskriegs gegen England. Da traf die Insel der erste schwere Schlag:
die Eroberung durch den englischen Admiral Rodney (1781), wobei sie
grausam verwüstet und ausgeplündert wurde, so dafs die Beute mehr als
50 Mill. Mark betrug. Als die Franzosen sie in demselben Jahre zurück-
eroberten, fanden sie nur leere Packhäuser, verwüstete Plantagen und eine
total verarmte Bevölkerung. Nach dem Friedensschlufs zwischen England
und den Niederlanden (1784) blühte St. Eustatius wieder auf, bis sie ein
zweiter schwerer Schlag traf durch das Übereinkommen der niederländischen
und französischen Republiken des Jahres 1795. Hierbei wurde bestimmt,
dafs St, Eustatius monatlich 30000 Gulden aufbringen sollte, welche ungeheure
Summe bald herabgesetzt werden mufste, 1801 sogar auf 1000 Gulden; und
dieser Betrag konnte nicht einmal zusammengebracht werden. Zu Tausenden
wanderten die Bewohner aus, und als die Insel 1801 von den Engländern
erobert wurde, zählte sie kaum noch 2500 Einwohner. Die nächstfolgenden
politischen Wirren und Kriegsereignisse in der Zeit Napoleon's verhinderten
einen neuen Aufschwung, nachher machte sich noch die Einschränkung des
Handels mit den Vereinigten Staaten Nord- Amerikas und die Verdrängung
der Segelschiffe durch die Dampfer geltend, wodurch der Zwischenhandel in
Verfall geriet, und damit schwand der Grofshandel auf immer. Die Be-
völkerung mufste von da an den Ertrag ihres Bodens als Haupteinnahme-
quelle betrachten und erzielte damit noch Jahre lang einen gewissen Wohl-
stand, wenn auch nicht in solchem Mafse, wie vordem. Vor allem die
Zuckerkultur brachte grofsen Gewinn ein und gab vielen Händen Arbeit.
Bald aber machte sich die Konkurrenz des Rübenzuckers in Europa geltend
und verursachte eine immer mehr zunehmende Armut. 1843 betrug die
Ausfuhr noch 250000 kg Zucker, 200 Fasser Rum und Melasse, 350000 kg
Jams und 300 Fässer Bataten. Die Zunahme der Armut und die Abnahme
der Einwohnerzahl hielten gleichen Schritt, und wie Bisschop Grevelink
sagt3), gab es 1845 auf „dieser unglücklichen, allerorten mit Ruinen be-
ll Ausführlicheres hierüber bei Hayna], Beschrijving der Beide Indien, Bd IV,
S. 341» ff, ('. de. long, Reize naar de Caril»is«he Kilanden in de jaren 1780 en
1781, Haarlem, 1807, S. 106 ff. und M. D. Teenatra, Beknopte Beschrijving, 1. c.
Bd. II, S. 274.
8) V ragen van den Dag, 1894. De beteekenia van St. Eustatius als Neder-
landsrhe Bezitting, door J. H. J. Hamelberg, S. 480.
3) Bijdragen tot de kennis der Nederlandsche en vreemde kolonien, 1847, 8.35.
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Die niederländisch-westindischen Inseln. 209
g
deckten Insel kaum /.wanzig Wohnungen in gutem Zustande, die Zahl der
Familien war auf hundert herabgegangen, und weitaus die meisten derselben
waren überdies verarmt, erschöpft und mutlos"1). Den Todestols erhielt
die Insel endlich durch die Freierklärung der Sklaven, von denen viele fort-
zogen, so dafs noch manche Plantage brach zu liegen kam. So heifst es
denn auch bei Molengraaff: „Der Stempel rettungslosen Verfalls ist durch die
Freierkliining der Sklaven unabwendbar auf diese Gegend gedrückt"
St. Eustitius zeigt eine längliche, birnförmige Gestalt, wobei die Längen-
/ achse NW — SO gerichtet ist. Dieselbe mifst 7,8 km, die Breite wechselt
zwischen 2,6 xind 3,7 km, der Flächeninhalt beträgt 20,7 qkm. Die Ein-
wohnerzahl betrug am 1. Januar 1899 1432 Seelen. Der einzige Ort ist das
Dorf Oranje mit dem kleinen verfallenen Fort Hollandia an der Südwestseite
der Insel. Der Ort besteht aus zwei Teilen: der Unterstadt, auf einer schmalen
Sandbarre am Fufse eines 35 m hohen, steilen Felsens erbaut, und der Ober-
stadt, oben auf demselben. Drei steile Wege verbinden beide Teile. Die
Unterstadt enthält etwa 30 armselige Wohnungen, traurige Reste früherer
Gröfse, an welche die Ruinen und Mauern der ehemaligen riesigen Packhäuser
noch erinnern. Die Oberstadt zählt 110 Häuser, meist alle von Holz und
unansehnlich, zumal sie wegen der Stürme keine Stockwerke tragen. Sie
liegen in kurzer Entfernung von einander an den geraden Wegen und haben
teilweise kleine Gärten, obwohl das Regenwasser in Cisternen aufbewahrt
werden raufs, da die Insel keine Quellen besitzt. Die Häuser sehen hier im
allgemeinen besser aus, sind angestrichen und besser unterhalten als in der
Unterstadt3). Infolge des Abbröckeins des Tuffgesteins ist die Oberstadt und
insbesondere die Wohnung des niederländischen Verwalters in stets zuneh-
mendem Mafse der Gefahr des Absturzes ausgesetzt. Die evangelische Kirche
mit einem 70 Fufs hohen Turm steht schon seit den zwanziger Jahren leer.
In der Methodistenkirche predigt ein englischer Missionar; auch ein römisch-
katholischer Pfarrer wohnt in Oranje. Die Rhede ist gegen Ostwinde ge-
schützt, hingegen bei Südwestwinden gefährlich.
Die Küsten der Insel sind teilweise Steilküsten, teilweise Strandküsten
mit steilem Landsaum. Erstere ist fast überall unnahbar und unwegbar und
zeigt hier und da Höhlenbildung. Von den Baien müssen vor allem die
Venusbai, die Coneordiabai und die Turtlebai hervorgehoben werden.
Was die Bodengestaltung betrifft, so wird das Relief der Insel voll-
ständig beherrscht von zwei Gebirgsgruppen, die durch eine breite Ebene von
einander getrennt sind. Die eine, im südlichen Teile gelegen, besteht der
Hauptsache nach aus einem einzigen, sehr regelmäfsigen Berg in Gestalt
eines abgestumpften Kegels, wegen seiner Gestalt meistens als der Punchbowl
bezeichnet; ein anderer Name für ihn ist der Quill. Es ist ein erloschener
Vulkan, dessen höchste Spitze 581 m mifst und ein 300 m tiefes, an allen
I i Nach Teenstra, 1. c. betrugen 1846 die Kinnahmen der Insel 10900 (Wilden,
die Ausgaben hingegen 22805 (Wilden.
2) De geologie van het eiland St. Eustatius von <!. A. F. Molengraaff.
Inaugural-Dissertation, Leiden 1886, 8. 8.
3) G. B. Bosch, Reizen in West-Indiö, Bd. I, Utrecht 1829, S. 36.
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210 H. Zondervan:
«
Seiten von sehr schroffen Felsenwänden eingeschlossenes, fast kreisrundes
Kesselthal trägt, 7ö() m im Durchschnitt. An der Aufsenseite sind die Berg-
abhänge anfangs ehenfalls sehr steil, worden aber nach unten zu allmählich
sanfter und gehen entweder, wie in NW- Richtung, unmerkbar in die Ebene
über, oder enden schroff an der Meeresküste. Die zweite Gebirgsgruppe
nimmt den NW- Teil der Insel ein, enthält zahlreiche Hügel und kulminiert
mit 295 m in dem Boven oder North Hill. Niedriger sind der Signalhill
(226 m) und der Gilboohill (174 m). Die Gipfel bilden hier keine scharfen
Spitzen, sondern lange, abgerundete Gebirgskämme, während die Abhänge,
besonders nach der Küste zu, durchaus sehr steil, oft sogar unnahbar sind.
Allein die Ebene zwischen den beiden Gruppen verdient besonders hervor-
gehoben zu werden. Nur ihr nördlicher Teil ist eben oder schwach gewellt,
wahrend der südliche die Fortsetzung des Abhangs des Punchbowls darstellt.
St. Eustatius ist ganz aus Gesteinen einer und derselben geologischen
Periode aufgebaut, welche dennoch zwei scharf begrenzte Abteilungen dar-
stellen: das nördliche Hügelland und der Punchbowl mit seinen Eruptiv-
gesteinen. Das Hügelland ist aus den Resten alter Vulkane zusammengesetzt
und teilweise mit dicken Lavaschichten bedeckt, welche vom Boven in N- und
O-Richtung ausgegangen sind und an der Meeresküste von den Wellen zer-
trümmert wurden, wodurch eine schroffe, unnahbare Küste entstand. Petro-
graphisch bietet der nördliche Teil von St. Eustatius sehr wenig Abwechslung,
indem er überwiegend aus Augit- Andesit zusammengesetzt ist. An einzelnen
Stellen tritt Lateritbildung auf, in welchem sich unzählig viele Wespen an-
gesiedelt haben1). Au der Jenkinsbai stöfst man auf mächtige Gypslagor.
Fast der ganze nördliche Teil ist mit einer Schicht guten feinen Humusbodens
bedeckt, welcher der vulkanischen Asche seine Existenz verdankt. Der übrige
Teil der Insel, etwa */, der ganzen Oberfläche einnehmend, ist durch die vul-
kanische Thätigkeit des Punchbowl entstanden und ebenfalls aus Audesit-
gesteinen zusammengesetzt. Ebenso wie der Kraterboden, ist auch die Aufsen-
seite des Vulkans da und dort mit Felsblöcken von verschiedeneu Dünensionen
besät. Der obere Teil des Berges ist mit üppigem, dichtem Walde bedeckt
und auch der Boden und die Innenwände des Kraters sind dicht mit Gestrüpp
bewachsen.
Als Nachwirkung der ehemaligen vulkanischen Thätigkeit sind die Erd-
beben zu betrachten. Genaue Wahrnehmungen fehlen, so viel steht aber fest,
dafs auf St. Eustatius mehr oder weniger heftige Erderschütterungen in
keinem Jahre ganz ausbleiben.
Von Molengraaff wird nachgewiesen2), dass der Bau von St. Eustatius
mit demjenigen der vulkanischen Inselreihe, welche sich von Saba bis Gra-
nada ausdehnt, eng zusammenhängt. Diese Reihe bildet eine gebogene Linie,
welche ihre konkave Seite dem caribischen Meere zuwendet. Alle diese
Inseln, wie Saba, St. Eustatius, St. Kitts, St. Vincent, Sta. Lucia, Dominique
und Guadeloupe, gehören einem und demselben Gebiete vulkanischer Thätig-
1) Molengraaff, De geologie, 1. c. S. 18.
2) Molengraaff, De geologie, 1. c. S. 58 ff.
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Die niederländisch-westindischen Inseln. 211
keit an und stimmen auch petrographisch genau überein, indem sie aus An-
desit, vorwiegend aus Augit-Andesit aufgebaut sind.
Fliefsendes Wasser oder Quellen giebt es auf St. Eustatius nicht; nur
in der Regenperiode werden die Thiller und Schluchten zu Betten mächtiger
Flüsse. An einzelnen Stellen stürzt alsdann das Wasser aus einer Höhe von
40—50 m an der senkrechten Meeresküste auf den Strand herab und giebt
dadurch Veranlassung zu der Bildung einer Art von Canons.
Das Klima wird durchaus von dem Ostpassat beherrscht, welcher wah-
rend des gröfsten Teiles des Jahres weht und wodurch das Klima sehr gleich-
mäfsig ist. Die Temperaturunterschiede betragen im Laufe des Jahres nicht
mehr als 12° C, indem die Temperatur schwankt zwischen 21° und 33° C,
in der Sonne aber steigt sie manchmal bis 50° C. und höher. Die Zahl der
jährlichen Regentage ist ebenso abwechselnd, wie die Regenmenge, weshalb
nicht selten die Ernte mifsrät. Die schwersten Regenschauer fallen in der
Stunnperiode, also in den Monaten Juli — Oktober. Der beschrankte Umfang
der Regenwolken in den Tropen ist die Ursache, dafs es oft allein auf dem
Gipfel und einem kleinen Teile des Vulkanabhangs regnet. „Dio Gipfel der
höchsten Berge, welche als Verdichter des feuchten Passat windes wirken, sieht
man nicht nur auf St. Eustatius, sondern auch auf den übrigen Antillen
meistens von einer kleinen Wolke verhüllt, aus welcher es Tage lang, wenn
auch nicht ununterbrochen tüchtig regnen kann, ohne daTs das Flachland
auch nur einen Tropfen davon erhält."
Die Pflanzenwelt steht hiermit in Übereinstimmung, denn während der
obere Teil des Punchbowls von dichtem Walde gekrönt wird, in welchem
Clusias, Aroideeu und Farnkräuter überwiegen, ist der niedrigere Teil der
Insel, vor allem dort, wo einst die zahlreichen blühenden Zuckerplantagen
lagen, mit domigem, manchmal schwer durchdringlichem Gestrüpp bewachsen,
wobei die Akazien vorwiegen. An hohen Bäumen begegnet man nur da und
dort einzelnen Tamarinden, während die Melocacteen an den nackten, durch
die Sonne genisteten Felsen einen vorzüglichen Nährboden finden.
Mit dem Ackerbau ist es heutzutage traurig beschaffen, denn er be-
schränkt sich auf die Zucht von Jams, süfsen Kartoffeln, Erdnüssen (Pindas),
Mais und Kassave. Da auf den Xachbarinseln meistens dieselben Gewächse
vorkommen, so hat die Ausfuhr der Ackerbauprodukte fast gar nichts zu be-
deuten. Das Zuckerrohr wird zwar noch in geringer Menge angebaut, aus
dem Saft aber nur Syrup zum eigenen Bedarf und kein Zucker mehr ge-
wonnen1).
Ebenso ist der Viehbestand gering.
Von Mineralien enthält St. Eustatius eiuen Trafsmörtel, von bestimmter,
vorzüglicher Beschaffenheit, wodurch die Insel in ganz Westindien rühmlichst
bekannt geworden ist2). Zahlreiche Gebäude sind damit hergestellt worden,
sowohl auf St. Eustatius selber, als anderwärts, so dafs wegen der bedeuten-
1) Koloniaal Verslag 1899.
2) Näheres in der Tijdschrift v. h. Aardr. Gen. Meer uitgebr. art., 1885,
S. 196 ff.
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212 H. Zondervan: »
den Ausfuhr 1801 von der Regierung ein Ausfuhrzoll von 25 Cent pro Fafs
auf diesen Artikel gelegt wurde. Heutzutage aber hat die Ausbeute gar
nichts mehr zu bedeuten.
Der Gesaratwert der Ausfuhr betrug 1898 nur 10499 Gulden.
Die wichtigsten Ausfuhrartikel waren: Jams, Pferde, Esel, Maulesel und
Rinder.
Es liefen 1898 266 Schiffe mit einem Tonnengehalt von 13 253 cbm ein.
Die Einwohnerzahl betrug am 1. Januar 1899 nur 1432. Die Zahl der
Weifsen ist sehr gering und nimmt, ebenso wie auf St. Martin, noch fort-
während ab1). Wie stark die Bevölkerung in unserem Jahrhundert an Zahl
zurückgegangen ist, lehrt die folgende Übersicht. St. Eustatius hatte
1780 25 000 Einw. 1865 1936 Einw. 1897 1440 Einw.
1818 2668 „ 1875 1809 „ 1899 1432 „
1829 2 273 „ 1893 1660 „
1849 1945 „ 1895 1613 „
Die allgemeine Umgangssprache ist englisch, ebenso wie auf Saba und
St. Martin. Nur einzelne Beamte sprechen holländisch, sowie auch einzelne
Eingeborene, letztere aber sehr mangelhaft. Die Vernachlässigung des Unter-
richts hat viel dazu heigetragen, dafs die englische Sprache auf den nieder-
ländischen Antillen die Überhand bekommen hat, und zwar auf St Eustatius
dermafsen, dafs schon vor 1658 der evangelische Pfarrer sich bei dem Gottes-
dienst abwechselnd der holländischen und englischen Sprache bedienen mufste2),
und dafs, wie de Jong schon im Jahre 1780 bemerkt, der Insel „nur die
englische Flagge fehlt, um vollständig englisch zu sein"3). Heutzutage giebt
es in Oranje keinen evangelischen Pfarrer mehr, sondern einen römisch-
katholischen, sowie einen Missionar der wesleyanischen Methodisten.
Aus dem stetigen Rückgang der Bevölkerungszahl geht schon hervor,
wie gering der Wohlstand, oder richtiger, wie grofs die Armut der Insel
sein mufs. Vor allem in Dürrejahren, wenn die magere Ernte noch teilweise
oder ganz fehlschlägt, ist das Los der Einwohner ein sehr trauriges. Aus-
sicht auf Verbesserung ist nur möglich, wenn Ackerbau, Viehzucht und In-
dustrie verbessert und kräftig seitens der Regierung unterstützt werden, denn
an finanzielle Hülfe und an gutem Beispiel thut es der Insel in höchstem
Marse not*).
Saba.
Wie schon bei St. Eustatius erwähnt, wurde auch Saba von f'olumbus
entdeckt und hatte damals eine sefshafte caribische Bevölkerung 5). Die
1) de Veer in dem Gedenkooek, l. c. 3. 67.
'2< Hamelberg in dem Twcede Jaarvendag, 1. r. S. 103.
5) Reize, 1. c. S. 107. Man vergl. auch Molengraa ff, De geologie, 1 c.
S. 4 ff.
4) Vragen van den Dag, 1. c. S. 484.
6) Tecnstra 1. c. II, behauptet zwar, die Insel «ei bei der Entdeckung un-
bewohnt gewesen und erst 1065 von St. Eustatius aus kolonisiert worden.
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Die niederländisch-westindischen Inseln. 213
Insel wurde gegen 1640 von St. Eustatius aus von niederländischen Kolo-
nisten in Besitz genommen und teilte grösstenteils die Geschicke der Haupt-
insel. Der Versuch des französischen Kaperkapitäns Pinel, sich der Insel
1688 durch einen Handstreich zu bemächtigen, schlug fehl1). Übrigens wird
Saba in der Geschichte von St, Eustatius nur dann und wann beiläufig er-
wähnt.
Saba ist die kleinste der niederländisch -westindischen Inseln und besteht
nur aus einem steil aus dem Meere auftauchenden erloschenen Vulkan von
regelmäfsiger Gestalt, dessen Spitze 800 m absoluter Höhe hat, Er ist ganz
aus Augit-Andesitgesteinen aufgebaut und der obere Teil mit Bäumen und
Buschwerk gut bewachsen8). Die Plächenausdohnung der Insel beträgt nur
12,83 qkm. Die Küsten sind steil und mit grofsen Felsenblöcken besät,
so dafs sogar bei ruhiger See nur kleine Boote herankommen können, bei
ungünstiger Witterung das Landen sehr gefährlich oder durchaus unmöglich
ist»).
Der Hauptort Hellsgate liegt 180 m hoch. Die Landungsstelle, Ladder
(Leiter) geheifsen, liegt in NW, und von hier führt ein sehr steiler Weg
empor bis zum ehemaligen Krater, auf dessen Boden der Flecken Bodem
(Boden) liegt4). Fließendes Wasser giebt es auf Saba nicht, und die Be-
wohner sind daher auf das Regenwasser ihrer Cisternen angewiesen, sowie auf
den Inhalt dreier Brunnen am Meeresstrand, deren Inhalt aber nicht sonder-
lich sauber sein kann, weil in diesen Brunnen „ein Jeder seine Kleider
wäscht und überdies die meisten Bewohner an Elephantesis leiden"5). Bei
anhaltender trockner Witterung entsteht daher Wassermangel und viele
müssen das Wasser gegen einen hohen Preis kaufen. Das Klima stimmt
mit demjenigen der Nachbarinseln überein und wird ebenfalls gröfstenteils
durch den üstpassat beherrscht. Durch seine bedeutende Höhe treten hier
aber längere Dürreperioden nur selten ein und auch die Temperatur ist
niedriger; vor allem bei Nacht kann es verhältnismäßig recht kühl sein.
Die herrschenden Krankheiten sind Lepra und Elephantesis.
Alle dazu geeigneten Stellen werden zum Ackerbau und zur Viehzucht
benutzt Brennholz enthält die Insel genug, hingegen nur wenig Bauholz für
Häuser und Boote, das also gröfstenteils eingeführt werden mufs. Die Acker
sind teilweise derartig mit Steinen bedeckt, dafs man diese erst wegschaffen
oder dazwischengraben mufs, um die Saat in die Erde bringen zu können.
Das Hauptprodukt bildet die süfse Kartoffel, daneben giebt es Kassave und
Mais, deren Ernte gewöhnlich ausreicht zur Ernährung der Bevölkerung.
Dieselbe ist aber auch äufserst genügsam, denn ein wenig gesalzener Fisch,
1) Hamelberg, Historische schets, 1. c. S. 103.
2) Eine genaue Darstellung des Bodenreliefs und der geologischen Besohafl'en-
heit fehlt zur Zeit noch.
3) de Veer, Gedenkboek, 1. c.
i) Teenstra, 1. c. II.
6) QuarleB van Ufford nach den Mitteilungen des Pfarrers de Gast in
der Tijdschrift v. h. Aardr. Gen., Meer uitgebr. art. 1885. Toestanden op Saba,
S. ll>5ff.
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214
H. Zondervan:
der von St. Thomas eingeführt und manchmal in bedenklichem Zustande
verzehrt wird, bildet mit süfsen Kartoffeln im allgemeinen „das Frühstück,
Mittagsmahl und Abendessen" der Mehrheit der Bewohner. Nur wenige von
ihnen sind an Brot und noch weniger an Fleisch gewöhnt. Von Obstbaumen
werden vor allem Bananen gezüchtet. Ausgeführt wird allein ein Teil der
süfsen Kartoffeln. Wohl wurde behufs der Ausfuhr der Versuch gemacht, die
Kartoffelzucht durch diejenige der Zwiebel zu ersetzen, zuletzt aber ist man
wieder zur ersteren zurückgekehrt Rinder, Schafe, Schweine, Ziegen, Hühner
und Eier werden nach St. Thomas ausgeführt und hauptsachlich gegen Mehl,
Kleider und gesalzene Fische vertauscht. Der Viehbestand umfafste 1898:
34 Pferde, 9 Esel, 223 Rinder, 715 Ziegen, 353 Schafe und 356 Schweine8).
Südlich von Hellsgate liegen Schwefelgruben, die längere Zeit eine bedeutende
Ausbeute lieferten, aber schon seit mehreren Jahren verlassen sind. Im
vorigen Jahrhundert blühte die Schuhindustrie und Saba war „das Schuh-
emporium für ganz Westindien"3), woran der Name des an der Ostseite ge-
legenen Fleckens Crispien (nach St. Crispinus, dem Schutzpatron der Schuster)
noch erinnert, Heutzutage sind Ackerbau und Viehzucht die Hauptbeschäf-
tigungen, denn das Kalkbrennen, der Bootsbau, sowie das Flechten von Stroh-
hüten durch die Frauen spielen keine Rolle. Ebenso sind Handel und Fisch-
fang ganz unbedeutend, obwohl die Bewohner im ganzen westindischen
Archipel als tüchtige Seeleute gerühmt werden. Die Ausfuhr hatte 1898
einen Wert von 5800 fl. und bestand in Kartoffeln, Rindern, Schafen, Schweinen
und Zwiebeln. Es liefen in diesem Jahre 172 Schiffe mit einem Tonnen-
gehalt von 10633 cbm ein.
Die Einwohnerzahl belief sich am 1. Januar 1899 auf 2779. Wohl die
Hülfte der Bevölkerung gehört zur weifsen Rasse, und zwar sind es über-
wiegend Oeolen. Sie hängen sehr an ihrer Heimat und bilden durch fort-
währende Heiraten in der Verwandtschaft fast eine grofse Familie. Obwohl
die Weifsen grofsen Wert auf ihre Herkunft legen, ist das Verhältnis
zwischen ihnen und dem schwarzen Bevölkerungselement, den früheren Sklaven,
sehr gut; Mischlinge giebt es nur wenige. Aufser in dem Hauptdorfe
Hellsgate ist die Bevölkerung hauptsächlich in einzelnen kleinen Flecken an-
gesiedelt, wie Bodem, Crispien \md Windwardside. Sie wird gerühmt als
hVifsig, ehrlich und sehr sittsam, besonders die Frauen4). Die ehemaligen
Sklaven sind fast ohne Ausnahme römisch-katholisch, die übrigen Bewohner
hingegen anglikanisch. Im vorigen Jahrhundert überwog noch der evan-
gelische Glaube. 1777 liefs sich aber ein anglikanischer Pfarrer auf Saba
nieder und schon seit Anfang dieses Jahrhunderts giebt es daselbst keine evan-
lischen mehr. Die allgemeine Umgangssprache ist englisch.
Der niederländischen Regieruug gegenüber nimmt Saba eine besondere
1) Koloniaul Verslag, 1899.
2) Im Jahre 1897 gab es 1136 Ziegen auf Saba.
3) Hamelberg in dein Tweede jaarlijksch verslag, 1. c. S. 115.
4) de Gast (Quarles van Ufford in der Tijdschrift Aardr. Gen., 1885 I. c.
S. 214) hingegen wirft den Bewohnern Trunk- und Streitsucht vor. überhaupt sind
nach seiner Darstellung die Verhältnisse auf Saba viel weniger günstig.
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Die niederländisch-westindischen Inseln. 215
Stellung ein, denn obwohl streng genommen liier alle Gesetze dieselbe Gil-
tigkeit haben, wie auf den übrigeu niederländisch - westindischen Inseln, und
ein Regierungsbeamter daselbst angestellt ist, „kenneu die Bewohner von den
Niederlanden nichts weiter, als die schöne dreifarbige Flagge" r). Die
Regierung fordert keine Steuern oder sonstigen Abgaben, leistet aber auch
keine finanzielle Unterstützung. Die Bewohner erfreuen sich seit alten Zeiten
einer Selbstverwaltung, welche ganz mit den besonderen Verhältnissen, unter
welchen sie leben, in Einklang steht8), und leben nach ihren eigenen, auf
die Gewohnheit gegründeten Gesetzen, haben eine leichte Steuer behufs der
Insel selber eingeführt und kommen mit der Aufsenwelt kaum in Berührung;
denn ebenso selten, als Einwohner Sabas auswandern, lassen sich Fremde hier
nieder. Überflufs und Luxus sind zwar unbekannt, umgekehrt aber leiden
die Bewohner bei ihren geringen Bedürfnissen nur selten Mangel, ja bei
günstiger Ernte herrscht ein gewisser Wohlstand. Letzterer hat überhaupt
in den letzten Dezennien nicht abgenommen, die Bewohner sind anständig
gekleidet, haben ein gesundes, heiteres Äufsere, erreichen grösstenteils ein
bedeutendes Lebensalter und fristen — unberührt von den grofsen Welt-
fragen und Weltqualen — ein ruhiges, gemütliches und sorgenfreies Dasein.
Während die Einwohnerzahl 1816 1145 Einwohner betrug, war sie 1898 2779.
St. Martin.
Die Insel erhielt ihren Namen nach dem Heiligen Sanct Martinus (de
Tours), an dessen Namenstage sie von Columbus auf seiner zweiten Reise,
November 1493, entdeckt wurde. Nachdem die Spanier die Insel ver-
lassen hatten (siehe bei St. Eustatius), blieben einzelne niederländische und
französische Kriegsgefangene, denen es gelungen war, zu entfliehen und sich
in den Wäldern zu verstecken, daselbst zurück und beschlossen bald, die
Insel unter sich zu teilen, derartig, dafs den Franzosen der nördliche, den
Niederländern der südliche Teil zufiel. In den nächstfolgenden Jahren gab
die Scheidelinie mehrmals zu Uneinigkeit zwischen den Kolonisten Veranlas-
sung, bis die Sache 1648 von der niederländischen und französischen Regie-
rung endgiltig geregelt wurde. Dennoch war die Grenzlinie auch nachher
wohl noch einmal die Ursache von Streitigkeiten3), und im Kriege der .Fahre
1672 — 1678 zwischen den Niederlanden und Frankreich wurde die Insel ab-
wechselnd von Niederländern und Franzosen erobert, vom Friedenschlufs von
Nijmegen (1678) ab herrschte aber über ein .Jahrhundert zwischen den Kolo-
nisten beider Nationen die schönste Eintracht, sogar in den Zeiten, während
1) Teenstra, 1. c. S. 719.
2) Gon Netseber in den Bijdragen, 1869, L c. S. 500.
3) Die genaue Lage des westlichen Teiles dieser Grenzlinie steht bis heute
nicht fest. Die Darstellung auf der Karte Dornsei ffen's in der Tijdsehrift v. Ii.
Aardr. (Jen., 1883, scheint richtig zu sein. Von dem Simonsbai-See bis am Fußte
des Berges Concordia wird sie durch eine Mauer der Plantage Mount Fortune ge-
bildet, läuft ferner über den Gipfel dieses Herges und die Kücken der anschließenden
Berge und endet an dem Oysterpond.
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216 H. Zondervan:
welcher in Europa beide Völker einander bekriegten. In den Kriegen zwischen
den Niederlanden und England wurde St. Martin oft hart mitgenommen und
dadurch, vor allem seit 179ö, Handel und Schiffahrt schwer geschadet.
Wegen der Fruchtbarkeit des Bodens verarmte die Insel dadurch aber nicht
in so hohem Mafse als St. Eustatius. Von 1810 — 1816 stand sie unter
englischer Herrschaft und kam alsdann wieder an die Niederlande zurück.
St. Martin ist ungefähr 98 qkm grofs, ein nicht unbedeutender Teil wird
aber von den Küstenseen eingenommen. Die nördliche Hälfte gehört Frank-
reich an und mifst 51,17 qkm und diese scheint fruchtbarer zu sein, ist
auch ein wenig stärker bevölkert als die südliche niederländische Hälfte,
welche 46,8 qkm Fläche hat, Die Insel ist sehr gebirgig und die Küste an
den meisten Stellen sehr schroff, oft unnahbar, daher man nur in den zahl-
reichen Buchten einem Strand begegnet. Die gröfseren Baien sind meistens
durch eine sandige Landzunge oder Barre von dem offenen Meere getrennt
und die dadurch gebildeten Binnenseen werden zur Salzgewinnung benutzt,
der wichtigsten Erwerbsquelle St. Martins. Als die vier gröfsten dieser Seen
gelten1): der von Philipsburg (die Grofse Zoutpan mit der Grofsen Bai) etwa
200 Hektar grofs, der von Orientbai, von Grand Case und von Chevrisc oder
Bretagne.
Die Insel verdankt ihre Gestalt den zwei ungefähr parallelen Hügel-
reiheu, welche in NO — SW- Richtung laufen und durch ein breites Längsthal
getrennt sind. Die westliche Hügelreihe ist die längere und hat ihren
Kulminationspunkt im Mount Paradis (412 m) auf französischem Gebiete; in
dem niederländischen Teile erreicht sie in dem spitzen Centry-Hill (408 m)
ihre gröfste Höhe. Die östliche Kette kulmiuiert im Oostonberg oder Naked-
Boy Hill mit 280 m. Zahlreiche scharf eingeschnittene Querthäler verlaufen
senkrecht zu den Gebirgsketten, während sich überdies ein Querthal von
der Grande Gase bis zur Orientbai erstrockt. Der am meisten im Westen
gelegene Teil St. Martins, the Low Lands, welcher unbewohnt ist, erhebt
sich nur wenig über den Meeresspiegel, ausgenommen einzelne Hügel, von
denen der höchste etwa 90 m Höhe erreicht. Die Low Lands stellen einen
Landgürtel rings um die grofse Simsons-Bai Lagune dar, welche durch eine
schmale Strafse mit dem offenen Meere in Verbindung stellt,
Die orographisehe Beschaffenheit hängt eng mit dem geologischen Bau
der Insel zusammen. So stimmt das Streichen der Sedimentgesteine, welche
einen bedeutenden Teil St. Martins zusammensetzen, mit der Richtung der
beiden parallelen Hügelreihen überein *). Das Grundgestein bildet ein Quarz -
glimmcrdiorit oder Tonalit, welcher oft in Quarzdiorit übergeht und nur an
deu Meeresküsten in untersetztem Zustande angetroffen wird, sonst aber mei-
stens bis 1 m oder sogar tiefer in einen grobkörnigen, glimmerreichen Saud
übergegangen ist. Die Verwitterung geschieht nicht regolmüfsig, so dals ein
1) Het eiland St. Martin, door Dr. J. Dornaeifi'en in der Tijdachrift van het
Aardr. Gen., 1883, S 126 tf
2) Handelingen van het Kernte Nederlandsch Natuur- en Geneeskundig Con-
gre«, Haarleiu lx*K: Het geologisch verband tusschen de West- Indische eilanden,
door G. A. V. Moleugraaff, S. 287 ff.
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Die niederliindisch-westindischen InBein.
217
grofser Teil der Ebene mit Geröllblöcken bosät ist und ein Felsenmeer dar-
stellt. An vielen Stellen treten andere alt -eruptive Gesteine an die Ober-
fläche. Die Sedimentgesteine zeigen allerorten denselben Charakter, und die
gleichmäfsig gelagerten Schichten setzen sich abwechselnd aus Breccien, Sand-
steinen und kiesreieben Kalksteinen zusammen. Sie liegen unmittelbar auf
dem eruptiven Grundgestein und werden an vielen Stellon von Diabas- und
Syeuitgranit - Gängen durchbrochen. Auch enthalten sie an manchen Stellen
Kisen- und Manganerze. Wahrscheinlich sind die Schichten cretaeeisch, wäh-
rend jüngere Sedimentgesteine nur wenig entwickelt sind, z. B. an der
Simsonsbai und in den Lowlands1). Obwohl bis jetzt in den cretaeeischen
Schichten keine Fossilien gefunden wurden, steht es dennoch fest, dafs sie die
Fortsetzung der ältesten Ablagerungen auf Cuba, Jamaica, Sau Domingo,
Puerto Hico und den Virginischen Inseln bilden, mit welchen St. Martin auf
einem und demselben unterseeischen Gebirgssockel liegt.
Es giebt auf St. Martin nur drei ausdauernde Bäche, während die übrigen
Rinnsale allein nach einem Regenschauer auf kürzere Zeit Wasser führen.
Für das Trinkwasser ist die Bevölkerung daher gröfstenteils auf Brunnen
augewiesen und, da dieselben in der Nähe der Küste brakisches Wasser lie-
fern, auf Cisternen.
Das Klima ist warm, aber gesund. Früher kamen öfters Fälle vom
gelben Fieber vor, heutzutage tritt dann und wann ein Fall von Schwind-
sucht auf. Eine geringe Zahl von Leprosen giebt es sowohl hier, als auf
St. Eustatius und Saba. Die Temperatur wechselt im Schatten zwischen 22°
und 32° C ab; die niedrigsten Temperaturen fallen in die Monate Dezember
und Januar. In diesen Monaten weht auch der Ostpassat am kräftigsten.
Die gefürchteten Cyklone treten hingegen im Juli — Oktober auf. Alle Inseln
über dem Winde werden dabei oft schrecklich heimgesucht, St. Martin wohl
am schlimmsten in den Jahren 1819 und 1848, dann auch noch im Sep-
tember 1898. Oft spürt man, während die Cyklone wüten, leichte Erdstöfse *).
Eine bestimmte Regenzeit giebt es nicht; in den meisten Jahren fällt aber
eine genügende Regenmenge, obwohl Dürrepcriodeu auf den Inseln über dem
Winde ebensowenig fehlen, wie auf denjenigen unter dem Winde. Am gün-
stigsten verhält sich in dieser Beziehung Saba, eine Folge seiner bedeutenden
Höhe. Die Niederschlagsmenge betrug auf St Martin:
188» 1*81 1882
Philipsburg 1180 mm 1105 mm 1018 mm
Grande Case 702 „ 795 „ 952 „
In trocknen Jahren leidet der Ackerbau durch die Dürre, ist aber die
Salzgewinnung von Bedeutung, während umgekehrt in nassen Jahren die
Ernte besser ausfällt, hingegen die Salzproduktion stark beeinträchtigt wird.
Da nun die letztere Hauptsache ist, sind trockne Jahre für die Bewohner
weitaus am vorteilhaftesten.
1) Molentfraaff, 1. c, schliefst hieraus, sowie auch aus anderen (iriimlen,
dafs sich die Insel in einer Senkun^speriode befindet.
8) Dornseiffen, 1. c. S. 137.
GcograpbUcUe Zeitschrift. 7.J»hrg»ng. 1901 « lieft. 16
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218
II Zondervan:
Ehemals scheint St. Martin dichte Wälder besessen zu haben, heutzutage
kommt kein Waldbestand mehr vor. Wohl sind die Bergabhänge teilweise
mit dichtem Gehölz bewachsen, dienen im übrigen als Weiden, speziell für
die Ziegen. Der Ackerbau ist hauptsächlich auf die Thäler beschränkt und
spielt nur eine untergeordnete Rolle. In den ersten Zeiten nach der Besitz-
ergreifung durch die Niederländer wurde auf den Inseln über dem Winde
viel Tubak gebaut und sogar auf St. Martin eine Pfeifenfabrik errichtet1).
Bald aber wurde der Tabaksbau aufgegeben und es entstanden grofse An-
pflanzungen von Zuckerrohr. Daneben lebte ein Teil der Bewohner vom
Handel, besonders vom Schmuggelhandel auf den benachbarten spanischen
Kolonien. In diesem Jahrhundert hat aber nicht nur der Handel seine Be-
deutung vollständig verloren, sondern auch die Plantagenwirtschaft ist ganz
zu Grunde gegangen, letzteres infolge der Sklavcnemanzipierung, welche auf
St. Martin noch schlimmere Folgen hatte als auf den übrigen Inseln *). Im
Jahre 1847 wurden noch 015453 kg Zucker und 7803 Gallons Rum aus-
geführtÄ) 1881 nur noch 26000 kg Zucker und heutzutage gar keiner
mehr. 1898 beschränkte sich der Ackerbau hauptsächlich auf die Be-
stellung kleiner Bodenstücke mit Bohnen, Kartoffeln, Mais und Arrowroot
zum eigenen Bedarf. Daneben giebt es mancherlei Obstbäume, obwohl in
geringer Zahl.
Die Viehzucht ernährt einen gröfseren Teil der Bevölkerung, hat aber
ebenfalls nicht viel zu bedeuten. Zahlreiche Vögel leben an den Küsten
und Binnenseen. Die Austern sind sehr schmackhaft und das benach-
barte Meer ist reich au Fischen. Der Fischfang spielt aber keine Rolle
und wird hauptsächlich nur von den Bewohnern des Dorfes Simsonsbai be-
trieben.
Im Jahre 1895 wurde von einem amerikanischen Mineningenicur der
Reichtum des niederländischen Teiles an Manganerzen erforscht, doch obwohl
das Resultat ein günstiges war, sind bis jetzt die Versuche fehlgeschlagen,
eine Gesellschaft zur Ausbeutung dieser Minerale zu gründen. Die Phos-
phatlager haben ebenfalls nichts zu bedeuten, desto mehr aber die Salz-
gewinnung. „Kine gute Salzernte giebt fast der gesamten Bevölkerung Arbeit
und bringt das Geld in Flufs". Da dieselbe aber so stark von der Witterung
beeinflufst wird, so ist der Ertrag grofseu Schwankungen unterworfen und
fette und magere Jahre wechseln für die Bewohner fortwährend mit einander
ab. Nach den Kolonialen Verslagen betrug die Ausfuhr:
Jahr
Menge in H. L.
Wert in Gulden
1894
132853
99 640
1895
147929
105030
1896
41677
29 591
1897
363
258
1898
51908
36 855.
1) Hainelberg in dein Tweed« Jaarverslag, 1 c\, S. 103.
2', Domsciffen, 1. «•., S. 134.
3; Gon Nets eher in den Hijdragt-n. I. <•., S. 4U7.
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Die niederländisch-westindischen InBein.
219
Dafs bei der Ausfuhr das Salz eine Hauptrolle spielt, geht aus den
Zahlen der Gesamtausfuhr klar hervor. Dieselbe hatte einen Wert in Gul-
den von:
1896 18Ü7 1808
30018 888 37590.
Den übrigen Ausfuhrprodukten, wie Häuten, Tamarinde, Orangenschalen,
Arrowroot u. a. ist denn auch fast gar keine Bedeutung beizulegen.
Die ganze Insel zahlte 1887 6607 Einwohner und zwar der nieder-
ländische Teil 3126, der französische 3481. Am 1. Januar 1899 hatte der
niederländische Teil 3577 Bewohner. Die Zunahme war hier in den letzten
Dezennien nicht so stark, wie auf Saba und den Inseln unter dem Winde.
Denn St. Martin hatte in dem niederländischen Teil 1849 2790, 1897 3984
und 1898 3577 Einwohner. In der letzten Zeit fand eine starke Auswanderung
statt. Die Mischlinge sind weitaus überwiegend an Zahl, während die weifse
Kasse, welche ohnehin schon sehr schwach ist, noch an Zahl abnimmt1). Nur
sehr einzelne Personen sprechen oder verstehen holländisch ), während die all-
gemeine Umgangssprache, auch in dem französischen Teil, wiederum englisch
ist und sogar der Unterricht auf den Schulen in dieser Sprache erteilt wird.
Der Wohlstand ist sehr gering und es ist wenig Aussicht auf eine bedeu-
tende Besserung vorhanden, wenn auch heutzutage das Geld nicht so selten
mehr ist, wie in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts, wo fast alles mit
Zucker bezahlt wurde. Als übertrieben ist aber wohl die Behauptung auf-
zufassen, dals damals sogar dem Arzt sein Honorar, den Beamten ihr Gehalt
in Zucker ausbezahlt wurde3).
Der wohlhabendere Teil der Bevölkerung wohnt in den sogenannten
„Städten" (thatsächlich einige ganz unbedeutende Dörfer) oder auf den Plan-
tagen, die entweder zur Viehzucht benutzt werden oder ganz brach liegen.
Die übrigen Bewohner sind über die Insel zerstreut und bewohnen meistens
ganz primitive elende Hütten mit Wänden von geflochtenen Zweigen, welche
mit einer Mischung von Kuhmist und Kalk oder Lehm bestrichen sind,
während das Dach mit Gras gedeckt ist. In den Ortschaften giebt es haupt-
sächlich hölzerne, sowie einzelne steinerne Häuser, welche aber, ganz schmuck-
los und in regclmäfsigen Vierecken gebaut, einen monotonen Eindruck machen.
Das gilt auch von dem Hauptort Philipsburg mit etwa 200 Häusern, auf
einer Sandbarre an der Südküste zwischen der Grootbai und der Zoutpau
gelegen.
1) Gedenkboek, 1. c, S. 57.
2) Nach Dorn8eiffen, 1. c, S. 137. sollte ihre Zahl nur 4 bis 5 betragen.
3) G. B. Bosch, Reizen in West-Indie, Utrecht 182», Bd. I, S. 75. Bei diesem
Verf. heilM es auch: „Wenn hier eine Kuh geschlachtet werden soll, bo wird den
Bewohnern im voraus eine Einzeichenliste angeboten, und wenn die Zahl der Be-
teiligten nicht grofs genug ist. so läfst der Unternehmer seiu Vorhaben fahren und
die Kuh bleibt am Leben."
15«
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220
Kleinere Mitteilungen.
Kleinere Mitteilungen.
Das Vorland der Pyrenäen.
Im Antlitz Frankreichs, ja ganz Europas, fesseln uns die fächerförmigen
Züge westlich der Ciaronne, seihst auf Karten kleinen Mafsstabes z. 13. 1:2 Mill.
(K. Leuzinger, Carte physique et geographique de la France in Höhenschichten ),
ausgezeichnet in 1:500000. Das Vorland, abgegrenzt durch eine Linie
Bayonne Dax-Nerac-Agen-Toulouse und die obere Garonne, dacht sich nach
NW ab zur plioeäuen Küsteuobone der Grandes Landes mit jugendlicher,
unbestimmter Entwässerung, schutzlosen, welligen Flächen und Sümpfen, ab-
gedämmten Buchten und einem beinahe geschlossenen Dünengebiet. Mit
Ausnahme der obercretacischen , stark durchlässigen, von ca. 860 — 180 m
abfallenden Platte südlich der Gave de Pau mit den Landes de Hasparren,
L. de Mixte etc. besteht es aus sehr flach nach NW, N und NE gelagerten
oligoeäneu und mioeäneu Schichten, dem ungestörten Detritus der Pyreuäen-
flüsse, den Molasseschichten des schweizerischen Mittellandes vor der Haupt-
hebung der Alpen entsprechend, mit einer südlichen Grenze von Bayonne
über Pau — Bagneres de Bigorre — Montejeau — St. Gaudens-Pamiers (Ariege).
Nach M. Botde1), E. Marchand und L. A. Fahre3) sind die inioeänen Schichten
auf 80 — 100 m aufgeschlossen. Im Liegenden findet sich Nagelfluh (Konglo-
merate) mit Kalkgeröllen der subpyrenäischen Ketten, darauf folgen bunte
Thone (Ziegelthon) mit lokal mehr oder weniger feinen Quarzgeröllen und
Kesten von Mastodon longirostris, Dinotherium. Das Hängende besteht im
Süden aus Thon mit kleinen Geröllablagerungen, nach Norden werden sie zu
h'alkmergelu, schliefslich zu Süfswasserkalken, ähnlich wie im schweizerischen
alpinen Vorlande, nur zeigen diese Ablagerungen noch mehr oder weniger
deutlich erhaltene Deltaspitzen gegen den heutigen Ausgang der Gebirgs-
thäler. Daher streichen in die Nordstreckeu der kleinen Thäler häutig
weifse Kalkdecken aus, welche den Namen Armagnac blanc ^Haute Armag.
nördlich der Stadt Auch) aufkommen liefsen im Gegensatz zu den mergelig-
sandigen und mit Kiefern bewaldeten Gebieten der helvetischen Stufe am
Adour, der Bas Armagnac ou Arm. negre (noir!). Im Pliocän wurde aus
den gleichen Gebirgsthälern Schutt deponiert: unten bis 200 m kompakte,
nicht sandige Thone, wahrscheinlich Detritus der paläozoischen Schieferdecke
der Pyrenäen, mit vereinzelten grofsen Kieselgeröllen; dann eine rote Lehm-
schicht, z. T. mit Liguiten (und Hipparion), zu oberst 80 — 100 m sandige
Thone mit kalkfreien, polygenen, ?>tark kaolinisierten Gerollen, von einigen
Ceutimeteru bis 1 m Durchmesser. Dieser Schutt (mit vereinzelten erratischen
Blöcken) trägt alle Kennzeichen einer fluvioglacialen Ablagerung, wahr-
scheinlich dem ältesten alpinen Deckenschotter entsprechend. Darnach bedarf
die französische geologische Karte einer erheblichen Verbesserung. Die flach
konische Ablageruugsweise aller dieser Gebilde drückt sich schon in der
radialen Entwässerung derselben aus, speziell zwischen Adour und Garonne,
innerhalb eines Areals von rund 7400 qkm.
1) M. Honle, Le Plateau de Lanneuiezan et les Alluvions ancionncs. (Bull, des
Services de la carte geol de la France. X. 43. VI. lH'.t». 8°. i'.l 8. 4 Tat)
2) E. Mareliand et L. A. Fahre, Les erosinns torrentielles et t-ubaeriennes sur
Ich plateaux des hautes Pyn'nees. lExtr. «Ich C. rendus du Congres des Soc. «a-
vantes en Ih-.h». Paris 11)00, 8". 43 S. 3 Tat".,
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Kleinere Mitteilungen.
221
Es bestehen drei kegelförmige „Plateaux": «las westliche oder P. de Gers
/.wischen Grave de Pau und Adour (Gers 38 km NNE Polaeq), das mittlere,
kleinste oder P. d'Orignac zwischen Tarbes und dem Arros R. (System
Adour; Orignac liegt 52 km NNE Bagneres de Bigorre) und das östliche
und gröfste oder P. de Lannemezan, benannt nach dem Dorf Lannemezan
ca. 600 m an der Spitze (südlich des Neste-Knies). Die entsprechenden
Spitzen liegen 5 — 6 km N Lourdes, 5 km südlich ß. de Bigorre, in be-
ziehungsweise 570 m, 750 m und 60:) m ü. M. und Üffuungswinkeln nach NW
und NE von 50 60° und 90° (die beiden letzteren) 12—13 km südlich des
Neste-Knies. Sie sind durch spüterc Flufsverschicbungen zum teil ihrer sie
erzeugenden Gebirgsflüsse beraubt, tot gelegt und zu öden Flächen gemacht.
Es geschah dies jedenfalls für die Neste bald nach den plioeänen Ablage-
rungen während der Zeit einer energischen Thalbildung ähnlich wie im
schweizerischen Vorland. Boule hat zwei fluvioglaciale in das Thal der
oberen Garonne und der Neste eingelagerte Schotter erkannt, beide tiefer,
jünger und physiognomisch verschieden von der ältesten fluvioglacialen
Decke: einen älteren, mit geschichtetem „Löfs" bedeckten Hoc h terrassen -
Schotter und einen jüngeren, löfsfreien Niederterrasscnschotter.
Enteren fand er im Thal der Garonne über Moutrejeau, längs der 30 km
langen rechtwinkligen Umbiegung der Neste von Tusagnet bis Lortes 668 m,
ja bis jenseits Heches, 7 km südlich des Knies der Neste, überall auf die
Ferne mit rostgelben Tönen wirkend. Die Ablenkung der Neste erfolgte
mithin vor einer zweiten Glacialzeit, deren Endmoränen noch unbekannt
sind, und offenbar von einem linken Zuflufs der sich vertiefenden, aus
einem viel reichereu Einzugsgebiet stammenden Garonne und nicht auf eine
andere von Marchand und Fabre beschriebene, komplizierte Art.
Der Niederterassensehotter ist nach Boule mit hübschen Endmoränen
einer dritten Eiszeit durch einen C bergangskegel verbunden, so an der
oberen Garonne bei Labroquere, 5,4 km südlich Moutrejeau, wo hinter der
Moräne eine etwas ausgefüllte Zentraldepression besteht. Nach Marchand
und Fabre giebt es entsprechende Endmoräuenzüge nördlich Arreau im Thal
der Neste und ca. 19 km südlich ihres Knies, im Thal des Adour (7 und
12 km ab Bagneres de Bigorre) und als grofses Amphitheater nordöstlich
des Knies der Gave von Pau, 5 km nördlich Lourdes. Ohne Zweifel würde
sich dort der Nicderterrassenschotter auch noch erkennen lassen.
Die drei toten Plateaus oder Kegelstümpfe wurden als Aufschüttungs-
ebenen während und nach den zwei letzten Eiszeiten zerschnitten, in Platten
umgewandelt, zu geographischen Individuen gestempelt. Am schönsten läfst
sich dies an dem Plateau de Lannemezan erkennen, wo fünf Leitlinien von
Lannemezan (ca. 600 m) auf dem flachen Kegelmantel zur Garoune ziehen:
zu oberst (meridional, die ehemalige Richtung der Neste anzeigend) die
Baise (130 km, 4,90/ü0 Gefälle), östlicher der Gers (120 km, 5,1°/H0), dann
Arrals (120 km, 5°/00), hierauf Gimone (120 km, 4,8%o) und der Save mit
5°(W auf 107 km. Zwischen diesen konsequenten Flüssen erster Ordnung
entwickelten sich selbständig kürzere, wie man dies am Kegelmantel eines
Vulkans, auf kleinen Thon- oder Sandkegeln bei Regenwetter oder Schnee-
schmelze im kleinen beobachten kann.
Alte Leitlinien erscheinen als asymmetrische Thäler mit nach W
schauenden steilen Ostufen wie die geologischen Karten in 1:500 000, be-
sonders aber die Blätter in 1 : 80 000 sofort erkennen lassen. Für deren
Bildung ist die Erdrotation nach Marchand und Fabre durchaus unzureichend;
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222
Geographische Neuigkeiten.
sie sind vielmehr die Resultierende der vorherrschenden Winde und
Regen, worüber folgende Daten belehren:
Agen 54 m 640 mm an 116 Tagen
Auch 130 m 690 „ „ 109
Pau 200 m MO „ „ 150 „
Tutel 310 m 820 „ 126
Lanneihezan 590 m . . . . 1240 „ „ ?
Bagneres de Big. 550 m . . 1250 „ „ 178 „
Pic du Midi (Sencoursj 2360 m 23U0 „ „ ?
Pio du Midi (Gipfel; 2860 m . 1490 ,. „ 185
Sommer und Winter herrschen Winde vor, aus W bis NW und N,
besonders aus NW, bei Regen mit Geschwindigkeiten von 10- — 15 m per
Secunde. Der Effekt dieser kombinierten Wirkung ist 2160 mal gröfser als
derjenige der Erdrotation. Er ist ohnehin um so gröfser, je näher dem
Meere. In jener Richtung kam es zu den Ablenkungen des Adour und
seiner Zuflüsse aus NW nach WNW, W, schliefslich mit Hilfe des Flugsandes,
zur vollständigen Verschiebung des Unterlaufes nach SW, vom Kap Breton
bis Bayonne. Im Einzelnen zeigt sich, dafs die subsequenten Flüsse, Neben-
flüsse der Leitlinien unter um so kleineren Winkeln zum Folgefluls münden,
je kleiner der Winkel, den die Leitlinie zur vorherrschenden Windrichtung
macht. Die im Luv gelegene Ostseite oder Regenwand wird ausnahmsweise
die flache Thalseite, wenn lokal die alt- fluvioglacialen Gebilde sehr leicht
zerfallen, einstürzen und mehr Schutt liefern als verfrachtet werden kann.
Nach einem Zitat von Penck (Morph. II 113) ist der an so vielen
Orten erkannte Einflufs der Winde auf die Bildung asymmetrischer Thaler
zuerst von de Lamblardic 1782 für die Haute Normandie erkannt worden.
Die erhöhte Bedeutung der Regenwinde ist von Marchand und Fabre verdienst-
voll nachgewiesen (siehe A. Fabre, C. R. de TAcad. Paris, Juli 1898). Ab-
gesehen von gröfserem Windschutz wirkt die tächerförmige Gliederung
anthropogeographisch, beinahe wie ein aus kleinen Einheiten bestehendes
Hügelland: zahlreiche ausgezeichnete Expositionen für Weinbau (das Dep.
Gers hat mehr als 100 000 ha Rebland); Parzellierung, Mangel gröfserer
Siedelungen, geringe Industrie, geringe Entwicklung gröfserer Kommuni-
kationen und zahlreiche Marktorte sind die Signatur dieser grofsenteils
agrikolen Platten. J. Früh.
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitzau.
Allgemeines Morgens der Himmel in leuchtend gelber bis
rötlich gelber Färbung. Der nach einiger
* Die seltene, unter dem Namen Zeit eintretende Regen war mehr oder
Blut- oder Sandregen bekannte Natur- minder stark mit Staubteilchen vermischt,
erscheinung wurde am 10. März und um | die dem Hegen in Sizilien und Süditalien
folgenden Tage in Italien und Deutsch- eine rötliche Färbung erteilten; in den
land bis nach Hamburg hinauf beobachtet. Alpen zeigten nach dem Regen die Schnee-
Bei heftigem Südwind imd hoher Tem- flachen eine schmutzig-rotgelbe Färbung
peratur erschien am Morgen des 10. Marz und in Deutschland hinterliefsen die
über Sizilien der Himmel tief gerötet, in Hegentropfen nach ihrer Verdunstung
Mittelitalien war der Himmel gelb gefärbt beträchtliche Mengen von Saud- und
und in Deutschland erschien am 11. März Lehmpartikelchen. Ob der von Norden-
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Geographisch
e Neuigkeiten.
223
skjöld aus Schweden gemeldete Fall
grauen Schnees mit dieser Natur-
erscheinung in ursächlichem Zusammen-
hange steht, wird die mikroskopische
und chemische Prüfung des Rückstandes
ergehen. Als Ursache des Sand regen s
nahm man in Süditalien, wo der blutrote
Himmel, der rötlich gefärbte Regen und
die abnorm hohe Temperatur Angst und
Schrecken unter, der Bevölkerung ver-
breitete, einen heftigen Ausbruch des
Vesuvs an, in den Alpen dachte man
stellenweise an Blütenstaub und in Ham-
burg, wo während der Zeit Nordostwind
wehte, glaubte man, dafs der Staub von
den isländischen Vulkanen herrühre. Bei
mikroskopischer Untersuchung in Ham-
burg erwies sich jedoch der dort nieder-
gefallene Staub als ein Gemenge von
weifsem Quarzsand von äufserst feiner
Beschaffenheit mit eigentümlich braunen,
oft rötlichen, anscheinend organischen
Partikclchen und hin und wieder auf-
tretenden kugeligen, wahrscheinlich zur
Familie der Palmellaceen gehörenden
grünen Algenzellen, was die isländische
Herkunft ausschlofs und auf nordafrika-
nischen Ursprung hindeutete. Wenn auch
ein endgiltiges Urteil vor Beendigung der
vom preufoischen meteorologischen Institut
eingeleiteten umfangreichen Unter-
snr%»ng der Naturerscheinung noch nicht
abgegeben werden kann, so läfst sich
doch schon jetzt feststellen, dafs die
weitverbreitete Erscheinung auf eine
einzige Ursache zurückzuführen ist , und
dafs der „Blutregen'4 seine UrBache in
einem Cyklon hat, der im Norden Afrikas
entstanden ist uud vom äufsersten Süden
Europas über Italien den ungewöhnlichen
Weg über die Alpen nach Deutschland
genommen hat und beträchtliche Mengen
afrikanischen Wüstensandes mit sich
führte.
Europa.
* F. M. Exner hat durch Boloineter
vom 21). August bis 4. Oktober v. J. durch-
schnittlich alle drei Stunden die Wasser-
tetnperaturen des Wolfgangsees
in 24, 87, 149, 274, 524 cm Tiefe gemessen
und gefunden, dafs bei der Erwärmung
des Wassers die Leitung nur eine sehr
geringe Rolle spielt, während die Strahlung
die Hauptsache ausmacht und noch in
5,2 m Tiefe eine merkliche, wenn auch!
geringe Wirkung ausübt. I) je Temperatur
der Luft und des Wassers läfst sich
durch die Summe zweier Sinuswellen
darstellen, die eine 24- und 12 stündige
Periode haben, beide zeigen eine Abnahme
der Amplitude mit zunehmender Tiefe,
erstere zugleich auch eine geringe Phasen-
verschiebung. So lang andauernde Be-
obachtungen mit dreistündigem Termine
sind bis jetzt noch nicht ausgeführt
worden. W. H.
* Die Bevölkerung desDeutschen
Reiches beläuft sich nach der Volks-
zählung vom 1. Dezember 1900 laut Mit-
teilung des kaiserlichen statistischen Amts
auf 50 345 014 Personen, davon 27 781 u67
männlich und 28 013 947 weiblich. Auf
Preufsen kommen 34.5 Millionen, auf
Bayern 0,2, auf Sachsen 4,2 und auf
Württemberg 2,3 Millionen. In den Grois-
städten über 100 000 Einwohnern, deren
es jetzt 33 giebt, wohnen 9,180,814 Per-
sonen. Seit 1895 wuchs die Reichs-
bevölkerung um 4 Millionen oder 7,7M Pro-
zent, das ist der höchste Zuwachsdurch-
schnitt der letzten sechs Lustren.
* Die Bevölkerung Dänemarks
nach der Volkszählung vom 1. Februar
1901 beträgt nach einer vorläufigen Mit-
teilung des dänischen statistischen Bureaus
2 447 441 Menschen. Davon wohnten in
Kopenhagen mit seinen Vorstädten
Frederiksberg und Sundby 470 870,
während 1880 dort nur 381 082 Einwohner
gezählt wurden. Ein zweites Fünftel der
Gesamtbevölkerung bewohnt die übrigen
Städte, und die Landbevölkerung macht
die übrigen drei Fünftel aus. Die elf
gröfseren Proviuzstädte, deren Einwohner-
zahl mehr als 10 000 Seelen beträgt,
stiegen von 170 135 auf 244 351 E. oder
um 43,0 Prozent seit 1880. 1801 wohnten
in dem heutigen Dänemark nur 929 000
Bewohner. Der Zuwachs in den letzten elf
Jahren beträgt durchschnittlich 1,09 Pro-
zent jährlich, der Durchschnittsprozent-
satz des verflossenen Jahrhunderts beträgt
0,97 Prozent im Jahre. Am gröfsten war
die Bevölkerungszunahme in der Zeit von
1840—1800, wo die Bevölkerung jährlich
um 1,11 Prozent stieg, am geringsten von
1801 — 1840, wo sie jährlich nur 0,84 Pro-
zent betrug.
* Uber die jüngste Thätigkeit
des Vesuvs hat der italienische Forscher
Matteucci, der sich seit einer Reihe von
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224
Geographische Neuigkeiten.
Jahren hauptsächlich mit dem Studium
des Vesuvs beschäftigt, der Pariser Aka-
demie nähere Mitteilungen gemacht. Seit
Anfang Juli 1896 war der Vesuv mehr
als 4 Jahre hindurch in fast ununter-
brochener Thätigkeit. Krst am 1. Sept.
1891) hörte das Ausfliefsen der Lava aus
der Seitenspalte auf. Der Krater war
damals 'iuo m tief, aber nunmehr stieg
die Lava in seinem Innern, sodafs sie
am 24. April vorigen Jahres bereits in
80 m Tiefe wahrzunehmen war. Ks be-
gann nun eine Epoche erneueter Thätig-
keit des Vulkans, die darin bestand, dafs
heftige Explosionen im Krater eintraten;
auch Flammen wurden beobachtet. Die
ausgeworfenen vulkanischen Bomben und
Blöcke erreichten Höhen bis zu 537 in
über dem Kraterboden Der gröfste Block,
den Matteueri mafs, hatte ein Gewicht
von etwa 600 Centnern und beschrieb
seine Wurfbahn in 17 Sekunden. Der
italienische Forscher berechnet die
lebendige Kraft der Dämpfe, welche diesen
Kiesenblock emporschleuderte, auf
608 000 Pferdekräfte, und schätzt die ge-
sammte Masse des in den Monaten April
und Mai ausgeworfenen Materials auf
500 000 cbm. Kings um den Krater häufton
sich die Massen in so grofsen Mengen
an, dafs der Vesuv volle 10 m höher wurde,
indem seine höchste Spitze gegenwärtig
1303 m über deu Meeresspiegel aufragt,
statt 1293 m, wie es früher der Fall war.
Während der Hauptthätigkeit des Vesuvs
war Matteucci oft in «1er Nähe des Kraters,
zuweilen mit Lebensgefahr. So am
13. Mai 1900, wo plötzlich gegen Mittag
eine furchtbare Explosion im Krater statt-
fand und unzählige Steinblöcke und
glühende Schlacken emporgeschleudert
wurden, bei welcher Gelegenheit der
Forscher fast nur wie durch ein Wunder
dem Tod entging. (39. Beil. z. Allg. Ztg.)
Afrika.
* Die 1899 veranstaltete West-
afrikanische Kautsc buk- Expe-
dition1) hat das Resultat ergeben, dafs
in Afrika als sicher Kautschuk gebend
bisher bekannt sind: Landolphia to-
mentosa (Senegambien), L. heudelotii
1» Schlechter, R .Kautschuk- Expedition.
Berl. 1900.
(vielleicht nur Abart vor.), L. como-
rensis (O.Afr.i, L. kleinci Flufsgeb. d.
Kongo i, L. curriensis tweit verbr. in
W.Afr u. d. Sudan), L. kirkii iS O.Afr...
Der beste Kautschuk stammt von L.
kl ein ei. Von ihr stammt das „Kassai
rouge" des Handels. Diese Art ist daher
auch hauptsächlich im Kongostaat ge-
pflanzt; doch sind noch die Pflanzungen
zu jung, um über ihre Ergebnisse zu ur-
teilen. Denn eine Kautschukliane mfi&tc
15 Jahr werden, ehe der Stamm an-
zapfungsfähig ist, da ßie während des
aufserordentlichen Längenwachstums kein
stärkeres Dickenwachstum aufweist.
Bei Landolphien und Kickxien scheint
eine Kautschukentziehung aus jüngeren
Teilen nicht ratsam.
Von Wurzelkautschukpflanzen liefert
Carpodinus lanceolatus keinen guten
Kautschuk und erfordert zu seiner Aus-
nutzung zu viel Arbeit.
Aufser Ficus vogelii sind noch
keine Kautschuk liefernde Feigenbäume
aus Afrika bekannt; von anderen Arten
ist der Saft zu leimig, daher nicht für
alle Zwecke brauchbar; auch bei F. v.
ist er nicht harzfrei, aber doch besser,
ähnlich bei einer F. von Buea.
Von Kickxia- Arten Afrikas liefert
wirklich guten Kautschuk nur K elastica,
das der anderen Arten ist ebenfalls zu
klebrig. Doch lieferte ein Baum jener
Art allein 3400 cem Milchsalt . 150 cem
Milchsaft aber 90 g guten Kautschuk.
Auf die Anpflanzungsart und auf die An-
zapfungsart dieser K. geht daher Verf.
näher ein. Besonders empfiehlt er, die
Milch zur Koagulation einzukochen.
Auch auf Anpflanzung von Manihot
glaziovii und Ficus elastica wird
kurz eingegangen.
Unter den von Schlechter durchreisten
Gebieten hat pflanzengeographisch Togo
das gröfste Interesse, da die Küsten und
Binnenlandsgebiete gröfsere Verschieden-
heiten zeigen als in den angrenzenden
Gebieten. Es lassen sich dort 3 Zonen
unterscheiden.
Zunächst der Küste ist eine ausge-
sprochen xerophy tische Buschsteppe, die
besonders durch das Fehlen der Alpalme
und die Spärlichkeit der Gräser ausge-
zeichnet ist. Es finden sich mannshohe
Büsche oder kleineres Gesträuch, nur hin
und wieder verkrüppelte Bäume. Die
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Geographische Neuigkeiten.
225
Sträucher sind meist Kuphorbiaceen und
Kubiaceen, nicht selten auch Asclepiadeen.
Viel weitere Ausdehnung hat eine
zweite Gras- und Buschsteppenzone, in
der Ölpalnien auftreten. An periodischen
Bächen finden xich da Buschwaldgruppen.
Aufser vielen Gräsern und Gyperacecn
finden sich namentlich Scrophalariaceen,
dann Kubiaceen, Kuphorbiaceen, Gentia-
neen, kleine Leguminosen, Malvaceeu und
Asclepiadaceen , Orchidaceen u. a.; von
Bäumen sind Leguminosen, Sterculiaceen,
Kuphorbiaceen, Gombretum und Bassia.
An Wasserläufen findet sich ein Übergang
zu einer dritten Zone.
Diese Urwaldzone ist sehr unregel-
mäßig ausgedehnt. Dort findet sich
dichtes Unterholz. Nicht selten ist der
Boden mit Alpinien, die oft Mannesbohe
erreichen, bedeckt. Im Unterholz spielen
Kubiaceen und Kuphorbiaceen die Haupt-
rolle. Der ganze Buschwald ist mehr
oder minder dicht mit Kickxia afri-
cana bestanden. Die höchsten Bäume
aber sind Leguminosen, Ghlorophora,
Kuphorbiaceen und Gombretaceen.
Diesem Waldgebiet** Togos ist das der
Hinterländer von Lagos sehr ähnlich, doch
beginnt dort die Waldzone gleich hinter
der Küste.
Die Kongoflora hält Schlechter für
arm an endemischen Arten; am meisten
treten solche noch in der Küstenzone auf.
Die zweite Zone ist da aber typischer
Äquatorialwald; dieser erinnert sehr an
Kamerun. H«"»ck.
» Von einer Erforschung des bis-
her noch völlig unbekannten süd-
westlichen Sch ari-Beckens glücklich
nach Brazaville am Kongo zurückgekehrt
ist jetzt eine französische Kxpedition, die
unter Huot und Bernard Mitte vorigen
Jahres von der Gribingi-Station westwärts
aufgebrochen war. Nach ( berschreitung
mehrerer nordwärts fliefsender Gewässer,
die sich zum Fafa-Flul's vereinigen, er-
reichte man schliefslich einen großen
Flufs Wa oder Wom, an dessen Ufern
Dagbas wohnten, die kurze Canoes ähn-
lich denen auf dem Schari benutzten
Man schiffte sich auf dem Strome ein
und folgte seinem nordöstlich gerichteten
Laufe bis ungefähr 7'// n. Br. , wo der
Flufs plötzlich nach Nordwesten umbiegt.
Bernard hält diesen Flufs für identisch
mit dem Bahr Sara, den Maistre für einen
der drei Hauptarme des Schari hält, und
betrachtet ihn sogar als den Hauptquell-
flufs des Schari. Kr soll weit im Westen
entspringen und einer der Stämme, die
dort an seinen Ufern wohnen, soll von
Kuropäern Derlen erhalten haben. Der
Flufs hatte eine Breite von 150 bis
200 Yards bei einem zwischen Felsen sich
hinwindenden Laufe. Nachdem man dem
Flusse noch bis 6° 45' n. Br. , ungefähr
80 km von dem Punkte entfernt, bis zu
welchem Perdrizet von Norden her auf ihm
vorgedrungen war, gefolgt war, wandte
man sich der Krforschung der gebirgigen
Landschaft zwischen Kongo- und Schari -
becken zu und fuhr dann zunächst auf
dem Bali und spater auf dem Sanga zum
Kongo hinab.
* Im Hinterlande der Elfenbein-
küste haben in letzter Zeit zwei fran-
zösische Kxpeditionen bemerkenswerte
Keisen ausgeführt; eine Kxpedition unter
Hostains und d'Ollones brach 1899
von der Klfenbeinküste auf, ging den
Gavally aufwärts und erreichte glücklich
ihr Ziel, den oberen Nil. Mit dieser
Kxpedition sollte sich eine andere ver-
einigen, die zu derselben Zeit unter
Woelffel vom Niger her südwärt« nach
der Küste zu marschierte; da sich jedoch
Hostains zu weit westlich hielt, könnt«'
die Vereinigung nicht durchgeführt
werden; jedoch vermochte auch Woelffel
im Quellgebiete des Sassandra wichtige
Forschungen auszuführen. Die Kxpedition
verliefs Sigiri am oberen Nil am 18. Febr.
1899, überschritt den Tankisso um! den
Niger an einer 2000 Yards breiten Stelle,
besuchte den wichtigen muhamedanischen
Platz Kankan und gelangte nach Bissan-
dugu, der einstigen Hauptstadt Samory's.
heute ein Dorf von 100—150 Kinw. In
Beila auf der Wasserscheide zwischen
Niger und den Küstenflüssen wurden die
letzten Vorbereitungen getroffen und dann
begannen die Aufnahmen im Gjuellgebiete
des Diugu oder Gavally und «les Sassandra,
ungefähr dort, wo sich auf älteren Karten
das sagenhafte Kong-Gebirge verzeichnet
findet. Das Land ist von einer Keihe
von Bergmassiven aus Granit und Sand-
stein besetzt, von denen nach allen Seiten
Gewässer herabfliefsen. die von dem mehr
als 7 Monate des Jahres währenden
Winterregen gespeist werden. Unter
81 j" n. Br. trennt die Geye- Kette das
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226
Geographische Neuigkeiten.
Nigerbecken von dem des Pareduguha,
der höchst wahrscheinlich mit dem Sas-
sandra identisch ist. In dieser Breite
erreichen auch die Bergmassive ibre
höchste Höhe, der Naba mit ca. 2200 m
und der Salekuma mit über 3000 m. Die
oberen Teile sind kahl und vegetations-
los, da der fruchtbare Hoden in die
Thäler hinabgeschwemmt worden ist.
Der dichte, fast undurchdringliche Küsten-
wald reicht bis in die Gegend zwischen
7e und 8° n. Br., wo seine Grenze von
Westnordwest nach Südsüdost verläuft.
Die Bewohner, die sich der Kxpedition
sehr feindlich gesinnt zeigten und fort-
während Angriffe auf sie unternahmen,
waren behende und gut gewachsen, von
mittlerer Gröfse und mehr bronze als
schwarzer Farbe. Die Djulas und Hobes,
die mit den Küstenstämmen Handel treiben,
aber noch im Küstenwalde wohnen, sind
Anthropophagen.
» Die portugiesische Regierung
ist vom Parlament ermächtigt worden,
eine schmalspurige Bahn von der Bai
von Lobito, nördlich Benguelas i West-
afrika) nach dem fruchtbaren Hochplateau
von Ka'conda, das für eine europäische
Auswanderung höchst günstig zu sein
scheint, zu erbauen. Die fläfen von
Lobito und Benguela werden somit ihrer
eigentlichen Bestimmung wieder zurück-
gegeben; es sollen dort sofort alle nötigen
Verbesserungen und Veränderungen aus-
geführt werden. B.
Nordamerika.
* Der vor kurzem in Chicago ah-
gehaltene neunte I rrigations-Kongrefs
ist insofern von mehr als vorübergehender
Bedeutung, als seine Bemühungen für
ein rationelles Berieselungssystem nun
wohl zu praktischen Resultaten seitens
der Bundesregierung führen werden. Prä-
sident Mc Kiuley interessiert sich lebhaft
für die Wiedergewinnung der „arid lands"
in den Weststaaten und wird darin
kräftig von dem neuerwählteu Vizeprä-
sidenten Hoosevelt, dem Sekretär des
Innern Hitchcock und dem Sekretär der
Landwirtschaft Wilson unterstützt. Man
glaubt allgemein in Washington, dafs
den im Vorjahr für Vermessungen dieser
Ländereien bewilligten KU) 000 Dollars
während der neuen Finanzperiode weitere
200 000 Dollars für den gleichen Zweck
folgen werden. Diese Vermessungen ge-
schehen nach zwei Seiten hin. Die geo-
logische Abteilung hat es vornehmlich
mit Aufnahme der Wasserläufe zu thun
und verzeichnet sie auf Karten, die den
lniiieralogischen Karten der Gebirg.s»taaten
ähnlich sind. Diese Karten werden dem-
nach iKe Wasserscheide, das Irrigations-
becken, das Quantum des verfügbaren
Wassers und die Lage der zu errichtenden
Reservoirs airgeben. Die Ingenieure des
landwirtschaftlichen Departements hin-
gegen haben für eine gewöhnliche Landes-
aufnahme, die die Lage und den l'mfang
der „arid lands" angeben, zu sorgen. In
andern Worten: die geologische Abteilung
stellt fest, wie viel Wasser für Irrigations-
zwecke vorhanden und wo dasselbe zu
finden ist; die landwirtschaftliche da-
gegen, wie und wo dasselbe am vorteil-
haftesten zu verwerten ist. Die eihe
Abteilung löst das technische Problem,
die andere das volkswirtschaftliche.
In einer Zuschrift des neuen Hundes-
Vicepräsidenten Roosevelt an den oben
erwähnten Kongrefs führt derselbe aus,
dafs eine Lösung der „arid laud"- Frage
nur dann möglich sei, wenn man die
Forstwirtschaft auf eine rationelle Basis
bringe. Nicht nur müfsten die Forst-
reserven verzehnfacht werden, sondern
es sei auch erforderlich, dafs die Privat-
forsten der Bundes- resp. Staatsaufsicht
unterstellt werden müfsten. Sodann aber
müfste auch die Überwachung der Reserven
strenger durchgeführt werden. Die Durch-
führung dieses umfassenden Planes hat
Herr Roosevelt. der einer der besten
Kenner des grolscu Westens ist, in sein
Programm als Vicepräsidcnt aufgenommen.
T. M. S.
* Thee-Anbau in Amerika Die
interessanten Thee-Anbau versuche
des Dr. ('. V. Shepard in Summerville,
Süd-Carolina, die derselbe seit einer Reihe
von Jahren anstellte, haben zudem Resultat
geführt, dafs der Anbau nun im großen
Mafsstabe begonnen und kaufmännisch
betrieben werden soll. Kapitalisten aus
den Nordstaateu Amerikas haben sich
bereit erklärt, das 1'nternehmen zu finan-
zieren. Der Anfang des Unternehmens
ist bereits gemacht und zwar mit dem An-
kauf eines Landkomplexes von 4000 Acres,
dem später weitere Ankäufe folgen sollen.
Das Land ist etwa fünfzehn englische
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Geographische Neuigkeiten.
Meilen von Charleston entfernt und wird
von der Charleston- und Savannah Eisen-
bahn berührt. T. M. S.
Südamerika.
* Die Kntwickelung des Eisen-
bahnnetzes in Bolivia hat in der
letzten Zeit beträchtliche Fortschritte ge-
macht. Gegenwärtig sind 940 englische
Meilen (1612,6 km im Betriebe, die sich
wie folgt verteilen:
Challapata— Snire . . . 60 Meilen
Cochabamba— Suire . . 200 „
La Paz— Corosoro ... 70 „
La Paz— Oruro .... 150 „
La Paz— Puerto Perez 45 „
Oruro— Cochabamba . 125 „
Oruro- Lagunillas . . 60
Potosi— Suire 90
Tarija— Tupiza .... 140
B.
♦ Uber die erst in letzter Zeit etwas
genauer bekannt gewordenen Seen
Patagonien s teilt Hatcher im Bulletin
der geogr. Gesellschaft in Philadelphia
(Dez. 1900; aus seinen Untersuchungen
Folgendes mit: Man kann drei besondere,
auch der geographischen Lage nach von
einander getrennte, nordsüdlich gerichtete
Seensysteme unterscheiden, je nachdem
sie tektonischen, glazialen und residualen
Ursprungs sind. Zu den Seen tektonischen
Ursprungs gehören die schönen grofsen
Wasserflächen, die sich auf der Linie des
72.° w. L. südlich von 46° s. Br. an-
einanderreihen, die Seen Argentino, San
Martin, Pueyrredon und BuenoB Aires;
sie sind von West nach Ost gerichtet und
reichen mit ihren westlichen, stark zer-
rissenen Teilen tief in die östliche Seitcn-
kettc der Anden hinein, von der die Gletscher
zu ihnen herunterreichen. Diese Seen
verdanken ihre Entstehung der ungleichen
Schichtenfaltung, die wahrend des Auf-
steigens der südlichen Anden in der
späteren Tertiärzeit stattgefunden hat.
Östlich von dieser Seenreihe und bereits
außerhalb der Andenvorhügel geht
eine zweite von Nord nach Süd, deren
Glieder — wie Laguna Bianca, Cardiel.
Colhue und Musters — kleiner sind als
die der ersten Reihe; diese sind nach
Hatcher glazialen Ursprungs, entstanden
durch das Abdämmen vorglazialer Ent-
wässerungswege durch Olazialgeröll
während des Zurückweichens der Gletscher,
227
die beim Schlüsse der dortigen Eiszeit
die betreffenden Thäler einnahmen. Über
die Entstehungsursache dieser beiden
Seensysteme ist wohl auch sonst kein
Zweifel gewesen, wohl aber über die
Bildung des dritten Systems, der zahl-
reichen Salzseen, die über die ganze
patagonische Ebene von Bahia Bianca
bis zur Magellanstrafse zerstreut liegen.
Dr. 0. Nordenskjöld ist der Meinung, dafs
das Salz dieser Seen nicht direkt aus
dem Meere herrührt, sondern daher, dafs
sie keinen Abflufs haben, und aus der
Zuführung von Salz durch das von den
umgebendenFelsenhineinfliefscndcWasser.
Hatcher dagegen meint, dafs diese von
ihm Residualseen genannten, außer-
ordentlich flachen, aber streng umgrenzten
und oft sehr ausgedehnten Gewässer ihr
Salz aus dem Meere her haben; sie seien
aus Wasserflächen entstanden, die während
des allgemeinen Aufsteigen* am Schlüsse
der Tertiärzeit vom offenen Meere ab-
geschnitten worden wären; sie wären also
keine ehemaligen, durch Ausdunstung
salzig gewordenen Süfswasserseen. Für
seine Behauptung führt Hatcher eine
Reihe von Beobachtungen an. (Globus,
Bd. LXXIX, p. 163.)
Polarregionen.
* Die hauptsächlichsten Resultate der
Nordpolarexpedition des Herzogs
der Abruzzen in wissenschaftlicher Be-
ziehung sind nach dem Februarheft des
Boll, della soc. Geogr. Ital. etwa die
folgenden :
Der nördlichste Punkt vom Franz
Josefland, das Kap Fligely, liegt unter
81° 51' N. Br., die Inselgruppe besitzt
also erheblich kleinere Dimensionen als
bisher angenommen wurde. Die meteoro-
logischen Aufzeichnungen in der Bai
Teplitz, welche ein Jahr hindurch fort-
gesetzt wurden, ergaben beträchtliche
Tagesschwankungen des Luftdrucks und
der Temperatur, die hygrometrischen
Messungen ergaben nur für das Sommer-
halbjahr brauchbare Resultate. Die
Winde kamen meist mit bemerkenswerter
Geschwindigkeit, vorwiegend aus dem
1. und 2. Quadranten. Die Schwere-
bestimmungen mit dem Sterneck- Apparat
wurden sowohl bei Kap Flora, wie in der
Bai Teplitz unternommen; magnetische
Beobachtungen nur in letzterer. Im
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228
Geographische Neuigkeit en
Zusammenhang mit denjenigen von
Jackson hei Kap Flora liefern sie ein
Mild Alter die Veränderungen der Dekli-
nation. Zur Zeit der Sommersolstitien
und der Aequinoktien wurden stündlich
Flutniafsbestiinmungen mittels des Maräo-
meters gemacht. I)ie Nordlichter waren
stets sehr wenig intensiv und meist von
weifslicher Farbe, sie erschienen meist am
Nordosthimmel. Das animalische Lehen
war nur sehr schwach vertreten; neben
dem Eisbär wurden wenige Seehunde und
Walrosse beobachtet, von Vögeln Taucher-
enten, Silbermöven, Eislummer und blaue
Moven. Im Heitmann'schen Kanal wurden
Narwale und weifae Delphine bemerkt
Die 3ü Arten, die das l'flanzenherbar
aufwies, gehörten 6 Phanerogamen- und
Krvptogamenfamilien an, abgesehen von
den Algen und Schwämmen. \V. H.
* Eine Hilfsexpedition zur Auf-
suchung des Leutnants Guerini und
seiner zwei Gefährten von der Nordpol-
expediton des Herzogs der Abruzzen, die
mit Cagni nordwärts aufgebrochen waren,
später aber umkehrten, jedoch nicht im
Standquartier der Expedition auf Kron-
prinz-Rudolf-Land wieder angekommen
sind, wird sobald es die Jahreszeit erlaubt
von Norwegen nach Norden aufbrechen.
Der Vater des Norwegers Stökken, eines
der drei Verschollenen, der Aber die nach
seiner Meinung sehr voreilige und durch
nichts zu rechtfertigende Abreise des
üerzog8 ohne die Verschollenen tief empört
ist, hat seine ganze Kralt daran gesetzt,
diese Hilfsexpedition zustande zubringen.
Von Sandefjord aus wird die fünfzig Mann
starke Expedition auf der „f apella" nach
Norden alifahren, die Verunglückten zu
suchen, die, falls sie auf eins der zurück-
gelassenen Depots mit Nahrungsmitteln
gestofsen sind, noch am Leben sein können.
Geographischer Unterricht.
Geographische Vorlesungen
an den deutschsprachigen t'tiiversiWtcn um] tech-
nischen Hochschulen im Somm. rseincstcr 19ül.
Deutschen Reich,
Berlin: o. Prof. v. Richthofen:
Geographie der Meeresküsten, 4st. —
Kolloquium, I st, — o. Prof. Sieglin:
Geographie von Nordafrika im Altertum,
2 st. — Übungen, 2st. — a. o. Prof. v. Dry-
galski: Geophysik, "ist. — Kolloquium,
'2st. — Pd. Meinardus: Klimatologie,
I 'ist. — Pd. Kretschmer: Mittelalterliche
Geographie von Deutschland, Ist. —
Kartenprojektionslehre.
Bonn: o. Prof. Rein: Klimatologie.
2st. — Geographie Amerikas. 4st. —
Seminar. 2 st. — Pd. Prof. Philippson:
liest nicht.
Breslau : o. Prof. P a r t s c h : < ieographie
von Asien, 4st. — Die Eiszeit und ihre
geographischen Wirkungen, Ist — Semi-
nar, 2 st — Pd Leonhard: Hydrographie
des Festlandes, 2 st. — Geogr. Exkursionen.
Erlangen: a. o. Prof. Pechucl-
Lösche: Allgemeine Erdkunde: Welt
und Erde, 4 st. — Witterungskunde,
Wetterprognose und Wetterschiefsen, Ist
— Übungen, 2st.
Freiburg i. Br.: o. Hon. -Prof. Ken-
mann: Länderkunde von Asien, 4 st. —
Landeskunde der Schweiz, 2«t. — Ge-
schichte des Zeitalters der Entdeckungen.
— Kartographische und kartometrische
Übungen, 1 V, »t,
Giefsen: a. o. Prof. Sievers: Völker-
kunde und Anthropogeographie, 2 st. —
Geographie von Australien und Oeeanien,
3st. — Kartographische (billigen, 2st. —
Historisch -geographische Übungen, 2 st.
Exkursionen.
Göttingen: o. Prof. Wagner: Anthro-
pogeographie, 4 st. — Kartographischer
Kurs II, 2 st. — Übungen für Fortge-
schrittenere, 2 st, — Kepetitorium, Ist.
Greifswald: o. Prof. Credner: Über-
sicht der aufserenropäischen Erdteile, 3 st.
— Grundzüge der allgemeinen Klima-
tologie, 2 «t. — Übungen. Ist. — Ex-
kursionen.
Halle: o. Prof. Kirchhoff: Aus-
gewählte Kapitel der Anthropogeographie,
Ist. — Asien, 4 st. — Südliches Mittel-
europa, Ist. — Palästinakunde, Int. —
Ü bungen , Ist. — Pd. Prof. S c h e n c k :
Die deutschen Schutzgebiete in der Süd-
sce und in Ostasien, 1 st. — Kolloquium,
2 st. — Pd. Prof. Ule: Topographische
Übungen, 2 st.
Heidelberg: a. o. Prof. Hettner:
Deutschland und seine Nachbarländer,
4 st. — Einführung in das Verständnis
der Erdoberfläche und ihrer Erscheinungen,
Ist. — Seminar, 2 st.
Jena: a. o. Prof. Dove: Geographie
von Mitteleuropa, 3 st. — Geographie des
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Geographische Neuigkeiten.
229
britischen Weltreiches, Ist. — Übungen
im Gelinde.
Kiel: o. Prof. Krümmel: Geographie
des Deutschen Reiches, 4 st. — Geschichte
der Geographie im lü. Jahrhundert, Ist,
— Praktikuni, 2 st. — Arbeiten im geogr.
Institut.
Königsberg: o. Prof. Hahn: Ethno-
graphische Übersicht der Erde, 8 st. —
Meteorologie, Ist. — Geographische
Übungen, l'/^st. — o. Prof. Prutz: Histo-
rische Geographie von Deutschland, Ist,
Leipzig: o. Prof. Ratzel: Allgemeine
Krdkunde, I. Teil: Krdteile, Inselu, Hoden-
formen, 8 st, — Länder und Völker
Europas in der Gegenwart mit bes. Be-
rücksichtigung ihrer politisch- und wirt-
sehaftsgeographischen Verhältnisse , 4 st.
— Übungen: Einführung in die Litteratur
der physikalischen Geographie. — In
dessen Auftrage Assistent Dr. Friedrich:
Kartenskizzen an der Wandtafel, Ist. —
Geographische Verbreitung und Verkehr
der wichtigsten Produkte, Ist. — a. o.
Prof. Berger: Die alte Geographie unter
dem Einflüsse der Römer, 2 st. — Tacitus'
Agricola, l>/,it — Pd. Weule: Die
deutschen Kolonien in Afrika, 2 st. —
Einleitung in das Studium der Urgeschichte
der Menschheit, Ist, — Praktische und
wissenschaftliche Arbeiten im Museum
für Völkerkunde. — Pd. Sapper: Iber
Vulkane als geographische Erscheinung,
2 st. — Ethnologie der Iudianerstämme
Mittelainerikas, Ist. — Anleitung zu
wissenschaftlichen Beobachtungen auf
Reisen, mit Übungen im Gelände, Ist. —
Pd. Kötzschke: Deutschland vor
100 Jahren, geographisch und kultur-
geschichtlich, 1 st. — Übungen zur poli-
tischen Geographie Deutschlands (16. bis
19. Jhrh.).
Marburg: o. Prof. Fischer: Geo-
graphie von Afrika, mit besonderer Be-
rücksichtigungderdeutschenSchutzgebiete,
4 st. — Übungen, 2 st. — Wissenschaftliche
Arbeiten, 2 st.
München : a. o. Prof. Oberhummer:
Geschichte der Erdkunde (neuere Zeit.,
2 st. — Bayerische Landeskunde, 2 st. —
München und die gröfseren Städte Bayerns
nach ihrer Lage und örtlichenEntwickelung,
Ist. — Kartenlehre mit Anleitung zu
einfachen Aufnahmen im Gelände, Ist.
Münster: o. Prof. Lehmann: All-
gemeine physische Erdkunde, II. Teil, 2 st.
— Geographie von Nord- und Osteuropa,
3 st. — Ausgewählte Abschnitte aus der
Geographie des Welthandels und Welt-
verkehrs, Ist. — Übungen, 2 st. Ex-
kursionen.
Rostock :
Straf sburg : o. Prof. G e r 1 a n d :
Physische Erdkunde; die Erdfeste, 4 st.
— Immanuel Kant als Geograph und
Anthropolog, Ist, — Seminar, 2st.
Tübingen: a. o. Hassert: Geographie
von Asien, 4 st. — Eutdeckungsgeschichte
der Polarregiouen der Erde, Ist. —
1 bungen.
Würzburg: a. o. Prof. Regel: Länder-
kunde von Rufsland, 4st. — über China
uud die europäischen Interessen in Ost-
asien, Ist. — Länderkundliches Repc-
titorium, 2 st. — Exkursionen. — Seminar.
Österreich- Ungar».
Wien: o. Prof. Torna sehe k: Vorder-
asien in allen geographischen Beziehungen,
3 st. — Über ausgewählte Ländergebiete
von Afrika, 2 st. — l bungen für Lehr-
amtskanditateu, 2 st. — o. Prof. Penck:
Allgemeine Erdkunde, I. T., 6 st. — Semi-
nar, 28t. — Übungen. — Pd. Prof. Sieger:
AbriTs der Geographie von Nordeuropa, 2 st
Czernowitz: o. Prof. Löwl: Klima-
tologie und Ozeanographie, 5 st.
Graz: a. Prof. Richter: Meteorologie
und Klimalehre, öst. — Übungen, 2st.
Innsbruck: o. Prof. v. Wieser: Geo-
graphie von Mitteleuropa, 3 st. — Ge-
schichte der Entdeckung Amerikas, Ist,
— Übungen . 1 st.
Prag: o. Prof. Lenz: Geographie von
Afrika, 8 st. — Geographie von Südeuropa,
2 st. — Übungen.
Schweiz.
Basel:
Bern: o. Prof. Brückner: Astro-
nomische und physikalische Geographie,
L Teil, 3 st. — Länder- und Völkerkunde
von Asien, 3 st. — Kartenprojektionslehre
mit Übungen, 2 st, — Repetitorium der
plus. Geographie, 2 st. — Kolloquium,
2 st. — Anleitung zu selbst ändigen Arbeiten.
— Exkursionen.
Zürich: o. Prof. St oll: Physikalische
Geographie I., 2 st. — Europäische .Mittel-
meerländer, 2 st. — Grundzüge der Ethno-
logie. 2 st. — Geographische Verbreitung
der Tiere, 2 st.
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230 Bücherbesp
Technische Hochschulen.
Darmstadt: Ptl. Greim: Mathc-
mattnche Geographie, 2 st.
Dresden: o. Prof. Rüge: Nord-
deutuchland.
München: o. Prof. Günther: Bio-
logische Erdkunde, TL T. -- Handels- und
Wirtschaftsgeographie, I T. — Geographie
von Australien und Oceanien. — Seminar.
— o. Hon. Prof. Götz: Physikalische Geo-
graphie des Festbodens.
Stuttgart : Rektor Schumann:
Länderkunde von West- und Nordeuropa.
Persönliches.
* Zu Wiesbaden starb im Alter von
57 Jahren der Weltreisende Dr. Bernhard
Schwarz, von Hause aus Theologe, der
durch ausgedehnte Reisen in Kamerun
und Deutsch-Südwestafrika viel zur Kennt-
nis dieser deutschen Kolonien beigetragen
hat. '„Reise in das Hinterland von
Kameruu" 188G; „Ein Besuch bei Hendrik
Witboi" 1888; „Zwischen Kamerun und
Oranje" 1889). Eine Zeit lang war
Schwarz auch Dozent der Erdkunde an
der Bergakademie zu Freiberg i. S.
* Am 16. Februar starb Dr. Natterer
in Wien, der als Chemiker an den öster-
reichischen „Polar"- Expeditionen zur Er-
forschung des Mittelländischen und Roten
Meeres teil genommen hat. Er hat die
Ergebnisse seiner Forschungen in der :
Geogr. Zeitschr. 1899 S. 190 ff. zusammen-
gefast.
* Am 4. März starb in Ottawa
»rechungen.
! Dr. G. M. Dawson, der hochverdiente
Leiter der Geologischen Landesaufnahme
von Canada. Am l. Aug. 1849 als Sohn
des berühmten Geologen Sir William
Dawson in Pictou in Neu-Schottland ge-
boren, empfing er seine vielseitige wissen-
schaftliche Ausbildung in Montreal und
London. Seit 1873 war er in überaus
; rühriger Weise bei der Geological and
Natural History Survey of Canada thätig,
und 1895 wurde er zum Direktor dieser
Anstalt ernannt. Trotz seiner Körper-
Bchwäcbe stand er bei der wissenschaft-
lichen Pionierarbeit jederzeit in vorderster
Reihe, und besonders grofse Verdienste
erwarb er sich um die Erforschung der
pazifischen Inseln, Britisch-Columbias und
der Nordwest-Territorien. Aufser den tek-
tonischen und morphologischen Verhält-
nissen fal'ste er dabei namentlich auch die
wirtschaftlichen Hilfsquellen und Kultur-
möglichkeiten scharf und kritisch ins Auge,
und die von ihm geführte Yukon-Expedi-
tion im Jahre 1887 lenkte unter anderm
auch die Aufmerksamkeit zuerst auf die
Goldvorkommnisse des Klondike. Mit
gutem Fuge führt daher die Hauptstadt
dieser Landschaft von ihm den Namen
Dawson City. Unter seinen litterarischen
f Arbeiten heben wir neben seinen zahl-
reichen amtlichen „Reports" namentlich
seine grofse Abhandlung „On the later
physiographic Geology of the Rocky Moun-
i tains" in den Transactions of the Royal
Society of Canada VTH) und seinen Beitrag
zu der „Elementary Geography of the British
Colonies" ^London 1892 ) hervor. E. D.
BUclierbesprechungen.
0., Kars, Der einstige zweite Mond
der Erde als Urheber aller irdi-
schen Entwickelung. Berlin,
M. Schildberger. 1900. 61 S.
Eine neue Weltanschauung lehrt uns
diese Schrift; der Verf. geht aus von der
Bteten Veränderung der Erde und ihrer
Bewohner, aber er negiert die geltenden
Theorien von der Vererbung und dem
Kampf ums Dasein. „Welchen wider-
natürlichen Gebrauch machen Fakire und
Schlangenmenschen von ihren Gliedmafsen !
Hören sie dadurch auf*. Menschen zusein?
Haben sie auch nur ein einziges Organ
mehr oder weniger als andere Menschen?"
Nein, alle Fortentwickelung und Vervoll-
kommnung ist nur zurückzuführen auf
einen Mondfall.
Im Anfang stand die Erde still, von
zwei Monden und langsamer von der
Sonn«' umkreist, so in eine Tag- und eine
Nacht-, eine Land- und eine Wasserhälfte
geteilt. Nach einmaliger Umdrehung der
Sonne hat sich eine geologische Formation
gebildet. An den Küsten begann die
Kntwickelung einer Vegetation, die einst
zu üppiger Blüte gelangte, aber bei
weiterer Drehung der Sonne „vertrocknete,
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Bücherbesprechungen.
231
verkohlte alles. Die Zeit nennen wir die
Karbonzeit, denn aus den verkohlten
Biesengewächsen jener Zeit ist die Stein-
kohle entstanden".
Durch die Anziehungskraft der Monde
wurde das Wasser gegen die Küsten ge-
trieben und durch den fortwährenden ein-
seitigen Anprall desselben geriet endlich
die Krde in Drehung. Der zweite Mond
näherte Bich dabei allmählich der Erde,
seine Anziehungskraft wurde gröfser und
bewirkte „eine veränderte Lagerung der
Moleküle, so dafs sich aus an der Scholle
klebenden, festgewachsenen Formen all-
mählich freie, gehend, hüpfend, fliegend
über den Erdboden sich erhebende Ge-
schöpfe entwickeln konnten". Zuletzt
stürzt« er auf die Erde herab und der
australische Kontinent Neu-Holland ist
der über die Erdrinde hervorragende
Teil des herabgefallenen Mondes". Denn
woher anders könnte die eigenartige
dortige Flora und Fauna rühren, denn
vom Monde? Es wäre interessant, zu
wissen, ob der Verfasser auch aus Neu-
Holland stammt. Dr. Fritz Wiegers.
GUother^ Stegiuiind, A. v. Humboldt,
Leop. v. Buch. Geisteshelden.
39. Band. Mit zwei Bildnissen. Berl.,
Ernst Hofmann & Co.
Der Verfasser giebt zuerst einen ge-
drängten überblick über den Stand der
Naturwissenschaften und der Geographie
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Es war eine Zeit der Gährung in den
einzelnen Wissenschaftsgebieten, hervor-
gerufen durch bedeutsame Entdeckungen,
durch neue Ausblicke und Ziele. Auf
dieser Grundlage zeichnet der Verfasser
zunächst ein Lebensbild Alex. v. Hum-
boldts unter Benutzung eines reichen
Quellenmaterials, das in den am Schlüsse
zusammengestellten Anmerkungen eine
willkommene Zugabe bildet. Das Büchlein
ltU'st uns in der Darstellung der Jugend-
und eigentlichen Lehrjahre, die der Ver-
fasser mit Humboldt's Abgange von der
Freiberger Akademie als abgeschlossen
betrachtet, in klarer Weise erkennen, wie
die in einem günstigen Zeichen stehende
wissenschaftliche Entwicklung, besonders
in Göttingen, den unermüdlichen Jüngling
mit den hervorragendsten Männern seiner
Zeit bekannt machte und in ihm die
Keime zu seiner späteren Tbiitigkeit legte.
In den folgenden Kapiteln schildert uns
der Verf., nachdem er die äufserst frucht-
bare Thätigkeit Humboldt's in preufsischen
Staatsdiensten als Oberbergmeister der
fränkischen Erwerbungen angemesseu ge-
würdigt hat , die rastlosen Wanderungen
in Italien, Deutschland, Frankreich, endlich
die amerikanische und asiatische Heise.
Daran schliefst sich ein Bericht über die
Abfassung der Heisewerke und Humboldt's
Wirksamkeit in Berlin. Die Darstellung,
welche mit einer Fülle interessanter Brief-
stellen gewürzt ist, zeigt uns nicht nur
Humboldt's erstaunliche Gelehrsamkeit
und Arbeitskraft, sondern es tritt uns
hier eine Persönlichkeit entgegen, die
durch edle Eigenschaften des Gemütes
und Herzens uns auch menschlich nahe
gerückt wird. Der Verf. läfst in weiser
Beschränkung des umfangreichen Stoffes
alle bedeutsamen Züge im Leben Hum-
boldt's zur Geltung kommen, auch wird
seines Verhältnisses zum Berliner Hofe
und zu den in Preufsen herrschenden
Anschauungen treffend Erwähnung gethan.
Bei der am Schlüsse stattfindenden Zu-
sammenstellung der Forschungen und
Ergebnisse hat der Verf. nicht versäumt,
die hohe Bedeutung Humboldt's auch für
die gegenwärtigen Geschlechter gebührend
hervorzuheben.
Der zweite Teil giebt einen Lebens-
abrifs des in vielen Beziehungen mit
Humboldt vergleichbaren Geologen Leo-
pold v. Buch. Mit vielem Interesse lesen
wir, wie bei ihm die neptunistische An-
schauungsweise von der Gebirgsbildung,
wie sie der Altmeister Werner in Freiberg
lehrte, allmählich, unter hartem innern
Kampfe, der plutouistischen den Platz
räumen mufste, besonders auf Grund der
Beobachtungen im südlichen Italien, in
der Auvergne, auf den Canarien, in
Schottland, Irland, Schweden und in
den Alpen. Mit Hecht betont der Verf..
dafs Leop. von Buch's Naturanschauungen
und Forschungsergebnisse, mit denen die
heutige Wissenschaft in vielen Stücken
nicht mehr übereinstimmt, doch bedeutsam
für die Entwickeluug der Geologe und
physischen Geographie gewesen sind, dafs
in Buch's Irrtümern „doch in der Hegel
auch Quelle und Urgrund eines Fort-
schrittes" lagen. Den Beweis für die
Richtigkeit dieser Behauptung giebt der
Verf. in den Schlufskapiteln, wo er Buch's
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232
Bücherbesprechungen.
Verdienst« um die einzelnen Zweige der
Naturwissenschaften skizziert und die
reellen Werte hervorhebt, durch welche
auch unsere Generation zum Danke und
zur Wertschätzung dieses Mannes ver-
pflichtet ist.
Die Lebensskizzen solcher Gcistes-
helden, wie Alex. v. Humboldt und Leop.
v. Buch es gewesen, haben den Vorteil,
den Leser auf zwanglose Weise in den
Ideenkreis eines groben Zeitabschnittes
einzuführen und ihn mit den geistigen
• »rölsen und Erungenschaf'ten dieser Periode
bekannt zu machen. Diesen Nutzen
gewährt das Büchlein in reichem Mafse
und ist deshalb eine recht angenehme
und lehrreiche Lektüre.
Dr. J. Grund mann.
Thllinen, Emil Ton, Berühmte Ent-
deckungs- und Forschungs-
reisende des 19. Jahrhunderts.
Original - Beiträge geographischen,
ethnographischen und kolonialen In-
halts. Manuskripte, Briefe, Charak-
teristika. Mit einem biographischen
und chronologisch-topischen Lexikon
bearbeitet von E. von Th. Kommis-
sionsverlag vom Deutschen Druck- und
Verlagshaus, Berlin. 11MR).
Das Buch entspricht ganz seinem
Titel, es ist ein ausgeschütteter Zettel-
kasten voll der heterogensten Briefe,
Briefabschnitte, Auszüge aus Beden und
Stücken vou Abhandlungen. Die Haupt -
anordnung scheint zunächst ganz an-
gebracht : Polarforschuug, Asienforschung
u. s w. die anderen Erdteile. Als An-
hang zur Afrikaforschung findet man
aber z. B. „Wissenschaftliche Periplus",
d. h. aufser einigen Worten Thüinen's
zwei Briefe zur Krusenstern'schen Welturn-
seglung. Dann folgt ebenfalls noch unter
der Hauptabteilung Afrikafurschung: „Po-
puläre Periplus", Keisebriefe von Ger-
stäcker (aus der Südsee), Graf Pückler,
Krhr. v. Hübner und Brehm. Den schön-
sten Schlafs der Afrikaforschung bildet
aber der Artikel „Weibliche Forschungs-
reisende", enthaltend — einen Brief Ida
Pfeitfers aus Rio Janeiro.
Den zweiten Teil S. 185-272 bildet
das „Biographische Lexikon berühmter
Entdeckung«- und Forschungsreisender des
19. Jahrhunderts". Es ist ziemlich in-
haltreich und daher in manchen Fällen |
als bequemes Nachschlagebuch sehr
wohl zu verwerten. Was hat aber Carl
Ritter unter den Forschungsreisenden zu
thun ? An die Forschimgsreisenden sehliefst
sich noch eine „chronologisch - topische
( bersicht der wichtigsten Entdeckungs-
und Forschungsreisen desli) Jahihuuderts"
an, die in 72 geographischen Rubriken
eine Art Geschichtstabelle der Ent-
deckungsreisen des ID. Jahrhunderts, für
manche Gebiete aber schon vom ersten
Entdeckungszeitalter an , giebt. Auch
diese Tabellen können benutzt Werden.
Hätte der Verfasser sich auf diese beideu
Abschnitte seines Buches beschränkt und
dieses dann auf weniger schlechtes Papier
drucken lassen, so könnte sein Buch als
brauchbares Hilfsmittel empfohlen werden.
So aber wird er die Beobachtung, „dafs
der Plan (des Buches) nicht von allen ver-
standen wird" (Vorwort S. XIII), wohl
noch recht oft machen müssen.
Heiur. Fischer.
Forel, F. A., Handbuch der Secn-
k u u d e. Allgemeine Limnologie. vBibl.
geograph. Handbücher.) Mit 1 Tafel
und 10 Abbild. Stuttgart, 190t
Dafs die Seenkunde in der jüngsten
Zeit sich so bedeutend entwickelt und
vertieft hat, verdankt sie in erster Linie
«ler rastlosen Thätigkeit F. A. Forel's,
den man mit Recht neben Simony stets
als den Altmeister auf diesem Gebiete der
Forschung bezeichnet hat. Es giebt kaum
ein Problem der Limnologie, an dessen
Lösung dieser Forscher nicht irgendwie
beteiligt ist. Mit Freuden werden es
daher seine Fachgenossen und alle Geo-
graphen begrülsen, dafs gerade er von
Ratzel für die Bearbeitung einer all-
gemeinen Limnologie, die uns im Rahmen
der bekannten geographischen Hand-
bücher noch fehlte, gewonnen wurde.
Das betreffende Handbuch liegt jetzt vor
und kann allen Freunden der Erdkunde
empfohlen werden. Es ist allerdings kein
Handbuch in dem landläufigen Sinne,
kein (juellenwerk, in dem mau über alle
limnologischen Fragen erschöpfende Aus-
kunft erhält, aber es ist ein vortreffliches
Lehrbuch, das namentlich denen, die sich
nur aus allgemeinem erdkundlichen In-
teresse mit der Seenkunde beschäftigen,
grofsen Nutzen bringen wird. Es zeigt
|auf jeder Seite den Fachmann, der den
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Bü ch erb esprechu ngen.
233
Gegenstand vollkommen beherrscht, Dafs
:'n einzebien AbHchnitten die persönliche
Anschauung des Verfassers vielleicht
etwas zu sehr in den Vordergrund tritt,
findet in diesem Umstände ohne weiteres
seine natürliche Erklärung. Bedenkt man
aber, in welcher Weise Forel die Linino-
logie beeinflufst hat, so kann man in
der mehr subjektiven Behandlung des
Stoffes kaum noch einen Fehler sehen,
bin grofser Teil unserer hm tu »logischen
Kenntnis ist eben Forel's Werk, und es
müfste daher auch jeder andere Verfasser
den Stoff in dem gleichen Sinne behandeln,
wie es Forel gethan bat. Freilich für den
Fachmann selbst reicht es nicht immer aus,
dieser verlangt und erwartet von einem
Handbuch etwas mehr, als es Forel ge-
boten hat. Dessen ist sich der Verfasser
aber auch selbst hewufst. Wie aus Vor-
wort und Einleitung des Buches hervor-
geht, soll dieses durchaus kein Handbuch
der allgemeinen vergleichenden Limno-
logie sein, sondern nur eine Darstellung
samtlicher auf die Seen bezüglichen Be-
obachtungen, Gesetze und Theorien
bringen. Diese Aufgabe hat Forel auch
gelöst. Es ist in seinem Werk alles ent-
halten, was wir dem Bereiche der Seen-
kunde zuordnen. Auf Einzelheiten ein-
zugehen ist hier nicht der Ort; es würde
den Referenten vermutlich ebenfalls zu
allzu subjektivem Urteil verleiten. Unsere
Ausführungen dürften ausreichend den
Leser über den hohen Wert dieses ersten
„Lehrbuches" der Limnologie unterrichten.
W Ule.
* Beschreibung des Oberamts
Kotten bürg. Herausgegeben von dem
K. Statistischen Landeaamt. 18«Uu. lyoo.
VIU ÖÖ8 u. VI 419, Anhg. 108 S., mit
Karten und Bildern im Text.
In zwei stattlichen Bänden liegt nach
längerer Pause eine Fortsetzung der
neuen Ausgabe der ausführlichen Landes-
beschreibung von Württemberg vor, wel-
che diesmal wieder einem Bezirk
des Scbwarzwaldkreises gewidmet ist.
Anlagen und Einteilung sind auch bei
diesen beiden Bänden die früheren ge-
blieben, sodafs hierfür auf die Anzeige
de« Bandes Cannstadt (Jahrgang II
S. 124 der Geogr. Zeitschr.j verwiesen
werden kann. Im ersten, allgemeinen
Teil sind von besonderem geographischen
Interesse die Abschnitte über die Ge-
wässer (bes. zu beachteu die Mitteilungen
über die starken Kohlensäuresprudel und
— nicht - vulkanischen — Motetten im
Neckarthal» und über die geologischen
Verhältnisse (m. Profil; zu beachten die
Angaben über Thalbildungen und ältere
Höhenschotter ). Von besonderer Wichtig-
keit für die Volkskunde sind die sehr
eingehenden Abschnitte über Abstammung,
Mundart und namentlich den Volks-
charakter Sitten, Gebräuche, Glaube
und Sagen), für die Siedlungsgeschichte
endlich die Abschnitte V Geschichte und
VI Altertümer. Im erstereu sind weit
über den Bezirk hinaus von Bedeutung
die Mitteilungen über die römische Zeit
(Rottenburg-Sumelocenna die bedeutendste
Siedlung des Decumatlandes, ja des ganzen
rechtsrheinischen Anteils von Germania
superior!) Die vor- und nachrömische
Siedlungsgegchichte wird zusammen mit
den im Bezirk zerstreuten Römerplätzen
und der sehr gründlichen und wertvollen
Darstellung der Kömerstrafsen im Ab-
schnitt über die Altertümer behandelt,
wo auch die im Lauf des Mittelalters
und der neueren Zeit in Abgang ge-
kommenen Wohnplätze u. s. w. Berück-
sichtigung finden. Der zweite Band ent-
hält die ausführliche Beschreibung der
heutigen Wohnplätze, ihrer sozialen Ver-
hältnisse, ihrer Geschichte u. dergl. Den
Schlufs bilden ein ausführliches Höhen -
Verzeichnis sowie statistische Tabellen.
Die Ausstattung der Bände mit Karten
und Illustrationen ist, der frühgeschicht-
lichen Bedeutung des Bezirks entsprechend,
recht reichlich. An grölseren Beilagen
sind vorhanden eine Karte des Bezirks
(1 : 1O0OOU, Ausschnitt aus der K. d.
Deutschen Reiches, weit über die Gren-
zen des Bezirks reichend), die zugleich
als blaue und rote Einträge die vor-
römischen, römischen und nachrömischen
Altertümer enthält, prähistorische Rtug-
wülle, Hügelgräber, Hochäcker, Römer-
Strafsen und -Gebäude, alemannische
Gräberfelder, interessante Flurnamen etc.
Sodann ist beigegeben ein umfangreicher
Plan der Stadt Rottenburg nebst Um-
gebung tl : 6000 , mit roten Einträgen
für Römisches, und endlich eine Ent
fernungstabelle der Ortschaften.
Von Illustrationen enthält der erste
Teil wesentlich Darstellungen der prühisto-
Geographiiche ZeiUchrift. 7 Jahrgang. 1901. 4. Heft.
IG
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234
Büch erb esprechungen.
rischen uud römischen Funde, daneben,
für den Geographen besonder« interessant,
in Facsimiledruck einen Ausschnitt aus
dem wirteuiberglischen Atlas von 167n
( von Gadner? mit bemerkenswerter Ge-
ländedarstellung und desgleichen drei
aus dem grofsen Forstkarteuwerk Kieser's
16H3 in 1 :825G mit sehr naturgetreuen
perspektivischen Ansichten dcrOrtschaften,
Kirchen etc. Der zweite Teil giebt eine
gröTsere Anzahl Bilder von Rottenburg
und den übrigen Orten des Bezirks, die
aber leider nicht auf Lichtbildern be-
ruhen, also kein wirklich treues Bild
bieten, wie es für ein solches Werk
allein angängig wäre; zudem tragen weit-
aus die meisten den Charakter der
Dilettantenarbeit; daneben finden sich
einige gute Trachtenbilder nach Photo-
graphien.
Alan kann die trefflichen und dabei
so erstaunlich wohlfeilen Bände nicht
aus der Hand legen ohne das Gefühl
tiefen Bedauerns, dafs eine derartige
staatliche Fürsorge für landeskundliche
Forschung in Deutschland so wenig
weitere Verbreitung hat, selbst in Bundes-
staaten, die wesentlich bessere Finanzen
aufzuweisen haben als das nicht eben
reiche Württemberg K.
Langhaus, Paul, Verkehrskarte von
Kuropa, Nordafrika und dem
Morgenland, bearb. mit bes. Be-
rücksichtigung der deutscheu Inter-
essen. Gotha, J. Perthes. Preis 8 M ,
aufgezogen mit Stäben 12 M.
Die schöne Karte, deren erster Anblick
das Auge besticht, ist vielleicht etwas zu
zart für eine Wandkarte beim Massen-
unterricht, aber vorzüglich zur Haus- und
Komptoirkarte geeignet. Ihr Inhalt ist so
reich, dal's sie vielfach nicht blol's der
Vcranschaulichuug, sondern geradezu der
Belehrung dient, ohne deshalb an der
Klippe des Zuviel zu scheitern, der sie
allerdings mitunter nahe kommen mufs.
In eine politische Karte ohne Terrain
linden wir eingezeichnet: die Post-
dampferlinien (das Land durch Farben,
die Linien durch beigesetzte Buchstaben
bezeichnet;, die anderen, wichtigeren
Schiffahrtslinien, die Kabel (mit
Unterscheidung der deutschen, englischen
und übrigen) und die Anschlufslinien des
Landtelegraphen, die wichtigsten Eisen-
bahnlinien mit Hervorhebung der Luxus-
(KxprelVizugs- und der Schnellzugslinien
durch verschiedene Farben. Die mit
Dampfschitfen befahrenen Flufs- und
Kanalstrecken, die Sitze der deutschen
und österreichisch -ungarischen Konsu-
late, und die mit Deutschland in regel-
mäfsiger Schiffsverbindung stehenden Orte,
die Häfen mit Dockgelegenheit und die
Kriegshäfen sind bezeichnet. Kothe Ziffern
bei festländischen Orten bezeichnen die
Entfernungen in Stunden von Berlin,
bei Dampfschiffsrouten die Fahrt dauer
in Tagen zwischen den angelaufenen
Häfen. Auf dem Lande sind diese Ziffern
mitunter schlecht lesbar und fehlen bei
Orten, wo man sie erwarten dürfte, mit-
unter (Wien . Sehr hervorzuheben ist die
grofse Zahl von Nebenkärtchen, welche
Häfen , festländische „Umschlagplätze",
Meerengen und Schiffahrtskanäle darstel-
len. Sie sind, soweit sie Städte vorführen,
keine Pläne, sondern heben die bewohnten
Flächen deutlich durch rote Farbe her-
vor und bezeichnen innerhalb derselben
die Lage wichtiger Objekte, Docks, Um-
schlags- uud Landungsplätze, Bahnhöfe,
Konsulate, Postanstalten der mittel-
europäischen Mächte u. dgl. Schliefslich
sind auch noch am Rand die in dem um-
fafsten Gebiet für die Kisenbahnzeiten
mafsgebeudeu Meridiane, die Handeis-
Haggen der wichtigsten am europäischen
Handel bet eiligten Staaten und die Sehiffs-
flaygen der wichtigsten deutschen Reh-
dereien angegeben.
Wie die Anordnung eminent prak-
tischen Gesichtspunkten folgt, so trägt
auch die Auswahl den deutschen Inter-
essen besonders Rechnung. Neue, wicht ige
Linien, die noch nicht eröffnet sind, finden
sich mitunter eingezeichnet, so die Bahn
Gcllivare-Ofoteu. Warum fehlt aber z. B.
der Petersburg - N izza - Exprefs ? Ferner
scheint mir in Bezug auf manche Schiff-
fahrtsverbindungen die Auswahl etwas
streng. Das Prinzip, die K üstenschitf-
fahrtslinien der einzelnen Staaten nus-
zuschliefsen, ist nicht einmal immer zu
gunsten derjenigen mit Postbeförderung
durchbrochen, z. B. nicht für Dalmatien,
Schweden, Finnland etc., wohl aber für
Norwegen. Es fehlt eine so wichtige
Verbindung, wie Fiume-Ancona; es fehlen
die Fahrten Kopenhagen - Lübeck und
Kopenhagen -Stettin, die für diese deut-
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H ü c h o r b e s p r c c h u u g o n.
235
sehen Häfen nicht unwichtig sind. Die
Hervorhebung dieser Beispiele soll nicht
den Wert der Karte herabsetzen. Sie
«oll nur darauf hinweisen, dafs auch diese
Karte uur eine Auswahl des Wichtig-
sten bringt, was man bei der Reichhaltig-
keit des Inhaltes kaum sofort erkennt. Und
ich möchte allerdings für eine Neuauflage
den prinzipiellen Wunsch äufsern, dafs
solche Linien, welche die eiuzige Ver-
bindung zweier Länder darstellen, auf-
genommen werden, auch wenn ihre abso-
lute Bedeutung gering ist , und dafs der
Seeverkehr von Ländern, die wie Dal-
matien, nur oder doch fast nur auf dem
Wasserweg erreichbar sind, wenigstens
schematisch angedeutet werde,
Sieger.
Schlechter, R., Westafrikanische
Kautschuk - Expedition. (Berlin
1900. VI u. 326 S. Mit 13 Taf. u
14 Abbild, im Text.) Jt 12 -
Die gefährdete Luge des Kautsehuk-
marktes wegen des Raubbaues der Ein-
geborenen und der grofsen Nachfrage
nach Kautschuk veranlagte das Kolonial-
Wirtschaftliche Komitee im Frfihjahr 1*99
eine Kautschuk-Expedition unter Führung
des Botanikers und Kautachukinspektors
R. Schlechter auszurüsten, um die besten
Kautschukvarietäten aus fremden Erd-
teilen nach den deutschen Schutzgebieten
überzuführen und eine goregelte Kaut-
schuk-Orofskultur in Kamerun und Togo
in die Wege zu leiten. l>er Leiter der
Expedition giebt hierüber in dem vor-
liegenden Buche Auskunft,
Während im 1. Kapitel S. 1— 28) die
Vorbereitungen zur Reise, Ausreise und
Yoruba- Expedition besprochen werden,
sind die folgenden 4 Kapitel der eigent-
lichen Reise gewidmet und zwar be-
handeln :
2} Aufenthalt in Kamerun, Heise nach
und auf dem Kongo (S. 29— 79 >.
3) Sanga-Ngoko- Reise uud Rückreise
nach Kamerun (S. 80— 134 .
4) Kamerun- und Bakossi - Expedition
(S. 135—180).
5) Togo -Reise und Heimreise (S. 181
bis 226).
Schon in diese Abschnitte sind natur-
gemäfs Beobachtungen über den Zweck
des ganzen Unternehmens und auch solche
über die Natur der durchreisten Gebiete
eingestreut. Solche sind aber besonders
in den letzten Abschnitten des Buches
enthalten, namentlich in Kapitel 6: All-
| gemeines und Untersuchungen ('S. 227
.bis 249 . Diesem sind anhangsweise bei-
I gefügt: Anhang I: Denkschrift des Herrn
Prof. Dr. 0. War bürg1) zur Begründung
der Kautschuk- Expedition (S. 250—254).
Anhang II: Gutachten über die von Lagos
eingesandten Kautschukproben d. ehem.
Laborat. f. Handel u. Industrie (Dr. R.
Henriques. Berlin S. 255—259). End-
lich behandelt Kap. 7 die botanischen
Ergebnisse der Expedition S. 260 — 326).
Zuletzt lälst Verf. ein Verzeichnis der
mit Hilfe der Beamten des Berliner bot.
iMuseums und anderer Botaniker be-
stimmten gesammelten Pflanzen folgen.
Auf dies kann hier natürlich nicht ein-
gegangen werden.
Es zeigt aber das Gesagte*) schon zur
(Senfige, dafs das Werk durchaus nicht
nur für Kautschuk-Interessenten Wert hat,
sondern auch in wissenschaftlichen Kreisen
Beachtung verdient.
F. Höck (Luckenwalde).
* Karte über den Stand des
Eisenbahnbaues in Afrika 1900.
Mit erläuterndem Text. Berlin, D. Rei-
mer 1901. 1— JL.
Aus der vorliegenden kleinen Karte
und den in kurzen Strichen abgefafsten
Erläuterungen läfst sich mit Klarheit der
jetzige Stand des Eisenbahnbaues in
Afrika übersehen. Besonders kann das
kleine Schriftchen allen denjenigen em-
pfohlen werden, die sich über die Not-
wendigkeit eines lebhafteren Bahnbaues
in unseren Kolonien, besonders in Ost-
Afrika überzeugen wollen, da in dem
Vorliegenden gerade darauf hingewiesen
wird, was in dieser Umsicht die fremden
Staaten in den angrenzenden Kolonien
thun und welcher Schaden Deutsch-Ost-
Afrika durch weitere Versäumnis zuge-
fügt werden kann. Kürchhoff.
1) Zur Ergänzung bezüglich der Sta-
tistik über Kautschukexport in allen in
Betracht kommenden Ländern wird ver-
wiesen auf Warburg: Die Kautschuk-
pflanzen und ihre Kultur. Berlin I9oo
Kolonial-Wirtschaftliches Komitee. Unter
d. Linden 40 1.
2) Vgl. auch Neuigkeit S. 224 f.
16*
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236
B ü c h e r Ii 6 s p r e e h u n g e n.
Schwan, Franz t., Turkcstan. Die
Wiege der indogermanischen
Völker. Mit einem Titelbild in
Farbendruck, 178 Abbildungen und
einer Karte. 606 S. Illustrierte Biblio-
thek der Länder- und Völkerkunde.
Freiburg i. B ., Herder. l'JOO.
Der Verfasser war 15 Jahre lang als
Astronom in Taschkent thiitig und hatte
Gelegenheit, auf vielen Dienstwegen das
umliegende Gebiet zu studieren. Was er
dabei erlebt und beobachtet hat über
Land und Leute, findet eine ansprechende
Darstellung. Gewisse ethnographische und
geologische Ansichten, die der Verfasser
in seinem Buche: Sintflut und Völker-
wanderungen ausgesprochen hat, sollen
hier eine nähere Begründung finden; da-
durch ist die Anordnung des Stoffes viel-
fach beeinflufst.
Die Bodenbeschaffenheit Turkestans
wird unter dem Abschnitt Feld- und
Gartenbau auf 5 Seiten behandelt, von
denen 3 Seiten dem Löfs gewidmet sind.
Die vorzüglichen Landschaftsbilder hätten
zu einer eingehenden Behandlung anregen
können.
Leider hat der Verfasser seine ursprüng-
liche Absicht, die Klimatologie Turkestans
einheitlich darzustellen .wieder aufgegeben,
obwohl er besser als jeder andere hierzu
imstande gewesen wäre, und bringt dafür
Auszöge aus den meteorologischen
Tabellen, die eine Menge interessanter
Angaben enthalten. 1H86 betrug die
Menge der Niederschläge 269 mm. die
GröTse der Verdunstung 1102 mm. Auf-
fallend ist die Seltenheit von Gewittern i im
Durchschnitt 8 Gewittertage), ebenso die
Häufigkeit von Windstille. Die heftigsten
Temperaturschwankungen zeigen Februar
und November, am geringsten sind sie im
Juli. Wichtig ist der Hinweis, dafs die
Temperaturschwankungen in den be-
wohnten Oasen wesentlich geringer sind,
als in der umgebenden Wüste.
Sehr ausführlich werden die ethno-
graphischen Verhältnisse der Kirkis-
kasaken und der Sarten behandelt, sowie
das Leben und Treiben der Küssen in
Taschkent; doch tritt hierbei das
Anekdotenhafte oftmals zu sehr in den
Vordergrund. Eine Fülle von interessanten
Einzelheiten und eine grofse Zahl guter
Abbildungen machen gerade diesen Teil
für jeden wertvoll, der Turkestan bereisen
will oder sich über die dortigen Ver-
hältnisse unterrichten möchte.
J. Walt her.
Lauterer, Joseph, Australien und
Tasmanien. Nach eigener An-
schauung und Forschung
wissenschaftl ich und praktisch
geschildert. 168 Abbildungen,
1 Karte. X, 4»2 S. Freiburg i. Br.,
Herdersohe Verlagshandluug. l'JOü.
Der Verfasser ist Arzt in Brisbane
i Queensland) und Mitglied mehrerer wissen-
schaftlichen Gesellschaften sowie auch
Dozent «1er Botanik an zwei höheren
Fachschulen und hat, wie er in der Vor-
rede mitteilt, die ganze einschlägige
deutsche, englische und französische
Litteratur vergleichend benutzt, dabei
aber die in derselben vorkommenden
Irrtümer richtig gestellt, So erhebt sich
sein Werk, wie er meint, über die aller
seiner Vorgänger. Das klingt sehr selbst-
bewufat. bei näherer Prüfung wird man aber
finden, dafs diese Selbsteinschätzung doch
einiger Einschränkung bedarf. Das Buch
zerlallt in 11 Abschnitte. Die drei ersten
kürzesten schildern die Ausreise von
Antwerpen auf einem Dampfer der
Sloman-Linie nach Queensland. Sie sind
fenilletouistisch gehalten. Dann folgt die
Entdeckungs- und Staatengeschichte, die
viele Falschschreibungen und Unrichtig-
keiten enthält, was wohl zum Teil auf
ungenaue Benutzung der herangezogenen
Quellen zurückzuführen ist. Die nach-
folgenden Kapitel, welche die Struktur
und Bodengeschichte Australiens, die
Klimatologie und Meteorologie, Pflanzen-
welt und Tierwelt behandeln, sind populär
im besten Sinne des Worts. Doch hören
wir von den so charakteristischen Vege-
tatioiisformen des Scrub wenig und die
Schilderung des Innern Westaustraliens
uud des daran stofsenden Südaustraliens
wird den Leser sicher zu falschen
Schlüssen verleiten. Die australische
Wüste mufs eben betreten werden, um
richtig verstanden zu werden, denn sie
ist keine Sahara und keine Gobi, obwohl
sie vieles mit beiden gemein hat. Der
kleine moloch horridm findet sich nicht
nur in Westaustralien, er ist auch im
Innern Südaustraliens recht häufig. Sehr
eingehend und mit viel Liebe sind die
Eingeborenen des Australkontinents be-
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Neue Bücher und Karten.
237
handelt, es liegen da ja auch umfangende
vortreffliche englische Arbeiten vor. Wohl
der schwächst« Teil de« Buches ist der,
welcher sieh mit den Kolonisten be-
schäftigt. Hier lag gerade eine recht dank-
bare Aufgabe vor. Wir hören nur wenig
von der Erwerbsthatigkeit der Kolonisten,
die Goldgräiberei ausgenommen, wobei
uns von einem Goldklumpen erzählt wird,
der den Finder, einen erwachsenen Deut-
schen, an Höhe übertraf (sic!\ aber von
der weit wichtigeren Schaf- und Hinder-
zucht, vom Ackerbau vernehmen wir wenig,
vom Handel, von der jungen aufstrebenden
Industrie gar nichts. Hübsche Schilde-
rungen begegnen wir aber auf Gebieten,
auf denen der Verfasser wirklich zu
Hause ist: von Queensland und den be-
nachbarten Distrikten von Neusüdwale«.
Was der Verfasser von unseren Lands-
leuten zu berichten hat, ist dürftig, und
was er von denen sagt, die nicht, wie
er, katholischen Glaubens sind, nicht
schön, zudem sehr ungerecht. Dafs fast
alle jungen Leute Australiens zu Mäfsig-
keitsvereinen gehören, dürften ihm wenige
glauben. In dem Schlufskapitel, das die
Topographie Australiens behandelt, wird
man ein sehr gut gruppiertes Verzeichnis
aller bedeutenden Orte der Kolonien mit
einer meist ganz vortrefflichen Charakte-
ristik finden. Warum ist aber Bröken Hill,
die reichste Silbergrube der Welt, in Neu-
südwales nur so obenhin und zwar bei
Südaustralien genannt V
E. Jung (Eisenach).
Neue Bücher
Zusammengestellt von
Geicalrute der Geographie.
Detlefsen, D. Die Beschreibung
Italiens in der Naturalis Historia des
Plinius u. ihre Quellen. 62 S. (Quellen
u. Forsch, z. alten Gesch. u. Geogr.;
hrsg. v. W. Sieglin. Heft 1). Leipz.,
AvcnariuB 1901. ^ 1.60
Günther, S. Das Zeitalter der Ent-
deckungen. Mit einer Weltkarte.
144 S. (Aus Natur u. Geisteswelt. 26).
Leipz., Teubner 1901. JC 1. 25.
Allgemeine phynlache Geographie.
Hann, J. Lehrbuch der Meteorologie.
In 8 Lieferungen mit Tafeln, Karten
u. Abb. im Text. Leipz., Tauchnitz
1901. Zu 3.—
Rabot, Ch. Les variations de longueur
des glaciers dans les regions aretiques
et boreales. 250 S. Geneve et Bäle,
Georg * Co. 190O.
Allgemeine Geographie dei Menschen.
Hueppe, Eerd. Ober die modernen
Kolonisationsbestrebungen u. die An-
passungsmöglichkeit der Europäer in
den Tropen. SA. 33 S. Berlin, Hirsch-
wald 1901. Jt 1.—
Krauss, J. Deutsch-türkische Handels-
beziehungen unter besond. Berücksich-
tigung der Handelswege. VII, 114 S.
Jena, Fischer 1901. Jt 2, 50.
und Karten.
Heinrich Brunner.
Nübling. Eug. Die Handelswege des
Mittelalters; ein Beitr. z. Frage der
deutschen Weltpolitik. SA. VIII, 50 S.
Ulm, Nübling 1901.
Gröfsere Krdrinme.
Atlas cliniatologique de l'empire de
Russie; publik p. l'Observat. physique
central Nicolas ä l'occas. du 50. anni-
versaire de sa fondation, 1849—1899.
89 cartes, 15 tableanx graph. f°.
St. Petersb. 1900.
Fitzner, Rod. Deutsches Kolonial-Hand-
bueh. 1. Bd. 1. u 2. A. VIII, 4:2 S.
Berlin, Paetel 1901. .<£ 8. —
Maj est Uten, alpine, u. ihr Gefolge;
die Gebirgswelt der Erde in Bildern.
12 Hefte zu 12 Bl. f. München,
Ver. Kunstanstalten 1901. zu „* 1. —
Scobel, A. Velhagon u. Klasing's neuer
Volks- u. Familienatlas in 100 Karten-
seiten. 37 x 49 cm. Farbdr. Biele-
feld, Velh. & Kl. 1901. 20 Lief, zu
-.60.
Karopa.
A r t a r i a ' s Eisenbahnkarte von Österreich-
Ungarn; mit Stationsverzeichnis. Wien,
Artaria 1901. Kr. 2. -
Barron, Ls. Les fleuves de la France:
le Rhone. 168 dessins. 303 S. Paris,
Laurens 190O. Fr. 4. —
Digitized by Google
238
Neue Bücher und Karten.
Debei, E. Schulwandkarte von Europa;
im Anschlufs an des Hrsg. Schulatlanten
hearb. 1:3270000. Ausg. mit polit.
Kolorit. Farbdr. 6 Bl. zu »0 x 5* cm.
Leipzig., Wagner & Debes 1901. JL 8.
Odysseus. Turkey in Europe. MapB.
476 S. Und., Arnold 1900. 16 s.
Xltteleiropa.
August in, F. Die Tempera turverhält-
nisse der Sudetenin nder. 2. Tl. SA.
3 Karten. 100 S. Prag. Rivnac Komm.
1900. .<£ 2.40.
Engler, A. Die Pflanzen -Formationen
u. die pflanzengeograph. Gliederung
der Alpenkette . . . Mit 2 Orieutierungs-
karten. 96 S. (Xotizbl. des k. botan.
Gartens zu Berlin. Appendix VII).
Leipz., Engelmann Komm. 1901. JL 2.40.
Haardt v. Hartenthurn, Vinz. Die
Generalkarte v. Mitteleuropa im Mafse
1 : 200000; . . . erläuternd geschildert.
Mit 2 Beil. N. A. 39 S. Wien,
Lechner 1901. JL —.80.
Hochwasserkatastrophe, die, des
Jahres 1900 im österr. Donaugebiete.
(Beitr. zur Hydrogr. Österreichs. Heft
IV). Wien, 1900.
Richter, Gurt, Wandkarte von Elsals-
Lothr. u. der Bayer. Pfalz. 1 : 175000.
79,5x63,5 cm. Farbdr. 4 Bl. Essen,
Baedeker 1901. Ji 12. —
Sieger. R. Geographischer Jahresbericht
über Österreich. III. Jahrg. 1H9G. Wien,
Ed. Hölzel 1901. 13K S. Geh. Kr. 4. —
Stromgebiete, die, des Deutschen
Reichs; hydrograph. u.orogr. dargestellt,
mit bes. Verzeichnis der deutschen
Wasserstraßen. Tl. nb: Gebiet der
Weser. 3 Karten, 3 Taf. IV, 105 S.
(Statistik des deutsch. Reichs. NF.
39 IIb.) Berlin, Puttkammer u. Mühl-
brecht 1901. JL 2. —
Sympher, Reg- u. Baurat. Die wasser-
wirtschaftl. Vorlage; mit Benutzung
atntl. Unterlagen bearb. 3 färb. Karten.
IV, 148 S. Berlin, Mittler A S. 1901.
1.50.
Walser. Herrn. Dörfer u. Einzelhöfe
zwischen Jura u. Alpen im Kant. Bern.
(Neujahrsbl. der litterar. Gesellseh.
Bern auf d. .1. 1901). 46 S. 4°. Bern,
Wyss 1901. Fr. 2. —
Aulen.
Baelz, E. Die Ostasiaten; ein Vortr.
59 S. Stuttg., Wittwer 1901. JL 1. -
Denkschrift betreffend die Entwickelung
des Kiautschou - Gebiet* Okt. 1W99 bis
Okt. 1900. 3 färb. Karten, 5 Taf., 53 S.
4°. Berlin, D Reimer Komm. 1901.
JL. 5. —
Führer nach Ost -Asien, mit bes. Be-
nlcks. des deutschen Schutzgebietes
von Kiautschou. 2 Karten, 25 III. 98 S.
iWoerls Reisehandbücher). Leipz..
Woerl (1901 . J(. —.50.
Hafen, die wichtigsten. Chinas; ein
Handbuch .... hrsg. v. der Dir. der
Deutschen Seewarte. 11 Taf. XI,
2*2 S. Berlin. Mittler & S. 1901.
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F. H. H. Guillemard. III., 2 map«.
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Hahn, Friedr. Afrika; eine all gem.
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Wilh. Sievers verf. 1. A. völlig um-
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Honort5, Maur. Le Transsaharien et la
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Woerl. Leo. Samoa; Land und Leute.
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1901. JL 1-
Compilation of narratives of explo-
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committee on military affairs by
Mr. Carter . . . Karten, Tafeln, III.
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Borchgrevink, C. E. First on the
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Antarctic expedition 1899 1Ö0O. Portr ,
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1901. 10 8. 6 d.
UeourraphUrhrr l'nterrlelit.
Haas. Hippolyt. Anschauungsbilder für
den Unterricht in der Geologie u.
phys. Geographie; gezeichnet von Jul.
Fürst. 30 Taf. zu 45 x 60,5 cm. Kiel,
Lipsius k Tischer 1901. JL 16 —
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Zeitschriftonschau.
Niebertlings Schul-Geographie; bearb.
v. M. Richter. 23. Aufl. VIII, 2*8 S.
Paderborn, Schöniugh lüOO. I. —
Hu ach, G. Lehrbuch der Geographie für
österreichische Lehrer- u. Lehrerinnen-
Bildungsanstalten. Teil I: für den I.
239
u. II. Jahrgang. II, 320 S. Oft Abb.
Wien, Pichler 1901. Kr. 3.50.
Zeehe u. Schmidt. Österreichische
Vaterlandskunde f. die 8. Gyinnas -
Klasse. VII, 201 S. M. 1 Stammtafel.
Laibach 1901.
Zeitscliriftenseüau.
Petermann's Mitteilungen. 1901. 2.
Heft. Sapper: Beiträge zur Ethno-
graphie des Bildlichen Mittelamerika. —
Schlagint weit: Die Namen des höchsten
Berges der Erde. — B retschnei der:
Das russische Pachtgebiet in der süd-
lichen Mandschurei.
Globus. Bd. LXXTX. Nr. 7. Erd-
weg: Ein Besuch bei den Varopu. —
Unter den Fellachen Gosens. — Höf er:
Fortschritte in d r Datierung der Stein-
zeit. — ten Kate: Eine japanische Rache-
pnppe. — Karutz: Eine schottische
Rachepuppe. — Elfenbeinhandel des
Kongostaates.
Dass. Nr. 8. Buschan: Der Stand
unserer Kenntnis über die Basken. —
Förster: Neues zur Bodenplastik des
äquatorialen Zentral- Afrika. — von den
Steinen: Die Schraube keine Eskimo-
Erfindung. — Ozaki: Yubana die Heifs-
wa88erprobe in Japan. — Förster: Das
Tangauikaproblem und das Runsoroge-
birge.
Dass. Nr. 9. Hutter: Wirtschaftliche
Bedeutung von Nordkamerun. —
Conradt: Das Leben einer deutschen
Hausfrau in Kamerun. — Das Schulwesen
in den deutschen Kolonien. — Kiautschou
im Jahre 1899/1900. — Kannengiefser:
Die deutsche Kolonialschule in Witzen-
hausen a. d. Werra. — Deutschlands
Dampferverbindungeu mit seinen Schutz-
gebieten.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. XXIII. Jhrg. 6 Heft,
v. Hegner- Rezelfeld: Die Reform des
Kalenders in Rufsland. — Dinter: Kreuz-
und Querzüge in Deutseh-Südwejtafrika.
— Nusser- Asport: Expedition Villerobe
vom Ucayali zum Inambari. Die Insel
Ceylon.
Meteorologische Zeitschrift. 1901. 2. Heft,
Mohn: Einige Bemerkungen über die
Schwerekorrektionen der Barometerhöheu.
— Woeikof: Platzregen und grofse täg-
liche Regenmengen. — Schreiber: Bei-
träge zur Hageltheorie.
Zeitschrift für Schulgeographie. XXII.
Jhrg. 5. Heft. Kerp: Die Anregung,
Unterstützung und Leitung der erd-
kundlichen Vorstellungstkätigkeit durch
den mündlichen Unterricht, beziehungs-
weise Vortrag des Lehrers. — Zu den
Grundsätzen für Lehrbücher der Geo-
graphie.
Verhandlungen der Gesellschaft für
Erdkunde zu Berlin. 1900. Nr. 9 u. 10.
v. Erlanger und Neumanu: Reisen
in Nordostafrika.
DiUS. 1901. Nr. 1. Über die Karo-
lineninscl Yap. — Sven Hedin: Reise-
bericht aus Zentralasien.
Dass. Nr. 2. Wahnschaffe: Ur-
sachen der Oberflächengestaltung des
norddeutschen Tieflandes. — über die
Reisen von K. Frhr. v. Erlanger und
Oskar Neumann in Nordostafrika. —
v. Danckelman: Der augenblickliche
Stand der geographischen Aufnahmen am
Kiwu-See.
Zeitschrift der Gesellschaß für Erd-
kunde zu Berlin. 1900. Nr. 4. Penck:
Die Eiszeiten Australiens. — Staven-
hagen: Uber das neueste Militärkarten-
wesen Österreich -Ungarns.
Dass. Nr. 5. Futterer: Land und
Leute in Nordost-Tibet. — v. Eisner:
Die Höhenverhältnisse des Ngaiui-Lande,
nach Dr. S. Passarge.
Mitteilungen der K. K. Geog raphischen
Gesellschaft zu Wien. Bd. XLIII. Nr. 11.
u. 12. Kubitschek: Die Mosaikkarte
Palästinas. — Trampler: Drei Dolinen-
gruppen im mährischen Karst. — L e v a c i c :
Über die Umschreibung des griechischen
S und % in den geographischen Namen
der Balkanhalbinsel.
Das*. Bd. XLIV. Nr. l.u. 2. Heger:
Die Altertümer von Benin.
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240
Zeitschriftenschau.
XVII. Jahresbericht der Geographischen
Gesellschaft in lirrn 1 89« 99 J o c h e 1 s o n :
Die Jukagiren im äufsersten Nordosten
Asiens. — Der».: über die Spruche und
Schrift der Jukagiren. — Sarasiu: Über
unsere Reinen im Innern von Celebes. —
Schumacher: Die Übereinstimmung von
Zeit, Weg undKreisteiluug. — Brück ner:
Die schweizerische Lundschaft einst und
jetzt. — Mann: Kreuz und quer durch
Brasilien. — Wehr Ii: Reisebilder aus
den Anden. — Graf: Über die Schweizer-
karte des Jost von Meggen.
The Geographica! Journal. Vol. XVII.
Nr. 3. In Coinmemoration of the Reign
of Her Late Majesty, Queen Victoria,
Kmpress of India. — Collie: Exploration
in the Canadian Rocky Mountains. —
Murray: A Rathymetrical Survey of the
Freshwater Lochs of Scotland. — Mi 11:
Prof. Pore! on Limnology. — Beazley:
Rockhill's „Rubruquis".
Ilir Scott iah Geographica! Magazine.
1901. Nr 2. A former Ice Age in South
Africa. — Workman: Amid the Snows
of Raltistan. — Regg: Review of the
Alaska Boundary Queetion.
Dam, Nr. 3. Murray and Pullar:
A Bathymetrical Snrvey of the Fresh-
Water Lochs of Scotland. II. — Sharpe:
Trade and Colonieation in British Central
Africa. - F. P. Pullar f.
La Geographie. 1001. Nr. 2. Colin:
Deuz misaions scientitiques sur les cötes
Orientale et occidentale de Madagascar
— Julien: De Ouango ä Mobaye. —
Bonin: Voyage de Pekin au Turkestan
russe. Huber et von Kraatz-Kosch-
lau: Entre l'Ocean et le Rio Guama. —
Barre: 1/ Atlas climatologique del'Empire
de Russie.
Riv. Geogr. Jtal. VIII. Februarheft.
P. Berteiii Studi iutorno ad alcune
ipoteri e teorio geogeniche. — Mari-
nelli: Termini geografici dialettali
raccolti in Cadore. — Oberti: Le
regioni interne dell' Africa Orientale
seondo le ulluire pedizioni. — P. Melzi:
Osservazioni tromometriche dell'osser-
vatorio geodinamico della Kuerce. —
P. A 1 f a n i : II nuovo gabinetto geo-
dinamico dell'osservatioro Xiineniano. —
Mori: II „Giro del Mondo" del Gemelli-
Careri.
The Xatinnal Geographie Magazine.
1901. Nr. 2. Austin: An Around-the- World
American Exposition — Martin: The Cau-
ses, that led up to the Siege of Peking. —
Hubbard: Singan, the Present Capital
of the Chinese Empire. — Cranc: The
Midnight Sun in the Kloudike. - Web-
ster: Japan and China.
Tht Journal of Schoo! Geographg. 19oi
Nr. 2. Davis: üreater London.
Jeffersou: Weather Map Exercisos. —
Norton: Typhical Views inPhysiography.
Ans verschiedenen ZeitschrLfteo.
Dannenberg: Die vulkanischen Er-
scheinungen im Lichte der Stfibelschen
Theorie. Xaturw. Hundsihau. Jahrg.
XVI. 1901.
Schreiber: Orientierende Untersuchungen
über die meteorologisch - hydro-
graphischen Verhältnisse u. die
Wirkungsweise von Stauanlagen im
Gebiete des Weifseritzflusses. 1H94 bis
lxi>7. Abhfllgen d. k. sächs meteor. IhSt.
Heft 5. Felix 1901.
Pockels: Zur Theorie der Nieder-
schlagshildung an Gebirgen. Annalen
der Physik. IV. Folge. Bd. 4. 1901.
Hammer: Direkte Polhühenbestiin-
mung für einen Punkt in Stutt-
gart. Jahresb. d. V. /'. taterl. Naturkde.
in W'ürttemlterg. Bd. f>7. Jahrg. 1901.
Friedrich: Das Brodtener Ufer bei
Wätter.
Travemünde.
Jahrg. 1901.
Hammer: Astronomisches Nivellement
durch Württemberg. Yeröffttitlg. d. k.
uürttemb. Kommission /'. d. internationale
Erdmessung. IV. Heft. 8. VII. 157 S.
18 Fig. 1 Taf.
Garde: Isforholdene i de arktiske
Have 1000. 8. Abdr. d naut. meteor.
Jahrb. d. dän. meteor. Jnst. 17 S.
2 Taf.
Yirtnlu ortlicher HeratuKober: Prof. Dr Alfred Hettncr in Heidelberg.
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Das Meer im Leben der Völker.
Vortrag, gehalten am Institut, für Meereskunde zu Berlin
von Alfred Kirchhoff.
Die ein/ige absolute Großmacht auf Erden ist das Meer. Aus dem
Meeresschofs erst ist das Land geboren worden, das noch heute in insularer
Zerstückelung blofs hie und da den allumfassenden Ozean unterbricht. Nur
das Meer bildet zwischen der Lufthülle und dem Gesteinspanzer der Erde
ein Ganzes, und der Hauptsache nach ist die Erde immer noch ein vom
Ozean umwogter Planet. Auch den geheimnisreichen Ursprung des orga-
nischen Lebens werden wir uns als ein folgenschweres Begebnis der Meeres-
flut aus jener Zeit zu denken haben, da es noch kein Land gab und un-
zertrennt ein einiger Ozean den Erdball umgab als konzentrische Hohlkugel
gleich der ihn selbst eiuschliefsenden der Atmosphäre. Ist aber die Weiter-
entfaltung des irdischen Lebens einheitlich erfolgt, so entstammen selbst die
landbewohnenden Gewächs- und Tierformen bis hinan zum Menschen marinen
Vorfahren.
Durch äonenlange Anpassung an die Daseinsbedingungen aufserhalb
des Meeres hat sich indessen eine tiefe Kluft herausgebildet zwischen land-
und meerbewohnenden Geschöpfen. Zwar Flüsse und Seen, durch ihre
Wassernatur dem Meer wahlverwandtc Elemente des Landes, verwischen in
Ausnahmefällen die sonst so streng eingehaltene Grenze des ozeanischen
Faunareichs; manche Fische sind wie Aale und Lachse geradezu Doppel-
wohner in Salz- und Süfswasser, andere Seefische gewöhnen- sieh allmählich
an das minder salzige Gewässer der Flursmündungen, bis ihre Nachkommen
schließlich, die Stromadern hinaufschwimmend, für die Dauer im Süfswasser
verbleiben, gleichwie der kleine Keulenpolyp in jüngster Zeit erst aus der
Nordsee durch das Brackwasser der Elbmündung in die Elbe und Saale, ja
bis in den Süfsen See bei Eislebeu eindrang. Wale gebären am Land, flug-
kräftige Fischräuber, so der Fregattvogel, der Albatros bewegen sich mit
ihren mächtigen Schwingen Tage lang über hoher See, Tauseude von Kilo-
metern entfernt von der Küste. Trotzdem bleibt der Küstenzug die durch-
greifendste Scheidelinie in der Verbreitung der Lebewesen auf Erden. Und
der Mensch, dessen ganze Organisation darauf hinweist, dafs seine Ahnen
im Tertiäralter früchteverzehreude Waldinsassen gewesen, war selbstverständlich
von Anfang an aussehliefslicher Landbewohner. Der Küstenring der Ostfeste
darf als weitgesteckte Aufsenmauer des Heimatshausps der Urmenschheit
gelten.
ßeographitche Zcil«chrift. 7 Jalirgan« VAU .V Heft 17
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242
Alfred Kirchhoff:
Das Meer kann auf den Menschen, als er es zuerst erblickte, nur ab-
schreckend gewirkt haben mit seiner Ungastlichkeit, mit den jähen Gefahren,
durch die es den nährenden Mutterboden des Festlandes bedrohte in der Ge-
stalt von hoch aufspringender Brandung, überschwemmenden Fluten, furcht-
barem Sturmwetter. Dem weit überlegenen, mit elementarer Gewalt an-
drängenden Feind gegenüber sah sich der wehrlose Mensch zuvörderst in die
Verteidigungsstellung gedrängt, zumal an Flachküsten, wo das Steigen und
Fallen des Meeresspiegels bei Flut und Ebbe Gezeitenströmungen erzeugt,
die weit über die Küstenniederung daherfegen. Plinius hat uns ein drama-
tisches Bild dieses an Urzeiten gemahnenden Kampfes mit dem Ozean
vom deutschen Nordseegestade überliefert, als dieses zur römischen Kaiserzeit
des schirmenden Deichbaues noch entbehrte. Alltäglich, berichtet Plinius,
setzte der Flutstrom dies Land der germanischen Chauken unter Wasser,
dafs die Bewohner, in ihre Hütten geflüchtet, Seefahrern glichen, bis dann
der Ebbestrom einsetzte und die Leute wie Schiffbrüchige aus ihren engen
Behausungen lockte, um Fische aus dem zurückweichenden Meerwasser zu
fangen oder ausgeworfenen Seetorf vom feuchten Wattengrund aufzulesen.
Wir sehen hier den Daseinsstreit des Menschen mit dem Meer schon mit
vervollkommneten Hilfsmitteln geführt; die Chauken hatten sich bereits auf
selbst aufgeführten Hügeln, auf „Wurten", einen festen Baugrund für ihre
Hütten geschaffen, wie noch heute die Halligleute auf den kleinen, darum
uneingedeichten Marschlandinseln vor Schleswigs Westküste solche 'benutzen.
Es brauchte nur noch der „goldene Reif4 des Deichwalles längst der Küste
gezogen zu werden, um den amphibischen Gürtel des Wechselspiels der
Gezeiten als weide- und weizenreichen schweren Marschboden dauernd dem
deutschen Festland zu gewinnen. Man weifs es aus der Geschichte, wie
viel Segen dieser Triumph unseren und den niederländischen Küstenbewohnern
eingetragen hat, seitdem der Friese nach dem letzten Spatenstiche stolz dem
in feste Schranken zurückgewiesenen „blanken Hans" d. h. dem Meer das
Siegeswort zurief „Trutz nun, blank Hans!" und es heifsen durfte: Dens
marc, Batavus litoru freit. Der über den sonst so allmächtigen Gegner er-
zielte Erfolg steifte den freiheitsstolzeu Nacken, und, je unablässiger der
Deichbau gemeinsame Arbeit forderte für seine fernere Instandhaltung, wie
er nur zu gründen gewesen durch thatkräftiges , entsagungsvolles Zusammen-
wirken vieler, desto zählebiger entfaltete sich hinter dieser Festungsmauer gegen
den Tyrannen Okeanos der den selbstsüchtigen Einzelwillen bändigende ehren-
feste Gemeinschaftsgeist, der alle staatliche Ordnung trägt, ganz ähnlich wie
Jahrtausende früher hinter den Damm- und Kanalbauteu am unteren Ho-
angho, in Babylonien oder am ägyptischen Nil.
Ungleich wichtiger jedoch erscheint jener entscheidungsvolle Schritt, den der
Mensch in entlegener Vorzeit that, als er, das Grausen vor dem Unbekannten
bezwingend, sich kühn dem feindlichen Elemente selbst anvertraute, um die
wogende, endlos vor ihm liegende See zu befahren auf gebrechlichem Flofs,
im ausgehöhlten Baumstamm oder im roh aus Hölzern gezimmerten Boot.
Mehr als einmal mag unser Geschlecht, durch ausgedehnte Wanderungen
längst zerspalten in variierte Horden, die einander nicht kannten, angelangt
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Das Meer im Leben der Völker.
243
an der Küste des Meeres, diesen gewichtigen Fortschritt vollzogen haben, der
den Keim zur Herrschaft des Menschen über die Erde in sich barg. Wo
Ströme ins Meer mündeten, konnte man den Versuch wagen, auf Flufsbooteu
die hohe See zu erreichen, anderwärts erzeugt« der Trieb, auf dem Rücken
des Meeres sich dauernder als blofs schwimmend zu bewegen, unmittelbar
jene nachmals so staunenswert hoch entwickelte Kunst des Baues wie der
Führung mariner Fahrzeuge, durch die der Mensch, unter allen Geschöpfen
allein, die" Schranke der Küstenlinie nach allen Seiten und in die weitesten
Fernen zu durchbrechen vermochte.
Was in aller Welt trieb ihn denn aber zu dem tollkühnen ozeanischen
Wagnis V Recht oft wohl der Hunger, dieser finstre, allgewaltige Erzieher
der Menschheit, wie uns schon die nach Fischbeute im Ebbestrom aus-
spähenden Chauken ahnen lassen; oft auch mag die Flucht vor einem über-
legenen feindlichen Stamm in Todesangst erfinderisch gemacht haben, um die
trügerische See als zeitweiligen Zutluchtsraum dem sicheren Ende vor-
zuziehen. Schlug dann aber ein Volksstamm seinen Wohnsitz für die Dauer
am Meercsstrand auf, so vermochte zweierlei ihn zu allmählicher Vertrautheit
mit dem anfangs gefürchteten Element zu erziehen: der Schatz des Küsten- .
meeres an verwertbaren Seetieren und winkende Gegenküsten oder beides
zusammen. Der Nahrungsmangel der Polarlande hätte die Eskimo wohl nie
bis gegen und über den 80. Parallelkreis vordringen lassen; das erwirkte
vielmehr allein die Nahrungsspende des tierreichen arktischen Meeres; wesent-
lich der Seehundsfang war es, der diese beherzten Polarmenschen über die
eisigen Sunde Amerikas bis in den höchsten jemals von Menschen bewohnten
Norden geleitete und sie zu so unübertrefflichen Meistern im Kajakfahren her-
anbildete, dafs ein geschickter, ausdauernder Eskimo die Strecke von Rügen
nach Kopenhagen im Einmannsboot an einem Tage zurücklegen könnte.
Die Kolonisation der Hellenen rückte, den Thunfischzügen entgegengehend,
vom • ägeischen Meer längs dem pontischen Strand vor, wie diejenige ihrer
nautischen Lehrmeister, der Phönizier, durch das Vorkommen der für ihre
Färberei unentbehrlichen Purpurschnecke an den verschiedensten Uferstrecken
des Mittelmeers beeinflufst worden war. Wo auch aufserhalb der Polarwelt
das Binnenland durch Felsenwildnis, Moor und Walddickicht den Menschen
zurückschencht, das Meer dagegen durch Fische, Muscheltiere und Krebse
eine gut beschickte Tafel ihm aufthut, da begegnen wir Völkern, die gleich
Seevögeln sogar fast ausseh liefslich von Seekost leben, am Land nur wohnen;
so am äufsersten Südende der bewohnten Erde den Feuerländern, in dem
ganz skandinavisch von Fjorden zerschnittenen, zu Küsteninseln zerrissenen
Südosten Alaskas den Tlinkit-Indianern, die dermafsen mit ihren trefflich ge-
bauten schlanken Fahrzeugen verwachsen sind, dafs sie nur ungern und un-
geschickt zu Fufs sich bewegen. Bei uns in Europa hat sich gleichfalls ein
ganz überwiegend der Küste angehöriges Schiffervolk aus den Dänen her-
ausgebildet, seitdem ein Teil derselben au Norwegens Strand unter dem
treffenden Namen der Wikinger, d. h. der Fjordeuleute, Sicdelungen gründete
zwischen einem überaus fischreichen Meer und den öden Fjeldeu. Die Nor-
mannengeschichte entroll! uns dazu ein eindrucksvolles Bild, wie kühne Sce-
17*
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244
A 1 f r c «1 Kirchhoff:
fahrer immerdar auch leicht Seeräuber wurden; als solche verlegten die Nor-
mannen ihre Raubzüge bald vom heimischen Strand in ferne Lande, wozu
die freie Weite des Meeres den Mutigen einlud, fuhren die ostenglischen
Flüsse, die Seine, die Elbe, den Rhein hinauf, um Köln zu brandschatzen,
betraten erobernd den Boden Siziliens. Gleichwie in den Wüsten gilt auf
dem Meer der Satz, dafs verführerisch reiche Beute den Wagehals zum Über-
fall lockt, zumal wenn Ortskunde und ein sicherer Bergeplatz des Raubes Erfolg
verheifst. Die dalmatinische Küste, die in der ganzen Flanke der axlriatischen
Schiffskurse eine solche Fülle günstiger Ausfallsthore wie Schlupfwinkel
durch ihre versteckten Felsbuchten und engen Seegassen darbietet, war des-
halb schon im Altertum ein ständiger Sitz der Piraterie, und wenn die
illyrische Königin Teuta den Sendboten Roms auf deren Forderung, das
Kaubhandwerk einzustellen, stolz erwiderte, das gehe Rom nichts an, es sei
einmal bei ihrem Volk so Brauch, hatte das eine gewisse geographische Be-
rechtigung1. Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sondern erzieht auch Räuber-
völker.
Dafs Buchten- und Inselfülle der Küstenmeere die Bewohner nautisch
anregt, ist neuerdings etwas überkritisch angezweifelt worden. Hinter den
glatt verlaufenden, inselleeren Küsten des australischen und afrikanischen
Festlandes wohnten die Eingeborenen seit alters ohne jede Fühlung mit dem
Meer. Man sage doch nicht, der Neger zeige keine Anlage zum Seemanns-
beruf! Wie mancher schwarze Afrikaner hat schon wackre Matrosendienst«
am Bord unserer Schiffe geleistet! Der ganze Küstenstamm der Kruneger
bei Kap Palmas ist sogar dadurch weltbekannt, dafs aus ihm die besten
Schiffsknechte der westafrikanischen Kauffahrtei stammen, allerdings erst seit
diese „Kruboys" in neuerer Zeit von vorüberfahrenden Schiffen der Europäer
zu solcher Arbeit gedungen wurden. Bedeutsam jedoch dünkt es, dafs die
Papelneger Portugiesisch -Westafrikas südlich von Senegambien, dieses ein-
zige selbständig Schiffahrt treibende Negervolk, eben dort sich entwickelt
hat, wo der Bissagos-Archipel der Schlauchmündung des Rio Geba dicht vor-
lagert. Am insel- wie halbinselarmen Küstensaiun Südamerikas trafen die
europäischen Entdecker nichts als Flofsfahrt, abgesehen von den Rinden-
kähnen der Feuerländer; wo dagegen unfern der Orinokomündung die west-
indische Inselreihe an das Festland ansetzt, hatten die Kariben bereits see-
tüchtige Schiffe, die sie mit Steuerruder lenkten und unter Baumwollsegeln
dahingleiten liefsen; sie waren gefürchtete Seeräuber und hatten die Erobe-
rung der Antillen begonnen. An der Westseite Nordamerikas grenzte
wiederum Seeunkunde der Indianerstämrae und hochgesteigerte Seetüchtigkeit
genau da an einander, wo mit der De Fuca-Strafse der Fjordencharakter der
Küste anhebt. Asien wie Europa zeigen uns erst recht die Hauptgebiete
ihrer nautischen Entfaltung an ihren am reichsten gegliederten Aufsenseiten.
Unter den asiatischen Seefahrervölkern von Arabien bis Japan stehen die-
jenigen des umfangreichsten Tropenarchipels in der Mitte dieses Läuderzugs
schon .frühzeitig den übrigen insofern voran, als wir hier bei den Mainyen
den Ursprung zu suchen haben für einen ausgezeichneten Bootsbau und den
Ausgangsort für die ungeheuere Verbreitung dei Malayenras.se über die zahl-
Dan Meer im Leben der Völker. 24f>
losen Inseln der Südsee. Seit vorchristlichen Zeitfernen hat diese allmählich
vollzogene Völkerwanderung über den gröfsten aller Ozeane den nämlichen
Typus des schlanken, oft mit Ausleger gegen das Kentern geschützten Bootes
mit dem scharfen Kiel verbreitet, dessen Ruderkraft durch Mattensegel ver-
stärkt wird, und das die plumpe Walzenform des Eiliba ums hier nirgends
hat aufkommen lassen. Erstanden aber ist dabei die polynesische Abart der
lichtbraunen Kasse, die von allen Zweigen unseres Geschlechts am all-
seitigsten und tiefsten verknüpft ist mit dem Weltmeer, im materiellen wie
im geistigen Leben bis hinan zu Dichtung und Mythus; ewig die balsamische
Seeluft atmend, früher schwimmen lernend als gehen, indem sie als Säug-
linge schon auf dem Mutterann durch den Gischt der Brandung geführt
werden, leben diese Menschen auf ihren schmalen Koralleneilanden ein ganz
amphibisches Dasein, fast wie auf festgeankerten Schiffen in hoher See.
Blicken wir auf den indisch-arabischen Südwesten Asiens, so offenbart uns
das ewige Wechselspiel der Monsune die grofsartige Förderung des Schiffs-
verkehrs über den indischen Ozean; weil immer zur Winterzeit der nörd-
lichen Erdhälfte die Segler so ständig vom Monsun nach Afrikas Ostküste
getrieben wurden wie dann im Sommerhalbjahr wieder heimwärts nach dem
indischen oder arabischen Hafen, vollzog sich in diesem Raum früher als
irgendwo sonst ein befruchtender Völkerverkehr zwischen zwei Erdteilen und
ganz verschiedenen Rassen über landferne See. Von ihm stammt der Ann-
schmuck der indischen Braut aus afrikanischem Elfenbein, die Ausdehnung
des indischen Reisbaues durch arabische Sklavenhändler bis zum Kongo, das
Kisuaheli als arabisch durchsetzte Bantunegersprache, der noch heute rege
Handelsverkehr zwischen Deutsch-Ostafrika und Bombay, das ständige Wohnen
kapitalkräftiger indischer Händler an unserer Schutzküste. Endlich welch
eine glänzende Reihe nautischer Thaten tritt uns im Wandel der Zeiten vor
die Seele, wenn wir hinüberblicken nach Griechenland, Italien, der iberischen
Halbinsel und nach den atlantischen Gestadeländern Westeuropas! Die
Mittelmeersehiffahrt war früher erweckt, indessen die atlantische wuchs schon
im Altertum höher, denn sie hatte zu ringen mit einem ungleich gefähr-
licheren Meer. Mit den soliden Keltenschiffen der Veneter in der heutigen
Bretagne aus dicken Eichenplauken mit eisemen Ankerketten und Ledersegeln
konnten griechische oder römische Kauffahrer uicht wetteifern. Die Jahr-
hunderte hindurch fortgesetzten Uberfahrten der Normannen in ihren grofsen
Ruderkähnen, den schwarz getheerten „Seerappen", von Norwegen nach Grön-
land und zurück sind mannhaftere Leistungen gewesen als die freilich ge-
schichtlich folgenreichere Fahrt der Kolumbus-Karavelen im mhigeren Süd-
meer mit dem Kompafs als Leiter. Den grofsen Vorzug der Lage am ver-
kehrsreichsten aller Ozeane nutzten indessen erst in der Neuzeit für Welt-
handel und Gründung überseeischen Besitzes die vier mittelständigen Laude
voll aus: Frankreich, die Niederlande, England, Deutschland. Für diesen
gewaltigsten Aufschwung des Seewesens mufste vor allem erst Amerika als
weckendes Ziel den Blicken Europas entschleiert werden. Und wenn sich
sodann auch innerhalb der neueu Welt die moderne Gröfse von Schiffsbau
und Seeverkehr dort entfaltete, wo unendliche Waldungen prächtiges Schiffs-
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246
A 1 frort Kirch ho ff:
bauhol/. lieferten, namentlich aber eine feine Küstengliederung Buchten und
Sunde, bergende Flufsmündungshäfen nebst weit ins Land hinein für miifsige
Seeschiffe befahrbaren Strömen darbot, also in Kanada und im Nordosten
der Vereinigten Staaten, so wird man hier ebenfalls der ursächlichen Ver-
knüpfung inne, die zumeist besteht zwischen Naturbegabung der Küstenlande
und seemännischer Bethätigung ihrer Bewohner.
Allerdings wäre es geistlos pseudogeographischer Fanatismus, wollte man
dieses Verhältnis wie einen naturgesetzliehen Zwang deuten. Der Mensch ist
kein willenloser Automat; er verhält sich zu Naturanregungen seiner Heimat
bald wie ein gelehriger, bald wie ein teilnahmloser Schüler. Das Wasser
des heutigen Welthafens von Neu-York diente einst den Indianern blofs zum
Sammeln efsbarer Muscheln; an derselben Sehären käste, die die Norweger zu
so kühueu Schiffern erzog, leben die Lappen weiter als armselige Fischer.
Die Angelsachsen vertieften sich nach der Landung in Britannien so ganz
in die Kämpfe mit den dortigen Kelten, danach in Landbau und Viehzucht,
dafs sie der See völlig den Rücken zukehrten, Alfred d. Gr. seine Schiffe
auf* deutschen Werften bauen lassen mufste. Die meisten Insulaner auf den
Kykladen denken heutzutage nicht an Seefahrt, sondern bauen Weizen,
pflegen die Hebe oder weiden ihre Ziegen. Seit die Holländer wohlhabend
wurden, vernachlässigten sie die von ihren Vorfahren im härteren Daseins-
kampf so viel energischer betriebene Schiffahrt, ja in den belgischen Nachbar-
provinzen Brabant und Flandern öberliefs der Niederländer den auch dort
recht beträchtlichen Seeverkehr seit alters vorzugsweise Ausländern, da ihn
auf seinem fruchtbaren Boden Ackerbau, Gewerbe, Landhandel weit bequemer
nährte.
Wagt es aber der Mensch, seine Kraft zu messen mit der elementaren
Obergewalt des Meeres, erwählt er als Seemann dieses Ringen mit Sturm
und Wogenschwall sogar zu seinem Beruf, dann gilt von ihm vollauf das
Dichterwort: „Es wächst der Mensch mit seinen höhern Zielen14. Das See-
mannshandwerk stählt Muskel und Nerv, übt Sinnesschärfc, Geistesgegenwart,
steigert mit jedem neuen Triumph menschlicher Klugheit über rohe Natur-
kraft den Mut überlegten, furchtlosen Handelns. Wie scharf beobachtend
späht ganz habituell das verwetterte Antlitz unserer Matrosen unter dem
Südwester in die Ferne, wie wortkarg, aber tüchtig und thatbereit ist ihr
ganzes Wesen; dem scheinbaren Phlegma im Ruhezustand entspricht vom
Augenblick der Auslösung der bisher latent zusammengehaltenen Kraft die
Energie und die erstaunliche Ausdauer der Leistung. Wenn der Seemanns-
beruf wie in Norwegen oder Grofsbritannieu sehr weite Bevölkerungskreise
umschliefst, wenn er dazu als ein Grundpfeiler der gesamten Volkswirtschaft
hohe Achtung geniefst und bei geringem Abstand der Küste selbst vom
innersten Binnenlandkern allen Leuten in seiner klar ausgeprägten Eigenart
vorschwebt, so zünden die ('haraktervorzüge des Seemanns auch innerhalb
der nicht seemännischen Bevölkerung durch Nachahmung. Ergreift dann, wie
bei gröfsereu Kulturnationen so oft, im Gefolge wachsender Vertrautheit mit
dem Ozean, mit dem Erdganzen überhaupt, Seehandel, überseeische Koloni-
sation immer ausgedehntere Kreise, so teilt sich gar viel von dem frischen
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Das Meor im Lehen der Völker.
1>47
Unternehmungsgeist, dem Wagemut, dem durch Berührung mit Fremden er-
weiterten geistigen Horizont dem gesamten Volk mit. Typisch hierfür
leuchtet uns aus dem Altertum der Gegensatz auf zwischen dem braven,
jedoch engherzigen Spartaner, der, durch sein im Ausland nicht kursfähiges
Geld der Eisenstifte vom Überseeverkehr auch künstlich abgeschrankt, zwischen
den Gebirgsmauern seines Eurotasthals konservativ fortlebte, und andererseits
dem ionischen, fortschrittlichen Schitferstamm , den in ugeischer Seeluft ge-
badeten Athenern voll fröhlichster, in schrankenlose Weite strebender Thateulust,
Der Urmensch wird das Weltmeer kaum gekannt haben, späteren Ge-
schlechtern war es ein Gegenstand von Furcht und Schrecken. Als man
jedoch nachmals für die Dauer an seinem Ufer wohnte, seine Schätze aus-
schöpfte, seinen breiten Rücken sich dienstbar machte, um nach Herzenslust
die fernsten Küsten anzufahren, da trat man ihm näher und näher, freilich
ohne ihm jemals Sklavenfesseln anlegen zu können. Als schöpferische Gott-
heit begann man es zu verehren. Die bezaubernde Schönheit des Meeres,
wenn es bei stiller Luft friedlich die Segler dahin gleiten läfst über seinen
Spiegel, aus dem des Tages freundlich der Sonnenglanz, nachts der Sternen-
himmel silbern widerscheint, oder wenn im Gewittersturm die Wogen auf-
gepeitscht werden, flammende Blitze das Düster von Seegewölk und Wasser
durchzucken, der Anprall der Wogen gegen die Steilküste, der Kampf des
Schiffes mit dem Sturm, dann die verklärte Natur, nachdem das rasende
Wetter sich verzogen, das stets wachsende Farbenspiel in einer Harmonie
von Himmel und Wasser, wie sie dem Land in solcher Vollkommenheit
mangelt, — das alles hat die dichterische Naturschilderung nicht blofs in
Homers und Ossian's Gesängen begeistert, nein selbst aus schlichten Stegreif-
liedern von Naturvölkern des Strandes klingt das naturfrisch uns entgegen,
und die Maler aller .in der Kunst höher gestiegenen Seefahrernationen haben
uns in herrlichen Bildern die Andacht des Menschen im Anblick ozeanischer
Gröfse verewigt
Wissen und technisches Können wurde schon dadurch beim Umgang
mit dem Meer mächtig angeregt, weil dieser zum Bau des nötigen Fahr-
zeugs sowie zu dessen immer höherer Vollendung hintrieb. Und wie viel-
seitig wurde Wissenschaft und Technik für den Schiffsbau vollends in An-
spruch genommen, seitdem das 19. Jahrhundert die Dampfer schuf, um selbst
gegen Wind und Strömung die Ozeane zu durchkreuzen! Mittelbar hat ferner
die Sicherung der Schiffsführung eine Mehrzahl von Wissensgebieten segens-
voll beeinflufst. Noch leben auf karolinischen Eilanden einige greise Glieder
jener merkwürdigen Gilde, in der sich genaue Kenntnis der Fixsternlage zum
Sommer- und Winterhorizont für Verwertung bei der Bootssteuerung vererbte
und zugleich eine so genaue Bekanntschaft mit der Ortslage der Inseln in
weitestem Umkreis, wie sie die zeitgenössische Geographie der Kulturvölker
lange noch nicht besafs. Italienischen Nautikern danken wir die Einführung
des Kompasses in unseren Schiffsdienst auf Grunjl der zuerst in China er-
kannten Richtungskraft der Magnetnadel. Er hat nicht blofs zahllosen Tau-
senden von Schiffen, denen in Nacht und Nebel kein Gestirn schimmerte, den
rechten Weg gewiesen, sondern ohne die am Kompafs durch alle Zonen von
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248 Alfred Kirchhoff:
■
den Schiffern gemachten Massenbeobachtungen hätte auch kein Gaufs erfolg-
reich am Problem des Erdmagnetismus zu arbeiten vermocht. Und wenn
schon vor Jahrhunderten die Markscheider im Klausthaler Bergwerk üire
unterirdischen Gänge zielsicher ausbauten, beim Grubenlicht den Kompafs be-
fragend, so klingt selbst in diese wahrlich seeferuc Arbeit ein verhallendes
kulturgeschichtliches Echo vom Wogengetümmel.
Zum Gröfsten jedoch führte das Weltmeer den Menschen hinan, indem
es ihm die einzige Möglichkeit erschlofs, die Erde als Ganzes auf dem Weg
der Entschleierung des irdischen Antlitzes kennen zu lernen, durch den
Welthandel die Wirtschaft der einzelnen Völkerkreise zur Weltwirtschaft zu
verknüpfen, endlich durch dieses Mittel allseitigen Verkehr, wie ihn allein
der alle Lande umschlingende Ozean zu schaffen vermag, die urzeitliche
Trennung der Menschenstämmc nach den einzelnen Kontinenten zu über-
winden, auch eine geistige Verbindung der gesamten Menschheit anzubahnen.
Dafs der Welthandel hierbei die Führung übernahm, versteht sich aus der
nicht blofs bösen Macht der Gewinnsucht. Rief doch schon Strabo aus, da
er im entsetzlichen Tanz der Wellen die Seeleute ihr Leben einsetzen sah,
um die nach Rom bestimmten Waren auf hoher See vor der schon damals
zu seichten Tiber aus dem Kauffahrer in die Leichterboote überzuladen:
„Ja, die Sucht nach Erwerb besiegt alles!" Das Meer öffnete von jeher die
freisten und, was sehr schwer wiegt, die billigsten Wege um den Erdball.
Wir werden bald aus den unfernen Schantungwerkeu billigere Steinkohlen
nach Tsingtau liefern, als man von England dort feilbieten könnte, dagegen
schon Mailand, geschweige denn die italienische Küste liegt uns zu fern, um
dort die englische Kuhle auszustechen, weil diese fast schon vom Förderungs-
platz bis nach Italien den Seeweg vor unserer deutschen Binnenlandkohle
voraus hat Apfelsinen aus Italien werden in Hamburg billiger feilgeboten
als in München oder in Wien, weil die Seefracht von Sizilien nach Hamburg
nicht einmal ganz so teuer zu stehen kommt wie z. H. die Landfracht von
Hamburg nach Berlin. So wirft allerwegen der Soehandel wegen wohlfeilster
Fracht den meisten Verdienst ab; um die billige Seestrafse nicht um ein
Kilometer unnötig zu verkürzen, sind ja die gröfsten Seehandelspliitze eben
in den innersten Nischen von Meereseinschnitten ins Land erblüht; und der
Millionen verdienst des Welthandels wirft genug ab, um die Unsummen ber-
zuliefern, die der Schiffsbau verschlingt, und um jene Millionengarde wackerer
Schiffsbemannung zu lohnen, auf dafs sie fern der süfsen Heimat harte und
mit steter Lebensgefahr bedrohte Arbeit leiste, selbst den Taifunen trotzend.
„Unfruchtbar" nannte Homer die See, und doch wie viel Güter beschert sie
den Menschen, aus eigenem, nimmer versiegendem Schatz, mehr noch dadurch,
dafs sie die Schütze der ganzen Erde über ihre spiegelnde Fläche geleitet
mit denkbar geringster Beeinträchtigung ihrer Marktfähigkeit. Über die Ge-
stadeländer des Meeres, zumal der am intensivsten arbeitenden gemäfsigten
Zonen, schauen wir einen Abglanz dessen sich ausbreiten: die verkehrs-
reichsten Städte, die dem Welthandel als Hafenorte dienen, Werfte, Industrie-
stätten, die überseeisch erzeugte Rohstoffe aus erster Hand haben wollen,
um sie in Kunstprodukte umzusetzen, vereinigen sich an den Küstenstreifen
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Das Meer im Lehen der Vfilker.
249
mit einer Fülle kleinerer Siedelungen, teils auch vom Seehandel oder von
Küstenfahrt und Fischerei lebend, umgehen von meist wohlbestellten Fluren,
über denen der milde Seehauch befruchtend waltet. Der leichter zu er-
ringende Wohlstand ist es, was die Menschen an die Küste zieht. Darum
zeichnen sich Inseln so oft vor dem benachbarten Festland, kleinere Inseln
unter sonst gleichen Verhältnissen vor gröfseren aus durch stärkere Volks-
verdichtung zufolge ihres relativ gröfsereif Küstcnanteils. Wo Land und
Meer einander berühren, da zeigt sich mithin naturgemäß am offen kundigsten
des Meeres Segen für die Menschheit.
Werfen wir zum Schlufs noch einen raschen Blick auf die Bedeutung
des Meeres für den Staat, so versteht es sich aus dem eben Gesagten zu-
nächst von selbst, dals jeder Staat, falls er sich der Vorteile des Seewesens
für seine Angehörigen bewufst wird, nach Ausdehnung seines Gehiets bis zum
Meer streben wird, und wäre es auch blofs um einen so winzigen Küsten-
streifen zu erwerben wie neuerdings Montenegro an der Adria erhielt. Denn
wer einen Fufs am Strande hat, kann seine Schiffe um die ganze Erde
senden. Welche Machtfülle in Seehandel, Seeherrschaft und Kolonisation bis
an die entlegensten pontischen Gestade hat im Altertum Milet, im Mittelalter
Genua von einem einzigen Hafen aus entfaltet! Die Schweiz steht uns als
einziger Wunderbau eines Staates vor Augen, der, auf den Alpenzinnen in-
mitten Europas gegründet, durch den rüstigen Industriebetrieb seiner Be-
wohner Handel über die ganze Welt hin treibt, ohne je eine Küsteneroberung
hoffen zu dürfen. Aber wie peinlich abhängig fühlt sich darum auch die
Schweiz für Warenabsatz nebst Warenfracht von den Zolleinrichtungen, den
Tarifsätzen der Eisenbahnen seitens der vier Grofsstaaten, die sie umklammern!
Kufsland hingegen bietet uns das weltgeschichtlich gröfste Beispiel eines
ursprünglich rein binnenländischen Staates, der in zielbewufsten Vorstöfsen
die Küsten seiner sämtlichen Umgebungsmeere sich angliederte, dafs nun sein
Banner weht von der Ostsee bis zum Huanghai.
Aber dem Staat als solchem verleiht das Meer drei der besten, ja der
unentbehrlichsten Gaben: Unabhängigkeit, Einheit und Macht fülle. Das Meer
ist das schlechthin Unbewohnbare, betont mit Recht Ratzel, somit die aller-
sicherste Schutzmauer für einen Staat. Wie viel minder gewährleistet er-
schiene des gröfsten Freistaats Freiheit, hätte die Union zum atlantischen
Littoral nicht auch das paeifische errungen! Ein allseitig meerumschlungenes
Staatsgebiet wie das britische, das japanische und nun auch Australien, der
neue Weltinselstaat, kann nie anders als punktweise, nämlich allein durch
Flottenangriff berannt werden. Frankreich erscheint durch Überwiegen der
Seegrenze besser gedeckt als Deutschland. Weil gleichfalls der friedliche
Verkehr nur stichweise zu Schiff über die Küste ins Innere eines Staates zu
dringen vermag, haben die vom Meer gebildeten Staatsgrenzen auch ethnisch
etwas schärfer Umrissenes vor den verschwommeneren Landgrenzen voraus: sie
helfen besser die Vereinheitlichung nationaler Volksmischung fördern und
erhalten. Im römischen Weltreich bewährte sich umgekehrt ein einziges
Mal in der Geschichte das Mittelraeer als die von innen her den gewaltigen
Staat zusammenhaltende Kraft. Unablässig jedoch bringt das Weltmeer von
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250
Hermann Credner:
aufsen allou Staaten, an deren Saum es brandet und die seinen Weckruf
verstehen, Einheit nnd Macht. Griechenland, die Apenninen-Halbinsel ver-
legen bei ihrem gebirgigen Inneren einen guten Teil ihres jGesamtverkehrs
auf die Küstenfahrt, die Tag für Tag Bewohner und Güter von Nord und
Süd zusammenführt, die Interessengemeinschaft steigernd und immer von
neuem den Blick auch weiter lenkend auf die hohe See jenseits des heimat-
lichen Strandes.
Scehandel wie jede über See drängende Thätigkeit, sei das Grofsindustrie,
technische Bethiitigung über See oder Kolonisation, führt mehr als irgend
etwas sonst zur Verflechtung einer Nation mit der weiten Welt, schweifst
aber zugleich die binnenliindischen Staatsteile aufs festeste zusammen mit
der Küste, über die allein der lebendige Austausch zwischen Daheim und
Draufsen geschehen kann, schmiedet folglich mit den Hammerschlägen des
Begreifens der Zusammengehörigkeit die Teile zum Ganzen. Das fühlen wir
Deutschen kräftiger denn jemals in der Gegenwart. Kein Hohenstaufe kehrt
mehr den deutschen Küsten gleichgiltig den Rücken, um Roinzttge über die
Alpen zu führen; keine Hansa streicht mehr unmutig die Flagge, weil es
ihren ruhmwürdigen Thaten an Sicherung durch Rcichssehutz gebricht. Eine
wachsende Panzerwehr unter deutscher Reichsflagge schirmt unsere Handels-
schiffe auf allen Meeren, leiht jeder redlichen Unternehmung deutscher
Reichsbürger in und aufser unseren Schutzgebieten ihren schützenden Arm
bis zum fernsten Strand. So strömen, vor feindseligen Unbilden bewahrt, die
von deutscher Betriebsamkeit verdienten Güter der Welt über die Schwelle
des Meeres in alle Gaue unseres Vaterlandes, steigernd den Wohlstand unseres
Volkes zu vordem nie erreichter Höhe, segensvoll erweiternd seinen geistigen
Gesichtskreis, nährend die staatliche Macht. Auch unseres Reiches Herrlich-
keit liegt stark verankert im Weltmeer.
Armorika.
Ein Vortrag
von Dr. Hermann Credner in Leipzig
Versetzen wir uns in den Beginn der Juraperiode und zwar auf einen
Schauplatz, der seitdem seinen Charakter so vollständig geändert hat, wie
auf Erden nur möglich. Wir blicken über jene Wasserfläche der nördlichen
Hemisphäre, welcher allmählich der westlichste Teil des europäischen Kontinentes
entstiegen ist. Der Boden, auf dem sich heute Paris, Orleans, Amiens, Verdun
und Nancy erheben, war damals und noch für lange spätere Zeiten Meeres-
grund. Wie im Osten und Süden, so bricht sich das französische Meer auch
im Westen an einer schroff emporsteigenden gebirgigen Insel. Sie ist es,
aus der sich unter dem umgestaltenden und zerstückelnden Einflüsse fort-
gesetzter geologischer Vernichtungsarbeit einerseits das Bergland von Irland,
Wales und Cornwall, anderseits die Bretagne nebst der von der Normandie
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A r m 0 r i k a
251
weit in den Kanal hinausragenden Halbinsel des Cotentin herausgegliedert
haben.
Selbst im Vergleiche mit dem sie umspülenden Jurameere ist diese
Insel uralt und setzt sich aus den ältesten Schichtkomplexen zusammen, die
an dem Aufbau unserer Erdkruste teilnehmen. Ursprünglich lagen diese
Schichten, ganz wie sie die Unneere abgesetzt hatten, fast horizontal auf
derem Boden. Erst kurz vor der Zeit, als sich in anderen Gegenden aus
den dschungelartigen Wäldern, welche die sumpfigen Ebenen überwucherten,
die Steinkohlenflötze des Carbon bildeten, begannen sie sich unter dem seit-
lichen Drucke des sich zusammenziehenden Erdballs zu wölben und zu immer
steiler werdenden Sätteln und Trögen zu falten und zu Streifen zu zerbersten,
die sich an einander verschoben. Gleichzeitig wurden gewaltige Massen
von glutflüssigem Material des Erdinnern in das gelockerte Bauwerk ein-
geprefst, erstarrten hier zu Granit und wandelten unter dem Einflüsse ihrer
Glut die Beschaffenheit und das Aussehen ihrer Nachbargesteine vollständig um.
So steigt allmählich eine schroffe, durch Thalsysteme noch nicht ge-
gliederte Hochgebirgsmasse empor, die sich vom Süden des heutigen Irlands
und Englands ununterbrochen bis in den Westen Frankreichs erstreckt, und
von nun an, wenngleich in durch Abtragung immer verminderter Höhe, alle
späteren Meere überragt und so auch dasjenige der Juraperiode, von dem
unsere Betrachtungen ausgingen.
Neue Zeitalter kommen, während deren sich in wechselnder Folge
oscillierende Bewegungen an den Einzelabschnitten der Erdkruste vollziehen,
bei denen aber auf europäischem Areale das Mafs der Hebungen dasjenige
der Senkungen überwiegt, sodafs die Festlandsmassen an Ausdehnung zu-
nehmen, bis Europa in seinen jetzigen Hauptumrissen aufgetaucht ist. So
legen sich denn immer breiter werdende Gürtel des der See abgewonnenen,
mit deren Absätzen bedeckten Landes um die Küsten der Inseln des west-
europäischen Meeres, in immer engere Grenzen wird dasselbe während der
Jura-, Kreide- und Tertiärzeit zurückgedrängt, schmäler und schmäler werden
seine Verbindungskanäle mit dem offenen Ozeane. Wenn nun auch diese
noch mehrmals neuen Überflutungen von seiten des Meeres dienen, so werden
sie doch schliefslich und zwar in der Mitte der Tertiärperiode endgiltig ab-
gedämmt. Das französische Binnenmeer geht seiner Trockenlegung entgegen.
Dann werden die einstigen Inseln nicht mehr durch dessen Wasser getrennt,
sondern von weiten Flächen seiner Sedimente zu einem zusammenhängenden
Teile des europäischen Festlandes verknüpft, — sie sind landfest, sie sind
zu geologischen Inseln geworden.
Als solche bleibt auch das westlich vorliegende Gebirgsland erhalten
und zieht sich als einheitliche Zone ununterbrochen über das südliche England
bis in die Bretagne. Erst in der jüngsten geologischen Zeit beginnen neue
Verhältnisse auf sie einzuwirken. Die letzte Hebung des Landes wird durch
eine ebenso langsame Senkung abgelöst, die heute noch anhält und zuletzt
einen nicht geringen Teil Hollands und von Hochwald bedeckte Küstenstriche
der Normandie und der Bretagne bis unter den Spiegel des Meeres hat sinken
lassen, von wo jetzt das Ohr des Volkes die Glocken der versunkenen Städte
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252
Hermann Oredner:
läuten hört oder wo das Auge thaLsächlieh die Stümpfe der nun auf Meeres-
boden wurzelnden Baumriesen erblickt. Von Norden und von Westen drängen
die Wogen des vorrückenden Ozeans dem sinkenden Festland nach und wie
sie heute noch an den Inseln der schleswig-holsteinischen und friesischen
Küste nagen, wie man sie jetzt noch im furchtbaren Schwalle die Felsküsten
der Bretagne unterminieren und dann verschlingen sieht, so begannen sie das
Becken der Nordsee auszuräumen, welchem gleichzeitig von Südwesten her
der Kanal entgegenrückte, bis sich beide in der Enge von Calais vereinten.
Jetzt war England, vom Kontinent getrennt, zum Tnselreich geworden, der
quer vorgelagerte uralte Gebirgszug war vom Kanal durchsägt — die nord-
westlichen Teile desselben bilden jetzt den Süden des heutigen Irlands, sowie
Wales und Cornwall, sein kleinerer diesseits des Kanals gelegener Abschnitt
aber ward zum „Land am Meere" der Kelten, zu Armorika, welches die Römer,
als wenn sie seine Geschichte, den einstigen Zusammenhang und die geologische
Zusammengehörigkeit dieser Landstriche geahnt hätten, Britannia minor oder
Britannia cismarina nannten, — unsero heutige Bretagne1).
Wie uns die amerikanischen Geologen im Jahre 1891 von Washington
aus in ihre Wunderländer am Yellowstone und am Colorado führten, — wie
wir drei Jahre später mit den Schweizern die Alpen vom Züricher See bis
zur Po-Niederung durchquerten und wie uns endlich die russischen Freunde in
mehnnouatlichcr Reise von den Ufern der Ostsee bis zu denen des Kaspischen
Meeres, über die Waldberge des Ural und die Schneegebirge des Kaukasus
geleiteten; so boten uns im vorigen Jahre die französischen Fachgenossen vor
und nach dem internationalen Geologen -Kongrefs in Barls eine reiche Aus-
wahl verlockender Exkursionen, die eine in die Pyrenäen oder in die cot-
tiuischen Alpen, die anderen nach den Ardennen, der Auvergne und der
Bretagne. Der Entschlufs war schwer. Ich entschied mich zunächst für die
Bretagne und preise diese Wahl noch heute in dankbarster Erinnerung. Diese
gilt in erster Linie dem Manne, der uns in all die Herrlichkeiten des Landes
einführte, Herrn Charles Barrois, Professor an der Universität zu Lille.
Nicht etwa nur, dafs er die in einem streckenweise recht unwirtlichen Lande
mit ganz besonderen Schwierigkeiten verknüpften Vorbereitungen für eine
12tägige Exkursion von 20 Geologen mit nie versagender Sicherheit ge-
troffen hatte, nein, in ihm besafsen wir den genauesten Erforscher und er-
fahrensten Kenner der bretonischen Geologie und Orographie als Führer, der
1) Als wichtigste das geographische und geologische Gesamtbild der Bretagne
behandelnde Publikationen sind zu nennen: Charles Barrois, Des divisions geo-
graphiques de la Bretagne, Anunles de Geographie. Vol. VI. 1^97. S. 23 und S. 103
mit Karte; — derselbe: Bretagne. Heft VII des Guide geologique en France.
Paris 1900; — derselbe: La Bretagne, Carte geologique de la France. — L. Rüti-
meyer, Die Bretagne. Schilderungen aus Natur und Volk. Gesammelte kleinere
Schriften B. n. S. 259. Basel 1898. — Zur Orientierung sehr nützlich erweisen sich
die drei durch je eine Karte und Textfiguren illustrierten Hefte: Ad. Joanne,
Geographie du Morbihan 0. Aufl. 1898, — du Finistere 7. Aufl. 1900, — des Cötes-
Du-Nord 4. Aufl. 1890, Paris, Hachette et Cie.
Zahlreiche und ausgezeichnete Abhandlungen von Ch. Barrois hezichen sich auf
dem Zwecke unseres Vortrages zu ferne liegende geologische Einzelzüge der Bretagne.
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Arniorika.
253
uns vom frühesten Morgen bis zur Nacht mit unermüdlicher Geduld und
Liebenswürdigkeit aus dem reichen Borne seiner Kenntnis des Landes und
seiner Bewohner schöpfen liefs. In die materielle Aufgabe der Führung teilte
sich mit ihm Herr Dr. Paul Leon, dessen Umsicht und dienstbereite Ge-
fälligkeit wesentlich mit dazu beitrugen, die nicht gewöhnlichen Anstrengungen
jener Tage zu mildern.
In unserer einleitenden entwiekelungsgeschichtlichen Skizze lernten wir
die Bretagne in ihrer ersten Anlage als den südöstlichen Abschnitt einer
Hochgebirgsinsel kennen, der später dem sich vergröfsernden westeuropäischen
Kontinente als Gebirgslaud zugewachsen war. Ursprünglich stellte derselbe
ein mehrere tausend Meter hoch emporragendes Faltensystem von ost-west-
lich streichenden Kämmen vor, deren nördlichster die gröfste Höhe erreichte
und die sämtlich ihre steilere Flanke dem Norden, ihre flachere dem Süden
zuwandten. Aber bereits unmittelbar nach ihrem Emportauchen aus dem
Meere, also schon in der zweiten Hälfte der Carbonperiode, begannen aflf
ihnen die Atmosphärilien mit ihrer zerstörenden und abtragenden Arbeit ein-
zusetzen, die sie von nun an, nie wieder durch eine Meeresbedeckuug des
Gebirgslandes unterbrochen, während der ganzen unfafsbar langen geologischen
Zeiträume von damals bis jetzt unablässig bethätigten. Je steiler und zer-
rissener die Konturen der ursprünglichen armorikanischen Gebirgsmasse ge-
wesen sein mögen, um so mehr Angriffspunkte boten sie der zerstörenden
Thätigkeit der sich als Regen niederschlagenden, wie der in den Schluchten
brausenden Wasser. Zunächst verfielen die scharfen Grate und hochragenden
Felsmauern der eng zusammengestauchten und hierbei geborstenen Gebirgs-
kämme der Vernichtung durch die chemische Thätigkeit der Atmosphärilien
und der Abschwemmung durch die Rieselwasser sowie der Unterwühlung von
Seiten der Gebirgsbäche. Alles, was die engen Synklinalthäler schroff über-
ragte und Wind und Wetter am meisten ausgesetzt war, zerbröckelte, brach
zusammen, stürzte herab und ward von den fliefsenden Gewässern thalabwärts
getragen. Anfänglich strömten diese in den tiefen Längsthälern, also in den
Synklinaltrögen der Gebirgsfalten von Osten nach Westen oder von Westen
nach Osten. Letztere waren es, die noch in mesozoischer Zeit das zu Kiesen
und Sanden zerkleinerte Gesteinsmaterial des armorikanischen Gebirges dem
zentralfranzösischen Meeresbecken zuführten. Heute folgt kein einziger
bretonischer Flufs mehr dieser Richtung, — jenes Synklinale Urstromsystem
ist erloschen und hat einem Netze von transversalen Thälern Platz gemacht,
welche die Wasser der Halbinsel nach Norden und Süden dem Meere zuführen.
Fortgesetzte Denudation und Erniedrigung der die Synklinalthäler scheidenden
Antiklinalkämme, Einkerbung und Quergliederung deren Rümpfe durch rück-
wärtsschreitende Erosion der den Stammthälern von beiden Gehängen zu-
eilenden Bäche, Erhöhung der ursprünglichen Thalsohlen durch Schotter-
anhäufung, — das waren die Vorgänge, welche das anfängliche System von
ostwestlichen Längsthälern in ein späteres von meridionalen Querthälern
umgestalteten. Bim, wie früher den jetzt in dasselbe übergeleiteten Ur-
strömcn, führten die Regen- und Rieselwässer das durch die fortgesetzte
Verwitterung gelockerte Gesteinsmaterial der benachbarten Gehänge zu, so dafs
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254
Hermann Credner.
dir ganze Oberflüche in eine stete Wanderung nach dem sie gliedernden
Thaluetze versetzt wurde. Letzteres spielte also die Rolle von Abfuhrkauälen,
in welchen die Massen der Gebirge hinanswanderten in den die bretonische
Küste jeweilig umspülenden Ozean. Wie rasch und mit welchem Erfolge
der Prozefs der fJebirgszerstörung und -abtragung sich vollzieht, das zeigen
ja unsere Alpen. Obwohl im Vergleiche mit dem urmorikanischeu Gebirge
ganz jugendlich, erst in jüngster geologischer Vergangenheit zu einem kom-
plizierten Faltensystem emporgetürmt, sind sie schon jetzt nur noch eine
Ruine des letzteren; wohl bereits die Hälfte ihrer Gebirgsmasse haben ihnen
die Bäche und Gebirgsströme entführt. Einen Hauptfaktor aber in diesem
Prozefs hatte das alte armorikanische Gebirge vor den Alpen voraus, nämlich
die vielfach längere Zeit, während deren sich der Zerstörungsvorgang an iluu
vollziehen konnte und welche genügte, um das ganze Hochgebirge durch
anhaltende Abtragung zu einem Bergland zu erniedrigen. So lange aber
das Wasser zu fliefsen vermag, setzt sich ebenso wie die Verwitterung auch
die Wegschattung des durch sie gelieferten Gesteinsgruses und hiermit die
Abtragung der Berge fort. Schliefslieh entstand aus dem ursprünglichen
Gebirge, dem späteren Bergland Armorikas eine fast ebene oder wellig hügelige
Hochfläche, welche die noch übrig gebliebene Sockelpartie des einstigen Hoch-
gebirges vorstellt und sich als Rumpf desselben durch ihre komplizierte
geologische Struktur, aber auch dadurch verrät, dafs auf ihr jene Granit-
massen zu Tage treten, welche einst in grofser Tiefe erstarrten und erst bei
dem allmählichen Tieferlegen der Erdoberfläche von dieser augeschnitten
wurden. In diesem ihrem heutigen Stadium stellt die bretonische Landschaft
eine monotone, sanftwellige Denudationsebene, eine „Peneplain" dar,
deren kaum merklich geneigte Flächen nur durch sanft emportauchende, mit
einander verfliegende Hügel und Höhenzüge unterbrochen werden.
Auf dieser gegenwärtigen Anschnittfläche der Basis des einstigen armori-
kanischen Gebirges (siehe nebenstehendes Kärtchen) bilden zwei Antiklinalzoneu
von Gneifsen, Lagergraniten und krystallinen Schiefern den Rahmen der bretoni-
schen Halbinsel. Die nördliche derselben streicht in südwestlicher, die süd-
liche in westnordwestlicher Richtung, beide konvergieren also nach Westen,
gelangen aber erst jenseits der Küste auf dem Boden des atlantischen Meeres
zu spitzwinkeliger Scharung. Der Raum zwischen diesen beiden archaeischen
Zonen ist von altpalaeozoischen Formationen, «lern Praecambrium ( Brioverien ),
dem Cambrium, Silur, Devon und Subcarbon eingenommen. Ihre Ausstriche,
die basalen Stümpfe der abgetragenen Steilfalten, verlaufen als langgestreckte
Antiklinalen und Synklinalen in Wellenlinien von im allgemeinen östlicher
Richtung von der Westküste bis zum Rande des Pariser Beckens, divergieren
aber hierbei ebenso wie die beiderseitigen archaeischen Streifen in spitzen
Winkeln nach Osten, wo sich neue Sättel zwischen sie einschieben. Granit-
stöcke unterbrechen den Verlauf dieser Schichtenzonen und sind von grofs-
artigen Kontakthöfen umgeben. Rekonstruiert mau aus den der Abtragung
entgangenen Basen der Sättel und Mulden die ersteren, so erhält mau jenes
Faltensystem von mehreren tausend Meter Höhe, aus welchem sich das ur-
sprüngliche armorikanische Hochgebirge aufbaute.
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Armorika.
255
Geradezu überraschend wirkt die Ebenheit der an seine Stelle getretenen
bretonischen Denudationsfläche, der Mangel an jedem ruinenhaften Überbleibsel
des einstigen Gebirges in dem westlichen Küstenland der Bretagne, wo sich
Tektonische Skiize der Bretagne d.i. I: Charles Barroia,
zeigend die beiden archaeischen Anliklinnlzonen von Leon im Nordwesten und der Cornonaille im
Süden der Halbinsel, iwischen diesen die Hauptfaltungslinicn der altpalucozolst-hen Formationen.
B a Brest . Q = Quirn perle, C = Carn*c, N = Nantes, R =^= Kennes.
die Hochfläche 60 — 100 m tief fast senkrecht zum Meere abstürzt. Nicht
zu hochragenden Jochen oder zu kuppenförmigen Häuptern erheben sich die
weit ins Meer vorgeschobenen Vorgebirge und die zwischenliegenden Steil-
küsten, nein, überall schneidet ihr oberer Rand mit horizontal verlaufenden
Flächen ab, die sich geradlinig ins Inland fortsetzen, um hier überall zu
herrschen. Nur wo ein besonders festes Gestein, namentlich Quarzit, der
Verwitterung mehr Widerstand geleistet hat, markiert sich dies in Form
sanft undulierter Rücken. Als solche der allgemeinen Nivellierung entgangene
hügelige Bodenwellen erheben sich die Montagnes d'Arree und die Montagnes
Noires mit dem Meuez Horn in ihren höchsten Anschwellungen bis zu 300 m
über die Ebenheiten im Westen der Bretagne.
Vom Meer, von dessen Buchten aus, überall wird der Wanderer über-
rascht durch die fremdartige, nach der furchtbaren Schroffheit der Abstürze
unerwartete Horizontalität der die Wasser umrahmenden Höhenlinien. Von
gar manchem Steilrande der westlichen Küste aus trifft der Blick jenseits
der Horizontalkontur des nächstliegenden Vorgebirges den blauen Wasser-
streifen eines tief eingreifenden Meeresarmes, hinter ihm erhebt sich der
Rand der jenseitigeu Felszunge ebenso geradlinig wieder zum uämlichen
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2f>6 Hermann Credner:
Niveau und ohne durch eine steilere Höhe oder eine einzige felsige Empor-
ragung gehindert zu sein, schweift der Blick tief ins Innere des Landes.
Weiter nach Osten zu ändert sich zwar die Landschaft und nimmt
streckenweise den Charakter eines bergigen Hügellandes an, das sich aber in
meist sanft geböschten Höhen nur bis zu 300 ra über die See erhebt. Die
abgerundeten Konturen der Berge, die mit dichtem Hochwald bestandeneu
Gehänge, die Wiesenauen zwischen ihnen, die nicht selten von steilen Fels-
anschnitten begrenzten Thäler versetzen uns beim Durchwandern solcher
Gegenden in die Scenerie des Vorlandes heimischer Gebirge. Bald aber er-
reichen wir wieder jene Ebenheiten, die dort, wo die abspülende Thätigkeit,
der Gewässer nicht einsetzen und den Schutt wegräumen konnte, bedeckt sind
von einer oft viele Meter dicken Verwitteruugsschicht oder von rauhen
Blockmeeren.
Die flachen Erhebungen des Landes verschmelzen zu zwei Plateaus,
welche die bretonische Halbinsel ihrer Länge nach, also von Ost nach West
durchziehen und namentlich im Westen durch eine Depression von einander
getrennt werden. Die südliche dieser beiden Hochflächen senkt sich sauft
zur Küste des atlantischen Ozeans, die nördliche in etwas rascherer Neigung
zu den Gestaden des Canal la Manche. Diese asymmetrische Abdachung des
Geländes entspricht der Ungleichseitigkeit des armorikanischen Faltenwurfes,
der zugleich den jetzt dort abfliefsenden Gewässern ihren Lauf vorgezeichnet
hat, indem sie nach Norden zu auf kurzem geradem Laufe ins Meer fallen,
nach Süden zu dieses aber erst nach längerem, vielfach gewundenem Wege
erreichen.
Die Eintönigkeit der bretonischen Landschaft spiegelt sich in der Gleich-
niäfsigkeit des Klimas der gesamten Bretagne wieder. Es ist mild und
feucht, das gemäfsigtste Seeklima Frankreichs und schuldet dieses wesentlich
dem Arme des Golfstromes, welcher die Süd- und Westküste der Halbinsel
bespült. Ohne an ein Gebirge zu stofsen, werden die lauen Wasserdünste
von den herrschenden Südwest winden über das ganze Land getrieben, das
sie gar oft vollständig in Nebel hüllen, an der Mehrzahl der Jahrestage aber
mit Regen berieseln. Schneit es im Winter einmal, so bleibt der Schnee
nur auf kurze Stunden, auf den 300 m Höhe erreichenden Hügelzügen viel-
leicht einige Tage liegen.
Unter solchen günstigen Vegetationsbedingungen dürfte man überall auf
der bretonischen Halbinsel ein üppiges Pflanzenkleid erwarten und in der
That trägt dieselbe auf grofse Erstreckung das fruchtbarste Ackerland, welches
unsere Kornfrüchte sowie Hanf und Flachs, ferner alle Arten von Gemüse,
unter diesen Artischokken, Spargel und Blumenkohl, und zwar so frühzeitig
hervorbringt, dafs sie auf die Märkte im Innern Frankreichs sowie Englands
und Hollands als Erstlinge der Saison zum Verkauf gebracht werden. Die
überall verbreiteten Apfel- und Birnenanpflanzungen liefern das Obst zur
Herstellung von jährlich fast 2 Millionen Hektoliter Cider. Au begünstigten
Stellen wuchert die Feige, die mit roten Blumenkelchen behangene Fuchsie,
der Lorbeer und die Aloe; in Gärten prunken hohe Araukarien, Myrthen,
Granatäpfel und Magnolien; in einzelnen, freilich beschränkten Gebieten ver-
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Armorika.
257
einen sich Eichen, Buchen und edle Kastanien zu schattigem Hochwald, auf
dessen Untergrund mannshohe Adlerfarne wuchern und dessen Stämme der
Epheu dicht umrankt. Aber mit solchen Strecken üppigsten Pflanzenwuchses
wechseln weite Flächen steriler Heide. Nur der tiefe Purpur der Erica,
welche manche derselben überzieht, mildert die Trostlosigkeit des Anblicks
solcher Einöden; gar oft aber dehnen sie sich als mit Gesteinsblöcken be-
streute, fast vollkommen nackte oder mit fast undurchdringlichem Gestrüpp
von Brombeeren , langstacheligem Heckenginster und Wachholder bedeckte
grusige Halbwüsten in unübersehbare Ferne, nur hie und da unterbrochen
von einer Gruppe Kiefern, einigen niedrigen Häuschen mit armseligen Feldern,
einem Tümpel rostigen Wassers oder von den abenteuerlich emporragenden
Gestalten der Riesensteine. Derartige Einöden und Heiden bilden ein wesent-
liches Element der bretonischen Landschaft, denn nicht weniger als ein Drittel
der ganzen Bretagne wird von ihnen eingenommen.
Auch an den den heftigen Seewinden und -stürmen ausgesetzten Küsten-
strecken verschwindet der Ackerbau und der Wuchs hochragender Pflanzen.
Auf dem sich nach Westen ins Meer schiebenden Plateau erblickt das Auge
keinen Baum und diejenigen, die in Thaleinsenkungen Schutz gefunden haben,
hat die Kraft der Winde schräg oder schweifartig landeinwärts gebogen. Die
.sanfthügelige Fläche selbst überzieht ein kurzer Rasen, aber bunt, blütenreich,
von unglaublicher Farbenpracht. Die niedrigen Kräuter sind alte Bekannte
vom Inlande her, jedoch in Liliputformen, die Purpurheide, der von grell-
gelben Blüten bedeckte Ginster, der Adlerfarn, alle sonst mannshoch, sind
zu handgrofsen Zwergen zusammengeschrumpft.
Wird die Einförmigkeit der armorikanischen Landschaft, so weit man
sie auf der Hochfläche überschaut, nirgends durch kühne charaktervolle Linien
unterbrochen, so ändert sich das Bild, sobald wir in die Thäler hinabsteigen,
welche sich die dem Meer zueilenden Bäche und Flüsse in die Felsplateaus
eingefurcht haben. Hier wechseln die reizvollsten Scenerien, steile Felswände
mit von Hochwald bedeckten Gehängen, schmale Engen mit breiten Auen.
Altbretonische Städtchen haben sich eingenistet, klimmen die Thalwände hin-
auf und werden von stattlichen Klöstern und Kirchen überragt. Hie und da
taucht ein Schlofs, umrahmt von kunstvoll verschnittenen Buchsbaumheckeu,
einsam aus den stillen Waldungen am Rande des Flusses hervor. Diese
Thäler sind, wie wir gesehen haben, aufserordentlich alt; schon bei der Ab-
tragung des armorikanischen Gebirges haben ihre Anfänge als Kanäle gedient,
sich mit der allmählichen Herausgestaltung des jetzigen topographischen
Charakters immer schärfer ausgeprägt und grofse Tiefe erlangt, welche der
auf dem Plateau dahineilende Dampfwagen auf hochbogigen Viadukten und
Hängebrücken kreuzt. Verblüffend dagegen und, ich mufs gestehen, geradezu
unheimlich wirkt ein anderer Charakterzug dieser Thäler und ihrer Gewässer
auf den binnenländischen Fremden ein. Er steigt von der weiten Hochfläche
zu solchem Thal hinab. Statt eines in festen Ufern dahinströnienuen Flusses
liegt vor ihm zwischen dem Grün des dichten Laubwaldes oder dem Ginster-
und Famgebüsch der Gehänge ein weiter Thalboden von grauem, zähem
Schlamm. Sandbänke und von Wasserpflanzen durchwachseue Tümpel unter-
OenitraphUche Zeitschrift. ;. Jahrgang. l'JÜl. 5. Heft. lH
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II- i- in nn li Oredner:
brechen die Fläche. In vielen Verzweigungen und mäandrischen Biegungen
windet sich durch dieselbe das Flüfschen. Die hie und da auftauchenden
Felsköpfo und ein schmaler Saum am Fufs der Thalwände sind bedeckt von
schlaff herabhängenden, bräunlich • grünon Seetangen, auf dem schlammigeu
Boden aber liegt hie und da ein Schiff, schräg zur Seite gelehnt, verlassen
von seiner Bemannung, wie in die fast wasserlose Einsamkeit hingezaubert.
Und kreuzen wir nach einigen Stunden das nämliche Thal, so erkennen wir
es nicht wieder. Eine breite salzige Wasserflut treibt thalaufwärts , unter
ihr verschwinden die Schlammflächen und die Rinnsale des Flusses, die langen
Blätter der Tange breiten sich aus und schweben in den Wassern auf und
ab, die Schiffe heben sich, richten sich auf und ziehen, die zurückgekehrte
Mannschaft an Bord, weiter ins Inland hinein. Zweimal täglich wiederholt
sich dieser Wechsel, — es ist das Spiel der Gezeiten. Meilenweit zieht die
Meeresflut hinauf in die oft engen Thäler, trägt Fahrzeuge vom Meer her
bis zu 24 km von der Küste gelegenen Orten, um sich dann auszulaufen
und mit eintretender Ebbe ebenso rasch wieder zum Ozean zurückzukehren.
So sind denn die Stellen, bis zu welchen die Flut die Flüsse zeitweise schiff-
bar macht, zu Handelsplätzen erblüht, in denen die Schiffe ihre vom Meer
heraufgebrachteu Lasten vertauschen mit Produkten des Inlandes. Auf der
durch die Flut geschwellten Laita treiben die Sardinenschiffe von der Küste
aus zwischen den Steilwänden des Thaies, an Schlössern und Burgruinen vorbei
bis hinauf nach Quimperle, um von hier mit einer vielleicht für England be-
stimmten Holzladung auf den ebbenden Wassern ins Meer zurückzukehren.
Den Pulsschlag des Ozeans, ohne noch dessen Nähe zu ahnen, hier inmitten
des hochragenden Landes so deutlich zu vernehmen, berührt den Fremdling
gar wundersam, er zieht ihn hinaus zur Küste selbst.
In furchtbarer Zerschlitzung zu massig plumpen, spitz keilförmigen oder
mauerartigen Vorgebirgen schiebt sich die bretonische Halbinsel hinaus in den
ihr von Westen her entgegenbrandenden atlantischen Ozean und umgekehrt
greift dieser in fjordähnlichen, in trichterförmig sich verengenden, in bogig
geschwungenen oder sackartig endenden Buchten tief in das Land hinein.
Schmale Binnen dehnen sich zu weiten, fast rings geschlossenen, scharfzackig
ausgeschnittenen, zuweilen iuselreichen Binnenseeen aus, durch deren Ein-
gangspforte und zwischen deren Inseln sich Ebbe und Flut in reifsendem
Strome hindurchdrängen. Aber mit dem Steilrande der Küste endet der Be-
reich des alten armorikanischen Festlandes noch nicht, vielmehr wird jene
von einem Kranze trotziger Inseln, steiler Klippen und schwarzer Felsköpfe
umgürtet und ebenso umschwärmen solche oft in dichtem Gewirr auch die
weit draufseu, als schwer nahbare Vorposten liegenden gröfseren Inseln.
Au der Steilküste, an den Vorgebirgen, an den Inseln und Klippen bricht
sich mit donnerndem Wogenschwall der Ozean. Ja, selbst dort, wo die Fels-
köpfe auch während der Ebbe nicht mehr hervortauchen, erscheint noch in
weiter Ferne der dunkle Meeresspiegel betupft mit Flocken des weifsen Gischtes
der auf felsigen Untiefen brandenden See.
Dort, wo das am tiefsten zerrissene Vorgebirge der bretonischen West-
küste fast 30 km weit zwischen der Bucht von Brest und der Bay von Douar-
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Armorika.
259
nenez wie ein Arm mit gespreizten Fingern in das Meer hinausgreift, wandern
wir über die baumlose, ebene Hochfläche. Im Norden schweift das Auge
Über eine von Felszungen tief ausgefranste Doppelbucht, in welche vom
Meere her nur ein ganz schmaler, noch dazu durch einige Inselchen verengter
Eingang führt, sodafs sie fast zu einem rings geschlossenen Binnensee wird.
Blau und friedlich dehnt sie sich aus, aber auf jedem ihrer Vorgebirge ziehen
sich lange Reihen von Batterien hin, an allen beherrschenden Punkten er-
heben sich Fortifikationcn, aus denen die schwarzen Läufe der Geschütze her-
vorragen, — über die Wasserfläche gleiten Panzerschiffe eines manövrierenden
Geschwaders in gleichmäßigem Abstände, — am Nordgestade schimmern die
Häuser einer weithin sich ausdehnenden Stadt: vor unserem Blicke liegt der
gewaltige Kriegshafen von Brest (B des Kärtchens auf Seite 255). Aber wir
wenden uns nach Westen gegen das offene Meer und folgen dem Donner der
Wogen. Unvermittelt stehen wir am Rande des Plateaus, in erschreckender
Steilheit stürzt es sich 60 — 100 m hinab zum Meere. Von den oft senk-
rechten, ja zuweilen überhängenden Felswänden laufen kamroartig zerschlitzte
Mauern und wuchtige Riffe in die See hinaus, um sich hier in Klippen und
Felsköpfe zu gliedern, zackige wallartige Vorsprünge schieben sich vor —
an allen bricht sich die zu Gischt zerstäubende Woge. Hier hat sie im
Niveau der Brandung ganze Reihen von tiefen Grotten in die Felswände
eingewühlt, in die sie sich stürzt und an deren Rückwand sie sich mit
Kanonendonner bricht; dort hat sie eine enge senkrechte Schlucht eingeschnitten,
in der sie hoch emporschiefst, um dann an deren oberem Ende wie eine
Schaumfontaine herauszuspritzen. Die vorragenden Felsmauern werden durch
die fortgesetzte Vertiefung jener Grotten von kühnen Felsthoren durchbohrt
oder durch diejenige der Schluchten in Reihen von Pfeilern und Nadeln zer-
legt und zwischen diesem Gewirre von Felsgestalten und dem Steilabstur/.
der Küste, da kocht, wogt und wirbelt das Meer.
In einem kleinen Dampfer der französischen Marine, den uns der Kom-
mandant des Kriegshafens Brest in zuvorkommendster Weise zur Verfügung
gestellt hatte, durften wir uns diesem Chaos von Fels und Brandung an-
vertrauen, deren Wildheit an uns erproben und die Arbeit des Meeres aus
der Nähe staunend verfolgen. Aber wehe dem Segler oder dem Fischerboot,
die durch widrige Winde, und tückische, rasch wechselnde Unterströmungen
an dieses gefährliche Gestade getrieben werden! Wie oft kämpfen sie ver-
gebens. Alle die Angst und Not klingt wieder in den düsteren Namen, die
sich an gar manche dieser Gründe heften, wie Cap Seemannstod, Bucht der
Verzweiflung, Schreckensinsel und Bay der Dahingeschiedenen. Von der
Insel Ouessant heifst es im Sprichwort „wer dich erblickt, sieht auch sein
Blut1' und noch heute betet der Schiffer, ehe er in den bretonischen Mal-
strom, den Raz de Sein einlenkt, welchen noch kein Seemann passiert hat
sans peur ou sans malheur, die Worte: „Beschütze mich, mein Gott, auf
meiner Fahrt durch den Raz, mein Schifflein ist ja so klein und Dein Meer
so grofs!"
Erbarmungsloser aber noch als Woge und Klippe erwiesen sich in frühereu
Zeiten die rauhen Bewohner jener ungastlichen Gestade, wenn sie die nach
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Hermann Credner:
einem rettenden Hafen ausblickende Bemannung der in Seenot befindlichen
Schiffe durch falsche Lichtsignale ins sichere Verderben lockten, um den Segen
des Strandgutes zu mehren.
Die zerrissene Küste, auf der wir stehen, sie ist der neugeschaffene
Rand, die von Wogen gepeitschten Inseln, auf die wir hinab- und hinaus-
blicken, sie sind die Ruinen des einst bis nach Britannien vorgeschobenen ein-
heitlichen Festlandes. Unablässig hat die Brandung an dessen Zerstörung
und Zerstückelung gearbeitet und was heute vor uns liegt, ist nur die Schlacht-
linie im Eroberungskampfe des Ozeans gegen den Kontinent, den er bis hinab
zum Niveau der Ebbe abzusagen bestrebt ist. Mit ungebrochener Gewalt
stürzen sich noch jetzt die Wellen des atlantischen Ozeans, getrieben von
den westlichen und südwestlichen Winden, als Sturmeswogen und Dünung
gegen die bretonische Küste, brechen sich an ihr, so dafs der Boden dröhnt,
und bearbeiten sie unablässig mit enormer Stofskraft. Zur Entfaltung ihrer
ganzen Macht gelangen sie aber erst mit Hilfe der Gezeiten, wenn sich
die Flutwelle an der Südküste der Bretagne zu der enormen Höhe von 8 m,
an deren Nordküste bis zu einer solchen von sogar 12, ja 13 m über den
Stand der Ebbe erhebt. An den Inseln und Vorgebirgen teilt sich die an-
dringende Flut in Einzelströme, die sich zwischen jenen ihren Weg suchen,
sich dann wieder begegnen, in wirbelndem Toben an die Felsen prallen und
als ungestüme Unterströmung dem nächsten Andränge Platz machen. Zweimal
täglich klimmt mit steigender Flut die Brandungslinie an den Gestaden hinauf
bis zu jenen Höhen und dann wieder hinab zum Ebbspiegel, — zweimal in
24 Stunden ist jeder Punkt zwischen dem Niveau der Ebbe und der höchsten
Flut der Arbeit der Brandung ausgesetzt.
Von dem gewaltigen Mafse der zerstörenden Wirkung der Wogen erhält
man erst dann ein überzeugendes Bild, wenn man während der Ebbe hinab-
steigt zum Strande. Hier reiht sich im Niveau der Flutbraudung Grotte an
Grotte, überhängende Felsbänke und kühne Nadeln drohen zusammenzubrechen;
dort hat ein Steilgehänge von Felstrümmern durch Annagung seines Fufses
den Halt verloren und wird bald als Steinlawine in die Flut herabprasselu,
allerorts türmen sich durch Unterminierung zusammengestürzte Wände als
kaum überklimmbare Haufwerke von grofsen Blöcken auf, mit solchen ist das
weit hinaus trocken gelegte Vorland tiberstreut. Von den Rändern der einen
hängen dunkelgrüne und braune Tange wie dichte Fransen herab; andere
schimmern im dunklen Blau der sie in dichtester Packung bedeckenden Mies-
muscheln, noch andere sind von hell gelblichen Patellen und Balanen in-
krustiert, auf denen sich wiederum giftgrüne Fadenalgen angesiedelt haben.
Auf den Flächen zwischen den Blöcken breiten sich Anhäufungen und weite Felder
von Seetang mit Gehäusen von Seeigeln, Schulpen von Tintenfischen und
Muschelschalen aus, dann folgt der weifs schäumende Saum der augenblicklichen
Brandungslinie. Aber erst dort, wo das Vorland nicht steil in die See ab-
bricht, sondern sich ganz flach unter dem Meere fortsetzt, gelangt der enorme
Höhenunterschied im Stande des Meeres zur Zeit der Ebbe und der Flut zum
geradezu erschreckenden Ausdruck.
Es ist tiefste Ebbe, wir stehen am Fufs der Steilabstürze, welche die
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Armorika.
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tief in die Nordküste der Bretagne eingreifende Bay von Yffiniac umrahmen.
So weit das nach dem Meere suchende Auge nach Norden reicht, nichts als
eine fast ebene Fläche von lichtem Sand und grauem Schlamm mit kleinen
Tümpeln von Seewasser und mit flachen Rinnsalen der Bäche, die sich vom
Binnenlande her in mäandrischem Laufe der See zuschlängeln. Grofse See-
möven hocken herden weise dicht bei einander; eine steigt empor, die anderen
werden unruhig, dann hebt sich der ganze Schwann in weiten Kreisen und
mit grellen Schreien in die Lüfte. Hochgeschürzte Frauen mit ihrem schwarzen,
im Wind fliegenden Rock und Tuch eilen von Tümpel zu Tümpel und fischen
mit ihrem Netze Garneelen, andere laden Tang, oder den Schutt von Muschel-
schalen, die das Meer zusammengespült hat und die als geschätztes Dünge-
mittel dienen, auf zweirädrige Karren. Nur ganz am äufsersten Horizonte,
in mehr als 7 km Entfernung taucht ein schmaler Streifen des offenen Meeres
auf, er wird breiter und breiter, der weilse Saum der Brandung kommt
näher und näher, die Frauen streben mit ihren Wagen eilig nach dem Strande,
eine Schlammfläche nach der andern verschwindet unter der Flut. Jetzt er-
kennt man die noch fernen Gischtkronen der immer vorwärts rückenden, sich
an ihrem Fufs überstürzenden Woge, hinter ihr folgt eine schwächere, in
weiterer Entfernung eine noch sanftere, sich auf dem gekräuselten Meeres-
spiegel wellenförmig erhebende Dünung. Das züngelnde Wasser verwischt
die tiefen Fufs- und Wagenspuren, dann spritzt es an den in der Nähe des
Strandes zerstreuten Blöcken empor und zuletzt brandet die volle Flut donnernd
am felsigen Gestade und arbeitet von neuem an dessen Unterminierung.
Aber selbst die Gewalt der Meereswogen hätte für sich allein nicht ge-
nügt, das cornisch-bretonische Massiv quer zu durchschneiden, Britannion von
der Bretagne zu trennen, die bretonische Küste zu zerfransen und in Schwärme
von Inseln z\i zergliedern. Gar bald würden sich selbst die höchsten Wellen
auf der durch Abtragung eines schmalen Streifens der Küste geschaffenen
Brandungsterrasse tot gelaufen und ihre unterwühlende Kraft eingebüfst
haben, wenn ihnen nicht ein geologischer Vorgang zu Hilfe gekommen wäre,
der die Angriffslinie des Meeres immer weiter landeinwärts gerückt hat. Es
ist die langsame Senkung des dortigen Festlandes und somit auch seiner
Küste, die sich noch bis in die jüngsten Zeiten erstreckt. Dafs sie die
flachen Küstenstriche mit allem, was sie trugen, unter dem Meeresspiegel ver-
senkt hat, davon zeugen die unterseeischen Wälder in der Bay von Granville
und am Kap Frehel an der Nordküste der Bretagne sowie an deren Süd-
küste im Morbihan und in der Villainebucht; davon zeugen die Ruinen einer
versunkenen Stadt in der Bay von Douarnenez, — römische Strafsen, deren
Fortsetzung unter der See verschwindet, — die von den Urbewohnern auf-
gerichteten Riesensteine auf den Inseln des Morbihan, welche nur noch bei
tiefster Ebbzeit sichtbar werden. Während so die flachen Gestade durch
ruhiges Untertauchen unter dem nivellierenden Spiegel der See verschwanden
und immer tiefer in das Land eingreifenden, nur noch von Inseln durch-
ragten Meeresbuchten Platz machten, und während das Meer in den alten
Thalmündungen landeinwärts vordrang und sie zu fjordähnlichen Armen ge-
staltete, fielen die Steilküsten und zwar je nach der Widerstandsfähigkeit
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H ermann Credner:
ihrer Gesteine mehr oder weniger rasch dem wilden Werke der sich gegen
sie vorschiebenden Brandung zum Opfer. Granite und quarzitische Sandsteine
trotzten demselben länger als Schichtenkomplexe von geringerer Festigkeit.
Da nun der geologische Aufbau der Bretagne aus Gebirgsgliedern von ver-
schiedener Zähigkeit ein zonaler, von Ost nach West verlaufender ist, der
von dem Meeresufer quer oder schräg geschnitten wird, so resultirte aus
dem Zusammenwirken der beiden Faktoren, einerseits der Senkung eines
randlich durch tiefe Thalfurchen eingekerbten Landes, anderseits der zonal
einsetzenden Erosion der Küsten durch das vorrückende Meer jenes von Inseln
und Klippenschwärmen umkränzte, tief zerfranste Litoral, welches mit Recht
als Typus der Riasküsten gilt.
Eigenartig wie die Geschichte des Werdens der Bretagne selbst ist auch
diejenige ihrer Bewohner. Armorika ist eine derjenigen Domänen, die
dem einst so machtvollen Volksstamme der Kelten übrig geblieben sind.
Der Sitz der Kelten war seit undenklichen Zeiten der Westen von Europa
von den Pyrenäen und den Alpen bis zum Rhein und der atlantischen Küste.
Durch kühne Eroberungszüge erweiterten sie ihr Reich um das Vielfache,
80 dafs zu ihrer Blütezeit fast das gesamte West-, Mittel- und Südeuropa
von Britannien bis zur Balkanhalbinsel ihrem Machtbereiche angehörte, den
sie selbst noch bis nach Kleinasien ausdehnten. Als aber dann gegen Be-
ginn unserer christlichen Zeitrechnung die Römer unter Caesar und Augustus
nach Norden vordrangen, wurden auch die Kelten nach langen und blutigen
Kämpfen gezwungen, sich dem römischen Joch zu unterwerfen. Unter der
Herrschaft der Römer gingen sie des wahren Kerns ihrer Nationalität ver-
lustig und wurden durch die sich nach Süden vorschiebenden Germanen des
Restes ihrer Eigenart beraubt und von diesen absorbiert. Als Völkerschaft
vom Kontinent verdrängt, retteten zwei kleine Aste der Kelten ihre nationale
Selbständigkeit und mit dieser ihre Sprache auf die andere Seite des Kanals
in die Berglande von Schottland, Irland, Cornwall und Wales. Einige Jahr-
hunderte hindurch blieben diese Bezirke die letzten und einzigen Zufluchts-
orte jener grofsen Völkerfamilie, deren Herrschaft einst bis zum ägaeischen
und schwarzen Meere gereicht hatte. Dann aber begann bei ihnen unter
dem Drucke der Angelsachsen während des 4. und 5. Jahrhunderts nach
Christus eine neue Völkerwanderung und zwar eine Rückwanderung nach
dem nächst liegenden Teile ihres alten Stammsitzes, nach der ihnen ihre
Felsarme entgegenstreckenden armorikanischen Halbinsel und diese haben sie
noch heute inne. Keine Race unter den Bewohnern Frankreichs hat ihre
Individualität reiner bewahrt wie die Kelten der Bretagne, so dafs sie sich
noch heute durch Charakter, Sprache, Trachten und Gebräuche von den
übrigen Völkerschaften Frankreichs scharf abheben. Während das keltische
Idiom schon seit mehr als einem Jahrhundert in dem Heimatland der Bretonen,
in Cornwall verklungen und den» Englischen gewichen ist, halten die Kelten
der Bretagne mit Zähigkeit an ihrer eigenen alten Sprache, dem Armorischen
fest. Die unter ihnen gebräuchlichen Dialekte sind mit dem Gälischen
Schottlands und Irlands und mit dem Welsch von Wales so nahe verwandt,
dafs sich die Stammesgenosseu durch sie gegenseitig zu verständigen ver-
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Armorika. 263
mögen. Wohl die Hauptmasse der Bretonen, namentlich aber die gesamte
Landbevölkerung der westlichen, also Hasse - Bretagne , bedient sich des
Keltischen, viele sprechen nur dieses, verstehen aber französisch und nur bei
einem verhältnismäfsig geringen Teile ist auch letzteres nicht der Fall.
Aber nicht etwa nur als volkstümlicher Dialekt, nein als Schriftsprache
hat sich das Keltische der Bretagne in Bardenliedern, Dichtungen fröhlichen
und religiösen Inhalts, in Dramen und in einer Bibelübersetzung erhalten
und wird noch heute in der Poesie, in Zeitschriften und Tageszeitungen ge-
pflegt. Wenn neuerdings die Republik bestrebt ist, das Keltische als Schul-
und Kanzelsprache auszumerzen, so dürfte dies darin begründet sein, dafs
der Grundcharakter der zähen Bretonen ein royalistischer und der klerikalen
Bevormundung unterworfener geblieben ist.
Dem rasch das Land durchziehenden, der armorischen Sprache nicht
mächtigen Fremden bleibt natürlich das innere Wesen des keltischen Volks-
stammes verschlossen, nur Äufserlichkeiten sind es, die er erhascht, und diese
gelangen naturgemäfs weniger in den Städten als auf dem Lande zur Geltung.
So weit dieses dem Ackerbau und der Viehzucht dient, haben ihm
keltische Sitte und Bewirtschaftung eine durchaus charakteristische und dem
Reisenden, wenn er auch nur mit dem Schnellzuge die Bretagne durcheilen
sollte, direkt als eigenartig auffallende Erscheinungsweise aufgeprägt. Vom
Uufscrsten Osten bis fast zum westlichen Ende der bretonischen Halbinsel,
überall, wo nicht sterile Heide oder WTaldbestand den Boden deckt, sieht er
das Land durch eine Gliederung in lauter meist viereckige, verhältnismäfsig
kleine Parzellen beherrscht, die durch hohe, dicht bewachsene Wälle gegen
einander und gegen die sie durchziehenden Strafsen und Wege abgegrenzt
werden. Infolgedessen erscheinen alle der Landwirtschaft nutzbar gemachten
Landstriche einem Maschensystem unterworfen. Die bis über meterhohen
Wälle, welche dasselbe gittern, bestehen aus Erde, Gesteinsschutt und Blöcken,
die roh aufeinander gebaut sind, und dienen zum Sitz einer üppigen Vege-
tation. Aus ihrem Kamme streben in dichte Reihen gestellte Eichen, Wall-
nufsbäume, edle Kastanien und auch wohl Ulmen empor, deren zum Teil
gewaltiger Durchmesser das hohe Alter der sie tragenden Wälle bezeugt.
Aber nicht zu entsprechender Höhe und zu weithin reichenden Kronen ent-
falten sich diese Bäume, nein, die Hand der Bretonen hat sie zu Krüppeln
geformt und erhält sie in ihrer Mifsgestalt. Selbst die dicksten Stämme sind
wenige Meter über ihrer Wurzel gestutzt und senden dann nur ein niedriges,
dichtes Astwerk aus; andere sind nicht verkürzt, aber so glatt geschoren,
dafs sie schlank wie italienische Pappeln in die Höhe schiefsen; noch andere
sind fast bis zur Spitze ihrer Aste beraubt und breiten erst hier ihre Zweige
regenschirmartig aus. So unnatürlich sind diese Gestalten, dafs es oft un-
möglich ist, aus der Ferne die Arten der die Wälle krönenden Bäume zu
erkennen. Bis armstarke Ranken von Epheu umstricken die Stämme und
schlingen sich um jeden Ast. Dazwischen bilden Stechpalmen mit ihren
glänzend grünen stacheligen Blättern, Haselnul's-, Wachholder- und Brombeer-
sträuche nebst hohen Adlerfarnen buschige Hecken auf den mit Moos und
intensiv rot blühender Heide überwucherten Wällen. Innerhalb dieser Um-
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Hermann Credner:
rahumngen breiten sich die Feldflächen aus, die der Kultur des Weizens,
Hafers, Roggens und der Gerste, namentlich aber des Buchweizens unterliegen,
zugleich aber mit weitläufig gestellten Obstbäumen besetzt sind und, sobald
die Ernte eingeheimst ist, dem Vieh als Weideplatz dienen, also in jeder
Richtung ausgenutzt werden.
Aus dem Grün der Wälle ragen hier und dort die dunklen Schiefer-
dächer der bretonischen Steinhäuschen und Gehöfte hervor; durch den Wirr-
warr von Hecken, Mauern und Wällen den Weg zu ihnen zu finden, ist oft
schwierig. Wir gelangen zum Haus eines wohlhabenden Bauern und treten
ein. Es ist einstöckig und besteht aus zwei durch den Eintrittsgang ge-
trennten gröfseren Räumen mit festgestampftem Lehmboden. Derjenige rechts
dient als Wohn-, Efs- und Schlafzimmer dem täglichen Leben Die Wand
gegenüber der Thür wird gröfstenteils von einem breiten offenen Herde ein-
genommen, in dem über glimmenden Holzkohlen Brei in einem grofsen drei-
füfsigen Topfe brodelt; auf der weifsen Asche zu seineu Seiten ausgestreckt
schlummern Hund und Katze; in dem sich breit öffnenden Rauchfang hängen
vom Rufs schwarz gefärbte Würste herab. Der Sims desselben ist mit einem
Kruzifix, einer bretonischen Bibel und einigen Messinglampen verziert. An
der Zimmerdecke schweben zwischen Ketten von Zwiebeln und Knoblauch
grofse, wie Schweizerkäse aussehende Laibe von Talg, von denen der eine
zugleich als Nadelkissen dient, um die Nadeln vor dem Verrosten in der
feuchten Seeluft zu bewahren. Die eine fensterlose Wand wird eingenommen
von schrankartigen, tiefen und langen Kästen, die sich in doppelter Reihe
übereinander aufbauen. Sie sind von reliefartigen Schnitzereien bedeckt und
mit durchbrochenen Schiebethüren versehen, die jetzt offen stehen. Hohe
Federbetten bauschen sich in ihnen auf, es sind Schlafschränke. Jeder von
diesen beim Gebrauche allseitig, in der unteren Etage auch oben geschlossenen
Käfigen dient nicht nur zwei Erwachsenen zur Ruhestätte, sondern in manchen
derselben befindet sich auch noch quer zu deren Füfsen eine Abteilung für
ein kleines Kind. Da aber mehrere dem Haus entsprossene und in ihm ver-
eint bleibende Generationen und deren eingeheiratete Ehehälften sich in diese
Kästen verteilen, so müssen deren Insassen trotz der Düsternis und Engigkeit
der Behältnisse zugleich auch ihre Nacht- und Morgentoilette in denselben
bewerkstelligen. Auf der Bank vor diesen Schlafschränken sitzen jetzt die
Männer und rauchen ihre kurze Thonpfeife, müssen aber den feuchten Tabak
mit Hilfe einer glühenden Kohle, die sie in einer kleinen Zange halten,
immer wieder in Brand setzen.
Es ist gerade Mittagszeit. Die Mädchen rühren den Brei noch einmal
mit einem entrindeten Ast, schaben dann diesen mit einem Schieferscherben
wieder rein und richten das Mahl. Die Bewohner des Hauses setzen sich
um den derben Tisch. Vor ihnen steht eine Schüssel voll Buchweizenbrei,
in der Mitte mit einer von einem Wulste des Breies umgebenen Grube gefüllt
mit zerlassener Butter, vor jedem Teilnehmer ein brauner Napf mit Milch,
von der Decke hängt wie ein Kronleuchter ein durchlöchertes Brett mit
Löffeln herab. Ein jeder langt sich einen solchen herunter und greift dann
aus der gemeinsamen Breischüssel wacker zu.
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A rmorika.
265
Der links vom Eintrittsgang liegende Raum ist das Staats- und Fremden-
zimmer und enthält nur zwei besser ausgestattete Schlafschränke, ferner
einen nicht zum Kochen, sondern nur als Kamin bestimmten, nischenartigen
Fouerplatz, an Tafeln Bänke mit geschnitzten Rückenlehnen, an den Wänden
Borde dicht mit grell bemalten Tellern besetzt, dazwischen bunte Heiligen-
bilder und Rosenkränze, an der Decke aber Leisten mit einer Unzahl von
Tassenköpfen. Alles ist eingerichtet und vorbereitet auf Gastlichkeit und
Geselligkeit im grofsen Kreise. Wer aber aus der Menge der Tassen darauf
schliefsen wollte, dafs sich die hier Versammelten mit Kaffee laben würden,
der irrte sich gewaltig. Nein, sie dienen zu grofsen Gelagen in Cider. Er
ist das Nationalgetränk der Bretonen. In ihrem Lande reift die Traube
nicht, dafür gedeiht an den Obstbäumen ihrer Felder und Haine ein reicher
Segen von Äpfeln und Birnen, die sie in erstaunliche Mengen von Cider
umsetzen, um ihren Durst zu löschen, ihre Zunge zu lösen und ihr Herz zu
erfreuen. Was den Baiern das Bier, den Italienern und Südfranzosen der
Rotwein, das ist den Bretonen der Cider. Hin verfertigt fast jeder Grund-
besitzer, bringt ihn in auf einspännige Wagengestelle gelegten langen Fässern
nach der Stadt oder hält ihn selbst in seiner Behausung feil. Wenn der
durstige Wanderer ins Dorf oder Städtchen einzieht, so fällt ihm die Wahl
schwer, wo er sich erquicken soll, über den Thüren so vieler Häuser sind
Zweige mit Äpfeln befestigt, die zur Einkehr laden. Doch bat er mit seinem
Geldbeutel sorgsam zu wirtschaften, so zählt er vorsichtigerweise erst die
jedesmalige Zahl der Frücht«, denn sie bekundet diejenige der Sous, die
dort für das Liter des Weins verlangt werden. Steckt neben den Äpfeln
noch ein Gui, ein Mistelzweig, so erhält er durch dieses alt ererbte Symbol
die Kunde, dafs er hier auch nächtliche Unterkunft findet.
Das erste bretonische Städtchen, das ich zu mehrtägigem, mir unvergefs-
lichem Aufenthalte wählte, war Quimperle, reizvoll gelogen an der Stelle,
wo sich die Isole und Elle zur Laita vereinen, die dann durch die ein-
dringende Flut zeitweilig schiffbar gemacht wird. Meine Herberge trug keinen
Mistelzweig, sondern die goldene Inschrift Hotel du Lion d'or. Im Glanz
des nächsten Morgens lag vor meinem Fenster ein grofser reinlicher, mit
schattigen Bäumen besetzter Platz, jenseits desselben und der Isole klettern
die niedrigen Häuser in nur mit Hilfe von Treppen passierbaren Strafsen die
steile Thalwand hinauf, um an deren oberem Rande von der viertürmigen
Kirche St. Michel und dem von Parkanlagen umgebenen, sich lang dahin-
ziehenden Ursulinerinnen- Kloster überragt zu werden. Rechts von mir das
altehrwürdige frühere Benedictiner- Kloster mit dem nach dem Muster der
Grabeskirche zu Jerusalem gebauten Dome Ste. Croix. Über diesen Platz
zogen zu zweien oder einzeln hintereinander in langer Folge Frauen in
schlichtem schwarzem Kleid mit weifser Haube. Kein Wunder, dafs ich sie
in dieser düstern Tracht und in dieser klösterlichen Umgebung für Nonnen
hielt Erstaunt vernahm ich die Aufklärung, dafs es Frauen und Mädchen
von Quimperle seien, die vom Markt zurückkehrten. Dahin eilte ich, um
ihre Tracht näher in Augenschein zu nehmen. Die ganze Gestalt der Weiber
ist in Schwarz gehüllt. Schwarz ist das langärmlige Mieder, dessen Hals-
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266
Hermann Crcdner:
ausschnitt mit schwarzem Sauimet besetzt ist, schwarz, der Rock, der augen-
scheinlich über einen dicken Hüftenwulst senkrecht und faltenreich herabfallt
und am unteren Rand einen schwarzen Sammetstreifen trägt, - schwarz
sind die Strümpfe und die auf dem Pflaster klappernden kahnartigen Holz-
pantoffeln. In schneeigem Weifs hebt sich nur die Kopfbedeckung ab. Sie
besteht aus einem barettartigen Käppchen, das hinten in ein Mützenschild
ausläuft, über welches die Enden einer Schleife und zwei lange breite weifse
Bänder herabfallen. Hierzu kommt noch bei einzelnen Frauen als etwas
vornehmere Zugabe ein weifser, steifer, horizontal weit abstehender Kragen,
der hinten von Schulter zu Schulter läuft und über den jene Bänder herab-
wallcn. Man denke sich versetzt auf einen Marktplatz, der von solchen
Frauen wimmelt, alle schwarz gekleidet, weifs behauptet, an keiner auch
nur ein buntes Bändchen; jung und alt, hager und dick, eine wie die andere
ohne die geringste Anpassung der Farbe oder des Schnittes an die äufserc
Erscheinung. Etwas bunter präsentieren sich die Männer. Die alten haben
an der hergebrachten Tracht festgehalten. Die blaue kurze Jacke steht vorn
offen, die schwarze Weste ist mit zwei Reihen silberner oder vergoldeter
Knöpfe besetzt. An die kurzen, weiten, faltigen Pumphosen schliefsen sich
braune Kniestrümpfe und diese enden in schweren Holzschuhen. Vom
schwarzen Filzhut hängen au silberner Schnalle zwei lange Sammetbänder herab.
Es wird Abend. Der Markt leert sich. Auf der Chaussee, die vom
Thal aufs Plateau steigt, begegne ich den in ihre Dörfer und Gehöfte zurück-
kehrenden Frauen. Fast keine geht zu Fufs. Zu vier oder sechs haben sich
die schwarzen Gestalten auf die beiden Sitze zweiräderiger hoher Karren
gepackt. Eine lenkt den kleinen Schimmel. Von weitem schon hört man
ihr Schwatzen. In kurzen Zwischenräumen folgen wohl 15 — 18 solcher
schimmelbespannter Weiberwagen. Und wo sind die Männer? Diejenigen,
die der Beruf nicht zu Hause oder auf der See festgehalten hat, die haben
sich vom Apfelbüschel verlocken lassen; aus den letzten Häuschen der Stadt
tönt ihr Lärmen.
Nicht überall jedoch in der Bretagne herrscht die nonnenhafte Tracht
von Quimperle, vielmehr wechselt letztere zugleich mit den Dialekten der
bretonischen Sprache in den verschiedenen Landschaften.
Es folgt ein Sonntag. Ein klarer Sommerabend breitet sich über die
sanftwelligc Hochfläche, aus deren Thalsenken Dörfer hervorlugen. Weithin
sichtbar krönt ein altes Kirchlein oder eine Kapelle fast jede der weitläufig
zerstreuten kahlen Anhöhen, die sich bereits die alten Kelten zu Thingplätzen
und vor ihnen schon ihre Vorgänger zu Grab- und Opferstätten erkoren
hatten. Von letzteren ragt noch hier und da ein pfeilerartig aufgestellter
Riesenstein empor, aber seines heidnisch rohen Gewandes hat man ihn be-
raubt, glatt behauen trägt er jetzt ein Kreuz auf einer oder jeder seiner
Seiten. Ein Kirchlein hat sich mit seinem Gottesacker in die Reste eines
kaum noch erkennbaren Ringwalles eingenistet. Uralte dickstämmige Eiben,
in grauer Vorzeit hier angepflanzt und den Todesgöttern geweiht, sind dem
Untergange entronnen und harmonieren in ihrem düsteren Kleide mit der
ernsten Stimmung jener Plätze.
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Armorika
2C7
Dort unten aber am Kufs jenes Kirchbügels ertönt aus dem Garten einer
Schänke frohes Leben. Aus der ganzen Umgegend ist das tanzlustige Volk
zusammengeströmt, mehrere Hundert füllen den von Bäumen und Strauchwerk
eingerahmten weiten Tanzplatz in buntem Treiben. Ihren schwarzen Kleidern
und weifsen Häubchen haben heute die Frauen und Mädchen grell blaue
und rote Schürzen zugefügt und auch dio Burschen tragen blaue Kittel.
Lebhaft sprechen sie dem Cider zu. Der Dudelsack tönt, aber nicht in
lustigem Kundtanze schwingen sich die Paare, in einförmigem Reigen be-
wegen sie sich reihen- und gruppenweise bald zur Seite, bald vor- und rück-
wärts, nur dann und wann mit der Unterbrechung eines schuhplattlerartigen
Sprunges. Aus dem Vorgarten der Schänke tönen Volkslieder. Unter diesen
darf nicht fehlen das allbeliebte Ann hini gouz, ein keltisch -patriotischer Sang,
der in 30 Strophen die Vorzüge der Bretagne vor Gallien preist, welche
das Volkslied in einem älteren bretonischen und einem jungen gallischen
Mädchen personifiziert. Die Alte hat weifse Haare, die Junge blonde,
die Alte hat Haut wie dürres Farnkraut, die Junge einen Teint wie Schnee,
die Junge ist zierlich, die Alte schwerfällig, aber wenn sie so alt wäre
wie die Welt, „ich stäke ihr doch den Ring an den Finger, denn — mit
diesem Refrain endet jeder der 30 Verse, —
Ann hini gouz
Eo ma dous;
Ann hini gouz
Eo zur!
Die Alte ist's, die ich liebe, die Alte, das ist sicher."
Clanz anders wie das Leben der Acker- und Obstbau treibenden Be-
völkerung im Innern des Landes spielt sich dasjenige an der Küste ab, deren
männliche Bewohner fast sämtlich der Fischerei und Schiffahrt obliegen.
Die Gefahren des Klippenmeers und seiner tückischen Strömungen und
Stürme haben dieses Küstenvolk zu kühnen Meeresarbeitern gemacht. Von
der nördlichen Küste aus schweifen ihre Schitfe weit über den Ozean bis
auf die Fischgründe von Island und Neufundland, an der Südküste haben
sie sich eine Flotte von Fischerbooten geschaffen, die ausschliefslich dem Fang
von Sardinen, Makrelen, Huramern und Langusten des Küstenmeeres dient.
Von Concarneau und Douarnenez, den beiden Haupthäfen für den
Sardinenfang, ziehen täglich von Ende Juui, sobald die Sardinenschwärme
sich einstellen, bis gegen Dezember 1200 bis 1300 Fischerboote hinaus in
die See, jedes bemannt mit 5 bis 6 Leuten. In tiefstem Schweigen lassen
die Fischer vorsichtig die bis 20 m langen Schleppnetze ins Meer, streuen
die Lockspeise, aus Stockfisch- oder Sardinenköpfen bestehend, aus und warten,
bis sich das Netz unter der Last der sich in dasselbe verwickelt habenden
Fischchen zu senken beginnt, dann wird es eingezogen und dabei ausgeschüttelt,
so dafs sich die Sardinen, ohne mit der Hand berührt zu werden, in dem
Schiffsräume aufspeichern. In den Hafenplätzen wartet ein Heer vou Frauen
auf die heimgebrachte Beute, um sie vorzurichten, einzusalzen und in Tönu-
chen oder Kisten zu verpacken, oder in Blechdosen in Öl einzulegen. Die
Düfte, welche diese Häfen umwehen, kann man nicht als lieblich bezeichnen.
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Hermann Oredner:
•
Wird aber die Flotille der Fischerboote unterwegs von den oft unerwartet,
hereinbrechenden Stürmen überfallen, so wird gar manches von ihnen ein
Kaub der zwischen den Klippen und Inseln tobenden See, von deren Opfern
die übergrofse Anzahl von Witwen und Waisen in den Ortschaften zeugt,
die auf das gefahrvolle Gewerbe der Sardinenfischerei angewiesen sind.
Ist der Ausgangspunkt für diese letztere das wie ein Wellenbrecher in
das Meer ragende westliche Vorgebirge der Bretagne, so dient deren süd-
östliches, flaches Litoral der mühseligen Zucht der Austern. Sie bringt
nicht nur viele Millionen reife, als armorikanische bekannte Austern auf die
Märkte, sondern liefert auch deren Brut für die Bänke fast aller übrigen
Küsten Frankreichs. Auf weiten Strecken an den flachen Ufern des Unter-
laufes der Ströme Morbihans reihen sich die Brutbeete aneinander. Sie be-
stehen aus mauerartigen Bauten von lauter locker aufeinander gelegten
pfannenartigen Hohlziegeln, welche sich oft wie dicht nebeneinander stehende
Buhnen vom Ufer aus rechtwinklig in die der Ebbe und Fluth unterworfenen
Flüsse hinausschieben. An die mit leuchtendem Weifs angestrichenen Hohl-
ziegel setzen sich die im Mai bis Juli frei im Wasser schwärmenden Larven
der Austern fest und wachsen hier zu einige Centimcter grofsen, oft dicht
gedrängt sitzenden Muscheln an. Nach Ablauf eines Jahres nimmt man die
Ziegeln heraus und trennt die von den raubgierigen Krabben entleerten
Schalen ab, ebenso auch die Tierchen, die nur eine geringe, noch heilbare
Verletzung durch diese ihre Verfolger erlitten haben. Die letzteren, die
Invaliden, bringt man bis zu ihrer Gesundung ins Hospital, d. h. in Kästen
von Eisendraht, die ins Meer gesenkt werden. Nachdem diese Scheidung
vollzogen ist, gelangen die nun nur noch mit der intakt gebliebenen Brut
besetzten Ziegeln zum Versandt in die Austernzüchtereien. Nur ein geringer
Teil der jungen Austern wird losgelöst und an Ort und Stelle zur Erzielung
von Zuchtaustern zurückbehalten, auf dem flachen Ufer ausgebreitet, während
der Ebbe durch tägliches Überschaufeln mit Wasser rein gewaschen und vor
Verschlammung bewahrt. Sie gedeihen dann auf dem diatomeenreichen
Schlamm, der ihre Nahrung bildet, im Laufe zweier Jahre zu reifen
Zuchtaustern.
Wenn sich unsere Kenntnisse von den Anfängen der geologischen Ge-
schichte Armorikas nur auf starre Zeugen von Felsgestein stützen, so gilt
das Gleiche von unserem Gesamt wissen über die Urbe wohner des Landes.
Die Bretagne ist das Land der vorhistorischen, wie von Riesenhänden
aufgepflanzten oder zu rohen Steinbauten aufeinander gelegten Megalithen.
In der öden Heide, an der flachen Küste, auf den unfruchtbaren Höhen des
Inlandes, wie am Rande des Steilabsturzes und auf den Inseln — überall
bauchen diese sagenumwobenen Denkmäler aus der Urzeit des Menschen vor
dem Wanderer aus der Erde. Meist sind es vereinzelt stehende, unbehauene,
gewöhnlich 1 bis 2, seltener 4 oder gar 6 m hohe pfeilerartige Steine, die
Menhir, also Hochsteine der Kelten, zuweilen aber auch ganze Gruppen von
solchen, die dann entweder in lange Reihen gestellt oder in Kreise geordnet
sind und in letzterem Falle Cromlechs, Steinkreise, genannt werden.
Weitläufiger zerstreut sind die Dolmen, die Steintische, die, wie der Name
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Arraorika.
2(>9
andeutet, aus einer Anzahl senkrecht stehender Steinklötze bestehen, welche
horizontal auf sie gelegte gewaltige Felsblocke oder -platten als Decke
tragen. Dafs sie als Begräbnisstätte gedient haben, steht nach den in ihnen
gemachten Funden aufser Zweifel. Während aber die Menhirs und Cromlechs,
seit sie aufgerichtet wurden, frei in die Luft ragen, waren die Dolmen ur-
sprünglich unter hünengrabähnlichen Hügeln von feinem Gesteinsschutt, von
Erde oder Meeresschlamm, den Galgals der Kelten, verborgen. Wind und
Wetter trugen diese Tumuli im Laufe der Zeiten ab, und was von ihnen
noch übrig blieb, das verteilte der eingewanderte Kelte auf seine mageren
Äcker. So sind denn die Dolmen aus ihrer Hülle aufgetaucht und erheben
sich jetzt frei über den flachen Erdboden, nur auf dem einen oder anderen
dieser riesigen Grabhügel hat das einziehende Christentum eine Kirche er-
richtet, unter deren Schutze er sich erhalten hat und in sich noch heute die
unversehrten Grabkammern birgt.
Wie gesagt, Menbirs, Cromlechs und Dolmen finden sich gruppenweise
zusammengeschart, häufiger noch einzeln über die ganze Bretagne zerstreut
und bilden in dieser Allgemeinheit ihrer Verbreitung geradezu einen Charakter-
zug der bretonischen Scenerie. Zu einem die Landschaft vollkommen be-
herrschenden, ihr ganzes Wesen bedingenden Elemente aber werden sie dort,
wo sie sich thatsächlich zu Tausenden an einander drängen, wie es auf der
einförmigen, unfruchtbaren Ebene der Fall ist, die sich südlich von Auray
zum Spiegel des Morbihan an der Südküste der Bretagne herabsenkt. Die
Zentralstelle der dortigen Grabstätten, Opferplätze und Heiligtümer ist
Carnac (C des Kärtchens auf Seite 255) und zwar zunächst durch seine
Menhir-Reihen. Nicht weniger als 2813 Menhir ziehen sich hier in elf
parallelen Reihen von fast 4 km Länge wie unabsehbare Steinalleen von
Westsüdwest nach Ostnordost als 100 m breiter Streifen über die Heide.
Die senkrecht stehenden Steine sind durchaus unbehauen, rauh und so viel-
gestaltig geformt, wie sie der zufällige Fund lieferte. Sie schwanken zwischen
Manneshöhe und einer Länge von 2 bis 4 m und bestehen alle, ebenso wie
der Untergrund der Gegend selbst, aus Granit. Da sie dem festen Fels-
boden und zwar oft mit ihrem sich nach unten verjüngenden Ende ohne
weiteren Halt stumpf aufgesetzt sind und zugleich ihre breite Seite den
vom nahen Meere heranbrausenden Stürmen darbieten, so erscheint es
rätselhaft, dafs nur sehr wenige von ihnen im Laufe mehrerer Jahrtausende
zum Sturze gebracht worden sind. Durch 300 bis 400 m breite stein-
freie Zwischenräume werden die Menhir-Reihen in drei Gruppen gegliedert,
an deren beide äufsere sich ein von grofsen Hochsteiuen umrahmter Cromlech
anschliefst.
Die Menhir- Alleen von Carnac sind wohl die ausgedehntesten, aber
nicht die einzigen des dortigen Gebietes, vielmehr wiederholen sie sich hier
im kleineren Mafsstabe noch an 7 bis 8 Stellen, so dafs sich die Gesamtzahl
dieser Menhir auf gegen 4000 belaufen dürfte.
In weitem Umkreis um diese reihenförmigen Steingruppen liegen nicht
weniger als 250 Dolmen aller Art zerstreut. Die einfachsten bestehen aus
3 oder 4 rohen Pfeilern oder Platten, auf welche ein plump plattigcr Granit-
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270
Hermann Credner: Armorika
block gelegt ist, der bei ein oder anderthalb Meter Dicke nicht weniger als
6 oder 7 m Lange, ja 10 bis 12 ra erreichen mag. Andere dieser Dolmen
stellen allseitig geschlossene Kammern mit schmalem Zugang vor, noch andere
bilden gedeckte Gallerien zum Teil mit kleineren Seiteukammern, ja in
einzelnen Fällen stehen derartige Gelasse in zwei Etagen über einander,
Alter eins haben sie alle gemein, das ist ihr Aufbau aus roh neben einander
gestellten und auf einander gelegten, stets unbehauenen, plumpen Granit-
klötzen, -platten und -blöcken von zum Teil cyklopischer Gröfse.
Dafs die Dolmen und die ursprünglich über sie gehäuften Galgals als
Begräbnisstellen voraussichtlich hervorragender Männer gedient haben, steht
nach den in ihnen gemachten Funden von menschlichen Skeletresten, Aschen-
krügen, Steinbeilen und einigen seltenen Bronzeschwertern fest: zu welchem
Zwecke aber sind jene Tausende von Hochsteinen zu vielreihigen, mehrere
Kilometer langen Alleen mit ihren halbkreisförmigen oder quadratischen
Cromlechs aufgepflanzt worden?
Das Volk hat diese Frage längst durch eine fromme Mythe beant-
wortet: Die langen geraden Steinreihen, sie sind die „Soldaten des heiligen
Cornelius". Von heidnischen Kriegern verfolgt und bedrängt, floh der Papst
Cornelius von Rom aus bis an die Südküste der Bretagne. Hier stand er,
hinter sich die mordlustigen Heiden, vor sich das eben so erbarmungslose
Meer. In dieser angstvollen Bedrängnis hob er seine Hände gen Himmel
und verwandelte durch kraftvolles Gebet seine Verfolger in Stein. Noch
heute stehen sie in den langen Reihen, in denen sie herangezogen waren.
Wer sich von diesem sagenhaften Berichte nicht befriedigt fühlt, der
wird in den weiten, von Steinpallisaden umgebenen Vierecken und Kreisen,
den Cromlechs, die Stätten erblicken, in denen die Priester der verschwundenen
Urbevölkerung Armorikas ihre heiligen Handlungen vollzogen, in denen die
Herrscher und Heerführer gekürt wurden und von wo aus Recht und Schieds-
spruch verkündet ward im Angesichte der Volksmassen, die sich zwischen
den auf die Cromlechs zulaufenden Steinalleen nach ihren Stämmen oder
nach ihrer Heimat, geordnet hatten. In der Umgebung dieses Volksheiligtums
fanden die Edlen des Landes ihre Ruhestätte. Ein Dolmen nach dem anderen
ward aus cyklopischen Blöcken aufgetürmt, um deren Leichnam oder die
Vase mit dessen Asche zu bergen, und über diese wurden hohe Tumuli
aufgeschichtet, um das Grabmal für Jahrtausende zu beschirmen. So erwuchs
eine Totenstadt aus Riesengräbern um die geweihten Stätten.
Noch ein Abschiedsblick auf das bretonische Land von dort oben der
Höhe jenes Tumulus, den jetzt das Kirchlein des heiligen Michael krönt.
Im Süden glitzert die Sonne in der von Inseln erfüllten Meeresbucht, dem
Morbihan, dem „kleinen Meere'4 der Kelten; es ist die Stätte, wo Cäsar in
wütender Seeschlacht die Flotte der Veneter vernichtete; im Norden dehnt
sich die von Steinbauten übersäte weite Heide aus. Wir sehen wilde, mit
Steinhammer und Speer bewaffnete Völkerscharen heranziehen, sich in die
Steinreihen drängen und sich ordnen; wir erblicken im Cromlech die Priester,
wie sie ihr Opfer vollziehen, wir vernehmen, wie sie ihre Weissagungen und
Schiedssprüche der harrenden Menge verkünden, wir sehen die Rauchsäulen
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Alfred Hettner: Die Landhauzonen der aufsertropischen Länder. 271
der Feuer aufwirbeln, welche die in ernstem Zuge hierher geleiteten Leichname
der Helden des Volkes verzehren.
Nur 48 Stunden spater und wir stehen in vielsprachigem Gedränge am
Kufse des Eiffelturmes; bis zu seiner Spitze erstrahlen Guirlanden und Sterne
elektrischen Lichtes. Zwischen der Kunst derer, welche das eiserne Balken-
werk bis zur schwindelnden Höhe von 300 m zusammengefügt haben, und
der Cyklopenarbeit jeuer, welche gewaltige Felsblöcke zu den rohen Steiu-
bauten der Bretagne aufrichteten oder aufeinander walzten, liegen Tausende
von dahren. Aber selbst diese Jahrtausende verschwinden gegen die Zeit-
maße der geologischen Geschichte des Landes, während deren der Kegentropfeu
und die brandende Woge das armorikanische Hochgebirge zum Flachland er-
niedrigten und zur bretonischen Halbinsel gestalteten, zu dem Land der
Kelten, zu Armorika.
Die Landbanzonen der aufsertropisehen Länder.
Nach den Untersuchungen Th. H. Engelb recht's.
Von Alfred Hettner.
I. Aufgabe und Methode der Untersuchung.
Die Verschiedenheit des Landbaus und der Viehzucht in verschiedenen
Ländern und Landschaften der Erde ist zweifellos eine der hervorstechendsten
und zugleich folgenreichsten geographischen Thaf suchen , die Auffassung der
Landbauzonen und Landbauregionen1) daher eine der wichtigsten Erforder-
nisse unserer Wissenschaft. Wohl haben die Pflanzengeographen schon seit
Humboldt auch die geographische Verteilung der Kulturgewächse, die Tier-
geographen die Ausbreitung auch der Haustiere in den Bereich ihrer For-
schung gezogen; aber sie haben mit den Methoden ihrer Wissenschaft doch
der Hauptsache nach nur die Gebiete und Grenzen des Auftretens der
einzelnen Arten, nicht auch die Intensität ihres Auftretens, den quantitativen
Anteil an der Besetzung der Flache feststellen können. Dies ist nur mittels
der Anbaustatistik möglich, die aber bisher immer nur für einzelne Staats-
gebiete, noch nie für gröfsere Erdräume vergleichend durchgearbeitet worden
ist. Das wenigstens für die Länder der gemäfsigten Zonen zu leisten, ist
die Aufgabe, die sich En gel brecht in seinem Buche über die Landbauzonen
der aufsertropischen Länder gesetzt hat8). Er hat uns darin mit einem von
echtem wissenschaftlichen Geiste getragenen Werke beschenkt, für das ihm
die geographische Wissenschaft — wir haben hier natürlich nur für diese
zu reden — zu grofsem Danke verpflichtet ist.
Engelbrecht ist dazu überall auf die agrarstatistischen Origiual-
veröffentlichungen, die er sich oft nur schwer hat verschaffen können, zurück-
1) Mit Recht wendet sich Engelbrecht gegen den oft dafür gebrauchten Ab-
druck „Kulturzonen", der eine umfassendere Bedeutung hat.
2) Th. H. Engelbrecht, Die Landbauzonen der aufsertropischen Länder.
9 Bde. Berlin. D. Keimer, 1899.
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272
Alfred Hettner:
gegangen, hat in vieljähriger Arbeit für verhältuismäfsig kleine Verwaltungs-
einheiten (Regierungsbezirke, Departements, Counties) die Gröfse der Anbau-
flächen der verschiedenen Kulturgewächse und die Kopfzahl der verschiedenen
Haustierarten zusammengestellt und daraus gewisse, gleich näher zu be-
sprechende Verhältniszahlen berechnet, welche die Grundlagen der Erörterung
und der kartographischen Darstellung bilden. Der erste Band seines Werkes
enthält die Erörterung, der zweite die Tabellen, der dritte die Karten, die
die Verbreitung der einzelnen landwirtschaftlichen Kulturpflanzen und Haus-
tiere darstellen.
Die Frage nach der Methode der Berechnung war nicht leicht zu ent-
scheiden. Engelbrecht hatte sich schon früher in einem Aufsätze über den
Standort der Landwirtschaftszweige in Nordamerika x) darüber ausgesprochen.
Es handelt sich darum, das Material so zu behandeln, dafs es die Art des
landwirtschaftlichen Betriebes in seiner Abhängigkeit vom Klima und von
den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen erkennen läfst.
Eine grofse Schwierigkeit der Arbeit besteht zunächst in der üngleich-
artigkeit der agrarstatistischen Erhebungen in den verschiedenen Ländern,
und zwar nicht sowohl in deren verschiedener Genauigkeit als in
der Verschiedenheit der Grundsätze der Erhebung. Die unmittelbare Ver-
gleichung des Materials ist dadurch sehr erschwert, und manche an sich
zweckmälsige Darstellungsweisen haben deshalb nicht angewandt werden
können. Die Vergleichung und kartographische Darstellung erfordert selbst-
verständlich die Berechnung von Verhältniswerten, und die wichtigste grund-
sätzliche Frage ist daher, welche Einheit zu Grunde gelegt werden solle.
Die häufig gewählte Beziehung auf die Bewohnerzahl des Landes hat, wie
der Verf. mit Recht betont, hauptsächlich nur handelspolitischen Wert und
ist daher wohl für den Vergleich ganzer Staatsgebiete angebracht, für den
Vergleich kleinerer Gebiete aber nicht sehr lehrreich. Das ist durchaus
geographisch gedacht; es ist ein entschiedener Fehler vieler geographischer
Schriftsteller, dafs sie Anbaufläche und Viehstand in erster Linie auf den
Kopf der Bevölkerung statt auf die Flüche beziehen. Es fragt sich nun
aber, auf welche Fläche als Einheit man die einzelnen Anbauflächen beziehen
soll. In erster Linie bietet sich dafür die Gesamtfläche jedes Gebietsab-
schnittes dar; aber der Verf. wendet dagegen ein, dafc dann hauptsächlich
die allgemeine, sich auf die verschiedenen Pflanzen in gleicher Weise er-
streckende Anbaufähigkeit zum Ausdruck kommen und die Karten der ver-
schiedenen Pflanzen ziemlich ähnlich ausfallen, ihr verhältnismäfsiger Anteil
also nicht deutlich hervortreten würde. Hierfür müsse man also eine andere
Einheit wählen. Es liegt nahe, an die landwirtschaftlich benutzte Fläche
zu denken, die auch in der Statistik öfters verwandt wird; aber der Begriff
ist schon in den Kulturländern und erst recht in unkultivierten Ländern
wegen der vielen Übergänge von Kulturland zu Ödlaud zu unbestimmt und
daher gleichfalls als Einheit nicht geeignet. Die Fläche des Acker-
landes ist eine viel bestimmtere Gröfse und in vielen Ländern auch durch
1) Land wirtschaftliche Jahrbücher Bd. XII (1888) S. 45'J ff
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Die Landbauzonen der aufRertropischen Länder.
27a
die statistischen Erhebungen genügend festgestellt, aber in vielen anderen,
namentlich überseeischen Ländern nicht genügend ermittelt, so dafs man
auch von ihr absehen mufs. Engelbrecht hat sich deshalb dahin entschieden,
die Anbauflache des gesamten Halmgetreides, worunter er die nördlichen
Getreidearten Weizen, Spelz, Roggen, Gerste und Hafer im Gegensatz zu
den tropischen Hackgetreiden Mais, Hirse und Reis versteht, oder mit
kürzerer Bezeichnung: die Getreidefläche als Einheit zu nehmen, da sie sich
fast überall genügend feststellen läfst. Ahnliche Erwägungen haben ihn
dazu geführt, die Kopfzahl der verschiedenen landwirtschaftlichen Haustiere
weder auf die Gesamtzahl des Viehs noch auf die berechnete Zahl des
sog. Grolsviehs, sondern auf die Anzahl des Rindviehs als Einheit zu
beziehen.
A. J. Herbertson hat sich in einer Besprechung des Engelbrecht'schen
Buches1), in der er diesem in vieler Beziehung grofse Anerkennung spendet,
doch gegen die angegebene Wahl der Einheiten scharf ausgesprochen und
es bedauert, dafs Engelbrecht nicht Anbauflächen sowohl wie Viehstand auf
die Gesamtfläche der Gebietseinheiten bezogen habe. Ich glaube, dafs er
dabei den eigentlichen Zweck der Engelbrecht'schen Untersuchung verkennt.
Die thatsächliche Produktion der Länder läfst sich selbstverständlich nur
auf Karten, bei denen die Gesamtfläche der Gebiete allen Verhältuiswerten
als Einheit zu Grunde gelegt ist, vergleichend überblicken; solche Karten
bleiben ein Bedürfnis, und es wäre mit grofser Freude zu begrüfsen, wenn
der Verf. selbst oder ein anderer auf Grund seiner im zweiten Bande ver-
öffentlichten Tabellen sie wenigstens für eine Auswahl von Pflanzen und
Tieren zeichnen wollte. Aber Engelbrecht war es gar nicht um die Gesanit-
gröfse der Produktion, sondern um den verhältnismäfsigen Anteil der einzelnen
Gewächse zu thun; er will zeigen, wie sich mit dem Klima und den all-
gemeinen wirtschaftlichen Bedingungen das Feldsystem und die Auswahl der
angebauten Gewächse und gezüchteten Tiere, also der ganze Charakter der
Landwirtschaft ändert. Wenn wir auf den Engelbrecht'schen Karten bei-
spielsweise die landwirtschaftlichen Verhältnisse eines bestimmten Gebirges
studieren wollen, so können wir daraus nicht erkennen, eine wie grofse
Fläche durch die Gebirgsnatur der landwirtschaftlichen Benutzung überhaupt
entzogen ist, wohl aber, welches besondere Gepräge jene dem landwirtschaft-
lichen Betriebe aufdrückt. Herbertson behauptet zwar, dafs man den ver-
hältnismäßigen Anteil der verschiedenen Gewächse auch bei Zugrundelegung
der Gesamtflächen durch die einfache Vergleichung der verschiedenen Karten
erkennen könnte; aber Engelbrecht hat diese Möglichkeit schon, offenbar auf
Grund eingehender Versuche, in Abrede gestellt. Darin möchte ich aller-
dings Herbertson beipflichten, dafs die Berechnung und kartographische Dar-
stellung zweier weiteren Verhältnisse, nämlich des Verhältnisses der Getreide-
fläche zur Gesamtfläche und des Rindviehbestandes sei es zur Getreide-, sei
es gleichfalls zur Gesamtfläche (also der Rindviehdichte), den Wert des
Buches sehr erhöht haben würde, weil der Leser dadurch in den Stand ge-
l) Oeographical Journal Vol. XV (1900 I) S. 62 ff.
(ieugraphioche Zeitschrift. 7. Jahrgang. 1901 5. Heft. IV
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1>74
Alfred Hettner:
setzt worden wäre, sich wenigstens einen ungefähren Begriff von der that-
sächlichen Gröfse der Anbauflachen und dem thatsächlichen Viehstande zu
raachen.
Sehr wichtig ist es, dafs Engelbrecht sich nicht auf einen bestimmten
Zeitmoment beschränkt, sondern durch den Vergleich älterer und neuerer
laudwirtschaftsstatistischer Aufnahmen die Veränderungen der Anbauverhält-
nisse untersucht, die im Laufe der Zeit in Folge abnormer Witterungs-
erseheinungen oder allgemeiner wirtschaftlicher Veränderungen eingetreten
sind. Im ganzen sind diese Verschiebungen der Anbauverhältnisse in Europa
gering, und nur die Kulturen der eigentlichen Handelsgewächse sind hier
wenigstens teilweise starken und plötzlichen Schwankungen ausgesetzt. In
den Koloniallandern dagegen, wo die Preise viel stärker schwanken, sind sie
viel gröfser, und der rasche Wechsel bildet violleicht das am meisten
charakteristische Merkmal der kolonialen Landwirtschaft gegenüber dem ver-
hältnismäfsig stationären Landbau der alten Kulturländer. Auf den Karten
sind diese Veränderungen übrigens nur teilweise (hauptsächlich bei der Vieh-
zucht) berücksichtigt; sie stellen den Stand in einem bestimmten Jahre
(zwischen 1882 und 1890, je nach den vorhandenen Aufnahmen) dar.
Im Gegensatz zu den bisherigen pflanzengeographischen Darstellungen
mifst Engelbrecht den äufsersten Verbreitungsgrenzen der Gewächse nur
geringen Wert bei, weil es sich dabei oft um ganz isolierte, von zufälligen
Umständen abhängige, aber im Laufe der Zeit oft wechselnde Vorkommen
handele. Seine Karten zeigen erst das reichlichere Auftreten an, wobei ja
auch gröfsere Vorposten zur Darstellung kommen. Es ist dabei besonders
wichtig, zu beachten, wo eine Pflanze im landwirtschaftlichen Betrieb durch
eine andere, relativ vorteilhaftere ersetzt wird, und ob der Übergang plötzlich
oder allmählich vor sich geht. Diesen Grenzen, z. B. der Grenze zwischen
überwiegendem Anbau von Hafer oder von Brotgetreide, von Roggen oder
Weizen, hat Verf. besondere Aufmerksamkeit zugewandt und sie mit grofser
Sorgfalt auf seinen Karten eingetragen. Zum Vergleich hat er dabei stets
natürliche Vegetationslinien, namentlich von Waldbäumen und andern Holz-
gewächsen, und klimatische Linien, besonders Isothermen herangezogen —
die Isohyeten hat er leider etwas vernachlässigt — , um daraus die klima-
tischen Ursachen jener Grenzen zu erkennen. Er betont auch mit Recht,
dafs die genannten Grenzlinien zwischen dem Überwiegen dieser oder jeuer
Kulturpflanze den besten Anhalt zur Abgrenzung der Landbauzonen darbieten;
leider aber hat er sie auf verschiedene Karten verteilt und nicht, wenigstens
für die einzelnen Erdteile nicht, auf einer Karte vereinigt, die dadurch zu
einer Karte der Landbauzonen würde; nur für die gauze Erde, also in sehr
kleinem Mafsstabe, hat er eine Karte der Landbauzonen gezeichnet. Auch
im Text bespricht er ein Gewächs und ein Tier nach dem anderen und
giebt nur zum Schlufs eine kurze Übersichtsdarstellung der Landbauzonen
der Erde. Für uns Geographen, denen es nicht auf die Verbreitung der
Gewüchse als solche, sondern auf die Ausstattung der Erdräume mit den
verschiedenen Gewächsen ankommt, ist aber die Auffassung der Landbau-
zonen, d. h. der Gebiete gleichartigen Anbaus und überhaupt gleichartiger
Die Landbauzonen <ler aufsertropisoheu Länder.
:>75
Landwirtschaft, gerade die Hauptsache, und ich werdo deshalb im Folgenden
versuchen, die wichtigsten Ergebnisse der Engelbrecht'schen Untersuchungen
— für alle spezielleren Fragen mufs ich natürlich auf das Buch selbst ver-
weisen — in der Weise zusammenzufassen, dafs ich die Landbauzonen der
verschiedenen Erdteile kurz darstelle1).
Es fragt sich nun aber, nach welchen Grundsätzen man die Landbau-
zonen aufstellen und abgrenzen solle. Engelbrecht will sie (S. 25) auf die
Futtergetreide begründen, weil diese besonders charakteristisch für die
klimatischen Vorbedingungen der Landwirtschaft seien, weil ihre allgemeine
Verbreitung und ihr umfangreicher Anbau ihnen überall eine wichtige
Stellung im Ackerbau sichere, und ihr gegenseitiges Anbauverhältnis auch
durch den wechselnden Preis nur wenig berührt werde, da sie in der Regel
mehr zum Verbrauch in der eigenen Wirtschaft als zum Verkauf angebaut
werden. Dagegen mufs aber eingewandt werden, dafs die Futtergetreide
bei speziellerer Betrachtung zur Begründung der Landbauzonen nicht aus-
reichen, und dafs viele charakteristische Unterschiede bei ihrer einseitigen
Bevorzugung verloren gehen. Engelbrecht selbst stellt z. B. eine Baumwoll-
zone auf; in seiner subtropischen Gerstenzone sind Länder von ganz ver-
schiedenem Klima und ganz verschiedenen Anbauverhältnissen vereinigt, auch
die Haferzone läfst weitere Abteilung wünschenswert erscheinen, für die man
am besten wohl in erster Linie das Verhältnis der verschiedenen Brotgetreide
benutzt. Vielleicht könnte auch die relative Bedeutung der Viehzucht be-
rücksichtigt werden; doch ist das auf Grund des Engelbrecht'schen Werkes
nicht möglich.
II. Europa.
Wir beginnen mit Europa. Aber das Bild, das wir von seiner Land-
wirtschaftsgeographie entwerfen wollen, mufs leider noch unvollständig bleiben,
weil für Spanien und Portugal, den gröfseren Teil der Schweiz, Polen und
die Länder der Balkanhalbinsel mit Ausnahme Bosniens, der Herzegowina
und Serbiens agrarstatistische Aufnahmen noch fehlen und nur Viehzählungen
vorhanden sind, aufser in der Türkei, die auch dieser entbehrt.
Im arktischen Norden Europas finden wir zunächst eine Region ohne
Anbau. Als Südgrenze kann man die polare Gerstengrenze auffassen, die
Eugelbrecht auf Tafel 6 des Atlas nach den Angaben Middendorfs eingetragen
hat, und die an der norwegischen Küste etwa am Altenfjord beginnt, von
hier ungefähr über 1%° nach Süden, dann bis 65° nach Südosten und auf
diesem Parallelkreis nach Osten zum Ural zieht. Die Landwirtschaft dieser
Zone besteht der Hauptsache nach in der Renntierzucht der nomadisierenden
Lappen (vergl. T. 61). Sie erstreckt sich in ganz ähnlicher Weise auch auf
die Fjelde der skandinavischen Halbinsel; aber die Abgrenzung der Aufnahme-
bezirke hindert uns, sie hier scharf aufzufassen.
Südwärts folgt eine Zone, die Engelbrecht als die arktische Gersten -
1) Zum Vergleich mit den klimatischen Verhältnissen »ei besonder« auf den
Aufsatz und die beiden Karten Köppen's im vorigen Jahrgang Heft 11 und 12
hingewiesen.
19«
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276
Alfred Hettner:
zone bezeichnet, die man aber auch mit etwas allgemeinerem Ausdruck die
subarktische Zone der überwiegenden Waldwirtschaft und Vieh-
zucht, mit untergeordnetem Anbau hauptsächlich von Gerste nennen könnte.
Engelbrecht rechnet sie, soweit mehr Gerste angebaut wird als Hafer (vergl.
T. 6). Sie umfafst danach das norwegische Küstengebiet nördlich von 05% °,
das skandinavische Hochland, soweit es überhaupt noch Anbau hat, das
nördliche und mittlere Schweden etwa bis zur Grenze von Norrland und
Svealand, die nördliche Hälfte Finnlands und in Rufsland einen nach Osten
sich verbreiternden Streifen, der zwischen der Polargrenze der Gerste und einer
Linie liegt, die sich von 64° n. Br. an der Westgrenze gegen 60° n. Br.
am Ural senkt und ungefähr mit der 9 °- Isotherme des September zusammen-
fällt. Ein erfolgreicher Ackerbau ist in dieser Zone überhaupt nicht mehr
möglich, die wirtschaftliche Ausnutzung besteht hauptsächlich in Waldwirt-
schaft und Viehzucht, die Bodenkultur zieht sich in Gärten zurück. Als
Getreide überwiegt weitaus die Gerste, da der Hafer eine um drei Wochen
längere Vegetationszeit beansprucht und durch Herbstfröste leicht getötet
wird; jedoch reichen Kartoffel, Kohl und Wasserrübe noch etwas über die
Gerste hinaus. Untergeordnet werden auch Hafer und Roggen, jener mehr
in Skandinavien, dieser mehr in Rufsland gebaut. Bemerkenswert ist das
Zurücktreten der Schweinehaltung, das sich aus dem geringen, kaum dem
Bedarf des Menschen genügenden Körnerbau erklärt, und die relativ grofse
Bedeutung der Milchwirtschaft.
Südlich von der arktischen Gerstenzone läfst Engelbrecht die Haferzone,
in welcher der Hafer, und dann die Maiszone folgen, in welcher der Mais
das vorherrschende Futtergetreide ist. Aber die Haferzone setzt sich aus
zwei wesentlich verschiedenen Gebieten zusammen, da teilweise der Haferbau
so vorherrscht, dafs er den Anbau von Brotgetreide überwiegt, während
er im anderen Teile hinter dem des Brotgetreides zurückbleibt und meist
sogar weit zurückbleibt; die beiden Gebiete haben auch ganz verschiedene
Feldsysteme, was nicht blofs die Folge wirtschaftsgeschichtlichen Zufalles ist,
sondern auf der Anpassung an verschiedene klimatische Verhältnisse beruht.
Die Maiszone ist von der Zone des Brotgetreides eher weniger verschieden;
da der Maisbau in Europa meist nur neben den Weizenbau tritt und das
ganze Wirtschaftssystem sich weniger ändert,
Ich fasse also den Begriff der Haferzone in engerem Sinne und
beschränke sie auf die Gegenden, in denen der Anbau des Hafers den Anbau
von Brotgetreide übertrifft, der jedoch auch fast überall vorhanden ist (vergl.
die rote Grenzlinie auf T. 7). Das herrschende Wirtschaftssystem ist die
Feldgraswirtschaft, und man könnte die Haferzoue danach vielleicht auch
als die Zone der Feldgraswirtschaft bezeichnen. Starker Wiesenbau
und grofse Ausdehnung der Ackerweide und des Anbaus von Futterpflanzen
bis zum Anderthalbfachen und Doppelten der Getreidefläche und in Folge
davon umfangreiche Viehhaltung, insbesondere Rind Viehzucht mit Milchwirt-
schaft sind kennzeichnend, während die Schweinehaltung gering ist. Diese
Form der Landwirtschaft ist eine Anpassung an kühle feuchte Sommer und
ist daher in Irland, Schottland und dem nördlichen Teil von England, in
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Die Landbauzonen der au TsertropiKchen Länder.
277
den friesischen Marschen, auf der cimbrischen Halbinsel uud dem gröfseren
Teil der dänischen Inseln (mit Ausnahme von Laaland und Falster), im
südlichen Teil von Norwegen und Schweden, in der südlichen Hälfte von
Finnland und dem Gebiet der groisen Seen sowie in verschiedenen mittel-
europäischen Gebirgen, namentlich den Ardennen und Karpaton und vielen
Alpenlandschaften, entwickelt. Manche Länder dieser Zone, besonders Irland
und Süd -Norwegen haben einen sehr starken Kartoffelbau. Der Flachsbau,
der sonst, meist sehr zurückgegangen ist, hat sich im nordöstlichen Irland
grofse Bedeutung bewahrt.
Ein wesentlich anderes Gepräge trägt die Landwirtschaft in der eigent-
lichen Getreidebauzone oder Zone des vorherrschenden Brotgetreides.
Die herrschenden Feldsysteme sind hier, je nach der Kulturstufe, Dreifelder-
wirtschaft oder Fruchtwechselwirtschaft, Der Getreidebau und zwar der
Anbau der Brotgetreide steht im Vordergrunde der Landwirtschaft, und
wenn in Osteuropa seine Fläche im Verhältnis zur gesamten landwirtschaft-
lichen Fläche teilweise gering ist, so kommt das nicht auf Rechnung anderer
Kulturen, sondern der Brache, die bei der hier noch herrschenden Dreifelder-
wirtschaft grofse Flächen beansprucht. Manche Kulturen sind der Haupt-
sache nach auf diese Zone beschränkt. So z. B. der Zuckerrübenbau, dem
in der Haferzone der Sommer zu kühl ist, der aber auch die Nachtfröste
des kontinentalen Teiles der Getreidezone nicht verträgt; er beansprucht
guten Boden und intensive Kultur; seine Hauptgebiete sind Flandern und
die angrenzenden Landschaften Frankreichs und Belgiens, Sachsen, Schlesien,
Böhmen, Podolien. Ferner die Gerste in der Form der Braugerste, haupt-
sächlich in trockenen Gegenden. Sodann der Tabak, der in klimatisch
begünstigten Landschaften mit intensiver Kultur gebaut wird.
Je nach dem vorherrschenden Brotgetreide kann man eine Roggen- und
eine Weizenzone unterscheiden (vergl. T. 4).
Der Roggen zone gehören in Westeuropa nur ein Stück der Bretagne,
ein Stück der Gascogne und das französische Zentralplatcau an. Dagegen
umfafst sie ganz Mittel -Europa, mit Ausnahme Belgiens und des südlichen
Teils des Oberrheingebietes, eines kleinen Gebietes in Dänemark und Holstein
und des nördlichen Böhmens, ferner das nördliche und mittlere Rufsland
südlich bis zu einer von Karaenez über Saratow und Samara nach Ufa
ziehenden Linie. Der Weizen fehlt in dieser Zone nicht, hat aber teils
unter ungenügender Sommerwärme, teils unter der Winterkälte zu leiden
und ist deshalb auf die besseren Böden beschränkt, und der Winterweizen
ist aus dem nordöstlichen Teil des russischen Roggengebietes ganz aus-
geschlossen CT. 3). An einigen Stellen der Grenze gegen das Weizengebiet,
nämlich in Belgien, Südwestdentschland und an der Wolga wird der auch
botanisch zwischen Roggen und Weizen stehende Spelz oder Dinkel viel
gebaut (T. 5), jedoch geht sein Anbau zurück. An einzelnen Stellen ist
der Gerstenbau recht bedeutend (Taf. 6). Der Weinbau sendet Ausläufer in *
dies Gebiet.
Auch innerhalb des Roggengebietes treten uns wieder mehrere verschie-
dene Typen der Landwirtschaft entgegen. Im mittleren Rufsland, südlich
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278
Alfred Hettner:
von der Grenze der subarktischen Gerstenzone etwa bis zu einer Linie, die
von Königsberg über Moskau nach Perm verläuft, finden wir einen besonders
einseitigen Getreidebau, bei dem das Getreide (Roggen und Hafer) trotz der
grofsen Brache über die Hälfte der gesamten Ackerfläche einnimmt. Der
Kartoffelbau ist hier unbedeutend, wohl weil sich der erst spät in die Kultur
eingetretene konservative Russe an diese überseeische Pflanze noch nicht
gewöhnt hat; eine Anzahl frostempfindlicher Kulturen, die wir südwärts von
der genannten Grenzlinie antreffen, wie Winterweizen, Buchweizen, Hirse,
Hanf, Sonnenblume, Tabak, Zuckerrübe, sind hier durch das Klima aus-
geschlossen. Auch Pferdehaltung und Schweinezucht zeigen nördlich von
der genannten Grenzlinie eine plötzliche Abnahme. Neben dem Getreidebau
ist am wichtigsten der Flachsbau, was damit zusammenhängt^ dafs die klein-
bäuerliche Bevölkerung im langen harten Winter auf industriellen Neben-
erwerb angewiesen ist.
In dem südlicheren Teile des russischen Waldgebietes, in dem Übergangs-
land zur Grassteppe und auch in deren nördlicherem Teile finden wir gleich-
falls vorherrschenden Anbau von Roggen und demnächst von Hafer, aber
der Anbau ist doch weniger einseitig, da hier auch die genannten frost-
empfindlichen Gewächse gebaut werden, damit eine vermehrte Schweine- und
Pferdehaltung verbunden ist, und auch die Schafzucht hier, wohl der
Zunahme der Grassteppe entsprechend, mehr hervortritt.
Wandern wir westwärts nach Deutschland, so fallt uns im Gegensatz
zu Rufsland vor allem der starke Kartoffelba* auf, der im allgemeinen,
wegen der geringen Transportfähigkeit der Kartoffel, in den dichtbevölkerten
Landschaften am gröfsten ist, aber auch im nordöstlichen Deutschland sehr
beträchtlich ist, weil er hier die Grundlage der Branntweinbrennerei bildet.
In Norddeutschland werden aufserdem besonders Erbsen und Pferdebohnen,
im feuchteren Westen Buchweizen und Flachs gebaut. Weizen ist auf be-
sonders gute Böden beschränkt, der Roggen herrscht durchaus vor. Nach
Süden nimmt der Anbau des Weizens allmählich zu, im südwestlichen Deutsch-
land wird auch viel Spelz gebaut, und im südlichen Teil des Oberrheinlandes
betreten wir die eigentliche Weizenzone, in der der Anbau des Weizens den
des Roggens übertrifft und überhaupt die wichtigste Halrafrucht ist. In Süd-
deutschland oder wenigstens in seinen wärmeren Teilen finden wir auch stärkeren
Anbau von Handelsgewächsen: Braugerste, Hopfen, Wein, Tabak, Hanf u. a.
Die Weizenzone liegt westlich und südwestlich von der Roggenzone;
denn sie urnfafst das Flachland des südöstlichen Englands (die sog. Com
CounHcs), den gröfseren nördlichen Teil Frankreichs, mit Ausnahme eines
Teiles der Bretagne und des Zentralplateaus, und das südwestliche Deutsch-
land. Sie wird klimatisch durch die etwas gröfsere und gleichmäfsigere
Feuchtigkeit und mehr noch durch die milderen Winter und die Freiheit
von längerer Schneebedeckung charakterisiert. Darum kann der empfind-
lichere aber ertragreichere Weizen den Roggen ersetzen, während für erfolg-
reichen Maisbau die Sommerwärme noch nicht genügt. Darum kann auch
die Schafzucht in gröfserem Umfange betrieben werden, weil die Über-
winterung keine Umstände und Kosten verursacht,
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Die Landbauzouen der au fsertropischeu Länder.
1>79
Der englische Anteil zeigt manche Besonderheiten, die teils mit dem
gemäfsigten Klima, teils mit der eigentümlichen wirtschaftlichen Entwicke-
lung zusammenhängen; am auffallendsten sind das Fehlen des Weins, dem
der Sommer zu kühl und feucht ist, und der Zuckerrübe, die wohl wegen
der Billigkeit des Kolonialzuckers nicht gebaut wird, der stärkere Anbau
der Gerste, der Hülsenfrüchte, der Futterrüben, der ausgedehntere Wiesen-
bau, die stärkere Betonung und grofse Pflege der Viehzucht, namentlich
der Schafzucht, die jetzt nicht mehr wie früher auf Woll-, sondern auf
Fleischgewinnung gerichtet ist In Frankreich sondern sich die nördlichen
Küstenlandschaften, in denen wegen der kühleren Sommer (Mitteltcmperatur
des Juli unter 19°) Mais und Wein nicht fortkommen, in denen daher
Apfelwein (Cider) das Volksgetränk ist, von dem größeren südlichen Teile
mit Mais- und Weinbau ab.
Je weiter nach Süden, um so mehr nehmen Mais- und Weinbau zu,
während der Haferbau nachläfst, und so kommen wir in allmählichem Über-
gange in das Maisgebiet, in der der Mais den Hafer als Futtergewächs
ersetzt, auch ein wichtiges Nahrungsmittel wird und teilweise in gröfserem
Umfange als der Weizen angebaut wird. Ob man es der Getreidezone
unterordnen oder gleichberechtigt neben sie stellen will, ist schliefslich
gleichgiltig; keinesfalls aber kann ich Engelbrecht darin beistimmen, dafs er
dies Gebiet als eine zusammenhängende Zone auffalst (T. l). Die Be-
dingung des Maisbaues ist hohe Sommerwärme verbunden mit reichlicher
Feuchtigkeit, die ja gelegentlich auch durch künstliche Bewässerung beschafft
werden kann, im allgemeinen aber reichliche Sommerregen erfordert. Der
Maisbau ist daher im ganzen an die südliche Grenze der gemäfsigten Zone
gebunden, vermeidet aber ausgesprochen ozeanische Klimate wegen ihrer
kühlen Sommer, und tritt auch in der europäischen Subtropenzone , für
die ja Regenarmut des Sommere charakteristisch ist, nur untergeordnet auf.
Ob das nördliche und nordwestliche Spanien mit seinem milden, aber aus-
gesprochen ozeanischen Klima von Engelbrecht mit Recht zum Maisgebiete
gerechnet wird, ist mir zweifelhaft; ich vermute, dafs thatsächlich ihm auf der
spanischen Halbinsel nur das nördliche Portugal und die baskischen Provinzen
angehören. An sie schliefst sich das aquitanische Maisgebiet an. Starken
Maisbau finden wir weiter in der Tiefebene der Saone, wo er jedoch hinter
dem Haferbau zurückbleibt, im nördlichen Teil der Poebene, wo die Mais-
grütze (Polenta) eines der wichtigsten Nahrungsmittel ist, und vielen der
grofsen Alpenthäler, dann in Kroatien und Slavonien, Serbien, dem süd-
östlichen Ungarn und Siebenbürgen, Rumänien, dem westlichen Trans-
kaukasien (Kolchis). Der Mais wird vielfach von der Hirse begleitet, und auch
der Anbau der frostempfindlichen Krupbohne (Phasrolus) fällt grol'senteils in
dies Gebiet. In der oberitalienischen Tiefebene mit ihren ausgedehnten Be-
wässerungsanlagen wird auch Reis gebaut; nördlich vom Po hat auch der
Wiesenbau mit Viehzucht ziemliche Bedeutung. Im ganzen aber tritt die
Milchwirtschaft im Maisgebiet zurück, während die Schweinezucht oft recht
stark ist.
Im Südosten grenzt die Zone des Brotgetreides oder spezieller die
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'JSO Alfred Hettncr: Die Landbauzonen der aufaert römischen Länder.
Roggenzone an das südosteuropäisch-asiatische Steppengebiet. Dieses
gehört seinen Temperaturverhältnissen nach noch zur gemäfsigten Zone und
unterscheidet sich von jenem nur durch die geringere Feuchtigkeit und, im
Zusammenhang damit, die andere Bodenbeschaflenheit. Ihm gehören der
gröfsere Teil der ungarischen Pulsten, wenngleich sie eine Zwischenstellung
einnehmen, und namentlich das südliche Rufsland etwa südlich von der bei der
Roggenzone angegebenen Grenzlinie an. Es ist lange im Besitz nomadisierender
Hirtenvölker gewesen, und der Anbau trat neben der Steppenviehzucht zurück.
In Ungarn hat die Kultur schon gröfsere Fortschritte gemacht, aber in Süd-
Rursland herrscht auch heute noch wilde Feldgraswirtschaft vor, und es
erklärt sich daraus die grofse Ausdehnung der Brache, die vielfach gröfser
als die gesamte Fläche der Halmfrüchte ist. Während weiter nördlich
Roggen das vorherrschende Brotgetreide, Hafer das vorherrschende Futter-
getreide ist, tritt hier an die Stelle des Roggens der Weizen und zwar der
Sommerweizen, weil der lange kalte Winter den Anbau des Wrinterweizens
nicht zuläl*st, an die Stelle des Hafers, der die Hitze und Dürre des Vor-
und Hochsommers nicht verträgt, die Gerste, die sich der Trockenheit besser
anzupassen vermag. Der Mais, der ja weiter westlich in gleicher Breite
angebaut wird und auch nach Ungarn hineinreicht, findet in den süd-
russischen Steppen nicht die genügende Feuchtigkeit. Nicht unwichtig ist
der Anbau von Hirse und Lein, den man hier aber nicht seiner Fasern,
sondern seiner ölreichen Samen wegen baut Eigentümlich ist der Anbau
von Melonen als Feldfrucht; auch die Weinrebe gedeiht stellenweise, dagegen
können die Baumkulturen den kalten Winter nicht vertragen. Überraschend
erscheint (T. 32) in diesem trockenen Lande die ziemlich grofse Ausdehnung
der Wiesen; es sind aber, wie Engelbrecht betont, keine eigentlichen, saftigen
Wiesen, sondern Steppen mit zerstreut wachsenden hohen und harten Gräsern,
die sich zur Futtergewinnung wenig eignen, von denen aber der Getreidebau
noch nicht Besitz ergriffen hat. Sie bilden auch heute noch die Stätte der
Schaf-, im östlichen Teile auch der Kamelzucht.
Im ganzen schliefst sich das besprochene Gebiet also noch an die
Ackerbau- oder Getreideländer Europas an. Dagegen zeigen die sttdeuropäischen
Länder oder genauer die südeuropäischen Küstenlandschaften ein anderes
Gepräge. In Bezug auf die sommerliche Trockenheit stimmen sie allerdings
mit den südosteuropäischen Steppenländern überein, dagegen unterscheiden
sie sich von ihnen durch ihre milden Winter, welche immergrünen Baum- und
Strauchwuchs erlauben. Darum sind für dies Gebiet die Baumkulturen, in
erster Linie die Kultur des Ölbaums, besonders charakteristisch; man wird
das Auftreten dieser Kulturen (vergl. T. 24) am besten zur Abgrenzung des
Gebietes benutzen, und wird dieses auch zweckmäfsig als die Zone der
Baumkult uren oder die Oliven zone bezeichnen können, denn die Verschieden-
heiten von der Wüste mit ihren Oasenkulturen sind doch zu grofs, als dafs
ich mich mit Engelbrecht's Zusammenfassung beider Zonen zu einer Gersten-
zone (S. 256) befreunden könnte. Der Ackerbau erfordert allerdings auch
hier meist künstliche Bewässerung. Das wichtigste Getreide ist der Weizen,
aber im Gegensatz zum südrussischen Steppengebiet kann man hier natürlich
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Kleinere Mitteilungen.
281
Winterweizen bauen. Die Ähnlichkeit mit jenem besteht hauptsächlich darin,
dafs die Gerste das hauptsachliche Futtergewächs ist und besonders das
landesübliche Pferdefutter liefert. Nur hier und da, wo reichlichere Feuchtig-
keit zur Verfügung steht, wird auch Mais und an einzelnen Stellen Reis
gebaut. Eine ziemlich grofse Rolle spielen die Hülsenfrüchte. In den
Küstenlandschaften übertreffen die Weinberge manchmal die Getreidefläche
an Ausdehnung. Dagegen verhindert die Trockenheit des Sommers saftigen
Graswuchs und beschränkt dadurch die Rindviehhaltung, besonders die Milch-
wirtschaft. Die Butter wird deshalb hier durch das öl ersetzt. Mit der
Trockenheit hängt auch der starke Bestand an Eseln und Maultieren zu-
sammen, der den Pferdebestand übertrifft. Die Ziegen haben in dieser
Zone ihr Hauptgebiet; sie weiden besonders in den immergrünen Gebüschen
(Maquis) und bilden ein Haupthindernis der Wiederbewaldung. Auch die
Schafzucht ist sehr bedeutend, besonders in den trockeneren Binnenlandschaften
der spanischen Halbinsel wie der Balkanhalbinsel und Kleinasiens. Stärkere
Schweinezucht ist dagegen auf die Bergwälder beschränkt, wo Kastanien und
Eicheln ein gutes Futter geben. (Schilift folgt.)
Kleinere Mitteilungen.
Vorläufige Ergebnisse der 8. allgemeinen sehnjährigen Volkssählung
im Königreich der Niederlande vom 31. Dezember 1899.
Die Zahl der Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern1) ist in der
Zeit vom 31. 12. 1881) bis 31. 12. 1899 von 21 auf 24 gestiegen;
Nieuwer-Amstel, welches 1889:24 903 Einwohner zählte, ist durch Ein-
gemeindung eines Teiles in Amsterdam wieder aus der Reihe der Gemeinden mit
über 20 000 Einwohnern ausgeschieden; Gouda, fApeldoorn, Zaandam und
*|"Enschede sind hinzugekommen. Eingemeindungen fanden seit 1889 bei
* Amsterdam (1896: Teile von Nieuwer-Amstel, Sloten und Diemen),
♦Rotterdam (1895: Kralingen und Charlois), *Utrecht (1896: Teile von
De Bilt, Jutphaas und Oudenrijn) und * Leiden (1896: Teile von Leiderdorp,
Oegstgeest und Soeterwoude) statt. Im Bezug auf die (absolute) Einwohner-
zahl, welche uus der obenstehenden Liste zu ersehen ist, haben sich f Tilburg
und Dordrecht durch Nijmegen, 's Hertogenbosch durch Zwolle, Helder durch
Breda und fApeldoorn, Gouda durch fApeldoorn und f Enschede, Zaandam
durch f Enschede überflügeln lassen.
Den höchsten Prozentsatz in der Bevölkerungszunahme von 1889 — 99
erreichen die Gemeinden f Enschede (59,91 %) und *Rotterdam (57,77),
bei welch letzterer jedoch der eingetretene Gemeindezuwachs zu berücksichtigen
ist. Über 30% Z imahme zeigen die Gemeinden Zaandam (38,31) fApel-
doorn (33,65), Nijmegen (33,19) und 's Gravenhage (31,38). Über 20°/,,
hat die Gemeinde Haarlem (26,87), sodann die drei anderen Gemeinden, bei
denen Einverleibungen in Betracht kommen, nämlich *Amsterdam (25,19),
1) * Seit 1889 durch Eingemeindungen vergrölsert. — t Der namengebende
Wohnplatz der Gemeinde ist nur ein klemerer Bestandteil derselben.
4
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282 Kleinere Mitteilungen.
Ciemeinden mit über 20000 Einwohnern1).
-
's
-
Bevölkerung
Bevölkerung
Zun a)i nie
a e e
V = 3
*
i4
Gemeinde
Provin«
Sl. 12
Sl. lt.
Ii
1899 •)
1889')
in %
1
1
•Amsterdam . . .
N.-H.
610 850
408 061
25,19
2
2
•Rotterdam . . .
Z.-H.
318 468
201 858
67,77
3
3
's Gravenhage. .
Z.H.
206 023
156 809
31,38
4
♦Utrecht
ü.
102 085
84 346
21,08
5
5
Groningen . . .
Gr.
66 6H7
56 038
18,74
G
6
Haarlem ....
N.-H.
64 069
50 500
26,87
7
7
Arnhem ....
Gd.
66 812
49 727
14,25
8
8
•Leiden
Z.H.
63 658
43 379
23,70
9
11
Nijmegen ....
fTüburg
Gd.
42 766
32 101
83,19
10
9
N.-B.
40 628
38 905
19,83
11
10
Dordrecht . . .
Z.-H.
38 386
32 622
17,66
12
12
Maastricht . . .
L.
34 339
82 078
7,05
13
13
Leeuwarden . .
F.
32 162
30 433
6,68
14
14
Delfl
Z.-H.
31 682
28 458
10,98
15
16
Zwolle
0.
30 560
26 384
15,83
12,45
16
15
s Hertogenbosch
N.-B.
OVJ Oll
27 1 Hfl
17
17
Schiedam ....
Z.-H.
27 126
25 633
6,24
18
18
Deventer ....
0.
26 212
22 914
14,39
19
20
N.-B.
26 097
22 176
17,68
20
22
fApeldoorn . . .
Gd.
SO 1 Ol
1» Z7Ö
oo,Ou
21
19
Heldcr
N.-H.
26 169
22 221
13,22
22
24
fEnschede ....
0.
24 352
15 229
69,91
23
21
Gouda
Z.-H.
22 084
19 704
12,08
24
23
Zaandam ....
N.-H
21 146
15 282
38,81
24 Gemeinden mit (1899) über 20 000 Einw.**
1 857 369
1 466 171
27,66
6,26
1097
II
„ „ unter
•*
3 246 665
3 056 244
1121*»
Gemeinden des Königreichs der
5 103 924
4 611 416
13,18
*• 1899 zwei Gemeinden weniger als 1889 (1123 Gemeinden), da Kralingen und
Charlois 1895 Rotterdam einverleibt wurden. Die Bevölkerungszahlen von 1889 für
die 24, bezw. 1097 Gemeinden würden durch Berücksichtigung dieser und der anderen
Eingemeindungen erhöht, bezw. erniedrigt werden; die entsprechenden Zahlen für die
Zunahme 1889 — 99 würden umgekehrt niedriger, bezw. höher ausfallen. Bei alleiniger
Berücksichtigung der Veränderungen der Gemeinde Rotterdam ergeben sich schon
die Zuwachszahlen 26,04% statt 27,55° L und 6,32% statt 6,26%. Bei den Zahlen
der Provinz Zuidholland wird bei Berücksichtigung der Gebietserweiterung Rotter-
dams der Anteil der Geineinden von über 20 000 Einwohnern für 1889 von 53,63%
auf 66,62% erhöht, die Zunahme der Gemeinden mit über 20 000 E. von 37,17%
auf 29,69% erniedrigt, die der Gemeinden von unter 20 000 E. von 1,31 auf 8,52%
erhöht. In den Talwllen sind die ersteren Zahlen, im Text die letzteren angegeben.
♦Leiden (23,70) und *Utreeht (21,03). Die übrigen Gemeinden mit über
20 000 Einwohnern liegen zumeist zwischen 10 und 20%, nämlich fTilburg
(19,83), Groningen (18,74), Breda (17,68), Dordrecht (17,66), Zwolle (15,83),
Deventer (14,39), Arnhem (14,25), Helder (13,22), 's Hertogenbosch (12,45),
Gouda (12,08) und Delft (10,98). Unter 10% Zunahme halten sich nur
Maastricht (7,05), Schiedam (6,24) und Leeuwarden (5,68).
Bei fast allen Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern hat der Wohn-
1) JaarcijferB voor het Koningrijk der Nederlanden. Rijk in Europa 1899.
Bewerkt door het Centraal Bureau voor de Statistiek ('s Gravenhage 1900). S. 18.
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Kleinere Mitteilungen.
283
platz, welcher der Gemeinde den Namen giebt, den Hauptanteil an der
Bevölkerungszahl; ein kleinerer Bestandteil ihrer Gemeinde sind nur die
Orte fEnschede (18891) etwa 7/l5), fTilburg (18891) etwa %ß) und f Apel-
dorn (1886 8) etwa
Zählt man zu der Einwohnerzahl von Rotterdam vom Jahre 1889
(201 858 Einw.) die Einwohnerzahlen vom Jahre 1889 der dieser Gemeinde
1895 angegliederten ehemaligen Gemeinden Kralingen (10 706 Einw.) und
Charlois (18 593 Einw.) hinzu, so ergiebt sich für die Gemeinde Rotterdam
nach ihrem Umfang von 1899 eine Zunahme 1889 — 99 von nur 37,77 %,
sodafs sie erst an dritter Stelle steht. Auch viele- andere Zahlen der nach-
folgenden Tabellen werden hierdurch beeinflufst.
Verteilung der Gemeinden auf die Provinzen.
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der Gemeinden mit
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46
1121
1121)
29,4
•ft Der namengebende Wohnplatz je einer der betreffenden Gemeinden ist nur
ein kleinerer Bestandteil derselben (nur bei den Gemeinden mit über 20 000 Ein-
wohnern angegeben).
In der Bevölkerungsdichtigkeit der Provinzen hat sich seit 1889, ab-
gesehen von der Erhöhung derselben bei allen, eine Verschiebung in der
Reihenfolge bei Noordbrabant und Friesland vollzogen, indem letztere infolge
der aufserordentlich geringen Zunahme (1,40%) von ersterer (8,68%) über-
holt ist und die Provinz Overijssel (12,83%) nur um ein Geringes übertrifft,
gegen welche Drente als letzte dann allerdings weit zurücksteht. Die Zunahme
seit 1889 beträgt bei dem ganzen Lande 13,13%. Die drei Marschenprovinzen
Zuidholland, Noordholland und Utrecht, deren Areal zu 50% oder darüber
der Wiesenwirtschaft angehört, deren Bevölkerung 1889 sowohl wie 1899
1) Wagner und Supan, Die Bevölkerung der Erde IX. Ergänzungshef't 107 zu
Petermann'B Mitteilungen (Gotha 1893). S. 41.
2) Penck, Das Königreich der Niederlande. (Unser Wissen von der Erde II, 1,2).
8. 494.
8) Nach den Einwohnerzahlen in „Nederlandsche Staatscourant" 1900, 224,
Bijvoegsel (7 Seiten).
4) Nach der Angabe in „Nederlandsche Staatscourant44 1900, 231 , Bijvoegsel,
S. 3 und Jaarcijfers u. s. w." 8. 4, welcher wohl berichtigtes ürmaterial zu
Grunde liegt.
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Bevölkerungsverhaltnisse der Provinzen.
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10
11
Zuidholland
Noordholland
Utrecht. . .
Groningen
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Zeeland. . .
Gelderland .
Noordbrabant
Krieslnnd .
Overijssel .
Drente . .
3 022
2 770
1384
2298
2204
1786
6 081
5128
3 320
3345
2 663
1 144 401
968 105
251 034
299 604
281 951
216 293
666 549
553 845
340 263
383 337
148 642
949 641
829 489
221 007
272 786
255 721
199 234
612 202
509 628
336 558
295 446
130 704
378,7
349,5
181,4
130,4
127,1»
121,2
111,5
108,0
102,5
99,7
65,8
314,2
299,5
169,7
118,7
116,0
111,6
100,8
99,4
101,1
88,3
49,1
20,51
16,71
13,59
9,83
10,26
8,56
10,61
8,68
1,40
12,83
13,66
Niederlande
33 000
6 103 924»)
4611 416
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136,7
13,13
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Utrecht . . .
Overijssel . .
Gelderland . .
Limburg . . .
Groningen . .
Noordbrabant
Zeeland . . .
Friesland . .
Niederlande"
•2.3. *8. 11. 14. 17. 23
*1. 6. 21. f24.
•4.
16. 18. t22.
7. f9. 20.
12.
5.
10. 16. 19.
13.
1—24.
60,93
64,17
0,00
40,67
24,30
22,12
12,18
22,21
17,66
0,00
9,46
36,39
53,53
59,80
0,00
38,16
21,84
19,74
12,54
20,54
16,33
0,00
9,07
32,28
20,61
16,71
13,65
13,59
12,83
10,61
10,26
9,83
8,68
8,66
1,40
13,13
37,17
25,23
21,03
26,70
23,96
7,06
18,74
16,85
5,68
27,65
1,31
4,04
13,65
8,99
9,22
7,33
10,72
7,53
7,08
8,56
0,98
6.26
zu einem erheblichen Prozentsatz (1899: 60,93, 64,17 und 40,67%) in
Gemeinden mit über 2O000 Einwohnern (darunter die vier Gemeinden mit
über 100 000 Einwohnern) wohnte, zeigen einerseits die höchste Bevölkerungs-
dichte (378,7, 349,5 und 181,4%), eine höhere, als die Gesamtheit der
Niederlande (154,7) hat, und haben andererseits alle eine Zunahme der
Bevölkerung 188H — 99, welche ebenfalls über dem Mittel des Königreichs
liegt. Zur Provinz Zuidholland gehören die Handelsstädte * Rotterdam
(37,77%) und Dordrecht (17,66%), die Residenz 's Gravenhage (31,38%)
und die Industriestädte »Leiden (23,70), Delft (10,98), Schiedam (6,24)
und Gouda (12,08); sie betragen 60,93% der Gesamtbevölkerung der Provinz
1) Amtliche Berechnung vom Jahre 1879, mit Ausschluß» der Zuidersee und der
Watten (5250 qkm) und des niederländischen Anteils am Dollard (96 qkm); nach
Supan, Die Bevölkerung der Erde X. Erganzun£nheft 130 zu Petermann's Mitteilungen
(Gotha 1899). S. 25.
2) Jaarcijfers u. 8. w. S. 2.
3) Ausschließlich 158 Seelen, deren Gemeindezugehörigkeit nicht festgestellt
werden konnte.
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Kleinere Mitteilungen.
285
und haben eine mittlere Zunahme von 29,69%**, während die der kleineren
Gemeinden 8,52%** beträgt. Zu Noordholland zählt die Haupt-, Handels-
und Industriestadt * Amsterdam (25,19%), die Industrie- und Blumenstadt
Haarlem (26,87), die mühlenumgebene Industriestadt Zaandam (38,31%) und
die Handels- und Hafenstadt Helder (13,22); bei einem Anteil von 64,17%
an der Provinzbevölkerung und einer Zunahme der Gesaratbevölkerung von
16,71% ist die mittlere Zunahme dei gröfseren Gemeinden 25,23%, die der
kleineren 4,04. Die Provinz Utrecht schliefslich hat nur einen gröfseren
Ort, die gleichnamige Handels- und Vorkehrsstadt * Utrecht, welche 40,67%
der Provinzbevölkerung beträgt und eine Zunahme von 21,03% aufweist,
während die übrige Bevölkerung der Provinz eine solche von 8,99%, die
ganze Provinz eine solche von 13,59% hat. Die Anziehungskraft der grofsen
Städte macht sich bei diesen drei Provinzen sehr stark geltend. Bei einem Zu-
wachs der Bevölkerung der kleineren Gemeinden von 8,52%, 4,04% und 8,99%,
zeigen die grofsen Gemeinden einen solchen von 29,69%**), 25,23% und 21,03%.
Die vierte Marschenprovinz, Zeeland, deren Charakter durch das Vor-
herrschen der Feldwirtschaft bedingt wird, hat infolge des Mangels gröfserer
Städte eine niedrigere Volksdichte als die anderen, ist jedoch an Zunahme der
Bevölkerung (8,56%) der Zunahme der Bevölkerung der Gemeinden mit unter
20 000 Einwohnern der Provinzen Utrecht (8,99) und Zuidholland (8,56)
fast gleich, während sie gerade infolge dieses Mangels die entsprechende Zahl
der Provinz Noordholland (4,04) bedeutend übertrifft. Alle vier Marschen-
provinzen zeichnen sich durch Kleinräumigkeit der Gemeinden aus. Zuid-
holland hat eine mittlere Arealgröfse der Gemeinden von 16,1 qkm, Zeeland
von 16,4 qkm, Utrecht von 19,2 qkm und Noordholland von 20,7 qkm.
Bei der Provinz Utrecht macht sich die Beteiligung der Geest an der
Zusammensetzung des Areals schon bemerkbar, bei Noordholland kommen die
durch Trockenlegungen entstandenen Gemeindeflächen zur Geltung1). Die Provinz
Limburg steht unter den anderen allein an mittlerem Gemeindeareal auf der-
selben Stufe (17,9) mit den Marschenprovinzen. — Ahnlich sind sich, trotz
entgegengesetzter geographischer Lage und zum Teil verschiedenartiger Ver-
hältnisse, im Bezug auf die Bevölkerungsdichte wie -zunähme die Provinzen
Groningen und Limburg, welche beide hauptsächlich unter dem Zeichen der
Feldwirtschaft stehen und zum Teil der Geestlandschaft angehören. An
gröfseren Gemeinden hat Groningen nur die Verkehrs- und Industriestadt
Groningen (18,74% Zunahme), Limburg nur die Handels- und Industriestadt
Maastricht (7,05% Zunahme), ersteres 22,21%, letzteres 12,18% der betr.
Provinzbevölkerung. Die Zunahme der Hestbevölkerung (7,53 und 10,72%)
läfst wohl auch das Wechselspiel zwischen Anteil der gröfseren Gemeinden
an der Gesamtbevölkerung und dem Zudrang zu denselben einerseits und
Zunahme der kleineren Gemeinden andererseits durchscheinen. Die Höhe der
mittleren Gemeindegröfse bei Groningen (40,3 qkm) giebt einen weitereu
Anhalt. — Gelderland mit seinen Flufsmarschen (Betuwe), Seemarscheu und
seinem Anteil an der Geestlandschaft (Veluwe), Ackerland, Wiesen und un-
bebautes Land zu gleichen Teilen, hat bei einer Dichte von 111,5 Einwohnern
auf 1 qkm eine Gesamtzunahme der Bevölkerung von 10,61%; die beiden
Verkehrs- und Industriestädte Arnhem (14,25%) und Nijmegen (33,19%)
und die weiträumige Gemeinde f Apeldoorn (339 qkm, 33,65% Zunahme)
fassen 22,12% der Provinzbevölkerung und haben eine mittlere Zunahme
1) Penck a. a. 0. S. 492.
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2m
Kleinere Mitteilungen.
von 23,96%, während der Rest der Bevölkerung 7,33% aufweist. An
mittlerer Gemeindegröfse (43,8 qkm) kommt Gelderland der Provinz Groningen
(40,3 qkm) nahe. Das benachbarte Noordbrabant dagegen hat bei
einer (wohl infolge der rein fränkischen Bevölkerung) bedeutend geringeren
Mittelgröfse der Gemeinden (27,9 qkm) eine ähnliehe Gesamtbevölkerungs-
dichte und ähnliche Zunahme der Bevölkerung der kleineren Gemeinden,
während die übrigen Zahlen derselben niedriger liegen als bei Gelderland.
Den Prozentsatz 17,56 an gröfseren Gemeinden bilden die industriereiche
Gemeinde f Tilburg (80 qkm, 19,83% Zunahme) und die beiden Handels-
und Industriestädte 's Hertogenbosch (12,45%) und Breda (17,68). — Fries-
land mit seinen Grünlandmooren und weiträumigen Gemeinden (77,2 qkm)
hat wenig Industrie und nur eine gröfsere Stadt, die Handelsstadt Leeu-
warden, mit nur 5,68% Zunahme, während die übrige Bevölkerung sogar nur
0,98% Zunahme zeigt, und sich für die ganze Provinz 1,40% ergiebt. An
Dichte steht es an drittletzter Stelle, sodafs ihm hierin nur die typischen Geest-
landschaften, die Provinzen Overijssel und Drente, nachstellten. An Zunahme
der Bevölkerung wird es sogar von letzteren beiden gewaltig übertroffen.
Hierin steht Drente (13,65%) an dritter, Overijssel (12,83%) an fünfter
Stelle, wohl ein Zeichen der stets fortschreitenden Nutzbarmachung der bis-
her unproduktiven oder geringwertigen Gebiete. Die mittlere Arealgröfse
der Gemeinden beträgt bei Overijssel 54,8, bei Drente gar 78,3 qkm.
Overijssel hat an gröfseren Gemeinden 24,30%, mit einer mittleren Zunahme
von 25,70%, nämlich die Handels- und Verkehrsstadt Zwolle (15,83%), die
Handels- und Industriestadt Deventer (14,39%) und die industrielle Gemeinde
fEnschede (59,91%). Drente mit seinen Hochmooren hat gar keine Gemeinde
mit über 20 000 Einwohnern. Bei der Beurteilung der mittleren Areal-
gröfsen der Gemeinden in den einzelnen Provinzen ist aufser der Beteiligung
der sandigen und moorigen Strecken der Geestlandschaften an der Zusammen-
setzung derselben auch das Vorherrschen der sächsischen Siedelungsform in
den nordöstlichen Landesteilen von Einflufs. Die mittlere Gemeindegröfse des
ganzen Königreichs beträgt 29,4 qkm.
Nach Berechnungen von C. A. V. Stuart1) und eigenen Berechnungen
sei zum Schlufs dieser nur auf vorläufigen und unvollständigen Veröffent-
lichungen beruhenden Skizze noch eine Tabelle der geschichtlichen Ent-
wickelung der Zunahme der Bevölkerung der Provinzen in % gegeben:
Nr
Provinz
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69 — 79
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6,96
6,82
10,26
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Groningen . .
7,28
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12,25
7,84
9,83
9
Noordbrabunt .
1 4,76
2,87
6,17
8.76
«»,26
8,68
10
Zeeland . . .
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3,63
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6,21
6,64
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Frieslaud . . .
i 8,66
10,89
6,68
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1,86
1,40
Niederlande . j| 6,86
8,26
8,17
12,08
19,60
18,13
Dr. Karl Neukirch.
1) Ncderlandsche Staatacourant 1900, 231, Hijvoeg«el, S. 2.
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Kleinere Mitteilungen.
287
Das Wachstum der Bevölkerung in Österreich-Ungarn.
Auf Grand der amtlichen Mitteilungen über die Volkszählung vom
31. Dezember 1900 in den beiden Reichshälften lassen sich folgende Ergebnisse
feststellen.
Österreich-Ungarn hatte am 31. Dezember 1900 eine Gesamtbevölkerang
von 45 310 835 Beelen gegenüber 41 358 88G des Jahres 1890. Die absolute
und relative Einwohnerzahl der einzelnen Ländergebiete der Monarchie, sowie
die Zunahme der Bevölkerung im Prozentsatze sind aus nachstehender
Zusammenstellung zu ersehen:
i. J. 1900
Zunahme
in % r- 1890
auf 1
1900
r|kra
(1890)
Galizien
7 295 638
10.4
* < *
92
(841
6 318 280
M
121
(112)
Niederösterreich . . .
3 086 882
16,0
164
(134)
2 435 081
6,9
109
(102)
1 356 058
M
60
(57)
Tirol
850 062
4,6 ,
31,8
(80)
Oberösterreich ....
809 918
3,1
67
(63)
(62)
729 921
12,9
69
680 529
12,4
132
(117)
Dalmatien
591 597
12,2
46
(41)
Krain
508 848
M
51
(60)
367 344
1,8
35,6
(35)
Istrien
344 173
8,4
69
(64)
Göns u. Gradiska . .
232 338
5,5
79
(75)
193 247
11.4
26
(24;
Triest u. Gebiet . . .
178 672
13,5
1861
(1679)
Vorarlberg
129 816
11,8
49
(45)
26 107 304
9,3
86
(79)
Ungarn U.Siebenbürgen
16 754 260
9,9
59
(54)
Fiume u. Gebiet . . .
38 139
29,31
1907
(1474)
Kroatien u. Slavonien
2411 132
9,5
54
(52)
l'ngaru
Österreich-Ungarn . .
19 203 631
46 310 835
9,96
9,5
59
(54)
(66)
Die Bevölkerung hat sich demnach in beiden Reichshälften ziemlich
gleich vermehrt, in Österreich um 9,3, in Ungarn um 9,96 v. H. Die
Zunahme der Gesamtbevölkerung gegen das Jahr 1869, in welchem die erste
Volkszählung vorgenommen wurde, beträgt in Österreich 27,9, in Ungarn
24,6 v. H. In Ungarn fällt die gröfste Zunahme auf das Jahrzehnt 1880—1890.
Während die Bevölkerung in der Zeit 1869—81 nur um 314 096, d. i. um
2,1% zugenommen hat, stieg sie im folgenden Jahrzehnt gleich um 10,9%.
In Österreich nahm die Bevölkerung seit 1869 glcichmäfsig zu; 1869 — -1880
um 8,5, 1880—1890 um 7,9, 1890—1900 um 9,3%. Der Sprung in der
Zunahme der Bevölkerung Ungarns entspricht dem politisch-wirtschaftlichen
Aufschwünge des Landes in der neuen Ära. Die prozentuelle Zunahme
der Bevölkerung ist in beiden Staaten gröfser, als im Deutschen Reiche, das
im Jahrzehnt 1890 — 1900 nur einen Zuwachs von 7,78% zu verzeichnen hatte.
Zieht man die Details der Volkszählungsergebnisse in Betracht, so er-
geben sich bedeutende Verschiebungen innerhalb der einzelnen Ländergruppen.
Die gröfste Einwohnerzahl unter den österreichischen Kronländern zeigt wie
in den früheren Jahren Galizien (7,29 Millionen), die geringste Vorarlberg.
Die gröfste prozentuelle Zunahme weist Niederösterreich auf; die Zunahme
beträgt hier gegen 1890 16%, gegen 1880 32,4%. Ihm reiht sich noch
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288
Kleinere Mitteilungen.
Bukowina mit 12,9 bez. 27,6% an. Unter dem Durchschnitte stehen die
industriellen Sudetenländer, ausgenommen Schlesien, das einen Zuwachs von
12,2 bez. 20,3% aufweist. Dieser Zuwachs bezieht sich fast ansschliefslich
auf das Karviner Kohlenbecken. Westschlesien hat eine sehr geringe Zunahme;
in dem gebirgigen Teile, wo die Leinenindustrie vorherrschend als Haus-
industrie betrieben wird, ist sogar eine beträchtliche Abnahme zu verzeichnen.
Selbst die Landeshauptstadt Troppau (24 863 E.) vermehrte sich nur um
9%, die Hauptsitze der schlesischen Tuchindustrie Bielitz (16 554 E.) und
Jägerndorf (14 305 E.) nur um 13, bez. 2%; der Hauptsitz der schlesischen
Leinenerzeugung Freudenthal (7 760 E.) zeigt sogar eine Abnahme von 1%.
Gerade der Umstand mufs besonders hervorgehoben werden, dafs die
wirtschaftlich bedeutendsten Teile des Staates, die Sudetenländer, in sehr vielen
Bezirken durchweg einen Rückgang in der Bevölkerung aufweisen. Der
Abflufs der Bevölkerung aus den rein landwirtschaftlichen Gegenden in die
Städte und modernen Industriegebiete hat sich vielleicht nirgends so stark
vollzogen, wie gerade in den österreichischen Sudetenländern. Beweis dafür sind
die Abnahme der Bevölkerung in den landwirtschaftlichen Bezirken einerseits,
und das aufserordentliche Wachstum der Städte und Industrieorte andererseits,
wie es selbst in den deutschen Industriegegenden nicht vorgekommen ist.
Eine bedeutende Zunahme erfuhren: Pilsen und Umgebung, im Durchschnitt
uni 36%; die zahlreichen Bierbrauereien und die im Aufschwünge befindliche
Eisenindustrie (Skoda Werke) beschäftigen hier eine immer gröfsere Arbeiterzahl.
Dann die Industrieorte am Fufse des Erzgebirges (Töplitz 24 110 E. um
19,8%, Eger 23 665 E. um 26,8%, Brüx 21 525 E. um 44,5%, Turn
bei Töplitz 12 408 E. um 119%, Bruch sogar um 312,8% u. s. w.),
der Gablonzer Glasindustriebezirk (Gablonz 21 086 E. um 43,9%) und endlich
der Polizeirayon der Landeshauptstadt Prag. Prag zählt gegenwärtig mit
seinen Vorstädten (ohne Vororte) 477 000 E. und hat sich in dem verflossenen
Dezennium um 47,6% vermehrt. Alle übrigen Bezirke Böhmens weisen
kaum eine Durchschnittszunahme auf, die südlichen Bezirke, wie schon bemerkt,
durchweg eine Abnahme der Bevölkerung. Aus diesen letzteren Bezirken
strömt die Bevölkerung zumeist nach Wien und seiner Umgebung. In den
Bezirken der nordböhmischen Textilindustrie stieg die Einwohnerzahl selbst
in den Städten nur um ein Geringes. Beichenberg (34 424) und Trautenau
(14 653) beispielsweise weisen einen Zuwachs von nur 1<>% auf. Ebenso
liegen die Verhältnisse in Mähren und Schlesien. Im Kohlenrevier stieg die
Bevölkerungszahl in den Ortschaften im Durchschnitt um 200 %i in den
Städten: Witkowitz (19 128) um 57%, Prziwoz (10 800) um 65%,
M. Ostrau (30 115) um 57% und Poln. Ostrau (18 761) um 42%. Die
Textilbezirke weisen ähnliche Verhältnisse auf, wie in Böhmen. Die Haupt-
sitze der mährischen Textilindustrie, ausgenommen Brünn, wo noch viele
andere Industrien in Betracht gezogen werden müssen, Iglau (24 387) und
M. Schönberg (11 060 J haben einen Zuwachs von 4% bez. 2%, Sternberg
(15 930) sogar eine Abnahme von 1,5%.
Die Alpenländer weisen die übliche geringe Zunahme auf: die geringste
wohl Kärnten, wo die ehedem so blühende Montanindustrie vollständig dar-
niederliegt. Nur die Hauptstädte zeigen eine Zunahme ihrer Einwohnerzahl.
Salzburg (32 937) 18%, Innsbruck (24 525) 10%, Laibach (33 055) 26%,
Klagenfurt (24 580) 16% und Trient (23 427) 12%: hingegen Steyr
(17 547) einen bedeutenden Rückgang ( — 22%).
Die Ergebnisse der Volkszählung sind auch in national-politischer Hin-
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Kleinere Mitteilungen.
289
sieht sehr lehrreich. Wahrend die Zunahme der Deutscheu beispielsweise in
Böhmen 1880 — 90 nur
und die der Tschechen 4,98 % betrug,
forderte die Volkszählung 1900 das überraschende Ergebnis zutage, dafs die
Zunahme der Deutschen 8,83 °/0 während die der Tschechen nur 6,9%
betrug, was dem Umstände zuzuschreiben ist, dafs die slavische Bevölkerung
in den deutschen Bezirken nicht sefshaft ist und allmählich deutsch wird.
Die Bevölkerimg in Ungarn hat im letzten Jahrzent eine Zunahme von
9,96% zu verzeichnen, die also nur um ein Geringes hinter der des vor-
letzten Jahrzehntes zurückblieb, in welchem in Kroatien und Slavonieu die
Zunahme anderthalbmal so grofs war, wie in den übrigen Ländern der
ungarischen Krone, während jetzt die Zunahme in Kroatien 9,64 v. H.
beträgt, in Ungarn ohne Fiume hingegen 10,08 v. H. Die gröfste Zunahme
weist das Tiefland auf mit einer durchschnittlichen Zunahme von 12 — 13%.
Angesichts dieses Ergebnisses werden die agrarsozialen Bewegungen der letzten
Jahre in diesen rein landwirtschaftlichen Gegenden vollends klar. Mangels
einer Industrie kann die überschüssige Bevölkerung nicht entsprechend be-
schäftigt werden, die Entlohnung wird infolge des grofsen Wettbewerbes immer
schlechter. Ähnlich liegen die Verhältnisse auch in Galizien und der
Bukowina. Alle diese Gebiete stellen bedeutende Beiträge zur Auswanderung
nach Amerika. Da gerade in dem Tiefland das magyarische Volk ansässig
ist, so hat die starke Zunahme gleichzeitig eine Stärkung der herrschenden
Nation zufolge. Dasselbe bedeutet auch die Vennehrung der Bevölkerung
in den ungarischen Städten, die bekanntlich auch dort, wo am flachen Lande
keine Magyaren wohnen, Stützpunkte des Magyarentums sind. Nur Prefsburg
scheint hievon eine Ausnahme zu bilden, denn nach der Volkszählung 1900
wohnen hier trotz allen Hochdruckes noch immer 69% Deutsche. Am un-
günstigsten war das Ergebnis am rechten Donauufer mit 5,28% und im
Banale mit 7,07%. Von den Komitaten zeigten die gröfste Zunahme die
Komitate Pest (20,09) und Borsod (18,85%), die geringste Baranya (1,44%)
und Arva (0,17%), eine Abnahme Tolna ( — 0,09%). Die meisten Städte
weisen eine hohe Zunahme auf. An der Spitze stehen Ofen-Pest mit 45%
und Agram mit 49,51%.
Orte mit mehr als 35 000 Einwohnern (1900).
Die mit * bezeichneten sind ungarische Orte.
i. J 1SMIÜ
i. J 1«90
Zunahme
in %
1 662 261)
1 364 548
21
•Ofen-Pest. . .
713 383
491 938
46
Prag . .
225 7X0
182 536
22
Triest
178 672
157 466
13
Lemberg . . .
159 618
127 943
24
138 370
112 069
23
109 000
94 461
15
•Szegedin . . .
100 552
85 669
17
Krakau ....
91 310
74 593
22
*Maria Theresi-
opel ....
•Debrecziu . .
81 302
72 737
12
72 688
56 940
27
Czeruowitz . .
69 619
54 171
28
Pilsen ....
68 292
50 221
35
•Prefsburg . .
61 861
52 411
18
•HödmezÖ Vä-
sarhely . . .
60 789
55 475
9
♦Agram. . . .
•Kecskemet . .
•Arad . . . .
Kgl. Weinberge
•Temesvär . .
•Gr. Wardein .
Smichow . . .
*Klausenburg .
Przemysl . • •
•Fünlkirchen
Budweis . . .
•Fiume . . . .
Aussig . . . .
•Kaschau . . .
Floridsdorf . .
Geographi.che Zeitschrift. T.Jahrgan* liWl f, Heft
i J. liKMJ
i. J. I81K)
Zunahme
in %
60 089
41 236
45
58 778
47 685
23
57 930
3H 742
50
56 951
48 493
17
53 800
42 052
28
52 483
34 531
52
49 917
39 977
23
47 365
38 557
23
47 135
32 646
44
46 349
36 865
31
46 349
35 209
31
42 700
34 067
25
39 360
28 491
38
38 139
29 494
29
37 254
23 646
57
36 224
28 884
25
36 220
26 110
U
20
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290
Geographische Neuigkeiten
Die Monarchie zahlt demnach 8 Grofsstädte (Österreich. 6, Ungarn 2)
gegenüber 4 des Jahres 1869. Die Anzahl der 8tädte mit mehr als
40 000 Einwohnern betrug nach der Volkszählung
1880 16 (9 -f 7) mit 2 540 000 E. (74 % Ö., 26 % ü.), d. i. 6,7 % d- Gesamtbevölkerung.
1890 19(11 + 8) „ 3 192 000 E. (72 % + 28%) d. i. 7,8
1900 27 (14 -f 18) „ 4 412 000 E. ( 70 % -f SO %) d. i. 9,73 % „
In Deutschland betrug die Zahl solcher Städte im Jahre 1900 94, ihre
Einwohnerzahl bilden 22,2 % der Gesamtbevölkerung. Aus der letzten
Zusammenstellung ist zu ersehen, dafs die Anzahl der ungarischen Mittel-
städte bedeutend schneller wächst, als die Österreichs. Die Volkszählung
19(K) bestätigt im grofsen und ganzen das Vorwärtsschreiten Ungarns auf
wirtschaftlichem Gebiet auf Kosten Cisleithaniens und sein politisches Über-
wiegen über dasselbe. Dr. Andreas Rebhann.
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitzau.
Allgemeines.
* In den ersten Apriltagen fand in
Stuttgart die allgemeine Versamm-
lung der deutschen meteoro-
logischen Gesellschaft statt. Der-
jenige Punkt, welcher die meiste Zeit und
wohl auch das gröfste Interesse der
Fachleute wie der Nichtmeteorologen
erregte, war die Verhandlung über das
Hagelschiefsen, die den ganzen ersten
Tag in Anspruch nahm. Sie wurde
durch einen Vortrag von Prof. Pemter
in Wien eingeleitet , der in sehr vor-
sichtiger Weise alle bis jetzt gemachten
Beobachtungen abwägend zu dem Schlüsse
kam, dafs die bei dem Hagelschiefsen er-
zeugten sogenanuten Wirbelringe nur
unter »ehr günstigen Umständen (Auf-
stellung der Hagelkanonen auf erhöhten
Plätzen etc.) biB in die Höhe der Hagel-
wolken vordringen können, sonst aber
weit darunter bleiben, und dafs deswegen
von einer direkten Wirkung derselben
kaum die Rede sein kann. Auch in jeder
sonstigen Hinsicht ist vom wissenschaft-
liehen Standpunkt keine Einwirkung der-
selben plausibel zu machen, so dafs vor-
läufig für den Physiker die ganze Frage
in der Schwebe ist. Um nun einesteils
vom praktischen Standpunkt aus die
Frage weiter zu verfolgen, da ja auf
irgend eine Weise, die die Wissenschaft
nicht vorhergesehen haben könnte, eine
Einwirkung möglich wäre, andernteilsaber,
falls dien nicht der Fall sein sollte, um
die Unnahbarkeit der für das Hagel-
schiefsen eine gewisse Begeisterung zeigen-
den Volksmeinung nachzuweisen, hat sich
Prof. Pernter resp. die österreichische
Regierung veranlagt gesehen, zwei Schiefs-
versuchsfelder bei Windisch -Feistritz und
Bruck einzurichten, auf denen unter ge-
nauer Kontrolle und unter Beachtung aller
Nebeuumstände das Hagelschiefsen noch
einmal praktisch erprobt werden soll.
Auch die sämtlichen übrigen Redner
sprachen sich alle in nicht sehr zuversicht-
lichem Siun aus, die event. Möglichkeit
einer Schallwirkung, die von einer Seite
geltend gemacht wurde, wurde von den
Herren des preufsischen Meteorologischen
Instituts widerlegt, indem sie aus noch
unpnblizierten Untersuchungen, die auf
und in der Umgegend von grofsen deut-
schen Artillerieschiefsplätzen angestellt
worden sind, als Resultat mitteilten, dafs
selbst der viel stärken' Schall der grofsen
Festungsgeschütze ohne jede Einwirkung
auf die Niederschläge sei. Auch in Ungarn,
wo schon 1500 Hagelkanoneu in Thätig-
keit sind und von einem Beamten des
Meteorologischen Instituts beaufsichtigt
werden, sind die bis jetzt erzielten Er-
gebnisse nicht ermutigend, und aus Italien
liegen Berichte vor, nach denen in vielen
Fällen trotz regelrechten und ausdauernden
Schiefsens teils starke, teils sehr starke
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Geographische Neuigkeiten.
291
Hagelschäden iu den Schiefsgebieten selbst
vorkamen (s. Meteorol. Zeitsehr. 1901
S. 135). Freilich wird in Italien meist
mit relativ kleinen Modellen von Hagel-
kanonen geschossen, die schon heute als
unzureichend erwiesen sein dürften,
während andererseits bei Verwendung
gröfserer Sehiefsapparate auch wieder die
Kosten sehr schnell ansteigen, so dafs
dann sehr bald die Frage in den Vorder-
grund tritt, ob es überhaupt rentabler ist,
sein Feld resp. sich durch Schiefsen oder
durch Versicherung vor dem Hagelschaden
zu schützen. An einem der folgenden
Tage wurden den Versammlungsteil-
nehmern in Hohenheim zwei Schiefs-
apparate vorgeführt , ein gröfserer des
österreichischen Modells, der nicht in seiner
gewöhnlichen Lage, sondern annähernd
horizontal montiert worden war, und ein
kleinerer französischen Modells, mit dem
vertikal geschossen wurde, beides nur,
um die Wirbelringe zu demonstrieren.
Sie waren besonders bei dem kleineren
Apparat gut zu sehen, verschwanden aber
nach Schätzungen schon in einer Höhe
von 50 — 60 m dem Auge, nachdem sie
schon vorher durch den nur mäfsigen Wind
Ktark abgelenkt worden waren. Bei beiden
Apparaten war dagegen das eigentüm-
liche Pfeifen nach den Schüssen sehr
deutlich wahrzunehmen. Mitgebrachte
Bohne'sche Aneroide und Variometer zeig-
ten in nächster Nähe der Schüsse ab-
gebenden Apparate keine wesentlichen
Ausschläge und die Vorführung, obwohl
sehr gelungen, bestärkte, wie es schien,
die ganze Versammlung in ihrem skepti-
schen Verhalten. Gr.
* über die Zeitdauer gewisser
Schichtenbildungen am Meeres-
gründe sind bei Gelegenheit von Er-
weiterungsbauten im Hafen von Dün-
kirchen einige sehr interessante Beo-
bachtungen gemacht worden. Prof.
J. Gosselet von der Universität in Lille
vermochte folgendes festzustellen: Unter
einer angeschütteten oberen Schicht von
1 — 2 m Mächtigkeit fand sich eine 7 —
K m dicke, von Seetnuscheln durchsetzte
Sandschicht, in deren unterstem Teile
Scherben von Gefäfsen aus dem An-
fange des 16. Jahrhunderts und Teile
eines SchiffBrumpfcs mit Geschossen, auf
denen die Jahreszahl 1581 zu lesen ist,
lagen Daraus ergiebt sich, dafs die 7 bis
8 m dicke Sandschicht sich erst seit dem
16. Jahrhundert gebildet haben kann und
dafs etwa 2 m in hundert Jahren ab-
gesetzt wurden. Die Bildung mächtiger
Schichten vermag aUo unter Umständen
auch am Meeresboden ausserordentlich
rasch vor sich zu gehen. (K. Z.)
Europa.
* Am 11. März wurde inNorddeutsch-
land das seltene Phänomen eines
Staubniederschlags wahrgenommen,
der nach den bisher vorliegenden Berichten,
insbesondere nach meteorologischen und
mikroskopischen Untersuchungen, als Aus-
läufer eines tags zuvor in Sizilien und Italien
beobachteten Staubsturms und „Blut-
regene" anzusehen ist. Die Erscheinung
pflanzte sich vom südlichen Sizilien, wo
sie in den Morgenstunden des 10. März
durch eine ganz ungewöhnliche Ver-
finsterung der Luft bei Temperaturen von
mehr als 20° C. und stürmischen Scirocco
zuerst bemerkbar wurde, nach Norden
hin fort und hat ihre letzten Spuren wie
es Bcheint in der Nacht vom 11. auf den
12. in Dänemark und Südschweden hinter-
lassen. In Italien traten im Laufe des
10. Regenfülle ein, die aus der staub-
erfüllten Atmosphäre beträchtliche Mengen
fester Bestandteile zur Erde brachten.
Bei Neapel wurde auf einem Quadrat-
meter eine Menge von 11 g Staub ge-
sammelt , im Gemeindegebiet Neapels
wären demnach allein 608 000 kg Staub
niedergefallen. In den österreichischen
Alpenländern und Graubünden fiel rot-
gelb gefärbter Schnee in der Nacht vom
10. zum 11. Am Vormittag des 11
traten östlich der Weser leichte Regen-
fälle ein, die sich nordwärts ausdehnten
und überall, wo sie stattfanden, einen
lehmfarbigen Rückstand hinterliefsen.
Nachmittags erreichte diese Erscheinung
die Ostseeküste; um diese Zeit begann
es in Westdeutschland zu schneien und
in einem vom unteren lihein bis zur
Kieler Bucht ausgedehnten Gebiet wurden
abends und nachts ebenfalls so erhebliche
Staubmengen niedergeschlagen, dafs sie
den Schnee stark färbten und in größeren
Mengen gesammelt werden konnten. Aus
Dänemark und Schweden liegen noch
keine näheren Berichte vor.
Die Wetterkarten vom 10. und 11. März
geben die Erklärung für die zeitliche uud
20*
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292
Geographische Neuigkeiten.
räumliche Ausdehnung und die Intensität
der Erscheinung. Am Morgen des 10
<8 Uhr) lag eine tiefe Depression (unter
750 mm) vor der tunesischen Küste (mit
ihrem Zentrum im Golf von Tunis); auf
ihrer Ostseite wellten stürmische Süd-
und Südostwinde. Am Abend desselben
Tages (m Uhr) hatte dieselbe Depression
bereits den ligurischen Meerbusen er-
reicht. Das Gebiet stürmischer Südwinde
hatte sich nun über Italien und die Adria
nordwärts ausgedehnt. An der West-
küste Mittelitalicns und in der Lombardei
entluden sich gleichzeitig heftige Ge-
witter. An der südfranzösischen und der
spanischen Ostküste herrschten heftige
Nord- und Nordwestwinde. Im Laufe der
Nacht zum 11. überschritt die Depression
die Alpen und bedeckte am 11. morgens
Süddeutschland ( Zentrum in Mittelfranken).
Da sie sich verflacht hatte, waren die
Winde abgeflaut. Um diese Zeit begannen
die Niederschläge in Sachsen und Thüringen
bei östlichen Winden. Am Abend des
11. tinden wir den tiefsten Druck in
Mecklenburg. Gleichzeitig erfolgte an der
Westseite der Depression im unteren
Rheinland und Nordwest-Deutschland ein
ungewöhnlich starker Schneefall bei Nord-
ostwinden. Die Depression verschmolz
am nächsten Tage mit einem Gebiet
tiefen Druckes, das seit einigen Tagen
Nordeuropa beherrscht hatte. Die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit des erwähnten
Minimums betrug durchschnittlich etwa
64 km in der Stunde oder 15 m p. S.
Mit annähernd gleicher Schnelligkeit hatte
sich die Krönt des Staubfalls vom süd-
lichen Sizilien bis zur Ostseeküste auf
eine Entfernung von fast 2000 km nord-
wärts vorgeschoben. Die räumliche und
zeitliche Verbreitung der Erscheinung ist
demnach aufs engste mit dem Fortschreiten
jener Depression verknüpft Wo die
letztere ihren Ursprung hatte, läfst sich
heute und wird sich vielleicht niemals
feststellen lassen. Zweifellos lag ihr Ur-
sprungsort südlich des Mittelmeers, in
der Wüste Sahara oder gar südlich davon
im Sudan. Im letzteren Fall müfste sich
aus der mikroskopischen Untersuchung
der von ihr mitgeführten Staubmassen
darin das Vorhandensein von Laterit, dem
eisenhaltigen Verwitterungsprodukt der
Tropen, nachweisen lassen. Einige bisher
ausgeführte Analysen scheinen auf die
Libysche Wüste als Ursprungsort hinzu-
weisen. In diesem Falle hätte die De-
pression vielleicht eine ähnliche gekrümmte
parabolische) Bahn beschrieben, wie die
grofsen tropischen Cyklonen (Taifune;,
die im Sommer ihren Weg über die
Ozeane nehmen. Auf alle Fälle gehört
das Vordringen einer Depression von der
Küste von Tunis nordwärts zur Ostsee zu
den gröfsten Seltenheiten und darauf ist
es auch zurückzuführen, dafs bei uns,
besonders in Norddeutschland, derartige
Erscheinungen wie die vom 11. März
ganz vereinzelt dastehen.
W. MeinarduB.
* Die ungarische Regierung plant
die Herstellung einer Wasserstrafse von
der Oder zur Adria. Diese Wasserstrafse
würde an die 641 km lange, schiffbare
Oder von Stettin bis Kosel anschliefsen.
Von da soll in der Länge von 70 km die
Kanalisierung der Oder bis Oderberg vor-
genommen werden. Von Oderberg würde
der Kanal des Olsathales die Wasserscheide
oberhalb des Jabluukapasses durch-
schneiden und mit Benutzung mehrerer
Flüsse das Wagthal, das natürlich erst
kanalisiert werden müfste, bei Sillein und
die Donau bei Komoru erreichen. Der
Donau entlaug würde der Kanal über
Ofen-Pest nach Vukovar führen und dem
62 km langen Vukovar-Samac-Kanal ent-
lang zur Save, dann der Save entlang in
einer Länge von 285 km bis Karlstadt
oder Brod an der Kulpa führen. Von
Brod bis Fiumc würde die Schaffung einer
53 — 60 km langen Wasserstrafse versucht
werden. Die ganze Wasserstrafse von
Stettin bis Fiume hätte eine Länge von
2200 km, wovon 1400 km auf natürliche
Wasserstfafsen entfallen. Die Strecke
der mit verhältnismäfsig geringen Kosten
schiffbar zu machenden FlÜBse beträgt
428 km, die Länge des thatsächlich aus-
zuführenden Kanals 380 km (17% der
ganzen Strecke). Dieser Kanal würde
eine grofse Bedeutung für den deutschen
Levantehandel haben und die Städte
Ofen -Fest und Fiume zu internationalen
Handelsplätzen erheben. A. R.
# Die Bevölkerung Norwegens
beträgt nach den vorläufigen Ergebnissen
der Zählung vom 3. Dezember lyoo
2 231 395 Seelen; die Bevölkerungszunahme
in den letzten 5 Jahren betrug 230 478
oder 11,5°,,, wovon 74 447 auf Kristiania,
Digitizeci by
Geographische Neuigkeiten.
293
71 858 auf die anderen Städte und 84 173
auf die ländlichen Bezirke kommen.
Kristiania zählt gegenwärtig 225 686 Ein-
wohner, Bergen 72 179 Einwohner und
Throndjem 38 156 Einwohner. In den
ländlichen Distrikten hat sich die Be-
völkerung Nordlands am stärksten und
zwar um 18 279 Bewohner vermehrt; nur
diejenige von Nedenaes weist eine Ver-
minderung von 1 229 Einwohnern auf,
ebenso wie sich die Bevölkerung der
ländlichen Bezirke von Jarlsberg und
Larvik um 261 Seelen vermindert hat.
* Die Einwohnerzahl Serbiens
betrug nach der am 31. Dezember 1900
stattgefundenen Volkszählung 2 535 066.
Die Bevölkerung hat in den letzton fünf
Jahren hiemach um 181 286 Einwohner
zugenommen. Belgrad hat nach der letzten
Zählung 70 516 Einwohner.
Asien.
» Mit der Erforschung des Aral-
sees (s. VI. Jhrg. S. 339) hat die Tur-
kestanische Sektion der K. Russischen Geo-
graphischen Gesellschaft Herrn L. S.Berg
betraut, der Aber seine Thätigkeit im
ersten der drei in Aussicht genommenen
Forschungsjahre in der Zeitschrift der
geogr. Sektion d. GeB. der Liebhaber der
Erdkunde zu Moskau 1900, Heft 2 u. 8
berichtet. Da auf dem See gegenwärtig
keine Schiffahrt vorhanden ist, war es
schwierig, das elende, 10 m lange Segel-
boot aufzutreiben, auf dem die Expedition
mit den nötigen Instrumenten am 16. Juni
von Kasalinsk nach dem Syr-Darja-Delta
aufbrach. Hier blieb auf der niedrigen
Insel Kossaral der Topograph Moltschanow
zurück, der im Laufe von zwei Monaten
eine vorzügliche Karte des ganzen Deltas
mit den angrenzenden Meeresteilen auf-
nahm. Am 25. Juni stach die Expedition
in See und besuchte auf ihrer Fahrt die
noch wenig bekannten Inseln Barssa-Kel-
mefs und Nikolai und landete am 28. Juli
an der steilen Westküste, die den Ost-
rand des Öden Ust-Urt- Plateaus bildet.
Nachdem Berg hier auf dem Ust-Urt be-
deutende geologische Sammlungen zu-
sammengebracht und die hier befindliche
Tiefenregion des Aralsees ausführlich unter-
sucht hatte, begab er sich längs dem Wett-
ufer weiter nach Norden zum Vorgebirge I
Bai-Kubek am Nordwestende des Sees
und dann zur Halbinsel Kulandy , von
wo aus quer durch den See nach der
Menschikow - Insel zwischen den Mün-
dungen des Syr- und Amu-Darja gesteuert
wurde, um dabei die Tiefe der Mitte des
Sees zu untersuchen. Dann kehrte Berg
nach Kasanlinsk zurück, um im August
nochmals ins Meer hinauszusteuern, um
der Erforschung der Seyches obzuliegen.
Im ganzen wurden von der Expedition
an 39 Stationen meteorologische und hydro-
graphische Beobachtungen angestellt, was
die Möglichkeit zur Herstellung einer zu-
verlässigen hydrographischen Karte des
Sees giebt; die Planktonfischerei ergab
ein reiches Material, über 6000 Insekten
und 200 Pflanzenarten wurden gesammelt
und während dreier Monate wurden täglich
meteorologische Beobachtungen angestellt.
Die Tiefe in der Mitte des Sees betrug
20 bis 23 m, die Maximaltiefe am Steil-
abfall des Westufers 62,5 m. Der Salz-
gehalt des Wassers erwies sich als 3ehr
niedrig, dagegen war seine Durchsichtig-
keit aufsergewöhnlich grofs und betrug
im Maximum 20,5 m bei 23,5 m Tiefe.
Zahlreiche Anzeichen lassen ein schnelles
Steigen des Seespiegels erkennen, was
um so auffallender ist, als alle Reisenden
von 1820—1880 von einem Eintrocknen
des Sees berichten. Durch 4 aufgestellte
Mafsstöcke und durch eine in den Felsen
eingeschlagene Höhenmarke wird man in
Zukunft zuverlässige Daten über die
Schwankungen des Seespiegels erhalten
Die Seyches - Beobachtungen ergaben un-
zweifelhaft das Vorhandensein dieserOber-
flächenbewegung , jedoch erfordert die
völlige Ergründung der Frage noch weitere
Beobachtungen mit dem Limnometer.
'Globus, Bd. LXXIX. S. 213.)
* Prof. Dr. Alfred Philippson in
Bonn, dem die kgl. preufs. Akademie
der Wissenschaften aus der Wentzel-
Heckmannstiftung eine l'nterstützung
zur geographischen und geologischen Er-
forschung des westlichen Kleinasiens ge-
währt hat, wird diesen Sommer eine For-
schungsreise in das alte Lydien, d. h.
das Gebiet des Heimos und Kaystros, süd-
wärts bis zum Maeander unternehmen.
♦ In der außerordentlichen Versamm-
lung vom 13. Mai der Geographischen
Gesellschaft in Wien hat Dr. Georg von
Almässy über seine im März 1900 unter-
nommene Reise nach R ussisch-Tur-
k est an berichtet. Almässy weilte neun
Digitized by LjOOQIc
294
G eographische Neuigkeiten.
Monate in jenen Gebieten, die er haupt-
sächlich als Zoologe und Botaniker durch-
forschte. Die transkaspische Bahn brachte
ihn bis Taschkent, von da ging er auf
der Poststrafte nach Wjerooe (Wernyj),
dem Hauptorte des Gouvernements Semirje-
tschensk, und über den 1750 m hohen
Tenirliktau-Pafs nach Przewalsk, das er
zu seinem Standquartiere erwählte. Von
hier aus unternahm er zahlreiche
Forschungsreisen in die gebirgige Um-
gebung. Er nahm auch Vermessungen
dieses bisher sehr mangelhaft erforschten
Gebietes vor und berichtigte zahlreiche
Irrtümer der russischen Karten. Ein
52tägiger Ausflug brachte ihn auf das
plateauartige Hochthal des Sari-dschas-
Flusses. Hier sieht man den 7200 m hohen
Khan-tengri. Von hier wandte sich
Almässy nach Norden und erreichte den
Naryn-Kol im Tekesthale an der chine-
sischenGrenze. Da ihm die Russen den Uher-
gang verwehrten, kehrte er nach Przewalsk
zurück. Die wichtigsten Ergebnisse seiner
Heise waren die Entdeckung einer dritten
Parallelkette zum Sari-dschas-System, des
Netsch-tschat-tau, dann die Feststellung
deß hochflächenartigen Sari-dschaa-Thales,
das früher ein Seebecken war, welches
seinen Abflufs nordwärts dem Balkasch-
See zuwandte. Der gegenwärtige Durch-
bruch nach Süden in das Tarim-Becken
entstand durch spätere Faltungen.
A. Ii.
* Durch die Reisen Kozlov's und
seiner Gefährten Kaznakov und Lady-
ghin in Zentralasien ist die Er-
forschung des Grofsen Altai und der noch
unbekannten Gebiete der östlichen Gobi
beendet worden. Über den ersten Teil
der Heise von Altai Stanitsa nach Kobdo
ist bereits früher (VI. Jhrg. S. 114) be-
richtet worden. Ende August 189!» ver-
lief* Kozlov Kobdo und zog südöstlich in
dem Thale, welches die Nordkette Mongo-
lischer Altai) von der Südkette (Altain-
Nuru,' trennt, bis zum Beghersee; beide
Bergketten waren bii* 1900 m Höhe mit
dichten Wäldern bedeckt. Ungefähr 50 km
südöstlich von diesem See beim Kuduk
Nor vereinigt sich der Altain-Nuru mit
der Nordkette, der Kozlov in südöstlicher
Richtung weiter folgte bis zum Massiv
des Arza Bogdo in der Nähe des Ulan-
Nor, wo sich die Nord kette scharf nach
Südost wendet. In Tschazeringhi-Chuduk,
85 km südwestlich vom Ulan -Nor, traf
Kozlov mit Kaznakov zusammen, der zu-
erst am Südabhang des Altain-Num hin-
gezogen und jenseit« von dessen Ver-
einigung mit der Nordkette in diese ein-
gedrungen war und östlich von Kloster
Jum-Beysin eine Reihe von Plateaus in
ostsüdöstlicher Sichtung bis zum
105". östl. Länge durchzogen und sich
dann auf der Strafte Urga-Alaschan nord-
wärt* nach der Gegend des Ulan-Nor ge-
wendet hatte. Nach der Erforschung des
Grofsen Altai machte sich Kozlov mit
seinen Gefährten an die Durchquerung
der noch unerforschten Östlichen Gobi, die
auf drei von Nord nach Süd verlaufenden
Routen unternommen wurde: Kozlov über-
schritt zusammen mit Kaznakov das Gur-
bun-Saichan- Gebirge und drang dann
allein in südlicher Richtung nach Liang-
Tschou vor, wobei er die 600 m unter den
Meeresspiegel reichende Depression von
Goizo nördlich von Ala-Chan durchquerte.
Kaznakov wandte sich in südsüdwestlicher
Richtung den Doppelseen Socho-Nor und
Gaschiuu-Nor zu, die er samt ihrem Zu-
flufs Edzin-Gol kartographisch aufnahm,
wandte sich dann südöstlich nach Ala-
Chan und erreichte nach einer 1500 km
langen Wüstenreise Liang-Tschou. Die
westlichste Route schlug Ladygbin ein, der
von Dalanturu etwas östlich vom Kuduk -
Nor in südlicher Richtung autbrach, das
Tumurtengebirge in einer Länge von
200 km verfolgte und erforschte und dann
in südöstlicher Hichtung zunächst Su-
Tschou und dann Liang-Tschou erreichte,
wo sich die drei Forscher wieder zu-
sammen fanden.
* Eb wird erwartet , daft der Hafen
von San-tu-lo welchen die chinesische
Regierung letztes Jahr dem Handel ge-
öffnet hat, ein bedeutendes Ausfuhr-
Handelsgeschäft in Thee machen wird.
Die Flufsthäler in jenem Bezirk sind be-
rühmt durch die Güte des dort ge-
wonnenen Thees. Früher brachten Kulis
den zuzuführenden Thee von diesen
Gegenden nach dem vier Tagereisen süd-
westlich gelegenen Fuchau. Augen-
blicklich haben sich allerdings noch keine
Anzeichen bemerkbar gewacht, welche
worauf deuten, dafs San-tu-lo Fuchau
| Konkurrenz machen werde. Einige Störung
wird gefürchtet, welche die Kuli-Träger
hervorrufen werden, wenn dieselben nicht
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Geographische Neuigkeiten.
mehr auf die alte Weise ihren Lebens-
unterhalt verdienen können, sobald die
Schiffe den Thee in dem neuen Hafen
laden. Kü.
Afrika.
* über den EinflufB des Bahr-el-
Ghasal auf die Nilschwelle stellte
Koulet in der Pariser Geogr. Gesellschaft
folgende Theorie auf: Die Wassermassen
des Nils, welche die regelmäfsigen jahr-
lichen Überschwemmungen hervorrufen,
stammen aus drei verschiedenen Gegenden :
Aus der Region der grofsen Seen, aus
Abessinien und aus dem Bahr-el-Ghasal.
Im ersten Gebiet füllt die Regenzeit auf
die Monate Februar, März und April;
aber einesteils gleichen die grofsen Seen
die Unterschiede der Wasserstände aus,
andemteils verzögert der 2000 km lange
Plufslauf den Wasserwuchs um mehrere
Monate, sodafs er fast unmerkbar vor-
sichgeht. In der zweiten Region dagegen,
die in grofser Meereshöhe und in geringer
Entfernung vom mittleren Nil liegt, sind
die Wasserläufe reil'sender Natur und ihre
Anschwellungen plötzlich, sodafs sie ver-
heerende Überschwemmungen des Nüb
hervorrufen würden, wenn der dritte Zu-
flufs nicht existierte. Die Gegend des
Bahr - el - Ghasal, des Bahr-el-Homr und
des Bahr-el-Arab ist fast absolut eben,
die Wasserscheide zum Atlantischen Ozean
liegt kaum 600 m über dem Meere, und
da Karthum noch 400 m über dem Meere
liegt, bo beträgt der Fall des Flusses auf
dem 1000 km langen Laufe nur 200 m.
Während der Regenzeit stagnieren deshalb
hier die Gewässer wegen Mangels an Fall,
und daB Bett des Bahr-el-Ghasal gleicht
beim See Nö einem grofsen, 100 km breiten
Sumpfe. Die zu gleicher Zeit, im Juni,
Juli und August, sowohl in Abessinien
wie im Bahr-el-Ghasal fallenden Regen-
maBsen rufen au» diesem Grunde zu ver-
schiedenen Zeiten ein Wachstum des Nil-
wassers hervor: Die schneller ablaufenden
Abessiniens im Juli bis September, die
langsam abfliefsenden des Bahr-el-Ghasal
im August bis Dezember. Würde das
Bahr - el - Ghasal - Gebiet ebenso gebirgig
sein wie Abessinien, so würden die Nil-
überschwemmungen stets verheerender
Natur und Unterägypten würde morastig
und unfruchtbar sein. Die von den jähr-
lich nach der Trockenzeit im pflanzen-
2i>5
] reichen Bahr - el - Ghasal stattfindenden
| Waldbränden herrührende Pflanzenasche
wird von den Regenmassen ausgelaugt
und die Pottasche dem Nil zugeführt, so-
dafs die überschwemmungswaBser aus dem
Bahr-el-Ghasal wegen ihres Pottasche-
gehaltes besonders befruchtend auf die
überschwemmten Gebiete Ägyptens ein-
wirken. Man kann deshalb ohne Über-
treibung sagen, dafs Ägypten seine Frucht-
barkeit zum Teil den eigenartigen oro-
graphischen und floristischen Verhältnissen
des Bahr-el-Ghasal verdankt. La Geo-
graphie 1901, Nr. 3.)
» Der Leutnant Pallier von der
Expedition Joalland - Maynier hatte in
Zinder, bevor er die Tirailleure der
Mission Voulet aus dem Süden zurück-
führte, eine kleine Garnison unter den
Befehlen eines Sergeanten zurückgelassen.
Dieser Ort, welcher schon von Barth be-
sucht wurde und woselbst der Hauptmann
Cazemaju und der Forscher Olive ihren
Tod gefunden hatten, soll weiter besetzt
bleiben. Ein Militär-Territorium ist in
dieser Gegend eingerichtet worden. Zinder,
die Hauptstadt von Damargu, wurde zum
Hauptort bestimmt; in seiner Nähe ist
ein kleines Werk, Fort Cazemu, errichtet
worden. DieseB Territorium dehnt sich
über die Gegenden am linken LTfer des
Niger, von Sey nach dem Tsad-See, welche
durch Vertrag vom 14. Juni 1898 unter
französische Herrschaft gekommen sind,
aus. Das Territorium, an dessen Spitze
ein Militär- Kommandant steht, ist dem
Gouverneur von Französisch - Westafrika
unterstellt. Dieses Militär-Territorium ist
das dritte in Westafrika. Die beiden
anderen sind durch Dekret vom 26. Dezem-
ber 1899 geschaffen worden und umfafst
das eine: die Kreise Timbuktu, Sumzi,
Bamba, Gav Sinder und die Residenten-
stellen Dori, Macina, Yatenga; das andere
die Kreise: Kutiaka, Sikasso, Bobo-Diu-
lasso, Kury, Loli und die Residenten-
stellen MoBBi und Gourounsi. (Revue de
ge"ographie.) Kü.
Nordamerika.
* Seit einiger Zeit wird ein bedeutendes
Sinken des Wasserspiegels des Grofsen
Salzsees in Utah beobachtet, welches
man den kolossalen Bewässerungsanlagen
zuschreibt. Die Flüsse Jordan, Bear, City
Crcek und viele andere, die auf den Bergen
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296
Geographische Neuigkeiten.
östlich des Sees entspringen, lieferten ihm
etwa 10 000 cbm Wasser in der Sekunde,
ehe das Wasser jener in unzählige Be-
wässerungsgruben abgeleitet wurde.
Diesem Umstand , im Vereine mit der starken
Verdunstung des Sees selbst ist das un-
unterbrochene Sinken des Wasserspiegels
dieses amerikanischen Binnenmeeres zu-
zuschreiben. B.
* Eine neue Dampferverbinduug
zwischen Nordamerika und Europa
ist Ende April durch Eröffnung einer
direkten Dampferlinie zwischen Chicago
und Europa hergestellt worden. Vier
grofse Ozeandampfer, von je 3200 Tons,
werden den Verkehr auf der neuen Linie
unterhalten und ihre Fahrten nach Ham-
burg und Liverpool ausführen. Der Weg
der Schiffe führt von Chicago nach Detroit
und St. Mary River, von dort durch den
Wellandkanal, den Ontariosee und den
St. Lorenzstrom zu dem Atlantischen
Ozean. Da der Wellandkanal vorläufig
nur für Schiffe bis 14 Futo Tiefgang pas-
sierbar ist, sollen die Dampfer in Chicago
nur bis zu 14 Fufa Tiefe laden und erst
in Montreal volle Fracht bis 20 Ful's
Tiefgang einnehmen. Da die Frachten
infolge des Wegfalls der Umladung und
der Verfrachtung mittelst Eisenbahn er-
heblich billiger werden, verspricht man
sich in Chicago und den westlichen Staaten
viel von der Wirksamkeit der neuen
Dampferlinien, deren Fracht vorzugsweise
aus landwirtschaftlichen Produkten und
europäischen Waren bestehen wird. (Ex-
port 1901. Nr. 16.)
Polarregionen.
* Das Expeditionsschiff der
Deutschen S ü d p o 1 a r e x p e d i t i o n ist
am 2. April auf den Howaldtswerken in
Kiel im Beisein von Vertretern der Staate-
behörden und der Wissenschaft glücklich
vom Stapel gelaufen. In seiner Tauf-
rede wies Professor v. Rieht h ofen darauf
hin, dafs vor 65 Jahren ein deutscher
Denker, Carl Friedrich Gaufs. die An-
regung zur Erforschung der Antarktis ge-
geben habe, und taufte ihm zu Ehren
das Schiff auf den Namen „Gaufs". Auch
das Schiff der englischen antarktischen
Expedition ist am 21. März in Dundee
vom Stapel gelaufen und „Discovery" ge-
tauft worden. Wenn nicht unvorher-
gesehene Zwischenfälle eintreten, werden
also beide Expeditionen an dem in
Aussicht genommenen Zeitpunkte im
August d. J. nach Süden aufbrechen
können.
* Auf unerwartete Schwierigkeiten
ist die geplanteschwedi s che Südpolar-
expedition unter Leitung von Dr. Otto
Nordenskjöld gestofsen, da die
schwedische Akademie, welcher das Ge-
such an den König um Bewilligung der
noch fehlenden 3U oimj Kronen zur Begut-
achtung vorgelegt worden war, ein un-
günstiges Urteil sowohl aus sachlichen
wie aus persönlichen Gründen abgegeben
hat. Einerseits wird die ganze Summe
von 115 000 Kronen für zu gering an-
gesehen, um eine Expedition nach dem
Südpol zweckmäfsig auszurüsten, anderseits
wird dem Leiter des Unternehmens, welcher
bisher an Expeditionen in Patagonien
und Feuerland, in Alaska und Ostgrönland
teilgenommen hat, nicht die genügende
Erfahrung zur Führung einer derartigen
Expedition zugetraut. Dr. Nordenskjöld
will nun den Versuch machen, auch die
Itestsummc durch private Sammlungen
zu beschaffen. Da auch die geplante
schottische Expedition noch keineswegs
gesichert ist, so würde beim Ausfall der
schwedischen Expedition das Südpolar-
gebiet im Süden von Amerika in der
Periode gemeinsamer antarktischer
Forschung jeder Forschungsthätigkeit ent-
behren, was im Hinblick auf den Wert
der gleichzeitig anzustellenden wissen-
schaftlichen Beobachtungen sehr bedauer-
lich sein würde. (Peterm. Mitti. 1901
S. 72.)
Meere.
* Die mittlere Tiefe des Grofsen
Ozeans ist neuerdings aus der Ge-
schwindigkeit der Flutwellen berechnet
worden, die von dem grofsen japanischen
Erdbeben am 15. Juni 1896 verursacht und
von den selbstregistrierenden Flutmessern
zu Honolulu und San Salito (bei San Fran-
ziskoj aufgezeichnet wurden. Das Zentrum
des Erdbebens, von dem der Stöfs aus-
ging, lag unter einem Punkt in 39° nördl.
Breite und 144" östl. Länge, etwa 240 km
ostsüdöstlich von Miyako, und der Stöfs
fand statt am 15. Juni 7 Uhr 32' , Minuten
nachmittags. Zu Honolulu begann 7 Uhr
37 Minuten abends das Meer zu steigen,
und die Welle erreichte ihre gröfste
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Geographische Neuigkeiten.
297
Höhe 6 Minuten später, worauf noch
mehrere schwächere Wellen folgten. Die
Entfernung dieses Ortes von dem Epi-
zentrum des Erdbebens beträgt 5800 km,
die Geschwindigkeit der Welle also 225 m
in der Sekunde. Hieraus ergiebt sich
für die durchschnittliche Tiefe des Grofsen
Ozeans in der Richtung von Japan auf
Honolulu rund 4360 m, was dem bisher
durch Lotungen ermittelten Werte sehr
nahe kommt. Zu San Salito wurde der
Gipfel der ersten Flutwelle um
1 Uhr 5 Minuten früh von dem Apparat
aufgezeichnet, die Entfernung beträgt
7700 km, die Geschwindigkeit der Fint-
welle war also 200 m in der Sekunde,
und daraus ergiebt sich als mittlere Tiefe
des Ozeans auf der von der Woge durch-
laufenen Strecke 4140 m. Die direkten
Messungen, welche früher in diesem Teile
des Ozeans ausgeführt worden sind, er-
geben als durchschnittliche Tiefe desselben
5100 m. Auch bei frühern Erdbeben hat
man aus der Geschwindigkeit der Wellen-
bewegung bereits auf die Tiefe des Ozeans
geschlossen. So lieferte das Erdbeben
von Arica in Peru (am 13. August 1868),
welches Wellen erregte, die im Grofsen
Ozean westwärts bis zu den Chatham-
Inseln rollten, für die Strecke zwischen
der Küste Südamerikas und Honolulu eine
mittlere Tiefe von 4200 m. Das Seebeben
vom 23. Dezember 1854, dessen Zentrum
bei Simoda in Japan lag, führte auf eine
durchschnittliche Tiefe des Grofsen Ozeans
zwischen Japan und Kalifornien von rund
4000 m, sodafs man annehmen darf, dafs
die durchschnittliche Tiefe des Stillen
Ozeans 4000 m nicht sehr erheblich über-
schreitet. (Köln. Ztg.)
Geographischer Unterricht.
* An der Universität Rostock hat
sich Dr. Rudolf Fitzner für Geographie
habilitiert. Es ist mit Freuden zu be-
grüfsen, dafs damit die letzte deutsche
Universität, an der ein amtlicher geo-
graphischer Lehrstuhl fehlt, wenigstens
einen freiwilligen Vertreter unserer Wissen-
schaft erhalten hat.
Vereine, Versammlungen und
Zeitschriften.
* Die diesjährige 73. Versammlung
Deutscher Naturforscher und Ärzte
wird in der Zeit vom 22.-28. September
in Hamburg stattfinden. Mehrfach ge-
äufserten Wünschen entsprechend sollen,
um einer Zersplitterung der wissenschaft-
lichen Interessen der Versammlung ent-
gegenzuarbeiten, mehrere der jetzt be-
stehenden Abteilungen mit einander ver-
schmolzen und die Zahl derselben dadurch
auf 27 reduziert werden. Mit der Ab-
teilung für Geographie werden in Zukunft
die Kartographie und Hydrographie, mit
der Abteilung für Geophysik die Meteoro-
logie verbunden werden. Auch soll die
Abteilung für mathematischen und natur-
wissenschaftlichen Unterricht nicht mehr
selbständig weitergeführt werden, sondern
Vorträge aus diesen Gebieten sollen in
gemeinsamen Sitzungen der mathematisch-
naturwissenschaftlichen Abteilungen ge-
halten werden. Einführende für die Ab-
teilung Geographie etc. sind die Herren
Dr. L. Friedrichsen und Admiralitäts-
rat Koldewey, Schriftführer die Herren
Dr. H. Mi cho wund Dr. Gerhard Schott.
Vorträge sind möglichst bis zum 15 Mai
bei Herrn Dr. Friedrichsen, Neuerwall 61,
anzumelden.
* Die„Verhandlungen des sieben-
ten Internationalen Geographen-
Kongresses" zu Berlin 1899 sind so-
eben gleichzeitig in Berlin, London und
Paris erschienen. Mancherlei Gründe
haben das Erscheinen dieses Berichtes so
unliebsam verzögert; der Herausgeber,
Herr Hauptmann a. D. G. Kol Im, giebt
darüber in seiner „Vorbemerkung" Auf-
schluß. Die Fülle des zu bearbeitenden
Materials liefs das Werk schliefslich auf
über 90 Druckbogen und 30 Karten an-
wachsen. Dadurch wurde auch die Glie-
derung in zwei Teile bedingt. Der erste
Teil enthält den Bericht über den
Verlauf des Kongresses, Mitteilungen
über die Organisation und das Verzeich-
nis der Mitglieder; möglichst ausführliche
und genaue Wiedergabe der Verhand-
lungen, vor allem auch der Diskussionen
wurde angestrebt. Der zweite Teil
bringt die in den Sitzungen gehaltenen
Vorträge und erstatteten Berichte sowie
auch einige dem Kongrefs zur Veröffent-
lichung in den „Verhandlungen" be-
sonders überreichte Abhandlungen. Wegen
des Inhaltes beider Teile verweisen wir
auf den in dieser Zeitschrift seinerzeit er-
schienenen ausführlichen Bericht (Bd. V,
1899, S. 678 ff, Bd. VI, 1900, S. 28 ff. u.
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298
Bficherbesprechungen.
S. 104 ff.), sowie auf die von uns bereits
veröffentlichten Vorträge.
* In Moskau erscheint unter dem Titel
„Climat" eine neue meteorologische Zeit-
schrift gleichzeitig in deutscher, russischer,
englischer und französischer Sprache unter
der Redaktion de« Ingenieurs N. A. Demt-
schinsky. Sie verfolgt wesentlich prak-
tische Ziele: Der Heransgeber will genaue
Prognosen deB Wetters und der atmo-
sphärischen Erscheinungen für die ganze
nördliche Halbkugel geben auf Grund
einer neuen UnterBuchungsmethode, bei
der der Einflufs des Mondes eine Haupt-
rolle spielt; daneben soll möglichst reich-
haltiges Material zur Erforschung der
oberen Luftschichten gesammelt werden.
Persönliches.
* Am 81. März starb der Geh. Rcg-
Rat und Stadtschulrat von Berlin Prof.
Dr. Schwalbe, am Tage, nachdem er
sein bisheriges Amt als Direktor des
Dorotheenstädtischen Realgymnasiums zu
Berlin niedergelegt hatte, im Alter von
60 Jahren. Schwalbe gehörte zu den
wenigen bisherigen Leitern höherer Lehr-
anstalten in Deutschland , die die Be-
deutung der Geographie für unsere heutige
Bildung schon seit lange erkannt hatten.
So gehörte er den D. Geogr.-Tagen seit
ihrer Begründung 1881 als thätiges Mit-
glied an, hatte in den von ihm begrün-
deten „Unterrichtsblättern für Mathematik
und Naturwissenschaft41 versucht, ein Mittel
auch für die Pflege der Schulgeographie
zu finden, und war vor allem an seiner
Anstalt bestrebt, diesem Lehrgegenstand
über den zu engen Rahmen der bestehen-
den Lehrpläne gerecht zu werden, u. a.
durch Einrichtung einer besonderen Unter-
richtsstunde für Geographie im Ober-
gymnasium, die er lange Zeit selber gab;
durch Veranlassung einer umfangreichen
geographischen Lehrsammlung u. a. Es
ist im Interesse der Förderung schul-
geographischer Bestrebungen außerordent-
lich zu bedauern, dafs es Schwalbe nicht
vergönnt gewesen ist, in dem weiteren
Wirkungskreise, für den er berufen war,
für die Förderung der geographischen
Schulung unserer Jugend zu sorgen, was
zu thun er schon angekündigt hatte.
Heb. F.
Kttcherbesprechnngen.
Pauly-Wissowa. Keal-Encyklopädie Masse von Material, das hier verarbeitet
der klassischen Altertums- j vorliegt, ein Hilfsmittel zur Informierung
Wissenschaft. Stuttgart. auf dem Gebiete der antiken Geographie
Wir müssen der Vcrlagshandlung < gewonnen, wie es kein zweites auf der
dankbar sein, dafs sie sich entschlossen Welt giebt.
hat, die altberühmte Paulysche Real- Nur einB ist für den Geographen etwas
Enzyklopädie, die im Verlauf der Jahre unbequem Der Herausgeber hat im
vielfach veraltet und unzureichend ge- Gegensatz zu den früheren Bearbeitern
worden war, in neuer Bearbeitung er- bei griechischen und osteuropäischen
scheinen zu lassen. Bis jetzt sind 16 Halb- ; Namen durchweg griechisches Alphabet
bände von dem auf 20 Halbbände be- statt des lateinischen zu Grunde gelegt;
rechneten Werke erschienen. Soweit wir \ er schreibt bei diesen durchweg „ku, bei
bis jetzt überblicken können, hat der den lateinischen und westeuropäischen
Herausgeber seine schwierige Aufgabe I „c" u. s. w. Dies mag in vielen Fällen
glücklich gelöst. Er hat es verstanden, nützlich sein, in anderen wenigstens nichts
treffliche Mitarbeiter sich zu gewinnen; schaden; bei den geographischen Namen
ich nenne nur: A. Baumgartner, H. Berger, aber erschwert die Unterscheidung die
J. Benzinger, K. Hübner, Chr. Hülsen, Benützung oftmals. So steht das dacische
W. Judeich, A. Milchhöfer, E. Oberhummer, Acmonia p. 283, das phrygische Akmonia
J. Partsch, W. Tomaschek. Mit ihrer p. 1174; Callipollis und KallipolÜB sind
Hilfe ist ein völlig neues Werk entstanden, getrennt. Solche Fälle sind äußerst
das die Beachtung der Geographen in zahlreich. Eine Menge nur einmal vor-
jeder Weise verdient. Besonders jüngere 1 kommender Ortsnamen vermißt der Leser
Gelehrte haben durch die ungeheure schmeralich. Wie dankbar wäre ein
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Bücherbesprechungen.
jüngerer Gelehrter oftmals für den einfachen
Hinweis, dafs der gesuchte Name nur
einmal in den Schriften des Altertums
genannt wird. So fehlt z. B. das japy-
gische Abydus, A graule, Agnotes, An-
cyrium, das syrische Aiga, Aladda, der
Anthemusflufs Iberiens, u. s. w. Besonders
in Plinius, Ptolemaeus, der Tab. Peuting.
ist mir eine grofse Menge von Namen
aufgestoßen , die in dem vorliegenden
Werke fehlen. Der Herausgeber würde
sich ein Verdienst erwerben, wenn er sie
alle systematisch zusammenstellen liefse
und in einem Nachtrage veröffentlichte.
Berlin. W. Sieglin.
BlAinckc, Ad., und Hefa, lt.. Unter
suchungen am Hintereisferner.
( Wissenschaftliche Ergänzungshefte
zur Zeitschrift des D. u. ö. Alpen-
vereins. I. Bd. 2. Heft. ; Mit 1 Karte
und 9 Tafeln. München, 1899.
Dem vortrefflichen Werk von Finster-
walder über den Vernagtferner ist bald
als zweites Heft der wissenschaftlichen
Ergänzungshefte zur Zeitschrift des D. u.
ö. Alpenvereins ein weiteres Gletscher-
werk erschienen, dem ein besonderer
Wert darum beizumessen ist, weil es
gleichsam eine Kontrolle der von Finster-
walder auf Grund seiner Untersuchungen
aufgestellten Theorie darbietet. Blümcke
und HefB, die Verfasser der neuen Ab-
handlung, wollten durch die Untersuchung
des Hintereisferner einmal die bisherigen
Arbeiten am Gepatsch-, Vernagt- und
Hochjochferner ergänzen, zugleich aber
auch eine experimentelle Prüfung der
genannten Theorie ausführen. Der
Hintereisferner schien dazu sehr gut ge-
eignet, da er eine im Verhältnis zum
Firngebiet sehr ausgedehnte Zunge von
geringer Neigung und sehr geringer Zer-
klüftung hat.
Die Untersuchungen am Gletscher,
die in den Jahren 1893—1899 ausgeführt
wurden, begannen mit einer sorgfältigen
Vermessung des Gebietes. Die Forscher
überspannten dieses mit einem dichten
trigonometrischen Netz, dessen Punkte
z. T. auf photogrammetrischen Wege ge-
wonnen wurden. Bei der Verarbeitung
der Vermessungen und bei der Her-
stellung der Karte wurde mit grofser
Sorgfalt verfahren, vorwiegend unter Be-
nutzung der von Finsterwalder gegebenen
L*)9
Anweisungen. Neben der trigonome-
trischen Vermessung bildeten zahlreiche
Geschwindigkeitsbestimmungen und die
Ermittelung des Betrages der Ablation
die Hauptaufgabe der Untersuchung. Mit
Hilfe dieser beiden Werte war die Be-
rechnung der Querschnitte des Gletschers
nach der Finsterwalder'schen Theorie er-
möglicht; sie ergab durchausbefriedigende
Resultate. Zur Prüfung der Richtigkeit
dieser wurden auch Bohrungen vor-
genommen, die das obige Resultat be-
stätigten. Die Bohrlöcher, deren Herstel-
lung mit grofsen Schwierigkeiten ver-
bunden war, wurden zugleich zu Tem-
peraturmessungen benutzt. Es fand sich
in allen Tiefen des Gletschers stets eine
den jeweiligen Druckverhältnissen ent-
sprechende Schmelztemperatur. Von all-
gemeinerer Bedeutung ist auch die weitere
Untersuchung über den Zusammenhang
zwischen mittlerer Geschwindigkeit, Ober-
flächenneigung und Querschnitt, welche
lehrte, dafs die von Eytelwein für die
Bewegung des Wassers in Flüssen und
Kanälen aufgestellte Formel auch auf
den Gletscher sich anwenden läfst, wofern
nur die von den Widerständen abhängigen
Gröfsen entsprechende andere Werte er-
halten. Die Arbeit ist endlich wie die
von FinBterwalder auch reich an lehr-
reichen Einzelbeobachtungen und Ver-
suchen, unter denen wir nur noch der
erfolgreichen Herstellung künstlicher
Gletscher gedenken wollen. Für den
ferneren Ausbau der Gletscherkunde bildet
sie eine aufserordentlich wertvolle Grund-
lage. Ule.
Gold stein, J., Bevölkerungsproblem
und Berufsgliederung in Frank-
reich. VI u. 223 S. Berlin, Gutten-
tag. 1900.
Wenngleich das vorliegende Buch
sozialpolitische Ziele verfolgt und durch-
aus im Geiste und nach der Methode der
Sozialwissenschaften geschrieben ist, so
sind doch die Thatsachen der Bevölkerungs-
bewegung von so einschneidender geo-
graphischer Bedeutung, dafs es mir
wünschenswert schien, das Buch auch in
der G. Z. zu erörtern. Die geringe Be-
völkerungszunahme Frankreichs, im Ver-
gleich namentlich mit der starken Zu-
nahme Englands und Deutschlands, ist
ja eine der merkwürdigsten Erscheinungen.
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3(10
Bücherbespreehungen.
deren Ergrundung schon viele hervor-
ragende Forscher beschilftigt hat; waren
die Franzosen früher au« Angst vor Über-
völkerung geneigt, diese Erscheinung
mit einer gewissen Befriedigung zu be-
trachten, so empfinden sie sie heute als
ein schweres Übel, weil sie in Folge ihrer
geringen Zunahme in der Reihe der
Völker immer mehr zurücktreten, über
die Ursache sind die verschiedensten
Vermutungen aufgestellt worden; Verf.
weist, wie mir scheint, überzeugend nach,
daf8 die Ursache in der wirtschaftlichen
Struktur, namentlich in dem starken Über-
wiegen des gewerblichen und bäuerlichen
Mittelstandes und dem Fehlen der Grofs-
industrie liegt — Zunahme findet sich
thatsächlich nur in den Departements mit
armer landwirtschaftlicher Bevölkerung
wie der Bretagne und in den Gebieten
der Grofsindustrie — ; sie ist also in
letzter Linie, wie auch schon der franzö-
siche Geograph Dubois u. a. ausgesprochen
haben, in den geographischen Bedingungen
der Lage und Küstengliederung und der
mangelhaften Ausstattung mit Kohle be-
gründet, welche es in Frankreich nicht
zu der gleichen Entwicklung der Grofs-
industrie wie in England und Deutschland
haben kommen lassen. Diese geographische
Begründung fehlt beim Verf. allerdings.
Man vermiTst bei ihm überhaupt mit
Bedauern jeden Hauch geographischer
Anschauungsweise; die geographische
Litteratur über sein Thema, namentlich
die höchst lehrreiche Karte von Supan in
Pet. Mitt . 1892 iBt ihm imbekannt geblieben,
und von der Methode kartographischer
Darstellung, die ja überhaupt erst einen
Überblick über verwickelte Verbreitungs-
erscheinungen möglich macht, hat er
offenbar auch für seine eigenen Studien
keinen Gebrauch gemacht. Es haben
bisher leider erst wenige Nationalökonomen
und Statistiker eingesehen, welchen Vor-
teil Bie aus geographischen Studien ziehen
können. A. Hettner.
Meurer, Ju)., Illustrierter Führer
auf der Brennerbahn, durch die
ZillerthalerundStubaierAlpen
und durch die östl. bayerisch-
tirolerischen Kalkalpen
(München - Bozen). Hartleben's Ol.
Führer Nr. 53. Wien. Pest, Leipzig,
A. Hartleben. 12°. VII, 194 S., 6 S.
unpaginiert fRegisteri, mit 45 111 u.
10 K. Preis geb. 5.40 JL
Der Führer, der auch die Strecke
Wörgl— Zell a. 3., ferner Schiern, Grödner
Dolomiten und die weitere Umgebung des
Karersee-Hotels mehr oder weniger aus-
führlich einbezieht, ist — wie von einem
so hervorragenden Alpenkenner zu er-
warten — ein gutes Nachschlagewerk in
allen praktischen Dingen, namentlich in
Bezug auf Distanzen und Unterkunft.
Geographische Zusammenfassungen oder
spezielle Notizen naturwissenschaftlichen
Inhalts enthält er nicht. Auch ist er
nicht für Hochalpinisten, sondern „für
das grofBe gebirgsrei sende Publikum" be-
stimmt und ihm bestens zu empfehlen.
Kleine Versehen wie S. 64, wo man
meinen könnte, dafs bei Mayrhofen sich
5 Thäler vereinigen, sind wohl auf Rech-
nung der angestrebten Knappheit der
Ausdrucksweise zu setzen. Die 45 Voll-
bilder stellen ein förmliches kleines
Album dar, die Karten sind von Freytag
in seiner bekannten Art, vielleicht etwas
zu monoton grau, ausgeführt. Neben
einer Übersichtskarte der Ostalpen 1 : 1 Mill.
finden wir eine der Brennerbahn 1 : 900 000
und der Pusterthalbahn 1:1400000, die
eigentlich entbehrlich sind, 4 Karten
gröfserer Gebiete in 1:250 000 und
I : 350 000 , 3 Spezialkarten aus den
Stubaiern und Dolomiten in 1 : 100000 und
1:150000 und 2 Pläne, Bozen und Inns-
bruck, die beide wohl zu klein sind.
Der Bozener Plan entbehrt auch aller
Strarsenbenennungen. Eine Umgebungs-
karte von Innsbruck 1 : 100 000 ist dem
praktischen Büchlein ebenfalls beigegeben,
es sind also mit der Übersichtskarte
II Karten und 2 Pläne. Sieger.
Autenrleth, Fr., Ins Inner-Hochland
von Kamerun. Eigene Reise-
erlebnisse. Kl. 8°. 160 S. Mit Ab-
bildungen und Karte. Stuttgart,
Holland & Josenhans. 1900. JL 1,26,
geb. JC 1,76.
Verfasser war als Missionar auf der
Station Mangamba unter den Abonegern
des mittleren Kamerungebietes thätig und
unternahm von dort aus in den Jahren
1893—95 drei Reisen nach Norden und
Nordosten bis Nyasoso am Fufse des
3000 m hohen, vulkanischen Kupeberges
und bis in da« Land der Bakaga an den
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Neue Bücher
und Karten.
301
südlichen Abhängen der wahrscheinlich
ebenfalls vulkanischen Manengubaberge.
Die geographischen Ergebnisse dieser
l, T. durch noch unbekannte Gegenden
führenden Reisen hat er in v. Danckel-
man's Mitteilungen 1895 veröffentlicht;
in dem vorliegenden Buche aber wendet
er sich an ein gröfseres Publikum und
schildert in schlichten, bald humorvollen,
bald aber auch ergreifenden Worten seine
Erlebnisse im Hinterlande von Kamerun.
Im Dienste der Mission unternahm er
seine Reisen und in der Begeisterung für
seinen Beruf, die aus seinen Schilderungen
herausklingt, harrte er mutig aus unter
allen Gefahren, die ihn umgaben und
mehr als einmal sein Leben bedrohten,
bis er endlich seine Ausdauer mit Erfolg
gekrönt Bah und unter dem Ukosi in
NyasoBQ eine Missionsstation errichten
konnte. A. Schenck.
Unold, J., Das Deutschtum in Chile
(Der Kampf um das Deutschtum,
16. Heft). München, Lehmann 1899.
JC 1.20.
Wintzer, W., Die Deutschen im tro-
pischen Amerika (Der Kampf um
das Deutschtum, 14. Heft). München,
Lehmann 1900. M 1.40.
Unold ist eine Reihe von Jahren als
Lehrer in Chile thatig gewesen und hat
dadurch das dortige Deutschtum gründlich
kennen gelernt. Nach einem Rückblick
auf die geschichtliche Entwicklung, bei
dem er dem Anteil der Deutschen be-
sondere Aufmerksamkeit schenkt, bespricht
er kurz die Stellung der Deutschen in
Mittel -Chile und dann ausführlich die
deutschen Ansiedelungen in Süd -Chile,
„Kleindeutschland am Stillen Ozean", wie
er sie wohl etwas zu optimistisch nennt.
Es ist ein anziehendes erfreuliches Bild
deutscher Tüchtigkeit, aber leider auch
ein betrübendes Bild deutschen kon-
fewionellen Haders, das er uns hier ent- I
wirft. In mir erweckte seine Schilderung,
die mir in allen wesentlichen Punkten
richtig zu sein scheint, eine lebhafte Er-
innerung an meinen Besuch jenes schönen
anheimelnden Landes, und wer dies nicht
selbst kennt, wird sich daraus eine gute
Vorstellung von dem Leben unserer dortigeu
Brüder machen können.
Die Aufgabe Wintzer's war insofern
schwieriger, als sich seine Darstellung auf
ein sehr viel grösseres Gebiet, nämlich
auf Mexiko, Mittelamerika und die süd-
amerikanischen Andenländer erstreckt —
Brasilien fällt dagegen nicht in den Be-
reich seiner Betrachtung — . Er kennt
Mexiko aus eigener Anschauung und ver-
mag daher Land und Leute richtig und
mit grofser Anschaulichkeit zu schildern
und die Stellung der Deutschen treffend
zu beurteilen. Bei den übrigen Ländern
geht ihm dagegen die persönliche Kennt-
nis ab, und er hat sich leider auch nicht
genügend in der Litteratur umgesehen,
so dafs namentlich die geographische Dar-
steUung dieser Länder teilweise ziemlich
mangelhaft ist. Der Grundgedanke der
Schrift scheint mir richtig zu sein: In
Mexiko und auch noch in Mittelamerika
mufs in Folge des räumlichen Zusammen-
hanges das Übergewicht der Nordameri-
kaner immer mehr zunehmen. In seiner
Ausdehnung auf Südamerika dagegen fehlt
dem Panamerikanismus die innere Be-
rechtigung; hier stehen die amerikanischen
Interessen noch ganz im Hintergrunde,
und es liegt auch kein Grund vor, warum
nicht die Europäer und im besondern wir
Deutschen den Kampf mit den Amerikanern
aufnehmen sollten. Dafs aber irgendwo
ein guter Boden für deutsche Bauern-
kolonisation sein sollt«, möchte ich be-
zweifeln : wenn auch die klimatischen Be-
dingungen in den höheren Regionen erfüllt
sind, so liegen doch gerade hier ungünstige
wirtschaftliche und soziale Verhältnisse
vor. A. Hettner.
Nene Bücher and Karten.
Zusammengestellt von Heinrich Brunner.
OeMklekU 4er Geographlr. Konr. Häbler. 24 S. , 14 facsiin. S., 2 Abb
Kolumbus - Brief , der deutsche; in (Drucke u. Holzschn. des 15. u. 16. Jahrb.
Facsimile-Dr. hrag. mit einer Einl. i VI). StrafBburg, Heitz 1900. X 8 —
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302
Neue Biicher und Karten.
AHfffmeliir phj»Uehe Geograph!».
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ed. for the Council of the Koyal Geo-
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enl. 9 vol. London, R. Geograph. Soc.
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Ardouin-Dumazet. Voyage en France.
23. Serie : Plaine comtoise et Jura,
Haute-Saöne, Doubs, Beifort, partie de
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104 S. Leipzig, Lucius 1901. X 2.50.
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Gsell-Fels, Th. Rom u. die Campagna.
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100 Blatt in Phototypie, nach der Natur
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hrsg. von der kartograph. Abt. der
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Farbdr. Sekt. Ho kien fu: 27,5x72,5 cm;
Sekt. Peking und Schan hai kwan:
60 x 72,5 cm. 3. Aufl. Berlin, Eisen-
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39,6 X 57,6 cm. (Kriegskarte IH). Berlin,
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FAfrique australe; iuise ä jourp. Ontteitne
Reclus. 28 cartes. 363 S. Paris, Hachette
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30 S. Berlin, I) Reimer 1901. X —.60.
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303
Autrallicfca Usela.
Kramer, August in Die Sa*»
Entwurf einer Monogr. Karten, Taf.,
Textill. 4 Lief. Stuttg., Schweizerbart
1901. Zu JL 4.-
SÜ,Uniorlk«.
Gernhard, Rob. Dona Francisca, Hansa
u. Blumenau; drei deutsche Muster-
siedelungen im südbrasil. Staate Santa
Catharina. Festschrift. 1 Karte, III.
XXIV, 416 S. Breslau, Schles. Buchdr.
1901. JL 8.—
Kaerger, K. Landwirtschaft und Koloni-
sation im spanischen Amerika. 2 Bde.
L Die La Plate-Staaten. IX, 939 S.
mit 1 Tafel. II. Die Südamerikas
Weststaaten und Mexiko. VII, 743 S.
Leipzig, Duncker & Humblot 1901.
JL 42.80.
PoUrreglonea.
N an Ben, F. Norwegian North Polar
expedition: scientific results. Vol. II.
4°. London, Longmans 1901. 30 s.
Gcographlirker Uaterrleht u ml
Gebauer, Hch. Handbuch der Länder-
u. Völkerkunde . . . mit bes. Berücks.
der Volkswirtschaft! Verhältnisse. I :
Europa. IV, 986 S. Leipz. Lang 1901.
JL 15.—
Diercke-Gaebler. Schulatlas für höhere
Lehranstalten. 37. Aufl. Revision von
1900. 169 Haupt- und 166 Nebenkarten.
Braunschweig, Westermann 1901.
Lüddecke-Haack. Deutscher Schul-
atlas. 3. Aufl. 8* Karten und 7 Bilder
auf 61 Seiten. Gotha, Justus Perthes.
1901.
Meinhold. Geograph. Bilder aus Sachsen.
2. Lief. 6 Taf. Farbdr. 60 x 86 cm.
Dresd., Meinhold & Söhne 1901 . JL 9.— ;
einzeln zu JL 1.80. [b : Kloster Marien-
thal; 7 : Bastei ; 8 : Herrnhut; 9 : Moritz-
burg; 10 : Kriebetein.]
Rieht er 's Atlas für höhere Schulen.
23. Aufl. v. 0. Richter u. C. Schulteis.
46 Karten mit 40 Nebenkarten. Glogau,
Flemming 1901.
Zeitschriftensclian.
Petermann'g Mitteilungen. 1901. Nr. 8.
K atz er: Das Gebiet an der Mündung des
Trombetas in den Amazonas. — Tho-
roddsen: Das Erdbeben in Island i. J. 1896.
— Henkel: Die Verbreitung der Schrift-
arten in Europa. — Schuh: Das Gefrieren
der Seen. — Sieger: Zur Thalgeschichte
des obersten Donaugebietes. — Philipp-
so n: Geologie von Rhodus. — Hammer:
Die Mission Pavie. — Gravelius: Der
Einflufs des Waldes auf Bodenfeuchtigkeit
und Grundwasser. — Tornquist: Zur
Geologie von Jamaika. — Ders.: Neuere
Betrachtungen über das geologische Alter
der Erde.
Globus. Bd. LXXDL Nr. 10. v. 1) a n c k e 1 -
man: Das deutsche Material zur Karto-
graphie des afrikanischen Grabengebietes.
— Kaindl: Aus der Volksüberlieferung
der Bojken. — Andre"e: Alte west-
afrikaniBche Elfenbeinschnitzwerke im
Herzogl. Museum zu Braunschweig.
Dans. Nr. 11. Rüge: Rattenberger
Studien. — Steffens: Die Verfeinerung
des Negertypus in den Vereinigten Staaten.
— Kohnt: SophuB Rüge. — Förster:
Foureau's Expedition von Algier nach
Französisch - Kongo.
Da$8. Nr. 12. Krämer: Der Purpur-
fisch der Gilbertinsel. — Rüge: Ratten-
berger Studien. — Friedrichaen: Prof.
Futterer's Reise durch Asien.
Boss. Nr. 13. v. Luschan: Zur
anthropologischen Stellung der alten
Ägypter. — Pater Andreas Hartmann's
Hereisung der Südostküste des Tanganjika-
Sees. — Jäger: Die Salzburger Bucht.
— Neger: Der Stund der Kautschuk-
gewinnung im tropischen Afrika. —
Mehlis: Prähistorische Schleudersteiue
aus dem M ittelrhei nlande. — Schuchardt:
Zum Stand unserer Kenntnis Aber die
Basken
Dass Nr 14. v. Seidlitz: L. S. Berg's
Erforschung des Aralsees im Sommer 1900.
— Purpus: Fel»malereien und Indianer-
gräber in Tulare County (Kalifornien). —
Seidel: Togo im Jahre 1900. —
Tetzner: Das bosnische und herzego-
winische Haus. — Neger: Das Licht-
klima in der arktischen Zone und der
Lichtgenufs der Pflanzen in der arktischen
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304
Zeitschriftenschau.
Region. — Sapper: Zur Statistik von
Guatemala.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. XXIII Jahrg. 7. Heft
Meinhard: Die Frauen der Völker im
südöstlichen Europa. — Yokoyama:
Der Ausbruch des Vulkans Adatara in
Japan. — Das gelbe Fieber in Rio de Janeiro.
— Die Reise Kozlov's in Zentralasien.
Zeitschrift für Schulgeographie.
XXII. Jhrg. 6. Heft Sieger: Der inter-
nationale Kongrefs für Handels- und Wirt-
schaftsgeographie in Paris. — Stübler:
Über LandschaftsBchilderung. — Zu den
Grundsätzen für Lehrbücher der Geo-
graphie.
Meteorologische Zeitschrift. 1901.
3. Heft. Polis: Beitrüge zur Gewitter-
kunde im Hohen Venn und der Eifel. —
Köppen: Versuch einer Klassifikation der
Klimate. — Messerschmidt: Über die
Halophänomene.
Verhandlungen der Gesellschaft für
Erdkunde zu Berlin. 1901. Nr. 3.
Borehgrevink: Die antarktische Expe-
dition des „Southern Gross" 189»— 1900.
Kret8chmer: Die physische Entwick-
lung der Nordseeküste in historischer Zeit.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde
zu Berlin. 1900. Nr. C. Fischer: Zur
Klimatologie von Marokko.
The Geographical Journal. Vol, XVn.
Nr. 4. Church: South America: An
Outline of it« Physical Geography. —
Stein: Note on Topographical Work in
Chinese Turkestan. — Chambers: Can
Hawkins's „Maiden Laudu be identified
as the Falkland Islands? — Beazley:
Sebastian Münster.
The Scottish Geographical Magazine.
1901. Nr. 4. Murray and fPullar:
A Bathymetrical Survey of the Fresh-
Water Lochs of Scottland. IH. — Gulston:
Some Notes on the Baltio and Arctic
Voyages of the „Ermack" 1899. — Hin se-
in an: The River Spey. — The British
Rainfall Organisation.
La Geographie. 1901. Nr. 3. Vam-
bery: La Perse Orientale et le Khorassan.
— Bon in: Voyage de Pe"kin au Turkestan.
— Jobit: Mission Gendron au Congo
francais. — Loefler: Mission Gendron.
Note but la region comprise entre le
N'Gounie" et FAlima. — Huot: Mission
Chari-Sangha. — Hodge: Re'centes ex-
plorations ethnologiques et archeologiques
aux Etats Unis.
Annales de Geographie. 1901. Nr. 50.
Woeikof: De l'influence de Thomme sur
la terre. — Gallois: Le Bassigny. —
L e* o n : Exeursion geographique daus
l'Ardenne. — Zaborowski: Les Finnois.
— Saint Yves: Transalai et Pamirs. —
Chevalier et Cligny: La Casamance.
— Bouffard: Notes de voyage au Se-
Tch'oan.
Rivista Geografica Baliana. VHI. März.
U ziel Ii: La scoperta delT America al
Congresso degli americanisti del 1900.
— Fi echt er: Notizic sul nuovo rile-
vamento del Vesuvio eseguito nell'
anno 1900. — M a r i n e 1 1 i : Termini
geografici dialettali raecolti in Cadore.
— Oberti: Le regione interne dell'
Africa Orientale secondo le ultime spedi-
zioni. — Biasutti : Le carte topo-
grah'che nell* insegnamento della geo-
grafia. — Aleani: Osservatorio Ximeniano
di Firenze.
The National Geogiaphic Magazine.
1901. Nr. 3. Crosby: Abyssinia, the
Countiy and People. — McGee: The Old
Yuma Trail. — The Sea Fogs of San
Francisco. — Geographie Facta from Re-
port oft the Taft Philippine Commission.
— Hoffmann: The Philippine Exhibit
at the Pan-American Exposition.
The Journal of School Geography.
1901. Nr. 3. Carter: A Method of
Map-Drawing. — Davis: Local Illustration«
of Distaut Land. — Mifs Reynolds „Novel
School-'. — Lusk: The Australian Com-
monwealth. — Dodge: A School Course
in Geography.
Verantwortlicher Herautgrlier Prof Dr Alfred ffettatr in Heidelberg
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Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde.
Von Dr. J. B. Messerschmitt an der Seewarte in Hainburg.
Wohl eine der wichtigsten physikalischen Eigenschaften der Materie ist.
die Schwere Sie bewirkt, dafs alle Körper einander anziehen und zwar, wie
es Newton zuerst dargethan hat, direkt proportional den Massen und um-
gekehrt proportional dem Quadrate der Entfernung derselben. Damit ist
aber dieser Kraft auch die enge räumliche Begrenzung genommen; sie herrscht
allgemein, sowohl auf der Erde als auch im weiten Weltraum. Es liegt
auch für die Astronomie, worauf neuerdings H. Seeliger1) hinwies, kein
Gmnd vor, dieses tiesetz nicht überall als giltig zu betrachten.
Über das Wesen der Schwerkraft oder der Gravitation haben wir noch
keine genaue Kenntnis, welche auch für viele Untersuchungen nicht not-
wendig ist. Betrachtet mau die Anziehung einer homogenen Kugel auf
einen materiellen Punkt, so erfolgt dies», nach dem Newton'schen Attraktions-
gesetze ebenso, wie wenn ihre Masse im Mittelpunkt vereinigt wäre. Wenu
also die Erde eine homogene Kugel wäre oder eine Kugel, bei welcher die
Massen in homogenen Schalen, wenn auch von verschiedener Dichte zu-
sammengesetzt, angeorduet wären, so würde die Schwere an der Oberfläche,
abgesehen von der durch die Rotation entstehenden Modifikation wegen der
Fliehkraft, überall gleich sein und zwar gleich derjenigen Kraft , welche von der
ganzen Masse, im Mittelpunkt vereinigt gedacht, ausgeht, wobei sie nach
dem Zentrum gerichtet wäre.
Da aber die Erde keine Kugel, sondern ein schwach abgeplattetes Ro-
tationsellipsoid ist, dessen kleine Achse nach den beiden Polen gerichtet ist
und das sich überdies um diese Achse dreht, so erkennt mau, dafs hier die
Stärke und Richtung etwas verschieden von dem vorher angeführten ein-
fachen Fall sein wird. Es läfst sich zeigen, dal's die Schwerkraft abhängt
von dem Quadrate des Sinus der geographischen Breite2). Bei einem solchen
Körper ist auch die Richtung der Kraft nicht nach dem geometrischen
Mittelpunkt gerichtet, sondern fällt jeweilen mit der Richtung des Krümmungs-
radius zusammen, so lange eben die Dichtigkeitsverteilung in der Erde
gleichmäfsig ist. Ist dies aber nicht der Fall, so erhält man Abweichungen
zwischen den beobachteten und den auf obige Weise theoretisch ermittelten
Ii H. Secliger, Über das Newton'sche Gravitationsgesetz. Sitzungsbericht der
Akademie zu München, Math.-Phys Kl. '26, S. 3S«J IHM6.
2) 9 = % + • »in'qp, wo g0 die Schwere am Äquator und # eine Konstante
bedeutet, die von der Fliehkraft und der Abplattung der Erde abhängt.
Geographische Zeitichrift. 7. Jahrgang. l»0l 0. Heft. 21
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30G
J. B. MesaerBchraitt:
Werten ; dies giebt für die Richtung der Schwerkraft die „Lotabweichungen"
und für die Intensität die „Schwereanomalien".
Wie schon eine flüchtige Umschau erkennen läfst, ist wenigstens in der
Nähe der Erdoberfläche die Massenverteilung nicht gleichmäfsig, auch ist in
der Verteilung der Unregelmäfsigkeiten kein mathematisches Gesetz erkennbar.
Man mufs daher die Schwere nach Größe und Richtung durch direkte Be-
obachtungen von Ort zu Ort ermitteln.
Iufolge dieser Abweichungen fällt auch die Fläche, auf welcher die
Richtung der Schwerkraft (das Lot) überall senkrecht steht (man nennt sie
Niveaufläche, speziell in Meereshöhe Geoid), nicht mit einem Rotationsellipsoid
ganz zusammen ; nur die Oberflächen der Flüssigkeiten, insbesondere der Meere ')
bilden den sichtbaren Teil dieser mathematischen Figur der Erde (des Geoids),
wobei allerdings von den Bewegungen durch Ebbe und Flut, durch Winde und
andere, Meeresströmungen erzeugende Ursachen, Luftdruck u. s. w. abgesehen
werden mufs.
Wie bereits angedeutet, sind es die Dichtigkeitsänderungen in der Erde,
welche die Abweichungen von den einfachen geometrischen Verhältnissen her-
vorrufen und auch bei der mathematischen Untersuchung der Krümmungs-
verhältnisse direkt eintreten. Für das Studium des Baues der Erdrinde ist
jedoch die Intensität der Schwere wichtiger, auf welche hier deshalb auch
näher eingegangen werden soll.
Die direkte Messung der Beschleunigung der Schwerkraft stöfst auf
Schwierigkeiten, sobald man sie einigermafsen genau haben will. In den
Peudelbeobachtungen jedoch hat man ein Hilfsmittel, die Schwerkraft sicher
zu ermitteln. Für das mathematische Pendel ist bekanntlich die Schwingung* •
Schwere und % die Ludolph'sche Zahl bedeutet. Setzt man die Zeit / gleich 1*,
so erhält man // = ?ts/, d. h. die Intensität der Schwere ist der Länge des
Sekundenpendels direkt proportional. Um also g zu erhalten, ist die Messung
einer Länge und einer Zeit nötig; Gröfsen, welche im allgemeinen sehr genau
erhalten werden können. Da aber nicht mit einem mathematischen sondern
mit einem physischen Pendel beobachtet werden mufs, so treten eine Reihe
von Schwierigkeiten auf, welche bewirken, dafs die Bestimmung der Intensität
der Schwere mit zu den kompliziertesten Aufgaben der Physik gehört.
Man unterscheidet nun zweierlei Arten der Bestimmungen, nämlich ab-
solute und relative. Je nachdem die eine oder andere Bestimmung ausgeführt
werden soll, sind die dazu dienenden Instrumente und Apparate verschieden.
Bei ersterer müssen möglichst alle konstanten Fehlerquellen vermieden oder
wenigstens sicher bestimmt werden können, anders bei der relativen Messung,
wo konstante Fehlerquellen meist ohne allen Nachteil sind, dagegen sollen sie
hiuwiederum möglichst empfindlich sein, um feinere Unterschiede nachweisen
l) Auch die Seen bilden solche Niveauflächen. Für die mathematische Dar-
stellung dieser Verhältnisse vgl F. R. Helmert, Die niath. u physik. Theorien der
höheren fieodäsie. 2. Band, Leipzig 1884 und H. Bruns, Die Figur der Erde.
Berlin 1878. Publik, d. k. pr. geod. Inst.
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Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde. 307
zu können. Da nun in der Physik der Erde gerade die Verteilung der Schwer-
kraft auf der Erde von der gröfsten Bedeutung ist, so werden dafür die
relativen Bestimmungen in ausgedehnter Weise verwendet, während man die
absoluten Messungen auf wenige dafür günstige Orte beschränken kann. Es
ist dies ein grofser Gewinn, da gerade die absoluten Beobachtungen viel
Zeit erfordern, während die relativen mit • wenig Aufwand au Zeit und
instrumentellen Mitteln ausgeführt werden können.
Für absolute Messungen kommen besonders zwei Apparate1) in Betracht,
nämlich das einfache Fadenpendel, wie es Biot, Arago, Borda, Th. Young
und besonders Bessel zu seiner klassischen Abhandlung „Untersuchungen über
die Länge des einfachen Sekundenpendels" (Abhandlung d. Akad. Berlin 1826 2)
verwendet hat, und das Reversionspendel. Das Prinzip dieses Apparates
wurde zuerst von Bohnenberger in seiner „Astronomie" (Tübingen 1811
S. 448) beschrieben, später von Bessel unabhängig davon neuerdings an-
gegeben und zuerst von Repsold8) in die Praxis umgesetzt. Dies Instrument
wurde mehrfach durch Repsold, v. Orff, Defforges u. a. verbessert, so dafs
die konstanten Fehler besonders bei den Längenmessungen, die Elastizität,
das Mitschwingen, das Gleiten der Schneiden u. dgl. m. vermieden oder
deren Einflufs wenigstens sicher ermittelt werden kann. Das Reversions-
pendel wird jetzt fast allein noch für absolute Messungen verwendet4).
Von den verschiedenen Methoden für die relative Bestimmung der
Schwere giebt bis jetzt allein die Anwendung von „invariablen Pendeln"
brauchbare und genaue Werte. Bei diesen Pendeln wird die einfache Be-
ziehung verwendet, dafs sich die Schwere an zwei Orten umgekehrt dem
Quadrat der Schwingungszeiten des gleichen Pendels an den beiden Orten
verhält. Die grofsen Expeditionen in der ersten Hälfte des letzten Jahr-
hunderts von Kater, Sabine, Foster, Freycinet u. s. w. benutzten schon solche
invariable Pendel. Ein grofser Fortschritt wurde aber erst durch den Apparat
1) Vgl. Th. von Oppolzer: „Bericht über die Bestimmung der Schwere mit Hilfe
verschiedener Apparate.1' Verhandl. der 7. alldem. Konferenz der Europ. Grad-
messung zu Rom 1883. Anlage VI, und Zeitschr. für Instrumentenkunde 4. 1884.
S. 303 und 379.
2) Reproduziert in „Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften14 und
Bessel F. W. Abhandlungen, hrsg. von K. Engelmann, 3. Bd. Leipzig 1876.
8) E. Plantamour, „ExpCriences faites ä Qeneve avec le pendule a reversion."
Mem. de la Soc. phys. et d'hist. nat. Geneve 18. 1866 und „Nouvelles experiences".
1872.
4) Es genügt hier auf einige der wichtigsten Abhandlungen über diesen Appanit
zu verweisen. C. 8. Peirce, On the flexure of pendulum supports (App. No. 14.
Coast and Geodetic Survey Report for 1881); P. Kuhlberg, Astron. Nachr. Bd. 101.
1882 No. 2416 u. Bd. 113. 1886. No. 2689. C. von Orff, Bestimmung der Länge
des einfachen Sekundenpendels auf der Sternwarte zu Bogenhausen, Abhdlgeu der
der math.-phys. Kl. der Akad. 14. München 1883; G. Lorenzoni, Kelazione sulle
esperienze istituti nel R. Obs. astr. di Padova per determinare la lunghezza del
pendolo semplice a secondi. Roma 1888; O. Defforges in Memorial du depöt ge-
neral de la guerre. T. 16. Observations du pendule. Paris 1894; F. R. Helmert,
Beiträge zur Theorie des Reversionspendels. Potsdam 1898. Veröff. d. k. pr. geod.
Instituts.
21*
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308
J. B. Messerscbmitt:
dos Oberst R. von Sterneck 1 ) erzielt, welcher Apparat besonders einfach und
für Feldbeobachtuugen praktisch und kompcndiös ist, dessen Vorzug aufser-
dem noch in der neuen Anordnung des Koinzidettzapparats liegt. Etwas
komplizierter ist der relative Apparat von G. Dcfforges2), der aber ebenfalls
bei leichter Transport lühigkeit sehr gute Resultate liefert. Die ineiste Ver-
breitung hat der Apparat von Sterueck gefunden, wovon der von Menden-
hall3) eine Modifikation durstellt.
Seit Oberst von Sterneck seinen Apparat erstellt und seine Brauchbar-
keit durch grofse und rasche Aufnahmen in Österreich deutlich gezeigt hat,
hauen die Untersuchungen über die Verteilung der Schwere einen ungeahnten
Fortschritt genommen. Wenn auch der Apparat bei guter Aufstellung allen
Ansprüchen genügt, die man an ihn zu stellen berechtigt ist, so sind doch
seither einige Verbesserungen vorgenommen worden, welche besonders das
Mitschwingen des Stativs betreffen. So konstruierte von Sterneck selbst eine
sichere Wandkonsole, Haid4) ein neues Stativ, Schumann s) gab eine Methode
für die Bestimmung der Korrektion wegen Mitschwingen an u. s. w., wo-
durch auch dieses störende Element beseitigt wird. Eine Modifikation der
Koinzidenzbeobachtungen gab Brillouin6) an. Durch diese Änderungen wird
die Genauigkeit der Beobachtungen um ein bedeutendes gesteigert und zum
Teil sogar erst ermöglicht, die kleineu in ebenen Gegenden u. s. w. vor-
handenen Unterschiede in der Schwere sicher zu ermitteln, wahrend die
grofsen Differenzen im Hochgebirge leichter gefunden werden.
Ein, besonders vom physikalischen Standpunkt aus, interessantes Neben-
resultat, welches diese Fendelmessungen lieferten, ist die Veränderlichkeit der
Pendel7) mit der Zeit. Es sind sowohl lang andauernde allmähliche Än-
derungen als auch plötzliche Sprünge H) gefundeu worden. Im allgemeinen
wurden Verkürzungen der Fendelstangen beobachtet, die man durch Ver-
biegen der Stangen oder auch durch Strukturiinderuugen erkliiron kann. Zur
1) R, von Sterneck, Der neue Pendelapparat de* k. k. mil.-geogr. Instituts.
Mitteilungen den mil.-geogr. Instituts. Wien 1887.
2) G. Defforges L c. Memorial etc. 1894.
3i T. C. Menden hall, Determination of gravity. Washington 1892, und T. C.
Mendenhall, On the Use of Planes and Knife-edges in Pendulums for Gravity
Measurements. Amer. Journ. of Sciences. (3) 45 S. 144. 1898.
4) M. Huid, Neues Pendelstativ. Zeitschrift für InRtrumentenkundc 1896
8. 193.
üi H. Schumann, Über die Verwendung zweier Pendel auf gemeinsamer
Unterlage zur Bestimmung der Mitschwingung. Zeitschritt für Math. u. Physik. 44.
1898. S. 102.
6) M. Brill ouin, Appareil leger pour la determination rapide de l'intensite <le
la pesanteur. Conaptes rendus 126. 1897. 8. 292.
7) Vergl. die von mir gegebenen Untersuchungen und Zusammenstellung in „Das
schweizerische Dreiecknetz", Relative I Stimmungen der Intensität der Schwerkraft
in der Schweiz" Bd. 7 Zürich 1897. S. 170-182.
8) Bestimmung der Polhühc und der Intensität der Schwerkraft auf 22 Stationen
von der Ostsee bei Kolberg bis zur Schneekoppe Berlin 1896. Veröff. d. k. pr.
geud. Inst. Seite 162. Ferner K. lt. Koch, „Über relative Schwerebestimmungen."
Zeitschrift für butnimentenkunde 18. 1898. S. 298.
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Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde. 309
Vermeidung dieser Veränderlichkeit gab Wilsing1) eine andere Form an, mit
welcher aber bis jetzt noch keine Messungen bekannt sind.
Wenn es nun auch möglich ist, die Intensität der Schwere an vielen
Orten verhältnismäfsig leicht zu messen, so fehlt es uns doch bis jetzt an
einem Apparat, diese Messungen auch auf dem Meere mit genügender Ge-
nauigkeit ausführen zu können. Da nun aber das Meer weitaus den gröfsten
Teil der Erdoberfläche bedeckt, so bleibt hierdurch eine bedeutende Lücke
in unserm Wisseu, die um so schwerwiegender ist, als zwischen der Schwere
auf den Inseln und den Kontinenten eine Anomalie besteht, die noch nicht
völlig aufgeklärt ist, deren Lösung nur durch direkte Messungen auf dem
Meere gefunden werden kann. Ob Versuche mit andern Apparaten, wie
Hypsometern, Aräometern, die Verwendung des Druckes konstanter Gas-
massen, Elastizitätsinstrumente u. s. w. jetzt schon zum Ziel führen, lälst sich
nicht mit Sicherheit vorhersagen, da die damit gemachten Beobachtungen
zu wenig zahlreich oder die verwendeten Apparate nicht über das Versuchs-
stadium hinaus gelangt sind. Immerhin haben aber die zahlreichen Be-
obachtungen der letzten Jahre eine Reihe interessanter Resultate ergeben,
welche daher einer eingehenderen Betrachtung wohl wert sind.
Wie die allgemeine Schwere die Erklärung der Entstehung der Erd-
gostalt geliefert hat, so bietet dieses Gesetz auch die Mittel zur Bestimmung
einer weiteren wichtigen Konstanten des Erdkörpers, nämlich seiner mitt-
leren Dichte.
Schon Newton hatte geraten, die Dichte der Erde durch Messung der
ablenkenden Wirkung von Gebirgsmassen auf das Lot zu bestimmen. Aber
erstBouguer und La Condamine führten 1735 nach diesem Prinzipe gelegent-
lieh ihrer Breitengradmessung in Peru eine Dichtigkeitsbestimmung der Erde
aus. Es kommt hierbei das Verhältnis der Anziehung eines Gebirges (Berges)
zu jener der ganzen Erdraasso in Betracht, woraus man auch das Verhältnis
dieser ihrer Gröfse nach bekannten Masse zur ganzen Masse der Erde und
damit die Dichte erhält. Die ersten Messungen konnten aus verschiedenen
Gründen keine brauchbaren Resultate liefern, erst später haben Hutten und
Maskelyne in England damit Erfolg gehabt.
Statt der Lotablenkung kann man aber auch die Intensität der Schwere
verwenden, indem man ein Pendel auf dem Gipfel eines Berges von be-
kannter Masse und an seinem Fufs schwingen läfst. Vermöge der Attraktion
der unterhalb befindlichen Masse des Berges nimmt die Schwere auf ihm
langsamer ab, als bei freier Erhebung in der Luft. Der Unterschied zwischen
der beobachteten und der für den letzteren Fall berechneten Intensität der
Schwere ist dem Verhältnis zwischen der Bergraasse und der Masse der
Erde proportional und gestattet daher die Dichte der Erde zu berechnen.
Diese Methode verwendete zuerst Carlini und neuerdings mit Erfolg die
Amerikaner Preston und Mendenhall in Japan. Das nämliche Resultat er-
1) J. Wi Ising, über eine besondere Form invariabler Pendel. Zeitschrift für
Instrumentenkundc. 17. 1897. S. 109. Wilsing glaubt, daf» die Änderung der Pendel
durch thermische Nachwirkungen hervorgerufen wird, entsprechend der Theorie
von Thiesacn. (Wissensch. Abhdlg. d. Phys. Techn. Rcichsanstalt 8. 1895. S. 75.)
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310
J. B. Messerschmitt:
hält man, wenn man sich in das Innere der Erde begiebt, um dort die In-
tensität der Schwere zu bestimmen, wie es zuerst Airy und später Albrecht,
von Sterneck und Schiötz thaten.
Aber alle diese Messungen leiden unter der Schwierigkeit, die Masse
der auf das Pendel oder Lot wirkenden Erdschichten genügend genau fest-
zustellen. Davon sind die rein experimentellen Methoden frei, wobei relativ
kleine Massen für die Anziehung in Verwendung kommen.
Diese Methoden beruhen bekanntlich auf die Anwendung der Coulomb-
sehen Drehwage (Cavendish, Reich, Baily, Cornu und Baille, Boys und
C. Braun); der gewöhnlichen Wage nach Jolly, später von Poynting und
kürzlich von Richarz und Krigar-Menzel verwendet, und endlich auf der An-
ziehung von Massen auf ein nahe im Schwerpunkt aufgehängtes Pendel nach
J. Wilsing. Eine neue Methode hat in jüngster Zeit Gerschun1) angegeben,
Messungen liegen jedoch damit keine vor.
Alle diese Bestimmungen liefern Werte zwischen 5,5 und 5,6 für die
mittlere Dichte der Erde; der Mittelwert der neueren Messungen liegt um
5,52. Die Unsicherheit desselben ist in so engen Grenzen eingeschlossen,
dafs man das Problem schon umkehren kann und mit der bekannten mitt-
leren Erddichte die Dichte der die obere Erdkruste zusammensetzenden Massen
oder deren Konstitution abzuleiten sucht. Als Hilfsmittel dienen hierbei die
für die Bestimmung der mittleren Erddichte zuerst angeführten Methoden,
nämlich Messungen von Lotablenkungen und besonders Beobachtungen der
Intensität der Schwerkraft. Die so erhaltenen Beobachtungs-Resultate ver-
gleicht man mit dem theoretischen Verhalten der Schwere. Aus den Ab-
weichungen der beobachteten Verteilung der Schwere, gegenüber derjenigen,
wie sie bei einer homogen geschichteten, nahezu kugelförmigen (ellipsoidischen)
Erde vorhanden sein mufs, lassen sich die erwähnten Schlüsse ziehen. Es
ist daher deren Kenntnis von eben so grofser Wichtigkeit, wie der wirkliche,
aus den Beobachtungen folgende Verlauf der Schwere.
Zum besseren Verständnis mufs zunächst der Begriff des Potentials her-
angezogen werden, der in der modernen Physik, besonders der Elektrizität
eine hervorragende Rolle spielt. Denken wir uns einen mit der Masse 1 be-
gabten materiellen Punkt, der unter dem Einflufs der von der Erde auf ihn
ausgeübten Massenanziehung und der aus ihrer Achsendrehung entspringenden
Zentrifugalkraft steht. Verbindet man diese Punkte mit allen Massenelementen
der Erde, so nennt man die Summe aller wirkenden Massenteilchen, jedes
durch seine Entfernung vom angezogenen Punkt dividiert, das Potential des
Erdkörpers. Da sich nun die Erde bewegt, so kommt zu dem Punkt noch
die Zentrifugalkraft, welche vom Quadrat der Rotationsgeschwindigkeit
und seines Abstandes von der Rotationsachse abhängt. Die Summe beider,
des Potentials und des Einflusses der Rotationsgeschwindigkeit, nennt man
die Kräftefunktion der Erde, häufig auch schlechtweg „Potential der
1) A. Gerschun, Methode pour de'terminer la density moyenne de la terre et la
constante gravitationnelle. Comptes rendus 129. 1899. S. 1013 und A. Sella, Sur
une nouvelle mtHhode proposee par M. Gerschun de determination de la density de
la terre. Archive» Geneve X. 1900. S. 322.
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Die Verteilung der Schwerkraft, auf der Erde.
311
Schwerkraft" (W). Die Fläche selbst nennt man das Geoid, sie stellt die
mathematische Gestalt der Erde vor.
Wir können nun an Stelle dieser Fläche eine andere, regelmäfsigere
substituieren, das sog. Niveau- oder Normalsphäroid (U), dessen Kon-
stanten so angenommen werden, dafs für dieses die normale Schwerkraft (y)
giltig ist. Im allgemeinen werden beide Funktionen in einem beliebigen
Punkte der Erdoberfläche um eine Gröfse ('/') von einander abweichen. Auf
diese Weise ist die Kräftefunktion ( W = U -f- T) in einen regelmässigen
Teil (U\ der bis auf kleine Reste das Potential der Zentrifugalkraft, sowie
das der Anziehung enthält, und ein Restglied (T = W — U) zerlegt, das
auf die Wirkung einer idealen störenden Schicht im Mecresniveau zurück-
geführt werden kann.
Für diejenigen Punkte, in welchen beide Flächen nicht zusammenfallen,
läfst sich der Abstand nach dem Theorem von Bruns aus der Gleichung
T
AT = — bestimmen, wenn y die normale Beschleunigung in dem betreffenden
Punkte bedeutet. Ist T = 0, so berühren bez. schneiden sich Geoid und Sphäroid.
Hierdurch ist die wichtigste Beziehung zwischen den beiden Flächen gegeben.
Da nun wiederum zwischen dem Normalsphäroid1) und einem entsprechend
abgeplatteten, der Erdgestalt sich möglichst anschliefsenden Rotationsellipsoid
ein ähnlicher einfacher Zusammenhang besteht (Bruns und Heimelt konnten
auf zwei verschiedenen Wegen zeigen, dafs sich beide im Maximum nur um
19 m von einander entfernen), so folgt daraus die Berechtigung, für rein
geodätische Operationen und für alle geographischen Untersuchungen das
Geoid, abgesehen von Verbiegungen lokalen und kontinentalen Charakters,
als abgeplattetes Rotationsellipsoid anzusehen.
Den oben gefundenen Abstand (N) zwischen Geoid und Sphäroid kann
man auch als die Störung des Radiusvektors ansehen. Um nun die
gesuchten Beziehungen zwischen der normalen und der wirklichen Schwere
zu finden, bildet man die Ableitung der Kräftefunktionen in der Richtung
der Normalen:
•cW dU.BT
ch ™ 3h~T d h
Die Ableitung der Kräftefunktion des Geoids iu der Richtung der Nor-
malen ist gleich der wirklichen Schwerkraft (g) in Meereshöhe. Es ist ferner
w- -('+«-* + -•)
gleich der normalen Schwere (y), nebst einem Korrekt ionsgliede. Mit aus-
reichender Genauigkeit ist |^ = — , wo R den Erdradius bezeichnet.
Endlich ist
dS = — 2xk"ü — K A
_____ ch 2li '
1) Das Normnlsphäroid ist eine algebraische Fläche der 14. Ordnung. Für alle
diese Betrachtungen sind die beiden angegebenen Werke: Bruns, „Die Figur der
Erde" und besonders Helmert, „Die math. u. phys. Theorie der höheren Geodäsie1'
anzuführen.
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312
.1 15. MesKerschmitt :
wenn wir uns clor Potentialtheorie entsprechend die störenden Massen als
einen unendlich dünnen Massenbeleg auf der Erdkugel in Meereshöhe aus-
gebreitet denken. Hierin bezeichnet, X die Dicht« der störenden Masse für
die Flächeneinheit.
Wie schon angegeben, ist innerhalb der hier eingehaltenen Genauigkeit
7'= Xy und ebenso genau y = * 7tk~&m 7», bezogen auf die Erde vom
o
Kugelradius 7t und der mittleren Dichte &m. Nach dem Hinsetzen dieser
Werte und gehöriger Reduktion erhält man schliefslich die gesuchte Re-
lation zwischen Schwerestörung untl der Dichtigkeit der störenden
Schicht für einen Punkt des Geoids.
worin y die beobachtete, auf Meereshöhe reduzierte Schwere, y die theoretische
Schwere, Jt den Erdradius, &,n die mittlere Erddichte bezeichnet. 6>7), wo-
für oben X geschrieben war, bezeichnet die im Meeresniveau gedachte, ideale
kondensierte Störungsschicht von der Dicke J> und der Dichte & des be-
treffenden Gesteins. Endlich ist ,Y der unbekannte Abstand der ( JeoidHäche
(Meeresniveaus) über die Fläche gleich großen, ungestörten Potentials, des
Normal-Sphäroids.
Um N ableiten zu können, wäre die Kenntnis der Schwere auf der ge-
samten Erdoberfläche nötig, was bis jetzt noch nicht der Fall ist, da z. Ii.
Schwerebestimmungen auf dem Meere zur Zeit noch nicht vorhanden sind, ab-
gesehen von den Beobachtungen auf dem Eise im nördlichen Polarmeer von Scott
Hansen. Dagegen kann man aus den Lotabweichungen wenigstens die relative
Erhebung zwischen Geoid und Sphäroid auf den Kontinenten bestimmen.
Man findet dafür . in Europa Abstände bis zu etwa 15 bis 20 m, in Asien
und Amerika dürften sie vielleicht bis 50 m ansteigen1).
Wenn daher wegen der Unkenntnis von N, der Störung des Radius-
vektors, die allgemeine Anwendbarkeit der Formel von y — y für ver-
einzelte Stationen nicht möglich ist, so zeigen doch diese und andere Unter-
suchungen, dafs die Abweichungen des Geöids vom Rotationsellipsoid sich in
engen Grenzen halten und kaum 200 Meter überschreiten werden. Dieser
Umstand ermöglicht es aber auch, für kleine Gebiete N als konstant anzu-
sehen. Kennt man daher für ein solches Gebiet eine gröfsere Anzahl //—}',
so läfst sich daraus die Störungsschicht &J) berechnen. Die so berechnete
Störungsschicht ist aber eine ideale, für welche die Störungsmassen in der
Nähe der Meeresoberfläche angenommen ist. Wie diese alter in Wirklichkeit
in dem Erdkörper verteilt sind, läfst sich nicht genau angeben, da aus der
Potentialwirkung aufserhalb eben nur die gleichwirkende Störungsschicht in
der Oberfläche ermittelt werden kann. Die Potentialtheorie lehrt aber, dafs
man immer, unbeschadet der Wirkung aufserhalb, alle Massen innerhalb
einer geschlossenen Fläche in einer bestimmten Weise auf derselben ver-
1, J. B. Messerschmitt, „Über den Verlauf des Gcoids auf den Kontinenten und
auf den Ozeanen." Annalen der Hydrographie. 23. 1000. Seite 595.
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Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde.
313
teilen kann. Man kann sich also auch etwa vorhandene störende Massen
im Erdin nern auf die Meeresoberfläche verschoben denken, wobei aber die
Gröfse und die Richtung der Verschiebung unbekannt bleibt. Immerhin
kann man aber aus dem Verlauf der so berechneten idealen Schicht Ver-
mutungen über die wirklich störenden Massen aufstellen, da die Dichtigkeit
im Erdkörper an gewisse Grenzen gebunden ist. Überdies ist es plausibel,
dafs hauptsächlich die oberen Schichten der Erdkruste, etwa bis zu einer
Tiefe von 100 Kilometern, beteiligt siad, wie sich namentlich durch Herbei-
ziehung anderer Thatsachen besonders aus den Gebieten der Geologie und
Geophysik ergiebt.
Aus den Pendelmessungen des letzten Jahrhunderts bis 1880 hat
F. R. Helmert eine Formel für die normale Schwere in Meereshöhe1) ab-
geleitet:
M
y = 9,7800 (1 + 0,005310 sin2 B)
cm
bez. für die Pendellunge L = 09,0918 (1 -f 0,005310 sin8 B)
wo B die geographische Breite bedeutet. Hierbei ful'sen die absoluten
Messungen hauptsächlich auf derjenigen von Bessel in Berlin. Die Abplat-
tung der Erde folgt damit zu l/yAKl.
Die absolute Bestimmung Oppolzers in Wien giebt nach der Übertragung
für Berlin einen um 0,35 mm gröfseren Wert der Schwere, als der von Bessel
gefundene ist, weshalb jetzt auch vielfach au die Hcluiert'schen Werte noch
M
die konstante Korrektion ~j- 0,00035 angebracht wird2). Im Nachfolgenden
soll auch stets bei Zahlenangaben diese Korrektion berücksichtigt werden.
Durch eine Bearbeitung fast des gesamten Materials des letzten Jahr-
hunderts mit Anschlufs an die absolute Bestimmung von Oppolzer in Wien,
berechnete Ivanof3) eine neue Forniel für die Länge des Sekundenpendels in
Meereshöhe, wie folgt:
cm
L = 99,0997 -f 0,5240 sin2 tp' — 0,0016 (sin q>' — % sin V)
worin <p die geozentrische Breite bedeutet. Er hat hierbei noch eine Kugel-
funktion 3. Ranges mitgenommen: der geringe Betrag des Koeffizienten der-
selben beweist jedoch, dafs man zur Zeit eine Ungleichheit der Nord- und
Südhälfte der Erde nicht nachweisen kann. Die Schwerkraft am Äquator
wird damit 9,78075 d. i. um 0,75 mm gröl'ser als der ursprüngliche Hel-
mert'sche Wert und um 0,40 mm gröfser als der verbesserte. Die Abplattung
der Erde folgt daraus zu Vga72, also ein recht befriedigender Wert.
1) 1. c. Bd. 2. S. 241.
2) Bestimmung der Polhöhe und der Intensität der Schwerkraft auf 2*2 Stationen
an der Ostsee hei Kolberg bis zur Scheekoppe. Berlin 1896 S. VTU. Veröff. d. k.
preufs. geod. Instituts.
3) F. R. Helmert, Bericht über die relativen Messungen der Schwerkraft mit
Pendelapparaten. Verhandlungen der 12. allgem. Konf. der internat- Krdmessung
in Stuttgart 1898. S. 889. . -
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314
J. B. Meeserscbmitt:
Für die Untersuchung der geographischen Verteilung der Schwere sind
übrigens solche konstante Differenzen ohne Einflul's, da dadurch der relative
Unterschied zwischen den einzelnen Stationen ungeändert bleibt und nur die
absoluten Werte eine Änderung erleiden. Es geben daher auch die Differenzen
zwischen der beobachteten und der aus vielen Beobachtungen abgeleiteten
Formel berechneten mittleren Schwere am besten und deutlichsten Auskuna
über diese Verhältnisse. Da überdies, wie oben gezeigt wurde, die Diffe-
renzen (0 — y) leicht in einen idealen Massenwert (Defekt bez. Überschufs)
umgewandelt werden können, so verdienen sie auch bei graphischen Dar-
stellungen (sog. Isogammen) den Vorzug. Wird die Schwere gröfser als nor-
mal gefunden, so spricht man von einem Massenüberschufs, wird sie kleiner
gefunden, von einem Massendefekt. Nach den soeben gemachten Ausführungen
erkennt man leicht, dafs diesen Bezeichnungen noch eine gewisse Unsicherheit
anhaftet. Der Unterschied der wahren mittleren Schwere gegenüber der-
jenigen aus einer Formel, z. B. der von Helmert, abgeleiteten liegt jedoch
innerhalb mäfsiger Grenzen, sodafs man mit Vorteil die Ausdrücke Massen-
Defekt bez. -Anhäufung (Überschufs) beibehält
Die Verteilung der Schwerebeobachtungen auf der Erde ist bis jetzt
noch eine recht ungleichmäfsige, ja nicht einmal auf einem Kontinente
kennen wir sie überall mit genügender Sicherheit. In Europa ist in erster
Linie Österreich -Ungarn *) zu nennen, das durch die Bemühungen des Obersten
von Sterneck mehr als 500 Schwerestationen aufweisen kann (ca. 1 Sta-
tion auf 345 qkm), dann folgt die Schweiz (1 Station auf 500 qkm), dessen
Netz genügend dicht ist, um eine Karte der Isogammen mit Erfolg zeichnen
zu können'). In den übrigen Staaten Europas wird jedoch mit grofsem Eifer
an der Ausführung der Beobachtungen gearbeitet, so dafs für diesen Erd-
teil in nicht zu langer Zeit dieses Ziel der Hauptsache nach erreicht sein
wird. Abgesehen von den Vereinigten Staaten von Nordamerika und von
Japan werden hingegen Schweremessungen anderweitig gar nicht oder wenig-
stens nur nebenbei ausgeführt. So hat besonders die österreichische Marine
viele Stationen in allen Meeren beobachtet, in Deutsch-Ostafrika ist für diese
Zwecke E. Kohlschütter gewesen, in Westafrika läfst die deutsche Kriegsmarine
Messungen ausführen, welche interessante Resultate versprechen.
Die Beobachtungen längs einer mcridionalen Linie von Kolberg an der
Ostsee bis zur Schneekoppe haben nun im nördlichen Teil von der Ostsee
bis zum Kleisterberge auf der pommerschen Seenplatte eine Störungsschicht
von etwa -f- 210"' ergeben. Auf dem südlichen Teil der Seeenplatte von
Kleisterberg bis zum Thal der Netze ist die Störung etwa bis — 100"', im
Wartethal Null, dann bis Tirschtiegel etwa -{- 30 w. Dann erfolgt eine
ziemlich plötzliche Steigerung bei Bomst, von wo ab, unter dem Oderthal
weg bis auf 20 km nördlich vom Gröditzberg (trotz des sandigen Bodens),
eine Dicke der störenden Schicht über -j- 300 m nahezu gleichförmig besteht,
1) R. von Sterneck, in den „Mitteilungen des mil.-geogr. Instituts" in Wien.
Bd. 8—17 1888 bis 1898.
t) J. B. Mesucrschmitt, Das schweizerische Dreiecknetz, Bd. 7 und 9. Zürich
1897 und 1901.
DiQitized by
Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde.
315
Der schwere Basalt des Gröditzberges und der immer noch verhältnismäfsig
schwere silnrische Thonschiefer in Ladwigsdorf verhindern nicht eine all-
mähliche Abnahme der Dicke der Störungsschicht bis auf Null. Weiterhin
ist dieselbe negativ, im Mittel etwa — 200"', ein Einflufs des anstehenden
Bodens und Gesteins, ob Lehm, Porphyr oder Granitit, ist dabei nicht er-
sichtlich.
Die ganze norddeutsche Tiefebene, soweit sie bis jetzt durchforscht ist,
zeigt einen ziemlich erheblichen Massenübersehufs, welches Verhalten nach
den Angaben von General von Zachariae auch noch in Jütland bestehen
bleibt. Auch in der Ostsee, auf der Insel Bornholm1), wo an 15 Punkten
Schweremessungen ausgeführt worden sind, wird dieser Überschufs von etwa
500 m Mächtigkeit noch angetroffen, ja er hat sogar gegenüber der Küste
bei Kolberg (vgl. oben) noch etwas zugenommen. Sehr1 bemerkenswert ist
die Verteilung der Schwere auf der Insel selbst, mit welcher übrigens auch
die daselbst von A. Paulsen gefundenen Anomalien des Erdmagnetismus einen
gewissen Zusammenhang zu haben scheinen. Überhaupt entspricht diese Ver-
teilung der Schwere ganz dem geologischen Charakter der Ostsee und der
norddeutschen Tiefebene.
Nähert man sich dem Harz von Norden her, so steigt von Harzburg an
rasch die Schwerkraft bis etwas südlich vom Brocken1), wo eine Störungs-
schicht von -f- 300 m vorhanden ist, wenn in Harzburg die Schwere noch
normal ist Nach dem Leinethale zu nimmt die Störungsschicht allmählich
auf etwa -f- 50 ra bis 60 m ab, während sie auf dem linken Ufer dieses
Flusses wieder in ähnlicher Weise zunimmt. Nach Süden und Südosten zu
nimmt diese Schicht stetig ab. In Langensalza erscheint die Schwere nahe
ungestört, in Thüringen aber stellt sich ein Massendefekt ein. Es verdient
ferner Beachtung, dafs ebenso wie in Langensalza, so auch weiter nörd-
lich in Oldesloe in Holstein die 'Schwerkraft ungestört erscheint. Da an
beiden Orten Soolquellen zu Tage treten, dürften die unter beiden Stationen
vorhandenen salzhaltigen Massen die Ursache davon sein.
Sehr bemerkenswert ist auch der innige Zusammenhang zwischen der
Schwerkraft nach Intensität und Richtung im Harz, sowohl mit den geolo-
gischen, als auch den erdmagnetiscben Verhältnissen dieser Gegend, wie dies
die Vergleichung der aus den sichtbaren Massen berechneten Lotstellungen3)
mit den direkt beobachteten und die Untersuchungen dos Erdmagnetismus
durch Eschenhagen4) ergeben haben.
1) G. von Zachariae, Relative Pendulmaalinger i Kobenhavn og paa Bornholm
med Tilkuylning til Wien og Potsdam. Oversigt over det K. Danske Vidensk.
Selsk. Forh. Kobenhavn 1897. No. 2.
2) L. Haaaemann, Bestimmung der Intensität der Schwerkraft auf 55 Stationen
von Hadersleben bis Koburg und in der Umgebung von Göttingen. Veröff. d. k.
preufs. geod. Instituts. Berlin 1899.
3) J. B. Messerschmitt, Über den Einflufs der sichtbaren Massen des Harz
auf die Stellung des Lotes. Zeitschr. für Vermessungswesen. Bd. 88. 1899. S. 634.
4) M. Eschenhagen, Magnetische Untersuchungen im Harz. Stuttgart 1898.
Forschungen zur deutschen Landeskunde. Bd. 11. Heft 1.
316
.1. B. Mcsserschinitt:
Der geringe Massendefekt, welcher in Thüringen gefunden wird, hält in
nieridionaler Richtung an, von Kohurg nach Süden zu bis zur Donau1), in
einer Stärke von — 150 m bis — 300 m1 von da ab nimmt derselbe mehr
und mehr gegen die Alpen hin zu.
Was nun die Schwerkraft in den Alpen anbelangt, so haben die
Messungen in dem österreichischen Gebiete, in der Schweiz und weiterhin
noch vereinzelte Beobachtungen in den übrigen Teilen dieses Gebirges über-
einstimmend einen starken Defekt ergeben. Unterhalb der Tiroler Alpen2)
zwischen Innsbruck, Landeck, Stilfserjoch und Bozen erreicht dieser in der
oben auseinandergesetzen Weise auf das Meeresuiveau kondensiert gedachte
Defekt eine Stärke von ca. 1500 m (bei einer negativen Dichte von 2,4),
weiter nach Süden zu nimmt dieser Defekt rasch ab und geht in der Gegend
des Gardasees eine' Strecke lang sogar in einen geringen Massenübcrschufs
über. In den Ausläufern des Gebirges bei Mantua stellt sich wieder ein
geringer Defekt ein, der aber in der Poebene gegen die Küste hin rasch ab-
abnimmt.
Ganz analog verläuft die Schwere in den Schweizeralpen3). Auf der
Südseite, in der Poebene ist die Schwere nur wenig von der normalen ver-
schieden (z. B. in Mailand). Mit der Annäherung an die Alpen wird die
Schwere immer kleiner als der normale Wert gefunden, und dieser dadurch
angedeutete Defekt nimmt rasch gegen das Zentrum der Alpen hin zu.
Unterhalb der Berner Alpen, des St. Gotthard ist er etwa 1200 m, nach
Osten hin wächst er noch mehr und erreicht im Engadin den gleichen Be-
trag von 1500 m bis 1600 m Mächtigkeit wie im anstofsenden Tirol Es
ist dies der gröfste in den Alpen konstatierte Betrag, was für die Geologie
dieses Teiles der Alpen wohl von Bedeutung ist. Nach Norden zu nimmt
entsprechend der äufseren sichtbaren Gestalt des Terrains der Defekt langsam
ab. Hierbei ist darauf aufmerksam zu machen, dafs das Maximum des De-
fekts nicht mit der höchsten Erhebung des Gebirgs zusammenfällt, sondern
etwas nach Norden verschoben gefunden wird, ein Umstand, der wohl seinen
Grund in der Bildung der Alpen hat, welche durch von Süden nach Norden
wirkende Schubkräfte entstanden sind, woher auch der steilere Abfall im
Süden rührt.
Im nördlichen Teile der Alpen und auf der schweizerischen Hochebene
bis zum Bodensee wird durchgehends eine mittlere Abweichung von nahezu
der gleichen Gröfse gefunden; im östlichen Teile der Schweiz geht dabei
1) K. v/bn Orff, Bemerkungen über die Beziehung zwischen Schweremessungen
und geologischen Untersuchungen u. s. w. Sitz.-Ber. der bay. Akad. Math.-phys.
Kl 27. München 1897. Seite 155 und K. von Orff, Über die Hilfsmittel, Methoden
und Resultate der Internat. Erdmessung. Festrede. K. b. Akad. München. 1899.
Seite 40.
2) F. II. Helmert, Die Schwerkraft im Hochgebirge. Veröff. d. pr. geod. Inst.
Berlin 1890 und die Abhandlungen des Herrn K. von Sterneck in den Mitteilungen
des niil.-geogr. Instituts in Wien besonders Bd. XI u. XII. 1892 u. 1893.
.'i J. B. Messerschmitt. Das schweizerische Drciccknctz 7. Bd. Relative
Schwerehestimmungen. Zürich 1897 und 9. Bd. Polhöhen und Azimutmessungen.
Das Geoid der Schweiz. Zürich 1901... -
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Die Verteilung der Schwerkraft auf der Krde.
317
der gröfsere Defekt mehr nördlich als im Westen; ja hier, in der Gegend
des Genfersees, findet sich ein Gebiet, wo der Defekt sehr klein ist. (Senkungs-
gebiet). Der Jura tritt bei der Intensität der Schwere gar nicht hervor,
indem dort fast die gleichen Werte, wie auf der schweizerischen Hochebene
gefunden werden; ähnliche Verhältnisse zeigt auch der fränkische Jura. Es
erscheiut .somit der schweizerische Jura im Vergleich mit dem schweizerischen
Mittellandef der sog. Hochebene, gar nicht kompensiert, indem hier überall
nahezu der gleiche Massendefekt entsprechend einer Mächtigkeit von .'MO m
bis 400 m Dicke gefunden wird. Es rührt dies wohl daher, dafs der Jura
durch viel schwächere Kräfte als die Alpen entstanden ist. Er reicht daher
trotz der kolossalen Mächtigkeit der Kalkablagerungen nicht tief in die Erd-
rinde ein, so dafs in verhältnismäfsig geringer Tiefe eine mehr normale
Schichtung des Gesteins zu erwarten ist, weshalb der Jura auf das Pendel
nur wie ein einfaches Hebungsgebiet wirkt. Anders bei den Alpen und auf
dem Schwarzwald, bei welchen dank ihrer Entstehungsgeschichte noch tief
hiuab die Gebirgsfalten reichen, die durch die verminderte Stärke der Schwer-
kraft nachgewiesen, ja gewissermafsen abgewogen werdeu können. Es dringen
die weniger dichten Gesteine hier noch in Tiefen hinab, die sie bei normaler
Lagerung nicht haben, wodurch die Schwingungszeiten der Pendel ent-
sprechend geändert erschienen. Der stärkere Defekt im Engadin wäre dann
dadurch zu erklären, dafs dort die Falten des Gebirges noch tiefer hiuab-
reichen, als . in anderen Teilen der Alpen, besonders in den benachbarten
Herner- und Freiburger-Alpen. Es ist ja nun auch in der Thal der geolo-
gische Aufbau des Gebirges im Engadin komplizierter, als in den oben an-
geführten anderen Teilen der Schweiz.
Die geringsten Unterschiede zwischen der beobachteten und der nor-
malen Schwere in dem eben behandelten Gebiete werden am Ithein in der
Gegend von Basel bis Sehatfhausen (auch am Hohentwiel) gefunden; wo also
Jura und Schwarzwald zusammeustofsen. Inwieweit hier die Salzlager bei
Rheinfelden eine Rolle spielen, läfst sich bis jetzt nicht bestimmt nachweisen.
Der Schwarzwald ergiebt nämlich wieder bedeutende Defekte der unter-
irdischen Massen1), was wieder auf die geologische Zusammensetzung dieses
Gebirgs zurückzuführen ist, dessen Fufs in grofser Tiefe liegend angenommen
werden kann.
Weiterhin wird in Österreich aufserhalb der Alpen, in der Nähe von
Graz die Schwere zu grofs, also Massenanhäufung gefunden; diese erstreckt
sich nach Süden etwa bis zum Bachergebirg und weit nach Osten, wo sie
sich noch erweitert. Nördlich von Graz tritt dagegen Massendefekt auf, der
über den ganzen Semniering nachgewiesen werden konnte. Er ist verhältnis-
mäfsig gering und entspricht etwa 200 m bis 300 m Mächtigkeit. Man
kann ihn als den östlichen Ausläufer des grofsen Defektes auffassen, der
unter den Alpen konstatiert wurde. Weiter nördlich zeigt das Wiener tertiäre
Hecken wieder Massenanhäufung, die nach Ungarn hin an Mächtigkeit zu-
1) M. Haid, Die Schwerkraft in der Rheinehene und im Schwarzwald. Bericht
über die 27. Versammlung des Oberrhein, geolog. Vereins. Landau 1B94.
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318
J. B. MeBserschmitt:
nimmt und an den Ufern des Neusiedlersees ein Maximum von etwa 1000 m
äquivalenter Dichte der überschüssigen Schichte erreicht. Jedenfalls ist auch
im Gebiete des Wiener Waldes (Kreideformation , also Sedimentgebirge)
Massenüberschufs vorhanden, doch scheint hierbei die Höhe des Gebirges nur
von untergeordnetem Einflufs zu sein; es sind also ahnliche Verhaltnisse wie
beim Schweizer Jura, der ähnlichen geologischen Ursachen sein Dasein ver-
dankt. •
Weiterhin befindet sich unter der galizischen Ebene ein Massendefekt
von etwa 400 m, der unter dem nördlichen Abfall der Karpathen bis auf
nahezu 600 m ansteigt und zwischen den Stationen Slacosko und Lawoczne
plötzlich verschwindet. Letzterer Ort zeigt schon Massenanhäufung, welche
sich, wie bereits augedeutet, über den gröfsten Teil von Ungarn, den Süd-
abhang der Karpathen inbegriffen, erstreckt, wo sie bis 600 m äquivalente
Mächtigkeit erreicht, die sie ohne wesentliche Änderungen in der nordungari-
schen Tiefebene beibehält; weiter südlich verringert sie sich auf etwa die
Hälfte.
Unter dem siebenbürgischen Hochland zeigt sich trotz der hohen Lage
eine Massenanhäufung, während die aus primären (azoischen) Formationen
bestehenden Randgebirge wieder Massendefekt zeigen. Es scheint auch hier
die Verteilung der Defekte nicht immer mit den sichtbaren Massen im Ein-
klang zu stehen, indem deren Maxima nicht immer mit denjenigen der Boden-
erhebung übereinstimmen; man kann, ebenso wie in den Alpen, eine gegen-
seitige Verschiebung erkennen, die wohl auf die gleiche Ursache zurück-
geführt werden kann.
Tm Süden der Alpen, besonders nach dem Becken des adriatischen
Meeres zu, ist längs der Küste in Italien und auf der Balkanhalbinsel die
Schwere normal. In dem Senkungsgebiete der Poebene, namentlich in der
Nähe der Mündung, wird die Schwere etwas zu grofs erhalten; je mehr man
sich aber von der Küste seewärts entfernt, desto gröfser wird der Massen-
überschufs. Bei der Insel Pelagoso im adriatischen Meere erreicht der
Massenüberschufs bereits 1000 m.
Interessant ist der Verlauf der Schwere im Querschnitt durch die
apenninische Halbinsel bei Neapel. Hier wird überall Massenüberschufs ge-
funden, der im Westen bei Ischia bis auf 1500 m ansteigt1). Es finden
hier offenbar ähnliche Verhältnisse statt wie auf den ozeanischen Inseln,
woraus zu schliefsen ist, dafs die Ursache der Entstehung der Vulkane in
beträchtlicher Tiefe zu suchen ist.
Eine ganz ähnliche Verteilung der Schwere konnte A. von Triulzi im
Roten Meere*) nachweisen, wo, wie ja überall auf den Meeren, die Schwer-
kraft relativ grofs gefunden wird. Von den 26 daselbst beobachteten Sta-
tionen sind 6 Inselstationen, 7 liegen auf der Halbinsel Sinai, die übrigen
1) Relative Schwerebstinimungen. Ausgeführt durch die k. u. k. Kriegs-Marine
1892—94. Wien 1895.
2) A. von Triulzi, Relative Schwerebestimmungen. Expedition S. M. Schiff"
„Pola" im Roten Meer. Bericht der Komm, für ozeanogeographische Forschungen.
Denkschriften der Akademie Wien. 65. Bd. Wien 1898.
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Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde. 319
an den Küsten. Auf der Insel St. John ist ein etwa 2000 m starker
Masse nüberschnfs vorhanden, der nach den Küsten zu und nach Norden hin
abnimmt. Nur im Golf von Akabah ist die Schwere kleiner als der theore-
tische Wert (Defekt). Der Gebirgsstock des Sinai, der Golf von Akabah
und die angrenzenden Gebirge der arabischen Küste haben demnach relativ
kleine Schwere. Nach den bestehenden Theorien ist daher in Übereinstimmung
mit den Schweremessungen das Rote Meer als Senkungsgebiet, der Golf von
Akabah hingegen wegen der daselbst gefundenen kleineren Schwere als ein
Thal im Gebirge aufzufassen. Die Zunahme der Schwerkraft vom Lande
gegen die See erfolgt ziemlich regelmäfsig mit der Abnahme der Boden-
erhebung und zwar scheint die Zunahme nach der ägyptischen Seite hin
rascher zu sein, als auf der arabischen.
Die relativ kleine Schwere in Indien ist schon vor einem halben Jahr-
hundert durch Pratt nachgewiesen worden, der dadurch angezeigte ideale
Massetidefekt entspricht wieder wie in' Europa angenähert den äufseren sicht-
baren Massen, das nämliche ergiebt sich für den Kaukasus1). Aber am letz-
teren Ort besonders treten auch gröfsere Abweichungen von diesem allge-
meinen Gesetze auf.
Auf einer Linie, die über Spitzbergen, Frankreich nach Algier geht,
liegen eine gröfsere Anzahl Beobachtungen') vor, welche für den nördlichen
Teil des afrikanischen Kontinents einen grofsen Massendefekt orgeben. Das
Mittelländische Meer weist wieder einen starken Massenüberschufs auf, der
weiter nördlich rasch in einen Defekt übergeht. Im nördlichen Frankreich
und an den Küsten von England weicht die Schwere nur wenig von dem
normalen Wert ab. Dagegen wächst der Massenüberschufs im Ozean be-
trächtlich an; in Spitzbergen entspricht er etwa einer Schicht von 800 m.
Auch in der neuen Welt wird der nämliche Zusammenhang zwischen
den Schwere-Anomalien und der Landerhebung gefunden. So fand Defforges
längs dem 40. Parallelgrad nördl. Breite an der Ostküste der Vereinigten
Staaten von Nordamerika zunächst einen geringen Massenüberschufs, der in
der Gegend von Chicago bereits in einen Massendefekt übergegangen ist und
unter dem Felsengebirge eine den äufseren sichtbaren Massen entsprechende
Gröfse erreicht; an der Westküste bis San Francisco ist wieder die Schwere
nahezu normal, wie an der Ostküste.
Ebenso zeigen die Küsten des Golfs von Mexiko3), Neu -Orleans und
Galvestons eine gröfsere Schwere, als die mehr im Inneren des Landes ge-
legenen Stationen, wie dies überall zwischen Küsten- und Landstationen ge-
funden wird. Im ganzen zeigen auch hier alle Stationen im Innern des
Landes einen Schweredefekt.
Im Gegensatz zu den Kontinenten wird auf den ozeanischen Inseln die
Schwere zu grofs gefunden und ganz beträchtlicher Massenüberschufs erhalten;
1) F. R. Helmert, Die Schwerkraa im Hochgebirge. Berlin 1890.
2) Memorial du depüt general de la guerre. T. 16. Observation« du peudule.
Paris 1894.
3) ü. R. Putnam, Results of Pendulum observations made in 1895 aud 189G.
Rep. of the Coast and Geodetic Survey. Washington 1897. Appendix 6.
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320
.1. B. MoHsersi hmitt:
wie die Schwere auf dem freien Ozean dagegen ist, läfst sieh bis jetzt noch
nicht sagen. Man darf annehmen, dafs sie hier nahezu normal sein wird;
dauu ist die grüfserc Schwere auf den Inseln hauptsächlich auf Rechnung
der Inselpfeiler zu setzen.
Was nun diese Massendefekte anbelangt, so wird man sie sieh nicht als
wirkliche Hohlräume, sondern nur als Massen von geringerer Dichte oder
lockerer Struktur zu denken haben. So genügt es zur Erklärung der ge-
ringeren Schwere in den Alpen, anzunehmen, die entsprechenden Schichten
haheu l>is zu einer Tiefe von etwa LMM) km eine um wenige Prozent ge-
ringere Dichte, als die umgehenden Schichten der Knie. Massenanhäufung
kann man sich durch Senkungen entstanden denken, weshalb auf den Meeren
trotz der Wasserbedeckung von tausenden Metern Tiefe die Schwere normal
ist. Andererseits sind die Gebirge und ebenso die ganzen Kontinente unter-
irdisch kompensiert. Die Kompensation der Anziehung braucht jedoch nicht
überall vollständig zu sein, wie auch einzelne (iebirgsstöcke oft nicht für sich
allein kompensiert sind, was für einzelne Berge in niederen (legenden eben-
falls nicht der Fall zu sein braucht. Die Ursache der unvollständigen Kom-
pensation kann teilweise daran liegen, dafs die Massendefekte kleiner sind,
als die Gebirgsmassen über dem Meeresniveau, teilweise auch daran, dafs sie
bei gleichem Betrage sich in gröfseren Tiefen vorfinden und somit nach
aufserhalb eine geringere Anziehung ausüben, als die Oherflächenmassen.
Airy1) hat bereits 18.r>5 die Theorie aufgestellt, wonach die ganze Erd-
kruste auf dem flüssigen Erdiunern schwimmt. Nach dieser Vorstellung sind
die Festländer dicke Teile, welche tief in das schwerere Erdinnere einge-
sunken sind, wogegen der Meeresboden aus dünneren Schollen besteht, welche
nur flach über dem schwereren Erdiunern schweben, so dafs dieses unter den
Ozeanen in geringerer Tiefe angetroffen wird als unter dem Festland. Eine
ähnliche Anschauung hat auch Stokes entwickelt.
Osmond Fisher") hat diese Massenverteilung einer Theorie über die
Erdkruste zu Grund gelegt, woraus er namentlich die Ablagerungen ganzer
geologischer Perioden in seichten Gewässern, ohne dafs diese zugeschüttet
werden, durch das Einsinken der stärker belasteten Unterlage erklärt. Der
Reichtum von Vulkanen in den Ozeanen wird daraus ebenfalls erklärt, da
der Weg vom Erdiunern nach dem Meeresboden viel kürzer ist, als unter
dem Festlande.
.1. H. Pratt3), dem man die eisten Thatsachen über die Lotabweich-
ungen und Schwereanomalieo aus der indischen Vermessung verdankt, denkt
sich, dafs bei der Erstarrung der Erde die einzelneu Stücke der erst erstarrten
Kruste sich verschieden verhielten. Die einen Teile dehnten sich aus uud
wurden zu Gebirgen und Festländern, während die anderen sich zusaminen-
1) Airy, On the cotnputation of the etfect of the attra« tion of mountain-iuasses,
as dirtturbin^ the apparent astronomical latitude in geodetics survevs. Philos
Transact. 14». ihöö. S. 101.
2) O. Fisher, Physics of the Harth'* LVu-t London 1**1 S. 2»0.
3) J. H. Pratt, Phil. Trans, of the Roy. Soc. of. London. Vol. 141» i*öy
.S. 747 und 169. 1871 S. Mb.
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Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde.
321
zogen und den Boden der Meere bildeten. Hierbei nimmt er an, dafs die
Masse in jeder Vertikalen der Erdrinde, abgesehen von lokalen Störungen,
konstant sei. Er gelangt mit dieser Annahme für Ostindien und den Hima-
laya zu recht befriedigenden Ergebnissen. Die Tiefe, bis zu welcher die
Ausgleichung der Massen erfolgt, berechnet er zu etwa 3CK) km, welcher
Wert viele Wahrscheinlichkeit für sich hat. Die (Jrundlage dieser Hypothese
steht aber mit der Thatsache in Widerspruch, dafs die höchsten Gebirge
nicht uralt, sondern meist verhältnismäfsig jugendliche Schöpfungen sind;
damit fällt aber die obige Hypothese von Pratt in sich selbst zusammen.
Eine andere Erklärung hat Philipp Fischer1) gegeben. Er glaubt den
Sehwereübersehufs auf den ozeanischen Inseln ausschließlich auf regionale
Abweichungen des Geoids vom Sphflroid zurückführen zu können, so dafs
also die Inseln näher dem Erdschwerpunkt seien, als die Kontinente, an
deren Küsten dann entsprechende Lotstörungen vorhanden sein müfsten.
Obgleich A. Fischer2) auf die Unzulänglichkeit dieser Untersuchungen so-
gleich hinwies, verbreitete sich jene Ansicht der grofsen Depressionen der
Meere, auf welche bekanntlich andere Hypothesen, wie besonders die Schwan-
kungen der Ozeane in der Quartärzeit, bez. die Geoidänderuugen der Eiszeit,
sich stützten. Eingehender noch hat F. R. Helmert3) diese Hypothese be-
leuchtet, und ist zu dem folgenden Urteil gelangt: Ganz abgesehen davon
nämlich, dafs die Vorgleichung der Beobachtungen mit einer Interpolations-
formel (für die mittlere Schwere) nur Sinn hat, wenn man als normales
Niveausphäroid ein solches nimmt, das konzentrisch zum gestörten Erdschwer-
punkt ist, hat Ph. Fischer nicht eingehend genug die gestörte Schwerkraft
im gestörten Meeresniveau untersucht, sonst müfste er bemerkt haben,
dafs ein Widerspruch mit der Ei-fahrung besteht. Es haben dann auch
weitere Untersuchungen durch Bruns, und besonders Helmert und andere4)
ergeben, dafs die Abweichungen des Geoids vom Sphäroid keine so grofse
Beträge, wie sie nach Ph. Fischer angenommen worden waren, erreichen
können.
Eine andere Hypothese, welche, wie es scheint, den Beobachtungen am
besten entspricht, stellte Faye&) auf. Er kommt aus dem Verhalten der
Schwere über den Ozeanen gegenüber demjenigen auf den Festländern und
nach den Gesetzen der Wärmetheorie zu einer den anderen Hypothesen ganz
entgegengesetzten Anschauung. Er nimmt nämlich an, dafs unter den Meeren
1) Ph. Fischer, Untersuchungen über die Gestalt der Erde. Darmstadt 1868.
2) A. Fischer, Astron. Nachr. 1896 Bd. 88. No. 2094, 2095, 2104.
8) F. It. Helmert, Die inath. u. phys. Theorien der höheren Geodäsie. 2. Bd.
Leipzig 1894.
4) H. Bruns, Die Figur der Erde. Berlin 1878; F. R. Helmert, Die Schwer-
kraft im Hochgebirge. Berlin 1890; Drygalski, Über die Geoidformationen der
Eiszeit. Zeitschr. d. Gcb. für Erdkunde, Berlin. 22. 1887. S. 169. Hergesell, Ab-
weichungen des Geoids vom Normalsphäroide 1891; J. B. Messerschniitt, Ober
den Verlauf des Geoids auf den Kontinenten und auf den Ozeanen. Annalen der
Hydrographie und maritimer Meteorologie. 28. Jahrg. 1900. S. 590.
ö) Faye, Sur la Constitution de la croute terrestre. Compt rend. 1886. Bd.
102. S. 651 u 786 und 1886 Bd. 103. S. 99, 296, 841, 1093 u. 1221.
Geographische Zeitschrift 7. J»hrK»nif. INI. 6. Heft. 22
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322 J- B. Messerschmitt: Die Verteilung der Schwerkraft auf der Erde.
die Abkühlung rascher vorwärts ging, als unter den Kontinenten. Dieses
schnellere Erkalten mufste dann aber auch eine bedeutende Verdickung und
eine Vergrößerung der Dichte der Erdkruste unter den Meeren zur Folge
haben, während unter den Kontinenten die Verdickung und Verdichtung in-
folge der geringeren Abkühlung, die in der geringem Wärmeleitung des
Erdreiches gegenüber dem beweglichen Wasser ihren Grund hat, nur sehr
langsam vorschreiteu konnte. Dieser Bau der Erdoberfläche erklärt zur Ge-
nüge die Unregelmässigkeit der Pendelschwingungen auf dem Meere und den
Kontinenten. Auch Helmert kommt zu einer ähnlichen Ansicht der Massen-
verteiluug.
Aus dem eben geschilderten Abkühlungsmodus ergiebt sich ferner, dafs
durch die unter den Meeren existierenden dickeren Schichten der Erdrinde
ein gröfserer Druck auf das Erdinnere ausgeübt wird. Dieser Druck pflanzt
sich durch den flüssigen Kern im Erdinnern nach allen Richtungen fort und
treibt dadurch diejenigen Teile der Erdrinde empor, die eine geringere
Widerstandskraft besitzen, das sind die Kontinente.
Man kann die erhaltenen Resultate demnach etwa so zusammenfassen:
Aus dem tatsächlichen Verhalten der Schwere läfst sich 1ns jetzt der Schlufs
mit. Sicherheit ziehen, dafs die Wirkung der Kontinentalmassen mehr oder
weniger kompensiert wird durch eine Verminderung der Dichtigkeit der Erd-
kruste unterhalb der Kontinente. Die raschen Änderungen, welche in man-
chen Gebieten die Schwere in verhältnismäfsig geringen Entfernungen erleidet,
beweisen, dafs die Dichtigkeitsänderungen sich in den oberen Schichten der
Erdrinde befinden müssen, deren Tiefe etwa 200 km nicht viel überschreiten
wird. Dafs dieselben aber häufig noch viel weniger tief angenommen
werden müssen, zeigen sowohl die Lotablenkungen, als auch die neuer-
dings mit denselben im Zusammenhang gefundenen erdmagnetischen Störungs-
gebiete.
Die Beobachtungen erfordern ferner, dafs die Massenverteilung eine der-
artige ist, dafs von einer gewissen Tiefe unterhalb des Meeresniveaus an bis
zur physischen Erdoberfläche vertikale Prismen von gleichem Querschnitt an-
nähernd gleiche Massen enthalten, wo man die Prismen auch nehmen mag.
Man braucht jedoch nicht so weit zu gehen und zu verlangen, dafs die Dichte
auf allen Radien vom Erdmittelpunkt aus konstant sei.
Diesen Anforderungen genügen, wie wir gesehen haben, verschiedene
Hypothesen. Um sich für die eine oder andere sicher entscheiden zu können,
ist neben der Berücksichtigung anderer Kriterien, wie sie besonders die Geo-
logie bietet, noch eine weitere Vennehrung der Beobachtungen der Schwer-
kraft, namentlich auch auf dem offenen Meere, geboten.
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H. Toepfer: Der Weg von Osch nach Kaschgar.
323
Der Weg von Osch nach Kaschgar.
Aus dem Russischen1).
Von H. Toepfer.
L
Einer der wenigen Markte, nach denen Rufsland die Fabrikate seiner
ziemlich einseitigen Industrie absetzen kann, sind die ausgedehnten Provinzen
des an die mittelasiatischen russischen Besitzungen grenzenden westlichen
China, im besonderen die Provinz Han-ssu-ssin-tsien, welche in die Landschaft
Kaschgar und die Bezirke Tarbatagi und Iii zerfallt.
Die Entfernung dieser Provinzen von dem eigentlichen Innerchina, die
ungeheueren Schwierigkeiten der über die öden, wenig bevölkerten Berg-
länder des Kuku-nor und der Mongolei oder durch die sumpfigen Thaler des
Zaidam fuhrenden Wege Verbindungen nach China haben gleichzeitig mit der
verhältnismäfsigen Nähe der russischen und englischen Besitzungen die Be-
wohner von Kaschgar schon seit langem auf die Erzeugnisse des eigenen
Landes oder der leichter erreichbaren Nachbargobiete Rurslands und der
indischen Fürstentümer angewiesen. Schon im Jahre 1858 hatte deshalb
die anglo-indische Regierung ein Auge auf Kaschgar als einen Absatzmarkt
für die Produkte ihres Landes geworfen und ihren Privatagenten, den
Reisenden Schlagintweit dorthin entsandt. Trotzdem nun dieser erste Ver-
such von Seiten der Engländer scheiterte — Schlagintweit wurde unterwegs
ermordet und sein Eigentum geraubt — , liefsen sie nicht nach, und so be-
findet sich der Handel von Süd-Kaschgar gegenwärtig in ihren oder vielmehr
ihrer eingeborenen Unterthanen von Ladak Händen.
Als die Russen Ferghana und Ssemirjetschensk besetzten, stand die
dortige eiuheimische Bevölkerung bereits seit langem in Handelsbeziehungen
zu der ihr verwandten Bevölkerung von Kaschgar; vornehmlich blühte der
Tauschhandel. Dieser ftrund allein berechtigt schon zu der Annahme, dafs,
je mehr sich die russischen Unterthanen Mittelasiens als Russen fühlen, je
mehr sich die Verkehrsstrafsen und die Industrie dortselbst entwickeln, nicht
nur Kaschgar, sondern auch ganz Öst-Turkestan ökonomisch immer mehr
von Rufsland abhängig werden und unter russischen Einftufs geraten müssen.
Eine Bestätigung dessen können wir aus der Thatsache entnehmen, dafs mit
der Fortführung der zentralasiatischen Eisenbahn bis Andidshan der Handels-
Umsatz und -Verkehr zwischen Rufsland und Ost-Turkestan sich mächtig
gehoben hat. Und die Zahlen des Rechenschaftsberichts der Zollbehörden
des Grenzabschnitts Ferghana beweisen, dafs der Wert der Ein- und Aus-
fuhr von Kaschgar mit jedem Jahre zunimmt: im .Tahre 18113 betrug der
Wert des gesamten Handelsumsatzes mit Kaschgar über Ferghana und Sse-
mirjetschensk 2 107 720, im Jahre 1897 schon 4 235 930 Rbl. Die Er-
wartung ist also nicht unberechtigt, dafs, wenn die Händler mit russischen
l) Beilagen der Nowoje Wremja Nr. »865, 8876, 8911 und 8923.
22*
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324
H. Toepfor:
Waren nur mit einigem Geschick verfahren, wenn die Verkehrswege zwischen
Ferghana und Kaschgar verhessert werden und die Eisenhahu noch weiter
nach Zentralasien hineingeführt wird, die Engländer aus dem westlichen
China völlig verdrängt werden können.
Der kürzeste und hequemste Weg für den Handels- und Reisenden-
Verkehr nach Kaschgar führt von Andidshan üher die Stadt Osch und die
Grenzfestung Irkeschtam nach Kaschgar. Von Bequemlichkeit kann aller-
dings nicht die Rede sein, denn von all' den schlechten Wegen zwischen
Kufsland und Westchina ist er ehen nur der brauchbarste, der am wenigsten
schlechte. Kr durchschreitet ein außerordentlich durchschnittenes, für Wagen-
verkehr unzugängliches Gelände, nimmt auf 450 Km. 6 bis 7 Pafshöhen,
von denen eine auf 13 000 russ. Fufs (3900 m) Meereshöhe liegt und die
übrigen Höhen zwischen 7500 und 10 500 Fufs (2250 und 3150 m) erreichen.
Schon seit einigen Jahren ist der Bau einer Eisenbahn von Andidshan
nach Osch geplaut, aber aus unbekannten Gründen ist das völlig ausge-
arbeitete Projekt dazu verurteilt, Projekt zu bleiben. Schade, denn auf der
nur 48 km langen Strecke sind ernstliche Schwierigkeiten nicht zu über-
winden, welche die Herstellung des Babnplanums verteuern könnten! Der
heutige Fahrweg windet sich durch ungezählte, in malerischer Unordnung
verstreute Anwesen, Kukurus-, Hirse- und Baumwollcnstaudcnfelder. Das
Gelände scheint, wie überhaupt ganz Ferghana, soweit bis jetzt bekannt ist,
mehr als alle anderen dazu geeignet, Rufsland mit selbstgezogener Baum-
wolle zu versorgen. Der Transport der Baumwolle aus Innerasien macht
im wesentlichen die Betriebskosten der zentralasiatischen Eisenbahn bezahlt.
Die unbedeutende Kreisstadt Osch liegt auf der Grenze zwischen den
steinigen Löfsboden-Landschaften der verhältnismäfsig tief gelegenen Teile
des Landes und dem gebirgigen Teile. Die auf 4000 Fufs (1200 m)
Meereshöhe befindliche Stadt und der zu ihr gehörige Kreis zeichnen sich
durch ein ziemlich glcichmäfsiges Klima aus; wenn im Sommer in ganz
Ferghana eine unerträgliche Hitze herrscht, ist es in Osch viel eher auszu-
halten. Deshalb betrachten die Bewohner des Landes Osch als klimatischen
Sommerkurort und die eingesessenen Aeskulap- Jünger verschreiben es denen,
welche die in den Niederungsländern Mittelasiens einheimische Malaria be-
kommen haben.
Osch gilt als Ausgangspunkt für die Reisen nach Kaschgar und dem
Pamir. Hier werden die für Kaschgar oder die Pamir-Fürstentümer be-
stimmten Waren aus den Lastwagen in Saumtierlasten umgepackt; und von
den Einheimischen finden viele ihren Broterwerb im Warentransport über
das Gebirge; der Kara-Kesch, der Saumtiertreiber ist hier eine ebenso
häufige Erscheinung, wie der Lastwagenfuhrmann in anderen Städten; ge-
wöhnlich besitzt er zwei bis drei, höchstens zehn Lastpferde und steht
mit einigen anderen in einem Artjel Der Artjel marschiert unter Führung
1) In Hufsland bilden sich in allen auf Erwerb gerichteten Berufsarten solche
Artjele — Genossenschaften, welche mit ihrer Gesamtheit für die Verpflichtungen
des einzelnen aufkommen. So giebt es weitverzweigte Bankkassierer-, Bahnhofs-
restaurateur-, Gepäckträger- u s. w. Genossenschaften.
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Der Weg von Onch nach Kaschgar.
325
seines Ältesten, eines erfahrenen, wegekundigen und überhaupt gewandten
Mannes, des sogenannten Karawan-Baschoju, mit seinen armseligen, wenig
ansehnlichen, aber ausdauernden und an Gebirgspfade gewöhnten Pferden
furchtlos auf Wegen, welche keinesfalls als gefahrlos angesehen werden
können,
Der Weg zieht sich fortwährend durch bergiges Gelände, in welchem
der Heisende auf so wunderbar schöne, wildzerkliiftete Gegenden und maje-
stätische Naturformen stöfst, wie sie sich nur selten in den schroffsten
Alpenpartien der Schweiz finden. Kin europäisch gebildeter, oder vielmehr
verfeinerter Besucher dieser Gegenden, der die Schönheit einer Landschaft
nach der Bequemlichkeit, mit der er sie geniefsen kann, bemifst, wird frei-
lich Warnungstafeln an jähen Abstürzen, Schutzhütten und Aussichtspunkte
mit Schutzdächern und Lauben entbehren müssen. Dennoch ist zu wünschen,
dars jetzt, nachdem Ferghana durch bequeme und billige Verkehrsmittel mit
dem europäischen Rufsland verbunden worden ist, seine Gebirge mehr besucht
werden. Für die Russen ist es geradezu beschämend, dafs man in Mittel-
asien mehr fremde als russische Reisende trifft, und dafs Engländer und
Deutsche im Turkestan besser Bescheid wissen, als die Herren des Landes.
Die malerischsten Punkte der Strafse Osch-Kaschgar liegen hinter dem
Posthof Langar. Von hier ab folgt die Strafse den engen Thälern kleiner
Flüsse bis zu ihrem Quellgebiet, überschreitet mehrmals auf hochliegenden
Pässen sich kulissonförmig vor einander schiebende Bergzüge, durchfurtet
zahlreiche Flufsläufc und Bäche und bietet fortwährend Landschaftsbilder
von wilder, eigenartiger Romantik. Ganz besondere Schönheiten weist der
Anstieg zu dem Terek-dawan-Pafs von Ssufi-kurgan aus auf. Ein präch-
tiger Blumenteppich bedeckt hier im Sommer die waldlosen Berghängo und
entzückt durch den Reichtum seiner Farbenpracht, wie sie sich ähnlich nur
in den Steppen Sibiriens und am Amur entwickelt, das Auge des Beschauers:
die berühmte Blumenfülle und reizvolle Mannigfaltigkeit der Ukrainesteppe
mufs weit hiergegen zurückstehen.
Der enge Saumpfad im Thalgrund des Flusses Terek-ssu wechselt un-
zählige Mal das Ufer, klettert rauhe, vielfach sehr schwer zugängliche Fels-
vorsprünge hinauf und klebt sich an die Hänge felsiger Halden. Immer
enger wird die Thalschlucht, immer lauter und wilder schiefst das Wasser
dahin. Bei Guristan (einem mahommedanischen Kirchhof) beginnen sich
auf den Bergen vereinzelte Büsche krüppelhaften turkestanisehen Wachholders
— Artscha genannt — zu zeigen; bald bedecken sie mit ihrem dem Auge so
wohlthuenden dunklen Grün beide Thalhäuge vom Grunde des Flusses bis
hinauf zu den höchsten Felsgraten. Auf 10 oder 11 km vom Anfang dieses
Weges aus erweitert sich das Thal auf eine kurze Strecke, um sich gleich
darauf wieder um so enger zusammenzuschliefsen und eine unter dem Namen
Darbasa (Durchbruch) bei den Einwohnern bekannte Felsspalte zu bilden.
Nur 12 bis 15 Schritt breit hat hier der Flufs den Felsen durchbrochen;
senkrecht steigen die Wände zu beträchtlicher Höhe empor, und zwischen
ihnen schiefst das Wasser schäumend dahin, die ganze Breite der Spalte
ausfüllend und mit seinem Rauschen die menschliche Stimme übertönend.
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326
H. Toepfer:
Jetzt beginnt der „Komar", die Strecke der Terek-dawan-Strafse, welche
von den sie benutzenden Karawaneuführern am meisten gefürchtet wird.
Hier, unmittelbar vor den» Terek-dawan-Pafs, ist der Weg so beschwerlich,
dafs viele Saumtiere den ttbermäfsigen Anstrengungen nicht gewachsen sind
und, da ihnen keine Erholungspause gegeben werden kann, auf dem Pafs
zusammenbrechen und getötet werden müssen. Der Komar gehört immer
noch zum Thale des Terek-ssu, aber das Thal wird fast auf 10 km Länge
durch herabgestürzte Felsblöcke fast unzugänglich gemacht. Fortwährend
sind solche Blöcke in Bewegung und bilden gigantische Trümmerfelder, durch
welche sich der Saumpfad mühsam hindurchwindet. Ein falscher Tritt und
losgelöst stürzt ein Stein zum Flufs nieder und bringt alles, was sich künst-
lich auf ihn stützte, ins Rollen, das ganze Trümmerfeld gerat in Bewegung
und begrabt Menschen, Pferde und Lasten.
Je höher man den Komar hinaufsteigt, desto kälter wird die Temperatur;
hier und da liegt vom Winter her ein nicht aufgetauter Haufen Schnee;
bald verschwindet die Artscha, die Bergformen werden noch wilder; ihre
Hänge bedecken sich mit Alpenkräutem, darunter alle möglichen Lauch-
arten, in den verschiedensten Formen von verschwindend kleinen, kaum sich
über die Erde erhebenden Blümchen bis zu übermannshohen Gewächsen.
Der felsige Thalgrund steigt steiler an, vorwärts tauchen schneebedeckte
Gipfel und der sich scharf am Horizont abzeichnende Kamm des Terck-dawan-
Pa.sses auf. Die zwei letzten Kilometer klettert der Pfad in Zickzacks ein
sehr steiles Trümmerfeld hinan, das mit Tier- und Menschenknochen wie
besät ist. Völlig ausgebleichte, halb zerstörte Teile wechseln ab mit noch
frischen, nicht auseinandergefallenen Skeletten von Felsblöcken erdrückter
oder in Schneestünnen und Unwetter erstarrter Menschen und Tiere. Ein
düsteres Gemälde ringenden Kampfes um Leben und Tod mit den entfesselten
Naturkräften entrollt sich vor den Augen des Reisenden beim Anblick dieser
Überreste ganzer Karawanen, die einst voller Energie und Mut dahinzogen;
und es treibt ihn hinweg von dieser ungastlichen Stätte. Nur der fromme
von Kaschgar nach Mekka pilgernde Muselmann sieht sich veranlafst, um
Verzeihung seiner Sünden zu erlangen, pietätvoll einige Dutzend menschlicher
Knochon zu sammeln und zu bestatten.
Der Weg über den Terek ist der einzige, welcher auch im Winter
passierbar ist und auf den die Karawanen notgedrungen angewiesen sind, auf
dem auch die Post verkehrt. Aber die häufigen und fast immer unerwartet
einfallenden Schneestürme und von Frösten begleiteten heftigen Winde halten
die Karawanen oft Tage lang auf — wehe denen, welche nicht rechtzeitig
den am Fufse des Gebirges liegenden Posthof erreichen! Trotz seiner Be-
schwerlichkeiten hat der Terek-dawan in der Geschichte der Völkerwande-
rungen als eines der hauptsächlichsten Ausfallthore, durch welches die reisigen
Nomadenhorden der Steppen der Mongolei sieh nach Westen ergossen, eine
wichtige Rolle gespielt. Nicht selten jedoch sind ganze Heerhaufen, von
Schneestürmen überfallen, au den Berghängen und Gipfeln elend erfroren
und erst Ende der 7üer Jahre haben über 600 Kaschgarzen-Familien, welche
auf russisches Gebiet auswandern wollten, hier einen kläglichen Tod gefunden.
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Der Weg von Osch nach Kaschgar.
327
Der Blick von der Pafshöhc ist bei hellem, gutein Wetter bezaubernd:
im Süden in ganz weiter Ferne zeichnet sich in einem blendend weifsen, in
der Sonne hell glänzenden Streifen der schneebedeckte Gebirgskamra der
Transalai-Kette mit ihren gigantischen Clipfein Kurunda und Pik Kaufmann
vom Himmel ab; im Osten wird das Auge durch eine weithin sich dehnende
Reihe allmählich an Höhe abnehmender zahlloser unbedeckter Berghöhen ge-
fesselt; rechts vom Pafs erhebt sich konisch gestaltet ein von ewigem Schnee
bedeckter Berg, geradeaus zu den Füfsen des Beschauers erstrecken sich
ebensolche Trümmerfelder, wie die eben durchschrittenen und verlieren sich
nach und nach in das enge Thal eines Flüfschens, auf dessen Sohle der Weg
zum Posthof Kok-ssu und weiterhin nach der russischen Grenzbefestigung
Irkeschtam führt.
Irkeschtam liegt schon an dem zu Kaschgar gehörigen Kisyl-ssu noch
9000 Fufs (2700 m) über dem Meere und besteht aus der für eine halbe
Ssotnje Kosaken bestimmten Festung und dem Grenz -Zollposten. Traurig,
kläglich ist das Bild, welches diese Grenzfestung bietet inmitten einer wilden
Gebirgsnatur, mit ihrer in jeder Beziehung mangelhaften Ausstattung. Das
einfache Haus der Zollbehörde ist noch ein Palast im Vergleich zu der
Offizierswohnung. Es ist kaum zu begreifen, dafs eine solche Hundehütte,
welche aufser einem Zimmer für Fremde die Quartiere für die Offiziere des
Postens enthält, dem Kommandanten einer Grenzfestung als Aufenthalt an-
gewiesen ist, der schliefslich doch das Prestige Rufslands inmitten einer
unzivilisierten Bevölkerung erhalten, gegenüber einer grofsen Zahl durch-
reisender Fremder das Reich repräsentieren soll. In keinem noch so entlegenen
Grenzposten Sibiriens ist der Kommandant auf eine so ärmliche Unterbringung
angewiesen, die geradezu eine Einzelhaftzelle für einen mit Intelligenz be-
gabten Menschen, der ganze Monate von aller übrigen Welt abgeschnitten
ist. Kein Wunder, dafs beim Anblick dieser Annseligkeit mancher Reisende
den russischen Offizier von oben herab behandelt und sich um seine An-
weisungen nicht kümmert, wie es vor nicht gar zu langer Zeit von Seiten
eines bekannten Reisenden geschehen ist! Auch nicht zu verwundern ist,
dafs das ein bis zwei Jahre währende Kommando hicrselbst von den Offizieren
wie eine Verbannung angesehen wird und viele von ihnen moralisch völlig
verkommen.
II.
Das Gelände, durch welches der weitere Weg nach Kaschgar hindurch-
führt, ist von dem soeben beschriebenen Teile Ferghanas wesentlich ver-
schieden. Die ganze Wegstrecke ist mit Ausnahme der Teile, welche Flufs-
thälcrn folgen, auffallend tot und öde, jeder Bewachsung bar, zeigt abwech-
selnd Salzlachen und unbedeckte Kalkfelsen und macht auf den Reisenden
einen wenig anmutenden Eindruck. Nur selten unterbrechen dürftige Oasen,
ganz unmotiviert aufgewachsene Pappelgebüschgnippen und Distelfelder
das ermüdende Einerlei dieser Wüste, erstere willkommene Ruhepunkte auf
dem Wege durch diese wenig einladende Gegend.
Gleich vor und hinter Irkeschtam mufs der Kisyl-ssu mit einer Furt
durchschritten werden. Der Flufs ist in der Regenperiode und besonders in
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328
H. Toepfer:
der hcifsen Jahreszeit, wenn infolge der Hitze die Schnee- und Eisfelder im
Gebirge tauen, sehr wasserreich und ein ernstliches Bewegungshindernis,
welches weiter abwärts noch mehrfach durchflutet werden mufs. Die Furten
sind alle der reifsenden Strömung wegen häufigen Veränderungen ausgesetzt
und sehr gefährlich, für den Karawanen-Handelsverkehr jedenfalls eine grofse
Unbequemlichkeit. Und Unbequemlichkeiten bietet der Weg so wie so
genug, dafs es nicht recht begreiflich ist, warum mau der Pafsförmlichkeiten
wegen überflüssigerweise zweimal die Karawanen Gefahren für Leib und
Leben, mindestens ihre Waren dem Verderben aussetzt, während doch ein
kürzerer, völlig brauchbarer Weg sich auf einer Seite des Flusses hält und
Irkesehtam seitwärts liegen läfst.
Überhaupt ist die Lage von Irkesehtam seltsam und fordert verwun-
dertes Kopfschütteln selbst bei einem Laien heraus: unverständlich, wie man
auf den Gedanken kommen konnte, die Grenzfestung in dem tiefsten Punkt
einer Kessellandschaft anzulegen, die allseits von beherrschenden Höhen in
nicht gar weiter Ausdehnung umrahmt ist! Die Chinesen brauchten nur
eine einzige Kanone in Stellung zu bringen, um das ganze Nest in kürzester
Zeit zusammenzuschießen. Ebenso gering wie die militärische Bedeutung von
Irkesehtani ist seine Bedeutung als Zollstation für den Warenverkehr
zwischen Ferghana und Kaschgar, denn der Handel mit China ist vertrags-
mäfsig mit wenigen Ausnahmen keinen Zollbeschränkuugen unterworfen und
die Verzollung darum sehr einfach. Könnte man unter diesen Umständen
nicht besser die Zollabfertigung nach Gultscha verlegen, in Irkesehtani einen
Grenzwach-Beobachtungsposten belassen und damit Offizieren, Beamten, Ko-
saken und Grenzreitern ersparen, einen Teil ihres Lebens in einer menschen-
unwürdigen Umgebung zuzubringen?
Die russisch-chinesische Grenze, welche von der Grenzfestung aus dem
Maltabar-Flusse folgt, liegt nur 15 — 20 Schritte vom Zollhause entfernt. Der
Übertritt über die Grenze wird durch keinerlei Formalitäten erschwert. Noch
ganze 20 km weit kein Anzeichen, dafs man sich auf chinesischem Gebiet
befindet. Erst dann trifft man, an den Anhöhen und Thälern des Südost-
Abfalls des Alai-Gebirges vorbeipassierend, auf den ersten chinesischen Grenz-
posten Aegin. Die Festung Aegin ist nichts weiter als der gewöhnliche,
Chinareisenden so wohlbekannte, aus Lehmschlag gebaute Impan zur Unter-
bringung der Soldaten. Die ganze Garnison besteht nur aus berittenen Miliz-
Kirgisen unter einem chinesischen Unteroffizier.
Das Thal des Aegiu-Flusses, in dem der Posten gelegen ist, ist einer
der besten Weideplätze in Nordwest-Kasehgar und wird deshalb mit Vorliebe
von den nomadisierenden chinesischen Kirgisen der nächsten Umgebung be-
sucht, welche im Sommer mit ihren Herden die Grasflächen tbalaufwärfs
ausnutzen, zum Herbst und Wiuter aber mehr nach dem Ausgang des Thaies
zu ziehen und in dessen Pappel- und Weidengebüschen z. T. ihre ständigen
Winterwohnungen haben.
Aegin ist ein Kreuzungspunkt vieler Strafsen, vorzüglich geeignet zur
Einrichtung einer Zollstation und eines Beobachtungspostens. Hier giebt es
Brennholz, Viehfutter und Verpflegungsmittel, und Unterkunft ist leicht zu
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Der Weg von Osch nach Kasehgar.
320
schaffen; es ist also alles vorhanden, was in Irkeschtam fehlt. Die malerischsten
Stellen dos Weges im Aeginthale und heinahe auf dem ganzen Wege nach Kaschgar
sind da zu linden, wo er durch dichtes Pappel- und Weidengehölz führt.
Das krystallklare, durchsichtige Wasser des Aegiu, welcher zwischen steilen,
waldhedeckten Felsen in tosendem Laufe dahinfliefst, ladet den Reisenden,
an seinen Ufern auszuruhen und sich von dem Eindruck der unerträglichen
Einförmigkeit des langweiligen Marsches über die öden, waldlosen Hügel und
kahlen Thaler des soeben durchschrittenen Hochlandes von Kara-dawan zu
erholen. Da, wo das prachtig klare Wasser des Aegin mit dem ziegelrot-
gefärbten Walser des sich breitausdehnenden Kisyl-ssu zusammenströmt, liegt
am rechten Ufer des letzteren die alte Festung Nagry-Tschaldy, welche die
Aufgabe hatte, den Weg im Aeginthale von seinem Austritt aus dem Walde
an zu beherrschen und das Debouchieren eines Feindes gegen den Kisyl-ssu
zu verhindern. Heute ist die Festung verlassen, und ihre redoutenfönnig
aufgeführte Hingmaner dient nur noch als geschützter Aufenthalt für die
Saumtiere hier lagernder Karawanen. Von Nagry-Tschaldy an führt der
Weg wieder bis Ulugtschat (44 km) den Kisyl-ssu entlang und durchfurtet
ihn mehrmals. Auch diese Furten zu passieren ist kein Vergnügen, beson-
ders im Sommer für die Treiber nicht, weil sie sich völlig entkleiden müssen,
sofern sie nicht Kamele hei ihrer Karawane haben. Besonders gefährlich
ist die Furt bei Ssary-Kamysch, etwa 5 km von Ulugtschat, weil hier der
in mehrere Anne mit tiefem Wasser verzweigte Flufs breite Wasserrinnen
bildet und den mit geführten Flugsand ablagert, in welchen Pferde und
Kamele bis an den Leib versinken. Die gefährlichen, durch trübes Wasser
bedeckten Stellen genau zu erkennen vermögen nur die in der Gegend
nomadisierenden Kirgisen, welche sich als Führer verdingen; sie haben auch
Kamele zu vermieten, welche benutzt werden, wenn die Lasten, ohne dem
Verderben ausgesetzt zu sein, auf Pferden nicht über den Flufs geschafft
werden können.
In der Festung Ulugtschat macht der Koisende zum ersten Male mit
Vertretern der chinesischen Regierung Bekanntschaft und hier empfängt er
die ersten Eindrücke von regulären chinesischen Truppen. Von aufsen er-
scheint Ulugtschat wie ein gewöhnlicher chinesischer Impan, hat aber sehr
schwache Mauern und umfafst eine grofse Menge Unterkunftsräume. Augen-
blicklich waren etwa 200 Mann Infanterie und Kavallerie untergebracht und
standen unter Befehl des seinerzeit in China sehr bekannten früheren fiene-
ral-Gouverneurs der Insel Formosa, des wegen der Übergabe der Insel au die
Japaner zum gemeinen Soldaten degradierten und iu eine der mittleren Pro-
vinzen verbannten Mandarinen Tung. Dank seinen Verbindungen am Pekinger
Hofe hatte er inzwischen schon wieder den ersten Offiziersgrad erreicht und
war in seine gegenwärtige Stellung gelangt, welche er, so unbedeutend sie
ist, ganz gehörig auszuschlachten verstand. Abgesehen von den in der chine-
sischen Beamtenwelt allgemein üblichen Erpressungen, mit dor er die einge-
sessene Bevölkerung bedrückte, und von den schamlosen Soldkürzungen, welche
sich seine Untergebenen gefallen lassen mufsten, füllte er seine Taschen, in-
dem er den Schmuggel auf geradezu unerhörte Weise begünstigte. Haupt-
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H. Toepfer:
sächlichste Kontrebandc sind Korallen und „Nascha", d. h. Haschisch, dessen
Einfuhr in russisches Gebiet bedingungslos verboten ist. In Ulugtschat aber
lagern, wenn man den umwohnenden Kirgisen Glauben schenken darf, aus-
schliefslich dem Kommandanten gehörig, kolossale Vorräte dieses Narkoti-
kums; von Zeit zu Zeit läfst er kleinere Mengen davon über die russische
Grenze schaffen und unter den dortigen Kirgisen absetzen. Die Schwierig-
keil der Beobachtung so langer Grenzstrecken durch ein unzureichendes
Greuzaufsichtspersonal und die stete Möglichkeit, auf unwegsamen Pfaden die
verbotene War3 unentdeckt über die Grenze hinüberzupaschen, der hohe Wert
der Ware und der gute Verdienst sind die gegebenen Bedingungen dafür,
dafs der Schmuggel auf der chinesiseh-ferghanesischen Grenze noch recht
lange blühen wird.
Wir mufsten in Ulugtschat übernachten. Kaum hatten wir unser Zelt
etwas entfernt von der Festung aufgeschlagen, als wir von einem Haufen
chinesischer Soldaten umringt waren, welche der Anblick so seltener Gäste
aus Kuropa herbeigelockt hatte. Man mochte kaum glauben, dafs diese halb-
verhungerten, gelbhäutigen, vom beständigen Opiumrauchen ausgemergelten
Kerle in ihren blauen Jacken Soldaten vorstellen sollten, so wenig Kriege-
risches verriet ihre ganze Haltung; und wenn sie nicht alle in der gleichen
Kleidung mit aufgenähten chinesischen Zeichen gesteckt hätten, selbst nicht
die kühnste Phantasie hätte sie als Vertreter der chinesischen bewaffneten
Macht in Kaschgarien erkennen können. Sie waren größtenteils Dunganen
aus Turfan; nur ein einziger verstand etwas Pekinger Dialekt und erfreute
sich darum eines gewissen Respekts bei seinen Kameraden; er spielte den
Dolmetscher und sprach auch ganz geläutig sartisch.
Jenseits der Furt Ssary-Kamyseh verläfst der Weg nach Kaschgar das
Ufer des Kisyl-ssu und tadelt sich in die unbewohnten Thäler der südlichen
Ausläufer des Tjan-schan ein. Zunächst folgt er dem breiten, kaum bemerk-
bar ansteigenden Flufsbett des Tugrak-ssas-ssai, welches eine steinbesäte
Rinne darstellt, in der bei Regengüssen ein mächtiger Giefsbach dahinschiefst.
Tiefe Löcher und von den Berghängen herabgerollte Felsstücke bezeichnen
seinen Weg. Je höher hinauf, desto mehr verengt sich das Bett und ver-
llachen die Thalhänge; die Bergformen werden immer weniger ausgesprochen,
die aus Felsen und Konglomeraten aufgebauten Höhen machen Thonformationen
Platz und gleichen schliefslich in ihrer Gestalt Sanddünen, von denen sie sich
nur durch gröfsere Festigkeit der Masse unterscheiden. Noch mehr als 10 km
zieht der Weg durch dies unwirtliche Gelände, übersteigt die unbedeutende
Kammhöhe Schur-bulak und betritt sodann eine auf 8000 Fufs (2400 m)
Höhe gelegene Hochebene, ein Meer von Bergen und Hügeln graugelber
Färbung ohne jedwede Spur selbst von Graswuchs. Ein trostloser Anblick
für den Reisenden! So einförmig ist die Gegend, dafs der Unvorsichtige, der
den Karawanenpfad verläfst, Gefahr läuft, sich zu verirren und von der
Karawane abzukommen. Der Pfad, welcher einige von fast ganz ausgetrockneten
Flüfscben übrig gebliebene Salzlachen sehneidet, windet sich wie an einem
Ariadnefaden durch dieses Labyrinth, endet an einem den Abstieg von der
Hochebene begrenzenden steilen Absturz und durchschreitet hierbei den Hof
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Der Weg von Osch nach Kanehgar.
331
der alten Jakub-bek gehörigen Festung Maschrai), welche die Aufgabe hatte,
den Eintritt in das Thal des Dshan-bulak zu sperren, und jetzt von den
Chinesen verlassen ist. In der Festung selbst war zu Jakub-bek's Zeiten ein
Brunnen von über 275 m Tiefe angelegt worden, aber auch er versiegte mit
der Zeit, weshalb die Festung aufgegeben wurde.
Der Abstieg von der Hochebene in das Thal des Uksalyr, in welchem
früher der gleichnamige Posten lag, ist eine aufserordentlich schwierige Passage
für Handelskarawanen, denn er ist als enger steiler Gang iu die Felsen ge-
hauen und zur Zeit der Frühjahrs- und Herbstfröste von Eis bedeckt.
Das Uksalyr-Thal ist im Vergleich zu der eben verlassenen Hochebene
das reine Paradies. Schöne Bilume und prachtvolle Wiesen veranlassen die
Nomaden, in ihm sogar standigen Aufenthalt zu nehmen; selbst Gartenge wüchse
wurden hier zu allererst in Kaschgarien zu ziehen versucht. Sobald man das
ziemlich malerische Thal und die Ruinen der Festung Uksalyr hinter sich ge-
lassen hat, fädelt sich der Weg von neuem auf eine längere Strecke in ein
Labyrinth von stellenweise so schmalen Gebirgsschluchten ein, dafs faktisch
zwei einander begegnende Saumtiere sich nicht ausweichen können. An
einzelnen Stellen sind diese Hohlwege und Glinge so wild, an andern so
überaus malerisch, dafs nur der Baumwuchs fehlt, sonst würden hier die
herrlichsten Landschaftsbilder das Auge des Reisenden erfreuen, wahrend so
die eintönige sandgelbe Färbung des kahlen Bodens ihn stört und von hinnen
treibt. Ein eigentlicher Weg ist überhaupt nicht vorhanden; er wird ersetzt
durch das Bett bei Regen sich füllender Bäche, welche sich allmählich in
die Thonschiefer- und Sandsteinschichten eingewaschen haben. Die Wände
dieser Schluchten sind ganz wunderbar gestaltet: bald erscheinen ihre oberen
Ränder wie die Konturen von Türmen, Brücken und Mauern halb verfallener
Burgen, bald wie sagenhafte Ungeheuer. Für den Geologen aufserordentlich
viel Interessantes bietend sagt die Gegend nichts für Herz und Sinn des ein-
fachen Reisenden, den schliefslich selbst die Vielgestaltigkeit der toten Land-
schaft zn langweilen beginnt. Auch das Tierleben hält sich fern, und Menschen
giebt es gleich gar nicht; nur hier und da stöfst man auf einen kleinen
Trupp Kaschgarzen, der an den ziemlich zahlreichen Silber- und Kupferminen
arbeitet, Diese Minen liegen aber seitab von der Karawanenstrafse, an Orten,
wo jedes Brennholz zum Ausschmelzen der Erze fehlt; deshalb müssen die
Erze durch Saumtierlasten in holzreiche Gegenden transportiert werden. So
linden sich z. B. bei der Furt Ssary-Kamysch, wo noch Pappel- und Weiden-
gehölze vorhanden sind, an den steilen Ufern überbleibsei zahlreicher Schmelz-
öfen primitivster Konstruktion. Gegenwärtig ist das Schmelzen von Kupfer-
und Silbererzen etwas eingeschränkt worden, da auf all' diesen Giefsereien
falsche Münzen geprägt und in Masse an die nomadisierende Bevölkerung der
Umgegend abgesetzt worden sind. Böse Zungen behaupten, dafs auch hier-
bei der schon genannte Kommandant von Ulugtschat seine Hand im Spiele
habe, ja, dafs das ganze Geschäft von ihm gemacht werde und ihm recht
hübsche Erträge abwerfe.
Nachdem man sich durch einige enge unbequeme Schluchten hindurch-
gequält, eine Anzahl Gcbirgsbäche überschritten und mehr als ein Dutzend
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<
332 H. Toepfer: Der Weg von Osch nach Kascbgar.
steile und ermüdende Pafshöhen genommen hat, gelangt man endlich in die
weite, mit grünenden Wiesen bedeckt« Kessel landschaft des Kisil-oi, in der
chinesische Kirgisen ihre ständigen Wohnsitze haben und von wo ein fahr-
barer Weg nach Kaschgar beginnt. Mau stöfst, sobald man die etwas feuchten
Wiesen von Kisil-oi und die Ruinen der einst nicht unwichtigen, ausgedehnten
Festung Kang-dshugan hinter sich hat, dem Thale des Urjuk folgend, sehr
bald auf die neue Festung Karan-palik, durch deren Thore die Strafse un-
mittelbar hindurchführt. Für etwa 100 Mann berechnet, ist sie doch nur
von 5 bis 6 Infanteristen bewohnt, welche liebenswürdiger Weise die freien
Räume als Lagerstätten anboten. Diese Räume ähnelten freilich eher Ställen,
als menschlichen Wohnungen. Wenn nicht an den Wänden die in chinesischen
Wohnungen üblichen Einrichtungen zum Schlafen und zum Erwärmen der
Räume vorhanden gewesen wären und diese den spezifischen Geruch chinesischer
Wohnstätten verbreitet hätten, würde man den Aufenthalt darin für menschen-
unmöglich haben halten müssen.
Die Soldaten hatten keinerlei Vorräte und mufsten sich von Wurzeln
verschiedener Gewächse und einigen Kräutern nähren, aus denen sie eine Art
Grütze bereiteten. Eine derartige Nahrung ist wohl nicht allzu kräftig, denn
die chinesischen Krieger stürzten sich gierig wie halb verhungerte wilde Tiere
auf die Knochen und sonstigen Überbleibsel unserer mehr als spartanisch
einfachen Mahlzeit. Und mit welchem Genufs benagten sie die Hammel-
knochen und saugten sie aus den vorsichtig entzweigeschlagenen Knochenröhren
das Mark aus! Armseligkeit und Hunger sahen aus allen Ecken. Übrigens
geht es neun Zehnteln aller chinesischen Trappen nicht viel besser, denn ihre
Gebührnisse fliefsen in die Taschen ihrer Vorgesetzten, welche dafür den
Untergebenen völlige Freiheit in der Wahl ihrer Existenzmittel lassen. Genau
so erbärmlich wie in Karan-palik waren die Mannschaften der beträchtlich
gröfseren Garnison Myn-jul gestellt und genau dieselbe Jammerwirtschaft konnte
man bei den Mustertruppen Li-Hung-Tschang's und der Provinz Tschili zur
Zeit ihrer Neuorganisation antreffen. Deshalb braucht man sich nicht zu
windern, wenn die auf sich selbst angewiesenen chinesischen Soldaten sich
mehr mit andern Dingen als militärischer Ausbildung beschäftigen. In Karan-
palik, Myn-jul und Kaschgar treiben sie neben ihren notwendigsten Dienst-
verrichtungen Ackerbau und Handel und schinden und placken aufserdem
die friedliche Bevölkerung auf unerhörte Weise. Bei diesen Orten liegen
ziemlich ausgedehnte Felder, von denen Wintervorräte geerntet werden,
nicht nur für den eigenen Gebrauch , sondern auch für den Bedarf durch-
reisender Karawanen. Natürlich werden ganz willkürliche Preise für die
Produkte genommen; rassischen Händlern gegenüber allerdings sind die
Soldaten und ihre Vorgesetzten sehr vorsichtig, und vor dem blofsen Namen
des russischen Konsuls in Kaschgar Petrowski haben sie mehr Respekt,
als vor ihren Vorgesetzten. Da mir von früher her bekannt ist, mit
welchem Hochmut und welcher Frechheit die chinesischen Beamten Händlern
gegenüber auftreten, so mufste ich wohl annehmen, dafs unser Konsul es
ausgezeichnet verstanden bat, sich diese Herren zu ziehen und ihnen
mehr Achtung vor dem russischen Namen beizubringen, als wir sonst
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Alfred Hettner: Die Landbauzonen der aufsertropischen Lilnder. 333
gemeiniglich im östlichen China und selbst in der Residenz des Bogdychan
geniefsen.
Bis Myn-jul kann der russische Händler reisen, ohne sich irgendwie
ausweisen zu müssen; in Myn-jul jedoch müssen alle Durchreisenden im Jamyn
ihre Pässe vorzeigen, welche von hier an den Daotai von Kaschgar eingesandt
werden. Myn-jul ist eine gröfsero chinesische Garnison, die letzte vor Kaschgar.
Zwischen beiden Orten dehnt sich auf 14 km ein steinbesätes, wasserarmes
Thal aus, wie sie im Innern von Kaschgarien so häufig sind. Soweit der
Blick reicht, von ausgewaschenen Hohlwegen durchschnittene einförmige Ebene,
welche in ganz weiter Ferne gen Südosten von dem staubnebelumhüllten,
in seinen in ewigem Schnee erstarrten Spitzen hellglänzenden Massiv des
Mustag-agar, dem Gebirgsriesen im Pamirhochland, begrenzt ist. Nach Osten
zu zeichnen sich in einem kaum bemerkbaren grünen Streifen die Gärten
und Haine von Kaschgar und seiner Umgebung ab. Noch eine kurze Strecke
und ein ganzes Netz von Armen des in zahllose Aryks1) sich verteilenden
Kisyl-ssu verwandelt die menschenleere ödfläche in eine blühende dicht be-
völkerte Oase. Das ist Kaschgar. (Schlufs folgt.)
Die Landbanzonen der aufsertropisohen Länder.
Nach den Untersuchungen Th. H. Engel brecht' n.
Von Alfred Hettner.
(Schlufs.)
III. Nordamerika.
In der Landwirtschaft Nordamerikas8) macht sich natürlich geltend, dafs
es ein Kolonialland ist. Das Land ist, trotz des raschen Fortschreitens der
Entwickelung, doch immer noch nicht in ganzer Ausdehnung von Menschen
besetzt worden, und in den jüngeren Siedelungsgebieten zeigt die Landwirt-
schaft noch so starke Veränderungen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, dafs man
ihre heutige Form vielfach nur als eine in der Jugend der Entwicklung be-
gründete Übergangsform ansehen mufs und die wirtschaftsgeschichtlichen und
die klimatischen Ursachen noch nicht mit Bestimmtheit aus einander halten
kann.
Im nördlichen Teil des Kontinents können wir jedenfalls auch hier eine
Zone ohne Anbau und eine subarktische Gerstenzone ausscheiden, aber
1) Bewässerungsgräben.
2) Für Nordamerika hat Verf. dies Thema schon früher in dem Aufsatz: ,.Per
Standort der LandwirtschaftsKrenze in Nordamerika" (Landwirtschaftliche Jahr-
bücher Bd. XII S. 459 ff. M. T. VI— X) behandelt, in dem die wichtigsten That-
sacben und die Ursachen der Erscheinungen vielleicht noch schärfer hervortreten.
Zu vergleichen sind aufserdem M. Seriiitf: Die landwirtschaftliche Konkurrent
Nordamerikas Lpzg. 1*87: iVJO ff. u. K. und F. Ratzel: Kulturgeographie der Ver.
Staaten 2. Aufl., bes. die Karte.
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834
Alfred Hettner:
die Besiedeluug reicht noch nicht in diese hinein, nur ihre Grenze ist viel-
leicht im nördlichen Neu-Braunsebweig und in Nord-Saskatschewan erreicht
worden, da hier der Weizen vom Frost getötet wird.
In dem besiedelten Teile von Canada und im nördlichen Teile der Ver-
einigten Staaten läfst Engelbrecht die Haferzone als einen breiten Gürtel
von Ozean zu Ozean reichen. Er befafst unter diesen Begriff natürlich auch
hier alle die Gebiete, in denen der Hafer das wichtigste Futtergetreide ist
und in gröfserem Umfange als Gerste oder Mais angepflanzt wird. An der West-
und an der Ostküste und in einigen dazwischen liegenden gebirgigen Land-
schaften kann man von Haferzone auch in dem engeren Sinne sprechen, dafs
Hafer überhaupt das am meisten angebaute Getreide ist und dafs Wiesen und An-
bau von FuttergewHchsen (Heugewinnung jeder Art) eine sehr grofse Rolle
in der Landwirtschaft spielen und den Getreidebau meist um ein vielfaches
übertreffen. In den dazwischen liegenden Gegenden jedoch treten der Hafer-
bau und die Heugewinnung durchaus zurück, der Weizenbau in den Vorder-
grund. Eugelhrecht hat schon in einer Besprechung des Werkes von Seriug
ausgeführt, dafs das zunächst eine wirtschaftsgeschichtliche Thaisache sei,
dafs der einseitige Weizenbau die Kultur des Neulandes sei, und dafs er im
Laufe der Zeit, wenn der Boden durch die einseitige Bebauung erschöpft sei,
durch mannigfaltigeren Anbau verdrängt werde. Und er weist jetzt darauf
hin, dafs die Richtigkeit dieser Behauptung durch die Entwicklung der Ver-
hältnisse bestätigt werde, dafs sich nämlich eine Verschiebung des einseitigen
Weizenbaues nach Norden und Westen, also in die jüngeren Siedlungsgebiete,
verfolgen lasse. Trotzdem möchte ich glauben, dafs in diesen Biuneuland-
schaften, die ein trockeneres Klima haben, und die daher im natürlichen Zu-
stande grofsenteils nicht Waldland, sondern Prärien sind, der Charakter der
Landwirtschaft auch künftighin ein anderer als in den westlichen und öst-
lichen Küstenlandschaften sein wird. Ebenso wie wir in Europa die Hafer-
zone Eugelbreeht's in die auf Landschaften von maritimem Charakter be-
schränkte Haferzone im engem Siune (mit Feldgraswirtschaft, und starkem
Wiesenbau) und die Zone des vorherrschenden Brodgetreides zerlegen konnten,
so werden wir wohl auch in Nordamerika aus der Haferzone die Binnen-
laudsehaften ausscheiden müssen, die heute jedenfalls eine Zone des vor-
herrschenden Brotgetreides sind.
Die Haferzone im engeren Siune ist ein Land der feuchten kühlen
Sommer und grofsenteils wohl auch des steinigen unfruchtbaren Bodens,
zeigt also ganz ähnlichen Naturcharakter wie die skandinavische Halbinsel
oder der westliche Teil der britischen Inseln. Ihr gehören am Stillen Ozean
Britisch-Columbien und das Küstenland von Washington, die Gebirgsland-
schaften von Wyoming und Montana, ferner, wie es scheint, Teile von Wis-
consin, Ontario, Quebec, Neu-Braunschweig uud Neu-Sehottland, die Neu-England-
staaten etwa nördlich von 4l\° und die höheren Teile der Appalachen an.
Der Haferbau nimmt in diesen Landschaften meist über 70%, teilweise über
00% Getreidefläche ein, Weizen wird nur wenig gebaut wegen der
Feuchtigkeit und Küble des Sommers und im Osten auch wegen der Strenge
des Winters, die den Winterweizen ganz ausschliefst, nicht unbedeutend ist
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Die Landbauzonen der aufRertropischen Länder. 335
*
dagegen stellenweise der Gerstenbau. Eine grofse Rolle besonders in der
Landwirtschaft der atlantischen Küstengegenden spielen der Anbau von Buch-
weizen und Kartoffel, was mit der dichten Bevölkerung und dem dadurch be-
dingten vorstädtischen Tjandwirthschaftsbetriebe zusammenhängt; die Kartoffel -
fläche ist stellenweise ebenso grofs wie die ganze Getreidefläche. Aufser-
ordentlich grofs ist die Heugewinnung. Sie bildet hauptsächlich die Grund-
lage der Milch- und Meiereiwirtschaft. An diese schliefst sich aber nicht,
wie bei uns, auch Schweinezucht an; der Schweinestand ist vielmehr, nament-
lich im Vergleich mit der südlich angrenzenden Zone des Maisbaues, ziem-
lich gering. Die Schafzucht, die in den Neu-Englandstaaten früher sehr be-
deutend war, hat sich sehr vermindert und ist, den ganzen wirtschaftlichen
Verhältnissen entsprechend, heute vielmehr auf die Zucht von Fleischschafen
als von Wollschafen gerichtet. Auch die Arbeitsochsen sind immer mehr
vom Pferde verdrängt worden, wenngleich nicht in dem Mafse wie in
jüngeren Siedlungsgebieten. Das Maultier kommt in dieser Zone nicht in
Betracht.
Gebiete des vorherrschenden Baus von Brotgetreide und
zwar überwiege ud von Weizen sind in Britisch-Nordainerika Teile von
Saskatschewan , die beiden Assiniboia, Manitoba und ein Teil von Ontario,
im Kordillerengebiet der Vereinigten Staaten die inneren Landschaften von
Washington, Oregon, Iduho, Utah, Teile von Kalifornien, Colorado und Neu-
Mexico, östlich von den Kodilleren die beiden Dakota, Minnesota, Michigan,
Teile von Wisconsin, in dem der Haferbau überwiegt, Indiana und Ohio, deren
südliche Teile schon zur Maiszone gehören. Es sind also dio mäfsig feuchten,
kühleren Teile der Kordilleren-, Prärien- und Übergangsländer zum Wald-
gebiet. Man wird diese Landbauzone am ehesten wohl teils mit der euro-
päischen Roggenzone, teils mit der südrussischen Steppenzone vergleichen
können. Das vorherrschende Getreide ist Sommerweizen, da der Winter-
weizen die kalten Winter nicht verträgt. Der Bau von Roggen tritt in
Nordamerika zurück, weil er ja nur wenig konsumiert wird, am stärksten ist
er im Grenzgebiet dieser Zone des Sommerweizens und der Maiszone. Auch
der Anbau von Mais hat nur untergeordnete Bedeutung; nur im südlichen
Oregon zeigt sich ein Ansatz zur Ausbildung eines Maisgebietes. Bei dem
einseitigen Vorherrschen des Getreidebaues tritt die Tierzucht, etwa mit Aus-
nahme der Arbeitspferde, im allgemeinen in den Hintergrund; nur iu
Michigan und Ohio finden wir eine recht bedeutende Merinozucht, wohl ohne
dafs dafür klimatische Ursachen vorhanden wären.
Weiter südlich stellt sich eine bestimmte Scheidung des Westens und
des Osten heraus.
Der Westen ist trocken, im kalifornischen Küstengebiet etwa von 40°
südwärts mit ausgesprochenem Winterregen, im Innern mit Trockenheit zu
allen Jahreszeiten. Die Vegetatiousbediugungen des kalifornischen Küsten-
landes sind also dieselben wie in den Küstenlandschaften Südeuropus, während
wir im Innern reine Steppe finden. Eugulbrecht fafst beide Gebiete, die zu-
sammen hauptsächlich die Staaten Kalifornien, Nevada und Arizona ein-
nehmen, sich aber auch in die östlichen Nachbarstaaten hineinerstrecken, als
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336
Alfred Hettner:
Gerstenzone zusammen, weil Gerste das hauptsächliche Futtergewächs ist und
sowohl der Hafer wie der Mais, die beide der Feuchtigkeit bedürfen, nur
wenig angebaut werden1). Aber auch hier beben sich die Küstenlandschaften,
zu denen ich auch noch das grofse kalifornische Längsthal rechne, durch
Weizenbau und wohl noch mehr durch Weinbau und Baumkulturcn land-
wirtschaftlich von den Steppeulandschaften ab, wo Wein- und Baumkultnren
fehlen, der Weizen hinter der Gerste zurücktritt und der gröfste Teil der
Fläche überhaupt nur durch extensive Viehzucht, ursprünglich hauptsächlich
Pferdezucht, später mehr Rindvieh- und heute immer mehr Schafzucht aus-
genutzt werden kann.
Dieser Teil der Steppe stimmt in der Hauptsache, nämlich in dem Vor-
herrschen extensiver Viehzucht, die auf den sog. Hanges (Hmuhos) betrieben
wird, mit den Steppen östlich von den Kordilleren (den sog. Plains) überein.
Aber da sich die landwirtschaftliche Statistik, die die Grundlage der Unter-
suchungen Engelbrecht's bildet, nur auf die Farmen bezieht, wohl auch
in Folge der Gesichtspunkte, von denen er überhaupt ausgeht, rechnet er
diese östlichen Steppen schon der Maiszone zu, weil in den Anpflanzungen
der Besiedelnngsoasen Mais den Hauptgegenstand des Anbaus bildet. Die
Zone des zusammenhängenden Maisbaus beginnt etwa erst vom 100. Meri-
diane an.
Der ganze südöstliche Teil der Vereinigten Staaten, östlich von 100°
w. L., südlich etwa von 43 0 n. Br. steht unter der Herrschaft warmer
feuchter Sommer, hat also klimatische Verhältnisse, die in Europa nur unter-
geordnet auftreten und mehr an die asiatischen Monsun länder erinnern. Den
Halmgetreiden sagt dies Klima nicht recht zu, sie treten daher durchaus
hinter dem Mais zurück, der hier sowohl als Futtergewächs wie für die
menschliche Ernährung gebaut wird. Mit dem Maisbau ist fast in der
ganzen Zone eine starke Schweinezucht verbunden, wie wir sie in Europa
nur in wenigen Gegenden haben; die Zahl der Schweine übertrifft hier meist
die der Rinder. Dagegeu ist die Schafzucht von mäfsiger Bedeutung und
entschieden in der Abnahme begriffen, sie zieht sich in die sandige Kiefer-
zone {P'me Jirlt) zurück. Charakteristisch ist auch die starke Verwendung
von Arbeitsochsen , die wohl mit den niedrigen Löhnen zusammenhängt, uud das
Vorherrschen der Maultiere vor den Pferden. Im übrigen zeigen aber die
verschiedenen Teile dieses Gebietes grofse Verschiedenheiten, und wir können
danach drei oder vier Zonen unterscheiden.
Die nördlichste, die die beiden anderen auch im Westen umfafst, ist die
Maiszone im engeren Sinne, in der die Baumwolle noch keine gröfsere Be-
deutung hat. Der Mais ist im allgemeinen dcis vorherrschende Getreide, aber
in vielen Gegendon finden wir auch einen starken Anbau von Weizen, und
zwar von Winterweizen, der, wie es scheint, die schwereren Böden bevorzugt.
Hauptsächlich an der Nordgrenze reicht auch beträchtlicher Roggenbau in diese
Zone hinein. Die Kartoffel begegnet sich hier mit der Batate (Surrt Fotato),
1) Es ist deshalb nicht verständlieh, warum Ratzel Kalifornien zum Maiflgebiet
gestellt hat.
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Die Landbauzonen der au fuertropiachen Lilnder.
337
herrscht aber noch vor dieser vor. Dagegen fehlt die Erbse so ziemlich,
weil der Sommer für die europäische Erbse {Canadian Pro) zu warm,
für die Cow Pea dagegen nicht heifs genug ist. In Kentucky und
Missouri wird Hanf gepflanzt. Von besonderer Bedeutung ist der Tabaksbau,
dessen Haupt gebiete in Ohio und in den atlantischen Staaten zwischen 35°
und 40° n. Br. liegen. In dem westlich von den Appalachen gelegenen
Teile erreicht die Schweinezucht ihr Maximum, da die Zahl der Schweine
anderthalb bis zweimal so grofs ist als die der Binder. In den Appalachen
selbst, die ja einen halbinselartigen Vorsprang der Haferzone darstellen,
überwiegen die Binder, und auch an der Ostküste ist der tTjersehufs der
Schweine nur unbedeutend.
Die Südgrenze dieser Zone füllt an der atlantischen Küste ungefähr mit
der Südgrenze von Virginia zusammen, zieht sich dann in den Appalachen
südwärts, verläuft weiter auf dem 3ö. Parallel und kehrt am Tennesseeflufs
wieder bis 3t)V20 n. Br. zurück. Das wichtigste Merkmal der südlich fol-
genden Zone ist der starke Baumwollenbau, der hier gröfsere Flächenräume
als der Weizenbau einnimmt. Engelbrecht bezeichnet diese Zone daher als
die Baumwollenzone. Wir haben hier die gemäfsigte Zone verlassen und
sind in eine halbtropische Landschaft gekommen. Weizen und Gerste treten
hier ganz zurück, dagegen ist der Heisbau schon häutig, und man hat den
Eindruck, als ob er sich mit Hilfe der Negerarbeit noch viel weiter aus-
breiten könnte. Auch die Erdnufs (Arachis) wird viel gebaut. Die Kar-
toffel tritt in den Hintergrund gegenüber der Batate.
Noch deutlicher ist der halbtropische Charakter in der Zone des
Zuckerrohrs ausgesprochen, deren Greuze von der mexikanischen Grenze
ungefähr unter 37° w. L. nach Norden zieht, dann, allerdings mit starken
Schwankungen, dem 32. Parallelkreis nach Osten folgt und an der atlan-
tischen Küste bis Charleston ansteigt. Im ganzen fällt auch der ausgedehntere
Reisbau (mehr Reis als Weizen) in diese Zone, doch reicht er nicht so weit
westlich, während er an der atlantischen Küste weiter nördlich ansteigt.
Weizen- und überhaupt Köruerbau tehlen dieser Zone fast ganz; Roggen und
Hafer werden als Grünfutter gebaut. Aber der Anbau des Mais übertrifft
den Anbau der Halmgetreide um das Zehnfache. Im nördlichen Teil der
Zone ist damit auch noch starke Schweinehaltung verbundeu, die sich jedoch
an der Golfküste ziemlich vermindert.
Auf der Halbinsel Florida treten die Banane und in der südlichen
Hälfte auch die Kokospalme auf. Auch die Oraugengewinnung ist hier sehr
bedeutend.
IV. Südamerika.
Die Untersuchung Südamerikas hat sich, da für Chile kein agrarsta-
tistisches Material vorliegt, leider auf Argentinien und Uruguay beschränken
müssen. Während Chile im ganzen mit den Ländern Westeuropas und der
nordamerikamschen Pacificstaaten zu vergleichen ist, kehren in den La Plata-
ländern ähnliche Verhältnisse wie im östlichen Teil der Vereinigten Staaten
wieder; denn wie dort finden wir auch hier wanne und im ganzen feuchte
Sommer. In manchen Zügen kommt es zur Geltung, dafs wir es hier mit
Geo„r»phitchc Zeitschrift 7 J«l.rg»ng VMl C Heft 23
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338
Alfred Hcttner:
keinem englischen, sondern mit einem spanischen Kolonisa tiousgohiet zu thuu
haben.
Die Polargrenze des ausgedehnten Anbaus von Zuckerrohr, welche wir
hier, da der Anbau der Baumwolle ganz unbedeutend ist, als die Grenze
des subtropischen Anbaus ansehen müssen, verläuft in der Ebene unge-
fähr unter *J8 0 s. Br., also 1 0 näher am Äquator als in Nordamerika, zieht,
sich aber im Gebirge natürlich weiter nach Norden zurück. In den Niede-
rungen von Tucuman und Jujuy wird er vom Reisbau begleitet, der jeden-
falls noch weiterer Ausdehnung fähig ist.
Ein von diesem halbtropischen Tiefland abweichendes Gepräge hat die
Luid Wirtschaft natürlich in den Anden der Provinzen Jujuy, Salta und
Tucuman. In mäfsiger Höhe überwiegt der Anbau von Mais und Weizen,
und zwar scheint dieser höher als jener hinanzusteigen. In gröfserer Höhe
gewinnt der Anbau von Gerste und Kartoffeln die Oberhand. In den Ge-
birgshüheu wird auch viel Schafzucht getrieben, die sonst diese halbtropischen
Gegenden vermeidet. Auch die Lamas reieben von Peru und Bolivien bierher.
Für die tieferen Teile ist der starke Bestand an Eseln, die nach spanischer
Sitte viel als Arbeitstiere gebraucht werden, und an Maultieren bezeichnend.
Wandern wir in der Ebene südwärts, so kommen wir in ein Gebiet,
in dem Mais und Weizen die weitaus wichtigsten Gegenstände des Anbaus
bilden, das Engelbrecht daher seiner Maiszone zurechnet. Aber innerhalb
dieser Zone haben wir doch zwei Gebiete von ganz verschiedener Landwirt-
schaft zu unterscheiden.
Im östlichen, der Küste zu gelegenen Teil ist genügende Feuchtigkeit
vorhanden und auch der Boden gut , so dafs der Anbau die ganze Fläche
zusammenhängend Iwdecken kann. Hier haben wir das eigentliche Ackerbau-
gebiet, das wir mit dem nordamerikanischen Maisgebiet östlich von 1<M)°
w. L. oder mit den europäischen Maisgebieten vergleichen können. Neben
Mais und Weizen treten die anderen Getreidearten und überhaupt andere
Kulturen ganz zurück. Ob der Anbau des Mais oder des Weizens über-
wiegt, scheint aufser von volkswirtschaftlichen Rücksichten in erster Linie
vom Boden abzuhängen. Auch das Klima wirkt ein, da im allgemeinen nach
der Äquatorialgrenze zu und im feuchteren Osten der Mais, weiter polwärts
und landeinwärts der Weizen häufiger ist. Im südlicben Teil der Provinz Buenos
Aires nähert sich der Mais seiner Polargrenze und wird im Fruchtwechsel durch
Gras und Ackerweide ersetzt, so dafs wir hier vielleicht eine Weizenzone an-
zunehmen haben. Schweinehaltung knüpft sich in Argentinien au den Maisbau
nicht an, wie in Nordamerika, weil Weidewirtschaft noch durchaus vorherrschend
ist. Im südöstlichen Teile des Gebietes ist die Schafzucht sehr bedeutend.
Das Gebiet zusammenhängenden Auhaus erstreckt sich nach Kärger
westwärts etwa bis zum öl. Meridian, der somit dieselbe Rolle wie der 100,
Meridian in Nordamerika spielt. Die meist gebauten Getreide sind auch
hier noch Mais und Weizen; aber der Anbau ist im allgemeinen nur noch
mit künstlicher Bewässerung möglich, und diese wird in viel gröfserein Um-
fange zum Anbau der Luzerne (Alfalfa) und am Gebirgsfufs auch zum Wein-
bau benutzt, dessen Fläche vielfach die Hälfte der Getreidefläche beträgt.
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Die Landbauzonen der aufsertropischen Länder.
Die Steppe selbst, grofsenteils Strauchsteppe, bleibt der Viehzucht vorbehal-
ten; die Schafe treten hier mehr zurück und werden durch Ziegen ersetzt,
an deren Zucht die Spanier von ihrer Heimat her gewöhnt waren; recht
grofs ist der Pferdestand.
V. Sudafrika.
Für Südafrika, mit Ausnahrae des halbtropischen Natal, fehlt eine eigent-
liche Anbaustatistik, und wir konneu uns nur nach der Erutestatistik ein
ungefähres Bild der Anbauverhältnisse machen.
Der südöstliche Teil des Kaplandes, etwa östlich von 23° ö. L., nord-
wärts ungefähr bis an die Wasserscheide gegen den Oraujeflufs, hat ein
warmes und dabei feuchtes Klima mit vorherrschenden Sommerregen nnd
infolge dessen einen ausgedehnten Anbau von Mais, der den von Hafer
und Gerste übertrifft. Wir müssen dies Gebiet also der Maiszone zurech-
nen. Mit dem Maisbau ist namentlich der Anbau der Mohrhirse (Sorghum)
verbunden. Die Schweinezucht, die man nach dem Muster Nordamerikas in
diesem Gebiete vermuten sollte, ist ebenso wie in Argentinien gering; am
Küsteusaum haben die Rinder ein entschiedenes Übergewicht über alle ande-
ren Viehgattungen, weiter landeinwärts erlangen dagegen schon die Schaf-
und die Ziegenzucht grofse Bedeutung.
Nach Nordosten findet etwa au der Grenze von Natal, also ungefähr
unter 31° s. Br., der Übergang zu halbtropischer Landwirtschaft statt,
da das Zuckerrohr die wichtigste Kultur wird und die europäischen Halm-
früchte, ins Gebirge zurückweichen.
Ein anderer Übergang vollzieht sich von der Mossel-Bai westwärts. Das
Klima wird hier viel trockener, besonders nehmen die Niederschläge des
Hochsommers sehr ab; die letzten Reste tropischer Vegetation verschwinden,
und es beginuen die Busch- und Heideflächen der eigentlichen Kaptlora.
Dementsprechend tritt der Mais zurück und läfst die europäischen Getreide-
arten in den Vordergrund treten. Als Futtergewächs überwiegt an der West-
küste, wohl durch die Regen und Nebel und die Milde des Winters be-
günstigt, der Hafer, landeinwärts die Gerste. Im ganzen aber treten die
Futtergetreide entschieden gegenüber dem Weizen und stellenweise, besonders
in höheren Gebirgslagen mit steinigem Boden, auch gegenüber dem Roggen
zurück, der in einem für koloniale Verhältnisse ungewöhnlichen Umfange an-
gebaut wird. Im ganzen Inneren bewahrt der Ackerbau überhaupt wegen
der Höhenlage einen mehr nordischen Charakter, der sich auch in dem Kar-
toffelbau zu erkennen giebt. Das wichtigste Merkmal der Steppen des Innern
ist aber die enorme Schaf- und Ziegenhaltung; die Zahl sowohl der Schafe
wie der Ziegen übertrifft die der Kinder um das Zehn-, ja um das Zwan-
zig- und Dreifsigfache. Auch der Pferde- und Maultierbestand ist, wenigstens
im Verhältnis zum Rinderbestand, außerordentlich grofs. Engelbrecht rech-
net dies ganze Gebiet westlich von der Mais- und Zuckerrohrzone, die er
übrigens auf der Übersichtskarte zu weit landeinwärts ins Hochland hinein
gezeichnet hat, seiner subtropischen Gerstenzone zu. Aber der Einfluß
der Bodengestaltung, der raschen Wechsel der Temperatur und der Nieder-
23*
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340
Alfrod Hettner:
schlagsverhältnisse hervorruft, steht doch wohl einer so verallgemeinernden
Auffassung entgegen. Manche Gebirgslandschaften sind am ehesten den
europäischen und nordamerikanischen (legenden mit vorherrschendem Anbau
von Brotgetreide zu parallelisieren; der gröfsere Teil des Gebietes empfängt
sein Gepräge von der extensiven Steppenviebzucht.
VI. Australien.
Auf dem australischen Kontinent ist bekanntlich der klimatische Gegen-
satz zwischen der schmalen Ostküste, dem Innern und der Südwestecke sehr
ausgesprochen.
Der gröfsere Teil der Ostkflste hat trockene Winter, aber wanne Sommer
mit häutigen und reichlichen Hegen; erst ganz im Süden sind die Regen
gleich mäfsiger über das Jahr verteilt. Im Norden (etwa bis 19° s. Hr.)
haben wir noch eigentlich tropische Kulturen wie den Kaffeebau, dessen
Bedeutung allerdings noch sehr gering ist. Dann folgt, bis 80° s. Hr.1), die
halbtropische Zuckerrohrzone, in der die Kultur des Zuckerrohrs weitaus
die wichtigste Bodenkultur und der Mais das wichtigste Getreide ist. Die
übrigen halbtropischen Kulturen haben, mit Ausnahme der Banane, erst
wenig Fufs gefafst, als Nahrungsgewüchse werden neben dem Mais nament-
lich Kartoffel und Batate gebaut. Die Schafzucht, die im gröfseren Teile
Australiens so dominiert, fehlt hier fast ganz. Der einzige in Betracht
kommende Gegenstand der Viehzucht ist hier das Kindvieh.
Auch weiter südlich, bis in den östlichen Teil von Victoria, allerdings
nur in einem schmalen Küstengürtel, der etwa bis zur Wasserscheide- reicht,
pflegt die Fläche des Mais noch vier- bis fünfmal so grofs zu sein als die
Fläche des Halmgetreides zur Körnergewinuung, so dafs dies Gebiet durchaus
die Merkmale der Maiszone trügt. Ihre Grenze fallt hier wie im Kapland
bezeichnenderweise genau mit der äufsersten Verbreitungsgrenze der Palmen
zusammen. Ziemlich bedeutend ist in dieser Zone der Kartoffelbau, dessen
Anbaufläche ungefähr halb so grofs als die Fläche der Halmfrucht ist.
Stelleuweise trifft man grofse Oraugeuhaine. Die Schafzucht tritt auch hier
noch gegenüber der Kindviehzucht zurück.
Auf der Westseite des Gebirges südlich etwa von '26 0 s. Br., auf der
daran sich anschließenden Nordseite der Gebirge von Victoria und in Süd-
australien, soweit diese Gebiete überhaupt noch die für den Anbau nötige
Feuchtigkeit empfangen, herrscht mit einzelnen örtlichen Ausnahmen der
Weizen bau durchaus vor, ja man kann sagen, dass der Weizenbau über-
haupt in wenigen neubesiedelten Ländern so einseitig und rücksichtslos be-
trieben wird wie hier; aber die Erträge sind, wegen der Dürre, auffallend
niedrig und ungemein unsicher; nur die vollendetste Technik, insbesondere
der Erntemaschinen, macht den Weizenbau überhaupt möglich. Am Ost-
lind Südrande dieser Zone, also an und nahe dem Gebirgshange, wird viel
Tabak, am Südrande auch die Weinrebe gepflanzt. Dies ist auch die Zone
der australischen Schafzucht, in der der Schafhestand den Kindviehbestand
1) Auf der Übersichtskarte ist die Grenze zu weit südlich gezogen.
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Die Landbauzonen der au fsertropischen Länder. 341
im nördlichen Teile um mehr als das Vierfache, südlich von 30° s. Br. um
mehr als das Zehnfache übertrifft. Dafs im Gegensätze zu den entsprechen-
den Landschaften Südamerikas Ziege, Esel und Maultier hier fehlen, mufs aus
der englischen Kolonisation hier, der spanischen dort erklärt werden.
Steigen wir über das Gebirge von Victoria in das südliche Küstenland
hinüber, so zeigen die Anbauverhältnisse den denkbar schroffsten Gegensatz zu
denen des eben verlassenen Gebiets. Der Weizen tritt hier ganz zurück, der Hafer
wird plötzlieh die wichtigste Halmfrucht, und in den trockeneren Teilen stellt
sich ihm die Gcrsto zur Seite. Auch der Kartoffelbau ist meist sehr be-
trächtlich, und in manchen Grafschaften wird sogar eine gröfsere Fläche mit
Kartoffeln als mit Getreide bepflanzt. Möchte man danach versucht sein,
dies Gebiet etwa mit Irland zu vergleichen und der Haferzone zuzuweisen,
was Kngelbrecht thatsächlich thut, so scheint mir das doch mit den Anpflan-
zungen von Orangen, die allerdings die Küste selbst vermeiden, und von
Oliven nicht gut vereinbar zu sein. Auch der sehr starke Anbau der Hülsen-
früchte (stellenweise 20 — 30% der Getreidefläche) und der Futterrüben, der
an das südöstliche England erinnert, fügt sich nicht in das Bild der Hafer-
zone ein. Die der südlichen Halbkugel eigentümliche, in ihrem ozeanischen
Klima begründete Milde der Winter bewirkt hier eine gewisse Vermischung
süd- und westeuropäischer Vegetations- und Anbauverhältnisse, wie sie uns ja
auch schon im Kaplande angedeutet erschien. Im trockeneren westlichen Teile
dieses Gebietes überwiegt die Schaf-, im feuchteren östlichen die Riudviehzucht.
Auch die Schweinezucht ist hier etwas gröfser als sonst in Australien.
Ähnlich und doch anders sind die Klima- und Anbauverhältnisse im
südwestlichen Australien, soweit es noch ausreichende Niederschläge
empfängt. Hier zeigt das Klima mehr den südeuropäischen Typus, die
sommerliche Trockenheit ist stärker ausgesprochen. Damm sind der Weizen-
und der Gerstenbau bedeutender, der Haferbau weniger bedeutend. Der
Maisbau ist auch hier nur mit Hilfe künstlicher Bewässerung möglich. Das
Vieh ist hauptsächlich Rindvieh. Das ganze übrige West-Australien jedoch,
wo die geringe Feuchtigkeit den Anbau nicht mehr erlaubt^ ist, ähnlich wie
die inneren Landschaften Ost- Australiens, ein Land der Schafzucht. In den
Bergwerken werden neben Pferden auch Kamele verwandt.
Die Anbauverhältnisse von Tasmanien schliefsen sich in mancher Be-
ziehung an die von Victoria an, doch bestehen auch wichtige Unterschiede.
Die subtropischen Kulturen der Orange und Olive kommen hier nicht mehr
fort, ebensowenig der Mais; dagegen ist der Weizenbau wieder beträchtlicher.
Der Haferbau überwiegt nur in der feuchteren Westhälfte der Insel, wo auch
der Kartoffelbau verhältnismäfsig stark ist, während umgekehrt Gerste und
auch Weizen die trockenere Ostseite bevorzugen. An England erinnern der
starke Anbau der Hülsenfrüchte und auch die starke Schafzucht, die mit Aus-
nahme der feuchten Westseite in Tasmanien getrieben wird und sich schon
überwiegend auf englische Fleischrassen bezieht.
Auf dem langgestreckten Neu- Seeland heben sich mehrere Anbauzouen
von einander ab. Der nördliche Teil bis zu einer Linie, die die Westküste
unter 38° schneidet und sich gegen die Ostküste auf 39° s. Br. senkt, ge-
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342 Alfred Hettner: Die Landbauzonen der aufnertropischen Lander.
hört der Maiszone an, deren Grenze auch hier mit einer Anzahl natürlicher
Vegetationsgrenzen zusammenfällt, und die ähnliche Merkmale wie sonst zeigt.
Am mildesten ist das Klima der Halbinsel nördlich von Auckland, wo auch
alle Arten von Südfrüchten, insbesondere Orangen, vorkommen. Die Schaf-
zucht tritt auch hier wie sonst im Maisklima zurück.
Südlich von der genannten Linie ist fast überall der Hafer das wich-
tigste Halmgetreide. Besonders gilt das für das regnerische (iebirgsland der
Südinsel, weil der Hafer die starke Bewölkung und die häufigen Nieder-
schläge noch verhält nismäfsig am besten erträgt. (Jerste und Weizen sind
im ganzen mehr auf die trockeneren Landschaften der Ostseite beschränkt,
die man schon mehr mit den englischen Com Counlies vergleichen kann, und
der Weizenbau nimmt auch nach Süden rasch ab. Ungewöhnlich grofs ist,
im engen Zusammenhang mit der Schafzucht, im ganzen Hafergebiet Neil-
Seelands der Anbau des Futterrüben, besonders der Tumips, so dafs Neu-
seeland in dieser Beziehung unter den Kolonialländern eine ähnliche Stellung
einnimmt wie Grofsbritannien unter den europäischen Ländern. Für die
Schafzucht gilt ungefähr dasselbe wie in Tasmanien; sie vermeidet auch hier
die allzu regnerischen Westküsten, aber findet in den sonnigen Ebenen der
Ostküsten einen aufserordentlich günstigen Boden; die Merinozucht ist auch
hier von der Zucht englischer Fleischrassen zurückgedrängt worden, für die mau
schon ganz allgemein die Mästung auf Turnipsfeldern anwendet, so dafs auch
die Qualität des Fleisches den Ansprüchen des englischen Absatzmarktes genügt.
Fassen wir, ehe wir von dem lehrreichen Buche Abschied nehmen, die
Ergebnisse seiner Untersuchungen im Geiste zusammen, so mufs sich uns,
scheint mir, eine grofse Lehre unwiderstehlich aufdrängen. Wenn auch die
Landwirtschaft der verschiedenen Erdteile in vielen Einzelheiten von dem
Alter und der Art der Besiedelung und mancherlei Nebenumständen abhängig
ist, so finden wir doch der Hauptsache nach unter entsprechenden klima-
tischen Verhältnissen auch entsprechende Ausbildung der Landwirtschaft.
Die Landhauzonen fallen im grofsen und ganzen mit Klimazonen zusammen;
das gilt, wie die Karte zeigt, auch für die Länder, auf welche sich die
Engelbrecht'schen Spezialuntersuchungen aus Mangel an Material nicht er-
strecken. Ganz in derselben Weise wie in der Verbreitung natürlicher
Erscheinungen, z. B. der Ffianzen, die auf den ersten Blick jeder Kegel zu
spotten scheint, die vergleichende wissenschaftliche Betrachtung gesetzmäfsige
Anordnung erkannt hat, so wird uns hier für einen wichtigen Zweig der
Geographie des Menschen durch einwandfreie statistische Untersuchung die
gleiche Gesetzmäfsigkeit der Anordnung erwiesen. So frei auch Willkür und
Zufall in den einzelnen menschlichen Handlungen schalten mögen, wie ja
auch in der Natur ein zufälliger Windstofs das Samenkorn hierhin oder
dorthin trägt; schliefslich pafst sich der Mensch doch ebensogut wie Pflanzen
und Tiere den natürlichen Bedingungen an, weil er nur bei solcher An-
passung den Kampf ums Dasein zu bestehen vermag. Unter den Bedin-
gungen der Landwirtschaft spielen aber, wie aus dem Werke Engelhrecht's
unzweifelhaft hervorgeht, die klimatischen Verhältnisse weitaus die erste Holle.
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Kleinere Mitteilungen.
343
Kleinere Mitteilungen.
Über die geologische Bedeutung der tropischen Vegotationsformationen
in Mittelamerika und Südmexiko.
Nach Carl Sapper.
Sapper hat bei seinem langjährigen Aufenthalt, in den Tropen Mittel-
amerikas und Südmexikos eine Reihe Beobachtungen über den Einflufs der
Pflanzendecke auf den unterliegenden Boden, ihre Einwirkung auf die ver-
frachtende Thiitigkeit von Wasser und Wind sowie die Lockerung der ober-
flächlichen Gesteinsschichten (durch die mechanische und chemische Thätigkeit
der Wurzeln) gesammelt. Obwohl, wie er selbst zugiebt, das Beobaehtungs-
material keineswegs zur endgiltigen Lösung der gestellten Frage ausreicht,
so ist seine Abhandlung doch sehr dazu angethan, eine wirksame Anregung
zur Erforschung des Gegenstandes zu gewähren. Dafs gerade die Verhältnisse
in den Tropen zu derartigen Untersuchungen besonders einladen und viel-
versprechend sind, liegt daran, dafs hier, je nach dem Auftreten oder Fehlen
einer ausgesprochenen Trockenzeit, die gleichmäfsig hohe Temperatur die
extremsten Vegetationsformen schafft, im einen Falle eine fast wüstenartig
armselige Pflanzendecke, im anderen den in überschwäuglicher Üppigkeit sich
darbietenden Urwald.
Bei einer mittleren jährliehen Regenmenge, die weniger als 1 m beträgt,
und die in ein oder zwei Regenzeiten niedergeht, die durch ausgeprägte
Trockenzeiten getrennt werden, pflegen, wie auch sonst in den Tropen, in
Mittelamerika und Südmexiko lichte Grasfluren (Savannen) und xerophile
Buschformation das Vegetationsbild zu beherrschen. Während der Trockenzeit
bieten solche Gegenden ein überaus ödes Bild. Die Grasbüschel der Savannen
sind verdorrt und erscheinen als struppige braune Besen über die weite
kahle Fläche verteilt. Die meisten Sträucher der Buschgehölze haben ihr
Laub abgeworfen und recken die knorrigen Aste mit kahlem Gezweig in die
Luft. Die wenigen immergrünen Formen treten ganz zurück, dagegen be-
herrschen viele, zeitlebens funktionierender Blätter entbehrende Pflanzen,
Cereus-, Opuntia- und Mamillaria- Arten in charakteristischer Weise das
Landschaftsbild.
Der hervorragende Schutz, der dem Boden im allgemeinen durch die
Pflanzendecke gewährt, wird, ist bei solcher Vegetation natürlich auf ein
Minimum reduziert. Fast ungehindert wird der Wind das ausgetrocknete,
durch Risse und Sprünge geborstene und teilweise zerkleinerte Erdreich fassen
und entführen können. Am leichtesten verfällt nach dem Verfasser vulkanische
Asche der äolischen Verfrachtung, daher sind bei dem häufigen Vorkommen
derartiger Böden in dem behandelten Gebiete auch grasbewachsene Ebenen
von löfsartiger Beschaffenheit eine nicht seltene Erscheinung.
Durch mangelnde Ber>ehattung ist der etwa blofsliegende Felsuntergrnnd
der direkten Insolation preisgegeben, welche bei der bedeutenden täglichen
Wilrmeschwankung eine nicht unerhebliche Zertrümmerung des Gesteines nach
sich zieht, und so dem Winde und den später auftretenden Regen wassern
neues Material zur Fortführung liefert, Denn noch ehe bei Beginn der
Regen die Pflanzen ihr Laub entfalten und so dem Boden zu ihren Füfsen
einen merklichen -Schutz ' gewähren können, haben die heftigen Güsse bereits
genügend Gelegenheit gehabt, das während der Trockenzeit gelockerte ober-
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344
Kleinere Mitteilungen.
flächliche Material, soweit dieses nicht bereits vorher vom Winde entführt
wurde, in erheblichen Mengen wegzuspülen. Haben sich dann aber Gräser,
Sträueher und Bäume mit frischem Grün bedeckt, und ist. der Hoden durch
die aufgenommene Feuchtigkeit gebunden, so ist damit die Wirksamkeit von
Wind und Regen ganz erheblich geschwächt; nur die rein erodierende
Thätigkeit der durchfliefsenden Wasseradern schafft noch eine ansehnliche
Menge lockeren Materials fort.
Wie die Savannen und trockenen Huschgehölze, so sind auch die regen-
feuchten Urwälder echt tropische Vegetationsformationen. Sie treten nur in
Gebieten auf, denen mindestens 180 cm Regen zukommt und denen aus-
geprägte Trockenzeiten gänzlich fehlen. Trotz der ungleich gröfseren Menge
Regen aber, die in Urwaldgebietcn niedergeht, vermag dieser dennoch nicht
im mindesten in gleicher Weise das Erdreich fortzuspülen, wie in den
Regionen der trockenen Gehölz- und Grasformationen, da die eigentümlichen
Vegetationsverhältnisse des Urwaldes dem Moden den vorzüglichsten Schutz
gewähren.
Das äufsere Blätterdach des Waldes, die Kronen der gewaltigen Baum-
riesen, ferner die zahlreichen kleineren Bäume, namentlich Palmen und Farn-
bäume, endlich die üppige Bodenvegetation mannigfacher Kräuter und Stauden
schaffen in ihrer Gesamtheit einen etagenartigen Aufbau der Belaubung des
Urwaldes, welcher den Regenfall erheblich verlangsamt und damit die spülende
Wirkung desselben in gleichem Mafse vermindert. In ähnlicher Weise wirken
die Lianen, welche in grofser Zahl von den Baumkronen bis zum Boden
ihre langen Schlingstämme ausspannen, indem sie, ebenso wie die senkrecht
herabwachsendeu Luftwurzeln vieler epiphytischer Gewächse, die fallende
Bewegung des Regenwassers in eine gleitende umwandeln.
Ganz besonders wichtig als Schutz des Bodens der abspülenden Wirkung
der heftigsten Gewitterregen gegenüber ist aber der eigenartige Feuchtigkeits-
baushalt im Urwalde, der selbst bei längere Zeit fehlendem Regen eine mit
Feuchtigkeit fast gesättigte Atmosphäre zu erhalten vermag. Manche der
zahlreichen Epiphyten und ähnliche bodenständige Pflanzen vermögen in dem
dütenförmigen Grunde ihrer Blattrosetten eine nicht unerhebliche Wassermenge
aufzuspeichern und so der (Zirkulation zu entziehen. Das Gleiche gilt von
den Lianen, deren Stammgefäfse unglaublich viel Wasser fassen und festhalten
und erst allmählich durch Verdunstung der Atmosphäre des Waldes über-
mitteln. Das intensive Lichtbedürfnis, welches Epiphyten und Kletterpflanzen
bis in die höchsten Gipfel der Bäume treibt, sorgt auch dafür, dafs diese
Pflanzen am Rande des Waldes sich derart üppig entfalten, dafs hier das
Wirrsal der Blätter ihrer von den Baumkronen und Asten herabhängenden
Zweige eine dichte Wand bildet, die nicht nur die Wirkung der Sonnen-
strahlen erheblich zu schwächen vermag, sondern auch eine Vermischung der
feuchten Innenatmosphäre mit der trockenen Aufsenluft sehr erschwert. Im
allgemeinen kann man mit dem Verfasser sagen, „dafs alle Verrichtungen
des tropischen Urwaldes auf Herabsetzung der spülenden Wirkung der Ge-
wässer hinauslaufen".
Nicht im gleichen Mafse vermag der Urwald die erodierende Thätigkeit
tliefsenden Wassers einzuschränken. Namentlich die Tiefenerosion ist der
schützenden Einwirkung der Pflanzendecke fast ganz entzogen. Nichtsdesto-
weniger ist die Abtragung des Bodens im Urwaldgebiete eiue überaus geringe.
Auch der Wind vermag in dieser Richtung keine nennenswerte Thätigkeit zu
entfalten. Da nun bei der überraschenden Üppigkeit der Vegetation auch deren
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Kleinere Mitteilungen.
345
mechanische und chemische Einwirkung auf den Untergrund natürlich ein»
ganz bedeutende ist, „so ist das Gebiet der regenfeuchten Tropenwälder
zugleich ein Gebiet der Eluvialböden und der Tiefenzersetzung der Gesteine".
Wirksamer Schutz und mächtige Anreicherung gelockerten Bodens sind
demnach die bedeutsamsten Momente des geologischen Einflusses der tropischen
regenfeuchten Vegetation. Hiermit aber stellt sich der Urwald in einen
scharfen Gegensatz zu den trockenen Grasfluren und Gehölzformationen, wo,
wie wir sahen, oberflächliche Zertrümmerung des Gesteins durch die Insolation,
Verfrachtung des Bodens durch den Wind und energische Abspülung desselben
durch die Regenwässer eine hervorragende Holle spielten.
Zum Schlufs seiner Arbeit versucht nun der Verfasser, die gewonnenen
Thatsachen auf die historische Geologie anzuwenden, und führt ungefähr
folgendes aus. Gehen wir von der Voraussetzung aus, dafs in früheren Erd-
perioden das tropische Klima über die ganze Erde oder wenigstens über den
gröfsten Teil derselben ausgedehnt war, und auch damals schon eine ähnliche
Scheidung verschiedener Vegetationsformationen stattgefunden hat wie heute,
so werden auch damals schon auf den Luvseiten der Gebirge regenfeuchte
Wälder bestanden haben, während trocknere Vegetationsformationen die Lee-
seiten und das Windschattengebiet der Gebirgszüge bedeckt haben werden.
Tritt nun, etwa durch die Entstehung eines Gebirges im Gebiete regenfeuchter
Vegetation, lokal eine Veränderung des Klimas ein, so ändern sich mit dem
Charakter der Vegetation natürlich auch sofort die geologischen Einwirkungen
von Wasser und Wind. Ein derart aufgerichtetes Gebirge würde nämlich
auf der Luvseite allein die regenfeuchten Winde zur Kondensation bringen,
welche vorher ein ausgedehntes Gebiet mit Kegen versehen haben. Auf der
Leeseite des Gebirges wird der Vegetationscharakter verändert werden und
eine xerophile Formation zur Ausbildung gelangen. Damit wird aber nun
der einst von üppiger Vegetation überzogene und geschützte und darum an-
gereicherte Boden der Abtragung durch das Wasser überliefert, fortgeführt
und als tonige Ablagerungen wieder abgesetzt.
„Denkt man sich," sagt der Verfasser, „dafs jedesmal mit dem Erdreich
auch ein grofser Teil der absterbenden Vegetation von den l bersehwemmungs-
fluten mitgerissen wird, so kann man sich die Entstehung von Steinkohlen-
flötzen im Anschlufs an derartige Folgeerscheinungen eines entstehenden
Gebirges denken." Während die Abtragung der angereicherten Böden zur
Entstehung thoniger Ablagerungen führt, „so schafft die während der
Trockenzeit einsetzende Insolation durch mechanische Zertrümmerung der
Gesteine die Materialien zur Bildung von Sandsteinen, ßreccien und Kon-
glomeraten.44
Wenn der Verfasser sich in dieser Weise die Entstehung von Steinkohlen-
flötzen denkt, so können wir eine solche Erklärungsweise wohl kaum auf
die Bildung der avisgedehnten und wichtigsten Kohlenablagerungen, diejenigen
der Carbon-Formation anwenden. Denn einmal ist für dieselben in den
weitaus meisten Fällen nachgewiesen, dafs sie aus Pflanzen gebildet wurden,
die an Ort und Stelle gewachsen waren, zum andern aber konnte nach
Sapper die enorme abtragende Wirkung der Regenwässer im gegebenen
Falle sich erst wirksam erweisen, wenn an Stelle der regenfeuchten Vegetation
eine xerophile getreten war, die während der Trockenzeit und jedesmal zu
Beginn der periodischen Regen dem Boden keinen Schutz gewähren konnte;
so könnten also die mit den Massen angereicherter Thonerde fortgeführten
Pflanzenreste nur dieser trockenliebenden Vegetationsformation "entstammen.
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346
Geographische Neuigkeiten.
Die Flora der Steinkohlenperiode stellt man sich aber gewöhnlich als Sumpf-
und Morast - Vegetation vor. Und das geschieht gewifs mit vollem Recht,
denn die Pflanzen der Steinkohlenzeit sind fast ausschließlich Pteridophyten,
und auch die heute lebenden Pflanzen dieser Gruppe sind vorwiegend hygrophile
Formen. Überhaupt ist es nach der Art des Entwicklungsganges der
Pteridophyten kaum denkbar, dafs dieselben je in einigermafsen hervorragender
Weise sich an der Bildung ausgedehnter xerophiler Vegetationsformationen
beteiligt haben. Zudem läfst die Erklärungsweise des Verfassers auch gerade
das Auffallendste bei der Entstehung der Steinkohlenflötze, die enorme Menge
abgelagerter organischer Substanz, vollkommen unerklärt.
Sind so die weitgehenden Spekulationen, zu denen Sapper sich auf
Grund der beobachteten Erscheinungen verleiten läfst, wohl noch etwas
verfrüht, so bietet doch die Arbeit im übrigen unendlich viel Anregung auf
einem noch wenig bebauten Forschungsgebiet. E. Werth.
Berichtigung.
In dem Aufsatz über das Wachstum der Bevölkerung in tfsterreieh-
Ungarn im vorigen Heft ist ein bedauerlicher Fehler untergelaufen. Die für
das Deutsche Reich angeführte Bevölkerungszunahme von 7,78°,, bezieht sich
thatsächlich nicht auf das Jahrzehnt 189(1/1900, sondern auf das Jahrfünft
189.V1900, sodal's der Vergleich mit Österreich und Ungarn hinfällig wird.
A. H.
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitz au.
I Bezugspreis beläuft »ich jährlich auf
Allgemeines. 6 Kronen = 5 Mark. — Einem Berichte,
* Zur Erdbebenforschung. — Das zufolge, den Hofrat v. Mojssisovics in
stetig sich mehrende Beobachtungsniaterial i der letzten Sitzung der naturhistorischen
der Erdbebenereignisse, welches der Lai- Abteilung der k. k. Akademie der Wissen-
bacher Sternwarte vom In- und Auslande | schatten in Wien erstattet hat, soll in
zukommt , sowie eigene Beobachtungen Przibram , dem bekannten böhmischen
halten den Leiter der genannten Warte, I Silberbergwerksorte , in einer Tiefe von
A I b i n B e 1 a r zur Herausgabe einer Monats-
schrift bewogen, von der die erste Lieferung
bereit« erschienen ist Sie soll unter dem
Namen „Erdbebenwarte" zunächst die
auf der Laibacher Warte gemachten Be-
nno m eine Erdbebenstation errichtet
werden, welche mit den gleichen Instru-
menten ausgestattet sein wird, wie eine
gleichzeitig auf der Erdoberfläche zu
errichtende Station, wodurch eine korre-
obachtungen behandeln, besonderes Augen- spondierende Beobachtung auf und unter
merk sodann der Entwicklung der Erd- der Erde ermöglicht sein wird. A. R.
Lebenforschung mit Hilfe von Instrumenten * In Christiania tagt gegenwärtig
widmen und daher alle Neuerungen auf die internationale hydrographische
diesem Gebiete zur Besprechung bringen
Auch geschichtliche Erdbebenberichte wird
die Zeitschrift sammeln und veröffent-
lichen, um durch Vergleichung der früheren
und gegenwärtigen Erdbeben auf die Be-
wegung gewisser Bodengebiete ein klares
Licht zu werfen. Die Monatsschrift er-
Konferenz, bei der Deutschland durch
den Präsidenten des deutschen Seefischerei-
vereins Dr. Herwig in Hannover, sowie
die Professoren Krümmel und Brandt aus
Kiel, Heincke aus Helgoland und Henking
aus Hannover vertreten ist. Auf der
Konferenz soll das 181)'.) in Stockholm
scheint im Verlage des Herausgebers; der angenommene Programm für die in diesem
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Geographische Neuigkeiten.
347
Jahre beginnenden und gemeinsam aus-
zufahrenden hydrographischen Arbeiten
weiter ausgebaut werden und möglicher-
weise auch die Frage über den Sitz des
Zentral-Instituts Erledigung finden. Als
erfreulich ist mitzuteilen, dafs Deutsch-
land für diese Zwecke einen besondern
Dampfer bauen liifst. Die Kosten des-
selben betragen 300000 JC, und hierzu
kommen die laufenden Ausgaben, zu
denen das Reich 120000 . « und Preufsen
30000 .4C für das Jahr hergiebt. Für
die regelmäfsigeu Fahrten, deren alljähr-
lich für den Zeitraum von mindestens
fünf Jahren vier stattfinden, nämlich im
Februar, Mai, August und November, wird
noch ein zweiter Dampfer gemietet, da
Deutschland bei den internationalen For-
schungen sowohl die Ostsee wie die Nord-
see zu befahren hat. Norwegen besitzt
bereit« in dem „Michael Sars" ein vor-
treffliches Fahrzeug, Rufsland unterhält
seit einigen Jahren an der Murmanküste
eine ständige hydrographische Expedition,
deren Fahrzeuge auch für die kommenden
Forschungen zur Verfügung stehen. Hol-
land, Dänemark und Schweden stehen im
HegriflFe, besondere Schiffe auszurüsten,
nur von England ist unbekannt, ob es
ein besonderes Fahrzeug bauen will oder
sich mit einem andern Schiffe begnügt.
Inzwischen hat sich auch noch Belgien
bereit erklärt, an den Meeresforschungen
teilzunehmen; Frankreich dagegen, das man
gleichfalls aufforderte, lehnte ab. (K. Z.)
Europa.
♦ Uber das Wachstum des Ver-
kehrs in den gröfsten europäischen
Häfen seit 1880 veröffentlicht La Geo-
graphie (April 1901 S. 320) folgende be-
merkenswerte Tabelle:
1880
1890
1899
in Tausenden Tonnen
London
6 970 (i)
7 709 (i)
9 438 (i)
Liverpool . .
4 913 (2)
6 782 (*)
6 152
(M
Marseille. . .
2 769 (4)
3 459 (5)
4 699
(«)
Le Havre .
l 970 («)
2 159 (7)
2 176
(8)
Bordeaux .
1 013(10)
1 091 (11)
976
(11)
Dünkirchen .
766(ii)
1 257 (10)
1 366
(10)
Antwerpen
3 064 (3)
4 606 (4)
6 873
(S)
Rotterdam .
1 682 (7)
2 918 (6)
6 323
(4)
Amsterdam.
1 077 (9)
1 484 (9)
1 813
(9)
Hamburg . .
2 767 (5)
5 203 (s)
7 766
(2)
Bremen
1 169 (8)
1 734 (s)
2 407
Gl
Am augenfälligsten zeigt diese Zu-
sammenstellung das Wachstum der
deutschen Häfen und der niederländischen
Häfen mit deutschen Provenienzen, während
sich andererseits bei den französischen
Häfen nur ein geringes Wachstum be-
merkbar macht. Das Wachstum der
englischen Häfen schreitet relativ viel
langsamer vorwärts als das Hamburgs,
dessen Verkehr sich in den 19 Jahren fast
verdreifacht hat.
* Ein weitverzweigtes submarines
Kabelnetz, das Deutschland von den
englischen Linien unabhängig machen
und eine direkte Verbindung zwischen
Deutschland und seinen überseeischen
Besitzungen herstellen soll, soll in den
nächsten Jahren zum Ausbau gelangen.
Im Oktober 1900 ist die Linie Kiautschou —
Tschifu eröffnet, die man gegenwärtig
bis nach Schanghai und Kanton weiterführt.
Später soll ein Zweigkabel von Kiautschou
nach Nagasaki gelegt und dadurch die
Verbindung mit dem geplanten nordameri-
kanischen Facific-Kabel hergestellt werden,
wahrend das Hauptkabel weiter nach
Manila, Sumatra, Bomeo, Neu-Guinea und
den Karolinen fortgeführt werden soll.
Von den Azoren, wo sich eine Station des
deutsch -amerikanischen Kabels befindet,
wild eine Linie südwärts über die Kap
Verde -Inseln nach Südamerika mit den
Stationen Bahia, Rio de Janeiro und
Montevideo gelegt werden. Auf der Ost-
seite des atlantischen Ozeans wird ein
Kabel die Verbindung mit Marokko, Togo
und der Guinea- Küste, Kamerun und
Deutsch - Südwestafrika herstellen, sodafs
man nach Fertigstellung aller dieser Linien
von Deutschland aus ohne Benutzung eng-
lischer Linien nach allen deutschen über-
seeischen Besitzungen wird telegraphieren
können. Den atlantischen Ozean durch-
kreuzen deutsche Kabel, im Stillen Ozean
stellt das nordamerikanisch-paci fische
Kabel, das dann vollendet sein wird,
die Verbindung her.
* Französische Kanalprojekte. —
In der Gesetzesvorlage, welche die franzö-
sische Regierung vor kurzem der Kammer
vorgelegt hat, sind für Wasserbauten nicht
weniger als 611 Millionen Francs ein-
gestellt. Diese Bauten umfassen Ver-
besserungen bestehender und Schaffung
neuer Wasserstrafsen, um den Wettbewerb
mit dem Auslande besser aufnehmeu zu
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348
Geographische Neuigkeiten.
können. Au« dem der Vorlage bei-
geschlossenen Berichte entnehmen wir fol-
gende der wichtigsten Projekte: Geradc-
legung und Vertiefung der Loire von
Nantes lux Angers in einer Länge von
x4 km. Kanäle von der Rhone einerseits
nach C e 1 1 e , andererseits nach M a r s e i 1 1 e
(siehe Jhrg VI S. 49). Loirc-Khöne-
Kanal über St. Ktienue, 130 km lang; der-
selbe wird bedeutende technische Schwie-
rigkeiten bieten, da er eine Pafshühe von
657 m zu fiberwinden haben wird, Per
Chierskanal (86km) und der Kanal von
der Scheide «vir Maas (154 knii werden
Dünkirchen und das nordfranzösische
Kohlen- und Industriegebiet mit dem Eisen-
erzgebiete von Longwy verbinden; von der
Länge des letzteren entfallen 12 km auf
den bereit« bestehenden Sambre-Oisc-
Kanal. Von der gröfsten Bedeutung wird
der aus mehreren Teilen bestehende N o r d -
kanal sein, da er die Kohlenbecken der
Departements Nord und Pas de Calais mit
Paris in unmittelbare Verbindung setzen
wird. Kr soll vor allem den St. Quentin-
Kanal entlasten. Seiuc Teile sind: Der
Kanal von Arleaux am Senate nach Pe-
ronne am Somme (45 km), der Ausbau
des Somme-Kanals von Peronne bis Harn
(35 kntl und der Kanal von Hain zum
Oise-Seitenkanal bei Noyon 20 km . End-
lich wäre noch zu erwähnen die Ver-
bindung des Canal lateral von Sancoins
nach M o u 1 i n s , der Hauptstadt des kohlen-
reichen Departements Allier. A. It.
* Durch den soeben herausgegebenen
dritten Anhang der Superticic del regno
d'Italia ist die geodätische Aufnahme
des Königreichs Italien vollendet.
Der Anhang behandelt die Insel Sardi-
nien, deren Fläche auf 23 «.'{3,3 qkm
berechnet ist, so dafs die Gesamtoberfläche
Italiens danach 2*6 6*2,2 qkm beträgt.
Verglichen mit der Karte Sardiniens
in 1:50 000 vom Jahre 1884 stellt sich
das Areal dieser Insel um 33,7 qkm gröTser
da. Dieser Unterschied wird keineswegs
auf ungenaue Aufnahmen gescholten,
sondern entspricht wahrscheinlich dem
natürlichen Zuwuchs der Insel in den
letzten 17 Jahren, indem die zahlreichen
kleinen Küstenflüsso grofsc Krdmassen
nach der Küste verfrachtet und dadurch
diese weiter hinausgerückt haben. Be-
sonders ist dies im Golf von Uagliari und
im Golf von Oristano der Fall, in den der
Ti>«o, der gröfste Flur* der Insel, ein-
mündet. W. H
Asien.
* Die Seen Tenis und Kurgal-
d sch in in der Provinz Aknmlinsk
(Westsibirien). Die westsibirische
Zweigabteilung der Kais. Russ. Geogr.
Ges. hat im Sommer 18UH durch P. Igna-
tow die grofsen Seebecken in der west-
sibirischen Provinz Akmolinsk, namentlich
die beiden Salzseen Tenis und Kurgal-
dschin 100, bezw. 150 Werst südwestlich
der Stadt Akmolini%k erforschen und ver-
messen lassen. Herr Iguatow veröffent-
licht in Heft 4 der „Iswestija'1 1»00 über
die Ergebnisse seiner Untersuchungen
interessante Einzelheiten, die um so be-
merkenswerter sind, als jene Seen bis
jetzt nur ganz oberflächlich nach Lage,
Größe, Beschaffenheit bekannt waren.
Das Becken des inselreichen Tenis, des
westlicheren der beiden Seen, umfafst
nicht weniger als 1520 qkm, nimmt so-
mit in «ler Reihe der russischen Binnen-
seen die 20. Stelle ein. Die mittlere
Tiefe beträgt 5—6' , m, übertrifft also
erheblich die Tiefe der anderen west-
sibirischen Seen." Das stark salzhaltige
Wasser hatte im Mai eine Durchsichtig-
keit biB zu 4 m. Der See trägt durchaus
das Gepräge eines Binnensees der west-
sibirischen Steppenlandschaft: flache Ufer,
leicht wellige, mit Waldgruppen be-
setzte Steppe. Er nimmt im Gegensatz
zu den meisten anderen Wasserbecken
Westsibiriens langsam an Umfang zu,
erhält am
riehen Zuflufs von den
Hügelreihen der Karkaralinsk'schen Kette,
die als niedriger Granitrücken das Berg-
land von Tarbagatai nach Nordwesten
hin fortsetzt. Der erstaunliche Fisch-
reichtum des Sees lockt in den Winter-
monaten die kirgisischen Nomaden der
umliegenden Steppen an seine Ufer. Der
See Kurgaldschin liegt etwa 15 Werst
östlich des Tenis und umfafst bei einer
Durchschnittstiefe von nur 2 in eine Ober-
fläche von 456 qkm. Er ist mehr ein
Durehflulssec der Nura als ein selbstän-
diges Wasserbecken, vielfach mit Schilf
durchwachsen. Im übrigen sind Salz-
gehalt und Fischreichtum dieselben wie
beim See Tenis. Immanuel.
* Volkszählung in Indien 1901. In
auffallend kurzer Zeit sind die Ergebnisse
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Geographische Neuigkeiten
349
der im Jahre 1901 vorgenommenen Volks-
zählung in Britisch-Indien veröffentlicht
worden. Danach zählen die britischen
Territorien 231 085 (»00 Kinwohner {gegen
231266 000 im Jahre 1801), die Einge-
borenen-Staaten 63 182 000 Einwohner
(gegen 66 050 000 i. J. 1801), ganz Indien
somit 204 266 000 E. (gegen 287 317 000
i. J. 181)1). Die G esain tzuuahme beträgt
in dem Jahrzehnt 18Ü1 bis lüOl 6 047 653
Seelen (2,42 %), doch erniedrigt sich die-
selbe auf 4 283 060, wenn man die neuer-
dings angeschlossenen Nordwestterritorien
an der Grenze von Afghanistan, die zum
ersten Male mit aufgelührt werden, weg-
läfst. Dann beträgt die Zunahme von
1801 bis 1901 nur 1,49 %, während sie
sich im Zeiträume von 1881 bis 1891 auf
11,2°0 belief. Einige Landschaften zeigen
sogar eine sehr bedeutende Abnahme der
Bevölkerung, was auf die Test und Hun-
gersnöte zurückzufuhren ist. (D. Hund-
schau f. G u. St. 1901. S. 373.)
* Ein erneuter Versuch, die bis-
her noch unbekannte Flufsstrecke des
Sanpo-Brahmaputra, auf der er den
östlichen Himalaja durchbricht, zu er-
forschen, ist in diesem Jahre von der
Survey of India angestellt worden. Wenn
auch die Identität des Sanpo mit dem
Brahmaputra zweifellos feststeht, so
ist doch die Kenntnis der noch unbe-
kannten Flufsstrecke deshalb von beson-
derem Interesse, weil der Flufs auf dem
130 englische Meilen langen, unbekannten
Laufe einen Höhenunterschied von 3000 m
überwinden und deshalb eine lange Kette
vou Stromschnellen und Wasserfällen
bilden mufs. Mit der Ausführung der
Erforschung wurden zwei Gurkha- Feld-
messer betraut, die für die Reise besonders
vorbereitet worden sind; die Keiseanord-
nungen an Oit und Stelle traf der poli-
tische Agent in Sadija, Needham , der
sich schon lange mit der Lösung des
Problems beschäftigt hat. Aus den bis
Ende März 1901 reichenden Nachrichten
über die Expedition geht hervor, da Ts die
Heise auf dem rechten Ufer des Flusses
ausgeführt wird. Um den Widerstand
der Passi- Minjong, die aus Furcht , den
einträglichen Zwischenhandel zu verlieren,
sich bisher jeder Erforschung des Flusses
erfolgreich widersetzten, zu überwinden,
war Needham schon vorher mit dem Älte-
sten von Kebang, der Hauptniederlassung
der Passi-Minjong auf dem rechten Ufer,
in Unterhandlung getreten und hatte sich
seiner Hilfe für die Expedition versichert.
Uberraschend klingt die Nachricht, dafs
der Marsch von Sadija durch Kebang
nach Gyala Sindong, der tibetanischen
Grenzstadt, unverhältnismäfsig bequem
war, da nördlich von Kebang das Land
offen und wellig war und keine Gebirge
zu überschreiten waren, .sodafs nur 10
Halte gemacht zu werden brauchten.
Hinter den Passi-Minjong wohnen die
ihnen verwandten und ihre Sprache spre-
chenden Pangis, ein strebsames Handels-
volk, das erst nach langen Unterhand-
lungen den beiden Ghurkhas den Durchzug
durch ihre Gebiete gestattete; am 18.
März wurde die Reise durch das Gebiet
der Pangis angetreten, weitere Nachrichten
fehlen. (Geogr. Journal 1901, Mai S. 525.)
* Volkszählung in Korea. Die
Zahl der Einwohner vou Korea kann
immer nur annähernd augegeben werden.
Auch die letzte Volkszählung (die erste
war im Jahre 1898, seitdem wird jährlich
eine solche vorgenommen) giebt bei der
Unzuverlässigkeit aller von koreanischen
Beamten aufgestellten Statistiken nur
einen ungenauen aber doch annähernden
Überblick über die Einwohnerzahl. Nach
der neuesten Statistik hatte Korea am
81. Dezember 1900 im ganzen 5 608 151
Einw., 3 102 650 Männer und 2 505 501
Frauen, gegen 5 340 901 Einw. im vorher-
gehenden und 5 299 770 i. J. 1898. Die
Einwohner Koreas verteilen sich auf die
einzelnen Provinzen wie folgt: Soeul
196898, Kjöng-Kwi 669 798, Nord-Tschöng
276 882, Süd-Tschöng 422 602, Nord-
Tschölla 386 132, Süd-Tschölla 437 600,
Nord - Ongsang 590 602 . Süd - Ongsang
483 616, Skang-Wrön 276 736, Hwan-Hai
361 907, Süd-Pjöng-Jan 390 297, Nord-
Pjöng-Jan 393974, Süd-Harn gjöng437019,
Xord-Ham-gjöng 285 028. (D. Hundschau
f. G. u. St. 1901. S. 874.)
* Eine abermalige Verlegung der
abessinischenHesidenz, der siebenten
seit seinem Regierungsantritt, hat der
Negus Negest Menelik zu Anfang des
Jahres 1901 vollzogen, indem er zu dieser
Zeit seinen Wohnsitz von Adis Abeba
nach dem 60km westlich davon liegenden
Adis Alam verlegte, wo er in den letzten
350 Geographische
Monaten des Jahres 1900 die Errichtung j
der neuen Stadt überwacht hatte. Die
. neue Residenz liegt herrlich inmitten
alter Waldungen, jedoch mangelt es an
Waaser, woran Adis Abeba Übertlufs hatte.
Der Grund zur Verlegung des Wohnsitzes
dürfte weniger in politischen Krwiigungen
als darin zu suchen sein, dafs ringsum
von Adis Abeba infolge von Waldver-
wüstung ITolzmungel zu Bau- und Heiz-
zwecken eingetreten war, weshalb eine
andere waldreiche (legend aufgesucht
wurde. Die fremden, in Adis Abeba an-
sässigen Kaufleute sind von dem Hesidenz-
wechsel wenig erbaut , da sie mit ihren
steinernen Häusern und ihren Warenlagern
dem Negus Negest nicht ohne weiteres
in die Waldsebluehten folgen können.
Vorläutig bleibt jedoch Adis Abeba die
wichtigste Stadt Sehoas und der Sitz der
fremden Vertreter.
Australien.
+ Den Bau einer t ran skouti ue n -
talen australischen Kiseubahu,
welche West -Australien mit den östlichen
Bundesstaaten verbinden soll, plant die
Bundesregierung Australiens. Jetzt ist
Westaustralien ganz ohne Landverbindung
mit den östlichen Staaten, und der öst-
lichste Punkt seines 1892 engl. Meilen
langen Eisenbahnnetzes, Kalgoorlie, liegt
noch ungefähr 1000 engl. Meilen von
Port Augusta am Spencer - Golf, wo das
ostaustralische Eisenbahnnetz endigt, ent-
fernt. Es soll nun eine Eisenbahn von
Kalgoorlie nach Port Augusta gebaut
werden, die sich an dergrofsen aust ralischen
Bucht hinziehen und durch eine von
zivilisierten Menschen fast noch unbe-
tretene Gegend führen wird. Das Land,
ein horizontales Tafelland, wird dem
Bahnbau keine besonderen Hindernisse
in den Weg legen, sodals die für die
Entwickelung West-Australiens unbedingt
nötige Verbindung mit dem Osten bald
hergestellt seiu wird. Der Verkehr auf
der zu erbauenden Eisenbahn wird vor-
aussichtlich sehr grofs werden, da von
Heisenden die kürzere Eisenbahnfahrt
meistens der Seereise durch die meist stür-
mische Australbucht vorgezogen werden
wird. Aulserdem verspricht auch die Bahn
durch die Ersehliefsung bisher noch uner-
forschter (iebiete, iu denen grofserMineral-
rcichtum vermutet wird, grofsen Gewinn.
Neuigkeiten.
Nordamerika.
* Die Ergebnisse der nordaine-
rikanischen Erdmessung In Nord-
amerika werden seit vielen Jahren nach
einem einheitlichen Plane grofse Ver-
messungen ausgeführt, die nicht nur die
Unterlage für genaue Landesaufnahmen,
sondern auch für eine neue und schärfere
Ermittlung der Gröfse und Gestalt der
Erde bildeu. So ist unter 39° nördl. Br.
ein Bogen der Erdoberfläche vermessen
worden, der vom Atlantischen bis zum
Stillen Ozean reicht und dessen Endpunkte
49° Längenunterschied aufweisen. Der
höchste Vcrmessungspunkt dieses unge-
heuren Bogens liegt in 4300 m Seehöhe.
Ans dieser Vermessung in Verbindung
mit derjenigen an den grofsen Seen er-
picht sich für den äquatorialen Halbmesser
der Erde eine Gröfse von 6377 912 m, für
den Polarhalbmesser um 0 356 309 m. Ein
zweiter, schräg zum Meridian liegender
Bogen von 22° Ausdehnung ist von der
nordöstlichen Grenze iu Maine bis zum
südwestlichen Ende von Alabama am Golf
von Mexiko gemessen worden. Aus dieser
Messung folgt für den äquatorialen Erd-
halbinesser eine Länge von 637« 157m,
für den Polarhalbmesser von 6357210m.
Diese Messungen stimmen in sehr befrie-
digender Weise mit den aus frühereu
Erdmessungen von Clarke abgeleiteten
Mittelwerten übereiu. Demzufolge kann
man annehmen, dafs der äquatoriale Erd-
halbniesser rund 637HOOO, der polare
6 3ö6 700 in beträgt, und dafs diese Zahlen
bis auf ein paar hundert Meter richtig
sind , sodafs nun die Länge der Halb-
messer unseres Erdballes bis auf eine
Gröfse genau bekannt ist, welche etwa
der Länge der festen Hheinbrücke bei
Köln gleichkommt K. Z )
Polarregionen.
* Lediglich zu dem Zwecke, den
Nordpol zu erreichen, nicht um unsere
Kenntnis der Polarregionen zu erweitern,
werden in diesem Sommer zwei nord-
a merikauische N o r d p o 1 e x p e d i -
tiouen polwärts aufbrechen. Für die
Ausrüstung der einen Kxpedition hat
ein amerikanischer Millionär Ziegler eiue
Million Dollar zur Verfügung gestellt,
wofür sich der Kührer der Expedition
Baldwin verpflichtet hat, auf jeden Kall
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Geographische Neuigkeiten.
351
das Sternenbanner anf dem Pol aufzu-
pflanzen. Baldwin, ein früherer Gefährte
Peary's und Wellman's, will mit drei
Schiffen nach Franz - Joseph - Land auf-
brechen, vor Anbruch des Winters das
eine Schiff wieder zurückschicken, die
anderen aber zu seiner Verfügung dort
behalten. Zur Schlittenreise will er aufser
Hunden auch einige sibirische Ponies
mitnehmen, von denen er hofft, dafs sie
sich in den schwierigen Eisverhilltnissen
bewähren. Die andere Expedition leitet
der Amerikaner Well man, der mit
dem Fangschiff „Magdalena" Anfangs Juni
von Norwegen nach Franz - Josephs - Land
autbrechen will, um von hier aus nach
Errichtung eines Depots mit Hunden und
Kajaks polwärt« vorzudringen. Die „Mag-
dalena" kehrt wieder nach Tromsö zu-
rück und soll im nächsten Jahre die Ex-
pedition von dem errichteten Depot wie-
der abholen.
Vereine und Versammlungen.
* Der vierte italienische Geo-
graphentag wurde in der Osterwoche
in Mailand abgehalten. 400 Personen be-
teiligten sich an demselben. Am 10. April
fand die feierliche Eröffnung unter Be-
teiligung der höchsten Behörden Mailands
Btatt; der König hatte selbst das Patronat
übernommen. Nach Ansprachen des Prä-
sidenten Vigoni und des Bürgermeisters
von Mailand ergriff der Unterrichts-
minister Naai das Wort. Er überbrachte
die Grüfse des Königs und der Regierung,
die vom Geographentag wertvolle Kat-
schläge für die grofsen Probleme der
Auswanderung und der Kolonisation er-
warte. Nach Würdigung der grofsen
Fortschritte der Erdkunde im 19. Jahr-
hundert verbreitete sich der Minister
über die Mängel des geographischen
Schulunterrichts, die nach ihm nicht nur
von den Lehrplänen, sondern auch von
den Lehrern herrühren. Abends fand ein
Festabend mit Konzert statt. Der 11.
und 19. April waren den Abteilungs-
sitzungeu gewidmet. In der Abteilung
für Unterricht entwickelte Prof. Bellio
von der Universität Pavia seine Ideen
über Hebung des geographischen Unter-
richts; er stellte fest, dafs man nach
zwanzigjährigem Bemühen noch keinen
Schritt vorwärts gekommen sei, und forderte
vor allem Anerkennung der Geographie als
selbstatändiges Fach für die höheren Stu-
dien und Prüfungen. In der anschliefsen-
den Erörterung betonte Prof. Bertolini
(Univ. Bologna) die Notwendigkeit, beson-
dere Lehrstühle der Geographie zu er-
richten und dieses Fach nicht, wie bis-
her, den Historikern im Nebenamt zu
übergeben. Dann werde man auch tüch-
tige Lehrer der Geographie für die Gym-
nasien und anderen Mittelschulen erhalten.
Prof. Minutilli kritisierte die Lehrpläne
der letzteren. Trotz lebhafter Debatte
kam man zu keinem Beschlufs. Minutilli
verlas hierauf den Bericht Bertacehi's
„über die Notwendigkeit eines Lehrstuhls
der mathematischen Geographie an den
wichtigsten Universitäten des Königreichs".
Schliefslich wurde ein Ausschufs ein-
gesetzt, um ein Iteformprogramm iür den
geographischen Unterricht aufzusetzen.
Am 12. besprach Prof Amat i den geogra-
phischen Unterricht in den höheren Schulen
seit lhCO, auch er wufste so gut wie nichts
von Fortschritten zu berichten. Gleich-
zeitig beklagte er, dafs die Atlanten das
Trentino und das Julische Venetieu" (ital.
Sprachgebiet des Küstenlandes) vernach-
lässigten. Bruzzo aus Bologna trat für
geographische Ausflüge mit deu Schülern
der technischen Schulen und der Lehrer-
seminare ein. In der geschichtlichen Ab-
teilung verteidigte Prof. U ziel Ii aus Flo-
renz die Echtheit des Briefes Toscanelli's
an Columbus und der Schriften Vespucci's.
Grasso behandelte die Greuzen der histo-
rischen Geographie und verlangte gröfsere
Berücksichtigung und Pflege derselben.
Pulle gab Mitteilungen über die antike
Kartographie Indiens und zur Ethnologie
und Linguistik Italiens. In der Wirt-
schaft«- und handelsgeographischen Abtei-
lung wurde namentlich die Auswanderuugs-
frage beraten, ein für Italien gegenwartig
sehr aktuelles Thema. Senator Bodio kriti-
sierte die Auswanderung8- Gesetzgebung.
Er trat für Schutz und Leitung der Aus-
wanderung ein und stellte namentlich die
deutschen und irischen Hilfsvereine ala
vorbildlich hin. Allgemeine Vorträge
hielten Hugues ausTurin über die wissen-
schaftlichen Ergebnisse der Nordpolar-
forschungen, (Jora über Montenegro, der
Genfer Bertrand in französischer Sprache
über die Ba-Rotsc am oberen Sambesi.
Er erläuterte seinen Vortrag durch Pro-
jektionsbilder. Mit dem Geographentag
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352
Bücherbefiprechungen.
war eine Ausstellung alter und neuer
Karten und Pläne von Mailand und Um-
gegend verbunden, sowie eine vom Rad-
fahrklub veranstaltete Ausstellung, welche
die Kntwickelung der Verkehrswege und
Verkehrsmittel veranschaulichte. Z.
Geographischer Unterricht.
* Per I'rivntdoxent der Geographie und
Ethnographie an der Universität Leipzig,
Dr. Weule, ist zum etatsmäßigen außer-
ordentlichen Professor für Ethnographie
und Prähistorie an derselben Universität
ernannt worden, nachdem er kurz, vorher
vom Rath der Stadt Leipzig zum II. Direktor
lies dortigen Museums für Völkerkunde
ernannt worden war.
Persönliches.
* Im April starb zu Waiblingen in
Württemberg «1er Afrikaforscher Dr. Hein-
rich Schlichter an den Folgen der
Malaria, die er sich auf einer Reise nach
Südafrika 18i>7 — 98 zugezogen hatte.
Von Geburt und Krziehung ein Deutscher,
hatte Schlichter vor lungeren Jahren schon
die englische Nationalität angenommen
und war in den letzten Jahren im englischen
Interesse an der Erforschung Südafrikas
und seiner alten Goldniinen und Kultur-
stätten thätig gewesen. Seine geo-
graphischen Studien, die er im Geogr.
Journal, in Petermann's Mitteilungen und
vereinzelt auch in dieser Zeitschrift ver-
öffentlichte, befaßten sich mit der Geo-
graphie Afrikas.
Büclierbesprechangen.
HÖck Dr. F., Pflanzen der Kunst-
bestände N o r d d e u 1 9 c h 1 a n d s
als Zeugen für die Verkehrs-
gesohichte unserer Heimat.
Forschungen zur deutschen Landes-
und Volkskunde. XIII. 2. Stutt-
gart 1900.
Nachdem frühere Abhandlungen des
Verf. den natürlichen Formationen Nord-
deutsehlands gewidmet waren, behandelt
das vorliegende Heft die Anbaupllanzen
und namentlich die Unkräuter demselben
Gebietes
Die Zunahme des Verkehrs im Laufe
der Jahrhunderte hat eine solche der
Kulturpflanzen hervorgerufen, obwohl
viele früher angebaute Arten ganz ver-
schwunden sind oder nur noch als Un-
kräuter ihr Dasein fristen. Die ersten
Aubaupflanzen wurden der heimatlichen
Flora entnommen, und andere Bestand-
teile der letzteren begleiteten sie gegen
den Willen des Menschen in dessen
Kulturen. Später traten zahlreiche Kultur-
pflanzen und Unkräuter aus dem Süden
hinzu, während der Norden gar keine,
der Osten nur wenige beisteuerte. Die
Entdeckung Amerikas bereicherte die
europäischen Kunstbestände mit einigen
neuen Kulturpflanzen und mit zahlreichen
Unkräutern, welche letzteren, seit den
fünfziger Jahren des gegenwärtigen Jahr-
hunderts, in rascher Zunahme begriffen
sind. Süd -Afrika hat zwar zahlreiche
Zierpflanzen, bis jetzt aber nur eine Un-
krautart, Valuta COTOnopifoJia , geliefert,
während Australien, sowie das antarktische
Süd -Amerika in der UnkrautUora bis
jetzt unvertreten sind.
Die wertvolle Arbeit behandelt nach-
einander: 1) lue heutigen Anbaupflanzen
Norddeutschlands (mit Ausnahme der
Nährpflanzen, die bereits für ganz Mittel-
europa den Gegenstand eines früher er-
schienenen Heftes der Sammlung bilden).
%) Die einst angebauten Pflanzen. 8) Die
Unkräuter.
her Ii. Abschnitt, bei weitem der aus-
führlichste, behandelt in seinem ersten
Kapitel die schon vor der Mitte des
III. Jahrhunderts gefundenen Unkräuter
Acker-, Garten-, Rudernlunkrü uteri und
zwar nicht bloß bezüglich deren Ver-
breitung in Norddeutschland, sondern
auch nach ihrem Vorkommen in einigen
überseeischen tiebieten. Das zweite Ka-
pitel bespricht mit der gleichen Gründ-
lichkeit und Sachkenntnis die in den letzten
Jahrzehuten eingeführten Unkräuter (An-
kömmlinge und AdventivpHanzenp.
Bin Schlußbericht bringt allgemeine
Betrachtungen über die Heimat der nord-
deutschen Kulturpflanzen, die Zeit ihrer
Einführung und die Beeinflussung ihrer
Wanderungen «buch die Wandlungen der
Verkehrsmittel. Schimper.
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Bücherbesprechungen.
353
Geizer, Geistliches und Weltliches
aus dem türkisch-griechischen
Orient. XII, 258 SS. Leipzig,
B. G. Teubner 1900.
Wie schon der Titel andeutet, nimmt
das Geistliche in diesem Buch die erste
Stelle ein, das Weltliche erst die zweite.
Und zwar will G. seine Leser in die Ge-
danken und Bestrebungen der t'onstan-
tinopolis Christiuna einführen, die, wie
er mit Kecht bemerkt, dem gewöhnlichen
Orientreisenden wenig oder gar nicht be-
kannt ist. Und es ist ja auch nur zu
natürlich, dafs die meisten Besucher in
Konstantinopel die türkische Stadt neben,
nur Bie beachten, und an die christlichen
Kiemente der Bevölkerung kaum denkeu.
Und doch ist es im höchsten Grade
interessant diese Verhältnisse kennen zu
lernen. Wir befinden uns dort vor allem
im Bereich der orthodoxen Kirche. Ihr
Haupt ist der ökumenische Patriarch
von Konstautinopel. Aber seine Macht
ist nicht entfernt mit der des römischen
Papstes zu vergleichen. Denn einmal
hat er neben sich die «heilige Synode
und den nutionalen immerwährenden ge-
mischten Rat, die bedeutende Hechte be-
sitzen, so das Wahlrec ht und die Beauf-
sichtigung des Kirchenvermögeus. Und
dann ist der Patriarch nicht das Ober-
haupt aller Orthodoxen; denn jeder
politisch selbständige Staat ist auch
kirchlich selbständig, so sind aufser der
russischen Kirche auch die von Griechen-
land, Serbien, Montenegro u. s. w. auto-
kephal, und seit 1872 haben sich auch
die Bulgaren losgesagt. Diese stehen
unter einem eigenen Exarchen, der eben-
falls in Konstantinopel residiert. So
zeigt sich klar der grofse Unterschied
zwischen römischer und orthodoxer Kirche :
bei jener eine einheitliche, stratfe und da-
her machtvolle Organisation, bei dieser
systematische Schwächung der eigent-
lichen Zeutralgewalt des byzantinischen
Patriarchat«. Allerdings scheint der
Höhepunkt der Zersplitterung jetzt über-
wunden zu sein; es mehren sich die An-
zeichen einer zentripetalen Strömung,
aber es wird wohl noch lange dauern,
bis sie zu greifbaren Resultaten führt.
An zweiter Stelle nach der griechischen
Kirche steht die armenische; ihr Patriarch
hat seinen Sitz in Kuui-Kapu, westlich
der Aja Sophia. Und schliefslich haben
Geographisch« Zeitichrift. 7. Jahrgang. 1V01. ti
auch die katholischen Institute unter
dem lateinischen Patriarchalvikar von
Konstantinopel eine grofse Bedeutung.
Der weltliche Teil des Buches handelt
über die Türken und die unterworfenen
Völker. G. ist zu derselben Anschauung
gekommen, wie sie schon oft von ge-
naueren Kennern des Volkes ausgesprochen
ist. Das türkische Volk ist gut, brav,
ehrlich und würdevoll , der türkische
Beamte ist schlecht, faul, untauglich.
Die Staatsmänner, die früher die Türkei
grofs gemacht haben, sind keine Türken
gewesen; an den Türken wird die Türkei
zu Grunde gehen. Sehr günstig urteilt
G. über die Griechen der Türkei; auch
für die Armenier tritt er ein. Denn er
giebt zwar zu, dals der armenische Kauf-
mann ohne viel Skrupel seinen Gewinn
annimmt, wo er ihn findet; aber er be-
tont mit Kecht, dal» sich damit die ent-
setzlichen Armeniermorde nicht recht-
fertigen und auch nicht erklären lassen.
Denn diese haben besonders den braven
armenischen Bauernstand getrotfen. Sie
sind von oben her befohlen worden, da-
mit ein den Türken fremdes Volkselement
in Kleinasien vernichtet würde.
Schon aus dieser kurzen Inhaltsaugabe
geht hervor, dafs der 1. Teil der wert-
vollste des Buches ist. Uber die Türken
und die unterworfenen Völker ist schon
oft und gut gesprochen und geschrieben
worden; aber über die kirchlichen Ver-
hältnisse der christlichen Türken erfahren
wir aus Reisebeschreibungen so gilt wie
nichts. Dafs wir hierüber durch G. unter-
richtet werden, dafür müssen wir be-
sonders dankbar sein. Sein Studiengebiet
hatte ihn schon seit langer Zeit in Ver-
bindung mit einer Reihe von eintlufsreichen
Persönlichkeiten gebracht, er fand im
Orient manchen seiner alten Jeneusischen
Schüler wieder und lernte die hervor-
ragendsten Kirchenfürsten persönlich
kennen. So beruht seine Darstellung
auf den denkbar besten Quellen.
Dr. W. Rüge.
Ktitschera, Max, Macao, der erste
Stützpunkt europäischen Han-
dels in China. Wien 1900. tfc a.
Ein mit photo- und lithographischen
Landschaftsbildern gezierter Bericht über
die portugiesische Kolonie Macao bei
Hongkong. Dem deutscheu Leser dürfte
Heft. 24
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854
B ü ch e r b c « p re e h u n ge n.
das kleine, 5 Bogen starke Bach gerade
jetzt gelegen kommen, wenn auch die
vor einiger Zeit in der Presse aufgetauchte
Nachricht von dem geplanten Ankauf
Macaofi durch das Deutsche Reich sich
nicht bestätigt hat. Der Verfasser, zur
Zeit k. u. k. österreichisch-ungarischer
Konsul in Honkong, hat an Ort und Stelle
reichliche Gelegenheit gehabt, sich über
die modernen Verhältnisse Macaos , der
Wiege des europäischen Verkehrs in
China, zu unterrichten , verarbeitet jedoch
auch die besten Quellen zur Kenntnis
Beiner Geschieht«. Unter den Quellen,
die hinter dem Vorwort genannt werden,
hätte Sir Andrew Ljungstedt's „Historical
Sketch of the Portuguese Settlements in
China" einen Platz verdient, doch mögen
die von späteren Autoren diesem im
Jahre 1832 entstandenen Werke ent-
nommenen Mitteilungen genügen. Hie
Veröffentlichung dieser übersichtlichen
Skizze entspricht einem Zeitbedürfnisse
um so mehr, als in deutscher Sprache
wohl schwerlich eine Monographie über
diesen Gegenstand zu haben ist.
Friedrich Hirth.
HUI, Robert TM The Geology and
P h y s i c a l G e o g r a p h y o f J am a i c a .
t Bulletin of the Museum of Comparative
Zoology of Harvard College, Vol.
XXXIV, Geological Serie«, Vol. IV.)
Cambridge, Mass. 1899. 8°.
Diese Schrift bezeichnet einen wicht igen
Fortschritt in unserer Kenntnis von den
geologischen und geographischen Ver-
hältnissen Jamaikas und Gesamt- West-
indiens. Allerdings lag hinsichtlich des
inneren Baues der Insel ein ziemlich
eingehender Bericht der geologischen
Aufnahme vor, welche die britische
Kolonialregierung Anfang der sechziger
Jahre veranlagt hatte, durch den vor-
zeitigen Tod des Direktors dieser Aufnahme
(L. Barrett i enthielt dieser Bericht aber
im Grunde genommeu nur ein übel in
sich zusammenhängendes Stückwerk.
It. T. Hill, von der Vereinsstaatlichen
Geologischen Landesuntersuehung, der
Jamaika im Auftrage von Alexander
Agassiz zum Gegenstande eingehender
tektonischer und morphologischer For-
schungen machte — ebenso wie früher
schon Kuba fand daher mancherlei
richtig zu stellen und zu vervollständigen.
sowie vom Standpunkt seiner theoretischen
Auffassung anders zu interpretieren , als
es bisher üblich war. Hervorzuheben ist
in letzterer Beziehung ganz besonders,
dafs Hill die Syenit- und Granitporphyre,
sowie die Hornblende-Andesite der Blue
Mountains und der Clarendon Mountains
nicht als archaische bezw. prae-palaeo-
zoische Format ionsglieder gelten läfst,
sondern sie als tertiäre Laccolithe und
Gänge betrachtet. Was aber die sedi-
mentären Bildungen betrifft, so sind die
ältesten derselben — die in ihrer Lagerung
stark gestörten Konglomerate und Schiefer,
welche die Kernmasse der genannten
Hauptgebirge bilden — kretaccischen Alters
und ganz vorwiegend aus eruptivem Schut t-
material entstanden. Die Stätte, an der
die Insel heute aus dem amerikanischen
Mittelmeere herausragt, muTs also in der
mesozoischen Zeit Herd einer gewaltigen
vulkanischen Thatigkeit gewesen sein.
Im übrigen beginnt die aus dem Schichten-
baue und derOlierflächengestaltin positiver
Weise lesbare Kritwickelnngsgeschichte
erst mit der Tertiärzeit, und zwar zeigt
sich dieselbe vor allen Dingen vou mehreren
groTsen Oscillationen gegenüber der Kbene
des Meeresspiegels beherrscht. Ursprüng-
lich erhoben sich die erwähnten kreta-
ceischen Bergmassen samt ihrer wahr-
scheinlich sehr ausgedehnten Inselland-
umgebung zu beträchtlicher Höhe in den
Luftkreis, und in diesem Zustande waren
sie einer aufserordentlich ungestümen
Erosion und Denudation ausgesetzt, was
namentlich die mächtigen Seichtwasser-
ablagerungen der eoeänen „Riehiuoml
beds" bekunden. Dann folgte eine Ver-
senkung des Hauptkörpers der Insel zu
bedeutender Tiefe, dergestalt dafs nur
die höheren Teile der Blue Mountains
als ein zusammengeschrumpfter Rest über
den Meeresspiegel emporragten und die
ausgesprochenen Tiefscebildungen der
oligoeänen „Montpelier beds" zur Ab-
lagerung gelangen konnten. Im Mittel -
tertiär (Miocän oder Spät-Oligocän) da-
gegen erfolgte ein Wiederaufsteigen aus
der Flut, an dem auch die ganze Nach-
barschaft teilnahm, und Jamaika wurde
in der gleichen Weise wie Haiti, Kuba
und vielleicht auch Süd-Florida (nicht
Nord-Florida!j integrierender Bestandteil
einer einzigen Grofs-Anlille. Spätestens
bei Anbruch des plioeänen Alters fand
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Neue Bücher und Karten.
855
dann ein neues Sinken statt und damit
zugleich ein Auseinanderlegen der Grofß-
Antille in ihre vier gegenwärtig uoch
vorhandenen, Beither aber wieder stärker
emporgehobenen Hauptstücke. Der Ter-
rassenbau, welcher das Ruckweise
des neueren Emporsteigens beweist —
bezw. gewisse Schwankungen bei dem
Emporsteigen — , ist in Jamaika nicht bo
wohl erhalten wie in Ost- und West-Kuba,
immerhin aber an verschiedenen Orten
i Yallahs Point, Moutego Bay etc ) deutlich
genug sichtbar. In den seichten Küsten-
gewässern begannen dabei seit der Pliocän-
zeit auch die Korallentierchen ihre Bau-
tätigkeit, und zwar auf steigerndem
Gruude und in der Folge (während des
Pleistocän) in ihren Riffen zum Teil bis
gegen 20 m über den Meeresspiegel empor-
gehoben.
In einem besonderen Kapitel diskutiert
K. T. Hill die Beziehungen der jamaika-
nischen Formationen zu denjenigen der
umherliegenden Gegenden, dabei aufser
seinen eigenen Beobachtungen auch die
vorhandene Litteratur in sehr anerkennens-
werter Weise in Rücksicht ziehend. So
lange der geologische Bau der Haupt-
gebirge Haitis und Ost-Kubas nicht in
gröfserer Klarheit vor Augen liegt, als
es derzeit der Fall, ist aber eine feste
Stellungnahme hinsichtlich der dabei be-
rührten Kontroversen schwer möglich. Eine
jurassische Landbrücke zwischen Nord-
und Südamerika über die Bahamas und die
Karibischen Inseln ist nach des Verfassers
Auffassung in gewisser Weise indiciert,
während diejenige von Panama in der
gleichen Zeit nicht vorhanden war, wohl
aber am Ende der kretaeeischen Zeit und
nach der frühtertiären Überflutung von
neuem, und zwar ununterbrochen, seit dem
Mitteltertiär. Die bekannte Rekonstruk-
tion eines Antillen- Kontinents, wie sie
J. W. Spencer versucht hat, und das ge-
waltige Auf- und Abtauchen dieses Kon-
tinent* in plioeäner und postplioeäuer
Zeit wird mit gutem Grund abgelehnt.
(Vergl. Geogr. Zeitschr. Bd. 1., S. 415.)
E. Dcckert,
Hanneke, Dr. Rudolf, Erdkundliche
Aufsätze für die oberen Klassen
höherer Lehranstalten mit 12 Ab-
bildungen (Verkleinerungen aus
„Hölzeis geogr. Charakterbildern").
Glogau 1900, Carl Flemming. VI u.
00 S., geb. 1.80.
Es sind im ganzen sieben kleine Auf-
sätze vereinigt, fünf über die lünf Erd-
teile, der sechste über Deutschland , der
letzte nennt sich „Der Sternenhimmel und
unser Sonnensystem14. Der Verfasser hofft
mit ihnen Lust und Liebe am erdkund-
lichen Wissen bei unserer Jugend mehr
zu kräftigen, indem er sie sich als eine
Art Repetitionslektüre in oberen Gymna-
sialklassen denkt. „Die Erdkunde hat
als Unterrichtszweig den geänderten (nicht
mehr „auglocentrischen") Verhältnissen
Rechnung zu tragen; die Schüler müssen
mit besserem geographischen Wissen und
gröfserer Klarheit in der Auffassung erd-
kundlicher Übersichten und Vergleiche
ins Leben treten" lautet das Bekenntnis
des Verf. über den Zweck seines Buches.
Hoffen wir, dafs die Aufsätze diesem
Zwecke dienen mögen, wenn mir auch
die mehr geistreiche als zu wissenschaft-
lichem Denken ermunternde Form nicht
ganz als die glücklichste erscheint.
Heinr. Fischer.
Neue Bücher and Karten.
Zusammengestellt von Heinrich Brunner.
Uenrhlc-ht« der Urographie.
Günther, Siegin. Geschichte der an-
organ. Naturwissenschaften im 19. Jahrh
1.— 3. Tausend. IG Bildn. XX, 984 S.
(Das 10. Jahrh. — Schienther. Bd ö).
Berl., Bondi 1901. JL 10.—
Allgemeine ph) »lache Urographie.
Alpine Majestäten und ihr Gefolge. Heft II
und HI. München 1001.
Hcrbertson, Andrew J. The dist ribut ion
of rainfall over tho land. 13 Karten,
1 Taf. II, 70 S. Lond., Murray 1901.
Kobclt, W. Die Verbreitung der Tier-
welt. Ca. 12 Taf., Abb. im Text.
12 Lief. Leipz., Tauchnitz 1901, zu
Jt l.W.
Wägler, C. Die geographische Ver-
breitung der Vulkane. 26 S. 2 Karten
24*
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356 Neue Bücher
(a. d. Mitt. d. Ver. f. Erdkunde). Leipzig,
Duncker Ar Humblot 1001.
All^t-mdne (tfojcraphir dm Jlnmrhf n.
(Seorge, H. B. Relation» of geography
and history. »04 S. Lond., Frowde 1901.
4 8. 6 d.
B a t z e 1 , Frdr. Der Lebensraum ; eine
biogeograph. Studie. SA. III, 87 S.
Tübingen, Laupp 1901. .IL 2.50.
(irnf«n> Krdränmr.
(i runde mann, R. Kleine Missions -IJeo-
graphie und -Statistik ... 44 Kartensk.
62 u. 20» S. Calw, Vereinsbuchh. 1901.
M 8 . —
Ha rtleben, A. Statistische Tabelle
über alle Staaten der Erde. IX. Jahrg.
190 1 Wien, Pest, Leipz. 1 90 1 . 60 b . = 60 * .
Hartleben, A., Kleines statistisches
Taschenbuch über alle Staaten der
Knie. VIII. Jahrg. 1901. Kearb. von
F. Umlauft. Wien, Pest, Leipz. 1901.
Jan nasch, Rob. Telegraphenkarte für
den Weltverkehr . . . Herl. 1901.
Kolonialatlas, kleiner dexitscher; hrsg.
v. der deutsch. Kolonialgesellsch. 8 färb.
Karten, 6 S. Text N. Ausg. 4°. Herl.,
D Reimer 1901. ,k 1 —
Geikie, Sir A. Scenery of Scotland;
viewed in connection cd" it« physical
geol. III. , 4 maps. 662 S. 3rd ed.
Lond , Macmillan 1901. 10 s
Handbuch der Südküste Irlands u. des
Bristol-Kanals; hrsg. v. der Dir. der
deutsch. Seewarte. Mit 25 Küstenans.
u. 10 Hafenpl. 2. A. XXII, 461 S.
Hambg , Fricderichsen C. Komm. 1901.
.H, 3.
Philippson, Alfr Beiträge zur Kennt-
nis der griech. Inselwelt. 4 Karten. 172S.
(Petorm. Mitt ; Erg.-Hett 134 . (Jotha,
Justus Perthes 1901. .«10.-
Seraphim, Ernst. Malerische Ansichten
aus Li vlaud, Estland, Kurland . . . 375 Aldi.
250 S 4°. Kiga, Deubner 1901. JL 20.—
Mitteleuropa.
Andresen, H. X., u. H. Bruhn. Wand-
karte v. Schleswig-Holstein 1 : 160000.
Farbdr 4 Hl. zu 85,5x80,5 « in. Flens-
burg, Westphalen 1901. .*L 10 —
Dix, Arth. Deutschland auf den Hoch-
strassen des Welt Wirtschaftsverkehrs.
X, 218 S. Jena, Fischer 1901. .it 4.50.
und Karten.
Gaebler, Ed Wand-Karte von Unter-
Elsafs. 1:80000. Farbdr. 4 Bl zu
71,5x65 cm. (.Schweiler. Boitze 1901.
.€ 13.50.
Höhenschichtenkarte der norddeut-
schen Stromgebiete; Warb, im Bnr. des
preufs. WasserausschusHC«. 1 : 1 000000.
Farbdr. 4 Bl. zu 41x61 cm. Herl.,
D. Keimer 1901. 10 —
Holtheuer, K. Das Thalgebiet der
Freiberger Mulde. X, 124 S. Leisnig,
Ulrich 1901.
Nähert. H. Das Deutschtum in Tirol.
XVI. 128 S. (Der Kampf um das Deutsch-
tum. Heft 7.) Münch., Lehmann 19»U
.fc 2 —
Schreiber, Paul. Orientierende Unter-
suchungen über die nieteorolog.-hydro-
graph. Verhältnisse ... im Gebiete des
Weif8eritzfluB»esl894 97. lTaf. IV.45S.
(Abb. des kön. säehs meteorolog. Inst
Hft 6). 4°. Leipz, Felix Komm. 1901.
.* 3 —
Sieger, Rob. Die Alpen. 19 Abb. u.
1 Karte. 170 S. (Sammig (iöschen 129
Leipz , (löschen 1900. . H. —.80.
Ule, W. Der Wünnsee ('Starnbergersee' )
in Oberbayern. Eine limuologische
Studie. VI, 211 S. 16 Textfiguren. 5 Auto-
typien u. 1 Atlas von 8 Tafeln. (Wiss.
Veröl!', d. Ver. f. Erdk. zu Leipzig. V>.
8" u. 4°. Leipzig, Duucker & Humblot
1901. .H 10.—
Wandkarte des Elbe - Trave - Kanals
1 : 100000. Farbdr. 44x70 cm Lübeck,
(Sehr. Borchers 1901. .«£ 1 50.
Atlrn.
Deasy, H. H. P. In Tibet and Chinese
Turkestan; Wing the record of three
years' cxploration. III., maps. 436 S.
Lond., Unwin 1901. 21 s.
De bes. E. Schulwandkarte v. Asien
1 : 7 400000 6 Hl. zu 80x68 cm Farbdr.
Ausg. BL polit. Kolorit. Leipz , Wagner
\ Debe« 1901. .<k io.—
Diel«, L. Die Flora von Central China . .
SA. 5 Taf, 1 Karte. 489 8. Leipz.,
Kugelmann 1901.
Häfen, die wichtigsten, Chinas . . ; hrsg.
v. der Dir. der deutsch Seewarte. 1 1 Taf.
XI, 282 S. Herl , Mittler k Sohn 1901
2 .60.
Knochenhauer, Bruno. Korea. Vortrag.
1 Karte. 62 S. fVerh. der deutsch Ko-
lonial-C.es.; Abt. Berlin - Charlottenbg
Digitized by Google
Neu erschienene officielle Karten.
357
1900 01, Heft 4). Berl., D. Keimer 1901.
.« 1.20.
Merzbacher, Gottfr. Au« den Hoch-
regionen des Kaukasus ... 3 Karton,
Abb. 2 Bde. Leipz., Duncker k Hura-
blot 1901. „« 40 —
SaraBin, Paul u. Fritz. Pber die geolog.
Geschichte der Insel Celebes auf (Jrund
der Tierverbreitung. 15 Taf VI, 169 S.
Materialien zur Naturgeseh. der Insel
Celebes. Bd 3). 4". Wiesbaden, Kreidel
1901. .« 40.—
Scott, .1. Geo., and Hardiman, J. P.
Gazettecr ofl'pper Burma and the Shan
States. In 5 vol. [I u. II erschienen].
Map, Plan, III. Rangoou 1900 f.
Afrika.
Dominik, Hans. Kamerun; sechs Kriegs-
u. Friedensjahre in deutschen Tropen.
26 Tat., 51 Abb., 1 Ubers -Karte. VIII,
315 S. Berl. , Mittler A: Sohn 1901.
.« 12.50.
F ü 1 1 e b o r n , F. Ober die Nj assa-Länder.
Vortrag. 10 Lichtdr -Bilder. 21 8. ( Verh.
der deutsch. Kolonial-ties. ; Abt Berl-
Charlottcnbg 1900 01, Heft 2). Berl.,
D. Keimer 1901. 1.20.
Hassen . Kurt. Der Kampf um Südafr.
u. die deutsch. Interessen. Sonderheft
der Beitr. zur Kolonialpolitik u. Kol -
wirtschaft. 27 S. Berl., Süsscroth 1901.
„« —.60.
Tavel, K. Sechs Wochen in Marokko.
Vortrag. 1 Karte, 13 Lichtdr.-Bildcr.
22 S. ('Verh. der deutsch. Kolonial ties. ;
Abt. Berl.-Charlottenbg 1900 01, Heft 3).
Herl., D. Reimer 1901. .«1.20.
Vallat. (Just. A la conquetc du conti-
nent noir; misnions militnires et civiles
de 1892 ü 1900 incl. Grav. 365 S.
Par., Tafh'n-Lefort 1901.
Aafttrallarh« limrtn.
Garnier, Jul. Vovage autour du monde;
la Nouvelle - Calcdonie (cöte orient .
III VI , 387 S. N ed. Par., Plön-
Nourrit C. 1901. Fr. 4 -
3nrdanrrlka.
M a p of the Dominion of Canada.
1:6336000. Farbdr. Ottawa, Departm.
of the Inferior 1901.
Arid*, Th. Über den Parallelismus der
Küsten von Südamerika. II, 85 S. 1 Karte.
Diss. Leipzig, Naumann 1901.
Polarrtglonea.
Hugues, L. Le esplorazioni polari nel
bccoIoXLX. 10 carte geogr. VIII, 374 S.
Milano, Hoepli 1901. L. 12.—
Rabot, Charles. Les vari«itions de lon-
gueur des glaciers dans les regions
aretiques et boreales . . . Kxtr. 250 S.
Geneve et Bale, Georg 1900
UeoaraphUrhFr I nterrlcht.
Geistbeck, M. u. A. Leitfaden der
Geographie f. Mittelschulen.
I. Teil. VII u. 62 S. .« — 70. 14. Aufl.
II. „ VIH u. 72 S. JC- «o. 13. Aufl.
IIT. „ IV u. 71 S. .« — .70. 12. Aufl.
IV. || VII u. 05 S. M \— .85. 11: Aufl.
München, Oldenhourg 1901.
Hörle, K. Geograph. Charakterbilder aus
Schwaben ; gemalt v. Paul Schmalzried.
6 Bilder Farbdr. 80x60 cm. Nebst Text
Stuttg., HobbingA- Büchlel901. Einzeln
zu .« 3. —
Pütz. W. Lehrbuch der vergleichenden
Erdbeschreibung für die oberen Klassen
höherer Lehranstalten u. z. Selbstunter-
richt 17. verb. Aufl., bearb. v. F. Behr.
XVI, 380 S. Freiburg, Herder' sehe Ver-
lagsh. 1901. geh. .« 8.—, geb. .«3.45.
stauten; 5: Ulm u. sein Münster.]
Rusch, Gust. Lehrbuch der Geographie
für österr. Lehrer- u. Lehrerinnen-Bil-
dungsanstalten ... Tl. I. IL, 320 S.
Wien, Pichlers Witwe 1901.
Vrraammlnnaen.
Verhandlungen des siebenten internat
Geographen - Kongresses , Berlin 1899.
2 Tie. Abb., Taf. IV, 455; XV, 981 S.
i Berl., Kühl 1901. .« 20.—
Neu erschienene
1. Deutsches Reich.
Karte des Deutschen Reiches
1:100 000. 231 Haren. 255 Laar. 256
Lingen. 261 Neustadt am Rübenberge.
282 Kheine. 2*1 Lübbecke. 30» Biele-
offlcielle Karten.
feld. 311 Hildesheim. 333 Detmold.
334 Höxter. 35« Brakel. 359 l'slar.
Mefstischblittter zur Karte des
Deutschen Reichs. 1:26000. 329
Ouaschin. 390 Zuckau. 461 Prangenau.
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358 Neu erschienene
538 Gr. Ta^au 639 Subbowitfc r>41
fJr. Lichtenau. 1083 Roggenhausen.
1109 Neustadt - Gödenz 1110 Stein-
hausen 1111 Jadebusen. 1112 Atens.
1113 Loxstüdt. 1114 Beverstädt. 1173
Sartowitz. 120O Neuenburg i .0. 1201
Varel. 1203 Brake. 1204 Hagen i, Hr.
1205 Hambergen. 1284 Apen. 1285
Westerstede. 1286 Wiefelstede. 1289
Schwanewede. 1290 Osterholz. 1297 Holm.
1299 Kirchgellersen. 1365 Baresel. 1366
Edewecht. 1370 Vegesack. 1371 Lesum.
1445 Scharrel. 1446 Friesoythe. 1447
Littel. 1448 Wardenburg. 1449 Kirch-
hatten. 1450 Delmenhorst. 1520 Garrel.
1521 Grossenkneten. 1522 Dötlingen.
1523 Harpstedt. 1524 Lykc. 1533 Eimke.
1535 Ülzen. 1588 Sögel. 1589 Werete
1590 Molbergen. 1591 Cloppenburg.
1593 Wildeshausen. 1594 Twistringen.
1604 Unterlans. 1667 Kl. Berssen.
1658 Holte. 1659 Löningen. 1660
Essen i/O. 1662 Vechta. 1729 Hase-
lünne. 1730 Herzlake. 1731 Berge.
1732 Quakenbrück. 1733 Dinklage.
1734 Lohne. 1744 Winsen a/Aller.
1745 Celle. 1801 Backum. 1802
Lengerich i/Hann. 1803 Fürstenau
i/Hann. 1804 Bersenbrück. 1*05 Hol-
dorf. 1816 Fuhrberg. 1890 Heinersen.
2020 Vechelde. 2026 Braunschweig.
2093 Hamm. 2258 Bobersberg. 2479
Sagan. 2482 Neustädte!. 2654 Sprottau.
2555 Primkenau. 25H4 Rüthen. 2586
Alme. 2586 Madfeld. 2658 Eversberg.
2669 Brilon. 2666 Adorf. 2728 Böde-
feld. 2729 Niedersfeld. 2730 Goddels-
heim. 3038 Weyerbusch. 3158 Wald-
breitbach. 3159 Dierdorf. 3214 Neuwied.
Seekarte der Kais. Deutschen Admiralität
Nr. 16: Ostsee. Westküste von Kurland,
Nördl. Teil. 1 : 160 000. 1.40. —
Nr. 17: Ostsee. Westküste von Kurland,
Südl. Teil. 1 : 150 000. 1.25.
Kart ed. DeutschenReiches. 1 :100 0oo
Vergl. Eisensebmidt's Einsendungen an
d. Red. d. Zeitschr.
Kar ted. Deut sehen Reiches, ltiooooo.
Abt. Königr. Bayern Nr. 670; Oberst-
dorf. Kpfrst. u. kol. .<£ 1.60. — Nr.
662 : Füssen. Nr. 673 : Vereinsalpe.
Buntdr.-Ausg. ä M 1.50.
Meßtischblätter des Preufsischen
Staates. 1:96000. Vergl. Eisen-
schmidt's Einsendungen an d. Red. d.
Zeitschr.
officielle Karten
Höhenschichtenkarte der nord-
deutschenStromgebiete. Bearbeitet
im Bureau des preufs. Wasserausschusses.
I : 1000 000. 4 Bl. ä 41 X 61 cm.
Farbdr. Jt 10.—
Generalkarte von Württemberg in
6 Bl. 1 : 200000. Bl. IV : Ulm.
47 x 69,6 cm. Kupferst. .H. 2.—
Höheukurvenkarte vom Königreich
Württemberg. 1:26 000. BL 36:
Weissach 47,6 x 62,5 cm. Kupferst.
h. Farbdr. ,-ft 2. —
GeologischeSpezialkartedestirofs-
her/.ogtumB Baden. 1:25 WO. Farbdr.
mit Erl. Nr. 43: Rappenau v. F. Schalch
— Xr. 93: Haslach von H. Thürach.
II t K <2 . • — ■
Geologische Spezialkarte d. Königr.
Sachsen. 1:26 000. Farbdr. m. Erl.
Nr. 146: Johanngeorgenstadt v. F. Schalch.
2. Aufl. rcv. von C. Gabert. .«8.-
2. Frankreich.
Carte de la France. 1 : 100 000. Feuille
VHI — 10: Les Picux — X VIII — 22:
Moulins. — IX -26: He d'Oleron. —
XUI — 31: Villeneuve-sur-Lot. — XXV
— 19: Beaumc les Dames.
Carte topographique de l'etat-
major. Carte geologique detaillöe.
1 : 80 000. Feuille 25 : Longwy . — 36 : Metz.
— 232 : Bedarieux. — 16 : Les Pieux.
ä Jfc 6 —
Carte de France. 1:50 000. Agran-
dissement photograpbique de la carte
au 80 000". Die Blätter sind mit wenigen
Ausnahmen fast vollständig erschienen.
Die Blatteinteilung ist mit der Ein-
teilung der Karte in 1 : 80 000 identisch.
Preis pro l/4 Matt .iL -.50.
Atlas des colonies francaises, dresse"
par ordre du ministere des colonies.
Nr. 18: Madagascar, partie centrale
(feuille Nord) — Nr. 19: Madagascar,
partie centrale (feuille Sud). — Nr. 23:
Inde et Guyane. — Nr. 6: Alge"rie. —
Nr. 6: Tunisie.
3. England
Englische A d m i r a 1 i t ä t s k a r t e n.
Nr. 117: Faeroe Islands. 2 6. — 2058
North Atlantie Route Chart. 2 6. —
171. Plans on the east coast of New-
foundlaud: Hooping harbour. Fourche
harbour. 16. — 3141. Ncwfoundland:
Little Harbour Deep and Union cove.
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Zeitschriftenschau.
350
1/6. — 3017. Lake Superior : Duluth
and Superior harbours. 1/6. — 2827.
Cuba, north coast: Port Gibara. 1 '6. —
290H. Africa, south coast: Port Natal
entrance. 1/6. — 1646. Bay of Bengal:
Moulmeiu harbour. 1/6. — 3154. Japan.
Inland sea': Drainage to Futakami Jinia.
2 6. — 31H3. Queensland, east coast:
Cairns harbour. 2/. — 8155. Queena-
land, .-asf coast: Flinders group. 1/6.
— 8170—3175. Antarctic Uceau, sheet
I-VL
4. Serbien.
Neue Spezial karte von Serbien.
Nach der Spezialkarte des königl.
serb. Geueralstabes. 1:75 000. XXV11.
21. Prnjavor. — XXVIII. 21. Krupanj.
— 22. Valjevo. — 23. Arangjelovac.
— 24. Palanka. - 25. Petrovac. —
XXIX. 22. Gomja Toplica. — 23. Gornji
Milanovac, — 24. Kragujevac. — 25. Zagu-
bicn. - XXX. 22. Ivanjica. - 23. Kral-
jevo. — 24. Krusevac. — 25. Aleksinac.
— 26. Knjazevna. — XXXII. 26. Nis.
5. Afrika.
Carte de l'Afrique, publiee par le
Service geographique de Faruiee.
1 : 2 (MIO 000. Feuille Nr. 33 : Benin,
(region equatoriale). — Nr. 30: Berbera
(r^gion Orientale). — Nr. 38 : Moukdicha
(region equatoriale), ä JL 1.—
Carte de l'Alglrie. 1:200000. Publiee
par le Service geographique de l'armee.
Feuille Nr. 35: Guelt es Stel. JL. —.70.
Carte topographique de l'etat-
major. Carte geologique detail lee
de l'Algerie. 1:60000. Nr. 208:
Beni-Saf.
Carte de la Tunisie. Publiee par le
Service geographique de l'armee. 1:50000.
Feuille Nr. 1: Kef Abbed. — Nr. 27:
Medjez el Bab. — ä JL 1.50.
Carte de la Tunisie. 1:100000. Feuille
Nr. 26: Djebina. ,* 1.20.
Carte de l'Ktat Independant du
Congo. 1 : 2 000 000. Dressee par
A. J. Wauters. 4 Bl. .«7.50.
6. Asien,
de l'Asie. Publiee par le Service
Cartt
geographique de Tarniee. 1:1000000.
Feuille 28—132: lies Hokoubou. —
Feuille 32—132: Kagoshima, ä JL 1.25.
Karte des Kriegsschauplatzes in
China. Herausgegeben v. d. kart. Abt.
d. kgl. pr. Landesaufnahme. 1 : 300000.
Sektion: Ho kien fu. JL —.75. —
Sektion: Peking. JL 1.50. — Sektion:
Schau hai kwan. JL 1.50.
Carte du bassin inferieur du Yang-
Tse-Kiaug. (Asie au 1:10000000
Publiee par le Service geographique de
lannee. JL 1.60.
Dr. Max Friederichsen.
Zeitschriftenschau.
Petermann's Mitteilungen. 1901. 4. Heft.
Hjort: Die erste Nordmeerfahrt des nor-
wegischen Fischereidampfers „Michael
Sars" i. J. 1900. — Der geographische
Unterricht an den deutschen Hochschulen
im S.-S. 1900. — Meinardus: Die Haupt-
ergebnisse der wissenschaftlichen Ballon-
fahrten in Norddeutschlaud. — Krahmer.-
Nachrichten von der Expedition Kozlow.
— Fried richsen: Nachrichten über
Prof. Fischer's Reise nach Marokko.
Das». Ergänzungsheft Nr. 134.
Philippson: Beitrage zur Kenntnis der
griechischen Inselwelt.
Globtt*. Bd. LXXIX. Nr. 15. Par-
kinson: Die Einwohner der Insel St.
Matthias. — Förster: Deutsch-Ostafrika
1899/1900. — Mewius: Deutsche Nutzbar-
machungen auf der Bäreninsel — R. Par-
kinson. — Jachmann: Das Klima des
Kamerungebietes. — Kannengiefser:
Der deutsche Export nach den Tropen
und die Ausrüstung für die Kolonien. —
Die Kabelverbindungen Deutschlands mit
seinen Kolonien.
Da.ts. Nr. 16. Hagen: Eine Bestei-
gung des Vulkans Kaba auf Sumatra. —
Ihm: Ein römisches Mosaik ans Veji. —
Tetzner: Klete und Swime. — Parkin-
son: Die Insel St. Matthias. — v. Bruch-
hausen: Fortschritt in der Erkenntnis
des Wetterschiefsens. — Fried richsen :
Weitere Nachrichten von Sven Hedin.
Das*. Nr. 17. Preu fs: Die Schicksals-
1 bücher der alten Mexikaner. — Nehring:
Fossile Kamele in Rumänien und die
pleistocilne Steppenzeit Mitteleuropas. —
Hagen: Eine Besteigung des Vulkans
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360
Zeitschriftenschau.
Kaba auf Sumatra. — v. Seidlits: Das
uordrussische Seengebiet. — Z i in in er-
mann: Ein australische« [nielreich Neil-
Seeland.
Dass. Nr. 1H. Luschan: Schwalbe's
neue Untersuchung des Ncanderthal -
Schädels. — Hagen: Eine Besteigung des
Vulkans Kaba. — Grünwedel: Bilder
zur Kesarsage. — Carlsen: Stonehenge.
— v. Buchwald: Zur Frage nach dem
Alter der Schraube. -- de Vries: Heise
nach Key, Tenimber und Aru.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. XX11I. Jhrg. 8. Heft.
Hermann: Die beschränkte Bedeutung
der Bagdadbahn und ihre Gefahr. —
Zweck: Bilder von der russischen Grenze.
— Trampler: Das „Burgverlies" im
mährischen Karst. — Der Ararat. —
D int er: Kreuz- und Quersäge in Deutsch-
Süd westafrika.
Deutsche (i eog r arische Blätter. XXIV.
Heft 1 u. 2. Wied ein an n: Ein Besuch
in Herbertshöhe. — Friedrich: Die Kaut
schukproduktion Afrika». — Le Mang:
Die Dünen der französischen Nordküste
Jung: Viehstand und Fleischhandel
in Nordamerika,
Zeitschrift für Schulgeographie. XXII.
Jhrg. 7. Heft. Schöne: Die politisch-
geographische Auffassung des Staates. —
S t ü b 1 e r : Tber Landschaftsschilderung.
— Zu den Grundsätzen für Lehrbücher
der Geographie.
Meteorologische Zeitschrift. 1901. 4. Heft.
He 11 mann: Die Entwicklung der me-
teorologischen Beobachtungen bis zum
Ende des XVII. Jahrhunders, — Klein:
Cirrus- Studien.
Zeitschrift für Gewässerkunde. 1901.
1. Heft. Bok: Die Breusch. — Ziegler:
übe- die Notwendigkeit der Einbeziehung
von Thalsperren in die Wasserwirtschaft.
The Geographica! Journal. Vol. XVII.
Nr. 5. Hol dich: The Geography of the
North -West Frontier of India. — Ber-
nacchi: Topography of South Victoria
Land. — Austin: Survey of the Sobat
Region. de Free: Notes of a Journey
on the Taua River, 1809, — Beazley:
Madaba Map. — The Sculpture of Desert
Regions. Launch of the Antarctic Sbip
,, Discovery".
The Scott ish Geographica! Magazine
] May 1900. Holdich: Railway Connection
with India. — Cadeil: A Sail down the
Irrawaddy.
La Geographie. 1901. Nr. 4 Lap-
parrent: La trouvaille d'un oursin fossille
dans le Sahara. — Rabot: Le contlit
chilo-argentin et les phenomeucs de cap-
ture ilans la Cordillere des Amles.
Garnier: L'aucien „desert Victoria"
(Australie occidentale). — Backlund:
Mesure d'un arc de meridien au Spit*berg.
— Rabot: Resume des travaux des mis-
sions suedoises pour la mesure d'un ari-
de meridien au Spitsberg. — Clozel:
Bingerville. — Moureaux: Resultats
magiietiques de l'expedition Nansen.
Herne de Geographie. 1901. Avril.
Brugierc: L'expansion europeenne ä la
üu du XIX siecle. — Dorniu: Dans le
nord du Soudan francais. — Massieu:
Les territoires militaires du Tonkin. —
de Baye: Chez les Tatars. — Rayaud:
Fromenades en Extremc-Orienti lH9f>-l*9H .
Hu: Geogr. Jtal. VIII. Aprilheft.
II Quarto Congresso (ieogratico Italiano.
Bertacchi: II Prof. Matteo Fiorini e la
Geogratia Matematica. — (irasso: Sul
cambiamento di nome nei Comuui attuali
d'Italia. — Melzi: < »»servazioni tronio-
nietricho. - Alfani: Osservatorio Xiuie-
metiiauo di Firenzi. — Marinelli: Nehbie
e piogge rosse del 10 Marzo. — La Geo-
gratia e la carta agronomica d'Italia.
The National Geographie Magazine.
1901. April. Mettee: The Old Yuma
Trail. (ireely: Advances in Geographie
Knowledge during the XIX Century. —
Navarro: Mexico of Today.
The Journal of School Geograph y
Vol. V. Nr. 4. From Para to Manaos.
— Blount: Exercises on l'nited Staates
Topographicul Maps. — Abbott: Obser-
vation* on the Tcmperature of Spring
Water. — Dodge: A School Course in
Geography.
Aus verschiedenen Zeitschriften.
Brunhes: Instituts Geographiques et
Chambres de Commerce en Alleinague
h'crue Internationale de V Enseiynement
1901.
Burckhardt: Traces geologiques d'un
ancien coiitinent pacifique Kecista del
museo de la Plata. X.
Verantwortiii her HerausKol.er : l'iof. Dr. Alfred Hettner in Hoiilelberg
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Das mitteleuropäische Landschaft sbild nach seiner geschichtlichen
Entwicklung.
Von Dr. Rob. Gradmann in Forchtcnbcrg (Württemberg).
Alexander v. Humboldt hat den Satz ausgesprochen: „Wenn auch der
Charakter verschiedener Weltgegenden von allen äufseren Erscheinungen zu-
gleich abhängt, wenn Umrifs der Gebirge, Physiognomie der Pflanzen und
Tiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit des Luftkreises
den Totaleindruck bewirken, so ist doch nicht zu leugnen, dafs das Haupt-
bestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist."1) Diese Worte ent-
halten die Rechtfertigung des Sinnes, in welchem von einer Geschichte der
mitteleuropäischen Landschaft hier die Rede sein soll. Innerhalb des ge-
schichtlichen Zeitraums, auch wenn man diesen Rahmen möglichst weit fafst,
hat das Grundgerüste unserer Landschaft schwerlich mehr eine durchgreifende
Veränderung erlitten. Wohl haben die geologischen Kräfte der Verwitterung
und Abtragung ununterbrochen fortgewirkt; auch Massenverschiebungen finden
noch fortwährend statt; der Kampf zwischen Meer und Festland wogt hin
und her; die Flüsse arbeiten ihr Bett aus, es hier vertiefend, dort mit ihrem
Geschiebe erfüllend; die Binnenseen gehen durch allmähliche Zuschüttung und
Verwachsung langsam ihrem Aussterben entgegen2). Allein diese Vorgänge
alle, so anziehend und wichtig sie sind und so gründlich sie einzelne
Örtliehkeiten umgestaltet haben — sie haben doch in allzu kleinem Mafsstab
gewirkt, um auf den Gesamtcharakter der mitteleuropäischen Landschaft
eiuen entscheidenden Einflufs zu gewinnen. Das einzige Landschaftselement,
das eine wirklich vollkommeue Umwälzung innerhalb des gegebenen Zeit-
raums erlitten hat, ist die Bodenbedeckuug, das Pflanzenkleid der Erde.
In einer Geschichte der wechselnden Bodenbedeckung wird eine Darstellung
der Landschaftsgeschichte, sobald man die Aufgabe streng fafst und sich
zugleich auf das Wesentliche beschränkt, nahezu aufgehen müssen. Sie
behält auch in dieser Einschränkung das Recht auf ihren Namen, weil
gerade die Pflanzendecke es ist, die in jedem Landschaftsbilde den Ausschlag
zu geben pflegt.
1) AI. v. Humboldt, Ansichten der Natur. 3. Aufl. 184». S. 20.
2) Unter dem Gesichtspunkt der Landschaftsgeschichte sind die genannten
Vorgänge eingehend gewürdigt von J. Wimmer, Histor. Landschaft.skunde. 1885.
(hier auch die geophysikalische Litteratur) , und neuerdings von Kd. Brückner,
Die schweizerische Landschaft einst und jetzt. Kektoratsrede. 1900.
Ueogr»phi»cbo Zeitschrift. (.Jahrgang. 1901, T.Heft. 26
Digitized by LjOOQIc
362
Rob. Gradiuann:
t
Dasjenige Problem der Landschaftsgeschiehte, das jedenfalls vor allem andern
erledigt sein mnfs, ist der Wiederaufbau der Urlandsehaft, Diese Frage,
die trotz ihrer grofsen Tragweite und aufserordentlich vielseitigen Bedeutung
häufig nur oberflächlich gestreift und mit unklaren Vermutungen abgethan wird,
läfst sich verschieden formen. Man kann die Fragestellung zunächst so wenden:
Welchen Anblick würde die mitteleuropäische Landschaft heute darbieten,
wenn der Mensch nie seinen Fufs auf europäischen Hoden gesetzt hätte?
In diesem Fall wird man die bekannten GröTsen, mit deren Hilfe die gesuchte
unbekannte zu errechnen ist, unmittelbar der Gegenwart entnehmen.
Es läfst sich ja feststellen, in welcher Weise die Kultur auf die land-
und forstwirtschaftlich benutzten Hodenflächen einwirkt; es mufs sich daher
diese Einwirkung auch im Geist wieder ausschalten, Natur und Kunst
bis zu einem gewissen Grade unterscheiden lassen. Ferner sind gewisse
Trümmer der Urlandsehaft noch bis heute inmitten der Kulturflächen mehr
oder weniger unversehrt erhalten geblieben; ja der noch immer vorhandene
Reichtum der Flora läfst darauf schliefsen, dafs kein wesentlicher Typus der
mitteleuropäischen Urlandsehaft gänzlich verloren gegangen ist. Indem nun
solche Trümmer der Urlandsehaft auf ihre Daseinsbedingungen und Erscheinungs-
formen sorgfältig untersucht und namentlich auch mit den bedeutenderen
Resten ursprünglicher Vegetation in auswärtigen Ländern verglichen werden,
sollte es zuletzt gelingen, für jede Bodenform wenigstens anuähernd zu be-
stimmen, welche Art von Pflanzenbedeckung ihr eigentlich von Natur zukommt.
Aus allen die9en Einzelbildchen entsteht dann ein Bild der Urlandsehaft,
das über allgemeine, unbestimmte Vermutungen erhaben ist und Anspruch auf
Wahrscheinlichkeit machen darf.
Lassen wir unter diesen Gesichtspunkten die Hauptbestandteile der
gegenwärtigen Landschaft an uns vorüberziehen, so wird es uns verhältnis-
mäfsig noch sehr leicht, alle menschlichen Hoch- und Tiefbauwerke, die
Wohnstätten und gewerblichen Anlagen, die Strafsen- und Eisenbahnbauten
aus dem Laudschaftsbild uns wegzudeuken. Etwas schwieriger wird die
Unterscheidung von Natur und Kunst schon bei den Gewässern und deren
unmittelbarer Umgebung, den Binnenseen und Weihern, den Flüssen und
Bächen. Die künstlich angelegten Stauweiher kommen für das Landschaftsbild
im großen kaum in Betracht. Sehr bedeutend aber sind die Veränderungen,
welche die Wasserlänfe jeglicher Art und Gröfse durch künstliche Ein-
dämmung erleiden. Der geregelte Lauf, mit dem jetzt die meisten unserer
Flüsse zwischen glatten, gleichmäfsig verlaufenden Uferböschungen in die
wohlgeebnete Thalsohle einschneiden, ist ja ein durchaus unnatürlicher Zustand.
Der freie, ungebändigte Strom kennt diese Regelmäfsigkeit nicht; er strebt
beständig sein Bett zu verlegen. Bald gräbt er sich, durch irgend ein
Hindernis abgelenkt, in die steile Thalwand ein, um von dort zurückgeworfen
wieder in entgegengesetzter Richtung das Thal zu durchqueren; bald wird
die so entstandene Schlinge bei Hochwasser und Kisgang wieder abgeschnitten,
indem der Strom sein Hindernis durchbricht. So wird der Thalgrund in
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Das mitteleurop. Landschaftsbild nach seiner geschieht). Entwick). 363
zahllose Inselchen und Schollen zerschnitten, mit Geröll überschüttet, der
Strom in regellose Arme zerteilt, und auch die vom Hauptstrome abgeschnittenen
verlassenen Teile des Bettes bleiben als Altwasser und Tümpel bestehen, um
höchstens allmählich zu Röhricht, Moor und Bruch zu verwachsen. Eine
derartige Stromwildnis zeigten bis in die neueste Zeit und zeigen zum Teil
heute noch der Oberrhein, die Donau, Bier, Lech, Isar und andere Alpen-
ströme in ihren Oberläufen. Früher war das der allgemeine Zustand. Es
ist wichtig, diese Thatsache festzuhalten, weil sie mit der vielverbreiteten
Anschauung, als ob gerade die Sohlen der Stromthäler in alter Zeit eine
besonders günstige Stätte für Wanderung und Ansiedlung geboten hätten, in
unvereinbarem Widerspruch steht.
Einen recht ursprünglichen Landschaftstypus stellen ohne Zweifel die
im norddeutschen Tiefland wie auch im Alpenvorland so verbreiteten Moore,
Wiesen- und Hochmoore, dar, wenigstens soweit sie nicht entwassert und der
Torfnutzung unterworfen sind.
Dafs von der Bodeubedeckung des trockenen Landes die Waldungen
im allgemeinen dem Urzustand noch am nächsten kommen, bedarf ebenfalls
nur der Erwähnung. Wo heute Wald steht, da ist auch für die Urlandschaft
Waldbedeckung anzunehmen. Auf die Umgestaltung der Waldbilder durch
die Forstwirtschaft kommen wir noch zu sprechen.
Auch bezüglich des Acker- und Gartenlandes kann ein Zweifel kaum
bestehen. Es giebt in Deutschland keinen Ackerboden, der nicht mit
Leichtigkeit in Wald umzuwandeln wäre; läfst man ihn verwildern, so be-
stockt er sich von selbst, sobald nur Gelegenheit zum Samenanflug gegeben
ist. Das ist oft beobachtet worden1), und wir dürfen unbedenklich annehmen,
dafs das gesamt« Ackerland Deutschlands, soweit es nicht durch Entwässerung
von Mooren und Brüchen entstanden ist, von Natur für den Wald bestimmt
ist; kein Forstmann wird daran zweifeln. Dagegen bieten unsere Weinberg-
lagcu, östlich vom Rhein fast durchaus auf sonnige Berghänge beschränkt,
für den geschlossenen Hochwald keine Stätte mehr. Nur ein lichter Busch-
wald ist diesen trockenen Standorten eigen; ein solcher pflegt sich auch in
wieder aufgelassenen Weinbergen einzustellen2); Aufforstung gelingt ausser-
ordentlich schwer.
Strittig wird die Frage nach der Urvegetatiou erst bei den verschiedenen
Formen des Gras- und Heidelandes. Hier stehen sich die Ansichten wenigstens
scheinbar sehr schroff gegenüber. Die einen sprechen von dem natürlichen
Grasland Mitteleuropas wie von einer selbstverständlichen Sache; der saftige
1) Systematische Beobachtungen aus neuerer Zeit s Hoffmann, Untersuchungen
zur Klima- und Bodenkunde Bot. Ztg. 1865. Beil.); Fliehe, Un reboisement (A. Sc.
agronomique I. 1888. — Bot, Jahrb. hsg. v. Kngler XI. 18!»0. Litt.-B.). Beispiele
spontaner Bewaldung von Ackerland liefern die Sammlungen mittelalterlicher Ur-
W künden in Menge; Zusammenstellungen finden sich bei A. Schwappach, Hand-
buch der Forst- und Jagdgesehichte Deutschlands (1880. S. 37, 162, 182) und
K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter. 1880. 1. S. 131.
2) M eigen hat in den sächsischen Reblausherden die allmähliche Besiedelung
des Bodens mit wildwachsenden Pflanzen systematisch beobachtet Bot. Jahrb. hsg.
v. Engler XXI. 1890. S. 212).
26»
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Roh. Gradmann:
Wiesenteppich unserer Flufsthiiler, die dürren Weideflächen unserer Höhen,
die unübersehbaren Heidou des nord westdeutschen Tieflandes tragen für sie
das unverkennbare Gepräge der Urwüchsigkeit. Andere sehen in dem allem
nur Kulturprodukte. Am schärfsten ist in dieser Hinsicht der Ausdruck
Sehlatter's1): „Ks ist einzig der regelmäßigen Handhabung der Sense zu
verdanken, dafs unsere Wiesen ihren floristischen Charakter behalten, d. b. nicht
zu Wald werden. Unsere jetzige Wiesenflora ist direkt vom Menschen, d. h. seiner
Bodenbenutzung abhängig. Ohne Sense und Heuernte keine Wiesenflora.1'
Indessen scheint der Gegensatz doch mehr im Ausdruck als in den
wirklichen Meinungen zu liegen. Man ist darüber einig, dafs zum mindesten
ein grofser Teil unserer Wiesen, Weideplätze und Viehtriften auf früherem Wald-
boden künstlich angelegt ist. Die Ursprünglichkeit kann nur für einige ganz
bestimmte Standörtlichkeiten in Frage kommen. Kine eigenartige Stellung
nimmt vor allem das Grasland der Marschen ein; dafs es sich hier im
Flutbereich um ursprüngliche Bewaldung nicht handeln kann, ist selbst-
verständlich. Aber auch die Thal wiesen werden vielfach als urwüchsiger
Vegetationstypus in Anspruch genommen, allerdings mit einer bedeutenden
Kinschränkung. Allgemein anerkannt ist, dafs unsere Flufsthäler ursprünglich
nicht mit einem weichen Wicsenteppich ausgekleidet zu denken sind, sondern
mit einem Gestrüpp von Weiden, Krleu, Kschen, Pappeln, Eichen, also mit
Auenwald und Krleubruch. Nur da, „wo durch irgend welche Ursachen, sei
es durch Waldbrand, Überschwemmung u. s. w., oder sei es durch menschliche
Thätigkeit eine Kutblöfsung des Bodens erfolgt ist", bilde sich von selbst
ein natürliches Grasland, das unseren heutigen Wieseu entspricht, allerdings
nur für kurze Zeit, „indem es nämlich im natürlichen Verlauf der Vcgetations-
entwicklung nach einer Keihe von Jahren einer Busch- und Waldformation
Platz macht41. Krst durch die menschliche Kinwirkung werde der von
Natur labile Zustand in einen stabilen verwandelt'). In diesem Sinn mag
man wohl allgemein die Wiesen als „natürliches Grasland" gelten lassen; sie
haben demnach in den Stromthälern der Urlandschaft neben den Auen- und
Bmchwüldern eine räumlich jedenfalls ganz aufserordentlich beschränkte und
immer nur vorübergehende Bedeutung gehabt, genau entsprechend der Schlag-
vcgetation in unseren Wäldern3). Mit. dieser Anschauung deckt sich der
Zustand, in dem sich noch heute z. B. nach Brehm 's Schilderung4 ) die
1) Über die Verbreitung der Alpenflora (Ber. St. (Jaller uaturw. <ies. 1873) S. 351.
2j C. Weher, t her die Zusammensetzung des natürlichen Graslands in West-
holstein, Bithmarsehen und Eiderstedt Sehr, naturw Ver. f. Schlesw.-Holst IX. 1892)
S. 180 f.
3) Dem Standpunkt C. Webers schliefst sich 0. Drude ausdrücklich an
(Deutschlands Pflanzengeographie I 189G S. 289). Auch Grisebach hat die Wiese
uIb ursprüngliche Formation, jedoch von sehr beschränkter Bedeutung, behandelt,
— Der Ein tl in- der Kultur wird aul'ser von Schlatt er a. a. O. besonders betont
und nachgewiesen von Ernst EL L. Krause, Beitrag zur Gesch. der Wiesenflora in«^
Norddeutschi. (Bot. Jb. hsg. v. Engler XV. 1893), H. Christ, Pflanzenleben der Schweiz
1879, K. Gradmann, Pflanzenleben der schwäb. Alb. 2. Aufl. 1900. I S. 223 ff. —
0. Bendiner (Veget.-Verh. Südbayerns 1804, S. 4G8; betrachtet die Thal wiesen
ohne weiteres als „Kulturwieseu".
4) A. K. Brehm, Vom Nordpol zum Äquator. 1890. S. 75 H*.
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Das mitteleurop. Landscbaftsbild nach seinergeschichtl. Kntwickl. 365
Thäler der sibirischen Waldströme befinden, aber auch noch manche nicht
regulierte Strecken europaischer Stromthäler, so am Rhein, an der Donau,
Elbe, Oder, Weichsel, und namentlich an den Alpenströmen.
Einen besonders urwüchsigen Eindruck machen vielfach die Bergwiesen
oder Matten. Hier hat man zu unterscheiden zwischen den eigentlichen
Alpenwiesen oberhalb des Waldgürtels, also in einer Höhe von mindestens
1000 m u.d.M. '), und andrerseits dem Grasland tieferer Kegionen. In der alpinen
und auch schon in der subalpinen Region giebt es zahlreiche natürliche Pflanzen-
vereine, die thatsäehlich keinerlei Holzgewächse enthalten und daher einen
wiesenartigen Eindruck machen. Dies ist überall da der Fall, wo der Hoden
während des gröfsten Teils des Jahres von Schnee oder Eis eingehüllt ist, also
nahe der Grenze des ewigen Schnees oder auch tiefer am Rande der Gletscher,
in Sehneemulden und Sehneethälehen. Die Süfsgriiser spielen freilich hier
eine untergeordnete Rolle; dikotyle Krauter herrschen vor, daneben Ried-
gräser; die Ähnlichkeit mit den Thalwiesen besteht einzig in dem Fehlen
der Holzgewächse. Dagegen sind alle die sogenannten Bergwiesen innerhalb
der Waldregion, mag ihr Eindruck ein noch so urwüchsiger sein, wesentlich
als Kunstprodukte anzusehen. Sie sind öfters durch Entwässerung aus Moor-
grund entstanden, noch häufiger auf abgeholztem Waldboden oder auch an
Stelle ursprünglicher trockener Steppenheide oder Hügeltrift oder wie man's
nennen mag. Jedenfalls ist das gänzliche Fernbleiben der Holzgewächse in
allen diesen Fällen ausschliefslich der Sense zu verdanken, die des Jahres
mindestens einmal über diese Wiesenflächen hingeht*).
Ganz entsprechend verhält es sich mit den übrigen Formen des Gras-
lands, den Waldwiesen, Streuwiesen, Schafweiden, Triften, nur dafs
in den letztgenannten Fällen das Maul der weidenden Tiere das Geschäft
besorgt, das sonst der Sense obliegt: sie lassen keinen Holzwuchs aufkommen,
aufser den Hornsträuchern, die sich hier im Gegensatz zu den Wiesen häufig
finden. Was man in Süddeutschland als Heide zu bezeichnen pflegt, ist fast
immer Schafweide; der natürliche Pflanzen wuchs wäre hier, wenn nicht
geschlossener Hochwald, so doch ein lichtes Gebüsch. Wo die Schafhaltung
aufgehoben wird, pflegen sich derlei öde Flächen auch allmählich mit Holz-
wuchs zu überziehen3).
Auch die norddeutschen Heiden, die eigentlichen Calluna-Heiden,
waren, wie Borggreve und Krause nachgewiesen haben, jedenfalls zu ihrem
überwiegenden Teil ursprünglich bewaldet. Nur dort, wo die Stürme den
Waldwuchs nicht aufkommen lassen, was an der Nordseeküstc teilweise
wirklich der Fall zu sein scheint, besitzt die Heide als Stück der Urland-
sehaft ein eigentliches Heimatrecht4).
1) So tief senkt «ich die Waldgrenze nur im Harz; im Sehwarzwald und
Bühnicrwald liegt sie schon über 1400 m, im Alpengebiet durchweg über 1500 m.
2) Yergl. Enint H. L. Krause a. a. O.j Gradmann, Pflanzenleben der schwäb.
Alb. I S. 22« ff.
3) Grad mann, a. a. O. I S. 23ti ff.
4) Borggreve, über die Heide (Abh. naturw. Ver. Bremen III 1873). — Krnst
H. L. Krause, Die Heide (Bot. Jb hsg. v. Engler XX 1895). - Engler, Entwick-
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360
Roh. Gradmann:
Erst nachdem alle wichtigeren Landschafts- und Vegetationstypen nach
dieser Richtung untersucht sind, lüfst sich die Frage mit einiger Wahrschein-
lichkeit heant worten: welchen Anhlick würde die mitteleuropaische Landschaft
heute darbieten, wenn nie der Mensch störend in ihre Entwicklung ein-
gegriffen hätte? Und da erhalten wir nun thatsächlich das Bild eines
zusammenhängenden Urwalds, der sich von den Alpen bis zur Nord- und
Ostsee, von der atlantischen Küste bis zu den Pulsten Ungarns und den
Steppen Südrufslands erstreckt und sich weiter im Norden in den sibirischen
Waldgürtel fortsetzt Nur von wenigen Lücken ist dieser Urwald durch-
brochen. Da sind die Gipfel der Alpen und Karpaten sowie die bedeutenderen
Erhebungen einiger weniger Mittelgebirge, der Sudeten, des Harzes, des
Sehwarzwalds, des Wasgenwalds, des Schweizer Jura, die kahlen Hauptes aus
dem Wäldermeer emportauchen. Da sind ferner die Dünen und Heiden, die
Salzwiesen und Moore des Nordseestrands, im Innern einige Süfswasserbecken
und gröfsere Moorflächen; sonst blofs noch kleinere Lücken an Felsabstürzen
und Geröllhalden, sowie die vorübergehenden Blöfsen, wie sie etwa durch
den zündenden Blitzstrahl, durch Wind- oder Schneebrueh entstehen, um nach
kurzer Zeit wieder zu überwachsen. Nur an sonnigen Steilhängen und viel-
leicht bei sehr grofser Trockenheit auch auf ebenem Gelände wie etwa den
Heiden Südbayerns (Garchinger Heide, Lechfeld) oder gewissen Kalk- und
Löfshügcln Mitteldeutschlands1) hat man sich den Baumwuchs etwas lichter
zu denken, sonst überall dichten, geschlossenen Urwald2).
Mit der Vorstellung des Urwalds gilt es nun aber auch vollen Ernst zu
machen. Meist schwebt wohl das Bild eines wohlgepflegten Hochwalds vor,
nur mehr ins Grofsartige übersetzt und von einem unerschöpflichen Wild-
reicbtum belebt Die Berichte der Reisenden, die wirklichen Urwald gesehen
haben, wie etwa Goeppert im Böhmerwald3), Middendorf oder Brehm in
Sibirien, lauten ganz anders. Da sind nicht die weiten Hallen des hundert-
jährigen Hochwalds; Bäume aller Altersklassen stehen wirr durcheinander.
An uralten Riesen fehlt es nicht, aber sie sind umgeben vom jungen Nach-
wuchs, der undurchdringliches Dickicht erzeugt. Metertiefer Moder, worin
der Fufs einbricht, deckt den Boden; gras- oder krautartige Vegetation tritt
im Waldgrund ganz zurück und macht sich höchstens an Wasserläufen und
auf den kleinen, rasch vergänglichen Blöfsen geltend. Den stärksten und
hing der Pflanzengeographie (Humboldt-Cent ennarsehrift hsg. v. der Oes. f. Erdkd.
zu Berlin 1899) S. 190.
1) 0. Drude, Deutschlands Pflanzengeograi>hie I 1896 S. 293.
8) Schlatter (Ober die Verbreitung der Alpenflora, Ber.Si.OaU. nat, Ges. 1*78,
S. 351 f. — Die Einführung der Kulturpflanzen in den Kantonen St. (iallen u. Appen-
zell, a. a. O. 1891, S. 121 f.) und mit ihm H. Christ (Pflanzenleben der Schweiz 1879),
ebenso Ernst H. L. Krause (Die natürl. Pflanzendecke Norddeutschi., Globus ßl.
1898) gehen in der Betonung der ursprünglich geschlossenen Waldbcdeekung noch
weiter, während 0. Drude i'a. a. O. S. 292 ff.) die natürlichen Lücken des Waldbilds,
jedoch in nicht wesentlich anderem als dem oben vorgetragenen Sinn, mehr her-
vorhebt.
3) Skizzen zur Kenntn. der Urwälder Schlesiens u. Böhmens (Acta Ac. Leop.-
Car. 34. 1868). — Vgl. dazu auch 0. Drude a. a. 0. S. 291 f.
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Das mitteleurop.LandschaftBbild nach Beinerjf cschichtl.Entwickl. 367
überraschendsten Eindruck raachen offenbar auf alle Beschauer die Massen
von kranken und abgestorbenen Baumen. „Da stehen und lehnen, hängen
und liegen vermorschende Bäume allüberall. Aus den Überresten, gefallener
Stämme sprossen junge Schöfslinge auf. Riesige Baumleichen sperren in
Dickichten Wege und Stege." „Wie das Innere der (sibirischen) Waldungen
beschaffen ist, vermag niemand zu sagen, weil nicht einmal die aus solcher
Wildnis den Hauptströmen zufliefsendcn Gewässer hemmnisloses Vordringen
erlauben und selbst die kühnsten Zobeljäger nur einen Grenzgürtel von
höchstens einhundert Kilometer Breite kennen gelernt haben sollen." Das
sind Worto Brehm's1). Middcndorff hat namentlich dem Erstaunen über die
merkwürdige Armut an Wild lebhaften Ausdruck gegeben; „zum Verhungern
leer" nennt er die Urwälder Sibiriens, und er macht gleichzeitig darauf auf-
merksam, dafs dies keineswegs eine besondere Eigentümlichkeit Sibiriens ist,
dafs von anderen Urwaldgebieten, z. B. von Nordamerika, vom Himalaja,
ganz ähnliche Erfahrungen vorliegen. Erst gegen die Steppe hin und in der
Nähe menschlicher Wohnstätten nimmt der Wildbestand etwas zu. Auch die
Ob wegsam keit der Wälder geht aus MiddcndorfFs Berichten deutlich hervor.
Seine Reise ins Taimyrland macht er auf dem gefrorenen Strom; das ist der
einzige Pfad, der von der Steppe durch den sonst undurchdringlichen Waldgürtel
zur Tundra führt. Von den Urwäldern am Ochotskischen Meer berichtet er, dafs
sie nur durch Wildstege, welche die Bären getreten haben, gangbar werden.
„Ohne die Bären wären manche Dickichte jener Gegend kaum durchdringlich.
Die Bären sind dort die Vertreter der Kultur, indem sie dem Menschen die
Wege bahnen."2) Ahnlich, vielleicht etwas reicher an Wild wegen der
besseren Nahrung, welche die Laubhölzer bieten, aber sicher nicht leichter
zugänglich hat man sich die mitteleuropäischen Urwälder vorzustellen. Von
saftigen Wiesengründen, von weitem, offenem Weideland enthält das ganze
Landschaftsbild kaum eine Spur; höchstens am Meeresstrand sind zu allen
Zeiten gröfsero waldfreie Flächen zu denken.
n.
Das hiemit gewonnene Ergebnis hat nun aber eine ernste Probe zu
bestehen. Es giebt ja noch einen ganz andern Weg, der ebenfalls zu der
Urlandschaft zurückzuführen verspricht, das ist der historisch-archäolo-
gische. Die geschichtliche Überlieferung reicht ja allerdings nicht unmittelbar
bis in die Urzeit zurück; als Pytheas die ersten dürftigen Nachrichten von
den Ländern nördlich der Alpen brachte, waren diese schon seit Jahrtausen-
den bewohnt. Wohl aber können wir in der geschichtlichen Vergangenheit
einen möglichst weit zurückliegenden Punkt aufsuchen, für den sich der
Landschaftszustand noch annähernd feststellen läfst; wir dürfen annehmen,
dafs derselbe dem Urzustand jedenfalls näher ist als der gegenwärtige. Wir
lernen damit die Richtung kennen, in der sich die Entwicklung vollzogen
1) Brehm a. a. 0.
2) Th. v. Middendorf!', Reise in den äußersten Norden u. Osten Sibiriens
IV 2 (1875) S. 786 ff. 996.
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368
Rob. CJradmann:
hat, und indem wir diese rückwärts verfolgen, müssen wir ebenfalls und
ganz unabhängig von der naturwissensehaftlich-kulturtechnologisehen Methode
zu dem Hilde der Urlaudsehaft gelangen.
Als ein solcher möglichst weit zurückliegender fester Punkt empfiehlt
sich die Zeit der römischen Eroberung in Deutschland. Wie hat es
damals bei uns ausgesehen? Die landläufige Anschauung lautet, wenn ich
nicht irre, ungefähr so: dichter Urwald breitete sich noch unabsehbar über
das ganze Land; unter seinen tausendjährigen Eichen und finsteren Tannen
hauste noch halbwild der Germane, lag auf Härenhäuten und trank sein
Bier und seinen Meth; den bescheidenen Lebensunterhalt verschaffte er sich
hauptsächlich durch die Jagd und allenfalls noch durch Raubzüge in die
höher zivilisierten Nachbarländer. Für eine solche Vorstellung kann man sich
auf Aussprüche römischer Schriftsteller berufen; sie scheint auch vortrefflich zu
dem Bilde, das wir aus anderen Quellen bereits gewonnen haben, zu stimmen.
Gleichwohl ist sie grundfalsch, wie freilich jedem Kenner des Altertums be-
kannt sein iuufs1); immerhin scheint mir die berichtigte Anschauung einer
noch entschiedeneren Hervorhebung zu bedürfen.
Halten wir uns zunächst einmal an die Verbreitung der römischen und
der etwa gleichzeitigen keltischen und germanischen Altertümer, so be-
kommen wir sofort ein ganz anderes Bild, nämlich keineswegs dasjenige
einer gleichraäfsigen Waldbedeckung, vielmehr eines überaus scharfen
Gegensatzes zwischen stark bevölkerten Gebieten einerseits und
gänzlich unbewohnten Landschaften andererseits2). Im jetzigen
Königreich Württemberg sind z. B. weit über 400 römische Niederlassungen
nachgewiesen3). Diese alle drängen sich, wie auch die Hügelgräber und
sonstigen Altertümer aus vorrömischer Zeit, im Neckarland, auf der Alb und
in gewissen Teilen Oberschwabens zusammen; der Schwarzwald und die Höhen
der Keuperstufe, der Schurwald, Welzheimer, Mainhardter, Murrhardter
Wald, die Löwensteiner, Waldenburger, Limpurger und Ellwanger Berge,
ebenso die anschliefsende Frankenhöhe sind fast leer1). Ebenso leer sind
die mitteldeutschen Gebirge, Rhön, Thüringerwald, Frankenwald, Erzgebirge
und Riesengebirge, Böhmerwald und mährisches Gesenke, im Westen die
Ardennen, die Vogesen, der Schweizer Jura, im Süden grofse Teile der
1) Sie ist schon von J. Möser widerlegt.
2) Vgl. zu dem Folgenden für Süddeutschland bes. die archäologischen Karten
von Ed. Paulus, P Ohlenschlager und E. Wagner; für die Rheinlandc
K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter 1880, für Mitteldeutsch-
. land Fr. Regel, Thüringen 1892/90, für das Königreich Sachsen R. Wuttke,
Sächsische Volkskunde 1900, für Böhmen A. Häuften, Einführung in die deutsch-
böhmische Volkskunde 181)6, für die Schweiz K. Dändliker, Gesch. der Schweiz
1885. Weitere Quellen sind unten noch angegeben.
3) Jul. Hartmann. Die Besiedlung Württembergs. (Württemb. Neu-
jahrsbl. XI 1894.)
4) Auf diesen Gegensatz ist schon oft hingewiesen worden; vgl. z. H. Kd. v.
Paulus (d. Ä.), Die Altertümer in Wflrtt. (Württ. Jahrb.. f. Statist, u. Landesk.
1875) S. 159. — Jul. Hartman n. ('her die Besiedlung des württ. Schwarzwalds
(Württ. Jahrb. 1893) S. 4 ff. — Karl Well er, Ansiedlungsgeschichte des württ
Fraukeus <Württ Vicrteljahrsli. f. Landesgesch. N. F. III 1891) S. 4.
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Das mitteleuropLandschaftsbild nac h seiner geschichtl. Entwickl. 369
Alpenländer. Reich besiedelt erscheint dagegen z. B. die oberrheinische
Tiefebene, das Alpenvorland, besonders in seinem tieferen, an den Jura und
die Donau anschliefsenden Teil, ferner die schwabische und fränkische Alb,
die (irgend um den mittleren Main, das Moselland, das subhercjnische Hügel-
land und endlich ein breiter Küstenstreifen entlang der Nord- und Ostsee1).
Auf den gleichen Gegensatz von gänzlich unbewohntem Ödland einer-
seits und rcichbesiedelttm Landschaften andererseits fuhren in Wirklichkeit
auch die Nachrichten römischer Schriftsteller. Man darf nur nicht blofs die
rhetorisch gefärbten Stellen herausgreifen, wo der Gegensatz zu der südlichen
Kulturlandschaft, um damit etwas Merkwürdiges zu sagen, möglichst stark
hervorgekehrt und unwillkürlich verallgemeinert wird*).
Die Römer kannten ziemlich bestimmt umgrenzte deutsche Waldgebietc
und haben uns deren Namen überliefert. So nennt Cäsar im Westen die
silva Arduenna, den Ardennerwald, der aufser den heutigen Ardennen auch
noch die gesamte Eitel, wahrscheinlich auch Hundsrück und Hochwald um-
fafste3). Ostlich vom Rhein wird dann die silva Caesia genannt4), weiter
nördlich der bekannte Teutoburger Wald (Osning), im hessischen Bergland
später die Buchonia silva5). Das gröfste Waldgebiet war die Hercynia silva.
Der Name, ursprünglich keltischer Gattungsname und nichts anderes als
Bergwald bedeutend, wird bald enger bald weiter gebraucht; in allen Fällen
schliefst er die mitteldeutschen Waldgebirge in sich vom Odenwald und
Spessart bis zum Riesengebirge und Mährischen Gesenke, zuweilen auch noch
den Böhmerwald und bei Cäsar anscheinend sogar den Schwarzwald. Der
Böhmerwald führt noch den besonderen Namen rußg^ra Gabreta silva,
der Thüringerwald Semana silva; der Schwarzwald heifst Abnoba oder Mar-
tiana silva6). Der von Cäsar7) bereits genannte Jura drückt seinen Charak-
ter schon im Namen aus; Jura bedeutet Wald, Schwarzwald8), und noch
Gregor von Tours spricht von dem Juren.se desertum. Seine Tannen, wie
auch die des Wasgenwalds, werden von Plinius erwähnt9). Als sehr wald-
reich werden auch die Alpenländer geschildert10). An den Bodensee schliefst
sich eine Waldwildnis au11), die Bottav fpj^ufo12). Endlich ist wohl auch
unter dem ijpjpog rüv EkovTptaiv dos Ptolemäus13) schwerlich etwas anderes
1) Der römische Einfluf« erstreckte sich bekanntlich nicht über die Elbe
hinaus; es fehlt uns deshalb für das östliche Deutschland ebenso an sicher datier-
baren Altertümern wie an historischen Nachrichten.
2) Ich denke dabei vor allem an die oft angexogenen Stellen Tacit. (Jerm. 5:
Terra etsi aliquante specie difl'ert, in Universum tarnen aut silvis horrida aut palu- f
dibus foeda und Plin. 16,5: Aliud e silvis miraculum: totam reliquam Germaniam
rcplent adduntque frigori umbras.
3) Lamprecht I 8. 93.
4) Tacit. Ann. I 60.
5) Casars Bacenis silva ist weiter östlich zu suchen und nicht näher bestimm-
bar (Kiepert, Lehrb. der alten (Jeogr. 1H78 S. 636).
6) Die betr. Stellen aus Cäsar, Tacitus, Plinius, Strabo u. s. f. sind zusammen-
gestellt bei K. Zeuse, Die Deutschen und dio Nachbarstämme. 1837. S. 5 ff.
7) Bell. Gall. 4, 10. 8) J. J. Egli, Nomina Geographica 1893, S. 463.
9) Plin. 16, 197. 10) Strabo VII, 1. 11) Amniian. XV, 4.
12) Strabo VII, 1. 13) 2, 11, 10. 7.
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Hob. G radmann:
zu verstehen als ein Urwaldgebiet, nämlich die bewaldeten Keuperhöhen im
Norden der schwäbischen und fränkischen Alb1).
Dafs diese deutschen Waldgebiet« in römischer Zeit noch als wirkliche
Urwälder zu denken sind, geht aus den Aufserungen der Schriftsteller deut-
lich hervor und wird überdies durch die mittelalterliche Besiedlungsgeschichte
bestätigt. Vor allem wird die Unzugänglichkeit der Waldgebiete stark
hervorgehoben. Ein grofser Teil Deutschlands, sagt Pomponius Mela, ist
durch seine Wälder und Sümpfe unwegsam*); den Bodensee schildert
Ammian als gröfstenteils unzugänglich wegen der schauerlichen Urwälder,
die ihn umgeben3). Und um die Unzugänglichkeit und beängstigende
Wildnis des eimiuischen Waldes zu malen, weifs Livius keinen treffenderen
Vergleich als die Wälder Germaniens4). Jahrhundertc lang hatte der Ur-
waldgürtel Mitteldeutschlands die unübersteigliche Grenzmauer gebildet, welche
die Germanen im Norden von den Kelten im Süden schied; erst nachdem
von den Chatten und Markomannen der Damm einmal durchbrochen war,
ergofs sich auch ein germanischer Völkerstrom nach dem andern gegen den
nunmehr unaufhörlich bedrohten Süden5). Bezeichnend ist auch, dafs auf
die Körner die Wälder offenbar einen viel tieferen Eindruck gemacht haben
als die Bodenerhebungen; die deutschen Gebirgszüge werden meistens nach
ihrem Pflanzenwuchs benannt als siltac oder saltus, viel seltener nach ihrer
Erhebung als monics. Begreiflicherweise; was sich bemerklich machte, das
1) So wird da» Wort mit Hinweis auf den späteren ständigen Sprachgebrauch
(eremuB oder desertum «= Urwald) schon von Christ. Fr. Stalin erklärt (Wirtcmb.
Geschichte I 1M41. S. 5. »5); ähnlich auch K. Möllenhoff, Deutsche Altertums-
kunde II 1887, S. 268. An ein früher besiedeltes und später verödete» Land
(Moniuisen, Köm. Gesch. V 1885 S. 138) ist schon deshalb nicht zu denken, weil
sich im Fall einer schon an eich unwahrscheinlichen völligen Entvölkerung des
Kulturlandes die keltischen Flufsnamen nicht hätten erhalten können (vgl. Well er
in Wörtt, Vierteljahrsh. N. F. III 1894 S. 8 f.). Ob Stälin mit dem Ausdruck
„Schwäbisches Waldgebirg" wirklich das Keupergebiet gemeint hat, vermag ich
nicht zu sagen. Jedenfalls hatten nach Tacitus die Helvetier früher in unmittel-
barer Nachbarschaft dieses Waldgobiets gewohnt (Germ. 28: inter Hercyniam sil-
vam, Khenumque et Moenum amnes Helvetii). An einem Teil dieses Waldgebiets
(worüber Näheres in meiner Abhandlung „Der obergermaniscVrjitisehe Limes und
das fränkische Nadelholzgebiet" Peterm. Geogr. Mitt. 18U9) ist der Name virgund
(heute „Virngrund") haften geblieben, wohl ein keltisches Wort und gleichbedeu-
tend mit Hercynia oder vergunna (Wildnis) nach M. Ruck, Flurnamenbuch 1880
S. 288; Das Königr. Württ, I 1882 S. 242. Anders K. Zeus», Die Deutschen und
die Nachbarstämme 1837 S. 10 naeh Grinim = fairguni, fergunna Gebirge.
Meitzen 'Siedelung und Agrarwesen 1895 I S. 407) bringt den Namen mit den Bur-
gunden in Zusammenhang, die er in dem Urwald zwischen rätischem und ober-
germanischem Limes wandern und wohnen läfst — zum Beweis, wie unerläßlich
die genaue Kenntnis der Landschaflsgeschichte für die Beurteilung mancher ge-
schichtlichen Vorgänge ist.
2) Silvia ac paludibus invia. De situ orbis III 3.
3) Horrore silvarum squalentium inaccessum. Ammian. XV 4.
4) Silva erat Ciminia magis tum invia atque borrenda qum nuper fuere Ger-
raanici saltus, nulli ad eam diem ne mercatoribus quidem adita. Liv. IX 35 f.
6) H. Kiepert, Lehrbuch der alten Geogr. 1878 S. 535. — K. Möllenhoff,
Deutsche Altertumskunde II. 1887. S. 218. 236. 302.
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Das initteleurop. LandschaftHbild nach seinergesi hichtl.Ent wickl. 371
war vor allen Dingen der kulturfeindliche, den Verkehr hemmende Urwald;
die Bodenerhebung an und für sich kam daneben kaum in Betracht. So
nehmen denn auch auf der Karte des Ptolemäus, wie Ratzel bemerkt, die
Wälder und Sümpfe eine hervorragendere Stelle ein als alle Gebirge1).
Nun geht schon aus der einfachen Thatsache, dafs gewisse Landstriche
des alten Germaniens durch ihre Waldbedeckung aufgefallen und darnach be-
nannt worden sind, mit zwingender Notwendigkeit hervor, dafs der Rest des
Landes /um mindesten weniger stark bewaldet gewesen sein mufs. Dies
ergiebt sich weiter aus der höchst bedeutenden Volkszahl, die in diesem Lande
ansässig war. Nichts hat ja die Römer so sehr in Staunen und Schrecken
gesetzt, als die immer neuen Völkermassen, die sich trotz aller Vernichtungs-
kämpfe aus dem Innern Germaniens ergossen. Hat es aber grofse unbe-
wohnte Waldgebietc hier gegeben, so müssen die übrigen Landschaften nur
um so stärker bewohnt gewesen sein von einem Volk, das zu seiner Er-
nährung ein grofses waldfreies Acker- und Weideland brauchte.
In Wirklichkeit ergiebt sich auch aus den Nachrichten der römischen
Geschichtschreiber und Geographen bei allseitiger Berücksichtigung ihrer An-
gaben keineswegs das Bild eines Jäger- und Räubervolks. Die Vorliebe für
die Jagd wird ja von Cäsar und Tacitus recht stark betont, aber der erstere
erwähnt, der andere beschreibt ausführlich daneben den Ackerbau und dio
Viehzucht der Germanen3). Schon die Kimbern und Teutonen bitten um
Land und Korn zur Saat. Julian trifft die Alamannen, die eben erst im
Elsafs eingebrochen waren, daselbst friedlich ihre Saaten bestellend. Probus
rühmt in einem Schreiben an den Senat: „Für euch pflügen die Barbaren
den Acker und für euch streuen sie Saat aus! Die gallischen Felder werden
mit deutschen Ochsen gepflügt, . . . alle römischen Scheunen sind voll deut-
schen Getreides"3). Thatsächlich wurden auf deutschem Boden Getreidearten
gebaut, welcho den Römern erst durch die Germanen bekannt wurden4).
Der treffliche breitscharige Pflug ist urdeutscho Erfindung, während die
römische Landwirtschaft sich mit dem elenden, noch heute in der Campagna
üblichen Hakenpflug behalf5). Auch das Hufeisen haben die Römer erst bei
den Kelten und Germanen kennen gelernt; in älterer Zeit hatten sie ihre
Pferde gar nicht beschlagen6). Und bei alledem ist noch immer das Vor-
urteil verbreitet, als haben dio Deutschen erst von den Römern den Acker-
bau lernen müssen! In Wirklichkeit hat der Ackerbau und zwar der höhere
Ackerbau mit Pflug und Rind schon lang vor Tacitus den Hauptnahrungs-
1) Fr. Ratzel, Anthropogcographie. 1882. S. 185.
2) Oaes. Reil. Gall. IV 1; VI 21; Tacit. Germ. 5. 15. 26.
3) Vgl. Job. Meyer, Die drei Zeigen 1880 (Progr. der Thurg. Kantonsschule
p. 1879 80) S. 65.
4) Hafer, Roggen und Behr wahrscheinlich auch Dinkel. Vgl. hierüber
(5. Buschan, Vorgeschichtl. Botanik 1895. lt. (Jradmann, Pflanzenleben der
schwäb. Alb. 2. Aufl. 1900. I S. 387 ff.
6) Aug. Meitzen, Siedelung u. Agrarwesen. 1895. I S. 272.
6) Vgl. Braungart, Die Huleisenfunde in Deutschland (Landw. Jahrb. hBg.
v. Thiel. 22. 1893).
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372
Hui», (iradraann:
zweig des Volkes gebildet1). Ackerbau aber betreibt man nicht im dichten
Urwald, sondern auf freier FeldHur. So werden wir denn auch von hier
aus wieder auf den (Gegensatz geführt von ausgesprochenen Urwaldgebieten
einerseits und offenem, waldfreiem oder doch waldarmem Kulturland
andererseits.
Wer hat aber diesen Gegensatz geschaffen, da wir doch zunächst
von der Voraussetzung einer ursprünglich gleiebmüfsigen Waldbedeckung
Mitteleuropas, wenigstens des Binnenlands, ausgehen müssen?
Darüber scheinen alle einig zu sein, die schon an der Besiedlungsge-
sehiehte Deutschlands gearbeitet haben: von Rodungen gröfsereu Mafsstabes findet
Bich bei den Germanen in vorrömischer Zeit noch keine Spur8). Ein solches
Werk ist auch für niedere Kulturstufen von vornherein recht schwer vorstellbar.
Man denkt sich die Arbeit des Wülderrodens vielfach zu leicht. Mit dem blofsen
Niederhauen oder gar Niederbrennen des Waldbestandes ist es nicht gethan.
Zumal das Feuer wirkt im Urwald ganz anders, als man es sich wohl ge-
wöhnlich vorstellt. Als anschaulichstes Zeugnis sei wieder eine Schilderung
Brehms von der Wirkung des Waldbrandes im Urwald angeführt: „Die
Flammen vernichteten wohl das Leben der Bäume, verzehrten aber nur die-
jenigen unter ihnen, welche zur Zeit des Brandes bereits verdorrt waren;
die mehr angerufsten als verkohlten Stämme jener bleiben daher stehen,
und selbst ihre Wipfel büfsten blofs die Nadeln, Schöfslinge und dürren
Zweige ein.4* Mit der Zeit fallen nun die noch aufrecht stehenden Baum-
leichen dem Sturm anheim. „Einer und der andere wird zu Boden ge-
worfen, einer und der andere entastet, entwipfelt, im oberen Dritteile oder
Vierteile abgebrochen. Kreuz und <juer, in allen Richtungen durch, in ver-
schiedenen Höhen über einander, liegen nach geraumer Zeit Tausende von
Baumleichen am Grunde, welchen unzählige Baumtrümmer bereits früher
bedeckten." Erst nach Jahren beginnt sich der Boden wieder zu begrünen,
und zwar nicht etwa mit Graswuchs, sondern mit Flechten, Moosen, Farnen
und hauptsächlich mit Beerensträuchern, die dann später wieder dem Wald-
wuchs IMatz machen8).
Durch blofses Niederbrennen läfst sich demnach kein Urwald in Acker-
oder Weideland umschaffen; höchstens die Arbeit des Wegräumens wird da-
durch zum Teil erspart, und das wird der Grund sein, dafs das Niederbrennen
in Nordamerika so viel geübt worden ist. Zum Urbarmachen gehört noch
etwas anderes. Ist das Holz, sei's min durch Hieb oder durch Brand, einmal
niedergelegt und abgeräumt, dann beginnt erst das Roden, d. h. das müh-
same Ausgraben der Stöcke. Etwas anderes hat der Bauer, der Waldarbeiter
unter Roden oder Reuten noch nie verstanden. Nur in Büchern werden die
Wälder mit der Axt oder mit Feuer „gerodet".
1) So auch nach Hirt, Die vorgeschichtliche Kultur Europas und der Indo-
germanen (Geogr. IV 18<>8. S. 377).
2) Vgl. z. B. W. Arnold, Ansiedelungen u. Wanderungen. 1875. S. 61. -
bamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter. I S. 107. — Meitzen
a. a. O. I S. 136.
Ii) A. E. Urehm, Vom Nordpol zum Äquator. 1890. S. 75 ff.
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Das uiitteleurop. Landschaftsbild nach seiner geschieht! Entwickl. 373
Fast unbegreiflich ist es, wie man die bis vor wenigen Jahren gerade
von den Sachkundigen allgemein geteilte Ansicht, dafs die Gormanen, ja die
Arier überhaupt als Nomaden in Mitteleuropa eingezogen seien, mit der
Vorstellung einer dichten Urwaldhedeekung vereinbar finden konnte. Noch
niemals haben Nomaden in Wiildern gewohnt oder Wälder gerodet. Sie
siud zum einen so wenig befähigt wie zum andern. Der Urwald bietet für
Wanderhirten mit ihren Herden weder Nahrung noch freie Bewegung, und
vollends der Gedanke, dafs ein Hirtenvolk durch mühsame Rodearbeit sich
die Weideplätze erst künstlich schaffen soll, steht in einem so ungeheuerlichen
Widerspruch zu der extensiven Wirtschaft, um die es sich hier handelt, zu
den gewaltigen Räumen, die thatsächlich eine einzige Nomadenfamilie zu ihrem
Unterhalt braucht, dafs es fast lächerlich ist, nur davon zu reden. Hat es
jemals in Mitteleuropa Wanderhirten gegeben, so müssen sie weite wald-
freie Weideplätze bereits vorgefunden haben.
Denken wir uns entsprechend den neueren Anschauungen1) einen
Ubergang von einem ursprünglichen Jäger- oder Fischerleben zum Hackbau
und später zum höheren Ackerbau, so ist allerdings die theoretische Möglich-
keit gegeben, dafs die Urbevölkerung mit Rodungen in kleinstem Mafs be-
gonnen und die späteren Bevölkernngsschichten ganz allmählich Schritt für
Schritt das gewonnene Kulturland bis zu dem Umfang, den wir itlr die
römische Zeit festgestellt haben, erweitert hätten. Eine derartige Annahme
steht aber im Widerspruch mit den sichersten Ergebnissen der archäologischen
Befunde. Wir müssen ausgehen von der Thatsache, dafs die Germanen zur
römischen Zeit nicht gerodet haben2), und zwar trotz grofser Landnot.
Sie wufsten sich nicht anders zu helfen als durch Auswanderung; dem ge-
schlossenen Urwald standen sie otfenhar machtlos gegenüber. Wir begreifen
das; das Vordringen in Urwälder, um sie zu roden und zu kultivieren, setzt
schon eine hochentwickelte Kultur voraus, vor allem kultivierte Stützpunkte
zur Ernährung der Kolonisten über die Zeit der Urbarmachung3). Sollte
schon eine vorausgegangene Bevölkerung dies Werk vollbracht haben, so
müfsten wir ihr eine entsprechend höhere Kultur zuschreiben. Die aufeinander-
folgenden Kulturschichten, wie sie sich aus den archäologischen Funden er-
geben, zeigen jedoch von einer derartigen rückschreitenden Bewegung kaum
eine Spur, sondern im Gegenteil einen nahezu stetigen Fortschritt.
Schwerer wiegt eine andere Thatsache, die mit der Verbreitungs-
statistik der prähistorischen Altertümer zusammenhängt. Es gilt vielfach
als ausgemacht, dafs die Kultur überall die günstigsten Funkte zuerst auf-
gesucht und sich von hier aus strahlenförmig allmählich auch über die
weniger fruchtbaren Landstriche ausgebreitet habe4). Wer von dieser
Voraussetzung ausgehend aus der archäologischen Karte eine geographische
Entwicklung der prähistorischen Besiedluugsgeschichte herauslesen möchte,
der erlebt eine schwere Enttäuschung. Wenn man sieht, mit welchen Riesen-
1) Ed. Hahn, Die Haustiere und ihre Heziehungen zur Wirtschaft als Menschen.
1896. — Hirt a. a. 0. S. 369 ff.
2) S. vorige Seit*. 3) Vgl. Meitzen I S. 14. 136.
4) Wir kommen an anderer Stelle noch auf diesen Punkt zurück.
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374
Hob. Gradmann:
schritten die Kultur während des Mittelalters in zuvor unbewohnte Gebiete
vorgedrungen ist, so ist man freilich nur zu sehr geneigt, diese Bewegung
auch rückwärts in die vorgeschichtliche Zeit hinein zu verlängern. Aber in der
Fundstatistik sucht man vergeblich nach Belegen, und vielleicht ist das auch
ein Grund dafür, dafs die archäologischen Karten bisher weniger beachtet wurden,
als sie es verdienen. Der Mangel jedes geographischen Fortschrittes
in der Landesbesiedlung von der neolithischcn Zeit durch die
Bronze-, Ballstatt- und La Tene-Periode bis an die Schwelle der
Kömerzcit gehört zu den auffallendsten Thatsaehen der Prähistorie.
Ich sage: jedes geographischen Fortschrittes. Denn die Funde zeigen
wohl in den einzelnen Perioden verschiedene Dichtigkeit, sie werden im
allgemeinen um so spärlicher, je weiter wir in der Zeit zurückschreiteu; dafs
jeweils verschiedene Örtlichkeiten als Wohnst ättcu bevorzugt wurden, mag
ebenfalls zugegeben werden. Allein von irgend welcher räumlichen Ent-
wicklung, von einem allmählichen Vordringen in bisher unbewohnte Gebiete,
sei's von den östlichen Steppen, sei's von der Meeresküste oder auch von
einzelnen Kernpunkten im Innern aus, findet sich schlechterdings kein An-
zeichen. Alle die Landschaften, die man in .spätgermanischer Zeit besiedelt
findet, waren auch zur jüngeren Steinzeit schon bewohnt, wenn auch wahr-
scheinlich weniger dicht. Und zwar sind schon die Steinzeitmenschen keine
Waldmeuschen, keine blofseu Jäger oder Sammler gewesen; sie besafsen, wie
aus den Pfahlbaufundeu bekannt ist, Rinder, Schafe und Schweine, bauteu
Weizen, Birse, Gerste und Lein und müssen demnach auch schon über
Acker- und Weideland verfügt haben. Mau kann dem Schlufs nicht aus-
weichen: sind die alten Kulturfiächen Mitteleuropas, wie sie noch am Be-
ginn unsrer Zeitrechnung als einzige und ausschliefsliche Stätten der Be-
siedelung gedient haben, überhaupt vom Menschen geschaffen, künstlich
entwaldet worden, so kann dies Werk nur der neolithische Mensch vollbracht
haben. Wer mag aber dieser Bevölkerung zumuten, dafs sie mit ihren
ärmlichen Steinwerkzeugeu unormefsliche Urwälder gerodet und damit eine
That verrichtet habe, an deren Fortsetzung kein späteres Geschlecht bis
zum Eindringen der Römer sich mehr heranwagte?
Es bleibt nur die Annahme übrig, die manche Historiker, ohne sich der
entgegenstehenden Schwierigkeiten bewufst zu werden, mehr oder weniger klar
voraussetzen, zu der aber auch einer der vornehmsten Vertreter wissenschaft-
licher Geographie im vollen Bewufstsein ihrer Tragweite gelangt ist: dafs
nämlich schon die ersten Besiedler Mitteleuropas bestimmte
Gebiete bereits in waldfreiem Zustande vorgefunden haben1).
1) Penck in Kirchhoff's Länderkunde des Erdteil« Europa I, 1 (1887) S. 441:
„Der Streifen des Löfsgebietes zwischen den waldigen (icbirgshöhen und den wald-
bedeckteu Ebenen [im Norden der böhmischen Umwallung] ist somit der eigentliche
Sitz der Slaven und war früher besiedelt als die benachbarten Waldgebiete. Teil-
weise mag sich dies auf seine Fruchtbarkeit zurückführen, welche eine Ackerbau
treibende Bevölkerung anzog; aber wenn nicht gerade angenommen werden soll,
dafs dieselbe instinktiv innerhalb grofser Waldflächen den besten Feldboden rodete,
so ist wohl wahrscheinlich, dafs sie die Löfedistrikte in waldfreiem Zustande als
Wieseugebiete vorfand, ähnlich den Prärien des nordamerikanischen Westens."
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Das initteleurop.Landschaftsbild nach seiner geschichtl.Entwickl. 375
m.
Wir sind damit bei einem sehr eigentümlichen Ergebnis angekommen.
Naturwissenschaftliche Thatsachen fordern die Annahme einer ununterbrochenen
Waldbedeckuug als Naturzustand Mitteleuropas. Die historischen und archäo-
logischen Befunde zeigen uns im Gegenteil weite waldlose oder doch sehr
waldarme Gebiete schon für die Urzeit. Wie ist dieser Widerspruch zu be-
seitigen ?
Die Lösung des Rätsels wird doch wieder von naturwissenschaftlichen
Thatsachen dargeboten. Auch die Geologie lehrt ja, dafs gewisse Teile
Deutsehlands einst von Natur waldfrei gewesen sind, allerdings nicht unter
dem gegenwärtigen Klima, sondern schon während der Diluvialperiode unter
der Herrschaft eines trockenen waldfeindlichen Klimas1). Welche Gebiete
dies waren, läfst sich wohl noch annähernd feststellen; wir besitzen dafür
verschiedene Anhaltspunkte. Einmal ist es der Löfs, der durch seine Ver-
breitung alten Steppenboden anzeigt. Seine äolische Entstehung wird ja
jetzt so ziemlich allgemein zugegeben; aufserdem ist in seinem Kalkgehalt
eine innige Beziehung zur Steppenvegetation und den ihr eigentümlichen
Verwitterungsvorgängen nachgewiesen2). Ein weiteres Hilfsmittel besitzen wir
in den Überresten von charakteristischen Steppentieren, wie sie Nehring
an so zahlreichen Punkten Mitteleuropas nachgewiesen hat, und endlich
in der Verbreitung von Steppenpflauzen, d. h. Arten, die weder im ge-
schlossenen Walde noch auf Kulturboden lebens- und wanderungsfähig sind,
und die noch heute ein sehr streng geschlossenes charakteristisches Vor-
kommen zeigen3).
Diese Zeugnisse stimmen recht befriedigend überein. Wo der Löfs ist,
da finden sich auch die Steppenpflanzen, und auch die fossilen Steppentiere
sind auf die gleichen Verbreitungsgebiete beschränkt. Dafs dies wirklich
1) Von der Zurückdrängung de» Waldes während der ohne Zweifel feucht-
kalten Vergletscherungsperioden ist hier nicht die Rede, weil ich einen direkten Zu-
sammenhang der Besiedelungsgeschichte mit der Ausbreitung der Gletscher nicht
zu erkennen vermag. Die Pfahlbaukultur schliefst Bich den Moränengebieten offen-
bar nur wegen ihres Seenreichtums an.
2) Der trockene Steppenboden reichert sich mit Karbonaten und anderen
Salzen an, während im Waldklima der Boden ausgelaugt wird. Hilgard, A Re-
port on the Relations of Soil to Climate (U. S. Department of Agriculture, Weather
Bureau Bull. Nr. 3). — N. Bogoslowsky, Die Verwitterungsrinde der russischen
Ebene (Verh. Russisch -Kais. Mineral. Gesellseh. 2. Serie. Bd. 38. 1. Lief. S. 281 ff ).
— R. Gradmann, Pflanzenl. d. Schwäb. Alb. 18U8. I S. 326. — Erst unter diesem
Gesichtspunkte wird die so scharfe Abgrenzung der Löfsvorkommnisse verständlich,
während sich nicht vorstellen läfst, warum Staubniederschläge am Rand der Wald-
gebiete so plötzlich Halt machen sollten.
3) Beispiele bei Loew, Über Perioden und Wege ehemaliger Pflanzen-
wanderungen im norddeutschen Tieflaude, Linnaea Bd. 42. 1878 — 79. — O. Drude,
Die Verteilung östlicher Pflanzengenossenschaften in der sächsischen Elbthal-Flora.
Isis 1885. 18'J5. — A. Schulz, Grundzüge der Entwickelungsgesch. der Pflanzen-
welt Mitteleuropas. 1893. — A. Petry, Vegetationsverhältnisse des Kyffhäuser-Ge-
birgea 1889. — W. Jännicke, Die Sandflora von Mainz, ein Relikt aus der Steppeu-
zeit 1892. - Gradmann a. a. 0. 1900. I S. 275. 278. 337 ff.
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376 Rol>. Gradmann: Das mitteleuropäische Landschaftsbild etc.
einmal Steppengebiete waren, während die benachbarten Waldlandschaften
als solche fortbestehen konnten, ist um so wahrscheinlicher, als sie sich auch
durch verhältnismäßig trockenes Klima und vorwiegend lehmige Boden-
beschaffenheit auszuzeichnen pflogen, während die Nachbargebiete mit ihren
Sandböden und ihrer reichlicheren Feuchtigkeit, namentlich auch während des
Winters, den Wald entschieden mehr begünstigen1).
Stellt mau nun auf Grund der angegebenen Merkmale die alten Steppen -
bezirke Mitteleuropas zusammen, so gelaugt mau zu dem gewifs überraschendeu
Ergebnis, dafs diese im Binnenlande, soweit sich die Topographie überhaupt
bis jetzt verfolgeu lüfst, mit den uns bereits bekannten Stätten ur-
alter Besiedelung identisch sind. Solche Steppenbezirke sind z. B.
im norddeutschen Tiefland die großen diluvialen Stromterrassen, besonders
die Niederungen der Elbe und der Saale, der Ostrand des Harzes, in Süd-
deutschlaud die oberrheinische Tiefebene, das untere Alpenvorland von der
Schweiz bis nach Niederösterreich, ferner die Hochflächen der schwäbischen
und fränkischen Alb, die Niederungen des Main- und Neckargebietes, das
nördliche Böhmen. Dagegeu hat man in den öfters genannten, uoch zur
Römerzeit unbewohnten Waldgebieten noch keine Spur von Löfs, keinen
Knocheu eines Steppentieres gefunden, und auch die Steppeupflanzen halten
sich von ihnen ganz auffallend fern5).
Soll eine Erklärung gegeben werden, die allen den aufgezählten That-
sachen gerecht wird, so kann diese wohl nur so lauten: die erste Bevölkerung
Mitteleuropas hat sich daselbst niedergelassen zu einer Zeit, als die alten
Steppeubezirke mindestens noch sehr waldarni waren; sie hat diese Bezirke
bald so dicht besetzt, dafs auch unter dem später wieder feuchter werdendeu
Klima der Waldwuchs daselbst niemals überhandnehmen konnte, während die
eigentlichen Waldgebiete von Anfang an unbewohnt blieben. Indem jede
nachfolgende Bevölkerung sich der waldfreien Bezirke bemächtigte und sie
allein besiedelte3), konnte es geschehen, dafs die Züge der alten Diluvial-
steppenlandschaft auch unter dem späteren entschiedenen Waldklima bis
zum Heginn des Mittelalters erhalten blieben. Die vorrömischeu Bewohner
Mitteleuropas waren zwar nicht im Stande, grofsc Flächen Urwaldes zu roden,
wohl aber konnten sie da, wo sie dem Wald wüchse gleichsam noch zuvor-
gekommen waren, dessen Eindringen in ihr Weide- und Ackerland dauernd
verhindern4). Wie der Augenschein noch in der Gegenwart lehrt, genügt
dazu schon ein regelmäfsiges He weiden des Landes.
1) Vgl. bes. Nehring, Cber Tundren und Steppen der Jetzt- und Vorzeit.
1890. — Genauere Nachweise für Süddeutsehland : Gradmann I S. 345 tf. — Über
die Beziehungen der Wald- und Steppenvegetation zum Hoden: Kostytschc w,
I ber den Zusammenhang zwischen dem Erdboden etc. 1890 (Ref. in Engter*« Hot.
Jb. XV 1893. L B. S. 331).
2) Grad mann I S. 355 ff.
3) Bafs der alte Kulturboden mit, Zähigkeit festgehalten wird, liegt in der
Natur der Sache i.Meitzen a. a. 0. I S. 10), und wird 'überdies durch die prähisto-
rischen Funde bestätigt (vgl. oben S. 373 f.).
4) Einen ähnlichen Gedanken hat Ernst H. L. Krause schon 1892 ausge-
sprochen (Die natürliche PÜanzeudecke Norddeutschlands. Globus 61 S. Kl ff).
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H. Toepfer: Der Weg von Osch nach Kaschgar. 377
Wie man sich nun aber auch zu dieser Theorie stellen mag, die nach-
gewiesene Beziehung zwischen der Topographie der diluvialen Steppenland- I
schaft und der älteren Besiedelungsgeschichte bleibt eine unwiderlegliche
Thaisache, und damit ist der Satz erwiesen, den ich als den Kernpunkt
meiner Ausführungen hinstellen " möchte: Der Gegensatz zwischen Wald-
gebieten und offener Landschaft, wie er die ganze ältere Be-
siedelungsgeschichte Mitteleuropas durchzieht und noch bis in
die Gegenwart fortwirkt, ist tief in der Natur begründet und
darf daher auch eine tiefe, bisher nfcht genügend gewürdigte
geographische Bedeutung in Anspruch nehmen. (Schlufs folgt.)
Der Weg von Osch nach Kaschgar.
Aus dem Russischen.
Von H. Toepfer.
(Schlufs.)
III.
Der Flufs Kisyl-ssu teilt sich bei seinem Eintritt in die ganz flache
Kaschgar-Ebene in einige natürliche Arme, die sich ihrerseits in eine Menge
künstlich hergestellter kleinerer Bewässerungsgräben — Aryks — nach allen
Seiten verzweigen. Durch dies Netz von Wasserläufeu wird der Kaschgar-
Oase das nötige Wasser zugeführt, und ihr Bestehen als Oase gewährleistet.
Ihren Mittelpunkt und Hauptort bildet die Stadt Kaschgar selbst, einer der
ältesten Orte der Erde. Schon die altgriechischen Historiker Eratosthenes
und Megasthenes erwähnen ihrer, und sehr eingehend wird sie von alten
chinesischen Reisenden und Chronisten beschrieben. Bei den letzteren heifst
die Stadt mit ihrer Umgebung Ssu-le und wird ihre von Alters her be-
stehende Bedeutung als Handelsplatz betont, Diese Bedeutung hat sie bis
zu einem gewissen Grade wenigstens für den Handelsverkehr zwischen dem
chinesischen Turkestan und Rufsland bis heute bewahrt, und sie spricht sich
darin aus, dafs die Chinesen hier eine „Hauptverwaltung für die Handels-
angel«genheiten" von ganz Kaschgarien eingerichtet ha' en. Die nachfolgen-
den Zeilen geben einige Aufschlüsse über die Stadt und ihre Bevölkerung,
natürlich nur oberflächliche,, wie sie von einem Touristen nicht gut anders
erwartet werden können.
Kaschgarien ist, wie allgemein bekannt und auch oben schon angedeutet
ist, eine verhältnismäfsig hoch über dem Meeresspiegel gelegene Kessel-
landschaft, deren sefshafte Bevölkerung sich ausschliefslich da konzentriert
hat, wo die Bodenverhältnisse und Bewässerung den Ackerbau, mindestens
die Viehzucht gestatten, Wo die felsige Einöde durch Strecken mit frucht-
barem Löfsboden unterbrochen wird und wohin die von den hohen Rand-
gebirgen sich sammelnden, von der heifsen Sonne -aus Gletschern und Schnee-
Geogr»phi«che ZeiHchrJft 7J»hrg»ujr 1901. T.Heft 20
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378
II. Toepfer:
massen herausgetauten Wasserraassen zusammenströmen, da hat sich die
Bevölkerung dichter gruppiert.
Ähnlich wie in den Oasen des wasserarmen Transkaspien hat sich das
dem örtlichen Bedürfnis entsprechende künstliche Bewässerungssystem hier
völlig selbständig entwickelt: von dem weitverzweigten Netz von Aryks
ist der bedeutendste der „Andishan-Kitschu" benannte, breite und tiefe
Wassergraben , den der Reisende 20 km vor Kaschgar überschreiten mufs:
er speist zahlreiche ausgedehnte Felder am Fufs der südlichen Ausläufer des
Tjan-schan und umströmt, nach Aufnahme verschiedener kleinerer Aryks
Tjumen genannt, in einem Bogen gegen Südosten die Stadt Kaschgar.
Von dem Ubergang über den Andishan-Kitschu an, wo sich eine
chinesische Herberge befindet, bis zur Stadt führt der Weg, von weuigen
kurzen Strecken abgesehen, durch bewohnte Ortschaften. Je mehr man sich
der Stadt nähert, desto häufiger werden die langen Pappel-Alleen und -Gruppen
auf den Knicks, welche die Reisfelder von einander abteilen. Bald tritt der
Weg in eine engbesetzte Allee von hohen Pyramidenpappeln ein und wird
beiderseits von Obst- und Gemüsegärten begleitet. Die bisher verstreut
liegenden Häuser gruppieren sich dichter und vereinigen sich zu Weilern und
Dörfern (Kisehlaks); der Ausblick auf die -Stadt selber wird durch Wohu-
stätten und Bewachsung uoch lange verdeckt. Man passiert den alten ver-
fallenen Wachtturm, von dem aus zur Zeit Jakub-bek's nach den aus Rufs-
land kommenden Handelskarawanen Ausschau gehalten wurde und wo damals
die Pässe geprüft wurden; hier beginnen die eigentlichen Vorstädte von
Kaschgar, hier ist die Grenze, welche das mit unfruchtbaren Gesteinsfiächen
durchsetzte Schwemmland des KisyJ-ssu und seiner Anne von dem eigent-
lichen schweren Löfsboden scheidet, der in Zentralasien und besonders Inner-
china so häufig auftritt.
Kaschgar selbst besteht eigentlich aus zwei Städten: der alten Moham-
medaner-Stadt, welche ungefähr an der Stelle des früheren Ssu-le gelegen
ist, und dem neuen durch die Chinesen eingerichteten verschanzten Lager
für die Garnison, Jangi-Schaar. Obgleich das letztere fast 10 km von dem
Zentrum der Mohammedaner-Stadt entfernt ist, wird es doch auch als „Neu-
Kaschgar" oder kurzweg „die Neustadt" bezeichnet.
Alt-Kaschgar liegt also in einein Bogen des Tjumen benannten Flufs-
laufes und bildet einen ziemlich ausgedehnten, von hoher Mauer umschlosseneu
Gebäudekomplex; die Höhe der Mauer beträgt 12 — 14 m, ihre Stärke oben
auf der mit einer Brustwehr gekrönten Plattform noch über 3 m. Im Weich-
bild der Stadt wohnen mehr als 30 000 Mohammedaner, auf etwa 200 Stadt-
viertel verteilt. Diese Reviere werden durch zahllose Strafsen und Gassen
durchkreuzt, welche zumeist so eng sind, dafs zwei einander begegnende Last-
wagen sich unmöglich ausweichen könnten und den Warentransport deshalb
durch Saumtierlasten mittelst Pferden und Eseln bewältigt wird. Wenn eine
Kameelkarawane durch die Strafsen zieht, so reitet ein Führer vorher und
fordert mit lauter Stimme auf, den Weg frei zu geben; wehe dem, der sich
nicht rechtzeitig in eine Seitengasse flüchtet! er riskiert unter die Hufe der Tiere
.zu kommen oder an die schmutzigen Lehmwände der Häuser gedrückt zu werden.
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Der Weg von Osch nach Kaschgar.
379
Die Häuser in der Stadt Kaschgar unterscheiden sich in nichts von
denen der Dörfer; es sind dieselhen unansehnlichen Lehmhütten, die so leb-
haft an die kleuirussischen erinnern, nur dafs sie innen und aufsen keinen
weifsen Anstrich erhalten wie in Kleinrufslaud, sondern dieselbe graugelbe
Sandfärbung zeigen, wie der Löfsboden, aus dem sie hergestellt sind. Die
Gebäude sind stets einstöckig, haben ein flaches Dach und keine Fenster nach
der Strafse zu; und die wenigen Fenster nach dem Hof sind ganz klein und
ohne Scheiben, nicht einmal mit Papier beklebt, wie man es doch sonst bei
den Fenstern der chinesischen Fansen sieht. Das Innere des Hauses ent-
spricht ganz seinem ärmlichen Aufsern und ist für den Europäer wenig ein-
ladend. Der Fufsboden ist selbst bei den Wohlhabenden ein aus Löfsboden
gestampfter Lehmestrich und wird nur bei den allerreichsten Kaschgarzen
aus Ziegeln hergestellt, welche ebenfalls aus Ijöfs geformt und von der
heifseu Sonne gebrannt werden. Der rückwärtige Teil des Raumes, der bis-
weilen durch einen halbhohen Verschlag abgeteilt wird, ist gewöhnlich gegen
den Teil am Eingang etwas erhöht und wird mit Strohmatten oder Teppichen
belegt: er dient, als Ehrenplatz, in dem die Gäste empfangen und ge-
wöhnlich auch bewirtet werden. Ofen giebt es nicht und sind des verhältuis-
mäfsig mildeu Klimas wegen auch kaum nötig — an ihrer Stelle bat mau
einen mächtigen und ungewöhnlich viel Hauch entwickelnden Kamin, von
dessen Thätigkeit der ganze Raum das Aussehen einer Räucherkammer be-
kommt.
Tritt man durch die niedere Thüre einer solchen Behausuug, so bedarf
mau zunächst einer gewissen Erfahrung, um sich schnell orientieren zu
können, denn die innen herrschende Finsternis verschleiert alle Einzelheiten
der häuslichen Einrichtung, welche zumeist aus Teppichen an Stelle der
Betten und dem allerprimitivsten Gerät besteht.
Hier und da, vornehmlich im Zentrum Kaschgars, wo mehrere Strafsen
und Gassen zusammenlaufen, sind Plätze vorhanden, welche als Marktplätze
oder Bazare dienen. Hierher bringen alle Donnerstage die Bewohner der
umliegenden Weiler und Dörfer ihre Erzeugnisse oder Rohprodukte, mit denen
sie Tauschhandel betreiben. Solcher Bazare giebt es mehrere, und sie werden
je nach der WTare, die hauptsächlich, vertrieben wird, benannt: Kunak-Bazar
der Getreidemarkt , At-bazar der Viehmarkt u. s. w. Da herrscht an den
Donnerstagen ein buntes Treiben und Durcheinander, wie man sieh's nur
schwer vorstellen kann. Denn schliesslich werden nicht nur Waren aus-
geboten und an den Mann gebracht, sondern alle Neuigkeiten ausgetauscht,
und ist wie in allen mohammedanischen Städten der Markttag für die Eiu-
wobuer dasselbe, was für einen in entlegene Gegenden verschlageneu ge-
bildeten Menschen das Eintreffen neuer Zeitungen bedeutet. Die in der
Nähe des Ba/.ars gelegenen Theebuden — Tschai-hane — und Garküchen
verdienen für die ganze Woche; es wimmelt ip ihnen von Besuchern, welche
zu ihnen strömen in der Absicht und sicheren Überzeugung, einige Neuig-
keiten aufzuschnappen, denn es wird über alles Mögliche debattiert und
kommentiert, geklatscht und gesprochen, und manche politische Umwälzung
ist auf dem Bazar gekeimt. Der Bazar selbst bietet ein ungewöhnlich
•26*
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380 H. Toepfer:
malerisches und eigenartiges Bild. Verkaufsbuden, wie in europäischen
Städten, giebt es nicht, dafür mächtige viereckige Schirme aus Strohmatten
auf Bambusrohren oder Holzstangen, welche in der Sitzbank oder einfach
im Boden befestigt sind. Unter diesen Ungetümen lagert der eingeborene
Kaufmann mit seinen einfachen Waren; Handler, welche eingeführte Manu-
Cakturwaren vertreiben, besuchen den Bazar nicht, sondern machen ihre Ge-
schäfte in den Karawansereien, wo sich grofse Niederlagen befinden, oder
in den ständigen Läden, welche übrigens ebenfalls mit europäischen Waren-
lagern nicht das geringste gemein haben. Es sind nach der Strafse zu
offene, sehr wenig tiefe Räume mit einigen Regalen an den Wänden, in
denm Mitte der Kaufmann, auf der Diele hockend, seine Waren anpreist.
Mit Einbruch der Dämmerung wird die offene Seite mit Brettern zugesetzt
oder durch eine massive Thür mit mächtigem Schlaft abgesperrt. Der Laden-
besitzer wohnt, allermeist wenigstens, iu demselben Anwesen, lieber noch in
dem Hause, zu dem der Laden gehört, sehr oft im Laden selbst. Mitunter
wird auch bei Tage sein Bett nicht weggeräumt und verschläft er den lieben
langen Tag inmitten allen Strafsenlänns.
Dem Heisenden fällt sofort die übermäfsig grofse Zahl der Handel
treibenden eingeborenen Bevölkerung auf; so ist aber der Kaschgar/.e : sobald
er denken kann, geht sein ganzes Dichten und Trachten darauf hinaus, einen
Laden aufzumachen, und wenn sich ihm hierzu nur irgend eine Möglichkeit
bietet, Hilst er sie ganz sicher nicht vorübergehen. Und so kommt es, dafs
reichlich drei Viertel aller Kaufleute mit Gegenständen handeln, nach welchen
nur sehr geringe Nachfrage ist, oder welche eher als Schund, denn als Ware
zu bezeichnen sind. So giebt's Läden, in denen nur ausgeleerte Sardineu-
büchsen und Glastlaschen jeder Form und Gröfsc und sonstiger von Reisenden
weggeworfener Krimskrams feilgeboten oder bunte Steine, z. B. Nephrite, die
doch jeden Wert verloren haben, verhandelt werden. Im allgemeinen gewinnt
mau sehr bald die Überzeugung, dafs trotz allen Lärms und aller Geschäftig-
keit auf dem Bazar, trotz der Unmenge Händler und Käufer der Handel
sehr lahm geht uud au gewöhnlichen Tagen beinahe stockt, Um dies be-
stätigt zu finden, braucht man nur die die ganze Stadt durchziehende Haupt-
geschäftsstraße entlaug zu gehen, iu welcher sich ein Laden neben dem
andern befindet, von denen aber eine ganze Anzahl enl weder geschlossen ist
oder eine ganz klägliche Existenz führt. Kaum je siebt man iu letzteren
einen Käufer, dafür aber als gewöhnliches Bild den Ladenbesitzer ungestört
schlafend; er weifs, dafs sein Keiph nicht unterbrochen werden wird. Mehr
Leben ist in den Holz-, Fleischer-, Grünkram- und Viehfulterliiden, in denen
eine immer lärmende, wie in einem Ameisenhaufen wimmelnde Menge aus-
und eingeht, bis die Sonne unter dem Horizont verschwunden ist.
Wie kommt es, dafs trotz der grofseu Menge Handeltreibender uud trotz
des flauen Geschäfts und geringen Ertrages alles zum Handelsstand sich
drängt? Wenn, wie schon oben gesagt, des Kaschgarzen höchstes Ideal ist,
ein Kaufmann zu sein, ein Ideal, das er übrigens mit einem grofseu Teil
der Bevölkerung des mohammedanischen Orients geniein hat, so ist der
Grund dafür lediglich darin zu suchen, dafs für den unternehmenden Musel-
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Der Weg von Osch nach Kaschgar.
381
man der Handel das einzige Mittel ist, zu Wohlstand und Reichtum, Ehre
und Ansehen unter seinesgleichen zu gelangen. Und darum gilt Handel
jeder Art als ein Beruf, der sich der höchsten Achtung erfreut. Indessen
betreibt doch der Karschgarlyk allermeist irgend eine Nebenbeschäftigung,
z. B. Ackerbau oder Viehzucht, welche ihm seine Existenz zuverlässiger
sichert, als der Handel allein mit seinen mageren oder unsicheren Er-
trägnissen.
Kaschgar, die Stadt, hat drei Thore mit eisenbeschlagcnen massiven
Flügeln, welche mit Sonnenuntergang geschlossen und erst bei Beginn der
Morgendämmerung wieder geöffnet werden. Dies ist Aufgabe besonderer
Thorwachen, welche im Innern bei den Thoren untergebracht sind und jedes-
mal durch Kanonenschüsse an ihre Pflicht erinnert werden. Abends werden
zwei Schüsse gelöst: auf den zweiten fallen die Thore ins Schlofs und
werden gleichzeitig alle an den Mündungen der Strafsen und Gassen befind-
lichen Gitterthüren verriegelt. Diese letzteren haben den Zweck, die Stadt- .
reviere und ihre Bevölkerung zur Nachtzeit von einander abzusondern. Die
chinesischen Behörden trauen nämlich bis auf den heutigen Tag der ein-
geborenen Bevölkerung, welche übrigens ein paar Dutzend mal zahlreicher
ist, als die chinesische einschl. des Militärs, nicht über den Weg. Sympathien
kann allerdings ihr unverständiges Kegierungssystem, welches fast unerschwing-
liche Abgaben erprefst und der eigennützigen Willkür seiner Beamten, ohne
zu strafen, weitesten Spielraum läfst, unter der eingeborenen Bevölkerung
nicht erwecken. Im Gegenteil, die Unzufriedenheit ist allgemein und wird
ganz offen gezeigt, Und da nun die Völker des Orients als leicht entzünd-
lich bekannt sind, sieht sich die chinesische Regierung veranlagt, gegen jede
Regung von Unbotmäfsigkeit mit gröfster Strenge einzuschreiten, in Kaschgar
eine ziemlich beträchtliche ständige Garnison zu halten und allerhand Mafs-
regeln zu ersinnen, um jede Empörung im Keime zu ersticken. Daher der
Gitterabsehlufs der einzelnen Reviere, damit unerwartete Aufregungen nicht
weiter verbreitet werden können — sonderbare Naivetät chinesischer Behörden
übrigens, zu glauben, dafs die einmal entfesselte Volkswut vor diesen arm-
seligen Gitterthüren Halt macht!
Wie schon oben angedeutet worden ist, hat Kaschgar für den russischen
Handel mit Ost -Turkestan seine grofse Bedeutung; zu seinen ständigen Be-
wohnern gehören russische Unterthanen, Kaufleute aus Ferghana und Ssamar-
kand. Zur Wahning ihrer Interessen und des Ansehens des russischen
Namens ist im Jahre 1882 ein Berufskonsulat errichtet worden; erster
Konsul wurde der frühere Beamte des Finanzministeriums für Turkestan
N. P. Petrowski, welcher diesen seinen inzwischen zum General-Konsulat er-
hobenen Posten bis auf den heutigen Tag nicht verlassen hat.
Die Bevölkerung von Kaschgar ist mit der des russischen Turkestan
eines Stammes und steht mit ihr in engen, vielfach verwandtschaftlichen Be-
ziehungen. In Kaschgar haben sich frühere Einwohner von Khokand nnd
Ssamarkand niedergelassen, welche nach der Einverleibung ihrer Heimat
in Rufsland mit der neuen Gestaltung der Dinge sich nicht zu befreunden
vermochten oder, politisch kompromittiert, flüchten mufsten. Umgekehrt
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382 H. Toepfcr: Der Wep von Osch nach Ka.mhgar.
sind auf russisches Gebiet verlogen und ziehen noch heule viele, welche
ein unabhängiges Kaschgarien anstreben. Sie alle haben entweder ihre
Familien in der alten Heimat zurückgelassen oder mindestens mit ihrem Ver-
wandtenkreise nicht völlig gebrochen und tragen dazu bei, die durch Stammes-
verwandtschaft, Religion und Sprache bedingten Beziehungen zwischen
Kaschgarien und Ferghana noch enger zu gestalten. Die aus Fcrghana und
den übrigen russischen Gebietsteilen stammenden Fremden, sei es, dafs sie
nur zu vorübergehendem Aufenthalt gekommen sind, oder ihren ständigen
Wohnsitz in Ost-Turkestan nehmen und chinesische Unterthanen werden
wollen , heifsen in Kasehgar Andischanzen. Sie zeichnen sich vor den Ein-
geborenen durch gröfsere Selbständigkeit und Findigkeit aus und bilden des-
halb ein der chinesischen Regierung höchst unerwünschtes, freilich auch
sehr unruhiges Element der Bevölkerung. Von der chinesischen Regierung
unfreundlich behandelt und in dauernder Verbindung mit den zu Handcls-
zwecken Kasehgar besuchenden früheren Landsleuten, müssen die Andischanzen,
sie mögen wollen oder nicht, am russischen Konsulat einen Halt suchen, denn
allein die russische Vertretung vermag gegen die Willkür der chinesischen
Beamten einen Schutz zu gewähren. So kommt es, dafs die Andischanzen
ihre Wohnungen und Karawanseraien in der Nähe des russischen Konsulats,
vorzugsweise aufserhalb der Stadtmauern, erbauen.
Die ganze russische Kolonie zählt einschl. der Kasaken nur vielleicht
80 Köpfe, aber sie hat eine außerordentliche Bedeutung für die Stadt, Dank
ihrer Unabhängigkeit, von den chinesischen Behörden. Sie bildet buchstäblich
eine Stadt für sich mit völlig russischem Gepräge, in der kein chinesischer
Krieger je erscheint und nur russische Wünsche mafsgebend sind.
Infolge der chinesischen Wirren hat sich die Lage der chinesischen Be-
hörden in Kasehgar sehr schwierig gestaltet. Denn Zündstoff ist über-
genug in Kaschgarien vorhanden: 12 000 Chinesen, eine Welle in dem Meere
einer zwei Millionen zählenden eingeborenen Bevölkerung, leben dort als eine
nach Herkunft, Sprache, Religion und Gesittung fremde Herrenkaste, ver-
achten und knechten das Volk und halten es unter einem schier unerträg-
lichen Steuerdruck. Kein Wunder, wenn dies Volk im Hinblick auf die ver-
gleichsweise sehr günstige Lage seiner unter russischem Scepter stehenden
Stammesgenossen sich höchst unzufrieden fühlt. Die chinesischen Behörden
wissen das sehr wohl, aber sie kennen auch aus langer Erfahrung die Apathie
und mangelnde Einigkeit ihrer Unterthanen und stützen ihr Regiment darauf,
zugleich mit strengen Strafen jeden Versuch des Aufruhrs bedrohend.
Zum Schlufs noch einige Worte über den russischen Handel in Kaschgarien.
Einfuhrartikel sind hauptsächlich Baumwollen- und Manufakturwaren, Zucker,
Eisenwaren und Petroleum. Die Einfuhr in Kasehgar und ganz Westchina
ist, wie schon angedeutet, im wesentlichen zollfrei, dennoch nicht so be-
deutend, als man danach annehmen könnte; sie hebt sich auch nur sehr
langsam, einmal wegen der sich kaum bessernden wirtschaftlichen Verhält-
nisse, der Ärmlichkeit und Bedürfnislosigkeit der Kaschgar/.en , vornehmlich
jedoch wegen der starken Konkurrenz, welche die aus Indien weniger
aus Innerchina — kommenden Waren machen. An sich billiger haben die
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Der XIII. deutsche (Jeographeutag in Breslau.
889
englisch-indischen Erzeugnisse durch die Kosten des aufserordentlich ersehwerten
Transports auf weiteren Wegen vorlaufig zwar noch einen heträchtlichen
Preisaufschlag zu trageu; aber dieser Umstand hat die Englander bereits
veranlaßt, ernstlich an die Herstellung einer Strafse von Ladak nach Kaschgar
zu denken und über das Stadium des Projekts einer solchen Strafse hinweg
zu gelangen. Soll die englisch -indische Konkurrenz nicht zu gefährlich
werden, wird auch Rufsland nichts übrig bleiben, als die Wegeverbindungen
aus Ferghana und Ssemirjetschje zu verbessern.
In der That ist man der Frage näher getreten, in welcher Weise der
Weg von Osch bis Irkeschtam besserungsfähig ist. Es handelt sich erstens
darum, ihn für das ganze Jahr passierbar zu erhalten, zweitens die Be-
schwerden des Marsches für Mensch und Tier zu vermindern. Hierzu müssen
nicht nur die wirklich unumgänglichen Besserungsarbeiten auf der Strecke
seihst ausgeführt, sondern den Karawanen auch vermehrte Gelegenheit zur
Unterkunft und Entnahme von Mundvorräten und Fourage gegeben werden —
denn die bislang erbauten Herbergen reichen nicht entfernt aus. Während
aber diese Mafsregeln den Handelsverkehr nur insofern fördern, als sie das
Reisen und den Warentransport erleichtern, dürfte von der Fortführung der
Eisenbahn bis Osch, von der Einrichtung einer regelmäfsigen Postverbindung,
endlich von der Herstellung einer Telegraphenlinie bis Kaschgar erhofft,
werden, dafs die bisherige wirtschaftliche Abgeschlossenheit Kaschgars gegen
Rufsland endgiltig aufhört. Je eher aber mit diesen Mitteln engere Be-
ziehungen zwischen Rufsland und Westchina angeknüpft werden, desto leichter
wird es den Russen gelingen, den von Süden und Südosten her vordringen-
den Engländern entgegen zu treten.
Der XIII. deutsche Geographen tag in Breslau.
Von Dr. Machacek, Heinrich Fischer und Dr. O. Schlüter.
Vom 2H. bis zum 30. Mai ist in Breslau der dreizehnte deutsche Geo-
graphentag abgehalten worden. War auch wegen der grofsen Entfernung die
Beteiligung aus dem westlichen Deutschland gering, so war doch der Tag,
der unter der Oberleitung von Prof. Partsch vortrefflich vorbereitet worden
war, als ein entschiedener Erfolg zu bezeichnen; er hat allen Teilnehmern
reiche Anregung und Belehrung gebracht.
SUdpolarforschang.
Den ersten Beratungsgegenstand bildete ebenso wie bei der Jenaer Tagung
die Sttdpolarforschung.
Zunächst berichtete Geh. Admiralitätsrat Neuinayer über die Thätigkeit
der vom XI. Deutschen Geographentage zu Bremen ernannten Kommission für
Südpolarforschung seit 1807. Bei dem regen Interesse, dessen sich diese
Angelegenheit erfreut, ist ihr Stand .wohl als bekannt anzunehmen; man
weifs, dafs die „Gaufs" unter Drygalski's Leitung noch in diesem Sommer
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Der XIII. deut.Hphe Geographentag in Breslau
Europa verlassen wird. Da das ganze Unternehmen in die Hände der Reichs-
regierung übergegangen Ist, betrachtet die Kommission ihre Aufgabe als er-
ledigt. Nach einigen Dankesworten v. Riehthofcn's wurde der Antrag auf
Auflösung der Kommission angenommen.
Dr. Emil Philipp] aus Berlin, einer der Teilnehmer der bevorstehenden
Expedition, erörterte deren geologische Probleme. Als vornehmstes Problem
erscheint es, festzustellen, welchem der beiden Typen im geologischen Aufbau
der Südhemisphäre, dem indo-atlantischen (Südafrika, Indien, Australien xind
das östliche Südamerika) und dem pazifischen (Neu-Seeland und der andine
Teil Südamerikas) die einzelnen Landgebiete der Südpolarregion angehören.
Am besteu bekannt ist bisher das Land südlich von Südamerika (Alexander-
Land , Graham-Land, Südgeorgien etc.), wo an vielen Orten kristallinische
Schiefer, sowie eine lebhafte vulkanische Thätigkeit vorgefunden wurden.
Doch fehlt von den Kreideschichten der and inen Küstenkordillerc noch jede
Spur; die von Arktowski behauptete Fortsetzimg dieser Kette durch diesen
Inselkranz nach dem antarktischen Kontinent ist also noch nicht endgilt ig
festgestellt. Noch weniger ist. das südlich von Neu-Seeland gelegene Gebiet
bekannt. Auf dem Viktoria -Land erhoben sich die noch thätigen Vulkane
Erebus und Terror zu 1000 m auf einem Sockel von Granit, Gneifs und
Schiefern, die ein Faltengebirge ähnlich dem Neu-Seelands zusammenzusetzen
scheinen. Am wenigsten ist das Land im südlichen indischen Ozean bekannt;
die von der „Valdivia" mitgebrachten alten Gesteine und roten Sandsteine
deuten auf eine Zugehörigkeit zur indo-atlantischen Region. — Als zweites
Problem kommt die Untersuchung der paläoklimatischen Verhältnisse in Be-
tracht. Andeutungen eines milden Klimas im Tertiär sind bekannt vom
Oskar-Land und von dem südlichsten Amerika. Anderseits bedarf das Auf-
treten karbonischer Glazialspuren eines näheren Studiums. Auch die Frage
nach der Beschaffenheit der gegenwärtigen Eisbedeckung, nach der Gleich-
zeitigkeit einer einstmals gröfseren Eisbedeckung mit der nordischen Vereisung,
sowie schliefslich das Transgressionsproblem verdienen noch grofse Beachtung.
Prof. Alexander Supan sprach über das antarktische Klima, wesent-
lich im Anschlufs an die Beobachtungen der „Belgica" von 1898 — 1899 und
der englischen Expedition auf Kap Adare 1899 — 1900 in einer mittleren
Breite von 70yä° S. Die gefundenen Jahrestemperaturen sind im Vergleich
zu nordischen Verhältnissen nichts Auffallendes; das eigentlich Charakteristische
des antarktischen Klimas aber ist die Kälte der warmen Jahreszeit. Kap
Adare liegt das ganze Jahr in einer permanenten Anticyklone mit echt po-
laren Winden; hingegen fand die „Belgica" einen ausgeprägten Monsun-
typus mit W.- und NW. -Winden im Winter und S.- und SE. -Winden im
Sommer. Die antarktische Anticyklone erleidet im Laufe des Jahres be-
trächtliche Verschiebungen, und ebenso die diese Region umgebende baro-
metrische Mulde. Alle bisherigen Beobachtungen entsprechen aber noch nicht
dem polaren Hochdruckgebiet , sondern nur dessen Randzone. Die nächsten
Expeditionen müssen daher ihre Stationen möglichst weit nach Süden in das
Gebiet der eigentlichen Anticyklone verlegen, von wo die wichtigsten Auf-
schlüsse zu erwarten sind.
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Der XIII. deutsche Geographentag in Breslau. 385
Zum Schlüsse berichtete Geh. Admiralitätsrat Neumayer üher die
neuesten Ergebnisse erdmagnetischer Forschung in den Polar- Regionen an
der Hand von Isochronen-Karten. Die bedeutendsten Fortschritte stellen dar
die Beobachtungen von Van Bemmelen in Batavia über die Bewegungen der
erdmagnetischen Axe und die säkularen Schwankungen der erdmagnetischen
Elemente, ferner die vortrefflichen Beobachtungen von Scott-Hansen auf der
„Kram". Gerade im Südpolar-Gebiet aber sind die. Lücken unserer Kennt-
nisse am empfindlichsten bemerkbar.
Landeskunde der deutlichen Schutzgebiete.
Für die Vormittagssitzung des zweiten Tages war die „Landeskunde der
deutschen Schutzgebiete" (in erweitertem Sinne) als Beratungsgegenstand be-
stimmt worden. Die Sitzung begann mit dem Vortrage des Geh. Rats
Frhrn. von Richthofen über Chinas Binnenverkehr. Was v. Richthofen
ausführte, hat er vereinzelt und in anderen Zusammenhängen schon häufig
schriftlich oder mündlich geäufsert, namentlich in seinen Vorlesungen über
allgemeine Siedelungs- und Verkehrsgeographie. Hier aber handelte es sich
um eine erstmalige zusammenfassende Übersicht über die Verkehrsverhältnisso
Chinas, die als solche und wegen ihrer Wichtigkeit für die allgemeine Ver-
kehrsgeographie von ganz besonderer Bedeutung war, und von der man nur
wünschen mochte, dafs sie einmal in gröl st er Ausführlichkeit veröffentlicht
würde, v. Richthofen führte ungefähr folgendes aus:
Wer im heutigen Europa Verkehrsgeographie treiben will, der sieht
sich lauter Ausnahmezuständen gegenüber. Die Technik des Eisenbahnbaus
überwindet alle Schranken und Hindernisse, die Einwirkung der Natur ist
verdunkelt. In China giebt es nach wie vor immer nur einen ameisenartig
wimmelnden Verkehr mit kleinen und kleinsten Mitteln, der sich notwendiger-
weise viel enger an die natürlichen Verhältnisse anschliefsen muls.
Und die eigentümliche Entwickelung Chinas, die sich, von aufsen un-
beeinflufst, Jahrtausende hindurch in einer und derselben Richtung bewegte,
hat es bewirkt, dafs diese Anpassung einen ungewöhnlich hohen Grad von
Vollkommenheit erreicht hat. So sehen wir im Binnenverkehr Chinas Zu-
stände, die von den uusrigen ganz und gar verschieden sind, in sich aber
so bestimmt ausgeprägt und so sehr in Übereinstimmung mit der Landes-
natur, wie nirgendwo sonst auf der Erde.
China, das Land, das sich von den Tropen bis in Gebiete mit grimmig
kalten Wintern hinein erstreckt bringt in sich alles hervor, dessen es bedarf.
Darin liegt ein Hauptgrund dafür, dafs es sich nach aufsen so fest, abzu-
schliefsen vermochte. Aber diese Selbstgenügsamkeit war eben nur dann
möglich, wenn ein sehr entwickelter Verkehr für den Austausch der Erzeug-
nisse sorgte; die Abschliefsung nach aufsen konnte nur bei innerer Einigung
stattfinden. Die Art, in der sich dieser Verkehr vollzieht, richtet sich nach
den verschiedenen Landesteilen, sodafs die Verkehrsgebiete und die natür-
lichen Teile des Landes fast vollständig zusammenfallen.
Aufser dem scharfen Unterschied zwischen Nordchina und Südchina,
einem Unterschied in jeder Beziehung, besteht ein Gegensatz zwischen dem
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386 Der XIII. deutsche Geographentag in Breslau.
Westen und dem Osten. Die Linie, die diese Trennung hervorbringt, hängt
mit dem grofsen Chingan zusammen (v. Richthofen hat sie bekanntlich erst
kürzlich genauer dargestellt). In der Richtung von Osten nach Westen
lassen sich demnach als verschiedene Lebensgebiete die Küste, das Vorland
und das Hinterland unterscheiden; In nordsüdlicher Richtung ergiebt sich
gleichfalls eine Dreiteilung, da innerhalb der Südhälfte wiederum die Ge-
biete des Jangtsekiang und des Hsikiang gesondert werden können.
Im Nordosten bildet die grofse Ebene, aus der nur das Bergland von
Schantung inselartig hervorragt, das eigentliche Gebiet des ungehinderten
Landverkehrs. Das Transportmittel sind hier jene bekannten kleinen, zwei-
rädrigen Wagen, deren Form in ganz Nordchina genau die gleiche ist.
Bemerkenswert ist der weite Blick, den sich die Fuhrleute in dem
weiten Lande erworben haben. Ihnen sind die entferntesten Orte genau be-
kannt, und ohne'Besinnen gehen sie Fuhrverträge auf Strecken von 1200 km
ein. Der Wasserverkehr ist im nördlichen China gering; denn die Flüsse
sind hier, im Tieflande, schlechte Fahrstrafsen, und ihre Linien gehen auf
dem grofsen Dejektionskegel des Hwangho nach der Küste zu auseinander.
Um dem abzuhelfen, legten die grofsen Mongolenkaiser den 1200 km langen
Kaiserkanal an, der eine Verbindung der Ebene des Nordens mit dem Schwer-
punkt Chinas, der Jaugtse-Mttndung, herstellt.
Die Linie, dio den Osten vom Westen trennt, tritt im nördlichen China
mit aufserordentlieher Schärfe hervor. Der Steilabfall der Hochflächen des
Hinterlandes bildet für die Tiefebene überall eine mauerartige Schranke.
Nur ganz wenige Lücken ermöglichen den Zugang zu dem Hinterlande.
Dieses ist deshalb in dem Bewufstsein seiner Bewohner allenthalben küsten-
fern, so nah auch die Küste (im nördlichen Petsehili) räumlich liegen mag.
Weit entlegene Städte Innerasiens wie .larkand liegen dem Auge des Hinter-
landbewohners näher als Orte der grofsen Ebene, die nur 300 km ent-
fernt sind.
Südchina ist fast in seiner ganzen Ausdehnung Gebirgsland, mit Aus-
nahme einiger kleinerer Ebenen, die sich an den Lauf des Jangtsekiang an-
schliefsen. Ein Verkehr mit Wagen würde deshalb sehr schwierig sein.
Dafür sind aber die Bedingungen für den Flufsverkehr ausnehmend günstig.
Hier konvergieren erstlich die Linien alle nach der Küste hin, und sodann
haben vor "allen Dingen die Flüsse ihre Erosionsarbeit so vollkommen gethan,
dafs selbst die kleineren Zuflüsse bis fast zur Quelle hinauf schiffbar sind,
freilich nur bei vielfach sich wiederholender Umladung auf kleinere Fahr-
zeuge, und auch dann müssen die Schiffe noch oft in dem seichten Wasser
fortgeschoben werden. Obwohl die Schiffahrt demnach nicht sehr bequem
ist, sind die Flufsfahrzeuge hier doch das beinahe ausschliefsliche Beförde-
rungsmittel. Die Wasserscheiden zwischen den verschiedenen Flufsgebieten
werden mit Hilfe von Trägern überwunden. Weitaus der wichtigste Teil
des südlichen China und der Kern Chinas überhaupt ist das Gebiet des
Jangtsekiang, das zwischen den beiden so sehr verschiedenen Hälften des
Reiches vermittelt. Die Chinesen haben darum gerade an der Mündung des
Jangtsekiang den Fremden nur höchst ungern den Zutritt gewährt; nur den
Der XIH. deutsche Geographentag in Breslau. 387
Arabern und in der Neuzeit den Engländern ist es geglückt, ihn zu erlangen.
Sonst lag die eine Eingangspforte, die China den Fremden immer nur öff-
nete, stets im Süden, wo der Hsikiaug eine ähnliche, aber ungleich weniger
bedeutende RoHe spielt wie der Jangtsekiang.
Die Scheidelinie gegen das Hinterland ist in Südchina schwerer /.n er-
kennen als in Nordchina. Doch ist auch hier die Trennung sehr scharf.
Das Thal des Jangtsekiang bildet beinahe das einzige Zugangsthor. Aber
der Flufs strömt hier in engen Schluchten mit reifsender Geschwindigkeit
dahin und bildet viele Strom -Schnellen. Er ist deshalb nur boi hohem
Wasserstand und nie ohne Gefahr zu befahren. Ist die Verbindung an dieser
Stelle nicht möglich, so bleibt nur noch der weite Umweg durch das Thal
des Han, des wichtigsten Nebenflusses des Jangtsekiang, übrig. Auch hier
im südlichen China ist es also weniger die hier thatsächlich bedeutende Ent-
fernung von der Küste, die das Hinterland zum küstenfernen Gebiet macht,
als vielmehr der Mangel an Zugängen. In dem Hinterland selbst, das von
dem Hecken der schönen Provinz Sz'-tschwan eingenommen wird, vollzieht
sich der Verkehr mit Saumtieren.
Was die Küste betrifft, so ist sie im Norden als Flachküste ohne Be-
deutung. Nur die Häfen des Gebirgslandes Schantung, insbesondere Kiaut-
schou, können mit Hilfe von Eisenbahnen von Wichtigkeit werden. Im Ge-
biet des Jangtsekiang ist die Küste kurz und ohne eigentliche Häfen. Doch
sind immerhin genug Anlegeplätze vorhanden, und des Hinterlandes wegen
ist die Mündung von der allergröfsten Bedeutung, wie denn auch Shanghai
der erste Hafen von China geworden ist. Weiter südlich bietet die lange,
buchtenreiche Riasküste zwar sehr viele Häfen, aber es münden nur kleine
Küstentlttsse in diese Buchten, die keinen Zugang bis tief ins Innere des
Landes hinein gewähren. Aufserdem verringert die Gefahr der Verlandung
den Wert der Küste. Erst ganz im Süden bildet der Hsikiang wieder eine
grofse Verkehrsstrafse.
Das ganze Verkehrsnetz Chinas stellt ein grofses, einheitliches System
dar, durch welches sich, je nach den Landesteilen mit verschiedenen Mitteln,
ein vollkommener Austausch der Erzeugnisse vorzugsweise zwischen dem
Norden und dem Süden vollzieht. Von primitiven Sammelpunkten geht es
über zahlreiche, immer gröfser werdendo Umladeplätze bis zu den grofsen
Verkehrszentren des Landes uud weiterhin zu den gröfsten Ausfuhrhäfen, vor
allen Shanghai, die aber erst durch den Weltverkehr geschaffen worden sind.
Hierauf berichtete Dr. Kohl schüt ter über die Ergebnisse der von ihm
und Hauptmann Glauning in Deutsch -Ostafrika ausgeführten Pendelexpe-
dition, soweit sie sich bis jetzt überblicken lassen. Die Expedition, die
besser jnit Instrumenten ausgerüstet war als alle früheren, hatte die Lot-
abweichungen am Nyassa- und Tanganyika.sce zu untersuchen und führte
ebensolche Beobachtungen auch auf der Rückreise besonders in der Gegend
des grofsen ostafrikanischen Grabens aus. Dr. Kohlschütter beschrieb den
Umfang und die Art der Arbeiten der Expedition, wobei er unter anderem
mitteilte, dafs sich zwischen den von verschiedenen Festpunkten ausgehenden
älteren Aufnahmen Unstimmigkeiten bis zu 1100 m ergeben hätten, sodafs
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38H Der XIII. deutsche <ieographentag in Breslau
der Kartograph die verschiedenen Aufnahmen nur mit grofsen Verzerrungen
zusammenarheiteu könnte. Das Schwergewicht lag hei den Ausführungen
Kohlschütter' s auf den Beziehungen der Störungen zu den geotektonischen
Linien, zwischen denen anscheinend ein ursächlicher Zusammenhang besteht.
Dabei traten dann auch einzelne bisher wenig oder nicht bekannte Bruch-
linien zu Tage. Der Nyassagraben setzt sich z. B. nach dem Tauganyika
hin fort und durchschneidet wahrscheinlich diesen Grabenbruch in der Mitte
des Sees, sodafs die Rinne des Lukuga ihm ihr Dasein zu verdanken haben
dürfte.
Professor A. Schenck sprach über die wirtschaftlichen Aussichten von
Deutsch-Süd westafrika. Er betonte, dafs die Beurteilung unserer Kolonie
sehr oft fehlerhaft ausfiele, weil man die grofse Verschiedenheit unbeachtet
Heise, die zwischen Deutsch-Südwestafrika und dem übrigen Südafrika, z. B.
Transvaal, bestände. Es sei kaum Aussicht vorhanden, dafs sich in Deutsch-
Südwestafrika Gold finden würde. Auch die Hoffnung auf Diamanten sei
gering. Dagegen würde sich die landwirtschaftliche Ausuützung bei geeig-
neter Bewässerung wohl lohnen.
Zu Beginn der fünften Sitzung, "am Vormittag des 30. Mai, hielt Prof.
Georg Volkens aus Berlin als Nachtrag zur dritten Sitzung einen Vortrag über
die wissenschaftlichen Ergebnisse einer Reise nach den Karolinen und Mariannen,
von denen die ersteren vorzugsweise flache Koralleninseln, die letzteren durch-
aus bergige Inseln vulkanischer Natur sind. Das Klima zeichnet sich durch
seine grofse Gleichmäfsigkeit und Feuchtigkeit aas, die hohen Temperaturen
werden in angenehmer Weise durch eine stetig wehende frische Brise ge-
mildert. Die häufigen Taifune knüpfen sich an die Zeit des Einsetzens und
Aufhörens des NE. -Passats, der vom November bis Ende Juli ausschliefslich
herrscht. Der Boden trägt nirgends eine erstklassige Ackerkrume; am frucht-
barsten ist der aus der Zersetzung des vulkanischen Gesteines und des Ko-
rallensandes hervorgegangene Boden; Mangrowo-Wäldcr umsäumen den Strand,
hinter dem sich das Kulturkind der Eingeborenen erstreckt. Die Pflanzen-
welt stellt eine aus der ganzen Umgebung zugewanderte Mischtlora dar.
(ilctseherkundc und (»lazialforsehunjr.
Besonders interessant gestaltete sich durch die Fülle neuer Probleme der
dritte Beratungsgegenstand, Gletscherkunde und Glazialforschung. .
Den Anfang machte Prof. S. Fi nster walder mit einer Erörterung der
Vorgange, welche einem Gletschervorstofs vorangehen. Finstcrwalder teilt die
Gletscher in rasch veränderliche dnd langsam veränderliche; doch giebt es
bisher nur Beobachtungen über Wachstum und Rückgang von rasch veränder-
lichen Gletschern, als deren Typus der berüchtigte Vernagtferner angesehen
werden kann. Der Redner illustrierte an der Hand zahlreicher Photographien
dieses Gletschers aus den letzten Jahren, wie eine Anschwellung aus dem
Fimfeld den Gletscher herabläuft mit einer Geschwindigkeit, welche die der
Eisbewegung stark übertrifft, gleich der Fortpflanzung einer Hochwasserwelle.
Das erste Anzeichen eines Gletschervorstofses ist eine Vermehrung der Ge-
schwindigkeit der Eisbewegung; am Vernagtferner wuchs dieselbe von 17 m
Der Xm. deutsche Geographentag in Breslau. 389
pro Jahr in der Zeit von 1889 — 1891 auf 200 m im Jahre 1900; so liifst
sich aus Geschwindigkeitsmessungen ein Gletschervorstofs gleichsam prognosti-
zieren. Sehr eigentümliche Erscheinungen treten seit 1886 am Suldenferner
auf; heim Wachstum des einen sehr steilen Zuflusses, der den Hauptstrom
unter rechtem Winkel trifft, entsteht an der Mündung ein System paralleler
Kämme, die sich trotz der grofsen Absehmelzung fast unverändert erhalten,
so dars ein Parallelismus dieser Erscheinung mit der Angliederung von
Faltungsketten nahe liegt.
Sodann brachte Prof. Hans Meyer wichtige Ergänzungen zu seinem
auf dem Berliner Geographenkongresse von 1899 gehaltenen Vortrag über
die Vergletscherung des tropischen Ostafrika. Am Kibo konnte Meyer alte
Gletscherspuren bis 3800 m herab nachweisen , so dafs die Gletscher einst
um rund 100 m weiter bergab reichten als heute. Nun liegen durch die
Expedition des Engländers Mackinder auf dem Kenia auch von diesem Hoch-
gipfel nähere Beobachtungen vor, die ebenfalls eine Depression der unteren
Gletschergrenze von der Zeit der gröfsten Gletscherausdehnung bis auf die
Gegenwart um mehr als 900 m erweisen. Gleiches gilt auch von den süd-
amerikanischen Anden, so dafs die Ansicht von der Universalität der einst-
mals gröfseren Ausdehnung der Gletscher auf dem ganzen Erdball iuuner
festeren Boden zu gewinnon vermag.
Ein sehr objektiv gehaltenes Referat über den gegenwärtigen Stand der
Lehre von der glazialen Erosion brachte Prof. Sigmund Günther. Trotz
der noch vorhandenen grofsen Meinungsdifferenzen beurteilt der Redner den
Stand der Frage dahin, dafs wir uns methodisch dem Zeitpunkt der Über-
einstimmung erheblich genähert haben. Einen ganz neuen Weg der Unter-
suchung haben Finsterwalder und Blümcke durch Einführung des Experi-
mentes eingeschlagen und gezeigt, dafs durch die in der Nähe des Gletscher-
bodens herrschende tiefe Temperatur eine beständige Verwitterung stattfindet,
wodurch die Widerstandsfähigkeit des Gesteins gegen die ausräumende Thätig-
keit des Eises erheblich gemindert ist. Der Gletscher entwickelt sodann je
nach der Beschaffenheit seines Untergrundes eine selektive Erosion, so dafs
bisweilen eine über das gewöhnliche Mafs hinausgreifende Abnützungsthätig-
keit des Gletschers vorhanden sein kann. Gleichwohl will der Redner eine
Auspflügung von Seebecken durch Gletscher nicht zugeben, da ihm zur Seen-
bildung die Annahme einer rein fluviatilen Erosion, verbunden mit tektouischeu
Vorgängen, genügt, was namentlich durch Ule's Beobachtungen am Starn-
berger-See erwiesen sei. Allerdings erscheinen nach einer Bemerkung Penck's
diese Beobachtungen als keineswegs zureichend, um eine tektonische Ent-
stehung des Seebeckens annehmen zu dürfen.
Diesem Vortrag schlofs sich inhaltlich sehr passend ein Bericht von
Prof. Penck über die neueren Ergebnisse der Eiszeitforschung in den Alpen
an. Die Verfolgung der alten Thalböden im Alpenvorland ergab, dafs die
Krusteubeweguugeu während der Eiszeit, die Heim als ein Rücksinken des
Alpeukörpers deutet, nicht bedeutend waren, dafs vielmehr vier Schotterterrassen,
also vier Eiszeiten im Vorland erkennbar sind. Die Thäler erfuhren durch die
Gletscher eine erhebliche Umgestaltung; dort wo die bis 1500 m mächtigen
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390 Der XIII. deutsche Geographentag in Breslau.
Eisströme lagen, wurden die Thäler erheblich ausgetieft. Neben dieser gla-
zialen Erosion besteht aber, z. B. im Innthale, eine sehr bedeutende glaziale
Aufschüttung , die jünger ist als die letzte grofse Vergletscherung. Fast
überall lassen sich zwei recht beträchtliche postglaziale Vorstöfse der eiszeit-
lichen Gletscher nachweisen ; wir haben also neben den vier Eiszeiten noch
Oszillationen des Klimas von nicht unbedeutender Gröfse, also zwei inter-
ferierende Wellenzüge der eiszeitlichen Klimakurve anzunehmen. — Die Ero-
sionsfähigkeit des Gletschers sehen wir einerseits bestätigt in den mulden-
Und wanneuförmigen Erweiterungen aller Thäler am Austritt aus den Alpen,
anderseits in den Karen des Hochgebirges. Neben der direkt ausschleifenden
Thütigkeit des Eises war es wohl wesentlich die durch den kolossalen Druck
des Eises erzeugte Zerrüttung des Gesteins, welche die Austiefung von Thäleru
und Decken ermöglichte. Der Unterschied der Höhen der eiszeitlichen und
der gegenwärtigen Schneegrenze beträgt in den Alpen rund 1200 m; die
Klimadifferenz der Eiszeit gegen heute ist also nur doppelt so grofs als die
• heutigen Klimadifferenzen zwischen Nord- und Zentralalpen; das Phänomen
der Eiszeit erscheint also klimatisch als gar nicht sehr bedeutend. Die
Oberflächen der jetzigen und -der eiszeitlichen Gletscher laufen in den Firn-
feldern asymptotisch zusammen; jede Eiszeit äufserte sich also nur in einem
Wachstum der Zungen, und da dieses nur von der Temperatur abhängt, so
ist die Eiszeit nur eine kalte Periode, keine Periode grofser Steigerung der
Niederschläge; denn sonst müfsten die Firnfelder viel gröfser gewesen sein
als heute.
Danach sprach noch Prof. Wilhelm Goetz aus München über die
Wiederholung der diluvialen Vereisung in Schwaben an der Hand eines drei-
teiligen Profils durch die Gegend zwischen Hier und Lech, den Allgäuer
Alpen und der Donau. Besonders eingehend behandelte der Redner die Um-
gebung von Memmingen und bemühte sich, im Gegensatz, zu Penck eine nur
dreimalige Vereisung dieses Gebietes nachzuweisen.
Inhnltlich schlofs sich diesen Vorträgen auch noch der in einer Abend-
sitzung gehaltene und durch Lichtbilder erläuterte Vortrag von Prof. Hassert
über die Spuren ehemaliger Vergletscherung in Montenegro an.
Verschiedene Themata.
Dr. Halbfafs wies in einem Vortrag über die Bedeutung limno-
logischer Landesanstalten für die geographische Wissenschaft darauf hin,
dafs Deutschland und im besonderen Preufsen in der Seeuforschung hinter
anderen Staaten zurückgeblieben wäre; er besprach des Genaueren die ver-
schiedenartigen Fragen, die sich au die Seen knüpfen, und die Richtungen,
die eine systematische Erforschung einzuschlagen hat, um zu wissenschaftlich
und praktisch wertvollen Ergebnissen zu gelangen. Der Geographentag nahm
eine Resolution an, die in einer vou der ursprünglichen abweichenden Fassung
den» preufsischen Staate die Inangriffnahme der systematischen Erforschung
der Seeen anempfahl.
Dr. Friedericbsen führte eine Reihe wohlgeluug»-uer und passend aus-
gewählter Bilder aus den ehemaligen Vulkangebicteu Inner -Frankreichs' vor
l
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Der XIII. deutsche Geographentag in Breslau. 391
und erläuterte den geologischen Aufbau dieser Landschaften und ihre gegen-
wärtige Gestalt, wie sie sich unter Mitwirkung einer älteren gröfseren und
einer jüngeren (Thal-)Vergletscherung gebildet haben. Besonders interessant
waren dem Referenten u. a. einige Bilder der Puys bei Clermout, einmal,
weil diese berühmten Vulkankegel bisher nur nach den Zeichnungen Poullet
Seropes in Büchern abgebildet worden sind, und sodann deshalb, weil durch
die Photographien eben diese Zeichnungen im vollsten Mafse gerechtfertigt
werden. Eines der Bilder war fast genau von demselben Standpunkte auf-
genommen wie eine der Scrope'schen Zeichnungen und liefs auf diese Weise
deutlich erkennen, wie richtig der Haupterforscher der Auvergne die Natur
gesehen, mit wie geringer Übertreibung der Böschungen er die mondähnliehe
Landschaft wiedergegeben hat. Die Abbildungen in dem viel später er-
schienenen fünf bändigen Werk * von Lecoq können sich mit jenen älteren in
Naturtreue garnicht vergleichen. Dr. Friederichsen wies übrigens mit Recht
darauf hin, dafs hinter der sehr genauen und guten geologischen Erforschung
die morphologische — und man kann hinzufügen: überhaupt die geographische
— . Untersuchung dieser alten Vulkangebiete noch sehr weit zurückgeblieben .
ist, und suchte darum die physisch - geographische Seite nach Möglichkeit
hervorzukehren.
Über die Vorträge der Schlufssitzuug lälst sich aus dem Grunde wenig
berichten, weil sie selbst schon mehr oder weniger den Charakter von Be-
richten und Zusammenstellungen hat ton. Prof. Kirchhoff gab Rechenschaft
über die Thätigkeit der Zentralkommission für wissenschaftliche Landeskunde
von Deutschland und legte den ersten Band des neu erschienenen „Berichtes
über die Littoratur zur deutschen Landeskunde" vor. Der Bericht, der nach
Art des SiegerVhen Jahresberichtes von Österreich aufser den Titeln auch kurze
Besprechuugen giebt, zeigt trotz mancher Unvollkommenheiton bereits eine grofse,
stellenweise zu grofse Reichhaltigkeit. Professor Kau aus Amsterdam sprach
über „die neuesten Fortschritte der Kenntnis von Sumatra", und zum Schlufs
gab Dr. Sapper eine lehrreiche und fesselnde Ubersicht über „die geographische
Forschung in Mittel-Amerika im 19. Jahrhundert". 0. Sch. und F. M.
Die schnlgeographischen Verhandlungen.
Die schulgeographischen Verhandlungen des Breslauer Geographentages,
die zwei Nachmittagssitzungen und drei Fachbesprechungen erfüllten, werden
in diesem weiten Umfange nur verständlich durch ihre Vorgeschichte. Die
in den Junikonfereuzen des preufsischen Kultusministeriums (6. — 8. Juni 1900)
hervortretenden Reformpläne der preufsischen Unterrichts Verwaltung, die Auf-
forderung derselben Behörde an Geh. Rat Hermann Wagner zu einem
Gutachton über die Frage „Wie hat sich der Unterricht in der Erdkunde
seit 1892 entwickelt und was bleibt für ihn noch zu thunV" und dessen
inhaltsreiche Antwort: „Die Lage des geographischen Uutorrichts in den
höheren Schulen Preufsens"1), wie auch die Thatsachen, dafs den 13. Geo-
1) Hannover u. Leipzig, Hahn'sche Buchhandlung 1900. 68 8. — Vergl. auch
Verhandl. über Fragen d. hob. Unterrichts. Berlin 6. bis 8. Juni 1900. (Halle, Waisen-
haus 1901). 8. 365.
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392
Der XIII. deutsche Cieographentag in Breslau.
graphcutag eine mehr als vierjährige Pause von seinem Vorgänger trennte,
der 7. Internat. Geographenkongrefs schulgeographischen Fragen wenig ge-
recht geworden war1), hatten in Wagner und dem Schreiher dieser Zeilen
den Gedanken reifen lassen, zu versuchen durch zeitliche Ausdehnung der
schulgeographischen Verhandlungen und durch eine energische Agitation
in den Kreisen der Lehrerschaft höherer Uuterrichtsanstalten dem Erd-
kundeunterrichte an diesen Schulen aus seiner mifslichen Lage aufzuhelfen.
Nachdem durch private Werbetätigkeit zunächst 77 Herren (Männer
im Schulleben und Dozenten) gewonnen waren, wurde der Ortsausschufs in
Breslau veranlafst, seinen Einladeseudungen eine von diesen Herren unter-
schriebene „besondere Einladung1' beizulegen und diese dann noch einmal an
sämtliche „Vorstände und Direktionen der höheren Schulen Deutschlands"
gelangen zu lassen. In dieser „besonderen Einladung" wurden die Fach-
lehrer der Geographie unter Hinweis auf die oben augeführten Punkte zum
Besuche der Tagung aufgefordert (Anfang Mai). Trotzdem bei der für West-
und Süddeutsche ungünstigen Lage Breslaus und der Notwendigkeit eines
Urlaubs auf eine allzu rege Beteiligung aus den Kreisen der Oberlehrer nicht
gerechnet werden konnte, ist doch der Zugang, vornehmlich natürlich aus dem
Osten Preufsens und dann auch aus Österreich, überraschend stark gewesen2).
Aufserdem hatte es Wagöer bei dem Zentralausschusse durchgesetzt, dafs
zwei volle Sitzungen den schulgeographischeu Verhandlungen zugewiesen
werden sollten. Als solche waren die Nachmittagssitzungen des ersten und
zweiten Verhaudlungstages (28. u. 29. Mai), Sitzung 2 und 4 ausersehen;
die Beschaffung von Vortragenden war ebenfalls gauz in seine Hand gelegt
worden. Für den ersten Verhandlungstag wurden nun Fragen der Organi-
sation in Aussicht genommen, für den zweiten methodologische. Zu den
ersteren beabsichtigten Wagner und ich zu sprechen; dazu kam später als
Referent über die neuen Lehrpläne noch Direktor Dr. Au ler- Dortmund,
dessen Referat durch ihr gerade noch rechtzeitiges Erscheinen ermöglicht
wurde. Ich selbst wollte unter Hinweis auf die Schwierigkeiten, die aus
der Organisation unserer Schulen erwachsen, vorschlagen, ihre Überwindung
auf dem Wege eines engeren Zusammenschlusses der Fachlehrer anzubahnen.
Für diesen wurde eine besondere Fachbesprechnng und in ihr die Gründung
einer ständigen Kommission in Aussicht genommen.
1) Yergl. den Passus der Krötthungsrede des Kongresses (Bd. I, S. 83): „Doch
gehört (die Krörterung der unerfüllten Wünsche für «Jen Unterricht an den höheren
Lehranstalten) mehr in den Bereich der nationalen geographischen und pädagogischen
Tagungen."
2) Von 47H Besuchern der beiden ausgegebenen Listen gehörten ca. 170 der
Lehrerschaft an (ganz sicher Hilst sich die Zahl nicht feststellen, bei den öfter un-
genauen Personalangahen) und unter diesen nur Behr wenig, kaum 20, dem seminar.
Lehrerstande. Das macht, abzüglich 42 Damen, 3ü% aller Besucher, eine bei früheren
Tagungen auch nicht annähernd erreichte Zahl. Sie verteilte sich auf die einzelnen
Landschaften wie folgt: Ostpreufsen 3, WestpreuTsen 7, Posen 11, Schlesien »f>,
Pommern 2, Brandenburg 9, Sachsen 5, Hannover 1, Westfalen 3 (Schleswig-Holstein.
Itheinprovinz, Hessen-Nassau 0), ganz Preufsen 13G, das übrige Norddeutschland 14
(davon Königreich Sachsen 7», Süddeutschland 2 (beides Klsässer), (Österreich-
Ungarn 18 = 170.
Der XIII. deutsche Geographentag in Breslau.
393
Danach stellte sich die Tagesordnung der ersten schulgeographischen
Sitzung so:
1. Lage des geographischen Unterrichts nach den neueren
Lehrplänen (Referenten: Wagner, Auler).
2. In der Organisation unseres höheren Schulwesens liegende
Schwierigkeiten für einen gedeihlichen geographischen
Unterricht. (Ref.: Fischer).
3. Antrag auf Einsetzung einer Zentralkommission für Schul-
geographie.
Der erste Referent (Wagner) bezog sich vor allem auf seine oben ge-
nannte Schrift, in der er dargelegt hatte, dafs einerseits der Erdkundeunter-
richt ohne seine Durchführung bis zum Schulschlufs und ohne dafs er durch
fachmännisch gebildete Kräfte gegeben wird, erfolglos bleiben mufs, anderer-
seits die ^tatsächlichen Verhältnisse an den preufsischen Schulen eine geradezu
beispiellose Zersplitterung des Unterrichtsfaches unter die Lehrer aufweisen.
Von ca. 7000 an den höheren Schulen thätigen Lehrern unterrichten nicht
weniger als 2827 d.h. 40% in diesem Fache, von diesen haben 1351 nur in
einer einzigen Klasse, 797 nur in zwei Klassen und nur 678 in drei oder
mehr Klassen gleichzeitig zu thun. Dabei wechselt der Unterricht unauf-
hörlich, sodafs die Möglichkeit sich in ihn hineinzuarbeiten für die weniger
vorgebildeten kaum besteht1). Ein Fortschritt ist es nun aber, dafs man
beginnt die Berechtigung dieser Klagen anzuerkennen. Besonders ist hier
der Passus der Neuen Lehrpläne hervorzuheben, der davon spricht, dafs es
wünschenswert sei, den Unterricht nach Möglichkeit fachmännisch gebildeten
Lehrern anzuvertrauen. Man hat damit im Prinzip unsere eine Forderuug
als berechtigt anerkannt, wie ja auch der kaiserliche Erlafs Nov. 1900 eben-
dasselbe als Notwendigkeit hervorhebt Fachmännisch ausgebildete Kräfte
sind ja heute auch reichlich vorhanden, seit es seit längerer Zeit nirgends
mehr in Preufsen an akademisch gebildeten Lehrern der Erdkunde fehlt. In-
dessen mufs man bekennen, dafs die Signatur der Junikonferenz, die nach
menschlichem Ermessen für das nächste Jahrzehnt über die Weiterbildung des
preufsischen Schulwesens entscheidend sein wird, keine geographische gewesen,
nicht dem Zeitalter des Weltverkehrs und der Weltstellung unseres Volkes hat
gerecht werden können. Die Mächte, die dort rangen, waren die des alten
Gymnasiums und die der Naturwissenschaften nach ihrer Ausbildung in der
Richtung auf die Technik. Die Geographie ist in den Verhandlungen
überhaupt nicht erwähnt. Auch Frage 6: „Was kann auf den höheren
Schulen, .... für die Hebung des Unterrichts in den verschiedenen Lehr-
gegenständen geschehen ?"') hat dazu keine Veranlassung gegeben. So sind
denn auch die errungenen Erfolge erst gering: aufser dem erwähnten Passus
1) Da bisher in der G. Z. diese für die Entwickelung unseres Unterrichts-
faches an den Schulen epochemachende Schrift noch nicht besprochen ist, behalt«
ich mir eine eingehendere Würdigung ihres Inhalts für eine der nächsten
Nummern vor.
2) Vergl. Verhandl. n. s.w. S. XIII u. S. 128 ff., hier als Frage 6 bezeichnet, infolge
Änderung in der ursprünglich beabsichtigten Verhandlungsordnung.
Geographische Zeitschrift. 7 J»hrg»ng. 1901. 7. Hoft 27
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394
Der XIII. deutsche Geographentag in Breslau.
bestehen sie in der Durchfuhrung der Erdkunde mit einer Wochenstunde
im Oberbau der Oberrealschulen und in der Festlegung von sechs Stunden
im Halbjahr für geographische Wiederholungen an Gymnasien. Leider ist
gerade hier noch im letzten Augenblicke die in Aussicht gestellte doppelte
Stundenzahl (6 Stunden im Vierteljahr) zurückgezogen worden. Immerhin
bedeutet besonders die erste Errungenschaft den endlichen Eintritt des Geo-
graphielehrers in die Oberstufe wenigstens einer neunklassigen Schulgattung.
Das Referat gipfelte in der Aufforderung an die anwesenden Lehrer zum
Besuche der oben erwähnten Fachlehrerbesprechung, in der über Schritte zur
weiteren Förderung des geographischen Unterrichts beraten werden könnte.
Der nun folgende Referent Aul er hob hervor, dafs, wiewohl die ganze
Schulreform für die Erdkunde unter dem ungünstigen Sterne der Berech-
tigungsfrage gestanden habe, doch ein Fortschritt gegen früher bereitwillig
anerkannt werden müfste. Es besteht auch nach seiner Meinung die Haupt-
sache noch darin, dafs die Oberstufe wenigstens der Oberrealschule jetzt
einen bis obenhin durchgeführten Unterricht erhalten und der Geographie-
lehrer zum erstenmal seine Kruft dort bewähren kann, sowie in der Fest-
legung der freilich gar zu knapp bemessenen Wiederholungsstunden auf der
Oberstufe der anderen neunklassigen Anstalten, ferner aber auch in der rich-
tigeren Verteilung des Lehrstoffes, besonders der Beseitigung der sonderbaren
Vorwegnahme der „politischen" Geographie vor der „physischen" in den
Tertien, einer' besseren Fassung der Lehraufgaben auch sonst und manchem
andern, vor allem aber in dem Passus 5 der „methodischen Bemerkungen für
die Erdkunde": Wünschenswert ist es u. s. w. (s. u. in der Resolution, in
die er später aufgenommen wurde). Dagegen mufs vor allem die Wendung,
die von dem „praktischen Nutzen des Faches" spricht, als sehr bedauerlich
bezeichnet werden, weil in ihr das Wesen des Unterrichts an einer höheren
Lehranstalt, wie des in der Erdkunde im besonderen, die lediglich allge-
meinen Bildungsidealen zuzustreben haben, verkannt wird. Ein Unterricht,
der nur des praktischen Nutzens wegen gegeben wird, gehört nicht auf eine
höhere Lehranstalt. In der nun folgenden ziemlich reichen Diskussion fanden
die einzelnen Redner bei der herrschenden Unbekanntschaft nüt den eben
erst veröffentlichten Lehrplänen meist nur Veranlassung, einzelne Mifsstände
im Schul leben hervorzuheben und nach deren Quellen zu suchen. Einen
krassen Fall höchst unzweckmäfsig verteilten Erdkundunterrichts hob
Dr. Lampe (X. Rs. Berlin) hervor. Dr. Henkel aus Pforte suchte den Grund
der Mifsstände im Übelwollen der Direktoren, eine Auffassung, .deren AU-
' gemeingiltigkeit von Aul er mit Recht bestritten wurde.
Durch den Gang der Diskussion war dem letzten Referenten, Fischer,
ein Teil seiner Ausführungen vorweggenommen. Er konnte sich daher für
den ersten Teil seiner Ausführungen darauf beschränken, zumal die Zeit
drängte, unter Bezugnahme auf das Vorausgegangene seine Auffassung über
den Zustand des Erdkundeunterrichts kurz zusammen zu fassen, und wählte
dazu als Devise die fast einzige Erwähnung der Geographie in den ent-
scheidenden Junikonferenzen, das Wort des leider jüngst verstorbenen
Dr. Schwalbe „Die Geographie ist eigentlich an den höheren Lehranstalten
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Der XIII. deutsche Geographentag in Breslau.
395
so gut wie ausgeschlossen"1). Er sah die Gründe dieser Erscheinung einmal
in der Jugend der Hochschul geographie, deren Jünger erst seit vergleichs-
weise wenigen Jahren mit ihren Anforderungen an den Schulen praktisch
hervortreten können, und in der Entwickelung unseres höheren Schulwesens
im neunzehnten Jahrhundert überhaupt von der lebendigen Schöpfung der
„grofseu Rektoren" zur erstarrten und überkoraplizierten Schablonenschule
unserer Tage, die keine genügende Gewahr für die Möglichkeit persönlichen
freien Wirkens mehr darbietet. Staatsaufsicht, Kampf von Humanismus
und Realismus und die Konsolidationsbedürfnisse des Standes wurden als
Ursachen der Entwickelung angesprochen, ohne dafs ihre Berechtigung
innerhalb der gesamten sozialen und wissenschaftlichen Entwickelung des
Jahrhunderts bestritten wurde. Vielleicht stehen wir aber jetzt an einem
Wendepunkt, der nach ausreichender Erledigung der obigen Fragen wieder
zu einer der Lehrerpersönlichkeit gerechter werdenden Entwickelung führt; die
Junikonferenzen scheinen dafür zu sprechen. Unter diesen Verhältnissen wäre
der Versuch zu einem Zusammenschlufs geographischer Fachmänner wohl zu
empfehlen, wenn dieser es als sein Ziel betrachten würde, mit behördlicher
Genehmigung zunächst an einzelnen über das Land verteilten Anstalten einen
von besonders damit betrauten Fachmännern erteilten geographischen Muster-
unterricht einzurichten. Um ihn in die Wege zu leiten, lädt der Referent
ebenfalls zu der erwähnten Fachbesprechung ein.
Für die Zeit zu dieser Besprechung entschied man sich auf 12 Uhr
des zweiten Sitzungstages, da man annahm, bis dahin, würde die allgemeine
Sitzung beendet sein.') Sie war überraschend gut besucht.3) Auler über-
nahm den Vorsitz. Als ersten Punkt der Tagesordnung legte Wagner
„Nächste Aufgaben und Grundzüge einer Geschäftsgebarung" der zu be-
gründenden Kommission vor. Sie sol\ den Kernpunkt für dauernde Verstän-
digung der geographischen Fachlehrer in Deutschland bilden und den erd-
kundlichen Unterricht an den Schulen auf eine den Bedürfnissen der Gegen-
wart entsprechende Höhe heben helfen. Sie ist Organ des Geographentages,
in der Zahl ihrer Mitglieder nicht beschränkt, die nach Möglichkeit alle
gröfseren deutschen Landschaften vertreten sollen, wählt einen gescbäfts-
führenden Vorsitzenden und dessen Stellvertreter; sie hat als nächste Auf-
gabe die Beratungen für schulgeographische Verhandlungen der Deutschen
Geographentage vorzubereiten und tritt rechtzeitig an den Zentralausschufs
mit geeigneten Vorschlägen heran; etwaige den Schulbehörden zu unter-
breitende Beschlüsse des Geographentages werden in der Regel ihr zu
1) Verhandl. u. s. w. S. 112.
2) Thataächlich hat diese (die S.) erheblich länger gedauert, wodurch, da in
ihr nur wenige Zuhörer anwesend blieben, während sich in der Fachbesprechung 83
einfanden, ein unangenehmes Mifsverhältnis entstand. Es dürfte sich empfehlen,
für die künftigen Tagungen die vom 7. I. G. K. so bewährte Einrichtung der Sek-
tionen einzurichten.
8) Ostpreufsen 1, Westpreufsen 4, Posen U, Schlesien 25, Pommern 2, Branden-
burg 7, Sachsen 5, Hannover 4, Westfalen 1, ganz Preußen 58, das übrige Nord-
deutschland » (davon Königreich Sachsen 3), Süddeutscbland 7 (davon Bayern 4 Do-
zenten), Österreich 8, England 1 = 83.
27*
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390 Der Xm. deutsche Geographentag in Breglau.
weiterer Behandlung und Ausfertigung überwiesen, im übrigen aber bleibt
es ihr überlassen, in welcher Weise sie selbständig zur Erfüllung ihrer Auf-
gaben vorzugehen gedenkt.
Um den Satzungsentwurf vollständig durchberaten zu können, mufste
eine zweite Fachberatung auf den 3. Verhandlungstag 8 Uhr morgens ange-
setzt werden. Hier wurde der Entwurf von der Versammlung angenommen
und gleichzeitig eine Anzahl von Herren für die Kommission gewählt, wobei
man sich auf Anwesende beschränken zu müssen glaubte, was um so weniger
bedenklich erschien, als der Kommission das Recht der Zuwahl verliehen
ward. Aufserdem wurde besonders auf Wunsch der Herren aus Süddeutsch-
land eine Resolution entworfen, die in ihrer endgiltigen Fassung folgenden
Wortlaut hat:
1. „Der Deutsche Geographentag nimmt mit Befriedigung Kenntnis von
der sachgemäfsen Umgestaltung der neuen Lehrpläne für den erdkundlichen
Unterricht an den höheren Lehranstalten Preufsens und insbesondere von der
Bestimmung: „Wünschenswert ist, dafs auf allen Schulen der Unterricht in
der Erdkunde in die Hand von Lehrern gelegt werde, die für ihn durch ein-
gehendere Studien besonders befähigt, sind; auch ist darauf zu achten, dafs
er von den einzelnen Anstalten nicht unter zu viele Lehrer verteilt werde.
Wenn hierdurch die Erfüllung der einen Vorbedingung, welche der
Deutsche Geographentag für einen gedeihlichen Erdkundeunterricht als uner-
läfslich stets bezeichnet hat, für den Norden unseres Vaterlandes angebahnt
ist, so spricht er die zuversichtliche Hoffnung aus, dafs diese Bestimmung
auch in den übrigen Teilen baldigst Eingang finde.
2. Dagegen erscheint die zweite der unerläfslichen Forderungen, ein durch
alle Stufen neunklassiger Lehranstalten selbständig durchgeführter Geographie-
unterricht, durch dessen Ausdehnung auf die drei Oberklassen der preufsischen
Oberrealschulen noch nicht erfüllt. Vielmehr erscheint es dringend wünschens-
wert, den Unterricht in der Geographie an sämtlichen höheren Lehranstalten
des deutschen Sprachgebiets bis in die obersten Klassen durchzuführen."
In der Schlufssitzung des Geographentages wurden dann die Beschlüsse
der Fachversammlung von diesem bestätigt und auf Prof. Kirchhoff's Vor-
schlag der Kommission der Namen einer „Zentralkommission für erd-
kundlichen Schulunterricht" gegeben. Die schon in Breslau gewählten
Mitglieder sind: Geh. Rat Wagner und Prof. Kirchhoff, Dir. Auler aus
Dortmund, Prof. B lud au aus Pr. Friedland, Oberl. H. Fischer aus Berlin,
Oberl. Henkel aus Pforte, Prof. Hucker t aus Breslau, Oberl. Schnell aus
Mühlhausen i. Th., Oberl. Wormbter aus Rastenburg, sämtlich für Preufsen,
Oberl. Zemmrich aus Plauen i.V. für Kgr. Sachsen, die Professoren Günther
aus München und Regel aus Würzburg für Bayern, Prof. H asser t aus
Tübingen für Württemberg, Prof. Neu mann aus Freiburg i. B. für Baden,
Prof. Langenbeck aus Strafsburg für das Reichsland, Prof. Richter aus
Graz und Prof. Becker aus Wien für Österreich (i. g. 17 Herren). In einer
kleinen ersten Besprechung der neuen Kommission noch am Abend des
letzten Verhandlungstages wurden dann schliefslich Dir. Au ler zum geschäfts-
führendeu Vorsitzenden und Oberl. Fischer aus Berlin zum Stellvertreter
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Der XIII. deutsche Geotfraphcntaff in Brcßlau 397
gewählt Einen besonderen Arbeitsplan zu beraten fehlte es vollkommen an
Zeit, genug dafs es die Kommission selbst unter Dach und Fach zu bringen
gelang.
Ich habe im Verfolge dieser Entwickelung der Kommission die zweit«
schulgeographische Sitzung übergangen. Ich hole jetzt ihre Verhandlungen
nach. Mit der oben erwähnten vorausgegangenen Werbearbeit war gleich-
zeitig eine Art Abstimmung verbunden worden, insofern als an die meisten
der zur Unterschrift aufgeforderten Herren (bei den zuletzt aufgeforderten,
deren Adressen man erst spät erhalten hatte, gebrach es dazu an Zeit) die
Bitte gerichtet worden war, zwischen einer Anzahl von methodologischen
Themen, deren Behandlung ausreichend lehrreich zu werden vorsprechen konnte,
zu wählen. Die endgiltige Tagesordnung war dann das Resultat dieser Ab-
stimmung, ein wenig beeinflufst durch die aufserdem eingelaufenen Redner-
angebote. Es handelte sich um vier Beratungsgegenstände: 1. Lehrbücher-
frage, 2. Verknüpfung der physischen und politischen Landeskunde im
Schulunterrichte, 3. Zahlenmaterial im geographischen Unterrichte, 4. Was
gehört aus der Projektionslehre auf die Schule?
Zu 1. sprach zuerst Prof. Becker aus Wien, der Herausgeber der
Zeitschrift für Schul geographie. Dort hatte er bekanntlich (Z. f. Schulgcogr.
XXII. Jahrg. I. Heft) 30 Grundsätze für Lehrbücher der Geographie aufge-
stellt und für deren Besprechung eine Art Sprechsaal eröffnet. Jetzt gab
er seine Anschauungen vermehrt um die inzwischen im „Sprechsaal" ge-
. wonnenen Erfahrungen in umfangreicherer Form, die insofern sehr geschickt
war, als er es durchaus vermied, bei dieser heiklen und doch noch sehr
brennenden Frage irgend ein Lehrbuch als Beispiel namhaft zu machen.
Vor dem weiten Forum des Deutschen Geographentages diese Angelegenheit,
vorzüglich auch nach der noch recht dunklen Seite der Darbietungsform,
wieder in Flufs gebracht zu haben, dieses Verdienst gehört ihm.
Ebenfalls zur Lehrbücherfrage sprach Prof. A. Fischer aus Hamburg.
Er empfahl seine Lehnnethode, bei der das eingeführte Lehrbuch zuerst von
den Schülern Satz für Satz vorgelesen und dann zu Hause auswendig ge-
lernt wird. In der nächsten Stunde fragt der Lehrer bei verschlossenen
Atlanten unter möglichst engem Anschlufs an den Wortlaut des Lehrbuches
das auswendig Gelernte ab. Diese Methode erziele schöne Resultate, be-
wahre den Lehrer vor subjektiven Urteilen und erleichtere ihm infolge der
geringeren Anforderungen an sein Sprechen das Unterrichten, auch Unkun-
dige könnten so den Unterricht ganz gut geben. Nachdem der Redner ge-
schlossen, erhob sich eine lebhafte Entrüstungsbewegung und der Antrag des
Dir. Friebe-Posen „Der XIII. Geographentag lehnt den Vortrag des Prof.
Fischer ab" wurde, nachdem sich die Mehrheit auch für das Unterbleiben
jeder Diskussion entschieden hatte, zunächst einstimmig angenommen.
Die nun folgenden beiden Vorträge zur „Landeskunde" im Schulunter-
richt von Kirchhoff und Langenbeck standen insofern in innigster Be-
ziehung zu einander, als der erste mehr das allgemeine, doch durch mannig-
fache Beispiele erläuterte Prinzip einer „Verknüpfung der physischen und
politischen Landeskunde" darlegte, Langenbeck das eine Beispiel der Alpen
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398 Der XTTT. deutsche Geographentag in Breslau
im speziellen darlegte. — Armenien, das nach seiner Aufteilung unter seine
drei Nachbaren nicht aufhöre ein geographisches Individuum zu sein, unser
eigenes Vaterland, dessen innere politische Grenzen, man denke an Thüringen,
so ganz an Bedeutung zurückstehen hinter denen der grofsen deutschen
Landschaften, so sehr auch ein kraftvoller Staat seiner politischen Grenze
durch seinen Kultureinflufs eine Art Naturcharakter aufprägen könne (Bei-
spiel: unsere Ostgrenze), zeigen auf das deutlichste, dafs es Unnatur sei,
nach der alten Schablone schematische Vivisektion zu treiben. Das etwa
führte Kirchhoff aus. Langenbeck lehnte, nachdem er sich mit manchen auf-
getauchten Bedenken und u. a. auch mit der glücklicherweise jetzt abgethanen
Bestimmung der preufsischen Lehrpläne von 1892, nach denen die politische
Geographie Deutschlands eine Klasse früher' als die physische zu lehren war,
abgefunden hatte, den streng länderkundlichen Gesichtspunkt für die Unter-
stufo ab. Hier heifst es, entsprechend der geistigen Entwicklung der Alters-
klasse, Material sammeln; es zusammen zu arbeiten gebührt dem höheren
Alter der Mittelstufe. Für die Alpen empfiehlt er für diese folgende Form
der Besprechung: 1. Allgemeiner Uberblick, a) Aufhau, orographische Be-
ziehungen, Grenzen; b) allgemeiner Charakter, Klima, Völkergrenzen, Pässe, grol'se
Längsthäler; c) wirtschaftliche Verhältnisse; d) Einteilung in Gruppen; —
2. Spezielle Beschreibung mit Ausblicken z. B. Urkantonc (geschützte
l*ge und Beherrschung der Gotthardstrafse.) Bei der weiteren Behandlung
des Vorlands u. s. w. kommt man dann zur politischen und wirtschaftlichen
Einheit der Schweiz u. s. f.
In der folgenden Diskussion traten Oehlmann und Wolkenhauer
für die „alte" Methode ein, Oehlmann mit der besonderen Motivierung, dafs
ihn langjährige Prüfungen von Schülern aller möglichen Anstalten gelehrt
hätten, dafs dieselbe beschämende Unkenntnis das Resultat aller Methoden bisher
noch sei. Mayer aus Freistadt, der sich als Anhänger der Kirchhoff- Langen-
beck'schen Methode einführte, empfahl das heuristische Verfahren gegenüber
dem darbietenden, das er aus der Darlegung Langenbeck's herauszuhören
glaubte. Aul er riet, sich mit weniger Ländern, vor allem Deutschland zu
bescheiden, Halbfafs wollte die besseren Schüler nicht zu gunsten der
Mittelmäfsigkeit geschädigt wissen. Richter hob hervor, das icqwtov tytvdog
sei „der zu schwierige Stoff, den wir in zu niedrigen Klassen geben müssen",
womit man dann, wie fast immer bei der Behandlung auch rein methodo-
logischer Fragen, auf den grofsen von uns bekämpften Fehler in der moder-
nen Schulorganisation, das Fehlen der Erdkundestunde auf der Oberstufe,
wjeder gekommen war. Straufs empfahl dann noch die Hefte in konzen-
trischen Kreisen und einige andere Herren sprachen im Sinne der Kirchhoff-
schen Länderkunde.
Nummer 3 der Tagesordnung, zu der noch kein Redner bestimmt war,
wurde bei der sehr drängenden Zeit abgesetzt, doch wies Wagner, der den
Vorsitz führte, auf die Wichtigkeit der Frage hin und empfahl sie dem
nächsten Geographontage. Zum Schlufs sprach Bludau über das Thema:
„Was gehört aus der Projekt ionslehre auf die Schule?" Sein sehr anregender
Vortrag konnte leider nicht mehr ausgiebig diskutiert werden. Jedenfalls ver-
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Kleinere Mitteilungen. 399
dienen volle Beachtung sein Kampf gegen den MiTsbrauch der Mercatorkarte
in unsern Schulatlanten und seine Mahnung an den Geographielehrer, das
wenige mit Hilfe der eigenen Schulmathematik leicht zu beschaffende sich
zu eigen zu machen, was er wissen müfste, um die Begriffe der Winkel-
treue, Mittelabstandstreue und Flächentreue zu erläutern. Ob indeseen sein
Wunsch, die Mathematiker möchten sich in den oberen Klassaa In der Wahl
ihrer Beispiele etwas der Kartenprojektionslehre annehmen, bei der bekannten
Hartnackigkeit der Mathematiker in Erfüllung gehen wird?
Nach Schlufs der Sitzung demooetrierte Oberl. Ebeling aus Berlin zwei
nach seiner Methode von Kind in Steglitz hergestellte Modelle für Schulzwecke
(Vesuv und Aletsehgletscher), die sich neben Dauerhaftigkeit durch Leichtig-
keit und billigen Preis (25 JC) auszeichnen.
Der nächste Geographentag soll Ostern 1903 in Köln abgehalten werden.
H. F.
Kleinere Mitteilungen.
Die geographischen Ortsbestimmungen und unsere grofson
Universitäten.
Im Märzheft d. Z. (VII, S. 168—169) ist aus „Petcrmann's Mitteilungen",
Gotha 1901, S. 22, eine Notiz abgedruckt, in der „anscheinend offiziös"
darauf hingewiesen wird, dafs „jüngeren Mathematikern, welche allerdings auch
etwas praktischen Sinn haben müssen, sich günstige Aussichten bieten, falls
sie Neigung haben, auf Keichskosten als perfekte Astronomen für Längen-
• und Breitenbestimmungen sich ausbilden zu lassen".
An dieser Notiz ist allerhand verwunderlich; und sie giebt zugleich
Anlafs zur Besprechung einer Angelegenheit, die dem Schreiber d. Z. längst
am Herzen liegt, wie dem einen oder andern Leser wohl aus meinem Be-
richt über die Fortschritte der geographischen Landmessung im Geogr. Jahr-
buch XXII (Gotha 1899) bekannt ist
Zunächst: seit wann sind , jüngere Mathematiker", also doch wohl
Studierende der Mathematik oder angehende Mathematik-Lehrer die geeignet-
sten Personen zur Ausführung geographischer oder geodätisch-„astronomischer"
Messungen? Würde nicht die weitere Ausbildung junger wissenschaftlich
gebildeter Geodäten, von denen freilich trotz der sehr gYofsen Zahl von Feld-
messern und Topographen in Deutschland nicht gerade viel bei uns zur
Verfügung stehen, einfacher und ztfeckmäfsiger zum Ziel führen, weil sie die
Winkelmefswerkzeuge aus praktischem Gebrauch bereits kennen, weil sie
schon Gelegenheit gehabt haben, ihren „praktischen Sinn" zu üben, und weil
sie auch aus Erfahrung, im heimischen Klima wenigstens, bereits die gesund-
heitlichen Anforderungen kennen, die geodätische Feldarbeiten an den Beob-
achter zu stellen pflegen?
Nebenbei möchte ich denn doch bei dieser Gelegenheit auch hier darauf
hinweisen, dafs es sich bei direkter Bestimmung der geographischen Koordi-
naten eines Punkts der Erdoberfläche oder des Azimuts einer von einem ge-
gebenen Punkt der Erdoberfläche ausgehenden terrestrischen Richtung um
geodätische oder geographische Messungen handelt (vgl. auch den be-
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400
Kleinere Mitteilungen.
reits angeführten Bericht im Geogr. Jahrbuch XXII, S. 31—38); wo aber
ist bei uns der Geograph, der in diesen Messungen genügend theoretisch
und praktisch bewandert ist oder der gar einen theoretisch genügend be-
gründeten und praktisch ausreichenden Unterricht in diesen Dingen zu
übernehmen imstand wäre?
Nun aber zur Hauptsache, die ich hier besprechen möchte. Solche
„astronomisch44- geodätischen oder geographischen Messungen warten noch in
grofser Zahl der Ausführung in unsern Kolonien. Die im Eingang zitierte
Notiz will dazu „perfekte Astronomen" verwenden, ich glaube, man könnte
ebensogut Geodäten und Geographen nehmen, deren wissenschaftlich-praktische
Ausbildung nur nach der Seite der praktischen „Astronomie44 hin zu er-
gänzen wäre.
Eine derartige wissenschaftlich-praktische Ausbildung in der geodätisch-
praktischen „Astronomie41 (die s. g. astronomische Nautik eingeschlossen)
sowohl als auch in der geodätisch - geographischen Landmessung i. e. S.
kommt auch für geographische Forschungsreisende in Betracht, die nur mit
der Handhabung etwas weniger feiner Instrumente, z. B. eines Nonien-Reise-
Theodolits statt des Mikroskop-Theodolits, sich begnügen können.
Auf unsern Universitäten und den in Verbindung damit stehenden
Instituten sowohl als auf den Technischen Hochschulen ist nun aber die
Gelegenheit zu solcher Ausbildung spärlich geboten. Die Aufgabe der
Sternwarten ist zunächst die Förderung der Astronomie, wozu die Be-
stimmung der Lage von Punkten auf der Erdoberfläche als eine geographische
oder geodätische oder nautische Aufgabe zunächst nicht gehört, wenn
man auch die hierfür in Betracht kommenden Messungen meist zur sphäri-
schen Astronomie zu stellen pflegt. Und andere Institute der Universi-
täten, besonders die geographischen Institute, scheinen sich wenig um diese
Aufgaben zu kümmern. Die Vorlesungsverzeichnisse der Universitäten führen
denn auch viel zu selten die zur Ausbildung von Astronomen, Geodäten und
Geographen notwendigen Übungen in geographischen Ortsbestim-
mungen (besonders mit den für Reisende u. s. f. in Betracht kommenden
transportablen Instrumenten und mit Rücksicht auf die hier in Betracht
kommenden Methoden) auf. Die Geodäten an den Technischen Hochschulen
oder an den preufsischen landwirtschaftlichen Hochschulen ferner sind bei der
dermaligen Frequenz dieser Anstalten ohnehin im allgemeinen stark mit
Unterricht belastet, so.dafs sie sich den angedeuteten Aufgaben nur nebenbei
und nicht in dem erwünschten Umfang widmen, können; und Geodäten an
Universitäten sind bekanntlich nur wenige thätig (Helmert in Berlin,
Hartl in Wien).
Dafs hier eine Lücke besteht , ist %schon oft ausgesprochen und aner-
kannt worden. Es ist zwar z. B. beim Orientalischen Seminar in Berlin auf •
den Unterricht in den uns hier beschäftigenden Gegenständen Rücksicht ge-
nommen; doch genügt die dort gebotene Unterrichtsgelegenheit dem Bedürf-
nisse offenbar nicht ganz, wie wohl schon daraus hervorgeht, dafs die Übungen,
der wichtigere Teil, nicht von den Dozenten selbst und nicht in Berlin, sondern
in Potsdam abgehalten werden. Der in den letzten Jahren aufgetauchte
Vorschlag von Prof. Ambron n in Göttingen, ein besonderes Institut zur
Ausbildung von Forschungsreisenden zu gründen (vergl. mein bereits mehrfach
angeführtes Referat S. HO), wird nicht so bald verwirklicht werden können.
Ein gangbarpr Weg wäre aber wohl der, dafs eine der grofsen Univer-
sitäten, z. B. Berlin, sich entschlösse, eine a. o. Professur für Theorie
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Kleinere Mitteilungen.
401
und Praxis der geographischen Ortsbestimmungen (zu Land und
zur See) zu gründen. Es sind gewifs, selbst an weniger reich ausgestatteten
Universitäten, für minder wichtige und weniger ifnmittelbar notwendige
Gegenstände aufserordentliche Professuren genug vorhanden. Und nicht nur
die grofse Wichtigkeit, sondern auch der bedeutende Umfang des Gebiets
würde gewifs die Schaffung einer eigenen Stelle rechtfertigen. Die geogra-
phische Ortsbestimmung auf dem festen Land, vom Gebrauch der einfachem
Mittel bis zur Verwendung der feinern Instrumente und Methoden, von der
diese Notiz ausging; die Ortsbestimmungen in der Nautik mit Benutzung
der Spiegel- und Prismeninstrumente; dazu womöglich wenigstens die Grund-
züge der im engern Sinn geodätischen und topographischen Messungen, wie
sie insbesondere für Reisende und für Kolonialvermessungen von Wichtigkeit
sind: dies alles theoretisch und praktisch zu lehren ist eino Aufgabe, die
einerseits die Kraft eines Mannes vollständig in Anspruch nimmt und "deren
Lösung anderseits entschieden als Bedürfnis bezeichnet werden mufs. Wer
hier davon spricht, dafs Umfang oder Inhalt des Gebiets der geographischen
Ortsbestimmungen zur Begründung einer a. o. Professur nicht ausreiche, der
kennt offenbar die grofse und rasch fortschreitende Entwicklung nicht, die
Theorie und Praxis dieser Messungen in den letzten Jahren erfahren haben:
um nur einzelne Punkte herauszugreifen, sei erinnert an die Anwendung der
photographischen Methoden und eine grofse Zahl neuer visueller Methoden
bei der Bestimmung der geographischen Länge und Breite auf dem festen
Land, an die Bestrebungen zur Ersetzung der Kimm durch künstliche Hori-
zontmarken zur See, an die vielen neuen methodischen Behandlungen der
nautischen Ortsb#stimmungsprobleme, an die aufserordentliche Entwicklung
der Chronometrie. Nicht nur Geographen und Forschungsreisende, Geodäten
und Astronomen, künftige Lehrer der Mathematik u. s. f. hätten an einem
solchen theoretisch-praktischen Unterricht in geographischen Ortsbestimmungen
das gröfste Interesse, sondern auch die in Deutschland glücklicherweise immer
mehr in den Vordergrund tretenden Bedürfnisse der Nautik sind zu be-
friedigen; wie dankbar müfsten z. B. künftige Navigationslehrer sein, wenn
sie gleich im Zusammenhang mit ihren sonstigen Universitätsstudien sich
. speziell für ihre Aufgabe vorbereiten könnten.
Kurz, der wissenschaftlichen Geographie sowohl als den prak-
tischen Bedürfnissen der Vermessung unserer Kolonialgebiete und ähnlichen
praktischen geographischen Aufgaben, sowie der Nautik würde mit
der Einrichtung einer solchen Professur für Theorie und Praxis der geogra-
phischen Ortsbestimmungen zweifellos ein wichtiger Dienst erwiesen werden.
Nach den Bemerkungen im Eingang dieser Notiz würde für die Stelle, wie
die Dinge in Deutschland liegen, nur ein Astronom mit genügender Praxis
in allen Zweigen dieser Messungen in Betracht kommen können.
Möchten massgebende Angehörige der Berliner Universität diese Notiz
nicht als unbefugte Einmischung von aufsen ansehen, sie vielmehr als aus
dem Wunsch hervorgegangen betrachten, dafs auch bei uns den so wichtigen
Aufgaben der geogra-phischen Ortsbestimmung zu Land und zur
See die Fürsorge zu teil werde, auf die sie Anspruch machen darf und mufs.
Prof. Dr. E. Hammer in Stuttgart.
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I
402 Kleinere Mitteilungen.
Vorläufige Ergebnisse der allgemeinen dänischen Volkszählung vom
L Februar 1901 (eigentliches Dänemark).
Die Landeshauptstadt Kopenhagen steht unter den dänischen Städten
(Kjöbstaider) an absoluter Einwohnerzahl an erster Stelle mit 378 280 E.,
d. i. 15,46 °/0 der Gesamtbevölkerung des eigentlichen Dänemarks. Ihre
Bevölkerungszunahme (1890 — 1901) beträgt unter Berücksichtigung der
Eingemeindungen vom 1. Januar 1901 ') für die Bevölkerungszahl von 1890:
17,69%. Nimmt man Kopenhagen als topographisch-geographisches Wesen
und zählt den Handelsplatz1) Frederiksberg (s. d. Tab. u. Anm. 3) und die
Gemeinden (Kirchspiele, Sognc) Sundbyerne paa Amager4), Gentofte und
Ordrup der TTarde(Vagteit Herred 5)) Sokkelund des Amtsratskreises Kopenhagen
hinzu6), so erhält man eine Ansammlung ▼ob (1901) 491340 K.. d. i. inner-
halb il Jahren (1890— 1901) eine Zunahme von 26,27 % und einen Prozent-
anteil von 20,08 an der Reichsbevölkerung. Aufser Kopenhagen hat Däne-
mark (1901) einschliefslich des Handelsplatzes Frederiksberg nur noch
6 Städte mit über 20 000 E. und 6 mit zwischen 10 000 und 20 000 E.,
während 1890, Frederiksberg eingerechnet, im ganzen nur 9 Städte über
10 000 E. hatten. Die Reihenfolge derselben nach der Einwohnerzahl hat
sich laut untenstehender Tabelle bei den 7 gröfsten nicht geändert, dagegen
hat Veile seit 1890 einige, Esbjerg viele andere überholt. Letztere Stadt
zeigt überhaupt unter den 13 Städten mit über 10 000 E. die höchste Zu-
nahme (225,10 °/0); etwas über 60 °/0 haben Frederiksberg, Veile und
Aalborg, fast 56 % Aarhuus, etwa 30 % Svendborg, Odense, Kolding und
Horsens, etwas über 25 % Fredericia und Helsingör, etwaS über 20 % hat
Randers; Kopenhagen i. e. S. schliefslich hat nur 17,69, i. w. S. jedoch
schon 26,27 °/o, während das Amt Kopenhagen mit 35,-17 °/0 die höchste Zu-
nahme unter allen Amtern zeigt und so die Anziehungskraft der Umgebung
der Grofsstadt andeutet, abgesehen von den übrigen verdichtenden Einflüssen.
Die Zunahme aller Städte mit über 10 000 E. beträgt 29,78 %. Dänemark
hatte 1890: 69 Städte (Allinge und Sandvig auf Bornholm einzeln gerechnet)
und 6 Handelsplätze, 1901: 73 Städte und 3 Handelsplätze. Seit 1890 kamen
also zu den Städten 4 hinzu, nämlich die bisherigen Handelsplätze Silkeborg,
Lögstör und Nörre-Sundby seit 1. Januar 1900 und der bisherige Ladungs-
platz (Ladeplads) Esbjerg (bisher zur Gemeinde Jerne der Harde Skads
1) Die Gemeinde Brftnshöj (1901: 9967, 1890: 4812 E.) und ein Teil der Ge-
meinde Hvidovre, nämlich Damhussöcn, Valbv (1901: 6734, 1890: 3147 B.), Vigers-
lev (1901: 298, 1890: 238 E.) und Kongens Enghave (1901: 442, ,1890: 362 E ).
2) Die Handelsplätze (Handelspladser) haben eine eigene Gemeindeverwaltung,
ähnlich wie die eigentlichen Städte (Kjflbstaeder), gelten jedoch nicht als solche; nur
in statistischer Hinsicht werden sie zu den Städten gerechnet. (Behm und Wagner,
Die Bevölkerung der Erde VI, S. 98. Ergänzungsheft 62 zu Petermann's Mit-
teilungen, GoÜia 1880.)
3) Frederiksberg gehört seit 1. April 1900 nicht mehr als Landsogn zum Amts-
ratskreis Kopenhagen, sondern ist selbständige Kommune.
4) Sundbyerne wird vom 1. Januar 1902 ab der Stadt Kopenhagen eingemein-
det sein.
5) In Norwegen entspricht der Begriff Herred dem Begriff Kirchspiel, Gemeinde,
Dänemarks Sogn; der Begriff Fogderi «dagegen etwa dem Begriff Vogtei, Däne-
marks Horred.
6) Sundbyerne 1901: 22 359, 1890: 13 310 E., Gentofte 1901: 7837 E. und
Ordrup 1901: 6627 E., beide zusammen 1890: 7449 E.
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■
Kleinere Mitteilungen. 40B
des Amts Rihe gehörig) seit 1. Januar 1899; Handelsplätze bleiben nur
Frederiksberg1), Frederiksvaerk und Marstal. Von den 63 Städten und
Handelsplätzen mit unter 10 000 K. ist Sandvig mit 852 E. die kleinste.
Die höchste Dichtigkeit hat unter den Am tarn das Amt Kopenhagen
(162,4 E. auf 1 qkin), darauf folgen Odense (84,9), Svendborg (77,6),
Aarhuus (75.1), das Amt Bornholm (70,2), Frederiksborg (67,4), Sorö (64,6),
Pnestt (61,2), Maribo (60,3), Holbtek (57,6). Veile (53,9), Randers (4«,0),
Aalborg (44,3), Hjörring (42,4), Thisted (40,8), Viborg (35,0), Ribe (31,5)
und zuletzt Ringkjöbing (24,4). Ringkjöbing, das am schwächsten be-
völkerte, westlichste Amt, hat etwa 10 °/0 seiner Bevölkerung in den drei
Städten Holstebro (4985 E.), Lemvig (3219 E.) und Ringkjöbing (2752 E.)
wohnen; die Bevölkerungszunahme des ganzen Amtos entspricht etwa der
mittleren Zunahme der gesamten Reichsbevölkernng; die Zunahme der vor-
wiegenden (etwa 90 %) Landdistriktsbevölkerung ist ziemlich hoch (10,7 1 %).
Das südlich davon gelegene Amt Ribe hat aufser einer Stadt mit über
10 000 E., Esbjerg, noch zwei mit geringeren Ziffern, Vardo (4607 E.) und
Ribe (4243 E.), d. i. im ganzen 23,3 % der Amtsbevölkerung in Städten.
Die Bevölkerungszunahme der Landdistrikte (10,68) ist fast gleich der von
Ringkjöbing (10,71); die sehr hohe Zunahme von Esbjerg (225.10) wird
zum Teil aufgehoben durch die geringe der beiden andern Städte (6,60),
doch steht das Amt immerhin 'an Zunahme der Oesamtbevölkerung (21,43)
an dritter Stelle unter den Ämtern. Viborg Amt, nordöstlich von Ring-
kobing mit den beiden Städten Skive (4589 E.) und Viborg (8267 E.), d. i.
etwa 12 % der Amtsbevölkerung, deren Zunahme nur 6,26 % beträgt, hat
nur eine halb so starke Zunahme der Landbevölkerung (4,84) als Ring-
kjöbing und Ribe und steht an Zunahme der Gesamtbevölkerung (5,01)
ziemlich am Schlufs. Fassen wir diese drei Ämter als SW.-Jütland zu-
sammen , so erhalten wir 4,3 % der Bevölkerung in Städten mit über
10 000 E, 10,5% in Städten mit unter 10 000 E., 85,2% in den Land-
distrikten. Die Dichte beträgt 29,5 E. auf 1 qkm, die Zunahme 12,2 %.
Wiederum etwa 5 E. mehr auf 1 qkra als das Amt Viborg hat das
nördlich von Ringkjöbing liegende Amt Thisted. Die beiden Städte Thisted
(6071 E.) und Nykjöbing paa Mors (4507 E.) betragen etwa 15% der
Amtsbevölkerung; ihre Zunahme (17,17 %) steht über dem Mittel des Reichs;
die Zunahme der Landdistriktsbevölkerung ist jedoch so schwach (0,80),
dafs durch das Vorwiegen derselben auch die (tesamtbevölkerung des Amtes
nur 2,93 % Zunahme zeigt. Thisted Amt ist in der Reihenfolge der Ämter
in Bezug auf den Dichtegrad von der 14. an dio 16. Stelle heruntergerückt;
die beiden nördlichsten Ämter, Hjörring und Aalborg, haben es überholt.
Hjörring hat vier Städte mit unter 10 000 E.: Sajby (2125 B.), Frederiks-
havn (6478 E.), Skagen (2410 E.) und Hjörring (7897 E.), d. i. etwa
16 °/0 der Amtsbevölkernng; Aalborg Amt hat aufser dem gröfseren Aalborg
noch die kleineren Städte Nibe (1721 B.), Nörre-Sundby (35 46 E.) und
Lögstör (2184 E.), d. i. im ganzen etwa 30 % der Bevölkerung des Amtes.
Während sich beim Amt. Hjörring die Zunahme, abgesehen von den Städten
(26,01), niedrig hält (Landdistriktsbevölkerung 5,17%, A tntsbevölkerung da-
her nur 8,01 %), steht das Amt Aalborg an Zunahme der Amtsbevölkerung
an zweiter Stelle (22,66 %). Betrachten wir die drei Ämter N.-Jütlands,
Thisted, Hjörring und Aalborg, zusammen, so beträgt die Bevölkerung der«
1) S. Anm. 3 auf voriger Seite.
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404 Kleinere Mitteilungen.
Städte mit über und unter 10 000 E. 9,9%, bezw. 11,6%» die Land-
distriktsbevölkerung 78,5 % der Amtsbevölkerung, die Dichte der Amtsbevölke-
rung 42,8 E. auf 1 qkm, die Zunahme derselben 12,2 %.
Der Osten hat in den Ämtern Randers, Veilo und besonders Aarhuus die
dichtbevölkertsten Amter des dänischen Festlandes. Das Amt Randers hat
über 24 % seiner Bevölkerung in Städten wohnen, aufser in Randers in den
kleineren Städten iEbeltoft (1469 E.), Grenaa (3257 E.), Mariager (917 E.)
und Hobro (3161 E.), welche eine Zunahme von 20,66, bezw. 17,06 %
aufzuweisen haben. Veile hat 3 Städte mit über 10 000 E., nämlich
Fredericia, Kolding und Veile, zusammen fast 32 % der Amtsbevölkerung
mit fast 39 % Zunahme. Beide Amter haben eine geringe Zunahme der
Landdistriktsbevölkerung (4,08 und 3,10). An Gesamtzunahme übertrifft
Veile (12,24, etwa gleich dem Reichsdurchschnitt) Randers (7,46) durch
seine grofsen Städte. Die höchste Dichte zeigt auf der jütischen Halbinsel
das Amt Aarhuus (75,1). Aufser den gröfseren Städten Aarhuus und Horsens
liegen in ihm die beiden Städte Silkeborg (7229 E.) und Skanderhorg (2721 E ),
d. i. über 45 % städtische Bevölkerung, darunter fast 40 % in den beiden
Städten mit über 20 000 E. Die Zunahme der Städte beträgt 46,54, bezw.
51,42 %, die der etwa 55 % betragenden Bevölkerung der Landdistrikte
jedoch ist sehr gering (2,37 %); die Zunahme der Amtsbevölkerung beträgt
18,63 %, sodafs Aarhuus hierin an vierter "Stelle unter den Amtern steht.
In SO.-Jütland wohnen in den 3 Ämtern Randers, Veile und Aarhuus zu-
sammen 31,1 % der Bevölkerung in gröfseren, 4,4 % in kleineren Städten,
64,5 % in den Landdistrikten. Es tritt in diesen Zahlen, verglichen mit
dem Südwesten und Norden Jütlands, ein starkes Vorwiegen gröfserer Städte
im Südosten der Halbinsel hervor. Die Zunahme beträgtü 13,5%, die
Dichte 59,5 E. auf 1 qkm. Auf der jütischen Halbinsel ist also schwache
Dichtigkeit in dem Sand- und Heideland des Südwestens, etwas höhere im
Norden, wo Sand und Lehm zusammen auftreten, die stärkste im Südosten
mit seinem vorwiegenden Lehmboden. Trotzdem ist die Bevölkerungszunahme,
bezw. Verdichtungsmöglichkeit der Landdistriktsbevölkerung im SO. im all-
gemeinen am geringsten. Aufser diesen und anderen Naturgegebenheiten
wirkt die Verteilung der gröfseren Städte mitbestimmend auf die Dichte.
Die Inselämter (aufser der Stadt und dem Amt Kopenhagen) haben
eine weniger von einander abweichende Dichte als die festländischen Ämter;
sie ist eine höhere als die der festländischen, ausgenommen Aarhuus. Die
Dichtezahlcn der festländischen Ämter liegen zwischen 24,4 und 75,1,
d. i. ein Unterschied von über 50, die der Inselämter unter Ausschlufs der
Stadt und des Amts Kopenhagen zwischen 57,6 und 84,9, d. i. ein Unter-
schied von nur 27. Die Inselämter Holba«k, Maribo und Presto haben
ungefähr 60 E. auf 1 qkm, noch etwas dichter bevölkert ist Sorö. Holba^k
hat nur etwa 11% E. in Städten (unter 10 000 E.) wohnen, nämlich in
Nvkjöbing (2003 E.), Holbirk (4573 E.) und Kaiundborg (4327 B.); diese
haben eine Zunahme von etwa 19%. Maribo Amt beherbergt 24,6% in
(kleineren) Städten, nämlich in Stubbekjöbing (1615 E.), Nykjöbing (7345 E.),
Sakskjöbing (1559 E.), Nysted (1412 E.), Rödby (1726 E.\ Maribo (3838 E.)
und Nakskov (8317 E.), welche ebenfalls eine Zunahme von etwa 19 %
haben. Das Amt Presto hat in den Städten (unter 10 000 E.) Storeheddinge
•(1816 E.), Na-stved (7117 E.), Presto (1497 E.), Vordingborg (3645 E.)
und Stege (2247 E.) etwa 16 % der Amtsbevölkerung, mit einer Zunahme
derselben von etwa 18 %. Sorö schliefslich hat 24,5 % seiner Bevölkerung
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Kleinere Mitteilungen.
405
in (kleineren) Städten wohnen, mit einer Zunahme von über 27 °/0, nämlich
in Korsör (6081 E.), Slagelse (8973 E.), Skelskör (2503 E.), Sorö (2241 E.)
und Ringsted (3318 E ). Die Zunahme der Landdistriktsbevölkerung aller
vier Ämter ist sehr schwach (2,76, 0,38, 0,15 und 0,70%), sodafs trotz der
gröfseren Anzahl kleinerer Städte auch die Gesamtzunahme der Amter ziem-
lich schwach ist (4,31, 4,44, 2,59 und 6,16%). Durch Zusammenfassung
dieser vier Ämter, welche, auf West-Seeland, Lolland und Falster liegend, den
Kern der Inselämter bilden, erhalten wir 19 % Stadtbevölkerung (nur in
Städten mit unter 10 000 E.) und 81 % Landdistriktebevölkerung. Charakte-
ristisch ist, dals in diesem zentralen Teil gröfsere Städte fehlen, und dafs sie
sich, wie auf Jütland, auch bei dem insularen Teile Dänemark hauptsächlich
auf der Ostseite befinden. Die Gesamtzunahme dieser Gruppe beträgt 4,3 %,
die Dichte 61,0 auf 1 qkm.
Tabelle I.
Reihen-
folge nach
1901 |8»0
1
1
2
2
3
3
4
4
5
5
6
6
7
7
8
11
9
H
10
11
9
12
10
13
12
Städte (Kjobtta'der)
(eintchl. 1 HandelaplaU)
Amt
Einwohnerzahl1; n. d. Z
1 Febr 1901 1. Kel.r 1*90
Kopenhagen
FrederikBberg Hdlspl.
Aarhuus
Udense *)
Aalborg
HorsenB
Handera
Veile
Helsingör
Esbjerg
Fredericia
Kolding .
Svendhorg
St. K.
K. A.
Ah A.
O. A.
Ab. A.
Ah
Ha
A
A.
Ve. A.
Fr. A.
Ri. A
Ve. A.
Ve. A
Sv. A.
13 Städte (einschl. 1 Handelsplatz) mit
(1901) über 10 000 E. im eig. Dänemark
63 Städte (einschl. 2 Handelsplätze) mit
378 280
76 237
öl 909
40 104
31 462
22 232
20 060
14 690
in 864
13 365
12 714
12 630
11 631
698 868
321 418
46 964
33 306
30 762
19 603
17 290
16 617
9015
11 076
4 111
10 042
9 658
8 765
538 507
Zu
1890-1901
in %
17,69
62,37
55,85
30,37
61,32
28,58
20,66
61,84
25,17
226,10
26.60
29,74
31,70
29,78
(1901) unter 10 000 E.
237 24U
196 901
20,44
76 Städte (einschl. 3 Handelsplätze)
936 117
735 408
27,29
Landdistrikte
1 611 324
1 436 972
5,17
Das eigentliche Dänemark (Gesamt-
bevölkerung)
2 447 441
2 172 380
12,66
Der Osten der Insel Seeland (Sja-Uand) hat im Amt Frederiksborg
ein stark bevölkertes, im Amt und in der Stadt Kopenhagen die stärkst
1) Danmarks Statistik. Statistiske ineddelelser, fjerde ra«kke, niende bind, forste
halft*;: Forelobig opgorelse af folkemasngden 1. Februar 1901 i det egentlige Dan-
mark. (Kopenhagen 1901.) Die Zahlen für 1890 sind denen für 1901 im Bezug auf
Eingemeindungen u. dergl. administrative Veränderungen des Zeitraumes 1890 — 1901
angepafst.
2) Einschließlich des seit 1. Januar 1901 eingemeindeten Landdistriktes St. Knud
(1890: 494, 1901: 958 E ).
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400
Kleinere Mitteilungen.
bevölkerten Gebiete des Königreichs. Frederiksborg hat noch über 75 % Land-
distriktsbevölkerung, jedoch mit nur 2,10% Zunahme derselben. Das Amt Kopen-
hagen hat nur noch etwa 55 % derselben mit 22,71 % Zunahme. Frederiks-
borg hat an Städten aufser Helsingör die kleineren Städte Hilleröd (4573 E.),
Frederikssuud (2319 E.) und den Handelsplatz Frederiksvark (1441 E ); die
Zunahme der städtischen Bevölkerung beträgt etwas über 25 %. Das Amt
Kopenhagen hat aufser dem Handelsplatz Frederiksberg zwei Städte mit unter
10 000 E., nämlich Kjöge (3997 E.) und Roskilde (836 1 E.). Ost-Seeland
zeigt ohne die Stadt Kopenhagen ähnliche Prozentzahlen (31,5%, 7,3% und
61,2%) wie SO.-.Jütland; einschließlich der Hauptstadt sind in ihm 70,5%
in grofsen, 3,1 % in kleineren Städten, 26,4 % in den Landdistrikten wohn-
haft. Die Zunahme einschliefslich der Hauptstadt beträgt 20,7 %, ohne die-
Tabelle II.
Kuiheiifolgo
n. d. Dicht«
•
Bevölkerung >)
B«vö lkerungsd icht«
«uf 1 qkm
II •
Ämter
Ami«)
1. Febr.
1. VotlT.
Iii"
1901
1890
1901
1890
1901
1890
1
1
Kopenhagen Stadt
378 880
321 418
22.8
16 591,2
14 097,0
17,69
2
s
Kopenhagen Aint
195 277
144 147
1 202,8
162,4
119,8
35,47
3
8
Odense A.
151 495
136 117
1 784,5
84,9
76,3
11,30
4
4
Svendborg A.
128 00(J
120 707
1 648,6
77,6
73,2
6,06
5
6
AarhuuH A.
186 481
157 191
2 483,5
75,1
63,3
18,63
6
6
Born hol in A.
40 877
38 761
682,4
70,2
66,6
5,46
7
7
Frederiksborg A
90 556
84 684
1 343,7
1 463,2
67,4
63,0
60,8
6,93
8
8
Sorö A.
94 471
88 990
64,6
6,16
9
9
Pnesto A.
103 257
100 649
1 669,8
61,2
60,3
2,59
10
10
Maribo A.
105 018
100 652
1 740,3
60,3
57.8
4,44
11
11
Holba* A.
98 301
94 235
1 706.3
57,6
65,2
4,31
12
12
Veile A.
126 602
111 904
2 328,7
53,9
48,1
12.24
13
13
RanderB A.
118 679
110 444
2 426,0
49,0
45,5
7,46
14
IG
Aalborg A.
128 639
104 790
«i 902,1
44,3
36,1
22,66
15
In
Hjörring A.
Th Uteri A.
119 203
110 361
2 811,8
42,4
39,2
8,01
16
14
71 439
69 407
1 750,9
40,8
89,6
2,93
17
17
Vi borg A.
105 826
100 777
8 024,4
35,0
33,3
5,01
18
18
Bibe A.
95 474
78 623
8 033,2
31,5
25,9
21,43
19
19
Kingkjöbing A.
110881
98 623
4 530,4
24,4
21,8
12,21
Dänemark
■2447 441
2 172 380
38 455,4
63,6
56,5
12,66
selbe 24,9 %, die Dichte einschlielslich derselben 258,5, ausschliefslich der-
selben 112,2 auf 1 <jkm. Das Amt Hornholm im Osten des Reichs hat eine
Dichte von 70 E. auf 1 qkm, hat sich aber seit 1890 durch Aarhuus über-
flügeln lassen. Es hat 7 kleinere Städte, nämlich Rönne (9294 E.), Hasle
(1280 E.), Allinge (1858 E.), Sandvig (852 E.), Svanike (1304 E.), Nexö
(2523 E.) und Aakirkeby (1176 E.), d.i. fast 45% städtische Bevölkerung,
mit einer Zunahme von etwa 14 %. Die Landdistriktsbevölkerung nimmt
dagegen sogar etwas ab ( — 0,63), sodafs nur eine geringe Zunahme der Amts-
bevölkerung zu verzeichnen ist (5,46 %).
1) S. Anui. 1 auf voriger Seite.
2) Zahlen von 1896 nach StatiatiHk Aarbog 1900. (Kopenhagen 1900). S. 2—3
und 28—29. Durch die Eingemeindungen der letzten Jahre würden, besonders bei
der Stadt und dem Amte Kopenhagen, einige Änderungen hervorgerufen werden,
welche hier nicht berücksichtigt werden konnten.
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Kleinere Mitteilungen.
407
Tabelle III.
Ämter
ßerOlkorung
SluüU. uud Han.leLj.lkUe mit
(1901) Uber 100«) Kinw. (1901) unter 10000 Eiuw
1901
i!
N S
I&90
eS ■
1901
IH90
1901
M 2
Kopenhagen A.
195
100
Aalborg A.
128539 = 100%
[üb.- A
95 474 = 100%
Aarhnus A
186481 — 100 °A
Kopenhagen Stadt
378 280 = 100 70
Veile A.
125 602 = 100
Hingkjohing A
110661 — ioo %
Odense A.
151495= 100 7,
Hjörring A.
119203 = 100 70
Ränder« A.
118 679 100 %
Frederikshorg A.
90 555 = 100 %
Sorö A.
94 471 mm 100 %
Svendborg A.
128006 = 100 %
Hornholm A.
40877 = 100 %
Viborg A. '
105826 — ioo %
Maribo A.
105018 = 100 %
Holbirk A
»8301 — 100 %
Thisted A.
71439 = 100 %
Prwito A.
76237
39.1 '"„
31462
24,4 7«
74 141
39,8 7„
378280
100,0
39 834
62,37 46 954 12 358 10,74
'M % !
01,32 19 503! 7451 53,50
6,8 7.
8 850 6,60
9,3% I
9 950 51,42
»|226,10j 4111
46,54 50 596
17,69i321418
38,72 28 715
40104
26,5 %
20050
10,9 %
13 864
16»3 %
11531
9,0%
30,37
20,66
25,17
31,70
30 762
16617
11076
8 755
5,3
10956 27,90
13 862 20,76
M 7.
18 940 26,01
8804
7,4 %
17,06
25.18
•/
8333
y.2 % I
23 116 27,49
24.5 70|
19901
15.6 7.
18257
44.7 %
10256, 106682
54.6 %
4854 89626
69.8 %
8 302 73259
76.7 %
6 571 102390
64.9 %
12,19
14,12
6.26
8 566
11479
15030
7 521
6657
18131
1 7 738
15 998
12099
22,71
11,43
10,68
2.37
12 856
12,1 7.
25 812119,23 21647
24,6 °/J
10903ll8,72: 9184
11,1 %
10578 17,17 9028
14,8%
16322 17,93 13 840
85 768
68.3 %
99 705
90,1 %
97 529
64.4 %
100 263
84.1 70
89825
76,5%
68 358
76.5 7,
71355
75.6 %
96 574
76,4 %
22 620
55.3 %
92 970
«7,9 7,
79 206
75.4 %
87 3981
88,9 7,
60 861
»5,2 % |
86 035
3,10
10,71
3,89
5,17
4,08
2,10
0,70
2,50
- 0,63
4,84
0,38
2,76
0,80
0.16
1S90
i N ■
* K
Ol «
■o 2 h:
a, C vi»
Iii
N ■
86 937
80433
66210 21,43
100024 18,63
83189
90057
93 876 11,30
95 331
86 306
66951
70 859
94214
22763
88 678
78 905
85051
60 379
86 809
35,47
22,66
17,69
12,24
12,21
8,01
7,46
6,93
6,16
6,05
5,46
5,01
4,44
4,31
2,93
2.59
I Kinemark
2447441 = 100 9/0
698*68 29,7* 53*507 237249 20,441190901 1511324
1 38,0 7.1 |9,7%l •|61,7%|
5,17 1 436 972 12.66
An dritter und vierter Stelle in der Diebtigkeitsreihenfolgo stehen die
westlichen Insellämter Odense und Svendborg auf Fünen (Fyen). Svendborg '
und Odense haben eine geringe Zunahme der Landdistriktsbevölkerung, sodafs
trotz ziemlich starker Zunahme der städtischen die der Gesamtbevolkerung bei
Odense (11,30) etwas unter dem Heichsmittel bleibt, bei Svendborg sogar
gering ist (6,05). Das Amt Svendborg hat aufser der gröfseren gleichnamigeu
Stadt noch fünf Städte mit unter 10 000 E., nämlich die (eig.) Städte
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408 Geographische Neuigkeiten.
Nyborg (7785 E.). Rudkjöbing (3365 E.), jEröskjöbing (1485 E.) und
Faaborg (4215 E.) sowie den Handelsplatz Marstal (3051 E.),* d. i. fast 25%
der Amtsbevölkerung. Odense Amt hat aulser der gleichnamigen Hauptstadt
an kleineren Städten Kerteminde (2547 E.), Bogense (2173 E.), Assens
(4666 E.) und Middelfart (4476 E.), d. i. fast 36 % der Amtsbevölkerung.
Ganz Fünen beherbergt so 18,1 % der Bevölkerung in gröfsereu, 12,1 % in
kleineren Städten, 69,4 % in den Landdistrikten und hat eine Zunahme von
8,8 %, eine Dichte von 81,4 E. auf 1 qkm.
Die mittlere Dichte des ganzen, eigentlichen Dänemark beträgt 63,6 %,
die Zunahme der CJesamtbcvölkerung innerhalb 11 Jahren 12,66%, d.i. eine
jährliche von 1,09%. Städte und Handelsplätze mit über 10 000 E. sind
1901 mit 28,6%, solche mit unter 10 000 E. mit 9,7 %, die Landdistrikte
mit 61,7 % an der Reichsbevölkerung beteiligt. Die Zunahmezahlen dieser
Gruppen innerhalb des 11jährigen Zeitraumes zwischen den Zählungeu 1890
und 1901 betragen 29,78, 29,44, bezw. 5,17%, die aller Städte 27,29 %.
Die Inseln haben 1901 zusammen 1385 537 (1890: 1 230 260) E.
Jütland (Jjlland) 1 061 904 (942 120) E. Auf den Inseln leben in 4 Städten
und 1 Handelsplatz mit über 10 000 E. (Kopenhagen, Frederiksberg, Helsingör,
Svendborg und Odense) 520 016 (418 965) E. , dazu gerechnet auch die
administrativ zu den Landdistrikten gehörigen Vorstädte Kopenhagens, Sund-
byerne, Gentofte und Ordrup, 556 839 (439 724) E.; in 39 Städten und
2 Handelsplätzen mit unter 10 000 E.: 148 864 (124 930) E., in den Land-
distrikten (aufser den oben zu Kopenhagen gerechneten Gemeinden) 679 834
(665 606) E. In Jütland wohnen 1901 in 8 Städten mit über 10 000 E.
(s. d. Tab.) 178 852 (119 542) E., in 22 Städten mit unter 10 000 E.
88 385 (71 971) E. und in den Landdistrikten 794 667 (750 607) E.
Bei der Beurteilung der Bedeutung der kleineren Städte ist übrigens zu
erwägen, dafs ihre Einwohner sehr viel Ackerbau, Viehzucht und Fischfang
treiben, wie die Bevölkerung der Landdistrikte, und nicht als vorwiegend der
Industrie angehörig angenommen werden können1).
Dr. K. Neukirch.
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitz au.
Allgemeines.
* Vom 11—13. April 1901 tagte in
Strafsburg die erste internationale
Erdbebenkonferenz, wozu der VII.
internationale Ueographenkongrefs zu
Herlin durch Bildung einer permanenten
Kommission für internationale Erdbeben-
forechung die Veranlassung gegeben hat
Aufser dem Deutschen Reiche und den
gröfseren deutschen Einzelstaaten waren
vertreten die Schweiz, Rufsland, Japan,
Belgien, Österreich-Ungarn, Dänemark,
Italien und die Geschäftsführung deB VH.
internationalen Geographenkongresaea.
I Von den zwei Hauptpunkten der Tages-
ordnung fand der eine: Begründung der
internationalen seismologischen Gesell-
schaft, seine Erledigung dadurch, dafs auf
Antrag des Delegierten Japans, dem sich
die beiden rassischen Vertreter anschlössen,
eine Association der Staaten behufs
Förderung der Erdbebenforachung
begründet wurde. Beigetreten sind dieser
: internationalen seismologischen Associa-
i tion bis jetzt Japan , Rufsland , Deutsch-
1) Hahn, Das Königreich Dänemark (In Unser Wissen von der Erde H. 1.
Lpz. 18l»o), S. 298.
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Geographische Neuigkeiten.
409
land und Schweden. Jeder dieser Staaten
zahlt einen, nach der Bevölkerungsziffer
desselben abzumessenden Jahresbeitrag,
von dem die Unkosten der Publikationen,
der Untersuchungen und der Geschäfts-
führung bestritten werden. Als provisorische
Zentralstelle der Association wurde die
kaiserliche Hauptstation für Krdbeben-
forschung in Strafsburg gewählt, die von
den deutschen Mitgliedern der Konferenz
auch als Zentralstelle für das Keich an-
erkannt worden war. Der andere Punkt
derTageaordungumfafste wissenschaftliche
Vortrage, die »ich zumeist auf praktische
Beobachtungen bezogen und an den drei
Nachmittagen der Sitzungstage gehalten
wurden.
Europa.
* Seen1) der grofsen Seeketteu-
Region in den schwed. Lappmar-
ken *). (Ergänzung zu Pr Peucker 's Zu-
sammenstellung im II. J. 1896.)
Meere»- Gröfate
höhe Tiefe
tri in
Fläsjön 316 88
Homafvan (südl. Teil sehr
seicht) 425 221
Malgomaj 366 117
Parkyaure 292 14
Peuraure 443 26
Purkijaure 272 27
Randijaure 283 27
Soggah 303 83
Saskatn 258 10
Skalkojaure 295 30
Storafvan*) 418 10
Stroms Vattudal 302 7»
Tarraure 604 29
Tjäggelvas 453 66-70
Tjämotisjaure 297 29
Täsjön 276 58
Uddjaur1) 419 10
Vojmajön (im westl. Drittel
flach u. von unbedeuten-
der Tiefe) 420 145
Volgrjön 360 12
Wakijaure 258 7
1) Tiefe nach Docent K. Ahlenius in
,',Ymer" 1900. 3. Heft, Höhenlage nach
schwed. Kartenwerken.
2) Ältere präglaziale Erosionsrinnen.
3) Eigentlich nur überschwemmte Mo-
ränenmarken.
Geographisch« Zeitschrift. 7. J»hrfr»ng. 1901 7.
* Ein Gesetzentwurf zur „Abschlie-
fsung und Trockenlegung des Zui-
dersees" ist der Zweiten Kammer der
Niederlande von der Regierung vorgelegt
worden. Der in der Vorlage in Aussicht
genommene Plan ist folgender: Zuerst
wird ein Abschlufsdeich angelegt, der von
der Küste von Nordholland Murch d&H
Amsteldiep nach der Insel Wieringen und
von da nach der Küste von Frieslaud
läuft, die er bei Piaam, einem Dorfe
zwischen Makkum und Workum, erreicht.
Dadurch wird der Zuidersee von der Nord-
see abgeschnitten und in einen Binnensee
verwandelt. Der Abschlufsdeich soll eine
Länge von 40 km erhalten und so breit
angelegt werden, dafs auf ihm eine Eisen-
bahn gebaut werden kann, die Nordholland
mit FrieBland verbinden und die Fahrt
von Leeuwarden nach Amsterdam um
50 km abkürzen soll. Die bei Kampen
in den Zuidersee einmündende Yssel wird
den abgeschlossenen See bald aussüfsen
und dadurch für die während des Sonnners
stetü Wassermangel leidende Provinz Fries-
land ein wertvolles Süfswasserreservoir
schaffen. Für die eigentliche Trocken-
legung sind zunächst zwei Teile des Sees
in Aussicht genommen: 1. ein nordwest-
liches Stück zwischen Nordholland, dem
Abschlufsdeich, der Insel Wieringen und
einem noch zu erbauenden Ringdeich von
Wieringen nach Medemblik an der nord-
holländischen KüBte; und 2. ein südwest-
liches Stück zwischen Nordholland und
einem noch anzulegenden Ringdeich, der
von Blookerehoek nach dem nördlichen
Ufer des Monnikendames Gat läuft. Der
Gesamtkostenaufwand des Planes beträgt
95 Millionen Gulden, wovon 40,5 Millionen
für den Bau des Abschlufsdeiches, 35,5 Mill.
für die Einpolderung der trockenzulegenden
Teile und der Rest für Wasserwerke,
Festungsanlagen und Fhitachädigung der
Fischereiberechtigten im Zuidersee zu ver-
wenden wären. Zur Ausführung des Pro-
jektes sind 18 Jahre Zeit in Aussicht
genommen. Hoffentlich gestalten sich
die innerpolitischen Zustände des Landes
auch fernerhin günstig, damit das tech-
nisch wohl ausführbare Kulturwerk nicht
durch den Streit der Konfessionen und
politischen Parteien gestört wird.
+ Über die Vergletscherung der
französischen Vogesen giebt Dele-
becque im Bull, des Services de la carte
Heft 28
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410 Geographisch
geol. de la France No. 79, Tome XII,
Paris 1901, eine zusammenfassende Dar-
stellung. Von den drei in Betracht kom-
menden Stromgebieten der Meurthe, Mo-
sel und Saone scheidet das der Meurthe
aus, da dort keinerlei sichere Spuren
ehemaliger Vergletscherung bis jetzt ge-
funden wurden. Im Thal der Mosel
seihst liegt die bedeutendste Moräne bei
Noir Gueux zwischen Saint -Nabord und
Eloyes, ihr schliefsen sich unmittelbar
unterhalb fluvio-glaciale Ablagerungen an,
die eine Lange von 50 km besitzen und
besonders deutlich in der Nähe von Arches
entwickelt sind, wo sie im engen Zu-
sammenhang stehen mit fluviatilen Ter-
rassen im Vologne-Thal. Diesem Thal
fehlt indes die Endmoräne. Von den
Nebenthälern der Mosel haben deutlich
ausgeprägte Moränen das Thal der Mose-
lotte bei la Bressc, wo sie den kleinen
See von Lispach abdämmen; das Thal des
Bouehot, eines Zuflusses der Moselotte;
besonders aber das Thal deT Cleurie, eines
anderen Zuflusses der Moselotte; dort
haben die Moränen die Bildung des Sees
von Gerard-mer veranlafst. Aufser in diesen
Seitenthälern der MobpI finden sich noch
in anderen zahlreiche kleinere Spuren ehe-
maliger Vergletscherung. Delebeeque ist
geneigt , den Ursprung der Moränen und
tluvio-glacialen Ablagerungen in die letzte
Kiszeit zu setzen, bis auf diejenigen strom-
abwärts von Noir (iueux, welche einer
älteren Eiszeit anzugehören scheinen.
Von den Nebenflüssen der Saone, die
südwestlich von der Moselquelle zwischen
Reniiremont und dem Ballou de Servance
entspringen, besitzen die Thäler der Au-
grogne, der Combeauttf, des Breuchin
i Zuflüsse der Lauterne, die etwas ober-
halb von Port sur- Saone in die Saone geht),
lerner die des Ognon, eines Nebenflusses
der Saone, des Kanin, eines Zuflusses des
Ognon, endlich der Savoureuse, eines
Nebenflusses des Doubs, Spuren ehemali-
ger Vergletscherung. Besonders deutlich
treten diese im Thal der Combeaute auf,
dem Val d'Ajol, bei Fougerolles-le-Cbä-
teau, das auf einer grofsen Moräne erbaut
ist, und im Thal des Breuchin, wo sich
eine gutausgebildete Moräne zwischen
Uaddon und Sainte- Marie cn Chanois
findet, an die sich eine fluvio-glaciale
Terrasse ansetzt, die bis Luxeuil reicht.
Das Thal des Ognon wird etwas oberhalb
e Neuigkeiten.
von Melisey durch eine 1 km lange und
3 km breite Moräne geschlossen, in der
die (Öffnung für den Flufs nur 150 m be-
trägt; unter den enorm grofsen Blöcken
aus triassischem Puddingstein besitzt einer
eine Länge von 2'/, und eine Breite von
1 '/, m. Die sich an diese Moräne an-
schliefsende fluvio-glaciale Terrasse ist
durch den Ognon so stark erodiert, dafa
sie nur schwer von rezenten Alluviouen
zu unterscheiden ist. Mit Ausnahme der
Thäler des Kahin und der Savoureuse
liegt die Wurzel der zur Saone gehörigeu
Thäler so niedrig, dafs es ausgeschlossen
erscheint, dafs die Gletscher, deren Mo-
ränen noch heute hier sichtbar sind, dort
ihren Ursprung genommen haben, vielmehr
werden sie nur Verzweigungen des alten
Moselgletachers gewesen sein zur Zeit der
vorletzten Vergletscherung dieses Gebietes.
Aufser den beschriebenen Olacial-
erscheinungen findet man auf den Plateaux,
wie weiter unterhalb in den Thälem
Gletseherspuren, welche mit den beiden
Vergletscherungen , von denen bisher
die Rede gewesen ist, nichts zu thun
haben. So findet sich z. B. im Saone-
bassin nahe dem Bahnhof von Fontaine-
les-Luxeuil in einer Höhe von 260 m über
dem Meere ein Einschnitt, welcher von
kleinem Geröll gebildet wird, das ohne
Schichtung in eine Art von aufserordent-
lich losem und im allgemeinen rötlichem
Cement eingekittet ist. Diese Gerölle be-
stehen aus Quarziten, ziemlich gut er-
haltenen Sandsteinen und aus ganz zer-
setztem und zerbröckeltem Granit. D. ist
der Ansicht, dafs diese und andere gla-
ciale Gebilde Rcsb» von Moränen siud,
die einer noch älteren Eiszeit angehören,
sodafs wir auch für die französischen
Vogesen drei Eiszeiten zu unterscheiden
hätten. W. H.
* Die Bevölkerungltaliens beträgt
nach der Volkszählung vom 6. Februar 1901
32 449 754 E., das sind 8 990 126 Seelen
mehr als hei der letzten Zählung i. J 1881.
Die Volksdichte, die damals 99 auf 1 qkm
betrug, ist seit der Zeit auf 112 auf 1 qkm
gestiegen. Unter den 16 Landschaften
steht die Lombardei mit der höchsten Be-
völkerungszahl von 4 '/4 Mill. obenan ;
dann folgt Sizilien mit 3 '/f Mill.,
Piemont mit 3 Mill., Campanien , Ve-
netien, Toskana, Euiilia mit mehr als
2 Mill.; zwischen 2 und 1 Mill. stehen
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Geographische Neuigkeiten
411
Apulien, Calabrien, Abruzzen, Latium,
Ligurien , Marken und unter 1 Mill.
Sardinien, Umbrien und Basilicata. Die
stärkste Vermehrung seit 1881 weist
Latiuiu mit 17,5% auf, danach Apulien
und Ligurien mit 11% und Sizilien mit 10%.
Am geringsten war der Zuwachs in Ca-
labrien 4,»%, Campanien 4,4%, Pie-
mont 4,4 % und Basilicata 3,4%. Von
den Städten des Landes haben folgende
elf mehr als 100000 Einw.: Neapel 568731,
Mailand 491460, Korn 463 000, Turin
885 68t», Palermo 310 352, Genua 234 800,
Klorenz 204 950, Bologna 152 009, Vene-
dig 151 841, Messina 141) 823 und Catania
149 694 Einwohner. Die Bevölkerungs-
zahl von Rom rief im ganzen Lande
eine unangenehme Überraschung hervor,
da sich dieselbe nach den fortgeschriebenen
Listen des städtischen Mehleamtes Ende
1900 auf 518 411 Seelen belaufen nollte,
also um 55 000 hinter dem erwarteten
Ergebnis zunickgeblieben ist.
* Die von der russischen liegierung
geplante Herstellung einer Wasser -
strafse zwischen dem Schwarzen
und dem Kaspischen Meere erregt
sowohl wegen ihrer wirtschaftlichen als
auch wegen ihrer militärischen Bedeutung
das besondere Interesse der westeuropäi-
schen Mächte. Während Rursland bisher
auf «lern Kaspischen Meere eine besondere
Flotte zur Wahrnehmung und Sicherung
seiner Interessen verfügbar halten und für
Bau und Unterhaltung dieser Flotte und
der den Güterverkehr auf diesem See
vermittelnden Schiffe eigene Werften,
Reparaturwerkstätten und Docks errichten
mufste, wird nach Vollendung de9 ge-
planten Kanals das Bedürfnis derartiger
Anlagen in Wegfall kommen und die
Schwarze Meer-Flotte wird einerseits selbst
auf dem Kaspischen Meere Verwendung
finden, andererseits in kürzester Frist
Truppentransporte nach Persien und Zeu-
tralasien befördern können. Da nun Rufs-
land auch schon seit mehreren Jahren
bemüht ist (II. Jhrg. S. 708), durch Ab-
lenkung des Amu-Darja vom Aralsee zum
Kaspischen Meere diese grofse Wasser-
straße an den Kaspischen See anzu-
schliefsen, so steht nach Vollendung der
beiden hier erwähnten Wasserstrafsen
eine freie Schitfahrtsverbindimg zwischen
dem offenen Ozean und den Landschaften
am Fufse des Pamir in Aussicht. In dem
Vordringen Rufslands in Zentralasien und
in der Herabdrückung Persiens zu einem
russischen Vasallenstaat bedeutet der Bau
eines Kanals zwischen dem Schwarzen und
Kaspischen Meere einen folgenreichen
Schritt. Denn nachdem Persien im vori-
gen Jahre das Eisenbahn-Monopol in
seinem Lande an Rufsland verkauft hat,
bemächtigt Bich Rufsland jetzt durch
Monopolisierung der Schiffahrt auf dem
Kaspischen Meer auch dieses Verkehrs-
mittels für den persischen Binnenverkehr
und bringt Persien ein weiteres Stück iu
wirtschaftliche Abhängigkeit von Rufs-
land.
Asien.
+ Der Versuch, die noch unbekannte
Flufsstrecke des Sanpo-Brahmaputra,
den Dihong, zu erforschen (S. 349),
ist wieder ergebnislos verlaufen; da die
Passi-Minjong die Jahreszeit für zu weit
vorgeschritten hielten und aufserdem ein
Streit zwischen zwei Dörfern am Flusse
ausgebrochen war, verweigerten sie in
Kebang ihre weitere Mithilfe, sodafs die
Gurkhas am 30. März umkehren und
wieder nach Sadija zurückkehren mufsten,
wo sie am 7. April ankamen. Trotz dieses
Mißerfolges vermochten die Reisenden
doch durch kartographische Aufnahmen
einige Erfolge zu erzielen und den Fluls-
lauf 80 km weit zu verfolgen. Im näch-
sten November gedenkt Needham den
Versuch wiederholen zu lassen.
Afrika.
* Die Schiffbarkeit desNiger, die
für die Strecke von Bammako bis Say
bereite im Jahre 1899 festgestellt worden
war (VI. Jhrg. S. 172), ist nun auch für
den Unterlauf des Flusses, wo sich eine
Reihe von Stromschnellen befinden, durch
französische Offiziere festgestellt worden.
Wie ein beim Pariser Kolonialamt ein-
getroffenes Telegramm meldet, ist Haupt-
mann Leu taut, der mit einer Anzahl
Stahlruderbooten für die Befahrung der
Stromschnellen von Bussang und mit
einigen kleinen Motorbooten für den
Dienst auf dem mittleren Niger* von
Akassa au der Nigermündung stromauf-
wärts aufgebrochen war, in Gaga, 1200 km
oberhalb der Mündung zwischen Bus-
sung und Say gelegen, angekommen. Da
nur besonders flach gehende Boote die
28*
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Geographische Neuigkeiten.
412
Stromschnellen bei Bussang befahren
können, wird sich für die Flufsachitfahrt
hier immer eine Umladung nötig machen,
aber es hat sich doch die Schiffbarkeit
des Niger bis 2500 km von seiner Mün-
dung aufwärts ergeben. Damit hören die
bisher der Entwickelung des Verkehrs so
hinderlichen Trägerkarawanen im Niger-
bogen auf und auch der landwirtschaft-
lichen Entwickelung der FlujVlandschaften
auf der 1400 km langen Strecke zwischen
Djenne (am Boni, einem Nebenflüsse des
Niger) und Say eröffnen sich günstige
Aussichten. Auf dieser Strecke tritt der
Niger regelmäfsig aus seinen Ufern und
läfst bei niedrigem Wasserstande einen
fruchtbaren Schlamm zurück, der ähnlich
wie in Ägypten auf die Baumwollenkultur
sehr fördernd einwirkt.
* Uber den Fortgang Beiner Reise
in den Galla-Ländern (S. 1G4, berichtet
Frhr. v. Erlanger in den Verh. d. (Jen.
f. Erdk. zu Berlin (i»oi. S. 240). Am
19. November 1900 verliefs der Reisende
in Oeuieinschaft mit Oskar Neumann Adis
Abeba in der Richtung zum Abaya-See,
von wo Neumann nordwestlich nach
Faschoda vordringen wollt«. Am heiligen
Berg Sekuala vorbei gelangte die Karawane
durch reiche Durrha-Felder zum Hawasch
und nach dessen Überschreitung durch
verbrannte Grasebenen zum Suai- oder
Dembel-Scc, dessen Inseln der Reisende
als erster Europäer mit besonderer Er-
laubnis Menelik's besuchte. Das nächste
Reiseziel war dann die sich bis zum
Abaja-See hin erstreckende Seenkette und
ihre kartographische Festlegung. In
Verfolgung dieses Zieles gelangte man
der Reihe nach an die Seen Afschada,
der mit dem Suai-See durch den Suksuki
in Verbindung steht, Langano, dann
durch sehr üppigen und dichten Euphor-
bien- und Akazienwald mit an Viehherden
reicher, dichter Arrussi-Bevölkerung zum
Abassa-See, deu flachen, sehr salzhaltigen
Schahala-See westlich liegen lassend;
nach mühevoller Umwanderung des rings-
um von hohem Schilf bewachsenen,
sumpfigen Sees mufstc die Expedition
auf einem Umwege die Residenz Aberasch
des von Menelik über Sidamo und Djamd-
jiam gesetzten Dedjasmatsch Balcha be-
suchen, wo die Reisenden mit echt
abessinixelietü Pomp und unter Entfaltung
beträchtlicher militärischer Streitkräfte
empfangen wurden. Von hier aus besuchte
Erlanger mit einem Teil der Expedition
den südwestlich gelegenen Abaja-See, wo
man den Anschlufs an die Route Bottego's
fand. Nach Besuch mehrerer der im
See gelegenen, anscheinend vulkanischen
Inseln zog mau am Ostufer des Sees nach
Süden, umging den benachbarten Gan-
giule-See, der sowohl mit dem Abaja-See
als auch nach dem Sagau eine unter-
irdische Vorbindung hat, und erreichte
in südöstlicher Richtung nach steilem
Aufstieg auf die Amara-Berge die Stadt
Burgi, mit einer bunt zusammen-
gewürfelten, sefshaften Galla-Bevölkeruug,
die besonders mit selbstgewebten, wollenen
Chamas weithin Handel treibt. In der
Nähe der Stadt, iu 10 Minuten Entfernung,
lag das Grab des vor einigen Jahren auf
der Elcfanteujagd getöteten Prinzen Rus-
poli. Von Burgi wandte sich der Reisende
wieder in nordwestlicher Richtung zurück
nach AberaBch und von da nach Ginir,
wo eine von Ilarar dorthin gebrachte
Somali- und Kamelkarawane den Reisenden
erwartete, der nun seine Route südwestlich
durch das Boranland zum Rudolf-See
fortsetzen wollte, v. Erlanger's Gefährte,
Oskar Neumann, ist unterdessen glücklich
an dem Ziele seiner Reise angekommen.
Wie der Reisende selbst nach Berlin
gemeldet hat, ist er nach Überwindung
erheblicher Schwierigkeiten durch Kafla
und Djuma mu-h Faschoda gelangt uud
hat auf dieser Reise das Sohatgehiet
durchforscht und die Quellen des Gelo,
eines Nebenflusses des Sobat, aufgesucht.
Polargegenden.
* Als der nördlichste von Nanseu
auf seiner Schlittenreise mit Johannsen
erreichte Punkt wurde nach Nausen's
eigener vorläufiger Berechnung bisher
80* 14' angegeben. Vor kurzem ist nun
die endgiltige Berechnung der Nansen-
sehen Beobachtungen von dem Astronomen
lieelmuyden veröffentlicht worden, aus
der sich ergiebt, dafs die höchste nörd-
liche Breite, die NanBen erreichte, nur
86° 4' beträgt, also um 18,6 km geringer
ist, als Nansen selbst annahm. In einer
später in der „Aftenpost" veröffentlichten
Erklärung giebt Geelmuyden als Grund
dieser Differenz nicht einen Fehler bei
der Beobachtung oder Berechnung, sondern
eine besondere Unregelmässigkeit der
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Geographische Neuigkeiten.
413
Strahlenbrechung an und fügt hinzu, dafs
die höchste Hreite von 86° 4' nur den nörd-
lichst astronomisch bestimmten Tunkt
angieht, dafs aber in dem früheren Werte
von 86" 14' noch ein Stück des Weges
inbegriffen war, 'den Nansen nordwärts
ging, um einen Überblick über das Eis
zu gewinnen, bevor er den Rückweg an-
trat. Weit beträchtlicher sind die Alt-
weichungen der jetzt berechneten geo-
graphischen Längen von denjenigen, die
Nansen vorläufig berochnet hatte; sie bo-
tragen bis zu 7". Nach diesen Ergebnissen,
die bei der Schwierigkeit der astronomi-
schen Ortsbestimmungen in so hohen Brei-
ten und bei den so unsicheren Grundlagen,
auf denen Nansen seine vorläufigen Be-
rechnungen ausführte, nicht überraschen
können , wird Nansen nicht umhn können,
die über die Zuverlässigkeit von Payer's
Karte von Franz -Josef- Land geäufserten
Bedenken (VI. Jhrg. S. 343) zurückzu-
nehmen, da der Grund, weshalb Nansen
Teile von Franz -Josef- Land nicht auf-
finden konnte, nicht in der Ungenauigkeit
von Payer's Karte dieses Archipels, son-
dern im eigenen Irrtum zu suchen ist.
* Einen ebenso originellen, wie
abenteuerlichen Plan, den Nordpol
mittelst eines Unterseebootes zu errei-
chen, entwickelte Dr. Hermann An-
sch ütz-Kä tupfe vorden Geographischen
Gesellschaften in Wien und in München
im Beisein mehrerer Mitglieder der re-
gierenden Häuser. In glänzender Rede
schilderte der Vortragende das Vordringen
seines Bootes im Treibeise bis an dio
Grenze des Packeises und das Operieren
des Bootes in und unter dem Eise durch
Untertauchen, unter dem Wasser Schwim-
men nnd Wiederemportauchen an eisfreien
Stellen. Die Schwierigkeiten, die der
Ausführung des Plans in den verschieden-
sten Richtungen entgegenstehen, erkannte
Anschütz vollkommen an und versuchto
auch auf theoretischen« Wege die Mög-
lichkeit ihrer Überwindung und die Aus-
führbarkeit des Projektes zu beweisen.
Da aber Anschütz seihst erklärte, dafs die
Untersuchungen der berufensten Schiffs-
bauingenieure noch nicht allgeschlossen
sind, dafs aber berufene Fachleute bereit«
an dem Konstruktiousplano des Fahrzeuges
arbeiten, so dürfte es mit der praktischen
Ausführung des Plaues noch gute Wege
haben, abgesehen davon, dafs sich An-
schütz über die pekuniäre Sicherung des
ganzen Unternehmens vollkommen aus-
schwieg.
* Die schwedische Gradmes-
sungsexpedition, welche ihre Arbeiten
auf Spitzbergen im vorigen Sommer
der ungünstigen EiBverhältnissc wegen
nicht zum Abschlufs zu bringen vermochte,
wird in diesem Sommer nach dem Felde
ihrer Thätigkeit zurückkehren, um die
astronomisch-geodätischen Arbeiten zum
Abschlufs zu bringen. Als Chef der
schwedischen Abteilung wurde Prof. G. de
Gcer von der Regierung ernannt; die
geodätischen Arbeiten werden von Dr.
P. G. Rosen, Professor beim Kgl. General-
stab, geleitet werden. Die Mitglieder
der russischen Abteilung sind noch nicht
ernannt werden. Die abschliefsenden
Feststellungen der Gradmessungsexpedi-
tion werden sich auf das gpitzberger
Nordostland sowie auf die noch unerledigte
Verbindungslinie zwischen der Treuren-
berg-Bai und dem (Tiydeniusberge er-
strecken, welch letzterer von der russischen
Abteilung im Vorjahre als vorläufiger
Schlufspunkt erreicht werden konnte.
Da das Nordostland bisher den vergleichs-
weise am wenigsten erkundeten Teil des
Spitzbergen-Archipels ausmacht, so er-
wartet man von den Arbeiten der Expedition
auch in topographischer Hinsicht manche
neue Aufschlüsse. (Allg. Ztg. Wiss. Bei-
lage 101.)
* Die Vorbereitungen für dio eng-
lische Südpolexpedition haben vor
einigen Wochen dadurch eine unliebsame
Störung erfahren, dafs der designierte
Leiter der Expedition, Prof. Gregory in
Melbourne, von der Leitung des Unter-
nehmens zurückgetreten ist. Der bereits
vor zwei Jahren mit der wissenschaftlichen
Leitung der Expedition betraute Gelehrte,
der unterdessen als Professor der Uni-
versität Melbourne berufen und dadurch
von einer persönlichen Teilnahme an der
Vorbereitung der Expedition abgehalten
wurde, sah sich in seiner Erwartung, als
Leiter des wissenschaftlichen Stabes der
Expedition völlig freie Hand zu haben,
dadurch getäuscht, dafs die Schiffsoffiziere,
die zum Teil mit wissenschaftlichen Ar-
beiten betraut werden sollten, nicht seinem,
sondern dem Befehle des Schiffskomman-
danten unterstellt werden sollten, wodurch
die Leitung der wissenschaftlichen Arbeiten
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>
414
Geographische Neuigkeiten
an Bord allerdings in eine gewisse Ab-
hängigkeit vom Kapitän des Schiffes
gebracht worden wäre. Da aus diesem
Grunde Prof. Gregory die zu einer erfolg-
reichen Durchführung der Expedition
nötige Unabhängigkeit der wissenschaft-
lichen Arbeiten, wie sie bei der deutschen
Südpolexpedition durch die völlig unab-
hängige Stellung ihres wissenschaftlichen
Leiters garantiert ist, nicht erwarten zu
könneu glaubte, und aufserdem Meinungs-
verschiedenheiten über die auf Viktoria-
land zu errichtende erste Station entstanden
waren, so ist er von der Leitung der
Expedition zurückgetreten. Dafs durch
diesen Zwischenfall die Durchführung der
Expedition vielleicht etwas verzögert aber
keinesfalls unterbrochen werden wird,
erhellt schon aus der Tbatsache, dafs
bereits der Plan gefafst ist, im November
11)02 noch ein zweites englisches Schiff
auszuschicken, wofür bereits 110 000 Ji
gezeichnet worden sind.
Nach dem von Prof. Gregory ent-
worfenen Plane, der auch nach seinem
Rücktritt zur Ausführung kommen wird,
wird sich die englische Südpolexpedition
in erster Linie mit erdmagnetischen Be-
obachtungen, die hauptsächlich auf
Viktorialand zwischen der MacMurdo-Bai
und der Wood-Bai während eines ganzen
Jahres angestellt werden sollen, V'fasson.
Dann sollen die Küstenstrecken, die als
Wilkesland, Adelieland, Geikieland, Ter-
minationsland bezeichnet sind, genau
untersucht werden, ob sie Glieder einer
Inselgruppe oder Teile eines zusammen-
hängenden Festlandes sind. Zu diesem
Zwecke sind Landreisen von dem Vulkan
Erebus aus nach Westen und Süden geplant.
Eine fernere Aufgabe der Expedition
bildet die Untersuchung der östlichen
Fortsetzung der Ungeheuern Eiswand
über ilie Stelle hinaus, an der Rofs 1842
unikehren mufste. Von da bis Alexander-
land in einer Ausdehnung von 80 Längen-
graden ist jenseit 70°alles voll ig unbekannt ;
nur Cook ist 1774 dort über 70'» südlicher
Breite gekommen und glaubte am Horizont
Land mitBergen zu sehen. Von besonderer
Wichtigkeit werden die geologischen
Untersuchungen und die geophysikalischen
Arbeiten über Bewegung der Gletscher,
Beschaffenheit des Gletschereises, Moränen
u. s. w. «ein. Im kommenden Frühjahr
sollen grofse Schlittenreisen nach Westen
und südwärts ins Binnenland unternommen
werden, die hoffentlich Aufklärung über
den Charakter dieses Binnenlandes bringen
werden.
Geographischer Unterricht.
♦ Die seit längerer Zeit angekündigten,
durch die Junikonferenzen des preufsi-
Bchen Unterrichtsministeriums vorbereite-
ten neuen „Lehrpläne und L eh rauf-
gaben für die höheren Schulen in
Preufsen 1901" sind unmittelbar vor
Pfingsten erschienen Halle, Waisenhaus).
Für die Erdkunde bringen sie Festlegung
von mindestens 6 Wiederholungsstunden im
Halbjahr auf den Gymnasien und Real-
gymnasien 'S. 50 und Ausdehnung des
erdkundlichen Unterrichts mit einer
wöchentlichen Stunde bis zum Schulschlufii
auf der Oberrealschule (S. 5).
Der Lehrplan für Erdkunde im be-
sonderen (S. 49- — 52 1 gliedert sich in eine
„Vorbemerkung", a) das „allgemeine
Lehrziel", bi die „Lehraufgaben" und
„methodische Bemerkungen für die Erd-
kunde", a) lautet jetzt „Verständnis-
volles Anschauen der umgebenden Natur
und der Kartenbilder, Kenntnis der phy-
sischen Beschaffenheit der Erdoberfläche
und der räumlichen Verteilung der Men-
schen auf ihr, sowie Kenntnis der Grund-
züge der mathematischen Erdkunde",
b) im wesentlichen: VI: Grundbegriffe der
allgemeinen Erdkunde in Anlehnung an
die nächste Umgebung und erste An-
leitung zum Verständnis des Globus und
der Karten, Anfangsgründe der Länder-
kunde, beginnend mit der Heimat und
mit Europa 'kein Lehrbuch); V: Länder-
kunde Mitteleuropas (Deutsches Reich)
(ein Lehrbuch.. Weitere Anleitung zum
Verständnis des Globus und der Karten,
sowie des Reliefs. Umrisse auf der
Wandtafel. IV: Länderkunde Europas
ohne Deutschland, Umrisse auch in Heften
(letzteres bleibt so bis U II). U III : Länder-
kunde der aufsereuropäischen Erdteile, die
deutschen Kolonien, Vergleichung mit den
Kolonialgebieten anderer Staaten. Olli:
Wiederholung und Ergänzung der Länder-
kunde des Deutschen Reichs. Uli: Wie-
derholung etc. der Länderkunde Europas,
Elementare mathematische Erdkunde; da-
zu in der Realschule die bekanntesten
Verkehrs- und Handelswege der Jetztzeit.
OII bis Ol: Zusammenfassende Wieder-
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Bücherbesprechungen.
415
holungen; dazu in der Realschule die
Grundzüge der allgemeinen physischen
Erdkunde, gelegentlich auch einiges aus
der Völkerkunde, in Gymnasien und Real-
gymnasien das Wesentlichste aus diesen
Unterrichtsgehieten in zusammenfassender
Behandlung. Begründung der mathe-
matischen Erdkunde in Anlehnung an
den Unterricht in Mathematik und Physik.
Vergleichende Cl>er8icht der wichtigsten
Verkehrs- und Handelswege his zur Gegen-
wart, in den Oberrealschulen in den be-
sonderen Unterrichtsstunden, in Gymnasien
und Realgymnasien in Anlehnung an den
Geschichtsunterricht.
Aus den „methodischen Bemerkungen"
sei hervorgehoben: 1. Der erdkundliche
Unterricht an höheren Schulen soll vor
allem den praktischen Nutzen des
Faches ins Auge fassen; physisches und
politisches sind innerhalb der Länderkunde
möglichst eng zu verbinden. Das Zahlen-
material ist auf einige stark abgerundete
Vergleichszitfern zu beschranken. 2. Bei
Gewinnung der ersten Vorstellungen ist
unter Vermeidung jeder Künstelei an die
nächste örtliche Umgebung anzuknüpfen,
dann an Relief und Globus zu veran-
schaulichen, dann ist der Schüler zur
Benutzung der Karte anzuleiten, Wand-
karte und Atlas sind Ausgangs- und
Mittelpunkt des Unterrichts, richtige Aus-
sprache ist anzustreben, auf die wirt-
schaftlichen Hilfsquellen geeignet hinzu-
weisen. 3. In den unteren und mittleren
Klassen ist darauf zu halten, dafs alle
Schüler denselben Atlas gebrauchen,
Atlaseinheit ist den einzelnen Schulen frei-
gestellt , untere Klassen dürfen nicht gröfsere
Atlanten benutzen. Die Wandkarten
sollen nach Möglichkeit mit den Karten
I fibereinstimmen. 4. Handelt' vom Zeichnen,
das wichtig ist, in dem aber keine Uber-
spannung der Anforderungen Platz greifen
! darf und im allgemeinen keine häuslichen
Arbeiten zu verlangen sind. 5. Erklärt
es für wünschenswert, dafs der Unterricht
in die Hände von durch Studien befähig-
ten Lehrern gelegt und nicht unter zu
viele Herren verteilt wir«!. Die Auf-
teilung der Erdkunde an Mathematiker
und Historiker auf dem Obergymnasium
bleibt bestehen. Wo der Lehrplan nur
eine Stunde vorschreibt, ist diese Zeit
regelmäßig und uneingeschränkt verfüg-
bar zu halten. H. Fischer.
* Die Errichtung einer au fs erordent-
lichen Professur der Geographie an
d e r U n i v e rs i tä t U p s a 1 a ist vom schwe-
dischen Reichstag beschlossen worden.
Die in der Debatte gehaltenen interessan-
ten Reden, insbesondere von Prof.E. Carl-
son und Prof. Frhr. G. de Geer, die
beide den naturwissenschaftlichen Charak-
ter der Geographie stark betonten, ver-
öffentlichte die Zeitschrift „Ymer" 1901,
S. 214—222 im Auszug.
Persönliches.
* Vor kurzem starb in Wien, 57 Jahre
alt, Hofrat Dr. Karl Zehden, der sich
als Lehrer sowie später als Inspektor des
kommerzieUcn Unterrichts in Österreich
grofse Verdienste um den letzteren, be-
sonders inderllandelBgeographie erworben
hat. Aufscr kleineren Aufsätzen verfafste
er ein in viele Sprachen übersetztes „Lehr-
buch der Handelsgeographie" sowie ein
kleineres „Lehrbuch der Handels- und
Verkehrsgeographie für 2klassige Handels-
schulen", die auf strengwissenschaftlicher
Grundlage beruhen.
Hücherbespreuhangen.
Zondervan, H., Allgemeine Karten-
kunde. Ein Abrifs ihrer Geschichte
und ihrer Methoden. Mit 32 Figuren
im Text und auf 6 Tafeln. X und
210 S. Leipzig, Teubner 1901. Geh.
M 4.60, geb. \n 5.20.
Im 5. Bande dieser Zeitschrift, S. 170
hatte Ref. Gelegenheit, die „Proeve eener
algemeene Kartografie" desselben Ver-
fassers anzuzeigen. Diese Anzeige gab
den Anlafs zu der nun vorliegenden deut-
schen Ausgabe, als welche die Karten-
kunde ungeachtet mancher bedeutenden
Änderungen und Erweiterungen ohne Be-
denken bezeichnet werden kann. Das
Buch füllt in unserer gerade nicht kleinen
kartographischen Littcratur doch eine
Lücke aus. Es enthält zunächst einen
netten geschichtlichen überblick über die
Entwickelung der Kartographie .ab ovo
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416
Rücherbesprcchungen.
bis zur (JegenVart. Ks folgt ein Abschnitt
„Topographie", in dem die astronomische
Ortsbestimmung, Trianguliemng und alle
sonstigen Arbeiten im Felde, die das
Material für die Herstellung von Karten
liefern, unter Berücksichtigung der deut-
schen Verhältnisse behandelt werden. Das
8. Kapitel giebt eine populäre Darstellung
der Kartenprojektiouslehre unter möglich-
ster Ausschließung der Mathematik. Daran
schliefst sich ein Abschnitt über Situa-
tion*- und Terrainzeichnung, der durch
ein Kapitel über die Reproduktionsver-
fahren eine wertvolle Ergänzung erhält.
Auch die Benutzung der Karten zu Mes-
sungen ist, wenn auch kurz., behandelt.
Den Schlufs bildet ein Kapitel über
Schulkarten. Nach Beiner ganzen Anlage
und Ausführung ist das Buch vornehm-
lich für Lehrer der Erdkunde geschrieben,
denen es einen Hinblick in den Ent-
stehungsprozefs einer Karte vermitteln
will. Darüber dürften selbst bei sonst
gut durchgebildeten Lehrern in der That
vielfach recht unklare Vorstellungen herr-
schen, so besonders hinsichtlich der
mannigfaltigen Keproduktions verfahren,
die anderswo kaum behandelt- sind. Der
Verf. hat sich sichtlich Mühe gegeben,
etwas.Brauchbares zu liefern; auch in der
ihm als Auslander doch etwas fern liegen-
den deutschen amtlichen Karteulitteratur
hat er sich recht gut zurechtgefunden.
Das jedem Kapitel vorausgeschickte Lite-
raturverzeichnis, das manchem deutschen
(»eographielehrer noch Neuigkeiten nach-
weisen dürfte, liifst seine Belescnheit
sowie sein redliches Streben deutlich
hervortreten. Von Ungenauigkeitcn ist
das Buch nicht frei, doch thnt das
seinem Werte keinen Abbruch, empfeh-
lenswert wäre es gewesen, das Manu-
skript einer Durchsicht auf Stil und
Sprache zu unterwerfen; denn trotz seiner
Kenntnis des Deutschen beherrscht der
Verf. die Sprache doch nicht in dein
Mafsc, dafs die Darstellung völlig ein-
wandfrei ist. An einigen Stellen ver-
raten dies unvermittelte i'bergänge. Aber
alles in allem, ist das Buch denen, die
sich für Karten interessieren müssen,
warm zu empfehlen. A. Bind au.
Schreiber, Paul, Die Einwirkung des
Waldes auf Klima und Witte-
rung. 8,-A. aus „Tharander forstl.
Jahrb." Bd. 4t». Dresden 1900. S. 85
bis 204. 3 Tfln.
Verf. behandelt das vielumstrittene
Problem des Waldeinflusses an der Hand
des sächsischen Beobachtungsmaterials.
In der Einleitung werden frühere Arbeiten
über dieses Thema besprochen, und so-
weit sie dem Wald eine praktisch in Be-
tracht kommende Einwirkung auf die
meteorologischen Elemente beimessen
wollen, abfällig kritisiert. Je exakter da«
Beobachtungsmaterial und die Methoden
seiner Verwendung geworden sind, um so
mehr verliert sich der vermeintliche Unter-
schied zwischen Wald und Feld (vgl. ins-
bes. Schubert 's Untersuchungen). Eine Sorg-
fältige Diskussion der Beobachtungsreihen,
die für eine grofse Zahl von Stationen im
Königreich Sachsen bereits mit 186 t be-
ginnen, bestätigen diese Erfahrung. Verf.
hat zunächst den prozentischen Waldauteil
für Flächenelemente von etwa 10 qkm
Areal bestimmt. Zur Bewertung der Wald-
lage einer Station wird die prozentische
Waldfläche von 20 Flächenelementen in
«ler Umgebung der Station als mafsgebend
angesehen. Vor der eigentlichen Unter-
suchung ist die Höhenlage jeder Station in
der Weise zu berücksichtigen, dafs für je
100 m Erhebung eine Erhöhung der Tempe- •
ratur um 0°.D6 ('., der Dunstspannung um
0.17 mm und eine Verminderung der
Niederschlagshöhe um etwa 48 mm an-
zubringen ist. Diese Keduktionszahlen
sind aus den Beobachtungen sämtlicher
Stationen nach der Methode der kleinsten
Quadrate berechnet, Die vom Einflufs
der Höhenlage befreiten Werte zeigen uun
noch systematische Abweichungen , die
zum Teil mit der spezifischen Lage der
Station (Stadtlage, Thallage u. s. w.) zu-
sammenhängen, zum Teil aber auf Rech-
nung der Bewaldung gesetzt werden müssen.
Und /.war deuten die Abweichungen darauf
hin , dafs bei vollem Waldbestand die
Temperatur um 0° 4 bis 0".8 niedriger ist
als bei unbewaldetem Terrain Die Dunst-
spannung zeigt Abweichungen, die kaum
0.1 mm Pberschufs für Wald ergeben.
Am schwierigsten sind die Niederschlags-
verhältnisse einer systematischen Behand-
lung zugänglich, auf sie wirken die lo-
kalen orographisjchen Besonderheiten in
unbekannter Weise ein. Deshalb eignet,
sich das wechselnde Relief der von Kluis
thälern zerschnittenen sächsischen Platte
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Bücherbesprechungen. 417
sehr wenig zu Untersuchungen dieser Art.
Verf. findet, dafg, falls der Waldeinflufs
vorhanden ist, er einer Höhenzunahme der
Station um 100 — 200 ni gleichzusetzen
wäre. Aber die wahrscheinlichen Fehler
der Koeffizienten, die Verf. nach der Me-
thode der kleinsten Quadrate berechnet,
lassen vermuten, dafs andere, insbesondere
die Kelicfverhältnisse von erheblicherem
Einflufs sind. Dies wird an einigen Bei-
spielen näher erläutert.
W. Meinardu».
»ahnschaffe, F., Die Ursachen der
O b e r f 1 ä c h e n g e s t a 1 1 u u g des
norddeutschen Flachlandes.
2. Aufl. (Forsch, z. deutsch. Landes-
u. Volkskunde VI. 1.) gr. 8°. IV u.
258 S. Stuttgart 1901. M 10.—
Die gewaltigen Fortschritte,, welche
die Quartärgeologie Norddeutschlands in
den letzten zehn Jahren gemacht hat,
liefsen eine zweite Auflage des Wahn-
sehaffe'schcn Ruches dringend erwünscht
erscheinen , und wir können deren Er-
scheinen mit lebhafter Freude hegrfifscn.
Die Anordnung des Stolfes ist dieselbe
geblieben, an den geeigneten Stellen sind
die neueren Arbeiten ziemlich vollständig
nachgetragen. Der Verf. ist hierbei mei-
stens referierend vorgegangen und ver-
meidet es mehrfach, entschieden Partei
zu nehmen, eine Vorsicht, die den objek-
tiven Leser nur angenehm berühren wird.
So ist. das Buch ein wichtiges Werk für
das Studium nicht allein der (ieographie,
sondern auch der Geologie Norddeutsch-
lands; die sorgfältigen Litteraturangaben
sind hierbei von besonderem Werte.
Der Inhalt ist folgender.
I. Die Beziehungen des Untergrun-
des der Quartärbildungen zur Oberfläche.
1. Die Grundzüge des Gebirgsbaues
der vorquartären Ablagerungen.
2. Die Lage der Unterkante des
Quartärs.
3. Jüngere tektonische Schichtenstö-
rungen.
II. Die Oberflächengest alt ung in
ihren Beziehungen zur Eiszeit.
1. Das Inlandeis und seine Wir-
kungen. Dies Kapitel hat, den neueren
Forschungen entsprechend, eine erhebliche
Umgestaltung erfahren.
A. Olazialschrammen und -schlifle. Die
saubere Karte der Endmoränen, Urstrom- .
thäler und Fundorte der Glazialschrammen
Norddeutschlands bringt neben der Be-
schreibung die betr. Verhältnisse zum
Überblick. Die bisherigen Geschiebe-
studien haben gezeigt, dafs im mittleren
und westlichen Norddeutachlaud eine ost-
wostliche Eisbewegung nicht stattgefun-
den hat (die jüngeren O-W- oder W-O-
Schrammen zeigen nur lokale Abweichun-
gen von den radialen Hauptstromrich-
tungen des Inlandeises an), und dafs sich
zwischen den Bildungen des oberen und
unteren Diluviums in der Geschiebe-
führung kein Unterschied nachweisen läfst.
B. Schichtenstörungen durch Eisschub.
2. Die Ablagerungen des Inland-
eises. A. Moränen, a. Grundmoränen.
Auch hier linden sich die neuen Beob-
achtungen und Ansichten sehr anschau-
lich verarbeitet; der Transport der Grund-
moränen unter und i n dem Eise, die zwei
verschiedenen Typen der (Jruudmoränen-
landschaft (ebene bis flachwellig ent-
wickelte Hochflächen und stark wellige,
mit zahlreichen Einsenkungen versehene
Gebiet« der Grundmoränenlandschaft im
eigentlichen Sinne); der obere ungeschich-
tete Geschiebesand, mit den „Dreikantern"
[ besser als „Kautcngerölle" zu bezeichnen | j
die „Drum! ins" und emilich die Be-
ziehung des baltischen Höhenrückens zum
Ostseebecken. — b. Endmoränen. Auch dies
Kapitel ist bedeutend erweitert (vergl. die
Karten), die Durchragungen und Stau-
moränen finden eingehende Berücksichti-
gung, die Auffassungen Salisbury's und
(IcikiVs werden rektifiziert. — c. Die
Kanus (Grandkuppen) [vom Ref. als
„Kiesmoränen" aus Mecklenburg beschrie-
ben] werden aus einigen Teileu der Lüne-
burger Heide erwähnt.
B. Fluvioglaziale Bildungen Hier sei
besonders auf die Besprechungen des
Deckthones und der Asar iOrandrückem
hingewiesen, letztere werden als Riiek-
zugsbildungen betrachtet. Hier wie bei
den auderen Oberflächenformen geht Verf.
speziell auf die Frage über ihre Bil-
dung ein.
3. Die alten Stromthäler und
ihre Versandung.
Nach Besprechung der vier Haupt-
thäler, deren südlichstes vom Verf. statt
I Berlin- Hannoversches als „Breslau-Magde-
! burger Thal" bezeichnet wird und welches
; nicht unterhalb Magdeburg zur unteren
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418
Büch erb esprechungen.
Weser sich fortgesetzt haben soll, wird
das fünfte, pomniereche Urstromthal mit
seinen Stauseen aufgeführt. Die Karte
giebt sehr schön den Verlauf der Thäiler
an und hat auch die unwahrscheinliche
Verbindung zwischen Lübeck und Elbe
vermieden.
4. Der Löfs am Rande des nord-
deutschen Flachlandes wird als
Wasserabsatz betrachtet, sein Alter ist
jungglazial, nicht interglazial.
6. Die Seen. Auch hier ist viel
Neues hinzugekommen. Es werden fol-
gende Typen unterschieden: I. Grund-
moriinenseen , 2. Stauseen, 3. Hinnen-,
4 Ausstrudelungs- oder Evorsions-, ö. Fal-
ten-, ti Eiserosions- uud 7. Einsturz-Seen.
Bei der t'bersicht der Seen fehlt S. 209
die Litteraturangabe , insbesondere der
Hinweis auf die Messungen und Isohypsen-
karten von W. Feltz, welcher als erster
solche Untersuchungen angestellt hat.
6. Die Gliederung der Glazial-
bil düngen. In diesem Kapitel, welches
in der ersten Auflage selbständig über-
haupt fehlt, spiegelt sich besonders der
Fortschritt der Diluvialforsehungen wie-
der. Der Verf. führt alles, was von hierzu
Gehörigem bekannt ist, zusatniueufasseud
auf und giebt am Schlüsse folgenden Ver-
such einer Einteilung des Quartärs:
1' ostglazial zeit (Jungquartär):
a. Jüngere, Buche- und Erle- ,Mya- Zeit.
b. Ältere, Eiche- (Litorina-jZeit. Birke-,
Kiefer- (Aneylus-)Zeit.
Die Eiszeit ( A 1 1 qua rtär):
Spätglaziale Phase, Dryas- (Yoldia)
Zeit,
Dritte Vereisung, a. Abschmelzperiode,
b. Inlandeisbedeckung.
Zweite Interglazialzeit. Fauna der
grofsen diluv. Silugetiere, intergl. Torf-
lager, Schichten mit Süfswasserconchylien,
marine Bildungen.
Zweite Vereisung. Unterer Geschiebc-
mergel etc.
Erste Interglazialzeit, Süßwasser- und
marine Schichten, Diatomeenschichten (V).
Erste Vereisung.
Präglazialzeit.
III. Die Veränderungen der Oberfläche
in postglazialer Zeit.
1 . Die Niederungen des Binnen-
landes Hier ist besonders folgendes
hervorzuheben: Schönes Beispiel der Ver-
legungen des Elbstromlaufes. Trocken-
thäler. Moore.
2. Das Küstengebiet. Rezente Sen-
kungen nicht erwiesen. Verschiebung von
Flufsmündungen. Dünenwanderung.
Nur zwei Bemerkungen mögen am
Schlüsse noch gestattet sein.
Die Nachträge zu I. hätten noch etwas
ausgiebiger sein können, z. B. wären
Stolley's Befunde über die Mo-Formation,
die Kreidefestlandsgrenzen Mecklenburgs
zur Tertiärzeit zu berücksichtigen ge-
wesen. Zur Rechtfertigung Ernst Boll 's
(vergl. S. 78i mag erwähnt sein, dafs der-
selbe seine früheren Hypothesen später
flHf>r>, Archiv für Landesk. Meckl.) selbst
nicht mehr aufrecht erhalten hat. Auf
der Karte ist die unrichtige Ausdehnung
eines Staubeckens in der Oegend westlich
Rostocks nach der Keilhack'schen Dar-
stellung übernommen. E. Heinitz.
Dceckc, Prof. Dr.W., in Greifswald, Geo-
logischer Führer durch Born-
Ii o 1 m. ^Sammlung geologischer Führer
III.) Kl. 8°. VHI u. ISIS, mit 7 Abb.
und 1 geologischen Übersichtskarte.
Berlin, Gebr. Borntraeger 1899,
Seit vor 10 Jahren die deutsche geo-
logische Gesellschaft unter Führung der
Greifswalder und Kopenhagener Fach-
genossen der Insel Bornholm einen mehr-
tägigen Besuch widmete, ist mehr und
mehr das wissenschaftliche Interesse an
dieser Insel erwacht, deren hohe land-
schaftliche Schönheiten jährlich hunderte
von Reisenden anlocken. Bietet sie
doch für den Nordostdeutflehen die ab-
solut nächste Felsenküste und zugleich
den Schlüssel für den stratigraphischen
wie tektonischen Verband Deutschlands
mit Skandinavien: Granit und Diabas,
cambrische und silurische Sandsteine und
Kalke, kohlenführender Rhät-Lias tauchen
dort so nahe wie nirgends sonst vor
unserer Küste auf, die norddeutsche Kreide
kommt als Grimsand und kieseliger Kalk
wieder hervor,Glazialbildungen überziehen
das Innere der Insel, und Gletscher-
schrammen findet man in herrlicher
Frische auf anstehendem Gestein. Auch
tek tonisch ist Bornholm bemerkenswert:
es ist als ein Horst aus einer eingebro-
chenen Tafel herausgeschnitten und hat
durch zwrti sich unter spitzem Winkel
schneidende Spaltensysteme seine rhom-
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Bü ch erb esp rech un gen.
410
bische Gestalt erhalten. Das ältere Spal
tensystem, welchem die Diabasgange ent-
sprechen, streicht NNO SSW und
entstand in der Zeit zwischen Cambrium
und Lias; einer seiner Brüche liegt in
der unmittelbaren Fortsetzung der grolsen
Smaländer Spalte; das jüngere Spalten-
system läuft NW SO und hängt mit den
gleichgerichteten deutschen Gebirgen,
Horsten und Gräben, wie mit denen
Schonens zusammen.
Der Verf. des „Führers" hat vielmals
Bornholm besucht und giebt auf Grund
der gesamten Fachlitteratur wie eigener
Beobachtungen zunächst eine Übersicht
der Geologie der Insel. Daran schliefst
sich die eingehende Beschreibung einer
Ttägigen Exkursion uebst Winken für
deren Verlängerung oder Abkürzung.
Neben dem ausführlich behandelten Geo-
logischen ist überall auch das sonst Be-
merkenswerteste wenigstens kurz ange-
deutet, ho dafs beim Besuch der Insel
allenfalls ein anderer Führer entbehrt
werden kann.. Die Kart« in 1 : 100 000 ist
ein vervollständigter Abdruck der John-
strup'schen Sie enthält keine Terrain-
darstellung, aber neben dem geologischen
Kolorit die Wege. Ortschaften und Wasser-
laufe. Der treffliche „Führer*4 wird vor-
aussichtlich der Insel neue Freunde zu-
führen; zugleich ist er ein bequemes
und zuverlässiges Nachschlagebuch. Re-
gister und Literaturverzeichnis sind bei-
gegeben. Jentzsch.
Krah in er (Generalmajor z. D), Rufsland
in Asien. Band III. Sibirien und
die grofse sibirische Eisenbahn.
Zweite Auflage, gr. 2HG Seiten,
2 Karten. Leipzig 11100. Zuck-
schwerdt & Co.
Hatte der Verfasser in der ersten
Auflage seines verdienstvollen Werkes
(1807) die grofsen Züge der beginnenden
Erschliefsung Sibiriens durch Rufsland
und die vermutlichen Aussichten der
grofsen sibirischen Eisenbahn geschildert,
so kann er in der vorliegenden zweiten
Auflage bestimmte Thatsarhen bringen
und auf die nahe bevorstehende Vollen-
dung des Unternehmens hinweisen, das
zum Teil wesentlich andere Wege ein-
geschlagen hat, als man anfänglich ver-
muten durfte. Mit Ausnahme der tTm-
gahungsbahn um das Südufer des Baikal-
sees, die wegen der dort bestehenden
Schwierigkeiten des Geländes erst nach
einigen Jahren vollendet sein wird, ist
die ganze sibirische Strecke im Be-
trieb. Bekanntlich ist nach Abschlufs
des japanisch-chinesischen Krieges 1895
Rufsland mit Erfolg bemüht gewesen,
sich das Recht des Bahnbaus in der
Mandschurei zu sichern. Die sogenannte.
„Chinesische Ostbahn14 wurde fast aus-
schliefslich auf russisches (Seid basiert,
ihr Bau aber ohne Verzug unter russischer
Leitung und unter dem bewaffneten
Schutz des Zarenreiches in Angriff ge-
nommen. Was Rufsland hierdurch an
Macht und Einflufs gegen China auf dem
Boden der Mandschurei gewonnen hat,
ist durch die jüngsten Vorgänge in Ost-
asien mit unwiderleglicher Klarheit be-
wiesen worden. Rufsland hat seine —
rechtlich zweifellos begründeten — An-
sprüche in der Mandschurei gegen die
bewaffnete Auflehnung der Chinesen zu
verteidigen gehabt und dürfte trotz aller
Weiterungen, die von Seiten der Mächte
vorgebracht werden , die Mandschurei
weder politisch noch militärisch, am
wenigsten aber wirtschaftlich preisgeben.
Der Verfasser hat auf die Grundzüge
dieses Verlaufs bereits vor Ausbruch der
chinesischen Wirren treffend hingewiesen
und gezeigt, wie der wahre Wert der
sibirischen Bahn erst durch die erfolgte.
Abkürzung der östlichen Strecke durch
die Mandschurei hervorgetreten ist, In
der That hat man die ursprüngliche
Linie längs des Amur nunmehr aufgegeben,
so dafs die transbaikalische Bahn in
Strjetensk ihr Ende findet. Statt dessen
zweigt von Kaidalowo die Strecke nach
der Mandschurei ab, die sich inmitten
der letzteren bei Charbin gabelt, um den
östlichen Zweig nach Wladiwostok, den
südlichen aber über Mukden nach Port
Arthur, bezw. zum unmittelbaren Anschlufs
an das schon bestehende chinesische Netz
zu entsenden. Die Vorteile dieser Ver-
schiebung liegen vor Augen. Auf Grund
des in den letzten Jahren veröffentlichten
reichhaltigen russischen Materials über
die Statistik und über die wirtschaftliche
Entfaltung Sibiriens kann der Verfasser
neue, recht interessante Aufschlüsse über
die fortschreitende Entwicklung des Berg-
baus , der Bodenkultur, der geordneten
] Besiedlung Sibiriens bringen. Er tritt mit
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Neue Bücher und Karten
420
Recht einem übertriebenen Optimismus j
entgegen, erkennt aber die zielbewußte i
Arbeit Rufslands an. Da» mit sehr guten 1
Karten ausgestattete Buch bringt reiche
Belehrung und wird wann mpfohlen.
Immanuel.
t. Brandt« M., Dreiunddreifsig Jahre
in Ost-Asien. Erinnerungen
eines deutschen Diplomaten.
In drei Bänden. Band I. Leipzig.
G. Wigand. 1901.
Dieser Krwtlingshand schildert die
Erinnerungen unseres früheren Gesandten
in China an die preufsische ostasiatische
Expedition der Jahre 1860 1862, an der
er als junger Attache teilgenommen hat.
Ähnlich wie bei den jüngst veröffent-
lichten Privatbriefen des Führers jener I
Nene Rücher
Zusammengestellt von
(IfMfclrfatt der tiMprapkit.
Harrisse, Hrv. Dicouverte et evolution
cartograph. de Terre-Neuvc et de* pays
circonvoisins '(1497^1 501 1769)'; essais
de geogr. histor. et document. Carte«
et pl. LXXII, 424 S. 4". Paris, Welter
1900.
Hoeherl, Franz Xav. Johann Jacob
Scheuender, der Begründer der phys.
Geogr. des Hochgebirges. VITT , 108* S.
(Münchener geograph. Studien. X).
München, Ackermann 1901. .41 1.80.
MUi im im phynUrhe Oeographlr.
Börnstein, R. Leitfaden der Wetter-
kunde 52 Abb., 17Taf. 183 S. Braun-
schweig, Vieweg \' S. 1901. Jl 6. —
König, Fr. Die Verteilung des Wassers
über, auf und in der Krde u. die daraus
sich ergebende Entstehung des Grund-
wassers und seiner Quellen. . . VIII, 159S.
Jena, Costenoble 1901. .K 4 —
Koppen, W. Versuch einer Klassifikation
iler Klimate, vorzugsweise nach ihren
Beziehungen zur Pflanzenwelt. SA. Fig.,
42 Karten. 45 S. Leipzig, Teubner 1901.
,H. 1.60.
AllgraiHao Urographie- iIm M< ns. Hrn.
Boulay, X. Principes d'anthropologie
generale. XVI, .'{34 S. Paris, Lethielleux
1901.
j bedeutungsvollen Ausfahrt nach Japan,
I China und Siam, des späteren Ministers
Kulenburg, handelt es sich zwar auch
hier durchweg um rein persönliche Er-
lebnisse und Beiseeindriicke, jedoch die
gemächliche Breite der Erzählung ergeht
sich doch häufiger als das bei Eulenburg's
knapperem Briefstil der Fall ist, in ge-
legentlichen Schildereien der Landschaft
und des Volkslebens, so besonders hin-
sichtlich Japans. Und zwar ist es das
alte Japan mit seiner von europäischem
Einflufs nach unberührten Kultur, das
uns hier entgegentritt. Auf S. 125 findet
sich auch eine beachtenswerte Bemerkung
über die Ursache, weshalb nicht Kana-
gawa, sondern das benachbarte Fischer-
dörfchen Yokohama zur Hafenstadt To-
I kyos geworden ist. A. Kirchhoff.
und Karten.
Heinrich Brunner.
H a r 1 1 e b e n's K leines statistische* Taschen-
buch über alle Staaten der Krde. Be-
arb. von F. Umlauft, Wien, PeBt,
Leipzig; Hartleben 11*01
Hartlebcn's Statistisch«' Tabelle über
alle Staaten der Erde. IX Jahrg. 1901.
Wien, Pest, Leipzig; Hartleben 1901.
U —.50.
Meinecke, Gust, und W. v. Bülow,
Seidenzucht in den Kolonien. 50 S.
Berlin, Deutscher Kol.-Veri. 1901. Ji \ .20.
Su pan , Alex. Die Bevölkerung der Krde. . .
XI : Asien u. Australien samt den Südsee-
Inseln. 107 S. (Peterm. Mitt. ; Erg -Heft
135.) Gotha, J. Perthes 1901. .«6.40.
Karopa.
A r d o u i n - D u m a z e t . Voyagc en France.
Vol. '24: Haute - Bourgognc. 30 cartes.
420 S. Vol. 25: Basse - Bourgognc et
Senonais 29 cartes. 400 S. Paris,
Berger- Levrault C. 1901. Zu Fr 3.50.
Horm es, K. Die vorpontische Erosion
SA. 5 Fig., 47 S Wien, Gerold'* Sohn
Komm 1900. M —.90.
Passarge, L. Sommerfahrten in Nor-
wegen ... 3. A 2 Bde. VII, 288; V, 302 S.
Leipzig. Klischer 1901 .fc 8.—
Mitteleuropa.
Ambrosius, Krnst. Die Volksdichte am
deutschen Niederrhein. 2 Kartenbr il. u
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Neue Bücher und Karten.
421
3 TextiH. 115 S. (Forsch, z. deuUeh.
Landes- und Volkskunde. — KircbhoH"
XIII3). Stuttg., Engelhorn 11K>1. „*9.60.
Flemniing, C. Neue Kreiskarten. Bl. 38:
Rügen. 1:160 000. Glogau, Flcmming
1901.
Grohmann, Dr. Die phiinolog. Beobach-
tungen der Jahre 1864/97 u. die Ernte-
erträge im Königr. Sachsen in ihrer Ab-
hängigkeit von den Witterungsverhält-
nissen. III, 88 8. (Das Klima des Königr.
Sachsen. VI). 4°. Chemnitz, Kön. süchs
raeteorolog. Institut. 1901. JL 3.40.
Oünther, Fr. Der Harz. 115 Abb. u.
1 färb. Karte. 128 B. (Land u. Leute. IX).
Bielefeld, Velh. & Klasing 1901. „fc 3.--
Jahrbuch, statistisches, für das Deut-
sche Reich. XXII, 1901. Berlin, Butt
kammer u. Mühlbrecht, 1901.
Keil hack, Kd. Einführung in das Ver-
ständnis der geolog -agronoin. Special-
karten des norddeutschen Flachlandes . . .
Fig., 14 färb. Karten. IU, 79 S. Berlin,
Schropp i9oi. jl 2. -
Kerp, II. Am Rhein; die Rheinlande v.
Frankfurt bis Düsseldorf u. die Thäler
des rhein. Schiefergebirges. 18*2 Abb.,
1 Karte. 183 S. (Land u. Leute. X;.
Bielefeld, Velh. & Klasiug 1901. JL 4.—
Landeskunde Freufsens; hrsg. v. A.
Beuermann. Abb. Heft 1—8, 10 u. 11
Berlin, Spemann 1901. .«11.30. [Auch
einzeln].
1 Kerp,H. Die Rheinprovinz. 33 Abb.
V, 140 S. Jt 1.20.
2. Techter, W. .Die Frov. Hessen-
Nassau. 14 Abb., 2 geolog. Prof.,
1 Karte VI, 104 S. JC 1.—
3. Stephaublome, J. Die Frov. West-
falen nebst Lippe u. Waldcck. 14 Abb.
VI, 137 S. 1.20.
4. B e u e r m a n n , A. Die Frov Hannover.
28 Abb. VII, 13H S. JL 1.20.
5. Schmarje,J. Die Frov. Schleswig-
Holstein. 22 Abb. VII, löoS. „«1.30.
6. Liersch, H. Die Prov. Sachsen
12 Abb. VIII, 81 S. .H 1 .— .
7. Heiuze, II. Die Frov. Brandenburg.
28 Abb. VI, 14« S. .<£ 1.20.
H. Wulle, F. Die Frov. Schlesien.
19 Abb. VI, 134 S. JL 1.20.
10. Sommer, 0. Die Frov. Pommern.
17 Abb. VI, 120 S. JL 1.10.
11. Ziesemer, J. Die Prov. (Ist- u.
Westpreufsen. 17 Abb. VI, 101 S.
JL 1.-.
Lechner, R. L's Generalkarte vom Her-
zogtum Kärnten. 1 : 300 000. Farbdr.
50 x G7,5 cm. Wien, Lechner 1901.
JL 2.40.
Lechner, R. L's Generalkarte vom Her-
zogt. Salzburg. 1 : 300 000. Farbdr.
68 x 55,5 cm. Wien, Lechner 1901.
JL 2 .40.
Nest ler, Br. Landschaftliches aus dem
Zschopau-Thale. 51 Illustrationen u.
1 Karte. 110 8. Dresden, W. Nestler.
[1901 J. JL 3 —
Sass, C. Die Schwankungen des Grund-
wassers in Mecklenburg. 0 Taf. 20 S.
(Mitt. d. grofsh. Mecklenburg, geolog.
Landesanst. XII;. 4°. Rostock, Leopold
Komm. 1901. JL 1.50.
Seidl, Armin. Das Regnitzthal \von Fürth
bis Bamberg)'. Fig. VII, 182 S. Er-
langen, Junge 1901. JL 2.40.
Stüh m & n u , Pet. Holland u . sein deutsches
Hinterland in ihrem gegenseitigen
Warenverkehr, mit bes. Berücks. der
hol bind. Haupthäfen, seit der Mitte des
19. Jahrh. X, 130 S. (Abh. des staats-
wiss. Seminars zu Jena.- Piersdorff. I 1).
Jena, Fischer 1901. JL 2.50.
Wittschier, Vermessgs-lnsp. Das staatl.
Besiedelungswesen in den preufs. Ost-
provinzen. Vortr. SA. 1 Plan, 30 S.
Stuttg., Wittwer 1901. JL —.00.
Vung, Em. Zermatt u das Visperthal
160 Zeichngn u. Vignetten. 107 S. 4°.
Zürich, Schröter Komm 1901. Jt 20 —
Ziegler, J., u. W. König. Das Klima
von Frankfurt a. M. Nachtrag. 2 Tafeln
Frankfurt, Naumann 1901.
Aulen.
•
Cttinet, Vital. Syrie, Liban et Palestine;
geographie administrative . . . Carte.
094 S. Paris, Leroux 1901. Fr. 20.—
Hosie, Alex. Manchuria; ita peoplc, re
sources and recent hist. Map, III
XII, 89SS. Lond, Methuen C. 1901.
10 s. 0 d.
Nieuwenhaifl, A. W. In Centraal Horneo ;
reis van Pontianak naar Sauiarinda . . .
2 v. 109 Taf. VIII, 308; VIII, 309 S.
Leiden, Brill 1900.
Afrika.
Hahn, Frdr. Afrika. 2. A., nach der von
Wilh. Sievers verf. 1. Aufl. umgearb. u.
erneuert. XII, 681 'S. <Allgem. Länder-
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422
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Inst. 1901. JL 17 —
Maurer, Hans. Metcorolog. Beobach-
tungen in Deutsch-Ost- Afrika. Li Auf-
zeichnungen der Kegiatrirapparate. 2 gra-
phische Taf. VI, 182 S. (Deutsche über-
seeische uieteorolog. Beub. X;. fu. Haui-
burg, FriedriehsenC. ('omni 1901. >V 10.
Moisel, Max. Wandkarte von Kamerun
1 : 1 000000. Farbdr. 4 Bl. zu 60,5 ^< 53 cm.
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Piolet, le R, P., et Ch. Noufflard Ma
dagascar, La Reunion, Mayotte, les
Couiores, Djibouti. Pref. p Chailley-
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& Challamel. [1901 \. Fr. 25 . —
Rouard de Card, E Lea tcrritoires
afric et les Convention»» franeo-angl
(.'arten. 242 S. (Biblioth. internat. et
diploniat 88) Paris, Pedone 1901. Fr. 8.50
Australien u. dl* aaatral. Inaeln.
Tappenbeck, Ernst. Deutsch-Neuguinea.
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des „Michael Sars" i. J 1900 — Stahl:
Beobachtungen in den Kirgisensteppen
Gerland: Die erste internationale Erd-
bebeukonferenz in Strafsburg. — Habe-
ii i cht: Neue Methode zur Veranschau-
lichuug der Kartenmafsstäbe.
])ass KrgiinzungsJtefl Nr. 135. Sa p an :
Bevölkerung der Erde, XI. Asien und
Australien.
(ilobus. Bd.LXXIX Nr. 19. v. Buch-
wald: Der Ursprung des Rundlings. —
Förstern an n: Der Merkur bei den Mayas.
— Brielmanti: Fischfang und Jagd der 1
Träger: Die geologische Erforschung der
Nordseewatten.
Das«. Nr. 20. Seidel: Pfandwesen
und Schuldhaft in Togo. — Singer:
Woeltfel's Keisen im Hintvrlande der Elfen-
beinküste. — v. Buch wald: Der Ursprung
des Rundlings.
])ass. Nr. 21. Zemmrieh: Die Zu-
stände au der Sprachgrenze in Nordost-
böhmen. — Wilser: Ein steinzeitliches
Dorf am Neckar. — - Moeser: Die Nil-
regulierung und der wirtschaftliche Auf-
schwung Ägyptens. — Thomas: Die
Schatfung eines internationalen anthropo-
ogisch - ethnologischen Katalogs.
Dam. Nr 22. Stenz: Die Handels
aussiebten Tsingtaus. — Singer: Die
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Zeitschriftenschau
423
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— Seidel: Kamerun im Jahre 11)00. —
Lieder im Ge- Dialekt. — Naniengebung
und Hochzeitsbräuche bei den Togonegern.
— P ö c h : Geschnitzte Figuren aus Deutsch-
Neuguinea.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. XXIII. Jhrg. 9. Heft.
Reichel t: Ladak oder West- Tibet.
Greger: Interkontinentale oder pan-aine-
rikanische Eisenbahn. — Umlauft: Die
projektierten WaRserstrafsen in Österreich-
Ungarn. — Hinter: Kreuz- und Quer-
zfige in Deutsch - Südwestufrika.
Meteorologie che Zeitschrift. 1901. 5. Heft.
Kremser: Neunte allgemeine Versamm-
lung der deutschen Meteorologischen Ge-
sellschaft in Stuttgart.-- Hann: Kinige
Ergebnisse der Temperaturbeobaehtungeu
auf dem Strafsburger Münsterturm. —
H ei n tz : t'ber Niederschlagsachwankungen
in den Flufsgebieten der Wolga, des Dnjepr
und des Don 1861— 1898. — Maurer:
Frank Very's Experimentaluntersuchung
über die atmosphärische Strahlung.
Zeitschrift für Schulgeographie. XXII.
Jhrg. 8. Heft. Benes: Japans geogra-
phische Lehrmittel. — Iniend örffer:
Unser geographisches Lehrbuch. — Zu
den Grundsätzen für Lehrbücher der Geo-
graphie— Schlottmann: Die erdkund-
lichen Leitfäden und die Atlanten an den
höheren Mädchenschulen Norddeutsch-
lands.
Mitteilungen des Vereins für Erdkunde
zu Leipzig. 1900. Wägler: Die geogra-
he Verbreitung der Vulkane. — A r 1 d t :
den Parallelismus der Küsten von
Südamerika.
Mitteilungen der K. K. Geographischen
Gesellschaft zu Wien. Bd. XLIV. Nr. 8 u. 4.
Anschütz - Kämpfe: Das europäische
Eismeer und ein neuer Expeditionsplan
nach dem Nordpole. — v. Lozinski: Die
ehemische Denudation — ein Chronometer
der geologischen Zeitrechnung.
Abhandlungen der K. K. Geographischen
Gesellschaft in Wien. 1901. Nr. 1 u 2.
Frhr. v. Hühl: Die topographische Auf-
nahme des Karlseisfeldes i. d. J. 1899 u.
1900. — Cvijic: Morphologische und
glaciale Studien aus Bosnien usw. II: Die
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424
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V«r»ut»vortli.ber Herausgeber: Prof. l>r A 1 f re d Hottner la Heidelberg. .
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Einige Bemerknngen über Wirtschaftsstatistik, Wirtschaftsgeographie
und kartographische Darstellung.
Von Dr. Hermann Losch in Stuttgart.
Auch solchen wissenschaftlich oder praktisch thütigen Personen, welche
der Geographie etwas ferner stehen, ist nicht verhorgen gehliehen, welch ge-
waltiger Fortschritt auf diesem Gehiete im letzten Menschenalter gemacht
worden ist. Sogar uoch den Jüngeren ist ja seinerzeit die Geographie zu-
meist als eine mosaikartige Aneinanderreihung von vielen, den verschiedensten
Gebieten ohne hinlängliche Einheit, ohne zielbewufsten Plan entnommenen
Notizen und Thatsachen entgegengetreten. Heute ist sie ein Lehrgebiet ge-
worden, welches von der Darlegung der geologischen Gestaltung der Erd-
rinde an bis zu der aufhellenden Erläuterung bestehender Staats- und Volks-
grenzen hinaus ein einheitliches Bild zu erzielen strebt und so die Allgemein-
bildung in einer Weise fordert, die vielfach in ihr soliden Tragfähigkeit und
Tragweite noch gar nicht richtig gewürdigt wird, namentlich nicht dem oft
sehr fragwürdigen schöngeistigen und geschichtlichen Wissensstoff gegenüber.
Werke wie „Die Landbauzonen der anfsertropischen Lander" von Th. K.
Engelbrecht oder „Politische Geographie" von Friedrich Ratzel u. s. w.
erschliefsen ganz neue Horizonte und fordern nicht nur das Spezialgebiet,
dem sie entspriefsen und in erster Linie dienen wollen, sie befruchten weit
darüber hinaus die Gedankenkreise.
Man würde jedoch Unrecht thun, wenn man das Verdienst, diesen Fortschritt
erzielt zu haben, lediglich der fach Wissenschaft liehen Geographie im weiteren
Sinne zugutschreibeu wollte, wennschon betont werden mufs, dafs ihr
mit der ordnenden Bewältigung ganz neuer Stoffmassen die Hauptaufgabe
zufiel und immer mehr zufällt. Man wird vielmehr sagen müssen, dafs, wie
das ganze Mediziualweseu, die Hygiene, die Physiologie, die Chemie, ja auch
scheinbar so entlegene Gebiete wie die Astronomie durch die zweckmäßige
Benützung des Mikroskops, durch Einblick in die Vorgänge kleinsten Grades
ungeahnte Bereicherungen und Vertiefungen erfahren haben, so auch das Ge-
biet der Geographie durch Zerlegung in kleinste Teile und Zusammensetzen
dieser kleinsten Teile in grofsartige Zusammenhänge eine starke Umgestaltung
erfahren hat. Wie der 1000U. Teil eines Millimeters nicht mehr durch
das unbewaffnete Auge des Einzelmenschen unterschieden, sondern nur noch
durch den „Bruch" 1 10000 mmi a'so durch das Hilfsmittel der Zahl veran-
schaulicht wird, so ist es auch die Zahl, die Zählung kleiner und klein-
Geograpbiwbe Zeitschrift 7. Jahrgang. 1901. M. Heft. 2'J
426
Hermann Losch:
ster Einheiten gewesen, auf deren Grundlage die „Könige" dieser neuen
Wissens- und Darstellungsgebiete die herrlichen Kunstbauten ihrer Werke
aufgebaut haben.
Bei dieser Betrachtungsweise beschleicht den bescheidenen Kleinarbeiter,
welcher in der Aufrollung statistischer Thatsachcn seinen Beruf findet, eine
gewisse Genugthuung. Er hat die Empfindung, dafs kartographische Dar-
stellungen wie z. B. „deutsche Inseln im Slovenischen" in dem soeben er-
wähnten Werke von Ratzel oder die genaue Begrenzung beispielsweise des
Diukel( Spelz jbaugebiets in Europa in dem Werke Engelbre cht's nicht
möglich wären ohne die Unterlagen, welche zumeist fast nur durch die amt-
liche Statistik beschaffbar sind und mehr oder minder wirklich beschafft
worden sind.
Damit sind wir auf den Punkt gekommen, von welchem hier kurz ge-
handelt werden soll: auf die enge Berührung zwischen dem Arbeitsfelde der
wissenschaftlichen und praktischen Statistik und demjenigen der wissen-
schaftlichen und praktischen Geographie.
Es liegt nahe, aus dem fast unübersehbaren Bereiche derjenigen Gegen-
stände, welche einer registrierenden Massenbeobachtung unterworfen werden
können, gerade die wirtschaftswissenschaftlichen hervorzuheben. Hierher ge-
hören vor allem die Nachweise über die Bodenbenützung und die sich an
diese anschließenden gewerblichen Verarbeitungen der Erzeugnisse der Boden-
ober- oder -unterflüchen.
Stellen wir uns einen Menschen vor, welcher in einer Höhe von etwa
1000 Metern über die Bodenfläche des Deutschen Reiches hinfliegt; natürlich
nicht im tiefen Winter, der allo unbewaldeten Flächen mit einer gleich-
mäfsigen weifsen Decke verhüllt, sondern zur Sommerszeit. Bim werden alle
Seen, alle Grofs-, Mittel-, Kleinstädte, Dörfer und Höfe, alle Eisenbahnlinien,
Strafsen und Wege, ja auch alle Felder und Wiesen in derjenigen Verfassung
und Abmessung erscheinen, in welcher sie sich thatsächlich befinden. Ge-
wisse Umrisse und Linien, welche ihm von den Kartenbildern der Gegenwart
her geläutig sind, wird er mehr oder minder deutlich erkennen, aber nicht
nur sie; innerhalb dieser Linien wird das Bild, das ihm erscheint, voll
Differenzierung und auch voll Farbe sein; mit einem Worte, er wird von der
Vogelschau aus das verjüngte Bild des wirklichen Seins erschauen, ähnlich,
wie dem Befahrer des Eiffelturms das verwickelte und unübersichtlich hin-
gestreckte Ausstellungsgelände der Weltausstellung von Paris im Jahre 1900
fast in der Art seines Taschenplancs vors Ango trat. Eines aber wird un-
serem Luftfahrer aus seiner Höhe herab nicht vors Auge treten: die Fülle
der verwickelten Bewegungen und Beziehungen desjenigen verhältnismäfsig
winzigen Lebewesens, das dieser Oberfläche ihr ganzes Aussehen gegeben
hat und immer noch weiter giebt, eben zu dieser Oberfläche: nämlich des
Kulturmenschen der Gegenwart. So wird also trotz der möglichst adäquaten
Anschauung des Thatsächlichen ein unaufgelöster Rest in dem Beschauer
zurückbleiben müssen. Dieses Anschauen mit dem leiblichen Auge ermöglicht
allein und für sich noch nicht das erkennende Durchdringen mit dem geistigen
Auge, mit dem Verstand.
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Wirtschaftsstatistik, WirtschaftBgeogr. u. kartogr. Darstellung. 427
Dieser Gesichtspunkt ist meines Erachtens von gröfstcr Bedeutung für
die Bestimmung der Grenzen, welche sogar den photographischen, vor
allem aber den kartographischen Darstellungen gezogen sind. Sie
werden nie im Stande sciii, das Bild des Wirklichen zu erschöpfen, auch
dann nicht, wenn sie bis zu der vollkommensten und nach allen Seiten hin
proportionalen Verjüngung des Tatsächlichen fortgeschritten sein werdeu.
Es wird dann zwar nichts Falsches mehr an jenen Reproduktionen sein,
alle Verzerrungen und rohen Linien werden sozusagen eingerenkt, sehr viele
schiefe Vorstellungen und Auffassungen werden vermieden sein, allein sach-
lich betrachtet wird der Darbietung doch kein in sich selbst abgeschlossener
Wert zukommen, weil alles fehlt, was nicht unmittelbar für das Auge in
die Erscheinung tritt und daher auch in dem Abbilde dieser Erscheinung
fehlen mufs.
Das Gesagte ist auch auf diejenigen Bemühungen anzuwenden, welche
in dem geschilderten Rahmen an sich einen bemerkenswerten Fortschritt be-
deuten, so z. B. auf den Gedanken des Herausgebers über bevölkerungs-
statistische Grundkarten, so gut und zweckmässig er innerhalb des Rahmens
gewisser Forschungszwecke zweifelsohne ist. Sehen wir uns die von Dr. C.
Uhlig entworfene, und zwischen den Seiten 192 und 193 des Jahrganges VI
der „Geographischen Zeitschrift" wiedergegebene „Bevölkerungsstatistische
Grundkarte" an, so wird gesagt werden müssen, dafs es aussichtslos wäre,
auch nur die wichtigeren z. B. gewerbestatistischen oder landwirtschaftlichen
Angaben in dieselbe einzutragen, da hierzu der Raum fehlt, ganz abgesehen
davon, dafs die Volksmengen sich derzeit mit solc h rasender Geschwindigkeit
verschieben, dafs beispielsweise die Vierecke für Mannheim-Ludwigshafen mit
jedem Jahre ganz erheblich anders aussehen müfsten.
Welchen Schwierigkeiten und Grenzen der Versuch kartographischer
Niederschläge begegnet, sehen wir recht anschaulich an einem der hervor-
ragendsten statistischen Grund- und Verarbeitungswerke der Gegenwart, an
denjenigen Bänden der Statistik des Deutschen Reiches, Neue Folge (111,
112, 119), welche die Ergebnisse der Berufs- und Betriebszählung vom 14.
Juni 1895 verwerten.
Dort finden wir (Band 111) gleich zu Beginn eine Karte des Deutschen
Reichs im Mafsstab 1:5000000, welche die Bevölkerungsdichtigkeit am
14. Juni 1895 nach den kleinen Verwaltungsbezirken (preufsischen Kreisen
und so weiter) darstellt. Die Grofsstädte sind mit dickeren, die Städte mit
20000 — 100000 E. mit dünneren Punkten bezeichnet ; dabei sind Grofsstädte
ohne Unterscheidung ihrer Gröfse und Volksdichtigkeit eingetragen und
Städte unter 100000 Einwohnern sind dem umliegenden Verwaltungsbezirke
zugerechnet; die Flächen sind in 7 Stufen mit grüner Farbe gegliedert.
Obschon man darüber streiten kann, ob die Mittelstädte doppelt erscheinen
dürfen, so macht die Karte doch einen befriedigenden Eindruck, weil
die Reichsiläche sehr grofs ist und die kleinen Verwaltungsbezirke ver-
hältnismäfsig kleine Einheiten sind. Etwas schwieriger lag die Sache bei
den 18 Kartogrammen am Schlufs desselben Bandes, welche im Mafsstab
von 1:3000000 die Bevölkerung nach dem verhältnismüfsigen Vorkommen
•»»*
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428
Hermann Losch:
der zu den einzelnen Hauptberufsabteilungen und -gruppen gehörigen Personen
der Reihe nach darstellen. Hier wurden bei Land- und Forstwirtschaft
Städte von unter 20000 Einwohnern dem umliegenden Verwaltungsbezirk
zugerechnet, alle gröfseren Städte weggelassen, während sonst die gröfseren
Städte besonders ausgehoben und dargestellt wurden. Noch schwieriger
wurde die Kombination bei Band 112, weither von den landwirtschaftlichen
Betrieben handelt. Hier wurde in einer Textkarte von 1:5000000 die
landwirtschaftliche Bevölkerung in der Art ins Verhältnis zu der land-
wirtschaftlichen Fläche gesetzt, dafs berechnet wurde, wie viele zur land-
wirtschaftlichen Bevölkerung gehörige Personen auf 100 ha landwirtschaftlich
benutzte Flächen kamen (7 Stufen); alle Grofsstädtc wurden unberücksichtigt
gelassen, Städte unter 100000 Einwohnern dem umliegenden Verwaltungs-
bezirke zugerechnet, Von den 7 Anhangskarten im Mafsstabe 1:3000000
bietet die erste die durchschnittliche GrÖfse eines landwirtschaftlichen Be-
triebes überhaupt nach kleinen Verwaltungsbezirken in 7 Abstufungen. Trotz-
dem dafs die Unterlage eine durchaus fiktive ist, macht diese Karte einen
sehr belehrenden Eindruck, weil sie den vorherrschenden Charakter zum
Ausdruck bringt; es folgt eine Karte, welche „die durchschnittliche Gröfse
der Betriebe von 1 ha und mehr landwirtschaftlich benutzter Fläche" (7
Stufen) bietet, weiter eine Darstellung des Prozentsatzes der gesamten land-
wirtschattlich benutzten Fläche, welche die Betriebe mit einer landwirt-
schaftlich benutzten Fläche von weniger als 2 ha einnehmen, d. h. eine
Karte der Verbreitung der Parzellen betriebe, desgleichen der kleineu
bäuerlichen Betriebe von 2— 5 ha, desgleichen der mittleren bäuerlichen Be-
triebe von 5 — 20 ha, desgleichen der gröfseren bäuerlichen Betriebe von
20—100 ha, und schliefslich der landwirtschaftlichen Grofsbe triebe mit 100
und mehr ha. Man wird dem Bearbeiter dieser Karten das Zeugnis nicht ver-
sagen können, dafs er innerhalb des Kahmens, der ihm gegeben war, seine
Aufgabe sehr geschickt gelöst hat, Von den 14 gröfseren Karten im Mafsstab
1:3000000, welche, dem Bande 110, der „Gewerbe und Handel im Deut-
schen Reich" schildert, beigegeben sind, befassen sich die ersten 13 der
Reihe nach damit, vorzuführen (7 Stufen), wie viele Personen auf je 10000
Einwohner überhaupt im Jahre 1895 im Jahresdurchschnitt thätig gewesen
sind in Steinbruchbetrieben, in den Betrieben der Glasindustrie, Maschinen-
industrie, chemischen Grofsindustrie, Spinnerei, Weberei, Strickerei und Wirkerei
und Posamenten, Bleicherei-Färberei, Papierfabrikation, Lederfabrikation , ira
Bäcker- und Konditorgewerbe, in Mälzerei und Brauerei, in der Tabakfabrikation;
die letzte, 14. Karte stellt die gewerbthätigen Personen der industriellen
Grofsbetriebe (mit mehr als 100 Personen) nach dem Prozentsatze (in
7 Stufen) dar, den diese Personen von den in der Industrie überhaupt ( aus-
schließlich Bergbau- und Hüttenwesen) beschäftigten Personen einnehmen.
Vergegenwärtigt man sich den Inhalt der einzelnen — musterhaft aus-
geführten — Karten, so wird man sagen müssen, dafs sie zur Erleichterung
und Unterstützung des geistigen Eindringens, in den reichen Thatbestand der
Zahlenmengen insofern wesentlich beitragen, als sie dem Auge mit einem
coup d'oeil das vorführen, was dasselbe Auge soust nur durch langsame
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WirtschaftBstatistik, Wirtschaftsgeogr. u. kartogr. OarHtellung. 429
Tabollcnlektüre und durch einen etwas umständlichen Abstraktionsvorgang
und Vergleichsakt dem Leser vorführen könnte. Sie breiten eine einzige
Thatsache anschaulich und übersichtlich auf eine Fläche aus und eröffnen
uns den Grad ihres Vorkommens. Nachdem sie auf diese Weise zum Auf-
fassungsprozefs sozusagen angereizt und diesen selbst verkürzt haben, ist
ihre Bestimmung erfüllt; wir schreiten weiter, um immer aufs neue mit der-
selben Schnelligkeit unsere Einzelvergleichung zu vollziehen. Schließlich
werden wir trotz der weisen und reichen Abwechslung in den Farben etwas
abgestumpft; die Vergleichung halt nur von Bild zu Bild vor, die Bilder
immer wieder derselben Umrisse fliefsen in einander über, und wir verlieren
die Einheit. Disjectn membra füllen unser Hirn, das einigende Band ist
verloren, das Wirkliche ist zerstückt, in seine Bestandteile aufgelöst; diese
sind in Fesseln geschlagen, unbeweglich starren sie uns an und harren des-
jenigen, der sie wieder zum organischen Leben zurück einreiht und so ent-
zaubert.
Diese kritische Betrachtung soll, um das zur Vermeidung von Miß-
verständnissen sogleich zu betonen, dem relativen Wert, ja der Unvermeid-
lichkeit solcher anreizenden und reizenden Kartogramme keinerlei Abbruch
thun, sie soll nur hervorheben, dafs dem kombinierenden Verstände ungleich
weitere Anschauungskraft beiwohnt, als dem anschauenden Auge je wird
unterbreitet werden können. Wie sehr dieser kartographische Anschauungs-
unterricht, durch Verwandlung von Tabellen in Karten niederschlage unterstützt,
in neuerer Zeit bei der hohen Entwicklung der graphischeu Künste das Ver-
ständnis und das Interesse auch des Laienpublikums für geographische und
statistische Forschungen gefördert hat, beweisen sehr viele Thatsachen; so
vor allem die neuerdings von allen gröfseren Zeitungen gegebenen Wetter-
karten, Kartogramme über Volkszahlen u. s. f., welche in Form von zahlreich
reproduzierten Cliches nicht nur Zeitschriften, sondern immer mehr auch
gröfsere Lokalzeitungen abwechslungsreicher machen. Der Verfasser dieser
Zeilen hat sich bei seinem Besuche der Pariser Weltausstellung im August
1900 bemüht, dieser Seite der fast unendlichen Fülle ausgestellter Gegen-
stände einige Aufmerksamkeit zuzuwenden; er ist jedoch leider zu einem sehr
unbefriedigenden Ergebnis gekommen, denn die an Planlosigkeit streifende
Aufnahme von graphischen Darstellungen aller Arten hat zur Folge gehabt,
dafs recht unwichtige Dinge manchmal in anspruchsvollen, mehrere qm
füllenden Kartenbildem dem Beschauer sich förmlich aufdrängten, während
öfter sehr wichtige derartige Darstellungen nicht nur in bescheidenem Format
auftraten, sondern noch dazu so gehängt waren, dafs die Luchsaugen eines
Indianers dazu gehört haben, sie zu entziffern. Zu den besten derartigen
Darbietungen — allerdings zumeist nicht speziell kartographischer, sondern
graphischer bezw. kubischer Art — gehörten, was hier beiläufig bemerkt sein
mag, die vom Keichsversicherungsamte, Reichsgesundheitsamte und Kaiser-
lichen Statistischen Amte des Deutschen Reiches vorgeführten Durstellungen.
Verweilen wir nunmehr gerade bei den oben erwähnten kartographischen
Darbietungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes über die Verbreitung und
Entfaltung des gewerblichen Lebens im Deutschen Reiche, um an diesem
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480
Hermann Losch:
verhältnismäfsig schwierigen Gebiete kurz und andeutungsweise zu veran-
schaulichen, was in Frage steht.
Ein Kartenbild in dem erwähnten Bande 119 der Statistik des Deut-
schen Reichs Neue Folge zeigt uns beispielsweise, wie viele Bäckerei- und
Konditoreipersonen auf je 10 000 Einwohner überhaupt im Deutschen Reiche
durch alle kleineren Verwaltungsbezirke hindurch vorkommen. Gut; das ist
ein Bild; wir müssen dankbar sein, dafs wir es erhalten, und sind es
auch. Aber wir legen Wert darauf, zu wissen, ob die Bäcker und Konditoren
auf dem Lande draufsen seltener vorkommen als in den Klein-, Mittel-
und Grofsstädten , und wir möchten ferner wissen, ob die Fleischer eine
ähnliche, wenn auch verhältnismäfsig weniger dichte Verbreitung haben oder
*
nicht. Da die Städte nur teilweise ausgenommen sind, und da die Fleischer
wegen ihrer verhältnismäßig kleineren absoluten Zahl keine Aufnahme in
die kartographischen Darstellungen finden konnten, so lassen uns die Karten
darüber im Stich. Wie Bäcker und Fleischer, so sind naturgemäfs auch
noch viele andere Gewerbe recht ungleichmäfsig verbreitet. Sehr viele Ge-
werbe und Berufe können überhaupt erst dann sich als solche entwickeln,
wenn die Menschenanhäufungen eine gewisse Ziffer erreicht haben und zwar
in städtischer Form. Man braucht dabei noch nicht einmal nur an Theater
und Zirkus, au Plakatinstitute, Droschkenkutschereien und Strafscnbahnen etc.
zu denken. Wer also hier weiter dringen will, mufs sein Auge von
dem Kartenwerke ab- und den Tabellen zuwenden. Die Statistiker haben
hier den Kreis ihrer Darstellungen in der That viel weiter gezogen, indem
sie nicht nur die Grofsstädte — im Jahre 1895 waren es deren 28, vgl.
Statistik des Deutschen Reiches, Neue Folge Band 116 — einzeln für sich
herausgestellt, sondern auch die Gemeinden in 5 Ortsgröfsenklassen (bis 2000
Einwohner, 2000 bis 5000, 5000 bis 20 000, 20 000 bis 100 000, 100 000
und mehr) eingeteilt haben, wenigstens für die Berufsverhältnisse der Per-
sonen (Band 110). Dadurch ist ein Material gegeben, welches einer karto-
graphischen Darstellung gegenüber sich zunächst spröde verhält, welches
jedoch zu geographischer Forschung dringend einlädt.
Aus solchen Erwägungen heraus ist festzustellen, dafs demjenigen,
welcher wirtschaftswissenschaftlich halbwegs gründliche Einblicke
gewinnen will, weder die letzte Summe für die Betriebe, die Fläche, die Per-
sonen, noch eine einzelne Verhältnisberechnung, welche kartographisch niederge-
schlagen ist, genügen können. Was ihm vonnöten ist, das ist die möglichste
Durchsichtigkeit der Teile, und zwar sachlich wie geographisch. In dieser
Hinsicht ist die in erster Linie auf frühere Zeiten sich erstreckende Klage
Georg von Mayr's über die Tabellenfurcht der Statistiker berechtigt,
denn der Kernpunkt bei jeder Darstellung nach statistischen Gesichtspunkten
ist der Grad der sachlichen und der geographischen Ausgliede-
rung. Dabei ist aber wohl zu beachten, dafs sehr viele Gegenstände dieser
Ausgliederung teils gar nicht bedürfen, teils ihrer gar nicht wert sind. Inso- •
fern also ist die Handhabung des Durchleuchtungswerkzeugs an gewisse
Voraussetzungen geknüpft, welche durch den Ideen- und Interessenkreis des
Handhabenden bestimmt werden. Man braucht nur statistische Quellenwerke
Wirtschaftsstatistik, Wirtschaftsgeogr. u. kartogr. Darstellung. 431
exotischer oder halbkultivierter Staaten durchzublättern, um zu erkennen,
dafs minutiöse und kompendiöse Durchschnitts- und Prozentberechnungen
dem Fluche der Lächerlichkeit und gleichzeitigen Unfruchtbarkeit verfallen
müssen, wenn die Unterlagen von Hause aus nachgewiosenermafsen einen
gewissen Grad von Unvollständigkeit oder Unzuverlässigkeit erreichen oder gar
überschreiten. Auf Beispiele kann in diesem Zusammenhang verzichtet werden.
In welcher Weise sollen nun aber die Wirtschaftsstatistik und die
Wirtschaftsgeographie Hand in Hand arbeiten? Man wird hierauf zunächst
die Antwort zu geben haben, dafs die Wirtschaftsstatistik niemals nur un-
teilbare Durchschnittsziffern bieten darf, wo die Wirtschaftsgeographie noch
weitere Zerlegung nach Teilen unbedingt nötig hat, und umgekehrt, dafs
die Wirtschaftsgeographie nie soweit zur Alleinherrschaft ihrer Interessen
hintreiben darf, dafs überall nur Teile sachlicher Einteilungen und Gliede-
rungen erscheinen, während die organische Zusammenfassung der Kleinwelten
vernachlässigt oder ganz unterlassen wird. So abgegriffen die Begriffe Ma-
krokosmos und Mikrokosmos erscheinen mögen, hier möchte ich sie allen
Ernstes als zwei berechtigt« Pole einander gegenüberstellen, denn es ist an
sich nicht minder wahr, dafs in kleinem Zusammenhange sich grofse Wir-
kungen zusammenfinden und zusammenspielen, wie. es wahr ist, dafs man,
vom ewigen Eise des Nordens kommend, durch alle Zonen hindurch nicht
etwa bis zur heifsen nur durchdringt, sondern am südlichen Punkte wieder
beim — Eise anlangt; die Betrachtung eines Gegenstandes durch grofse
Räume hindurch ersetzt nie die Betrachtung vieler Gegenstände in kleinem,
abgemessenem Räume!
Von diesen Gesichtspunkten aus darf in diesem Zusammenhang darge-
legt werden, in welcher Weise seitens des Bundesstaats und Reichsteils
Württemberg gelegentlich der Bearbeitung und Veröffentlichung der Er-
gebnisse der grofsen wirtschaftlichen Untersuchung der Berufs- und Betriebs-
Zählung der Versuch gemacht worden ist, den Interessen der sachlichen wie
der geographischen Ausgliederung gleichzeitig zu dienen. Der reiche Stoff
der Berufstabellen, der Tabellen der landwirtschaftlichen und der gewerb-
lichen Betriebsstatistik wurde in einem besonderen Bande ( Ergänzungsband I
zu den Württembergischen Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde) im
ganzen analog der Behandlung, welche die Reichszahlen erfahren hatten,
veröffentlicht und auch textlich besprochen. Hier war es aber nicht mög-
lich, die Schwierigkeiten allseitig zu umschiffen, welche daraus entstehen,
dafs schon das grofse Reichswerk sich nicht nur auf die Bundesstaaten,
sondern bis auf die einzelnen Grofsstüdte, ja auch kleinere Verwaltungs-
bezirke erstreckt. Es mufste also sehr viel, was schon im Roichswerk in
gröfserem Zusammenhange versteckt vorliegt, nochmals godruckt und geboten
werden; manches kam neu dazu, Einzelnes mufste zurückgestellt werden, da
den Bundesstaaten seitens des Reiches keinerlei Mittel für Veröffentlichungs-
zwecke zur Verfügung standen. Dies war denn auch die Ursache davon,
dafs die Veröffentlichungen aus den Ergebnissen dieses grofsen Zählwerks
seitens der Bundesstaaten sehr ungleichartig sind und nach den verschie-
densten theoretischen wie praktischen Erwägungen erfolgten. Das lag und
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432
Hermann Losch:
liegt in der Natur der Sache, in der eigentümlichen Mischung von gröfseren,
mittleren und kleineren Hundesstaaten, deren sich das Deutsche Reich erfreut.
Ohne damit irgend einen Vorwurf nach irgend einer Seite hin aussprechen
zu wollen, wird gesagt werden dürfen, dafs die Durcharbeitung der Ta-
bellen seitens des Kaiserlichen Statistischen Amtes für den Zweck der Ver-
öffentlichung so vortrefflich war, dafs einer besonderen Darstellung für ein-
zelne Hundesstaaten bezüglich der Auswahl des zu Bietenden allerlei Be-
denken schon von vornherein begegneten. Es darf jedoch gerade in diesem
Zusammenhange die Bemerkung nicht unterdrückt werden, dafs die grund-
sätzliche Erörterung über das Mafs von Ausgliedemng und Bearbeitung nach
geographischen Gesichtspunkten nunmehr zu einer Aufgabe der sta-
tistischen Zentralstellen innerhalb des Deutschen Reiches herangereift ist, und
zwar zu einer Aufgabe, welche durch die Reichsstatistik nur in Verbindung
mit der bundesstaatlichen und der städtischen Statistik einer gedeihlichen
Lösung entgegengeführt werden kann; denn die praktische Bedeutung der
Statistik kann nur hohen Gewinn daraus ziehen, dafs durch eine zielbewufste
konzentrische Zusammenarbeit den immer zahlreicher werdenden „Konsumen-
ten" ihrer Darbietungen das Fortschreiten vom Gesamtbilde zu den Einzel-
bildern so viel als möglich erleichtert wird. Dazu werden den deutschen
Statistikern die internationalen Kongresse in absehbarer Zeit vermutlich
weniger verhelfen als die nationalen, denn die Stärke der deutschen Statistik
beruht eben darin, dafs sie nicht etwa nur aus einem ad hoc aus dem
Boden gestampften Zentralamte besteht, welches seinen Ehrgeiz in die fabrik-
mäfsige Herstellung von maschinenmäfsig kalkulierten Tabellen setzt, sondern
aus einer Reihe geschichtlich gegebener, landeskundlich vorgeschulter Stellen,
welche eben in sich schon den Vorzug und das Bestreben haben, dem lokalen
Gesamtbilde gegenüber der lokalen Teilmasse von statistischen Angaben seine
Berechtigung zu sichern.
So zeigte sich z. B. in Württemberg gerade bei dem in Rede stehenden
Zählwerke schon im Laufe der Bearbeitung das Bedürfnis, bis zu den ein-
zelnen Gemeinden hinaus vorzudringen; dies schien schon deshalb erforder-
lich, weil diesen als selbständigen Verwaltungskörpern eine mindestens ebenso
grofse Bedeutung zukommt, wie den sogenannten „kleineren Verwaltungs-
bezirken" (den württembergischeu „Oberamtsbezirken"). Es trat demnach
das Bedürfnis hervor, auch für sie eine übersichtliche Darstellung der wich-
tigsten Ziffern zu geben, und dabei schien es angezeigt, nicht nur an den
durch jene grofse Zählungen des Sommers 1895 festgestellten Merkmalen
haften zu bleiben, sondern den Kreis der wichtigen Thatsachen noch zu
erweitern und zwar soweit, dafs die Gesamtheit der vorgeführten Merkmale
einen möglichst zutreffenden Einblick vor allem in den wirtschaftlichen Ge-
samtcharakter der Gemeinde biete. Auf diese Weise ist für Württemberg
ein Ergänzungsband II zu den Württembergischen Jahrbüchern entstanden,
welcher den Titel „Grundlagen einer württembergischen Gemeinde-
statistik" erhielt, und welchem eine Markungskarte des Königreichs im
Mafsstab von 1: 350 000 beigegeben wurde, welche nicht nur die Grenzen
der kleineren Verwaltungsbezirke und das Flufsnetz, sondern auch die Gren-
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Wirtachaftsstatietik, Wirtschaf tsgeogr. u. kartogr. Darstellung. 433
zen der 1911 Gemeinden unter begrenzter typographischer Verschiedenheit ^
enthalt. Die 70 Spalten aber geben für jede der 1911 Gemeinden in der
Reihenfolge des Hof- und Staatshandbuchs folgende Thatsachen:
1. Name und Art der Gemeinde. 2. Einwohner am 2. Dezbr. 1896.
3. Darunter weibliche. 4. Haushaltungen. 5. Einwohner am 1. Dezember 1871.
6. Einwohner am 15. Dezember 1834. 7. 8. Ortsgebürtige männliche und weibliche
Personen am 2. Dezbr. 1895. 9. Unter 14 Jahre alte Personen am 2. Dezember
1895. 10., 11. und 12.: Evangelische, Katholiken, andere Religionsbekenner am
2. Dezember 1895. 13. bis 26. : Berufsbevölkerung am 14. Juni 1895 und zwar je
„Selbständige Erwerbstätige", „Unselbständige Erwerbstätige" und Gesamtbevöl-
kerung nach den Berufsabteilungen: A. Landwirtschaft, B. Industrie, C. Handel,
Verkehr und Gastwirtschaften, D. wechselnde Lohnarbeit, E. Armee, Hof-, Staat«-,
Gemeindedienst, freie Berufe und F. Beruf lose. 27. Höhenlage, geognostische
Gruppe. 28. Markungsfläche. 29. Staatswald. 30. Körperschaftawald. 31. Privat-
wald. 32. Landwirtschaftlich benützte Fläche. 33. bis 50. Zahl und Flache der
landwirtschaftlichen Betriebe am 14. Juni 1895 nach 8 Größenklassen. 51. Pferde
am 1. Dezember 1895 desgl. 52. Rindvieh überhaupt. 53. Rindvieh über zwei
Jahre alt. 54. Schafe. 55. Schweine. 5G. Ziegen. 57. Geflügel. 58. Hühner.
59. Gewerbliche Alleinbetriebe ohne Motoren. 60. 61. ZaM und beschäftigte Personen
der sonstigen Gewerbebetriebe. 62. 63. Haupt- und Nebengebäude am 1. Januar
1897. 64. BrandversicherungBanschlag. 65. 66. Ortsüblicher Tagelohn der über
16 Jahre alten männlichen und weiblichen Arbeitskräfte am 1. Januar 1898.
67. Staatssteuer. 68. Amtsschaden. 69. Gemeindeschaden.
Der Fachmann wird unschwer erkennen, dafs in der Reihe dieser An-
gaben manche Einzelheiten fehlen, welche ebenfalls noch von Belang wären.
Dessen war man sich auch vollständig bewufst und eben deshalb sind es
auch nur „Grundlagen".
Aber damit war der Bereich dessen, was an praktisch wichtigen Einzel-
ergebnissen geboten werden konnte, noch nicht erschöpft. Aus den Spalten
16 bis 18 und 59 bis 61 der „Gemeindestatistik14 kann man zwar ohne
weiteres ersehen, ob in einer Gemeinde das gewerbliche Leben eine gewisse
Entfaltung erreicht hat oder nicht, allein die nähere Natur dieser Entfaltung
bleibt unaufgerollt. Hier setzt noch ein dritter Ergänzungsband (ÜI) ein,
welcher die Sitze der Gewerbebetriebe am 14. Juni 1895 nach den 1911 Ge-
meinden in zweifacher Gliederung aufzeigt. Dieser Band, welcher „die
Standorte der Gewerbe Württembergs nach Gemeinden am 14. Juni 1895"
bietet und den Untertitel „Gewerbetopographie44 führt, giebt zunächst
ein alphabetisches und systematisches Verzeichnis der Gewerbearten, sodann
giebt er in seinem umfangreichsten Teile die Darstellung dieser Gewerbe-
arten nach ihrer geographischen Verbreitung in den einzelnen Genminden,
schliefslich folgt ein alphabetisches Gemeinderegister, in dem bei jeder Ge-
meinde diejenigen Seitenzahlen aufgeführt sind, auf welchen ein Gewerbe
vorkommt, das im geographischen Teile erscheint. Die sachliche Ausgliederung
giebt für jede Gemeinde die Zahl der Alleinbetriebe und zwar sowohl der
Haupt- als der Nebenbetriebe, ferner die Gehilfenbetriebe, ebenfalls nach
Haupt- und Nebenbetrieben geschieden, und schliefslich die Gesamtzahl der
in den Hauptbetrieben beschäftigten Personen, also alle hauptberuflich dem
hetrpffenden Gewerbe angehörigen Personen in einer Summe. Der ganze
Band umfaßt 405 Seiten.
•
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434 H. Losch: Wirtschaftsstat, Wirtschaftstfcogr. u. kartofjr. Darst.
Damit ist wiederum typisch die Doppelnatur der praktischen Bedürfnisse
wie der wissenschaftlichen Zusammenfassung aufgezeigt. Man will wissen,
wie sich dieses oder jenes Gewerhe auf die einzelnen Menschenanhäufungen
verteilt, und man will wissen, welche verschiedenen Gewerbe in diesen ver-
schiedenen Menschenanhäufungen neben einander vorkommen. Das Geo-
graphische ist beidemal von Interesse; aber in der ersten Betrachtung wird
eine besondere Erscheinung über die ganze Flache hin verfolgt, in der zweiten
wird eine besondere Flache auf alle ihre (gewerblichen) Erscheinungen hin
verfolgt.
Das näher Liegende ist das letztere. Ein kleiner Umkreis verschiedener
Dinge auf engem Raum lilfst sich leichter beherrschen als ein einziger
Gegenstand auf weitem Raum. Die Gewerbe an einem Orte alle zusammen
lassen sich leichter kennen lernen als ein einziges Gewerbe im ganzen Lande.
Wie die Stadtwirtschaft der Volkswirtschaft geschichtlich vorangeht, so
schreitet die Bezirksbeschreibung der Landesbeschreibung voran, und dieser
erst kann die planmäfsige Sachbeschreibung mit der Fülle der geographischen
Einzelheiten folgen.
Für den Ergänzungsband III, welcher die „Gewerbetopographie1' in dem
oben kurz dargelegten Umfang enthält, hat sich denn auch sofort noch
während seines Entstehens seitens der Verwaltungsbehörden ein lebhaftes
Interesse gezeigt, welches auch bezüglich des zweiten Ergänzungsbands zu
beobachten war; beide ergänzen und beleben sich ja gegenseitig in mancher
Hinsicht. Insbesondere für die gegenwärtig im Flufs befindlichen Fragen
über Organisation und Unterstützung des Handwerks giebt eine Gewerbe-
topographie, die sich auf alle Gemeinden erstreckt, uaturgemäfs erschöpfendere
Auskunft als Enqueten, welchen doch immer oder wenigstens fast immer
etwas Zufälliges und Unvollkommenes anhaftet,
Es wird nunmehr die Aufgabe der Fachmänner in den einschlägigen
Gebieten sein, diese Darbietungen nach ihrer wissenschaftlichen, wie nach ihrer
praktischen Brauchbarkeit hin zu prüfen. Freilich wird das Interesse bei der
verhältnismäfsigen Kleinheit eines Bundesstaates von wenig über zwei Millionen
Einwohnern speziell für den wissenschaftlichen Geographen zunächst ein
beschränktes sein, zumal wenn man den ungeheuren Wissensstoff bedenkt,
welcher ihm beinahe von Tag zu Tag zuströmt. Aber wie sich im Detail-
bilde sehr oft grofse und allgemeine Fragen kristallisieren, so darf vielleicht
auch gehofft werden, dafs die Wissenschaft an diesen gewifs nicht voll-
kommenen Versuchen manches findet, was der Theorie oder den Theorien
Anlafs zur Weiterbildung oder zur Weiterverfolgung zu bieten vermag, wie
denn auch im vorliegenden Zusammenhang die erwähnten Veröffentlichungen
nicht wegen ihres materiellen Inhalts, sondern wegen der Art ihrer Anlage
und ihres allgemeinen Zwecks vorgeführt worden sind.
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Rob. Gradmann: Das mitteleuropäische Landschaftsbild etc. 435
%
Das mitteleuropäische. Landschaftsbild nach seiner geschichtlichen
Entwicklung.
Von Ür. Rob. Gradmann in Forchtenberg (Württemberg).
(Schlafs.)
IV.
Wie sich auf der gewonnenen Grundlage die Entwicklungsgeschichte
der mitteleuropäischen Landschaft etwa aufbauen wird, soll die folgende,
mehr nur andeutende als ausführende Ubersicht zeigen. Wir unterscheiden:
1. Die vorrömische Zeit. Sie ist bezeichnet durch das Fehlen jeder
Rodung im gröfseren Stil. Das erste nachweisbare Auftreten des Menschen
fällt noch in eine Interglazialzeit, und insofern könnte man die Umwälzungen,
welche die letzte grofse Vergletscherung mit sich gebracht hat, noch in den
geschichtlichen Zeitraum, wenn man den Rahmen recht weit fassen will, ein-
• beziehen. Es wird sich jedoch mehr empfehlen, diese Dinge der Geologie
zu überlassen und erst mit dem Zeitpunkt einzusetzen, wo der Mensch be-
gonnen hat, seinen Einflufs auf die Landschaft geltend zu machen. Dieser
Zeitpunkt läfst sich freilich zunächst nur soweit bestimmen, dafs wir sagen
können: er fällt noch in die Steinzeit, und die Wirkungen des Steppen-
klimas können damals noch nicht ganz verklungen sein. Der paläo-
lithische Mensch hat sicher noch in einer mitteleuropäischen Steppenlandschaft
gelebt; das beweisen neben anderen die Funde vom Schweizersbild1) aufs
unwiderleglichste. Ob er aber schon Herden besafs und zahlreich genug
war, um die alten Steppenflächen einer wieder eindringenden Waldvegetation
gegenüber zu behaupten und als Kulturflächen bereits der neolithischen Zeit
zu hinterlassen, ist mindestens zweifelhaft. Auch sind die Anzeichen einer
zeitlichen Kluft zwischen paliiolithischer und neolithischer Kultur zwar neuer-
dings angezweifelt, aber doch nicht ganz beseitigt. Wir müssen daher vor-
läufig trotz der Thatsache, dafs in neolithischen Schichten bisher nur Über-
reste von Waldtieren, nicht von Steppentieren aufgefunden wurden, eher zu
der Annahme neigen, dafs auch der neolithische Mensch noch vor der vollen
Herrschaft des gegenwärtigen Waldklinias, also gleichsam noch gerade vor
Thorschlufs seinen Einzug in Mitteleuropa gehalten und daselbst weite Strecken
noch in natürlich waldfreiem oder doch waldarmem Zustande vorgefunden hat.
Wie sich das nun auch herausstellen mag, jedenfalls sind die von der Natur
gezogenen Grundlinien für die spätere Bcsiedlungs- und damit auch die Land-
schaftsgeschichte auf Jahrtausende hinaus mafsgebend geblieben.
Man hat früher gemeint, die ersten Ansiedler haben sich in der Wahl
ihrer Wohnplätze durch die gröfsere oder geringere Fruchtbarkeit bestimmen
lassen, und aus diesem Grund seien auch von späteren Kulturen immer
wieder die alten Bezirke aufgesucht worden. Wie wenig sich diese Vor-
1) Jakob Nuesch, Des Schweizersbild (Neue DenkBchr. allg. Schweiz. Ges. f.
d. ges. Naturwissensch. Bd. 35. 1896) beB. S. 249 ff.
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436
Hob. Gradmann:
Stellung mit den wenig entwickelten Kulturzuständcn einer so weit zurück-
liegenden Zeit verträgt, hat Penck bereits gezeigt1); sie deckt sich aber auch
gar nicht mit den Thatsachen. Der Löfs, dieser alte Steppenboden, zeichnet
sich allerdings durch besondere Fruchtbarkeit aus, und dieser Umstand hat
wohl am meisten irregeführt und den wirklichen Thatbestand verdunkelt.
Aber durchaus nicht alle alten Kulturbezirke sind fruchtbar; das schlagendste
Beispiel liefert die Schwäbische Alb. Dire steinige, wasserarme Hochfläche
scheint durchaus nicht besonders zur Besiedlung einzuladen; thatsächlich ist
sie auch heute nur sehr dünn bevölkert. Trotzdem gehört sie zu den aller-
Ultesteu Teilen der mitteleuropäischen Kulturlandschaft; sie war schon seit
ungezählten Jahrhunderten bewohnt, als noch z. B. das Neckarthal oberhalb
Heidelberg, das Itemsthal, die milden Thäler des Schwarzwalds oder die
Umgebung des Vierwaldstättersees menschenleere Wildnisse darstellten; aber
sie war waldfrei, und darum wurde sie schon in den frühesten Zeiten auf-
gesucht.
Das Vorurteil, welches mit dem Worte Steppe ohne weiteres die Vor-
stellung einer öden, unwirtlichen Landschaft verbindet, ist ja längst wider-
legt2). Diese Vorstellung trifft auf die Steppen Innerasiens da, wo sie in
Wüste übergehen, allerdings zu, nicht aber auf den Grenzgürtel zwischen Steppe
und Waldland, die sogenannte Waldsteppe, nach deren Analogie man sich
die mitteleuropäische Landschaft zur Zeit der ersten menschlichen Besiedlung
zu denken hat : steppenartiges Grasland mit Wäldern abwechselnd und durch
mancherlei Übergänge verbunden. Hier ist zumal für niedere Kulturstufen
der allerwohnlichste Aufcuthalt, Raum für freie Bewegung, üppige Weide,
reicher Wildstand, viel reicher als in der Tiefe des Urwalds. Gerade der-
artige Landschaften haben sich überall in der alten wie in der neuen Welt
am frühesten und dichtesten besiedelt3). Ja man wird Nehring darin ohne
weiteres beistiuunen müssen, dafs in einer steppenartigen Landschaft die
Wiege der Menschheit gestanden haben muls. Hierhin und nicht in den
Urwald weist ihn seine ganze Organisation; der Steppe entstammen unsere
sämtlichen Getreidearten, wie auch einige unsrer wichtigsten Haustiere, jeden-
falls das Pferd und das Schaf, vielleicht auch das Rind.
Den ihm so sehr zusagenden Landschaftscharakter wufste nun der mittel-
europäische Mensch auch unter einem allmählich feuchter werdende:: Klima
zu erhalten, jedenfalls ohne viel Kunst und sicher ohne Bewußtsein dessen,
was er damit vollbrachte. Seine Herden sorgten schon von selbst dafür,
dafs auf den Weideplätzen kein Waldwuchs aufkam; dann und wann mag
auch die Axt nachgeholfen haben, um etwaigen Waldanflug wieder zu besei-
tigen; er diente ja zugleich zur Feuerung. Die alte Ursteppe wurde so
ganz unmerklich zur Kultursteppe, wie Middendorff das europäische Kultur-
land wegen seiner grofsen landschaftlichen und auch fnuiistischen Ähnlichkeit
mit den Steppen Sibiriens genannt hat*).
1 Vgl. oben S. 371. S\ Bes. von Nebring - Über Tundren u. Steppen 1890).
3) Ratzel, Antbropogeotfraphie IHH'> S. 388.
4) Reise in den äußersten Norden und Osten Sibiriens IV S. 731.
Das mitteleurop. Landschaftsbild nach seiner gcsehichtl. Entwickl. 437
Übrigens waren die alten Steppen nicht der einzige Landschaftstypus,
der sich in neolithischer Zeit bevölkerte; im Westen und Norden entlang der
Küste mufs es ebenfalls waldfreies Land gegeben haben, das als Stützpunkt
für die Kultur diente. Das beweisen die Kjökkenmöddinger und die noch
verbreiteteren Dolmen, dies sich in West- und Nordfrankreich, in Irland,
Westengland, in Dänemark wie auch an der deutschen Nord- und Ostseeküste
bis zur Oder hin so zahlreich finden. Steppen sind hier im Geestland so
nahe dem Strande niemals gewesen, wohl aber ein anderer waldloser Land-
schaftstypus, Heide und Moor. In der That unterscheidet sich diese Kultur
in manchen Stücken von der binnenländischen und ist offenbar ganz unab-
hängig von dieser letzteren vom Meere her eingedrungen.
Rocht bezeichnend ist auch die Thatsache, dafs in den Alpenländern
die hochgelegenen Weiden noch vor den mittleren, mit Urwald bedeckten
Berggeländen bewirtschaftet wurden1). Jedes freie Gelände, mochte es
trockenes Grasland oder öde Heide sein, mochte es an das stürmische Meer
oder an deu ewigen Schnee grenzen, war in alter Zeit höher begehrt als der
kulturfeindliche Wald1).
2. Die römische Periode. Die Zeit Cäsar's macht jedenfalls insofern
einen Einschnitt, als wir von jetzt an genauere Nachrichten über Germanien
erhalten. Dafs ein Teil der germanischen Völkerschaften bisher einer halb-
nomadischen Lebensweise gehuldigt hatte, wie aus den Schilderungen Cäsar's
und Strabo's3) immerhin hervorzugehen scheint, und erst jetzt unter dem
Drang der Übervölkerung zur Sefshaftigkeit überging4), ist nicht unmöglich.
Im übrigen bestand ein ziemlich entwickelter und demnach auch schon sehr
alter Ackerbau bei den Germanen, wie bereits ausgeführt wurde; die Vieh-
zucht nahm aber, was die römischen Schriftsteller nachdrücklich hervorheben,
neben dem Körnerbau einen verhältnismäfsig breiten Raum ein. Wiesen gab
es nicht 6). Wir werden uns grofse Allmenden als Dauerweide eingerichtet zu
denken haben, umgeben von lichten Eichenwäldern, die gleichfalls dem
Viehtrieb, aber noch mehr der Schweinemast dienten; das Ackerfeld nach
Art der wilden Feldgraswirtschaft, wie sie jetzt noch da und dort besteht,
zum gröfseren Teil dreesch, d. h. als Weideland daliegend, um nur in grofsen
Zwischenräumen zur Saat auf ein bis zwei Jahre umgebrochen zu werden
und dann aufs neue liegen zu bleiben.
Die immer wieder sich einstellende Übervölkerung suchte sich durch
die grofsen Wanderzüge Luft zu schaffen, die sich, wie man ausgerechnet
1) Schlatter, Die Einführung der Kulturpflanzen in den Kantonen St. Gallen
uud Appenzell (Ber. St. Gall. naiurw. Gesellsch. 1891/92, S. 114. 119.
2) Hier kann auch an Sibirien erinnert werden, wo die Tundra im Norden so
gut wie die Steppe im Süden von altersher durch Nomaden ausgebeutet werden,
während der Waldgürtel in der Mitte noch heute von der Kultur nicht völlig
bezwungen ist. In Europa war dies trotz der gröfseren Breite der Wälderzone viel
leichter, weil hier noch eine dritte, unendlich reich gegliederte Angriffslinie von
der See her zur Verfügung stand.
8) Caes., Bell. Gall. IV l. VI 21. 22. Strabo VII 1.
4j Meitzen I S. 131 ff. — Hehn, Kultuq>Ü. u. Haustiere. 1887. S. 97 ff
6) Tacit. -Genn. 2G. — Arnold, Ansiedelungen S. 627.
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43*
Rob. Gradmann:
hat, ungefähr alle 30, genauer 35 Jahre wiederholt haben1). An das Aus-
kunftsmittel des Wälderrodens dachten die Germanen trotz des eingetretenen
Landhungers noch nicht.
Dagegen sind die Römer nicht davor zurückgeschreckt, ihre Strafsen-
züge, wenn es sein mufste, auch durch Urwaldgebiete zu legen, so durch
den Schwarzwald, das fränkische Waldgebiet, Taunus und Eifel; dort ent-
standen dann auch Niederlassungen, wozu umfangreiche Rodungen erforder-
lich waren. An die Aufgabe, ganze Urwaldgebiete durch Rodung in Kultur-
land umzuwandeln, sind immerhin auch die Römer noch nicht gegangen. In
erster Linie nahmen sie wie jeder Eroberer das alte Kulturland in Besitz;
agri, nicht silvae oder gar saltus wurden den Veteranen angewiesen.
Das bereits *) entwickelte Landschaftsbild Deutschlands zur Römerzeit
läfst sich noch durch ein paar Züge ergänzen. Die römischen Strafsen be-
wegten sich noch wie die vorrömischen aus der Keltenzeit mit Vorliebe auf
den Höhen, den Wasserscheiden entlang, und kreuzten die Thaleinschnitte in
rechtem Winkel, zum Beweis, dafs die Thalsohlen damals noch ungangbar,
mit dichten Auenwäldern und Weidengestrüpp überwachsen, mit Bruch und
Moor, Schilfwäldern und Altwassern durchsetzt, stellenweise mit wildem Geröll
überschüttet zu denken sind und noch nicht die ebenen Wiesengründe von
heute darstellten3).
Auch von der Zusammensetzung der Wälder vormögen wir uns
für diese Zeit bereits ein Bild zu machen. Auf die interessante Frage des
Vordringens und Zurückweichens einzelner Baumarten können wir freilich
liier nicht eingehen; ich raufs mich auf eine Zusammenfassung der Ergebnisse
beschränken4). Die Nadelhölzer waren viel weniger verbreitet als heut-
1) Meitzen I S. 886. — Man wird unwillkürlich an die Brückner'schen
Klimaperioden erinnert, die sich ja in den Ernteerträgnissen (Brückner, Der Ein-
nuf» der Kliniaschwankungen etc. Geograph. Zeitschr. I 1895) und nach Jul.
Gmelin (Deutsche Geschichtsblätter hsg. v. Armin Tille I 1900) auch in dem Auf-
und Abschwellen der Geburtsziffern ausprägen.
2) Oben 8. 308 ff. 3) Eine gute Beschreibung de8 Operrheinthals im Urzustand
giebt Schlatter a. a. O. S. 121.
4) Nachweise Ober die frühere Verteilung der Holzarten bei E. v. Berg, Ge-
schichte der deutschen Wälder 1871. S. 141 ff.; Arnold, Ansiedelungen S. 610 ff.;
K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben I S. 508; A. Schwappach, Handbuch
der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands 1H86. S. 33 ff.; Emst H. L. Krause,
Beitr. zur Kenntn. der Verbr. der Kiefer in Norddeutschi. (Bot. Jb. hsg. v. Eng-
ler XI 1890); Tscherning, Beitr. zur Forstgeschichte Württembergs 1854 (Progr.);
R. Gradmann, Der obergermanisch-rätische Limes und das fränkische Nadelholz-
gebiet (Peterm. Geogr. Mitteil. 1899); Luise Gerbing, Die frühere Verteilung von
Laub- und Nadelwald im Thüringer Wald (Mitt. V. f. Erdk. zu Halle 1900). — Man
hat eine Zeit lang allgemein einen in der Natur begründeten säkularen Wechsel
der Baumarten angenommen. Die Vorausetzungen dieser Hypothese wurden schon
von 0. Sendtuer (Veget.-Verhältn. Südbayerns 1854 S. 473) und v. Middendorf!'
(IV S. 646 ff) widerlegt; die scheinbare Stütze in den Moorfunden Steenstrups ist
dadurch hinfällig geworden, dafs der dort nachgewiesene Wechsel der Baumarten
jetzt allgemein auf einen Wechsel des Klimas zurückgeführt wird. Im Urwald ge-
deihen die einzelnen Baumarteu am besten auf den Leichen ihrer Vorfahren (nach
Ooeppert u. v. Middendorf f a. a. 0 , Richter, Ausland 1882 S% 187). Was sich
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/
D -Iis mitteleurop. Landschaftsbild nach seiner geschiehtl. Entwickl. 439
zutage. In Westdeutschland vom Mittelrhein an nordwärts gab es überhaupt
keine Nadelwälder; in der norddeutschen Tiefebene beschränkte sich die jetzt
überall herrschende Kiefer fast ausschliefslich auf das Land östlich der Elbe.
Ficht« und Tanne waren reine Gcbirgsbäume (abgesehen jedenfalls von Ost-
preulsen); in den Alpenländern, im Schweizer Jura, im Schwarzwald und
Wasgenwald, jm östlichen Teil der fränkischen Keuperhöhen, im Böhmerwald,
Thüringer Wald und Harz bildeten sie schon damals mächtige Wälder.
Dagegen stellten Nordwestdeutschland, das mittelrheinische Gebirgsystem, das
hessische Bergland, Spessart und Odenwald nebst dem schwäbischen Unter-
land reine Laubholzgebiete dar. Namentlich die Eiche mufs in früherer
Zeit viel häufiger gewesen sein als jetzt, zwar nicht in den grofsen Urwald-
gebieten, wo sie dem Wettbewerb mit Buche und Fichte notwendig erliegen
mufste, aber um so mehr in den zahlreichen Feldgehölzen, die über die
Kulturflächen zerstreut wareu, namentlich aber in den Stromthülern. Die
Römer sprachen ja voll Bewunderung von den deutschen Eichen, die
so alt seien wie die Welt selber, und wenn solch ein Kiese, mit allen
Wurzeln vom Ufer losgerissen, auf dem Strom daherschwamm , konnte er
den römischen Schiffen, die im Unterlauf vor Anker lagen, ernste Gefahren
bereiten und sie zu nächtlichen Seeschlachten zwingen1). Den Laubwald
wufsten schon die Römer zur Mast und Weide zu nutzen2); dagegen waren
bei dem damaligen Holzüberflufs Nadelwälder für sie ein wertloser Gegen-
stand. So erklärt es sich, dafs von dem grofsen schwäbisch -fränkischen
Urwaldgebiet der Keuperhöhen zwar der westliche, mit Laubholz bestandene
Teil noch in den römischen Herrschaftsbereich einbezogen wurde, während
man den wertlosen und überdies äufserst schwer zugänglichen Nadelholz-
urwald aufsen liegen liefs und mit dem Grenzzug in scharfem Knie umging.
Die früher rätselhafte Einbuchtung des Limes auf der Linie Miltenberg-Lorch-
Regensburg ist damit verständlich geworden3).
Der römischen Periode schliefst sich in Beziehung auf die Landschafts-
geschichtc die Zeit der Völkerwanderung noch aufs engste an. Das Ver-
hältnis von Wald und offener Landschaft blieb sich vollkommen gleich;
höchstens mochte dadurch, dafs zuweilen ein allzu grofser Teil der Bevölkerung
auf die Wanderzüge mitgerissen wurde, da und dort der Waldwuchs auch
in der Ebene an Boden gewinnen. Im Eroberungslandc hat man durchweg
von den vorgefundenen Kulturflächen Besitz ergriffen; darüber hinaus ging
man zunächst nirgends. Nur haben wenigstens die Alamannen alle römischen
in historischer Zeit von einem Wechsel «1er Daumarten nachweinen läfst, ist durch-
weg durch menschlichen Einflufs erklärbar (E. v. Berg, Über das Verdrängen der
Laubwälder im nördl. Deutschland durch die Fichte und Kiefer 1841, Ernst H. L.
Krause, Die Ursachen des säkularen Baumwechsels in den Wäldern Mitteleuropas,
Naturw. Wochenschr. VI 1891, Tscherning a. a. ().). Im übrigen zeigen die
historischen Nachrichten, dafs die einzelnen Holzarten mit grofser Zähigkeit an
ihren Standorten festhalten.
1) Plin. 16, 6.
2) Planta (DaB alte Rätien 1872 S. 170) führt an: Hygenus, de limit. con-
Btit. I. . . silvae glandiferae, silvae vulgaris pascuae.
3) Grad mann (Peterm. geogr. Mitt. 1899).
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440 Rot). Gradmann:
Gebäude gründlich zerstört und ihre eigenen Hütten häufig an einer andeien
Stelle der Feldmark aufgerichtet.
3. Eine neue Zeit, die Periode der grofsen Rodungen, hat \rohl
erst mit dem Fraukenkönig Chlodwig um 500 n. Chr. begonnen; sie schliefst
im 18. Jahrh. etwa mit dem Untergang der Hohenstaufen. Der tiefere Grund
für die neue Bewegung war gewifs nichts anderes als die . Fruchtbarkeit
der deutschen Ehen mit ihrer unausbleiblichen Folge, der Übervölkerung.
Sie sollte noch einmal den Anstofs geben zu einem Kulturfortschritt, dessen
Bedeutung gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Die Welt war
weggegeben; mit den Raubzügen nach Westen hatte es seit der Aufrichtung
eines starken Frankenreichs ein Ende. Jetzt lernte man, woran noch keine
frühere Zeit gedacht hatte, aus dem Urwald Neuland durch Rodung gewinnen.
Die eigentümliche deutsche Marken Verfassung, welche eine fortgehende
Teilung des väterlichen Gutes ausschlofs, tmg zu der neuen Bewegung bei;
die jüngeren Söhne waren darauf angewiesen, wie früher mit dem Schwert,
so jetzt mit Axt und Pflug neues Land zu erobern. Zuerst rodete mau
wohl nur innerhalb der Mark, in den der gemeinsamen Weidenutzung vor-
behaltenen Allmenden und Hardten. Bald aber begann man auch in den
Urwald vorzudringen, sei's auf eigene Faust, sei's auf besondere Anweisung
des Königs, als dessen Eigentum alles herrenlose Land in Anspruch genoipmen
war, oder seiner Grofsen, denen das königliche Recht mit der Zeit Übertragen
wurde. Höchst erfolgreich hat namentlich die Kirche, vor allem die Orden
der Benediktiner, Prämonstratenser und Cisterzienser, die Rodungen be-
günstigt; die frühmittelalterlichen Klöster kann man geradezu als grofse
Rodeanstalten bezeichnen *).
Dafs die Bewegung schon in merowingischer Zeit begann, lehren die
zahlreichen Ortschaften, die bereits im 8. Jahrhundert aus den früheren
Waldgebieten, namentlich um den Rhein, urkundlich genannt werden,
ebenso die altertümlichen Namensformen, die doch auch hier zuweilen vor-
kommen. Aber in den Kern der grofsen Urwälder drang man doch erst
später vor. So wurde im Süden das schwäbisch - fränkische Waldgebiet in
der Hauptsache erst seit dem karolingischen Zeitalter urbar gemacht3');
frühestens im 9., zum überwiegenden Teil erst im 11. Jahrhundert wurden
die mitteldeutschen Waldgebirge, Rhön, Thüringer Wald, Frankeuwald,
vogtländisches Bergland in Angriff genommen3); im 1 1. Jahrhundert begannen
auch gröfsere Rodungen im Schwarzwald4). Im 12. und 13. Jahrhundert
erreichte die Rodethätigkeit allenthalben ihren Höhepunkt6): im östlichen
Eroberungslande, wo das Roden im grofsen zu einem einträglichen Geschäft
1) Arnold, Ansiedelungen S 553
2) Karl Weller, Die Ausiedelungsgeschichte den wilrttember^ischeu Franken«
recht« vom Neckar. (Württ. Vierteljahren, f. Landesgesch. N. F. III. 1894) S. 73 ff.
8) Fr. Regel, ThürinKcn II. 1896. S. 533. — Meitzen II S. 370. -
Kmiotek, Siedeluiur und Waldwirtschaft im Salzforst Wirtschafts- u. Verwaltungs-
Btudien hag. v. Schanz VIII). 1900. Peterm. Mitt, 40. 1900 Litt.-B. S. 159).
4) Jul. Hart mann. Über die Besiedelung des Württemberg. Schwantwalds
.Württ. Jb. f. Statistik u. Landesk. 1893; S. 10.
fii Arnold. Ansiedelungen S. 544 ff; Lambrecht I S. 148.
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Dasmitteleurop. Landschaftsbild nach seiner geschichtl. Entwickl. 441
für den Adel geworden war, fällt die Resiedelung der alten, von den Slaven
noch durchaus gemiedenen Waldgebiete, so des bayrischen und Böhmer-
walds, des Erzgebirgs, Elbsandsteingcbirgs und Riesengebirgs, vollständig erst
in diesen letzten Zeitraum1).
Mit dem Ende des 13. Jahrhunderts tritt im ganzen südlichen, mittleren
und westlichen Deutschland plötzlich ein allgemeiner Stillstand ein8); das
Werk war abgeschlossen und damit die grofsartigste Umwälzung, welche
das mitteleuropäische Landschaftsbild seit der Eiszeit je erlebt hat, die
friedliche Eroberung einer Bodenfläche, die in Wirklichkeit dem ursprünglichen
Kulturland fast gleichkam, durch die zähe Beharrlichkeit deutschen Bauern-
fleifses in einem Zeitraum von acht Jahrhunderten durchgeführt. Der ur-
sprüngliche Gegensatz von Urwaldgebietcn und offener Landschaft war damit
nahezu aufgehoben.
Im Beginn der Periode und auch in karolingischer Zeit war der Gegen-
satz noch recht fühlbar gewesen. Wald gab es zwar damals überall; aber
es raufs noch ein recht gründlicher Unterschied gewesen sein zwischen dem
wilden geschlossenen Forst, dessen Inneres kaum jemals von einem mensch-
lichen Fufs betreten wurde und dessen Randgebiete der königlichen Jagd
vorbehalten waren, und andrerseits den Markwäldern oder Hardtcn, die über
das Kulturland zerstreut, im Besitz der Markgenossenschaften standen, einer
rücksichtslosen Holznutzung unterworfen und während des ganzen Jahres
von Rinder- und Schweineherden bevölkert waren. Die grofsen Grundbesitzer
fanden es später einträglicher, ihre Forste als Rodland auf Zins auszuthun;
in der Umgebung der neuen Siedelungen wurde der Wald ebenfalls für
Holznutzung und Weide geöffnet. So mufste auch hier der Urwaldcharakter
mit der Zeit schwinden.
Vollkommen ebenbürtig stellt sich dieser umfassenden Rodethätigkeit die
Eindeichung des Marschlandes an der. Nord- und Ostsee, der Weser
und Elbe zur Seite3), ein Vorgang, der von ebenso tief einschneidender
Wirkung auf das Landschaftsbild als bewundernswert durch die darin sich
aussprechende Thatkraft ist. Er wurde ebenfalls in dieser frühen Periode
im wesentlichen abgeschlossen.
Die kleineren Veränderungen, die sich gleichzeitig in der Kulturlandschaft
vollzogen haben, kommen daneben kaum in Betracht. In deu Flufsthälern
begann man allmählich, wenn auch nur sehr langsam und in etwas gröfserem
Mafsstab erst seit dem 12. Jahrhundert Wiesen auzulegen4). Der Wein-
1) Ad. Hauffen, Einführung in die deutsch - böhmische Volkskunde. 1896
S. '21 ff. — Kol). Wuttke, .Sächsische Volkskunde. 1900. S. 71 ff. — Meitzen
II 8. 418.
2; Arnold S. 696. — Lainprecht I S. 101. — Richter S. 210. — J. Wimmer,
Die historische Kulturlandschaft 1882 (Progr.j S. 29. — A. B Ohler, Die geschicht-
liche Entwicklung der Waldwirtschaft (Litter. Beil. /.. Staatsanz. f. Württ. 1897;
S. 107. — Ed. Brückner Die Bchweizer. Landsch. S. 23.
3) Meitzen U S. 1 ff. 343 ff.
4) v. Inama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte I S. 406 ff. —
Lamprecht I S. 528 ff. — Ernst H. L. Krause (Bot. Jb. hsg. v. Engler XV 1893)
S. 293 ff.
Geographische Zeitschrift. 7 Jahrgang. 1901. 8 lieft. 30
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442
Rob. Gradmann:
bau, im Moselland wohl schon vor der römischen Besetzung heimisch, hat
sich noch unter den Merowingern an den Khein und besonders seit karolingischer
Zeit auch über die rechtsrheinischen Länder ausgebreitet, unter mächtiger
Förderung durch die geistlichen Grundherrschaften. Die Steilhänge mit
Terrassenbau und damit die vornehmsten Lagen wurden jedoch erst unter
den Saliern und Stauten angelegt1).
4. Eine Periode des Stillstands trat mit dem Ende des 13. Jahr-
hunderts ein und erstreckte sich bis gegen die Mitte des achtzehnten. Ab-
gesehen von vereinzelten gewerblichen Anlagen, wie Glashütten u. dergl.,
die inmitten gröfserer Waldungen zu deren besserer Ausnutzung begründet
wurden, scheinen die Alpenländer, das Deutschordensland2) im Nordosten
und dann die Moor- und Marschländer Nord Westdeutschlands die einzigen
Punkte zu sein, an denen sich das Kulturland auch jetzt noch, wenn auch
langsam, auf Kosten der Wildnis ausdehnte.
Es ist schwer, für diesen plötzlichen Stillstand eine befriedigende Er-
klärung zu finden. In der Wertschätzung des Waldes hatte sich allerdings
ein Umschwung vollzogen. Was man im frühen Mittelalter einzig und allein
am Wald geschätzt hatte, das war die Gelegenheit zur Schweinemast3).
Es ist unglaublich, welcher Wert daraufgelegt wurde. Blättert man Sammlungen
von frühmittelalterlichen Urkunden durch, so findet man kaum einmal einen
\^ Wald genannt, ohne dafs das Schwein mit genannt wäre. Der Wert einer
Waldfläche wird nach der Zahl der Schweine, die man darin mästen kann,
geschätzt; der gleiche Mafsstab gilt für die Wertschätzung der einzelnen
Baumarten. Der Unterschied von Laub- und Nadelholz wird in dieser frühen
Zeit kaum je gemacht, ebensowenig von Hart- und Weichhölzern, Brenn-
und Bauholz; wohl aber wird streng unterschieden zwischen arbores fructiferae
(berende bäume, schedlich holz) d. h. Eichen, Buchen, Wildobstbäumc , die
alle der Schweinemast dienten, und andrerseits arbores non fructiferae (un-
schedlich holz, Taubholz, Urholz), wozu alles andere gehörte. Erstere wurden
gehegt, letztere waren fast vogelfrei; der Holzvorrat schien unerschöpflich.
Das wurde jetzt immerhin anders. Die Wertschätzung der Eckerich-
nutzung blieb noch jahrhundertelang bestehen, aber daneben lernte man
doch auch den Holzertrag besser anschlagen. Bald nach dem Jahr 1200
begegnen wir dem ersten Zeugnis von höherer Wertung des Waldes4); um
dieselbe Zeit ergehen die ersten Rodeverbote5). Im 14. Jahrhundert hört
1) Lamprecht I S. 122. 666 fl. — V. Hehn 8. 3. 117 ff. — Buschan,
Zur Gesch. des Weinbaus in Deutscht. (Ausland lH'JOj. — v. Inama-Sternegg I
S. 413.
2) L. Weber, Preufsen vor 600 Jahren. 1878.
3) Diese Thatsache steht im denkbar schärfsten Gegensatz zu dem sentimen-
talen Empfinden, das man unBern Vorfahren dem Wald gegenüber gern bei-
legen möchte. Eine Widerlegung letzterer Auffassung findet man bei 0. Lauffer,
Das Landschaftsbild Deutschlands im Zeitalter der Karolinger. 1896. S. 77 tf.
4) Cesarius 1222: silva . . fere ita utilis esse potest nobis sicut tota curia.
Nach Lamprecht a. a. 0. I S. 139.
6) Aug. Bernhardt, Geschichte des Waldeigentums etc. 1872—75 I S. 108;
Schwuppach, Handh. der Forst- und Jagdgesch. S. 154; Meitzen II S. 620 f.
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Das mitteleurop.Landachaftsbild nach seiner geschichtl. Entwickl. 443
man bereits über Holzmangel klagen1). Wenn die kalten deutschen Winter
nicht wären, wer weifs, ob nicht auch bei uns die Waldverwüstung eben-
soweit fortgeschritten wäre wie in den Ländern romanischer Zunge?
Indes vermag die Furcht vor dem drohenden Holzmangel keineswegs
für sich allein schon den plötzlichen Stillstand der Kodethätigkeit verständlich
zu machen. Dals die überschüssige Bevölkerung etwa durch die aufblühenden
Städte, durch die fortgesetzte Kolonisation des Ostens oder sonstwie einen
neuen Abflufs gefunden hätte, welcher der bisherigen Aufnahmefähigkeit
der Waldkolonien einigermafsen entsprach, läfst sich ebenso wenig behaupten.
Sollte der schwarze Tod geholfen haben, den deutschen Wald zu retten?
Davon ist kaum die Rede, dafs etwa die bisherigen landwirtschaftlichen
Flächen durch verfeinerten Ausbau eine gröfeere Menschenmasse hätten er-
nähren können. Denn in der Entwicklung des landwirtschaftlichen Betriebes
herrschte derselbe auffallende Stillstand; kein einziger nennenswerter Fort-
schritt ist bis zum 18. Jahrhundert zu verzeichnen*).
Das gleiche gilt von dem Zustand der Wälder. Es begann wohl eine
gewisse Pflege des Waldes; Saat und Pflanzung von Waldbäumen kam seit
dem 14. Jahrhundert vor5), doch nur vereinzelt und ohne Wirkung ins
grofse. Die einzige Entwicklung bestand darin, dafs durch die rücksichts-
lose Ausbeutung, durch unverständige Holz- und Streunutzung und ganz
besonders durch das beständige Hineintreiben von Weidevieh und Schweinen
die Wälder immer mehr herunter kamen, sodafs sie sich im 18. Jahrhundert
gröfstenteils in einem ganz trostlosen Zustande befunden haben müssen.
5. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann eine neue Zeit.
Die Zeit der Aufklärung wandte sich mit ihrem eifrigen Streben, das Ver-
altete zu beseitigen und neue Fortschritte anzubahnen, ganz besonders der
materiellen Kultur des platten Landes zu, so sehr, dafs landwirtschaftliche
Fragen und Interessen eine Zeit lang geradezu zur Modesache wurden.
Die Entwässerung und Besiedlung grofser Moorflächen im norddeutschen
Tieflande sowie im Alpenvorland gehört dieser neuen Zeit an. Bekannt sind
die Bruch- und Moorkolonien Friedrich's des Grofsen. Man begann auch
wieder in gröfserem Mafsstabe zu roden. So liefs Friedrich Wilhelm I. von
Preulsen auf der Frischen Nehrung den Wald niederschlagen und um 200000
Thaler verkaufen. Auch Friedrich der Grofse fand, dafs ihm „Menschen
lieber seien als Holz"1). Es war bekanntlich nicht immer zum Vorteil des
Landes. Die Frische Nehrung wurde zur Wüste, das Haff" ist teilweise ver-
sandet. Schlimmer wurde in Frankreich und in den Alpenländern gehaust5).
Aber im ganzen steht die neue Zeit doch unter einem andern Zeichen:
Der Wald kommt zu Ehren wie nie zuvor. Die grofse Holznot des 18. Jahr-
1) Lamprecht I S. 517.
2) G. Haussen, Zur Geschichte der Feldsysteme in Deutschland (Agrar
histor. Abh. 1880; S. 163.
3) A. Bernhardt, Gesch. des Waldeigentums etc. I 1872 S. 169; Sehwap-
pach S. 186.
4) Schwappach 8. 351 ff.
5) Beispiele bei Ed. Brückner, Schweizer. Landseh. S. 27.
30*
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444 Roh. Gradmann:
hunderts hatte dor besseren Erkenntnis vorgearbeitet, und durch die unermüd-
liche Thätigkeit einiger edler Männer, denen die Erhaltung und Kräftigung
des deutscheu Waldes eine wahre Herzenssache gewesen ist, kam sie zum
Durchbruch. Jetzt hat allgemein die Wald weide aufgehört, die Strounutzung
wurde möglichst beseitigt, bessere Wirtschaftseinrichtungen, wie der Hoch-
wald- und verfeinerte Femelschlagbetrieb, wurden eingeführt, und so sind
in unseren Tagen durch das Verdienst unsrer Forstmänner die deutschen
Wälder wieder zu einer Kraft und Schönheit emporgediehen, welche deu
Naturfreunden zum Entzücken, den Finanzministeru zu süfsem Trost gereicht.
Freilich, durch den gesteigerten Betrieb sind die Waldbilder nicht blofs ver-
vollkommnet, sie sind vielfach auch sehr gründlich umgestaltet worden.
Namentlich sind riesige Bestände von Nadelholz mitten in den alten Laub-
holzgebieten zur Aufzucht gekommen, sodafs der früher so scharfe Gegen-
satz von Laub- und Nadelwaldlandschaften jetzt nahezu verwischt und ver-
gessen ist. Besonders ist die Eiche in ihrer Verbreitung zurückgegangen;
die neueren Wirtschaftsmethoden haben, indem sie für einen guten Bestandes-
schlufs sorgten, die schattenliebenden Haupt- Waldbäume, Buche und Fichte,
wieder in ihre Rechte eingesetzt und damit die lichtbedürftige Eiche zu der
Bedeutungslosigkeit verdammt, die ihr — entgegen der herrschenden An-
schauung — im geschlossenen Urwald ohne Zweifel von jeher zukam.
Dagegen lebt der alte Gegensatz zwischen Urwaldgebieten und offener
Landschaft auch heute noch fort , meist schon in der verschiedenen Bewal-
dungsziffer erkennbar, deutlicher in den Namen. Wir reden noch heute vom
Thüringerwald, Schwarzwald, Odenwald. Freilich meinen wir damit keine
Wälder mehr, sondern Gebirge, ein Sprachgebrauch, der Fremden und Kindern
immer schwer eingehen will. Es ist ja auch widersinnig, ein ganzes Gebirge
als Wald zu bezeichnen, nur deshalb weil seine Waldbedeckung um wenige
Prozent stärker ist als in den benachbarten Landschaften. Natürlich stammen
alle diese Benennungen noch aus der Zeit, da sie wirklich zutrafen; die
Schöpfer der Namen wollten damit keine Berge bezeichnen, sondern wirkliche,
geschlossene Urwälder. Die Bodenerhebung war Nebensache, genau wie zur
Römerzeit1). Inzwischen hat sich die Sache gründlich geändert, die Namen
aber sind geblieben. Die benachbarten alten Kulturflächen heifsen zum
Unterschied noch heute Gau, Gäu, Feld, Filder; wenn es sich um hoch-
gelegene Weideplätze handelt: Alb, Alpen.
Auch in den Namen der Siedlungen hat sich der Gegensatz verewigt,
am deutlichsten im Franken- und Alamannenlande. Im alten Kulturland,
auf dem früheren Steppenboden herrschen die Namen auf -ingen und -heim,
selbst keltische und römische Formen sind erhalten geblieben. Auf dem
Rodeland inmitten der alten Waldgebiete verraten die -wald und -strut, die
-rode und -reute, die -brand und -sang und -schwand und wie sie alle
heifseu, noch deutlich genug die Art der Entstehung.
Hand in Hand damit gehen tiefgreifende Unterschiede in der Form der
Siedlungen2). Im alten Kulturland haben wir die urdeutschen Haufeu-
1) Vgl. oben S. 871.
2) Hingehend dargelegt in dem oft angeführten grofseu Werke von Aug. Meitzen.
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Das mittclcurop. Landschaftsbild nach seiner geschieht!. Entwickl. 445
dörfer mit Gewanncinteilung und schmalen, streifenförmigen Ackern in Ge-
menglage, im Osten slawische Rundlinge und Strafsendörfer. Im früheren
Waldland dagegen herrschen die Weiler, stets mit kleineren Markungen und
meist unregelmäfsig blockförmiger Gestalt der Grundstücke, oder die seit
karolingischcr Zeit entstandenen Waldhufendörfer mit weit auseinandergerückten,
längs der Strafse im Thal reihenweise angeordneten Gehöften, an die sich
je der gesamte Grundbesitz in schmalen Streifen rückwärts anschliefst, so im
Schwarzwald, Odenwald und Spessart oder in den böhmischen Randgebirgen.
In der Landwirtschaft wurden seit der Mitte des 18. Jahrhunderts
zahlreiche Neuerungen eingeführt, die in ihrer Gesamtwirkung eine recht
gründliche Umgestaltung der Kulturlandschaft hervorgerufen haben, so die
bedeutende Einschränkung der Viehweide unter gleichzeitigem Anbau von
Futtergewüchsen, während in den Alpenläudern, in Holland, Schleswig-Holstein,
Westpreufsen die Wiesenkultur auf Kosten des Getreidebaus immer mehr
überhandgenommen hat1); ferner der Anbau von Kartoffeln und Zuckerrüben
in gröfstem Mafsstab, die Einführung von rationellem Fruchtwechsel an
Stelle der hergebrachten Dreifelderwirtschaft unter gleichzeitiger Zusammen-
legung der Güter.
Nimmt man dazu die bereits erwähnte Umgestaltung der Waldbilder,
die ausgedehnten Moorkulturen und sonstigen Entwässerungsanlagen, die um-
fassenden Stromregulierungen, die Kanal- und Hafenbauten, ferner die plötz-
liche Ausdehnimg der Grofsstädte, die Strafsen- und Eisenbahnanlagen, die
zum Teil unter beträchtlicher Umschaffung des Geländes entstanden sind, so
ergiebt sich, dafs die letzten anderthalb Jahrhunderte eine Umwälzung im
Landschaftsbild hervorgebracht haben, welche derjenigen des frühen Mittel-
alters nahezu gleichkommt und alle übrigen Perioden der Landschafts-
entwicklung an Bedeutung weit überragt. Dabei hat gerade diejenige Kraft,
welche früher immer vorwärtsgetrieben hatte, ihren Einflufs auf die heimische
Landschaftsgeschichte fast verloren. Noch heute wie zur Römerzeit wird den
Nachbarn bange vor der unheimlichen Macht des deutschen Bevölkerungs-
zuwachses: aber er hat in der neuen Zeit einen neuen Abflufs gefunden. In
überseeischen Ländern hat der Deutsche seine hervorragende Befähigung zum
Roden und Urbarmachen der Wildnis aufs neue erwiesen; geht die Entwick-
lung ihren natürlichen Gang, so wird der überschufs an deutscher Kraft
künftig der Nation nicht mehr verloren gehen.
Das Problem der Landschaftsgeschichte ist keineswegs neu. Namen wie
Karl Ritter und Elisee Reclus sind mit ihm verknüpft2). Es fehlt aber
selbst für die besterforschten Gebiete noch an dem nötigen topographischen
Ausbau, der es erlauben würde, die wichtigeren Punkte der Entwicklung
kartographisch festzulegen. Solche historischen Landschaftskarten3)
1) Ed. Brückner, Schweizerische Landschaft S. 29 ff.
2) Eine vollständige Zusammenstellung der älteren Litteratiir hat J. Wimmer
(Histor. Landschaftskunde 1886) gegeben.
Ii) An Landschaftskarten fehlt es freilich vorläufig auch noch für die (Jegen-
wart. Ich glaube, es sollten vor allem die Seh ulkarten dem Ideal der Laud-
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44G Roh. Gradmann: Da» mitteleuropäische Landschaftsbild etc.
könnten grofsen Nutzen stiften, zunächst in rein geographischer Hinsicht,
sofern zu einem tieferen Verständnis der gegenwärtigen Landschaft der Ein-
blick in deren Entwicklungsgeschichte unerläfslich ist; aber auch geschicht-
liche Vorgänge erscheinen auf Grund berichtigter Vorstellungen von der
gleichzeitigen Landesbeschaffenheit häufig in einer ganz neuen Beleuchtung.
Die politischen Karten, aus denen bisher unsre historischen Atlanten aus-
schliefslich bestanden haben, werden zum Teil ein anderes Gesicht bekommen
und weniger schematisch ausfallen, wenn wir einmal auch historisch-
physikalische, namentlich auch die ehemalige Waldbedeckung berücksich-
tigende Karten haben, welche den ersteren zu Grunde gelegt werden
können1). Für derartige Arbeiten bieten sich jetzt eine Menge neuer Hilfs-
mittel in den grofsen Urkundensammlungen, den Ortsnamenbüchern, den
archäologischen Landesaufnahmen, den Bearbeitungen der Wirtschafts- und
Besiedlungsgeschichte, mit welch letzterer sich unser Forschungsgebiet so
vielfach und doch keineswegs auf allen Punkten deckt.
Für eine der Hauptfragen, das Problem der Urvegetation, ist freilich
der Weg, der wohl am sichersten zum Ziel führen müfste, bis jetzt noch
kaum zugänglich, nämlich der Weg des Versuchs. Es ist neuerdings von
verschiedenen Seiten*) fast gleichzeitig der Gedanke angeregt und auch mit
Beifall aufgenommen worden, nach dem freilich unerreichbaren Vorbild der
amerikanischen Nationalparks, nur in sehr verkleinertem Mafsstabe, gewisse
Stücke des heimischen Bodens, sofern sie noch Beispiele von urwüchsigen
Landschaftsformen darstellen, in ihrem Zustand dauernd zu erhalten. Es
schaftskartc viel entschiedener zustreben. Die Kartenwerke früherer Jahrhunderte
haben an malerischer Charakteristik eigentlich mehr geboten. Die klare Anschau-
ung und Übersicht, wie sie die geognostische Karte gewährt, mag, wer sich einmal
daran gewöhnt hat, nicht mehr missen. Wann werden wir endlich dieBe Wohlthat
— selbstverständlich unter Weglassung aller für die Landschaft nicht in Betracht
kommenden Einzelheiten — auch unser u Schülern zukommen lassen? Wie viel
wichtiger sind in den Tropenländern z. B. die Gegensätze von Wald, Ssvanne,
Steppe im Vergleich mit dem Verlauf einzelner Ströme, mit den Namen und Höhen
einzelner Berge! Die Verbreitung der einzelnen Landschaftselemente ist wohl in
zahlreichen Karten dargestellt; aber der allerdings nicht leichte Versuch, sie auf
einer Karte übersichtlich zu vereinigen, ist überhaupt noch nicht gemacht. Eine
neue Belastung der Schule braucht man dabei nicht zu fürchten; nichts ist
schwerer zu behalten als ein trockenes Schema und nichts unterstützt das Gedächtnis
so sehr wie die lebendige Anschauung. Die gesunde Richtung, die jetzt in der
Einführung geographischer Charakterbilder zu Tage tritt, darf ihren Einflufs wohl
auch auf die Karte geltend machen.
1) Das neue, so verdienstvolle Kartenwerk von Ii. v. Erckert (Wanderungen
und Siedelungen der germanischen Stämme in Mitteleuropa 1901) deutet die un-
bewohnten Urwaldgebietc zum Teil an; dieselben sind aber durchweg zu klein
gezeichnet. Als unbewohnt erscheint auch, ganz im Widerspruch mit den That-
sachen, die schwäbische Alb; wohl nur wegen ihrer Höhe!
2) Zuerst, so viel ich sehe, von 0. Drude, Deutschi. Pflanzengeogr. I 1890
S. 410; dann von dem Abgeordneten Wetekamp im preufs. Abgeordnetenhause im
März 1898 (Globus 74. [189*] S. 330 ff.). — Conwentz, Forstbotan. Merkbuch 1900.
Gründung den Vereins zum Schutz und zur Pflege der Alpenpflanzen. — R. Grad-
raann, Zur Erhaltung der vaterländ. Naturdenkmäler (Ii. Schwäb. Albver. 12 [1900]
S. 409 ff.).
Alfred Hettner: Über die Oberflachenformen der Hochalpen. 447
wäre überaus dankenswert, wenn sich dieser glückliche Gedanke noch dahin
erweitern liefse, dafs auch solche Typen, die bereits eine mehr oder weniger
bedeutende Veränderung durch die Kultur erlitten haben, in einzelnen aus-
gewählten Fällen und mit Beschränkung auf kleinere und an sich schon
weniger ertragfähige Grundstücke dem Naturzustände, so gut es geht, wieder
zurückgegeben werden. Erst wenn durch solche systematische Verwilde-
rungsversuche unwiderleglich festgestellt ist, was aus den einzelnen Wald-
formen, aus unsern Wiesen, Weiden und Heiden nach Beseitigung alles
menschlichen Einflusses zuletzt wird, kann man auch mit grösserer Bestimmt-
heit angeben, was die gesamte mitteleuropäische Landschaft wäre ohne den
Menschen, und Avas er durch seine Arbeit hinzugethan und weggenommen
hat. Und damit wäre eine der wichtigsten Aufgaben der Pflanzengeographie
und der Kulturgeographie zugleich gelöst.
Über die Oberflächenfornien der Hochalpen.
Nach den Untersuchungen Eduard Richter's.
Von Alfred Hettner.
Wenn wir auch in den letzten Jahrzehnten angefangen haben, ein
wissenschaftliches Verständnis der Formen der Erdoberfläche zu gewinnen, so
dürfen wir uns doch nicht verhehlen, dafs wir eigentlich noch am Anfange
der Erkenntnis stehen, dafs wir wohl über die Ursachen der meisten Formen-
gattungen Vermutungen haben, die im allgemeinen richtig sein mögen, dafs
aber eine wirkliche kausale Analyse der Oberflächenformen erst für wenige
Gebirge oder Gebirgsgruppen gegeben worden ist Darum müssen wir eine
so eindringende Untersuchung der Formen der Hochalpen, wie sie uns
Richter in dem vorliegenden Buche1) giebt, mit Freude begrüfsen, und es
scheint sich mir zu lohnen, den Lesern der Geographischen Zeitschrift davon
etwas ausführlicher zu berichten. Der notwendigen Kürze wegen empfiehlt
es sich, dabei die analytische Form der Untersuchung zu opfern und ihre
wichtigsten Ergebnisse in mehr synthetischer Form und darum auch in ver-
änderter Reihenfolge darzulegen.
Das Leitmotiv seiner Untersuchungen hat Richter in folgenden Sätzen
(S. 70 f.) ausgesprochen: „Das auffallendste Resultat sehr genauer geolo-
gischer Durchforschung einer Alpengruppo pflegt die Anerkennung der Un-
abhängigkeit der Skulpturformen .... vom geologischen Bau zu sein." „Für
die Gobirgsformen sind die zerstörenden Kräfte viel wichtiger als die
Zusammensetzung des Gebirgskörpers." Die Formen der Abtragung („der
Stil der Formen") werden zwar im einzelnen von der Gesteinsbeschaffenheit
stark beeinflufst, und besonders ihr Auftreten dadurch lokal bestimmt, die
Fonuen selbst sind aber der Hauptsache nach überall die gleichen. Thäler,
1) Richter, Ed. (ieouiorphologische Untersuchungen in den Hochalpen (Pet
Mitt. Ergänzungsheft 132) 103 S. u. C T. (iotha. J. Perthes, 1900. M. 6.40.
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44S
Alfred Hcttner:
Kare, Gipfel, Regentrichter sind überall dieselben; sie kommen in allen oder
fast allen Gesteinen vor, die überhaupt Gebirge aufbauen; die Ausnahmen,
wie /.. B. die Karsterscheinungen, sind bekannt und können leicht ausge-
schieden werden.
Es handelt sich also, wenn wir die Formen der Alpen studieren wollen,
in erster Linie darum, die klimatischen Bedingungen aufzufassen, unter denen
die Ausgestaltung der Alpen erfolgt ist; die Thatsachen des inneren Baues
kommen erst in zweiter Linie in Betracht
Die Alpen haben während ihrer Entstehung und in einer langen darauf
folgenden Zeit, wahrscheinlich bLs an den ScMuXs der Tertiärzeit, unter der
Einwirkung eines milden, feuchten Klimas gestanden, das nur allmählich
kühler wurde. In dieser Zeit beherrscht* das fiiefsende Wasser die Gestal-
tung des Gebirges. Die Alpen wurden wahrscheinlich bis in die gröfsten
Höhen hinauf, vielleicht mit Ausnahme der allerhöchsten Gipfel, von den
Gewässern zerschnitten, durchthalt; es entstand ein verwickeltes System von
Längs- und Querthälern, dessen Anordnung noch keineswegs erklärt ist und
von uns hier einfach als gegeben angenommen werden mufs. Die Eiszeit
mit ihrem kühleren Klima, der tieferen Lage der Schneegrenze und der grofsen
Ausdehnung von Schnee und Gletschern faud die Thäler und Schluchten vor,
stellte also nicht ganz neue, glaziale Formen in das Gebirge hinein, sondern
bildete die präglazialen, vom Wasser gebildeten Formen um. Nur die nie-
drigen Ketten bis zu einer je nach dem Klima und der Lage der Schneegrenze
verschiedenen Höhe, besonders die niedrigeren Ketten der Ostalpen, bewahrten
sich die Formen fluviatiler Gestaltung: gerundete, häufig langhinstreichende
Rücken, meist schmale Thäler. In den höheren Teilen der Alpen dagegen
und zwar nicht nur an den über die Schneegrenze aufragenden Kämmen,
sondern auch in den dazwischen liegenden Thälern, in welche sich die
Gletscher hinabsenkten, prägte das Vorhandensein und die Einwirkung von
Schnee und Eis der Landschaft andere Formen auf, die man zum Unter-
schiede von den Huviatilen Formen als glaziale Formen bezeichnet. Der
Auffassung dieser glazialen Formen sind die Riehter'schen Untersuchungen
gewidmet, allerdings nicht in gleichmäßiger Durchführung, sondern so, dafs
Bekanntes nur kurz berührt, Neues ausführlich erörtert wird. Während man
bisher vorzugsweise die grofsen Eisströme der Thäler beachtet hat, stehen
hier gerade die kleineren Erscheinungen der Lokal vergletscherung, die den
Kämmen eingesenkten Kare und was damit zusammenhängt, im Vordergrunde
des Interesses.
In diesem Auszuge wollen wir aber zuerst die grofsen Eisströme der
Thäler ins Auge fassen, weil sich die Verteilung der Kare und die Aus-
gestaltung der Kämme nur unter der Voraussetzung der Eisströme verstehen
lassen. Wir beschränken uns dabei natürlich auf die Thatsachen, die Richter
anführt, weil sie ihm für das Verständnis der Kare und der damit ver-
wandten Erscheinungen von Belaug erscheinen.
Namentlich kommt es darauf an, die Höhe der alten Eisströme fest-
zustellen und zu erklären. Man kann sie teils aus der Höhenlage der erra-
tischen Geschiebe, teils aus der Rundung und Abschleifung der Thalhänge
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Über die Oberflächenformen der Hochalpen.
449
erkennen, durch die sich die unteren Teile der Gehänge wenigstens in den
krystallinischen Alpen auffallend von den gezackten, scharfkantigen, weil vom
Eise nicht bearbeiteten oberen Teilen der (Jehänge abheben, während der
Gegensatz in den steilwandigen Thälern der Kalkalpen, wohl infolge von
nachträglicher Zerstörung der Gletschorspuren , nicht so zum Ausdrucke
kommt. Die erratischen Geschiebe reichen gewöhnlich nicht ganz so hoch
wie die Rundung und Schleifung hinauf. Für den Verlauf der alten Eis-
grenze, die übrigens thalabwärts meist nur mit einiger Schwierigkeit zu ver-
folgen ist, ergiebt sich nun mit grofser Regelmäfsigkeit Folgendes: über den
heutigen Firnfeldern steigen ausnahmslos scharfkantige, nicht geschliffene Grate
und Rippen auf, die Firnfelder der Eiszeit können demnach nicht wesent-
lich gröfser und mächtiger als die der Gegenwart gewesen sein. Je weiter
abwärts wir aber kommen, um so mehr entfernt sich die Oberfläche des alten
Eisstromes, die nur ein geringes Gefäll hat, vom Thalboden, zu um so
gröfserer Mächtigkeit wächst jener also an.
Wir können dies Anwachsen der Gletscher und die geringe Neigung
ihrer Oberfläche thalabwärts nur aus einer Aufstauung des Gletschers und
dieses wieder aus dem Bau der Alpen erklären. Die grönländischen
Gletscher können sich darum so schnell bewegen, weil sie am unteren Ende
ins Meer abbrechen, also von unten her gar nicht gestaut werden, viel-
mehr ihrer Bewegungsfähigkeit entsprechend frei nachrücken können. Wenn
dagegen Gletscher auf dem Festland durch Abschmelzen endigen, also
an ihrem unteren Ende eine Gletscherzunge von geringer Mächtigkeit und
demzufolge geringer Beweglichkeit haben, mufs dieses untere Ende auf den
ganzen oberen Teil stauend wirken. Beim Vorrücken wird sich der Gletscher
über diese tote Partie des unteren Endes vorschieben, so dafs die Schwellung
der Eismasse nach vorn schneller erfolgt, als es der Geschwindigkeit der Gletscher
bewegung entspricht; aber verzögert wird der Vorstofs doch auch in diesem
Falle. Eine weitere Stauung kann durch die Anordnung der Thäler und
damit auch der Gletscher hervorgerufen werden. In Gebirgen, die nur Quer-
thäler haben, wie in den Pyrenäen oder in der Tatra, konnte in der Eiszeit
jeder Gletscher ohne Berührung mit seinen Nachbarn frei in die Ebene aus-
strömen und darum verhältnismäfsig rasch und ungestört, abfliefsen. In den
Alpen dagegen mit ihren grofsen Längsthälern, in welche zahllose Querthäler
einmünden, flössen zahlreiche Gletscher zusammen, deren gemeinsames Bett
viel zu eng für die Eismasse war, so dafs diese immer mehr in die Höhe
wachsen raufste. In Folge davon hatten die grofsen Eisströme an ihrer Ober-
fläche nur ein ganz geringes Gefälle; beispielsweise schätzt Penck die Ober-
fläche des Inngletschers am Ötzthal auf 2000, an der Hohen Salve noch auf über
1800 m Meereshöhe. In Folge davon reichten die gröfsten Gletscher innerhalb
der Alpen auch noch überall über die Schneegrenze hinauf, gehörten also
noch dem Nährgebiet au, während das Abschmelzungsgebiet ganz aufserhalb
der Alpen lag. Aus der Zusammenpressung der Gletscher in engem Bett
ergab sich ferner, dafs sie aus einer Anzahl steil gestellter Lamellen bestanden,
von denen jede dem Eisstrom eines Seitenthaies entsprach. An den Schweiß-
stellen wurde Gruudmoränenmaterial an die Oberfläche geführt, das nun
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450
Alfred Hcttner:
wesentlich zur Zusammensetzung der Mittelmoränen beitrug. Umgekehrt blieb
das oberflächlich auffallende Material, da sich die Gletscheroberfläche ja noch im
Nährgebiet befand, nicht auf der Oberfläche biegen, sondern gelangte allmäh-
lich ins Innere des Gletschers und wurde verarbeitet. Aus beiden Umständen
zusammen erklärt, sich, dafs wir in der Moräne des Vorlandes so wenig
scharfkantiges, unabgenutztos Material finden. Die geringen Höhenunterschiede
im ganzen Verlauf des Gletschers lassen uns endlich auch verstehen, warum
ein Rückgang der Schneegrenze den ganzen Gletscher ziemlich gleichmäfsig
botreffen, seine ganze Oberfläche sich fast mit einem Ruck aus einer den Firn
aufspeichernden in eine Firn verzehrende Fläche verwandeln und die Eis-
ausfüllung der Thäler min verhfiltnismäfsig rasch verschwinden mufste.
In den oberen Teilen der Thäler sind die abgerundeten und geschliffenen
Formen der alten Gletscherbetten meist mit voller Deutlichkeit zu erkennen;
„je weiter man sich aber von den Ursprungsgebieten der Gletscher entfernt
und den Thälern nach abwärts folgt, desto weniger deutlich wird die alte
Eisgrenze." Was wir hier finden, sind gewisse runde Formen, welche an den
Thalgehängen auftreten. Am grofsartigsten , förmliche Mittelgebirge bildend,
sind sie in den grofsen Lttngsthälern ausgeprägt; „diese werden auf beiden
Seiten zunächst von einer Zone abgerundeter Berge mittlerer Höhe begleitet,
hinter denen erst die höheren Berge mit scharfen Formen einsetzen. Diese
abgerundeten Berge sind meistens Sporne, die von den höheren Ketten gegen
das Thal hin auslaufen, oder hohe Terrassen, die ihnen angelagert sind; es
sind aber stellenweise auch ganze Ketten oder Rücken vorhanden, die mit
dem Thal parallel hinziehen." Die Höhe dieser Berge beträgt im oberen
Rhonethal 20(K) bis 2500 m.
Man wird zuerst geneigt sein, diese Gebilde zu den Terrassen-
bildungen zu rechnen, welche Rütimeyer und Heim als die Reste alter
Thalböden aufgefafst haben, die sich während der Ruhepausen bei der Hebung
des Gebirges gebildet hätten. Für die untersten Längsterrassen der Thäler
ist diese Erklärung zweifellos richtig; oft hat man hier ja den alten Thalboden
noch in voller Deutlichkeit vor sich, in den der Flufs nachträglich nur eine
enge Klamm eingegraben hat. Die höheren Terrassen dagegen sind meist nur
schmale Leisten am Gehänge, deren Zusammengehörigkeit zu einem Niveau nicht
mehr unmittelbar zu sehen ist, sondern im Geiste rekonstruiert werden mufs,
wobei leicht Täuschungen unterlaufen können; gegen ihre Auffassung als
alte Thalböden sind daher Zweifel erlaubt. Wir können uns auch schwer
vorstellen, dafs die alten Thalböden jemals eine so grofse Breite gehabt haben
sollten, wie sie sich bei den höheren Terrassen aus dem Abstand der gegen-
überliegenden Thalleisten ergiebt. Richter verleiht damit einem Bedenken Aus-
druck, das schon manchem aufgestiegen sein wird, und ich möchte dazu noch
das weitere Bedenken fügen, dafs wir für eine so grofse senkrechte Hebung
der ganzen Gebirgsmasse, wie sie die hohe Lage solcher ebener Thalböden
voraussetzt, doch gar keinen Anhalt haben.
Allerdings stoßen auch andere Erklärungen dieser Mittelgebirge auf
Schwierigkeiten. Für die Möglichkeit einer so umfangreichen Abhobelung
durch den alten Gletscher fehlt uns jeder Beweis. Richter meint, dafs
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über die Oberflächenformen der Hochalpcn.
451
zuerst eine Erniedrigung der den Längsthälern benachbarten Berge durch die
Erosion der Flüsse und die Wirkung des spülenden Wassers stattgefunden
habe, und dafs dieso erniedrigten Berge dann vom Gletscher abgerundet
worden seien, so dafs die Mittelgebirge jedenfalls als Anzeichen für die Höhe
der alten Eisströme gelten dürften.
Einen Zusammenhang mit der alten Vereisung haben aller Wahrschein-
lichkeit nach auch die Thal stufen, die wir im Längsprofil fast aller einst
vergletscherten Thäler finden, und die, wie wir sehen werden, mit den Kar-
treppen durch allmähliche Übergänge verbunden sind. Nur in einzelnen Fällen
lassen sie sich durch Härteunterschiede oder verschiedene Grade der Ver-
witterbarkeit des Gesteines erklären. Leichte Unterschiede von Strecken
gröfseren und geringeren Gefälles sind zwar auch in Thälern ohne alte Ver-
gletscherung vorhanden, aber in Thälern, die einmal vergletschert waren, ist
die Stufenbildnng viel ausgeprägter. Wir können diese Wirkung der alten
Gletscher noch nicht erklären, aber wir müssen es als eine Erfahrungsthat-
sache hinnehmen, dafs sie aus dem anstehenden Gestein überall Gruben und
Riegel herausarbeiten und durch die Art ihrer Bewegung und Arbeit einmal
vorhandene Unterschiede des Gefälles verstärken und in förmliche Stufen
umwandeln. Man hat diese Stufenbildung mit dem allmählichen, jedoch nicht
gleichmäfsigeu Rückzug der Gletscher in Verbindung gebracht; aber es wird
kaum angängig sein, jede Thalstufe als eine Marke in dieser Rückzugs-
bewegung anzusehen, weil die Gletscherenden überhaupt nie so lange an
einer Stelle stehen bleiben, sondern unruhig hin- und horschwanken.
Zu den charakteristischen Ansbildungsweisen ehemals vergletscherter
Thäler gehören auch die U-förmigen Thäler oder Thaltröge1). „In sehr
vielen Querthälern des kry stall inisehen Gebirges sieht man in die Thalfurchen,
wenn man den Gehängen von oben herab folgt, plötzlich eine Art trog-
förmiger Vertiefung eingesenkt" Der Trogrand, der etwa 2 — 300 m über
der Thalsohle liegt, „läuft dieser im allgemeinen parallel, ohne gerade jede
Stufe genau abzubilden. Er ist durch die herabströroenden Bäche in ein-
zelne bastionsartige Stücke zerschnitten, wodurch aber der Charakter des
zusammenhängenden Randes nicht verwischt wird." Im Hintergrunde der
Thäler schliefsen sich die Trogwände häufig zusammen, so dafs Thalzirken
oder Sack thäler entstehen. Man hat die Trogform meistens der Wirkung
des dem Thale eingelagerten Gletschers zugeschrieben. „Dieser greift bei
seiner Bewegung Vorsprünge und Unregelmäfsigkeiten des Thalweges stärker
an als die zurücktretenden Partien seines Bettes, sucht dieses also einer halb-
i'ylindrischen Rinne ähnlich zu machen," unterschneidet auch in Folge der
schnelleren Bewegung seiner tieferen Partien häufig die Gehänge und trägt
dadurch zur Herstellung steilerer Gehänge bei. Der obere Rand der Thal-
tröge wird also immer über den oberen Rand der Eisströme aufragen müssen.
Thatsächlich sehen wir ihn aber bedeutend tiefer liegen, als die Eisstromhöhe
war, wie sio durch die Lage des Erratikums und auch durch Schliffspuren
1) Es ist zu beuchten, dafs Penck (Morphologie Bd. II, S. 65) diesen Aus-
druck in anderem Sinne gebraucht.
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452
Alfred Hettner:
unzweifelhaft bestimmt ist. Diesen Widerspruch können wir uns nicht anders
als durch die Annahme erklären, dafs die Tröge nicht das Werk der Gletscher
zur Zeit ihrer gröfsten Ausdehnung gewesen sind, sondern aus einer Zeit
stammen, in der das Eis nicht mehr aufgestaut war, und nur Oletscherzungen
nach Art der heutigen Gletscher in den Thälern lagen. Die Thaltröge
stammen also wahrscheinlich erst aus dem Schlaft der Eiszeit, wofür auch
ihre frische und energische Ausbildung spricht. Aber auch bei dieser Auf-
fassung bleiben doch noch Schwierigkeiten bestehen. Namentlich läfst sich
der zirkusförmige Abschlufs nicht mit dem Herabsteigen eines Gletschers von
oben her in Einklang bringen, der vielmehr den Trogrand allmählich
niederschleifen müfste, wie wir es thatsächlich in manchen Füllen sehen1).
Nun wollen wir aber die Thäler verlassen und uns zu den grofsen
Firnfeldern am oberen Rande der Eisströme begeben. Ein ganz anderer
Formencharakter tritt uns hier entgegen: statt der ausgesprochen linearen
Hohlformen der Thäler ausgedehnte, meist muldenförmige Hochflächen, die
gewöhnlich von steilen, mit Karen besetzten Felswänden umgeben sind. Ihre
Entstehung ist noch keineswegs genügend erklärt. Jedenfalls sind sie nicht
unmittelbar tektonischer Entstehung, sondern Skulpturformen. Ihre Anlage
stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus der der Eiszeit vorangehenden Zeit
eines milden Klimas, in welcher Wasserwirkung die Gestaltung des Gebirges
beherrschte; es sind die oberen, nur wenig eingeschnittenen Stücke jener alten
Thäler. Aber die weitere Ausbildung zu ihrer heutigen Form ist dann gerade
dadurch bedingt, dafs sich eine Firndecke bildete, und dafs damit der Arbeit
des Wassers Einhalt gethan wurde, die Thalbildung zum Stillstand kam.
Wahrscheinlich ist, wie wir aus der Geringfügigkeit der Durchthalung
schliefsen können, die Firnbedeckung schon ziemlich früh eingetreten und
auch, wenn auch natürlich verkleinert, in den Interglazialzeiten erhalten ge-
blieben; am Rande dieser verkleinerten Firnmulden der Interglazialzeiten
bildeten sich grofse Thalstufen aus, über die dann in den Glazialzeiten und
auch in der Gegenwart, in der die Vergletscherung doch wohl etwas gröfser
als in den Interglazialzeiten ist, die Gletscher in Kaskaden herabstürzen. Die
Firneinlagerungen und damit der Stillstand der Erosion waren zunächst
natürlich auf die Thalböden und die unteren Teile der Gehänge beschränkt;
an den umfassenden, über den Firn aufragenden Hängen nagte dagegen die
Verwitterung, nach Mafsgabe der Gesetze, die wir gleich näher studieren
werden, und legte sie allmählich immer weiter zurück, wobei sich ein flach
geneigter Fufskegel bildete, von dem nun auch der Firn Besitz ergreifen
konnte. Schließlich wandelten sich die Hänge vollständig in flache Böschungen,
die dazwischen liegenden Grate in gerundete Rücken um, über die der Firn
hinauswuchs. Die Firnfelder frafseu gleichsam ihre Ränder, benachbarte Firn-
felder verschmolzen mit einander, und so bildeten sich allmählich die heute
vorhandenen Hochmulden heraus.
Man hat sich früher vorgestellt, dafs in der Eiszeit die Alpen, ähnlich
1) Vergl. die Abbildung in Schjcrning, Der Pinzgan. Forsch. /.. d. L u.
V. Bd. X Heft 2, S. 17G
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Über die Obcrflächenforraen der Hochalpen.
453
wie heute Grönland, ganz mit Firn und Eis überdeckt gewesen seien. Wir
haben ja aber schon gesehen, dafs die Spuren der Eisströme deutlich eine
obere Grenze zeigen, und dafs die darüber aufragenden Kämme und Gipfel
gezackte, scharfkantige Formen besitzen, weil sie auch in der Eiszeit frei
von Firn und Eis waren oder wenigstens keine zusammenhangende Eisdecke
trugen, dafs sie also „Inseln im alpinen Eismeere" darstellten. „Her
Anblick, den man im Herbst geniefst, wenn Nebel bis 2000 oder 2.r>00 m
Höhe die Thäler erfüllt, während die Kämme und Gipfel frei darüber auf-
ragen, dürfte daher dem Aussehen der Alpen zur Eiszeit ziemlich genau ent-
sprechen." Freilich waren diese Kämme und Gipfel damals stark verfirnt,
und zahllose kleinere und gröfsere Gletscher zogen sich von ihnen in die
eiserfüllten Thäler hinab.
Zu den wichtigsten und charakteristischsten Formgebilden der Kämme
gehören die Kare1), mit deren Entstehung sich Richter schon früher in
seinen gcomorphologischen Studien aus Norwegen beschäftigt hatte, und die den
Ausgangspunkt und wichtigsten Gegenstand auch dieser geomorphologLschen
Untersuchungen aus den Hochalpen bilden. Die Kare sind kesseiförmige,
im Grundrifs bald mehr halbkreisförmige, bald mehr länglich gestreckte
Nischen in den Gebirgskämmen, welche nach rückwärts und nach den Seiten
hin bogenförmig durch steile Wände geschlossen sind, während der flache
Boden nach vorn geöffnet ist und dort in der Regel ziemlich unvermittelt
in einen Steilabsatz übergeht. Sie liegen mitten im Gebirgsgehänge, meist
nahe am Kamme, hoch über der Sohle des benachbarten Thaies, zu welchem
sich von ihnen nur unbedeutende Wasserrisse herabzuziehen pflegen. Mitunter
treten sie vereinzelt auf, häufig aber liegen sie reihenweise neben einander
und bestimmen dann die Gestaltung des ganzen Kammes. Während ihre
Wände scharfkantige Verwitterungsformen zeigen, beherbergt ihr Boden ent-
weder, in den sog. aktiven Karen, noch jetzt Firn bez. einen kleinen Gletscher
oder zeigt doch charakteristische Rundhöckerlandschaft und Schliffspuren, die
mit Bestimmtheit auf frühere Gletschereinlageruug hinweisen. Den niedrigeren
Kämmen der Ostalpen sowie anderen Gebirgen, die nie vereist waren, fehlen
sie ganz. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dafs ihre Entstehung
mit der Eiszeit in Zusammenhang steht. Man hat sie wohl der Auskolkung
durch Eisströme zugeschrieben, die von oben hereintraten; dagegen sprechen
aber die Häufigkeit der Lage dicht am Gebirgskamme, das häufige Fehlen
von Fimspuren oberhalb der Kare, die Scharfkantigkeit der Karränder und
die Seltenheit von Gletscherscbliffen an den Karwänden.
Den Anlafs zur Bildung der Kare mufs wohl das Vorhandensein irgend
einer Nische im Berggehänge gegeben haben, die in den meisten Fällen wohl
durch die präglazialen Wasserrisse, gelegentlich wohl auch durch kleine Berg-
stürze geschaffen worden war. Wenn sich dann in der Eiszeit die Sehnee-
grenze herabsenkte, konnten sich gerade in solchen Nischen leicht Firn-
1) Die von Richter bevorzugte Schreibung .,Kahra scheint mir unnötig zu
sein, da das Wort auch ohne das Dehnung« -h lang gesprochen werden mufti und
die unnötige Anwendung von Dehnungszeichen dem Geist der neueren Rechtschreibung
widerspricht.
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454
Alfred Hettner:
ansaminlungen und kleine Gletscher bilden, die nun den Boden vor weiterem
Einschneiden schützten und den von den Wänden herabfallenden Schutt an
ihrer Oberfläche abgleiten liefseu oder durch ihre Bewegung hinausschafften
und dabei auch den Boden im einzelnen bearbeiteten. An den Wänden arbeitet«,
da die Temperatur oft um den Gefrierpunkt herumschwankte, die Frost-
verwitterung mit voller Kraft, ohne dabei von spülendem Wasser wesentlich
beeinträchtigt zu werdeu, und diese Verwitterung und Absplitterung ist auch
heute, nachdem die Schneegrenze wieder höher hinauf gerückt ist, noch in
vollem Gange, wie die Häufigkeit von Lawinenschlägen und einzelnen Stein-
stürzen beweist. Daher die scharfen, frischen Formen.
Die Steilheit und Gestalt der Wände ist je nach der Härte und Festigkeit
des Gesteins sehr verschieden; bei weichen Gesteinen kann man überhaupt
nicht mehr von Karwänden, sondern nur von Karhängen oder Karböschungen
reden, dagegen besteht bei grofser Härte des Gesteins oder bei Vorhanden-
sein senkrechter Absonderung und ebenso bei sehr kräftiger Verwitterung die
Neigung zu grofser Steilheit. Im Laufe der Zeit wurden die Wände wenigstens
im oberen Teil immer weiter zurückgedrängt, die Nische erweiterte sich,
während sich am Fufse ein aus Schutt und stehengebliebenem Fels bestehender
flacher geneigter Kegel bildete, über den sich nun, solange die Schneegrenze
tief genug lag, der Firn ausbreiten und dem er die eigentlichen Formen des
Firnbodens aufdrücken konnte.
Der grofse Fortschritt in Richter's Auffassung der Kare1) gegenüber den
älteren Auffassungen scheint mir darin zu bestehen, dafs ihre Verwandtschaft
mit anderen kesseiförmigen Gebilden erklärlich wird, wie sie aus dem Cauon-
gebiet des Colorado, aus der sächsichen Schweiz, aus der afrikanisch-arabischen
Wüste u. a. beschrieben worden sind. Die Kare sind also keineswegs
wofür man sie oft gehalten hat, eine ganz isolierte Erscheinung, sondern nur
ein Glied in einer Reihe verwandter Formen. Die gemeinsamen Entstehuugs-
bedingungen aller dieser Bergkessel oder Amphitheater sind nach Kichter
das Vorhandensein fester widerstandsfähiger Schichten, und zwar am besten
in schwebender Lagerung, sowie das Fehlen der Abspülung. Sie können sich
also ebensogut wie in den Hochregionen oberhalb der Schneegrenze auch in
Trockengebieten oder auch in solchen regenreichen Gebieten ausbilden, wo
der Niederschlag nicht oberflächlich abfliefst, sondern im Boden einsickert.
Die Verschiedenheiten lassen sich hauptsächlich darauf zurückführen, welche
Kraft den von den Wänden gelieferten Schutt wegführt, und machen sich
daher hauptsächlich am Boden geltend; die spezifischen Merkmale der Kare
sind iu der Einlagerung von Firn und kleinen Gletschern begründet nud äufsern
sich in Abrundung und Schleifung des Bodens und häufig auch in dessen
Ausgestaltung zu einem Becken.
1) Zu dem gleichen Ergebnis über die Bildung der Cirkcn oder Kare ist neuer-
ding« auch K. de Martonue auf Grund seiner Studien in den südlichen Kurpaten
gekommen. (Annales de Geographie X, 1901, S 10 ff., vgl. «las Referat Richter's
in l'et. Mitt. 1901 L. B. 300.) Es inufs darauf hingewiesen werden, dafs seine
Ausführungen in der Hauptsache auf dasselbe hinauslaufen wie Richters frühere
Untersuchungen, die M. nicht genügend gewürdigt hat.
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über die Oberflachenformen der Hochalpen.
455
Auch das häufige Auftreten von Seen, dio teilweise Felsbecken sind,
am Boden der Kare gehört zu den glazialen Merkmalen, wenn wir uns auch
über die Art ihrer Bildung noch keine klare Vorstellung machon können.
Richter meint, dafs eigentliche Glazialerosion hier kaum möglich sei, möchte viel-
mehr eher an chemische Zersetzung und damit Gesteinsauflösung am feuchteu
und relativ warmen Gletschergrunde und Ausräumung durch das Eis denken.
Obgleich die Kare charakteristische Merkmale alter Vergletscherung bilden
und man aus dem Auftreten von Karen mit Sicherheit auf alte Vergletscherung
schliefsen kann, kann man in den Alpen daraus doch nicht ohne weiteres die
Höhe der alten Schneegrenze bestimmen. Die Bestimmung der sog.
klimatischen Schneegrenze bietet wenigstens bei gröfseren Karen schon inso-
fern Schwierigkeiten dar, als diese immer eine orographische Begünstigung
darstellen, sie also unterhalb der klimatischen Schneegrenze liegen können.
Bei Karen mittlerer Gröfse darf man jedoch annehmen, dafs wenigstens die
oberen Teile des Karbodens oberhalb der Schneegrenze gelegen haben.
Besondere Schwierigkeiten bietet das Studium der Kare in den Kalkalpen dar.
Während die Kare in den krystallinischen Alpen raeist einer Höhenzone
angehören, so dafs man eine Kar-Isohypse zeichnen kann, sind sie in den Kalk-
alpen ganz unregelmäfsig verteilt, und dazu kommt noch, dafs sie hier von
ähnlichen Formen, nämlich von den Zirken, welche sich an den die Kalkstöcke
umgebenden Kliffen bilden, den Einbiegungen der Kalkwände und den Dohnen
oft schwer zu unterscheiden sind. Es scheint, dafs die Kare in den Kalk-
alpen in Folge von deren Randlage und in Folge der hier häutig gebotenen
orographischen Begünstigung teilweise sehr tief gelegen haben, worauf Richter
jedoch nicht näher eingeht, um den Veröffentlichungen Pen ck 's und Brückner's
nicht vorzugreifen. Auch in den inneren Teilen der Alpen treten uns die
Kare in den verschiedenen Gegenden in sehr verschiedener Zahl und in sehr
verschiedener Meereshöhe entgegen. Sie liegen hier, wie uns schon ein flüch-
tiger Überblick lehrt, oft viel höher, als die Schneegrenze in der Eiszeit ge-
legen haben kann. Das erklärt sich teilweise aus der Höhe der Kämme;
denn echte oder Ursprungskare können sich immer nur nahe dem Kamme
bilden, weil tiefer unten am Gehänge die aus den oberen Karen herab-
kommenden Eisströme die eigentlichen Kare zerstören und es nur, je nach
der Steilheit des Gehänges, zur Bildung von Kartreppen oder von flachen aus-
gescheuerten Rinnen oder von Gletscherabbrüchen kommen lassen; die Ursprungs-
kare steigen also mit der Höhe der Kämme in die Höhe. Ferner ist die
Ausbildung von Karen nur möglich, wenn der Gebirgskörper in der Höhe,
in der die Kare ansetzen, breit und massig genug ist, um die Einschiebung
eines Stückes mit stark vermindertem Neigungswinkel zu gestatten. Die Breite
des Gebirgskammes hängt aber wieder von dem Abstand der Thäler, zwischen
denen er aufsteigt, und seiner relativen Höhe über dem Thalboden ab. Im
allgemeinen mufs, wie Richter an der Hand einer gröfseren Zahl von Aus-
messungen feststellt, dio Breite der Kämme dreimal gröfser als die Höhe
sein und darf der Neigungswinkel nicht mehr als 31° betragen, damit die Kar-
bildung möglich sein soll. Während z. B. in den ötzthaler Alpen die Thäler
verhältnismäfsig weit auseinander liegen und die Kämme breit und deshalb
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456
Alfred Hettner:
auch reich an Karen sind, finden wir in den Zillerthaler Alpen nahe zusammen-
gerückte schmale Kämme ohne Kare. Die mittleren Stücke der Querkamme,
die sich gewöhnlich am höchsten über die Thalsohle erheben und am steil-
wandigsten sind, sind der Karbildung am wenigsten günstig; die Kare ziehen
sich hier in die Seitenthäler zurück. Drittens können sich Kare immer nur
au den über die grofsen Eisströme aufragenden Teilen der Gehänge, folglich,
da die Eisströme über die Schneegrenze aufragten, oft erst in beträchtlicher
Höhe über der Schneegrenze gebildet haben. Nur die Kartreppen oder Stufen-
kare reichten öfters unter das Niveau des Eisstromes herab.
Überblicken wir nun die Verbreitung der Kare in den verschiedenen
Teilen der Alpen, um daraus Schlüsse auf die Höhe der alten Schneegrenze
zu ziehen, so tritt uns die auffallende Thatsache entgegen, dafs sie in vielen
Ketten der Ostalpen ganz fehlen, dafs diese also gar nicht oder nur wenig
in die Region des ewigen Schnees hineingeragt haben können. Gut entwickelte
Kare kommen in den steirischen Alpen nur an Gipfeln vor, die 21<K> m wesent-
lich übersteigen, und liegen selbst nirgends unter 1600 ni, meist etwas höher.
Die Schneegrenze lag hier also, offenbar unter dem Einflufs eines kontinen-
talen Klimas, sehr hoch, etwa in 1600 bis 1800 m Meereshöhe, also viel höher
als in den deutschen Mittelgebirgen, in denen es ja eine ganze Anzahl von
Karen giebt. In grofser Zahl und in geselligem Auftreten finden wir die Kare
zuerst in den Niedereu Tauern, die man geradezu als den Typus eines
gegenwärtig unvergletscherten Kargebirges ansehen kann. Weiter westwärts
werden die Kare in gröfsere Höhe hinaufgedrängt, weil die grofsen Eisströme
die Thäler erfüllen; sie können deshalb hier nicht zur Ermittelung der eigent-
lichen Schneegrenze benutzt werden. „Hingegen giebt es sowohl in den nörd-
lichen als in den südlichen Randgebieten der Alpen viele Vorketten und
Einzelgruppen, welche zwischen den grofsen Eisströmen so gelagert waren,
dafs sie eine selbständige Lokalvergletscherung trugen, und darum Spuren
aufweisen, die zur Bestimmung der eiszeitlichen Schneegrenze verwendet werden
können." Diese Spuren reichen in den nördlichen Alpen bis auf 1000 — 1200 m
herab und liegon auch in der Nähe des Mittelländischen Meeres ziemlich tief,
während sie sich in den piemontesLscheu Alpen iu betrüchtliche Höhen zurück-
ziehen. „Eine genauere Untersuchung dieser Spuren der lokalen Vergletsche-
rung besonders am französischen und italienischen Alpenabhange verheifst
noch reiche Erfolge."
Mit dem Auftreten der Kare, also oberhalb des Niveaus der alten Schnee-
grenze oder, wo die Eisströme über diese emporragten, über dem oberen Rande
der Eisströme, ändert sich die ganze Physiognomie des Gebirges. Dar-
unter finden wir die vom Wasser geschaffenen und teilweise von den Eis-
strömen umgestalteten „Mittelgebirgsformen". Einzelne Kare, wie wir sie
z. B. in den deutschen Mittelgebirgen finden, heben diesen „Mittelgebirgs-
charaktcr" noch nicht auf. Aber wo die Kare reihenweise, gewissennafseu
gesellig, längs der Kämme hin neben einander liegen, also an Kämmen, die
wenigstens 2 — 300 m über die eigentliche Schneegrenze aufragten, beginnen
andere Formen. In den Kalkalpen, die auch schon in tieferen Regionen
Neigung zur Wandbildung haben, geht der Gegensatz allerdings oft verloren;
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Über die Oberflachenformen der Hochalpen. 457
in den krystallinischen Gebirgen ist er aber überall mit grofser Deutlichkeit
ausgesprochen. An die Stelle der breiten Rücken der mittleren Höhen treten
hier zugeschärftc, daehähnliche Grate mit steilen, schart kantigen Wänden:
die bekannten charakteristischen Formen der Hochalpen. Diese sind also,
nach dem, was wir über die Entstehung der Kare gehört haben, ein Er-
zeugnis der Eiszeit; nicht das heutige Klima und die heutige Schneegrenze,
sondern Klima und Schneegrenze der Eiszeit sind also für die Physiognomie
der einst vergletscherten, jetzt eisfreien Hochalpen in erster Linie bestimmend.
Wo eine zusammenhängende Pflanzendecke in die Karregion hinaufreicht und
sich in Folge davon das Wasser zu gröfseren Adern sammeln kann, haben
allerdings chemische Zersetzung und Erosion die alten Formen angegriffen
und verwischt; aber oberhalb des zusammenhängenden Pflanzenkleides, das ja
nur den untersten Teil der hochalpinen Region verhüllt, sind die alten
glazialen Formen, nicht nur die Kare selbst, sondern auch die gröfseren
Karseen, oft in erstaunlicher Frische erhalten. Am auffallendsten tritt uns
dieser glaziale Charakter der Hodengestaltung an solchen Ketten wie den
Niederen Tauern oder den Nebenketten der Hohen Tauern entgegen, die
heute überhaupt nicht mehr in die Firnregion aufragen.
Der Übergang von dem Mittelgebirge in die hochalpinen oder, wie wir
ja auch sagen können, von den durch das Wasser gebildeten (hydatogenen)
zu den glazialen Formen ist immer mit einem auffallenden Terrai uabsatz
oder Gefällsbruch verbunden. Die Mittelgebirgsformen schliefsen am oberen
Rande mit einer Fläche ab, die mit einer Rundhöckerlandschaft besetzt ist,
und erst etwas nach hinten gerückt steigen die schroffen hochalpinen Formen auf.
Dieser Gefällsbruch ist die Wirkung eines Abtragungsvorganges, der sich aus
der Entstehung der Kare leicht erklären läfst. Wir haben ja gesehen, dafs
diese auf einer Wand Verwitterung und auf der Uberdeckung des Fufsgestelles
mit Firn und Eis beruht. Diese Wandverwitterung gehört der Region ober-
halb der Schneegrenze au, wo das Gestein beständig Temperaturwechseln
um den Gefrierpunkt herum ausgesetzt ist, und kann daher mit gröfserer
Geschwindigkeit als die Zerstörung in der darunter liegenden Zone fortschreiten,
in der die Pflanzendecke den Boden schützt. Die Folge dieser plötzlich ein-
tretenden Verschiedenheit in der Stärke der Abtragung ist die Ausbildung
jenes Absatzes. Wo die Kare an den beiden Seiten schmaler Kämme nahe
an einander liegen, hat die allmähliche Rückverlegung ihrer Wände zu vollstän-
diger Zerstörung der zwischenliegcnden Grate und Herstellung einer Deuu-
dationsplatte führen können, ganz ähnlich wie ich es von den Felskesseln der
sächsischen Schweiz beschrieben habe. Mitunter kann man zwei solche
Denudationsllächeu über einander unterscheiden, von denen die untere durch
die Höhe der alten, heute gletscherfreien Kare, die obere durch die Höhe der
heutigen, von Gletschern besetzten, aktiven Kare gegeben ist, diese also der
Höhe der heutigen, jene der Höhe der eiszeitlichen Schneegrenze oder, wo die
Kisströme darüber aufragten, dem oberen Rande der alten Eisströme ent-
spricht.
Man kann es wohl als ein allgemein gütiges Gesetz aussprechen, dafs
die Anordnung und bis zu einem gewissen Grade auch die Formen der Gipfel
OMglSphiMha ZeiUi'hrift. 7. Jahrgang. r.HH. S Heft. Sl
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458 Alfred Hettner: fvber «1 i o Oberflächen formen der Hochalpen.
durch die Anordnung der Erosionsformen bestimmt werden, und dafs die Harte
und Widerstandsfähigkeit des Gesteins, auf die man früher den Hauptwert
gelegt hat, nur sekundär in Betracht kommen. In den Hochalpen, besonders
an den Ketten mittlerer Höhe, sind die Kare die herrschende Hohlform: darum
sind auch die Gipfel von ihnen abhängig. Wo die die Kare von einander
trennenden Rippen den Kamm treffen, stehen Gipfel. Je nachdem drei oder
vier Grate zusammentreffen, sind die Gipfel regelmäfsige Dreikanter, wie der
Glockner, oder Vierkanter, wie der Grofs- Venediger, gelegentlich auch Zwei-
kanter, wie das Finsteraarhorn. In den höchsten Gebirgsmassen , die durch
ganzliche Verfirnung vor den Insulten der gröfseren Temperaturwechsel ge-
schützt sind, die auch schon früh verfirnt waren und die Verfirnung auch
während der Interglazialzeiten bewahrten und darum nicht vom Wasser an-
geschnitten und zerschnitten werdeu konnten, finden wir statt der einzelnen
Gipfel gewöhnlich umfangreichere und verwickelt gebaute Massive, wie etwa
den Mont Blanc und deu Monte Rosa, die oft in mehreren Stockwerken auf-
gebaut sind. Diese grofsen verfirnten Massive unterliegen geringerer Zer-
störung als die tieferen Gebirgsteile und werden sich daher im Laufe der
Zeit immer mehr herausheben. „Es mufs eine Tendenz zur steigenden Differen-
zierung zwischen den ganz hohen und den etwas niederen Teilen eines uud
desselben vergletscherten Gebirges bestehen." Aber von den Seiten her arbeitet
die Zerstörung doch auch an diesen Massiven. Ihre Wände werden allmählich
zurückgeschoben, die Masse des Herges wird immer diinnleibiger und schliefslich,
wie z. H. das Matterhorn, so schlank, dafs sich keine Firnhaube auf seinem
Scheitel halten kann. Dann ist seine Abtragung nur noch eine Frage kurzer Zeit.
So hat Richter eine Anzahl alpiner Gehirgsformen einer eingehenden
Analyse unterworfen, die wir hier natürlich nur in den Hauptzügen haben
wiedergeben können. Als das Hauptergebnis läfst sich wohl Folgendes be-
zeichnen: die Formen der niederen Teile der Alpen sind, ähnlich wie die Formen
der deutschen Mittelgebirge, Formen der Wasserwirkung, die nur in den grofsen
Thälern durch die Wirkung der Eisströme modifiziert sind. Dagegen haben
die Formen der Hochalpen bis zur eiszeitlichen Schneegrenze bez. bis zum
oberen Rande der alten Eisströme herab in den klimatischen Verhältnissen
und in der Firn- und Eisbedeckung der Eiszeit ihren Ursprung. Es sind
dieselben Formen, die wir auch im skandinavischen Hochland und iu anderen
ehemals vergletscherten Gebirgen antreffen. Die Unterscheidung zwischen
Mittelgebirgs- und Hochgebirgsformen , die man bisher oft gemacht hat, löst
sich damit in eine Unterscheidung zwischen fluviatilen oder hydatogenen und
glazialen Formen auf. Das Auftreten der einen oder der anderen Formen*
reihe erscheint nicht mehr als eine Funktion der Höhe des Gebirges, sondern
der heutigen oder ehemaligen Vergletscherung, die aufser von der Höhe doch
auch von dem Klimagürtel anhängig ist. Während die sog. Hochgebirgs-
formen z. B. an den Lofoten in ziemlich geringe Meereshöhe hinabsteigen,
fehlen sie vielen Hochgebirgen der Tropen, die nur „Mittelgobirgsforoien"
haben. Und die Steppen- und Wüstenformen, auf die Richter gelegentlich
hinweist, fügen sich dem Schema überhaupt nicht ein. Die Bezeichnungen: „Hoch-
gebirgsformen" und „Mittelgebirgsformeu" erweisen sich also in diesem Sinne
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Kleinere Mitteilungen.
459
als unrichtig und sollten deshalb — Richter hat diese Konsequenz leider nicht
gezogen — in diesem Sinne lieber ganz fallen gelassen und durch Bezeich-
nungen ersetzt werden, welche die Entstehung der Formen richtig zum Aus-
druck bringen, wie es etwa dio Unterscheidung tluviatilcr (oder hydatogener)
und glazialer Gebirgslbnnen thun würde. Den Ausdruck „hochalpine Formen"
kann man natürlich innerhalb der Alpen ruhig anwenden und gelegentlich
wohl auch auf andere Gebirge übertragen, obgleich man sich in dem Gebrauche
des Begriffes „nlpin" als eines Gattungsbegriffes etwas mehr Zurückhaltung auf-
erlegen sollte, als es oft geschieht. Gewisse audere. Formunterschiede, die
man in die Begriffe Hoch- und Mittelgebirgsformeu einbefafst hat, dürften
sich übrigens auf die Unterscheidung zwischen Falten- oder Kettengebirgs-
und Schollengebirgsfonnen zurückführen lassen, wahrend wieder andere Formen-
unterschiede wirklich auf den Höhenverhiiltnissen beruhen und mit Recht als
Hoch- und Miltelgebirgsformen gekennzeichnet werden können.
Kleinere Mitteilungen.
Der Gletschersturz von Simpeln am 19. Marz 1901.
Der verdienstvolle Nestor der Schweizer Naturforscher, Dr. Coaz, berichtet
im Berner „Bund" vom 21. Juni und folg. über einen Gletschersturz, der am
Ii). Marz d. .1. vom Fletschhorn ab am jenseitigen Abhang der Simplonstrafse
stattgefunden hat. Wenn auch seine Dimensionen und die Verheerungen, die
er angerichtet, hinter dem Sturz von der Altels am 17. September 1895
wesentlich zurückblieben, so ist doch auch er ein Vorgang von nicht geringen
Malsen gewesen, und auch hier waren zwei Menschenleben und eine stattliche
Herde Vieh (18 Rinder und 40 Stück Kleinvieh), viele Scheuern mit Heu-
vorräten, ein Lürchenwald und eine lange Absperrung der Strafsc auf die
Verlustrechnung zu setzen.
Die Lage der Örtlichkeiten wird aus Bl. 501 des topographischen Atlas
der Schweiz 1 : 50 000, und der Vorgang aus Coaz' Beschreibung vollkommen
verstündlich. Wenn man die Pafshöhe des Simplou überschritten hat, senkt
sich die Strafse rasch in das Thal des Krummbachcs, das von hier ab auf
8 Kilometer Dünge als ziemlich breites und nicht sehr stark geneigtes Hoch-
thal mit Alpeuhütten sich hinzieht bis zum Dorfe Simpeln. Erst von hier
abwärts schneidet der Bach tiefer ein, das Thal senkt sich rasch und wird zu
einer felsigen Engschlucht. Der Schauplatz des Gletschersturzes ist das
Thalstück unmittelbar oberhalb Simpeln. Hier mündet von rechts, das ist
Südwest, ein kurzes, aber weites, und von gewaltigen Bergriesen umstandenes
Hochthal, ein Zirkus, in das Krummbachthal ein. Auf eine Strecke von
6 Kilometern halt sich die Umrandung dieses Zirkus höher als 3000 m, und
der höchste Funkt, das Fletschhorn mifst sogar 4001 m. Acht sehr steile Kahre
sind in die Zirkuswanduug eingelassen. Sie entsenden zwei gröfsere Gletscher,
den Griefseren- und den Rofsbodengletscher, und zahlreiche Lawinenzüge,
wofür der Name der rechten, schattenseitigen Zirkuswand — Breitlaub —
bezeichnend ist,
n*
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Kleinere Mitteilungen.
Der Rofsbodengletschcr reicht bis auf den Grund des Zirkus, und hat
hier sehr bedeutende Moränen aufgehäuft. Er ist angeblich seit der Mitte
des 19, Jahrhunderts fortwährend im Rückgang; Beobachtungen liegen nur
aus den letzten 5 .Jahren vor. Während dieser betrug der Rückzug allerdings
nur Ii — 8 m. Aufser den Moränen dieser letzten Bewegungen liegt aber
ungefähr 1 Kilometer weiter thalabwürts, schon ganz im Krummbachthal, ein
älterer, wahrscheinlich prähistorischer Moräuenriug, den die Simplonstrafse
anschneidet. Er ist für die Geschichte der Gletscherforschung von Bedeutung
geworden, indem 1818 der Walliser Ingenieur M. Venetz (f 1859) hier zuerst
auf die in den Alpen verbreiteten Spuren einer einstigen gröfsereu Gletscher-
ausdehnung aufmerksam wurde. Venetz verdanken wir aber die ältesten
sicheren Beobachtungen in dieser Richtung. Ereilich denken wir jetzt nicht
mehr an die grofsen, eigentlichen Eiszeiten, wenn wir einige Kilometer von
deu gegenwärtigen Gletschern entfernt einen Moränenring antreffen, sondern
sprechen von „postglazialen Stadien".
Der grofse Gletscherzirkus, dessen unterer Teil, soweit er von Matten
und Lärchenhainen eingenommen wird, in der Seng heifst, und insbesondere
Stuwlwhn d.-» {JlKuchors.tur/.-s >»ei Simpeln «m 19 Marz 1901.
der postglaziale Moränenring war nun der Schauplatz der Katastrophe vom
19. März. Noch Ende Mai lag in dem Moränenring und über diesen hinaus
ein Lawinenrest aus Gletschereis und Schutt, der 67 ha Eläche bedeckte. Er
war in dieser Zeit — 9 Wochen nach dem Absturz — bereits vollkommen
mit ausgeschmolzenem Schutt bedeckt, und nur in dem Einschnitt, den man
für die Strafse hergestellt hatte, sah man, wie er aus Gletschereis, Eirn und
wenigen Steinen zusammengebacken war. Die Dicke der in unregelmäfsigen
Haufen und Strömen augeordneten Massen wird auf 4 — 15 m angegeben. Es
sind Eelsblocke bis zu 10OO cbm Gröfse mitgerissen worden, darunter auch ein
Block, von dem ab in den Jahren 1897 bis 189!) der Gletscherrückgang
gemessen wurde, und in welchen daher Zahlen eingemeifselt sind. Er stammt
aus der jungen Moräne und ist 2 km weit transportiert worden.
Der Absturz erfolgte am 19. März morgens Y4 vor 6 Uhr, also ähnlich
wie der an der Altels, vor Sonnenaufgang, im Morgengrauen. Auch ihn
hat niemand beobachtet, obwohl bewohnte Häuser in Simpeln und in Eggen
nur wenige 100 m entfernt sind. Die Verheerungen sind schon erwähnt;
das ganze Gebiet sieht gegenwärtig aus, wie eine eben durch Gletscher-
rückzug eisfrei gewordene, das heifst also vegetationslose, gerollbedeckte
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Kleinero Mitteilungen.
461
Landschaft in grüner Umgebung. Die Strafse führt in einem 3 — 4 m tiefen
Einschnitt durch das Eis. Rings um den verschütteten Bezirk sind die
Lärehenwälder geworfen; oh auch die heim Altelssturz so auffallend hervor-
getretene Schälung der Hölzer durch den fliegenden Eisstaub zu beobachten
ist, wird nicht berichtet.
Über den Ursprung der gestürzten Massen kann kein Zweifel sein. Ganz
oben am Fletschhorn, in 3800 m Höhe sieht man die halbmondförmigen,
konkaven Abbruchstellen des Firnes, wie man sie an der Altels sah (und
wohl noch jetzt erkennt'?). Da der Firn dort immer stufenförmige Abbrüche
zeigt, 80 erfolgen auch regelmäfsig Abstürze, deren Getrümmer aher sonst
auf einer weniger steil geneigten Stufe des Rofsbodengletschers in etwa
3200 — 3000 m Höhe liegen bleibt. Diesmal raufe nun die Masse des ab-
gebrochenen Firnes so grofs gewesen sein, dafs die lebendige Kraft des Falles
sie über einen kritischen Punkt., der ungefähr bei 2900 m liegt, hinaustrieb.
Hier verstärkt sich nämlich die Neigung des Gletschers auf etwa 36 °,
um sich erst gegen das Gletscherende allmählich zu vermindern. Wenn die
von oben herabgleitende Firnmasse diese Stelle erreichte, bekam sie neuen
Bewegungsantrieb, vermehrte sich durch mitgerissene Trümmer des dort stark
zersehründeten Gletschers und konnte nicht früher als im Seng- und Krumm-
bachthal, also im alten Moränengebiet in einer Meereshöhe von 1460 — 1550 m
zur Ruhe kommen.
Die Länge der Bahn beträgt über 5 km, der Höhenunterschied etwa
2340 m, der durchschnittliche Neigungswinkel der Bahn 20°.
Die gefallene Masse hat sich genau wie ein Bergsturz verhalten. Gegen-
über dem Altelssturz besteht ein tiefgehender Unterschied darin, dafs bei der
Alteis im unteren Teil der Bahn eine Steigerung des Neigungswinkels vor-
handen ist, weshalb die Sturzraasse schliefslich nur fliegen oder frei fallen
kann, wodurch ihre lebendige Kraft und besonders die Erscheinungen des
Luftstofses ungemein verstärkt wurden. Daher das Autbranden des Eises an
der gegenüberliegenden Thalwand bis zu 300 m Höhe, und die grofse Aus-
dehnung der sog. Spritzzone mit Eisstaub, geschälten Bäumen, bergauf
geworfenen Tierleichen und dergleichen unerhörten Erscheinungen. Im Ver-
gleich dazu scheint sich der Eissturz von Simpeln mehr wie ein gleitender,
abradirender Bergschlipf von dem Typus des Goldauer Sturzes von 1806
verhalten zu haben.
In meiner Geschichte der Schwankungen der Alpengletscher wurden die
Nachrichten über Eisstürze in früheren Jahrhunderten als Dokumente für
einen Hochstand der Gletscher verwertet. Das hier besprochene Ereignis
wird man jedenfalls nur als einen Beleg für eine stärkere Füllung des
Firnfeldes betrachten dürfen. Auch dieser Auffassung steht die von Lugeon
im Jahrbuch des Schweizer Alpenklubs von 1901 mitgeteilte Beobachtung
entgegen, dafs die Einschneiung der Schweizer Alpen im Jahre IVOQ sehr
gering gewesen sei; dafs also, um einen im ganzen deutschen Sprachgebiet
der Alpen üblichen Ausdruck zu gebrauchen, die Gletscher im vorigen Jahre
sehr früh „ausgeapert" seien. Dies ist nach der grofsen Hitze des Juli nicht
zu verwundern, würde aber andererseits einer etwa aus einigen früheren
Jahren stammenden gröfseren Füllung der Firne nicht unbedingt widersprechen.
E. Richter.
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462
Kleinere Mitteilungen.
Die geographische Ausstellung des XIII. Deutschen Goographentages
zu Breslau.
Mit der XIII. Tagung des Deutschen Geographentages zu Breslau
in der Ptingstwochc dieses Jahres war eine bemerkenswerte geographische
Ausstellung verbunden. Prof. Dr. J. Partseh, welcher als die Seele des
Breslaucr Lokalkomites zu betrachten ist, darf auch als der geistige Vater
dieser Ausstellung gelten. Sie bezweckte nach deu Ausführungen im Vorwort
des Ausstelluugskataloges: „eine Vorstellung zu bieten von der Bedeutung
Breslaus als Kulturcent rum auf dem Felde der Erforschung, Ausbeutung und
möglichsten Beherrschung der Landesnatur, aber auch von dem wissenschaft-
lichen Leben, das in Schlesien schon im 16. Jahrhundert zu selbständigen
kartographischen Leistungen schritt und seither immer beeifert gewesen ist,
die Kenntnis und die Darstellung der Oberfläche dieses Landes nicht zunick-
stehen zu lassen hinter dem Staudpunkt der übrigen Teile des Vaterlandes."
Ks war also eine sc h lesische Landesausstellung lokalen Charakters; und
das gerade war ihr Vorteil! In dieser Beschränkung lag die Möglichkeit,
etwas in engem Rahmen Abgeschlossenes und, wie der Erfolg lehrte, nach
Kräften Vollkommenes zu leisten.
Die ganze Ausstellung zerfiel in sechs Abteilungen:
L Staatliche Aufnahmen Preufsisch-Schlesiens.
II. Ktd. Oberbergamt.
III. Kgl. Oderstrom-Bauverwaltung.
IV. Historische Ausstellung der Kartographie Schlesiens bis zum Ende des
18. Jahrhunderts.
V. Historische Ausstellung der Pläne von Breslau.
VI. Karten zu Vorträgen des Geographentages.
Besuch und Studium der Ausstellung wurde in bester Weise durch einen
ausführlichen Katalog erleichtert., welcher in der Hauptsache aus der Feder
des als Sekretär des Ortsausschusses unermüdlich thätig gewesenen Privat-
dozenten der Geographie an der Universität Breslau Dr. R. Leonhard stammt.
Dieser Katalog ist, speziell in seinem historischen Teil, durch die aus-
führlichen kritischen Erläuterungen der ausgestellten Karten als ein dauernd
wertvoller wissenschaftlicher Führer durch die Kartographie Schlesiens aufzu-
fassen, da es bei der Sorgfalt, mit welcher die Ausstellungsleitung die Schätze
der schlesischen Landesbibliotheken, die Archive des hohen Adels der Provinz
und die Sammlungen Privater durchforscht hat, gelungen war, die Denkmale
schlesischer Kartographie in einer Vollständigkeit zusammenzubringen, wie
dies bisher noch nicht der Fall gewesen war.
Diesen Charakter einer hist orisch - geographischen Ausstellung
Schlesiens tragen vor allem die Abteil ungen I, IV und V.
In Abteilung I wurde dem Besucher durch eine lange Serie von Karten-
blättern aus der Zeit Friedriclrs des Grofsen bis zu den Freiheitskriegen, und
weiter von 1816 bis zur Gegenwart ein überblick über die allmähliche Ent-
wicklung der staatlichen Aufnahmen Preufsisch-Schlesiens vermittelt. Darunter
waren von ganz besonderem Interesse die von 1748 — 1753 von dem Ingenieur-
Major Fr. Chr. von Wrede gezeichneten fünf Manuskript- Folianten der Kriegs-
karte Schlesiens, welche Friedrich der Grofse für die Führung seiner Schlesischen
Kriege hatte anfertigen lassen, und welche nur in diesem einen Exemplar
gezeichnet, lediglich vom König uud seiner obersten Kriegsleitung benutzt,
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Kleinere Mitteilungen.
463
im übrigen aber sorgfältig vor der' Öffentlichkeit bewahrt geblieben waren.
Die Ausstellung verdankte die leihweise Überlassung dieses wertvollen historisch-
kartographischen Denkmals dem Chef des Grofsen ( Jeueralstabes , Grafen
Schließen.
Dieser ersten staatlichen Aufnahme Schlesiens durch die preufsisebe
Heeresleitung standen die modernen Generalstabskarten und Mefstischblätter
in den verschiedensten und lehrreichsten Stadien ihrer ^allmählichen Vervoll»
kommnung gegenüber. Sie erschienen seit der-.. Zeit1 Friedrieh 's des Grofsen;
durch eine ununterbrochene Reihe überleitender und successive zu dem Jieu-
tigen Stande der Aufhahmearbeiten hinüberführender Kartenblätter genetisch
verbunden.
Räumlich wie systematisch getrennt von diesen staatlichen Aufnahmen
waren die in Abt. IV vereinigten Kartenblätter, welche die private Karto-
graphie im Laufe der letzten Jahrhunderte über Schlesien veröffentlicht hatte.
Sie bewiesen, dafs auch in Schlesien bereits seit dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts selbständige kartographische Werke entstanden waren, und lehrten
als älteste die 1561 von Martin Helwig gezeichnete Karte von Schlesieu
kenneu. Nicht allein Schlesien darstellend, aber nach, der Entstehungszeit
noch älter ist das Bild der Provinz auf der aus dem Jahre 1554 stammenden
Karte Europas von Gerhard Mercator. Dieses 1889 von Prof. Dr. Mark-
graf auf dem Boden der Breslauer Stadtbibliothek entdeckte Unikum war ein
besonders ehrwürdiges Ausstellungsobjekt, wenngleich die ^Zeichnung der Karte
bereits weiteren Kreisen durch die genaue Reproduktion, welche die Berliner
Gesellschaft für Erdkunde 1891 veranlafste, bekannt geworden ist. Weitere
interessante Karten, welche in der Abt. IV der Breslauer Ausstellung zum
erstenmal an die Öffentlichkeit gelangten, bezogen sich auf Darstellungen
freier schlesischer Standesherrschaften. Unter ihnen war das grofse Blatt
der Standesherrschaft Plefs von Andreas Hindenberg aus dem Jahre 1636
bei weitem das interessanteste. Infolge der eigenartigen Terraindarstellung
erregte neben ihm die älteste Karte des Ricsengebirges in 1:60000
die Aufmerksamkeit. Gezeichnet um 1685 von einem Breslauer Juristen
Job. Chr. de Volffsburg zeigte sie das unbeholfene, aber ehrliche Be-
streben nach möglichst plastischer und der Natur entsprechender Terrain -
darstellung.
Eine grofse Zahl von Forstkarten und Gutsaufnahmen bewiesen des
weiteren, wie seit Mitte des 18. Jahrhunderts die private Kartographie für
die Erweiterung der topographischen Kenntnis Schlesiens bis in unsere Tage
hinein von gröfstem Werte gewesen ist.
Den Schlufs des rein historisch -geographischen Teils der Ausstellung
bildete in Abt. V eine reichhaltige, mit dem Jahre 1562 beginnende Sammlung
von Breslauer Stadtplänen, welche bei vergleichender Betrachtung interessante
Aufschlüsse über Art und Richtung des allmählichen Wachstums der Stadt
Breslau ermöglichte.
In das Gebiet der physikalischen Geographie und der Kulturgeographie
Schlesiens führten Abt. II und III, welche die Kollektivausstellungen des
Kgl. Oberbergamtes und der Kgl. Oderstrorn-Bauverwaltung um-
schlossen. Beide Ämter haben in Breslau ihren Sitz und hatten in bereit-
willigster Weise ihre reichen kartographischen Materialien zur Verfügung
gestellt,
Jeder, welcher einmal das imposante, 1896 publizierte amtliche Oder-
werk in der Hand gehabt hat, weifs, was die Oderstrorn-Bauverwaltung für
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Kleinere Mitteilungen.
die geographische Kenntnis des sehlesischen Landesstromes geleistet hat.
Was fernerhin die ThJltigkeit dieser Behörde durch ihren ausgedehnten Hoch-
wasserwarnungsdienst für die Sicherung von Gut und Lehen in den Über-
schwemmungen so sehr ausgesetzten Niederungen Schlesiens bedeutet, könnt«
man würdigen lernen durch Betrachtung der ausgestellten, auf sorgfältigen
wissenschaftlichen Beobachtungen beruhenden Niederschlagskarten Schlesiens,
der Spezialkarten der Deichsysteme, der graphischen Darstellung von Hoch-
fluterscheinungen etc. etc. Auch die mannigfaltigen Stromregulierungsbauten
kamen in Karten, Profilen und Modellen zur Anschanung.
Die zweite amtliche Ausstellung füllte die Abteilung II. Es war die-
jenige des Koni gl. Oberbergamtes. Sie galt naturgemllfs iu erster Linie
den Verhältnissen Oberschlesiens, dessen Bergbaudistrikte auf der grofsen
offiziellen Karte in 1 : 50000 den Besuchern des Geographentages vorgeführt
werden. Die interessanten Verhältnisse des tiefsten Bohrloches der Erde,
welches bei Paruschowitz unweit Rybnik bis 2<>0.'J m tief niedergeführt
worden ist, veranschaulichte ein detailliertes Profil und über die Lagerungs-
verhaltnisse der Kohlenflötze Oberschlesiens gaben zahlreiche Grubenrisse
lehrreichen Aufschlufs.
Diesen in sich abgeschlossenen Ausstellungssektionen reihte sich in Ab-
teilung VI einp Sammlung von Demonstrationskarten zu Vortrügen des Geo-
graphentages an. Hier hatte Prof. Dr. C. M. Kan (Amsterdam) seine Karten
von Sumatra, Dr. Carl Sapper (Leipzig) seine höchst wertvollen Original-
aufnahmen von Mittelamerika und Prof. Dr. Kurt Hassert seine topo-
graphischen Aufnahmen aus Montenegro ausgestellt während eine Kollektiv-
ausstellung des Geographischen Seminars der Universität Leipzig,
sowie eine solche der kartographischen Anstalt von Carl Flemming in
Glogau den Beschlufs machten.
Dafs speziell letzterer Anstalt die Gelegenheit gegeben war, ihre karto-
graphischen Erzeugnisse den Besuchern des Geographentages vorzuführen,
hatte volle Berechtigung, da es sich um eine sch lesische Anstalt handelte.
Eine dem Ausstellungskatalog angefügte kurze Geschichte des Institutes hatte
der Kartograph A. Herrich verfafst. Sie bewies, wie die Kollektivausstellung
selber, dafs die Flemming'sche Anstalt während ihres seit 1833 datierenden
Bestehens einen bedeutenderen Anteil an der Entwicklung deutscher Karten-
kunst genommen hat, als dies vielleicht in weiteren Kreisen bekannt sein
wird. Die Ausstellung der weit verbreiteten Reise-, Eisenbahn- und Schul-
wandkarten, der Hand-, Provinzial- und Kriegskarten, der Schul- und Hand-
atlanten der Anstalten gaben ein Zeugnis ihres Könnens.
War somit den Besuchern des XI U. Deutschen Geographentages bereits
während der Tagung durch Veranstaltung dieser Ausstellung die dankbar
wahrgenommene Gelegenheit zum Studium schlesischer Landeskunde geboten,
80 hatten die Teilnehmer nach Schlufs des Congresses durch Teilnahme au
zwei wissenschaftlichen Exkursionen in die geographisch interessantesten
Laudesteile der Provinz Gelegenheit, ihre Studien auch im freien Felde fort-
zusetzen.
Die eine dieser Exkursionen galt unter Führung Prof. Dr. F. Frech's
Oberschlesien. Nachdem iu Oppeln die Brüche und Cementwerke von Schott-
laender und Giesel, welche die Kalkniergel des Turon erschliefsen, besichtigt
waren, wurden von Gleiwitz als Standquartier zwei Exkursionen nach Zabrze
gemacht. Es wurde die Königin Luise-Grube befahren und die Donnersmarck-
hütte und das Borsigwerk besichtigt.
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Geographische Neuigkeiten.
465
Die zweite Exkursion galt unter Führung Prof. Dr. J. Partsch's dem
Studium der Glazialablagerungen des Riesengebirges. Über dieselbe wird an
spaterer Stelle noch ausführlicher berichtet werden.
Dr. Max Friederichs e n in Hamburg.
Berichtigung.
In dem Referat über den XIII. Deutschen Geographentag findet sich auf
Seite 394 der Satz: „Henkel aus Pforte suchte den Grund der Mifsstände im
Übelwollen der Direktoren, eine Auffassung, deren Allgemeingiltigkeit von
Auler mit Recht bestritten wurde." Dieser Satz ist in keiner Weise richtig
und mufs auf einer Verwechselung meiner Ausführungen mit denen eines
andern Redners beruhen. Ich habe von etwas ganz anderem gesprochen,
nämlich davon, dafs die in den Lehrplanen vorgeschriebenen Wiederholungen
in den oberen Klassen, weil nicht in die Hand eines Fachlehrers, sondern des
Geschichtslehrers gelegt, eher schädlich als nützlich sein würden. Bei dieser
Gelegenheit habe ich auf das notorische Übelwollen vieler älterer Historiker
der moderneu Erdkunde gegenüber hingewiesen1). Von den Direktoren
habe ich überhaupt nicht gesprochen. Henkel.
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitzau.
Allgemeine Geographie.
* Die internationale Konferenz
für Meeresforschungen, die kürzlich!
in Christiania abgehalten wurde (S. 346)
und von Vertretern aus Deutschland,
Schweden, Norwegen, Dänemark, Ruß-
land. Finland, England, Holland und
Helgieii beschickt war, hat den vor zwei
Jahren in Stockholm aufgestellten Plan
lü'r die beginnenden internationalen
•Meeresforschungen weiter ausgebuut und
über den Sitz de« Zentral - Instituts be-
raten, «las zur Förderuug der Forschungen
errichtet werden soll. Dieses Institut
kommt auf deutschen Vorschlag nach
Kopenhagen, doch wurde die endgiltige
Bestimmung den Regierungen überlassen.
Zum Piäsidenten des Zcntralausschusscs,
der das Zentral -Institut zu verwalten
hat, wurde Wirkl. Geh. Oberregierungs-
rat Herwig in Hannover, zum Stellver-
treter Professor Petterson in Stockholm
] gewählt. Zum Generalsekretär des Zentral-
instituts ist Dr. Hoek, der Leiter der
biologischen Station in Helder, Holland,
! ausersehen worden. Er wird seinen Sitz
in Kopenhagen nehmen. Aufser dem
Zentral Institut wird in Christiania ein
Laboratorium für hydrographische Arbeiten
errichtet, zu dessen Leiter Professor
l Nansen vorgeschlagen wurde. In Ver-
bindung mit dem Zentral -Institut in
Kopenhagen plant man ein Laboratorium
hauptsächlich für biologische Arbeiten
zu errichten. Ein genauer Zeitpunkt,
wann die Meeresforschungen beginnen
sollen, konnte noch nicht festgesetzt
werden , da erst einzelne Staaten , wie
Norwegen und Rufsland, mit besondern
Schiffen für Mecresforschungen versehen
sind, während andere Staaten erst jetzt
an die Vorbereitungen gehen. Indessen
werden die Meeresforschungen spätestens
im Februar nächsten Jahres beginnen
können.
1) Man vergleiche hierzu übrigens den Ausspruch v. Sjbel's, der die heutige
Geographie als „Agglomerat aus allen Zweigen der Naturwissenschaft" zu bezeichnen
für gut fand.
4«>0
Geographische Neuigkeiten
* Die Handelsflotten der Welt
haben seit vorigem Sommer abermals
einen erheblichen Zuwachs erfahren. Sehr
bemerkenswert ist eine Übersicht über
das Verhalten der Handelsflotten der
wichtigsten Schitfahrtländer:
in 1000 Br Reg.-T. Zun.
1898 1901 (; Alm.)
Grofsbrit.o.Kol.) 12 5H7 13 656 1069
Deutschland 2 113 2 90» 792
Vereinigte Staaten 2 448 3 077 629
Norwegen 1 643 1 627 ; 16
Frankreich 1 179 1 406 227
Italien 865 1 117 262
Rußland 694 789 195
Spanien 621 7*6 165
Schweden 552 676 124
Japan 472 644 172
Holland 444 578 134
Dänemark 422 508 86
Österreich 349 4*6 137
Deutschland behauptet die zweite
Stelle mit nahezu 1 4 der englischen
Handelsflotte, da bei der Flotte der Ver-
einigten Staaten die Schiffe der grofsen
Süfswasserseen mit 845 000 Tonnen ein-
gerechnet sind, die aber kaum als See-
schiffe angesehen werden können. Wie
sich aufserdem aus vorstehender Tabelle
ergiebt, vollzieht sich die Zunahme der
deutschen Flotte verhältnisinäfsig schneller
und ist gröfser als die der englischen.
Europa.
* Die vom Deutschen Geographentag
eingesetzte Zentralkommission für wissen-
schaftliche Landeskunde von Deutschland
hat gelegentlich der Breslauer Tagung
des letzteren einen Preis von minde-
stens 600 Alk. bestimmt für die beste,
nicht blofs auf gedrucktem Quellenstoff
fufsende Beantwortung der Frage: „Welche
Stromlaufveränderungen hat der
Niederrhein zwischen Bonn und Kleve
in geschichtlichen Zeiten erfahren, und
wie haben dieselben auf die Siedelungen
eingewirkt?" Die Bearbeitungen sind bis
spätestens Ausgang des Jahres 1902 au
den derzeitigen Vorsitzenden der Kom-
mission, Prof. Kirchhoff in Halle a. 8.,
einzusenden.
* Die Kiuwohnerzahl des Ver-
einigten Königreichs Grofsbri-
tannien und Irland beträgt nach der
letzten Volkszählung 41 454 219 Seelen;
[ davon kommen auf Kngland und Wales
32 625 716 E., auf Sehottland 4 471 957 E.
und auf Irland 4 456 546 E. Die Be-
völkerungszunahme im letzten Jahrzehnt
beträgt hiernach für England und Wales
12.15% gegen 11.65% im Jahrzehnt
1*81 91 und für Schottland 10,* %, während
Irland eine Bevölkerungsabnahme von
5,3 % aufweist, die allerdings nur wenig
mehr als die Hälfte von derjenigen des
vorangehenden Jahrzehnts beträgt. Die
Bevölkerung von London zählte 4 536 034
Seelen gegen 4 228 317 im Jahre 1891,
d. i. eine Zunahme von 7,3 % , während
die Zunahme im vergangenen Jahrzehnt
10,3 % betragen hatte. Von den 29 Ge-
meinden, Boroughs, aus denen sich die
Grafschaft London zusammensetzt, war
die „City" mit 27 000 E. die volksärmste;
sie hat in den letzten zehn Jahren wiederum
10 800 Einwohner verloren. Nach London
weisen die Grafschaft Lancaster, der Sitz
der Textilindustrie und der Alittelpunkt
der Industrie des Nordens mit den Haupt-
städten Manchester und Liverpool, und
die Grafschaften Essex und Middlesex die
stärkste Zunahme auf, während Notting-
hanishire und die landwirtschaftlichen
Grafschaften Oxfordshire, Devonshire, Nor-
folk, West Suffolk und Montgoniery eine
Almahme der Bevölkerung erlitten haben.
Aufser London zählt England noch 26
Städte mit mehr als looooo E.; die zweit-
gröfste englische ist Liverpool mit 685 276E.,
die aber von der schottischen Grofsstadt
Glasgow mit fast 800 000 E. übertroffen
wird Dann folgen Birmingham mit
622 182 K., Manchester mit 503 930 E.,
Leeds mit 428 953 E., Sheffield mit
380 717 E. und Bristol mit 328 836 E.
Über 200 000 E. haben der Reihe nach
die Städte Bradford, Westham, Notting-
ham, Hull, Salford, Newcastle und Lei-
cester. Zwischen 100 000 und 200 000 E
wohnen in den Städten Portsmouth. Bidton,
Cardiff, Blackburn, Brighton, Preston,
Norwich, Birkenhead, Gateshead, Ply-
raouth, Derby. Halifax und Southampton,
von denen die sechs letzten erst im letzten
Jahrzehnt in die Reihe der Grofsstädte
eingetreten sind.
* Eisenbahnen in Rufsland. Mit
Rücksicht darauf, dafs der einzige Ausgang
der sibirischen Eisenbahn nach dem euro-
päischen Rufsland, die Strecke Samara. —
Slatoust, mit Frachten überbürdet ist, hat
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Geographische Neuigkeiten. . 467
die russische Regierung beschlossen,
diesem Obclstande durch Schaffung zweier
neuer AnBchlufsstrecken abzuhelfen. Diese
Strecken sind die sog. Nordbahn, welche
von Perm über Wjätka und Wologda
nach Petersburg führen wird, und die Eisen-
bahnlinie Moskau — Kazan - Kyschtymsk.
Die Vergebung der Hauarbeiten für die
Nordbahn ist bereits eingeleitet worden,
während das Projekt des zweiten An-
schlusses derzeit von der Regierung ge-
prüft wird. A. R.
* Kabel nach Island. Die Grofse
nordische Telegraphengesellschaft hat be-
schlossen, Island an das Weltkabelnetz
anzuBchliefsen. Das Kabel soll von den
Shetland -Inseln, welche mit Nordschott-
land und England bereits verbunden sind,
über die Fär - Oer nach Island führen.
Dieses Kabel hätte nicht nur eine volks-
wirtschaftliche, sondern auch eine wissen-
schaftliche Bedeutung, weil Island für
die Meteorologie ein ungemein wichtiges
Gebiet ist. Ans diesem Grunde beteiligen
sich auch die skandinavischen Staaten,
Hursland und Deutschland, letzteres mit
10 000 Kronen, an diesem Unternehmen.
A R,
Asien.
* Seiden- und Baumwollproduk-
tion in Russisch-Asien. Aus russi-
schen Berichten kann man ersehen, welch
bedeutende Fortschritte die Seidenpro-
duktion in Russisch-Zentralasien,
wo Bie während der Herrschaft der tur-
kestanischen Willkürhcrrscher arg dar-
nieder lag, in jüngster Zeit gemacht hat.
Die von Rufsland in den siebziger Jahren
zur Hebung der Produktion getroffenen
Mafsregeln versagten vollständig, da man
gewissen, den Seidenraupen gefährlichen
Krankheiten, die allgemeine Verbreitung
gefunden, Einhalt zu bieten nicht mehr
im Stande war. Man entschlofs sich des-
halb, aus fremden Seidenproduktions-
gebieten, wie China, Japan, Italien und
Korsika, gesunde Eier im grofsen ein-
zuführen und an die Bevölkerung unent-
geltlich zu verteilen. Auch ausländische,
meist italienische und schweizerische
Geschäftshäuser haben der russischerseits
an sie ergangenen und für sie vorteil-
haften Aufforderung, Stationen in Russisch-
Zentralasien zu errichten, an diesen Eier
zu verteilen und die Cocons einzusammeln.
Folge geleistet. Die hervorragendsten
Produktionsgebiete sind die Umgebungen
von Samarkand und Taschkent, und die
bandschaften Ferghana und Buchara. In
Samarkand werden jährlich im Durch-
schnitte 1,228 Millionen kg Cocons im
Werte von 600 000 Rubel gesammelt;
in Ferghana, das zugleich Hauptgebiet
des Baumwollanbaues ist, 984 000 kg
im Werte von 480 000 Rubel, im Syr-
Darja Gebiet (Taschkents 82 000 kg im
Werte von 40 000 Rubel. In Buchara
sind die Produktionsverhältnisse ebenso
wie in Ferghana. — Das zweite Haupt-
gebiet für Seidenproduktion ist Kau-
kasien. Diese hat in jeder Beziehung
eine viel höhere Stufe erreicht als die
zentralasiatiRche. Die kaukasische Seide
vermag mit der italienischen, welche
vorzugsweise nach Rufsland eingeführt
wird, den Wettbewerb aufzunehmen. Mittel-
punkt der Seidenerzeugung ist Nucha
im Gouvernement Jelisawetpol. Die*
Coconserzeuguug betrug 1900 11,(544 Mi]],
kg im Werte von 7 Millionen Rubel. (Lcipz.
Monatschrift f.' Textilind. 9.) — Auch
die Berichte über die Baumwollernte in
Russisch - Zentralasien vom Jahre 1900
zeigen, dafs sich Rufsland planmäfsig und
zielbewufst in den wichtigsten Bedarfs-
artikeln von dem Auslande unabhängig
macht. Durch Vennehrung der Riesel-
felder und Umwandlung bisheriger Ge-
treidefelder in Baumwollpflanzungen hat
die- Baumwollkultur eine Vergrößerung
ihres Areals um 34 °/0 gegen das Vorjahr
erfahren. Dem entsprechend ist die Ge-
samternte an Baumwolle von 175,2 Mill.kg
im Jahre 1899 auf 408,24 Mill. kg im
Jahre 1900 gestiegen. Rufsland gehört
zu den wenigen Staaten, welche auf
Baumwolle Einfuhrzoll erheben, und zwar
in der Höhe von */, des Wertes. Infolge-
dessen ist auch die Einfuhr an Baumwolle
vom Jahre 1898 auf 1899 um 17 % zu-
rückgegangen. A. R.
* Das indische Eisenbahnnetz ist
nach einem amtlichen Bericht vom 1. Jan.
1898 bis 1. Mai 1901 durch 6496 km
neue Eisenbahnstrecken vermehrt worden,
sodafM das Gesamtuetz gegenwärtig
40 426 km lang ist. Von dem Netz sind
etwa 23 500 km mit der Nornialspur von
1,67 m, 16 713 km mit der Meterspur und
1190 mit kleineren Spuren für Bergbahnen
und Bahnen in dünn bevölkerten Gegenden
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46«
Geographische Neuigkeiten
angelegt. In den beiden letzten Jahren
wind mehr Bahnstrecken eröffnet worden
als in irgend einem gleichen Zeitraum
seit 1889. Im Jahre 1900 wurden nahezu
175 Millionen Reisende befördert, d. i.
13'£ Millionen mehr, und 43*£ Millionen
Tounengüter, d. i. 3 Millionen mehr als
im Vorjahr. Diese Verkehrszunahme an
Personen und Gütern ist allerdings zum
Teil der Eröffnung neuer Strecken zu-
zuschreiben, aber auch die Hungersnot
förderte den Verkehr mit Brotgetreide,
indem von den verschonten oder wenig
betroffenen Gegenden grofse Mengen davon
auf weite Entfernungen nach den heim-
gesuchten Gegenden befördert wurden.
In manchen Fällen wiire jede Hilfe un-
möglich gewesen, wenn der Balinbnu in
den letzten Jahren nicht so rührig be-
trieben worden wäre. Der Vermehrung
des Güterverkehrs ist ferner die Ent-
wicklung des Kohlenbergbaues in Bengalen
zu verdanken, da die Förderung unter
dem Einflufs der hohen Preise für eng-
lische Kohle wesentlich gesteigert worden
ist, Seit 1896 ist die Einfuhr ausländi-
scher Kohle in Indien von 397 000 auf
83 000 Tonnen gesunken, während der
Verbrauch im Lande und die Ausfuhr be-
deutend zugenommen haben. Die finanzi-
ellen Ergebnisse «1er indischen Staat*-
bahnen drücken sich für das vergangene
Jahr zum ersten Male durch einen »er-
schuft aus (11,7 Millionen Mark), obwohl
noch erhebliehe Ausgaben kraft der Ver-
träge mit den gewährleisteten Linien zu
bestreiten sind.
Afrika.
♦ Der zuerst von Speke 1861, dann
von Stanley 1 876 von Karague aus gesehene
hohe Berg, den die Eingeborenen als
Mfumbiro bezeichneten und der als
solcher auch auf unseren älteren Karten
zwischen Kiwu und Albert Edward Nyauza
eingezeichnet ist, war in den deutsch-
englischen Grenzverträgen den Engländern
überlassen worden als Entschädigung für
ihren Verzicht auf den Kilimandscharo.
In den letzten Jahren nun ist durch
mehrere Reisende (Bethe, Kandt, v. Beringe,
Sharp, Grogan und Moore), welche das
zuerst von Graf Götzen besuchte Vulkan-
gebiet zwischen jenen beiden Seen durch-
zogen haben, festgestellt worden, dafs es
unter den dortigen zahlreichen Vulkan-
gipfeln einen Berg Mfumbiro nicht giebt,
dafs vielmehr Mfumbiro „eine Stelle, an
der Feuer ist", also einen Vulkan über-
haupt bedeutet, <lafs aber eine Landschaft
ähnlichen Namens Ufumbiro genau dort
verzeichnet wird, wo der angebliche
Mfumbiro lag. Da nun der einzige, heute
noch thätige Vulkan in jener Gegend der
von Götzen entdeckte Kirunga am Nordende
des Kiwusees ist, so folgert Grogan, dafs
der Mfumbiro Stanley 's mit diesem Kirunga
identisch ist, und stellt in einer Zuschrift
an die Times (25. Mai d. J.) die Forderung
auf, dafs das englische Gebiet bis zum
Kirunga ausgedehnt werde, falls bei der
bevorstehenden Grenzregulierung zwischen
Deutschland und dem Kongo-Staat der
Kirunga nicht an letzteren fallen sollte.
Da es sich dabei um sehr fruchtbares
Land handle, solle die englische Regierung
unter allen I'mständen auf ihrer Forderung
bestehen. Wir dagegen hoffen, dafs die
deutsche Regierung solche Ansprüche, falls
sie wirklich erhoben werden sollten , ab-
weist. Da es keinen Berg Mfumbiro giebt,
können ihn eben die Engländer auch nicht
bekommen. (Nach Globus Bd. LXXX
S. 17.)
* Bevölkeruug Madagaskars.
Nach der letzten, von der französischen
Regierung veröffentlichten amtlichen
Statistik zählte die Insel Madagaskar im
Dezember 1900 1941 europäische Ein-
wohner, davon 1193 Franzosen, 374 Eng-
länder, 33 Deutsche und 341 anderen
Nationalitäten angehörende Personen.
Von diesen 1941 Europäern waren 383
Landwirte, 1558 Kauflcute und Industrielle.
Die eingeborene Bevölkerung betrug zu
derselben Zeit 2 242 443 Seelen und außer-
dem 404 Asiaten und 84 Afrikaner; die
Asiaten und Afrikaner waren ausschliefs-
lich Kaufleute, während von den Ein-
geborenen 3945 Handel treiben.
Die zugleich vorgenommene Vieh-
zählung ergab einen Bestand von 978000
Stieren und Ochsen, 173000 Kühen,
94COO Schafen, 230000 Schweinen, 440
Pferden, 52 Maultieren und 148022 Stück
Geflügel. Der Kultur unterworfen waren ;
Tausend ha Tausend t
307 mit Hei» mit einem KM rage von 3S9
57 „ Maniok „ „ „ 304
2« „ Kartoffeln „ „ „ ,. SH
St „ vertch I'rod. „ „ „ „ 69
8» 41S 190
B.
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Geographische
Neuigkeiten.
460
Australien und die australischen Inseln.
* Ozeanien. Der Kapitän Saxegaard
entdeckte auf einer Fahrt von Sydney
nach Manila eine neue, auf den hydro-
graphischen Karten nicht verzeichnete
Insel. Er bestimmte sofort deren Lage
und kehrte nach Sydney zurück, um von
seiner Entdeckung Mitteilung zu machen.
Ein amerikanisches Kanonenboot wird
Besitz von der Insel ergreifen, die fortan
den Namen ihres Entdeckers führen wird.
Sie liegt unter 2° 4' nördl. Br. und
13:->° 35' 6SÜ. L. Gr., d. h. zwischen den
Philippinen und der Karolinen -Gruppe.
Wenige Tage nach der Verkündigung
dieser interessanten Entdeckung konnte
ein japanisches Kriegsschiff, der Kreuzer
„Kongo", als er bei günstigem Wetter
die den Sebastian Lobos-(Grampus-)Inseln
zugewiesenen Stellen passierte, keine Spur
von diesen kleinen Inseln entdecken, und
da diese Beobachtung mit früher ge-
machten Beobachtungen übereinstimmt,
so ward die Streichung dieser Inseln auf
den Seekarten jener Kegion beschlossen.
Die Lage der Inseln war '25° 10' nördl. Br
und 146° 40' östl. L. Gr. B.
Polarregionen.
* Die Akademie der Wissenschaften
in Petersburg erhielt von Baron Toll,
dem Führer der russischen Polar-
Expedition, folgendes in Jenisseisk auf-
gegebenes Telegramm vom 16. April :
„Ich bin glücklich bis zum Taimyr-Busen
gekommen, wo ich überwintere. In der
Nähe des Hafens Archer haben wir eine
Station für meteorologische Beobachtungen
errichtet. Matthiessen hat die Gruppe
der Nordenskjöld'schen Inseln erforscht.
Er reiste mit einem Schlitten. Kolomcizew
habe ich an die Jeuissei - Mündung mit
dem Auftrage gesandt, dort Kohleustationen
anzulegen. Ich selbst werde mit Kolt-
schak die Halbinsel Tscheljuskin durch-
queren. Zum Kommandanten der „Sarja"
habe ich Matthiessen ernannt. Wir sind
alle gesund.'1
Aufserdem erhielt die Akademie der
Wissenschaften von dem Leiter der Ex-
pedition, die das kürzlich in Sibirien auf-
gefundene Mammut nach Petersburg
bringen soU, ein Telegramm aus Jakutak,
daf« die Expedition dort am 14. Juni
eingetroffen sei. Sie wird auf einem
Dampfer den Aldan-FluTs aufwärt« fahren
und dann über Land nach dem 3000 Werst
entfernten Kolymsk reisen, wo sie in
2'/, Monaten einzutreffen gedenkt. Das
Mammut, um das es sich bei der Ex-
pedition handelt, ist einzig in seiuer Art;
die Haare, das Fell und das Fleisch sind
erhalten. In dem Magen des Tieres be-
finden sich noch unverdaute Futterreste.
* Gleichzeitig mit der schwedischen
Gradmessungsexpedition (vergl. S. 413) sind
am 5. Juni auch die Schiffe der russi-
schen Gradmessungsexpedition in
Spitzbergen eingetroffen. Die russische Ex-
pedition steht unter Leitung des Geologen
T schern yschew und des Astronomen
Backlund und verfügt über drei Schiffe,
denen der bekannt« Eisbrecher „Jermak"
zur Erreichung des Storfjordes an der
Ostküstc von Spitzbergen behilflich sein
wird. „Jermak" will hierauf die Fahrt
nach Nowaja Semlja antreten, um dort
Untersuchungen anzustellei , ob die Um-
fahrung der NordinBel nicht einen
günstigeren Seeweg nach Sibirien für
Handelsschiffe bietet als die Durchfahrt
durch die engen Strafsen im S. Aufserdein
soll in Dickson-Hafen nach Nachrichten
von der Toll'schen Expedition geforscht
werden.
* Für die internationale Koope-
ration während der jetzt beginnenden
S üdpolarforschungi8t ein erd magne-
tisches und ein meteorologisches
Programm von einem deutsch- engli scheu
Komitee auf Grund der Beschlüsse des
internationalen Geographenkongresses zu
Berlin aufgestellt worden. Diese Pro-
gramme sollen die Grundlage für die von
den fremden Staaten auszuführenden be-
züglichen Arbeiten bieten und sind dem-
gemäfs den Staaten auf diplomatischem
Wege mit dem Ersuchen übermittelt
worden, auf den in Betracht kommenden
Stationen die wünschenswerten Beobach-
tungen vornehmen zu lassen, durch welche
die Arbeiten der verschiedenen auszu-
sendenden Südpolarexpeditionen wesent-
lich ergänzt werden würden. Zweck der-
selben ist die Konstruktion von synoptischen
Wetterkarten deB noch wenig bekannten
Gebietes der Antarktis für jeden Tag des
Zeitabschnittes vom l.Okt. 1Ü01 bis31.März
1903, was sowohl für die Theorie wie für
die Praxis von hervorragender Bedeutung
sein wird. Alle kooperierenden Stationen
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470
Geographische Neuigkeiten
südlich von 30° s. IL, alle Staaten mit
ständigen oder temporären mcteorolo-
gischcn Beobachtungsstabionen sfldi von
30° s. Hr., alle Staaten und Reedereien,
deren Schiffe in den Gewässern südl. von
30° h. Hr. während der Dauer der Termin-
zeit fahren, werden gebeten, zu ver-
anlassen, dafs in der genannten Zeit mög-
lichst jeden Tag um 0 Uhr p. m. mittlerer
(Jreenwicher Zeit meteorologische Bc-
obachtungen über den Luftdruck, die
Lufttemperatur, Stärke und Richtung des
Windes, Bewölkung nach Art, Stärke und
Richtung unter genauer Angabe der Be-
obachtungszeit (Ortszeit; und des He-
obachtungsortes angestellt werden.
Deutschland will für das Jahr IW2 bis
1903 zwei Stationen errichten, eine Haupt-
station im antarktischen Gebiet (Beobachter
|)r. Hidlingmaier) und eine Zweigstation
auf Kerguelen (Beobachter Dr. Luyken i.
Die Sehitlsbeobachtungen bei der Aus-
und Heimreise werden in der auch sonst
an Hord üblichen Weise mit Berück-
sichtigung aller Kleinente zu jeder Wache
einmal angestellt. Aufserdem werden
Luftdruck, Temperatur und Feuchtigkeit
fortlaufend registriert. Zur Erforschung
der höheren atmosphärischen Schichten
über dem Meere sollen Dracheuaufstiege
mit den hierfür üblichen Registrierappara-
ten von Hord aus versucht werden. Die
Beobachtungen an Land werden auch noch
die Wolkenhöhenmessungeu umfassen.
Aufserdem sollen in Verbindung mit den
meteorologischen Arbeiten nach Möglich-
keit noch verfolgt werden die luft-
elektrischen Erscheinungen und die Polar-
lichter. Auf Grund dieses von einheitlichen
Gesichtspunkten ausgehenden Programms
wird es gewifs ermöglicht werden, ein
reiches und erschöpfendes wissenschaft-
liches Material zusammenzubringen. (Allg.
Ztg. Wissensch. Heil. 156.)
* Da es nach dem Rücktritt
Prof. Gregory 's von der wissenschaft-
lichen Leitung der englischen Südpol-
expedition | vergl.S. 413) wegen der Kürze
der Zeit nicht mehr möglich war, einen
Krsatz zu schaffen . so ist von der Er-
nennung eines wissenschaftlichen Leiters
überhaupt Abstand genommen worden
uud nur ein Fachmann, George Murray
vom Naturhistorischen Museum, welcher
durch ozeanographische Untersuchungen
auf dem Schiff „Oceana" 18H8 sich be-
kannt gemacht hat, als Herausgeber der
wissenschaftlichen Arbeiten der Expedition
bestimmt worden. Er wird an der Fahrt
der „Discovery" nur bis Melbourne teil-
nehmen. Die wissenschaftlichen Begleiter,
der Biolog Hodgson, der Botaniker
Koettlitz, der Physiker und Astronom
Shackleton, der Zoolog und Arzt
Wilson — die Ernennung eines Geo-
logen soll noch erfolgen; ob aber ein
tüchtiger Glazialgeolog noch gefunden
werden kann, ist mindestens zweifelhaft
— sind dem Befehl des Commanders
Scott unterstellt worden, dessen Ermessen
es auch uusschliclslich anheimgestellt
ist, ob eine Überwinterung, ja überhaupt
eine Landung erfolgen darf. Durch
diese Veränderung in der Organisation
der Expedition haben sich die Aussichten
für eine erfolgreiche wissenschaftliche
Thätigkeit der Expedition erheblich ver-
schlechtert , wenn auch der Erfolg der
geographischen Forschung durch den
schon mitgeteilten Expeditionsplan ge-
sichert erscheint. (Peterui. Mittl. IWOl
S. 144.)
Vereine nnd Versammlungen.
* Für die diesjährige, 73 Ver-
sa m m I u n g d e u t s c h e r N a t u r f o r s c h e r
und Ä rzte, die vom 22. bis 2». September
in Hamburg abgehalten werden wird,
sind im Gegensatz zu frühereu Tagungen
zahlreiche geographische Vorträge au-
gemeldet worden, sodafs die Versamm-
lung auch für Geographen von Interesse
sein wird. Es sind Iiis jetzt folgende
Vorträge augemeldet worden: „Über den
augenblicklichen Stand unserer Gebirgs-
kenntnis der russisch - asiatischen Grenz-
länder" von Friedrichsen (Hamburg);
„Die Nyassa- Länder" von Fülleborn
(Berlin); „Die internationale Untersuchung
der europäischen Meere" von Krümmel
(Kielj; „Mitteilung über seinen in Aus-
führung begriffenen geographischen
Säkularkatalog" von Michow (Hamburg);
„Die kartographische und geologische
Aufnahrae des Kaiser Franz Joseph-Fjords
und des König Oskar-Fjords in Nordost-
Grönland 181>S" von Na t hörst (Stock-
holm); „Beiträge zur Topographie und
Vegetation Samoas" von Reinecke
(Breslauj; „Geographische Beobachtungen
auf dem Kriegsschauplätze in China" von
W egener (Berlin); „Ober die neuere
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Bii cherLesprechungen.
471
Entwicklung und ein neues photogra- i von van der Stok (De Hill); „Ober die
pbisches Universaliustrument der geogra- J Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzen-
phischen Ortsbestimmung" von Mar cuse ' geographie" von Engler (Berlin) und
(Berlin); „Die Polarlichtbeobachtungen „Über die Entwicklung und Zukunft der
der belgiHchen antarktischen Expedition" angewandten Botanik unter spezieller
vou Arktowski (Brüssel); „Die Beo- j Berücksichtigung produktionswirtschaft-
bachtung und Bearbeitung der Gezeiten- j lieber und kommerzieller Fragen'1 vou
Erscheinungen an derholländisehen Küste" | Warburg (Berlin).
Hüclierbesprecliungen.
Alpine Majestäten und ihrGefolge.
Die Gebirgswelt der Erde in Bildern.
Monatlich ein Heft mit etwa V2 Tafeln
in Grofsfolio. München, Vereinigte
Kunstanstalten. Preis des Heftes jl 1.
Dies Bilderwerk verdient die wärmste
Empfehlung. Es ist staunenswert, dafs
ea möglich gewesen ist, zu so billigem
Preise (die Tafel kommt kaum auf 10 Pf.
zu stehen!) Bilder von so schöner Aus-
führung zu bieten, bei denen in der That
die Milsstände der gewöhnlichen Autotypie
(das starke Hervortreten des Netzes) ganz
vermieden erscheinen. Das Werk ist
natürlich, da ja nur ein Massenabsatz den
billigen Preis möglich macht, in erster
Linie für den Naturfreund und Alpinisten
bestimmt, dürfte aber auch für Lehr-
zwecke gute Dienste leisten, da sich viele
charakteristische Erscheinungen der Alpen-
natur deutlich erkennen lassen. Eine
volle Ausnützung in dieser Richtung
würde freilich den meisten Lehrern nur
möglich sein, wenn ihnen in einem er-
läuternden Texte, dessen Abfassung einem
erfahrenen Didaktiker anvertraut werden
müfste, die Anleitung dazu geboten würde.
Vielleicht könnten auchdie unscheinbareren
Formen neben den kühnen Formen der
Hochregionen und der Kalkalpen etwas
mehr bedacht werden. Dem Geographen
wäre es natürlich auch erwünscht, wenn
in den späteren Heften neben den Alpen
auch die anderen Hochgebirge ausführ-
licher berücksichtigt würden; in den bis-
her erschienenen 5 Heften finden wir nur
vier Tafeln mit Ansichten aus Norwegen,
den Pyrenäen und dem Karst.
A. Hcttner.
Weltgeschichte, herausgegeben von
H. Helmolt. Siebenter Band: West-
europa. Erster Teil. Mit 6 Karten,
6 Farbendrucktafeln und 10 schwarzen
Beilagen. Leipzig und Wien, Biblio-
graphisches Institut, 1900.
Unter Westeuropa wird hier Europa
mit Ausschlufs von Rufsland und der
Kalkanhalbinsel verstanden; und da Ita-
lien samt der iberischen Halbinsel schon
im Reigen der Mittelmeerländer Gegen-
stand eines früheren Bandes des Gesamt-
werks gewesen, so handelt es sich diesmal
wesentlich um die atlantischen Staatsge-
biete unseres Erdteils und ganz Mittel-
europa, wobei jedoch Hinblicke auf Italien,
Sjmnien und Portugal nicht ausgeschlossen
sind.
Ein den Geographen besonders an-
ziehender Überblick „Die wirtschaftliche
Ausdehnung Westeuropas seit den Kreuz-
zügen" (von Richard Mayer) leitet das
Ganze ein. Er führt uns in grofsen Zügen
vor: den Kampf um die Vorherrschaft im
Levantehandel, die Ausbildung des mittel-
und nordeuropäischen Handelsgebiets,
vornehmlich die Entfaltung der Thätigkeit
der Hanse, sodann Westeuropa im Zeit-
alter der Entdeckungen, des Merkantil-
systems und des Ausbaues der modernen
Weltwirtschaft.
Der politischen Geschichte wenden
sich zu der 2. und 6. Hauptabschnitt:
„Renaissance, Reformation und Gegen-
reformation" (von Armin Tille) und
„Die Entstehung der Großmächte" (von
Hans v. Zwiedineck - Südenhorst),
d. h. die politischen Wandlungen, wie sie
in dem Zeitraum von 1650 bis 1780 zur
Machtstellung Frankreichs, Englands, der
Niederlande, des sinkenden Deutschen
Reichs, der habsburgischen und der preu-
fsischen Monarchie beigetragen haben.
Zwischen diese beiden, enger an ein-
anderschliefsenden Kapitel, die den grö-
fseren Teil des Bandes füllen, finden sich
472
Bücherbesprechungen.
noch zwei eigenartige, rein kulturge-
schichtliche Abschnitte eingefügt, die den
ganzen Zeitraum der letzten vier Jahr-
hunderte umspannen: „Das abendländische
Christentum und seine Missiou.sthätigkeit
seit der Reformation" (von Wilhelm
Walther) und „Die soziale Frage" (von
Georg Adler), eine vorzüglich klare,
dabei durchaus sachlich gehaltene Dar-
legung der neueren sozialistischen Be-
wegung vor allem in Frankreich, England,
Deutschland nebst einem kurzen Schlufs-
wort über den Sozialismus in den übrigen
eu ropiiischen Staatsgebieten.
Unter den beigefügten Karten, die,
wie immer, in sauberem Farbendruck aus-
geführt sind, verdienen Hervorhebung
diejenige der Ausdehnung der Hanse um
1400 und die Religions- und Missionskarte
der Erde für die Gegenwart.
Kirchhoff.
Der Weltverkehr und seine Mittel.
Mit einer Übersicht über Welthandel
und Weltwirtschaft. 9. Aufl. bearb.
von Merckel, Münch, Nestler, Riedl,
Schmücker, Schwarz, Steche u. Troske.-
Lex8°. 981 S. .«16.—. 84G Abbild ,
14 Tafeln u. 1 K. Leipzig, 0. Spamer.
1901.
Das bekannte Buch, das einen Bestand-
teil des Buches der Erfindungen bildet,
kann auch dem Geographen gute Dienste
leisten. Nach einer kurzen übersieht
über die geschichtliche Entwicklung des
Verkehrswesens werden nach einander
die Laudstrafseii , die Eisenbahnen, die
Brücken und Viadukte, die Binnenwasser-
strafsen und Seehäfen, der Schiffsbau,
Posten und Postwesen, Telegraph und
Telephon besprochen, und zum Schlufs
wird noch eine Darstellung des Ent-
wicklungsganges und des heutigen Standes
der Weltwirtschaft gegeben. Die eigent-
lich geographischen Angaben wird der
Geograph ja auch anderen Hilfsmitteln
entnehmen können, obwohl es an einer
befriedigenden Darstellung der Verkehrs-
geographie immer noch fehlt und manche
Bücher, die sich dafür ausgeben, kaum
mehr geographischen Charakter haben.
Aber die technischen Kenntnisse, die der
(ieograph sich aneignen mufs, wenn er
die geographische Verteilung und die
verschiedene AusbildungBweise der Ver-
kebr.ieinrichtungen in verschiedenen
Landern verstehen will, wird er kaum
in einem anderen Werke so bequem zu-
sammengestellt finden. War das schon
bei den früheren Auflagen der Fall, so
ist doch die vorliegende neunte Auflage
wieder wesentlich vervollkommnet und
der gegenwärtigen Ausbildung des Ver-
kehrswesens angepafHt. Die Ausstattung
mit Abbildungen ist vorzüglich; sie sind
nicht nur, wie in so vielen neueren Bilder-
werken, ein „Schmuck" des Bu«hes, der
mit dem Text kaum etwas zu thun hat,
sondern gehören mit dem Text zusammen
und ermöglichen erst dessen volles Ver-
ständnis. A. Hettner.
Fitzner, Dr. Rudolf, Deutsches Kolo-
nial - Handbuch, nach amtliche»
Quellen bearbeitet. Bd. I der zweiten
Auflage. 8. 412 S. mit 4 Karten.
Berlin 1901, Verlag von H. Paetel.
Das bereits rühmlichst bekannte Ko-
lonialhandbuch von R. Fitzner liegt nicht
nur in zweiter Auflage vor, sondern es
ist, entsprechend der Natur dos behan-
delten Gegenstandes, so stark gewachsen,
dafs Beine Teilung in mehrere Bände schon
im Interesse der Handlichkeit notwendig
geworden ist. So enthält denn der vor-
liegende erste Band nur die vier afrika-
nischen Schutzgebiete. Die einzelneu Ab-
schnitte, die, wie in der ersten Auflage,
der Besprechung eines jeden Gebiets eine
lesenswerte geographische Übersicht voran-
stellen, lassen deutlich einen Fortschritt
erkennen. Interessenten seien besonders auf
die übersichtlichen Zusammenstelluugeu
über die Plantagen unserer tropischen
Schutzgebiete aufmerksam gemacht, deren
Vergleich mit den gleichen Tabellen der
früheren Ausgabe doch manches Erfreu-
liche bietet. Auch die Bevölkerungs-
statistik, die ja namentlich in Südwest-
afrika zu immer wichtigeren Erwägungen
Anlafs giebt, ist bis in die neueste Zeit
fortgeführt, so dafs auch auf diese Zu-
sammenstellung aufmerksam gemacht wer-
den kann. Weniger einverstanden erklärt
sich Ref. mit der Art der Angabe der
Preisverhältnisse im einzelnen. Hier
müfsten besser die Preise nur in einer,
verschiedene Perioden berücksichtigenden
Tabelle gegeben werden, da sie sich sehr
häufig ändern. Sehr praktisch ist die
Neuerung, dafs die Personalien, deren
Anführung in einem solchen Handbuch
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Bü eher besp rechungen.
473
ja unerlüfslich ist, diesmal am Schlüsse
in einer besonderen Zusammenstellung ge-
bracht werden, da sie, die selbstverständlich
den raschesten Änderungen unterworfen
sind, auf diese Weise als Sonderheft öfters
neu ersclfcincn können.
Alles in allem ist das Kolonialhand-
buch auch in seiner neuen Gestalt ein
unentbehrliches Nachschlagebuch nicht
nur für den unmittelbar an unseren Schutz-
gebieten Interessierten, sondern fast noch
mehr fiir jeden Freund derselben, der sich
schnell und doch eingehend über eines
derselben unterrichten will. K. Dove.
Smiljunic', M. \ ., Beiträge zur Siede-
luugskunde Südserbiens. Ab-
handlungen der K. K. Geogr. Ges.
Wien Bd. II (1000) Nr. 2. 71 Seiten
mit 3 Textabbildungen und einer
Karte. Wien, R. Lechner 1000.
In einer fleifsigen Studie, der Frucht
saurer rechnerischer Arbeit, eingehender
Litteraturkenntnis (die benutzten Quellen
sind, nicht ohne einige Druckfehler z. B.
Paläographie statt Poleographie der Cim-
brischen Halbinsel, am Schlüsse zusam-
mengestellt) und eigener Anschauung an
Ort und Stelle, untersucht der Verfasser
die Volksdichte- und Siedelungsverhält-
nissc Südserbiens in ihrer Abhängigkeit
von Bodcngestaltung und geologischem
Bau, Klima (Sonnenbestrahlung; und Be-
wässerung, Wald- und Kulturland, Verkehr
und Industrie.
Nach einer allgemeinen anthropo-
geographischen Einleitung bringt der erste
Hauptteil (Die Lage, der Raum, die
Grenzen und die orographisch-hydrogra-
phischen Verhältnisse) eine gedrängte
geographische Übersicht Südserbiens
zwischen der türkischen Grenze, der west-
lichen und südlichen Morava. Der zweite
Hauptteil (Die Bevölkerungsdichtigkeit
Südserbiens) behandelt zunächst rein
methodisch, zwar ohne neue Gesichts-
punkte, aber in kurzer treffender Kritik
der einschlägigen Arbeiten das viel er-
örterte Problem der kartographischen
Darstellung der Volksdichte. Dann spricht
sich der Verfasser über sein Verfahren
und die Herstellung seiner Karte aus,
die im Mafsstabe 1 : 400 000 das Flufs-
netz, den Wald, das Gelände in 200 m-
Schichtlinien mit Hervorhebung der 800 ra-
Isohypsc , die Verkehrswege und , in
0 oograph i»c n« ZeKachrfft. 7. Jahrgang 1001. 8
schwarzen, roten und blauen Punkten
und Kreisen verschiedener Gröfse, die
Sicdelungen enthält. Die Karte giebt
trotz ihrer Bezeichnung nicht die Volks-
dichte, sondern die Siedelnng8verhältnisse
wieder und gestattet nur durch die Ver-
teilung der Wohnplätze einen Rückschlufs
auf erstere. Sehr klar kommt zur Ver-
anschaulichung, wie dem dünn oder gar
nicht bewohnten Walde das dicht l«e-
siedelte Tiefland gegenübersteht, wie der
Menschen zusammenführende Verkehr in
den Hauptthälern gröfsere geschlossene
Siedelungen geschaffen hat, die nach
dem Gebirge zu immer kleiner und zer-
streuter werden, und wie im Osten vor-
wiegend Dörfer, im Westen Eiuzelhöfe
zu finden sind. Leider enthält die sonst
so übersichtliche Karte zu wenig Namen,
sodafs man der Beschreibung nicht immer
folgen kann. Auch die verschiedenfarbige
Hervorhebung der Höhenschichtlinien,
namentlich der für die Untersuchung
mafsgebenden 400 m-Isohypsen, hätte viel-
leicht die Deutlichkeit des Karteubildes
erhöht. <
Im Folgenden behandelt der Verfasser
an der Hand der oben angedeuteten Ur-
sachen Volksdichte und Siedelungsver-
breitung, wobei er im Einklänge mit
dem Gebirgscharakter des Landes den
Höhenzonen besondere Aufmerksamkeit
schenkt. Der Übersicht halber zerlegt
er das ganze Gebiet in acht natürliche
Abschnitte, denen er nach Ratzel'8 Vor-
schlag die Flufsthäler zugrunde legt, um
so mehr, als an sie alle Siedelungen
Südserbiens gebunden sind. Als Haupt-
ergebnisse, die in einer Reihe von Tabellen
übersichtlich zusammengefafst werden,
sind hervorzuheben: Mit 34 Einwohnern
auf 1 qkm steht die Volksdichte Süd-
serbiens um 14 hinter derjenigen ganz
Serbiens zurück. Die unten« Siedelungs-
zonc (bis 400 m) ist mit 26,8 % räumlich
die kleinste, umschliefst aber als dichtest
bevölkerte 66,5 "/0, also über die Hälfte
der Bewohner. Die zweite Zone (400 —
800 m) nimmt mit 48,8% räumlich die
erste Stelle ein, beherbergt aber blofs
35,1%, also etwas mehr als ein Drittel
der Bevölkerung. Auf die drei übrigen
Zonen («00— 2000 in, davon 1600- 2000 in
überhaupt menschenleer) entfallen bei
27 % Landnuehe nur noch 0,4 % der
Bewohner. 11,5% der gesamten Seclen-
lloft 32
474
Bücherbesprechungen.
/uliI entfallen auf die städtische Be-
völkerung, und davon gehören 8,6%
ersten, 3",, der zweiten Zone an. Die
übrigen Zonen sind städtelos, indem jen-
seits KM) ni keine Stadt von 1600 .auf
der Karte steht versehentlich lOOOi Ein-
wohnern mehr vorkommt. hie HOO m-
Linie ist auch dadurch wichtig, data
oberhalb derselben da» (ietreide nur noch
spärlich oder gar nicht mehr gedeiht,
sodaß in den höheren Regionen die Vieh-
zucht zur Hauptbeschäftigung wird.
Der dritte Hauptteil behandelt die
Sietielungen mit besonderer Berücksich-
tigung der im Osten und Westen Süd-
serbiens bestehenden Unterschiede. Die
wirtschaftlichen und sozialen Verhält-
nisse des alten Serbenreiches, die gesetz-
miifsige Zwangsauswanderung, ständiger
Wechsel der Sennereidörfer Katuns .
die lange Türkenherrschaft, die jetzt
immer mehr verfallenden Zadrugas i Haus-
und Familiengemeinschaften' und andere
Erscheinungen sind auf die Herausbildung
der Siedclungsartcn von maßgebendem
9 Einflüsse gewesen. Von letzteren kommen
in Betracht: Einzelhöfe, Übergangsformen
zwischen Einzelhöfen und gehäuften
Siedelungen, Strafsendörfer, geblendeter
Straßentypus (die Häuser, stehen nicht
unmittelbar an der Strafse, sondern sind
durch Zaune oder Hecken von ihr getrennt i,
t%bergang8fonuen zwischen Straßen- und
Haufendörfern, Haufendörfer.
Interessant sind die Bemerkungen über
die anthropogeographische und politische
Bedeutung der sorbisch-türkischen Natur-
grenze (S. 10), über die periodische Ein-
waiulerungbulgarischerHandwerkeriS.43>,
den mittelalterlichen Bergbau in Serbien
und die deutsch-siebeubürgischen Berg-
arbeiter <S. 4(ii, sowie über die Arnauti-
sierung Altserhiens und die gespannten
Beziehungen zwischen Serben und AJba-
nesen (8. 40—41, 44, 02, G3).
K. Hassert,
Wieden feld, Dr. Kurt., Die sibirische
Bahn in ihrer wirtschaftlichen
Bedeutung. SOS Seiten, gr. 8n.
1 Karte. Berlin 11)00, Julius Springer.
Es ist in den letzten Jahren in und
außerhalb Hußlands, auch von deutscher
Seite, sehr viel über die politische und
wirtschaftliche Ausbreitung Rußlands in
Asien, namentlich über «He Zwecke und
Aussichten der grofsen sibirischen Bahn
geschrieben worden. Der Verfasser des
vorliegenden Buches unterzieht sich der
dankenswerten Aufgabe, eine kritische
Sichhing des gesamten (juellenmaterials
vorzunehmen, um den wirt8«<fcaftlichen
Teil der Frage eingehend zu behandeln
und auf diese Weise dem Gegenstand
eine neue, wohl noch nicht genügend
gewürdigte Seite abzugewinnen. Die po-
litische und militärische Bedeutung stehen
unzweifelhaft zur Zeit im Vordergrund,
da Hufsland zur Durchführung seiner
Ziele in Dstasien und zur Bekämpfung
des fremden Einflusses in der Mandschurei
einer schnellen und gesicherten Verbindung
mit dem Mutterlande dringeud bedarf
Demnächst prüft der Verf. die wirtschaft-
liche Bedeutung de« gewaltigen Unter-
nehmens nach drei (Gesichtspunkten : 1. auf
Besiedelung und Erschließung des weiten
menschenarmen Gebietes in Südsibirien und
am Amur, wohin die überflüssige Volks-
masse , die schon jetzt auf heimatlichem
Boden durch agrar - soziale Mißstände
schwer leidet und kaum noch Brot tindet,
planmäßig abgeschoben werden kann;
2. auf die Stellung, die Sibirien aß
Gebiet für das Hervorbringen wie für den
Verbrauch von Natur- und Industrie -
erzeugnissen im Weltmarkte einnimmt ;
3. auf den Einfluß, den die Bahn nach
Fertigstellung als Weltverkehrsstraße vor-
aussichtlich gewinuen wird.
Das mit erschöpfender Gründlichkeit
und beherrschender Kenntnis aller eisen-
bahn technischen und wirtschaftlichen
Fragen geschriebene Buch prüft maßvoll
und unter Ausnutzung aller verfügbaren
Quellen «He verschiedenen Seiten, nach
denen die künftige asiatische Bacitic-
bahu sich im Weltverkehr fühlbar machen
wird. Die Fahrzeit wird z. B. von Mos-
kau nach Dalni (Port Arthur) auf 18% bis
20 Tage, die Kosten der Heise für die
Strecke London-Dalni in der I. Klasse auf
420 Mk. (dazu noch 300 Mk. Verpflegung,
veranschlagt, währond jetzt die Kosten
der Seefahrt von den großen europäischen
nach den großen chinesischen oder japa-
nischen Häfen über 1300 Mk. betragen.
Rußland muß, um die große Bahn
leistungsfähig zu machen, noch manche
Übereilung in der ersten Anlage, nament-
lich die Ausstattung mit brauchbarerem
rollenden Material und schwereren Seine-
BücherbeBprechungen.
475
nen verbessern. Man hat diese Mängel
erkannt und ist entschlossen, sie zu be-
seitigen. Das Unternehmen wird nach
des Verf. Ansicht im Weltverkehr da-
durch eine Jiolle spielen, dafs es die Be-
förderung der wertvollen Güter, der Post
und der Personen übernehmen wird,
wahrend die Stapelartikel der billigeren
Frachten wegen nach wie vor dem See-
wege vorbehalten bleiben dürften. Be-
deutsamer erscheint die Stellung, die
der Bahn in der wirtschaftlichen Ent-
wickelung Sibiriens angewiesen werden
mnfs. Sie hat die Aufgabe, die Produk-
tionBkraft des Landes dadurch zu heben,
dafs sie in die menschlicher Arbeitskräfte
dringend bedürfenden Gebiete Ansiedler
hineinführt. Die Wirkungen werden sich
aher erst sehr allmählich zeigen, so dafs
alle Erwartungen auf eine sprungweise,
schnelle Entwicklung Sibiriens trotz der
Bahn als nicht begründet anzusehen sind.
Wir halten das treffliche Buch für einon
wichtigen Beitrag zur Klärung des Urteils
über die Gegenwart und Zukunft Sibiriens
und die Stellung Rufslands im Welthandel.
Immanuel.
Gruner, Dr. Christi«», Die Entwick-
lung der geographischen Lehr-
methoden im XVIII. und XIX.
Jahrhundert. Rückblicke und Aus-
blicke. Mit 2 Kärtchen und 8 Skizzen.
München und Leipzig, R. Oldenbourg.
Vorwort datiert Juli 1900. M. 3.60.
Der Verfasser begiebt sich mit den
beiden ersten Teilen seines Buchs: Das
XVIII. Jahrhundert S. 1 — 147 und das
XIX. Jahrhundert 8. 1 öl —211 auf ein
. noch ziemlich wenig beackertes Feld und
kann des lebhaftesten Dankes derer, die
die Schulmethodik der Geographie mit
historischen Augen ansehen möchten, ge-
wifs sein. Ob freilich der Titel „Die Ent-
wicklung" nicht etwas zu hoch gegriffen
ist, möchte ich dahin gestellt sein lassen.
Einerseits hal»en wir doch wohl an Stelle
einer wirklichen Entwicklung bis in junge
Tage mehr ein unruhiges Hinundher, ein
vielfach unverbundenes Nebeneinander,
häutig ein Aufnehmeu von scheinbar
Neuem und doch Uraltem. Erst in den
letzten Jahrzehnten des verwichenen Jahr-
hunderts bahnt sich ein gröfserer Zu-
sammenschlufs an. Das verrät Gruber' s
„dritter Teil"-. Ausblicke S. 215 254
doch noch deutlich genug. — Andererseits '
ist das Material Gruber's zwar dankens-
wert reichlich, für altbayrische Verhält-
nisse L T. 7. Ab. sogar recht ausgiebig;
aber es liegt doch wohl noch viel Stoff
ungehoben. Sehr dankenswert ist es z. B.,
dafs Gruber auf Gedike's „Gedanken über
Methode beim geographischen Unterricht",
die fast unbekannt geworden zu sein
schienen, so nachdrücklich hinweist. Aber
Gedike kommt wohl noch Öfter als au den
angezogenen Stellen auf Geographie im
Unterricht zu sprechen. Eine Zusammen-
stellung aller dieser Daten wäre recht
nützlich. Ich führe u. a. „Neue Nachricht
von der Einrichtung des Fr. Werderschen
Gymnasiums1« 1788 S. 36 und 41 und „Einige
Gedanken über die Ordnung und Folge
der Gegenstände des jugendlichen Unter-
richt«" 1791 S. 24, „Kurze Nachricht von
der gegenwärtigen Einrichtung des Berlin-
Köln. Gymnasiums" 1796 bes. S. 21 u. 26,
vor allem aber „Einige Gedanken über
Schulbücher und Kinderschriften" 1787 an;
denn man geht wohl nicht fehl, dafs der
25jährige Direktor, der aus den „Ge-
danken über Methode" zu uns spricht,
wäre er in seinem arbeitaüberreichen
Leben zur Abfassung eines geographischen
Lehrbuchs gekommen, die dort ent-
wickelten noch heute beachtenswerten
Grundsätze befolgt hätte. Erst einen
Abschnitt später (5.) treffen wir auf Bü-
sching. Das scheint mir unzweckmäßig,
Büsch ing war der unmittelbare Amtsvor-
gänger Gedike's, der sogar einige Jahre
als sein Gehilfe thätig war. Ferner ist
wohl Büsching als Geograph bekannter
denn als Methodiker, dafs aber so wenig
über diesen zu sagen wäre, wie Gruber
S. 69 thut, kann ich nicht zugeben.
Büsching war nicht nur „geistesstark
und originell genug, um auf die nnter-
richtliche Behandlung der Erdkunde Ein-
flufs zu gewinnen", sondern er lebte als
praktischer Schulmann, der nach ganz
eigenartigen Prinzipien den Bau seiner
Schule (Graues Kloster, Berlin) um-
gemodelt hatte, mitten in der Schulwelt,
vgl. u. a. Gedike „Erinnerung an Büsching's
Verdienste etc.*4 1 795. Ferner ist Büsching's
„Vorbereitung zur gründlichen und nütz-
lichen Kenntnis der geographischen Be-
schaffenheit etc.", 1. Aufl., Göttingen 1761 ;
4. Aufl., Berlin 1768, schon der Vorreden
halber, aber auch hinsichtlich des Inhalts
32*
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47G
H (ich erbe s prechungen.
durchaus methodologisch zu verwerten, i
auch (Jedike führt da« buch (1, c. S. 11)
direkt als von Büsching als Schulbuch für
die höheren Klassen verfallt an. Ahnliches
läfst sich von dem Abschnitt „Unterricht
in der Geographie und Unterricht in der
Geschichte" seines „Unterrichts für Infor-
matoren und Hofmeister', Hamburg 1773,
§§137-131» die Seitenzahl ist verdruckt)
sagen. — Doch ich kann hier nicht aus-
führlicher werden, ich wollte nur zeigen,
dafr hier trotz Gruber noch ein reicheB Feld
zu bebauen ist. Unter allen Umständen
müssen wir aber dem Verfasser danken
für die auch so schon recht grofse Mühe,
der er sich für die Zusanimenhringung
und Verarbeitung seines Stoffes hat unter-
ziehen müssen. Ich versage es mir auch
auf seine „Ausblicke" näher einzugehen.
In den beiden ersten Abschnitten ist er
Historiker, hier wird er Polemiker. Alle
die iu den letzten zwanzig Jahren in Be-
wegung geratenen und erst nach Klärung
ringenden Fragen werden hier aufgeworfen
und zu ihnen Stellung geuounuen. Es
wäre ein Buch nötig, sich mit ihnen in
Gruber' s Fassung abzufinden. — Jedenfalls
wünsche ich dem Buche viele Leser und
den beiden ersten Abschnitten tüchtige
Weiterbauer. Heinr. Fischer.
Laiigcnueck , Prof. Dr. R., Leitfaden
der Geographie für höhere
Lehranstalten im Anschlufs an
die preufsischen Unterrichts-
pläne von 1H92, Erster Teil, Lehr-
stoff der unteren Klassen mit 7 Fi-
guren im Text. 3. umgearbeitete Aufl.
Leipzig, Wilhelm Engelmann 1900.
X. u. 13* S., geb. M. 1.60.
Die Langenbeck'schen Lehrbücher der
Geographie haben sich gut eingeführt,
seit 1H'.(3 liegt jetzt vom Leitfaden die
3. Auflage vor. Der Verfasser verdient
darnach eine ernsthafte Würdigung und
Prüfuug seines Werkes. Worin es sich
von Anfang au vorteilhaft bemerkbar ge-
maent hat, ist sein Streben nach wissen-
schaftlicher Zuverlässigkeit und nach
Zusammenhang in der Darstellung im
Sinne einer auf die natürlichen Verhält-
nisse gegründeten Landsehaftengeogra-
pliie. Wenn dieser zweite Punkt in Teil I
noch nicht mit derselben Deutlichkeit
hervortritt wie in Teil II, so ist das kein
Wunder und nichts darüber zu sagen.
Überhaupt ist ein Leitfaden für die Unter-
klassen ein weit schwierigeres Ding als
das folgende Lehrbuch, das sich an mitt-
lere Knabenintelligenz mit schon allerlei
ziemlich ausgebildeten Fähigkeiten und
Kenntnissen wendet. Am deutlichsten
tritt das für mich an der Krux aller
unserer Schulgeographien, den mathema-
tischen Abschnitten, hervor. L. hat sich
hier um eine „leicht fafsliche und dem
Verständnis der Schüler" „angepafste
Darstellungsweise14 bemüht. AVier erreicht
hat er sie doch noch nicht. Es liegt das
daran, dafs auch er Dinge zum „Aller-
not wendigsten" rechnet, die schlechter-
dings noch über Sextaner- oder Quintaner-
verständuis hinausgehen. Eine Art Ein-
geständnis macht er selbst, indem erS. III
„Parallelkreise und Meridiane" direkt als
für den ersten Kursus nicht bestimmt be-
zeichnet, im § 4 S. ü des Sextanerbuches
sich aher doch mit ihnen abquält. „Jedes
Alter bat eine eigene Geographie nötig . . .
von den Begriffen der mathematischen
Geographie gehört in die Kinder- und
Knabengeographie noch schlechterdings
gar nichts. Und doch fängt man gemeinig-
lich an, dem aufhorchenden Knaben zu
erklären, was Äquator und Pole, und
Achse und Meridian sei. Was denkt sich
der Lehrling bei diesen Begriffen? Immer
noch gut, wenn er nichts dabei denkt . . ."
so warnte Gedike schon vor 120 Jahren;
uud hat er nicht Wort für Wort Recht?
Darum fort mit diesen Dingen aus unsern
Leitfäden Für Quarta getraut sich L.
den Begriff eines Winkels infolge gleich-
zeitigen Mathematikuuterrichts allenfalls
gebrauchen zu können, und doch bietet
er schon Sextanern Zeichnungen wie Fig. 2
Tangenten an eine Figur mit ungleicher
Krümmung, Fig. 4 mehr und weniger
schräger Einfall eines Lichtbündels. An-
dererseits würde ich manches aus der
ersten Hälfte von §. 45, Darstellung der
Keliefverhältnisse, nicht nach Quarta
nehmen, sondern viel früher. Sollen denn
die Schüler über zwei Jahre und bei
aller fortdauernden Belehrung ül>er Ge-
birge und Flachland nie erfahren, was
sie so leicht von ihren Karten ablesen,
dafs die Höhe eines Landes durch
Farben, Gebirgdand durch Schratten etc.
dargestellt wird? Ja wie haben sie dann
diese Dinge bis dahin auf ihren Karten
'erkennen sollen? — Ich lasse den einen
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Neue Bücher und Karten.
477
Einwund z. T. gelten, dafs viele Lehrer j Überzeugung ist, dato wir in den Büchern
nicht wissen wilrden, was sie nun als des von mir hochgeschätzten Verfassers
geographische Grundbegriffe auswendig | neben manchen ähnlichen schon immer-
lernen zu lassen haben würden. Aber hin einen bedeutenden Fortschritt sehen
ist es wirklich ein Vorzug für ein Buch, müssen. Aber auf dem Gebiete des
brauchbar für ungeeignete Lehrer zu sein? Anfangsunterrichts liegt eben leider über-
Zum SchfuTs aber möchte ich nicht ver- | haupt noch beinahe alles im argen,
schweigen, dafs es bei alledem meine Heinr. Fischer.
Nene Bücher ond Karten.
Zusammengestellt, von Heinrich Brunner.
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Kordofan. — Schott: Die Wärmever-
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Geographische Charakterbilder ans Pinland.
Von Dr. J. E. Rösberg in Helsingfors.
Um die Oberflächenformen Finlands verständlich machen zu können,
will ich etwas über die erdgeschichtliche Entwicklung des Landes
vorrausschicken.
Wie bekannt, giebt es in Finland eine grofse Lücke in der Aufeinander-
folge der geologischen Bildungen. Wir haben bei uns eigentlich nur die
ältesten und jüngsten Formationen, die präcambrischen und quartären. Die da-
zwischen befindlichen Formationen fehlen. Die Gesamtheit der präcambrischen
Bildungen wird in Finland in zwei Abteilungen zergliedert, für welche die ameri-
kanischen Bezeichnungen archaisch und algonkisch angewandt, werden. Die
ältesten archaischen Gebilde sind die grauitischen Gneise des östlichen Fin-
lands, uralte Gesteine, die möglicherweise Teile der ursprünglichen Erstarrungs-
kruste der Erde sein können. Jedenfalls sind sie viel älter als unsere Sehiefer-
gebirge. Auf ihnen ruhen mächtige Formationen von sicher sedimentären
Schiefern, u. a. die ladogischen Schiefer des östlichen Finlands, welche
ihren Namen vom Ladogasee bekommen haben. Diese Schiefer sind stark
gefaltet und mit später hervorgedrungenen Graniten gemischt. Von jüngerem
Alter sind wahrscheinlich die hottnischen Schiefer des westlichen Finlands,
welche ihren Namen nach «lern Bosnischen Meerbusen erhalten haben.
Nach der Zeit ihrer Ablagerung sind noch neue Granitmassen hervor-
gedrungen.
Später folgte die algonkische Zeit. Damals bildeten sich zuerst die
jatulischen Quarzite, Thonschiefer und Dolomite, welche hauptsächlich im
östlichen Finland ausstehen. Der Name jatulisch stammt, wie die übrigen
dieser neuen Bezeichnungen, von Sederholm her. Auch die jatulischen
Schichten sind stark gefaltet und gestört worden. Die damals hervor-
gedrungenen Eruptivmassen waren alle basisch (hauptsächlich Diabase).
Dies war die letzte Faltungsperiode in Finland. Nachher sind keine
Gebirgsketten mehr in unserem Lande entstanden, wohl aber fanden vertikale
Dislokationen sowie Hebungen und Senkungen statt. — Noch einmal taucht
das Land unter den Meeresspiegel. Nun lagerten sich die jotnischen
Sandsteine ab. Während der spätesten präcambrischen Zeit sind grofs-
artigf Eruptionen vor sich gegangen. Dies sind nur die groben Züge der
sehr komplizierten Entwickelung während der präcambrischen Zeit. Die
für Finland typischen Rapakivigesteine (meistens porphyrartige Granite),
Diabase uud Gabbros stammen aus dieser Zeit. Im nördlichen Finland finden
Geogr.i.hUchc Zeil.clirift. 7. J»hrg«nB. 1901. 9. Heft. 33
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482
J. B. Ronberff:
wir noch jüngere Eruptivgesteine, nämlich Nephelinsy enite, welche wahr-
scheinlich devonischen oder carhonischen Alters sind.
In dem ungeheuren Zeiträume von hier bis ins Quartär weifs man
von den geologischen Veränderungen Finlands nichts. Man nimmt gewöhn-
lich an, dafs das Land die ganze Zeit über Festland war und die zerstörenden
Kräfte die (iebirge, auf deren Vorhandensein die Faltung und Störung der
älteren Sedimentgesteine hinweisen, fast ganz und gar eingeebnet hätten.
Früher hat man eine Abrasionsthätigkeit im Zusammenhang mit einer späteren
Transgression als Ursache dieser Einebnung angenommen. Alles ist natürlich
nur Hypothese. Doch kann man so viel sicher behaupten, dafs eine un-
geheuere Zerstörung während dieses Zeitraums stattgefunden haben mufs.
Unsere jetzigen Gebirge sind nur der Kern der früheren Gebirgsketten.
Nicht unwahrscheinlich scheint auch die Vermutung, dafs Finland sowohl
cambrische als auch silurische Ablagerungen gehabt habe, die aber
später völlig vernichtet worden sind. Die paläozoischen Schichten an der
estländischen Küste sind schroff abgebrochen und rufen so zu sagen nach
ihrer Fortsetzung in Finland. Also eine ausgeprägte Kliffküste. Auf den
Gestaden Alands findet man oft von den Wellen oder dem Eise hcrauf-
geworfene Blöcke von Silurkalk, die aus dem südlichen Teile des Bottnischen
Meerbusens stammen müssen.
Vor Beginn der Eiszeit haben wir uns das Land als eine bucklige mit
Verwitterungsgrus bedeckte Landschaft vorzustellen. Wie bekannt, kam das
Inlandeis von Nordwesten her und hat das Land fächerförmig überflutet,
wie man aus der Richtung der Schrammen erkennen kann. Dabei muCs
man aber beachten, dafs die heutigen Schrammen gröfstenteils aus den
letzten Stadien der letzten Eiszeit herrühren, aus einer Zeit also, wo das
Inlandeis stark im Abschmelzen begriffen war und die Schrammenrichtungen
von den Unebenheiten des Terrains beeinflufst wurden. Man glaubt, dafs
die sogenannten „Kreuzschrammen" ein Zeichen von verschiedenen Bewegungs-
richtungen des Eises in verschiedenen Eiszeiten sind. Der gröfste Teil der
älteren Schrammen ist aber von dem letzten Inlandeis abgeschliffen worden;
„Kreuzschrammen" deuten also oft nur auf die Abhängigkeit der Bewegungen
des späteren dünnen Inlandeises von den Terrainunebenheiten. Auch aus
einer Anzahl lokaler Endmoränen sieht man, dafs das letzte Inlandeis in
einzelne Eislappen verteilt war.
Die Glacialspuren sind in Finland, wie man ja erwarten kann, äufserst
deutlich und viel weniger kompliziert als in den Alpen. Doch ist es fast
unmöglich, verschiedene Glacialstufen zu erkennen. Das grofse Inlandeis
konnte sehr leicht Finland überschreiten. Dabei hat natürlich ein riesiger
Blocktransport und eine Wegführung des Verwitterungsgruses stattgefunden.
Die glaciale Erosion war auch sicher bedeutend, nach den überall typischen
Rundhöckerlandschaften zu urteilen. Dagegen scheinen die meisten See-
becken mehr präglaciale Verwitterungs- und Verwerfungswannen zu sein als
Erosionsmulden. Das Eis hat hauptsächlich eine ausräumende Rolle gespielt.
Von der grofsen Eiszeit kann man aber nicht mehr sagen, als dafs sie
eine ungeheure Wegführung und Umlagerung des lockeren Materials hervor-
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Geographische Charakterbilder aus Finland.
483
gebracht hat. Aber dabei kann man nicht leugnen, dafs das Eis eine
mächtige erodierende Wirkung, weniger die Mulden vertiefend, aber desto
mehr die emporragenden Gebirge abschleifend, gehabt hat. Noch deutlicher
als in den Binnenseelandschaften kann man dies in den genetisch gleich-
stehenden Scharenlandschaften wahrnehmen. Die letzteren sind später aus den
Fluten des Meeres aufgetaucht und haben infolgedessen ihre ursprüngliche
Form so gut bewahrt wie ein anatomisches Präparat in Spiritus.
A priori mufs man ja voraussetzen, dafs Finland dieselben Klima-
schwankungen während der Eiszeit durchgemacht hat wie die Nachbarländer.
Also dürfte man mindestens eine Interglacialzeit annehmen müssen. Aber
sichere Beweise dafür fehlen. In Süd -Schweden kann man zwei Moränen-
decken sehen, eine ältere und eine jüngere. In Finland kann man nur
eine Moränenbedeckung nachweisen, obwohl man stellenweise Lager von
geschichtetem Sand und Thon zwischen zwei Moränen gefunden hat. Diese
können nämlich ebensogut bei den Oscillationen des Eisrandes eingeschaltet
worden sein. Aus Finland haben wir auch drei Mammuthfunde. Der letzte
Fund, welcher näher untersucht worden ist, lag zwischen zwei Moränen in
einer Endmoräne. Man hat diesen Fund als einen ziemlich sicheren Beweis
für eine Interglacialzeit angenommen. Ich möchte annehmen, dafs der Mammuth-
knochen wahrscheinlich in sekundärer Lagerstätte sich befand. Unsere übrigen
Beweise für eine Interglacialzeit sind ebenso zweifelhaft.
Es ist also hauptsächlich nur die allerletzte Vergletscherung, die wir
in Finland genau studieren können, und zwar ihre Wirkungen beim Ab-
schmelzen des Eises. Bei diesem Abschmelzen ist nämlich eine Ruhepause
eingetreten, in der unsere grofsen Endmoränen, die bekannten Salpausselkäs,
gebildet worden sind. Es giebt auch Forscher, die diese Endmoränen als
ein Zeichen eines neuen Vorstofses des Inlandeises deuten. Für die Er-
scheinungen der Eiszeit können wir folgendes Schema aufstellen:
Die grosse EiBzeit , be- /
ziehungsweise die grofsen Wegführung des präglacialen Verwitterungsmaterials.
Eiszeiten
Bildung der Rundhöckerlandschaften. Ausräumung
der Seebecken und der Becken zwischen den Schären
(Schärenhof). Glaciale Erosion. Anhäufung des
Moränengruses.
Die letzte Vergletscherung ( Jjjj^ der DrumUn8 und der Land-
| Anhäufung des Moränengruses.
(Bildung der Endmoränen, der Asar, der Kames
und Heidelandschaften. Anhäufung der erratischen
Blöcke. Bildung der Riesentöpfe.
Überall in Finland liegt der Moränengrus unmittelbar auf dem
festen Grund. Wie schon erwähnt, kann man im allgemeinen nicht
Moränen zweier verschiedener Eiszeiten unterscheiden. Der Moränengrus ist
gewöhnlich nicht oder nur undeutlich geschichtet. Die Bodenmoräne ist oft
thonig und mit Blöcken erfüllt („Blocklehm"). Oft ist sie sehr fest, was
im höchsten Grade die Erdarbeiten erschwert. Der „Krossstensgrus" ist
gewöhnlich etwas sandig und versetzt mit ungeheuren Massen von Steinen
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4H4
J. K. Rosborg:
aller Gröfsen. Der Moränengrus bildet au mehreren Stelleu Drumlins, die
fast überall eine nordwest -südöstliche Richtung besitzen. In den östlichen Teilen
der finnischen Seeplatte bildet der Moränengrus die eigentümliche Landschafts-
form, welche man als „streifige14 Landschaft bezeichnet hat. Sie verdankt
ihren Charakter zwei neben einander wirkenden Ursachen, erstens dem tek-
tonischen Hau des archaischen Untergrundes, zweitens der Richtung der Eis-
bewegung. Alles in allem entsteht dadurch eine Landschaft, welche wie
mit einer Riesenegge oder einem Ricsenpflug gepflügt zu sein scheint. Die
Revölkerung dieser Gegenden orientiert sich durch die Bodenverhältnisse.
Sie bezeichnet darum Nordwesten als Norden, Südosten als Süden oder sie
sagen auch entlang der Landschaft, wogegen Nordosten und Südwesten quer
über die Landschaft heifsen.
Endmoränen, Asar und Heideflache bestehen meist aus losem Geröll.
Die Eudmoränen treten uns entgegen teils als ungestörte Ablagerungen aus
eckigem Material am Gletscherrand, teils ist dies aufgeprefst durch einen
Vorstofs des Eisrandes, teils sind sie Deltaablagerungen, bestehend am? Geröll
und Sand („Randterrasse").
Es giebt im südlichen Einfand eine der längsten und schönsten End-
moränen dor Welt, den s. g. Salpausselkä. Sederholm nennt ihn eine
Randmoräne, wegen seines Charakters sowohl in geologischer als auch in
geographischer Beziehung. Eigentlich giebt es zwei in einer Entfernung von
20 bis 30 km parallel neben einander laufende Endmoränen. Sie erstrecken
sich ohne Unterbrechung in zwei grofsen Bogen von Hangö bis Lahtis und
von Lahtis bis Joensuu. Hier lösen sie sich auf und entfernen sich von
einander. Die mutmaßliche äufsere Moräne geht durch das Weifse Meer
hindurch bis zur Kolahalbinsel. De Geer hat den Salpausselkä für eine
Grenze der letzten Vergletscherung oder der baltischen Eiszeit gohalten.
Auf seiner Karte sieht man übrigens, wie De Geer die Grenzen sich dachte.
Sederholm ist der Ansicht, dafs der Salpausselkä nur einen Ruhepunkt des
Absehmelzens bezeichnet. Salpausselkä bedeutet den Rücken der Umsäumung.
Er umsäumt gewissennafsen die südlichen Seen des grofsen Seenplateaus und
wirkt landschaftlich als Scheidewand zwischen dem seenreichen Moränengrus-
plateau, das ausgebildeter Flüsse entbehrt, und der thonbedeckteu Küstenebene,
welche eine Fülle von kurzen, aber ausgeprägten Flüssen hat. Übrigens
wird er viel als Verkehrsstrafse benutzt. Das Meer hat frei gegen den Eis-
rand bei Salpausselkä gewogt. W. Ramsay hat später gezeigt, dafs die
Grenze der zweiten Vergletscherung viel weiter südöstlich als eine Fortsetzung
der norddeutschen Endmoräne verläuft.
An den Stellen, wo ein As den Salpausselkä kreuzt, ist die Endmoräne
gewöhnlieh verbreitert worden. Beide bestehen dort aus demselben Material,
und es geht daraus hervor, dafs die Endmoräne an solchen Orten nur eine
Deltabildung des Asfiusses ist. Während auf dem Seenplateau Drumlins
vorherrschen, finden wir Aslandschaften häufiger an seinem Rand. Oft findet
man, dafs die Asar knieförraig umbiegen, um in eine Endmoräne überzugehen.
Die Äsar sind stellenweise hoch aufgeschüttet, stellenweise wieder fast unter-
brochen. Zuweilen sind sie so schmal, dafs nur ein Pfad auf ihnen Raun»
Geographische Charakterbilder aus Pinland.
48»
findet , ein ander Mal besitzen sie eine grofse Breit«. Manche haben Neben-
äsar, manche sind auch in eine „bucklige" oder eine Kames- Landschaft
umgestaltet worden. Unser höchster Äs ist der Kangasalas mit 80 m relativer
Höhe. Viele sind bis über hundert Kilometer lang. Der schönste Äs ist
Punkaharju, welcher in einer Länge von 7 km durch einen See läuft. Die
Äsar folgen meist den tiefsten Rinnen des betreffenden Terrains. Sie
sind oft von langen nnd schmalen Äs-Seeu begleitet. Dir Material ist der
Gröfse nach sehr verschieden. Man sieht stellenweise kolossale Anhäufungen von
mehr als kopfgrofsen vollkommen gerundeten Blöcken, stellenweise feinen Sand.
Zu oberst liegt meistens ein Mantel von ausgewaschenem Sand. Die Äsar
sind gewöhnlich von Heideflächen umgeben. Diese Heideflächen bestehen aus
einem herabgeschwemmten feinen Saud. Sie sind nicht zu verwechseln mit
den Moränengrusheiden, welche teils mit, teils ohne drumlinartige Erhebungen
grofse Areale Finlands einnehmen. Bei den Asar beobachtet man manchmal die
buckligen Landschaften, die aus Ässtummeln mit zwischenliegenden Äsgruben
bestehen. Unsere finnischen Äsar geben überhaupt der De Geer'seheu Ent-
stehungstheorie gute Stütze. Dieser Forscher hat auch, bevor er seine
Theorie aufstellte, gründliche Studien über mehrere finische Asar gemacht.
Die De Geer'sche Theorie, oder man möchte auch sagen, die Holst-Strand-
mark-De Geer'sche Theorie lehrt, dafs die Äsar als Sedimentbildungen
vor oder in Tunneln des Inlandeises unter hydrostatischem Druck entstanden
sind. Während Holst und Strandmark eine gleichzeitige Sedimentbildung in dein
ganzen Bett sich denken, stellt sie sich De Geer als eine rückwärts schreitende
Deltabildung vor. Die Äsar besitzen im grofsen und ganzen ziemlich genau
die Richtung der Schrammen. Unter den erratischen Blöcken unterscheiden
wir solche, die von dem Inlandeise transportiert worden sind, und solche, die
von Treibeis in späteren Zeiten abgeladen wurden. Die Riesen topfe sind
auch von zweierlei Entstehung: a) glaciale Töpfe, die oft auch an Berggipfeln
sich befinden, wo das Eis natürlich leichter gebrochen wurde; b) postglaciale,
oft ganz moderne Stromschnellentöpfe, die man z. B. in dem alten Bette des
Imatras findet. Zu ihnen kann man auch die Brandungsgruben rechnen.
Eine Übersicht unserer quartären Bildungen hat W. Ramsay gegeben
(s. die Tabelle auf S. 486).
In Finlaud haben wir vorwiegend folgende Reihe:
1. Torf, Schlamm, Schwemmsand.
2. Litorina- und Ancylusthon, stellenweise mit Saud wechscllagernd.
3. Bäuderthon.
4. Moräne (obere lockere, vielleicht interglaciale Thon- und Sandlager,
Bodenmorftne).
" 5. Grundgebirge.
Während der Meeresspiegel nur in der Mitte der letzten Verglet$ch<irung
nach der Ansicht einiger Forscher tiefer als jetzt lag — wir habeu nämlich
Riesentöpfe fast im jetzigen Meeresniveau — , stieg er später bedeutend.
In der spätglaeialen Zeit überflutete das kalte Meer beinahe ganz Finland.
In diesem Meer lagerte sich der Bändel t hon ab. Er zeigt Jahresschicht en,
welche natürlich daehziegelförmig über einander liegen. Danach kann mau
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48«
J. E. Rösberg:
Die Quartär«) «U*mo
phitche Zuitand
, dt>* Land««
Dir QuartariM'riodn
Recente Alluvial- und
Deltabildungen
Landerhebung
Historische
Zeit
Oberer Heideland
Mittel-
warmes
Meer
Oberer grauer Thon
Min. 2.
Litorina
meinzeu
Post-
glaciale
Epoche
Muli, tieiuesaiia
Landsenkung
Unterer grauer Thon
Süßwasser
Mai
Ancylus-
Zeit
Unterer Heidesand
Landerhebung
Oberer Eismeersand
Bänderthon
Eismeer
Min. 1.
Yoldia-Zeit
Spätglaciale
Epoche
Unterer Eismeersand
Laua^enKung
Moräne
Inlandeis
Letzte Ver-
Rletscherung
Glaciale
Thon und Sand
Eisfrei?
Interglacial-
Zeit
und inter-
glaciale
Epochen.
Bodenmoräne
Inlandeis
Grofse Ver-
glct scherung
die Dauer der Abschmelzungszeit nach Tausenden von Jahren berechnen. Eine
Meeresstrafse führte das kalte Eismeerwasser in den finnischen Busen
hinein. Dafs das Wasser von Osten nach Westen strömte, kann man aus
erratischen Blöcken im Bänderthon beurteilen. Das spätglaciale Eismeer
nennt man gewöhnlich das Yoldia-Meer nach einer Muschel, Yoldia arctica
einem Leitfossil. Die Ufer des Yoldia- Meeres sind in Terrassen, Ufer-
wüllen, Blockreihen oder Blockhaufen zu erkennen. Manchmal sieht man
mehrere Uferlinien über einander. Wo keine Uferlinien zu finden sind, kann
man aus dem ausgewaschenen oder unausgewaschenen Grus urteilen, wie
hoch die marine Grenze liegt. Die Grenze liegt ungleich hoch auf ver-
schiedenen Stellen. Beim karelischen Isthmus ist sie 60 — 80 m, im mitt-
leren Finland ca. 200 m über dem jetzigen Meeresniveau, d. h. das Land
ist ungleich aus den Wellen des Yoldia -Meeres emporgestiegen. De Geer
hat Isobasen konstruiert, welche ziemlich genau mit den von Siegor für
die säkulare Landeserhebung konstruierten übereinstimmen. Auf De Geer's
Karte sieht man deutlich, wie die Mitte der Fenno- Scandia, nach Rarasay's
Bezeichnung, am meisten niedergedrückt war.
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Geographische Charakterbilder aus Finland. 487
Von der spätglacialen Meeresfauna sind viele Arten bis jetzt zurück-
geblieben als Relicte. Unter solchen bemerken wir vor allen den Seehund, Phoca
foctida, den Kaulkopf, Cottus quadricomis, und eine Asselart, Idolen cntomon.
In unseren tiefsten Binnenseen lebt ausserdem eine ziemlich reiche Rclicten-
fauna von kleineren Crustaceen. Auf den Yoldia-Inseln hat man Salix
polaris und den T)ryas octopetala gefunden. — Der Bänderthon ist nur
auf den Aland-Inseln kalkig-mergelig. Im allgemeinen entbehrt er in Finland der
Fossilien. Stollenweise hat man doch Spuren von Mückenraupen gefunden;
aufserdcra trifft man in ihm Mergelkonkretionen, d. h. Imatrasteinc. Den
Thon, namentlich den Bänderthon macht man sich zu Nutze in zahlreichen
Ziegeleien und Töpfereien.
Am Endo der spätglacialen Zeit folgte nach der grofsen Landsenkung
eine allmähliche Erhehung, so dafs einzelne Gegenden der Fenno-Scandia
höher als jetzt lagen, und zwar waren die Ränder des früheren Senkungs-
gebietes höher als die Mitte, die fortwährend etwas gesunken war. Infolge
dessen wurden die Meeresstrafsen zum Weifsen Meere und zu der Nordsee
abgesperrt. So entstand der vielleicht gröfste Süfswassersoe der Welt.
Dieser See wurde durch Flüsse entleert. Es war der Ancylus-See, so genannt
nach der Süfswasserschneeke Anajlus flurialilis, einem Leitfossil. Die Küsten
Finlands waren meilenweit vom Ancylus-See überflutet. Später erhob sich
die südöstliche Küste höher als jetzt, so dafs man dort eine Torrasse untor
Wasser wahrnehmen kann. Im Ancylus-See lagorte sich der untere Hcidc-
sand und der untere graue Thon ab. In Finland bestimmt man den
Ancylusthon hauptsächlich nach Diatomeen und Pflanzenfossilien, weil er der
Mollusken entbehrt. Der Ancylusthon kommt niemals in so mächtigen Lagorn
vor, wie der Yoldiathon. Folglich war die Dauer der Ancylus-Zeit kürzer
und die Erosion schwächer. Er entbehrt auch der Bänderung und ist über-'
haupt sehr schwer zu bestimmen.
Wieder folgte eine Landsenkung, wodurch das salzige Wasser der Nord-
see durch den öresund und durch die Bälte in die Ostsee hineinkam. Es
folgte nach dem Ancylus-See das Litorina-Meer. Damals waren auch
die Ufer Finlands überflutet, und der Ladogasee war in offener Verbindung
mit dem finnischen Meerbusen. Während die Strandlinien dos Ancylus-Sees
wenig bekannt sind, sind die Isobasen des Litorina-Meores durch die Thätig-
keit Ramsay's, Hackman's, Berghell's u. a. ziemlich genau bestimmt. Von
Null Meter bei Petersburg steigen sio bis auf 90 Meter an der Bosnischen
Küste an. Das hauptsächlichste Ablagerungsprodukt des Litorina- Meeres ist '
der obere Grauthon (auch Ackerthon genannt). Er ist Finlands bester
Ackerboden und großenteils urbar gemacht. Natürlich bedeckt der Litorina-
thon grofse Flächen des Ancylus- und auch des Yoldiathones. Litorina
litorea und L. rudis sind Leitfossilicn. Das Litorinawasser war viel salziger
als das jetzige Ostsee wasser. Munt he schätzt den Salzgehalt des Litorina-
Meeres zum 0,8 °/0 in den innersten Teilen des Bottnischen- und Finnischen
Meerbusens, wo er jetzt 0,3% ist. — Es giebt, wie gesagt, aus allen
diesen Zeiten auch Sandablagerungen. Als fossilfrei sind sie jedoch schwer
chronologisch bestimmbar. Der Litorinasand oder mittlere und obere Heide-
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J. K. Rösberg:
sand bildete früher Dünen, die jetzt längst durch Vegetation befestigt
worden sind.
In der späteren Litorinazeit begann die Landeserhebung oder die negative
Strandverschiebung, die noch fortdauert. Die dänischen Sunde wurden seichter
und das Ostseewasser infolge dessen süfser. Naeh der Sandmuschel Mya
arenaria, die nicht in den Ablagerungen der Litorinazeit gefunden wird,
nennt man die Jetztzeit auch die Myazeit.
Unsere finnischen Flufsläufe sind, wie man sich leicht vorstellen
kann, überwiegend postglacialen Alters, obwohl ihre grofsen Züge durch die
* Unebenheiten in dem archaischen Untergrunde, durch präglaciale Flufsthäler
und besonders durch die glacialen Anhäufungen beziehungsweise Ausräumungen
vorgezeichnet sind. Ein Beispiel der Arbeit der Flüsse seit der Litorinazeit
liefert der Imatra, die bekannte Stromschnelle des Vuoxentiusses. Sederholm hat
gezeigt, dafs der Flufs früher ein viel weiteres Bett hatte. Jetzt ist die
Kinne ziemlich tief in den CJneifsgranit eingeschnitten, und in dem verlassenen
Bett sieht man Riesentöpfe. Ca. 200 000 cbm Gneifsgranit sind vom Imatra
wegerodiert worden. — De Geer hat auseinandergesetzt, welche Veränderungen
die ungleiche Erhebung in grüfseren Seebecken bewirkt haben mufs. In
dem Vanajavesisee z. B. habe ich folgendes bemerkt: Der See hat eine
Richtung von NW nach SO. Sein Abflufs ist im NW, wo die verhältnis-
mäfsig gröfste Erhebung stattgefunden hat. Infolge dessen wird die Mündung
immer seichter, wodurch das Wasser, trotz der Erosion, steigt, was man
an unterseeischen Torfmooren sehen kann. Der Saimasee hatte früher seinen
Abflufs gegen SW, jetzt gegen SO; der Ladoga hat sich auch einmal in den
Viburgschen Busen ausgeleert. Und schliefslich hat man einen trüheren Ab-
flufs des Päijännesees entdeckt. Die drei Seen Päijänne, Saima und Ladoga
«scheinen alle ihre Abflüsse gegen Osten verschoben zu haben.
Alle diese Verhältnisse sind aber nicht definitiv erforscht. Man hat darüber
nur vorläufige Mitteilungen. Mit der heutigen Strandverschiebung verhält
es sich nach Bonsdorff in der Weise, dafs das Land in den letzten hundert
Jahren bei Quarken sich um 1 m erhobeu hat, bei Uleaborg im nördlichen
Teile des Bottnischen Busens etwas weniger, bei Helsingfors ca. 50 m und
bei Petersburg 0 m. De Geer glaubt , dafs diese Hebixng nicht fortdauert,
sondern nur eine letzte Äufserung der grofsen prähistorischen Schwankungen ist.
Von recenten Bildungen springen am meisten in die Augen folgende:
Eisenerz, s. g. Seeerz, entstanden durch Oxydation des Eisenoxydulsalzes
des Quellenwassers zum Eisenoxydsalz; die Deltas, welche aus verschiedenen
morphologischen und genetischen Typen bestehen, was zu erörtern uns hier
zu weit führen würde; Dünen; Schneckenmergel (auch in der Litorinazeit);
Schwemmsand, Schwemmthon, Schlamm und Torf.
Unsere ganze Fauna und Flora ist selbstverständlich nachträglich ein-
gewandert. Die Yoldiazeit hatte eine rein arktische Flora, während der
Aneyluszeit wanderten die Espe und die Birke ein, später die Kiefer. In der
späteren Aneyluszeit und ersten Hälfte der Litorinazeit war das Klima wahr-
scheinlich etwas wärmer als jetzt. Damals reichte die Eiche viel nördlicher
als heute, der Ahorn, die Esche, die Linde, die Ulme, die Erle und der
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Geograpbinche Charakterbilder ans Finlaml.
489
Haselstrauch traten auf. Die mittel- und südeuropäische SeenuTs Trapa
naians wuchs im südlichen Finland. In der späteren Litorinazeit wurde das
Klima wieder etwas kälter, ungefähr wie heute. Nun kam, nach ü. Andersson,
die Fichte ins Land. Schon früher als die Fichte ist der neolithische Mensch
in unser Land eingedrungen.
Eine finnische Landschaft im Sommersehmuck mit den verschiedenen
Farbentönen in Grün und den vielen Seen, die überall emporglänzen und
das Blau des Himmels reflektieren, hat ihre grofsen Reize. Und doch wird
man beim längeren Aufenthalt im Lande Huden, dafs eine gewisse Eintönig-
keit in den Landschaftsbildern sich geltend macht. Die Seen können in
lausenden von Formen wechseln. Hier giebt es Seen grofB und klein, tief
und seicht, mit den mannigfaltigsten Umrandungen. Die Vegetation wech-
selt auch, aber doch bleibt das Bild im grofsen und ganzen auf hunderten
von Quadratkilometern dasselbe. Und noch eins. Wir finden ähnliche Land-
schaftsformen nicht nur in Finland, sondern auch in Russisch-Karelien bis
zum Weifsen Meere, ja auch in Nordschweden. Indefs mufs ich sofort
hervorheben, dafs die Einförmigkeit mehr dem Touristen und dem gewöhn-
lichen Reisenden auffällt, als dem Geographen. Der Geograph findet stets
neue Beweise für die grofsartigen Wirkungen der Naturkräfte , welche hier
freien Spielraum gehabt haben, deren Spuren der Mensch mit seinem Pfluge
nur auf wenigen Stellen auszulöschen vermocht hat.
Der Werkzeuge, mit welchen die Natur die finnische Landschaft heraus-
modelliert hat, sind freilich nicht viele, aber, wie schon erwähnt, um so
kräftigere.
Geographisch sind die landschaftlichen Verschiedenheiten grofs genug,
um einen nördlichen Teil von einem südlichen abzusondern. Den süd-
lichen Teil zerlegt man gewöhnlich in die Seenplatte und die Küsten-
landschaften.
Finland ist „das Land der tausend Seen". Der Ausdruck ist doch
nicht zutreffend. Schon auf einer Karte in ziemlich kleinem Mafsstabe
(etwa 1:1000 000) kann man leicht tausend Seen zählen, wenn man sich
die Mühe geben wollte. Kein Mensch hat es unternommen, die Seen Fin-
lands zu zählen. Roh geschätzt kann man sie bis zu \, , Million annehmen.
Aber in Finland ist es nicht so leicht, die Seen von einander zu trennen.
Und was ist überhaupt dort ein See? Soll man den stark lappigen grofsen
See im südöstlichen Finland mit dem Kollektivnamen Saima bezeichnen,
oder soll man die zahlreichen Lokalnamen der einzelnen Teile gebrauchen?
Die finnische Seenplatte umfafst den gröfsten Teil des südlichen
Rumpfes der finnischen Halbinsel. Sie berührt, den bottnischen Meerbusen
in einer kurzen Küstenstrecke und erweitert sich mehr und mehr gegen
Osten hin. An der russisch-finnischen Grenze gehen dieselben Landschafts-
typen unmerklich über in die russisch-karelische Seenlandschaft, welche bis
zum Gestade des Weifsen Meeres sich erstreckt. Die Seenplatte hat folgende
Grenzen: den bottnischen Meerbusen zwischen dem 61. und 62. Parallel im W,
den 61. Parallel bis zum Städtchen Lahtis und die gro&e Endmoräne
Salpausselkä im S, das Weifse Meer im O und die teilweise gut ausge-
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490
J. E. Rosberg:
prägt« Wasserscheide vom innersten Teil des Meerbusens Kantalahti gegen SW
zur Küste beim 62. Parallel im NW.
Diese ungefähr zweihunderttausend Quadratkilometer weite Fläehe ist
nun in der Vogelperspektive eine Platte. Auch wenn man ein Profil durch
das Land von SW gegen NO zeichnet, wobei man auch die höchsten Er-
hebungen überschreitet, findet man z. B. in einem Mafsstab von etwa
1:50 000 fast gar keine Krümmungen in der Profillinie. Im Detail
macht dagegen die ganze Seenplatte einen höchst hügeligen Eindruck und
die Landstrafsen stehen in schlechtem Rufe wegen der Steigungen. Fahrt
man dagen von NW nach SO, oder von N nach S in dem westlichen Teile
der Seenplatte, so hat man nichts von Steigungen zu fürchten, man fährt
nämlich der orographischen Streich - Richtung entlang.
Die Mittelhöhe der Platte ist 100 — 150 m. Nur im südlichsten Teile,
nördlich von Salpausselkä liegen die Seeufer nur 50—100 m über dem
Meere. Die Wasserscheide zwischen der Seenplatte und der ostbottnischen
Ebene ist im allgemeinen 150 — 200 m hoch. Nördlich vom Ladogasee
fängt eine andere Wasserscheide an, die gegen NW zum Polarkreise sich
erstreckt. Sie scheidet im grofsen und ganzen die Gewässer des Weifsen
Meeres von den der Ostsee tributären. Auf dieser Wasserscheide, welche
durch unwirtliches Land führt, das mit unberührten Urwäldern bedeckt ist,
bemerkt man die gröfsten Erhebungen. Die mittlere Höhe ist etwa 200 bis
300 m und nimmt allmählich gegen das Weifse Meer ab. Diese öde wasser-
scheidende Gegend ist zur politischen Grenze geeignet gewesen.
Eigentlicher Gipfel entbehrt die Seenplatte. Hier und da sieht man
isolierte domförmige Kuppen, welche nur wenig über die Umgebung empor-
ragen. Die höchste Erhebung, in der Nähe des Polarkreises, dürfte eine
Höhe von 550 m haben. Alle früheren Gebirgsketten sind, wie gesagt,
gänzlich zerstört worden, nur in den am höchsten liegenden Gegenden finden
wir einige widerstandsfähige Überreste der algonkischen Schieferketten,
namentlich aus Quarzit bestehend.
Kann man also sagen, dafs der Vulkanismus keine besondere Rolle in
der heutigen Gestaltung des Reliefs der Seenplatte gespielt hat, so mufs
man doch die Ursache vieler Terrainunebenheiten von tektonischen Be-
wegungen ableiten. Die ersten Kartographen zeichneten in Finland, wie
auch in Mitteleuropa, die Wasserscheiden als lange Kettengebirge. In Fin-
land giebt es aber eine Menge von Bifurkationen , und die Wasserscheiden
liegen oft in einem Sumpf oder einem Moor. Bei späteren Zimmerkarto-
graphen wuchsen die bescheidenen und niedrigen Wasserscheiden schliefslich
zu langen wurmförmigen, ununterbrochenen Höhenrücken mit steilen Bösch-
ungen. Hult und Scderholm haben diese kartographischen Mifsgeburten aus-
gerottet,
Die Verworfungen, die man an mehreren Orten auf der Seenplatte wahr-
nimmt und die den Seen- und Thalgehängen Charakter geben, können kaum 9
so alt sein, dafs sie von der letzten Faltungsepoche in Finland, d. h. von
der vorjatulischen Zeit (nach Sederholm's Bezeichnung) stammen. Man mufs
mit der Möglichkeit rechnen, dafs auch unter dem hohen Drucke des In-
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Geographische Charakterbilder aus Finland.
491
landeises vertikale Krustrtlbewegungen vor sich gehen konnten. Die meisten
Thaler scheinen indessen erosiven Ursprunges zu sein. Bei der Anlage der
Erosionsthäler waren natürlich die tektonischen Richtungslinien mafsgebend.
Infolgedessen finden wir, dafs die Thäler in grofsem Mafsstabe den Schicht-
strichen folgen.
Die Seenmulden scheinen weiter hauptsächlich praglacialen Alters zu
sein. Denkt man sich alles glaciale und postglacialc Ablagerungsmaterial
fortgeführt, so würden viele Se^n entleert werden. Sie bieten regelinilfsige
Flufsthäler dar. Aber nicht alle Seenbecken sind gänzlich durch diluviale
Ablagerungen abgedämmt worden. Viele haben auch einen sperrenden Fels-
riegel und setzen dieselbe Genesis wie die Fjordthäler voraus. Die ge-
ringeren Höhenunterschiede erklären die gröfsere Breite und die geringere
Tiefe der Thäler.
Während der Eiszeit hat gewifs eine nicht unbedeutende Erosion und
eine grofsartige Ausräumung stattgefunden. Diese Ausräumung ist um so
leichter vor sich gegangen, als die Thäler zufälligerweise oder durch die
frühere erdgeschichtlichc Entwickelung dieselben Längsrichtungen hatten,
die das Landeis später einschlug. In den Abschmelzungsperioden des
Eises haben so die gewaltigen Ablagerungen stattgefunden, so dafs das
Tagwasser überall stagnierte. Die ganze Seenplatte war ein ungeheurer
Sumpf, aus dem die Gebirgshügel oder die diluvialen Anhöhen emporragten.
Während der Yoldiazeit wurden die Seenbecken zum Teil durch Bänderthon
gefüllt; während der Ancyluszeit waren sie wieder Buchten oder Fjorde, in
welchen sieb der Ancylusthon ablagerte. Dadurch wurden sie viel seichter.
Hand in Hand mit dem Seichterwerden sanken die Niveaus der Seen
beträchtlich durch die Erosionsarbeit in den Riegeln, besonders wo diese aus
lockerem Material bestanden. Dabei arbeitet die Sedimentierung und noch
mehr die Vermoorung an der Vernichtung der Seen. Jetzt ist schätzungs-
weise die Hälfte des früheren Binnengewässerareals vermoort,. Die Moore,
Sümpfe und Moräste sind für die Seenplatte durchaus charakteristisch. Sie
sind gefürchtet als die Heimat der Nachtfröste, bergen aber andererseits in
ihrem Schofse grofse Reichtümer für das Land. Neulich hat man begonnen,
den Torf im grofsen Mafsstabe technisch auszubeuten und die reichen Humus-
lager der Moore urbar zu raachen.
Die Seen der Seenplatte bieten jetzt in Entwickelung begriffene Flufs-
thäler dar. Die Seebecken sind mächtig zerlappt, und die einzelnen Seen
stehen in Reihen hinter einander in den Thälern. Manchmal sieht man sie
von einer Höhe wie glänzende Perlen an einer Schnur. Eine solche Seen-
reihe benennt man eine „Seenstrafse". Mehrere Strafsen vereinigen sich in
einem „Zentralsee", aus welchem ein Flufs („Elf") ins Meer strömt. Die
Seenstral'sen mit ihrem Zentralsee bilden ein sogenanntes Secnsystem. Die
gröfsten Seensysteme der Seenplatte sind folgende, von W. nach 0.: das
Pyhäjärvisystem, entwässert durch den Kumoflufs, welcher 105 m3 in der
Sekunde bei Niedrigwasser, 420 ms bei Hochwasser führt; das Päijänne-
system, entwässert durch den Kvmmenerlui's, welcher 300 m3 bei Niodrig-
wasser führt; das Saimasystem, entwässert durch den Vuoksen, der bei
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J. E. Rösberg:
Niedrigwasser 475 m3 und bei Hochwasser 790 ms in der Sekunde führt; das
Vygjärvisystem, entwässert durch den Vygflufs, der ungefähr dieselbe Wasser-
inenge wie der Kumoflufs zu haben scheint; und nördlicher das Ulesystem, durch
den Uleflufs entwässert, mit 180 m8 beziehungsweise 920 m 3 in der Sekunde;
das Kuittijärvisystem, welches sich durch den Kemiflufs, etwa vom Wasser-
reichtum des Kymmenes, in das Weifse Meer ergiel'st, und schliefslich das
ebenso wasserreiche Koutajärvisytem, das durch den Koutaflufs entwässert wird.
Unter den die Seenstrafsen in Flüsse umgestaltenden Faktoren spielt
der Mensch keine geringe Rolle. Überall streben die Grundbesitzer ihre
Wiesen durch Entwässerung der Seen zu erweitern. Der Staat tritt teils
unterstützend, teils hindernd dazwischen. Manchmal haben die Bauern durch
ungeschicktes Durchstofsen der aus lockerem Material bestehenden Schwellen
plötzliche Überschwemmungen verursacht
Es ist selbstverständlich, dafs das Klima durch diesen grofsen Reichtum
an Seen wie an Sümpfen becinflufst werden mufs. Überhaupt zeigt auch das
Klima auf der finnischen Seite der Seenplatte und an den Küsten des finnischen
und bottnischen Busens keine gröfsere Verschiedenheit. Dagegen wird das
Klima jenseits der Wasserscheide gegen das Weifse Meer hin ziemlich rasch
kontinental. Wenn man die Karten des „Atlas de Finlande" studiert, sieht
man die Saimagewässer und ihre Umgebung eine Insel ozeanischen Klimas
bilden, freilich nicht so deutlich wie die klimatische Insel über dem Ladoga,
aber doch erkennbar genug.
Wir wollen in Gedanken irgend eine Höhe besteigen, um einige Bilder
der schönen, aber melancholischen Landschaften der Seenplatte zu sehen.
Lassen Sie uns zuerst den Kangasalaäs im westlichen Teile dieses Gebietes be-
steigen. Man erreicht freilich nur 80 m relative Höhe, sieht aber doch
ein gut Stück Land. Der As schlängelt sich wie ein Riesenwurm durch
die Landschaft hindurch. Stellenweise ist er unterbrochen, stellenweise erhebt
er sich rasch mit steilen Böschungen (etwa bis 35 Grad). Überall ist er
mit Kiefernwald bedeckt. Auf den Seiten des Äses erstrecken sich breite
Sandflächen, die aus dem Äs herausgewaschen sind. Äcker nehmen die
Ebene weit und breit ein. An den Seeufern sieht man Wiesen, und der
Horizont ist ringsum durch waldige Hügel weithin begrenzt. Die gröfste Schön-
heit der Landschaft bieten doch die Seen. Man sieht den grofsen, tiefen
Längelmevesi, den mit hundert Liseln überstreuten Vesijärvi, den seichten
Roine und in der Ferne noch andere.
Diese Gegend ist die Urheimat der Tavasten, eines finnischen Stamms, der
ca. 700 Jahre nach Chr. ins Land einwanderte. Die Tavasten sind viel mit
Germanen gemischt, ihr Haar ist aschblond, ihre Augen blaugrau. Sie sind
tr&g und rauh, aber zäh und fleifsig. Von ihnen sagt das Sprichwort:
„Ehrlich wie ein Finne", aber auch „Halsstarrig wie ein Finne". Die
Tavasten sind ein Kernvolk und die materielle Stärke des finnischen Volkes.
Ihr Dialekt ist jetzt als hochfiuniseh ausgebildet, Sie haben von iher Heimat
aus das Land bis zum 64. Parallelkreise kolonisiert. Mit ihren leichten
Booten, welche Erbsenschalen gleichen, gehen sie von See zu See, zuerst als
Fischer und Jäger, später als Ansiedler.
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Geographische Charakterbilder au« Fiuland.
493
Jetzt mengen sich Dampfboote unter die Ruderkähne, und an den
Stromschwollcu sind Finlands gröfste Fabrikbezirke entstanden.
Der vielbesuchte Hügel Puijo liegt mitten in dem Kallavesisee auf einem
Vorgebirge und /.war 151 m über dem Seespiegel.
Der geringen Höhe ungeachtet hat man von dort eine herrliche Aus-
sicht Man sieht zu seinen Füfsen ein ganzes Labyrinth von grofsen Inseln.
Man nimmt auch die ausgeprägte orographische Streichrichtung von NW
nach SO wahr. Das Ganze bietet ein Bild, das man sonst nirgends in der
Welt, möglicherweise in Canada, findet Auf einer Alluvialebene am See-
ufer liegt die anmutige Stadt Kuopio; am Horizonte ragen Anhöhen empor,
auf deren Gipfeln man Bauernhöfe sieht Zwischen den Hügeln sieht man
finstere Nadelwälder, in ihnen ausgerodete Lichtungen. Die kleinen Äste
werden verbrannt, um Asche zu bekommen. Es sind die Spuren ehemaligen
Schwendens, welches die Natur mit lichtgrünen Laubgebüschen beforstet hat.
Hier und da steigt Rauch empor aus dem Walde, ein Zeichen, dafs man
das verderbliche Schwenden noch nicht aufgegeben hat.
Die Bewohner sind Savolaksen. Im späteren Mittelalter drangen Ta-
vasten aus SW und Karelier aus SO in diese damals menschenleeren
Einöden. Es entstand ein Mischvolk, die Savolaksen. Sie sind als schlaue
und intelligente, aber faule Arbeiter bekannt. Sie haben eine Menge schöner
Volkslieder, die uns von Wald und See entgegenklingen. Sic sind vorzüg-
liche Redner, und aus ihrer Mitte sind viele Novellisten hervorgegangen.
Wir gehen noch weiter nach 0, bis nach der Grenze gegen Rufsland.
Die domfönnigen oder in NW-SÖ lieber Richtung streichenden Hügel-
reihen erheben sich meistens 50 — 150 m über die Thäler. Das ist nach
finnischer Terminologie eine „Waaralandschaft" (Waara bedeutet eine wald-
bedeckte Felsenkuppo). Die Thalsohlen bedecken ausgedehnte Sümpfe oder
Wiesen. Durch die schlechte Drainierung sind sie eine wahre Heimat des
Nachtfrostes. Auf den dem Froste nicht so sehr ausgesetzten Höhen liegen
die Bauernhöfe und die kümmerlichen Äcker. Alle Böschungen sind mit
Nadelholz bewachsen. In den Thälern kommt auch Nadelholz vor auf den
glacialen Ablagerungen und zwar auf den zahlreichen Heideflächen, End-
moränen, Drumlins und Äsar. Hier sieht man auch mehrere Seeerz
führende Seen.
Die spärliche karelische Bevölkerung (3 — 4 auf den km2) hat das Land
mit Einzelhöfen besiedelt; nur an gröfseren Seen nimmt man gröfsere Dörfer
wahr, teilweise nach rassischer Art geplant und gebaut. Besonders auf der
russischen Seite der politischen Grenze giebtes noch heute vollkommen unberührte
Urwälder mit Bären, Elentieren, wilden Renntieren, Auerhähnen u. dergl.-
Diese Gegend war die letzte Zufluchtsstätte der Lappen und wird noch heute
von einzelnen nomadisierenden Lappenfnmilicn besucht.
Hat man die Wasserscheide überschritten und ist durch die Urwälder,
deren Boden mit vermoderten Baumstämmen bedeckt ist, glücklich vor-
gedrungen, so findet man eine ganz russische Siedelungsart. Die Dörfer
liegen am Seeufer. Manchmal bestehen sie aus hundert Höfen, aber zwischen
den Dörfern ist eine 50 bis 100 km breite Wildnis. Je mehr wir uns dem
494
J E. Ro«herg:
Gestade des Weifsen Meeres nähern, um so gröfser werden mit zunehmender
Ebenheit des Terrains die Moräste. Schließlich findet man Sümpfe, welche
man nicht in einem Tagemarsch durchwandern kann. Sie sind dahei eine
Heimat für unzählige Massen von Bremsen und Moskitos.
Dieses ganze Gebiet ist von den Kareliern bewohnt. Ihre Sprache ist
weicher als hochfinnisch. Sie sind auch dunkler als die Tavasteu. Ihr Haar
ist hraun, ihre Augen bräunlich; sie sind fröhlichen Gemüts. Sie haben
wenig Lust zum Ackerbau, sind dagegen begeisterte Hausierer und Fuhrleute.
Ihre Volksbildung ist gering, sie sind abergläubisch und konservativ und
haben unter sich die heidnischen mythologischen Kalevalalieder am längsten
bewahrt. Am Küstensaume des Weifsen Meeres sind sie schon gänzlich
russinziert worden.
Die Küstenlandschaften haben fast in ganz Finland denselben Cha-
rakter. Sie bestehen aus einem 50 — 100 km breiten Saume, der sich nur
an einzelnen Stellen mehr als 100 m über das Meer erhebt. Der Boden
dieses Saumes besteht überwiegend aus Thon, zu unterst Bänderthon, darauf
Ancylus und zu oberst Litorinathon. Stellenweise, namentlich am bott-
nischen Gestade sehen wir weite Ebenen, die überall in Wiesen und Äcker
verwandelt sind. Das Küstenland ist der beste Ackerboden Finlands, uud
die Bevölkerungsdichte ist im allgemeinen über 20 auf den km*. Auf einer
Karte von Neovius über die Verteilung der Bevölkerung kann man deutlich
sehen, wie die Grenzen der dichtesten Bevölkerung und die der Thone bei-
nahe vollständig zusammenfallen.
Das Küstenland zerfällt in mehrere Abschnitte. Am bottnischen Meer-
husen haben wir Ostbottnien, ein vollständiges Flachland. Südlich davon
ragt die Seenplatt«, wie gesagt., bis ans Meer hinaus. Dann folgt das
südfinnische Küstenland, welches sich über den Viburgschen Busen bis zum
Ladoga erstreckt und den nördlichen Teil dieses Sees umfafst. Während
der Litorinazeit, war hier eine offene Verbindung, und die Ladogische Küste
hat durchaus den Schärentypus, wobei die am Isthmus liegenden Seen als
abgedämmte Schärenbusen anzusehen sind. Ja, man könnt« dieses geo-
graphische Gebiet noch länger gegen NO ausdehnen, weil sich hier in der
Yoldiazeit eine Meeresstrafse nach dem Weifsen Meer erstreckte und das Nord-
ufer des Onegasees noch stärker als das des Ladogas zersplittert ist
Wir wollen zuerst unsern Blick auf die Schären oder den Schärenhof
lenken, jene eigentümliche Bildung, die die Küste auf so weite Strecken
begleitet
Die finnischen Schären waren während der grofsen Eiszeit etwas über
das jetzige Meeresniveau erhoben. Während der letzten Eiszeit waren sie
dagegen unter die Meeresfläche gesunken. Jetzt steigen die Inseln und
Klippen der Schären aus den Fluten empor und haben treu unter dem
Meeresschutz ihre Kundhöckerformen und ihre frischen Schrammen bewahrt.
Die Tiefen zwischen den Schäreninseln sind immer gering. Sie wechseln von
ein paar bis zu 10 m und übersteigen nur ausnahmsweise 20 m. Die Schären
sind also als einmal untergetauchter, aber langsam emporsteigender Teil des
finnischen Rumpfes zu betrachten. Hier und da ordnen sich die Inseln in
Geographische Charakterbilder aus Finland. 495
Reihen, und dazwischen sind lange und etwas tiefere Rinnen zu sehen, die
gewöhnlich als Fahrwasser benutzt werden und durch die Lotsen sorgfältig
markiert worden sind. Sie sind niutmafsliche präglaciale Längsthäler. Man
trifft sie von 26° 0 von Greenwich bis Aland. Sie erstrecken sich in NO-
SVVlicher Richtung. Dadurch und durch die Richtung des Salpausselkä
bei Hangö wird die orographische Streichungsrichtung in den Schären vertikal
gegen die Richtung des Binnenlandes, überall sieht man auch sogenannte
„Fjärdaru. Diese entsprechen den Ebenen in einer Kuppenlandschaft. Die
„Fjärdar" sind von einem mehr oder weniger geschlossenen Kreise von
Inseln umgeben. Der Durchmesser eines Fjärdas wechselt beträchtlich, meist
von wenigen km bis zu 50.
Die Schären sind wenig von der petrogruphischen Zusammensetzung der
Felsen abhängig. Im grofsen und ganzen kann man doch eine Verschieden-
heit zwischen den schön gerundeten „Rapakivi"- und Granitklippen und den
mehr in scharfen, bizarren Formen zerklüfteten Gneifsfelsen erkennen.
Pflanzengeographisch kann man zwischen Helsingfors und Äbo mindestens
drei verschiedene Zonen unterscheiden. Die äufsersten Klippen sind nicht
oder nur mit spärlichen Strandpflanzen bedeckt; die in der Mitte liegenden
Schäreninseln sind mit Nadelholz bewachsen, das vielfach von den Winden
niedergebogen ist; die gröfseren inneren Inseln dagegen, die durch die
Landeserhebung landfest zu werden beginnen, wie auch die Vorgebirge des
Festlandes haben eine im übrigen Finland unbekannte Fülle der Vegetation.
Wir zählen an Gefäfspflanzen in den südwestlichen Schären ungefähr 750 Arten
gegen ca. 420 im Innern des Landes. Die langen seichten Meerbusen sind
natürlich sehr empfindlich gegen die Strandverschiebung. Sie gehen gewöhn-
lich durch ein sumpfiges Gebiet, das infoge der wechselnden Winde sehr be-
trächtlichen Schwankungen des Meeresniveaus ausgesetzt ist, in lange Thäler
über, welche genetisch identisch zu sein scheinen mit den obenerwähnten
Schärenrinnen.
Der Schärenhof fängt von dem Wiborgschen Busen an mit einer anfangs
ganz dünnen Inselschar, so dafs die Wellen des finnischen Busens stellenweise
ungebrochen die Küste erreichen. Nördlich vom Hochland (Hogland) nimmt die
Anzahl der Schären beträchtlich zu. Am reichsten sind jedoch die Schären
■
zwischen den Alandinseln und der gegenüberliegenden Festlandsküste aus-
gebildet. Der bottnische Busen hat überhaupt nur spärliche Schären, und
man kann eigentlich von einem Schärenhof nur in dem Quarken sprechen.
Die Bewohner der Schären sind fast ausschliefslich Schweden. Sie sind
größtenteils Fischer und Seeleute. Sie sind eine brave, geschickte und be-
gabte Bevölkerung, welche sich durch grofse Beweglichkeit auszeichnet.
Man trifft sie überall in der Welt, nicht nur auf finnischen Schiffen, sondern
auch auf amerikanischen und englischen, ebenso als Kolonisten in Amerika.
Die Schärenbewohner am bottnischen Meerbusen sind verhältnismäfsig spät
ins Land hereingekommen, die der südfinnischen Küste dagegen schon in vor-
geschichtlicher Zeit.
Die Ladogaschären sind beträchtlich höher als die des finnischen Busens.
Die Tiefen zwischen den Schären sind auch gröfser. Man kann hier viel-
490
J. K. Ronberg:
leicht eher von einer Riasküste als von einer Schärenküste sprechen. Die
Busen haben ziemlich hohe Felswände und sind stellenweise von fjordähn-
lichem Aussehen. Noch länger und schmäler sind die Busen des nördlichen
Ufers des Onegasees. Dies hängt allerdings mit dem tektonLschen Bau
zusammen, da hier ausgesprochene Längsthäler auftreten. Die Südufer der
beiden Seen sind flach und sumpfig; die des Ladogasee sind seit der neo-
lithischen Zeit vom Wasser überflutet.
Die karelische Bevölkerung des Nordufers der Seen und die russische
der Südufer sind nicht im Stande gewesen, eine bedeutendere Seefahrt auf
den leicht bewegten Seen zu entwickeln. Die Schifte sind von primitiven
Typen, und das Fischen steht auf einer niedrigen Stufe. Erzvorkoramnisse
haben an beiden Seen kleine industrielle Bezirke hervorgerufen.
Die Flachküste umsäumt den Kronstadtschen Meerbusen und umfafst
den nördlichen Teil des bottnischen Busens (a. g. der bottnische Wiek) von
der Stadt Alt Karleby bis nach Torneä. Das erstere Gestade befindet sich
in Ruhe, das letztere in ziemlich rascher Erhebung. Beido zeigen sich als
typische Dünenküste. Die Dünen sind freilich nicht hoch (höchstens 20 m),
wandern aber ziemlich schnell. Etliche hundert Kilometer vom Strande siud
sie durch Vegetation befestigt. Die Flachküste mit negativer Uferbewegung
hat rasch wachsende Deltas von verschiedenen Typen. Die Deltas bestehen
teils aus zerschnittenen Küstenpartien, teils aus über dem Wasserspiegel
emporgehobenen Schären, teils aus Alluvionen. Die Tome- und Ijo-Flüsse
haben an ihren Mündungen ein Wirrwarr von Deltainseln, die Kyrö- und
Kuraoflüsse verzweigen sich in ihren Alluvionen, die Siikajuki und Kalajoki
haben submarine Deltas und der Ulefluss bildet ein Haff mit Nehrungen.
Die Flachküste des Kronstadtschen Busens und die des Ladogas entbehren
Deltas. Ihr Hinterland besteht aus quartärem Sande, der überhaupt nicht
den postglacialen Überflutungen unterworfen war.
Das festländische Küstenland im Süden ist von fleifsigen Ackerbauern
bewohnt. Sie sind Karelier vom Ladoga bis etwa zum 27° ö. v. Gr. Im
Westen wohnen Tavasten in dem nördlichen, Schweden in dem südlichen
Teile des Landes.
Das flache Küstenland am bottnischen Busen, nämlich die alte Graf-
schaft Ostbottnien eignet sich nur im südlichen Teile für Ackerbau. Von
da exportiert man Getreide, während das übrige Finland Getreide importiert.
Nördlicher wird Getreidebau unsicher wegen des Nachtfrostes. Statt dessen
beschäftigt man sich mit Viehzucht und versendet grosse Quantitäten Butter
nach England.
Die Bevölkerung ist gröfsteuteils finnisch, nur an der Küste im Süden
schwedisch. Sie ist eine Mischbevölkerung von Kolonisten. Sie sind als
die intelligentesten und tüchtigsten Bewohner Finlands bekannt. Sie sind
äufserst freiheitsliebend und selbsthewufst. Leider wandern sie jetzt, einen
Militärdienst in Rufsland scheuend, scharenweise aus, und die Lücken werden
mit trägen Savolaksen gefüllt.
Nordfinland wird am besten durch eine Linie von dem innersten Teile
des bottnischen Busens zu dem des Kantalahti- Busens begrenzt. Man kann
Geographische Charakterbilder aus Finland.
497
auch den Polarkreis als Grenze annehmen. Gewöhnlich geht dieser Teil des
Landes unter dem Namen Lappland, und wir wollen auch diesen Namen
hier brauchen. Eine Landschaft von finnisch-lappländischem Charakter streckt
sich über die ganze Kolahalbinsel, die ja, wie bekannt, Rufsland gehört. Im
nordwestlichsten Teile Finlands hat die Landschaft dagegen einen norwegisch-
lappländischen Charakter.
Lappland, wie auch die Kolahalbinsel bestehen aus wellenförmigen Rücken
oder domförmigen Kuppen. Die Anhöhen sind grofsenteils Denudationsreste.
Man sieht auch archaische Schiefer, und durch ganz Lappland streckt sich
ein 60 km breites Band aus Granulit. Mitten in der Kolahalbinsel liegt ein
grofses Massiv aus Nephelinsyenit.
Die mittlere Höhe liegt zwischen 200 und 300 m. Die Gebirge ragen
an mehreren Stellen über 500 m hinaus.
Lappland hat eine Fülle grofser, wasserreicher Flüsse. Sie haben ihre
Quellen etwas nördlich von dem 68ten Parallel, wo die grofse Wasser-
scheide, Maanselkä genannt, liegt. Die wichtigsten sind: Muoniojoki, der
mit dem Torneflufs sich beim 67ten Parallel vereinigt und die politische
Grenze gegen Schweden bildet, Kemijoki, der durch ausgedehnte Moraste und
Wälder fliefst, der Tanaflufs, der an einer Strecke die Grenze gegen Norwegen
bildet, der Pasvigflufs, der unter dem Namen Ivalojoki in den grofsen Enare-
see hineinströmt, und Tulomjoki, der gröfstenteils auf der Kolahalbinsel fliefst.
Die zwei ersten fliefsen in den bottnischen Meerbusen, die drei letztgenannten
ins Eismeer. Sie bilden Stromschnelle auf Stromschnelle, aber nur ausnahms-
weise eigentliche Wasserfälle. Trotz wiederholten Unglücksfällen benützen die
Bewohner fleifsig die Flüsse als Verkehrswege. Es giebt ja in diesen öden
Gebiete keine anderen. Bergab geht es mit riesiger Schnelligkeit. Aus der
Bewegung des Wassers kann man bei einiger Übung sehen, wo es tief ist
und wo gefährliche Steine liegen. Es giebt wohl kaum einen spannenderen
Sport als eine Fahrt durch die schäumenden Wogen. Die Flüsse Lapplands
sind noch sehr reich an Lachs und Forellen.
Lappland ist das Land der Tundren. Tundra bedeutet im allgemeinen
baumloses Lund. Der Boden der Tundren ist mit Flechten, namentlich Renn-
thierflechten bedeckt, wodurch die Landschaft einen weifsgrauen Farbenton
bekommt. Allerlei Alpenkrauter bilden grüne Flecke darin. Wo das Reisig
überwiegt, ist die Farbe olivenbraun. In Felsklüften, welche gegen Norden
gerichtet sind, liegt der Schnee den ganzen Sommer hindurch. An geschützten
Orten gegen Süden dagegen sieht man die kümmerlichsten Vorposten des
WTaldes als krummes zu Boden gedrücktes Gebüsch, ähnlich dem Krumm-
holz in den Alpen. Hier oben in den Tundren leben die Renntiere im
Sommer, wenn die Mücken allherrschend sind unten in den Sümpfen, und
dem Renntier folgen die Lappen.
In der Tundrenregion entspringen kleine Bäche mit moosigen Ufern. Die
Bäche werden gröfser und sind dann von Weidedickicht begleitet. Wo
der Boden eben ist, bilden sich weite Sümpfe, in welchen kümmerliche Bäume
hier und da stehen. Wird der Boden trockener, so wachsen hier niedrige
Birken und etwas südlicher Nadelholz. Wie die Flora ist auch die Fauna
Geographische ZeiUohrift. 7. Jahrgang 1001. 9. Heft 34
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Alfred Hettner:
ganz polar. Das Renntier kommt sowohl wild als auch zahm vor. Der
Landbär, der Vielfrafs und der Polarfuchs streichen herum. Der Polarhasc
und das graue Schneehuhn fressen die harten Pflanzen und die Beeren. Der
Lemming gräbt unter dem Boden seine Gänge. Die Plage Lapplands, Milli-
arden und wieder Milliarden von Mücken und Bremsen quälen sowohl Menschen
als Tiere.
Die Lappen sind noch gröfstenteils Nomaden. Eine Familie braucht
200 Renntiere um leben zu können. Reiche Lappen haben mehrere tausend
Renntiere. Die Periode, innerhalb welcher sich die Flechten wieder erholen,
nachdem sie von den Renntieren abgegrafst sind, dauert etwa zehn Jahre.
Daher kann man verstehen, welch ungeheure Areale Weidemark jede Familie
braucht. Die Wohnungen sind aufgeschlagene Zelte konischer Form. Die
Zeltwände sind aus Filz gearbeitet, in der Mitte des Zeltraumes steht der
offene Herd, die Leute schlafen auf Renntierfellen unter Moskitosnetzen.
Der Lappe verfertigt seine Kleider aus Renntierpelzon, seine Löffel und Werk-
zeuge aus Renntierhorn, seine Fäden aus Renntiersehnen. Seine Speise ist
fast ausschliefslich Renntier-Fleisch und -Milch nebst Kaffee. Er trinkt näm-
lich Kaffee so oft er nur kann.
Wird der Lappe durch Raubtiere oder Schnaps seiner Herde beraubt,
so läfst er sich nieder als Fischer. Die Fischerlappen mischen sich, weil sie
sefshaft sind, leichter mit den Nachbarvölkern als die Nomaden.
Alle Lappen sind gutherzig und meist auch ehrlich. Dire Heimat
lieben sie vor allem. Sie sind aber wehmütiger Natur, als wüfsten sie, dafs
sie ein sterbendes Volk sind.
Geographische Literatur über Finland
Atlas de Finlande. Helsingfors 1899.
Finland im 19. Jahrhundert. Helsingfors.
Notice sur la Finlande. Helsingfors 1900.
W. Karasay, Finland« geologiska utveckling, trän istiderna intill vara
dagar. Heliiingfora 1900.
Bulletin de la CoinmisHion Geologique de la Finlande. Helsingfors.
Fennia, Bulletin de la Socn-te" de Geographie de Finlande. Helsingfors.
Meddelanden af Oeografiska föreningen i Finland. Helsingfors.
Geografiska föreningen 8 tidskrift. Ked. Dr. J. K. Kosberg. Helsingfors.
Über die Uiitersnchnng nnd Darstellung der Beviilkernngsdiehte.
Von Alfred Hettner.
Dafs die Verteilung der Bevölkerung nach ihren Zahlenverhältnissen,
auch ganz abgesehen von ihrer Veränderung, von ihrer Gliederung nach
Alter und Geschlecht, nach Nationalität und Religion, nach sozialen Klassen,
Berufs- uud Erwerbsverhültnissen, einen der wichtigsten Gegenstände der
geographischen Betrachtung des Menschen bildet, ist allgemein anerkannt, und es
herrscht heute auch, wenigstens in geographischen Kreisen, allgemeine Überoin-
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Ober die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 499
Stimmung darüber, dafs eine entsprechende Darstellung der Bevölkerungsverteilung
weder durch statistische Tabellen noch durch die sogenannten Kartogramme,
welche einen Flächenton über ganze Provinzen und Staaten ausbreiten, sondern
nur durch wirkliche Karten gegeben werden kann, die sich von den politischen
Einteilungen freimachen und auch in die Einzelheiten eindringen. In allen
Atlanten, die sich nicht auf topographische Karten beschränken, finden wir
Karten der Bevölkerungsdichte, und für viele Länder und Landschaften sind
in den letzten Jahrzehnten Bevölkerungskarten gröfseren Mafsstabes gezeichnet
worden. Aber über die Methode dieser Bevölkerungskarten, besonders der
Bevölkerungskarten gröfseren Mafstabes, gehen die Meinungen noch vielfach
aus einander, und eine vergleichende Betrachtung läfst bald erkennen, dafs
die Methode fast jeder Karte eine andere ist. Eine kritische Prüfung der
bisher angewandten und der überhaupt möglichen Methoden ist mir daher
seit Jahren als eine lohnende Aufgabe erschienen, der ich mich immer von
neuem zugewandt habe; und gerade die seitdem erschienenen Karten haben
mich in diesem Gedanken noch bestärkt, da sie zwar die Methode in einer
bestimmten Richtung immer mehr vervollkommnet haben, da aber gerade
dadurch die Gefahr nahe gelegt ist, dafs der von ihnen begangene Weg nun
für den einzig gangbaren gehalten werde. Meine Absicht ist aber nicht,
eine Übersicht der vorhandenen Untersuchungen und Darstellungen zu geben,
wofür ich auf die wertvollen Zusammenstellungen und Besprechungen von
Küster und Neukirch1) verweisen kann, sondern vielmehr die Grundsätze
in allgemeiner Weise zu erörtern. Wenn ich mich dabei manchen Bestrebungen
gegenüber kritisch verhalte, so möchte ich die Kritik nicht als Tadel auf-
gefaßt wissen; jeder Nachfolger lernt nicht, nur von den positiven Leistungen,
sondern auch von den Fehlern seiner Vorgänger; diese haben vielleicht schon
während der Arbeit selbst erkannt, dafs ihr Verfahren in mancher Beziehung
unzweckmäfsig war, und waren nur in der Arbeit schon zu weit fortgeschritten,
als dafs sie es noch hätteu ändern können; sie wissen jetzt ebensogut wie
ein fremder Beurteiler, wie sie die Darstellung besser angelegt hätten. Es
kommt mir hier ganz und gar nicht auf eine Kritik der einzelnen Arbeiten,
sondern nur auf eine Beurteilung der verschiedenen möglichen Methoden an.
Mein Wunsch ist dabei, vor der Wiederholung gewisser Fehler zu warnen
und auf einzelne Gesichtspunkte hinzuweisen, die meines Wissens bisher noch
nicht berücksichtigt worden sind.
I. Die Begriffe.
Die Aufgabe besteht darin, die Verteilung der Menschen auf der Erd-
oberfläche oder vielmehr - — das scheint mir wenigstens die geographischere
Wendung der Aufgabe zu sein — die Ausstattung der verschiedenen Stücke
der Erdoberfläche mit Menschen kennen zu lernen, zu erklären und auf der
1) Küster, Zur Methodik der Volksdichtedarstellungen. Ausland Bd. 64 (1891)
Nr. 8 u. 9. — Neukirch, Studien über die Darstellbarkeit der Volksdichte. iFrei-
burger Difs.) Braunschweig 1897. Ich bin Herrn Dr. Neukirch auch für ver-
schiedene briefliche Hinweisungen zu grofsem Dank verpflichtet.
34*
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500
Alfred Hettner:
Kart« darzustellen. Der geschichtliche Gang der Forschung ist der gewesen,
dafs man zuerst gröfsere Landnachen fibersichtlich dargestellt hat und dann
allmählich zur genaueren Betrachtung kleinerer Gebiete fortgeschritten ist.
Dieser Gang ergab sich aus der Natur der Sache, da es am wichtigsten war,
zuerst die grolsen Unterschiede der Bevölkerungsverteilung aufzufassen, da man
hier auch bei der Darstellung auf keine Schwierigkeiten stiefs, und da man
dabei leicht zu greifbaren Ergebnissen gelangte. Aber wenn wir uns vor-
stellen, dafs wir heute die ganze Aufgabe in vollkommener Weise zu lösen
versuchten, so dürften wir doch nicht den Weg fortschreitender Zergliederung
betreten, der uns zum Schlufs zu den Einzelthatsachen führt, sondern müfsten
vielmehr, nach den Gesetzen der induktiven Methode, von den Einzelthat-
sachen, wie sie durch die unmittelbare Beobachtung festgestellt worden sind,
und möglichst getreuen, in grofsem Malsstabe gehaltenen Abbildungen der
Wirklichkeit ausgehen und von da erst in allmählicher Genoralisierung zur
übersichtlichen Auffassung und zu Abbildungen in kleinerem Mafsstabe fort-
Diesem Grundsatze gemäfs müssen wir mit Ratzel1) davon ausgehen, dafs
die Menschen nicht gleichmäfsig über die Fläche verteilt sind, wie es der Begriff
der Bevölkerungsdichte voraussetzt, sondern in einzelnen Anhäufungen leben.
Streng genommen müfsten wir für joden einzelnen Menschen die Stelle an der
Erdoberfläche feststellen, an der er sieb im Augenblicke der Zählung befindet.
Selbstverständliche praktische Rücksichten lassen uns vom einzelnen Menschen
sofort zum Wohnplatz übergehen; aber der Wohnplatz darf für uns dabei
nicht der Häuserkomplex, womit Ratzel und Buschik etwas Fremdes in
die Bevölkerung9karte hineingebracht haben, sondern, wie Gloy richtig er-
kannt hat, nur der Inbegriff einer bestimmten Zahl von Menschen sein und
ist als solcher auf der Karte einzutragen2). Die Karte der Bevölkerungs-
verteilung ist also, wie ich schon in einem früheren Aufsatz näher aus-
geführt habe3), zunächst eine Karte der einzelnen Menschenanhiiufungen
oder Wohnplätze. Nur sie entspricht allen Anforderungen der Wissenschaft
und auch der Praxis, denn nur sie ist im Stande, alle Beziehungen des
Menschen im Raum zu klarer Auffassung zu bringen; ich habe sie deshalb
als bevölkerungsstatistische Grundkarte bezeichnet. Im einzelnen
können allerdings über die Auffassung des Begriffes Menschenanhäufung oder
Wohnplatz Zweifel entstehen; als allgemeine Richtschnur gilt, dafs man lieber
in der Trennung als in der Zusammenfassung zu weit gehen soll, ja man
wird von vornherein eine Zerlegung gröfserer Städte in Stadtteile ins Auge
fassen dürfen; denn diese zeigen oft sehr verschiedene Wohnverhältnisse, die
für ihr ganzes Wesen bezeichnend sind, und es erscheint mir als unnütze
1) A. Ratzel, Anthropogeographie. II. Bd. Stuttgart 1891 S. 186 ff.
2) Wenn man auf die Darstellung der Einwohnerzahl der Wohnplätze verziehtet,
so wird aus der Bevölkerungskartc eine Siedelungakarte, der aber neben der
gewöhnlichen topographischen Karte kaum ein selbständiger Wert, zukommen durfte.
Au« dem VerhältniH der Anzahl der Siedelungen zur Grölse dei Fläche ergiebt »ich
der Begriff der Siedclungsdichte, vgl. Wagner, Lehrbuch I S. 774 f.
3) Uber bevölkerungsstatistische Grundkarten. G. Z. VI (1900) S. 185 ff.
Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 501
methodische Pedanterie, eine solche Spezialbetrachtung der Städte aus der
geographischen Betrachtung auszuschliefsen.
Bei dieser Darstellung der einzelnen Menschenanhäufungen oder Wohn-
plätze kann natürlich auch auf die Gliederung der Bevölkerung nach Nationalität,
Religion und namentlich auch, was für spatere Betrachtungen wichtig ist, nach
Berufs- und Erwerbsverhältnisson Rücksicht genommen werden. Es kann
durch die verschiedene Färbung oder Zeichnung der die Wohnplätze be-
zeichnenden Rechtecke oder Kreise, oder der Stücke, in welche man sie
zerlegen kann, zum Ausdrucke gebracht werden, welcher Nationalität oder
Religion oder Berufe- und Erwerbsklassen die Bevölkerung angehört, und
es können so, besonders durch die letzte Unterscheidung, die Beziehungen znm
Boden und anderen natürlichen Hilfsquellen oder zur Lage des Platze« oder
auch umgekehrt seine Bedeutung für Verkehrs- und andere gemeinnützige
Anlagen oder auch seine politische Bedeutung viel deutlicher erkannt werden1).
Ich bin überzeugt, dafe eine Durchführung dieser Darstellungsweise in den
verschiedensten Richtungen gute Ergebnisse zeitigen würde, und wenn man
dem gegenüber auf den grofsen Zeit- und Kostenaufwand solcher Arbeiten
hinweist, so brauchen wir uns doch blofs daran zu erinnern, dafs die Auf-
nahme genauer topographischer und geologischer Karten mit noch unendlich
viel gröfserem Arbeits- und Kostenaufwand verknüpft ist und trotzdem durch-
geführt wird. Ehe wir uns nicht daran gewöhnen, die Ergebnisse der
statistischen Aufnahmen statt in Tabellen mehr und mehr in der doch allein
der Wirklichkeit entsprechenden Form von Spezialkarten niederzulegen, werden
wir zu keiner klaren Einsicht in die Einzelheiten der Bevölkerungsverteilung
gelangen können.
Wenn verschiedene Kritiker den bevölkerungsstatistischen Grundkarten
Mangel an Übersichtlichkeit vorwerfen, so vergessen sie eben, dafs dieser
Mangel an Übersichtlichkeit in der Natur liegt, und dafs Übersichtlichkeit
überhaupt meist erst durch die wissenschaftliche Generalisation herbeigeführt
wird. Die genannten Karten sollen ein möglichst getreues Abbild der Natur
sein oder vielmehr eine Abstraktion von der Natur, insofern sie sich auf die
Zahlenverhältnisse der Bevölkerung beschränken und alles andere bei Seite
lassen. Aber sie bilden die beste, fast möchte ich sagen, die einzigo
sichere Grundlage aller möglichen Generalisationen, die bis zu einem gewissen
Grade schon der tiberschauende Blick vornimmt, deren strengere Durchführung
aber die Aufgabe besonderer Karten ist. Schon die Notwendigkeit, die
Bevölkerungsverb ältnisse gröfserer Erdräume in kleinerem Mafsstabe darzu-
stellen, macht eine Generalisation nötig, denn die Darstellung der einzelnen
Wohnplätze läfst sich natürlich nur in größerem Mafsstabe, in den Kultur-
ländern wohl selten in kleinerem Mafsstabe als etwa 1:300000, durchführen.
Die generalisierten Karten sind mit allen Vorteilen und Nachteilen der
Generalisation behaftet; sie lassen viele allgemeine Vorhältnisse viel rascher
und klarer erkennen, versagen aber, wenn es auf die Erkenntnis der Einzel-
1) Nilher werde ich dienen Oednnken demnlichst in einem Aufsätze Aber die
wirtschaftlichen Typen der Ansiedelungen ausführen.
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o02
Alfred Hettner:
heiten ankommt Es ist ein grofses Verdienst Ratzels, dafs er den
üblichen generalisierten Karten gegenüber energisch auf die Karten der Wohn-
plätze hingewiesen hat; jedoch ist er, in einer gewissen Verkennung des Wesens
der Generalisation und einer Unterschätzung ihrer Bedeutung, den generali-
sierten Karten nicht gerecht geworden, wenn er sie als statistische Karten
den eigentlich geographischen Karten der Wohnplätze gegenüberstellt.
Man kann bei der Generalisation verschiedene Wege einschlagen.
Mitunter hat man die Vereinfachung in der Weise zu erreichen gesucht,
dafs man die kleineren Wohnplätze einfach weggelassen und sich auf die
Darstellung der gröfseren beschränkt hat. Dies Verfahren ist auf den ge-
wöhnlichen topographischen Karten ganz am Platze, dagegen würde es für
Bevölkerungskarten nur dann berechtigt sein, wenn die Zahl der gröfseren
Ortschaften der Gesamtzahl der Bevölkerung proportional wäre, was bekannt-
lich nicht der Fall ist
Wohl aber kann man die Bevölkerungszahlen gröfserer Einheiten au-
geben. Solche Angaben sind besonders für gröfsere politische Einheiten
üblich, weil sich der Mechanismus der Zählung an die politischen Einheiten
anschliefst, und weil deren Bevölkerungszahlen für Verwaltungszwecke und
teilweise auch unter höheren politischen Gesichtspunkten wichtig sind. Einen
wissenschaftlichen Wert haben einerseits die Bevölkerungszahlen der kleinsten
Einheiten, der Gemeinden, weil sie meist geschichtlich gegebene Lebens-
einheiten sind und sich auch verhältnismäfsig wenig von den Wohnplätzen
unterscheiden, ja oft mit ihnen zasammenfallen , andererseits die Bevöl-
kerungszahlen der selbständigen Staatsgebilde, weil sie zur Beurteilung von
deren Machtverhältnissen wichtig sind; dagegen dürfte den Bevölkerungs-
zahlen der Provinzen, Regierungsbezirke, Kreise u. s. w. ein selbständiger
wissenschaftlicher Wert nur in geringem Mafse innewohnen. Die Bevöl-
kerungszahlen anderer als der staatlichen Gebictscinheiten werden seltener
ausgerechnet, dürften aber uuter Umständen auch Beachtung verdienen: so
die Bevölkerungszahlen zusammenhängender Nationalitäts- oder Religions-
gebiete, auch wenn sie staatlich aufgeteilt sind, oder die Bevölkerungszahlen
gewisser Industrie- oder anderer Wirtschaftsgebiete, deren Kenntnis z. B. zur
Beurteilung der Rentabilität von Kanal- oder Eisenbahnbauten wichtig ist,
oder auch die Bevölkerungszahlen orographischer, klimatischer und anderer
natürlicher und kultureller Gebiete, weil sie zeigen, wieviel Menschen unter
gewissen Lebensbedingungen leben und damit bestimmte wirtschaftliche und
kulturelle Interessen haben. Es versteht sich von selbst, dafs man diese
absoluten Bevölkerungszahlen nicht auf eigentlichen Karten, sondern nur in
Diagrammen darstellen kann, die man aber unter Umständen in eine Karte
hineinlegen und dadurch der geographischen Vergleichung zugänglicher machen
Ich glaube, dafs die absoluten Bevölkerungszahlen natürlicher und kultu-
reller Einheiten mitunter zu wenig gewürdigt worden sind und bei manchen
Untersuchungen, bei denen man von der Bevölkerungs dichte ausgegangen ist,
eine bequemere Grundlage als diese bieten. Aber meistens sind sie unge-
nügend, weil sie die Beziehungen des Menschen zur Gröfse des Raumes, der
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Über die Untersuchung und Darstellung der Bevöl kerungsdichte. 503
ihm zur Verfügung steht, auf dem er lebt, den er bearbeitet, von dem er
sich nährt, nicht erkennen lassen, und weil sie daher auch keine Vergleichung
der Bevölkerung verschiedener Gebiete nach ihren Raumverhältnissen erlauben.
Hierzu brauchen wir relative Bevölkerungszahlen, d. h. die Angabe
der Bevölkerung im Verhältnis zur Gröfse der Fläche; erst durch sie erhält
man bestimmte, auf die Flächeneinheit bezogene und dadurch vergleichbare
Zahlenwerte.
Man kann die relative Bevölkerung auf drei verschiedene Weisen
ausdrücken1): man berechnet entweder die Zahl der Flächeneinheiten, z. B.
der Hektare, welche auf den Kopf der Bevölkerung kommen (Fläch en-
ausstattung), oder die mittlere Entfernung, welche sich bei der Annahme
einer gleichmäfsigen Verteilung der Menschen über die Fläche je zwischen
zwei Menschen ergiebt (mittleres Abstandsverhältnis) oder die Zahl der
Menschen auf der Flächeneinheit (Bevölkerungsdichte*)). Von diesen drei
Ausdrucksweisen wird die Bevölkerungsdichte am meisten angewandt und ist
auch die geographischste, weil sie nicht vom Menschen, sondern vom Räume
und seiner Ausstattung ausgeht.
Aber es erhebt sich nun sofort die Frage: mit welchem Rechte und in
welcher Weise kann man die Bevölkerung überhaupt auf eine bestimmte
Fläche beziehen? Solange man die Verteilung der Bevölkerung nur tiber-
sichtlich behandelte und auf Karten kleinen Mafsstabes darstellte, stiefs man
auf keine Schwierigkeiten. Man betrachtete das Land und seine Bevölkerung
gleichsam aus grofser Entfernung, so dafs der Unterschied zwischen den
eigentlichen Wohnstätten, Feld und Wald ganz verschwand, die verschiedenen
Wohnplätze an einander rückten und eine zusammenhängende Fläche bildeten,
die nur noch Intensitätsabstufungen zeigte. Mit Ausnahme der Grofsstädte,
die sich als Punkte besonderer Intensität heraushoben und die man bald
ausscheiden lernte, konnte man die ganze Bevölkerung arglos auf die von
ihr bedeckte Fläche beziehen. Als man jedoch zu eingehenderer Behandlung
überging, den Standpunkt der Betrachtung in geringerer Entfernung nahm,
schieden sich die Wohnplätze und die unbewohnten Flächen von einander
ab, und immer mehr Ortschaften hoben sich gleichsam als Fremdkörper aus
ihrer Umgebung heraus und mufsten ausgeschieden werden. Der Begriff
der Bevölkerungsdichte wurde immer schwerer falsbar und nahm allmählich
eine andere Form an. Man fing an, die Zahl der Menschen nicht auf das
ganze Land, sondern auf dasjenige Land zu beziehen, auf dem sie sich
dauernd bewegen, auf dem sie ihren Erwerb finden, aus dem sie ihre Nahrung
schöpfen. Man begann also, den Wald und das Ödland auszuscheiden und
die Zahl der Menschen, mit einem gewissen Abzug für die Bewohner des
Waldes, nur noch auf das Kulturland zu verrechnen. Bei dieser Ausscheidung
verfuhr man jedoch auf die verschiedenste Weise, so dafs der Begriff „Kultur-
1) Vergl. \. Mayr, Theoretische Statistik. Freiburg i. B. 189ft, S. 37.
2) Man hat die relative Bedeutung des Begriffes Bevölkerungsdichte zu oft
aus dem Auge verloren und ihn fälschlich für Bevölkerung schlechthin angewandt ;
es ist ein Widerspruch, von einer absoluten Darstellung der Bevölkerungsdichte
zu reden.
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504
Alfred Hettner:
land44 kaum in zwei Arbeiten die gleiche Bedeutung hat und von einer Ver-
gleichbarkeit der dadurch gewonnenen Werte der Bevölkerungsdichte nicht
die Rede ist. Erst später nahm man auch eine Gliederung der Bevölkerung
vor: man schied die Bergbau, Gewerbe und Handel treibende Bevölkerung,
die ja von der Fläche des Kulturlandes unabhängig ist, aus der Betrachtung
aus, betrachtete sie für sich, und bezog auf die Fläche nur noch die land-
uud forstwirtschaftliche Bevölkerung, für die man den nicht sehr glücklichen
Ausdruck „bodenständige Bevölkerung11 einführte.
So ist man allmählich zu zwei verschiedenen Auffassungen und An-
wendungen des Begriffes „Bevölkerungsdichte" gelangt; aber man ist sich
dessen leider nicht immer bewufst gewesen und hat deshalb manchmal die
jeder der beiden Auffassungen eigentümlichen Methoden in unzweckmäfsiger
oder geradezu unzulässiger Weise mit einander vermengt.
Die ältere und eigentliche Auffassung der Bevölkerungsdichte bezieht
die Bevölkerung, vielleicht mit einzelnen Ausscheidungen, aber ohne grund-
sätzliche Unterscheidung der Erwerbsweisen, auf die ganze Fläche, auf der
sie wohnt. Die Karten, die auf Grund dieser Auffassung gezeichnet werden,
zeigen also die Dichte des Wohnens an, und man kann sie deshalb als Karten
der eigentlichen Bevölkerungsdichte oder Wohndichte1) bezeichnen.
Sie beruhen auf einer Generalisation , indem man von dem Unterschiede der
Wohnplätze und des dazwischen liegenden unbewohnten Landes absieht. Sie
sind daher nur in kleinerem Mafsstabe möglich, in welchem diese Abstraktion
nicht unnatürlich ist In gröfserem Mafsstabe, in dem Wohnplätze und un-
bewohntes Land deutlich aus einander treten, kann man die Zahl der Bewohner
nicht mehr relativ, sondern nur absolut darstellen, mufs man also bei den
Karten der einzelnen Wohnplätze, den bevölkerungsstatistischen Grundkarten,
stehen bleiben.
Die andere Auffassung der Bevölkerungsdichte geht sofort über den
Begriff des Wohnens hinaus und fafst die Frage ins Auge, wieviele Menschen
aus einer gegebenen Fläche ihren Erwerb ziehen, auf ihr direkt oder indirekt
ihren Lebensunterhalt finden. Ich will dieses Verhältnis als Krwerbsdich te
bezeichnen, da ich eine bessere Bezeichnung leider nicht gefunden habe.
Karten der Erwerbsdichte sind bisher nur in gröfserem Mafsatab, am voll-
kommensten von Sand ler8), gezeichnet worden und werden sich wohl auch
nur in gröfserem Mafsstabe ausführen lassen. Sie erfordern, wenn sie ihren
Zweck erfüllen sollen, eine eindringende Zergliederung sowohl der Bevölkerung
nach ihren Berufs- und Erwerbsverhältnissen wie des Bodens nach seiner
Kultur. Eine Anzahl von Arbeiten haben freilich, wie wir gesehen haben,
von einer Gliederung der Bevölkerung nach Erwerbsarten Abstand genommen,
1) Die Wohndichte bezeichnet die Zahl der Menschen, die auf der Flächen-
einheit wohnen. Ett liegt daher wohl kein Grund vor, diesen Begriff mit H. Wagner
(Lehrbuch S. 771) auf das Wohnen innerhalb des Weichbildes der Städte zu be-
schränken. Indessen kommt es auf den Ausdruck, den ich vor dem Erscheinen
von Wagner*» Buch gebildet hatte, nicht an.
t) Sundler, Chr., Volkskarten. München, Oldenbourg, 1899. Vergl. meine
Besprechung G. Z. V (1899) S. 660.
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Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 505
weil sie zu umständlich erschien, und die ganze Bevölkerung mit Ausnahme
der gröfseren Ortschaften auf das Kulturland bezogen; aber dies Verfahren
ist, wenn es auch bei rein landwirtschaftlicher Bevölkerung unschädlich ist —
Sprecher v. Bernegg ist darum auf die Bevölkerung des Jahres 1820
zurückgegangen, in dem Gewerbe und Handel noch unbedeutend waren — ,
doch theoretisch irrationell und in Gegenden mit gemischten wirtschaftlichen
Verhältnissen, wie mir scheint, durchaus zu verwerfen; denn was haben die
bergbauliche und die industrielle Bevölkerung mit der Fläche des Kultur-
landes zu thun?
Die Auffassung der Erwerbsdichte wird bei einer in die Einzelheiten
eindringenden und bei einer mehr übersichtlichen Untersuchung etwas ver-
schieden sein müssen. Bei speziellerer Betrachtung, also in Karten großen
Mafsstabes, wie sie besonders Küster gefordert und Sand ler ausgeführt
hat, darf man nur den Teil der Bevölkerung, der unmittelbar die Pflanzen-
und Tierwelt des Landes ausbeutet, unter unseren Kulturverhältnissen also
die land- und forstwirtschaftliche Bevölkerung, auf dio Fläche beziehen.
Man hat diesen Teil der Bevölkerung als „bodenständige" Bevölkerung be-
zeichnet, aber diese Bezeichnung ist wohl nicht sehr glücklich gewählt, da
man bei dem Worte „bodenständig" sonst den Gegensatz zu „bodenvag" im
Auge hat; man vergegenwärtige sieh nur, dafs aufser den Ackerbauern auch
die nomadisierenden Hirten und schweifenden Jäger unter den hier beliebten
neuen Begriff der Bodenständigkeit fallen würden. Eher würde mir der Ausdruck
„flächenständig" geeignet erscheinen, denn er bezeichnet gut den Gegensatz
zur orts- oder punkt- oder auch linienständigen Bevölkerung, welche mit der
Fläche nichts zu thun hat, sondern nur von dem Auftreten von Mineral-
vorkommen, von Wasser- und anderen Triebkräften oder von Lagevorteilen
abhängig ist. Man mufs aber weiter beachten, dafs sich der Gegensatz von
flächen- und ortsständiger Bevölkerung bei der entwickelten Arbeitsteilung
unserer Kulturländer nicht mehr mit dem Gegensatz der Berufs- und Erwerbs-
arten deckt, dafs in ihnen vielmehr zur flächenständigen Bevölkerung auch
eine Anzahl von Hilfsberufen, wie Krämer und Handwerker, Lehrer und
Geistliche, gehören, die wir in jedem Dorf, auch in rein landwirtschaftlichen
Gegenden, finden1). Sandler hat mit Recht, wenn auch ohne diese theoretische
Begründung, die nicht landwirtschaftliche Bevölkerung, wenn sie einen ge-
wissen Betrag nicht übersteigt, einfach dieser zugerechnet. Eine scharfe Unter-
scheidung zwischen selbständigen oder primären Erwerbsarten und den Hilfs-
erwerben läfst sich allerdings nicht ziehen, und die Unterscheidung ändert
sich auch, wenn wir zur übersichtlichen Auffassung in Karten kleineren Mafs-
stabes übergehen. Auf solchen können wir auch die Bevölkerung der Land-
städte und dann auch gröfscrer Stadt« nur noch in ihrer Abhängigkeit von der
Landwirtschaft treibenden Bevölkerung und damit von der Fläche auffassen,
müssen wir sie also zu den Hilfsberufen und damit zu der flächenständigen
Bevölkerung rechneu. Die bergbauliche und industrielle Bevölkerung behält
zwar ihre Selbständigkeit, aber es ist nicht mehr möglich, ihre Ortsständigkeit
1) Diener Gesichtspunkt wird in dem angegebenen Aufsatz näher erörtert werden.
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50G
Alfred Hettner:
auszudrucken; wir werden sie also entweder von einer gewissen Kleinheit
des Mafsstabes an mit der flach enständigen Bevölkerung zusammenfassen
und damit das ganze Prinzip aufgeben oder auch für sich in generalisierender
Weise behandeln müssen. Karten der Erwerbsdichte sind also, wenigstens
nach der bisher ausgebildeten Methode, Uberhaupt nur in gröfserem Mafsstalx?
(etwa bis 1 : 1 Million) möglich. Solche Karten haben sicher einen grofsen
wissenschaftlichen Wert; aber ihre Herstellung ist leider so mühsam und
so kostspielig, dafs sie wohl nie über gröfsere Gebiete werden durchgeführt
werden können. Man wird sich auf ausgewählte kleine Gebiete beschränken
müssen und sollte dazu Gebiete wählen, deren Erwerbsverhältnisse möglichst
typisch sind, damit die Ergebnisse allgemeinere Bedeutung haben. Bis zu
einem gewissen Grade wird derselbe Zweck auch durch Karten der wirt-
schaftlichen Typen der Ansiedelungen erreicht, wenn sie zugleich die Ein-
wohnerzahlen enthalten. Bei kleinerem Mafsstabe müssen wir entweder zur
Darstellung der eigentlichen Bevölkerungs- oder Wohndichte oder zu einer
generalisierenden Darstellung der Erwerbsarten übergehen, wie sie bisher
schon üblich war.
Fassen wir diese Erörterungen kurz zusammen, so ergiebt sich uns, dafs
wir zwischen mehreren Begriffen unterscheiden müssen, deren jeder eine
besondere Darstell ungs weise erfordert:
1. Die einzelnen Menschenanhäufungen oder Wohnplätze nach ihrer
Einwohnerzahl; ihrer Darstellung dienen die bevölkerungsstatistischen Grund-
karten; sie sind nur in gröfserem Mafsstabe möglich.
2. Die absolute Bevölkerung gröfserer natürlicher, kultureller oder
politischer Gebiete.
3. Die eigentliche Bevölkerungs- oder Wohndichte, welche das Verhältnis
der Bevölkerung, ohne Unterscheidung der Erwerbsklassen, zum ganzen
bewohnten Lande angiebt; sie beruht auf einer generalisierenden Betrachtung
der Bevölkerungsverteilung und kann daher überhaupt nur auf Karten
kleineren Mafsstabes dargestellt werden.
4. Die Erwerbsdichte, hei der die Beziehung des Menschen auf die
Fläche eine reale Bedeutung hat, aber nur für einen Teil der Bevölkerung,
die man deshalb als boden- oder flächenständige Bevölkerung bezeichnet,
giltig ist; sie erfordert auch eine Zerlegung der Fläche nach Kulturarealen
und läfst sich daher nur in gröfserem Mafsstabe in einiger Vollkommenheit,
aber nur mit grofsem Aufwand von Mühe und Kosten darstellen.
Die öfters vorgenommene Beziehung der gesamten Bevölkerung auf das
Kulturland mufs als irrationell bezeichnet werden.
Die Karten der Menschenanhäufungen oder Wohnplätze, also die bevölke-
rungsstatistischen Grundkarten, habe ich in einem früheren Aufsatze behan-
delt Die Diagramme der Bevölkerungszahl gröfserer Gebiete bedürfen kaum
der Erläuterung. Für Karten der Erwerbsdichte kann ich auf Sand ler
verweisen. In diesem Aufsatz ( Abschnitt III ) sollen der Hauptsache nach
die Karten der eigentlichen Bevölkerungs- oder Wohndichte besprochen
1) G. Z. VI <1900) S. 196 ff.
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Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 507
werden, die ja auch für die geographische Betrachtung grfiTserer Gebiete im
Vordergrunde stehen. Zuvörderst soll jedoch die von der objektiven Dar-
stellung wohl zu unterscheidende analytische Untersuchung der Bevölkerungs-
verhältnisse behandelt werden.
II. Untersuchungen über die Ursachen der Bevölkerung.
Die geographische Betrachtung bleibt längst nicht mehr bei der blofsen
Beschreibung stehen, sondern ist auf die Erkenntnis der Ursachen der geo-
graphischen Erscheinungen gerichtet. Wenn sie sich dabei nicht mit allgemein
gehaltenen, deduktiv abgeleiteten Bemerkungen begnügen will, die nur zu oft
Trugschlüsse enthalten, so ist sie, da ihr das Experiment nur in geringem
Umfange zur Verfügung steht, auf die vergleichende Methode angewiesen,
die bei ihr, ihrem Wesen gemäfs, iu der vergleichenden Betrachtung der
Verteilung der geographischen Erscheinungen besteht. Es ist eigentlich
selbstverständlich, aber man hat es öfters verkannt, dafs die Vergleichung
nicht immer gleich über die ganze Erde vorgenommen zu werden braucht,
sondern sich zunächst auf kleine abgegrenzte Gebiete beschränken kann.
Wenn man also auf Grund vorläufiger Beobachtung oder Überlegung annimmt,
dafs die Bevölkerungsdicht« von einer bestimmten Erscheinung der Natur
oder Kultur abhängig sei, wenn man beispielsweise denkt, dafs sie sich mit
der Meereshöhe vermindere, so kann man doch diese Annahmo nicht eher
als bewiesen gelten lassen, ehe man nicht die Bevölkerung der einzelnen
Höhenstufen zahlenmäfsig berechnet und durch den Vergleich der Bevölke-
rungszahlen der verschiedenen Höhenstufen die allgemeine oder doch vor-
herrschende Giltigkeit der angenommenen Regel festgestellt und im letzteren
Falle die Ausnahmen scharf bestimmt und womöglich in ihren Ursachen er-
klärt hat. Nur indem man die verschiedenen vermuteten Ursachen der
Bevölkerung nach einander auf diese Weise untersucht, kann man zu ein-
wandfreier wissenschaftlicher Erkenntnis gelangen. Hier liegt noch ein
reiches Feld wissenschaftlicher Thätigkeit vor uns. Bisher sind nur wenige
Ansätze einer solchen vergleichenden bevölkerungsgeographischen Betrachtung
vorhanden, wie etwa Ratze Ts übersichtliche Aufstellung der Bevölkerungs-
dichte der grofsen Natur- und Kulturgebiete oder die Untersuchungen über
die Höhengliederung der Bevölkerung in den deutschen Mittelgebirgen.
Die Untersuchung kann sich der Reihe nach auf alle geographischen
Faktoren erstrecken, denn es dürfte kaum einen geben, der nicht in ursäch-
lichem Zusammenhange mit der Bevölkerungsdichte stände l). Ähnlich wie der
Physiker bei seinen Experimenten mitunter aufs Geratewohl vorgehen und
dabei zur Aufdeckung ungeahnter Zusammenhänge kommen kann, kann auch
der Geograph seine Vergleichungen aufs Geratewohl vornehmen und wird
dabei auch gelegentlich zu interessanten Ergebnissen kommen können. Im
allgemeinen empfiehlt es sich aber, erst zu denken und dann zu rechnen,
d. h. zuerst durch Überlegung und vorläufige Vergleichung den Zusammen-
hang qualitativ festzustellen und dann erst zur Berechnung der quantitativen
1) Vergl. Ratzel, Anthropogeographie II S. 187 u. 193.
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508
Alfred Hettner:
Werte zu schreiten. Man wird dann die Untersuchung von vornherein zweck-
mäßiger anlegen und dadurch nicht nur Zeit sparen, sondern auch zu
klareren schärferen Ergebnissen gelangen. Man wird dann namentlich eine
sohr wichtige Forschungsregel beachten, die man bei anthropogeographi-
schen Untersuchungen jeder Art bisher vielfach zu sehr vernachlässigt hat,
nämlich nicht gleich die Beziehungen zu entfernter liegenden, nur mittelbar
wirkenden Ursachen aufzusuchen, sondern vorerst nur auf die nächstliegenden
Ursachen zurückzugehen. Beispielsweise besteht zweifellos eine Abhängigkeit
der Bevölkerungsdichte von der Verteilung der Temperatur und der Nieder-
schläge; aber ein Vergleich der Bevölkerungskarten mit den Temperatur-
und Niederschlagskarten wird doch vielleicht fast ebensoviel Ausnahmen
wie Bestätigungen der vorausgesetzten Regeln erkennen lassen, weil sowohl
Temperatur wie Niederschläge je nach den Umständen verschieden wirken.
Es kommt sehr auf die Verbindung von Temperatur und Feuchtigkeit an;
deshalb wird man schon viel bessere Ergebnisse erhalten, wenn man Karten
der Klimaprovinzen zu Grunde legt, wie sie früher Supan oder neuerdings
in vollkommenerer Weise Koppen1) unter Berücksichtigung aller klimatischen
Faktoren entworfen haben. Der Einflufs des Klimas liegt teilweise in seiner
Einwirkung auf die Gesundheitsverhältnisse und auch auf die geistige Spann-
kraft des Menschen und wird darum auch in dieser Richtung untersucht
werden müssen, es kommen auch noch verschiedene andere nebensächliche
Wirkungen in Betracht, die Hauptsache aber ist die klimatische Bedingtheit
der Vegetation und damit der Landwirtschaft. Man wird zunächst also,
wenn man die Zwischenstufe der Wirtschaftsformen einmal überspringen will,
am besten thun, eine gute Karte der natürlichen Pflanzendecke zu Grunde
zu legen und die Bevölkerungsdichte der verschiedenen Vegetationstypen und
Vegetationsprovinzen zu berechnen. Es würde sich dabei zweifellos eine
weitgehende Abhängigkeit der Bevölkerung von der natürlichen Pflanzendecke
ergeben; aber es würden sich auch viele Ausnahmen erkennen lassen, von
denen die kleineren auf Einflüssen des Bodens u. s. w., die gröfseren auf dem
geschichtlichen Gang der Ausbreitung der Kultur über die Erde beruhen.
Wir würden daraus also bis zu einem gewissen Grade die Möglichkeit einer
weiteren Verdichtung der Bevölkerung in den noch unvollkommen besiedelten
Gegenden erkennen.
Es kann nicht meine Absicht sein, die verschiedenen Richtungen, in
welchen die Untersuchung möglich ist, im einzelnen anzugeben; ich möchte
nur darauf hinweisen, dafs man dabei bisher mit einer gewissen Einseitigkeit
verfahren ist und noch keineswegs alle gangbaren Wege betreten hat.
Einen gewissen Einflufs auf die Verdichtung der Bevölkerung mufs die
Küstennähe haben, und Mar ine Iii hat deshalb bei einer Untersuchung
Siziliens die Linien gleichen Küstenabstandes zur Berechnung von Zonen der
Bevölkerungsdichte verwendet. Noch aussichtsreicher wäre es wohl, die Küsten-
gliederung in dem Sinne von F. v. Richthofen und F. Hahn morphologisch zu
— m „ --
1) Köppen, W., Versuch einer Klassifikation der Klimate. G Z. VI (190O)
S. 593 ff. u. 657 ff. M T. VI u. VII.
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Cber die Untersuchung und Darstellung der Be völkerungsdichtc. 509
erfassen und die Bevölkerungsdichte jedes solchen Küstentypus zu berechnen ;
der aufschliefsende oder absperrende Charakter der verschiedenen Küsten
würde dann wahrscheinlich mit grofser Deutlichkeit zu Tage treten. Der
Einflufs der Meereshöhe, die teils durch die Veränderung des Klimas und
der Pflanzenwelt mit der Höhe, vielfach auch durch die zunehmende Schroff-
heit der Bodenformen wirkt, ist für eine Anzahl von Gebieten untersucht
und von F. v. Andrian und von Seitmann in einem Überblick über die
Erde behandelt worden; mir scheint, dafs eine unter diesem Gesichtspunkte
vorgenommene eingehendere Vergleichung der verschiedenen deutschen Mittel-
gebirge oder der verschiedenen Teile der Alpen oder verschiedener Hoch-
gebirge lohnende Themata böten. Einzelne Forschor haben den Einflufs des
geologischen Untergrundes auf die Bevölkerungsdichte zum Gegenstand der
Untersuchung gemacht; sie haben aber dabei nicht immer beachtet, dafs sich
dieser Einflufs in verschiedenen Richtungen bewegt. Die Landwirtschaft
hangt hauptsächlich von der oberflächlichen Bodenbesch affenheit ab; man darf
sich daher, um diesen Einflufs zu erkennen, nicht, wie Käsemacher bei
seiner Untersuchung der Thüringer Triasmulde, sogenannter abgedeckter
Karten bedienen, welche nur das unterliegende Gestein zeigen, sondern mufs
gerade die diluviale Decke, wo sie vorhanden ist, besonders berücksichtigen.
Unter Umständen kann man, wie es Zimmermann für Braunschweig gethan
hat, sofort die Bodenklassen der landwirtschaftlichen Statistik benutzen.
Das unterliegende Gestein kommt für Bergbau und Steinbruchbetrieb in
Betracht. Mittelbar wirkt es auch durch Oberflächenfonnen und Bewässerungs-
verhältnisse auf den Menschen ein. In dieser Hinsicht wird ein Vergleich
der Bevölkerung verschiedener Gesteinsarten von grofsem Interesse sein, wenn-
gleich deren Einflufs wohl gröfser auf die Ansiedlungsweise als auf die Zahl
der Menschen ist. Da die Oberflächenformen nur zum Teil von der Gesteins-
beschaffenheit abhängen, wird man der Untersuchung ihres Einflusses auf die
Bevölkerung besser die morphologischen Typen zu Grunde legen, wie sie
v. Richthofen, Penck u. a aufgestellt haben. Man wird aber gut thun,
solche Untersuchungen nicht gleich über die ganze Erde zu erstrecken, sondern
auf kleidere Gebiete zu beschränken, welche klimatisch im grofsen und
ganzen als gleichartig gelten dürfen. Beispielsweise würde ein Vergleich der
verschiedenen Alpengruppen, für die Ostalpen etwa auf Grund der Ein-
teilungen von Böhm oder Supan, oder ein Vergleich der verschiedenen
Typen deutscher Mittelgebirge von Interesse sein. Eine Untersuchung der
Einwirkung der Flüsse auf die Bevölkerimg würde einerseits die anziehende
Kraft gröfserer schiffbarer Flüsse, anderseits die Verödung vieler sumpfiger
Flufsniederungen erkennen lassen. Von der Untersuchung der Abhängigkeit
der Bevölkerung von Klima und Pflanzendecke habe ich bereits gesprochen;
innerhalb der Gebiete von gleichartigem Klimatypus würde natürlich auch
die quantitative Abstufung von Temperatur und Niederschlägen zu beachten
sein. Einen brauchbaren Mafsstab der klimatischen Gunst scheinen mir auch
die phänologischen Verhältnisse darzubieten. Auch die Grenzen einzelner
Pflanzenareale, z. B. des Weinstockes, können als Grenzen verschiedener
Bevölkerungsverhältnisse aufgefafst werden.
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510
Alfred Hettner:
In ähnlicher Weise ist auch die Abhängigkeit der Bevölkerung von
anderen menschlichen Verhältnissen zu untersuchen. Der oft behauptete
Einflufs der Hasse und Nationalität auf die Kulturentwicklung legt es nahe,
einmal die Völkerkarte zum Gegenstand von Untersuchungen über Bevölkerungs-
dichte zu machen, und auch eine vergleichende bevölkerungsgeographische Be-
trachtung der Religionsgebiete durfte des Interesses nicht entbehren. Besonders
wichtig ist die Abhängigkeit von den Kultur- und Wirtschaftsformen, die
einmal noch eingehender untersucht werden sollte, als es bisher z. B. von
Katze 1 geschehen ist; man würde dabei teilweise Ed. Hahn's Karte der
Wirtschaftsformen , die aber mannigfacher Berichtigung und der Ergänzung
durch Berücksichtigung der Industrie und des Handels bedürfte, oder auch
Vierkandt's Karte der Kulturformen zu Grunde legen können. Auch für
kleinere Gebiete, z. B. Deutschland, würde eine schärfere Hcrausarbeitung der
Bevölkerungsvorhältnisse der verschiedenen Wirtschaftsgebiete, wie der Gebiete
der Grofsindustrie, der Hausindustrie, der reinen Landwirtschaft u. s. w. sehr
erwünscht sein. Lehrreich wäre auch eine Betrachtung der Besitz Verhältnisse.
Um den Einflufs des Verkehrs zu zeigen, müfste man neben der Verdichtung
der Bevölkerung an den Küsten und Flüssen namentlich uueh die anziehende
Kraft der Eisenbahnen feststellen, wobei es allerdings manchmal nicht leicht
wäre, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.
Es ist mir nicht unbekannt, dafs in der geographischen, statistischen,
natioualökonomischen Litteratur viele Ansätze in den bezeichneten Richtungen
vorhanden sind, und dafs aufser den genannten auch noch andere Gesichtspunkte
der Untersuchung zu Grunde gelegt werden können. Es kam mir hier nur
darauf an, einmal die hauptsächlichen Probleme zusammenzustellen und zu
ihrer weiteren Bearbeitung von geographischer Seite anzuregen; denn es ist
die Sache der Geographen, die Methoden der Untersuchung von Verbreitungs-
erscheinungen auszubilden und zu handhaben. Wenn auch einzelne hervor-
ragende Statistiker die geographischen Methoden in sich aufgenommen und
weitergebildet haben, so ist die grofse Mehrzahl doch in dieser Beziehung
noch zu sehr in der alten unwissenschaftlichen Routine stecken geblieben.
Selbstverständlich können oder müssen diese Untersuchungen unter Um-
ständen statt für die ganze Bevölkerung für bestimmte Klassen der Be-
völkerung, namentlich für die verschiedenen Berufs- und Erwerbsklassen,
gesondert ausgeführt., und ebenso können oder müssen unter Umständen statt
der ganzen Fläche bestimmte Teile der Fläche, etwa das Kulturland unter
Ausschlufs des Waldes und Ödlandes, in Betracht gezogen werden. Es
liegt ganz in der Hand des Untersuchenden, wie er die Frage stellen will;
er mufs nur darauf achten, dafs er nicht während der Beantwortung die
ursprüngliche Fragestellung vergifst. Zum Beispiel werden die Untersuchungen
über die Abhängigkeit der Bevölkerung von der Beschaffenheit des Bodens
zweckmäfsigerweise auf die landwirtschaftliche Bevölkeruug beschränkt werden
können, da die Bergbau, Gewerbe und Handel treibende Bevölkerung, soweit
sie selbständig ist und nicht nur der landwirtschaftlichen Bevölkerung
Hilfsdienste leistet, mit der Beschaffenheit des Bodens nichts oder wenig zu
thun hat. Man kann die Untersuchung unter Beschränkung auf das Kultur-
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Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 511
land ausführen, um die verschiedene Fruchtbarkeit der verschiedenen Boden-
arten zu zeigen, aber man mufs diese Untersuchung jedenfalls durch eine
Untersuchung der ganzen Fläche ergänzen und wird, wenn man nur eine
von beiden Untersuchungen anstellen will, besser thun, die Gesamtfläche zu
wählen, weil der Einflufs des Bodens in erster Linie gerade in dem Prozent-
anteil von Wald und Kulturland zur Geltung kommt. Auch bei der Unter-
suchung der Bevölkerungsdichte verschiedener Hubenstufen sowie der Klima-
zonen ist die Unterscheidung der landwirtschaftlichen und der bergbaulichen
und industriellen Bevölkerung von Interesse; jene wird im allgemeinen mit
der Meereshöhe abnehmen, während die stellenweise stattfindende Zunahme
der Gesamtbevölkerung mit der Höhe wenigstens in unseren Breiten — anders
in manchen tropischen Gebirgen — der Hauptsache nach auf die berg-
bauliche und industrielle Bevölkerung zurückzuführen ist. Durch solche
Zergliederung öffnet sich ein weites Feld für lehrreiche Untersuchungen.
In welcher Weise diese kausale Analyse der bevölkerungsgeographischen
Thatsachen auszuführen ist, hängt von dem engeren oder weiteren Kähmen der
Untersuchung und auch von der Beschaffenheit des vorhandenen Materials ab.
Auf der einen Seite stehen Untersuchungen räumlich beschränkter Ge-
biete. Hier kommt es darauf an, die Abhängigkeit der Bevölkerungszahl
von den verschiedenen örtlichen Faktoren: Meereshöhe, Gestein, Exposition u. s. w.
festzustellen Wo Meereshöhe oder Gestein oder Exposition u. s. w. auf
gröfsere Erstreckung gleich bleiben, bieten sich geringe grundsätzliche Schwierig-
keiten dar, da über die Zuteilung der Bevölkerung zu der einen oder der
anderen Abteilung nur an den Grenzen Zweifel bestehen. Anders dagegen,
wo Erhebung und Gestein rasch wechseln und die Wohnplätze oft auf
anderen Höhenstufen oder Gesteinen liegen als die dazu gehörigen Äcker,
Wiesen und Wälder. Hier wird der Ansatz der Berechnung, wie mir scheint,
je nach der Richtung der Untersuchung verschieden gemacht werden müssen.
Es unterliegt keinem Zweifel, dafs die Wohnplätze aus Rücksicht auf Klima
oder Terrain bestimmte Höhenlagen, aus Rücksicht auf Baugrund und
Wasser bestimmte Gesteine bevorzugen; um die dafür giltigen Regeln zu
beurteilen, mufs man also die Bevölkerung auf die Höhenlage und das Ge-
stein der eigentlichen Wohnplätze beziehen; man erkennt auf diese Weise,
wie viele Menschen unter bestimmten topographischen und hygienischen Be-
dingungen wohnen. Andererseits lebt die Bevölkerung von den Nahrungs-
quellen des umgebenden Landes, und zwar teilweise von einzelnen Vor-
kommen nutzbarer Mineralien, Wasserkräften, Lagevorteilen, teilweise von
der Fruchtbarkeit des ganzen Bodens. Eine genaue Untersuchung läfst sich
also in dieser Richtung nur bei Unterscheidung der orts- und der flächen-
ständigen Bevölkerung führen, von der man wohl nur absehen darf, wenn
die ortsständige Bevölkerung wenig ins Gewicht fällt. Die ortsständige Be-
völkerung mufs man in Hinsicht auf die Erwerbsverhältnisse natürlich auf
den Ort des Erwerbs (z. B. das Bergwerk, den Steinbruch, die Fabrik, die
Eisenbahn) beziehen, die flächenständige Bevölkerung über die Fläche ver-
teilen, wobei für die Unterscheidung von Kulturland, Wald und Ödland die
oben entwickelten Gesichtspunkte gelten.
512
Alfred Hettner:
Man kann diesen Untersuchungen die Bevölkerungs- und Flächenzahlen
der Gemeinden zu Grunde legen und, indem man die Gemeindeflächen in die
Höhenschichten- oder die geologische Karte einzeichnet, die Bevölkerung
oder vielmehr die flächenständige Bevölkerung der Gemeinden proportional
dem Flächenanteil der einzelnen Höheuschichtcu oder GesteinRarten auf diese
verteilen. Diese Berechnungsweise setzt natürlich die Kenntnis der Ge-
meindegebiete (Gemarkungen) und zu diesem Behufe die Benutzung genauer
Pläne voraus und ist so umständlich und zeitraubend, dafs man sie wohl
nur ausnahmsweise anwenden wird.
Im allgemeinen wird es einfacher sein, von den absoluten Bevölkerungs-
zahlen auszugehen. Man mufs hierzu möglichst kleine Bevölkerungseinheiten neh-
men. Wirkliche Genauigkeit kann nur bei Begründung der Untersuchung auf die
Wohnplätze erreicht werden. Wer solche Untersuchungen ausführen will,
sollte daher, solange keine bevölkerungsstatistischen Grundkarten von Staats-
wegen hergestellt sind, sich selbst welche anfertigen, wie es ja auch Neu-
mann u. a. gethan haben, und sollte lieber den Umfang des zu untersuchen-
den Gebietes etwas einschränken, statt unvollkommenere Methoden anzuwenden
Hat man einmal eine solche Grundkarte, so wird man von selbst dazu ge-
trieben werden, sie in den verschiedensten Richtungen auszunutzen, d. h.
nach einander die Abhängigkeit der Bevölkerung von den verschiedensten
Faktoren zu untersuchen, und man wird diese Untersuchungen, sofern nur
die als Ursache vorausgesetzten Faktoren selbst genügend bekannt sind, mit
ziemlicher Leichtigkeit ausführen können. Man mifst einfach die Fläche der
Höhenstufen, Gesteinsfortnationen oder was es sonst sei, mit dem Planimeter
aus, addiert die Einwohnerzahlen der auf dieser Fläche gelegenen Wohn-
plätze und berechnet aus den beiden Zahlen die Bevölkerungsdichte. Ob
man dabei zweckmäfsiger die Bevölkerungskarte auf durchsichtiges Papier
zeichnet und über die anderen Karten legt oder umgekehrt, wird von den
Umständen abhängen.
Wenn di§ Einwohnerzahlen der Wohnplätze nicht zur Verfügung stehen,
weil sie nicht veröffentlicht werden und auch die Einsicht des Urmaterials
nicht möglich ist, mufs man sich mit den Gemeinden begnügen und sich
deren Bovölkerung in dem Hauptorte konzentriert denken. Wo die Be-
völkerung in geschlossenen Ortschaften wohnt, ist der Fehler dabei ja auch
nur gering, dagegen wird die Genauigkeit merklich beeinträchtigt, wenn
sich die Gemeinde aus mehreren Ortschaften oder aus vielen Einzelhöfen
zusammensetzt. Diese geringere Genauigkeit mufs natürlich in der Dar-
stellung der Ergebnisse, also bei kartographischer Darstellung in dem
kleineren Mafsstabe, zum Ausdruck kommen.
Wenn es sich nicht um die Untersuchung lokaler, sondern regionaler
Gegensätze handelt, wofür ja oben eine Anzahl von Beispielen genannt sind,
so kommen bei Zurückgehen auf die Wohnplätze oder die Gemeinden bez.
auf die danach entworfenen Spezialkarten der Bevölkerungsverteilung die
Schwierigkeiten, die sich ans dem Wechsel im Kleinen ergeben, kaum mehr
zur Geltung, und die Ergebnisse werden freier von Willkür sein. Aber in
vielen, wohl in den meisten Fällen wird man sich bei diesen Untersuchungen
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über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 513
vorlaufig mit den Bevölkerungszahlen gröfserer Flächeneinheiten, d. h. meistens
der gröfseren staatlichen Bezirke, begnügen müssen, so dafs sich wieder
entsprechende Schwierigkeiten ergeben. In der Hegel beobachtet man dabei
folgendes Verfahren: man verteilt die als Einheiten dienenden Bezirke auf
die natürlichen oder kulturellen Regionen, deren Bevölkerungsverhältnisse
man untersuchen will, und kann dabei, da die Grenzen selten zusammen-
fallen, entweder die Flüeheuräume und Bevölkerungszahlen der Gebiete, die
in verschiedene Itegionen fallen, proportional verteilen oder auch, wenn es
auf Genauigkeit weniger ankommt, einfach der einen oder anderen Region
zuteilen. Dann addiert man einerseits die Flächen, andererseits die Ein-
wohnerzahlen und berechnet daraus die durchschnittliche Bevölkerungsdichte.
Beispielsweise haben Wagner und Supan in ihren Veröffentlichungen über
die Bevölkerung der Erde eine Anzahl solcher Berechnungen ausgeführt.
Für die Darstellung der Ergebnisse solcher Berechnungen über die
Bevölkerungsdichte verschiedener Natur- oder Kulturtypen genügen in vielen
Fällen Tabellen. In komplizierteren Fällen werden sich zu gröfserer Über-
sichtlichkeit graphische Darstellungen empfehlen, aber es ist keineswegs ge-
sagt, dafs das immer Karten sein müssen und nicht auch Diagramme und
Profile sein können. Ja die Darstellung auf einer Karte kann geradezu
fehlerhaft sein.
Ich will das au dem Beispiel der Abstufung der Bevölkerung mit der
Höhe erläutern, wie sie z. B. Burgkhardt für das Erzgebirge, Leinhose für
das Schwarzagebiet, Klinger für den Thüringerwald und Wolff für den Harz
untersucht haben. Sie haben für ihr ganzes Gebiet oder doch für grofse Ab-
teilungen die durchschnittliche Bevölkerungsdichte jeder Höhenschicht berechnet
und hal>en dann auf einer Höhenschichtenkarte die verschiedenen Höheusehichten
mit dem Farbenton der entsprechenden Durchschnittswerte der Bevölkerung
bedeckt. Burgkhardt hat dabei nicht nur die Bevölkerung eines Thaies
ohne weiteres mit der des anderen zusammengeworfen, sondern hat sogar die
Bevölkeruug des Chemuitz-Zwickauer Beckens mit auf die erzgebirgischeu
Thäler, soweit sie noch der gleichen Höhenschicht angehören, verteilt. Man
glaubt, auf der Karte die Bevölkerungsverhältnisse jedes einzelnen Thaies zu
finden und merkt bald zu seinem Befremden, dafs es schematische Durch-
schnittswerte sind. Das ist eine vollkommene Verkennung des Wesens der
Karte, das doch in der Individualisierung der Landschaften besteht. Die Dar-
stellung auf einer Karte wäre nur dann berechtigt gewesen, wenn Burgkhardt
die Zahlenwerte jedes Thaies, ja jedes Thalstückes gesondert zum Ausdruck
hätte bringen wollen. Die Durchschnittswerte des ganzen Gebirges liefsen
sich viel einfacher und richtiger auf einem Profil zur Darstellung bringen,
auf dem die verschiedenen flächentreu gezeichneten Höhenschichten mit den
ihrer Bevölkerungsdichte entsprechenden Farbentönen bedeckt worden wären;
die beiden Abhänge des Gebirges konnten auch auf einem solchen Profil aus
einander gehalten werden. Wenn man die Flächengröfse der Höhenschichten
nicht berücksichtigen zu müssen glaubt, kann man sich sogar mit einer ein-
fachen Kurve begnügen, die mit den Meereshöhen als Abscissen und den
durchschnittlichen Bevölkerungsdichten als Ordinaten gezeichnet ist.
Ueographi.chc Zeitschrift. 7. Jahrgang 1SKH. 0 Heft. liö
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Ö14 Kleinere Mitteilungen.
Ähnlich steht es mit der Darstellung des Einflusses anderer Faktoren.
Auch hier werden einfache Figuren oft bessere Dienste leisten als die Karte.
Mau raufs sich doch eben bewirfst bleiben, dafs es sich hier um die Ergeb-
nisse analytischer Untersuchungen handelt, die mit Absicht einseitig sind,
und dufs man deshalb diese Ergebnisse möglichst einfach darstellen soll.
Die Karte ist uur dann am Platze, wenn man in der Analyse nicht bis
zum Ende gegangen ist, sondern synthetisch verschiedene Einflüsse zugleich
zur Darstellung bringen, ein möglichst getreues Abbild der Wirklichkeit
geben will. Von den Karten der Bevölkerungsdichte soll im nächsten Ab-
schnitt die Rede sein. (Schluß folgt.)
Kleinere Mitteilungen.
Die Bevölkerung Norwegens nach der Zählung vom 3. Dezember 1900.
Die norwegischen Städte (Byer) werden in Kaufstädte (Kjöpsta^der) und
Ladestellen (Ladcsteder) unterschieden; in letzteren dürfen Schiffe anlaufen,
alter nicht löschen.1) Norwegen hat in diesem Sinne (1900) im ganzen öl Städte
(22 Ladestelleu), von deuen 1891: 10, 1900s 12 über 10000 Einwohner
zählten, deren kleinste, Hvitsten, (1900) 107 Einwohuer hat. In der Reihen-
folge der gröfseren Städte (nach der Einwohnerzahl), welche Tabelle I. zeigt,
ist in dem Zeitraum 1891-1900 die grölstc Veränderung bei Larvik ein-
getreten, welches 5,30 % Abnahme hatte und dadurch von der 8. an die
12. Stelle herabrückte; es wurde von den Städten Christiansund, Frederikshaid,
Aalesund und Skien überholt; im übrigen hat nur Frederikstad Christiausand,
Christiansund Frederikshaid und schliefslich Aalesuud Skien überflügelt. Die
durchschnittliche Zunahme (1891-1900) der sämtlichen Städte beträgt
30,09%, die der 49 Städte mit unter 10000 E. uur 19,37%, die der 12
Städte mit über 10000 E. jedoch 31,52%, wogegen die Landbevölkerung
nur 5,53%, die (Jesamtbevölkerung des Landes 11,52% Zunahme aufweist.
Unter den 12 grölst en Städten steht Christiania mit einer Zunahme von
über 19% obenan; ihm folgen mit fast 39% Zunahme Aalesund, mit etwas
über 31%, d. i. mit etwa der mittleren Zunahme der 12 gröfsten Städte,
Bergen (34,45%); hierauf folgen Drontheim (30,S4%), Stavanger (27,79%)
und Skien (26,38%); sodann Frederikstad (17,04%) und Christiausund
(16,01%), Christiansand (13,68%") und Drammen f 11,62%1; Frederikshaid hat
nur 6,41 % Zuuahme, Larvik schliefslich gar 5,30% Abnahme. 1801 hatte
Norwegen erst 42 Städte") mit etwa nur 10% der Keichsbevölkerung, 1900
wohnten in 61 norwegischen Städten 28% derselben. Die fast durchgehends
steigende Anziehungskraft der Städte, bezw. ihre steigende Bevölkerungs-
zunahme im Laufe des 19. Jahrhunderts zeigt sich in folgender Tabelle3):
1) Nupau, Die Bevölkerung der Erde X.. S. 38 (Ergünzungsheft 130 zu Peter-
manns Mitteilungen; (Jotha 1899).
2) Norway. Otfuial publieation for the Paris exhibition 1900 (Christiania 1900).
8.90 91. Mit vielen statistischen Angaben und bibliographischen Nachweisen unter
den einzelnen Abschnitten.)
:\ Norway S. loj und Forelobige Resultater af Folketadlingen i Norge 3. De-
cember 1900. L'.lgivne af det Stutistiske Centrallmreau (Christiania 1901). S. III.
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Kleinere Mitteilungen.
515
Zeitraum
Ende 182»— Ende 1835
„ 1836— „ 1845
„ 1845— „ 1855
„ 1855— „ 1865
„ 1865— „ 1875
1876— Anfang 1801
Anfang 18'J1— Ende 1900
Jährliche Zunahme in %
der mittleren Me^ftlkernng
Keich
1,29
1,06
1,16
1,34
0,64
0,66
1,10
Stadto
1,28
0,93
0,99
1,02
0,27
0,33
0,64
1,28
1,99
2,22
3,11
2,29
1,86
2,73
Die Reihenfolge der Ämter hezüglich ihrer Bevölkerungsdichte (auf
das Gesamtareal der Ämter bezogen) ist 1900 fast dieselbe wie 1891; nur
die drei Amter Nedenes, Komsdal und Söudre Bergenhus zeigen jetzt die
veränderte Reihenfolge Romsdal, Söndre Bergenhus, Nedenes. Sehen wir von
den beiden Stadtbezirken Christiania und Bergen ab, so sind 1900 die drei
östlichen Ämter in Süd-Norwegen, die Küstenäniter Jarlsberg og Larvik, Sinaar
lenene und Akershus mit 14,7, 32,9 und 21,6 E. auf 1 qkm die dichtes-
bevölkerUm des Königreichs. Würde man zu dem Amte Akershus die Stadt
Christiania hinzurechnen, -so würde es hierdurch die höchste Dichte aufweisen
Tabelle I.
Städte Norwegens mit über 10 000 Einwohnern.
n. d Zahlung
im
1*91
Stfdte (Hyer)
1
2
3
4
5
6
7
s
9
10
11
12
1
•_>
:i
4
6
7
6
10
9
12
11
8
I
Christiania. . .
Hergen
Drontheiin *) .
Stavanger
Drammen . . .
Frederikstad .
Christiansand
Christiansund
Frederikshaid
Aalesund ....
Skien
Larvik
Chr.
He
S. Tr.
St.
Hu.
Sm.
L. og M.
R.
Sm.
R.
Hr.
J. og L.
12 Städte Norwegens mit (1900) über 10000 Eiuw.
4'-> „ unter „
ITlj 450
148 081
354 179
124 047
34,52
19,37
624 531
1 606 864
17^ 226
1 522 691
30,59
5,53
Bevölkerung')
3. IS 1900 1 1. 1H1M
Zunahme
<l Her.
IHJl l'JOO
in %
225 686
72 179
38 156
30 541
23 091
14 573
14 566
12 043
1 1 936
11 672
11 343
10 664
151 239
53 684
29 162
23 899
20 0X7
12 451
12 «13
10 381
11 217
8 406
8 979
11 261
49,22
34,45
30,84
27,79
11,62
17,04
13,68
16,01
6,41
38,85
26,33
5,30
Norwegen (Gesamt bevölkerung) | 2 231 395 j 2 000 917 | 11.52
Die Trennung von Stadt und Land auch der früheren Zählungen ist berechnet auf
die Verhältnisse vom Jahre 1890. („Hjcmtnehorende Folkema-ngde", d. i. rechtliche,
domizilierte Hevölkerung, population de droit, doniiriliee.)
1) Forclobige Kesultater S. 19—21. Die Zahlen der Tabellen für 1891 ent-
sprechen den administrativen Grenzen von 1900.
2) 1893 wurden einige Vorstädte eingemeindet; die Zahl tür 1891 nimmt Rück-
sicht auf diese Eingemeindung. Norway S. 105.
35*
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516
Kleinero Mitteilungen.
(1891: 46,9, 1900: 63,8 E. auf 1 qkm). Es folgen dann die beiden west-
lichen Ämter Südnorwegens, die Küsteniimter Stavanger und Lister og Mandal, •
mit 13,9 und 11,2 E. auf 1 qkm. Eine bedeutend schwächere Volksdichte
haben die beiden anderen .südnorwegischen Amter, die zwischen den vorigen
beiden Gruppen liegenden mittleren Küsteniimter, Nedenes (8,5 E. auf 1 qkm)
und Bratsberg (6,5 K. auf 1 qkm». Dichter bevölkert als das erstere von
beiden sind die mittelnorwegischen Küstenämter Romsdal i 9,1 E. auf 1 qkm)
und Söndre Bergenhus (8,7 E.). Würde man den Stadtbezirk Bergen dem Amt
Söndre Bergenhus zurechnen , so würde dieses südlichere Amt mit einer
Dichte von 1900: 13,3, 1891: 11,6 E. auf 1 qkm in der Reihenfolge vor
dem nördlicheren Romsdal stehen, ebenso das Amt Lister og Mandal an Dichte
übertreffen und dem Amt Stavanger fast gleich kommen. Zwischen den Dichte-
zahlen der süd-norwegischen Ämter Nedenes und Bratsberg halten sich die beiden
luittel-norwegischen Ämter, das Binnenamt Buskerud (7,5 E.) und das Küsteuamt
Söndre Trondhjem (7,3 E. auf 1 qkm). Unter der Dichte von Bratsberg halten
sich die übrigen mittel-norwegischen Ämter, das Küstenamt Nordre Bergenhus
(4,8 E.) und die sich östlich an dasselbe anschliefsenden Binnenümter Christiaus
(4,6 E.) und Hedemarken (4,6 E.). Den Schlufs bilden die vier Ämter des
Nordens in südnördlicher Reihenfolge, Nordre Trondhjem (3,7 E.), Nord-
land (3,7 E.), Tromsö (2,8 E.) und Finmarken (0,7 E. auf 1 qkm des Ge-
samtareals). Die Mitteldichte des ganzen Königreichs betragt (1900) 6,9;
es liegen also, abgesehen von den beiden Stadtämtern Christiania und Bergen,
zehn Ämter über und acht unter dem Reichsinittel. Welche höheren Werte
der Volksdichte sich für die Ämter für das Jahr 1900 ergeben, wenn
man die Süfswassertlächen l) derselben von ihrem Gesamtareal in Abzug
bringt und die Bevölkerung nur auf das Landareal verrechnet, zeigt die
letzte Rubrik in Tabelle IL Um diese Durchschnittswerte für die Gesamt-
areale der Ämter lokalisieren zu können, empfiehlt sich die Hinzuziehung
einiger neuerer authropogcograpbischer Karten, so z. B. der Karte „Norge"1
am Schlufs des Werkes Norway (s. Anm. 2 auf S. 514 ) im Maßstab 1 : 3600000,
welche in roter Strichelung die bewohnten Gegenden bezeichnet; in dem-
selben Werke die Dichtekarte bei Seite I; und schliefslich die „Kartenskizze
der Verbreitung der Siedelungen im südlichen Norwegen" von H. Magnus2)
im Mafsstabe 1 : 2000000, welche aufser den Siedelungen durch Signaturen
zugleich in rotem Flachenkolorit die Ausdehnung des besiedelten Gebietes
angiebt. Dafs die Berücksichtigung solcher Karten bei Norwegen be-
sonders augebracht ist, zeigt das ProzentverhiUtnis3) der Kulturart on. Auf
die Stadtareale Christiania und Bergen kommen 0,1%; auf die bebaute
Bodentlüche, Äcker und Wiesen, nur 2,9°/0 (Äcker <>,7%, künstliche Wiesen
1,2%, natürliche Wiesen 1,0%)*), während5) bei Dänemark 76%, bei Frank-
1) Supan S.37. Nord-Norwegen 4146 qkm Nordre Trondhjem 1397, Nordland 1233,
Tromsö 53«, Finmarken 980 qkuij; Mittel-Norwegen 5520 qkm Hederaarken 1238,
Christians 1142, Buskerud 793, Söndre BergenhuB 506, Bergen 1, Nordre Bergeuhus 655,
Romsdal 393, Söndre Trondhjem 793 qkm); Süd-Norwegen 31G4 qkm (Smaalenene 274,
Akershus 342, Christiania 0, Jarlsherg og Larvik 75, Bratsberg 1040, Nedenes f»77,
Lister og Mandal 380, Stavanger 476 qkm).
2} II. Magnus, Zur Siedelungskunde von Norwegen; in Z. d. (»es. f. Erdkd. zu
Berlin Bd. XXXIII. Jhrg. 18K8 (Berlin 1898) S. 367—391; auf Grund von desselben
Verf. Studier over den Norske Behvggelse. Tl. I. (Christiania 18;»8t.
3i Norway S. 307 und Magnus S. 385 nach A. Heiland, .lordlninden i Norge
(Christiania 1893, in Norges geologiske l'ndersogelsc N. 9), S. 451.
4) Nach Norway S. 8« zwischen 3 und 4%. 5) Norway S. 88.
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Kleinere Mitteilungen.
517
Tabelle II.
nach ilor He-
v.i!k<Turi|{s-
dichte
I
l'.NM) 1891
3
4
5
0
7
8
«J
10
11
12
13
14
15
16
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Ämter
( hristiania (Stadt) .
Bergen (Stadt) . . .
Jarlsberg og Larvik
Smaalenene
Akerahus
Stavanger
Lister og Mandal .
Homsdal
Söndro Bergenhus .
Nedenes
Buskerud
Sflndre Trondhjeiu.
Bratsberg.
Xordre Bergenhus.
Hedemarken
Christians
Nordre Trondhjeiu
Nordhind
Tromsö
Finmarken
lU-v.ilkcniiiR
a Uff 190H 1 Jun 1891
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135 899
135 337
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112 608
135 133
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125 856
115 615
83 344
151 537
74 206
32 735
151 239
53 684
100 057
120 360
99 111
117 008
78 738
127 806
128 213
81 043
104 769
123 817
92 034
87 552
119 129
108 076
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Norwegen
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2 000 917
325 420
6,0
6,1 11,52 1| 7,1
reich 70%, bei Europa im ganzen 40% auf die bebaute Fläche kommen;
der Wald nimmt 21,1% ein; die Binnengewässer 3,8% (vergl. S. .r>l(» Anm. l);
Schnee und Eis 1,6%; 70,6% endlich kommen zusammen auf Snaufjold
(öi),2%>), das sind die kahlen oder nur tlechtenbedeckten, steinigen, weiten
Hochflächen Norwegens8), auf Moore (3,7%) und den ^dmark (7,6%s)).
H. Magnus teilt die Siedelungen Norwegens nach ihrem Verhältnis zur Volks-
verdiehtuug u. s. w. in folgende Klassen ein: 1. Die Küstensiedelungeu und die
Siedelungeu in den breiten, offenen Landschaften im S.-O. um den Christiania-
Fjord, die grofsen Seen Rands- Fjord, Mjösen und Tyri-Fjord, sowie um den
Trondhjems-Fjord herum, 2. die Fjordsiedelungeu, 3. die Thalsiedelungeu. Zur
Erklärung ihrer Eigentümlichkeiten giebt er einige Skizzen dieser Typen im
Mafsstabc 1 : 2000O0.') In den folgenden kurzen Zusammenstellungen über
die Bevölkerungs zunahme und -Verteilung der norwegischen Amter 1801 bis
1 900 werden die zur Erklärung der Bevölkerungsverhältnisse hintragenden älteren
Prozentzahlen nach A. Holland, bezw. H. Magnus (s. S. 516 Anm. 2 u. 3) in
Ermangelung neuerer augeführt werden. Die Zahlen für die Industrie und
Bergbau treibende Bevölkerung werden meistens bei Erwähnung der städtischen
Bevölkerung, für die Fischerei und Seefahrt treibende bei den Handelshäfen,
für die Ackerbau und Viehzucht treibende bei den Arealzahleu der Acker und
Wiesen angeführt, obgleich natürlich der Begriff Stadt sich in Norwegen
1 Supan S. 37. 2) Vergl. Magnus S. 383.
3i l'dmark oder Havnegang, entsprechend dein lyrischen Xierierleger; vergl.
Magnus S. 381: einschl. Fjetdbeiter, Säter, Almen. Hochleger; vergl. Magnus S. 383
— 3x4 und Xorwav S. 307.
4,i Magnus S. 3x0 und am Schilds des betr. Aufsatzes die Skizzen
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Kleinere Mitteilungen.
nicht immer mit dem Begriff des Industriellen verbindet und für die Vieh-
zucht z. B. auch der Udmark von Wichtigkeit ist u. s. w. Interessant ist
bei der Verteilung der Bevölkerung von ganz Skandinavien das deutliche
Auftreten eines unbewohnten, bezw. schwachbewohnten Bandes zwischen Nor-
wegen und Schweden, welches nur nach dem Süden zu immer mehr ver-
schwindet; es ist dieses Band gewissermafsen eine wirklich anthropogeogra-
phische, d. h. eine vornehmlich physikalisch begründete Völkergrenze1), zu-
sammenfallend mit einer geschichtlich entstandenen politischen Staatengrenze.
Das die Landeshauptstadt umgebende Amt Akershus hat, wenn wir
von den beiden Stadtbezirken Christiania und Bergen absehen, die höchste
Zunahme der Bevölkerung (16,15%) unter den Ämtern. Das Amt selbst
hat nur 2,'.)% städtische Bevölkerung und zwar in den Städten (unter 10000 E.)
Dröbak (Kjöbstad; 1900 : 2334 E.), Son (Ladested; 1900 : 749 E.), Holen
(Ladested; 166 E.) und Hvitsten (Ladested; 107 E.) mit nur 1,02% Zu-
nahme. Die ländliche Bevölkerung (97,1%) nihm um 16,67% zu. Infolge
seines geringen Prozentsatzes höheren (lebirgs hat Akershus das drittgröfste
Areal an Äckern und Wiesen (16,2%); vom Ackerbau und von der Vieh-
zucht leben 34,8%. Das Waldareal beträgt 63,9% und beschäftigt 1,4%
der Amtsbevölkerung. Auf Binnengewässer entfallen 7%, auf Snaufjcld,
Moore und Udmark nur 13,8%. An Menge der Fabriks- und Bergbau-
bevölkerung steht es mit 11,6% an zweiter Stelle unter den industriellen
Ämtern, eine Wirkung der von dem Amte umschlossenen Stadt Christiania.
Würden wir diese Stadt zu dem Amte Akershus hinzuschlagen, so würde sich
für beide zusammen eine Zunahme (1891 — 1900) von 36,13% ergeben,
während Christiania für sich 49,22% Zunahme hat. Die Hauptstadt und ein-
zige (irofsstadt (über 100000 E.) Norwegens zählte auf dem jetzigen Areale
im .Jahre 1801: 12423 E.8), d. i. eine Zunahme von 1716,68% in dem
Zeiträume (von fast 100 Jahren) 1801 — 1900. Christiania ist der wichtigste
Industriemittelpunkt (bes. Maschinen- und Textilindustrie) des Landes
(1895: 352 Betriebe mit 19048 Arbeitern und 5197 300 Arbeitstagen3)). Auf
Christiania entfielen vom Aufsenhandel in den Jahren 1866 — 70 etwa 24%,
1881—85 etwa 36%, 1891-95 etwa 42%, 1898 etwa 40%, von der Ein-
fuhr für sich betrachtet 1898: 52%, von der Ausfuhr 18%4). Christiauias
Handelsflotte steht im Bezug auf Tragfähigkeit (1 Dampfer-Tonne = 3,6
Segler-Tonnen •')) an zweiter Stelle unter denen der norwegischen Hafenstädte
(1898: 168 Dampfer von 76 600 Tonnen, 176 Segler von 117 400 Tonnen
Gehalt mit zusammen 393 300 Tonnen Tragfähigkeit "'')).
Auch ziemlich stark (13,24%) ist die Bevölkerungszunahme des zweiten
südöstlichen Amtes, von Smaalenene. Dieses hat über 31% städtische
Bevölkerung, welche 12,00, bezw. 44,49% Zunahme hat, während die
68,9 % betragende ländliche Bevölkerung 9,59 % zunimmt. Die Städte
(Kjöbst»dor) Frederikshaid (6,41% Zunahme) und Frederikstad (17,04% Zu-
nahme) übersteigen die 10 000 Einwohner-Grenze, Sarpsborg (1891: 2904,
1900: 6888 E.) und Mofs (1900: 8941 E.) halten sich noch unter der-
selben. An industrieller imd Bergbau-Bevölkerung erreicht Smaalenene unter
den Ämtern mit 12,5% den höchsten Satz. Die Industriemittelpunkte
Frederikstad und Sarpsborg hatten 1895 zusammen 61 Betriebe mit 5409
i) Norwav 8. 6. 2) Norway S. 104—106. 3) Norway S. 391*.
4) Norway S. 432. 5) Norway S. 433.
Kleinere Mitteilungen.
519
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Arbeitern und 1 300 700 Arbeitstagen1); Frederikshaid: 35 Betriebe mit
1790 Arbeitern und 451 300 Arbeitstagen1). In diesem Amte ist wohl wie
in Akershus die industrielle Entwicklung im Aufschwünge begriffen. Auf
die bebaute BodentlUehe kommen bei Smaalenene 20,4% (zweithöchster Be-
trag) mit 34,1 % Ackerbau und Viehzucht betreibender Bevölkerung. Das
Waldareal beträgt 60,0%, die Binnengewässer 6%, das Snaufjeld u. s. w.
nur 12,7°0; der Prozentsatz an höherem Gebirge ist auch hier noch ziem-
lich gering. Fischerei betreiben 1,5 ° 0, der Seefahrt u. s. w. obliegen 3,6 °/0
der Bevölkerung. Frederikstads Handelsflotte hatte 1808: 50 500 Tonnen
Tragfähigkeit2); aulser dieser Stadt ist im Amte auch Frederikshaid noch
bedeutend beteiligt am Holzhandel3).
Aus dem dichtestbevölkerteu Süden, bezw. Südosten, führt uns unsere
Tabelle der Bevölkerungszunahme (Tab. III) in den schwächstbevölkerten
Norden. Die drei nördlichen Ämter Nordland (Amt 14,03%, Land
14,30% Zunahme), Tromsö (14,08, bezw. 13,00%) und Finmarken
(12,22, bezw. 12,65%) zeigen ebenfalls sämtlich eine üher dem Heichsmittel
liegende, nach Norden zu geringer werdende starke Zunahme. Nordland hat
nur zwei Städte, die Kjöbstad Bodo (1000: 4827 E.) und die Ladested
Mosjöen (1303 E. l, d. i. nur etwa 4% der Amtsbevülkerung, mit 20,26 %
Zunahme; Tromsö Amt hat nur die Stadt Tromsö (1000: (5055 E.), d. i.
0,4% der Amtsbevölkerung mit 15,02% Zunahme; Finmarken schliefslich
1, Norway S. 399. 2) Norway S. 433. 3) Norway S. 432.
520
Kleinere Mitteilungen.
hat 20,8% der Bevölkerung mit 10,61% Zunahme in den drei Städten
(KjÖbstjßder) VardÖ (1900: 2579 E.), Hammerfest (2298 E.) und Vadsö
(1931 E.) wohnhaft. Hei einem Areal an Äckern und Wiesen von 1,0%,
0,7% und 0,1% beherbergen die drei Ämter 27,4%, 27,6%, bezw. 15,1%
Ackerbau und Viehzucht treibender Bevölkerung, wahrend 34,0, 39,1 und
52 % sich mit Fischerei beschäftigen. An letzterer Gruppe übertreffen sie
die übrigen Ämter sehr bedeutend; der nächst niedrigere Prozentsatz ist 9,8.
Der Wald erfüllt 9,3, 7,8 und 5,8%, die Binnengewässer 3, und je 2%,
Snaufjeld, Moore und Udmark 83,7, 88,5 und 92,1 %; Nordland hat außer-
dem noch 3%, Tromsö 1% Schnee und Eis. Magnus1) erklärt die starke
Zunahme der vorwiegend ländlichen Bevölkerung folgendennafsen : „Die ver-
besserten VerkehrsverhUltnis.se, der reger gewordene Handel, die gesteigerte
Ausnützung der unterirdischen Schätze haben zu diesem Aufschwung der
nördlichen Landesteile Anlafs gegeben. Man kann sie (mit Keusch) fast als
.«junge Gebiete» bezeichnen, deren materielle Hilfsquellen erst aufgeschlossen
sind, und wo noch viel Raum übrig ist.u
Etwa 9% Zunahme hüben Söndre Troudhjem, das nördlichste Amt
von Mittel-Norwegen, und Stavanger in Süd-Norwegen. Bei beiden entfällt
die Zunahme hauptsächlich auf die städtische Bevölkerung; das südlichere
Amt von beiden ist dabei etwa doppelt so dicht bevölkert als das nördlichere.
Die ländliche Bevölkerung, welche allerdings 71,8% und 63,1 % der Amts-
bevölkerung beträgt, zeigt nur 2,45, bezw. 0,002% Zunahme. Zu Söndre
Troudhjem gehört die günstig gelegene Stadt Drontheim (30,84% Zunahme8));
zu Stavanger aufser der Stadt Stavanger (27,79 % Zunahme) noch die
Städte Haugesund (Kjöbstad; 7935 E.), Egersund (Ladested; 3237 E.), Sand-
ncs (Ladested; 2670 E.), Skudeneshavn (Ladested; 1188 E.), Kopervik
(Ladested; 1000 E.) und Sogndal (Ladested; 425 E.). Söndre Trondhjem
hat 3,3 % Industrie- und Bergbaubevölkerung. Am Außenhandel war
Drontheim 1866 — 70 mit 6%, 1881 — 85 mit 5%%, 1891—95 mit 7%,
1898 mit 6%% beteiligt; 1898 hatte es an der Einfuhr für sich betrachtet
einen Anteil von 6,6%, au der Ausfuhr von 6,7 %3). Drontheims Handels-
flotte (an 15. Stelle) hatte 1898: 42 600 Tonnen Tragfähigkeit4); die In-
dustrie zeigt 1895 folgende Zahlen: 57 Betriebe mit 1794 Arbeitern und
489 700 Arbeitstagen, davon (von den Arbeitstagen) in der Maschinenindustrie
40 %•''). Das Amt Söndre Trondhjem hat auf 3,6% Äcker und Wiesen
41,6 % Ackerbau und Viehzucht treibende Bevölkerung; 9,8% betreiben
Fischerei. 30,6% des Areals erfüllen Wälder, 4% Binnengewässer, 62,8%
Snaufjeld u. s. w. Stavanger Amt hat 3,1 % Industrie- und Hergbanbevölkerung;
es hatte 1895 in der Stadt Stavanger 70 Betriebe mit 1412 Arbeitern und
310 600 Arbeitstagen aufzuweisen'5). Bezüglich der Einfuhr ist Stavanger
nächst Drontheim der wichtigste Ort (1898: 3,6%*)). Die Handelsflotte
zählt 1898: 69 Dampfer von 27 100 Tonuen, 366 Segler von 64 500
Tonnen Gehalt, zusammen 162 200 Touueu Tragfähigkeit (an vierter Stelle
unter den norwegischen Häfen)4). Haugesund steht mit 86 900 Tonnen Trag-
fähigkeit au 6. Stelle. Stavanger Amt hat 5,2% Äcker und Wiesen; darauf
1) O. Z. Bd. IV, lsits, B. 411.
*2) 1*93 wurden t> in ige Vorstädte eingemeindet; die Zahl für 1>"J1 nimmt Hück-
sicht auf diese Eingemeindung. Norway S. 105.
Norway S. 432. Ii Norway 8. 483. 5) Norway S. 3«J9— 400.
6) Norway 8. 899.
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Kleinere Mitteilungen. 521
50,4 % Ackerbau und Viehzucht betreibende Bevölkerung. Im Bezug auf
Ackerbau und Viehzucht steht das Amt an dritter, im Bezug auf Viehzucht
allein an zweiter Stelle im Königreich. Fischerei betreiben 3,3%, See-
fahrt u. s. w. 3,0%. Auf den Wald kommen 12,0%, auf Binnengewässer 5%,
auf Snaufjeld, Moore u. s. w. 77,8 °;0.
Etwa 7% Zunahme haben die drei nordsüdlich zu einander liegenden
Ämter, das süd-norwegische Küstenamt Bratsberg (7,34%) und die mittel-
norwegischen Binnenämter Buskerud (7,49%) und Christians (6,98%).
Buskerud hat 27,0%, Bratsberg 2«i%, Christians jedoch nur 5,4% städtische
llevölkerung, deren Zunahmezahlen 11,62, bezw. 10,79%, 26,33, bezw.
7,05%, und 92,58% betragen. Im Amte Buskerud liegen die Städte
Brammen (11,62 % Zunahme), Kongsberg (1900: 5585 E.), Höuefofs (1984 E.)
und Holmsbu (107 E.), letzteres Ladested. Von der Amtsbevölkerung ge-
hören 9,4% der Gruppe Industrie und Bergbau an. Drammen zählte 1895:
109 Betriebe mit 3140 Arbeitern und 746 400 Arbeitstagen und steht mit
der Zahl der Arbeitstage an vierter Stelle unter den norwegischen Städten1); »
seine Handelsflotte hatte 1898: 77 000 Tonnen Tragfähigkeit und stand an
siebenter Stelle. 72.5% der Amtsbevölkeruug ist ländliche Bevölkerung
und zeigt 6,06% Zunahme. Auf 4,1% Äcker und Wiesen kommen 41,7%,
Ackerbau und Viehzucht treibende. Der Wald bedeckt 33,5 % des Areals
und beschäftigt 2,7 % der Bevölkerung. 5 % des Areals kommen auf Binnen-
gewässer, 1% auf Schnee und Eis, 56,4% auf Snaufjeld, Moore und
Udmark.
Das Amt Bratsberg zählt die Städte Skien (20,33% Zunahme),
Knigerö (1891: 5753, 1900: 5223 E.), Porsgrund (1900: 4938 E.), Brevik
(2302 E.), Laugesund (1410 E.) und Stathelle (500 E.), letztere beiden
Ladestelleu. Skien und Porsgrund hatten 1895 40 industrielle Betriebe mit
2004 Arbeitern und 542 900 Arbeitstagen1). Die Handelsflotte von Pors-
grund (an 8. Stelle) hatte 1898: 57 500 Tonneu Tragfähigkeit, die von
Kragerö (an 13. Stelle) 47 300 Tonnen Tragfähigkeit8). 8,9% der Bevöl-
kerung des Amtes gehören der Industrie und dem Bergbau an. Die Be-
• völkerung der Landdistrikte, 74,0% der Amtsbevölkerung, etwas mehr als
beim Amt Buskerud, hat 4,95% Zunahme. Auf 2,5% Äcker und Wiesen
entfallen 39,0 % der Aintsbevölkeruug als zur Gruppe Ackerbau und Vieh-
zucht gehörig. 37,3 % Waldareal beschäftigen 4,0 % ih?r Bevölkerung. Auf
Hinnengewässer entfallen 7% auf Snaufjeld u.s.w. 53,2%. Das Amt Christians
schließlich hat die Städte ' ( Kjöbsta-der) Gjövik (1900: 3147 E.) und Lille-
hammer (3108 E.). 2,4% der Bevölkerung entfallen auf Industrie und
Bergbau. Die ländliche Bevölkerung beträgt 94,0 % und hat. eine Zunahme
von 4,32 %, sodal's die hohe Zunahme des geringen Prozentsatzes städtischer
Bevölkerung auf die Zunahme der Amtsbevölkerung nicht so sehr erhöhend
wirkt, 3,0% Äcker und Wiesen ernähren 51,1% Ackerbau- und Viehzucht
Treibende. In Ackerbau und Viehzucht zusammengenommen steht Christians
an 2. Stelle, an letzterer Erwerbsgruppe für sich genommen steht das Amt
an 5. Stelle. 21,3% Waldareal beschäftigt 1,8% der Amtsbevölkemug.
Binnengewässer nehmen 4%, Schnee und Eis 3%, Snaufjeld, Moore und
Udmark 08,1% des Areals ein. Dem über dem Iteiehsmittel stehenden
Prozentsatz an Äckern und Wiesen entspricht die Volksdichte nicht, wohl mit
11 Norway S. 3W. -1) Norway B. 433.
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522
Kleinere Mitteilungen
infolge des geringen Prozentsatzes an städtischer Bevölkerung (5,4 %) und
infolge der Eigentümlichkeiten des Binnenamtes.
Kine weitere («nippe von drei Ämtern hat etwa 6% Zunahme der
Aiutsbcvölkerung, nämlich die mittelnorwegischen Küstenämter Söndro
Hergen hus (5,56%) und Romsdal (6,33%) so«'ie das Binnenamt Hede-
marken (5,05%). Romsdal hat 18,7% städtische Bevölkerung mit zu-
sammen 20,23, bezw. 3,01% Zunahme und zwar in den Städten Aalesund
(38,85% Zunahme}. Hunstiansund( 16,01° „Zunahme) und Molde(1900: 1678E.).
Aalesund hatte 1898 (an 3. Stelle) einen Fischexport von etwa 5 Mill. Kr.,
Christiansund (an 2. Stelle) von etwa 8 Mill. Kr.'). Der wichtige, aber im
Ertrage sehr wechselnde Heringsfang zeigte beim Amte Romsdal folgende
Zahlen: 1886: 191 834 Kr., 1888: 872 146 Kr., 1H91: 2755 Kr., 1897
fan 5. Stelle): 102 787 Kr.2). Der Fischerei obliegen 6,6% der Amts-
bevölkerung (an 5. Stelle). Ackerbau und Viehzucht treiben 50,2% (in
Bezug auf beide, wie in Bezug auf Viehzucht für sich an 4. Stelle im Reich
stehend) auf 4,4% (Äckern und Wiesen) des Amtsareals. 16,6% Areal ge-
hören dem Walde, 2% den Binnengewässern, 2% dem Schnee und Eis, 75%
tiein Suaufjeld, Mooren und IM mark an. Die Küsteuherreder3) des Amtes
haben nach A. Heiland1) eine dreimal dichtere Bevölkerung als die Fjord -
herreder. Das Amt Hede marken hat in den beiden Städten (Kjöbstseder)
Hamar (1904): 6003 E.) und KongS vinger (1524 E.l nur 6% der Bevölkerung
in Städten wohnhaft, mit einer Zunahme von 37,35%. Die industrielle und
bergbautreibende Bevölkerung beträgt 2,3%. Die Landbevölkerung (94,0%)
zeigt 4,12% Zunahme. 47,2% der Bevölkerung (der fünfthöchste Betrag)
«liliegen dem Ackerbau und der Viehzucht auf 3,0% des Amtsareals an
Äckern und Wiesen. 40.2% Waldareal beschäftigen 4,7 % der Bevölkerung
(höchster Prozentsatz). 4% des Areals kommen auf Binnengewässer, 46,8 %
auf Suaufjeld. Moore und Fdinark. Auch bei Hedemarken entspricht die
Volksdichte (4,6 E. auf 1 qkm) nicht dem Prozentsatz des Acker- und
Wiesenlandes, aus ähnlichen («runden wie beim Amte Christians.
Sün. Ire Bergenhus sehliefslich , das die Stadt Bergen iimschlielsende
Amt, hat für sich genommen gar keine städtische Bevölkerung: dabei
6,1%, Industrie und Bergbau treibende Bevölkerung. Die ländliche, d. i.
hier also zugleich Amtsbevölkerung hat 5,06 % Zunahme. Mit der Stadt
Heigen würde die (iesimtzunahme 14,08 % betragen. Söndre Hergenhus mit
Hergen würde dann, au Zunahme dem Amte Tromsö gleich, au dritter Stelle
unter den Ämtern (abgesehen von Christiania und Bergen) stehen. Die an
der Küste liegenden Vogteien Söndhordland und Nordhordland haben eine
fast Imal, bezw. über 5 mal so grofse Bevölkerungsdichte als die Vogtei
Han lauger og Vofs, welche dem Fjord- und Biunculandtypus zugehört4).
Die Bevölkerungsbewegung 1891 — 1900 der ersteren beiden Vogteien beträgt:
:-l,43%, bezw. + 8,92%, die der letzteren -f 6,15%. Auf 3,1%, des
Areals entfallen Äcker und Wiesen mit einer Ackerbau und Viehzucht
treibenden Bevölkerung von 46,8 % ( an Viehzucht an 3., an Ackerbau und
Viehzucht an 6. Stelle unter den Ämtern). 3,7% der Bevölkerung obliegen
der Fischerei. 12,9% Areal nimmt der Wald, 3% Hinnengewässer, 5% Schnee
und Eis, 76%, Snaufjehl, Moore und Udmark ein.
1. Nnrwav S. 432. 2) Norway S. 367.
A Pas norwegische Hcrrcd etwa entsprechend «lein dänischen Sogn (Gemeinde).
4) Zitiert nach Magnus S. 375.
Kleinere Mitteilungen.
523
Die Stadt Bergen (34,45% Zunahme) zählte 1801: 18 127 E.1),
d. i. eine Zunahme 1801 — 1900 von 298,19%. Es nimmt als Industriestadt
(bes. Maschinen- und Textilindustrie) den 2. Rang ein (1895: 115 Betriehe
mit 4924 Arbeitern und 1 347 700 Arbeitstagen2)); seine Handelsflotte steht
an Tragfähigkeit an 1. Stelle unter denen der norwegischen Städte (1898:
235 Dampfer von 151 600 Tonnen Gehalt, 108 Segler von 7800 Tonnen
Gehalt, zusammen 553 700 Tonnen Tragfähigkeit 3)). Von Norwegens Aufsen-
handel entfielen auf Bergen 1866—70: 19%, 1881—85: 16%, 1891—95:
17% 1898: 15%; 1898 fielen 16,3% der Einfuhr des Reichs, 13,2% der
Ausfuhr auf dasselbe. An Fischexport steht es an erster Stelle mit 1898:
16 Mill. Kr.4).
Nur etwa 3% Zunahme haben die beiden südnorwegischeu Küstenämter,
das gutbevölkerte List er og Man dal (3,45 %)5) und das bereits dichtest-
bevölkerte Jarlsberg og Larvik (2,79%). Im Amte Lister og Mandal
kommen auf Ackerbau uud Viehzucht (au 7. Stelle) 46,5%, auf Fischerei
2,7 %, auf Seefahrt (an 3. Stelle) 6,K % der Bevölkerung. Äcker und Wiesen
nehmen nur 2,9% des Areals ein, Waldungen 25,7%, Binnengewässer 6%,
Snaufjeld u. s. w. 65,1 %. Neben 72,5 % ländlicher Bevölkerung wohnen 17,9 %
in gröberen, 9,6 % in kleineren Städten. Industrie und Bergbau betreiben 3,1 °/0
der Bevölkerung. Die Zunahme der Landbevölkerung betrügt nur 0,31%, die
der städtischen 13,68 und 11,16%. Die letztere wohnt in den beiden Kjüb-
sta'dern Christiansand (13,68% Zunahme; 1898 mit einer Handelsflotte von
48 100 Tonnen Tragfähigkeit an 12. Stelle)3} und Flckkefjord (1900:
2073 E.) und den beiden Ladcstedern Mandal (1900:3983 E.; 1898 mit einer
Handelsflotte von 16 000 Tonnen Tragfähigkeit an 14. Stelle)3) und Far-
sund (1900: 1717 E.). Die verhältnismälsig recht hohe Dichteziffer des
Amtes (11,2 E. auf 1 qkm) hat bei dem dagegen geringen Prozentsatz an be-
bauter Fläche (2,9 %) wohl in den seemännischen Berufen hauptsächlich mit
ihre Begründung. Jarlsberg og Larvik hat 35,1% seiner Bevölkerung
in Städten wohnhaft, nämlich in Larvik (5,30% Abnahme), Tönsberg
(1900: 8620 E.), Horten (Ladested; 8160 E), Sandefjord (4817 E.), Hol-
mestrand (2538 E.), Svelviken (Ladested; 12o3 E.) und Aasgaardstrand (Lade-
sted; 120 E.). Von ihnen steht Tönsberg mit seiner Handelsflotte (1898:
69 Dampfer von «>3 400 Tonnen (Sehalt, <6 Segler von 31 300 Tonnen Ge-
halt, zusammen 223 700 Tonnen Tragfähigkeit3») an 3. Stelle unter den
Häfen Norwegens; Sandefjords Flotte (an 10. Stelle) hatte 1898: 53 800
Tonnen Tragfähigkeit3). Jarlsberg og Larvik ist eines der wenigen Amter,
welche einen geringeren Prozentsatz höheren Gebirges haben. 23,1 % des
Areals (der höchste Prozentsatz) bedecken Äcker und Wiesen, 58,8% Wal-
dungen, 3% Binnengewässer und nur 11,8% Snaufjeld, Moore und Udmark.
Die Ackerbau und Viehzucht treibende Bevölkerung beträgt 32,2%; mit
Fischerei beschäftigen sich 2,7%, mit Seefahrt 13,2% (höchster Prozentsatz);
der Industrie uud dem Bergbau obliegen 5,7 %. Abgesehen von der Stadt
Larvik, welche 5,30% Abnahme zeigt, haben die kleineren Städte 16,39%
Zunahme, die Landbevölkerung (64,6%) jedoch 0,39% Abnahme.
Der Reihenfolge nach kommt hierauf das Amt Nordre Trondhjein als
südlichstes der Ämter Nord-Norwegens mit 2,59 % Zunahme der Gesamt-
1) Norway 8. lO.V 2} Norway S. 390. 3i Norway S. 433 4) Norway S. 432.
6) Vergleiche bei Magnus (S. 37"), nach A. Heiland t das Beispiel der Vogtei
Lister für die verschiedene Dichte der Küsten-, Fjord- und Binncn-Ucrrcdcr.
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ä^4
Kleinere Mitteilungen
bevölkerung. Die nur 7 % betragende städtische Bevölkerung bat 26,52 %
Zunahme, die ländliche (93%) nur 1,15%. Auf 2,7% Äcker und Wiesen
sind 4ö,4 % Ackerbau und Viehzucht treibende Bevölkerung beschilftigt.
Beide Erwerbsgruppen nehmen die 8., die Viehzucht Nordre Trondhjems für*
sich nimmt die t». Stelle den entsprechenden Gruppen der andern Amter
gegenüber ein. 22,7% des Areals bedecken Waldungen, welche 1,3% der
Bevölkerung Beschäftigung geben. Der Fischerei obliegen 4,4%, 1,3% der
Seefahrt, 2,(5% der Industrie und dem Bergbau. Auf Binnengewässer ent-
fallen 6% auf Snaufjeld u. s. w. (i8.G %. Im Amte Nordre Trondhjem liegen
die Städte Namsos (Ludested; 1900: 2287 E.), Stenkjier (Ladested; 2039 E.)
und Lcvanger (Kjöbstad; 1538 E.).
Tabelle IV.
Ii
?i
BCTdllwnag (a
m 3 Desembei isoo)
ls
Ämter
der Städte mit (1900)
11
de« Amtes
der Landdi.trikte
<= 100 "„)
Uber 10000 Ktnw
unter lOOOOKinw.
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I
1
Christiania (Stadt) ..
225 cm
225 686
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2
72171»
72179
100
s
116118
3356
2,9
111757
97,1
4
151537
6220
4.1
145317
95,9
5
74 2%
6955
9,4
67 341
90,6
«5
130298
20 509
1Q,5
15829
11,6
939G0
68,9
7
Finmarken
32735
680«
20,8
25927
79,2
8
Söndre Trondhjem . .
135133
38156
28 2
96977
71.8
0
1271112
30541
24,0
16 455
12,9
801 '.»6
63,1
10
111608
88091
20,5
7 976
7,0
81541
72,5
1 1
«18 788
11343
11,5
14373
14,5
73072
74,0
12
115G15
6 255
5,4
109 360
94,6
1»
Homsilal .
135 899
23 715
17,5
167H
1,2
110 506
«1,3
14
125856
7 527
6,0
11« 329
94,0
15
Söndre Bergenhus . .
135 337
135337
100
16
Linter og .Maiulal . . .
Hl 454
14506
17,9
7 «03
9.6
59085
72,5
17
Jarlsbcrg og Larvik .
103 772
10664
10,3
26088
25,1
67 020
64,6
18
Nordre Trondhjem . .
83 34 4
5 «64
7,0
77 4SO
93,0
l'.l
Nordre Bergenhus . .
hg 048
937
14
«son
9«, 9
20
Ncdenea
79605
13 957
17.5
65 64«
82,5
Norwegen
2 2313«»:)
176450
8 1,4
14.HOS1
6,6
1 606 864
72,0
Das Amt Nordre Bergenhus, sowohl an Dichte als auch an Be-
völkerungszunahme hinter den nördlich und südlich von ihm liegenden beiden
Ämtern zurückstehend, hat nur 1,5',»% Zunahme der Amtsbevölkerung, 1,30%
Zunahme der 98,'.» % betragenden ländlichen Bevölkerung, 40,06 % Zunahme
der jedoch nur 1,1 % der Bevölkerung erreichenden städtischen Bevölkerung,
welche sieh in der Ladested Florö (1900: 937 E.) konzentriert. Es kommen
auf Snautjeld, Moore und Udmark 74,0% und auf Schnee und Eis 9%
(Jostedalsbne, Aalfoteubne, Jotunheim), auf Binnengewässer 3 %, auf Wald
11,9%, sodal's nur 2,1 % des Areals für Acker und Wiesen bleiben. Die
Bevölkerung betreibt zu 54,7 % Ackerbau und Viehzucht ( höchster Prozent-
satz); die Viehzucht, ist in Nordre Bergenhus so stark entwickelt, dafs das
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Kleinere Mitteilungen. 525
Amt hierin an erster Stelle im Reich steht (daher die hohe Prozentzahl für
die (trappe Ackerhau und Viehzucht trotz des geringen Acker- und Wiesen-
Areals). Der Fischerei ohliegen 4,0 %. Auch im Amte Nordre Bergeuhus
verteilt sich die Bevölkerung hauptsächlich auf die Küstenvogtei (Sönd-og
Nordfjord), weniger auf die Fjordvogtei (Sogn), welche eine etwa hall) so
dichte Bevölkeraug hat als erstere1).
Das letzte an Zunahme iu der Reihe der Ämter ist das süd -norwegische
gehirgige Küstenamt Nedenes mit 1,77 % Abnahme der Amtshevölkerung.
Ländliche sowohl als städtische Bevölkerung nehmen ah. Letztere ist mit
17,5% in Städten mit unter 10 000 E. vertreten. Es sind dieses die Städte
Arendal (1900: 4370 E.; vom 1. Jan. 1902 ah durch die Gemeinde Barhu mit
1900: 0785 E. vcrgröfsert2)), Österrisör (1900: 3195 E.; seit 1. Jan. 1901
durch eineu Teil der Gemeinde Söndeled vergrößert1)), Grimstad (3036 E.),
Tvedestraud (Ladested; 1706 E.) und Lillesand (Ladested; 1350 E.). Arendal
nimmt die 5. Stelle an Tragfähigkeit seiner Handelsflotte ein (1898:
23 Dampfer von 8100 Tonnen Gehalt, 180 Segler von 88 300 Tonnen
Gehalt, zusammen 117 400 Tonnen Tragfähigkeit)3). Grirastads Handelsflotte
sieht an 9. Stelle mit 56 200 Tonnen Tragfähigkeit 3). In Nedenes Amt ist
die Küstenvogtei Nedenes etwa 9 mal so stark bevölkert als die Binnenvogtei
Sa-tersdalen 1). Acker und Wiesen sind nur 1,4 % mit 26,6 °/0 Ackerbau
und Viehzucht " treibender Bevölkerung da. 37,0 °/0 des Areals bedecken
Wälder, 6 % Binnengewässer, 55,6 % Snaufjeld u. s. w. Die Waldungen
beschäftigen 3,5% der Bevölkerung (dritthöchster Prozentsatz), Fischerei 1,2%,
Seefahrt (an 2. Stelle) 11,7%, Industrie und Bergbau (an 5. Stelle) 8,3%.
Die starke Abnahme der südwestlichen Ämter schreibt Magnus4) dem Rück-
gang der Segclsehiflahrt und des HolzschitTbaues zu. Dafs diese Erwerbs-
zweige von grofser Wichtigkeit z. B. für das Amt Nedenes sind, geht ans dem
Verhältnis der ziemlich hohen Volksdichte (8,5 E. auf 1 qkm) zu den ge-
ringen Zahlen der Acker und Wiesen (1,4 %), der Ackerbau und Viehzucht
treibenden Bevölkerung ( 26,6 %) u. s. w. deutlich hervor.
Zum Schlufs seien noch die Zählungsergebnisse des 19. Jahrhunderts für
ganz Norwegen zusammengestellt (rechtliche Bevölkeraug)"):
15. Aug. 1769 727 600 E.
1. Febr. 1801 883 038 „
30. April 1815«) 885 431 „
27. Nov. 1825 1051 318 „
29. Nov. 1835 1 191 827 „
31. Dez. 1845 1 328 471 „
31. Dez. 1855 1 490 047 E.
31. Dez. 1865 1 701 75(5 „
31. Dez. 1875 1 813 424 „
1. Jan. 1891 2 000 917 „
3. Dez. 1900 2 231 395 „
Die Zuuahme der Reichsbevölkerung 1801 — 1900 beträgt 152,69 %
Für die natürliche Volksvermehrung in Norwegen wären noch die Zahlen für
die Auswanderung hinzuzuziehen. Dr. Karl Neukircb.
1) Zitiert nach Magnus S. 375. 2i Forel0bige Resultater S. 20.
3) Norway S. 433. 4) G. Z. Bd. IV, 1*J8, S. 411.
:>) Norway S. 86—87; vergl. auch S. lOSff.
6) Wahrscheinlich zu niedrig; Norway S. KG.
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526
Geographische Neuigkeiten.
Geographische
Zusammengestellt von
Allgemeines.
* Die höchste jemals auf einer
Luftballon fahrt erreichte Höhe von
über 10 300 m erreichten die beiden Luft-
achitfer vom kgl. meteorologischen Institut
zu Berlin Prof. Berson und Dr. Süring
bei einem Aufstieg am 81. Juli mit einem
«4<>o cbm Gas fassenden Ballon, wodurch
die von Berson am 5. Dezember 1894
bisher im bemannten Ballon erreichte
höchste Höhe von 9156 m beträchtlich
übertreffen wurde. Die Fahrt begann am
81, Juli vormittags 1» Uhr f>0 Min. bei
schwachem Winde, so dafs der Ballon
wenig abgetrieben wurde und gegen
C'/4Uhr abends bei Briesen unweit Kott-
bus landen konnte. Bis zu 9000 m war
«las Befinden der Leiden Forscher durchaus
normal, und Iiis zu 10 250 m Höhe Helsen
sich regelmiifsige Beobachtungsreihen,
welche alle meteorologischen Instrumente
umfal'sten, durchführen, obgleich sich
schnell vorübergehende Bewufstseinsatö-
rungen zeigten Als bald darauf der eine
der Teilnehmer wiederum einschlummerte,
ohne sofort wieder erweckt werden zu
können, gelang es dem anderen, den
Ballon durch Ventilziehen zum Abstieg
zu veranlassen; dabei wurde noch ein
Barometerstand von 202 mm abgelesen,
was einer Höhe von 10 300 m entspricht
Da der Ballon sich noch im Anstieg be-
fand, dürfte er diese Höhe noch um einige
hundert Meter überschritten haben. Bei
«ler Anstrengung des Ventil/.iehens wurde
auch der zweite Teilnehmer ohnmächtig.
Aus diesen schweren Ohnmachtaanfällcu
erwachten beide Korscher ziemlich gleich-
zeitig erst nach drei Viertel bis einer
Stunde, als der Ballon sich etwa 5000 m
hoch befand. Unter gesteigerter Sttuer-
stotfatmung kehrte das Bcwul'stscin bald
völlig zurück, aber ein Gefühl grol'ser
Schlaffheit, das bis nach der Landung
andauerte, erschwerte die Thätigkeit sehr; |
trotzdem wurde der Abstieg langsam und
stufenweise durchgeführt und der Ballon
glatt gelandet. Bei 3800 m zeigte das
Thermometer den Gefrierpunkt an, bei
10-250 m wurde eine Temperatur von
— 40* C. abgelesen. Für die Erforschung
Neuigkeiten.
Dr. August Fitzau.
des Luftmeeres werden die auf dieser
denkwürdigen Ballonfahrt in bisher noch
unerreichten Höhen gemachten Beobach-
tungen gewifa von gröfstem Nutzen sein.
Europa.
* Zur Anstellung von Seiches-
beobachtungen am Madüsee hat die
kgl. preufs Akad. der Wissenschaften
zu Berlin in ihrer Sitzung am 13. Juni
dem Oberlehrer Dr. W. Halbfafs in Neu-
haldensleben 1000 JC bewilligt.
* Gletscherforschung in Frank-
reich. In Ergänzung eines früheren
Berichtes in diesen Blättern kann ich
mitteilen , dafs die am internationalen
alpinen Kongrefs in Paria im Vorjahr
angeregte Gründung einer französischen
Gletscherkommission zur Thatsache ge-
worden ist. Unter dem Vorsitze des
Prinzen Roland Bonaparte, mit Joseph
Vallot als Vizepräsident und Charles
Kaimt als Sekretär, hat sich eine solche
Kommission unter Patronat des franzö-
sischen Alpenklubs gegründet.
Ihr Zweck soll sein:
1) Die Beobachtungen über die
Gletscherschwankungen in Frankreich zu
sammeln und darüber an die internationale
Gletscherkommission zu berichten.
2) Studien an den französischen
Gletschern anzuregen.
3) Die Kenntnisse von den Gletschern
zu verallgemeinern und das grofse Pub-
likum dafür zu interessieren.
Ferner ist eine Preisauaschreibung be-
absichtigt. Es sind zwei Themen in Aus-
sicht genommen:
1) Studie über einen Gletscher
des französischen Gebietes; Lage,
geologische Beschaffenheit der Umgebung,
Klima, Einzugsgebiet, Moqdiomctrie,
Schneegrenze; jetziges und früheres Ver-
halten. Ferner Abschmelzungen, alte
und neue Moränen, Natur ihres Materials,
Abflufsmengeu des Baches. Die Arbeit
mufs mit Plänen , Profilen und neuen
Photographien ausgestattet sein.
2) Studie über die Lage der
Schneegrenze in einem Gebirg«-
stock Frankreichs. Diese Studie soll
Geographische Neuigkeiten.
527
sich auf neue Höhenmessungen stützen
und soll nicht auf Kompilation, sondern
auf Beobachtungen beruhen. Der Treis
beträgt 300 Fr.; Ablieferung bis 31. De-
zember 1«J03.
Eb ist sehr erfreulich, dal» wir uun
aus Frankreich, das so grofse und inter-
essante Gletschergebiete besitzt, aufregel-
miifsige Berichte über die Glctacher-
sch wankungen hoffen dürfen. Denn Be-
obachtungen, welche nur in so langen
Terminen gesicherte Resultate versprechen,
benötigen einer Organisation, Welche sie
fiher die Lebensdauer oder Arbeitslust
einzelner Forscher hinaus sicherstellen.
E. Richter.
Asien.
* Von Sven Hedin sind wiederum
Nachrichten eingegangen, die einen sehr
günstigen Verlauf seiner größten zentral-
asiatischen Forschungsreise erkennen
lassen. Der von Tjarkhlik, den 27. April
datierte Bericht lautet: „Meine letzte
Exkursion, die vier Monate dauerte, war
die günstigste, die ich bisher ausgeführt
habe. Ich habe eine Menge neuer wich-
tiger Entdeckungen gemacht und unge-
fähr 170 schwedische Meilen durch völlig
unbekannte Gegenden Asiens zurückgelegt,
ao dafs fast jeder Tag Neues brachte.
Mit einer Karawane von 11 Kamelen,
10 Pferden und 1) Mann verliefs ich das
Hauptlager bei Tjimentag. Nach einem
kurzen Besuche beim See Ghas über-
sehritten wir die mächtige Gebirgskette
Astintag und begaben uns dann nach
dem Distrikt Sisting, der von Mongolen
bewohnt wird. Dann ging die Reise
durch die grofse Gobi -Wüst*;, wo wir
zwölf Tage hindurch keinen Tropfen
Wasser fanden, bis wir emilich die Quelle
Altimisch erreichten. Hier fanden wir
drei Dörfer mit Ruinen von Häusern,
Tempeln und hohen Türmen, nebst meh-
reren chinesischen Manuskripten, die, wie
ein Chinese, dem ich sie zeigte, erklärte,
800 Jahre alt sind. (In einem Briefe an
seinen Verleger F. A. Brockhaus be-
merkt Hedin hierzu noch: Besonders
interessant ist die l'ntersuchung der alten
chinesischen und mongolisch -buddhisti-
schen Ruinenstätteu gewesen, die ich am
nördlichen Ufer des alten ausgetrockneten
Sees Lop-uor entdeckte und wo ich jetzt
sogar mehrere Manuskripte und andere j
Inskriptionen fand.) Dann folgte eine
wichtige Arbeit: das Nivellement des Sees
Kara-Koschun. Die Strecke ist NO km
lang und führt durch eine ganz öde Wüste.
Doch verlief alles günstig, und das Re-
sultat bestätigt meine früheren Behaup-
tungen von dem „wandernden" See und
seiner Hydrographie. In der kleinen Stadt
Tjarkhlik fand ich die Hauptabteilung
der Karawane wieder. Wahrend der
letzten neun Monate war kein Echo von
der äufseren Welt in diese einsamen
Gegenden eingedrungen. Selbst von der
Boxerbewegung hatte ich keine Ahnung.
Es war mir eine grofse Freude, meine
zwei alten Kaschgarkosakeu , die auf
Befehl des Zaren zu meiner Verfügung
gestellt wnrden, wieder zu treffen. Ich
habe nun eine Eskorte von vier Kosaken,
eine in diesen Gegenden bedeutende
Stärke. Sie sind ausgezeichnet diszi-
pliniert, tüchtig und zuverlässig. Auch
sind sie gewaltige Jäger, so dafs es uns
an Wild nie mangelt. In Tjarkhlik haben
wir die gröfste Karawane, die ich je
gehabt, ausgenistet, sie besteht aus 3* Ka-
melen, 24 Pferden, 7 Mauleseln, 70 Eseln,
20 Musulmaneu, 4 Kosaken und 2 Lamas,
die in Tibet als Dolmetscher fungieren
sollen. Das wird ein stattliches Gefolge
sein. Wir reisen in acht Tagen und gehen
quer durch das Hochland Tibets, bis wir
die Quellen des Indus erreichen, wo ich
wahrscheinlich überwintern werde. Viel-
leicht besuche ich erst Indien. Weun der
Schnee geschmolzen sein wird, gehen wir
nach Kaschgar, wo die Karawaue aufge-
löst wird und von wo aus ich die Heim-
reise antrete. Diese Reise durch Tibet
wird nicht leicht sein. Ich mufs darauf
vorbereitet sein, dafs die Hälfte der Kara-
wane verloren geht, ich kann aber sagen,
dafs eine so gut ausgerüstete Karawane
nie in dieses Land eingedrungen ist. In
geographischer Beziehung wird es ein
schöner Abschlufs dieser Reise sein, diu
bereits so glänzende Resultate ergeben
hat. Das wissenschaftliche Material wird
grofse Arbeit erfordern. Ich habe schon
730 Karten ausgearbeitet."
Afrika.
* Die Grenzen Erythrüas. Der
französische Botschafter in Rom Barrere
Qnd der italienische Minister der aus-
| wärtigen Angelegenheiten Prinetti haben
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f>28
Geographische Neuigkeiten.
das Protokoll unterzeichnet, welches in
Ausführung des Grenzbestimmungsver-
trages vom 24. Januar 1900 endgütig
die faUMÖMBch-itulienisehe Grenzlinie in
der Küstenregion des Koten Meeres fest-
setzt. Somit ist endlich der sogenannte
Zwischenfall von Kaheita, der vor drei
.Jahren so viel Staub aufwirbelte, aus der
Welt geschafft. Nach diesem französisch-
italienischen Abkommen reicht das
italienische (Jehiet vom Koten Meere mit
seiner südlichen Grenze bis Kau Dumcira,
so dafs den Italienern Raheita verbleibt.
Zugleich wird im Auftrage desMinisters
«ler auswärtigen Angelegenheiten in Kürze
die Societä geograhca italiana eine neue
Karte der italienischen Besitzungen in
Afrika nach den neuesten übereinkommen
mit England und Äthiopien veröffent-
lichen. Die Kegiemng ist zu diesem Ent-
schlüsse gekommen, um alle irrtümlichen,
die Wissenschaft und den Handel schä-
digenden (irenzbestimmungen fremder
Kartographen zu verhüten. Die neue Karte
wird den Abgrenzungen gegen den Sudan
und gegen Tigre Rechnung tragen um!
die durch das Protokoll Rudini-Dutferin.
durch welches 18'J1 die KinHufszonen
Italiens und Englands in Ostafrika ver-
teilt, wurden, festgesetzte Demarkations-
linie angeben. B.
+ Zur Ausbeutung der reichen Gold-
minen in den westlichen Galla-
ländern ist in Antwerpen unter dem
Namen Wallega - Goldminen - Gesellschaft
ein neues Unternehmen gegründet worden
König Menelik hatte die Konzession dem
Ingenieur Alfred Ilg verliehen, und es
sind zumeist italienische Kapitalien, welche
in diese nunmehr von Ilg ins Leben ge-
rufene Wallega - Goldmiuen - Gesellschaft
eingelegt wurden. Für die Gewinnung
von Gold-, Silber- und anderen Erzen hat
die Gesellschaft auf fünfzig Jahre ein
ausschliefsliches Vorrecht, es ist ihr auch
anheim gegeben, Eisenbahnen zu bauen,
Kanäle anzulegen, Strafsen und Telegra-
phen herzustellen, und sie geniefst für
das hierzu erforderliche Material, sowie
für Pulver und Dynamit volle Zollfreiheit.
Dem König Menelik hat sie acht Prozent
der Er/ausbeute abzustatten. Die Dauer
der in Antwerpen gegründeten Gesellschaft
ist auf dreifsig Jahre festgesetzt. Sie
wird auch industrielle, kommerzielle und
landwirtschaftliche Aufgaben betreiben
und sich die Begünstigung von Unter-
nehmungen angelegeen sein lassen, die
sich in den bezeichneten Gebieten mit
Strafsenbau und Warentransporten be-
fassen. Für die kulturelle Erschliefsung
Abessiniens verspricht also die neuee-
gründetet« Gesellschaft von besonderer
Wichtigkeit zu wer.len.
Polarregionen.
* Von dem Nordpol fahrer Bauen-
dahl, der im vorigen Jahre mit nur fünf
Begleitern auf dem kleinen Segelschiff
„Matador" nach Norden aufbrach, um den
Nordpol zu erreichen, sind jetzt durch
den Hamburger Schnelldampfer ..Auguste
Viktoria" die ersten Nachrichten zu uns
gelangt. Dieser eine Vergnügungstour
nach Spitzbergen ausführende Dampfer
erhielt in der Adventbai am 14. Juli
durch «las norwegische Fangschiff,. Marth"
einen Brief Baueridahl's, worin dieser
mitteilt, dals er auf der Dänen -Insel in
Pike's Haus, welches bereits auch Andree
bewohnt hat, überwintert habe, und nuu
um Proviant und sonstige Ausrüstungs-
gegenstände bittet. Die „Auguste Vik-
toria" gab diesem Ersuchen Folge und
übernahm auch noch die Post, sowie
verschiedene Jagd- und wissenschaftliche
Geräte der Expedition. Wie aus dem
Briefe des weiteren hervorgeht, gedachte
Bauenduhl zunächst die Ostküste Grön-
lands zu erreichen zu suchen und von
hier aus mit nur einem norwegischen Be-
gleiter nordwärts vorzudringen. — In der
Adventbai nahm die „Auguste Viktoria"
den Professor Rosen von der schwedischen
Gradmessungsexpedition, sowie fünf nor-
wegische Fischer, die im Eisfjord über-
wintert hatten und reiche Jagdbeute mit-
brachten, au Bord und brachte sie nach
nur dreitägiger Fahrt nach Digennulen.
* Die Nordpolarhilfsexpcdition
des Kapitäns Stökken (s. S. 228),
welche nach den drei Verschollenen der
Expedition des Herzogs der Abruzzen
forschen wollte, ist nach Untersuchung
der Südküste von Franz Josefs -Land
wieder in Norwegen eingetroffen. Von
den tlrei Verunglückten wurde keine Spur
gefunden. Pas vom Herzog zum Andenken
an seine drei verschollenen Gefährten
gestiftete Denkmal wurde auf Kap Klora
errichtet.
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Geographische Neuigkeiten.
529
* Von den beiden geplanten nord-j
amerikanischen Nordpolexpedi-
tionen ». S. 350) kommt die von
Wellmann geplante, in diesem Jahre
wegen Krankheit des Leiter» nicht zur
Ausführung. Da« Programm der anderen,
die vom amerikanischen Mäcen Ziegler
ausgerüstet worden ist und von Prof.
.Haldwin geleitet wird, hat gegen früher,
wo nur die Erreichung des Nordpols als
einziges Ziel der Expedition ins Auge
gefafBt war, eine wesentliche Erweiterung
erfahren, sodafs hei der reichen Aus-
rüstung der Expedition auf eine bedeutende
wissenschaftliche Ausbeute zu rechnen
ist, zumal Baldwin, welcher selbst Mete-
orolog ist, von einer Reihe von Fach-
leuten auf dem Gebiete der Geologie,
des Erdmagnetismus und der beschreiben-
den Naturwissenschaften begleitet ist.
Diese Expedition verfügt über drei Schiffe,
über das Hauptschiff „Amerika", das
am '24. Juli von Archangcl, wo 400
Schlittenhunde und 15 Ponies an Bord
genommen wurden, nach Norden in See
gegangen ist; in seiner Begleitung be-
findet rieh der Dampfwaler „Frithjof",
welcher die Vorräte und Ausrüstungen
nach Franz Josefs -Land bringen und
dann im dortigen Gewässer durch Robben-
und Walrofsjagd Futter für die grofse
Hundeschar beschaffen soll. Das dritte
Schiff, das ehemalige Expeditionsschiff
der belgischen Südpolexpedition „Belgien",
soll an der Ostküstc von Grönland zwei
grofse Depots errichten, da es in der Ab-
sicht Baldwin's liegt, nach der Über-
winterung auf Franz Josefs -Land eine
Schlittenexpedition mit 30 Mann, 300
Hunden und den Ponies nach Norden
anzutreten und die Expeditionsmitglieder
in einzelnen Abteilungen allmählich zu-
rückzusenden, um zuletzt mit nur drei
bis sechs Begleitern den letzten Vorstofs
zum Pole zu unternehmen und sich dann
nach der Oatküste von Grünland zu
wenden, wohin ihn die durch das Polar-
becken führende Strömung wahrscheinlich
treiben wird.
* Die deutsche Südpolexpedition
hat an Bord der ,,Gaufs" am 11. August
vormittags von Kiel aus die Ausreise an-
getreten. Die amtliche Entlassung der
Expedition erfolgte durch den Unterstaats-
sekretär Rothe und Geh. Regierungs-
rat Lewald im Beisein eines kleinen
Kreises Geladener. Nach einer längeren
Ansprache des rnterstaatssekretürs, in
der er die besten Wünsche für das Ge-
lingen der Expedition zum Ausdruck
brachte, erwiderte der Leiter der Expedi-
tion, Prof. v. Drygal sk i . dafs die Expedi-
tion in der sicheren Zuversicht auf wissen-
schaftlichen Erfolg und in der Hoffnung
auf frohes Wiedersehen scheide, und
brachte ein dreifaches Hurrah auf den
Kaiser aus. Darauf fuhr die „Gaufs"
langsam der Kanalmündung zu, um durch
den Kanal zunächst bis nach Brunshausen
auf der Unterelbe zu dampfen, woselbst
das Seefeststauen der zuletzt in Kiel an
Bord genommenen Instrumente und Vor-
räte, tingehindert von Besuchern, ge-
schehen soll. Dann erst soll auf St. Vin-
cent (Cap Verde- Inseln) der erste Aufent-
halt genommen werden, was auf Ascension
und St, Helena wiederholt werden soll.
Ein kaiserlicher Erlafs aus Gudwangen
an Bord der „HohenzoUern" vom 18. Juli,
der den Prof. Erich v. Drygalski zum
Leiter der Expedition bestimmt, besagt
aufserdem: Die Expedition hat im August
Kiel zu verlassen und sich nach Kerguelen
zu begeben. Dort hrt eine magnetisch-
meteorologische Station zu errichten.
Alsdann ist die Fahrt nach Süden hin
fortzusetzen. Als Forschungsfeld gilt die
indisch -atlantische Seite des Südpolar-
gebietes. Falls die Erreichung eines
Südpolarlandcs gelingt, ist, wenn an-
gängig, auf demselben eine wissenschaft-
liche Station zu gründen und thunlichst
während eines Jahres zu unterhalten.
Die Rückkehr ist nach Bestimmung des
Expeditionsleiters im Frühjahr 1003 oder
spätestens im Frühjahr 1904 anzustreben.
* Die englische S üdporalexpe-
dition hat fast gleichzeitig mit der
deutschen die Heimat verlassen. Nach-
dem die ,, Discovery" am 30. Juli die
Themse verlassen hatte, ging sie mch
Spithead, wo die Ausrüstung vollendet
wurde. Am 5. August wurde das Schiff
vom britischen Königspaar in Begleitung
des Kommandanten der früheren „Dis-
covery", Vizeadmiral Sir Henry Stephenson,
besichtigt und am f». August trat das
Schiff unter Robert F. Scott's Führung
die Ausreise an. Nach den bisher be-
stehenden Anordnungen wird dieExpedition
zunächst Melbourne anlaufen und nach
Ergänzung der Vorräte diesen Hafen am
Geographische Zeitschrift. 7. Jahrgang. l»01. J). Heft.
30
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530
Geographische Neuigkeiten.
15. November wieder verlausen, um die
Reise in das eigentliche Forschungs-
gebiet anzutreten, wo man etwa Mitte
Januar li)02 mit den Untersuchungen zu
beginnen gedenkt. Die Gesamtzahl der
am Bord befindlichen Personen betragt
48, die sich aus einem wissenschaftlichen
Stab von Ärzten, Zoologen, Botanikern,
Geologen , einem Chemiker und einem
Astronomen , und einer ausgesucht
tüchtigen, mit den Südpolarverhältnissen
vertrauten Besatzung zusammensetzt, Die
Expedition führt Proviant für eiuen Zeit-
raum von drei Jahren mit sich; aufser-
deni ist noch ein Ersatz der vorhandenen
Vorräte durch ein besonderes Verprovian-
tiemngsschiff in Aussicht genommen, das
im Jahre 1903 der „Discovery" folgen soll.
* Der Stand der geplanten Süd-
polarexpeditionen ist in dem Augen-
blicke, wo die deutsche und die englische
die Ausreise antreten, folgender: In Kürze
geht eine argentinische Expedition
unter dem argentinischen Sehitfsleutnant
Horacio Balve nach Staten Island, um
dort eine Station zu errichten, die nach
dem schon mitgeteilten magnetisch -
meteorologischen Programm dort Beob-
achtungen vornehmen wird. Die schwe-
dische Expedition unter Leitung von
Dr. O. Nordenskjold wird Ende Sep-
tember die Ausreise auf der „Antarktic"
antreten: wissenschaftliche Teilnehmer
der Expedition sind: Dr. A. Ohlin und
Dr. Andersson für Zoologie, Dr. Bod-
man für Hydrographie und Meteorologie,
Dr. Ekelöf als Schiffsarzt, während
Dr. Nordenskjold die tojiographischen und
geologischen Aufnahmen selbst über-
nommen hat. Auf die Mitwirkung dieser
schwedischen Expedition wird besonderes
Gewicht gelegt, da sie namentlich in geo-
graphischer Beziehung die Arbeiten der
deutschen Unternehmung ergänzen und
unterstützen könnte; denn das Arbeitsfeld
der schwedischen Expedition, das Gebiet
östlich vom Grahamland, das Weddellmeer,
gehört eigentlich noch zum Arbeitsfelde
der deutscheu Expedition, doch wird sie
sich ihm erst i. J. 1U03, kurz vor der
Heimkehr und jedenfalls nur wenige
Wochen widmen können. Nordenskjold
beabsichtigt, entweder auf Grahamland
zu überwintern und das Schiff zurück zu-
senden, oder mit dem Schiffe möglichst
weit südwärts vorzudringen und dann erst.
weitere Entscheidungen zu treffen. Die
schottische Expedition, die ebenfalls
für dieses Jahr geplant war, ist noch weit
zurück, da die Kosten der Unternehmung
(700 000 M) noch längst nicht gedeckt sind.
Zum Führer war Bruce bestimmt, das Ziel
ebenfalls das Weddellmeer, vielleicht wird
diese Expedition überhaupt so lauge ver-
schoben, bis die Erfolge der jetzigen Expe-
ditionen sich übersehen lassen, um dann
an geeigneter Stelle einzusetzen und die
gemachten Erfahrungen auszunützen.
Geographischer Unterricht.
Geographische Vorlesungen
an den J.mtschsprachigt'ii Universitäten und tech-
nischen lluchschuleii im Wintersemester 1001 /o2.
Deutsches Beich.
Berlin : o . Prof. v. R i c h t h o f e n : Geo -
graphie von Ostasien, 3 st, — Kolloquium,
2st. — o. Prof. Sieglin: Erklärung von
Avien's Ora Maritima (Geographie von
Spanien und Gallien), 2 st. — Übungen,
2 st. — Pd. Kretschmer: Geographie von
Frankreich, Ist, — Pd. Meinardus: All-
gemeine Meereskunde, 2 st,
Bonn: o. Prof. Rein: Geographie
Asiens, 4 st. — Seminar, 2 st. — Pd. Prof.
Philippson: Ozeanographie, 2 st. —
o. Prof. Elter: Geschichte der antiken
Geographie bis zur Entdeckung Amerikas,
2 st.
Breslau: o. Prof. Partsch : Allgemeine
Klimatologie, 3 st, — Geographie der
Mittelmeerländer, 3 st. — Übungen, 2 st,
— Pd. Leonhard: Geographie von Süd-
amerika, 2 st.
Erlangen: a. o. Prof. Pechuel-
Lösche: Physische Geographie, 4 st. —
Übungen, 2 st.
Freiburg i. Br.: o. Hon. -Prof. Neu-
mann: Allgemeine Erdkunde 1,4 st. — Geo-
graphie des Weltverkehrs und der Welt-
wirtschaft, 2 st. — Die deutschen Kolonien,
lBt. — Übungen, l'/f st. — Kolloquium. —
Anleitung zu selbständigen Arbeiten.
Giefsen: a. o. Prof. Sievers: Ein-
leitung in das Studium der Geographie,
1 st. — Übungen über Hilfsmittel und
Methoden der geographischen Wissen-
schaft. 2 st. — Geographie von Südamerika.
4 st. — Geographie des Weltverkehrs und
Welthandels, Ist,
Göttingen: o. Prof. Wagner: Geo-
graphie von Asien, 4 st. - Kartographi-
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I
Geographische Neuigkeiten.
scher Kur« für Anfanger, 2st. — Übungen'
für Fortgeschrittene, 2 st. — Repetito- j
rium, Ist.
Greifswald: o. Prof. Crodner: All-
gemeine Morphologie der Erdoberfläche,
3 st. — Übungen, Ist. — Demonstratio-
nen, Ist.
Halle: o Prof. Kirchhoff: Europa
(auiscr Mitteleuropa), 4 st. — Neuere Er-
gebnisse der Erd- und Völkerkunde, Ist.
— Kepetitorium über Länderkunde, Ist.
— Übungen, Ist. — Pd. Prof. Ule: Landes-
kunde von Deutschland, 2 st. — Über
Kartenzeichnen und Mittel zum geogra-
phischen Unterricht, Ist. — Pd. Prof.
Schenck: Wirtschaftsgeographie, 2 st.
Heidelberg: a. o. Prof. Hettner:
Allgemeine Geographie, I. Teil, 4 st. —
Wanderungen auf der Erdoberfläche, Ist.
— Üt Hingen, 2 st.
Jena: a. o. Prof. Hove: Geographie
von Afrika, 3 st. — Die Vereinigten Staaten,
IbI. — Übungen, 2 st.
Kiel: o. Prof. Krümmel: Allgemeine
Geophysik, Meteorologie und Ozeanogra-
phie, 4 st. — Geographie der deutschen
Schategebiete, 2 st. — Kolloquium, Ist.
— Arbeiten im Institut.
Königsberg: o. Prof. Hahn: Ge-
schichte der Entdeckung und Eroberung
Amerikas, Ist. — Allgemeine Stuateukundu
und politische Geographie, mit Einschiufa
der Elemente der Verkehrsgeographie und
der Siedelungskunde, 3 st. — Übungen,
1'/, "t.
Leipzig: o. Prof. Ratzel: Meeres-
und Gewässerkunde, 2 st. — Verkehrs-
geographie, 3 st. — über die wissen-
schaftlichen Grundlagen der Beurteilung
der Völker, Ist, — Übungen und Bespre-
chungen über ozeanographische Karten
und Litteratur, Ist. — In dessen Auftrag
Assistent Dr. Friedrich: Aufgaben aus
dem Gebiet der Verkehrsgeographie, 2 st.
— Übungen im Lesen geographischer
Fremdnameu. — a. o. Prof. Berger: Die
Erdkunde in der römischen Zeit und im
Mittelalter, 2 st. — Ciceronia Somnium
Scipionis, l'/jst. — Pd. Sapper: Tropi-
sche Agrikultur mit besonderer Berück-
sichtigung der deutschen Kolonien, 2 st.
— Das amerikanische Mittelmeer und
seine Inselwelt, Ist,
Marburg: o. Prof. Fischer: Geo-
graphie von Asien, 4 st, — Übungen, 2 st.
— Leitung wissenschaftlicher Arbeiten.
581
München: a. o. Prof. Übe rhu in in er:
Geographie von Afrika, 2 st. — Geschichte
des Zeitalters der Entdeckungen und der
neueren Erdkunde, 2 st. — Methodik und
Hilfsmittel des geographischen Unterrichts,
Ist. — Mathematische Geographie, in Ver-
bindung mit Lektüre von Humboldt« Kos-
mos, III. Bd. — Anleitung zu wissenschaft-
lichen Arbeiten, 3 st.
Münster: o. Prof. Lehmann: Geo-
graphie von Südeuropa, 3 st. — Geographie
von Afrika, 3 st. — Allgemeine physische
Erdkunde III, Ist. — Übungen in Ver-
bindung mit Kartenzeichnen, 2 st,
Rostock: Pd. Fitzner: Ozeanogra-
phie, 2 st. — Geographie von Deutsch-
Ostafrika, Ist. — Übungen, Ist.
Strafsburg: o. Prof. Gerland: Phy-
sische Erdkunde: Wasser- und Lufthülle
der Erde, 4 st, — Die Vogcsen, Ist. —
Übungen, 2 st,
Tübingen : a.o. Prof. H a s s e r t : Landes-
kunde von Deutschland, 3 st. — Geographie
und Kolonisation der deutschen Schutz-
gebiete in Afrika, Ist. — Übungen über
Kartenkunde, besonders Schulkarten und
Schulatlanten.
Würzburg: a. o. Prof. Regel: Länder-
kunde von Nord- und Nordwesteuropa,
Ist. — Übungen | 2 st. — Anleitung zu
Arbeiten im Institut. (Schlufs folgt.)
* Beschieferto Karten. Wie der
Erfinder der neuen Schieferungsmethode
für Wandkarten, Herr von Tomauw in
St. Petersburg, der Redaktion mitteilt,
mufs die weitere Herstellung solcher
Karten nach seinem Patent bis auf weiteres
eingestellt werden, da er mit der damit
beauftragten Leipziger Firma wegen nicht
vorschrifts- und patentmäfsiger Schie-
ferung in Prozefs gekommen ist. Diese
Unterbrechung in der Herstellung eines
sich in der Praxis sehr gut bewährenden
Unterrichtsmittels ist um so mehr zu be-
dauern, als auf dem Breslauer Geographen-
tag viele Fachgenossen diese Karte kenneu
lernten und sich infolgedessen eine Nach-
frage nach ihr ergeben hat. F. Th.
Persönliches.
* Der älteste deutsche Afrikaforscher
ist mit dem in Stuttgart gestorbenen
Missionar J. Erhardt ins Grab gesunken.
Erhardt war ein jüngerer Mitarbeiter der
bekannteren deutschen Missionare Krapf
und Bebmann und wirkte mit ihnen im
30*
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632
Geographische Neuigkeiten.
Auftrage der Londoner „Kirehenmission"
seit Ende der 40er Jahre auf der Missions-
station Rabai bei Mombassa. Während
Keitmann und Krapf gröfsere Reisen ins
Innere unternahmen und dabei die Sehnee-
berge Kilimandscharo und Kenia ent-
deckten, blieb Erhardt auf der Statiou
und zog unermüdlich bei den Karawanen-
leuten über das tiefere Hinterland Er-
kundigungen ein. 1855 trat er in einem
Bericht und einer Karte in der Zeitschrift
jener Missionsgesellschaft mit dem Er-
gebnis seiner Erkundigungen hervor, die
von einem gewaltig grofsen See im Innern
westlich von Zanzibar, dem „See von
Uniamwesi" zum ersten Male Kunde gaben.
Petermann in Gotha und der englische
Geograph Cooley griffen diese Nachrichten
auf und machten sie der geographischen
Welt in kritischer Fassung bekannt in
einem Aufsatz und einer Karte im ersten
Heft von „Petermann's Mitteilungen" für
1856 und gleichzeitig in der Zeitschrift
der Londoner Geographischen Gesellschaft.
Diese Veröffentlichung gab den Anstois
zu der glänzenden Burton-Speke'schen
Reise von 1*57 bis 1868, die zu der Ent-
deckung des Tanganjika durch Burton
und des Vkerewe (Viktoria Nyansa) durch
Speke führte. Man erkannte nun zwar,
dafs Erhardt auf Grund der ungenauen
und verworrenen Angaben der Karawanen-
leute drei getrennte Seen, den Tanganjika,
Viktoria Nyansa und Nyassa, in einen
einzigen zusammcngefafst hatte, doch
thut dieses Mifsverständnis seinem Ver-
dienst keinen Abbruch. Die Lage, die
auf Erhardt's Karte der vielgenannte Ort
IdBchidschi hatte, unterschied sich von
der wirklichen Lage nur um einen Längen-
grad. Auch von dem fernen Lande Urua
im Kongobecken, das später Cameron ab
erster durchzog, hatte Erhardt bereits
Kunde, denn er verzeichnet es am West-
rande seines grofsen Sees, während der
Name des Nyassas in dem angegebenen
Volksnamen Waniassa zu erkennen ist.
Hinter den Persönlichkeiten Krapf's und
Rcbiuann's, die auch mehr geschrieben
haben als er, ist Erhardt stark zurückge-
treten, und er war in vollige Vergessenheit
geraten. Rebmann ist bereits 1876, Krapf
1881 gestorben. tK.Ztg.)
* Josef Luksch f. Am 99, Juli
starb nach längerer Krankheit im 66. Jahre
der verdienstvolle Ozcanograph der öster-
reichischen Expedition in das Mittelmeer
und Rote Meer. Luksch war in seiner
Jugend Seeoffizier gewesen , war dann
Professor an der Marine - Akademie in
Fiume geworden und hat eine lange
Reihe ozeanographischer Expeditionen
gröfseren und kleineren Umfangs mit-
gemacht. Wir verdanken ihm die wert-
vollsten Daten über Tiefe, Salzgehalt,
Temperatur, Durchsichtigkeit etc. der
von ihm untersuchten Meere. Die Er-
gebnisse seiner Beobachtungen und
Rechnungen finden sich in den Schriften
der k. Akademie der Wissenschaften in
Wien.
* Am 12. August starb zu Stockholm
Frhr. Adolf Erik v. Nordenskjöld,
einer der erfolgreichsten Nordpolforseher,
im Alter von 69 Jahren. Nach Beendigung
seiner geologischen Studien begleitete
Nordenskjöld bereits 1858 und 1861 Torell
nach Spitzbergen, welches er in späteren
Jahren noch wiederholt besuchte, befuhr
1870 die Westküste von Grönland und
drang 1875 mit der Segelyacht „Pröven"
durch das kurische Meer zur Jenessei-
mündung vor, die er im folgenden Jahre
mit dem Dampfer „Ymer" aufwärt* bis
71° n. Br. befuhr. Am 4. Juli 1878 trat
er mit den Schiffen „Vega" und „Lena"'
die denkwürdige Reise zur Ausführung
der nordöstlichen Durchfahrt an, auf der
er mit der „Vega" kurz vor Erreichung
der Behringstrarse in der Nähe der Ko-
liutschinbai einfror, so dafs er erst im
folgenden Jahre die Umsegelung von Asien
vollenden und das Problem der nordöst-
lichen Durchfahrt lösen konnte. über
diese Reise veröffentlichte er die beiden
Werke: „Die l'msegelung Asiens und
Europas auf der 'Vega'", 2 Bde. 1882;
„Die wissenschaftlichen Ergebnisse der
'Vega'- Expedition", 1883. Im Jahre 1*83
unternahm der inzwischen in den Frei-
herrnstand erhobene Nordenskjöld auf
Kosten von Oskar Dickson, der auch
die früheren Reisen Nordenskjöld'« aus-
giebig unterstützt hatte, eine zweite Heise
nach Grönland, auf welcher er selbst
130 km, die ihn begleitenden Lappen sogar
230 km weit landeinwärts auf dem Binnen-
eise vordrangen, ohne jedoch das vermutete
eisfreie Land zu finden. Vergl. „Grönland,
seine Eiswüsten im Innern und seine Ost-
küste", 1886. In den letzten Jahren be-
schäftigte sich Nordenskjöld hauptsächlich
B B C h e r bc s p r e c h u n g e n.
533
mit historisch -kartographischen Studien,
deren hauptsächlichste Ergebnisse in dem
„Facsiinile Atlas tili Kartografiens äldsta
historia" (Stockholm 1*89, zugleich eng-
lisch) mit Reproduktionen der wichtigsten
vor 1600 veröffentlichten Karten und im
„Peripluh (Stockholm 1897, schwedisch
und englisch) niedergelegt sind.
Berichtigung.
In dem Berichte über den XIII. D.G.-T.
in Breslau ist in dem Verzeichnis der
Mitglieder der Zentralkoiumission für
erdkundlichen Schulunterrricht leider
„Prof. Wolkenhauer aus Bremen für
die Hansastädte" ausgelassen worden,
ferner mufs es Wermbter statt Wormbter
heifsen.
Bttcherbesprechungen.
de Mortlllet, G. et A., Le Pr«?histo-
rique. Origine et antiquite de l'hom-
me. 121 figures dans le texte. Troi-
sieme edition, entierement refondue
et mise au courant des dernieres decou-
vertes. Paris, Schleicher freres, 1900.
Ein 709 Seiten starker Kleinoktav-
band bietet hier in übersichtlicher Glie-
derung und klarer Systematik eine Cber-
schau unseres derzeitigen Wissens über
den vor der Geschichtsüberlieferung lie-
genden Hauptteil des Quartäralters, und
zwar nicht blofs, wie der Titel vermuten
läfst, der menschlichen Entwicklung
wahrend dieses Zeitraums, sondern auch
der geologischen und kliraatologischen
Vorgange, der Wandlungen in der Pflanzen-
und Tierwelt.
Die erste und zweite Auflage des
Werkes sind 1883 und 1885 von der Hand
seines Urhebers Gabriel de Mortillet er-
schienen; über der Vorbereitung der vor-
liegenden dritten Auflage starb der Autor,
sodafs diese von seinem Sohn, Adrien de
Mortillet, besorgt wurde. Man wird letz-
terem die Anerkennung nicht versagen
dürfen , dem Buch seinen eigenartigen
Wert pietätvoll erhalten und gleichwohl
seinen Inhalt durch Verarbeiten der neu-
eren Fortschritte der mehrfachen hier in
Betracht kommenden Wissenschaften
wesentlich erneuert zu haben
Zwar fehlen alle Belegstellen aus der
Litt erat ur, aber man merkt deren sorg-
fältige Verwertung auf Schritt und Tritt.
Denn ein Vorzug dieses Werkes besteht
eben darin, dafs es auf die einzelnen
prähistorischen Thatsachen detaillierend
eingeht, die Funde in knapper Form, aber,
soweit sie Bedeutung haben, im einzelnen
vorführend Dabei ist die Darstellungs-
weise durchaus gemeinverständlich, ohne
der Gründlichkeit etwas zu vergeben.
Das Buch pafst daher in die Hand des
Laien wie des Fachmanns; zum Nach-
schlagen ist es noch durch ein ausführ-
liches alphabetisches Register gut ausge-
stattet worden.
Hervorgehoben sei an dieser Stelle nur
die folgerichtig von darwinistischem Stand-
punkt aus entwickelte und durch Fund-
beweise gestützte Darlegung, wie die
eigentliche Menschwerdung in die paläoli-
thische Ära fiel: in deren früherem Ab-
schnitt noch affenhaft behaarte Menschen,
hauptsächlich vou Früchten lebend , auf
Bäumen Zuflucht suchend, blofs in ein-
zelnen Familien lebend, — später zu
stärkeren Verbänden sich scharende, nackt-
häutige Menschen, die sich zur Jagd auch
auf gröfseres Wild emporschwingen,
mannigfaltigeres Gerät ersinnen, Kleidung
anlegen.
In den geographischen Abschnitten
finden sich hie und da Anstöfse. Dem
Renntier wird nur polares Klima für seine
Verbreitung zugetraut (8. 660), obwohl es
doch noch zu l'äsar's Zeit in der Kheiu-
gegend lebte. „Löfs" und „Lehm" gelten
als synonym (S. 502). Die oberitalie-
nischen Seen sollen von Gletschern ans-
gefureht sein (8. 515). Schwer würde es
«lern Verfasser auch wohl fallen, seine
Behauptung (8, 66a > streng zu erhärten,
dafs „die Ausdehnung und der Rückzug
des Gletschereises samt der Fortbewegung
der Moränenblöcke die Dauer der Eiszeit
auf mindestens 100 000 Jahre bestimmen
lasse". Kirchhoff.
Janiiasch, Dr. II., Telegraphenkarte
für den Weltverkehr 1 : 47000000.
Nach den neuesten Quellen bearbeitet.
Berlin 1900. Preis 1 Jl
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Büc herbe Sprech tingen.
534
Der wohlbekannte Leiter der handels-
geographischen Zeitschrift „Esport-1 wollte
mit dieser Karte vor allein praktischen
Zwecken dienen. Sie soll den Kaufmann
über die Möglichkeit raschester Ver-
ständigung mit den an den eingezeichneten
Linien liegenden Punkten und Gebieten
orientieren. Natürlich werden solche
Verbindungen, welche den Eisenbahnen
folgen, nicht angeführt. Es ißt jedoch
die Karte auch als höchst willkommenes
billiges Hilfsmittel des geographischen
Unterrichts zu begrüfsen, das freilich
wegen der nur in einer Farbe gehaltenen
feinen Linienführung für die Fernwirkung
nicht geeignet ist und den Schülern
wenigstens zeitweilig in die Hand ge-
geben werden mufs. Ich wüfste es durch
kein anderes von derselben Art zu er-
setzen; denn auch die grölst cn Welt-
verkehrskarten verzeichnen nur die Kabel
und Pberlandtelegraphenlinien, gewähren
aber keinen Überblick über die Ver-
breitung des Telegraphenuetzes auf der
ganzen Erde. Welche lehrreichen That-
saehen und Schlüsse einem solchen Karten-
bilde entnommen werden können, das
bedarf hier keiner weiteren Auseinander-
setzung. Dr. Alois Kraus.
Schul«, A., Über die Entwicklungs-
geschichte der gegenwärtigen
phanerogamen Flora und Pflan-
zendecke der skandinavischen
Halbinsel und der benachbarten
s C h w e d i s c h e n u n d n o r w e g i s c h e n
Inseln. (8. A.a.d. Abh.d. naturforsch.
Ges. zu Halle. Bd XXII. [Stuttgart
1900.} 316 S. 8°.)
Der durch seine Untersuchungen über
die Entwicklungsgeschichte der Pflanzen-
welt unseres Vaterlandes wohlbekannte
Verf., über dessen ..Entwicklungsgeschichte
der phanerogamen Pflanzendecke Mittel-
europas nördlich der Alpen'* Unterzeich-
neter in dieser Zeitschr. (1899. S. (»44
bis 649) ausführlich berichtete, hat jetzt
Bein Untersuchungsgebiet nach N. hin er-
weitert. In einem einleitenden Abschnitt
berichtet er über die bereits vorliegenden
Untersuchungen über die Entwicklungs-
geschichte der norwegischen Pflanzenwelt
und erklärt, dafs er im wesentlichen zu
ähnlichen Ansichten wie Blytt gelangt
sei, dagegen sehr von den neueren A nders-
son's abweiche. Dann untersucht er ge-
trennt die Einwanderungsgeschichte der
4 Gruppen von Pflanzen, zu deren Trennung
er durch seine Prüfung der deutschen
Pflanzengeschichte gelangt war.
Die erste Gruppe, deren Heimat in
Gegenden zu suchen ist, deren Soromer-
und Winterklima kühler als das der
niederen Gegenden des mittleren Elbe-
gebiets ist, die daher meist als arktisch
oder arktisch-alpin bezeichnet werden, ist
die zuerst dauernd in Skandinavien an-
gesiedelte Gesellschaft von Samenpflanzen.
Ihre Einwanderung versetzt Verf. in die
dritte Eiszeit. Ihre Haupteinwanderung
nimmt er vom W. der eimbrischen Halbinsel
an, doch kann auch eine Einwanderung
über Finland stattgehabt haben, obwohl
dies damals wohl noch durch einen Meeres-
arm, der das Weifse Meer mit dem bos-
nischen Husen verband, von Skandinavien
getrennt war. Als erste Ansiedler be-
trachtet Schulz Salix polaris, Oxyria
digyna und Diyas octopetala.
Nicht scharf getrennt hält Verf. die
Einwauderungsgeschichte der zweiten und
dritten Gruppe. Dafs kein scharfer Gegen-
satz zwischen diesen vorhanden ist, geht
schon aus ihrer Kennzeichnung hervor,
denn die Glieder der zweiten Gruppe
sollen ihre Heimat haben in Gegenden,
deren Sommer wenigstens teilweise heifser
und trockener, deren Winter zeitweise
kälter und trockener sind als im mittleren
Elbgebiet; die Heimat der Glieder der
dritten Gruppe zeigt, dagegen Winter, die
z. T. viel gemilfsigter sind als in jenen
Gegenden, während die Sommer ebenso
.warm, aber kauni trockener sind als an
der mittleren Elbe. Man erkennt in der
zweiten Gruppe Pflanzen, die heute ost-
europäischem Klima angepafst sind, wäh-
rend die Pflanzen der dritten Gruppe
im südlichen Mitteleuropa ihren Haupt-
sitz haben. Heide Gruppen konnten sich
während der kalten Zeit wohl kaum im
südlichen Mitteleuropa halten. In Skan-
dinavien sind sie wahrscheinlich in der
ersten hei Isen Periode eingewandert,
z. T. wieder eingedrungen, z. T. überhaupt
zuerst dahin gelangt. So glaubt Verf.
annehmen zu können, dafs Buche und
Fichte zuerst damals dort einwanderten,
während bei der Kiefer eine Neueinwan-
derung stattfand. Bei der Besprechung
' die*cr beiden Gruppen geht er auf die ver-
' schiedenen einstigen Landbrücken Skandi-
Bücherbesprechungen.
535
• naviens mit Großbritannien, der cirabri-
scheu Halbinsel und Hinterpomniern ein,
indem er teils au« »ler Pflanzenverbreitung
Beweise für sie vorbringt, teil« die schon
von andern Forschern als wahrscheinlich
erkannten als Stützen für seine An-
nahmen über die Kiuwanderungsgeschichte
benutzt, Dafs sehr viele der aufgestellten
Wahrscheinlichkeiten noch weiterer Prü-
fung bedürfen, ist selbstverständlich: den-
noch wird die vorliegende Arbeit gerade
in diesem Teil dem Vertreter der Erd-
kunde, dem die Pflanzengeschichte sonst
ferner liegt, am meisten Beachtenswertes
bieten.
Der letzte, wesentlich küi-zere Teil be-
schäftigt sich mit der Einwanderungs-
geschichte der vierten Gruppe, also mit
Pflanzen, deren Heimat in Gegenden ist,
deren Winter gemiifsigter, deren Sommer
aber kühler und feuchter sind als an der
mittlem Elbe, also den atlantisch->ub-
atlantischen Pflanzen. .Sie scheinen Skan-
dinavien in den kühlen» Abschnitten
der heifsen Periode und vorzüglich in den
kühlen Perioden mit Ausnahme derkühlsten
Abschnitte erreicht zu haben und zwar
meist wohl durch Vermittlung von Tieren,
bes. von Vögeln.
Leider ist die Aufeinanderfolge der
verseil iedenen Zeiteu seit dem Tertiär bis
zur Gegenwart noch nicht überall klar
erwiesen , so dafs durch neue Unter-
suchungen noch manche Änderung in
«ler Auffassung der Zeitenfolge und daher
auch wohl in der Geschichte der einzelnen
PHan/.engruppen zu erwarten ist. Da ea
sich aber im ganzen um sicher zusammen-
gehörige Gruppen handelt , müssen wir
Verf. trotzdem für seine Untersuchungen
sehr dankbar sein. Die Arbeit ist sieber
ein schätzenswerter Beitrag zur Fest-
stellung der Entwicklungsgeschichte der
Pflanzenwelt Skandinaviens, «leren reichen
Inhalt wir hier nur kurz andeuten konnten.
Da eine Weiterarbcit von skandinavischen
Forschern zu erwarten ist, mufs alter be-
dauert werden, dafs die Arbeit schwer
lesbar ist, also Ausländern, die deutsch
wohl verstehen, aber nicht beherrschen,
Schwierigkeiten machen kann. Auch ist
zu bedauern, dafs so viel Stoff in Au-
merkuiigen sbM'kt, «lie oft seitenlang sind
und am Ende des Muchs stehen. Sehr
erschwerend wirkt dazu «lie Länge «ler
Sätze, die ein Deutscher schon öfter lesen
mufs, will er sie verstehen. Hieran können
die Skandinavier sehen, welchen Stil die
deutsche Gymnasialbihlung zu erzielen
vermag.
Gröfsere Übersichtlichkeit und Klarheit
der Darstellung sei daher dem Verf.
dringend empfohlen. Bei Arbeiten, die
reich au Vermutungen sind, sonst aber
sehr «lie Beachtung der Fuchgenossen ver-
dienen, ist klare Ausdrueksweise doppelt
wünschenswert. F. Höck- Luckenwalde.
Deecke, W., Geologischer Führer
durch Pommern (Sammlung geo-
logischer Führer IV). Kl. 8". 131 S.
mit 7 Abbild. Berlin, Gebr. Born- •
traeger 1881».
Das Bändchen ist gleich dem Geinitz-
schen Führer durch Mecklenburg ein er-
freulich«^ Zeichen dafür, dafs «las so lange
mit Unrecht vernachlässigte Interesse für
die Geologie des nonldeutschen Flach-
landes sich auch in weiteren Kreisen zu
beleben beginnt, Während «ler Gesamt-
aufbau der Geologie Pommerns, insbe-
sondere seiner mächtigen Diluvialmassen,
von den Geologen der preufsischen geo-
logischen Landesanstalt studiert und am
besten in den neuesten Darst«-llungen
Wahnschaffe s und Keilhack's zusammen-
gefaßt ist, verdanken wir Deecke Beob-
achtungen über mesozoische Vorkommen.
Bei dem Versuche, einen Führer durch
dies teilweise fast unbekannte, in ein-
zelnen Lamlstrichen dagegen höchst genau
und eingehend untersuchte Gebiet zu
schreiben, bot die Auswahl der Gegenden
Schwierigkeiten. Deecke hat die besuch-
teren Küstenlandschaften, die Aufschlüsse
vordiluvialer Schichten und den End-
moränenzug heran «gegriffen. Die rein
geographischen und allgemeinen geologi-
schen Momente finden wenig Berücksich-
tigung; «lagegen ist eine Fülle von Ein-
zelnotizen so an einander gereiht, wie sie
der Verlauf der Exkursionen gerade bot.
In dh'ser Anordnung erblicken wir den
Hauptreiz und Hauptwert des Schriftehens.
Während Geologen und Geographen,
welche Pommern zu wissenschaftlichen
Zwecken aufsuchen, mehr die eigentliche
Fachliteratur benutzen werden, dürfte
unter den vielen Tausenden von Batle-
gästen, welche die Ostseebäiler von Bügen
und der mecklenburgischen Grenze bis
hin1 zum lieblichen Zoppot besuchen, ge-
530
R u c h c r 1>c k p r e c h u u ge n.
wifa viele durch den „Führer" zu einer 1
geologischen Betrachtungsweise der von
ihnen durchwunderten Küsten veranlagt
und damit auch zum genlogischen Ver-
ständnis des deutschen Flachlandes über-
haupt angeregt werden. So mag dies
sorgfältig bearbeitete, dankenswerte
Schriftchen dazu helfen, die mühsamen
Ergebnisse langjähriger Forschungen in
weitere Kreise zu tragen. Jentzsch.
Zweck, Albert, Masuren. Eine Laudes-
und Volkskunde. (Deutsches Land
und Leben in Einzelschilderungen.)
Mit 69 Abbild, u. 3 statist. Karten.
Stuttgart, 1900.
Das mit zahlreichen Abbildungen ver-
sehene Buch stellt eine treffliche Landes-
kunde der Masuren Ostpreußens dar. Es
behandelt iu ausführlicher Weise die
verschiedeneu Erscheinungen der Landes-
natur und des Volkslebens. Der Ver-
fasser hat bei der Darstellung die vor-
handene Litterat ur in ausgiebigem Mafse
benutzt, eodafs der Text durchaus auf
der Höhe der Zeit steht. Der erste Teil
ist der Geologie, der Oberfliiehengestal-
tung, dem Klima, der Tier- und Pflanzen-
welt gewidmet. Während die Erörterung
der geologischen Verhältnisse in der ziem-
lich einförmigen Moränenlandschaft natur-
gemäfs auf wenigen Seiten abgethan
werden konnte, nimmt die Schilderung
der Oberflächengestalt der seen- und
hügelreichen Landschalt, die ihrer mannig-
fachen Hodenform wegen zum Teil als
„bucklige Welt" bezeichnet wird, einen
weit grölsereu Raum ein. Diesen Ab-
schnitt des Buches konnte der Referent
auf Grund eigener Anschauung genauer
prüfen. Die Darstellung hat ihn sehr an-
gemutet, sie ist klar und anschaulich.
Am schwächsten erscheint uns der Ab-
schnitt „Die Tierwelt" ausgefallen zu
sein, er ist auch sehr wenig geographisch.
Die Pflanzenwelt ist dagegen weit befrie-
digender behandelt. Diese ist nicht vom
Verfasser, sondern von J. Abromeit bear-
beitet worden In dem zweiten Teile des
Ruches, der die „Bewohner" zum Gegen-
stand hat, werden die ethnographischen,
geschichtlichen und kulturellen Verhält-
nisse erörtert. Das nahe der russischen
Grenze gelegene Land bietet in anthropo-
geographi sehet Hinsicht viel Interessantes.
Der Verfasser erweist sich in diesem
Teile als ein ausgezeichneter Kenner des
masurischen Volkes. Seine Landes- und
Volkskunde Masurens verdient dämm
auch alle Anerkennung, und es ist im In-
teresse der deutschen Landeskunde nur
zu wünschen, dafs wir ähnliche Dar-
stellungen auch von andereu deutschen
Landschaften bekommen, denen die der
Masuren recht gut als Muster zu Grunde
gelegt werden könnte. Ule.
Fischer, Theobald, Wissenschaft-
liche Ergebnisse einer Reise
im Atlas- Vorlandevon Marokko.
Pet. Mitt. Erghft. 133. Gotha, Justus
Perthes 1900. 165 S. 3 Karten in
1 : 300 000.
In diesem Werke giebt der Verfasser
einen eingehenden Herich t über den Ver-
lauf einer Reise, die er vom Februar bis
Mai 18"J9 in den dem Westfnfse der
marokkanischen Gebirge vorgelagerten
Hochebenen unternommen hat. Der zu-
rückgelegte Weg beträgt 1500 Kilometer
und verläuft fast ' ganz in Gebieten, die
zwar schon vielfach von europäischen
Reisenden durchquert und beschrieben
worden sind, aber noch niemals zum
Gegenstande solch eingehender Durch-
forschung gemacht wurden, wie es von
seiten Fischers geschehen ist. Der
Wert seiner Arbeit liegt nicht so sehr
in der Erschliefsung bisher von geogra-
phischen Forschern unberührter Gebiete,
obgleich auch dazu 2 sehr wertvolle Rei-
träge geliefert werden, als in der Viel-
seitigkeit systematisch angestellter Reob-
achtungen und ihrer wissenschaftlichen
Verarbeitung mit den einschlägigen
Resultaten früherer Reisen zu abgerun-
deten Darstellungen, die in erster Linie
Oberflächengestalt und Rebauung des
Rodens und deren Erklärung aus den
geologischen Verhältnissen, der Art des
Rodens und der Rewässerung behandeln,
Das Studium dieser Fragen wird durch
das sorgfältig aufgenommeue, mit zahl-
reichem Detail ausgestattete uud karto-
graphisch mufttergiltig ausgeführte Itinerar
wirksam unterstützt. Alle diese Vorzüge
weisen «lein Werke einen hervorragenden
Plate in der geographischen Litteratur
Marokkos an, die in der That kein gleich-
artiges R»>isewerk ihm an die Seite zu
stellen vermag.
F. betrat das Sultanat in Tanger, von
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Bii ch erbe »prech u Ilgen.
537
wo aus er zahlreiche AuBflüge unternahm,
die einer eingehenden Untersuchung der
Küste zwischen Kap Malabata und Asila
gewidmet waren. Von Tanger fuhr er
zu Schiff der atlantischen Küste entlang,
die in dem Berichte im allgemeinen eine
summarische Behandlung erfuhrt, während
die an ihr Hegenden Hafenorte und deren
nächste Umgehung ausführlicher be-
schrieben werden.
In Mogador begann die Reise ins
Innere, die am untern Ued Tensift auf-
wärts nach Marrakesch führte und in
Demnat den Fufs des Gebirges erreichte.
Die wichtigsten Resultate allgemeiner
Natur, die auf dieser ersten Durch-
<iuerung des Atlasvorlandes gewonnen
wurden, sind die Erkenntnis derGlicderung
der Hochebenen Mittelmarokkos in drei
annähernd parallel verlaufende Land-
gürtel, ihre Abgrenzung gegen einander ,
und die Charakterisierung derselben in
Bezug auf Klima. Bewässerung, Vegetation
und Besiedelung. Die Krgehnisse wurden
durch die zweite, zwischen Demnat und
Casablanca vollzogene Durchquerung voll-
auf bestätigt,
Von Casablanca bis zum Knde seiner
Reise folgte F. von Europäern wiederholt
begangenen Wegen, deren kartographische
Darstellung aber durch dio zahlreichen
Einzelheiten seines Itinerars nicht un-
wesentlich bereichert wird. Fischer's
Reisebeschreibung und Karte brechen bei
Sidi Geddar ab. Die auf dem 18f> Kilo-
meter betragenden letzten Teile seines
Weges gemachten Beobachtungen werden
nur zu einer manches Neue bietenden
Charakteristik der dem uordmarokka-
uischen Küstengebirge westlich vor-
gelagerten Hochebenen verwandt.
Schnell.
Bryce, James, Bilder aus Südafrika
Autorisierte deutsche Ausgabe nach
der dritten englischen Ausgabe von
Max Kleinschmidt. Mit einem Vor-
wort von Theodor Barth und einer
Kart« von Südafrika. XXII u. 464 S.
Hannover, Gebr. Jänecke 1900.
Unter den zahlreichen Büchern und
Schriften, die aus Anlafs des südafrika-
nischen Krieges erschienen sind, können
wir das vorliegende Werk als eins der
besten bezeichnen. Freilich hatte es bereits
vor dem Kriege in England zwei Aullagen
erlebt, und bei dem regen Interesse, das
sich in der ganzen zivilisierten Welt bei
dem Ausbruch des Krieges für Südafrika
geltend machte, erschien eine Übertragung
der dritten Auflage ins Deutsche wünschens-
wert. Verfasser hat im Jahre 1895, also
kurz vor dem Einfall Dr. Jameson's, die
verschiedensten Teile Südafrikas kennen
gelernt. Er reiste von Kapstadt über
Kimberley und Mafeking nach Bulawayo
und von dort über Fort Salißbury nach
Beira. Dann besuchte er noch Natal,
Transvaal, den Oranje- Freistaat und Ba-
sutoland. Seine Hauptaufmerksamkeit
wandte er dem Studium der politischen
und sozialen Verhältnisse Südafrikas zu.
und da er als Parlamentsmitglied und
bekannter Schriftsteller bei den mals-
gebenden Persönlichkeiten überall Zutritt
hatte, so war er in der Lage, zuverlässige
Informationen zu erhalten. Dazu kam
aber noch, dafs er über ein gediegenes
Wissen, eine ausgezeichnete Beobachtungs-
gabe und schriftstellerisches Talent ver-
fügt. Alle diese Eigenschaften sind dem
vorliegenden Buche zu gute gekommen.
In den ersten Kapiteln giebt der Verfasser
einen Uberblick über die Natur Südafrikas,
erörtert deren Einflufs auf die Bevölkerung
des Landes und schildert den Charakter
der südafrikanischen Landschaft, welcher
einerseits die warmen und satten Farben-
töne und andrerseits die Einsamkeit und
Ruhe einen besonderen Reiz verleihen.
Dann erhalten wir einen Abrifs der Ge-
schichte Südafrikas, wobei hauptsächlich
die Beziehungen der Europäer zu den
Buschmännern, Hottentotten und Kaffern
und diejenigen der holländischen Bevöl-
kerung zu der englischen Regierung dar-
gelegt werden. In dem dritten Teile er-
zählt der Verfasser seine Reiseerlebnisse
in den verschiedensten Gegenden Süd-
afrikas und hebt dabei das Charakteri-
stische der einzelnen Länder hervor; von
Interesse sind namentlich seine Mittei-
lungen über Maschonaland und Basuto-
laud. Schließlich bespricht er noch einige
südafrikanische Probleme wesentlich so-
zialer und politischer Natur, wie z. B. daa
Verhältnis der Neger zu den Weifsen, die
Missionen, die sozialen Verhältnisse und
das ]K>litische Leben in der Kapkolonie
und in Natal, die Lage in Transvaal vor
dem Jahre lH'.tö und die wirtschaftliche
Zukunft Südafrikas. Diese Betrachtungen
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538
Büch erb csprechungen.
geben ihm Veranlassung, zum Schlüte
noch einmal auf «las Verhältnis Englands
zu den Boereu zurückzukommen und in
der spiiter geschriebenen Einleitung zu
den ' Ereignissen Stellung zu nehmen,
welche im Jahre 1*1)9 zum Kriege führten.
Nicht genug anerkennen können wir es,
dal's er sich hierbei einer Objektivität
befleifsigt, wie sie in England jetzt nicht
so leicht zu finden ist. Wenn er auch
keineswegs die Mafsnahmen der Trans-
vaalregierung gut heilten kann und den
Klagen der l itlander eine gewisse Be-
rechtigung zuerkennt, so verurteilt er doch
schonungslos die Uhambcrlain'sche Politik,
welche den Krieg provozierte und dadurch
Südafrika einerseits in seiner wirtschaft-
lichen Entwickelung aufs empfindlichste
schädigte, andrerseits die Versöhnung der
holländischen und englischen Bevölkerung
Südafrikas auf unabsehbare Zeit hinaus-
schob. A. Schenck.
Franz Uoflein, Von den Antillen
zum fernen Westen. Jena 1900.
Der Verfasser hat im Jahre 1S9X zwecks
zoologischer Untersuchungen eine Heise
nach Westindien und weiter durch Mexiko
nach der kalifornischen Küste unter-
nommen und dabei allerwärts ein offenes
Auge und lebhaftes Interesse für die
allgemeinen Naturverhält nisse sowie für
das Thun und Treiben der Menschen ge-
habt, und die Eindrücke, welche er in
letzterer Beziehung gewonnen hat, sind es
vor allem, die er zu dem bunten Mosaik-
werke seines kleinen Buches verarbeitet
hat. Die Hauptaufenthalte hat er auf
Martinique und St. Thomas sowie bei
Monterev in Kalifornien genommen, und
die Schilderungen von da her sind daher
auch die eingehendsten und zutreffendsten.
An den meisten anderen Dingen ging es
mit dem Dampfer oder dem Kisenbahu-
zuge im Kluge vorüber, mit gelegentlichen
Aufenthalten von wenigen Stunden oder
Tagen, und was davon berichtet wird,
berührt daher mehr nur die Oberfläche,
gleichviel ob es sich dabei um die west-
indische Rassenfrage, um die dortige
Zuckerindustrie, um mexikanische Alter-
tümer, um die südkalifornische Wüsten-
natur oder um das Aroina der kaliforni-
schen Früchte handelt Von unter-
gelaufenen Flüchtigkeiten und Irrtümern
heben wir hervor: den hutförmigen Vulkan
von Sombrero (S. 46), der in Wirklichkeit
der Rest eines gehobenen Korallenriffes
ist; die Gleichsetzung von „Tornado"
und „Hurricane"; den alten Aberglauben
von dem „durch die gütige Wunne des
Golfstromes'4 gemilderten Klima Europas
Den von der „heiteen Fläche des Ozeans"
her wehenden Passatwind (S. 4. u. S. 14)
empfanden wir auf Martinique immer als
den angenehmen Kühlebringer, und was
den herüchtigte Lanzenschlange von
Martinique und Santa Lucia angeht, so
glaubten wir an der barfute einhergehen-
den Bevölkerung eher eine unbegreifliche
Sorglosigkeit als eine panikartige Furcht
zu beobachten. E. Deckert.
Wollensack, A., Lehrbuch der Geo-
graphie f. österr. Lehrer- und
Lehrerinn enbild u ngs ans t alten.
Herausgegeben von Gustav Rusch.
I. Teil: Mit 95 Abbildungen. Wien
1901. A. Pichlers Witwe & Sohn.
Geb. 3 K. 60.
Im ersten, sachlich und methodisch
sehr sorgfältig ausgeführten Abschnitt
S 1—22) werden mit Festhaltung des
geozentrischen Standpunktes jene Er-
scheinungen und Vorgänge am Himmel
dargestellt, welche, wie es der Autor in
den Begleit worten ausspricht, zu einer
verständigen, durch selbständiges Denken
gewonnenen Auffassung zunächst der
Kugelgestalt der Erde und dann des
Liniennetzes auf ihr unerläfslich sind.
Doch verhehlt sich der Verfasser dank
seiner vieljährigen Erfahrung nicht, dal's
es zur Erreichung dieses Zieles auch noch
einer steten Anleitung zur Beobachtung
am Himmel und wiederholten Eingehens
auf «las Thema im Laufe des länderkund-
lichen Unterrichtes bedarf. Der zweite
Abschnitt 8. 23—38 bietet die Grund-
begriffe der physischen Geographie. Die
grundlegenden Definitionen sind nach der
eigenen Angabe des Verfassers «1er Mor-
phologie von Penck, der allgemeinen Eni
künde von Brückner und dem Gmndrifs
der allg«'meinen Erdkunde von — Sydow
z. T. wörtlich entnommen. Viele hierher
gehörige Erscheinungen, namentlich jene
aus dem Bereiche der Klimatologie, finden
an passender Stelle im länderkundlichen
Teile ihre Erklärung. Dieser hat den re-
spektablen Umfang von 275 Seiten. Denn
in die Hand künftiger Lehrer gehört nach
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Bücherb csprcchungcn.
539
Ansicht des Autors, dem wir hier voll-
ständig beitreten, ein anschaulich aus-
führliche» Lehrbuch. Der methodischen
Anforderung wird bei der länderkundlichen
Darstellung mit Geschick Rechnung ge-
tragen. Die Erdteile werden in natürliche
Landschaften zerlegt und innerhalb jeder
einzelnen der Zusammenhang der physi-
kalischen Verhältnisse mit den kultur-
geographischeu beleuchtet. Wo es an-
gängig ist, werden die politisch zusammen-
gehörigen (ilieder zusammengefaßt und
das Staatsgebiet als solches nach l'mrifs
und Grenzen, Gröfse und Bevölkerung,!
nach seiner politischen Gliederung und
seinem wirtschaftlichen Gesamtcharaktcr
behandelt. Die Zahlenangaben sind in
passender Weise abgerundet. Die Über-
führung der Flächenmaße auf Quadrat-
myriameter dürfte jedoch die Gedächtnis-
arbeit nur erschweren. Auffällig und
keineswegs nachahmenswert erscheint mir
der Vorgang des Autors, der Schilderung
der einzelnen Landschaften des Krdteils
nur die Angabe der äußersten Punkte
und der Grenzen desselben vorangehen
zu lassen. Dagegen enthält der Rückblick
auf die Kniteile Ausführungen, die doch
notwendigerweise vor dem Eingehen auf
die natürlichen Gebiete geboten, richtiger
zum gröfsten Teil von den Schülern selbst
der Karte entnommen werden müssen,
z. B. Lage, horizontale Gliederung, Ge-
stalt, vertikale Gliederung u. s. w. Hin- j
sichtlich des am Schlüsse beigefügten
Literaturverzeichnisses möchte ich für
eine eventuelle zweite Auflage dem
Wunsehe Ausdruck geben zunächst nach
einer kritischeren Auslese, sodann nach
bestimmter Angabe der für jüngere Lehrer
zur weiteren Ausbildung empfehlens-
werten Werke. Kine wertvolle Beigabe
des Lehrbuches bilden die überaus zahl-
reichen, vortrefflichen Abbildungen, welche
z.T. nach Lichtbildern und Gemälden des
k. k. naturhistorischen Hofmuseums, z. T.
nach A. Lehmauu's Völkertypen ausge-
führt sind. Dr. Alois Kraus.
Lüddecke, Dr., Deutscher Schulatlas,
bearbeitet und herausgegeben von
Dr. II. Haack. 88 Karten und 7
Bilder auf 51 Seiten. 3. berichtigte
und erweiterte Auflage. Gotha.
Justus Berthes l'.KH. 30x25 cm.
geb. 3.—
Der Atlas hat seinen Namen verändert,
indem der Ausdruck „Mittelstufe" gefallen
ist. Dr. Haack hat sich ausführlich über
diese und die sonstigen Änderungen, die
er vorgenommen, ausgesprochen (Geogr.
Aug. 1901 S. 5 ff. u. S. 21 ff.). Man kann
mit ihm im allgemeinen einverstanden
sein. Nur Blatt 6/7 und Blatt 8 und 0
geben nirgends, was wenigstens wir
Norddeutsche durchaus brauchen , ein
zusammenhängendes Bild des norddeut-
schen Tieflands, seiner Stromentwicklung
und Küstengliederung. Hier hat unbe-
dingt eine Erweiterung zu erfolgen. Die
Übereinstimmung derMafsstäbe. die glück-
lich gewählten Projektionen, der anspre-
chende, an Wagner's Schulatlas, dessen
Vorstufe er ja auch bleiben soll, erinnernde
Eindruck des Kartenbildes sind als alte
Vorzüge geblieben. Hinsichtlich der Pro-
jektionswahl ist nur eine Einschränkung
(die übrigens auch für Richter wie für
Diercke gilt zu machen. Der Weltverkehr
(Blatt 46 4 7 » verträgt wohl recht gut die
Mercatoqirojektion, für die Kolonien ist sie
aber die denkbar ungeeignetste; es wird
Zeit, dafs endlich einmal mit der leider
noch weit verbreiteten Einrichtung, beide
auf einer Mercatorkarte zu vereinigen,
energisch gebrochen wird. Meines Wissens
war es Bludau. der zuerst gerade auch
auf diesen Spezialfall verkehrter Projek-
tionsanwendung aufmerksam gemacht hat.
— Doch ich habe mich auf einer Einzel-
heit verloren, in der fast alle Atlanten
heute noch sündigen; das soll den Lüd-
decke-Haack nicht benachteiligen, der,
wenn er erst eine brauchbare Karte von
Niederdeutschland in sich aufgenommen
hat, aber freilich auch erst dann, vielleicht
der beste unserer kleineren Schulatlanten
ist. Ich möchte seine Anschaffung besonders
für sechsklassige Anstalten empfehlen,
wohingegen ich einen noch elementareren
auf der l'uterstut'e und einen gröfseren von
Tertia an für die ncunklassigen für rich-
tiger halte. Ein solcher ist u. a. :
Diercke, Schulatlas für höhere
Lehranstalten, bearbeitet und her-
ausgegeben von ('. IMerckc und
I . Gaehler. 37. Auflage. Revision
von l'.»00. 151» Haupt- und 1öG Neben-
karten. Braunschweig, George We-
stermann IU01.
Der Atlas ist so bekannt, dafs eine
eingehendere Besprechung bei ihm noch
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r>4o
•
Neue Bücher und Karten.
weniger nötig erscheint, als bei Lüddecke-
Haack, der docli immerhin einem recht
starken Uinwandlungsprozefs unterlegen
ist. Das gilt dies Mal von der Neu-
auflage des Diereke nicht; wohl aber
vollzieht sich in ihm ein allmählicher
Vervollkonunnungsvorgang, der uns am
lebhaftesten sin einer Reihe erheblich ge-
besserter, (»der in neuer Form erscheinen-
der Blätter entgegentritt. Ich führe an
die verschiedenen Meereskarten, Europa,
Österreich- Ungarn. Möchten doch nun bald
Blatt 10 und 11, das seine Krdbilder in
sk-reographisehe Projektion verlieren mufs,
Blatt 1« und 10, in dem der Kolonialbe-
sitz auf einer Mercatorkarte dargestellt
ist, sowie die meisten dazwischen liegen-
den Mercatorblätter nachfolgen. Zu be-
dauern ist ferner, dafa der Atlas nicht eine
geeignete Unterstufe für die drei ersten
Gymnasialklassen besitzt, deren Schaffung,
besonders nach dem Passus der neuern
preußischen Lehrpläne, der einen grofsen
Atlas für die Unterklassen verbietet, für
die Verlagsanstalt, will sie die Verbreitung
ihres Atlas auf seiner jetzigen Höhe
halten, mir als ein unabweisliches Be-
dürfnis erscheint. Hr. Fischer.
Richter, <J„ Wandkarte von Klaafs-
Lo t h r i n g e n u n d d e r B a y 8 r is c h e n
Pfalz. Verlag von G. Baedeker in
Essen. 1900.
Die Karte ist im Mafsstabc 1 : 175 000
entworfen und ebensowohl physische wie
politische Karte. Die Höhenlage ist durch
fünf Farbtöne bezeichnet: 0—100 m:
dunkelgrün, 100—200 m: hellgrün, 200
bis 600 m: weifa, 500— 10'.»0 m: hell-
braun, über 1000 m: dunkelbraun. Die
Gelände- Verhältnisse sind durch Schum-
merung unter Anwendung der schiefen
Beleuchtung dargestellt und zwar mit
grofsem Geschick, sodafs die Karte aufaer-
ordentlich plastisch wirkt. Insbesondere
treten die Haupt- und Nebenzüge der
Vogesen aufscrordentlich scharf hervor,
ebenso der plateauartige Charakter der
Nord -Vogesen und der Haardt mit dem
Steilabfall gegen die Ebene, der allmäh-
lichen Senkung nach W. zu. Auch die
Vorhügel der Vogesen, insbesondere in
der Zaberner Bucht , heben sich als ein
selbständiges orographiachea Element
deutlich ab, dagegeu tritt die Senke von
Kaiserslautern nicht genügend klar hervor.
Die Grenzen der einzelnen Länder sind
mit verschiedenen Farben angegeben, die
Grenzen der Bezirke und Kreise durch
dickere und dünnere blafsgelbe Linien.
Die ganze Zeichnung ist sehr kräftig
gehalten, sodafs sie noch auf ziemlich
weite Entfernung wirksam ist. Die Karte
ist daher als Wandkarte für den Schul-
gebrauch sehr zu empfehlen.
Dr. Ii. Langenbeck.
Nene Bücher und Karten.
Zusammengestellt von Heinrich Brunn er.
(iexrhlrhlr und Methodik der Urographie.
Claparedc, Arth. de. Coup d'ceil sur la
geographie et ses divisions en general
et s. la geogr. econom. et sociale en
particulier. Lecon d'onvert. ä . . . l'univ.
de Geueve. 30 S. Geneve, 1001.
Allgemeine ph)«l*ch»' Urographie.
Guigon, C. A. Le The ^histoire. cultures.
preparations, pays produeteurs . . .)'.
Avec graphique. VI, 251 S. Paris,
Challamel 1001.
Hildebrandt, M. Untersuchungen über
die Eiszeit der Erde, ihre Dauer and
ihre Ursachen. I Tafel. XVI, 128 S
Berlin. Kuntze 1001.
Schwind, Frdr., Die Uiasküsteu und
ihr Verhältnis zu den Fjordküsten;
unter bes. Berück», der horizontalen
Gliederung. HO S. SA. Prag, Rivnäc
Komm. 1001. 1.30.
Allgemeine Urographie des Mennrhen.
Frey t ag, G. Export- Atlas für Welt-
handel und Industrie ... 28 Tat*. U.
Karten ... 7 S. Text, quer-f". Wien,
Frey tag k Berndt 1001. .H. 17.—
Baedeker, K. Hufsland; Handbuch für
Keisende. 5. Autl L, 478 S. Mit
10 Karten, 25 Plänen u. 7 Grundrissen
Leipzig, Karl Baedeker 1001.
Liebenow, W. Verkehrs -Karte von
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Neue Bücher und Karten.
541
Osterr.-Ungarn, nebst den angrenzenden
Landern des Deutsch. Reiches, v. Rufs-
land n. der europ. Türkei. 1 : *2.r)00(K)0.
Farbdr. '(Ausg. 1901)'. 1*25 x 134 cm.
Berlin, Berliner lithograph. Inst. 1901.
.fc 12.—
Segel -Hand buch für die Ostsee; hrsg.
vom Reichs-Marine-Amt. Abt. II: Das
Kattegat und die Zugänge zur Ostsee.
33 Ilolzschn., 5 Tat". XXXIV, 393 S.
3. A. Berlin, D. Keimer Komm. 1901.
* 3.50.
Mitteleuropa.
Handbuch der Wirtschallskunde
Deutschlands ; hrsg. im Auftr. des
deutschen Verbandes f. das kaufmünu.
Unterrichtswesen. Abb., Tab. u. Karten.
Bd. I. VII, 331 S. Leipzig, Teubuer
1901. JL 10.—
Hörmann, Ludw. v. Wanderungen in
Tirol u. Vorarlberg. I: Wanderungen
in Vorarlb. 1 Kärtchen. XI, 222 S.
2. A. Innsbr., Wagner 1901. JL 3.—
Hörne, Ant. Ueber geograph. Benen-
nungen aus der . . . Umgebung von
Frankfurt a. M. ... VIII, 111 S. Frankf.,
Kesselring 1901. Ji. 2.—
H üb le r , .1. M., Bayerisch Schwaben und
Neuburg u. seine Nachbargebiete i Deut-
sches Land u. Leben). 8". 325 S. Mit
63 Abi), u. 1 Karte. Stuttgart, Hobbing
& Büchlc 1901.
Jensen, Wilh. Der Schwarzwald. III. u.
10 Vollbilder. Vlü, 374 S. 3. A. 4°.
Leipzig, Amelang 1901. .V 20 —
Kienitz, Otto, u. Karl W a g u e r, Litterat ur
der Landes- und Volkskunde des Grofs-
herzogt. Baden. '(Abgeschlossen am 1. 1.
1900)'. X, 715 S. (Badische Biblio-
thek, n). Karlsruhe, Bielefeld 1901.
JL 2 4 —
Machacek, F. Neuere Oletscherstudien
in den Ost-Alpen. Wien, Selbstverlag
1901.
Palmgren, Korv.-Kapit. a. D. Emden;
Deutschlands neues Seethor im Westen
. . . Abb., 2 Karten. V, 140 S. Emden,
Haynel 1901. Jt 3.—
Reinhard, IL, Topographisch-historische
Studien über die Pässe u. Strafsen in
den Walliser, Tessiner u. Bündner Alpen.
Jahresber. höhere Lehranstalt in Luzem.
1901.
Stein, Barthel. B. St's Beschreibung
vou Schlesien u. seiner Hauptstadt
Breslau. — Descriptio tocius |!| Silesie
et civitatis regie Vratislaviensis per
M. Barthol. Stenum. Hrsg. v. H. Mark-
graf. XVI, 108 S. (Scriptores rem in
Silesiacar.17). Breslau, Wohlfahrth 1902.
JL 4 —
Was sn er, Ludw. Das Donauthal Plein-
ting-Passau-Aschbach ... 2 Taf. 33 S.
SA. Passau, Waldbauer 1901. JL 1 —
Ziegler, Jul., u. Walter König. Das
Klima von Frankfurt a. M. . . . ; im
Auftr. des phvsikal. Ver. bcarb. Nach-
trag. 2 Taf. IV, XXH, GH S. Frankf. n.M.,
Reitz & Koehler 1901. JK 4 —
Alles.
Bartheleiny, M<i»i» de. En Indo-Chinc
'(1896/97/: Tonquin, Haut Laos, Annan»
septentr. Grav., 5 cartes, portr. 379 S.
Paris, Plon-Xourrit C. 1901. Fr. 4 —
Bei c k , Waldemar. Beitrüge zur alten Geo-
graphie u. Geschichte Vorder-Asiens, I.
V, 56 S. Leipzig, Pfeiffer 1901. JL 3 . —
Ditmar, K. v. Reisen u. Aufenthalt in
Kamtschatka 1851 55. 2. Teil, Abt. 1.
VUI, 275 S. (Beitr. z. Kenntnis des
russ. Reiches. 3. F. VUI). St. Petersbg;
Leipzig Voss Sort. 1900. Ji 6.—
Rinne, F. Zwischen Filipinos u. Ameri-
kanern auf Luzon. Skizzen. Abb. III,
81 S. Hannover, Jänecke 1901. JL 1.50
Afrika.
Besitzstandskarte von Deutsch-Süd-
West-Afrika; zur Darst. der Land- u.
Minenrechte... 1:2000000. Farbdr.
68,5 x 75,5 cm. Berlin, D. Reimer 1901.
JL 2 —
Donnet, Gaston, En Sahara; ä travers
le pays des Maures nomades. III. 309 S.
4°. Paris, Soc. franv. d'editions dart
[19U1J.
Randall-Maciver , Dav., and Antli.
"Wilkau. Libyan Notes. III. VIII, 114 S.
London, Macmillan C. 1901 20 s.
Strecker, Carl Chrph. Auf den Dia-
manten- u. Goldfeldern Südafr. ; Schil-
derungen v. Land u. Leuten . . . Titel-
bild, loo Abb., 1 Karte. XVI, 689 S
Freiburg i. B., Herder 1901. JL 10.—
Nordamerika.
Lucas, C. P. Historical geography of
British colonies. V 1: Canada 'i. New
France)'. 370 S. London, Frowde
1901. 6 ».
Südamerika.
Gernhard, Hob. Die Rio Grands Nord-
west-Bahn . ..; kolonialwirtschaftl.
Digitized by Google
f)42
Neu erschienene offizielle Kartcu
Studie ... 2 Abi», u. 2 Kartensk. V,
07 S. Breslau, Sehles. Buchdr. 11*01
.(C 1.60.
Pn I ii r i < 'g lonrn.
Dittmer, H. Das Nord- Polarmeer; nach
Tagebüchern u. Aufnahmen ... 7 Kar-
ten. 101 Abb XVI. 361 S Hamms,!-.
Hahn 1901. M. 6.—
tieograiihUrher l iitrrrirht.
Attensperger , Alb. Lehrbuch «1er
inut hctnat . u, phyttkal. Geographie f.
höhere Schulen. * Fig. VIII , Iis S.
Zweibrücken, Lehmann 1901. JL 1.60.
Heiderich, Franz. österreichische Schnl-
geographic . . . '(im Anschlufs auKozenni
geograph. Atlas . . . bearb.)'. 4'.» Abb..
35 Taf. VI, 303 S. Wien, Holzel 1901
.iL 3.—
Tronin au, Ad. Der Unterricht in der
Heimatskunde . . . Neu hrsg. u. bearb.
v. F. Wulle. V, 11-2 S. Halle, Schroedel
1901. JL 8.—
Zcehe, Andr., u. Wilh. Schmidt. Öster-
reichische VatcrlamUkunde für die
8. Gymnusinlkl. 1 Tab. IV, VII, 261 S.
Laibach, Kleinmavr ii Hamberg 1901
JL 2.70.
Neu erschienene
1. Deutsches Reich.
Seekarte der Kais. Deutschen Admiraliüt
Nr. 155: Barcnts-See (Nördliches Eis-
meer) l:2000ooo. Mit den Plänen:
Südhafen > Hären Insel) 1 : 20O00, Her-
wig-Hafen (Bären-Insel) I :750O. .H. 3 20.
- Nr. 66: Englischer Kanal. 1 : 500000.
Mit Plänen von Scilly-Inseln 1 : 260 00t»,
Hüten von Falmouth 1 : 75 000, Hafen
von Plymouth 1 : 75 000, Einsegelung
nach Portsmouth und Southamptou
1 : 175 000, Rhede und Hafen von Brest
1 : 75 000. Hafen von Cherbourg 1:50000,
Seine-Mündung 1 : 75 000. JL 7.
Nr. 22: Ostsee, Deutsche Küste, Frisches
Hsitf, Westlicher Teil. 1 : 75 000.
.V. 1.40 — Nr. 63: Nordsee. Skagerrak,
2 Hl.. 1 : 300 0O0. .V 3.20. — Nr. 6»:
Nordsee, Deutsche Küste, Inneu-Jude.
1 : 25 000. .>Y 2 — Nr. 16«: Ost- I
asien. Schantung Deutsches Schutz-
gebiet. Kiautschou-Bucht. 1:50 00 ». '
.»Y. 2.4t», — Nr. 14*: Kaiser Wilhclms-
Land von der Westgreuze bis Herlin-
Hafen 1 : 150 000. .V. 2.20.
Karte des Deutschen Reiches,
1:100 000. Nr. 236: Verden. .€1.60.
Mefstischblätter des Preufsischen
Staates. 1:25 000. Nr. 129*. Garls-
torf Nr. 1889: Dahlenburg. —
Nr. 1531: Soltau. — Nr. 1533: Munster.
Nr. 1602: Heigen b. Celle. —
Nr. 1674: Eschede. — Nr 2095: Schöppen-
stedt — Nr. 2162: Hessen. — Nr. 2257:
König. — Nr. 2269: Liebthal. — Nr.
2330: Göhren — Nr 2331 : Hennswalde. 1
offizielle Karten.
— Nr. 2332: Naumburg a./Bober. —
Nr. 24*0: llirschfcldau. — Nr. 24*1:
Hartau. - Nr. 2553: Mallmitz.
Nr. 3037: Eitorf. - Nr. 30311: Wissen
Nr. 3100: Altenkirchen i. Wester-
wald, ä .V. 1 .—
! Topographische Übersichtskarte
des D e u t s c h e n R e i c h e s. 1 : 200 OOO.
Nr. 107: Krotoschin. — Nr. 133:
Schweidnitz, i Jl 1.60.
Karte des Deutschen Reiches. Abt.
Königr. Bayern. 1 : 1 00 000, Nr.
674 : Steinernes Meer. 29,5 x 3'J cm.
Kpfrst. u. kolor. .<£ 1.50.
Dasselbe, Nr. 661: Kempten. — Nr. 671:
Hinterstein, ä 1.50.
Geologische Karte des Grofsher-
zogt. Hessen. 1:25 000. 6. Lief.
5 HI. ii 47.5x50,5 cm. Farbdr. Mit
Erläuterungen. Inhalt: 6. Beerfehlen
v. G. Klemm. 24 S. — Kelsterbach
u. Neu-Isenburg v. G. Klemm. 76 S. —
Lindenfels v. (.'. Chelius. 41 S. — Neun-
kirchen v. C. Chelius. 41 S. .*t 10 —
Höhenkurvenkarte vom Königr.
Württemberg. 1:25 000, a 47,5
x 62 cm. Kpfrst. u. Farbdr.: Nr. 65:
Loffenau. — Nr. 0*: Weil der Stadt,
— Nr. 112: Böhringen. — Nr. 96:
Herreuberg. Nr. 94 : Nagold ä M. 2. —
Geognos tische Specialkarte von
Württemberg. l : 60 000. Nr. 86:
(iöj)pingen. ,H. 2. —
G e n e r a 1 k a r t e der schwäbischen
Alb. 1 : 150 000. Bl. Pforzheim.
. H, - - . 80.
Zeitach riftcnschau.
543
2. Osterreich- U ugarn.
Geologische Spezi al karte der im
Reichsrate vertretenen Königreiche und
Länder der österr.-ungar Monarchie.
1 : 75 000. Zone 19, Colonne 8: Ober-
drauburg-Mauthen. JL 7 . 50. — Zone 30,
Col. 14: Kistanje und Dernio. JL 4.60.
3. Frankreich.
Carte de la France. 1:50000. 40 : Plou-
guernean, S.-E. — 41 : Lannion, N.-E.,
S.-E. — 42 : Treguier, N.-O., S.-O. —
45 : Falaise, N.-O., S. O., S.-E. —
5G : Ile d'Ouessant, N.-E. — öS : Mor-
laix, N.-E., B.-B. — 57 : Brest, N.-O.,
N.-E., S.-O., S.-E. — 59 : Saint- Brieuc,
N.-E. — 60 : Dinan, S.-O., S.-E. -
72 : Ouiinper, N.-E., S.-O., S.-E. —
73 : Chäteaulin, N.-O., N.-E., S.-O.,
S.-E. 75 : Renncs, N.-O., N.-E., S.-O.,
S.-E. — 88 : Lorient, N.-O., N.-E. -
89 : Vannes, N.-E., S.-E. — 103 : Qui-
heron, N.-O. — 108 : Blois, N.-E. —
117 : Nantes, N.-E., S.-O., S.-E. —
12« : Ile d'Yeu, N.-E., S.-E. — 189 : Pal-
luau, N.-E., S. O., tS.-E. - 132 : Chä-
tellerault, N.-O. — 141 : Fontenav,
S.-E. — 155 : Gueret, S.-O. — 172 :
Perigueux, S.-O. — 182 : Bergerac,
S. O., S.-E. — 1H3 : Brive, N.-O., S.-O.,
S.-E. a Bl. 50cent.
Carte de la France. 1 : 100000
IX— 12: Coutances. — XI— 34 : Aire
(mise ii jour en janvier 1901). —
Feuille XIX-24: Lapalisse (mise a
jour en mar» 1901). — Feuille XXI— 24 :
Beaujeu (mise ä jour en oetobre 1900).
— Feuille XXII— 14: Saint-Dizier (mise
ä jour en janvier 1901).
Carte topographio,ue de l'etat
major. Carte geologique dctaillee.
1 : 80 000. Nr. 162: Angouleine. Ö Fr.
— Nr. 209: Alais. 6 Fr. — Nr. 189:
Briaucon, 6 Fr. — Nr. 232: Bedarrieux.
ti Fr. — Nr 194: Gourdon. 6 Fr.
4. Schweiz.
Topographische Karte der Schwei».
l:100OOJ. Sekt, Zürich-Luzern-Alt-
dorf-Glarus. 2.20.
5. Afrika.
Carte de l'Algerie. 1:50000. Feuille
n" 113: Oued Okris (departement
d'Algerj. — Feuille u° 114: Mansourali
(departement de CoiiHtantine). — Feuille
n" 119: Saint- Donat (departement de
Constantiue). ä 1 Fr. 60.
6. Asien.
Karte von Ost-China, 1:1 000 000.
Herausgegeben von der Kartographischen
Abt, d. Kgl. Landesaufnahme. Blatt:
Peking, Tsingtau, Mukden, Tsiuanfu.
ä .tt 1.50.
Dr. Max Friederichsen.
Zeitecliriftenscliau.
Petermann s Mitteilungen. 1901. 7. Heft.
Meinardus: Der klimatologische Atlas
des russischen Reiches. — Bidlingmaier:
Hie erdniagnctisch-meteorologi*chen Ar-
beiten und Ausriistnngsk'egenstünde <Ier
deutscheu Südpolar-Expedition.—G azert :
Bakteriologische Aufgaben der deutschen
Südpolarforscbung. — Radde: Gott-
fried Merzbachers Kaukasus-Werk. —
K rahm er: Nachrichten von der Ex-
pedition Koslow's. — Halbfafs: Der
IV. italienische Geographentag zu Mailand.
— Hammer: Läugenunterschied zwischen
Green wich und Paris. — Hück: Zur
Pthinzengeographie der Alpen.
(ilobus. Bd. LXXX. Nr. 3. Thomas.
Eine internationale anthropologisch-ethno-
graphische Bibliographie. — Reinke:
| Die Pflanzenwelt der deutschen Meere. —
] Steffens: Mit «1er Harriman Expedition
in den Gewässern von Alaska. — Richter:
Ein neuer Atlas der Philipjiinen. —
Hansen: Zur Betonung deutscher Orts-
namen.
Dans. Nr. 4. Samoa unter deutscher
Herrschaft. — Der Yangtsekiang, «lie
deutscheu Interessen und die Bedeutung
des Stromes für die Erschliefsuiig China!«.
— Leue: Ein Marsch durch l'winsa
(Dcutsch-Ostafrikai. — Seidel: Der Kropf
in Togo und Hinterland.
Duss. Nr. 5. Zur Ausreise der Süd-
polarexpeditionen. — Neger: Welche
Eigentümlichkeiten in der heutigen Ver-
teilung der Pflanzen lassen auf eine
ehemalige Bewohnbarkeit der Antarktis
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I
544
Zeitschriftenschau.
Hehliefsen? — Cook's Beobachtungen Ober
die A urora austrat ts während der „Belgica"-
Expedition. — Mo euer: Ein Blick auf
Marokko.
Das*. Nr. ß. v. Adelung: (vber
den jüngsten Kund einer Mammutleiche
in Ostsibirien. — Oppert: I>ic Felsen-
tempel von Mamallapuram oder Seven
Pagodas. — Höfler: Das Spendebrot bei
Sterbefallen.
Deutsche Rundschau für Geograjthie
und Statistik. XXIII Jhrg. 11. Heft.
Werner: Die Vogesen und ihre Thäler
Im Ober-Elsafs. Kine Heise nach dem
Nordkap. -— .Kittner: Fortschritte der
geographischen Forschungen und Reisen
1900. 2. Amerika. — Mohr: Französisch-
Guiuea.
Meteorologische Zeitschrift. 1901. Juli.
Ebert: Die Erscheinungen der atmo-
sphärischen Elektrizität vom Standpunkte
der lonentheorie aus betrachtet. —
Pockels: Über die Kondensation an
Gebirgen.
Zeitschrift für Schulgeographie XXII.
.Ihrg. 10. Heft. Sch warzleit nor: Die
grolse Kienzle'sche Erhabenkarte und
deren Lehrwert. — Russisch-Ostasien.
George: Zur Behandlung der Geo-
graphie der pyrenäischen Halbinsel.
Mitteilungen der K. K. Geographischen
Gesellschaft in Wie». Hd. XLIV. Nr. ß
u. 6. l'uchleitner: Die Eiszeit in den
Südkarpaten. — Hassert: Reise durch
Montenegro im Sommer 1900.
Abhandlungen der K. K Geographischen
Gesellschaft in Wien. III. Hd. Nr. ».
Coellcn: Der Gegensatz in den aufser-
tropischen Klimateu der kontinentalen
West- und Ostkilsten auf der Nordhemi-
sphäre.
The Geographical Journal. Vol. XVIII.
Nr. '2. Mau n Hell: Central Kurdistau.
— Chnroh: Northern Holivia and Pre-
sident Pandbs New Map — The National
Antarctic Expedition. — Reviews.
Cornish: On Sand-waves in Tidal Cur-
rents. — Some Recent Census Reports.
The Scott ish Geographical Magazine.
1901. Nr 7. Markham: Address to
the Hoyal Geographical Society. —
Lagden: Basutoland and the Basutos.
— Capenny: Railway Scheines in Re-
lation to British Central- Africa.
AnnuU s de Geographie. 1001 . Xr. .Vi.
de Martonne: Fjords, eirques, vallees
alpines et lacs subalpins. — Lugeon:
Kecherches sur l'origine des vallees des
Alpes ( »ccidentales. — Privat- Des-
chanel: Le relief du Beaujolais. —
Flotte-Roquevaire: Essai d'une carte
hypsonietriqiie du Maroe. — Mönch i-
court: Lc Massif de Mactar, Tuuisie
centrale. — Brisse: Djibouti et le
cbetnin de fer du Harar. — A'itoff: Re-
sultats scientitiques des explorations de
Sven Hedin eu Asie centrale 181)4 — 1897.
La Geographie. 1901. Juillet. Cligny
et Rambau d: Le sol du Senegal. —
Dcniker: Recentes explonitions russes
en Asie. Priem: La position et la
forme des regions biogeographiques. —
Martel: Treizieme campague souterraine.
Rir. Geogr. Hai 1901. Juliheft. II
U^iarto Congresso Geogratico Italiano. —
Baldacci: A Note statistiche sul „vila-
yet" di Scutari e la legge della montagna
albanese. — Biasutti: La base econo-
mica delle conguiste geograhehe. —
Gribaudi: II primo sverno nelle regioni
polari antarktiche. — II Congresso Geo-
gratico tedeseo di Breslavia. — Melzi:
Indicazioni dei tromometri fotogralici.
The National Geographie Magazine.
1901. Nr. 7. Williams: The Link-
Relations of Southwestem Asia. —
Barrett: China, Her History and Deve-
lopment. - - The Indien Village of Baum.
— The Geography of Abyssinia. — Oil
Fields of Texas and California. — The
Seri Indians.
Au» verschiedenen Zeitschriften.
Engler: Vegetationsverhältnisse des
Ulugurugebirges in Deutsch-Ostafrika.
Sitzunf/sher. d. Ak. d. Wiss. Berlin.
190O, XVI.
v. Richthofen: Gcomorphologische Stu-
dien aus Ostasien. Sitzungsbtr. d. Ak.
d. Wiss. Berlin, 1901, XXXVI.
Zondervan: Studiereisen van Lurar.'ii
in de Aardrijkskunde. Tijdschrifl ran
het Kon. Nederlandsch Aardrijkskundig
Genootschap.
Verantwortlicher HoMn.tfel.er Prof. Dr Alfred Hettner in Heidelberg
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Kanäle und Kanalprojekte in Österreieh- Ungarn.
Von Dr. R. Sieger.
L
In der Geographischen Zeitschrift 1901 S. 292 findet sich die Nach-
richt, dafs die ungarische Regierung einen Kanal von Oderberg über den
Jablunkapafs, durch Waag-, Donau-, Save- und Kulpathal und nach Fiume
zu bauen plane, dem als Schiffahrtsweg von Stettin nach Fiume erhöhte
Wichtigkeit zukSlme. In der That hat man in Österreich viel von der Mög-
lichkeit gesprochen, dafs die Ungarn einen Waag -Oder -Kanal über den Ja-
bluuka- oder auch den Vlarapafs bauen würden, wenn Österreich ihnen nicht
durch den Bau des Donau-Oder-Kanals zuvorkomme. Auf der anderen Seite
taucht seit einiger Zeit das Projekt eines Kanals von Wien nach Triest
wieder auf, das mit dem Zeitalter der Eisenbahnen endgiltig begraben schien,
und insbesondere in Triest scheint die Angst vor dem Fiumaner Konkurrenz-
kanal auch sonst recht ernste Kreise zu Anhängern des erwähnten Projektes
zu machen. Nicht von diesen Projekten soll im folgenden vornehmlich die
Rede sein1). Ein paar Höhenziffern genügen, um sie als Phantasicgebildc zu
erweisen oder doch als Gradmesser für die lebhafte Kanalbegeisterung, die
nunmehr in Österreich nach langem Stillstande die weitesten Kreise ergriffen
hat. Gewifs, die moderne Technik würde schliefslich auch diese Kanäle
bauen können, und wenn sie — wie man vom Fiumaner Projekt hört —
auf weite Strecken in geneigten Tunnels geführt werden müfsten! Ihre
wirtschaftliche Möglichkeit aber erscheint zunächst durch die geographischen
Verhältnisse ausgeschlossen.
Triest und Fiume liegen an der Meeresküste, unmittelbar hinter ihnen
erheben sich die Steilabfälle des Karstes. Bahn und Strafse müssen sich daher
mit weiten Umwegen und vielen Windungen helfen. Die Stralsen, die von
Fiume und Umgebung nach Karlstadt an der Kulpa in 112 m Mecreshöhe
und rund 90 km direktem Abstände führen, erheben sich in Küstenabständen
von 9 — 15 km auf 800—900 m Meereshöhe; die Alföld-Fiumaner Bahn
legt bis Karlstadt 177 km Buhnstrecke zurück und der Sleme-Pafs, die
höchste Stelle der Via Carolina, den sie durch einen Tunnel unterfahrt, liegt
879 m hoch. Am gröfsten sind die Umwege in der Nähe der Küste: die
Steigung beträgt bis Station Buccari in 12 km Bahn- und 8 km Luftlinie
1) Beide sind in dem Berichte des österr. WasserstrafBenausschusses (Nr. 886
der Beilagen z. stenogr. Protokoll des Abgeordnetenhauses, XVII. Session) S. 30 f.
vom Spezialberichterstatter Abg. Sileny ernsthaft besprochen.
GeogTaphiwhc ZciUchrift. 7. Jahrgang 1901. 10. Heft 37
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546
It. Sieger:
circa 250 m, von da 8 km weiter liegt Station Meja in 5 km direktem
Abstand und etwa 194 m höher u. s. w. Dabei benutzt diese Bahn ver-
schiedene Tunnels. Wenn man sich die Steigung von 440 m auf die 20 km
Bahnstrecke bis Meja, das kaum 3 km von der nächsten Küste entfernt ist,
vergegenwärtigt, so erscheint verständlich, warum das Projekt des Generals
Türr in den 70 er Jahren für die Kanal -Verbindung Ungarns mit der Adria
die Linie der heutigen bosnischen Hauptbahn, das will sagen die Benutzung
der Flüsse Save, Bosna und Narenta vorzog. Nicht minder rasch ist der
Aufstieg auf den küstenländisch -krainischen Karst. Auf die 15 km Bahn-
länge von Fiume nach Mattuglie-Abbazia entfällt eine Steigung von 208 m;
der Bahnhof von St. Peter, 579 m hoch, ist von Fiume 63 Bahnkilometer
entfernt, auf die sich eine Höhendifferenz von 575 m verteilt Hier trifft
die Fiumaner Südbahnlinie mit derjenigen von Triest zusammen, die nicht
ohne kleine Gegengefällc die gleiche Höhendifferenz in 77 km bewältigt. In
den ersten 16 Kilometern bis Nabresina steigt diese Linie ohne grofse Um-
wege vom Triester Südbahnhof (4 m ü. d. M.) um 163 m. Von da ab
wendet sie sich wieder gegen Südosten; Prosccco, 23 km Bahnfahrt von Triest,
liegt 254 m über dem dortigen Bahnhof, aber nur 6 xji km in der Luftlinie
von ihm entfernt, Opcina, das man nach 27 km Bahnfahrt erreicht und das
etwa 300 m hoch liegt, ist gar nur 5 km in der Luftlinie von der Stadt
entfernt. Die Staatsbahn vollends hat von Triest-St. Andrea auf 13 Bahn-
kilometern bis Station Borst 215 m zu steigen und mufs auf den folgenden
14 km "bis Herpolje sich um weitere 273 m erheben, um dann zur Süd-
bahnstation Divaca herabzusteigen. In der Luftlinie liegt aber Borst vom
Bahnhof St. Andrea nur 8 km entfernt.
Diese Beispiele, die durchschnittliche Steigungen von 10 bis 20
Metern auf den Kilometer für längere Strecken des gewundeneu Bahnwegs
ergeben, gewinnen dadurch noch an Gewicht, dafs die Bahnlinien auf grofse
Strecken in künstlichen Einschnitten geführt sind. Dazu kommt die Not-
wendigkeit, Dolinen zu umgehen oder auf Dämmen zu überwinden. Für
einen Kanal wäre vollends der Umstand, dafs man es mit durchlässigem
Karstboden zu thun hat, von Belang, und auch die Wasserbeschaffung an
sich wäre sehr schwierig.
Es charakterisiert die Kühnheit der Karstkanalprojekte, dafs1) der
Fiumaner Kanal von der Kulpa bei Karlstadt oder Brod in der Länge von
53 — 60 km (also kürzer als die Luftlinie!!) nach Fiume, der Wien-Triester
aber „um 64 km kürzer als die Stidbahntrace" nach Triest führen soll. Im
ganzen würde er der Südbahn über den Semmering, Graz, Marburg, Cilli,
Laibach, Opcina etc. folgen und nicht weniger als 11 Hebewerke, 127 Kammer-
schleusen und 22 Durchstiche (Tunnels) erfordern! So ist es nicht ver-
wunderlich, wenn „dieses Zukunftsprojekt derzeit nicht im Vordergrunde steht".
Von dem „ungarischen Donau-Oderkanal" erfahren wir nach Zei-
tungsnotizen über eine Ministerrede im November 1900, dafs er von Oderberg
der Olsa folgen uud über deu Jablunkapafs durch das Thal der Czernanka, Ki-
1) nach Silenv a. a. 0.
Kanäle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn. 547
suca und Waag in der Länge von 266 kin nach Neumarkt gehen soll. Von
da ab ist die Kanalisierung der Waag (93 km) leicht möglich und wird
wohl bald durchgeführt werden. Der Jablunkapafs aber, den die Kaschau-
Odcrberger Bahn im Tunnel durchschreitet, ist 551 m hoch, und die
Steigung beiderseits desselben in den obersten Teilen recht erheblich. Über-
dies müfste hier der Kanal neben Bahn und Strafse sich in Engthälern
durchwinden. Wichtiger als alle technischen Bedenken ist aber der Umstand,
dafs vom Jablunkapafs bis Oderberg der Kanal auf österreichischem Boden
verlaufen müfste. Der ungarische Minister weifs ganz genau, dafs dieser ohne
Mitwirkung oder doch Zustimmung Österreichs nicht gebaut werden kann.
• Wenn er trotzdem so uferlose Pläne, wie den Oderberg - Fiumaner - Kanal er-
örtert, so mufs dies taktische Gründe haben. Der Erfolg, d. h. der tiefe
Eindruck, den diese angebliche ungarische Drohung in Österreich erzielt hat,
läfst dies deutlich genug erkennen *).
Aber auch, wenn wir von Triester, Fiumaner und Jablunka - Kanälen
absehen, ereignen sich in Österreich - Ungarn auf dem Gebiete des Wasser-
strafsenwesens wichtige Dinge. Wie bedeutend die Ausgestaltung des
Wasserverkehrs ist, die beiderseits der Leitha in Angriff genommen wird,
ergiebt sich aus einer Übersicht der bestehenden und der geplanten
Kanäle.
IL
Die bisherigen Kanalbauten in Osterreich besitzen nur geringe
Ausdehnung. Am Anfang des 19. Jahrh. wurde der Wiener Neustädter
Kanal2) von Wien nach Wr. Neustadt und an die ungarische Grenze erbaut
und besafs eine Zeit lang eine gewisse Bedeutung. Bei seinen geringen Di-
mensionen war er aber nicht geeignet, die Konkurrenz des Eisenbahnverkehrs
zu ertragen, und spielt heutzutage als Schiffahrtskanal gar keine Rolle mehr.
Ein Antrag des Abgeordneten der Stadt Wiener Neustadt, diesen Kanal zu
einer modernen Wasserstrafse auszugestalten, hat denn auch bis jetzt keinen
Erfolg erzielt. Der Lendkanal, der Klagenfurt mit dem Wörthersee ver-
bindet, kommt bei seiner geringen Länge von 4,1 km kaum in Betracht3).
Ebenso unerheblich sind einige kleine dalmatinische Kanäle.
Wichtiger sind die 350,7 km künstlichen Wasserstraßen, die Ungarn in
seinem Tieflande besitzt4). Der seichte Begakanal (116 km) ersetzt den
durch seine vielen Windungen und Sümpfe ungeeigneten Begaflufs als Schiff-
1) Immer wieder kehrt schon seit dem WasserstrafBentag (1900) der Gedanke:
„Wenn wir nicht den Donau-Oderkanal bauen, so wird uns Ungarn zuvorkommen!"
Oer ungarische Staatsmann Hieronymi erklärt dagegen, dafs der Waag-Jablunka-
Kanal für Ungarn nur von untergeordneter Bedeutung sei (N. Fr. Presse 16. Mai).
Er spricht sich auch gegen den Fiumaner Kanal aus.
2) F. Umlauft, Oer Wiener Neustädter Kanal. Mitt. d. k. k. geogr. Ges. Wien
1894, 384 ff.
3) Der Ausschufsbericht über das Wasserstrafsengesetz S. 62 (Kaftan) erwähnt
ferner den 1753 für Holzschwemmo und Schiffahrt erbauten Neuwalder Kanal bei
Mariazell (1053 m) und den 1788 erbauten Holzschwemrakanal am Plöekenstein im
Böhmerwalde 1^900 m), beide sind aber nur für das Holzschwemmen von Belang.
4) B. v. Gonda, Die ungarische Schiffahrt. Ofen-Pest 1899. S. 46, 9 9 ff.
37*
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548
R. Sieger:
fahrtsweg. Der Franzens- und der Franz Josefs-Kanal hingegen stellen
eine Verbindung zwischen der Donau und Theifs in jener Strecke ihres Laufs
dar, in welcher beide Flüsse parallel verlaufen. In seiner heutigen Gestalt
geht der 1795 — 1802 angelegte, später umgebaute Franzens-Kanal von der
Donau bei Bezdau oder genauer von einer Stelle gegenüber von Kis-Köszeg
(Battina) 122 km weit nach der Gegend von Ö- Heese an der Theifs, wo-
selbst ein Winterhafen ist. Der Franz Josefs -Kanal geht in einer Länge
von 68,3 km vom westlichen Teil des Franzens -Kanals bei Kis Sztapar ab
und mündet bei Neusatz (Ujvidek) in die Donau. Hierzu kommt noch der
Baja-Bezdan- Kanal, der zur Speisung der beiden vorgenannten das Wasser
von der Donau bei Baja zuführt, wo sie 3 m höher liegt, als an der Ab-
zweigung des Franzens-Kanals. Von diesem Speisekanal sind 44,4 km mit
Dampfschiffen befahrbar. Der Franzens-Kanal selbst, ein Schleusenkanal,
weist von der Eingangs- zur Mündungsschleuse ein Gefälle von 11,07 in,
die Niederwasserstände der Donau und Theifs an seinen Endpunkten nur
eine Differenz von 9,70 m auf, der Franz Josefs -Kanal sinkt in 4 Stufen
um 13,67 m. Die Wassertiefe des letzteren beträgt in einzelneu Abschnitten
1,7, 1,55 und 1,40 m, während der Franzens-Kanal zumeist 2,00 m Wasser-
tiefe besitzt. Für einen Teil eines Grofsschiffahrtswegs wäre also nur dar
letztere geeignet.
Die besprochenen ungarischen Kanäle dienen zugleich als Entwässerungs-
uud Bewässerungskanäle, sie treiben an den Schleusen Turbinenmühlen und
andere Aulagen. Bir Verkehr beträgt in der Thalfahrt etwa 34 bis 1 Million
Tonnen, in der Bergfahrt ungefähr das Doppelte und die Franzens -Kanal-
Schiffahrts-Aktiengesellschaft arbeitet mit Verlust1).
Die durch diese Wasserstrafsen erzielte Abkürzung erscheint für viele
Zwecke nicht ausreichend. So mufs z. B. das Getreide aus der reichen
Landschaft bei Szolnok, dem Endpunkt der Grofsschiffahrt auf der Theifs, noch
einen sehr grofseu Umweg beschreiben, um nach Ofen-Pest und weiter nach
dem Westen zu gelangen. Man erwägt daher schon seit geraumer Zeit die
Anlage einer Wasserstrafse von einem Punkte der mittleren Theifs
an die Donau bis Ofen-Pest, deren Herstellung keine grofsen Schwierig-
keiten gewährt und die iu kurzem ausgeführt werden dürfte. Derartige Pro-
jekte bestanden schon im IS. Jahrb., ja sogar zur Zeit des Matthias Corvinus*).
Das gegenwärtig (seit 1894) in Diskussion stehende Koltorsche Projekt
nimmt Rücksicht auf den Wunsch, die beiden gröfsten Städte Ungarns, Ofen-
Pest und Szegedin, mit einander zu verbinden, und läfst deshalb von zwei
Punkten der Theifs, Szegedin (S/.eged) und Csongrud, Kanalarme ausgehen; beide
sollen 2% m Minimaltiefe aufweisen und somit für 1000 Tonnen-Schlepper,
die gröfste im Donauverkehr vorkommende Abmessung, ausreichen. Von Ofen-
Pest aus wird zunächst der linke (Soroksarer) Donauarm 45 km weit benutzt.
1) Dan Ung. Htat. Jahrb. 181)9 giebt für dieses relativ günstige Jahr: Thal-
fahrt 1,05 Mill. t, IVrgfahrt 1,68 IfilL t. Hinnahmen 469 000 Kronen, davon
861000 aus dem Trauert, Ausgaben i>60 U00 Kronen, davon Hetriebsauslagen
:»53OO0 Kronen.
2) Vgl. Gonda 8. 111 ff.
Kanäle und Kanalprojekte in Österreich- Ungarn.
54D
Bei Döinsöd nahe seinem Südende soll er abgedämmt und sein Wasser für
den künstlichen Kanal verwendet werden, der sich von hier gegen Südosten
95 km bis Szent-Laszlö (etwa S. von Felegyhiiza) hinzieht. Von hier aus
behält der südliche, 45 km lange Arm die gleiche Richtung bei und erreicht
die Thcifs unweit Szegedin, wo sie 22 m tiefer liegt als sein Ausgangspunkt.
Der nördliche Hauptarm aber wendet sich nordostwärts nach Csongräd
(30 km), wo die Theifs 19 m tiefer liegt, als die Donau bei Dömsöd. Es
handelt sich also im ganzen um 215 km Kanallänge mit geringen Höhen-
differenzen. Die Anlagekosten werden auf 35 — 40 MilL Kronen veranschlagt.
Dieser Kanal würde den Wasserweg erheblich abkürzen. Derzeit mufs man
von Ofen-Pest nach Szegedin auf den Flüssen 637, durch den Franzenskanal
465 km zurücklegen, während die geplant« neue Verbindung nur 185 km
ausmacht, Noch günstiger stellt sich dieses Verhältnis für Csongräd, und
auch die Gegend bei Szolnok würde eine erheblich raschere Wasserverbindung
gewinnon, wenn auch der Kanal gegenüber der Eisenbahn noch einen Um-
weg darstellt1). Der Kanal würde nach Gonda's Ansicht vor allem der
Landwirtschaft und der Verproviantierung der Hauptstadt Ofen-Pest zugute
kommen.
Ein Vortrag des gewesenen ungarischen Ministers Hieronyrai') erörtert
weitere Projekte von Alföld-Kanälen, die sich dem besprochenen im Osten
anschliefsen. Einerseits einen Kanal von Szatmar-Nemeti an der Szamos,
die das Speisewasser liefern soll, in die Gegend von Debreczin und mit Be-
nützung der Bcrettyo und Körös nach Csongräd, anderseits einen solchen von
Temesvar nach Perjamos an der Maros und mit Hilfe der Maros, die von
Arad an schiffbar gemacht werden soll, zur Theifs bis Szegedin. Dadurch
würden die Zentren des östlichen Tieflandes, Szegedin, Arad, Teinesvar und
Debreczin an das Wasserstral'sennetz fest angegliedert. Hieronymi teilt mit,
dafs die Pläne für die Schiffbarmachung der Körös bereits angefertigt wurden.
Noch ein wichtiges ungarisches Projekt ist zu besprechen, das seit dem
18. Jahrhundert immer wieder auftaucht und auch in die eingangs erwähnten
Phantasien eines Fiumaner Kanals mit einbezogen wird. Der Vukovar-
Samac-Kanal in Kroatien würde die Donau mit der Save verbinden.
Vukovar liegt an der Umbiegung der Donau zu östlicher Laufrichtung, Samac
etwas unterhalb Brod. Eine Lücke zwischen den Bodenerhebungen im Westen
der Fruska gora ermöglicht der Eisenbahn hier ein leichtes Eindringen in das
slavonische Flachland, wo sich bei Vinkovce ein lokaler Eisenbahnknoten-
punkt befindet. Der Kanal, der diese Lücke benutzen soll, würde als Ver-
bindungsglied zwischen Donau und Save eine ähnliche Holle spielen, wie der
vorhin besprochene Kanal zwischen Donau und Theifs. Die Schiffahrtsstrecke
zwischen seinen beiden Endpunkten würde von 479 km auf blos 57,5 km
1) Verbindung mit der Bahu und durch den projektierten Kanal in km:
Ofen-Pest — Szolnok 101 250
„ — Csongräd 153 170
„ — Szeged» 190 185 Gonda S. 115 f.
2) N. Fr. Presse 15. Mai 1901.
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550
H. Sieger:
abgekürzt1). Diese Kürzung aber käme besonders dem Verkehr mit Fiume
zugute3). Die Save ist bis Sissek schiffbar, dort ist jetzt ein wichtiger Um-
schlagplatz für Ungarn und Bosnien. Früher befuhr man aueb die bei dieser
Stadt mündende Kulpa bis Karlstadt. Die Proponenten des Vukovar-Samac-
Kanals befürworten nun auch die Verbesserung der Save und die SchifFbar-
machung der Kulpa bis Karlstadt; erstere ist 288,4, letztere 135,4 km lang.
Alle drei Arbeiten zusammen dürften nacb Gonda 18 Mill. Kronen kosten;
man wundert sich angesichts dieser niedrigen Ziffer, dafs sie nicht schon
lllngst ausgeführt sind.
Denn in der That würde die Herstellung dieses Kanals und der anschliefsenden
Kegulierungen den Verkehr mit Fiume wesentlich verbilligen und erleichtern.
Der Umschlag auf die Bahn ist wohl auch nach ihrer Erbauung nicht zu
umgehen — er würde nur in gröfsere Nühe des Meeres verlegt — aber
auch mit ihm stellt sich der Transport auf der 994 km langen Strecke von
Ofen-Pest bis Fiume gewifs billiger, als auf den 601 km der Bahnstrecke.
Ein wesentlicher Vorteil für den ungarischen Transit wäre zu erwarten, wenn
die Benutzung des Wasserweges auch oberhalb Ofen-Pest auf grofsen Strecken
ermöglicht würde. Dies ist aber der Fall, wenn die österreichischen Kanal-
projekte verwirklicht werden. Viel wichtiger, als der chimärische Jablunka-
Kanal, dessen Fortsetzung zu fördern nicht im Interesse Österreichs gelegen
wäre, und der schon deshalb kaum zustande kommen wird , sind für Ungarn der
Donau-Oder-Kanal und der Donau-Elbe-Kanal, die nunmehr mit österreichischem
Golde gebaut werden sollen. Durch sie kann auch — den noch keineswegs
sichergestellten Anschlufs an die preufsische Oder vorausgesetzt — ein er-
heblicher Teil des angestrebten „Grofsschiffahrtswegs von der Oder (und Elbe)
zur Adria" zur Wirklichkeit werden.
Wir wollen nun die österreichischen Kanalprojekte besprechen, die
während der Niederschrift dieser Zeilen Gesetz geworden sind. Im Gegen-
satz zu den ungarischen Projekten handelt es sich hier nicht um Weg-
kürzungen innerhalb ein und desselben Flufsgebiets, sondern um Ver-
bindungswege zwischen verschiedenen Systemen. Das ergiebt sich aus
der natürlichen Verschiedenheit der grofsen durchgängigen Ebene und des nur
von wenigen Naturwegen durchzogenen Berg- und Hügellandes. Daraus folgt
aber auch ein verschiedenes Verhältnis zwischen Land- und Wasserwegen
hier und dort. Bahn- und Strafsenbau können im zentralen Ungarn ohne
viel Umstände kurze, geradlinige Wege einschlagen. Nur verwilderte und
versumpfte Stromstrecken bilden für sie ein Hindernis, wie die Unterbrechung
des sonst so regelmäfsigen Eisenbahnnetzes durch die Donau zwischen Ofen-
Pest und der Erdöder Fähre als durchaus nicht einziges Beispiel zeigt. Wir
sehen hier, wie auch in anderen Tiefländern, dafs Wasser- und Landstrafsen ihre
•
1) Oonda 8. 118. Die von Sileny und G. Z. VI, 292 benutzte Quelle giebt für
den Kanal 62, für die Saveregulierung 285, für die Kulpa bis „Karlstadt oder Brod"
fsic!), offenbar falsch, 250 km an.
2) Die etwa 1Ü04 zur Vollendung gelangende Bahn Öamae-Doboj, die den Weg
von Ofen-Pest nach Sarajevo abkürzt, wird ebenfalls dazu beitragen, dem Kanal
höheren Wert zu verleihen.
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Kanäle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn. 551
Wege voneinander unabhängig verfolgen, sich vielfach schneiden, aber sich auch
gegenseitig alimentieren. Bald führen Kanäle an wichtige Bahnstationen,
bald Bahnflügel an die Hauptströme. In Österreich aber bilden die Strom-
thäler, Pässe und Thalwasserscheiden diejenigen Linien und „Pforten", denen
auch der Landverkehr im grofsen Ganzen folgt Die geplanten Kanäle müssen
dieselben leicht gangbaren Übergänge von einem Flufsthal ins andere auf-
suchen, welche schon vorher die Eisenbahnen gesucht und gefunden haben.
Sie laufen jenen parallel und das gegenseitige Verhältnis kann nicht das der
Speisung, sondern je nach Umfang und Art des Verkehrs jenes der gegen-
seitigen Konkurrenz, Ergänzung oder Entlastung sein. Die erwarteten Vor-
teile und Nachteile der Kanäle, die in den Erörterungen der letzten Jahre
vorgeführt wurden, beruhen daher auf der Voraussetzung, dafs diesen die
schweren Massengüter zufallen werden, welche den Eisenbahntransport
nicht oder schlecht lohnen. Solchen Massengütern verdankt der bedeutende
Verkehr der österreichischen Elbe wesentlich seinen Umfang, während der
Donauverkehr eher ab- als zunimmt, nicht blofs, weil es an solchen Massen-
gütern fehlen würde, sondern zum Teil auch, weil man für sie den Bahn-
verkehr, selbst mit Opfern vorzieht 1). Eine weitere Eigentümlichkeit der
projektierten österreichischen Kanäle hängt mit der besprochenen auf das
engste zusammen: sie führen nicht, wie die ungarischen, einfach von einem
höheren Teile des Stromsystems zu einem niedriger gelegenen, sondern haben
Wasserscheiden, zum Teil von nennenswerter Erhebung, zu über-
winden2), bedürfen also einer nicht immer leichten Wasserzufuhr zu den
Scheitelstrecken. Die vorhandenen Höhendifferenzen sind erheblich, die Zahl
der erforderlichen . Schleusen oder Hebewerke (schiefen Ebenen) eine be-
deutende und daher auch die Kosten des Baus und Betriebs entsprechend
gröfser, als bei Tieflandskanälen. Dem hat man allerdings den Gewinn an
Wasserkraft entgegengehalten, der sich gerade bei Kanälen mit gröfserem
Gefälle ergiebt und von dem man hofft, dafs er industrielle Anlagen an den
künftigen Wasserstrafsen ins Leben rufen werde.
Gemeinsam ist den österreichischen Kanälen und Flüssen mit der unga-
rischen Donau die relativ lange Dauer der Eisdecko, ein Moment, auf das
Penck hingewiesen hat. Es dürfte sich aber hier mehr fühlbar machen als
dort. Auf ungarischen Wasserstrafsen ist Getreide die Hauptfracht und die
Schiffahrtssaison fällt mit der Zeit des lebhaftesten Getreideverkehrs zusammen.
Für Kohlen- und Industriekanäle dagegen, wie es die österreichischen zum
grofsen Teile sein sollen, ergiebt sich eine unangenehme Unterbrechung des
Wasserverkehrs gerade in der Zeit des lebhaftesten Verkehrsbedürfnisses.
Man hat auch hierauf schon sein Augenmerk gerichtet und will Versuche mit
Eisbrechern anstellen.
1) En kommt hierbei auch in Betracht, dafs Staatsbahnen in ihren Tarifen
weniger auf den finanziellen Ertrag Rücksicht zu nehmen haben, als Privatbahnen.
2) Vgl. hierzu Penck, Die Zeit, Nr. 845, S. 84, Wion 1901, der interessante
Parallelen bringt. Der Abgeordnete Peschka betont (sten. Protokoll S. 4472), dafs
hier „nicht Flüsse im Mittel- oder Unterlauf, sondern in ihren Quellgebieten ver-
bunden werden sollen".
552
K. Siegor:
Erschwert wird endlich der Hau der Kanüle, wie von verschiedenen Seiten
hervorgehohen wurde, durch die Schwierigkeiten, welche namentlich im Herhstc
der Wasserbeschaffung gegenüberstehen; man wird zur Anlage von Stau-
becken gezwungeu sein und falls auch diese nicht ausreichen sollten, zur gröfsten
Sparsamkeit mit dem Wasser, somit zur Anlage von Hebewerken genötigt werden.
Von agrarischer Seite wurde auch die Besorgnis ausgesprochen, dafs der Wasser-
bedarf der Kanäle der Landwirtschaft entzogen werde, und es mufs jedenfalls
Fürsorge getroffen werden, eine Schädigung der letzteren zu vermeiden.
Aus den angeführten Momenten ergiebt sich, dafs in den österreichischen
Alpenländern, wo die ungünstigen Momente am meisten zur Geltung kommen,
von gröfseren Kanalbauten keine Uede sein kann. Es handelt sich vielmehr
wesentlich um die Herstellung von Verbindungen in den sogenannten Sudeten-
ländern, im Mittelgebirgsterrain und den spärlichen Ebenen, die es durch-
setzen. In erster Linie um die Ausnützung der Tiefeulinien, die sich zwischen
Alpen, Sudeten und Karpathen einschieben und bei Wien konvergieren, dann
um die Überschreitung der verschiedenen Zugänge in das böhmische Massiv,
die in1 die Gegend von Prag führen, und diese beiden Städte hoffen auch
in erster Linie durch Kanalbauten zu Zentren des Wasserverkehrs zu werden.
Zunächst drängte sich der Gedanke auf, die natürliche Strafse, die
zwischen Sudeten und Karpathen hindurchführt, durch die Verbindung der
March mit der Oder auch für die Schiffahrt praktikabel zu machen. Er Ist
zuerst 1652 vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg ausgesprochen
worden. Die Becva-Odersenke, wie man früher, die mährische Pforte, wie
man jetzt zu sagen pflegt, hat ihren höchsten Punkt an der Wasserscheide
zwischen dem Marchnebenflufs Becva und der noch nicht schiffbaren Oder
bei Mährisch-Weifskirchen. Die geringe Wassermenge dieser Flüsse liefs den
Gedanken an eine einfache Verbindung zwischen ihnen ohne Kanalisierung
nicht zu. Aber auch die Beschaffenheit der March selbst, deren Regulierung
kostspielig und nur im gegenseitigen Einvernehmen der beiden Staatsgebiete
durchführbar ist, deren Grenzflufs die March im Unterlaufe bildet, führte
dazu, nicht eine Regulierung des Flusses, sondern einen künstlichen Wasser-
weg längs desselben — ähnlich wie am deutschen Oberrhein — ins Auge zu
lassen. So entstand der Gedanke eines Donau-Oder-Kanals, als dessen südliche
Endpunkte zunächst Prefsburg in Ungarn als Nachbarstadt der Marchmündung
und Wien in Betracht kamen. Er steht schon lange in Diskussion und ein
Projekt lag bereits im Anfang der 70er Jahre vor. Eine Regierungsvorlage,
die im Jahre 1873 Gesetz wurde, blieb infolge der wirtschaftlichen Kriso
dieses Jahres wirkungslos, ebenso ein in den 80 er Jahren vom Lande Mähren
aufgestelltes Projekt, und erst in den 90 er Jahren wurde wieder ernstlich
mit einem Konsortium verhandelt, das einen Donau-Oder-Kanal ins Auge
gefafst hatte. Der unermüdlichste Vorkämpfer dieser Wasserstrafse ist der
greise E. v. Proskowetz, dessen Buch „Der Donau-Oder- Kanal4', Wien 1806,
sowie seine Reden auf verschiedenen Kongressen schliefslich das Projekt
populär gemacht haben1).
lj Geschichtliche Daten über die älteren Projekte 8. in dem Ausschufsbericht.
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Kanüle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn.
553
Die Idee eines Donau-Moldau-Elbe -Kanals ist aus den seit einigen
Jahren im Gang befindlichen Arbeiten zur Regulierung der Elbe und Moldau
erwachsen. Diese Wasserstrafse ist für kleinere Fahrzeuge bis Budweis hinauf
schiffbar, aber bei Prag durch Wehre unterbrochen, an deren Umbau man
arbeitet1). Es lag nun der Gedanke einer Verbindung von Budweis mit der
Donau um so näher, als ein Kanal zum Herabschwemmen von Holz aus dem
Moldauquellgebiet in den Donaunebenflufs Mühl, der Schwarzenberg-Kanal,
bereits die Wasserscheide überwindet. Neben dem Vorschlag der Ausgestal-
tung dieses Schwemmkanals zu einem Wasserwege, die einer Neuanlage gleich-
kommt, fanden aber die Projekte einer Verbindung von Budweis mit wich-
tigen Donaustädten mehr Anklang. Der älteste Schienenweg Österreichs,
ursprünglich Pferdebahn, die Linz-Budweiser Bahn, weist hier einen, die ehe-
malige Franz- Josefs- Bahn, Staatsbahnstreckc Wien -Gmünd -Budweis, den.
anderen Weg. Auch diese Projekte wurden auf Binnenschiffahrtskongressen
wiederholt erörtert. In Galizien endlich wird seit längerem die Verbindung
der beiden Hauptströme des Landes, Weichsel und D niest er, ventiliert,
deren isolierte Schiffahrt in Stagnation geraten ist.
Als nun die Regierung im abgelaufenen Herbst eine grofse Gesetz-
vorlage über Eisenbahnbauten, insbesondere die Herstellung der Tauernbahn,
einbrachte, erhoben sich in den nördlichen Kronländern Stimmen, welche als
Bedingung für die Zustimmung zu dieser wesentlich den Alpenländern zu-
gute kommenden „Investitionsvorlage" eine den Sudetenländern unmittelbar
zuzuwendende Förderung des Verkehrs und zwar auf dem Gebiete der Wasser-
strafsen verlangten. Da der Donau-Oder-Kanal, von dem man eine Vcr-
billigung der Kohlenzufuhr erhofft, auch .in Wien und einem Teile der Alpen-
länder immer populärer wurde , fanden sie ein lebhaftes Echo , und , die
Regierung wurde durch einen Initiativantrag zahlreicher Abgeordneter vom
4. März d. J. veranlafst, selbst schon am 26. April ein umfassendes Wasser-
strafsenprogramm einzubringen, dem man bald noch eine Erweiterung in der
Richtung geben mufste, dafs eine Anzahl von Flufsregulierungen, vornehm-
lieh solche, die das Land Böhmen in Angriff genommen oder projektiert hat,
dem geplanten staatlichen Wasserstraf sen netz angegliedert werden. Mit dieser
Erweiterung wurde das Gesetz dann im Mai angenommen.
Diesen Gesetzentwurf3) und den Ausschufsbcricht des Abgeordneten-
hauses8) wollen wir im folgenden vornehmlich besprechen, uns aber dabei
auf streng geographischem Boden halten. Die Frage der finanziellen
und nationalökonomischen Rentabilität der geplanten Wasserstrafse n soll
dabei aufser Betracht bleiben. Es sei lediglich bemerkt, dafs Landwirte und
In den Schriften der Binnenschiffahrts- Verbände und -Kongresse ist viel Material
enthalten; ich kann sie hier nicht sämtlich aufzählen.
1) Zugleich mit der Anlage eine» Hafens bei Prag 'Holleschowitz').
2) Nr. 792 der Beilagen zum sten. Protokoll des Abgeordnetenhauses, XVü. Session,
1901. Mit Kartenskizze und Profiltafel. Enthält auch eine kurze „Begründung'4.
3) Nr. 886 derselben Beilagen (enthält auch das Gesetz in der schliefslich an-
genommenen Form), über die Verhandlungen im Ausschüsse ist man auf Zeitungs-
berichte angewiesen, da da« stenogr. Protokoll des Abgeordnetenhauses nur die
Verhandlungen im Plenum umfafst.
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554
U. Sieger:
Industrielle mit gleicher Begeisterung sich für die Projekte ausgesprochen
hahen und nur vereinzelte, allerdings zum Teil gewichtige Stimmen vor
allzugrofsen Hoffnungen warnten. Hierzu gehören die deutsche und die
cechische Sektion des böhmischen Landeskulturrates, aber auch einzelne
Grofskaufleute. Anderseits hat ein hervorragender ungarischer Staatsmann,
Hieronymi1), die Vorteile, welche Ungarn aus den Kanalbauten erwachsen
werden, sehr hoch bewertet. Vom geographischen Standpunkte aus hat Prof.
A. Penck die Kanalprojekte in einem sehr lesenswerten Aufsätze8) besprochen,
worin er zu dem Schlüsse gelangt, dafs nur der Donau-Oder-Kanal erheblichen
Wert besitzen werde. Dagegen enthalten die Diskussionen im Parlament
und in der Presse wenig neue Gesichtspunkte.
Der Gesetzentwurf umfafste folgende Wasserstrafsen3): a) einen
. Schiffahrtskanal von der Donau zur Oder, b) einen solchen von der Donau
zur Moldau nächst Budweis nebst der Kanalisierung der Moldau von Bud-
weis bis Prag, c) einen solchen vom Donau-Oder-Kanal zur oberen Elbe
nebst der Kanalisierung dieser Elbstrecke bis Melnik (Moldaumündnng) ,
d) eine schiffbare Verbindung vom Donau -Oder-Kanal zum Stromgebiete
der Weichsel und bis zu einer schiffbaren Strecke des D niest er (§ 1).
Der Bau dieser Strecken soll spätestens 1904 beginnen und längstens binnen
20 Jahren vollendet werden (§ 5)4). Die Regierung wird ermächtigt, die
Trace und die technische Anlage dieser Wasserstrafsen endgiltig festzu-
setzen (§ 8)5). Der Ent wurf ist also ganz allgemein gehalten und läfst
selbst die Entscheidung offen, von welchem Teile der Donau der Kanal nach
Budweis ausgehen soll. Demgemäfs wird in dem knappen Motivenbericht
auch die Länge der Kanäle, und Flufskanalisierungen nur rund mit etwa
1600 — 1700 km und die Baukosten bei der in Aussicht genommenen
Tragfähigkeit der Kanalschiffe von 600 t ebenso rund mit 750 Mill.
Kronen veranschlagt G). Diese Unbestimmtheit beruht auf der unzureichenden
Beschaffenheit der technischen Vorarbeiten für gröfsere Strecken. Trotzdem
kommen nur einige wenige Tracen in Frage.
m.
Der • Donau-Oder-Kanal soll bei Floridsdorf nächst Wien be-
ginnen, wo ein grofser Hafen projektiert ist, sich am FuTse der Hügelland-
schaft des Viertels unter dem ManharLsberg zur March etwas oberhalb
Angern ziehen, der March und Becva folgen, die Wasserscheide übersetzen,
dann der Oder folgen. Er „endigt bei Oderberg an der Abzweigung der
1) Neue Freie Presse 15. Mai 1901.
2) Die Zeit, Nr. 345. Wien 1901; vgl. denselben über Flufsregulierungen eben-
dort Nr. 347.
3) Der ursprüngliche Antrag einer Anzahl Abgeordneter (Beilage 475 des sten.
Prot, 1901) hatte an Stelle der Punkte b) u. c) einfach einen „Donau-Moldau-
Elbe-Kanal" vorgeschlagen.
4) = § 6 des beschlossenen Gesetzes.
5) Etwas erweitert § 10 des beschlossenen Gesetzes.
6) Ein Teil derselben ist von den Ländern zu tragen.
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Kanille und Kanalprojekte in Österreich- Ungarn.
555
Kasehau - Oderberger Bahn und der oberschlesischen Bahn in einen grofsen
Hafen'11). Es wird ausdrücklich hervorgehoben, dafs eine direkte Einmün-
dung des Kanals in die Oder „in diesem Kalkül noch nicht enthalten" sei,
da inbezug auf die Weiterführung bis Cosel, wo die Kanalisierung in
Preufsen beginnt, eine Vereinbarung der Regierungen notwendig sei. Da
nun2) überdies für die ostdeutschen Kanalprojekte nur die Abmessungen für
400 Tonnen- Schiffe in Aussicht genommen sind, tritt für den Verfasser des
Entwurfs die internationale Aufgabe des Kanals, von der wir sonst so
viel vernehmen, ganz in den Hintergrund. Er bezeichnet als seine „primäre
Funktion44 die Bewältigung der Kohlenfracht „aus dem dort gelegenen
grofsen Kohlenbecken'4, der auch durch einen Stichkanal von Hruschau nach
Rcichwaldau gedient werden soll. In Reichwaldau plant man ebenfalls
einen grofsen Hafen. Die Übernahme der bisher von der Nordbahn beför-
derten Kohlenfracht aus dem Ostrauer Becken und aus Preufsisch-Schlesien
nach den Industrieorten Mährens und des östlichen Niederösterreich und ganz
besonders nach Wien ist aber nicht die einzige Aufgabe, welche man in
weiteren Kreisen diesem Kanal zuweist. Er soll auch dem internen Ver-
kehr in Mähren, sowohl dem landwirtschaftlichen, wie dem industriellen,
dienen, und sowohl für diesen Zweck, als mit Rücksicht auf die Kohlonzufuhr
befürwortet das Abgeordnetenhaus3) Stichkanäle nach Troppau und nach
Brünn. Der letztere wird wahrscheinlich der Nordbahnlinie Lundenburg-
Brünn folgen4). Man erwartet von dem Donau-Oder-Kanal5) eine Belebung
des mährischen Zucker-, namentlich aber des Gersten- und Malzexportes, eine
Erleichterung des Transportes von Ziegeln, Bausteinen, Kalk, Zement u. dgl.,
von Dünger und Abfällen, galizischem und oberösterreichischem Salz, von
Zuckerrüben, Rübenschnitten etc., Fettwolle, brennbaren oder explosiven Ar-
tikeln, frischem und getrocknetem Obst, Holz, Eisen u. s. w., eine Erleichte-
rung des für die mährische Eisenindustrie so wichtigen Imports von steiri-
schem Erz, ferner der Einfuhr von textilen Rohstoffen. Die letztere wird aller-
dings nur eintreten, wenn der Kanal mit den übrigen geplanten Kanälen in Zu-
sammenhang tritt. Noch viel mehr an den Ausbau des gesamten Kanalnetzes
und namentlich auch an den Ausbau der preufsischen Oder gebunden erscheint
die Verwirklichung der Hoffnungen, die man für den Export von ungari-
schem Holz und Getreide hegt. Der Abgeordnete Prima vesi (Handels-
kammer Olniütz) erwartet, dafs österreichisch-ungarisches Getreide in Stettin
mit dem russischen erfolgreich konkurrieren könne und dafs der Export
mährischer Kohle nach Ungarn, ja bis Galatz, Braila, Sulina möglich werde.
Dadurch würdo allerdings die beim Bau des Kanals vor allem angestrebte
Verbilligung der Kohle in Mähren und in Wien zweifelhaft. Wenn man
sich jedoch vergegenwärtigt, dafs während der Strikes des Jahres 1900
1) Aufzählung der an ihm liegenden Ort« im AuBschufsbericht S. 41.
2) Vgl. (i. '/.. 1901, S. 180. 3) Resolutionen 12 und 13.
4) Die im ursprünglichen Text enthaltenen Worte „von Lundenburg" wurden
bei der Beschlußfassung gestrichen.
• 6) Spezialberichte von Primavesi und Sileny, Beilage zum AuNschufsbericht.
Auch Bier wurde als Objekt des Kanaltransportes genannt, wohl mit weniger Recht.
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556
K, Sieker:
Brünn mit ungarischer Kohle versorgt wurde, so erscheint es nicht wahr-
scheinlich, dafs die mährische Kohle dem heutigen Hauptgehiet ihres Konsunis
entzogen werde. Schon heute spielt in Wien neben, ja vor ihr die ober-
sehlosisehe Kohle eine grofse Rolle und man erwartet, wie erwähnt, dafs der
Kanal auch ihren Import begünstigen werde. Die gröfste Besorgnis, welche
die Agrarier hegen, ist jene vor der massenhaften Einfuhr russischen, über-
seeischen und ungarischen Getreides. Was amerikanisches Getreide be-
trifft, so ist nach schlechten Ernten in Österreich-Ungarn der Versuch unter-
nommen worden, es auf dem Elbwege nach Böhmen zu bringen. Der Oderweg
aber dürfte für seine Einfuhr kaum in Betracht kommen. Russisches Getreide
müfste die langen galizischen Wasserwege passieren1) oder den Umweg
über Stettin machen. Ungarisches wird nach Österreich und spezioll nach
Mahren bereits vielfach eingeführt und in sehr grofsen Mengen durch-
geführt. Die Besorgnis vor der Konkurrenz im Inland und im Export ist
also für gute Erntejahre gewifs berechtigt, in schlechten Erntejahren ist man
aber auf die besprochene Zufuhr angewiesen2). Der Kanal wird den Ge-
freideverkehr vermutlich in beiden Richtungen steigern, wohl überwiegend
zum Vorteil Ungarns. Auch dürfte, wie Abgeordneter Dr. Licht3) hervor-
hob, durch die erleichterte Zufuhr von Brotgetreide und von Futtermitteln
die Tendenz der mährischen Landwirtschaft, vom Bau der Brotfrüchte zu
dem der Gerste und des Hafers, sowie zur Viehzucht überzugehen, eine
Verstärkung erfahren. Sileny4) erwartet eine ähnliche Wirkung auf den
Anbau von Obst und Gartenpflanzen, für den Mähren sehr geeignet ist,
während das preufsische Odergebiet seinen eigenen Bedarf an Obst kaum
decken kann5). Somit dürfte es, auch abgesehen von der Kohle, dem Donau-
Oder-Kanal nicht an Fracht fehlen, selbst wenn er vorläufig blofs Mähren mit
Wien und Ungarn verbindet.
Im Falle der Herstellung des Anschlusses an die kanalisierte preufsische
Oder6) dürfte der Bau des D onau- Oder-Kanals namentlich mit den An-
schlüssen an Elbe und Weichsel auch einen Teil desjenigen Verkehrs, der heute
1) Vgl. unten das filier die galizischen Kanäle Gesagte.
2) Wohl nur in solchen kommt auch der gleichfalls in Erörterung gezogene
Getreideimport aus den sogenannten ..Balkanländern" in Betracht; die gegen-
wärtigen schlechten Ernteverhältnisse in diesen Ländern selbst haben seine Be-
deutung gegenüber vorangegangenen Jahren verringert.
3) N. Fr. Presse 27. April. 4) a. a. 0.
'>) Erwähnt sei die von den Abg. Feschka und Schreiner ausgesprochene Be-
sorgnis, dafs die Vervollkommnung der Flfisse als Srhiffahrtswege den Holztransport
und Holzexport verteuern und erschweren werde. Abg. Kaftau dagegen ist der
Ansicht, dafs der Fbergang von der wilden Flöfserei zu der Anwendung von
Hemorqueureu nur vorteilhaft sei.
6) Die allerdings infolge schwankender Wasserstände nicht immer gut prakti-
kabel ist, So herrschte nach dem Jahresberichte des k. u. k. öst.-ung. Konsulats
Breslau für 1900 ß. 13 in diesem Jahre von Mitte August bis Ende Oktober Wasser-
mangel, nachdem schon Mai bis Juli ungfinstige Verhältnisse aufgewiesen hatten.
Im September und Oktober kam es dahin, dafs „die Schiffahrt auf der oberen Oder
fast vollständig ruhen mufste und auch unterhalb Breslau nur mit grofser Mühe
aufrecht erhalten werden konnte".
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>
Kanäle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn. 557
mit den Eisenbahnen zur Elbe und mittels der letzteren zur Nordsee geht,
an sich ziehen und entweder durch die Oder nach Stettin oder auf den
deutschen Kanälen nach Hamburg leiten. Diese Eventualität, die für Breslau
bedeutungsvoll wäre, hat J. Partsch mit scharfem Blick erkannt1).
Für Ungarn bedeutet der Donau-Oder-Kanal aufser der wichtigen Er-
leichterung des Verkehrs mit Mähren, selbst ohne Fortsetzung über Oderberg
hinaus eine direkte Verbindung mit der Grenze Deutschlands. Eine solche
bestand bisher trotz der in ungarischen Händen befindlichen Kaschau-Oder-
berger Bahn nicht, da der letzte Teil des Anschlusses nicht ihr gehört,
Hieronymi betont auch, dafs Ungarn durch den Kanal die schlesische Kohle
billiger erhalten werde. Von Bedeutung würde er jedoch für dieses Land,
das lassen Hieronyini's Ausführungen erkennen, erst durch die Zweiglinie
nach Nordwestmähren und Nordböhmen. Erwähnt sei schlielslich auch die
Wichtigkeit, die der Kanal nach Ausbau der preufsischen ,Oder als Transit-
weg von Deutschland nach dem Orient erlangen kann, die aber jene des
Donau-Elb-Kanals nicht erreicht.
Die Herstellung dieses Kanals bereitet keine allzugrofsen Schwierig-
keiten, ist jedoch viel schwieriger, als die eines Tieflandkanales. Er soll
nach dem offiziellen Projekt 275 km lang sein und Höhendifferenzen von
rund 125 m im Aufstieg, rund HO m im Abstieg überwinden8). Die Ver-
teilung dieser Steigungen ist jedoch ungünstig8). Die Wasserscheide bei
Weifskirchen liegt rund 320 m hoch, die Luha im Norden derselben
280, die Becva 240 m hoch. Die Zahlen der Regierungsvorlage lassen ver-
muten, dafs man zur Überwindung dieser auf 3 Kilometer verteilten Diffe-
renzen einen Tunnel zu bauen plant, allein selbst in diesem Falle bleibt im
Süden ein Anstieg von rund 40 m zu überwinden. Daher sind gröfsere
Kunstbauten unumgänglich. Das Projekt Ölwein und Pontzen 1873, das
für Schiffe von 240 t berechnet war, brachte 84 Schleusen, das Projekt
Peslin 1892 7 schiefe Ebenen und 3 Schleusen in Vorschlag. Es ist
bereits für Schiffe von 600 t berechnet. Gegenwärtig sind 45 Schleusen
oder 7 schiefe Ebenen projektiert. Eine Entscheidung zwischen Schleusen
und schiefen Ebenen ist für diesen Kanal sowie für die übrigen noch nicht
getroffen. Sie ist hier von um so gröfserer Bedeutung, als man auf der
Scheitelhöhe des Kanals keinen t berflufs an Wasser besitzt, Die Wsetiner
Becva, die das erste Projekt durch Thalsperren aufstauen wollte, soll nach
ihm 12 — 15 Hill, cbm liefern. Gegenwärtig hofft man 17 Mill. cbm von
ihr zu erlangen und will noch zwei kleinere Bäche aufstauen. Für die
unteren Teile soll die Donau, March, Oder und Ostrawitza (bei Mährisch-
Ostrau) das Wasser liefern. Das Projekt Ölwein -Pontzen will für den süd-
1) Breslau. Festgabe zum 13. deutschen (Jeographentag S. IS. Vgl. auch die
weiter unten angeführte Schrift von Sic wert S. 20 tf. In dieser wird S. 19 die
grofse Bedeutung des oberschlesischen Kohlenhandels nach Österreich auch im
Bahnverkehr ziffernmäfsig dargethan.
2) Wien lCü.O m, Wasserscheide 28G.1 in, Oderberg 202,1 m nach den der
Regierungsvorlage beigegebenen Profilen.
3) Hierauf weist l'enck a. a. 0. S. 85 nachdrücklich hin.
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558
R. Sieger:
lichsten Teil die Benutzung des Donauwassers mit der von den Landwirten
längst geforderten Bewässerung des Marchfeldes in Verbindung bringen,
dessen Fruchtbarkeit in den gut bewässerten Partien sehr bedeutend ist,
während anderen Teilen durch den Wassermangel Steppencharakter aufge-
prägt wird. Nach den Berechnungen Penck's1) und seiner Schüler be-
trägt die jährliche Abflufshöhe für das Marchgebiet nur 118 mm gegenüber
200 für die böhmische Elbe und 600 für die Donau bei Wien. Allein die
obere March hat bei Napajedl eine Abflufshöhe von 227, die Oder bei Cosel
von 268 mm, so dafs sich nach Penck's Ansicht nicht geradezu Wassermangel
einstellen dürfte.
Unangenehmer ist gerade für einen Kohlenkanal die lange Dauer der
Eisdecke. Nach Penck ist die Temperatur bei Wien durchschnittlich 65
Tage, vom 0. Dezember bis 11. Februar, unter Null Grad, an der Becva
aber 95 Tage, vom 27. November bis 1. März. Die Schiffahrt ist also drei
Mouate oder länger unterbrochen und dies gerade zur Zeit gesteigerten
Kohlenbedarfes.
Die Baukosten veranschlagen die Techniker der Regierung auf etwa
140 Millionen Kronen*). Dieser Betrag erscheint im Vergleich zu dem
mannigfaltigen Nutzen, den man von diesem Kanal für Binnen- und Aus-
landsverkehr erwartet, nicht eben zu hoch, und es ist wahrscheinlich, dafs
der Donau-Oder-Kanal zuerst fertiggestellt werden wird. Ist er doch auch
diejenige unter den projektierten Wasserstrafsen, die am meisten Zustimmung
und am wenigsten Widerspruch gefunden hat.
IV.
Von der Verbindung der beiden wichtigsten Schiffahrtströme Österreichs,
Elbe uud Donau3), erhofft man mindestens eine teilweise Ausdehnung des
regen Verkehrs der ersteren auf den „toten Strom", der Wien bespült.
Es ist bekannt, dafs im Aufsenhandel der österreichische Elbverkehr an Umfang
(Tonuenzahl) den sämtlicher Seehäfen Österreichs übertrifft und selbst nach
Abrechnung des für Aufsig maßgebenden Braunkohleuverkehrs ist der Aufsen-
handel der wenigen Elbhäfeu (Aufsig-Schönpriesen, Tetschen-Laube, Rosawitz-
Bodenbaeh) dem von Triest nahezu ebenbürtig. Dagegen ist der Donau-
verkehr oberhalb Wien gering. Die ehedem bestandeue Kette wurde wegen
Versehot terung wieder aufgelassen, und eine Regulierung der Strecke
Korneuburg-Passau ist dringend nötig4). Sie wird auch insbesondere von den
Verfechtern der Wasserstrafse Linz-Budweis gefordert. Unterhalb Wiens
1) a. a. 0. S. 84 f. Vgl. aber auch oben S. 5'»6 Aum. 6.
2) Eine ZusammenKtellung der Längen und der Kosten für die projektierten
Kanäle nach dem hydrotechnischen Bureau des Handelsministeriums iHofrat
Hill i nger) gielit der AusBchulsbericht S. 40.
3) Vgl. die dem Ausschulsbericht heigegebenen Spezialgeräte der Abg.
Kaftan uud Schreiner, deren craterer für die Korneuburger. letzterer für die
Linzer Traee eintritt.
4) Penck a. a. 0. (S. 84) hebt hervor, dafs die Donau von Passau nach Wien
auf 800 km um 134 Meter falle und 80 Kilometer Umweg mache.
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Kanäle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn. 559
liegen die Verhältnisse mit Ausnahme der schlechten und seichten Strecke in
der kleinen ungarischen Tiefebene wesentlich günstiger.
Die Vorteile, die ein Donau-Elbe-Kanal als internationale Verkehrs -
strafse vor einein Donau-Oder-Kanal voraus hat, sind in einer gründlichen
Studie von F. Siewert1) klar dargelegt worden. Er hat aus einer eingehenden
Vergleichung des Verkehrs zu Wasser und zu Land und der Konkurrenz-
kämpfe zwischen der Oder- und der Elblinie die derzeitige Überlegenheit der
letzteren nachgewiesen8), obwohl er die Bedeutung der ersteren nicht unter-
schätzt. Während aber der österreichische Donau-Oder-Kanal einen Anschlufs
an die schiffbare Oder erst suchen mufs und es dazu Vereinbarungen mit
Deutschland bedarf, kann der Elbkanal ganz in Österreich gebaut werden.
Sofort nach seiner Herstellung ist ein Wasserweg quer durch Mittel-
europa8) zur Verfügung, auf den ein grofser Teil der Bahnfracht alsbald
übergehen kann. Es ist auch wichtig, dals etwa die Hälfte des überseeischen
Verkehrs der österreichisch -ungarischen Monarchie, wenn wir den Levante-
handel ausnehmen, über Hamburg und Bremen geht und auch nicht leicht
nach der Adria sich ablenken läfst, da es in Triest und Fiume an Rück-
fracht fehlt*). Der Bau der Tauernbahu wird diese Sachlage allerdings
etwas ändern, allein für einen grofseu Teil Böhmens, ja sogar Mährens, ist
die Verbindung mit der Nordsee unter allen Umständen vorteilhafter und
eine Verbesserung und Verbilligung derselben durch Ausdehnung des Wasser-
strafsennetzes erwünscht. Ahnlich verhält es sich in Bezug auf Ungarn.
Hieronymi0) hebt hervor, dafs der' Donau-Elbe-Kanal für dieses weit
gröfsere Bedeutung besitzen werde als der Donau-Oder-Kanal, da er gerade
jene Gebiete Österreichs durchschneidet, nach denen sich die ungarische
Ausfuhr zumeist bewegt. Durch ihn würden für den imgarischen Getreide-
export nach Nordböhmen günstigere Verhältnisse geschaffen, dieser würde
gewissermafsen gleichgestellt mit dem überseeischen Import, der in kurzem
den Wasserweg von Hamburg bis Prag wird benutzen können. Kaftan6)
geht einen Schritt weiter; er erhofft, dafs das ungarische Getreide bis nach
Hamburg konkurrenzfähig werden und dieses neue Absatzgebiet dem böhmischen
vorziehen möge, während die Bodenprodukte Böhmens, durch die Kanäle
gleichmiifsiger verteilt, dem eigenen Konsum des dichtbevölkerten Landes
dienen könnten. Ein Donau-Elbkanal ist somit sowohl für den inneren
österreichischen, wie für den internationalen Verkehr und Handel in mannig-
faltigen Beziehungen von Wert. Er darf aus dem heute schon bestehenden
Elbverkehr reichliche Alimcntierung erwarten.
In Bezug auf den Weg, den der Donau-Elbe-Kanal nehmen kann, bieten
sich mehrere Möglichkeiten. Die lebhafte Agitation zu seinen Gunsten, die
1) Der Elbe-Moldau-Donau-Kanal als Transitstrafse des wesentlichen Handels.
Berlin, Siemenroth u. Troschel 1899.
2) S. 20-27, 171 f.
8) Sulina-Hamburg via Korneuburg 3221 Kilonieter.
4) S. 37, 40. Anders für Mittelmeer und Levante (vgl. Schreiner. Ausschufs-
bericht S. 79).
6) N. Fr. Presse 16. Mai. 6) Ausschulsbericht B, 74.
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560 R. Sieker:
besonders von Prag ausgeht und in enger Verbindung mit den Regulierungs-
arbeiten an Elbe und Moldau erwachsen ist, hat sich fast ausschliefslich für
einen Donau -Moldau -Elbe-Kanal bethätigt, und wenn man von Donau- Elb -
kanal spricht, denkt man meist nur an den letzteren. Er steht daher auch
im Bauprogramme der österreichischen Wasserstrafsen weitaus im Vorder-
grund vor der zweiten möglichen Variante, dem Donau-March- Elb-Kanal,
der, wie wir sahen, in jenem nur als Verbindung des Donau-Oder-Kanals mit
der Elbe, also als etwas Sekundäres, erseheint.
Betrachten wir zunächst den Donau-Moldau-Kanal, mit dem die Mol-
daurogulierung zusammenhängt. Die drei möglichen Tracen wurden bereits
erwähnt1). Der Korneuburger Kanal soll die Donau bei Korneuburg ober-
halb Wien verlassen, das Tullnerfeld bis Absdorf durchziehen, dann im Schmida-
thale längs der Franz Josefs-Bahn bis Eggenburg, im Lateinthal bis Stockem
gehen, die Wasserscheide durchstechen, hierauf im Kampthale die Stadt Horn
in einem Bogen umgehen, um langsam zur Scheitelhaltung bei Taures anzu-
steigen. Die Wasserscheide zur Thaya durchsticht er, geht dann an den
Lehnen des Thauabachs und der Thaya nach Gmünd hinab, übersetzt die
Lainsitz, gelaugt ins Schweinitzthal und durch das Maltschthal in die Moldau
bei Budweis2). Die Gesteinsbeschaffenheit ist durchaus günstig. Die Linzer
Knute (Projekt Urbanitzky) stöfst dagegen nach G. A. Koch auf Hindernisse
wegen des rutschigen Terrains3). Sie soll von Linz durch das „Mühlviertel"
nach Rosenberg in Böhmen geführt werden, dann die obere Moldau, die
kanalisiert werden müfste, bis Budweis benutzen. Der Gedanke, von Unter-
mühl 35 km oberhalb Linz den Kanal zu bauen (Projekt Pöschl), scheint
jetzt verlassen. Denn Resolution 1 des Abgeordnetenhauses empfiehlt der
Regierung blofs, „beide Linien zu studieren", und auch in der Debatte wurde
des dritten Vorschlages kaum gedacht.
Nach der dem Gesetzentwurf beigegebenen Profilskizze würden sich für
die drei Projekte folgende Höhenverhältnisse ergeben (in Metern)
Steigung im
Donau
höchste
Stelle
Moldau
Anstieg
Abstieg nach
Budweis
I. bei Korneuburg 161,6
529,0
bei Budweis
384,0
367,4
145,0
II. bei Linz 250,6
700,0
bei Hohenf'urth
564,0
449,5
816,0
III. bei CntermfihJ 265,0
760,0
bei Budweis
384,0
495.0
376,0
Die geringsten Höhendifferenzen entfallen also auch absolut auf die der
Franz Josefs-Bahn folgende Linie (Waldviertellinie), die zugleich die Hingste
ist. Denn Linie 1 wäre »ingefähr 205 Kilometer lang, Linie II 90 km4),
wovon 40 auf die zu kanalisierende Moldau oberhalb Budweis kämen, endlich
Linie III 93 km, auf die also 871 m Steigung kommen sollten!5)
1) Oben S. 553.
2) Kaftan, Aussehufsberieht S. 62. 3) ebd. S. 69.
4) Nach Schreiner nur 75 km, Bericht 8. 77.
6) Die Zahlen nach dem Ausschul>il»erit'lit 'bes. S. 69 ff.). Die Lunge der zu
kanalisierenden Moldau bis Prag ist 179 km (man plant 39 Schleusen).
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Kanüle und Kanalprojekte In Österreich-Ungarn. 561
Aber auch die geringst« unter den angeführten Steigungen ist noch
sehr bedeutend1). Penck2) hebt ferner die ungünstigen Gefäll s- und
Was serführuugs Verhältnisse der Moldau hervor, die deren Regulierung
erschweren. Während sie im Juli bei Prag weniger Wasser führt, als die
Traun bei Wels, ist sie dort im Winter 69 Tage mit Eis bedeckt. In
550 Meter Meereshöhe aber hält sich nach Augustin im böhmisch -öster-
reichischen Grenzgebirge die Temperatur 105, in 600 m 111 Tage unter
Null Grad. Die Schiffahrt wäre also durchschnittlich mehr als ein Drittel
des Jahres unterbrochen3). Obwohl man durch künstliche Magazinierung an
der Wasserscheide 30 bis 40 Millionen cbm Wasser zu erlangen hofft4), also er-
heblich mehr, als bei Weifskirchen für den Oder-Kanal zu Gebot« stehen, wird
doch auch hier an die Verwendung von Schiffshebewerken gedacht. Das
Lanna-Vering'sche Projekt nimmt 53 oder 54 Schleusen mit durchschnittlich
etwa 10 m Höhe in Aussicht. Das Schönbach'sche Projekt hingegen will
451 m Steigung mit vier schiefen Ebenen überwinden, deren eine 350 Promille
Steigung aufweisen soll6). In jedem Falle gehört der Kanal zu den kost-
spieligen Bauwerken. Nach den bisherigen approximativen Annahmen würde der
Korneuburger Kanal etwa 140 Mill. Kronen kosten, nach Kaftan sogar 149 Mill.,
wozu noch die grofsen Kosten und Schwierigkeiten der Moldauregulierung kommen.
Nahezu ebensoviel würde der kurze Untermühler Kanal erfordern; der Linzer
Kanal mit gegen 100 Mill. Baukosten wäre der kürzeste und billigste.
Allen drei Tracen des Donau- Moldau-Kanals ist gemeinsam, dafs sie
dünn bevölkerte Landstriche durchziehen. Die Gegend von Prag und
jene von Budweis haben wohl eine bedeutende Industrie und grofsen Verkehr,
allein „von Budweis bis Prag", das führt der cechische Abgeordnete »Silcny
zutreffend an6), „giebt es keine einzige wirtschaftlich oder anderweitig be-
deutende Ortschaft4' im Moldauthal. Das „Waldviertel" in Niederösterreich,
das der Wiener, das „Mülilviertel" Oberösterreichs, das der Linzer Kanal
durchziehen würde, sind abgesehen von einigen wenigen industriellen Orten
arm an Bevölkerung, Produktion und Verkehr7). Gewifs wird der Kanal
1) Penck a. a. 0. S. 85: „Das sind Aufgaben für eine Gebirgsbahn, nur ein
Kanal hat sie bisher zu lösen versucht, nämlich die . . . Portage Road in Pennsyl-
vanien. Wiewohl sie von einem der reichsten, vielleicht dem reichsten Kohlen-
Gebiete der Krde zum Meere fuhrt, hat niemand daran gedacht, sie gesteigerten
Verkehrsbedürfnissen anzupassen. Sie ist verfallen, neben ihr fährt Lastenzug auf
Lastenzug" u. 8. w.
2) a. a. 0. S. 86.
3) Weniger exakt berechnet Kaftan (S. 63) 270 Schiffahrtstage aus den 297
Schiffahrtstagen der Donau und den 285 der Moldau und Elbe.
i) Erstere Zahl stammt von Schönbach, letztere von Kaftan. „Allerdings mufs
in dem trockensten Jahre mehr als 60 Prozent der ablaufenden Wassermenge für
die Kanalspeisung verwendet werden" (Kaftan a. a. 0. S. 65).
6) Schönbach,N. Fr. Pr. 28. März. Vgl. Kaltaus Bericht. Für die Linzer
Koute sind 60 Schleusen, für die Untermühler Variante 11 Hebewerke geplant.
6) Ausschufsbericht S. 40. Vgl. auch Penck a. a. O. S. 85 u. 86.
7) Die Linzer Trace berührt relativ mehr volkreiche und produktive Gebiete,
als die Korneuburger Linie. An ihr liegt z. B. die Gegend von Krimiau mit ihrer
• bedeutenden Industrie.
GeojraphUcho Zeitschrift. 7. Jahrgang. 1901. 10. Heft. 38
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562
K! Sieger:
auch hierauf einen günstigen Einflufs nehmen kennen. Allein in keinem
Falle hält er einen Vergleich mit dem Elbe-March-Kanal aus, der fast durch-
aus durch volkreiche, industriell und landwirtschaftlich hoch entwickelte
liegenden führt. Wir werden sehen, dafs die Aufgaben einer Verbindung
zwischen Elbe und Donau von dem letzteren vollauf geleistet werden können.
Dem Donau -Moldau -Kanal verbleibt also als eigentliche Aufgabe die Ver-
bindung Südböhmens und Prags mit den Gebieten der oberen Donau,
mit Wien und mit den Alpenländern. Die ersteren köunten durch
den Umbau des Donau-Main-Kanals l) Bedeutung im Weltverkehr erlangen.
Heutzutage ist der Verkehr der oberen Donau jedoch, wie bereits erwähnt,
noch minimal. Der Zugang zu den Alpenl ändern wird durch eine Wasser-
strafse, die an ihren Rand führt, zweifellos erleichtert — und zwar nicht
nur von Süd-, sondern auch von Nordböhraen und von Hamburg aus. Doch
kann der Wasserweg nur au den Rand der Alpen führen und es würde ge-
rade für weite Transporte, z. B. im Agrumen- und im sächsischen Baum woll-
verkehr Triests oder im Transit Deutschlands mit Italien die relativ geringe
Kürzung der teuren Bahnstrecke nicht sehr erheblich in die Wagschale
fallen *). Im Nahverkehr dagegen, das will sagen in dem nicht sehr be-
deutenden Waren-Austausch der eigentlichen Alpenländer mit Südböhmen,
der nur wenige Massenartikel aufweist3), wäre ein gewisser Aufschwung am
ehesten von dem Linzer Kanal zu erwarten, da Linz und Umgebung die
Ausgangspunkte einer Anzahl von Bahnen ins Gebirge bilden und als solche
namentlich nach Ausbau der Pyrn- und Tauernbabn an Wichtigkeit gewinnen
werden. Es ist aber zweifelhaft, ob für die südböhmische Industrie diese Ver-
bindung gröfseren Wert besäfse, als die Wasserverbindung mit Wien,
die auch die bessere Ausnützuug südböhmischer Naturprodukte, wie z. B. der
Lehmlager oder der Fischteiche (Donaukarpfen!) ermöglichen würde. Dieser
Verkehr aber erfolgt auf dem Korueuburger Wege vorteilhafter, ja für ihn
wäre der Transport auf dem Wege über Linz oder Untermühl kaum mit dem
direkten Bahnwege konkurrenzfähig. Namentlich gilt dies von der Bergfahrt,
die allerdings im Verkehre Böhmens mit Wien weniger in Betracht käme,
deren Kostspieligkeit aber einen internationalen Transitverkehr unangenehm
erschweren müfste4). Die Verbindung Süd- und auch Nordböhmens mit
1) Wie weit die Projekte gediehen sind, den Donau -Main -Kanal, der über
WeifHenburg-DoIlnstein- Steppberg zu führen ist, durch Kanalisierung des Lech, der
Donau von Ulm bis Kehlheim und einen Kanal Mflnchen-l'üttmes-Donau zu ergänzen
(HandelsmuHOuiu 1901, S. 323 f.), ist mir nicht bekannt. Jedenfalls steht die
„brauchbare Wasserstrafse Rotterdam -Wien" des Abg. Schreiner (Bericht S. 79)
noch nicht in naher Zukunft bevor.
2) Kaftan S. 07: Bahn Budweis - Triest jetzt 709, nach Ausbau der Alpen-
bahnen 059 km. Kanal Budweis-Wieu 219, Bahn Wien-Triest ü£9 km. Ähnliches
ergiebt sich via Linz; die Kanalstrccke ist zwar noch kleiner, aber es entfällt der
grofse l'mweg der Eisenbahn, vollends nach Ausbau der Tauernbahn. Durch den
Kaualbau nach Linz hofft man 121 Tarif kilometer Eisenbahnfracht zu ersparen.
3) Schreiner S. 79 nennt Kohle, Erz, Holz, Salz. Kalk, Zement, Kiseu.
4) Schreiner (Aussehufsbericht S. 78) sieht in der „teuren Bergfahrtsfracht"
gleichsam einen „inneren Schutzzoll" gegen das ungarische Getreide. Damit ist
wohl die Auffassung des Kanals als Lokal -Kanal schlagend dokumentiert.
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Kanäle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn. 563
Triest1), die für manche Artikel nicht unwichtig ist, würde dagegen durch
den Linz-Bud weiser Kanal viel erheblicher gefördert, als durch den Korneu-
burger. Allerdings fallt für diese Relation wohl mehr die Wegkürzung durch
die Tauernbahn und eventuell selbst die Moldauregulierung ins Gewicht, als
die Ersetzung von 90 km der Bahn durch eine — nicht einmal sehr billige —
Kaualfahrt. Das wurde schon hervorgehoben2). Beim Vergleich beider Tracen
untereinander aber mufs für diese Relation der Vorzug der Linzer Route an-
erkannt werden.
In dem Spezialbericht des Abg. Schreiner und in der Kommission des
Herrenhauses wurde namentlich auch zu Gunsten der Linzer Variante vorgebracht,
dafs dieselbe den bereits bestehenden Braunkohlen- Export nach den Alpen -
hindern sehr stark steigern könnte, wahrend dieser auf dem Korneuburger
Wege in das Absatzgebiet der mährischen Steinkohle geleitet würde, gegen
welche die böhmische Braunkohle nicht konkurrieren kanu. Trotz der grofseu
eigenen Braunkohleuproduktion der Alpenländer, speziell Oberösterreichs, ist
dieser Gesichtspunkt zwar nicht von sehr grofsem, aber doch von einigem
Belang3). Ebenso könnte der Erzimport aus den Alpenländern nach Böhmen
durch diese Trace gewinnen, doch möchte ich auch diese Möglichkeit ange-
sichts der Erzproduktion des Prag-Pilsener Beckens nicht überschätzen. Für
den Holzhandel wären beide Tracen nicht unwichtig, doch käme der Vorteil
nicht den gleichen Gebieten zu gute. Wohl aber könnte der Linzer Kanal
für den Zuckerhandel und — im Anschlufs an die heute nur von Gnaden der
Staatsbahuen vegetierende Salzschiffahrt der oberösterreichischen Traun — für
den Salztransport, wichtig werden.
Man sieht aus diesen Beispielen, dafs der Donau-Moldau-Elb-Kanal, wie
die Begründung der Regierungsvorlage zutreffend hervorhebt, nicht gleich
dem Donau-Oder-Kanal wesentlich der Beförderung eines Massenartikels dienen
soll. Sie sieht vielmehr „seine charakteristische Bedeutung in dem grofsen
internationalen Zuge" (S. 10), was aber bezweifelt werden mufs. Der Kanal
dient lokalen Interessen in hervorragendem Mafse; daher die Heftigkeit des
Gegensatzes zwischen den Verfechtern der einzelnen Tracen. Wer von ihm
internationale Bedeutung als Bindeglied zwischen West und Ost erwartet,
mufs sich wohl für die Wiener Trace aussprechen. Von lokalen Gesichts-
punkten der Alpenländer und Südböhmens aus hätte dagegen die Linzer Trace
1) Ebd. S. 79.
2) Vergl. oben 8. f>G2. Der Abgeordnete Vukovic berechnete (sten. Prot, 4569),
dafs die Grenze der Attraktiousgebiete von Triest und Hamburg durch die
Tauernbahn allein bis Strakonitz, durch Tauernbahn und Kanal bis Prag nordwärts
verschoben würde. Das mag in rein tarifarischem Sinne richtig sein. Es ist aber
eine so bedeutende Verschiebung nicht zu erwarten, da einerseits der Elbweg be-
quemer ist, als ein hochgelegener Kanal mit Umschlag auf die Bahn, andererseits
die Attraktion des gröl'seron Handels- und Schiffahrtsplatzes sich geltend macht.
3) Es ist zu bemerken, dafs man iz. B. Spczialreferent Abg. Kaltau, Bericht
S. Gl. N. Kr. Presse IG. Mai) eine Schädiguug des böhmischen Braunkohlenexports
durch den Bau des deutschen Mittellandkanals besorgt und daher demselben einen
billigen Weg nach Südböhmen, Wien, der Donau und den Alpenbahuen sichern
will. Kaftan meint, man werde wenigstens die Hälfte der gegenwärtig exportierten
Kohle, also 4—6 Mill. t, auf dem Wasserweg nach Süden befördern.
8b*
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5Ü4
R. Sieger:
manches für sich, auch den Vorteil der relativ billigen Herstellung. Allein
es entsteht die Frage, ob man überhaupt einen so kostspieligen Kanal bauen
soll, lediglich um lokalen Interessen zu dienen. Der Donau - Moldau - Kanal
fallt in dem Augenblicke aufser Betracht, in dem man sich überzeugt, dafs
der Donau-March-Elbe-Kanal die Aufgaben des Fernverkehrs ebensogut
oder besser lösen kann. Mau hat aber die Gesichtspunkte verschoben. Ver-
anlafst durch das Schlagwort der „kürzesten Verbindung" hat man von
vornherein die Verknüpfung der Elbe und Donau nur durch die Moldau be-
werkstelligen wollen und den Elbe-March-Kanal lediglich als Verbindungsglied
der beiden parallelen Haupt Wasserwege für die sekundäre Ausgestaltung des
Verkehrsuetzes in Aussicht genommen.
V.
Dieser Verbindungskanal zwischen beiden besprochenen Linien wurde
vom Ausschufs näher festgelegt, indem als oberer Endpunkt der Elbregulie-
mug Jaromef bei Josefstadt bezeichnet wurde. Ferner soll die Teilstrecke vom
Donau- Oder-Kanal nach Olmfitz möglichst bald hergestellt werden1). Mau
zieht die Trace von Prerau an der March, dem bekannten Eisenbahnknoten-
punkt, über Olmütz nach Pardubitz an der Elbe. Von dieser Linie aus be-
fürwortet eine Resolution (Nr. 1 5) einen jedenfalls nur kurzen Stichkaual
nach Profsnitz, der aufstrebenden tschechischen Industriestadt. Die drei rivali-
sierenden Städte Prerau, Olmütz und Profsnitz hätten also von dem Kanal
gleiche Vorteile; sie und mit ihnen ein grofser Teil Mührens würden Roh-
materialien und Kohle für ihre Industrie leichter und billiger beziehen. Es
ist möglich, aber zunächst nicht sehr walirscheinlich, dafs neben der Ostrauer
Steinkohle auch die böhmische Braunkohle auf diesem Weg Ostböhmen und
Mähren zugeführt werden wird. Für den Fall einer Unterbindung des inter-
nationalen Kohlenverkehrs, der ja nicht mehr völlig ausgeschlossen erscheint,
wäre diese Möglichkeit dagegen von hervorragender Bedeutung. Die Be-
gründung der . Regierungsvorlage hebt nur folgendes hervor: „Ihr verkehrs-
politisches Relief erhält diese Wasserstrafse dadurch, dafs sie die westliche
Fortsetzung der östlichen galizischen Kanalgruppe bildet." Man
scheint also daran zu denken, dafs böhmische und nordmährische Industrie-
produkte und galizische Rohstoffe auf diesem Wege ausgetauscht werden
können. Als Beispiel denke ich etwa an die Versorgung böhmischer Raffi-
nerien mit galizischem Petroleum. Wichtiger kann diese Verbindung aber
werden, indem sie Theile Nordostböhmens mit Oder und Donau ver-
bindet. Für die Orte an der unteren böhmischen Elbe wäre dieser Weg
nach Wien und Ungarn zwar etwas weiter, aber in Anbetracht der geringeren
Steigungen kaum unvorteilhafter als der über Korneuburg. In ihrem
Interesse hätte dieser Kanal auch als Donau- Elbe -Kanal genügt, da es
sich nicht wie bei einer modernen Bahn um den direktesten Weg handelt.
Der Budweiser Kanal liegt nur im Interesse von Mittel- und Südböhmen.
Die heutigen Zentren des böhmischen Elbhuudels, Aufsig und Tetschen-
I) Resolution 11 spricht diesen Wunsch aus.
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Kanüle und Kanalprojekte in Österreich -Ungarn. • 565
Bodenbach, würden durch ihn mit der Gefahr bedroht, dafs — abgesehen vom
Kohlenexport — Prag an ihre Stelle träte. Das wurde von nationalen
Politikern richtig erkannt und wohl deshalb forderte die alldeutsche Partei,
dafs zuerst der Wasserweg Prerau-Melm'k hergestellt werde. Eine teilweise
Führung des Verkehrs über letzteren auch neben dem Budweis-Wicner Kanal
könnte die Position der nördlichen Städte minder ungünstig gestalten. Be-
günstigt durch den Kanal wird auch die Gegend, wo Moldau und Elbe
zusammentreffen, und es steht zu hoffen, dafs dieser Vorteil der deutschen
Stadt Lobositz zufalle, die sich schon lange um die Herstellung eines
gröfseren Hafens und Umschlagplatzes bemüht.
Es wurde schon anläfslich des Donau-Oder-Kanals hervorgehoben, dafs
die in Rede stehende Verbindung manche Güter, die heute mit der Bahn zur
Elbe gehen, nach der Oder abzulenken vermag, sobald der Donau-Oder-
Kanal mit der preufsischen Oder in Verbindung tritt. Dies gilt insbesondere
für Nordwest -Mähren, doch ist das Gebiet, für welches eine solche Ablenkung
zu erwarten ist, nicht allzu grofs. Umgekehrt aber würde die billige Ein-
fuhr von Rohmaterialien auf dem Elbwege durch diesen Kanal gerade den
industriellsten Teilen Böhmens und Mährens zugewendet. -Die angeführten
internen und Anschlufsverbindungen allein vermögen schon den Elbe-March-
Kanal zu einer belebten Wasserstrafse zu machen; deren wachsender Ver-
kehr mag dann auch den Beweis erbringen, dafs sie auch die internatio-
nalen Aufgaben eines Donau-Elbe-Kanals zu lösen vermag.
Die Artikel, welche heute im Elbverkehr die österreichische Grenze
überschreiten, eignen sich meist auch für einen Wassertransport tiefer ins
Land. Aus einer Zusammenstellung Siewert's1) ergiebt sich, dafs sie über-
wiegend von Hamburg importierte, d. h. über das Meer kommende Artikel
umfassen: Eisen, Baumwolle, Salpeter und andere Düngemittel, fette Öle und
Fette, Ölsaat, Erze, Theer, Pech, Harz, Petroleum etc., Reis, Tabak u. s. w.
Ebenso gehen die meisten aus Österreich per Elbe ausgeführten Artikel über
See: Glaswaren, Zucker etc., nur die Braunkohle geht überwiegend in die
nächsten Nachbargebiete. Da die mährische Industrie verwandte Produktion
und verwandten Bedarf hat, wie die böhmische, so ist eine Erweiterung dieses
überseeischen Verkehrs durch den Kanal so gut wie sicher.2)
Aber auch das, was Siewert speziell betont, die Erweiterung des
böhmisch - deutschen Verkehrsgebietes nach Süden3) und den Transit, den
er vom Korneuburger Kanal erhofft, darf man gröfstenteils auch vom Prerauer
erwarten. Nur der Transit nach Italien und der Schweiz, soweit er über-
haupt in Betracht kommen kann, mufs westlichere Wege einschlagen*). Aber
für jene Verkehrsbewegungen, die Siewert so eingehend studiert hat, den
Transit West- und Nordeuropas und der überseeischen Länder durch Deutsch-
land mit Österreich-Ungarn5) und der unteren Donau, ebensowohl wie jenen
Ungarns und des Orients mit Deutschland durch Österreich6), kommt es
wesentlich nur darauf an, dafs eine gute Verbindung der Elbe mit der
1) a. a. 0. 15. 2) Über amerikanisches Getreide vgl. oben S. 556.
3) Ebd. 8. 16. 4) Ebd. S. 16, Anm. 5) Ebd. S. 31-37. 6) S. 14-30.
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566
It. Sieger:
Donau bei und unterhalb Wien besteht. Abgesehen von den technischen
Verhältnissen ist aber jene Linie für diesen „westöstlichen Transitverkehr"
die beste, die durch die volkreichsten und industriellsten Gebiete führt.
Daher trifft alles, was Sie wert1) in seinem Buche über die „Gegenstände
des westöstlichen Handels und deren Sammlung im Elbe -Moldau -Donau-
Kanal" sagt, in gesteigertem Mafse für den Elbe- March -Donau-Kanal zu.
Holz, Zucker, Getreide und Mahlprodukte, Gerbstoffe, Malz, Hülsenfrüchte, Obst,
Kleesaat, Eier, Wein, russisches und rumänisches Petroleum etc. auf der einen,
die oben erwähnten Artikel des Hamburger Imports auf der anderen Seite wür-
den auch hier in erster Linie in Betracht kommen. Die Holz-, Zucker-, Glas-,
Papierproduktion Mittel- und Südböhmeus könnte durch die bereits im Gange
befindliche Moldauregulierung in Anschlufs an diese Hauptlinie gebracht
werden. Die Produkte des mittleren Elbgebiet« aber fänden längs des Prerauer
Kanals besseren Absatz als längs der Budweiser Wasserstrafse.
Der Prerau -Meln/ker Kanal stellt also eine Reihe von internationalen
Wasserverbindungen für die gewerbtteifsigen , industriell hoch entwickelten
Gebiete des Keichenberger und Olmützer Handelskammerbezirkes her, auch
wenn der Anschlufs des Donau-Oder-Kanals an Galizien und an Preufsen
unterbleiben sollte. Er ist in Verbindung mit dem letztgenannten weitaus
die wichtigste der geplanten Wasserstrafsen und kann wohl als „öster-
reichischer Mittellandkanal*)" bezeichnet werden. Es mag hervorgehoben
werden, dafs nach Penck3) diese Linie, welche die niederste Stelle der Um-
wallung Böhmens durchzieht, auch die „durch die Natur klar vorgezeich-
nete" Linie des Donau-Elbe-Kanals ist, so wie ihr auch die ältesten Schienen-
wege von Wien nach Prag folgten. Und wie diese noch heute im Weltverkehr
keine geringere Bedeutung besitzen, als der später hergestellte Schienenweg
über Gmünd, so ist auch kein Anlafs zu befürchten, dafs ein Wasserweg
Wien-Hamburg über Prerau-Pardubitz jenem über Korneuburg oder gar über
Linz nachstehen werde. Man kann vom Gesichtspunkte des Fernverkehrs
geradezu auf den Bau des letzteren verzichten, umsomehr, als die Führung
des Elbe-Kanals über Prerau auch der südlichen Strecke des Oder-Kanals einen
lebhaften Verkehr sichert. Auch aus einem anderen Grunde hätte der March-
Elbe-Kanal dem Moldau-Elbe-Kanal vorausgestellt werden sollen. Er ist
wesentlich leichter zu bauen, wenn er auch dem Donau-Oder-Kanal gegen-
über schwierig erscheinen mag. Auf etwa 180 km4) soll er rund 400 m
überwinden, d. h. von Prerau (216,5) und Pardubitz (217,5) hat er fast die
gleiche Höhe zum Scheitel bei Triebitz (417,5) anzusteigen, auf der mäh-
rischen Seite allerdings allmählicher. Ein Tunnel von 4,3 km bei Böhmisch-
Trübau könnte in 380 m Höhe geführt werden, wodurch auch die winter-
liche Kisbedeckung auf weniger als 100 Tage verringert würde5). Die
Wasserbeschaffung ist bei der geringen Wasserführung der oberen Elbe
ebenfalls nicht leicht6). Somit stellen sich die Baukosten immerhin auf
130 Mill. Kronen. Die natürliche Begünstigung gegenüber der Moldauroute
1) 8. 44—53. 2) Licht, N. Fr. Presse, 27. April. 3) a. a. 0. 8. 85.
4) Nach Hillinger 188 km. 6) Penck a. a. 0. S. 86. 6) S. oben S. 568.
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Kanäle und Kanalprojekte in Österreich- Ungarn.
667
tritt aber dennoch deutlich in der geringeren Höhe und Steilheit, sowie in
der kürzeren Dauer der Frostperiode zutage. So wirken alle Gesichtspunkte
zusammen, diese Linie vor der konkurrierenden zu empfehlen. Auch ihre
Herstellung erfordert Opfer. Aber die Möglichkeit, ein grofses, lebensfähiges
Werk zu schaffen, rechtfertigt hier selbst erhebliche Aufwendungen, die an
anderer Stelle vergeblich gemacht zu werden drohen.
VI.
Am wenigsten geklärt ist die künftige Trace der galizischen Wasser-
strafsen. Die Begründung der Regierungsvorlage spricht davon, dafs sie „in
verschiedenen Varianten" an den Abstieg des Donau-Oder-Kanals ins Oder-
thal anknüpfen, als Kanal oberhalb Krakau ins Weichselthal führen und von
dort entweder mit Benützung der Weichsel und des San oder von Anfang
an uls künstlicher Kanal zum Dniester verlaufen solle. Die zweite, kost-
spieligere Variante hat den Vorzug, dafs es zu ihrer Ausführung keines
Einvernehmens mit der russischen Regierung bedarf, und sie tritt daher auch
immer bestimmter in den Vordergrund. Alle Details, auch die Frage, ob
Lemberg berührt werden kann, sind offen gelassen. Doch spricht eine
Resolution (14) den Wunsch aus, dafs Lemberg mindestens durch einen Stich-
kanal angeschlossen werde, während ein Antrag auf Führuug eines Kauais
nach der ostgalizischen Grenzhandelsstadt Brody nicht durchdrang1). Im
Ganzen wird der Kanal nur eine Parallellinie zur Karl-Ludwigs-Bahn und
galizischen Transversalbahn darstellen, deren Vorteile fast ausschliefslich dem
an das übrige österreichische Staatsgebiet nur durch wenige gemeinsame
Interessen geknüpften Lande Galizien selbst zukommen. Dessen Verkehr
mit dem Westen dürfte mehr gewinnen, als der mit Rufsland, da die Land-
schaften am Dniester wenig bevölkert sind, überdies besorgte man von dem
Kanal, dafs er die Einfuhr und den Transit russischen Getreides in un-
erwünschtem Mafsc erleichtern könnte, und hat eben deshalb den für den
Aufsenhandel an sich vorteilhaften Arm über Lemberg nach Brody zu Falle
gebracht. Vertreter Galiziens halten dem gegenüber, dafs die bevorstehende
Verkehrserleichterung vor allem der eigenen grofsen Getreideproduktion
Galiziens zugute komme. Gewifs wäre die Wasserverbinduug auch für die
wenigen anderen Massenprodukte dieses Landes, Holz, Salz, Petroleum, Bau-
materialien, von Wichtigkeit. Galizische Abgeordnete erhoffen aber auch, dafs
die Möglichkeit billiger Kohleneinfuhr in dem dicht, für ein Agrikulturland
schon fast " zu dicht bevölkerten Lande das Entstehen industrieller Anlagen
begünstigen werde. Der Abgeordnete Rapoport hat hierbei auf noch un-
veröffentlichte Untersuchungen von Bartouec hingewiesen, nach welchen in
Westgalizien sehr reiche Steinkohlenfelder der Erschliefsung harren sollen.
1) Ausschufsbericht S. 10 und S. 83. Die Regierungsvorlage S. 7 erwähnt einen
laut gewordenen Wunsch, eine Abzweigung nach Teschen zu führen. Dem ist
wohl durch die Absicht einer Regulierung der Olsa (s. unten S. 570) entsprochen
worden. Der Spezialberichterstatter Meruno wiez (Ausschufsbericht S. 81 ff.) hat sich
kunt gefafst. — Das erste Projekt eines Kanals quer durch Galizien wurde 1812
ausgearbeitet.
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»68
K. Sieger:
In jedem Fall eröffnet die neue Wasserstrafse der westgalizisehen und mähriseh-
sehlesischen Kohle einen billigen Weg nach dem Osten. Eine gewisse, wenn
auch beschränkte, internationale Bedeutung würde aber auch sie erst durch
den Anschlufs an die preußische Oder gewinnen und in diesem Falle auch
ein neues Verbindungsglied zwischen deutschem und russischem Kanalnetze
bilden. In der Bukowina besorgt man, dafs diesem abgelegenen, nur durch
Eisenbahnen mit dem Westen verbundenen Land, namentlich seinem Holz-
handel, aus der Erleichterung der galizischen Ausfuhr erhebliche Nachteile,
ja eine förmliche Abschneidung vom Verkehr erwachsen würden, und befürchtet
insbesondere auch eine Ablenkung des deutschen Levante Verkehrs von
der Strecke Lemberg-Czernowitz-Jassy auf den Wasserweg. Als Entschädigung
dafür fordert man auch für dieses Land eine Wasserstrafse, nämlich die
Kanalisierung des Pruth in Osterreich1). Dieser Flufs ist im gröfsten
Teil seines Laufs durch die gemischte Kommission in (Jalatz bereits reguliert
worden, und man erwartet für 1906 den Abschlufs der Schiff barmachung auf
der Strecke von Reni, wo er in die Donau mündet, bis zum Austritt aus
der Bukowina bei Nowosielica, 604 km. Der Wunsch, dafs auch innerhalb
des österreichischen Staatsgebiets diese Regulierung oder vielmehr Kanalisie-
rung bis nach Czernowitz hinauf fortgesetzt werde, ist wohl um so berech-
tigter, als es sich hierbei nur um 26 km handelt. Die Bukowina käme
dadurch mit Bessarabien, Rumänien und dem schwarzen Meere in be-
queme Verbindung. Holz, Bausteine, Ziegel, Mineralien, Zement, Gips, Kalk
kämen als Hauptmassenartikel für die Ausfuhr*), Getreide, Wein, Obst, Ge-
müse, Südfrüchte, Fische, Felle für die Einfuhr in Betracht. Fuchsberger
meint, dafs die Bukowina Metalle und andere industrielle Rohmaterialien
auf dem Wasserwege beziehen und dafs dadurch eine Industrie in diesem
Kronland erwachsen könnte. Auch dieser Kanal hätte also wohl für das
Kronland, dem er zugute kommt, nicht aber für die Gesamtmonarchie eine
gröfsere Bedeutung.
In technischer Beziehung unterscheiden sich die galizischen Kanäle und
ebenso die Pruth-Kanalisierung wesentlich von den früher besprochenen3). Es
sind Flachlandskanäle, deren Herstellung leicht ist. Die Wasserscheiden
liegen niedriger als 300 Meter. Anderseits aber ist das durchzogene Gebiet
schon ein recht kontinentales und eine längere Unterbrechung der Schiffahrt
zu erwarten. Und auch gewisse bauliche Schwierigkeiten wären zu überwinden.
Nach Merunowicz4) ist die billigste Variante5) der Kanal Krakau — Zabierzow —
Sa/lowa Wisznia— Rudki {Wasserscheide des Dnicsters) — Czajkowk-e und mit
Kanalisierung des Dniester nach Petrylow, zusammen etwa 180 km, wozu noch
die 154 km Hruschau — Drahomischl— Oswiecim — Krakau (mit Benutzung der
1) C. A. H. Fuchsberger, Studien über das Pruth-Projekt. Berlin. Siemenroth k
Troschel, 1901.
2) Der Holzexport von Czernowitz nach Galatz, früher recht bedeutend, wird,
vrie der Bericht de« k. u. k. Konsulats Galatz f. 1900 hervorhebt, immer mehr über
Nowosielica nach Odessa abgelenkt.
3) Vgl. Penck a. a. 0. S. 86. 4) Ausschufsbericht S. 8-2.
5) Abgesehen von der Benutzung der Weichsel und des San.
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Kanäle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn. 569
Weichsel von Oswiecim an) kommen. An dem erforderlichen Wasser fehlt
es nicht. Aber gerade die wasserreichen Gebirgsflüsse, die es liefern, ver-
laufen senkrecht gegen den Kanal; er müfste zwischen Zabierzow und Satlowa-
Wisznia, wo er ins Thal des Wiszniabachs eintritt, auf gemauerten Aquä-
dueten die Kaba, Uszwica, den Dunajec, die Wisloka, den heg und den San
quer übersehreiten. Nur auf dem natürlichen Wege durch Weichsel und San
wäre man imstande, diese Umstände zu vermeiden. Allein wir kennen bereits
die politischen und handelspolitischen Argumente, die gegen seine Benutzung
mafsgebend waren.
Der vorerwähnte Kanal würde auf der Wasserscheide auf 265,4 m über
das Meer ansteigen1), aber im Osten Krakaus volle 227 km als Nivcau-
kanal geführt werden können. Demgemäfs sind die Baukosten gering. Eine
Summe liegt nicht vor; die Ziffern Hillingers' 2) für einige Projektteile
lassen aber weit niedrigere Ansätze erkennen, als die Voranschläge der früher
besprochenen Wasserwege. Nach Merunowicz' Zusammenstellung3) kostet
der Kilometer der Strecke bis zum San etwas weniger als jener des Donau-
Oder-Kanals, jener der Strecke östlich vom San aber nur etwa die Hälfte davon.
VII.
Die zugleich mit den Kanalbauten erforderlichen Flu fs regulier ungen
sind nur ganz allgemein bezeichnet. Der vom Ausschufs dem Gesetz eingefügte
§ 5 besagt, dafs die Regulierung derjenigen Flüsse in Böhmen, Mähren,
Schlesien, Galizien, Nieder- und Oberösterreich, welche mit den Kanälen ein
einheitliches Gewässernetz bilden und, sei es wegen der Zufuhr von Wasser,
sei es mit Rücksicht auf die Geschiebebewegung, für die ersteren besondere
Bedeutung besitzen, sofort durch Verhandlungen mit den Ländern gesichert
werden solle, und die Regierung erklärte, dafs die Arbeit mit ihnen begonnen
werden wird. Aber auch für alle übrigen Wasserläufe, „hinsichtlich welcher
sich eine Regulierung als notwendig darstellt", ist eine solche in diesem
Paragraphen versprochen und soll „thunlichst rasch vorbereitet" werden. Der
Ausschufsbericht und die beschlossenen Resolutionen müssen einigermafsen
für die fehlende Aufzählung dieser Flüsse entschädigen. Ersterer bemerkt zu
§ 5, dafs die in erster Linie geplanten Regulierungen, für die das Gesetz
( abgesehen von dem schon im Budget Vorgesehenen und von den Landes-
beiträgen) 75 Mill. Kronen im Maximum vorsieht, die Eger, die Beraun und
1) Deshalb soll der Kanal nicht von Oderberg hinauf, sondern von Hruschau
herab geführt werden. Nach den Profilen der Regierungsvorlage wäre die lange
niederste Strecke 194 m ü. d. M. Die Steigung wäre also 71 m, der Abstieg zu und
am Dniester bis Petrylow aber nur 62 m.
2) Ausschufsbericht S. 40: Donau-Oder- Weichsel-Kanal 165 km, 81 Mill. Kronen,
Verbindung Hruschau- Weichsel 130 km, 60 Mill. Kronen, Verbindung San-Dniester
131,5 km, 36,6 Mill. Kronen.
3) S. 82. Donau-Oder-Kanal 507 614, Donau -Moldau -Kanal (Korneuburger
Variante) 682 926, Donau-March-Kanal 691 489, westliche galizische Strecke 490 909,
östlich galizische Strecke 280 000 Kronen. Doch ist die Ziffer für den Korneuburger
Kanal niedriger, als Kaftan's Berechnung (724000 Kronen) und daher nur des be-
quemen Vergleichs halber hierhergesetzt.
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570 K. Sieger:
Wotawa, die Aupa, die oberste Moldau und Elbe iu Böhmen1), March, Thaya
und Ostrowitza in Mähren, die Olsa in Sohlesien, endlich in Galizien „die
elf Gebirgsflüsse nebst zahlreichen anderen Gewässern" umfassen sollen. Sie
sind also hauptsächlich nicht im unmittelbaren Interesse der Schiffahrt, für die
nur wenige dieser Flüsse in Betracht kämen, sondern wesentlich zum Schutz
vor Überschwemmungen, wie sie die Jahre 1897 und 1899 brachten, und vor
Versumpfungen, sowie zur Speisung der Kanäle bestimmt. Die vom Aus-
schurs vorgeschlagenen und vom Hause angenommenen Resolutionen befür-
worten ferner die Pruth-Regulierung (Res. 9) und die Einbeziehung der Oppa
in das Donau-Oderkanalnetz (Res. 7). Zugleich soll aber auch ein Stichkanal
nach Troppau in Erwägung gezogen werden (Res. 13), wohl für den Fall,
dafs die Regulierung des Grenzflusses Oppa auf Schwierigkeiten stofsen sollte.
Dagegen wurden die Antrüge alpenländischer Abgeordneter, die sich auf die
Regulierung der niederösterreichischen Krems, der Mur und der Sülm bezogen,
im Ausschufse abgelehnt und im Hause diese und andere Anträge von der
Tagesordnung abgesetzt.
Es wird sich also erst im Verfolg der Kanalbautcn zeigen, wie weit
die Regulierung der Flüsse durchgeführt werden soll. Aber auch die Not-
wendigkeit solcher Arbeiten aufserhalb der Kanalgebiete ist nun laut ausge-
sprochen worden und man darf eine umfassende und systematische Thätigkeit
auf dem Gebiete der Wasserwirtschaft in Österreich erhoffen*). Das wäre
gewifs nicht das mindest wichtige Ergebnis der „Kanalbewegung".
VIII.
Überblicken wir die im einzelnen besprochenen Wasseret rafsen, so stellt
sich ein grofses einheitliches System dar, welches die gesamten österreichischen
Gebiete im Norden der Donau umfafst und das in die einheitliche Verwaltung
dos Staates gelangt. Von der Donau bis nach Nordböhmen und Ostgalizien,
sowie zwischen diesen Ländern untereinander, werden Verbindungen geschaffen,
die /war - - wie die Regierung selbst nicht tibersah 3 ) — infolge der grofsen
technischen Schwierigkeiten keine bedeutende Rentabilität erwarten lassen,
aber eine wesentliche Bereicherung des Verkehrsnetzes darstellen. Sie treten
durch die Donau, deren Strecke oberhalb Linz allerdings einer Verbesserung
bedürftig ist, nach oben hin in Zusammenhang mit dem süddeutschen oberen
Doriaugebiet und, sobald der Donau -Main- Kanal den erwarteten Umbau er-
fahren hat, auch mit dem Rhein und den Flüssen Frankreichs, nach unten
1 Spezialberichterstatter Kaftan (S. 74) denkt auch an Adler und Litavka.
Die verschiedenen in der Debatte geäufoerten Wünsche muf« ich ebenso übergehen,
wie in Bezug auf die Stichkanäle nach einzelnen wichtigen Orten; die Vertreter
der einzelnen Gegenden sprachen in beiden Beziehungen recht mannigfache Wünsche
aus, von denen manche wohl im Verlauf der Kanalbauten wieder auf die Tages-
ordnung kommen werden. Dadurch, dafs die von einzelnen Abgeordneten bean-
tragten Resolutionen „der geschäftsordnungmäfsigen Behandlung" durch den Aua-
schufs überwiesen wurden, ist ihr Schicksal von dem des Gesetzentwurfes getrennt
worden.
2 Vergl. die Anregungen von Fenck, Die Zeit Nr. 347 Wien. 26. Mai 19U1.
3i Begründung zum Gesetzentwurf S. 6.
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Kanüle und Kanalprojekte in Österreich-Ungarn.
571
hin mit den ungarischen Wasserstrafsen; durch die Elhe hängen sie mit dem
norddeutschen und russischen Wasserstrafsensystem und durch den Dniester
mit Südrufsland und dem Pontus zusammen.
So würden sie — nach Herstellung des Donau - Main - Canals — ein Ver-
bindungsglied zwischen dem Wasserstrafsennetz des westlichen und jenem des
östlichen Mitteleuropa bilden, wie es der deutsche Mittellandkanal werden
sollte! Durch den Anschlufs an die kanalisierte Oder würde dann ein fünfter
Zugang in das Ausland gewonnen und die Stellung der österreichischen
Wasserstrafsen in dem europäischen Binnenschiffahrtsnetz noch bedeutungs-
voller. Es könnten hier wichtige internationale Transitwege entstehen, die
der Produktion und dem Handel der von ihnen durchzogenen Gegenden einer-
seits anregende Belebung, anderseits drohende Konkurrenz bringen würden.
Diese Entwicklung ist aber abhängig von dem Verhalten der Nachbarländer1).
Ohne die vorerwähnten Wasserbauten in Deutschland beschränkt sich die
internationale Bedeutung der Kanalprojekte auf die Verbindung zwischen
Donau, Elbe und Dniester, eventuell auch Weichsel. Ihre Bedeutung für
Österreich und seine einzelnen Teile steht also wohl noch im Vordergrund
der Erörterung. Diese aber dürfte sich zunächst weniger in der Einbeziehung
gröfserer Mengen schwerster Massengüter in den Fernverkehr äufsern, als in
der mit grofsen finanziellen Opfern des Staates erkauften Konkurrenzierung
gewisser Bahnlinien und einer Herabsetzung ihrer Tarife bis hart an die
Grenze des Möglichen*). Es bedarf einer sehr beträchtlichen Steigerung des
Verkehrs, damit beide Arten von Verkehrsmitteln reichliche Fracht erhalten.
Diese Steigerung wird sicherlich eintreten, doch ist sie erst nach geraumer
Zeit, und insbesondere erst von der Belebung des internationalen Verkehrs, zu
erwarten. Die Kanäle sind aber nicht nur als Verkehrsstrafsen von Belang,
sondern man erwartet von ihnen auch wasserwirtschaftliche Vorteile. Inwie-
weit sie sich mit Bodenmeliorationen im Interesse der Landwirtschaft ver-
binden lassen, wird sich erst bei der endgiltigen Gestaltung der Einzel-
projekte ergeben. Der Industrie sichern sie wertvolle Wasserkräfte, wenn
auch nicht für die ganze Dauer des Jahres, und man erwartet, dafs dieser
Umstand Gebiete, die bisher industriearm waren, um so mehr beeinflussen
werde, als die Wasserkraft den neuen Betrieben gleichzeitig mit der Wasser-
1) Der alldeutsche Abgeordnete Wolf hob (Sten. Prot. S. 4442) hervor, dafs
durch die Kanäle „die handelspolitische Fläche Deutschösterreichs im Süden ge-
hoben und im Norden gesenkt wird", und sieht daher in den Kanälen eine Vor-
bereitung für die Zollunion mit Deutschland. Die von ihm bekämpften galizischen
Kanäle und die Herstellung einer Verbindung vom Rhein zur Donau würden aber
auch nach einer anderen Richtung, nämlich nach Ost und Westen engere Be-
ziehungen herstellen und man darf auch nicht übersehen, dafs die Tauernbahu in
dem Wettkampf zwischen Hamburg und Triest in gegenteiligem Sinne wirkt, wie
die Kanäle.
2) Von den vielen, weit auseinandergehenden Schätzungen der Tarife, die in
der Litteratur Bich finden, sei nur auf Sie wert S. 164 ff. , auf die Angaben der Aus-
schufsberichte und auf R. v. Gunesch N. Fr. Presse 10. Mai, S. 0 verwiesen, wo
auch die Frage, ob der Import durch tarifarische Mafsregeln sich beeinflussen
lasse, erörtert ist. Bemerkenswert sind auch die Äufserungen des ehemaligen
Ministers Kaizl (X. Fr. Presse 18. Mai).
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572 K. Sieger: Kanüle und Kanalprojekte in (Österreich- Ungarn.
straTse zu Gebote gestellt wird. Man erhofft daher insbesondere für das
zentrale und südliche Böhmen und für Galizien einen lebhaften industriellen
Aufschwung.
Für Ungarn schreibt Hieronyini den Kanälen in Österreich ebenfalls
grofse Bedeutung zu1). Er nimmt an, dafs nach ihrer Vollendung 10 Mil-
lionen q ungarischer Rohprodukte nach Osterreich, Ü Millionen q nach
Deutschland auf dem Wasserwege werden verfrachtet werden. Und aus seinen
Ausführungen geht hervor, dafs der Bau der österreichischen Kanüle einen mäch-
tigen Impuls für den Ausbau der Kanäle des ungarischen Tieflandes geben
wird, an den man mit allem Nachdruck heranzutreten scheint. Erst durch
ihre Ausgestaltuug kann jenes grofse Binnenschiffahrtsnet/, wirklich zu stände
kommen, dessen Ideal den österreichischen und auswärtigen Verfechtern der
besprochenen Kanäle vorschwebt.
Verweilen wir noch einen Augenblick bei diesem Bilde, so begegnet uns
eine interessante verkehrsgeographische Frage: Welche bestehenden Verkehrs-
linien werden durch die neuen Wasserwege gefördert oder beeinträchtigt?
Welchen Hüfen bringen sie vor allem Vor- und Nachteile? — Zunächst be-
günstigt erscheinen der Verkehr der mittleren und unteren Donau und jener der
Nordseehäfen. Es ist kaum zu bezweifeln, dafs der Ausbau der österreichischen
Kanäle die Grenzen des Verkehrsgebietes von Hamburg auf Kosten desjenigen
von Triest ausdehnt. Die Herstellung einer schiffbaren Verbindung Oderberg-
Cosel mufs sich als Förderung Stettins, die Ausführung der ungarischen
Kanalprojekte, insbesondere des Vukovär-Samac -Kanals als solche Fiumes er-
weisen. Unter diesen Umständen begreift man, dafs in Triest, dessen schlechte
Zugiinglichkeit vom Binnenlande her durch die drohende Erleichterung der
Verbindungen mit den Seehäfen des Nordens und Südostens, ja auch mit
Fiume zu einem doppelten Nachteil wird, der verzweifelte Gedanke eines
Triest- Wiener Kanals laut wurde. Triest kann aber eine Besserung seiner
Verkehrslage in Wirklichkeit nicht von unmöglichen Kanälen, sondern nur von
Bahnbauten erhoffen. Die Tauernbahn mit Wocheiner- und Karawankenbahn
wird gewifs segensreichen Eintiufs auf dies Emporium äufsern, namentlich da
die Pymbahn die Verbindung mit Böhmen erleichtern wird. Anderseits ver-
möchte auch der Linz -Bud weiser Kanal die Tauernbahn wohl etwas zu ali-
mentieren; allein wesentlich dürfte diese Förderung nicht erscheinen. Die
Wahl der Moldaulinie für den Donau-Elbe-Kanal kann also durch die Rück-
sicht auf Triest nicht in entscheidender Weise begründet werden.
Sehen wir aber von diesem Moment ab, und betrachten wir die Zweck-
mäl'sigkeit und Notwendigkeit der einzelnen Kanäle, so scheint es, als ob
einzelne davon aus dem Gesamtbild verschwinden könnten, ohne es
wesentlich umzugestalten. Als der Kern, gleichsam der Hauptflufs des
Systems, dessen Nebenflüsse die anderen darstellen, erscheint mir — das
habe ich im Vorstehenden begründet — die Linie Wien-Prerau-Pardubitz-
Melm'k mit der Abzweigung nach Oderberg. Und wenn, wie nicht zu
zweifeln ist, im Verlauf der Durchführung des beschlossenen Gesetzes die
1) N. Fr. Presse 15. Mai.
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Hettner: Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 573
zahlreichen Schwierigkeiten sich fühlbar machen, wenn man Welleicht die
minder wertvollen aber kostspieligen Teile des Ganzen der besseren Durch-
führung des Hauptzwecks wird opfern müssen, dann werden gewifs jene
geographischen Momente sich siegreich geltend machen, welche in der Lage
Wiens ihren Ausdruck finden, und man wird Donau-Elbe- und Donau-
Oder-Kanal zu einem grofsen Strang vereinigt durch das Thal der
March führen.
Wien, Sommer 1901.
Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte.
Von Alfred Hettner.
(Schlufs.)
III. Die Karten der Bevölkerungsdichte.
Neben den analytischen Untersuchungen und Darstellungen der Bevöl-
kerung, wie wir sie im vorigen Abschnitt kennen gelernt haben, und in einem
gewissen Gegensatz zu ihnen stehen die objektiven oder synthetischen Dar-
stellungen, welche nicht einseitig die Beziehungen der Bevölkerung zu einer
bestimmten Ursache zu erfassen, sondern ohne jede Vorausnahme über die
Ursachen eine vollständige Vorstellung von Zahl und Dichte der Bevölkerung
zu erwecken suchen. Man hat den Gegensatz der beiden Auffussungs- und
Darstellungsweisen häufig verkannt und sie mit einander vermischt; wir haben
am Schlüsse des vorigen Abschnittes gesehen, wie man dadurch zu einer
ganz unverständigen Darstellung der analytischen Ergebnisse gekommen ist,
und werden weiterhin erkennen, wie sich in manche Bevölkeruugskarten die
Analyse eingeschlichen hat und die Naturtreue der Darstellung beeinträchtigt.
Die synthetische Darstellung der Bevölkerung kann einfach darin be-
stehen, dafs man für jedes Gebiet die Zahl und durchschnittliche Dichte
seiner Bevölkerung oder auch, wenn die Dichte sehr wechselt, die Dichte
seiner Teilgebiete angiebt. Diese Angaben finden sich in der Litteratur
namentlich für die politischen Gebiete: Staaten, Provinzen u. 8. w. Die ab-
soluten Bevölkerungszahlen dieser Gebiete haben ja auch zweifellos einen
praktischen und bis zu einem gewissen Grade einen wissenschaftlichen Wert
(vgl. S. 502); ob aber deren Bevölkerungsdichte, soweit sie nicht, wie
die selbständigen Staatsgebiete, sozusagen Produktiv- und Konsumgenossen-
schaften bilden oder zufällig mit Naturgebieten zusammenfallen, irgend ein
Wert beizumessen sei, möchte ich bezweifeln; ich möchte fast glauben, dafs
diese Dichteangaben zu den Zahlenwerten gehören, die gedankenlos immer von
neuem berechnet und gar noch für einen Ausdruck wissenschaftlicher Ver-
tiefung gehalten werden. Für die wissenschaftliche Geographie haben namentlich
die Bevölkerungsangaben derjenigen Naturgebiete Wert, welche der wissenschaft-
lichen Beschreibung zu Grunde gelegt werden. Wenn ich vom Schwarzwald
oder dem Pariser Becken oder den Pampas oder irgend einer ozeanischen Insel
ein vollständiges Bild entwerfen will, so mufs ich auch angeben, wieviele
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f)74
Alfred Hettner:
Menschen diese Gebiete im ganzen beherbergen und wie viele durchschnitt-
lich auf der Flächeneinheit leben oder, falls die Verschiedenheiten der Teile
sehr grofs sein sollten, wieviele Menschen in jedem Teile auf die Flächen-
einheit kommen, oder wie das Gebiet in häufiger Wiederholung den Gegen-
sat/, verschiedener Bevölkerungstypen , z. B. dicht bevölkerter Thäler uud
dünn bevölkerter Kämme, zeigt. Es braucht kaum erst erwähnt zu worden,
dafs bei diesen Naturgebieten der Bevölkerungsdichte ein ganz anderer Wert
zukommt als bei den politischen Gebietcu, da die Naturgebiete, bei mancher
Verschiedenheit im einzelnen, doch immer Gebiete ähnlicher Lebensbedin-
gungen sind.
Je gröfser und je mannigfaltiger das Gebiet ist, das wir der Betrach-
tung unterwerfen, oder je mehr es uns darauf ankommt, auch die Einzel-
heiten aufzufassen, um so weniger ist das Wort oder sind auch einfache
graphische Darstellungen im Stande, der Aufgabe zu genügen, um so mehr
mufs die Karte an ihre Stelle treten.
Man hat nur oft den Fehler gemacht, dafs man sofort Karten der
relativen Bevölkerung, d. h. Bevölkerungsdichte gezeichnet hat. Da die
Menschen nicht gleichmäfsig über die Fläche verteilt, sondern an einzelnen
Punkten, ihren Wohnptätzen, angehäuft sind, mufs eine objektive Karte der
Bevölkerungsverteilung in gröfserem Mafsstab eine Karte der absoluten
Bevölkerung, d. h. der Wohnplätze nach ihren Einwohnerzahlen sein, falls
man nicht eine Karte der Erwerbsdichte zu zeichneu beabsichtigt (vergl. S. 504).
Karten der eigentlichen Bevölkerungs - oder Wohndichte, die die Zahl
der Menschen auf der Flächeneinheit ohne Rücksicht auf Erwerb und Beruf
der Bevölkerung und auf Kulturbeschaffenheit des Landes darstellen, können
überhaupt nur in kleinerem Mafsstab (etwa von 1 : 1 Million an) gezeichnet
werden, bei dem der Gegensatz der Wohnplätze und der dazwischen liegenden
unbewohnten Flächen verschwindet. Von welchem Mafsstab an das der Fall
ist, hängt natürlich von der Art der Besiedeluug und auch von der Technik
der Kartenzeichnung ab. Es braucht auch gar nicht mit einem Male die
ganze Bevölkerung relativ dargestellt zu werden, vielmehr kann, wie wir es
ja auch auf vielen Karten sehen, eine Verbindung absoluter und relativer
Darstellung stattfinden1). Gefordert mufs nur werden, einerseits dafs die
ganze Bevölkerung zur Darstellung kommt, d. h. kein Teil weggelassen wird,
andererseits dafs auch kein Teil der Bevölkerung doppelt dargestellt wird,
wie es geschieht, wenn man die Städte als Punkte einträgt und doch gleich-
zeitig in die Bevölkerungsdichte verrechnet.
Man bat seit langem erkannt, dafs man die gröfseren Städte bis zu
einer je nach dem Mafsstabe verschiedeneu Gröfse herab nicht in die Be-
völkerungsdichte verrechnen und über die Fläche verteilen dürfe, ohne ganz
unnatürliche Bilder zu erhalteu. Man hat das mitunter damit begründet,
dafs die Bevölkerung dieser Städte ihre Nahrung nicht aus der Fläche, son-
dern aus dem Orte ziehe, also nicht flächen- sondern ortsständig sei; aber
1; Ratzel'» Hinwürfe hiergegen (Anthropogeographie II 1*J6) kann ich nicht
für begründet aunehen.
>
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Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 575
diese Begründung dürfte nur bedingt anzuerkennen sein, denn da die orts-
ständige Bevölkerung nicht auf diese gröfseren Städte beschränkt ist, sondern
vielfach auch in kleineren Ortschaften lebt, die sich an Bergwerke oder
Fabriken anschliefsen oder Sitze der Hausindustrie sind, so müfsten aus dem
genannten Gesichtspunkte diese kleineren Ortschaften gleichfalls ausgeschieden
werden. Die Ausscheidung der gröfseren Städte ist vielmehr aus dem Wesen
der Generalisierung zu rechtfertigen. Ähnlich wie bei einer generalisierenden
Darstellung eines welligen Hügellandes die meisten Hügel verschwinden und
verschwimmon, einzelne höhere Berge aber noch dargestellt, werden, so heben
sich auch die Bevölkerungsanhäufungen der gröfseren Städte, die wir ja als
insulare Gebiete besonders grofser Bevölkerungsdichte auffassen können, aus
der sonst mehr gleichmäfsigen Bevölkerungsverteilung heraus. Je kleiner der
Mafsstab wird, um so mehr verschwinden auch sie in der Fläche. Allgemeine
Regeln darüber, welche Gröfsenklasse man noch ausscheiden solle, welche
nicht, lassen sich nicht angeben, darüber mufs vielmehr der Takt des Karten-
zeichners entscheiden. Es seheint mir auch gar nicht nötig, dabei schema-
tisch zu verfahren und in allen Teilen der Karte bei derselben Gröfsenklasse
stehen zu bleiben; wie man auf einer Höhenschichtenkarte einen inselförmigen
Berg des Vorlandes als solchen zeichnen wird, während man gleich hohe
Berge des Gebirges nicht als solche hervorhebt, wird man in rein landwirt-
schaftlichen Gegenden Mittelstädte ausscheiden und Städte derselben Gröfse
in industriellen Gegenden, wo sie sich dicht an einander drängen, in die Be-
völkerungsdichte verrechnen können. Die auszuscheidenden Städte wird man
bei kleinerem Mafsstab der Karte einfach absolut durch willkürlich gewählte
Gröfsezeichen, bei gröfserem Mafsstab dagegen besser als kleine inselhafte
Gebiete besonders grofser Verdichtung darstellen; dafs man dabei nicht die
ganze Gemarkung, sondern nur die mit Häusern bebaute und bewohnte Fläche
der Dichteberechnung zu Grunde legen und in die Karte einzeichnen darf,
sollte selbstverständlich sein. Bei absoluter Darstellung wird man um der
Vergleichbarkeit willen gut thun, sich an die eingebürgerten Gröfsenklassen
der Statistiker zu halten, anstatt dafs willkürlich auf jeder Karte eine andere
Unterscheidung der Gröfsenklassen gewählt wird.
Man hat gewöhnlich nur geschlossene Städte aus der übrigen Bevölke-
rung herausgehoben. Ich meine aber, dafs man auf Karten mittleren Mafs-
stabes mit den langgestreckten Ortschaften, die wir so häufig in den Thälern
unserer (iebirge finden — es ist dabei ganz gleichgiltig, ob sie eine oder
mehrere Gemeinden bilden — , in derselben Weise verfahren sollte. Die
Beziehung auf einen mehr oder weniger breiten Thalstreifen wird immer
willkürlich sein. Besonders gilt das von den Ortschafteu, die aus einer Kette
industrieller Anlagen bestehen, und deren Bewohner mit dem umgebenden
Land, auch mit den Ackern des Thaies, wenig zu thun haben. Es giebt ein
ganz unnatürliches Bild, wenn man sie auf die Fläche verrechnet. Mau
sollte solche Ortschaften vielmehr durch Linien darstellen, deren Dicke zu-
sammen mit der Länge die Einwohnerzahl ergiebt. Ich glaube, dafs z. B. die
Bevölkerungskarten unserer Mittelgebirge dadurch ein viel natürlicheres Aus-
sehen bekommen würden. Erst beim Obergang zu kleinerem Mafsstab, wenn
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57G
Alfred Hettner:
die Thaler mit den dazwischen liegenden Kämmen oder Plateaus zu einem
unnnterscheidbaren Ganzen verschmelzen, kann man den Begriff der Bevöl-
kerungsdichte auf diese langgestreckten Thalsiedelungen mit Recht anwenden.
Der Übergang von der Darstellung der absoluten Bevölkerung zur Dar-
stellung der Bevölkerungsdichte erfolgt also nur allmählich; zuerst werden
nur die Bewohner der kleineren, erst später auch die der gröfseren Ort-
schaften auf die Fläche verrechnet, und nur auf Karten sehr kleinen Mafs-
stabes kommt der Begriff der Bevölkerungsdichte, unter völligem Ausschlufs
der absoluten Darstellung, zu durchgängiger Anwendung.
Der Begriff der Bevölkerungsdichte bedeutet , dafs die auf einer Fläche
wohneuden Menschen auf die Gröfse der Fläche verrechnet werden. Aber
nach welchen Grundsätzen sollen wir die der Berechnung zu Grunde gelegten
Flächen gegen einander abgrenzen?
Wenn die Karten der Bevölkerungsdichte wirklich objektiv sein sollen,
so dürfen sie nichts Fremdes hineintragen, sondern müssen lediglich auf
Grund von Angaben über die Bevölkerungsverhältnisse gezeichnet werden.
Wo nur mangelhafte Aufnahmen oder gar nur Schätzungen der Bevölkerung
vorliegen, wird man ein Bild der Bevölkerungsverteilung allerdings nur unter
Berücksichtigung der im Boden, im Klima, in den Wirtschaftsformen u. s. w.
liegenden Lebensbedingungen zeichnen können. Ebenso wird man auf diese
Lebensbedingungen Rücksicht nehmen müssen, wenn man nur eine vorläufige
Bevölkerungskarte zu zeichnen beabsichtigt und ihr nur gröfsere politische
Einheiten zu Grunde legt, wo man dann die offenbar vorhandenen Unrichtig-
keiten durch Erwägungen über die Lebensbedingungen beseitigen, z. B. die
Grenze von Gebirge und Ebene, die "bei mechanischem Verfahren ver-
schwindet, auf der Karte zum Ausdruck bringen kann. Aber an sieh
ist dies Verfahren, das ursächliche Zusammenhänge vorausnimmt, welche
doch eigentlich erst durch die Karte bewiesen werden sollen, methodisch
falsch, und bei Karten, welche auf Grund guter Bevölkerungszählungen unter
Berücksichtigung alles vorhandenen Materials gezeichnet werden, dürfte es
nicht angewendet werden. Man wird doch auch nicht auf den Gedauken
kommen, Regenkarteu auf Grund der geographischen Breite, der Lage zum
Ozean und der Bodengestaltung zu zeichnen, sondern wird nur im Nottalle,
wenn keine direkten Niederschlagsbeobachtungen vorhanden sind, die oro-
graphische Karte zur Ergänzung benutzen. Alle die Bevölkerungskarten, welche,
wie Neukirch sich ausdrückt, „mit Vorausnahme topographischer und kultureller
Keuntnisse'* gezeichnet sind, dürfen keinen Anspruch auf objektive Richtigkeit
erheben. Das tritt um so mehr zu Tage, je einseitiger ein bestimmter Gesichts-
punkt, wie z. B. der Einttufs der Meereshöhe oder des Gesteins, zu Grunde
gelegt, wird; aber auch Karten, die so sorgsam und umsichtig gezeichnet sind
wie Neumann's Bevölkerungskarte von Baden, würden ein naturgetreueres
Bild geben, wenn die Abteilung der Bevölkerung nach Höheuzonen nicht
vorgenommen worden wäre.
Die Konstruktion der Bevölkerungskarten mufs, wie man längst erkannt
hat, nach ähnlicher Methode wie die der Höhenschichten- oder Tiefenkarten
erfolgen, bei denen die Höhen- und Tiefenlinien zwischen die gemessenen
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Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 577
Höhen- und Tiefenpuukte eingepafst werden, sodafs sie die verschiedenen
Höhen- und Tiefeuschich ten wenigstens annilhernd richtig abgrenzen. Aber
die Höhen uud Tiefen sind etwas unmittelbar in der Natur gegebenes, die
Bevölkerungsdichte dagegen ist eine reine Abstraktion, und die hauptsäch-
liche Schwierigkeit besteht gerade darin, von der absoluten Bevölkerung,
d. h. den Wohnplätzen, zu der relativen Bevölkerung oder Bevölkerungsdichte
(Iberzugehen.
Man kann dabei auf verschiedene Weise verfahren.
Am häufigsten ist man begreiflicherweise von den in den offiziellen
statistischen Veröffentlichungen unmittelbar angegebenen oder doch leicht daraus
zu berechnenden Zahlen der Bevölkerungsdichte der politischen Einheiten, je
nach dem Mafsstabe der Gemeinden, Kreise oder Provinzen, ausgegangen.
In früherer Zeit ist man bei diesen Zahlen einfach stehen geblieben und hat
jeden Bezirk mit dem seiner Bevölkerungsdichte entsprechenden Farbentone
bedeckt, und viele Statistiker haben auch heute noch keine Empfindung für
die Unnatürlichkeit solcher Karten, die um so unnatürlicher ausfallen, je gröfser
die Bezirke im Verhältnis zum Maßstab der Karte sind. Eine anerkannt
naturgetreue Darstellung Hilst sich auf diese Weise nur erreichen, wenn man,
wie es zuerst v. Mayr gefordert und z. B. Turquan auf seiner Bevölkern ngs-
karte Frankreichs durchgeführt hat, bei einer Karte mittleren Mafsstabes bis
auf die Gemeinden, oder bei einer Karte kleinen Mafsstabes bis auf die
Kreise (Bezirksämter, Arrondisseraeuts, Counties und dergl.) zurückgeht, sodafs
die Unnatürlichkeiten der Abgrenzung kaum noch zum Ausdruck kommen.
Solange die Grenzen der der Karte zu Grunde gelegten Bezirke auf ihr noch
deutlich hervortreten, wird man die Zahlen der Bevölkerungsdichte nach dem
Vorgange Ravn's, dem Behm, Kettler und viele andere gefolgt sind, nur
als den Ausgangspunkt einer Konstruktion verwenden dürfen, die der Kon-
struktion der Höhen- und Tiefeuliuien auf Grund der gemessenen Höhen- und
Tiefenzahlen oder der Konstruktion der Isothermen u. s. w. ganz analog ist.
Man wird dabei, je nach der Art der Bevölkerungsverteilung und der Be-
schaffenheit des Materials, entweder ganz mechanisch verfahren oder auf die
Verteilung der Wohnplätze, wie man sie von der topographischen Karte
abliest, oder bei geringerer Genauigkeit statt dessen auf die Lebensbedingungen
Rücksicht nehmen. Es ist klar und z. B. an einem Vergleich der Bevöl-
kerungskarten des Deutschen Reiches von Behm und von Kettler gezeigt
worden, dafs bei dieser Konstruktionsweise die individuelle Willkür eine
ziemliche Holle spielt.
Um sich von den politischen Bezirken, die ja an sich mit der Bevölke-
rungsdichte gar nichts zu thun haben, freizumachen und zu präzisen, von
Willkür freien Ergebnissen zu gelangen, hat man sich mehrfach einer rein
geometrischen Methode bedient. Man hat nämlich die Fläche in bestimmte
einfache geometrische Figuren zerlegt, und zwar haben Steinhauser, der
diesen Weg wohl zuerst eingeschlagen hat, die Quadratminute, Kettler
(dieser nur nebenbei, zur Kontrole der nach der vorigen Methode gezeichneten
Karte) und später Träger eingezeichnete Quadrate, Gelbke eingezeichnete
regelmäfsige Sechsecke genommen. Man hat dann die Einwohnerzahlen der
Gcofc-rupLiiclie Zuil«clirift 7. Jahrgang ll>01 10. Heft. 39
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578
Alfred Hettner:
in jeder Figur gelegenen Wohnplätze oder Gemeinden zusammengezählt und
daraus die Bevölkerungsdichte jeder Figur berechnet. Auf Grund der so ge-
wonnenen Dichtezahlen hat man dann ebenso wie bei der vorigen Methode
die Dichtekurven konstruiert und die Gebiete verschiedener Bevölkerungs-
dichte abgegrenzt. Diese Methode, die ein Zurückgehen auf die Wohnplätze
oder wenigstens auf die Gemeinden orfordert, wird sich am leichtesten dann
durchführen lassen, wenn bevölkerungsstatistische Grundkarten vorhanden sind.
Sie teilt mit der vorigen Methode den grofsen Vorzug, dafs sie planimetrisohe
Ausmessungen unnötig macht; die Berechnungen der Dichte können, bei der
gleichbleibenden Gröfse der Fläche, mit verhältnismäfsig geringer Mühe durch-
geführt werden, und auch die Reduktion auf kleineren Mafsstab ist, wie wir
sehen werden, ziemlich einfach. Aber die Karten, die nach dieser Methode
gezeichnet werden, können, was man leider oft verkanut hat, vernünftiger-
weise nur in ziemlich kleinem Mafsstabe gezeichnet werden. Die Figuren
müssen ziemlich grofs sein, denn wenn sip zu klein genommen werden, so
kommen in eine Figur, je nachdem der Zufall es fügt, bald nur ganz wenige
oder gar keine, bald eine ganze Anzahl von Wohnplätzen zu liegen, und
die daraus berechneten Werte der Bevölkerungsdichte geben ein buntes Mosaik,
welches der Natur widerspricht; von welcher Gröfse der Figuren an der Zu-
fall verschwindet, hängt natürlich von der Art der Besiedelung ab. Ander-
seits dürfen sich die Umrisse der Figuren auf der Karte selbst gar nicht mehr
bemerkbar macheu; wenn Gelbke sich regelmäfsiger Sechsecke statt der
Quadrate bedient hat, weil sie ein natürlicheres Bild gäben, und seine Karte
im Malsstabe 1:125000 gezeichnet hat, auf der nur die Umrisse der Sechs-
ecke etwas abgerundet sind, so bekundet er damit, dafs er das Wesen der
angewandten Methode völlig verkannt hat. Die Figuren sind doch nur Hilfs-
konstruktionen, die auf der fertigen Karte ganz verschwinden müssen; des-
halb ist es auch ganz gleichgiltig, welche Figuren man wählt, und man
kann sich dabei ganz von der Bequemlichkeit der Konstruktion leiten lassen.
Aber nur bei sehr starker Reduktion dürfte man rein mechanisch zum Ziele
kommen; in den meisten Füllen wird man, ebenso wie bei der Zugrunde-
legung der politischen Bezirke, die Dichtekurven durch Berücksichtigung der
thatsäehlichen Verhältnisse der Natur anpassen müssen.
Einer scheinbar viel weniger exakten, thatsächlich vielleicht zu ebenso
richtigen Ergebnissen führende Methode haben sich Sprecher v. Bernegg
u. a. bedient. Man geht von der einfachen Betrachtimg der Karte der Wohn-
plätze aus und unterscheidet, auf Grund der grölseren oder geringeren An-
häufung und Gröfse der Wohnplätze Gebiete verschiedener Bevölkerungs-
dichte, mifst dann die Fläche dieser Gebiete mittels des Planimeters aus,
zählt ihre Bewohuerzahl und berechnet aus den beiden Werten die Bevöl-
kerungsdichte, die man dann natürlich für die Kolorierung der Karte nur ab-
gerundet benutzt. Es braucht bei dieser Konstruktionsweise nichts Fremd-
artiges in die Karte hineingetragen zu werden, wie ein ungenauer Ausdruck
Sprecher'» vermuten lassen könnte; sie unterscheidet sich von den beiden
anderen Methoden hauptsächlich dadurch, dafs sie eine plaumäfsige, aber
natürlich nur ungefähre Sehätzung au die Stelle genauer, aber mechanischer
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Dber die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 579
Berechnung setzt. Ich möchte mir namentlich dann gute Ergebnisse von
dieser Methode versprechen, wenn man die vergleichende Abschätzung der
Dichte nicht auf Grund der gewöhnlichen topographischen Karte, sondern
einer bevölkerungsstatistischen Grundkarte ausführt, da man sich dann nicht
durch die räumliche Gröfse der Ortschaften täuschen läfst, sondern direkt
ihre Einwohnerzahl vor Augen hat. Wenn die Ortszeichen auf der Grund-
karte farbig ausgefüllt sind, würde vielleicht schon eine verkleinerte photo-
graphische Reproduktion eine Übersicht der Bevölkerungsdichte geben, durch
die die Unterscheidung der Dichtestufen erleichtert würde. Deutliche Ab-
sätze der Bevölkerungsdichte, wie sie z. B. am Rande von Ebene und Ge-
birge meist vorhanden sind, werden jedenfalls bei dieser Methode sofort
klar heraustreten, während sie bei den beiden anderen Methoden zunächst
leicht verschwinden würden und erst durch nachträgliche Korrektur heraus-
gestellt werden müfsten.
So wird man keiner der drei Methoden unbedingt den Vorzug vor den
anderen gebeu können, vielmehr wird man sich je nach dem vorliegenden
Material, der Art der Volksverteilung, dem beabsichtigten Mafsstab der
einen oder der anderen bedienen. Es sind ja auch nur Hilfsverfahren, die
zu dem gleichen Ziele führen; das Ergebnis, d. h. das fertige Kartenbild,
mul's das gleiche sein; wenn Verschiedenheiten vorhanden sind, so beruht
das auf Mangelhaftigkeit des Materials oder auf falscher Handhabung der
Methode.
Das Ergebnis wird durch Flächen gleicher Bevölkerungsdichte, die durch
Linien gegen einander abgegrenzt sind, dargestellt. Die Darstellungsweise
ist also ähnlich wie auf den Karten der Höhen- und Tiefenschichten oder
der Isothermen. Aber es besteht doch ein Unterschied. Während die Höhen-
und Tiefenlinien und die Isothermen eine reale Bedeutung haben und, so-
weit sie richtig gezeichnet sind, Punkte gleicher Höhe oder Tiefe oder
Temperatur mit einander verbinden, sind Punkte gleicher Bevölkerungsdichte
und demzufolge auch die sie verbindenden Linien eine reine Abstraktion.
Das Wesentliche sind die Flächen gleicher Bevölkerungsdichte; die Linien
sind nur ein äufserliches Hilfsmittel der Darstellung. Aus diesem Grunde
ist der Tadel berechtigt, den man gegen die Handhabung der Linien auf
manchen Karten gerichtet hat. Es ist ganz verfehlt, alle Linien auszuziehen
und dadurch den Anschein eines allmählichen Überganges der Bevölkerungs-
dichte zu erwecken, während thatsächlich, wie so oft am Rande von Ebene
und Gebirge, dichte und dünne Bevölkerung unvermittelt an einander stofsen.
Für die Bezeichnung der Flächen gleicher Bevölkerungsdichte hat
Hutzel die früher* von Petermaun angewendete Methode einer gedrängteren
oder lockereren Punktierung empfohlen, weil man daraus sofort sähe, dafs
die Menschen nicht die ganze Fläche gleichmäfsig bedeckten, sondern zer-
streut wohnten. So sehr ich Ratzel darin beistimme, dafs eine Bevölkerungs-
karte grofsen Mafsstabes, welche noch eine Auseinanderhaltung der einzelnen
Wohnplätze erlaubt, nur als Karte der Wohnplätze gezeichnet werden dürfe,
so halte ich es doch für unnötig, die Art des Wohuens symbolisch noch an-
zudeuten, wenn der Mafsstab der Karte eine Einzeichnung der einzelneu
3ü*
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580
Alfred Hettner:
Wohnplatze nicht mehr erlaubt. Die Darstellung durch Punktierung hat
aber, wie Behm bereits hervorgehoben bat, den Nachteil, dafs ein einfaches
Ablesen der Bevölkerungsdichte nicht möglich ist. Am zweckmäfsigsten bleibt
immer die Darstellung durch Fluchenfarben oder Schraffierung. Bei der
Wahl der Skala sollt*? nicht jeder Verfasser auf eigene Faust vorgehen, da
dadurch die Vergleichbarkeit der Karten sehr erschwert wird. Ganz verkehrt
erscheint es, wie Mayr mit Recht bemerkt, der durchschnittlichen Dichte des
Gesamtgebietes einen Einflufs darauf einzuräumen; man sollte die Dichtestufen
vielmehr immer durch die runden Zahlen des Dezimalsystems (1, 5, 10, 25,
50, 75, 100 u. s. w.) gegen einander abgrenzen. Auch in Bezug auf die
Wahl der Farben ist viel gesündigt worden, da man oft die Farben ohne
jedes Prinzip gewählt hat, so dafs die Karte nur durch immerwährende
Benutzung der Legende entziffert werden kann; die Farben müssen vielmehr,
wie z. B. auf den Behm' scheu Karten, eine fortlaufende Reihe etwa von
Weifs über helleres und dunkleres Gelb, helleres und dunkleres Brauu zu
Rot bilden und so auf einen Blick die Abstufungen der Verdichtung erkennen
lassen. Dieser selbe Grundsatz der Abstufung ist zu beachten, wenn man
aus Sparsamkeitsrücksichten statt der Farben Schraffierung anwendet. Man
kann in diesem Falle auch, wie es Reclus in seinem grofsen Werke mit
Vorliehe gethan hat, die Bevölkerung durch quadratische Maschen darstellen,
deren Weite dem auf einen Menschen entfallenden Raum (der Flächen-
ausstattung) entspricht; aber dies Verfahren wird sich, wie mir scheint, schlecht
anwenden lassen, wo die Bevölkerungsdichte rasch wechselt.
Es ist der historische Gang aller Wissenschaft, dafs sie zuerst einen
Uberblick im grofsen anstrebt, dafs sie dann hie und da und im Laufe der
Zeit an immer mehr Stellen in die Einzelheiten einzudringen sucht, und
dafs sie schliefslich die vertiefte Kenntnis der Einzelheiten benutzt, um
den ganzen Bau neu aufzufuhren. Diesen Gang hat auch die Kartographie
genommen; aber mit den Bevölkornngskartcu stehen wir noch auf der
zweiten Stufe. Wir besitzen eine Anzahl Spezialkartcn der Bevölkerung,
aber doch erst eine beschränkte Anzahl, nach sehr verschiedenen, teilweise
recht verfehlten Methoden gezeichnet. Für die Zeichnung von Übersichts-
karten sind sie bisher nur wenig benutzt worden und können sie auch nur wenig
benutzt werden, weil sie nach zu verschiedenen Methoden gezeichnet sind, und weil
sich die Art der Zeichnung meist der Generalisierung wenig darbietet. Eine
topographische Karte, eine Isothermenkarte u. s. w. kann man ohne weiteres
generalisieren, indem man bei den Umrissen der Figuren auf die Einzelheiten
verzichtet, Vorsprünge und Einsprünge ausgleicht, und indem man ferner
immer mehrere Höhenstufen, Temperaturstufen u. s. v#. zusammenfalst.
Streng genommen ist diese Art der Generalisation freilich nicht genügend,
weil die Flächen ihre Größe nur ungefähr bewahren; aber es kommt hier
auf die genaue Richtigkeit der Flächen nicht so sehr an. Eine nach den-
selben Grundsätzen vorgenommene Reduktion der Bevölkerungskarte dagegen
wird strengeren Ansprüchen kaum mehr genügen. Wir finden auf der Karte z. B.
eine Fläche von n qkm mit der Bevölkerungsstufe 75 — 100 Einw., da-
zwischen einige Tnseln dichterer Bevölkerung (über 100 Einw. auf 1 qkm)
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Über die Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungsdichte. 581
und eine Anzahl gröfserer Ortschaften, die absolut dargestellt sind. Bei
der Reduktion der Karte auf kleineren Maßstab müssen wir diese Inseln
und Ortschaften einziehen; dadurch erhöht sich die mittlere Bevölkerung
der Fläche, aber ob sie über 100 steigt oder noch unter 100 bleibt, können
wir aus der Karte allein nicht entnehmen; dazu müfsten wir aufser der
Gröfse der Flächen, die wir allenfalls ausmessen könnten, auch den genauen
Betrag der Dichtezahlen kennen, die zwar für die Zeichnung der Karten be-
rechnet, aber der Klarheit der Zeichnung wegen gewöhnlich nicht eingetragen
und auch nur manchmal in einem Texte mitgeteilt werden. Die Generalisierung
kann also mit genügender Genauigkeit nicht auf Grund der Karte, sondern
nur auf Grund der Rechnungsergebnisse vorgenommen werden.
Diese, mögen sie sich nun auf die Gemeinden oder andere politische
Einheiten oder auf geometrische Figuren oder auf die durch die Betrachtung
der Karte gewonnenen Flächeneinheiten beziehen, sollten deshalb immer mit
der Karte zugleich veröffentlicht werden. Aber die tabellarische Form, in
der man sie öfters niedergelegt hat, wird nur selten wirklich genügen, weil
es sehr umständlich ist, die zahllosen einzelnen Gebiete, deren Dichte
berechnet ist, auf der Karte zu identifizieren. Es würde dann wenigstens
erwünscht sein, dafs durch Ziffern in der Karte auf die Tabelle verwiesen
würde. Bequemer ist es, wenn die Grenzen der ausgemessenen Flächen nebst
den Flächen- und Dichtezahlen kartographisch niedergelegt werden. Wenn
man die Karte selbst nicht mit Ziffern überladen, sondern ihr Übersichtlich-
keit und ein gefälliges Aussehen bewahren will, kann man die Grenzlinien
und Ziffern auf einem besonderen Blatte, am besten auf durchsichtigem
Papier, beigeben. Oder man kann sich auch, wenn man weniger die un-
mittelbare Wirkung der Karte als ihre weitere Verwertung im Auge hat,
mi$ dieser das Rohmaterial enthaltenden Karte begnügen. Vielleicht thäten
die Bearbeiter speziellerer Bevölkemngskarten auch gut, selbst gleich die
Reduktion auf kleinere Mafsstäbe vorzunehmen und diese reduzierten Karten,
sei es als Rohmaterial, sei es in ausgeführter Zeichnung, mit zu veröffent-
lichen. Jedenfalls stehen sie sich selbst im Lichte, wenn sie auf alle diese
Hilfsmittel, ihre Karten für die Generalisierung geeignet zu machen, ver-
zichten; ohne das kann ihre Karte eben nur für das Spezialstudium der
betreffenden Gegend oder für das Studium gewisser typischer Erscheinungen
dienen, aber kein Baustein für eine gröfsere Bevölkerungskarte sein.
Auch Untersuchungen über die Ursachen der Bevölkerungsdichte, wenn
die Gröfse des Gebietes ein Zurückgehen auf die Wohnplätze unthunlich
macht, werden auf Grund des Rohmaterials mit viel gröfserer Leichtigkeit
als auf Grund der ausgeführten Bevölkerungskarte vorgenommen. Wir
müssen, wie wir gesehen haben, zu diesem Behufe einerseits die Fläche, über
die sich die in Betracht gezogenen Natur- oder Kulturerscheinungen erstrecken,
anderseits die Zahl der auf diesen Flächen lebenden Menschen ermitteln.
Wenn wir das Originalmaterial einer spezielleren Dichtekarte zur Verfügung
haben, so brauchen wir nur die berechneten Flächen auf die zu untersuchenden
Natur- oder Kulturerscheinungen zu verteilen, um sofort die Flächen- sowie die
Einwohnerzahlen addieren und aus den Summen die Dichte berechnen zu können.
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582 Hettner: Unterttucbung und Darstellung der Bevölkerungsdichte.
Ebenso läfst sich eine das Rohmaterial enthaltende Karte nach einer
neuen Volkszählung verhältnismäfsig leicht erneuern; denn man kann im all-
gemeinen ja die Flachen beibehalten und braucht nur neue Bevölkerungs-
zahlen einzusetzen, wobei man sofort sieht, ob die Dichte ungefähr dieselbe
geblieben ist oder sich so verändert hat, dafs sie neu berechnet werden mufs.
Dadurch gewinnt man ja auch gleich einen Überblick über die Bevölkerungs-
bewegung.
Von verständigen Leuten können, wie die Erfahrung lehrt, brauchbare
Übersichtskarten der Bevölkerungsdichte auf Grund der Bevölkerungs- und
Flächenzahlen gröfserer politischer Einheiten gezeichnet werden, und ver-
mutlich werden wir uns noch auf lange hinaus für die meisten Länder mit
solchen Karten begnügen müssen. Aber dieso Karten müssen, wie wir
gesehen haben, in ziemlich hohem Grade willkürlich und ungenau sein.
Gröfsere Genauigkeit und Freiheit von individueller Willkür ist nur bei
einem Zurückgehen auf die Wohnplätze oder wenigstens auf die Gemeinden
möglich. Bisher sind erst verhältnismäfsig wenige Karten dieser Art gezeichnet
worden, und der damit verbundene Arbeitsaufwand ist auch so grofs, dafs
solche Karten vom Einzelnen nur für kleinere Gebiete gezeichnet werden
können. Die so wünschenswerte Herstellung guter, nach gleicher Methode
bearbeiteter Bevölkerungskarten ganzer Länder, wie etwa einer Karte des
Deutschen Reiches im Mafsstab 1 : 1 Million, ist wohl nur durch organisierte
Arbeit, womöglich unter Mitwirkung der statistischen Ämter, möglich. Solche
Karten müssen auf bevölkerungsstatistischen Grundkarten, d. h. Karten der
Wohnplätze nach ihrer Einwohnerzahl, aufbauen, mögen diese nun veröffent-
licht sein oder nur handschriftlich aufbewahrt werden. Ebenso wie die Auf-
nahme geologischer Karten zuerst nur Sache einzelner Gelehrter war, später
aber von den staatlichen Behörden in ihrer Wichtigkeit erkannt und in die
Hand genommen wurde, so wird auch eine Zeit kommen, in der die Staaten
die Anfertigung guter Bevölkerungskarten, die nach jeder Zählung oder
immer nach mehreren Zählungen erneuert werden, als ihre Aufgabe erkennen.
Die Voraussetzung dafür ist freilich, dafs unsere Statistiker sich erst mehr
mit geographischer Bildung durchdringen, als es heute vielfach noch der Fall
ist, dafs sie sich von der Unwissenschaftlichkeit der alten statistischen Karto-
gramme, auf die einzelne hervorragende Statistiker ja schon längst hin-
gewiesen haben, mehr und mehr überzeugen, dafs sie mehr und mehr
erkennen , wie eine klare wissenschaftliche Erkenntnis und darum auch rich-
tige praktische Beurteilung nur bei einer von allen Voraussetzungen freien und
in die geographischen Einzelheiten eindringenden Darstellung möglich ist.
»
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Max Friederichscn: RieBengebirgs-Exkursion. 583
Die Riesengebirgs- Exkursion des XIII. Deutschen Geographentages
(31. Mai bis 2. Juni 1901).
Von Dr. Max Priederiohsen, Hamburg.
Mit 6 Abbildungen nach Originalaufnahmen des Verfassers (Tafel 3 und 4).
Dein seit langem üblichen Brauch der Geologentage, wissenschaftliche
Exkursionen den Kongrefs -Verhandlungen anzuschliefsen, sind letzthin auch
die Geographentage gefolgt. Dementsprechend war in das Programm des in
der Pfingstwoche d. J. in Breslau versammelt gewesenen XIH. Deutschen
Geographentages ein Ausflug in das dem Kongrefsort unmittelbar benachbarte
Riesengebirge aufgenommen worden, um den Geographen Gelegenheit zu
geben, mit diesem morphologisch eigenartigen und lehrreichen Gebirge aus
eigener Anschauung bekannt zu werden. Vor allem galt es den Spuren
diluvialer Vereisung dieses Gebirgslandes durch Untersuchung der als
Moränen oder Schott erterrassen hinterlassenen Glacialablagerungen nachzugehen
und die morphologische Umgestaltung der OberflUchenformen des Riesen-
gebirges unter dem Einflufs dieser ehemaligen Vereisung zu studieren.
Niemand kann heutzutage über genannte Probleme sprechen, ohne sich
auf Schritt und Tritt auf die grundlegenden Arbeiten des Breslauer Geo-
graphen Prof. Dr. J. Partsch1) beziehen zu müssen. Das weitaus meiste,
was daher den Teilnehmern der Exkursion über diese Fragen mitgeteilt oder
in der Nutur gezeigt wurde, und worüber im Folgenden kurz berichtet werden
soll, beruht auf den Forschungsergebnissen ernster, mühevoller und lang-
jähriger Arbeit dieses Forschers. Prof. Partsch persönlich zum sachkundigen
Führer zu haben, war daher für die Exkursionsteilnehmer eine unmittelbare
Bürgschaft für lehrreichen Erfolg. Dafs letzterer nicht ausgeblieben ist, wird
jeder bezeugen, welcher Gelegenheit gehabt hat, jene drei sonnigen Frühlings-
tage im Riesengebirge unter Prof. Parts ch's Führung und unter Fürsorge
seines unermüdlichen Helfers, Privatdocenten Dr. Leonhard, mitzumachen.
Geologisch betrachtet ist das Riesengebirge kein selbständiges Gebirge,
vielmehr der vorwiegend aus Granit und krystallinen Schiefern bestehende
G rundstock der westlichen Sudeten. Morphologisch ist es dagegen infolge
seiner die Umgebung weit überragenden Erhebungsverhilltnisse und seines
eigenartig alpinen Charakters eine aus andersartiger Umgebung gut und
deutlich zu isolierende Gebirgsmasse.
Eine natürliche Gliederung des Riesengebirges im Sinne der Längsachse
und quer zu derselben ist unschwer erkennbar. Zwei mit einander parallele,
vom Thale der Elbe und des Weifswassers getrennte Gebirgsrücken bilden
einen Doppelkamm, dessen nördlicher aus Granit, dessen südlicher aus
Glimmerschiefer besteht. Da wo die vereinigten Wasser beider Flüsse den
1) Die Gletscher der Vorzeit in den Karpathen und den Mittelgebirgen Deutsch-
lands von J. Partsch. Hreslau 1882. — Die Verglctscherung des Ricsengebirges zur
Eiszeit von J. Partseh. Stuttgart 1894. Aus: Forschungen zur Deutschen Landes-
und Volkskunde, ßd. 8, 8. 99-194.
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I
584 Max Friederichsen:
südlichen Glimmerschiefer- Kamm durchbrechen, liegt im nördlichen Grauitkamm
in der Mädehviese eine tiefe Einsattelung. Heide Scharten, durch eine Linie
verbunden gedacht, teilen das Rieseugebirge quer zur Längsachse in einen
Ost- und einen Westflügel. Die höchsten Erhebungen, darunter der Gipfel-
punkt des ganzen Gebirges, die Schneekoppe (1605 m), liegen im OstÜügel.
Den Glacialablagerungen des letzteren Gebirgstiügels galt der erste und
ein Teil des zweiten Exkursionstages, während welcher die Teilnehmer von
der böhmischen Gebirgsseite das Aupathal aufwärts über den Kamm hinüber
und an den Teichen vorbei nach Krummhübel am schlesischen Nordfufs mar-
schierten. Zu den Glacialerscheinungen des Westflügels, speziell an seiner
Nordseite im Gebiet der Schneegruben, führte die Wanderung des dritten Tages,
welche von Agnetendorf aus angetreten wurde.
Nachdem die Exkursionsteilnehmer am 31. Mai nach kurzem Aufenthalt
in dem malerisch am Südfufs des Gebirges gelegenen Trautenau die Station
Freiheit im Aupathal erreicht hatten, begann der Eintritt in das eigentliche
Studiengebiet mit Erreichung des kleinen Fleckens Petzer im oberen Aupa-
thal. Von hier aus liefsen sich zwei typische Glacialgebiete bequem und
leicht begehen, über welche Partsch eingebende Forschungen angestellt hat:
1) Die Endmoräne des alten Braunkesselgletschers.
2) Die Moräuenzüge und Schotterterrassen des Riesengrundes.
Wenn Partsch von der Braunkessel -Endmoräne behauptet, sie sei wohl
die schönste des Riesengebirges, so wird niemand, welcher sich durch Augen-
schein hat überzeugen können, daran zweifeln. In prächtiger Erhaltung sehen
wir zwei ca. 30 m über dem im Thal fliefsenden Bach erhobene Seiten-
moränen den Thalhang begleiten und beiderseits zur Bildung eines hohen
bogenförmigen Eudmoränenwalles konvergieren. Der Gletscher, welcher einst
diese Trümmermassen transportierte, wird zweifellos seine Firnmassen in jener
von dem Steilabfall des „Krauzcs" umgebenen Felswanne gelagert gehabt
haben, welche man heute gen NW in der Richtung auf den Fuchsberg er-
blickt, sobald man auf der Seitenmoräue ansteigend einen die Aussicht ver-
sperrenden Vorsprung der linken Thal wand umgangen hat.
Waren bereits hier am Braunkessel, beim ersten Zusammentreffen der
Exkursionsteilnehmer mit den Spuren der Eiszeit im Riesengebirge, die grofseu
Dimensionen des besichtigten Eudmoränenwalles auffallend, so wuchs das
Erstaunen über Umfang, Klarheit und Grofsartigkeit der glacialen Erschei-
nungen, als man von hier über eine mit erratischem Grauitmaterial über-
schüttete Hügelzunge in das eigentliche Aupathal zurückkehrte und in der
Höhe von ca. 810 m dem Ende der äufsersten grofsen Seitenmoräue des
Aupathalgletsehers, welcher einst das heute als „Riesengrund1' bezeichnete
obere Thal.stück bedeckte, gegenüberstand. Gleichzeitig wies an dieser Stelle
Prof. Partsch auf die besonders in dem von links in das Aupathal ein-
mündenden Stumpegrund deutlich sichtbaren Schotterterrassen fluvioglacialen
Ursprunges bin, welche als Produkt der Ablagerung der Schmelzwässer des
Gletschereises einen deutlichen und unverkennbaren Einflufs auf das Aussehen
des Thalbodens gewonnen hatten.
Um Höhe und Charakter des mächtigen Seitenmoränen walles im Riesen -
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Riesengebirgs-Exkursion de» XIII. Deutschen Geographentages. 585
grund näher kennen zu lernen, wurde nahe dem Arbeitsplatz eines das erra-
tische Blockmateria] verwertenden Steinmetzen der Weg zu dem sogenannten
„Blaugrundki eingeschlagen, welcher Pfad auf der Höhe des Seitenmoränen -
zuges mit seinem gigantischen Hlockgewirr in 60 bis 100 m Höhe über dem
Thalboden hinführte und deutlich beobachten liefs, wie scharf die Trümtner-
massen des Moränenwalles von dem eigentlichen Thalgehänge durch eine tiefe
Kinne geschieden wurden.
Im Blaugrund selber steht Porphyr au, welcher sich beim Näherkommen
im Moränenmaterial der Seiteumoräne des Aupagletscbers immer deutlicher
und häufiger nachweisen liefs, um von der Schauerhütte an völlig gegenüber
dem bisher vorhanden geweseneu Granit zu dominieren und einen sicheren
Beweis dafür zu liefern, dafs hier einst vom Blaugrund her ein selbständiger
Gletscher in den Kieseugrund eintrat. „Der Beginn der Granitbeimengung
an der Moränenobertläche bezeichnet den Punkt, wo die Granit führende
Mittelmoräne, welche sich zwischen den Eisströmen des Riesengrundes und
des Blaugrundes entwickelte, «strandete» und sich der rechten Uferwand
auschlofs.*4
Beim Abstieg aus dem unwegsamen Moränenterrain des Blaugrundes
wurde in 60 m Höhe eine zweite jüngere, „der älteren aufhockende" Seiten-
moräne überschritten und dann im Thalgrund, der einbrechenden Dunkelheit
weichend, der Heimweg nach Petzer angetreten.
Die Besichtigung der innersten Moräne, durch deren deutlich erhaltenen
Wallring der Weg zur Schneekoppe hindurchführt, verschob man auf den
nächsten Tag, welcher gleichfalls wolkenlos heraufzog und die Exkursions-
teilnehmer zu den verschiedensten Morgenstunden in zwanglos aufgelöster
Marschkolonne im herrlichen Riesengrund und über die idyllische Bergschmiede
aufwärts zur Schneekoppe emporwandern sah.
Es müfste merkwürdig zugehen, wenn ein Marsch an einem solchen
Tage, empor an den steilen Wänden dieser alten Gletscherwanne des Ein-
drucks auf Jünger der Erdkunde verfehlen sollte! Fast modellartig stellt das
Gesamtbild dieses Riesengrundes in schöner Übersichtlichkeit den Typus einer
ehemaligen Gletscherlandschaft dar. Dort unten zu unseren Füfsen die
letzten Andeutungen der innersten Endmoräne, dort drüben am jenseitigen
Thalgehäuge dio gestern in mühsamer Kletterei überwundenen Seitenmoränen,
dort vor uns im Thalgrund die deutliche, von der Aupa in rauschendem Fall
überwundene Bodenstufc jenes mächtigen ..Kahres", dessen steinernes Halb-
kreisrund einst die Fimeismassen beherbergte, welche die heutige typisch
steilrandige U-Form des von ihm abgeschlossenen Wannenthaies langsam aus-
arbeiteten, auf dessen breitem und flachem Boden aber heute au Stelle des
Eisstromes als schmales Silberfädchen die Aupa zu Thai Hiefst. Entzückt
gleitet der Blick immer wieder zurück! Man achtet kaum darauf, dafs bei
weiterem Steigen die Baumvegetation zurückbleibt, Anemonen und Priraelu
der Alpenflora sich einstellen und man endlich den Rand der großen Felsen-
wanne des Rieseugrundes erklommen hat, um nunmehr auf den weiten kahlen
Hochflächen des Kammes mit seinen dürftigen Knieholzinseln zu stehen.
(Abb. 1 und 2.)
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586
M iix Friederichien:
Von neuem wird man angesichts dieser Hochflächen daran erinnert, dafs
die Eiszeit es war, welche dorn Gebirge ihren unverlöschlichen Stempel
aufgepriigt hat. Denn diese weiten Höhen bedeckte einst das Firneis, welches
die Gletscher zu Thal sandte, deren Spuren wir, beispielsweise im Riesen-
grund, kennen lernten. Das Eis schaffte die gewaltigen Gesteinstrümmer-
massen zu Thal, deren Material heute in den Moränen steckt, welche aber
einst als auf den Hochflächen des Kammes lagernd angenommen werden
müssen. Das diluviale Eis ist also als ein Hauptgrund dieser auffallenden
heutigen Schuttfreiheit zu betrachten und die Rundung und sanfte Linien-
führung der Hochflüchen des Kammes zu nicht geringem Teile ein Resultat
der hobelnden und schleifenden Arbeit des einst aufgelagert gewesenen und
thalwärts gleitenden Eises anzusehen.
Desto gröfser wirkt der Kontrast der wenigen Hochgipfel, welche diese
Hochflächen des Kammes überragen, vor allem der Schneekoppe, deren steil-
wandiger Kegel einem gewaltigen Trümmerhaufen aus Granit und Glimmer-
schiefer gleicht, dabei aber als Aussichtswarte einen selten schönen Stand-
punkt gewahrt.
Mit Interesse erkennt man hier von der Koppe (Abb. l) aus, dafs dem
tiefen Wannenthal des Riesengrundes auf der böhmischen Seite ein ahnlich
steil abfallendes Hochthal auf dem schlesischen Hange, der Melzergrund,
entspricht. Schon seine morphologische Trogform deutet auf glaciale Ver-
gangenheit hin, wie solche auch auf Basis der durch Partseh 's sorgfältige
Studien aufgefundenen Seitenmoränen hinlänglich bewiesen ist. Scharf sicht-
bar, deutlich wie in einem Modell liegt zwischen beiden Gründen ein
schmaler Wasserscheiderücken, über welchen der Weg von der Riesenbaude
zur Schneekoppe führt, und welcher die Einzugsgebiete der Aupa (Elbe) von
denen der Lomnitz (Oder) trennt.
Noch etwas weiteres lehrt der Blick von der Koppe, die Erkenntnis des
starken Kontrastes zwischen dem Steilabbruch des Gebirges gen N, gegen
das Einbruchsbecken des Hirechberger Kessels auf der schlesischen Seite und
des weit sanfteren Abfalles nach Böhmen. Diese Konfiguration des Gebirges
hat auch auf die Thalbildung und die der Thalbildung folgende Ver-
gletscherung ihren ausschlaggebenden morphologischen Einfluls ausgeübt,
indem grofse wohlentwickelte und später bis weit herab vergletschert ge-
wesene Thäler vorwiegend am sanfteren, böhmischen Südabfall auftreten, die
schlesischen Thäler des Nordhanges dagegen einzeln, ohne grofse, kompliziertere
Thalzüge zu veranlassen, der steileren Neigung des Gehänges in direkter Süd-
Nordrichtung folgen. Daher zeigen letztere niemals derartig weit verzweigte
und tief ausgearbeitete glaciale Wannen, wie das Aupa-Thal, wohl aber an
ihren Enden analoge Felskesselbildungen, aus deren Halbrund einst kurze,
aber mächtige Hängegletscher herabhingen.
Für diese im Riesengebirge als „Gruben" bezeichneten alten Firnmulden
lernten die Exkursionsteilnehmer bei der Kamrawanderung am Morgen des
I. .luui zwischen Koppe und Prinz Heinrich -Baude in den beiden Teichen
treffliche Beispiele kennen, deren grofsartige Scenerie besonders von der Höhe
des Kammes aus instruktiv und landschaftlich reizvoll erschien. Sofort unter-
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RietengebirgH-Kxkursion des XIII. Deutschen Geographentages. Ö87
schied das Auge heim Niederhlick vom Kahrraude oberhalb der Teiche eine
Reihe von Morilnenzügen , deren Walle als deutliche Seiten- oder Mittel -
morilnen der einst die Teichkessel erfüllenden Gletscher erkannt zu werden
vermochten. Die wirren, knieholzbewachsenen Blockmassen dieser Moränen
gaben der Landschaft im Vorterrain der Teiche ihr von den benachbarten
sanften Vorhügeln des Riesengebirges stark kontrastierendes Gepräge. Von
ihrer Unwegsamkeit bekamen freilich an dieser Stelle die Exkursionsteilnehmer
infolge der das Moränenterrain nur an den Grenzen schneidenden Führung
keinen Begriff.
Am Grunde der beiden Felsenkessel liegen die stillen Spiegel der
Teiche, welche von zwei mächtigen Blockwällen gegen Norden abgedämmt
sind und von Bartsch als Endmoränenstauseen aufgefafst werden. Bei der
geringen Entfernung des Walles von dem Kahrhintergrund der Felswände,
in welchen einst der alte Gletscher ruhte, scheint es freilich bedenklich, hier
an eine echte Endmoräne zu denken. Prof. G. Gürich1) hält denn auch
die Dämme beider Teiche für das Produkt wiederholter Steinlawinen, welche
sich unter der Einwirkung denudierender Kräfte vom Kesselhintergrund ab-
lösten und zur Zeit bereits sehr bedeutenden Rückganges des Gletschers auf
diesem abwärts gleitend den Wall auftürmten. Verfasser hat sich bei seiner
geringen Ortskenntnis selbstredend jedes vorschnellen Urteils zu enthalten,
glaubt aber der Gürich'schen Ansicht auf Grund seiner Autopsie zuneigen zu
dürfen und hält es nicht für ausgeschlossen, dafs Steinschlag in Lawineuform
den Abschlufswall aufgetürmt haben könnte. Ein Zweifel an der Thatsache
ehemaliger Vergletscherung der Teichkessel wird natürlich dadurch keineswegs
ausgesprochen, denn diese wird zur Genüge durch die Moränen im Vorterrain
bewiesen.
Der Abstieg von der Kammhöhe oberhalb der Teiche führte die Ex-
klusion an der Schlingelbaude in die Nähe des sog. „Katzenschlosses'4 (Abb. 3),
einer jener für das Riesengebirge charakteristischen, phantastisch verwitterten
granitischen Gangpartien. Der Besuch dieses „Katzenschlosses" war für Ver-
fasser insofern lohnend, als dasselbe besonders schön alle jene Charakteristika
erkennen liefs, welche man vielen ähnlichen auf den Hängen des Riesengebirges
ausgewitterten Granitklötzen nachrühmt. Die für die typischen Verwitterungs-
formen des Granites bedingende zweifache Zerklüftung in vertikalem und
horizontalem Sinne erkannte man in vollendeter Weise sowohl in ihrer ersten
Anlage, als auch in der originellen „Wollsackform" ihres Endproduktes. Dazu
kam die Möglichkeit, auf der Oberfläche der Granitplatten jene vielbesprochenen,
im Volksmunde „Opferkessel" benannten Witterlöcher zu studieren, deren eins
auch in der Höhe der Granitmauer sich armsesselartig, halb aufgeschnitten
zeigte (Abb. 3). Speziell letztere Beobachtung war von Interesse, weil schon
sie zu zeigen vermochte, wie willkürlich diese Vertiefungen angeordnet sein
können und wie sehr sie den ausgesprochenen Charakter von Verwitterungs-
löchern zeigen.
Dies war von Wert, da es in dem weiteren Programm der Exkursion
1) Geologischer Führer in da« Riesengebirge, Berlin 1900, S. 189.
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58«
Max Friederichsen:
vorgesehen war, den Unterschied zwischen einem echten Strudelloch und
solchen fälschlich als ,.glaciale Gletschertöpfe'* von Behrendt angesprochenen
und zum Beweise einer ausgedehnten Vereisung des gesamten Nordhanges des
Riesengehirges verwerteten Verwitterungslöchern in Granit zu demonstrieren.
Das Strudelloch, welches diese Strukturunterschiede zeigen sollte, war
das von Kramsta 1892 in der Lomnitz gefundene, über welches im weiteren
Verlauf der Exkursion am frühen Nachmittag des 1. Juni der Abstieg aus
dem Vorland der Teiche genommen wurde. Prof. Partsch hatte vorsorglich
dieses mannstiefe Strudelloch ausschöpfen lassen und es durch Hineinsetzen
einer kleinen Leiter ermöglicht, dafs die Teilnehmer der Exkursion sich von
den spiralig gedrehten, von den Scheuersteinen völlig glatt polierten Wan-
dungen dieses Strudelloches durch eigenen Augenschein und aus nächster
Nähe zu überzeugen vermochten. Später, am Nachmittag des nächsten
Tages, konnte sich jeder au dem sog. „Opferstein'' bei Agnetendorf durch
Vergleich seiner Erfahrungen über die Struktur eines solchen Strudelloches
(welches im Flufsbett bekanntlich genau wie die „Gletschertöpfe" auf dem
Grunde eines Gletschers entsteht) überzeugen, dafs von einer weitgehenden
Formenähnlichkeit der Witterlöcher des Riesengebirgsgranites mit Gletscher-
töpfen, und demnach von einer Berechtigung der Behrendt'schen Annahme
einer alten Vergletscherung des ganzen Nordhanges des Riesen gebirges auf
Grund dieser Witterlöcher absolut keine Rede sein kann. Wie schon der im
Vorstehenden oft benutzte Name „Witterlöcher" andeuten soll, wird man es
vielmehr mit durch Verwitterungsvorgänge hinlänglich erklärbaren Vertiefungen
zu thun haben.
Mit Demonstration des Lomnitzstrudelloches schlofs für einen grofsen
Teil der Exkursionsteilnehmer der wissenschaftliche Teil dieser Riesengebirgs-
wauderung, denn von Krummhübel aus beabsichtigte das Gros die Heimfahrt
anzutreten. Nur eine kleine Schar wollte sich um keinen Preis die viel-
leicht nie wiederkehrende Gelegenheit entgehen lassen, unter Prof. Partsch 's
Führung einen Blick in das bei Cunersdorf und Hennsdorf von Norden in
den Hirschberger Kessel eindringende nordische Diluvium zu thun und vor
allem an der für den nächsten Tag von Agnetendorf geplanten Begehung der
Schueegruben teil zu nehmen.
Auch dieser letzte Tag war wolkenlos und aussichtsklar, und als man
von Agnetendorf über die Korallensteine wandernd den Hochwald des Gebirgs-
huuges durchschritten und plötzlich vor dem Einblick in die sonnenbestrahlte
grofse Schneegrube (Abb. 4) stand, da schwelgte das Auge in dem Anblick
eines für deutsche Mittelgebirge unerwartet romantisch- wilden Landschaftsbildes.
Halbkreisförmig geschlossen, wie bei den beiden Teichen, lag wiederum
ein typisches Kahr vor dem Wanderer, abgesperrt durch einen hohen Block-
wall (Abb. 1), welcher auch hier infolge der Nähe der Wände des Kahrs
als eigentliche Endmoräne von Prof. Gürich angezweifelt wird, über doch
unter Berücksichtigung seiner Form und der völligen Blockfreiheit des dahinter
gelegenen Kahrbodeus gar manche Anzeichen einer solchen Bildung trägt.
Davor liegen von einer deutlich erkennbaren zweiten, weiter ausgerückten
bogenförmigen Moräne gen Norden abgedämmt die Kochelteiche (Abb. 5) als
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Ricsengebirgs-Exkursion des XIII. Deutschen Geographentages. 589
echte Moränenstauseen, deren Wasser in dem gigantischen Blockgewirre des
Vorterrains der Grofsen Schneegrube einen unterirdischen, dem Auge unsicht-
baren Abflufs finden. Überall, wohin der Fufs schreitet, liegt er im Kampf
mit diesem Trümmermeer und dem die Blöcke üppig überwuchernden Knie-
holzdickicht Es ist für die Teilnehmer der Exkursion eine harte Arbeit,
sich durch dieses Terrain hindurchzukämpfen, um über den blockübcrsäten
Riegel der westlichen Schneegrubenflanke in das Moränenterrain der benach-
barten Kleinen Schneegrube (Abb. 6) vorzudringen. Weniger grofsartig aber
morphologisch in den gleichen Formen des typischen Kahrs wiederholt sich
hier das gleiche Bild, nur fehlen die zwei inneren deutlichen Wälle der Grofsen
Schneegrube. Vielmehr gelangt der Wanderer über ein unwegsames Block-
feld direkt zu der das Vorterrain beider Schneegruben gemeinsam absperrenden
Stirnmoräne und jenseits derselben auf die im Terrainbild ungemein deutliche
Seitenmoräne einer einst weit vorgeschoben gewesenen Gletscherzunge, welcher
im Vorland der Grofsen Grube in den sog. Bärlöchern ein analoger Gletseher-
vorstofs entsprochen haben mufs. Prof. Partsch, welcher bereits 1880 und
später 1893 unter grofsen, bewundernswert erfolgreich überwundenen Schwierig-
keiten die genaue Kartierung dieses schwierigen Moränenterrains der Schnee-
gruben in 1 : 10 000 unternommen hat, gründete speziell auf die Thatsache
des Aussendens dieser beiden getrennten Moränenzungen einen Hauptbeweis
für die Annahme zweier durch einen Gletscherrückgang getrennter Eiszeiten
des Gebirges. Er nahm an, dafs zur Zeit der ersten grofsen Vereisung die
beiden Schneegruben noch durch einen trennenden Felsriegel völlig von einander
geschieden gewesen seien und ihre Gletscher getrennt in der heute noch in
der Zungenform ihrer Moränen sich wiederspiegelnden Form zu Thal gingen.
Dafür spricht, dafs Partsch Basaltgeröll aus dem nur in der Kleinen Grube
vorhandenen Basaltgang nur in der Moränenzunge der Kleinen Grube gefunden
hatte, also eine Kommunikation der Gletscher beider Gruben in dieser ältesten
Periode nicht bestand. „Eine neue Vergletscherung fand den scheidenden
Grat zwischen beiden Gruben so weit abgetragen, dafs er keine nachhaltige
Schranke mehr zwischen ihren Gletschern zu bilden vermochte, vielmehr beide
zusammenflössen in eine breite Eismasse, vor deren Front ein einheitlicher
Moränenwall sich auftürmte." 1 ) Dabei hielt Partsch ganz ausdrücklich an
zwei zeitlich auseinanderfallenden Gletscherperioden, nicht an verschiedenen
Stadien einer Vergletscherung fest.
Die ganze Frage wurde naturgeraäfs auch von den Exkursionsteilnehmern
an Ort und Stelle eingehend diskutiert, und es war bemerkenswert, dafs die
alpin so erfahrenen Professoren Finsterwalder und Crammer sehr nachdrück-
lich darauf hinwiesen, „dafs auch der Gletscher, welcher die untere Moränen-
landschaft aufbaute, im gröfsteu Teil seiner Erstreckung ein mächtiger, ein-
heitlicher Körper gewesen sein könne, der sich erst an seinem Ende unter
Einwirkung irgend einer leisen Divergenz der Böschungsrichtung des Ge-
hänges in zwei Zungen gespalten habe. Solche Teilungen eines Gletscherendes
in auseinandergehende Lappen seien nicht allzu selten". Dann würde das
1) Partsch. Vergletscherung des Riesengebirges, S. 131.
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590
Max Friederiehscn: RiesengebirgH-Exkursion.
Vorhandensein zweier Gruben und zweier Gletscherzungen nur zufällig sein
und nieht in innerem ursächlichen Zusammenhang stehen. Besonders bemerkens-
wert erschien Verfasser eine Bemerkung Prof. Gürich's, welcher den Basalt
der Kleinen Schneegrube einmal auch im Moränenterrain der sog. „Bärlöcher",
d. h. also im ältesten Moränenwall der Grofsen Schneegrube beobachtet hatte.
Es dürfte die Diskussion dieser strittigen Fragen mit gewiegten Kennern
an Ort und Stelle vielleicht zu einer erneuten Revision der bisherigen An-
sichten Prof. Partsch's über die Anzeichen einer zweimaligen zeitlich unter-
schiedenen Vergletscherung der Schneegruben führen. Jedenfalls schien es bei
dem augenblicklichen Stand unserer Kenntnis auch Prof. Partsch „sehr wohl
möglich, wenn auch noch nicht bewiesen1', dafs wir es im Kiesengebirge nur
mit verschiedenen Stadien einer Eiszeit zu thun haben. Welcher? ist eine
offene Frage.
War an den Schneegruben der Meinungsaustausch mit den Kollegen aus
den Alpen von dauerndem Wert für die wissenschaftlichen Probleme der
Vergletscheruug des Riesengebirges, so war an anderen Stellen das Urteil des
gleichfalls an der Exkursion teilnehmenden Prof. Wahnschaffe, des Chefs der
geologischen Flachlandsaufnalunen in Norddeutschland, von dauernder Be-
deutuug für die Forschung. So wurde durch diesen erfahrenen Kenner der
(ilacialablagerungen Prof. Partsch's bereits 1898 gebildetes abfälliges Urteil
über die angeblichen (Ilacialablagerungen bei Liebau auf der böhmischen
Gebirgsseite bestätigt, und der Abstecher, welcher von einigen Mitgliedern zu
der fraglichen Stelle gemacht wurde, hatte den Erfolg, dafs der von dem
Geh. Bergrat Althaus1) angenommene 12% km lange diluviale Bobergletscher
bei Liebau definitiv aus der Litteratur wird verschwinden müssen. Der hier
von Althaus begangene Irrtum schien so frappierend, dafs Prof. Wahnschaffe
die Aufnahme und spätere Veröffentlichung eines Protokolls des Thatbestandes
veranlafste.
Auch zu dem Nachweis der Anfechtbarkeit der gerade bei Eröffnung des
Breslauer Geographentages publizierten8) Untersuchungen Dr. Emil Werth's
über vermeintliche (ilacialablagerungen im Hintergrund der Eglitz, des Flüfs-
chens von Schmiedeberg, gab die Exkursion Aulafs. Zwar nahmen die Ex-
kursionisten an diesem Ausflüge nicht mehr teil, aber Prof. Partsch allein
besuchte die Stellt«. Die „mächtigen Schotter" Werth's waren Gehängeschutt
und die angebliche hohe Endmoräne des sog. „Hirschgrabens" stellte sich als
der künstliche Staudamm eines alten Teiches heraus.
So hat denn die Riesengebirgsexkursiou des XIII. Deutschen Geographen*
tages nach jeder Richtung einen günstigen und lehrreichen Verlauf genommen
und durch den lebhaften Meinungsaustausch über strittige Punkte durch be-
rufene Männer auch der direkten Förderung und Aufklärung der interessanten
Eiszeit probleme des Rieseugebirges gedient, sowie Austofs zu erneuten Unter-
suchungen gegeben.
I) ZeitHchr. d I>. (Vol. <Je*. 1K1IG.
II) Neues Jahrbuch f. Mineralogie.
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nitt
„Melxerifrtiml" dp» Leu Ii Thal«*«
Tafel 3.
Pbvl. Dr. M I i. .,!■!,-. ,,
»iniin'ii.
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Geographische Zeitschrift. Jahrgang VLL
Tafel 4.
IMi. l. l'r M. t rii ili rli U.i i>.
5. Die Kochelteiche im Morünenterrain tler ftroften Schneegrube.
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Geographische Neuigkeiten.
591
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fit?. au.
Allgemeines.
* Die Erforschung der Temperatur
in den höchsten Luftschichten hat
Teisserenc de Bort, der Leiter der
Wetterwarte in Trappes, seit drei Jahren
planmäfsig betrieben, indem er in regel-
mäfsigen kurzen Zeitabständen kleine un-
bemannte Ballons absendet, die mit
selbstregistrierenden meteorologischen In-
strumenten ausgestattet sind. Im ganzen
Kind bisher 240 solcher Ballons erfolg-
reich aufgelassen worden, und de Bort
hat jetzt über die Ergebnisse seiner Be-
obachtungen an die Pariser Akademie
der Wissenschaften berichtet. Es haben
sich daraus einige wichtige Schlüsse auf
den Zustand der höheren Luftschichten
ergeben, die eine wesentliche Berichtigung
der bisherigen Annahmen herbeiführen
werden. Zunächst ist die Thateacho zu
erwähnen, dafs bis zu einer Höhe von
mindestens 10 km über der Erde der
Wechsel der Jahreszeiten in beträchtlichen
Schwankungen der Temperatur zum Aus-
druck kommt. Diese jahreszeitliche
Temperaturschwankung nimmt allerdings
mit steigender Höhe ab. Am Erdboden
beträgt sie im Mittel 17° für jenen Be-
obachtungsort, in 5 km Höhe etwa 14'/,°
und in 10 km 12°. Im Januar, wenn in
Trappes eine mittlere Monatstemperatur
von 0,9° herrscht, hat die Luft in ö km
Höhe eine Temperatur von — 19° und
10 km hoch eine solche von — 52°. In
den Monaten März und April ist in
diesen Höhen die Kälte noch etwas gröfser.
Eine bedeutende Erwärmung der oberen
Luftschichten macht sich erst im Juli be-
merkbar; während im Juni in 5 km Höhe
noch fast — 17" und in 10 km über
— 61° verzeichnet wurden, steigt die
Temperatur im Juli in :> km Höhe auf
— 9°. Am wärmsten ist «He Luft dieser
Schicht im September mit — 7,2°.
Niemals steigt die Temperatur in diesem
Abstand von der Erdoberfläche über den
(iefrierpunkt, sondern sie schwankt
zwischen — 7,2° und — 21, x" im Monats-
mittel. In 10 km Höhe findet sich die
höchste Temperatur ebenfalls im Sep-
tember, sie beträgt aber — 41,8°, kommt
aber in ihrem Maximum schon der
gröfsteu Kälte gleich, die auf der Erd-
oberfläche überhaupt zu beobachten ist,
die niedrigste Temperatur ist — 63,7° im
April. Im Sommer mufs man etwa
3600 m emporsteigen, um die Temperatur
des Gefrierpunktes zu erreichen, im Winter
nur 100 m. (A. Zt. Wschl. Beil. Nr. 199.)
* Die Frage nach der atmosphä-
rischen Wärmestrahlung ist durch
die Untersuchungen, die Frank Very
in Nordamerika ausgeführt hat, zu einem
vorläufigen Abschlufs gebracht worden.
Bekanntlich gelangen die leuchtenden
Strahlen der Sonne mit nur geringer
Schwächung beim Durchgang durch die
Luft auf den Erdboden. Hier werden sie
absorbiert, der Boden erwärmt sich da-
durch und strahlt seinerseits Wärme in
die Atmosphäre zurück. Diese dunkeln
Wärmestrahlen läfst die Luft aber nicht
so leicht wieder durch wie die leuchten-
den Strahlen, sie absorbiert sie vielmehr
und wird dadurch erwärmt. Die Atmo-
sphäre wird also nicht sowohl von oben
als vielmehr von unten, vom Boden her,
erwärmt, weshalb auch die Temperatur
mit der Höhe abnimmt. Die Absorptions-
fähigkeit der Luft hängt nach den Unter-
suchungen Very's hauptsächlich von ihrem
Gehalt an Wasserdampf und Kohlensäure
ab; wäre die Luft völlig trocken und
rein, bestände sie lediglich aus Sauer-
stoff und Stickstoff, so würde die Boden-
wärme rasch und zum gröfsten Teil bei
Nacht in den Weltraum entweichen und
selbst zur heifsesten Sommerszeit müfste
bald nach Sonnenuntergang Frost ein-
treten. Das Wüstenklima der Sahara mit
ihrer reinen und trockenen Luft zeigt
analoge Vorgänge. Durch den Wasser-
dampf und die Kohlensäure der Atmo-
sphäre wird also die nächtliche Aus-
strahlung und damit die Erkaltung des
Bodens vermindert, ihr Vorhandensein
wirkt allgemein temperaturausgleicheud.
Wo der Boden feucht ist, sind die Ände-
rungen der Temperatur geringer al» da,
wo er trocken ist, da über feuchtem
Boden auch die Luft viel Feuchtigkeit
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592
Geographische Neuigkeiten.
enthält. Auf hohen Bergen ist die direkte
Wärmewirkung der Bonne zwar gröfser
als in der Tiefe, aber weit erheblicher
ist dort die Wärmeaustrahlung und daher
dio niedrige Temperator der Hochgipfel.
Die hohen Temperaturen in der hei Tuen
Zone oder am Meeresspiegel sind weniger
eine direkte Wirkung der Sonnenbe-
strahlung als vielmehr der feuchten
Atmosphäre, die eine Wärmeausstrahlung
des erwärmten Hodens verhindert, und
die niedrigen Wiutertemperaturen ver-
danken wir hauptsächlich dem tiefen
Stande der Sonne, die dann den Boden
nur wenig zu erwärmen vermag. Die
Frage, ob bei dem stetigen Gehalt der
atmosphärischen Luft an Wasserdampf und
Kohlensäure überhaupt Wärme mittelst
direkter Ausstrahlung durch die Atmo-
sphäre in den Weltraum hinaus ent-
weichen kann, ist durch Very's Unter-
suchungen dahin entschieden worden,
dafs mindestens '20 Prozent der Wärme,
welche die Erdoberfläche durch die Sonne
empfängt, durch Ausstrahlung in den
Weltraum verloren gehen. iK. Zt.)
* Der Staubfall vom 11. März ist
für «Ii«' (i 1 et scher forsch ung von prak-
tischer Bedeutung geworden, wie K.
Richter im Globus, Bd. LXXX. S. 145
mitteilt Dieser Gletscherforscher schreibt :
Die Schneelage des Winters 11100/15)01 in
den Ostalpen ist also durch eine rötliche
Schicht gekennzeichnet. Damit haben wir
aber eiu ausgezeichnetes Hilfsmittel für
die (iletscherforschung gewonnen. Schon
lange ist es ein Trogrammpunkt der (Jlet-
seheruntersuchungen, eine gröfsere Fläche
eines Firufeldes zu färben, um den Weg,
den gerade diese Jahrcsschicht in »lern
bewegten Gletscher zurücklegt, verfolgen
zu können, die Deformationen und Ver-
legungen zu beobachten, welche sie
durchmacht, und die Schicksale zu ver-
stehen, die sie beim Passieren von Glet-
scherbrüchen, Sjuiltensyst einen u. s. w. er-
lebt. Die Natur hat uns nun den grol'sen
Gefallen gethan, eine solche Färbung der
Firnfelder mit freigebiger Hand imgrölsten
Stile vorzunehmen. An uns ist es, in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten an
Spaltenwänden und nuf den aperen Glet-
schern nachzusehen, wo das Ausgehende
der roten Schicht sich findet, und beson-
ders wie es sich zur blauen Minderung
verhält. Auf diese Weise kann eine der
schwierigsten Fragen der Gletscherkunde
gelöst werden.
Europa.
* ( her die abnorm zunehmende Vcr-
landung der Seen der französischen
Vo ge s e n macht Werner im < J lobus Bd . HO,
Nr. 8 interessante Mitteilungen. Der See
von (ü'rardmer besafs l«60 über 40mTiefe,
1899 nur noch 35. Um, der See von Longenier
18(10: 35 m, 18XH: 29,4 m und 1897 nur
noch 28 in. Der See von Hetournemer
1877: 19 m, 1889: 11,0 m, 1894: 10,2 m.
Zahlreiche andere kleine Seen und etangs
bei la Bresse und Hemiremont sind im
Austrocknen begriffen. Die Ursache dieser
interessanten Erscheinung, die in so ekla-
tanter Weise bei anderen (Jcbirgsseen bin
jetzt noch nicht konstatiert werden konnte,
ist durch «icröllablagerung «1er hinein-
niefsenden Gewässer und allmähliche Ver-
torfung allein noch nicht genügend auf-
geklärt und bedarf jedenfalls noch weiterer
l'ntersuchungen. W. H.
* Die Höhe des Ätna, die wie bei
allen Vulkanen wegen der bei Eruptionen
möglichen Aufschüttungen des Eruptions-
kegels im Laufe der Zeit veränderlich ist,
ist bisher zu 3313 m angegeben worden.
Gelegentlich der im Jahre 1900 stattge-
habten geodätischen Vermessungen zwi-
schen Sizilien und Malta stellten die Teil-
nehmer an dieser Arbeit jjenaue Höhen-
messungen am Ätna an, aus denen sich
ergab, dafs der höchste Punkt des
Tüpfels sich 3279 m über den Spiegel des
Mittelmeeres erhebt; der Kraterrand be-
safs eine gröfste Breit«' von 527 in. seine
Tiefe war 252 m und seiu Boden war
1328,'» m vom Observntoriiini Bellini ent-
fernt.
Asien.
* ("her den Fortgang von Kozlov's
Erforschung Zentralasiens im Quell-
gebiet des Hoangho und Jangtsekiang
berichten Briefe Kozlov's, die bis zum
September v. J. reichen und über lVking
nach Petersburg gelangt sind. Danach
brach «lie Expedition nach ihrer Vereini-
gung in Liang-Tschou .'s. S. 294) im März
1900 über den Kuku-Nor nach West-
Tsaidam auf, errichtete bei Barun-Tsassak
eine meteorologische Station und wandte
sich «lann südwärts zum oberen Hoangho
nach den Zwillingsseen Tbaring-Nor un«l
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Geographische Neuigkeiten.
593
Oring-Nor, die der Hoangho durchfliegst.
Beide Seen wurden genau erforscht, der
Oring-Nor sogar völlig umwandert; sie
liegen in 4100 m Meereshöhe, hahen jeder
ungefähr 140 km Umfang und scheinen
nicht allzu tief zu sein; beide Seen trennt
ein 10 km breiter Isthmus, der aber vom
Hoangho in seiner südlichen Hälfte durch-
brochen wird. Die nahe Hoanghoquelle
konnte wegen der Feindseligkeit der
Tanguten nicht erreicht werden, deshalb
wandte sich Kozlov nach Südwesten zum
Murussu, dem Oberlauf des Jangtsekiang,
wo er in Tscherku, einem belebten Kara-
wanenort an der Strafse von Lhassa nach
Szetschuan, seinen letzten Bericht schrieb.
Von hier aus gedachte Bich der Reisende
ostwärts zum Knie des Hoangho zu wen-
den und den Oberlauf des Flusses bis zur
Quelle zu erforschen. Jedoch scheint
nicht alles so glatt verlaufen zu sein;
denn einmal soll die Expedition noch
Ende September am Murussu gewesen
sein und dann meldet ein sibirisches Blatt,
dafB die Expedition Ende Juli 1901 bei
Kobdo, dem Ausgangspunkte der Expedi-
tion an der sibirischen Grenze, von Tan-
guten angegriffen worden sei, wobei 20
Mann der Expedition getötet worden
wären. Wahrscheinlich wird es sich hier-
bei aber um ein früheres Ereignis gc-
handelthaben, dessen aufgebauschte Kunde
jetzt erst nach Kobdo gelangt ist; bei der
ungeheuren Entfernung vom Murussu nach
Kobdo ist die Anwesenheit Kozlov's in
der Nähe Kobdos sehr unwahrscheinlich.
* Prof. A. Philipps t: aus Bonn hat
eine fünfmonatliche Forschungsreise ins
Vilajet Aidin-Smyrna im Norden des
Mäanderflusses zu glücklichem Abschluß
gebracht und ist in die Heimat zurück-
gekehrt.
Afrika.
* Italienisches Afrika. Der Cava-
liere Pestalozza, königlich italienischer
Generalkonsul in Zanzibar, ist nach Er-
füllung seiner Mission an der Somaliküste
in Aden eingetroffen. Der Sultan der
Migiurtiner hat seine Unterwerfung unter
die königlich italienische Regierung er-
klärt und einen Vertrag geschlossen, in
welchem er ausdrücklich das Protektorat
und die Flagge Italiens auf dem ganzen
Gebiete des Sultanats anerkennt und sich
verpflichtet, mit allen ihm zu Gebote
Geographische ZeiUchrift 7. Jahrgang 1901. 10.
stehenden Mitteln die Besatzungen und
die Ladung der Schiffe, welche an den
migiurtinischen Küsten scheitern sollten,
zu schützen, den Handel mit Waffen und
Munition in bedingungsloser Weise zu
hindern, wenn er sich nicht schweren
Bufsen aussetzen will, und in die Kr-
richtung und den Betrieb von Leucht-
türmen an der Küste zu willigen. B.
Australien und Polynesien.
* Prof. Albert Heim in Zürich tritt
Mitte Oktober eine auf die Dauer von
etwa 9 Monaten berechnete Forschungs-
reise nach Neuseeland an, um die
von ihm im Bau der Schweizer Alpen
erkannten Gesetze am Faltengebirge der
neuseeländischen Alpen zu prüfen.
H. Br.
Nordamerika.
* Der höchste Berg Nordamerikas
soll nach einer Mitteilung von Robert
Muldrow im National Geographie Maga-
zine (1901, S. 112) der Mt. Mc Kinley
mit einer Höhe von 20464 Fufs = 6241 m
sein. Der Berg ist die höchste Erhebung
eines mächtigen Gebirgsstocks in den
Cordilleren von Alaska unter 63° 6' n. Br.
und 161° w. L. im Qucllgcbiete des Shu-
shitna und Kuskokvim nördlich von Cook-
Inlet. Er war schon vor 100 Jahren den
russischen Ansiedlern als „Bulschaja", d. i.
„der Grofse", bekannt; der erste Ameri-
kaner, der ihn sah und ihm auch seinen
Namen gab, war ein Prospektor Dikey,
der in der New York Sun 1897 darüber
eine Mitteilung machte. Muldrow stellte
1898 die ersten und bis jetzt einzigen
Vermessungen am Berge an bei Gelegen-
heit der Shushitna-Erforschung durch eine
Expedition der ü. S. Geologieal Survey.
Es wurde eine Grundlinie am Shushitna
gemessen und von dieser aus an sechs
verschiedenen Punkten die Höhe des Ber-
ges trigonometrisch berechnet; als das
Mittel dieser Rechnung ergab sich eine
Höhe von 20 464 Fufs.
* AlaBka-Eisenbahn. In Amerika
ist man gegenwärtig mit dem riesenhaften
Projekt einer Eisenbahn durch Alaska
beschäftigt, für welche sich amerikanische,
russische und französische Kapitalisten
interessieren. Die Pläne sind von dem
französischen Ingenieur Lehel, der sich
bereits nach Klondike begeben hat, ent-
lieft 40
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Geographische Neuigkeiten.
594
wortVn. Diese Eisenbahn hat den Zweck,
die transsibirische Bahn mit dem kana-
dischen und amerikanischen Eisenbahn-
netz durch eine Linie zu verbinden, die
von Circle City ausgehen und am Behrings-
meer enden soll; Gesamtlänge 3000 km.
Vom Behringsmeer würde die Verbindung
mit Wladiwostok, dem Endpunkt der
transsibirischen Bahn, mittelst ungeheurer
Dampffahren, auf die die Züge verladen
werden, hergestellt werden. Die Aus-
führung dieses Projektes würde gegen
800 Millionen Mark kosten und mit der
Bahn von Paris bis New -York zu fahren
gestatten. B.
* Die kanadische Volkszählung
dieses Jahres ergab eine Gesamtbevölke-
rung von 5 338 883 Seelen, d. i. seit 1891
eine Zunahme um 505 644. Die Provinz
Ontario ist natürlich am dichtesten be-
siedelt (2167 978), darnach kommt Quebec
(1620974), Neu-Schottland (459116), Neu-
Braunschweig(331 093), Manitoba (246464),
Britisch-Kolumbien (190000), Prinz Ed-
ward-Insel (103258), die Territorien zu-
sammen (145000) und schlicfslich 75000
in den unorganisierten Gebieten. Die
gröfsten Städte sind Montreal mit 266826
Einwohnern gegen 216650 vor zehn Jahren,
Toronto 207 971 gegen 181220, Quebec
68834 gegen 63090, Ottawa 59 902 gegen
44154, Hamilton 52550 gegen 48 980,
Winnipeg 42 336 gegen 25 642, Halifax
40787 gegen 38556, St. John 40711 (39 179),
London 37 983 (31 977), Victoria 20 821
(16 841), Vancouver 26 196 (13 685) und
sieben andere über 10000, aus denen seines
schnellen Wachstums wegen Calgary im
Territorium Alberta mit 12142 hervorzu-
heben ist. Das Gesamtergebnis ist für
Kanada höchst unerfreulich, da es weit
hinter den erhofften 6 Mill. zurückgeblieben
ist; die Bevölkerungszunahme im letzten
Jahrzehnt ist relativ wie absolut die ge-
ringste seit Gründung der Dominion ge-
wesen. Ganz besonders macht sich dies
bei den Städten bemerkbar. Halifax und
St. John sind allerdings schon länger
stehen geblieben, und dasselbe gilt noch
mehr von Quebec, das bereits bei der
Zählung von 1871 59 699 Einwohner be-
aafs. Dafs aber auch die grofsen Han-
dels- und Fabrikplätze am Ontariosee
keinen nennenswerten Aufschwung er-
fuhren, weder Toronto noch Hamilton
Kingston ist gar um 1000 zurückgegangen
— und dafs sogar Montreal, das kana-
dische Neu- York, seinen Fortschritt gegen
frühere Jahrzehnte ganz beträchtlich ver-
langsamt hat, mufs zu denken geben.
Ottawa ist in mäfsigem Fortschritt be-
griffen, wahrend Winnipeg, dag St. Paul
des kanadischen Westens, unter allen
Städten die einzige einigennafsen „ame-
rikanische" Entwicklung gehabt hat. Er-
staunlich ist, dafs Victoria nur wenig zu-
genommen hat, was natürlich dem unver-
hältnismäfsig schnelleren Wachstum von
Vancouver zuzuschreiben ist. Unter den
verschiedenen Regierungseinheiten haben
Britisch-Kolumbien, Manitoba und die
Territorien nebst unorganisierten Gebieten
je um rund 100000 Seelen zugenommen,
die drei östlichen See-Provinzen gingen
zusammen um etwa 5000 zurück, Ontario,
die „Premier Provincc1', nahm nur um
43000 zu, während Quebec mit seiner
fruchtbaren französischen Bevölkerung die
gröfste Vermehrung, nämlich um 132000,
sah. Diese Verschiebung überträgt sich
natürlich auch auf das Parlament, daher
die eDglisch sprechenden Provinzen des
Ostens in ihrer Presse das Ergebnis als
gefälscht angreifen. Wer aber die rührige
Kolonisierung der französischen Kanadier
im letzten Jahrzehnt verfolgt hat, findet
das Ergebnis der Zählung wohl glaubhaft.
* Umbau des Erie-Kanals. Der
im Jahre 1825 eröffnete und seitdem öfters
umgebaute Erie-Kanal hat den Nachteil,
dafs seino Schleusen, 72 an Zahl, eine
zu geringe Längen- und Breitenabmessung
haben, weshalb ihn Boote mit einer Lade-
fähigkeit von nur 240 t befahren können.
Seiner Zeit hat die Erie-Hudson -Wasser-
strafse, deren Gesamtlänge von Buffalo-
lAlbany)- Neu -York 797 km beträgt, be-
wirkt, dafs Neu-York dererste Handelshafen
an der nordamerikanischen Küste ge-
worden ist, denn auf diesem Schiffahrts-
wege konnten die Erzeugnisse des Innern
zu den billigsten Frachtsätzen an die
atlantische Küste gelangen. Seitdem haben
sich aber die Eisenbahnen aufserordent-
lich vervollkommnet; die Nachbarhäfen
Neu -Yorks sind durch Eisenbahnen zu
dem Innern bereits in eine viel geringere
Entfernung gekommen, als Neu-York
durch seine Wasserstrafse. Durch Herab-
setzung ihrer Frachtsätze haben die Eisen-
bahnverwaltungen den Wettbewerb mit
dem Erie-Kanal erfolgreich begonnen, so
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Geographische Neuigkeiten.
595
dafs Neu-York vor der Gefahr steht, Beine
bisherige Stellung zu verlieren; und dies
um so wahrscheinlicher, als noch eine
zweite, viel gröfsere Gefahr näherrückt,
nämlich die Vollendung des ununter-
brochenen Schiffahrtsweges von den Seen
nach der Lorenzbucht, auf welchem Wege
die Waren und Roherzeugnisse etwa von
Chicago ohne Umladung auf den Welt-
markt gebracht werden können. Der
Landtag des Staates Neu-York hat des-
halb beschlossen, den Erie -Kanal umzu-
bauen. Von den eingelaufenen Entwürfen
kommen folgende in Betracht: 1. Umbau
des Erie -Kanals in der alten Linie für
Schiffe mit einer Ladefähigkeit von 1000 1.
2. Beibehaltung des alten Kanalbettes,
jedoch mit Einbeziehung des Oneida-Sces
und des Seneca-Flusses in die alte Linie.
3. Verlegung des Kanals nach dem Ontario-
See und zwar: alte Linie von Troy am
Hudson bis Oneida-See, Oswego-Kanal und
Flufs, Ontario-Sce bis O'leott, dann Empor-
stieg bis Lockport zum alten Kanal und
dann diesen bis Buffalo. 4. Dieselbe Linie
wie die vorher erwähnte, jedoch Aus-
nützung des Ontario-Sees bis Lewiston,
dann unterhalb der Niagarafälle und mit
Umgehung derselben ein künstlicher Kanal
bis La Salle vor Buffalo, dann das alte
Kanalbett Iiis Buffalo. Buffalo ist überall
als Endpunkt des zu schaffenden Wasser-
weges aufzufassen; die Ladefähigkeit der
Boote soll durchweg 1000 t betragen. Die
meiste Aussicht zur Ausführung haben die
letzten zwei Entwürfe, weil durch die Aus-
nützung des Üutario-Sees die Kosten um
wesentliches herabgesetzt werden. A. R.
Südamerika.
* Kanalprojekt in Südamerika.
Der lateinisch -amerikanische Kongrefs,
der kürzlich in Montevideo abgehalten
worden ist, hat sich unter anderen mit
dem Plane einer Verbindung der drei
grofsen Flufsläufe Südamerikas beschäftigt.
Mit Rücksicht auf die geringe Höhe der
Wasserscheide und die geringe Entfernung
von 60 km, welche die Ströme und ihre
Nebenflüsse trennt, soll es bedeutender
Kosten nicht bedürfen. Der Kongrefs hat
beschlossen, die bereits angestellten Studien
und Untersuchungen den beteiligten Re-
gierungen vorzulegen. Die Kosten des
Unternehmens werden auf 500 Mill. Francs
geschätzt. A. R.
Polarregionen.
* Die kurze Mitteilung, die Baron
v. Toll über den Verlauf seiner Polar-
expedition nach Petersburg hat ge-
langen lassen (S. 469), findet jetzt in
russischen Blättern weitere Ergänzung.
Danach ist es dem Expeditionsschiff
„Sarja" im Sommer 1900 infolge ungün-
stiger Eisverhältnisse nicht gelungen, die
Chatanga- Bucht an der Ostküste der Tai-
myr-Halhinsel zu erreichen, sodafs die
Expedition an der Westküste im Hafen
Archer überwintern mufste. Während des
Winters wurden Schlittenreisen unter-
nommen, Leutnant Mattiessen erforschte
die von Nansen entdeckten Nordcnskjöld-
Inseln und Baron v. Toll machte mit dem
Leutnant Koltschak eine Reise epaer
durch die Halbinsel Tscheljuskin; in der
zweiten Hälfte des Winters hatte die Ex-
pedition unter Kälte zu leiden, weil zeit-
weilig Mangel an Treibholz eintrat und
mit deu Kohlen gespart werden murste.
Dies war umsomehr nötig, als v. Toll
seine Kohlenvorräte nicht, wie beabsich-
tigt war, vor der Einfahrt ins Karische
Meer ergänzt hatte, sondern, ohne dort
den Kohlendampfer abzuwarten, durch die
Jugor-Strafse weitergefahren war. Infolge-
dessen waren die Kohlenvorräte soweit
zusammengeschrumpft, dafs v. Toll am •
Ende des Winters an ihre Ergänzung
denken mufste. Er schickte deshalb den
Leutnant Kolomeizow den Jenessei auf-
wärts nach KrasnojarBk, von wo aus gegen-
wärtig Kolomeizow mit Kohlen wieder
nach dem Norden unterwegs ist, um in
Dickson-Hafen eine Kohlennicderlage ein-
zurichten. Die Errichtung eines Kohlen-
depots im Westen scheint darauf hinzu-
deuten, dafs v. Toll seinen Plan, nach
Erforschung von Sannikow - Land nach
Osten durch die Beringsstrafse heimzu-
kehren, aufgegeben und eine Rückkehr in
westlicher Richtung ins Auge gefafst hat.
Nach dem ursprünglichen Plane wollte
v. Toll in diesem Sommer nach Sannikow-
Land vordringen, dort den Winter 1 901 1 ü()'2
verbringen und im Herbst 1902 heimkehren;
ob eine Durchführung dieses Planes bei
der schon eingetretenen Verzögerung in
dem Vordringen der Expedition noch mög-
lich ist, ist fraglich. Unterdessen ist die
Hilfsexpedition unter Wollossowitsch (s.
VI. Jahrg. S. 289) von Ustjansk nach der
40*
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59G Geographisch
Insel Kotelnyj aufgebrochen, wo sie Vor-
bereitungen zur Aufuabtne v. Toll'» treffen
soll.
* Von der Nordpolarexpedition
Peary's (•. VI. Jhrg. S. 701»; sind nun
endlich wieder zuverlässige Nachrichten
zu uns gelangt. Zur Verproviantierung
dieser im Winter 1899 190« an der Ost-
kiiste de» Smith- Sunde« überwinternden
Expedition sandte im Sommer 1900 der
Peary- Arktic-Club das Expeditionsschiff
„Windward", das im vorhergehenden
Herbst aus dem Smith-Sunde zurückge-
kehrt war, von neuem aus. Da aber bis
zum Schlufs der arktischen Schiffahrt
keinerlei Nachrichten zu uns gelangt
waren, ob die „Windward" Peary auch
wirklich erreicht habe, und deshalb die
Lage der Expedition gefährdet erschien,
entsandte der Peary- Arktic-Club im
Sommer 1901 den Dampfer „Eric" nach
dem Smith -Sund, um nach Peary und
der „Windward" Nachforschungen anzu-
stellen. Aus Halifax trifft nun die Nach-
richt ein, dafs die Gemahlin Peary's,
welche im vorigen Jahre mit der „Wind-
ward" ausgesegelt war, an Bord der „Eric"
dorthin zurückgekehrt sei, dafs Peary
bei ausgezeichneter Gesundheit am Kap
Sabine überwintert und dann mit seinem
Schiff die Nordküste Grönlands umfahren
und dabei eine Breit« von 83° 50' er-
reicht habe. Im nächsten Frühjahr be-
absichtige Peary den Versuch zu machen,
den Nordpol zu erreichen. Wenn auch
in dieser kurzen Nachricht noch vieles
unklar ist und wir aus ihr herzlich wenig
über den Verlauf und den jetzigen Aufent-
haltsort der Expedition erfahren, so geht
doch soviel daraus hervor, dafs die über
das Schicksal Peary's und seiner Gefährten
gehegten Befürchtungen grundlos waren
und Peary den ersten Teil seiner Aufgabe,
die Erforschung der NordküRte Grönlands,
glücklich gelöst hat.
* Von der deutscheu Südpolar-
expedition sind die ersten Nachrichten
aus St. Vicent (Kap Verdische Inseln) in
der Heimat eingetroffen. Von dort mel-
dete der Leiter der Expedition der Be-
hörde in Berlin am 11. September: „Ex-
pedition planmäl'sig Vicente angekommen,
alle wohl, Abreise Montag." Hoffentlich
gestaltet sich auch die weitere Fahrt durch
den südatlantischen Ozean günstig. Zur
Organisation der Expedition möchten wir
c Neuigkeiten.
noch nachtragen, dafs voraussichtlich am
11. Oktober d. J. ein Dampfer des Nord-
deutschen Lloyd von Sydney abgehen
wird, um der Expedition nach den Ker-
guelen, wo die „Gaufs" Ende November
eintreffen wird, Kohlen, Proviant und di«
Polarhunde zuzuführen. Dieser Dampfer
stellt die letzte Verbindung mit der Ex-
pedition her und wird auch die letzten
Briefsendungeu aus der Heimat, die dort
bis spätestens am 6. September aufgegeben
worden sind, an die Teilnehmer der Ex-
pedition mitnehmen. Nach der Abreise
von deu Kerguelen können wir die nächsten
Nachrichten von der Expedition frühestens
im Mörz oder April 1902, wahrscheinlich
aber erst im Dezember 1902 erhalten, wo
es der Expedition nach Aufbruch aus dem
Winterquartier und vor der Weiterreise
nach Westen vielleicht möglich sein wird,
Nachrichten nach den Kerguelen gelangen
zu lassen, von wo wir sie dann allerdings
durch ein Schiff abholen lassen müfsten.
Meere.
* Eine deutsche Expedition für
Meeresforschung und Versuchs-
fischerei in der Ostsee, ausgerüstet
vom Deutschen Seefischerei -Vereiu, hat
am 27. August an Bord des Kieler
Dampfers „Holsatia" unter Leitung des
Obertischnieisters Hcidrich in Memel die
Ausreise angetreten. Das Schiff, ein
eiserner Schraubendampfer von 181 Tonnen
Kaumgehalt, ist mit Instrumenten für
hydrographische und biologische Unter-
suchungen ausgestattet, als wissenschaft-
liche Mitglieder beteiligen sich an der
zweimonatigen Forschungsreise Dr. Scbie-
menz-Berlin, Dr. Ueibisch und Dr. Apstein-
Kiel. Aufser der „Holsatia" besteht die
Expedition aus einem Kutter von der
Nordsee und etwa fünf Kuttern von der
Ostsee, die in den noch wenig bekannten
Gebieten der hohen Ostsee eine Versuchs-
fischerei ausführen und die Ostseefischer
mit jenen Gebieten in der Art bekannt
machen sollen, dafs sie selbst fischen,
dabei aber einen Rückhalt an dem sie
begleitenden Dampfer haben, der seiner-
seits gleichfalls Fischereiversuche anstellt.
In Verbindung mit diesen werden von
Bord des Dampfers aus eine Reihe damit
in Zusammenhang stehender Versuche
wissenschaftlicher Art stattfinden. Nach
Befahrung der Ostsee geht die „Holsatia"
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Geographische Neuigkeiten.
597
durch den Sund nach Island und Spitz-
bergen. Die Expedition kann als Vorarbeit
für die im nächsten Jahre beginnende
internationale Meeresforschung betrachtet
werden, die auf Grund internationaler
Konferenzen — 1899 in Stockholm und
Mai 1901 in Kristiania — beschlossen
wurde und die gleichzeitige Untersuchung
der nordeuropäischen Meeresteile durch
Deutschland, Dänemark, Schweden, Nor-
wegen, Rufsland, Finland, England,
Holland und Belgien zum Ziele hat. An
diesen internationalen Meeresforschungen
beteiligt eich Deutschland , dem als
Arbeitsfeld die Nord- und Ostsee zufällt,
mit zwei Dampfern, wovon der eine eigens
für diese Zwecke gebaut wird. Letzteres
Schiff soll demnächst in Auftrag gegeben
werden und wahrscheinlich 49 m Länge,
9,1 m Breite und eine Geschwindigkeit
von etwa zehn Seemeilen die Stunde er-
halten Seine Kosten werden ungefähr
300 000 JL betragen. Der zweite Dampfer,
der noch bei den sogenannten Termin-
fahrten, die viermal jährlich, zunächst
für den Zeitraum von fünf Jahren, statt-
finden, zur Verwendung kommt, wird
gechartert.
Geograpbi§cher Unterricht.
Geographische Vorlesungen
nn den deutschsprachigen Universitäten und tech-
nischen Hochschulen imWintersemester 1900/1901.
Österreich- Ungarn.
Wien: o. Prof. Penck: Allgemeine
Erdkunde, II, 6st. — Seminar, 2st. —
Übungen. — Pd. Prof. Sieger: Abrifs der
Geographie von Süd- und Mittclamerika.
Czernowitz: o. Prof. Löwl: Geologie
für Geographen, T, 6st. — Übungen im
Anschlufs an das Kolleg, 2at,
Graz: o. Prof. Richter: Klimatologie,
3st. — Geographie von Amerika, 2st. —
Übungen, "ist.
Innsbruck: o. Prof. Wieser: Ethno-
gra hie von Europa, 8st. — Geographie
der altorientalischen Kulturländer. 2st. —
Übungen, Ist,
Prag: o. Prof. Lenz: Geographie von
Asien, .Ist. — Die skandinavischen Länder
und das europäische Kufsland, 2st. —
t'bungen, 2st.
Schweix.
Basel:
Bern: o. Prof. Brückner: Physika-
I Iische (ieographie, II, Sit. — Geographie
der Schweiz, 2st. — Anthropogeographie,
2st. — Ausgewählte Kapitel aus dem Ge-
biete der Völkerkunde, Ist. — Repetito-
rium, 2st. — Kolloquium, 2at. — Anlei-
tungen zu selbständigen Arbeiten, 3— 6st.
Zürich: o. Prof. St oll: Physikalische
Geographie, II, 2st. — Länder- und Völker-
kunde Amerikas, 3st. — Geographie von
Nord- und Westaeien, 2st. — Geschichte
der Erdkunde vom Ende des 17. Jahr-
hunderts bis zur Neuzeit, Ist.
Technische Hochschulen.
Dresden : o. Prof. Rüge: Das russische
Reich in Europa und Asien. — Entdeck-
ung und Kolonisation von Nordamerika.
München: o. Prof. Günther: Erd-
bildungslehre und allgemeine Morphologie
der Erdoberfläche I. — Mugnetisch-elek-
trische Erdkräfte. — Handels- und Wirt-
schaftsgeographie, II. — Seminar. — o.
Hon-Prof. Götz: Länderkunde von Europa
und Asien.
Stuttgart: Rektor Schumann: Län-
derkunde von Mitteleuropa.
Wien: Pd. v. Böhm: Physische Geo-
graphie von Österreich-Ungarn.
* Stellung der Erdkunde inner-
halb der Neuordnung des semi-
uarischen U n t e r r i c h ts w e se n s in
Preufsen. Unter dem Datum 1. Juli 1901
veröffentlicht das preufsische Kultusmini-
sterium, Zentralblatt f. d. ges. Unterrichts-
Verwaltung i. P. 118 S. 600—641 die aus
langer beratender Vorarbeit erwachsenen
neuen „Lehrpläne für Präparandcn-
anstaltenund Lehrersem inare,sowie
methodische Anweisungen zu bei-
den Lehrplänen"; ihnen folgen 119—121
S. 641 — 665 die entsprechend veränderten
Prüfungsordnungen. Hiermit ist, ähn-
lich wie durch die neuen Lehrpläne für
die höheren Schulen aus dem Mai d. J.
an diesen, eine Reorganisation des semi-
naristischen Unterrichtswesens ins Werk
gesetzt, eine tiefer einschneidende
übrigens als jene andere.
In dem jetzt als „organisches Ganzes"
(601) auftretenden Lehrplan von 6 Jahres-
kursen (3 Präparandenanstalt, 3 Seminar i
schliefst der Unterricht in Erdkunde mit der
2. Sem.-Kl. (5. Jahreskursus) ab (602). Zu-
gewiesen sind ihm 2, 2, 2, 3, 2 Stunden,
wozu, nach erfolgtem Abschlufs, in der
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598
Geographische Neuigkeiten.
1. Sem.-Klasse eine Wochenstunde „Me-
thodik-' tritt (vergl. Stundentafel 621).
Wie in den andern Gegenständen auch
«oll die Präparandenanstalt „auf der
Grundlage des in der Volksschule ver-
mittelten Wissen« die allgem. Bildung
d. Zugl. weiterführen", das Semiuar sie
„/.um Abschlüsse bringen und für die
erforderliche Fachausbildung" sorgen
(601).
Zu diesem Zweck wird in der Prä-
parandenanstalt 3. Kl. mathem. Geogr.,
allgem. Übersicht über die Erdoberfläche —
Heimatprovinz und Deutschland („phys.
und pol ") gelehrt; in der 2. Kl. Europa
und Amerika; in der 1. Kl. aufser Gesamt-
wiederholungen, Asien, Australien, Afrika,
deutsche Kolonien. In allen Klassen
werden Kartenskizzen entworfen <60$i. In
der Aufnahmeprüfung fürs Seminar kann
an Stelle der Beantwortung einzelner
Fragen eine, kleine Ausarbeitung über
ein begrenztes Gebiet treten (641).
Im ersten Seminarjahr (3 St.) wird
wieder physische Erdkunde unter den
Titeln: Erdkürper als Ganzes, Gesteins-
hülle, Wasserhülle, Lufthülle, Pflanzen,
Tiere, Menschen behandelt. Parin folgt
eine Länderkunde der Erdteile (Karten-
skizzen!. Im zweiten Jahr (2 St.) werden
die Länderkunde von Deutschland, Handels-
geographie und Weltverkehr, mathema-
tische Erdkunde und Kartographie be-
handelt (Kartenskizzen) (617).
Aus den „methodischen Anweisungen
etc." 622 £F., 8. Erdkunde 637 f. ist hervor-
zuheben: ßtarke Betonung der LJind er-
kunde überhaupt und die Kenntnis des
Vaterlandsim besondern, das Verlangen,
auf der Priiparandenanstalt den „unent-
behrlichen Gedächtnisstoff zu sichern", auf
dem Seminar „unter Betrachtung die
inneren Beziehungen und die ursächlichen
Zusammenhänge . . . zum Verständnisse
zu bringen". Ausführlich wird auf Deutsch-
lands Anteil am Welthandel und verkehr
hingewiesen, der zu „volkswirtschaftlichen
Belehningen" Anlafs giebt. Kartenskizzen
werden für alle Unterrichtsstufen für
wichtig erklärt, doch vor „Überspannung
der Anforderungen" wird gewarnt. In der
Methodik der 1. Sem. -Kl. soll mit guten
Lehrmitteln möglichst umfangreich be-
kannt gemacht werden. Die Lektüre ge-
eigneter Schriften ist zu unterstützen.
Bei der ersten Lehrerprüfung (Ab-
gang vom Seminar/ wird der Zögling auf
die Methodik in sämtlichen 1 > hrgegen-
ständen geprüft und hat sich, wenn er
ohne genügende Leistungen in Erdkunde
in die 1. Sem.-Kl. versetzt worden, auch
auf seine positiven Kenntnisse prüfen zu
lassen (613), im übrigen bekommen die
Prüflinge die Urteile ihrer Zeugnisse vom
Jahr vorher in ihr Prüfungszeugnis (644 i.
Von der zweiten, 2 — 5 Jahre später
abzulegenden Prüfung ist nur hervor-
zuheben, dafs unter den Gegenständen, in
deren Methodik sich der Prüfling vor
allem auszuweisen hat, Erdkunde sich
nicht befindet (647).
Die Mittelschullehrerprüfung er-
folgt aufser in Pädagogik in zwei Fächern ;
unter diesen werden als günstige Kombi-
nationen empfohlen Geschichte und Erdk. —
Mathem. und Erdk. — Phys. Chemie (Min.)
und Erdk. — Bot., Zool. und Erdk. (651 j.
Aus einem der beiden Fächer wird eine
schriftliche häusliche Arbeit verlangt iH — 12
Wochen) (652). Die Anforderungen für die
mündliche Prüfung in Erdkunde (666) sind
sehr ähnlich einer Zusammenziehung der
entsprechenden in der Prüfungsordnung
für das Lehramt an höheren Schulen
(vergl. d. Z. IV. S. 658). An Abweichungen
ist besonders eine stärkere Betonung der
Länderkunde Deutschlands, eine geringere
der mathematischen Grundlagen der mathe-
matischen Erdkunde hervorzuheben.
In der Prüfung für Rektoren tritt
schliefslich Methodik der Erdkunde wie
jedes anderen Lehrfachs nur nebenbei in
der mündlichen Prüfung auf (661).
Heinrich Fischer.
Zeitschriften.
* Eine neue geographische Zeitschrift
wird vom 1. Oktober l«J01 ab bei Ed. Hölzel
in Wien unter dem Titel „Viertel-
jahrshefte für den geographischen
Unterricht" erscheinen. Herausgeber
ist Dr. Franz Heiderich. Die Haupt-
aufgabe der Zeitschrift soll sein: Die
Vertiefung und methodische Ausgestaltung
des geographischen Unterrichts an den
mittleren und niederen Schulen und die
Herstellung einer innigen Verbindung
zwischen wissenschaftlicher und Schul-
geographic. Der Preis der Zeitschrift,
die in vierteljährlichen Heften ä fünf
I Druckbogen erscheinen wird, soll 12 Kr.
I = 10 .<£ betragen.
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Geographische Neuigkeiten.
599
Persönliches.
* Am 29. Juni starb zu Paris im Alter
von 41 Jahren der französische Af'rika-
reisende Eduard Foa, der von 1880 bis
1890 Französisch- Guinea bereiste und in
den Jahren 1894 bis 1897 vom Zambesi
aus den afrikanischen Kontinent von Ost
nach West durchquerte und dabei das
Nya88a-Tanganjika-Plateau und den Ober-
lauf des Kongo eingehend durchforschte.
Über seine Reisen veröffentlichte er: Le
Dahomey (1895), Du Cap au Lac Nyassa
(1897) und La Travereee de l'Afriquc
(1900).
* Am 9. August starb in Saigon im
Alter von 34 Jahren Prinz Heinrich
von Orleans, ein Sohn des Herzogs von
Chartres, der sich durch zahlreiche For-
schungsreisen um die Geographie verdient
gemacht hat. Bereits 1899 unternahm er
unter Leitung des französischen Reisenden
Bonvalot eine Durchquerung Asiens von
Russisch -Turkestan durch Tibet nach
Tongking, auf der Tibot zum ersten Mal
von Norden nach Süden durchquert wurde.
Spätere Reisen führten den Prinzen 1891
nach Harrar, 1892 nach Annam und
Madagaskar, 1895 nach Tongking, wobei
er die Quellen des Irawaddi entdeckte
und bis zum Golf von Bengalen vordrang,
1897 nach Abessinien und 1901 nach
Kambodscha, wo er an einem Leberleiden
erkrankte, dem er auch erlegen ist. Über
alle diese Reisen veröffentlichte der Prinz
ausführliche Reisebeschreibungen und
zahlreiche Beiträge in politischen Zei-
tungen.
* Am 9. September starb plötzlich in
Wien Prof. Wi 1 h e 1 m T o m a s c h e k. 1841
geboren, wendete er sich dem Studium
der klassischen Philologie zu, behandelte
aVier in seinen wissenschaftlichen Arbeiten
mit Vorliebe Probleme der historischen
Topographie und Ethnographie. Nach
längerer Thätigkeit als Gymnasiallehrer
wurde er 1877 auf Kiepert's Rat als Pro-
fessor der Geographie an die Universität
Graz berufen, von wo er 1880 bei der
Teilung der Wiener Lehrkauzel alB ordent-
licher Professor der historischen Geo-
graphie nach Wien kam. Tomaschek's
Vorlesungen umfafsten auch Gegenstände
der Länderkunde und seine „Übungen für
Lehramtskandidaten"' zielten insbesondere
dahin, die Fertigkeit des Kartenzeichnens
zu fördern, in dem er selbst Meisterschaft
besafB. Das Arbeitsgebiet, auf dem ihm
seine aufserordentlichen historischen und
linguistischen Detailkenntnissc die be-
deutendsten Leistungen ermöglichten, war
die historische Geographie des Orients.
Von seinen Arbeiten, die zumeist in den
Schriften der Wiener Akademie erschienen,
sind hervorzuheben: Üher Brumalia und
Rosalia (1869). — Die vorslavische Topo-
graphie der Bosna und Hercegovina (1880).
— Zur Kunde der Hämushalbinsel : L topo-
graphische, archäologische und ethno-
logische Miscellen (1882); II. Die Handels-
wege im 12. Jahrh. nach Edrisi (1887). —
Lea restes de la langue Dace (1883). —
Die heutigen Bewohner Makedoniens (Geo-
graphentag 1891). — Die alten Thraker
(1893). — Die Gothen in Taurien (1881). —
Die ältesten Nachrichten über den sky-
thischen Norden (1889). — Untersuchungen
zur historischen Topographie Klcinasiens
im Mittelalter: I. Die Küstengebiete und
die Wege der Kreuzfahrer (1891); II. Sasun
und das Quellgebiet des Tigris (18951;
III. Historisch-Topographisches vom oberen
Euphratund aus Ost-Kappadokien (Kiepert-
Festschrift). — Znr historischen Topo-
graphie Persiens: I. Die Strafsenzügo der
Tabula Peutiugeriana (1883); II. Die Wege
durch die persische Wüste (1885). —
Zentralasiatische Studien : I. Sogdiana
(1877); II. Die Pamir-Dialekte (1880). —
Nearch's Küstenfahrt (1890). — Südost-
asiatische Miscellen. — Die geographischen
Kapitel des Seespiegels Mohit (Featschr.
d. k. k. geogr. Ges. Wien 1897) u. a.
Diese Artikel ebensowohl wie Toraa-
schek's Beiträge zu Pauly - Wissowa's
Realencyklopädie und seine zahlreichen
kleineren Notizen zeichnen sich aus durch
einen überaus grofsen Reichtum des In-
halts bei knappster Form. In den be-
deutendsten Streitfragen der alten Völker-
kunde hat er Stellung genommen. Bekannt
ist sein Eintreten für den bereits ver-
lassenen Röslcr'schen Standpunkt in der
Rumänenfrage und seine Krweiterung der
Rösler'schen Beweisführung durch die
Aufstellung der Reihe: eranische Thraker,
Bessoi, Romanen. In der makedonischen
Frage war er einer der ersten, die sich
entschieden für die Selbständigkeit der
makedonischen Slaven gegenüber Serben
und Bulgaren aussprachen. Originell ist
auch seine Stellungnahme zur Skythen-
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600
Geographische Neuigkeiten.
und Magyarenfrage. Von seinen Unter-
suchungen zur alten und mittelalterlichen
Topographie siud dem Geographen die-
jenigen besonders wertvoll, durch welche
er mit eingehender Kritik den Verlaut alter
Verkehrs- und Handelswege festgelegt hat.
Tomaschek war ein stiller, ebenso be-
scheidener als zurückgezogener Gelehrter,
dem nur wenige näher treten konnten.
Kr war aber auch ein Mann von einer
wahrhaft seltenen Herzensgute und Selbst-
losigkeit. R. S.
* Der in Basel erfolgte allzu frühe Tod
des Botanikers F. A.Wilhelm Schimper
bedeutet auch für die Geographie einen
grofsen Verlust. Dem 1856 in Strafsburg
geborenen Sohn des dortigen Professors
der Geologie und Paläontologie Wilhelm
Philipp Schimper (1808 — HO) und Ver-
wandten des genialen Botanikers Karl
und des durch seinen Aufenthalt in
Abessinien bekannten Botanikers und
Forschungsreisenden Wilhelm Schimper
wies schon die Familienüberlieferung den
Weg zu seinem späteren Wirken. Ein
Erbstück der Vorfahren war auch die in
F. A. W. Schimper immer rege Reiselust,
die ihn vor und nach seiner Habilitation
an der Universität Bonn weit in der Welt
herumführte (Nordamerika, Westindien,
Venezuela, Brasilien, Südasien mit seiner
Inselwelt etc.). Im Jahre 1898 kam die
Wahl des damaligen Bonner Extraordi-
narius zum Ordinarius der Bot anik und Vor-
steher des botanischen Instituts der
Universität Basel, welchem Ruf er um so
freudiger Folge leistete, als seine Mutter
eine Schweizerin gewesen war. Noch vor
Antritt des neuen Amtes war es Schimper
vergönnt, als Botaniker der unter Chun's
Leitung stehenden deutschen Tiefsee-
Expedition auf der „Valdivia" 1898 99
seinen sonst schon reichen auf Selbstsehen
beruhenden Kenntnissen neue Erfahrungen
anzufügen, so dafs er seine Wirksamkeit in
Basel als einer der weitestgereisten Bota-
niker unserer Zeit beginnen konnte. Kurz
an Zeit nur aber sollte diese sein. Beim
Dredschen im Mündungsgebiet des
Kameruntlusses anlüfslich der genannten
Expedition hatte ihn eine bösartige Ma-
laria befallen, deren durch keine Willens-
stärke zu überwindenden Nathweheu
Schimper im Alter von erst 45 Jahren am
9. September 1901 erlegen ist. Schimper
entfaltete auf allen Gebieten der Botanik
eine rege Thätigkeit; hier müssen wir
uns auf eine kurze Besprechung seiner
Bedeutung als Pflanzengeograph beschrän-
ken. Mau darf ihn den ersten Vertreter
der seit etwa Mitte der 80 er Jahre des
vorigen Jahrhunderts mächtig in den
Vordergrund getretenen biologisch-physio-
logischen Richtung in der Pflanzengeo-
graphie nennen. Nachdem er, wie so
viele der neueren Pflanzenbiologen, auf
der botanischen Tropenstation zu Buiten-
zorg sich gründlich in die neue Wissen-
schaft eingearbeitet hatte, veröffentlichte
er neben einer Reihe anderer pflanzen-
geographischen Untersuchungen („Die epi-
phy tische Vegetation Amerikas." Jena 1888.
— „Die indo-malayischc Strandflora." Jena
1891) im Jahre 1898 seine grofse und
bahnbrechende „Pflanzengeographie auf
physiologischer Grundlage", die in dieser
Zeitschrift (V, 1899; S. 14'.» ff.) von Prof.
Karsten eingehend gewürdigt worden ist.
Der Tod hat ihn mitten aus der Bear-
beitung einer neuen Auflage dieses Werkes
herausgerissen. Die Geographische Zeit-
schrift verliert in Schimper einen sehr
geschätzten Mitarbeiter. Zweimal hat er
an dieser Stelle das Wort ergriffen, um
über „die gegenwärtigen Aufgaben der
Pflanzengeographie" (II, 189G; S. 90 ff.)
und „die Fortschritte der Pflanzengeo-
graphic in den Jahren 189G— 98" i VI, 1900;
S. 312 ff.) zu berichten. Auch diese Über-
sichten sind nun verwaist. Zum Schlüsse
möge noch das Urteil eines einstigen
Schülers über Schimper als Lehrer hier
Platz linden: „Schimper ... bot körperlich
ein Bild des Jammers; wenn er die Stiege
hinauf- und hinabschritt, mufste er sich
oft mit beideu Händen an den Wänden
halten, so sehr fühlte er sich gepeinigt
von den Fiebern. Wenn er dann aber
zu sprechen begann, da war an ihm alles
Feuer, Begeisterung, Beredsamkeit. Das
Fach der Botanik beherrschte er wie
Keiner, und da war alles Leben, Ent-
wicklung, Vergleich. Es wird wenige
Lehrer geben, die so wie Schimper die
I Zuhörer hinrissen, bezauberten und für
I die Botanik bestimmten . . H. Br.
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Bücherbesprechungen.
601
Büclierbesprechungen.
Gunther, Prof. Dr. S., Geschichte der
anorganischen Naturwissen-
schaften im neunzehnten Jahr-
hundert. (Zugleich Band V. von
„Das neunzehnte Jahrhundert in
Deutschlands Entwicklung".) 8°.
XIX., 984 S. Berlin, Bondi, 1901.
10.—
Die grofsen Fortschritte, welche im
letzten Jahrhundert auf allen Gebieten
de« menschlichen Wissens und Könnens
gemacht worden sind, beruhen haupt-
sachlich auf dem Ausbau und der An-
wendung der Naturwissenschaften. Eb
ist daher eine dankbare Aufgabe, eine
Geschichte ihres Werdens, Emporblühens
und Wachsens wahrend dieses Zeitraumes
zu bringen. Freilich kann nicht geleugnet
werden, dafs bei dem Umfange, welchen
die einzelnen Disziplinen jetzt angenommen
haben, ein vollständiges und gleichmäßiges
Beherrschen aller durch einen einzigen
Gelehrten nicht mehr, wie früher, mög-
lich ist, weshalb meist bei der Ab-
fassung solcher Werke sich mehrere Fach-
männer zusammenfinden. Im allgemeinen
leidet aber durch ein solches Zusammen-
arbeiten die Gleichmäfsigkeit des Ganzen,
was gerade bei einem Rückblick am
meisten empfunden wird; andererseits ist
bei einem Verfasser wieder die Gefahr
vorhanden, dafs sich leicht l/ngenauigkeiten
und Irrtümer bei denjenigen Materien
einschleichen, welche von dem Speziul-
fache des Betreffenden etwas entfernter
liegen. Diese Vorzüge und Nachteile finden
sich auch bei dem vorliegenden Buche;
doch überwiegen die ersteren so sehr die
letzteren , dafs man dem bekannten Ver-
fasser seine Anerkennung nicht vor-
enthalten wird, ein so umfangreiches
Material in so kurzer Zeit und in so
übersichtlicher Weise geboten zu haben.
Unter anorganischen Naturwissen-
schaften versteht der Verfasser Astronomie,
Physik, Chemie, Mineralogie, Geologie und
endlich die Geophysik. Das Buch zerfällt
in 24 Kapitel, von welchen das 6. „Erd-
messung und Erdphysik in der ersten
Hälfte des Jahrhunderts" (S. 103 bis 131);
das 21. „Der Eintritt der wissenschaftlichen
Erdkunde in die Naturwissenschaften"
und das 23. „Erdmessung und Erdphysik
! in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts"
die geographisch wichtigen Teile ent-
halten. Einige andere Kapitel wie be-
sonders das 4. „Alexander v. Humboldt"
und diejenigen über Mineralogie, Petro-
graphie und Geologie (7., 10., 20., 22.
Kapitel) berühren ebenfalls gewisse
Zweige der Geographie.
Ende des 18. Jahrhunderts war die
Astronomie allen naturwissenschaftlichen
Disziplinen voraus, wovon auch die
mathematische Geographie grofsen Nutzen
zog. Die Ortsbestimmungen zu Land und
zu Meer wurden vervollkommnet, die
Kartographie wurde auf eine feste Grund-
lage gebracht und endlich kamen die
Gradmessungen, zunächst zur Bestimmung
eines neuen Normalmafses, in Aufschwung.
Die Meteorologie war in jener Zeit nur
wenig entwickelt, doch waren schon einige
Ansätze der Klimatologie vorhanden.
Die Grundlinien der physikalischen Erd-
kunde lagen auch bereits vor, die ersten
systematischen Schwerebestimmuugen fan-
den statt, der Erdmagnetismus nebst
den Polarlichtern wurde eifrig studiert
und auch die Ozeanographie war bereits
im Entstehen. Um diese Zeit beginnt
das Wirken A. v. Humboldt'», dessen
grofsen Leistungen mit Recht ein eigenes
Kapitel gewidmet ist. Das G. Kapitel
bringt besonders die Gradmessungsarbeiten
von Gauls, Bessel und Baeyer, welche der
modernen Geodäsie ihr heutiges Gepräge
verliehen haben.
Im 21. Kapitel wird ausgehend von
den Arbeiten Kant's, Herder's und Ratzel's
das Auftreten von Karl Ritter und
O. Peschel geschildert. Daran schliefsen
sich die Abschnitte über die arktischen
Entdeckungen bis in die Neuzeit und die
Forschungen über die Vulkane, Steppen,
Wüsten und Gletscher. Diese sind zum
Teil auch noch im folgenden Kapitel,
welches die Geologie der neuesten Zeit
behandelt, berücksichtigt, wozu noch die
Geschichte der Gcbirgsbildung, Geo-
morphologie u. s. w. kommt.
Das 23. Kapitel giebt zunächst eine
Schilderung der Erdmessungsarbeiten in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts,
wobei besonders die Arbeiten von W. Stru ve,
J. F. Baeyer und R. Helmert zu nennen
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602
Blicherbesprechungen.
sind. Diesen folgen die Fortschritte über
Erdmagnetismus und Polarlichter, Mete-
orologie, Klimaänderung, Ozeanographie,
Seenkunde, Gletscherkunde u. dgl. Das
Schlufskapitel bildet noch einen lesens-
werten Rückblick und Ausblick des be-
handelten Gegenstandes.
Es it- 1 nicht möglich, hier im einzelnen
auf die Darstellung des Verfassers ein-
zugehen, da die Fülle des Stoffes den
Verfasser häufig selbst zwingt, nur durch
kurze Angaben der wichtigsten litte-
rarischen Erscheinungen den Fortschritt
aller dieser Wissenszweige zu charakte-
risieren.
Es ist nicht zu zweifeln, dafs das
Huch den beabsichtigten Zweck erfüllt
und dafs eine weite Vorbereitung desselben,
welche bei dem mäfsigen Preise und der
reichen Ausstattung (es sind 16 wohl-
gelungene Abbildungen hervorragender
Naturforscher beigegeben) nicht ausbleiben
wird, auch dem Studium der Natur-
wissenschaften und besonders der Geo-
physik zu Gute kommen wird.
J. B. Messerschmitt.
Huhnes, Luigi, Oceanografia. Torino,
Fratelli Hocea 1901. kl. 8°. 274 ff.
Der Verfasser, Professor der Geographie
an der Universität in Turin, behandelt
in diesem Werke in allgemein verständ-
licher und ansprechender Form diejenigen
Probleme der Meereskunde, die man
unter dem Namen der „statischen
O zeanographie" zusammenfassen kann,
d. h. also die Verteilung von Wasser
und Land, die Einteilungen der Meere,
das Meeresniveau, die Tiefe der Meere
(einschliefslich der Berechnungen mittlerer
Tiefenwerte), die Bodenbeschaffenheit, die
Chemie des Meerwassers, die Wärme-
verhältnisse und endlich die Eisverhält-
nisse des Meeres. Der Umfang des Inhalts
entspricht somit recht genau dem, was
Thoulet in seiner „Oeeanograph ie
statique" oder was v. Bogu sl awski im
erst en Bande des „Handbuches der Ozeano-
graphie" bespricht. Für ein späteres
Werk wird von Hugues auch die Dar-
stellung der dynamischen Ozeanographie,
d. h. der Bewegungsformen des Meeres
in Aussicht gestellt.
Eb darf rühmend die grofse Belesen-
heit des Autors hervorgehoben werden;
wennschon eine vollkommene Erschöpfung
der Faehlitteratur wohl nicht beabsichtigt
und auch bei dem Umfange des Buches
nicht möglich war, so merkt man do<h
auf jeder Seite, dafs alle wesentlichen
Forschungsergebnisse Hugues zur Hand
sind, und speziell die deutschen Geo-
graphen — ich nenne u. a. nur die
von ihm vielzitierteu Krümmel , Supan,
Wagner — dürfen auf die ungemein
grofse Anerkennung stolz sein, die alle
ihre Schriften und überhaupt die deutsche
Behandlung der Probleme der Meeres-
kunde bei dem Autor gefunden hat.
Die einzelneu Themata Bind fast durch-
weg bis auf den neuesten Stand der
Forschung hin bearbeitet, z. B. ist schon
die von dem V. St. S. „Nero", Kapt. Hodges,
in der Nähe der Guam Insel mit 9636 m
gelotete gröfste Meerestiefe aufgeführt.
Auf Seite 6H ist die Zahl 6705 'Seite 74
steht richtig 6205 m) und das Jahr 1898
(statt 1*88 > nicht richtig, wenn die bis
jetzt bekannte gröfste Tiefe des Indischen
Ozeans genannt werden soll.
Was die Namengebung für unter-
meerische Bodenformen anlangt, so zeigt
Hugues' Text, der mehrfach noch wieder
ganz neue Bezeichnungen bringt, wie z. B.
FoBsa di Patterson, della Gazzella, bacino
Moser und viele andere, dafs eine inter-
nationale Regelung der Angelegenheit
nicht länger aufschiebbar ist.
Hecht ausführlich sind die nordpolaren
Tiefseetemperaturen untor Benutzung der
Arbeiten von Weyprecht, Nansen u. s. w.
dargestellt; über die südpolaren hätte
sich, schon um des Vergleiches willen,
gewifs etwas mehr sagen lassen, da neuere
Beobachtungen, wie diejenigen der „Bel-
gica", der „Valdivia", vorliegen. Persön-
lich würde der Referent es gern gesehen
haben, wenn auf S. 193 mit einigen
wenigen Wort en an der Hand des deutschen
Textes auch die Aufklärung über seine
zwei an sich entgegengesetzten Äufse-
rungen zu der Brauchbarkeit der Negretti-
Zambra'schen Tiefseethennometer hinzu-
gefügt worden wäre. —
Das gebildete italienische Publikum
darf sicher sein, bei der Lektüre dieses
Buches der Bocca'schen Verlagsbuch-
handlung einen zuverlässigen, mit Unisicht
geschriebenen Führer auf dem Gebiete
der Meereskunde zu haben, wennschon
wissenschaftlich Neues kaum gegeben ist.
Gerhard Schott.
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Bilch erb c&prechungen.
603
Polls, P., Die Niederschlag hvlt-
h 31 1 1 n i *»»e der mittleren Rhein-
provinz und der Nachbarge-
biete. Forsch, z. Deutschen Landes-
u. Volksk. XII. Heft 1. Stuttgart,
Engelhorn. 1899. 8°. 96 S. 9 Karten.
Ende der 80 er Jahre wurde be-
kanntlich auf Veranlassung und unter
Leitung von G. Heitmann seitens des kgl.
preufsischen meteorologischen Instituts
damit begonnen, in Norddeut. schland ein
dichtes Netz von Regenstationen einzu-
richten. In der Rheinprovinz fand im
Jahre 1892 die Ausgestaltung dieses
Netzes im wesentlichen ihren Abschlufs.
Während bis dahin im mittleren Rhein-
gebiet nur einige 60 Stationen und auch
diese zum gröfsten Teil erst kurze Zeit
bestanden, stieg ihre Zahl nun auf fast '250.
Verf. hat durch eine bekannte Reduktions-
methode die kurzen Reihen der neuen
Stationen mit Hilfe der älteren auf die
Periode 18*6 — 95 reduziert und die so
gewonnenen Niedcrsehlagswerte zu karto-
graphischen Darstellungen verwendet und
nach vielen Richtungen hin diskutiert
Wenn auch eine spätere Bearbeitung, die
nach einem langjährigen Bestand des
verdichteten Stationsnetzes notwendig
sein wird, im einzelnen an der Linien-
führung der Isohyeten und an den daraus
gezogenen Schlußfolgerungen Verbesse-
rungen anbringen wird, so ist doch das
Verdienst dieser frühen Arbeit keineswegs
zu unterschätzen, da sie zum ersten Mal
eine genauere Anschauung von der Nieder-
schlagsverteilung des besagten (iebietes
ermöglicht. Das vielgestaltige Relief des
von tiefgehenden Thälern zerschnittenen
rheinischen Schiefergebirges bedingt eine
gleich wechselvolle Gestaltung der Nieder-
schlagsverteilung, die auf den beige-
gebenen Jahres- und Jahreszeitenkarten
in grofsen Zügen zum Ausdruck kommt.
Der die Regenverteilung differenziierende
Einnufs der Erhebungen, der Gegensatz
zwischen Luv- und Leeseite ruft hier um
so erheblichere Unterschiede in der Menge
der Niederschläge hervor, als in diesem
am weitesten nach Westen vorgeschobenen
Gebiet Deutschlands die vorherrschenden
westlichen Winde auf dem kurzen Wege
vom Meer ihren Feuchtigkeitsgehalt noch
nicht an gröfseren Bodenanschwellungen
verloren haben. In den höheren Lagen
des Venn und der Ardennen übersteigt
die jährliche Niederschlagshöhe 1000 mm,
gleich hohe Werte erreicht sie jenseits
des Rheins an der Luvseite des Sauer-
landes, während dazwischen im Rheinthal
Höhen von weniger als 500 mm verbreitet
sind. Der Gegensatz zwischen den höheren
Landesteilen und den Thalgründen ist be-
sonders im Winter ausgeprägt, wenn die
Winde stärker und konstanter aus derselben
Richtung wehen und die Kondensations-
bedingungen auf den Höhen günstigere
sind als im Sommer, wenn bei variableren
Luftströmungen Luv- und Leeseiten häutiger
wechseln und die Neigung zu aufsteigenden
Luftbewegungen eine allgemeine ist. In
der jährlichen Periode kommt dieser
Unterschied zwischen Berg und Thal
stark genug zum Ausdruck, um eine Vor-
herrschaft von Winterregen in den mitt-
leren und höheren Teilen des Rheinlandes
hervorzurufen, während die kontinentalen
Sommerregen sich auf die Niederungen
beschränken. Diese Verhältnisse und ihre
meteorologische und geographische Be-
gründung werden vom Verfasser ein-
gehender dargestellt. Der Mangel an einer
genügenden Zahl von längeren Beobach-
tungsreihen gestattete indesseu nicht,
eine ebenso eingehende Untersuchung
der anderen Niederschlagsolcmente, wie
der grofsen Niederschläge in kurzer Zeit,
der Schneeverhältnisse vorzunehmen. Hier
konnten nur nach den vorhandenen älteren
Reihen, insbesondere der von Aachen,
Andeutungen gemacht werden, die zu
verallgemeinern, nach der Natur dieser
Niederschlagscharaktere, nicht am Platz
gewesen wäre. W. Meinardus.
Holtheuer, Prof. Richard, Das Thal-
gebiet der Freiberger Mulde.
Geologische Wanderskizzen und Land-
schaftsbilder. Leisnig, H. Ulrich. 1901.
Das Werkchen ist im wesentlichen
eine Verarbeitung der Resultate der geo-
logischen Landesuntersuchung zu einem
monographischen Gesamtbild. Im engen
Anschluss an die Erläuterungen der
Sektionsblätter, sowie an Credner's Zu-
sammenfasseudes Büchlein über das
GranulitgcbirjEfe giebt der Verfasser zu-
nächst eine Ibersicht über die von der
Mulde berührten geologischen Einheiten:
die beiden sächsischen Sättel, die dazu-
gehörigen Mulden und die eingesunkene
Scholle des Marbach -Nosseuer Schiefer-
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604
Bücherbcsprcchungen.
gebirgs. Dann führt er uns, gestützt
auf t»eine eigene gründliche Kenntnis des
Gebiets, in zahlreichen Wanderungen von
der Quelle der Freiberger bis in die
Auen der vereinigten Mulde, zeigt uns
dabei geeignete geologische Aufschlüsse
und gute Übersichtspunkte. Vor allem
aber betont er auf Schritt und Tritt die
Beziehungen zwischen der verschiedenen
Vcrwitterbarkeit der Gesteine und dem
jeweiligen Landschaftscharakter: der
Gehängeneigung, der Flufskrümmung, der
Vegetation und Bodenkultur. Es ist das
eine Betrachtungsweise, die dem Feld-
geologen geläufig ist, die 'aber in geo-
graphischen Werken noch bei weitem
nicht immer die verdiente Würdigung
findet. Freilich dürfen wir auch nicht
vergessen, dafs es sich hierbei um ein
ziemlich zusammengesetztes Problem han-
delt, das eingehende Untersuchungen der
chemischen, physikalischen und mine-
ralogischen Gesteinsnatur erfordert. Es
ist leicht, zu behaupten: „Dieses Gestein
bildet Klippen, Hervorragungen im Ge-
lände; ergo ist es schwer verwitterbar."
Aber schwierig bleibt der Beweis, worin
die Widerstandskraft des Gesteins seinen
Sitz hat. Und indem man diesen Beweis
unterschlägt, begiebt man sich in die
Gefahr, sich im Kreise zu drehen. Femer
wird nicht immer genügend beachtet,
dafs ein und dasselbe Gestein landschaft-
lich verschieden wirken kann, je nach
der wechselnden Natur der Nachbar-
gesteine. An diesen Klippen ist auch
der Verfasser, trotz seiner gründlichen
Verarbeitung des Materials, nicht ganz
unversehrt vorüber gekommen. So erklärt
er S. 59 die steilen Formen des Nossener
Kirschbergs durch „den schwer verwittern-
den DiabastutP' und berichtet S. 61 dafs
die Mulde einen breiten Thalkessel im
., wenig widerstandsfähigen Diabastutf"
ausgewaschen habe. (Es handelt sich
allerdings um cambrische und silurische
Tuffe; doch ist ihre chemische Natur
sehr verwandt. ) S. 2k wird das steil an-
steigende Gehänge an einer Granat-
glimmerfelseinlagerung im Biotitgneis er-
wähnt ; einige Zeilen vorher wird berichtet,
dafs das rechte Gehänge im Biotitgneis
steil ansteigt, während das linke flach
ist. Dabei ist verschwiegen, dafs an dieser
Stelle Granitglimmerfels ansteht, (Hier
wirkt oflenbar ein andrer Faktor: rechts
'ist die Prallstellc, links die Innenseite
einer starken Flufskrümmung.) Auf S. 88
wäre eine nähere Begründung erwünscht,
warum ein Quarzporphyrgang leicht ver-
I wittert und sanfte Gehänge bildet, während
in unmittelbarer Nähe der Leisniger
Quarzporphyr in schroffen Felsen ansteht.
Im übrigen hat sich der Verfasser einer
höchst dankenswerten Arbeit unterzogen,
und wir können nur wünschen, dafs die
reichen Schätze geographisch wertvollen
Materials, die noch in den Erläuterungs-
heften der sächsischen Landesuntersuchung
verborgen liegen, recht bald in ähnlicher
Weise gehoben und selbstthätig weiter-
verarbeitet werden. Paul Wagner
Meyer's Reisebücher. Rom und die
Campagna von Th. Ijuell-Fels. 5. Aufl.
mit 6 Karten, 53 Plänen und Grund-
rissen, 61 Ansichten. Leipzig und
Wien, Bibliographisches Institut. 1901.
XP7, 1256 S. (Dazu 72 S. Sonder-
anzeiger.) >K. 13. —
Es wird als ein Ereignis in der Ge-
schichte moderner Periegese in Erinnerung
bleiben, wie vor etwa 30 Jahren Gsell-Fels
hervortrat mit seinen gehaltreichen, auf
Vertiefung des Reisegenusses der Ge-
bildeten gerichteten Italien-Führern. Der
universal interessierte, fein gebildete Arzt
war für diese Aufgabe in ungemeiner
Weise befähigt und er hat an ihr uner-
müdlich weiter gearbeitet, bis 1898 ihm
der Tod die Feder aus der Hand nahm.
Die Fortführung seiner Arbeit für die
Ewige Stadt lag in der Hand eines vor-
züglichen Kenners Italiens und seiner
Kunstschätze: Prof. Dr. Ryssel (Zürich );
auch der Archäologe derselben Universität,
H. Blümner. hat die Ergebnisse der neuesten
Ausgrabungen für das Buch verwertet.
Die sechs Jahre, welche seit der 4. Aufl.
verflossen, sind durch den Fortschritt der
bewährten Werke Burckhardt's (Cicerone)
und Helbig's zu neuen Auflagen, durch
die Weiterentwickelung von Fr. X. Kraus'
Geschichte der christlichen Kunst, durch
H. Kiepert's und Hülsen's Forma Urbis
Romae und eine Fülle von Spezialarbeiten
so ergebnisreich für Roms Kenntnis ge-
wesen, dafs ein auf gründliche Belehrung
angelegtes Reisehandbuch wesentliche Be-
reicherung erfahren mufste, der doch
wieder die Rücksicht auf das schon recht
ansehnliche Volumen Grenzen zog. Den
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BücherbeBprechungen.
606
Geographen freut an dem Werke neben
den vortrefflichen Planen der Stadt am
meisten die der Überfülle der Kunstschätze
in gesundester Weise das Gleichgewicht
haltende Weite und Gründlichkeit des
Umblicks über das Land, der nicht an
den Grenzen der Campagna Halt macht,
Bondern Albaner-, Sabiner-, Volskergebirge
und Süd-Etrurien mit einbegreift. Hei
der Fülle der kartographischen und bild-
lichen Beigaben ist der Preis des Werken
überraschend niäfsig.
Breslau. J. Partsch.
Baedeker, K., Rursland. Handhuch
für Reisende. 6. Auflage. Leipzig
1901. 478 S. kl. 8°, 19 Karten,
SS Pläne, 7 Grundrisse.
Der Vergleich mit der vierten, 1897
erschienenen Auflage zeigt überall, wie
unermüdlich an der weiteren Verbesserung
dieser vortrefflichen Handbücher gearbeitet
wird und wie rasch die Zugänglichkeit
der ungeheuren Gebiete des russischen
Reiches wächst. In der vorliegenden
Auflage ist nicht nur der Kaukasus viel
eingehender als bisher behandelt, sondern
sogar Turkcstan und Sibirien, wenn auch
nur längs der Eisenbahn, in den Bereich
der Darstellung gezogen. Ks macht einen
merkwürdigen Eindruck, beispielsweise
von Samarkand, das vor 37 Jahren Vani-
bery nur verkleidet unter grofsen Gefahren
besuchen konnte, zu lesen: „das Minaret 1.
kann bestiegen werden, . . . für Damen
sehr unbequem" u. s. w.
An Kurten sind hinzugekommen:
Saimakanal, Umgebung von Jalta, Zentral-
kaukasuB (in 2 Blatt), eine kleine Eisen-
bahnkarte und eine Übersichtskarte von
Hufsland (in 2 Blatt). Ferner erscheint
eine ganze Reihe von Nebenkärtchen neu.
Trotz dieser Bereicherung in Text und
Beilagen ist es gelungen, teils durch
Kürzung von minder Wichtigem, teils
durch dünneres Papier Umfang und Gewicht
des Buches noch etwas zu verringern,
obwohl die Seitenzahl um 20, die Zahl
der Karten um ö, der Pläne um 7, der
Grundrisse um 8 gewachsen ist.
Als Mitarbeiter sind im Vorwort die
Herren Ferd. Moll, Dr. C. v. Hahn (Tiflia)
und Dr. P. Kohrbach (Berlin) angegeben.
Natürlich haben an der Sammlung der
unendlichen Menge von Detail -Angaben
zahlreiche Personen mitgewirkt.
Wenngleich das Buch durchaus auf
den praktischen Reisegebrauch zuge-
schnitten ist, bietet es auch dem Geo-
graphen als bequemes Nachschlagcbuch
sehr viel. Freilich kann man weder
Vollständigkeit irgend einer Art noch
Fehlerlosigkeit von ihm verlangen; genug,
dal's in ersterer Hinsicht das dem Zweck
Entsprechende und in letzterer das
Menschenmögliche geleistet ist.
W. Koppen.
Nicolaidex, Dr. (leanthen, Macedonien.
Die geschichtliche Entwickelung der
macedonischen Frage im Altertum,
im Mittelalter und in der neueren
Zeit. Mit 1 Karte in Farbendruck.
Berlin, J. Räde 1899. 267 S. 8°.
Wenn das vorliegende Buch auch
seiner äufseren Anlage nach als eine
historisch-politische Darstellung erscheint,
so wird der Geograph doch jede sachlich
vorgehende Unterweisung über die
Nationalitätsverhältnisse Macedoniens als
einen unmittelbar verwertbaren Beitrag
zur Länderkunde der Balkanhalbinsel
begriifsen. Ist ja in genannter Hinsicht
kein grölseres Gebiet jenes Südostens
ähnlich unsicher und widerspruchsreirh
in der Litteratur behandelt! Unsere
Auffassung, dafs die Slaven Macedoniens
von einer früheren slavischen Einwande-
rung herrühren, als von jener »1er Serben
und der slavisierten Bulgaren, lindet in
Nicolaides keinen Vertreter. Er befafst
sich mit dieser Frage überhaupt nicht,
sondern schliefst sich der von Durnovo
(Moskau) bereits ausgesprochenen An-
schauung an, dafB die Slaven des Vardar-
gebietes serbischer Abkunft sein werden,
eine Ansicht, welche wir unter allen
Umständen gegenüber den Ansprüchen
der Bulgaren, als seien diese Bewohner
im Anschlufs an das wertlose suffrage
univcrsel von 1872 bulgarischer Nationa-
lität, für naturgemäfs erachten, wenn eine %
ältere slavische Grundlage verneint bleiben
soll Es wird allerdings von unserem
Verfasser wesentlich das Ziel verfolgt,
Macedonien als ein vom Altertum her
griechisches Land aufzuzeigen, dessen
gröfserer Südteil auch heute (nördlich
bis zur geogr. Breite von Demir Kapu
am Vardar) vorherrschend griechisch sei,
und es dient als (Jrundlage eine „vou
Konsuln" kontrollierte türkische Zählung
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606
Neue Bucher und Karten.
von IM6C?). Allein bei all «einer sonstigen j
Sachlichkeit und konkreten Behandlung
der Dinge wird doch wohl auch dieser
patriotische Autor hierbei nicht verlässig
genug bedient worden sein. Denn i. H.
ist es doch ausgeschlossen , dafs eine
Krhebung der Bewohnerzahl nach Natio- I
nalitäten, welche im ganzen Sandschak
Salonik Serben überhaupt nicht kennt,
auch keinen einzigen Sorben im Bezirk
von Kac-anik, auf volle Glaubwürdigkeit
rechnen darf. Und wo sollten umge-
kehrt fast 100 IHM) Bulgaren im Sand-
schak Salonik wohnen? In allem übrigeu
aber, auch in der Zurückweisung jener
Agitation, welche die Aromunen oder
Kutzovlachen für die linksdanubischen
Rumänen reklamieren will, desgleichen
hinsichtlich der Katschläge an die ser-
bische Propaganda in Macedonien, sehen
wir die Auseinandersetzungen von Nico-
laides als den Thatsachen entsprechend
und vollster Beachtung würdig an. Audi
sein Widerspruch gegen einige Aussagen
Mach's (Peterm. Mitt. 1899 ist nur formell ;
denn die Behauptungen beider lassen sich
sehr wohl vereinigen. W. Götz.
Nene Bücher und Karten.
Zusammengestellt von Heinrich Brunn er.
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Eine Festgabe, dem XIII. deutschen
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1 Zinkogr. III, 122 S. Breslau, Hirt
Komm. 1901. JC 2 —
G a ebler, Ed, Wandkarte des Vogtlandes.
1 : 4U 000. Ausg. A : Hervorhehung des
phys. Bildes; Ausg. B: Hervorhebung
des polit. Bildes. Farbdr. 4 Bl. zu
98,6x74 cm. Plauen, Neupert 1901.
.« 1H.—
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schungen ... I: Die topograph. Auf-
nahme des Karlseisfeldes 1*99 u. 1900.
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607
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41. Jahrg., Hft 1;. Wien, Braumüller
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(ieoeraphiieher Untorricht.
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kehrsgeographie ... XVI, 144 S. (Dr.
L. Huberti's mod. kaufmänn. Bibliothek).
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Reiches wissen? VI, 170 S. (Dr. L. Hu-
berti's mod. kaufmänn. Bibliothek).
Leipzig, Huberti 1901. JL 2.76.
Zeitschrifteiischan.
Pttermmm'* Mitteilungen. 1901. 8. Heft. dolus. Bd. LXXX. Nr. 7. Adler:
Tippenhauer: Beiträge zur Geologie Die neuesten russischen Seenforschungen
Haitis. — Bretsehneider: Rufsland in Westsibirien. — Oppert: I >ie Felsen«
und Korea. - Krah nie r: Nachrichten von tempel von Mamullapuran oder Seven
der Expedition Koslov's. — Zondervan: Pugodas. — Lasch: Die Verbleibsorte
Steinkohlen in Niederländisch -Limburg der Seeleu der im Wochenbette Ge-
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608
Zeit schriften sc hau.
gtorbenen. — Weis: Die Insel Man und i
deren altnordische Verfassung.
Dass. Nr. 8. Werner: Die Seen
der Westvogesen. — Francke: Die
Dhyanibuddhas und Manushibuddha« im
Lichte der vorbuddhistischen Religion
Ladakhs. — Sapper: Ein Bilderkatechis-
lnus der Mazuhua in Mexiko. — Bau-
mann: Die Töpferei der SansibarerNeger-
bevölkerung. — Perrig: Aus den Be-
kenntnissen eines Dakota-Medizinmannes.
J)us8. Nr. 9. Kaindl: Die Juden
in der Bukowina. — In Benares zur Zeit
der Wasserfeste. — Marcuse: Das Brio,ue-
tagegebict von Vic, Deutsch-Lothringen.
— Voigt: Wann erfolgte der Untergang
der Andree'schen Polarexpedition?
Deutsche Rundschau für Geograpltie
und Statistik. XXIII. Jhrg. 12. Hett.
Struck: Philippi. — Fortschritte der
geogr. Forschungen u. Reisen i. J. 1900.
— Lenz: Afrika. — Jung: Australien
uud die Sfidsee. — Marek: Der XIII.
Deutsche Geographentag zu Breslau.
Meteorologische Zeitschrift. 1901. H.Heft.
Kbert: Die Erscheinungen der atmosphä-
rischen Elektrizität vom Standpunkte der
Ionentheorie aus betrachtet. — Lockyer:
Änderungen der Sonnentemperatur und
Variationen des Regen falles in den Landern
rings um den Indischen Ozean.
Zeitschrift für Schul geographie. XXII.
Jhrg. 11. Heft. Hödl: Die XIII. Tagung
des Deutschen Geographentages in Breslau.
I. Allgemeines und wissenschaftliche Er-
gebnisse. — Kraitschek: über physi-
kalische Geographie im Gymnasial unter-
richte.
Mitteilungen des K. K. Militär- Geo-
graphischen Jnstitutes (in Wien). XX. Bd.
1900. Leistungen des Institutes i. J. 1900.
— N etil Schill: Die astronomischen
Gradiucssungsarbeiten des Instituts. —
Weixler: Bearbeitung des trigonometri-
schen GradmessungBnetzes für Zwecke der
Landesvermessung. — Die Fortsetzung des
Präzisions -Nivellements, ausgeführt i. J.
1900. — v. Steeb: Die Kriegskarten. —
Bielawski und v. Haardt: Die topo-
graphischen Arbeiten im westruss. Grenz-
gebiete. Pich ler: Die Thätigkeit der
Photographie-Abteilung in den letzten
Jahren. — v. Hühl: Beiträge zur Technik
der Karteuerzeugung. IV. Die Aluminium-
• Druckplatte. — Huri an: Kombinierter
Umdruck einer Farbenkarte. — Heim-
bach und Hödlmoser: Die Militär-
Kartographie auf der Weltausstellung in
Paris 1900.
XVII., XVIII. m. XIX. Jahresbericht
(1808, 18 9 u. 1900) des W'ürttembergischen
Vereins für llandelsgeographie und Förde-
rung deutscher Interessen im Auslände.
Die Thätigkeit des Vereins vom 1. Jan.
1898 bis 81. Dez. 1900. — v. Eyth: Die
Sprengung des Eisernen Thores und die
freie Douauschitfahrt, — v. Landesen:
Reiseskizzen aus Transkaukasien. —
Schulz: Syriens Rolle im Welthandel. —
v. Luschan: Die Karl Knorr'sche Samm-
lung von Benin-Altertümern. — Bericht
über die gehaltenen Vorträge.
The Geographical Journal. Vol. XV1IL
Nr. 8. Bell: Exploration in the (ireat
Bear Lake Region. — Harrison:
A Journey from Zeila to Lake Rudolf. —
The National Antarctic Expedition. —
The German Antarctic Expedition.
The Italian Arctic Expedition 1899/1900.
— Dr. Nansen*« Scientific Results, —
Dr. Sven Hedin in the Lob Nor Region.
— Ship Uanals in AuBtria. — Stiffe:
Ancient Trading Centres of the Persian
Gulf. — Molyneux's Map of the Sebungu
Distric t. — Central Borneo.
The Scottish Geographical Magazine.
1901. Nr. 8 Reclus: The Teaching of
Geography. — Cash: The First Topo-
graphical Survev of Scotland. — France
and the Penetration of the Central Sudan.
Ans verschiedenen Zeitschriften.
Ahlen ius, K.: Zur Kenntnis der Geo-
graphie u. Kartographie Skandinaviens
in der letzten Hälfte des 10. Jahr-
hunderts i schwedisch, mit deutschem
Resume). SkrifUn utgifna af K. Huma-
nist ika Vetenskap- Sam fandet i f'psala.
VI. 5.
Ebert, H : Sarasin's neues selbstregistrie-
rendes Limnimeter. Z. f. Instrumenten-
kunde. 1901 , Juli.
E b e r t , II. : Periodische Seespiegelschwaii-
kungen f Seiches), beobachtet am Starn-
berger See. Sitzungsher. d. math -jthys.
Kl. d. kgl. bayer. Ak. d. U'iss. XXX.
1900, 3.
Schwabe, G.: Die Schiffahrtsverhiiltnisse
der deutschen Schutzgebiete. Z. f.
Binnenschiffahrt. 1901, 16.
Verantwortlicher Henm»jrcber : Prof, Dr. Alfred Hettner ia Heidelberg.
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Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel -Asien,
Persien und Afghanistan.
Von Oberleutnant a. D. Kürchhoff.
Den Staaten Europas sind schon seit langem die ihnen in der Heimat
gesteckten Grenzen zu eng geworden. Besonders in den letzten Jahren hat
sich mehr und mehr das Bestreben geltend gemacht, das überflüssige Kapital,
die im eigenen Land nicht verwendbaren Kulturerzeugnisse und, wenn irgend
möglich, auch das im Mutterland überschiefsende Menschenmaterial in unter
eigener Oberhoheit oder wenigstens mehr oder minder grofsem eigenem Ein-
flufs stehenden aufsereuropäischen Gebieten unteraubringen. Richten wir
unseren Blick im Rücksicht auf das Gesagte auf Asien, so hat im Osten
dieses Erdteiles die Aufteilung schon in mehr oder minder grofsem Umfang
hegonnen und auch im Westen des genannten Kontinents fangen die euro-
päischen Nationen an, sich allmählich immer mehr Einflufs zu verschaffen.
Während im Osten die Aufteilung durch Pachtungen und Gebietsabtretungen
ähnlicher Art sich geltend macht, äufsert sich im Westen das Vorgehen
zunächst durch Erlangung von Eisenbabnkonzessionen, durch welche immer-
hin die Gewinnung des Einflusses in bestimmten Grenzen möglich ist, und
so kann man auch in diesen Gegendon schon auf Grund der verschiedenen
Kouzessiouserteilungen in gewissem Sinn von Interessensphären sprechen.
Betrachtet man zunächst Türkisch- Asien, so bildet, was die Eisen-
bahnen betrifft, der Nordsaum Anatoliens eine russische, der Rest des
Landes eine deutsche und deutsch - französische, Syrien eine französische
Interessensphäre. England, welches schon frühzeitig versucht hat, in Kleiu-
asien festen Fui's zu fassen, dürfte, wie die Verhältnisse augenblicklich in diesen
Gegenden liegen, nicht mehr in Betracht kommen.
Bekanntlich ist der Eisenbahnbau in der asiatischen Türkei sehr wenig
entwickelt. Zwar sind schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene
Linien in Betrieb genommen, jedoch erfolgte die Herstellung dieser von
von einander unabhängigen Gesellschaften verschiedener Nationen erbauten
Bahnen, ohne dafs die türkische Regierung an diesem neuen Verkehrsmittel
besonderes Interesse genommen hätte, und es fehlte daher bei der Konzessions-
erteilung zunächst der einheitliche Grundplan. Hieraus ergab sich, dafs zwar
gegenwärtig eine gewisse Anzahl Linien von den grofsen Häfen des Mittel-
meeres ausgehen, dafs dieselben aber, da sie nicht mit einander verbunden
sind, dem Staat bezw. der Volkswirtschaft nicht die Dienste leisten, die man
von ihnen erwarten kann.
OeogriphUche ZelUchrift. 7. Jahrgang. l'JOl. 11. Hefl. 41
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010
Kürehhoff:
Die türkische Regierung liefs den ersten Plan für den Ausbau des
Bahnnetzes in Kleinasien im Jahre 1872 von dem österreichischen Ingenieur
Pressel ausarbeiten, aber erst im Jahre 1879 wurde der erste Schritt zur
Ausführung desselben durch den Bau der 92 km langen Eisenbahn Haidar-
Pascha — Ismid gethau. Die Weiterführung dieser Linie mufste infolge des
bei der Regierung sich fühlbar machenden Geldmangels, und da sieh zunächst
keine kapitalkräftige Gesellschaft zur Übernahme des Betriebes und zum
Weiterbau fand, vorläufig unterbleiben.
In d«n folgenden Jahren richtete, sich das . JBestrebeu der türkischen
Regierung besonders auf eine Verbindung mit Persien und wurde, durch den
zwischen beiden Ländern herrschenden lebhaften Handelsverkehr veraulafst,
im Jahr 188 t eine von Erzerum nach der persischen Grenze führende Post-
verbindung hergestellt.
In demselben Jahr wurden, ohne dafs sie zur Ausführung gekommen
wären, folgende Eisenbahnprojekte in Erwägung gezogen: 1. Trapezunt —
Erzerum — Bagdad. 2. Vom Mittelländischen Meer nach Mosul, im Auschlufs
an die im gleichen Jahr fertig gestellte Bahn Mersina — Adana.
Nachdem bei der Herstellung der Bahn Haidar- Pascha — Ismid die tür-
kische Regierung ihre Unfähigkeit dargethau hatte, den beabsichtigten Aus-
bau des kleinasiatischen Eisenbahnnetzes auf eigene Rechnung auszuführen,
herrschte zwischen englischen, französischen und deutschen Bewerbern ein
heftiger Wettstreit, welchen der Sultan im Jahre 1888 zu Gunsten der
letzteren entschied, indem einer „Gesellschaft der anatolischen Eisenbahnen",
an deren Spitze die Deutsche Bank in Berlin stand, die Konzession zum Bau
der 490 km langen Bahn Ismid — Angora über Eski-Schehr erteilt wurde.
Im genannten Jahre hat die türkische Regierung eigentlich erst damit
begonnen, sich lebhafter für den Ausbau dieses wichtigsten aller Verkehrs-
mittel zu interessieren, und zwar gab hierzu den Anstois der im Jahre 1876
zur Regierung gekommene Sultan Abdul -Hamid, der, als er seine Herrschaft
antrat, in Kleinasien nur zusammen 512 km Eisenbahnen im Betrieb vorfand,
jedoch von jeher ein reges Augenmerk auf die Erweiterung der Bahnen in diesem
Teile seines Reiches gerichtet hatte. Dieses Interesse hatte allerdings zunächst
seinen Ursprung in iunerpolitischen und militärischen Gründen: die Regierungs-
gewalt auszudehnen, die Provinzen fester an die Hauptstadt zu knüpfen, und
der Wunsch, die Truppen möglichst schnell zusammenziehen zu können, ein-
mal zur Sicherung gegen feindliche Angritfe und zweitens zur Niederwerfung
aufrührerischer Volksstämme, war der hauptsächlichste Zweck der Eisenbahn-
baupläne der Regierung. Wenn somit die Förderung der Volkswirtschaft durch
die neuen Verbindungen erst in zweiter Linie in Betracht kam, so mufste
doch die neu einsetzende Entwicklung des Bahnbaues, bei welchem die Ge-
samtlänge der in Betrieb befindlichen Strecken etwa auf das vierfache —
wovon etwa die Hälfte deutsche Bahnen — stieg, doch auch wesentlichen
handelspolitischen Eintlufs haben.
Betrachten wir zunächst kurz die schon von früher hier bestehenden Linien:
1. Die Eisenbahn Smyrna — Al'din. Dieselbe wurde mit englischem Kapital
im Jahr 1Ö66 normalspurig in Bau genommen und als erste Eisenbahn
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Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel-Asien et«. OH
Kleinasiens im Jahr 1866 eröffnet. Die Verlängerung bis Dineir konnte im
Jahr 1888 dem Betrieb übergeben werden, sodafs nunmehr die Gesamtlange
dieser Bahn 521 km beträgt. Im Lauf der Jahre erfolgte die Inbetrieb-
nähme der kleinen Abzweigungen Torbali — Bafnder — -Odemisch und Bulatly —
Tsehivril. Die besonders in der letzten Zeit sich bemerkbar machenden Be-
mühungen der englischen Gesellschaft, die Balm von DineYr aus östlich an
die später erbaute Linie nach Konia, die sich der Atdin-Bahn an ihrem
genannten Endpunkt bis auf 100 km nähert, verlängern zu dürfen, wahrschein-
lich in der Hoffnung, die Waren dadurch auf die eigene Strecke ablenken
zu können, sind bisher gescheitert und dürfte diese Verbindung nunmehr aus
Gründen, welche aus dem Späteren hervorgehen, nicht mehr zur Ausführung
gelangen.
2. Die Linie Smyrna — Kassaba wurde ebenfalls im Jahr 18G6 normal-
spurig dem Verkehr übergeben, machte aber schlechte Geschäfte und ging
zunächst in die Hände der türkischen Regierung, die die Bahn bis Ala-Schehr
verlängerte, dann wieder an englisches Kapital und im Jahr 1878 in deu
Besitz der sie noch heute betreibenden französisch - belgischen Gesellschaft
über. Im Jahr 1890 bewilligt« die Pforte die Verlängerung der Eisenbalm
bis nach Kara Hissar, bis zu welchem Ort der Betrieb im Jahr 1898 bei
einer Gesamtlänge der Linie von 517 km aufgenommen werden konnte. Ein
Anschlufs an die den Endpunkt ebenfalls berührende anatolische Bahn fand,
da beide in Frage kommenden Gesellschaften sich nicht einigen konnten,
nicht statt, jedoch dürfte sich dieser Zustand jetzt ändern, da sich beide
Gesellschaften zu einem gemeinsamen Vorgehen bei dem Bahnbau in Klein-
asien geeinigt haben.
Im Jahr 1890 wurde von der gleichen Gesellschaft die 90 km lange
Zweiglinie Maghnesia — Sorna und die kurze Bahn Smyrna — Burnabad
erbaut.
3. Die 42 km lange Linie Mudania — Brussa, welche im Jahr 1881
als Teil eines gröfseren österreichischen Planes, der infolge Geldmangels nicht
zur Ausführung kommen konnte, schmalspurig eröffnet wurde, und die bald
in die Hände der die unter 2 angegebene Bahn betreibenden Gesellschaft
überging. Im Jahr 1892 erfolgte der Umbau in eine Normalspurbahn und
gleichzeitig die Verlängerung nach Inegiöl und Jenischehr, sodars die Gesamt-
länge jetzt 80 km beträgt. Eine Verlängerung bis zu dem 48 km entfernten
Tschili au der anatoliseheu Bahn ist geplant.
Wie schon oben kurz erwähnt, wurde im Anschlufs an die bestehende
Bahn Haidar- Pascha — Ismid im Jahre 1888 durch einen Firman der Bau
einer 485 km langen Eisenbahn Ismid — Angora, die im Jahr 1892 eröffnet
wurde, nebst einer Zweigbahn Hamidje — Adabasar und im Jahr 1893 die-
jenige der 445 km laugen Anschlufslinie Eski-Schehr — Konia, ferner die
Verlängerung der ersteren Strecke von Angora nach Kaisarie (425 km) der
Gesellschaft der anatolischen Bahnen gestattet, Nach Fertigstellung der
letzteren Linie, die allerdings überhaupt noch nicht in Bau genommen ist,
hat die genannte Gesellschaft 1447 km in Betrieb.
Die türkische Regierung garantierte für die Strecke Haidar- Pascha —
41*
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Kürchhoff:
Isniid pro Jahr und Kilometer 18 300 Fr., für die Strecke Isniid — Angora
eine Bruttoeinnahme von 15 000 Fr. und verpflichtete sich, für die Strecke
Eski-Schehr — Konia einen jährlichen Zuschufs von höchstens 6741 Fr. pro
Jahr und Kilometer zu zahlen. Zur Sicherstellung dieser Garantien sind der
Gesellschaft für die Strecke Haidar- Pascha — Isniid — Angora die Einnahmen
aus dem Zehnten der Bezirke Ismid, Ertogrul, Kutahia und für die Strecke
Eski-Schehr — Konia die Einnahmen aus dem Zehnten der Bezirke Trapezunt
und Gumuschhane verpfändet worden. Die Konzessionen sind der Gesellschaft
auf 91» Jahre erteilt und gehen die Bahnen nach Ahlauf derselben kostenlos
in den Besitz der türkischen Regierung über; der Wert der Betriebsmittel
insbesondere des rollenden Materials und der Vorräte ist jedoch auf Grund
einer vorzunehmenden Taxe zu vergüten. Letzteres gilt auch für die Bau-
anlagen für den Fall, dafs die Regierung von dem ihr ab Februar 1923
zustehenden Recht der Erwerbung der Bahn Gebrauch machen sollte. Der
Preis der Erwerbung besteht in der jährlich zu entrichtenden Zahlung von 50 0 0
der durchschnittlichen Bruttoeinnahme der letzten fünf Jahre, aber mindestens
10 000 Fr. pro Kilometer. Diese Summen sind eintretendenfalls durch die
türkische Regierung sicher zu stellen.
Diese angeführten anatolischen, normalspurigen, zunächst cingeleisigen
Bahnen stellen vor allem im Hinblick auf die Verbindung des Inneren Klein-
asiens mit der Hauptstadt die weitaus wichtigsten der jetzt bestehenden
kleinasiatischen Eisenbahnlinien dar. Dieselben haben wirtschaftlich sehr be-
deutsame Gebiete erschlossen, den Wert der durchzogenen Gegenden ungemein
gesteigert und auch sonst der türkischen Regierung sehr grofse Vorteile
gebracht. Der Zehnte hat sich in wenigen Jahren verdoppelt, die Land-
wirtschaft nahm einen grofsen Aufschwung, das Räuberunwesen hörte auf,
die Verwaltung wurde gefestigt, die Rekrutierung und Mobilmachung er-
leichtert, der Rassen- ünd Religionshafs wurde beseitigt und der Europäer
kann heute in vollständiger Sicherheit Städte, welche früher durch den Fana-
tismus ihrer Bewohner gefürchtet waren, durchschreiten.
Was nun die inneren Verhältnisse der anatolischen Bahnen betrifft, so
wird in dem letzten Bericht hervorgehoben, dafs die Stellung derselben sich
gefestigt habe1). Im Jahr 1899 betrug die Einnahme 5 192 941 Fr. Jedoch
war dieser Zeitabschnitt durch eine fast völlige Mifsernte und niedrige Ge-
treidepreise äufserst ungünstig beeinflufst. Die Einnahmen des Jahres 1900
bis zum 21. Oktober betrugen 5 067 209 Fr. und überstiegen diejenigen der
entsprechenden Zeit des Vorjahres um 1 090 608 Fr. Bei öfterer Wiederkehr
guter Ernten erscheint die Rentabilität dieser Bahnen aufser Frage gestellt
zu sein, und es ist auch im Interesse des ganzen Landes zu wünschen, dafs
dieses Unternehmen gedeihen möge, weil von der ferneren Rentabilität der
Ausbau des kleinasiatischen Bahnsystems nach Syrien und den Euphratländern
abhängig sein wird. Dafs die anatolischen Bahnen auch grofse militärische
Bedeutung haben, hat der türkisch -griechische Krieg, bei welchem sie zu
grofseu Truppentransporten berufen waren, zur Genüge bewiesen.
1) Geschäftsbericht der anatolischen Bahnen laOO.
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Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel-Asien etc. 613
Die Franzosen haben sich die Küste an der Nordostecke des Mittel-
meeres und Syrien zunächst zum Schauplatz ihrer Thätigkeit ausersehen.
Vom nördlichen Teil des Busens von Alexandrette zieht nach Osten, der oben
genannten Smyrna — Atdin- Bahngesellschaft gehörig, die 71 km lange im
Jahr 1886 dem Verkehr übergebene Strecke Mersina — Adana. Dieselbe war
ursprünglich mit englischem und französischem Kapital erbaut, hatte jedoch,
da keine Zinsgarantie von der türkischen Regierung übernonmien war, mit
sovielen pekuniären Schwierigkeiten zu kämpfen, dafs sich die englischen Ge-
sellschafter zurückzogen. Der Sitz der Gesellschaft wurde nun von London
nach Konstantinopel verlegt, worauf sich die Einnahmen so hoben, dafs die
Gesellschaft wiederholt um die Erlaubnis eingekommen ist, über Osmanieh
nach Biardschik am Euphrat weiterbauen zu dürfen, um so den Anschlufs
an die grofse Karawanenstrafse zu erlangen. Bisher wurde diesem Wunsch
von der Pforte noch nicht entsprochen. Neuerdings ist die Verlängerung der
Bahn von Adana aus derart in Aussicht genommen, dafs die Fortsetzung in
grofsem Bogen über Osmanieh und M arasch nach Aleppo und Haina zu führt,
um so den Anschlufs an die von Damaskus kommende Bahn zu erreichen.
Von Aleppo ist der Bau einer Zweigbahn nach Antakije am Nahr el Aci
(Orontes) geplant.
In Syrien und Palästina dienen die grofsen Häfen den Eisenbahnen als
Kopfpunkte. Obgleich diese Strecken nur als Beginn grofser Schienenwege
gedacht sind, so wird vorläufig und wahrscheinlich noch sehr lange, teils
infolge mangelnder Mittel, teils infolge Unlust der türkischen Regierung, mit
dem jetzigen Zustand gerechnet werden müssen.
Im Jahr 1858 wurde von einer französischen Gesellschaft eine gute Fahr-
strafse von Beirut nach Damaskus erbaut. Dieselbe brachte so zufriedenstellende
Verdienste, dafs die Engländer, neidisch auf den wachsenden Einflufs der Fran-
zosen in Syrien, von der türkischen Regierung die Konzession zu einer Eisen-
bahn Haifa — Akka — Damaskus erwarben. Der Bau dieser Linie wurde zwar
begonnen, mufste aber infolge mangelnder Fonds trotz der darauf verwendeten
Summen aufgegeben werden.
An Stelle dieses verunglückten Unternehmens erhielt eine französische
Gesellschaft durch einen Ferman im Anfang des Jahres 1891 die Erlaubnis
zur Herstellung einer Linie, die in Beirut, einer wiederauf blühenden Hafen-
stadt, die sich innerhalb dreifsig Jahren von 21000 E. auf 120 000 E. ver-
gröfsert hat, beginnt und durch den Libanon und Antilibauon ziehend nach
der „Perle des Orients", dem in der fruchtbaren syrischen Ebene gelegenen
Damaskus, führt. Die Bahn ist schmalspurig (1,05 m) und hat eine Länge
von 147 km. Zu derselben Zeit erhielt eine belgische Gesellschaft die Er-
laubnis zum Bau einer Eisenbahn von Damaskus nach dem südlich gelegenen
El Muserib. Beide Unternehmen vereinigten sich im Dezember des Jahres
1891 zu einer „Compagnie ottomane des chemins de fer economique en Syrie".
Die Eröffnung der 103 km langen Strecke Damaskus — El Muserib erfolgte
im Jahr 1894, diejenige der 147 km langen Linie Beirut — Damaskus ein
Jahr später. Grofse Bedeutung in handelspolitischer Beziehung konnten beide
Linien bis jetzt noch nicht erlangen, besonders da die Gesellschaft durch
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614
Kürchhoff:
fibermäfsig hohe Tarife den Handel schädigt. Eine Verlängerung der Bahn
von Damaskus aus nach Norden ist schon seit längerer Zeit geplant und
bereits im Jahr 1893 die Konzession zur Weiterführung dieser Linie erteilt,
aber die türkische Regierung schob trotzdem immer wieder ohne besondere
Gründe die Erteilung der Erlaubnis zum Beginn des Baues hinaus. Im
Anfang dieses Jahres endlich gelang es eine Irade zu erwirken, nach welcher
der genannten Gesellschaft der sofortige Bau der über 200 km langen Teil-
strecke Rayah — Haina als Anfang einer AnschluTslinie der geplanten Bahn
nach Bagdad gestattet und eine Kilometergarantie von 12 500 Pr. bewilligt
wurde. Diese Bahn, die die Bezeichnung Beirut — Damaskus — Rayah — Haina-
Bahn (die Bezeichnung syrische Bahn hat die Pforte im Text fortgelassen)
führt, soll von Horns aus eine Abzweigung nach Tarabulus erhalten und ist
eine spätere Weiterführung nach Haleb (Aleppo) und Biredschik beabsichtigt.
Sehr wesentlich ist die vom Sultan geforderte Bestimmung, dafs der türki-
schen Regierung jederzeit das Ankaufsrecht der erwähnten Linie freistehe.
Die Bedingungen, zu denen der Kauf erfolgen kann, sollen die gleichen sein,
wie sie in dem endgiltigen Vertrag für die Bagdadbahn in Bezug auf letztere
festgesetzt worden sind.
Die zweite Linie, die normalspurig ausgebaut wird, zum gröfsten Teil
aber erst im Plan besteht, beginnt in Haifa, durchzieht die Ebene Isreel,
führt zum Jordan, diesen Flufs entlang bis zum See Tiberias, wendet sich
nach Osten und erreicht über Schech Sad die Bahn Damaskus — El Muserib
bei Ae*re. Von Haifa ist weiter der Anschlufs nach Akka geplant.
Bis Herbst 1898 waren von dieser Eisenbahn nur 8 km vollendet und
wurden um diese Zeit die schon länger ruhenden Arbeiten wieder aufgenommen.
Dieselben schreiten seitdem stetig fort, es scheint aber fraglich, ob die nötigen
Mittel zur Beendigung der ganzen Strecke aufgebracht werden können. Die
Erdbauten und Brücken sind jetzt bis km 57, d. h. bis in die Nähe von Besan
im Jordanthal, beendet. Ausgenommen ist nur eine Strecke von 5 km Länge
bei Solem (km 40 — 45), welche jetzt im Bau ist. Jenseits km 57 ist zu-
nächst eine Weiterführung gänzlich unmöglich, da den Unternehmern ver-
weigert worden ist, ihre Thätigkeit in den rings um Besan liegenden Gütern
des Sultans zu beginnen. Die Differenzen konnten noch nicht beigelegt
werden und es ist anzunehmen, dafs der Verzögerungsgrand der Regierung
darin zu suchen ist , date sie wenig Neigung zu haben scheint, ihren beiden
Häfen Beirut und Jafa in Haifa eine Konkurrenz entstehen zu lassen, die in
kurzer Zeit den gesamten Handel von Syrien und Palästina an sich ziehen
und die kostspieligen Anlagen in den alten Häfen brach legen würde. Bis-
her sind, wohl aus demselben Grund, alle Pläne, Haifa einen besseren Hafen,
für den alle Vorbedingungen vorhanden sind, zu geben, gescheitert.
Die dritte Eisenbahn ist die 87 km lange, von einer französischen Gesell-
schaft betriebene, eingeleisige Schmalspurbahn Jafa — Jerusalem, zu der im
Jahre 1888 die Konzession erteilt und die 1892 eröffnet wurde. Es besteht
die Absicht, diese Bahnlinie nach Süden nach Betlehem zu verlängern.
Hiermit ist das Netz der in der asiatischen Türkei in Betrieb befindlichen
Bahnen erschöpft.
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Eisenbahnen und Eisenbahnplane in Klein- und Mittel-Asien etc. 615
Fassen wir zunächst die weiteren Eisenbahnbaupläne in Syrien ins Auge,
so ist die Verlängerung der Linie Damaskus — El Muserib nach Süden parallel
der Küste geplant. Diese Verlängerung soll, mehrere Seitenlinien ins Innere
entsendend, das Tote Meer im Osten umgehen und dann entweder sich nach
Westen wendend in Ghezze (Geza) am Mittelmeer enden, oder, nach genanntem
Ort nur eine Zweigbahn entsendend, bis Suez oder Ismail weitergeführt werden.
Ein Anschlufs an die jetzt im Betrieb befindliche Bahn Jafa — Jerusalem ist
nicht vorgesehen. Die türkische Regierung beabsichtigt den Bau einer Eisen-
bahn von El Muserib nach Medina und Mekka. Die Vorarbeiten haben am
31. "August, dem Jahrestage der Thronbesteigung des Sultans, begonnen, und
wird die Trace möglichst genau der von den Karawanen eingeschlagenen
Strafse folgen. Um den Ausgangspunkt von dem jetzigen Ort nach Damaskus
verlegen zu können, unterhandelt die Pforte wegen Ankaufs der Bahn Damaskus —
El Muserib und zwar für den Preis von 6 Mill. Fr. Es ist anzunehmen,
dafs eine Einigung erzielt wird, denn die Gesellschaft ist von ihrer ursprüng-
lichen Forderung von 10 Mill. Fr. schon auf 7 600 000 Fr. heruntergegangen.
Die Stimmung der Mohammedaner ist sehr zu Gunsten dieser Bahn, denn
sie haben darin ein Mittel erkannt, welches die Pilgerfahrten nach den ver-
schiedenen heiligen Plätzen Arabiens sehr erleichtert; wie weite Kreise dieses
Interesse zieht, geht daraus hervor, dafs der Emir von Buchara kürzlich
160 000 Rubel zum Bahnbau beigesteuert hat.
Selbst nach Ausführung aller bisher angegebenen Pläne kann aber, wie
leicht ersichtlich, das vorhandene Bahnnetz nicht den berechtigten Ansprüchen
genügen, um eine wirkliche Hebung von Handel und Wandel zu veran-
lassen.
Sehr vorteilhaft für die Türkei war es deshalb, dafs im Jahr 1899 die
Gesellschaft der anatolischen Bahnen, an deren Spitze die Deutsche Bank in
Berlin steht, die Initiative zur weiteren Ausdehnung des Bahnnetzes in Klein-
Asien ergriff. Am 23. Dezember 1899 wurde zwischen der genannten Ge-
sellschaft und der türkischen Regierung ein Vertrag abgeschlossen, nach
welchem eine vorläufige Konzession bewilligt, wurde, für eine Linie, ausgehend
von Konia in südöstlicher Richtung über Adana — Marasch — ATfntab nach
Bagdad. Die Spurweite mufs 1,44 betragen, der Bau, eingeleisig, jedoch
unter Rücksichtnahme auf einen zweigeleisigen Ausbau, innerhalb acht Jahren
vollendet sein; auch ist die Übertragung der Konzession an eine andere Gesell-
schaft ausgeschlossen. Die Garantiefrage bleibt Gegenstand späterer Ver-
handlungen. Die Konzession gestattet ferner die eventuelle Verlängerung nach
Basra. Zur Verbindung mit dem jetzt bestehenden nördlichen Zweig der
anatolischen Eisenbahnen ist eine Verbindungslinie von Marasch nach Kaisarie —
Josgad — Angora geplant.
Bei der Feststellung der allgemeinen Trace standen sich anfangs zwei
Ansichten gegenüber, indem zunächst noch eine nördliche Linie in Betracht
gezogen wurde, und zwar sollte dieselbe von Angora über Kaisarie oder Siwas
nach Frfa bezw. Diarbekr und weiter nach Mosul u. s. w. führen.
Diese letztere Linie wurde, weil sie so recht die ganze Mitte des türkischen
Asiens erschliefst und somit der Rekrutierung und Mobilmachung am nütz-
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Kürchhoff:
lichsten gewesen wäre, vom türkischen Generalstab und dem Kriegsministerium
als Vollbahn befürwortet, während das Arbeitsministerium, welches den Aus-
schlag zu geben scheint, diese Linie der Schmalspur überläfst und für die
pinem etwaigen Angriff Rufslands weit weniger ausgeselzte südliche Linie ein-
trat, da sie durch die wirtschaftlich aussichtsvolleren Gebiete führt. Was
die technischen Verhältnisse anbetrifft, so sei darauf hingewiesen, dafs es
sich bei der Durch quvrung Anatoliens und Mesopotamiens um Gebiete handelt,
die schon seit uralter Zeit die Völkerbrücke zwischen Ost und West waren,
nur dafs sich jetzt die Bewegung in umgekehrter Richtung vollzieht wie ehemals.
Es handelt sich also bei der zu errichtenden Verkehrsstrafse nur darum, den
alten Spuren lang geschwundener früherer Gebieter zu folgen.
Die Hochebene Vorder -Kleinasiens ist gegen Süden durch gewaltige
Ketten abgeschlossen. Von Westen nach Osten ziehen der Taurus und der
Antitanrus zum armenischen Hochland hin. Besonders das erstgenannte
Gebirge zeichnet sich durch Unzugänglichkeit aus. Vermittelst welches Passes
der Übergang der von Konia ausgehenden Linie bewerkstelligt werden wird,
steht noch nicht fest. Der wichtigste Pafs ist der Gulak-Boghar-Pafs, die
Cilicischen Thore der Alten, durch welchen die grofse Heer- und Karawanen-
strafse von Kleinasien nach Syrien führt. Westlich dieses wahrscheinlichen
Übergangspunktes machen noch die Flufsdurchbrüche das Überwinden des Ge-
birges möglich:
1 ) von Eregli durch das Thal des Bogantisu oder Tschakutsu (Pässe 1 400 m),
2) von Karaman durch das Thal des Lamasflusses (Pässe 1700 m),
3) durch das Thal des Busaktsche, vermittelst dessen man in das Thal
des Gök-su, des Kalykadnos der Alten, gelangt.
Es handelt sich, wie schon gesagt, bei dieser Konzession zunächst nur
um eine vorläufige, von einer endgilt igen Übertragung ist noch nicht die Rede,
wie auch noch kein definitiver Entscheid getroffen ist, ob thatsächlich auch
die südliche und nicht die nördliche Linie ausgebaut werden soll. Die Schlufs-
verhandlungen finden jetzt erst statt, nachdem die zur genaueren Festsetzung
der Linie entsandte Kommission zurückgekehrt ist.
Wollte die Gesellschaft der anatolischen Bahnen von der erhaltenen Kon-
zession den Vorteil haben, welchen sie erzielen kann, so war es nötig, Anschlufs
an Smyrna, den grofsen und wichtigsten Hafen von Türkisch- Asien, zu ge-
winnen, und um dieses zu erreichen, fanden zunächst mit der englischen Smyrna —
Ai'din-Bahngesellschaft Verhandlungen in dem Sinne statt, dafs die genannte
Bahn von der Gesellschaft der anatolischen Bahnen übernommen werden sollte.
Die Forderungen der Engländer waren jedoch derartig hoch geschraubt, dafs
sich die Verhandlungen zerschlugen. Infolgedessen wurde mit der französischen
Gesellschaft der Smyrna — Kassaba-Bahn ein Vertrag abgeschlossen, nach welchem
die anatolische Bahn die genannte Bahn benutzen darf. Beide Kontrahenten
einigten sich dahin, dafs beide die Linie nach Bagdad bauen. Von dem
Kapital entfallen auf sie je 40%, die übrigen 20% verteilen sich auf Schweizer,
Österreicher und Belgier.
Dieser oben angegebene Bahnbau ist für alle Beteiligten von aufser-
ordentlich hoher Bedeutung.
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Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel-Asien ete. 617
Zunächst die Urheber des Projektes: die Deutschen. Standen dieselben
mit den anatolischen Bahnen schon jetzt weitaus im Vordergrund der Eisen-
bahn-Interessenten in Türkisch- Asien, so wird doch ihr wirtschaftlicher Einflufs
mit der Vollendung der Bagdad-Bahn noch wesentlich vormehrt. Durch dieses
Unternehmen ist auf Jahre hinaus der deutschen Industrie eine grofsartige
Aussicht eröffnet und ihr sind während der Zeit des auf acht Jahre berech-
neten Baues grofse und lohnende Aufgaben gestellt, ganz abgesehen davon,
dafs die Bahn grofse Strecken bebauungsfähigen Landes öffnet und den Weg
für deutsche Handelsübermacht in Kleinasien und Mesopotamien ebnet. Deutsch-
land mit Vorzugspreisen für Güter auf den deutschen Linien wird fähig sein,
die Hauptmärkte von Kleinasien zu beeinflussen, denn schon sind die grofsen
verteilenden Punkte, Konstantin opel und Smyrna, in handelspolitischer Beziehung
unter die Kontrolle der Deutschen gekommen, seit die anatolische Bahn von
Eski Schehr nach Konstantinopel verlängert worden ist.
Frankreich zieht zweifellos infolge des oben erwähnten Vertrages aus dem
Unternehmen sehr grofse Vorteile, besonders da es bei Nichtbeteiligung leicht
hätte von jedem weiteren Wettbewerb in Kleinasien ausgeschlossen werden
können. Erstens erhält die französische Eisenbahn Smyrna — Kassaba eine
Frachtvermehrung und zweitens hat die französische Gesellschaft den gleichen
Gewinnanteil wie die deutsche mit allen finanziellen, industriellen und
moralischen Vorteilen, welche von dieser Unternehmung herrühren. Dieser
Vertrag sichert der französischen Industrie und dem französischen Kapital
ein auf Gleichheit beruhendes Vorgehen mit der deutschen Industrie und
dem deutschen Kapital in dem zukünftigen Bau der Eisenbahnen in
Türkisch - Asien.
Den gröfsten Vorteil zieht aber durch diesen Bahnbau unzweifelhaft die
Türkei. Wohl besonders auch aus diesem Grunde hat die Gesellschaft, die,
da die Eisenbahn zumeist durch zwar früher reich bevölkerte, jetzt aber
kulturell sehr zurückgebliebene Gebiete führt, die Linie wenigstens zunächst
nicht überall zweifellos für rentabel hält, so entschieden darauf bestanden,
dafs der Staat die Einnahmen bis zu einem gewissen Grade sicher stellt.
Wie die Verhältnisse augenblicklich liegen, kann nur bei einigen kleinen
Teilen die Sicherheit eines ausreichenden Lokal- und Handelsverkehrs geboten
werden und ohne staatliche Zinsgewähr ist daher der Bahnbau unmöglich.
Dafs die Bahn später, wenn es ihr gelungen ist, die jetzt toten Länder zu
neuem Leben zu erwecken, reiche Erträgnisse abwerfen wird, dürfte aufser
jedem Zweifel stehen, und rechnet man die noch weiter unten zu erwähnenden
an die Bagdad-Bahn sich anschliefsenden Eisenbahnprojekte hinzu, so gewinnt
die Türkei beträchtliche Kulturflächen, welche von einer thatkräftigen Ein-
wanderung mit Erfolg besiedelt werden können; denn Mesopotamien ist eines
der fruchtbarsten Länder der Erde, das sich mit Hilfe der geplanten Bahnen
in ungeahnter Weise entwickeln wird und die erste Kornkammer Europas
werden kann. In letzterer Hinsicht ist es klar, dafs die Erbauung dieses
Verbindungsweges Rufsland sehr unangenehm ist, denn dieses hoffte durch die
mit der Erbauung der transsibirischen Bahn geschaffene gute Verbindung mit
den sibirischen Getreidefeldern die entscheidende Rolle auf dem Getreide-
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Kürchhoff:
markt spielen 7.« können. Diese Traume werden mit dem Ban der meso-
potamischen Bahn zerstört.
Auch darf die Wichtigkeit der Bahn in innerpolitischer Beziehung nicht
vergessen werden, denn mit ihrer Hilfe kann der thatsilchliche Machtbereich
der Regierung in Konstantinopel erweitert werden, ja durch diese Bahn wird
erst die Herrschaft über eine grofse Zahl von Stämmen turanischer und
arabischer Abkunft, denen die Oberherrschaft des Sultans bisher nur dem
Namen nach bekannt war, gewonnen. Diese letzteren haben sich, gestützt
auf die ünzugängliehkeit der von ihnen bewohnten Gegenden, bis jetzt mit
Erfolg der türkischen Herrschaft widersetzt. Nachdem aber der Ausbau der
anatolischen Bahnen vollendet sein wird, wird es der Regierung in Stambul
möglich sein, sowohl militärisch wie wirtschaftlich gleichzeitig von Osten und
Westen gegen diese unbotmafsigen Stämme vorzugehen.
Die strategische Bedeutung der Bahn darf ebenfalls nicht unterschätzt
werden, denn gestützt auf diese vermag die Türkei sowohl auf dem Hochland
von Erzerum, wie an der persischen Grenze einem etwaigen Vordringen der
Russen entgegenzutreten. Ohne weiteres leuchtet ferner ein, dafs durch den
Ausbau der gedachten Bahnen die Stellung der Türkei in allen wichtigen
zentralasiatischen Fragen eine wesentlich andere wird als bisher. Deutsch-
land kann hiermit nur zufrieden sein, wenn auf diese Weise die Teilung der
asiatischen Welt zwischen Rufsland und England verhindert wird und ein
Dritter auf dem Platz erscheint, durch dessen Vermittelung Deutschlands wirt-
schaftliche Interessen in West- und Zentralasien dauernd gemehrt nnd ge-
fördert werden.
Beiläufig sei bemerkt, dafs sich in einem östlichen Seitenthal des Tigris,
am Schabur bei Scheramisrh. Steinkohlenlager finden, die dadurch besondere
Wichtigkeit gewinnen, dafs sie neben einigen kleinen Minen am oberen
Euphrat und bei Eregli am Schwarzen Meer die einzigen in der asiatischen
Türkei sind.
Die aufserordentliche Tragweite, welche die Bahn für die Länder der
unteren Donau hat, für Österreich-Ungarn, auch für Deutschland, man kann
sagen für das gesamte mitteleuropäische Festland, ergiebt sich schon aus
der Thatsache, dafs englisches Geld bereits seit Mitte der sechziger Jahre
daran arbeitet, Tnner-Kleinasien durch einen Schienenstrang zu erschliefsen,
indem die Smyrna — A'idin-Bahn, wie schon gesagt, wünschte, die Konzession
zur Verlängerung bis nach Konia, dem Hauptplatz des südwestlichen Klein-
asiens, zu erlangen. Wäre es den Engländern geglückt, ihren Wunsch noch
vor den Deutschen in Erfüllung gehen zu sehen, so wäre es ihnen sicher ein
Leichtes gewesen den gesamten Handel nach dem von ihnen beherrschten
agäischen Meer abzulenken. Durch die der anatolischen Gesellschaft erteilte
Konzession dagegen wird der Verkehr in die nordwestliche Ecke der klein-
asiatischen Halbinsel geleitet und bildet die Bagdad-Bahn auf diese Weis«
gewissermafsen die direkte Fortsetzung der sogenannten Orientbahnen, und
wenn erst die Brücke über den Bosporus, was allerdings noch eine Zeitlang
dauern kann, fertig ist, werden die Güterwagen von Deutschland bis an den
persischen Golf laufen können.
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Eisenbahnen und Eisenbahnplane in Klein- und Mittel- Asien etc. 619
Die Bagdad-Hahn ist aber auch von hoher internationaler Bedeutung,
denn wie aus der Karte leicht zu ersehen ist, hat sie die gleiche und fast
noch gröfsere Bedeutung als der Kanal von Suez, für den Verkehr zwischen
Europa und Indien, denn sie ist mit oder ohne Ausdehnung durch Persien die
kürzeste Linie von Europa nach dem Osten. Mit der augenblicklichen Ge-
schwindigkeit der Dampfer braucht man gegenwärtig von London nach Bombay
über Gibraltar und Suez 36 Tage, über Brindisi und Stiez 25 Tage; ist die
anatolisehe Bahn erst bis Bagdad fertig gestellt, so braucht man zu dieser
Reise 11 Tage, nämlich vier von London nach Konstantinopel, vier von
Skutari nach Bagdad, drei von letzterem Ort nach Bombay. Der ganze
Reiseverkehr wird also wahrscheinlich über Konstantinopel gehen, wobei
es auch von vielen als Vorteil empfunden werden wird, dafs die Seefahrt
von Basra nach Karrachi nur höchstens zwei bis drei Tage dauert, und
schon deshalb wird ein grofser Teil der Reisenden den Landweg vorziehen,
umsomehr als die Schiffahrtspreise der jetzt benutzten Linien ungewöhnlich
hoch sind.
Soweit die Beförderung von Massengütern in Betracht kommt, ist die
Eisenbahn wohl nicht im Stande, erfolgreich den Kampf mit den Dampfern
aufzunehmen, aber der Post- und Eilgutverkehr drangt nach weiteren Ab-
kürzungen, besonders seitdem die Mächte des Westens ein gesteigertes Inter-
esse an der Gestaltung der Dingo im Bereich des Stillen Ozeans nehmen.
Die schwerwiegenden Waren werden somit nach wie vor den Seeweg wählen,
während der neuen Bahn der Eilgut- und Postverkehr zufallen wird.
Es ist klar, dafs unter den letzterwähnten Gesichtspunkten die neue Ver-
bindung dem englischen Verkehr nach Indien mit am meisten dient, denn
mit der Erlaubnis zur Verlängerung des Schienenweges der anatolischen
Gesellschaft bis nach Bagdad und dem persischen Golf ist der erste Schritt
zur Verwirklichung eines Gedankens geschehen, der in verschiedener Gestalt
seit Jahrzehnten englische Staatsmänner und Techniker beschäftigt hat. Eine
möglichst schnelle Verbindung mit Indien und Ostasien zu schaffen, war das
Streben Englands schon zu einer Zeit, als der Suezkanal noch nicht eröffnet
worden war, und die Absicht, den persischen Golf mit dem Mittelmeer zu ver-
binden, tauchte schon kurz nach Eröffnung des Suezkanals, besonders wiederum
von englischer Seite genährt, auf. Die Pläne gelangten zu keinem Abschlufs,
aber es ist erklärlich, dafs sofort nach der Erteilung der vorläufigen Konzession
an eine deutsche Gesellschaft, da die hohe Bedeutung der politischen und
wirtschaftlichen Seiten allseitig erkannt wurde, sich andere Bewerber zur Aus-
führung meldeten, die zum teil durch Unterbietung der Garantien, zum teil
durch vollständigen Verzicht auf solche, die deutsche Gesellschaft zu ver-
drängen suchten. Einzelne dieser Projekte sollten von der Westküste Klein-
asiens, einzelne von dem Busen von Alexandrien ausgehen, im allgemeinen
folgen alle diese Pläne der gleichen Trace wie die deutsche Bahn, und lohnt
es sich nicht, genauer auf dieselben einzugehen. Bei einigen dieser vor-
geschlagenen Unternehmungen hat es den Anschein, als ob dieselben nur an-
geregt worden seien, nicht, um die Bahn thatsächlich zu bauen, sondern
lediglich um die Konzession zu erlangen in der Absicht, den Eisenbahnbau
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620
Kilrchhoff:
überhaupt zu hintertreiben; dies war besonders bei russischen Unternehmern
der Fall, wie ja überhaupt Rufsland seine Abneigung gegen diese von
Deutschen zu erbauende Bagdad-Bahn nie verhehlt hat. Denn abgesehen
von dem schon oben angeführten Grund wird die mesopotamische Bahn auch
in anderer Beziehung ein gefährlicher Konkurrent der sibirischen werden
Für die Erbauung der letzteren waren zwar raeist militärische Gesichtspunkte
raafsgebend, doch hofften die Russen wohl auch, dafs sie sowohl für den
Personen- wie für den Güterverkehr den Hauptweg zwischen Europa und Ost-
asien bilden werde. Die militärische Bedeutung bleibt uneingeschränkt bestehen,
aber die Reisenden und ein Teil der ausführenden Kaufleute werden sicherlich
in grofser Mehrzahl die das Mittelmeer mit dem persischen Meerbusen ver-
bindende mesopotamische Bahn vorziehen.
Es ist klar, dafs Rufsland als Grenznachbar von Türkisch - Asien sich
die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, in dem Augenblick, in welchem
Deutschland und Frankreich in diesen Gebieten die weitestgehenden Kon-
zessionen erhielten, auch seinerseits Vorteile herauszuschlagen.
Rufslands Stellung zu den Eisenbahnplänen für die asiatische Türkei
ist durch mehrere von denen der anderen Staaten wesentlich abweichende
Gesichtspunkte bestimmt. Einmal will es den persischen Golf erreichen und
dort festen Fufs fassen, und zweitens erscheint es nicht ausgeschlossen, dafs
Rufsland, da ein Vorgehen auf Konstantinopel von Norden her über die Balkan-
halbinsel das Mifsfallen, vielleicht sogar das Eingreifen verschiedener Mächte
hervorrufen würde, sich die Möglichkeit schaffen will, vom Kaukasus gegen
die türkische Hauptstadt vorzudringen. So angenehm also Rufsland in den
nördlichen türkisch - asiatischen Gebieten der von ihm selbst ausgeführte Eisen-
bahnbau sein mufs, so kann es doch andererseits keine Verkehrsgelegenheitcn
wünschen, die das ottomanische Reich in seinem Kern wirtschaftlich oder
militärisch starken können.
Da für Rufsland der Ausgangspunkt zum Bau von Eisenbahnen in den
vorgenannten Gebieten des Kaukasus liegt, so erscheint es angebracht, zunächst
kurz auf die dortselbst befindlichen Strecken einzugehen.
Rufsland hat sich während des vorletzten Dezenniums nach einer 300 Jahre
lang unentwegt verfolgten, zielbewufsten Politik vermöge diplomatischer Künste
und kriegerischen Geschickes endgiltig in den Besitz Süd- und Transkaukasiens
gesetzt. Der Besitz des Landes, dessen Bevölkerung auch nach der Unter-
werfung leicht zu Unruhen neigt, bedeutet für Rufsland nur eine Etappe
auf dem Weg nach Süden, Südwesten und Osten, auf welchem es eine unver-
gleichliche, ausgedehnte Ausfallsposition bildet. Der Kaukasus bedeutet eine
feste, breite Basis, zu deren Fufs sich Kleinasien und Persien weithin aus-
breiten, und Rufsland scheut keine Mühen und Kosten, dieses zum weiteren
Vorgehen so wichtige Gebiet auszubauen.
Seine gesamten Eisenbahnpläne in Türkisch - Asien und in Persien kann
das Zarenreich sehr bequem an die transkaukasische Bahnlinie ansetzen;
diese durchzieht die ganze, das Schwarze und das Kaspische Meer trennende
Landenge von Osten nach Westen, verbindet Baku mit Batum und ent-
sendet einen Zweig nach Toti.
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Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel-Asien etc. 621
Die genannte Balm ist durch eine Verbindung von Baku nach Petrowsk
an die Eisenbahn Petrowsk — Rostoff und somit an das europäische Eisen-
bahnnetz angeschlossen. Aufserdem stehen noch andere Verbindungen in
Aussicht und da dieselben für die weitere Entwicklung des südlichen Eisen-
bahnnetzes von Interesse sein dürften, so erscheint es angebracht, genauer
auch auf diese einzugehen. Erstens soll eine Bahn von der Linie Rostoff —
Wladikawkas direkt nach Süden, quer durch die Hauptkette des Kaukasus
führend, erbaut werden. Der Ausgangspunkt würde Newinnomizskaja am
Kubanflufs sein; die Linie folgt anfangs dem letzteren aufwärts an den
Städten Bjelonetschetskaja und Bekatzaschinskaja vorüber, gelangt dann in
das Thal des kleineren Nebenflusses Teberda und führt in diesem aufwärts,
bis die Steilgehänge der Hauptgebirgskette erreicht werden. Auf die süd-
liche Seite der letzteren gelangt die Bahn vermittelst eines 8 km langen,
1585 m über dem Meeresspiegel durch den Elbrus, den höchsten Berg des
Kaukasus, zu sprengenden Tunnels und erreicht bei der alten Festung Tze-
faldinsk das Flufsthal der Tschalla. Hier teilt sich die Eisenbahn in zwei
Arme, von denen der eine bei dem Hafen Suchum-Kale das Schwarze Meer
erreicht, während der andere bei der Station Nowo-Sekani an die trans-
kaukasische Eisenbahnlinie unter Benutzung der von letzterer nach Kutais
schon fertiggestellten Zweigstrecke anschliefst. Ein zweites Projekt verläfst
die Bahn Rostoff — Nowossisk zwischen den Stationen Dinskaja und Stenitehe-
naja und führt über Bjedukchersk nach Tuapse an der Küste des Schwarzen
Meeres, von welchem Ort aus sie der letzteren folgend Suchum-Kale und so
mit dem obigen Projekt zusammen die transkaukasische Linie erreicht.
Besonders das erstbezeichnete Projekt würde von grofser Bedeutung sein,
da mit demselben auch der Westrand des Gebirges von einer Eisenbahn um-
zogen würde, während über letzteres sonst nur Kunststraisen, allerdings von
sehr guter Beschaffenheit, führen.
Zwischen der Pforte und Rufsland ist nun ein Vertrag zustande gekom-
men, nach welchem letzteres unter dem Titel Kompensationen für die deutschen
Konzessionen zum Bau der Eisenbahnen nach Basra bei gleichen Bedingungen,
soweit die Türkei nicht selbst Linien baut, das Vorrecht vor allen Bewerbern
um Eisenbahnkonzessionen in Kleinasien nördlich der deutschen Linie erhält.
Die Zustimmung der Pforte zu diesen Abmachungen ist um so bemerkens-
werter, als die türkische Regierung einem früheren russischen Plan einer
Eisenbahn Jallissawetpol an der transkaukasischen Linie nach Bagdad nicht
zugestimmt hat. An diese Strecke sollte sich eine Linie nach Fao am per-
sischen Meerbusen anschliefsen , ferner eine solche nach Tarabulus am Mittel-
meer und eine Bahn nach Täbris.
Die erwähnte Vertragszone umfafst fast das ganze Küstengebiet des
Schwarzen Meeres, nämlich die Vilajets Kastamoni und Trapezunt, ferner
die Vilajets Siwas, Karput und Bitlis mit einer genauen Abgrenzung
im Süden durch die Linie Angora — Siwas, für welche die amitotischen
Bahnen bereits das Vorrecht haben, und Siwas — Van, ferner im Westen
fast bis an Heraklea heran, wo die älteren Vorrechte der anatolischen
Bahnen für den Bau einer Bahn Adabazar — Heraklea ebenfalls respektiert
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Kürchhoff:
werden. Innerhalb dieses Vertragsgebietes sollen etwaige neue Strecken
entweder seiteus der Türkei selbst hergestellt und betrieben werden, oder
sofern letztere hierzu nicht geneigt oder imstande ist, sollen diese Gegenden
unbedingt dem russischen Kapital gewahrt bleiben. Wenn diese Abmachungen
für die Allgemeinheit auch nicht allzuviel Bedeutung haben, so bietet eiue
solche Abgrenzung der Interessensphären doch insofern wesentliche Vorteile,
als Streitereien von vornherein vermieden werden.
Nach dem auf Grund der erwähnten Abmachungen zunächst getroffenen
genaueren russisch - türkischen Abkommen erhält Ru Island das Vorzugsrecht
auf die Erbauung einer Eisenbahn Kars — Erzeruin, zu welcher der russi-
schen Regierung schon am 1. Februar 1900 die Konzession erteilt wurde,
und die von Kars über Sarykamysch bei Kara- Surgen die türkische Grenze
und dann über Hassankaie und durch die Pasiu- Ebene mit einer Gesamt-
länge von 260 km Erzerum erreichen soll. Diese Strecke bildet die Fort-
Setzung der erst kürzlich eröö'neten Linie Tiflis -— Kars, welche ebenso wie
für die russischen Bahnbauten in der Türkei auch für diejenigen in Persien
als Aufangsstrecke gelten kann. Von Erzerum aus soll die oben bezeichnet*
Bahn nach Trapezunt verlängert werden, wozu ebenfalls schon die Konzession
erteilt ist ; von hier soll ein Zweig nach Siwas, ein anderer nach Samsun
am Schwarzen Meer weitergeführt werden.
Die Wichtigkeit der Strecke Kars — Erzerum liegt mehr auf politischem
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als auf kommerziellem oder ökonomischem Gebiet, denn nur ein Riegel ver-
schliefst heute noch Rufslaud den Weg nach Konstantinopel. Es ist dieses
die isolierte Kuppe, der wichtige strategische Punkt, auf dem sich seit sechs
Jahrhunderten das feste Erzerum erhebt. Dieses sperrt allein noch das breite
Ausfallsthor, dessen Flügel Batum und Kars sich schon in russischen Händen
befinden. Allerdings kann die bezeichnete Linie, ohne aber deshalb die Pro-
duktion zu vermehren, den Austausch des Bakupetroleums gegen landwirt-
schaftliche Produkte erleichtern, aber sie wird aller Wahrscheinlichkeit, nach
nicht eine beträchtliche Entwicklung des russischen Handels mit dieser
Region verursachen. Die Linie Erzerum — Trapezunt dagegen würde für das
Land von unzweifelhaftem handelspolitischem Wert sein. Die Entfernuug
zwischen beiden Plätzen beträgt in der bestehenden Karawanenroute unge-
fähr 120 km. Die Eisenbahn würde nun nicht nur die Zeit, die die Waren
im Durchgangsverkehr zwischen der Küste und Erzerum brauchen, von 11
bis 12 Tagen auf ebensoviel Stunden herabmindern, sondern die Fracht würde
sich auf 5 Pfund St. pro Tonne erniedrigen. Besondere Bedeutung würde
aber die Eisenbahn unzweifelhaft dann erhalten, wenn es ihr, was sehr wahr-
scheinlich ist, gelänge, die noch im Boden ruhende Mineralindustrie zur Ent-
wicklung zu bringen.
Besonders viel scheint man sich aber von einer Eisenbahn Samsun —
Siwas zu versprechen. Dieselbe wird ein Land öffnen, das durch seine Land-
wirtschaft berühmt ist, und es würde sich daher ein verhältuisinäfsig grofscr
Lokalhandel entwickeln. Die Russen hoffen durch diese Strecke eiue Basis
für eine friedliche Eroberung des örtlichen Handels und der Industrie zu
erhalten, eiue Basis, die um so günstiger ist, als die geplante Bahn nach
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Eisenbahnen und Eisenbahnplaue in Klein- und Mittel-Asien etc. 623
jeder Richtung hin verlängert werden kann, sie würde in das recht bevölkerte
Gebiet Leben bringen und in Zukunft einen wahrscheinlich nicht unbeträcht-
lichen Gewinn abwerfen.
Diese Linie Sainsun — Siwas war schon früher einer französischen Gruppe
auf 8 Jahre iu Konzession gegeben. Diese Gesellschaft hatte die Absicht,
eine Bahn von Samsun über Siwas und Kaisarie nach Yummurtalik am Busen
vou Alexandrette zu bauen, eine jährliche Kilometergarantie in Höhe von
13 .r>00 Fr. war schon bewilligt, eine Kaution eingezahlt, doch kamen schliefs-
lich nicht die nötigen Geldmittel zusammen.
Es wird ferner schon der Bau einer Linie Siwas — Malatiya — Mardiu
als Verlängerung der erwähnten Strecke Samsun — Siwas erwogen.
Das bisher Angeführte sind die russischen Pläne, soweit solche schon
bis zu einem gewissen Stadium der Entwicklung gediehen sind, aber schon
ein Blick auf die Karte zeigt, dal's noch ungeheuere Flächen der Erschliefsung
harren.
Das türkische Arbeitsministerium hat nun im Anschlufs an die schon
jetzt betriebenen Strecken und die geplanten Linien ein Eisenbahnnetz aus-
gearbeitet, das, ausgenommen die schon seit langem konzessionierte Bahn
Angora — Kaisarie und die beabsichtigte Verbindung der Bagdadbahn über
Aleppo nach Damaskus, aus schmalspurigen Linien besteht. Von Konia soll
eine Bahn südwestwärts nach Adalia am gleichnamigen Golf, nordostwärts
über Ncwschehr nach Kaisarie führen. Von der Linie Haidar-Pascha —
Ismid — -Angora soll bei Adabazar eine Schmalspurbahn über Boli (dort Ab-
zweigung nach Eregli am Schwarzen Meer), Tofia, Tschorum und Amafia
nach Siwas gehen. Bei Amafia soll sich eine Strecke nordwärts nach Samsun
abzweigen, von welch letzterem Ort eine Linie über Vesterkopon nach Sinope,
eine zweite südwestwärts nach Yosgat geplant ist Von Losjuk an der
anatolischen Bahn nördlich Eski- Sehehr soll eine Bahn nach Pondrema ge-
baut und letzteres mit der Station Sorna der Zweigbahn Sruyrna — Kassaba
verbunden werden.
Von der Al'dinbahn ist von deren Endpunkt Dinair der Bau einer
Bahn nach Süden nach Buldur, nordostwärts eine solche zur Linie Karahissar
— Konia beabsichtigt.
Der türkische Generalstab, der ebenfalls an die bestehenden bezw. nahe
vor der Bauausführung stehenden Strecken die Herstellung von Anschlufs-
bahnen wünscht, tritt mit einigen Vollbahuplänen hervor. Er befürwortet
besonders nonualspurig folgende Bahnen:
L Angora — Kaisarie — Kyrschir — Siwas — Zara — Erzinghian — Erzeruni;
2. Konia — Osmanieh — Aintab — Aleppo ;
3. Kyrschir — Maden — Diarbekr — Mossul — Charput — Bagdad.
Ferner schlägt er noch mehrere Schmalspurbahnen vor.
Der Grund für die letztbezeichneten Forderungen liegt in dem Wunsch,
die kleinasiatischen Truppenteile möglichst schnell an der russischen Grenze
versammeln zu können.
Die Erschliefsung des Landes und Erleichterungen im wirtschaftlichen
Verkehr kommen bei den letztgenannten Plänen erst in zweiter Linie.
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t)24 Kü roh b off: Eisenbahnen u.Eitf cnbahnpl »ine in Klein - u. Mittel- Asien.
Auch von privator Seite sind schon neuerdings die Absichten zum weiteren
Ausbau der bestehenden Strecken laut geworden.
Für die Verlängerung der Angoralinie bis Kaisarie hat, wie schon gesagt,
die anatolische Bahn bereits 181)3 die Konzession erhalten, doch konnte die-
selbe bisher noch nicht ausgenutzt werden. Ferner hat die genannte Gesell-
schaft schon das Vorrecht für die Linien Angora — Siwas und Siwas — Van
und endlich für eine Bahn Adabazar — Heraklea.
Eine Eisenbahn Angora — Siwas würde die reichsten Gegenden des inneren
Anatoliens erschließen. Allerdings darf nicht übersehen werden, dafs für
Massengüter die Beförderung bis nach dem Marmarameer zunächst sehr kost-
spielig werden würde, besonders da das Land für europäische Erzeugnisse
noch nicht aufnahmefähig ist und die Wagen somit leer zurücklaufen müssen.
Samsun am Schwarzen Meer, das durch verhältnismäfsig gute Strafsen mit
der Hochebene verbunden ist, wird immer seine natürliche Anzieh ungskraft
auf die Ausfuhr ausüben und es fehlt nicht an Stimmen, welche der Siwas-
linie nur dann Lebens- und Ertragsfähigkeit zusprechen, wenn sie zugleich
eine Abzweigung nach Norden erhielte, die naturgemäfs sich in der gleichen
Hand- befinden müfste. Endlich soll die Gesellschaft der anatolischen Bahnen
die Erlaubnis zum Bau einer Eisenbahn Bagdad — Hankin an der persischen
Grenze erhalten haben. Den Hauptverkehr würden die zahlreichen — bis
zu 13OOÜ0 jährlich — Pilger liefern.
Die Besitzer der Kassababahn möchten gern die Zweiglinie nach Sorna
über diesen Ort hinaus verlängern, um durch die wohlangebautc Nordostecke
Kleinasiens das Marmarameer bei Pandara zu erreichen, trotz wiederholter
Bemühungen ist aber die Konzession noch nicht erteilt.
Die Aidinbahn strebt nach einem zweiten Zugang zur Küste, die sie an
dem am Ende der Ephesusebene gelegenen Hafen Skala -Nora erreichen will.
Zum Schlufs sei noch eines englischen südasiatischen Eisenbahnprojektes
Erwähnung gethan, das aus dem Gedanken heraus entstanden ist, dafs das
südliche Asien unter allen Umständen in die Einflufssphäfe Grofsbritanniens
fallen und von ihm gesichert werden müsse. Die Empfindlichkeit des jetzigen
Hauptweges nach Indien durch den Suezkanal hat die Engländer schon zu
allerlei Plänen einer Landverbindung des Mittelmeeres mit Indien geführt,
aber die einzelneu Vorschläge konnten teils wegen der zu hohen Kosten und
der technischen Schwierigkeiten, teils in Hinsicht auf die leichte Lahmlegung
durch etwaige Gegner nicht zur Ausführung gelangen. Anders verhält es
sich mit dem neuen Vorschlag. Nach diesem soll als westlicher Ausgangs-
punkt unter gleichzeitigem Anschlufs au die geplante transafrikanische Bahn
Alexandrien oder Port -Said in Aussicht genommen werden, und führt die
Bahn von Unterägypten auf dem kürzesten und direktesten Weg über den Sinai -
Isthmus durch Nordarabieu, Südpersieu und Beludschistan nach Indien. Die
politischen Hindernisse bis au die persische Grenze sind nicht als allzu erheb-
lich zu veranschlagen, und technische Schwierigkeiten dürften so gut wie gar
nicht vorhanden sein. Die ägyptische Regierung wird das Unternehmen
freundlich aufnehmen. Das Wüstenland von Arabia Petra ist, nach den vor-
liegenden topographischen Aufnahmen zu urteilen, ohne besondere technische
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Hausrath: Verbreitung der wichtigsten einheimischen Waldbiiume. 025
Schwierigkeiten, wenn auch, bevor das arabische Plateau erreicht wird, die
steinige Senke am El Arabah und der etwas schroffe Anstieg zu überwinden
sind. Die Erlaubnis zur Überschreitung des schmalen Streifens türkischen
Gebiets am Roten Meer und am persischen Golf würde wohl von der türki-
schen Regierung zu erlangen sein. Der Emir von Jebel Schomer, der Souverain
Innerarabiens, hat erst vor kurzem seine freudige Zustimmung zu einer Bahn
durch sein Gebiet kundgegeben, als eine amtliche Gesandtschaft dieserhalb ihn
aufsuchte. Die Tracc quer durch Arabien bietet keine wesentlichen Schwierig-
keiten dar. Eine kurze Zweiglinie würde nach dem Hafen Koweit entsandt
werden, während der Hauptstrang über Basra und um die Ostküste des Golfes
herum durch Südpersien nach Indien führt. Bevor das persische Gebiet er-
reicht wird, mufs die Eisenbahn das Schat-cl- Arab und den die persisch-
türkische Grenze bildenden Kanin Hufs überschreiten und wären an beiden
Stellen erhebliche Brückenbauten erforderlich. Was die technische Seite auf
persischem Gebiet betrifft, so zieht sich längs des persischen Meerbusens ein
für den Eisenbahnbau geradezu idealer flacher, verschieden breiter Landstrich
hin. Für den Teil Bender -Abbas — Karrachi bedarf es weiterer Vermessungen,
jedoch liegen schon ziemlich eingehende Vorarbeiten vor, die von der indischen
Regierung hergestellt worden sind. Es fragt sich aber, ob Rufsland die
Erlaubnis zum Bau dieser Bahn in Persien geben wird, umsomehr als dieses
Verkehrsmittel wahrscheinlich den in diesen Gegenden schon sinkenden Ein-
flufs Englands aufs neue beleben würde. Aber auch schon der Ausbau dieser
projektierten Linie bis zum persischen Meerbusen, der durchaus nicht in das
Gebiet der Unmöglichkeit gehört, dürfte England grofse Vorteile bringen.
In diesem Fall würde sich Koweit, gegenüber dem persischen Haupthafen Buschir
gelegen, vorzüglich als Endstation eignen; von hier aus kann das Mündungs-
gebiet des Euphrat und Tigris beherrscht werden. Es hat den Anschein,
als ob Grofsbritannien schon mit dem den wichtigen Hafen sein Eigentum
nennenden Sultan in nähere Beziehungen getreten ist. (Schlufs folgt.)
Die Verbreitung der wichtigsten einheimischen Waldhänmc
in Deutschland.1)
Von Professor Dr. Hans Hausrath in Karlsruhe.
Wenn ich einer Aufforderung des Herausgebers dieser Zeitschrift folgend
hier den Versuch mache, die Verteilung der Holzarten in den deutschen
Waldungen zu schildern und die Veränderungen zu besprechen, welche diese
im Laufe der Zeiten erfahren hat, so mufs ich vorausschicken, dafs unsere
Kenntnis von der Verbreitung der einzelnen Holzarten innerhalb des Deutschen
1) Dieser Aufsatz ist ziemlich gleichzeitig mit dem Aufsatz von Dr. Grad-
mann über das mitteleuropäische Landschaftsbild eingelaufen; daraus erklären sich
einige Wiederholungen. D. Red.
UeotfrtpbUcl.« Zeiuchrift. 7 Jahr^inr UWL 11 Heft. 42
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626
Hann Hausrath:
Reiches noch viele Lücken aufweist, dafs also nur ein Bild in groben Um-
rissen entworfen werden kann.
Die natürlichen Faktoren, welche die Verbreitung der Holzarten zu be-
stimmen vermögen, sind Boden und Klima. Das letztere ist im all-
gemeinen in ganz Deutschland dem Gedeihen aller unserer Waldbliume günstig,
insbesondere reicht im Flachlande und den niedrigeren Teilen der Gebirge
die Wärme für den Vegetationsprozefs und die Bildung keimkräftiger Samen
unserer einheimischen Holzarten völlig aus, in den höheren Lagen der Ge-
birge bestimmt sie freilich die obere Grenze des Vorkommens einer Holzart,
die, wie die folgende Übersicht zeigt, im Süden bedeutend höher liegt als
im Norden.
Obere Grenie de» Vorkomment nach Willkomm u Heft ')
im
Har«
Th dring. Wald
.Schwanwald
Bayr. Alpen
580
580
970
920
660
800
1300
1500
812
1300
1500
1000
1000
1600
1800
GÖO
780
1200
1600
Queren» sessiliflora
Kagns frilcatica . . .
Abies pectinata . . .
Picea excelsa
ISnus silvestris . . .
Die Luftfeuchtigkeit, die Niederschlagsmenge, speziell die Schneemenge,
die Häufigkeit der Spät- und Frühfröste können dafür entscheidend sein, ob
in einem kleineren Gebiete eine Holzart sich zu erhalten vermag; bei den
verschiedenen Ansprüchen und der ungleichen Empfindlichkeit unserer Bäume
bestimmen sie ferner in den sich selbst überlassenen Wäldern oft, welche
Holzart die Herrschaft erlangt und andere verdrängt, aber ein absolutes
Hindernis für das Gedeihen einer Art stellen sie nicht dar. Auch der Wind
ist kein solches, wennschon er an der Seeküste vielfach den Baum wuchs
hemmt, hin und wieder im Hochgebirge bizarre Wuchsformen veranlagst und
in den gleichförmigen Kulturwaldungen, welche im Laufe des 19. Jahr-
hunderts vielfach an die Stelle naturgemäfserer Waldformen getreten sind,
furchtbare Verheerungen anrichtet.
Die Bodenverhältnisse vermögen ausschliersend zu wirken, insofern auf
den ärmsten trockenen Sandboden nur Kiefer und Birke gedeihen, die Laub-
hölzer im allgemeinen anspruchsvoller sind als die Nadelhölzer, hohe Bodennässe
nur von einigen Holzarten — Weiden, Erlen, Pappeln, weniger schon Fichte
und Esche — gut ertragen wird. Sie verursachen daher das Fehlen mancher
Holzart in einzelnen Örtlichkeiten und auch ganzen Landstrichen. Fafst man
aber gröfsere Gebiete ins Auge, so ist die Bodenbeschaffenheit wohl nirgends
so gleichartig, dafs nicht für jeden unserer Waldbäume an der einen oder
anderen Stelle die Möglichkeit des Gedeihens geboten wäre; ein absolutes
Hindernis bildet die Bodenbeschaffenheit in Deutschland für die horizontale
Verbreitung der Holzarten nicht. Wenn diese trotzdem sehr ungleichförmig
1) Willkomm: Förmliche Flora von Deutschland und Österreich. Hefs:
Das forstliche Verhalten etc.
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Verbreitung d. wichtigsten einheimischen Waldbäume in Deutsehl. 027
ist, wenn in einzelnen Gebieten die Waldungen überwiegend oder gar lediglich
von einer Baumspezies gebildet werden, so liegt das eben daran, dafs
in den Beständen fortgesetzter Kampf zwischen den einzelnen Bäumen
herrscht, aus dem, falls der Mensch nicht eingreift, die als Sieger hervor-
gehen, denen Boden und Klima am meisten entsprechen. Nicht zu leugnen
ist aber, wie wir noch sehen werden, dafs der Mensch auch einen wesent-
lichen Einflufs auf die Verteilung der Holzarten ausgeübt hat und immer
mehr ausübt.
Die beiden deutschen Eichen arten (Q. scssiliflora u. Q. pedunculata) fehlen
innerhalb der Grenzen ihrer horizontalen Verbreitung keinem Gebiete des
Deutschen Reiches ganz, aber in dem gröfsten Teile des deutschen Ostens sind
noch nicht einmal 5% der Waldfläche mit Eichen bestockt; reich an Eichen
sind dagegen die Waldungen der rheinischen Gebirge, Unterfrank ens, West-
falens und Oldenburgs.
Die Rotbuche (Fagus silvatica) fehlt gänzlich nur dem nördlichen Teile
der Provinz Ostpreufsen, die sonstige Verteilung ist sehr ungleichmäfsig, in
Oberhessen, Nassau, Waldeck und Lippe besteht noch über die Hälfte
der Waldungen aus Buchen, reich vertreten ist sie in allen Forsten Süd-
und West -Deutschlands, aber auch mitten in dem grofsen Kieferngebiet
des Nordostens liegen wie Inseln eingesprengt grofse und fast reine Buchen-
bestände.
Die Kiefer (Pinus silvcshis) ist heute über ganz Deutschland verbreitet,
sie ist der herrschende Baum des deutschen Ostens, wo sie zum Teil mehr
als 7(>°/0 der Bestückung bildet, relativ selten ist sie im Harze und den süd-
deutschen Gebirgen, während sie in der Rheinebene ziemlich häufig — aller-
dings in Form künstlichen Anbaues — vorkommt. Dabei zeigt die Kiefer
in Süddeutschland im Gebirge und Hügelland ein viel besseres Gedeihen als
in der Ebene, sie hat hier den Charakter eines Gebirgsbaumes, während sie
im Norden entschieden im Flaehlande heimisch ist und dort die besten Lebens-
bedingungen findet.
Die Fichte (Picea exerha) wird in der Reichsstatistik1) leider nicht
von der Weifstanne (Abies pectituita) unterschieden, obwohl die Verbreitung
beider durchaus nicht übereinstimmt. Die Fichte ist die herrschende Holzart
der deutschen Alpen, der schwäbisch-bayrischen Hochebene, des bayrischen
und Böhmerwaldes, des Erzgebirges, der Sudeten, des Fichtelgebirges, Thü-
ringerwaldes und des Harzes, sie nimmt starken Anteil an der Bestückung
des Schwarzwaldes, bildet zu einem Drittel die Wildungen Ostpreufsens,
während sie im übrigen norddeutschen Flachlande und im Rheingebiete ziem-
lich selten ist, dem Nordwesten Deutschlands von Natur wohl ganz fehlt.
Für keine Holzart hat die Forstkultur mehr hinsichtlich der Verbreitung
gethau als für die Fichte.
Die Tanne ist in ihrer Verbreitung beschränkt auf die deutschen Mittel-
gebirge, das nördlichste natürliche Vorkommen findet sich bei Sorau unter
51° 41' n. Br. Dafs ihr Gedeihen aber auch im norddeutschen Flachlande
1) Anbau-, For«t- und Erntestatistik für daj Jahr 1893.
42*
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628
Hans Hausrath:
möglich wäre, zeigen die schönen Tannenalthölzer bei Kiel und Aurich, die
aus dem Ende des 18. Jahrhunderts stammen und sich jetzt z. T. von selbst
verjüngen.
Trennen wir nur nach Laub- und Nadelholz, so können wir 9agen, das
erstere wiegt vor in Schleswig-Holstein, dem rheinischen Schiefergebirge, dem
Hunsrück, der Pfälzer Hardt, den Vogesen und der lothringischen Hoch-
ebene, in der schwäbischen Alb, den Fildern und dem Hügellande zwischen
Neckar und Main, im Odenwald und Welzheimor Wald, ferner im Steiger-
wald, Spessart, in der Rhön, dem Vogelsberg, dem Taunus, der Thüringer
Mulde, dem Solling, Süntel und Deister. Im ganzen übrigen Deutschland
herrscht das Nadelholz vor, in der Ebene die Kiefer, in den Gebirgen Fichte
und Tanne.
Über die Bewaldung Deutschlands in früheren Zeiten sind uns nur spär-
liche Nachrichten überliefert, die jedoch im Verein mit Zeugnissen mancherlei
Art einige wichtige Thatsachen festzustellen erlauben. Für die ältesten Zeiten
kommen dabei hauptsächlich in Betracht die Funde, welche man in Torf-
mooren gemacht hat, die in Holzstücken, Blatt- und Bltitenresten bestehen.
Es gehen diese Funde zurück bis zur Eiszeit, eine genaue Bestimmung aber,
aus welcher Zeit, etwa welchem Jahrhundert, sie stammen, ist in der Regel
ganz unmöglich. Pfahlbaureste, Gräberinhalte und ähnliche Funde haben
ebenfalls schon manchen Aufschlufs über die frühere Bewaldung gegeben.
Für das Mittelalter können die Orts- und Flurnamen zu Rate gezogen werden,
in ihnen, die vielfach von dem früheren Zustande der betreffenden örtlichkeit
hergeleitet sind, sind vielfach Baumnamen enthalten, und dann beweisen sie
dafs die fragliche Holzart in jener Gegend früher vorgekommen sein mufs
auch wenn sie heute fehlt. Für die zweite Hälfte des Mittelalters und für
die neuere Zeit bringen manchen Aufschlufs die Aufzeichnungen der alten
Rechte, die Weistümer, Dingrotel etc., die Forst- und Waldordnungen der
Landesherren, die Verwaltungsakten und ähnliche Dinge, ein Material, das in
dieser Beziehung wie überhaupt für die Geschichte unserer Waldungen noch
viel zu wenig ausgenutzt ist.
Aus den in Torfmooren, Pfahlbauten und Gräbern gemachten Funden
geht hervor, dafs abgesehen von den erst in historischer Zeit eingeführten
Holzarten, wie Edelkastanie, Weymutskiefer, falscher Akazie, alle heute in
Deutschland wachsenden Waldbäume auch schon in der Diluvialperiode hier
einheimisch waren und damals oft eine gröfsere Verbreitung besafsen als heute.
So stellte C. A. Weber in dem Torflager zu Honerdingen in der Lüneburger
Heide ein so massenhaftes Auftreten von Weifstannenresten fest, dafs er sie
direkt als Leitfossil benutzen konnte, während sie heute der Gegend ganz
fehlt.
Vielfach hat man in Torfmooren die Beobachtung gemacht, dafs in den
unteren Schichten ganz andere Arten vertreten sind als in den oberen, dafs
eine Art erst spärlich auftritt, dann ein Maximum erreicht und darauf wieder
seltener wird oder ganz fehlt, während allmählich eine andere an ihre Stelle
tritt. Man kann danach Horizonte unterscheiden, und mehrfach sind diese
benutzt worden, um Schlüsse zu ziehen auf die frühere Vegetation und ihre
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Verbreitung d. wichtigsten einheimischen Waldbäume in Deutsch 1. 629
allmählichen Veränderungen. So giebt Blytt1) auf Grund der Funde in
skandinavischen Mooren folgende Darstellung des Klimas und der Vegetation
in Norwegen:
I. Postglaciale Periode (Dryaslehm mit Resten von
Salix polaris, Betula nana).
IL Subglaciale Periode. Klima feucht. Betula odorata , Populus tre-
mula.
III. Subarktische Periode. Klima trocken, die Kiefer wandert ein.
IV. Infraboreale Periode. Klima feucht, die Kiefer herrscht, gegen Kälte
empfindliche Holzarten fehlen.
V. Boreale Periode. Klima warm und trocken, Eiche und Haselnufs
treten häufig auf.
VT. Atlantische Periode. Klima feucht und mild, die Traubeneiche herrscht.
VII. Subborealc Periode. Klima trocken, Eiche und Haselnufs häufig.
VIII. Subatlantische Periode. Klima feucht, moderne Torfbildung tritt ein.
Gründen sich solche Schlufsfolgerungen auf die Untersuchung einer
ganzen Reihe von Torflagern der betreffenden Gegend, so können sie einen
hohen Grad von Wahrscheinlichkeit beanspruchen, zu warnen ist aber vor
einer Verallgemeinerung der an einer einzelnen Fundstelle gemachten Beob-
achtungen. Denn erhalten blieben im Torfe in erster Linie und sind daher
am häufigsten darin vertreten Reste der Pflanzen, die auf und in der nächsten
Umgebung seines Bildungsortes wuchsen, zweitens solche, die aus der weiteren
Umgebung durch den Wind und Wasserläufe herbeigefühlt wurden. Dabei
spielt aber das Gewicht eine erhebliche Rolle, und darum ist denkbar, dafs
von einer Holzart, z. B. Eichen oder Buchen, die nur einige hundert Meter
vom Rande des Moores etwa durch eine nur wenige Meter hohe Boden-
schwelle getrennt standen, sich keine Reste erhielten. Das Fehlen von solchen
berechtigt nicht an und für sich zu dem Schlüsse; dafs diese Holzarton über-
haupt damals in der Gegend fehlten. Die Vertretung der einzelnen Holz-
arten in den gefundenen Resten braucht daher auch durchaus kein getreues
Spiegelbild zu sein von der Häufigkeit ihres einstigen Vorkommens, und
ebenso wird umgekehrt dort, wo die Verhältnisse die Einschwemmung von
Pflanzenresten aus gröfseren Entfernungen möglich erscheinen lassen, aus dem
Funde vereinzelter Teile einer Pflanze nicht geschlossen werden dürfen, dafs
die Art in der Gegend heimisch gewesen sei.
Unter diesem Vorbehalte betrachtet liefern uns die Funde in den Torf-
mooren einmal den Beweis für die oben aufgestellte Behauptung, dal's unsere
einheimischen Holzarten bereits in der Diluvialperiode in Deutschland vor-
kamen und teilweise eine gröfsere Verbreitung besafsen als heute; zweitens
berechtigen sie uns $u der Annahme, dafs Kiefern, Birken, Weiden, Erlen und
Fichten die ersten Holzarten waren, welche nach dem Ende der Eisbedeckungen
von dem wieder frei gewordenen Boden Besitz ergriffen. Es erklärt sich das
zunächst aus dem geringeren Wärraebedürfnisse dieser Holzarten, weiter auch
1) Kngler's Botan. Jahrbuch 1893, Beiblatt: Blytt Zur Geschichte der nord-
europäischen Flora.
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Ü30
Hans Hauarath:
aus der Thatsaehe, dafs sie durch den Wind verbreitet werden, der ihre
leichten, noch dazu geflügelten Samen über weite Strecken fortzutragen ver-
mag. Nur sehr viel langsamer vermochten die schwerfrüchtigen Eichen und
Buchen ihnen zu folgen, deren Samen meist im Schirmbereiche des Mutter-
baumes liegen bleibt, an Berghängen wohl auch durch Rollen und Springen
bis etwa 30 m nach abwärts zu gelangen vermag, gelegentlich auch von
Wasserläufen fortgetragen wird, dabei aber leicht seine Keimkraft verliert.
Die Verbreitung wird meist durch Tiere bewirkt^ die den Samen verschleppen,
verstecken und dann vergessen. Ganz besonders thätig sind dabei die
Häherarten.
Für die weiteren Verschiebungen im Holzartenbestande unserer Waldungen
ist es nicht erforderlieh , eine Änderung des Klimas seit dem Ende der Di-
luvialzeit anzunehmen. Gewifs würde eine solche auch grofse Änderungen
in der Vegetation hervorgerufen haben, und wäre sie erwiesen, so würden
wir in ihr die Hauptursache des Wechsels der Holzarten sehen müssen, aber
m. E. genügen die andern heute noch wirkenden Faktoren völlig, um diesen
zu erklären. Bleibt heute ein abgeholzter Schlag sich selbst überlassen,
wird ein Acker, ein Stück Wiesenland aufgegeben, so sehen wir nach kurzer
Frist Birken, Aspen, Kiefern und Fichten sich darauf ansiedeln, wenn in der
Nähe einige ältere Stämme dieser Arten stehen. Zunächst überwiegen die
Birken, sie eilen den Nadelhölzern weit voraus, wenn aber der Boden
diesen entspricht, so ändert sich vom 10. bis 20. Jahr ab das Bild: Kiefern
und Fichten wachsen in den Kronenraum der Birken hinein, beengen sie
immer mehr, überwachsen sie und schliefslich sterben die Birken aus Licht-
mangel ab. Aber auch die Kiefer und Fichte behalten nicht überall auf die
Dauer die Herrschaft; wo Boden und Klima ihnen zusagt, finden sich, wenn
die erste Baumgeneration infolge höheren Alters sich lichter stellt, Buchen
und Eichen ein und verdrängen vielfach den Nachwuchs jener. So berichtet
Sernander1) aus Norwegen, dafs dort die Buche ohne Zuthun des Menschen
eindringe in die Fichtenwaldungen und diese vielfach verdränge; in den Vor-
bergen des badischen Schwarzwaldes stellt sich auf kräftigem Boden auch
die viel lichtbedürftigere Eiche in Tannenwaldungen ein und vermag sich zu
erhalten, auf den Molasseböden der Bodenseegegend macht die Esche der Fichte
vielfach den Platz streitig. In diesem Kampfe haben die Laubhölzer den Vorteil,
dafs sie viel weniger durch Insekten und Pilze gefährdet sind als die Nadel-
hölzer und nach eingetretenen Beschädigungen sich viel leichter erholen als
jene, die vielfach daran eingehen. Schliefslich darf nicht übersehen werden, dafs
der Mensch seit seinem Auftreten, zumal aber, nachdem er zur Weidewirt-
schaft übergegangen, die Entwickelung der Vegetation wesentlich beeinflufst
hat. Das von den Hirtenvölkern geübte Abbrennen der Weideflächen soll die
Holzgewächse beseitigen, den Graswuchs verbessern; es begünstigt indirekt
die Laubhölzer, welche vom Wurzelstock auszuschlagen vermögen, während
die Nadelhölzer sich nicht wieder erholen können. Kehren diese Feuer in
1) Sernander: Die Einwanderung der Fichte in Skandinavien. Engler's
Botan. Jahrbuch XV.
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Verbreitung d. wichtigsten einheimischen Waldbäume in Deutschi. 631
kurzen Perioden wieder, so wird der Nadelholznachwuchs vernichtet. Be-
sonders gefährdet ist in dieser Beziehung die dtinnrindige Fichte, und es ist
vollkommen glaubhaft, wenn Sernander behauptet, der Weidebetrieb der
Lappen mit seineu jährlich wiederkehrenden Weidebräudeu sei es, welcher
dem Vordringen dieser Holzart nach dem Norden Skandinaviens ein Hinder-
nis bereite, nicht das Klima. Ähnliche Vorgänge müssen sich in Deutschland
vollzogen haben; zum Beleg erinnere ich daran, dafs die ersten Schriftsteller,
welche die Germanen erwähnen, sie als ein Viehzucht treibendes Noraaden-
volk schildern, dafs ihre ältesten innerpolitischen Organisationen, die Hundert-
schaften, wie Meitzen1) nachgewiesen hat, hervorgegangen und angepafst sind
den Bedürfnissen eines Hirtenvolkes, und weiter, dafs die Ernährung solcher
Menschenmengen, wie wir sie nach den Schilderungen der römischen Schrift-
steller annehmen müssen, durch die Viehzucht nur möglich war, wenn der
geschlossene Urwald auf weiten Flächen räumigen Weidebeständen gewichen
war, unter deren lichtem Schirme die Futtergewächse zu gedeihen ver-
mochten. Das bekannte „silvis et paludibus horrida" des Tacitus darf nicht
wörtlich ausgelegt werden. Wie sich unter dem Einflüsse dieser verschiedenen
Faktoren der Kampf zwischen den Holzarten im einzelnen gestaltet hat, läfst
sich natürlich nicht mehr feststellen, es möge genügen, die Verteilung des
Laub- und Nadelholzes in der zweiten Hälfte des Mittelalters — etwa um
das Jahr 1300 — zu schildern, um deren Erforschung sich besonders
E. Krause und F. Höck in Norddeutschland, Tscherning und Gradmann in
Süddeutschland verdient gemacht haben "). Aus der Betrachtung der deutschen
Ortsnamen hat v. Berg 1871 in seiner Geschichte der deutschen Wälder den
Schlufs abgeleitet, dafs das Laubholz früher eine viel gröfsere Verbreitung
besessen haben müsse als heute. Von 6905 mit Holzartennamen gebildeten
Ortsbezeichnungen weisen nur 790 auf Nadelholz hin, 6115 auf Laubholz,
ja auch in Gebieten, in denen heute das Laubholz fast ganz fehlt oder doch
sehr hinter dem Nadelholz zurücktritt, sind in den Ortsnamen die Laubhölzer
viel stärker vertreten als die Nadelhölzer, im Königreich Sachsen 93 gegen
22, in der Mark Brandenburg 139 gegen 4. Dieser Schlufs wird bestätigt
durch die urkundlichen Nachrichten über die Waldnutzungen in jenen Zeiten
und über die Versuche, das Nadelholz an Orten einzubürgern, wo es bisher
fehlte. Wir dürfen danach annehmen, dafs folgende Gebiete um 1300 nur
Laubwald trugen, dafs in ihnen die Nadelhölzer ganz fehlten oder höchstens
an einzelnen Stellen in Gestalt von Reliktenhorsten sich erhalten hatten:
1) Meitzen: Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgennaiien
etc. B. 140 ff.
2) E. Krause: Beiträge zur Verbreitung der Kiefer in Norddeutschland in
Kngler's Botan. Jahrbm-h XI; Historisch-geographische Bedeutung der Begleitpflanzen
der Kiefer in Botan. Berichte XI und die Florenkarte von Norddeutschland in
Petermann's Mitteilungen 1802, Heft 10. — F. Höck: Nadelwaldflora Norddeutseh-
lands in Kirchhoff, Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde VII. 4 —
Tscherning: Beiträge zur Forstgeschichte Württembergs. Stuttgart 1854. —
Gradmann: Pflanzenleben der schwäbischen Alb, Stuttgart 18<jh, und Der ober-
germanisch-rhätische LiniPS und das fränkische Nadelholzgebiet, in Peterinann's
Mitteilungen 189«, IH.
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(332
Hans HauBrath:
1. Nordhannover, Schleswig-Holstein, Oldenburg und das nördliche West-
falen. Die Lüneburger Heide trug im 13. Jahrhundert Eich waldun gen,
von denen heute nur noch spärliche Reste erhalten sind , die Nadel-
waldungen, welche heute hier vorwiegen, sind meist erst im Laufe des
19. Jahrhunderts entstanden.
2. Die rauhe Alb und die Fildern.
3. Das obere rechte Rheinthal von Karlsruhe bis Mainz, der westliche
Odenwald und die Gegend um Frankfurt a. M. Weitere Untersuchungen
werden vielleicht noch für andere Gebiete die gleiche Thatsachc fest-
stellen. Jedenfalls überwog das Laubholz im gröfsten Teile Deutsch-
lands, ein Vorherrschen des Nadelholzes haben wir nur anzunehmen für
den Osten des deutschen Flachlandes — Ost- und Westpreufsen, einen
Teil der Mark, Schlesien östlich der Oder, ferner für die Böhmen um-
rahmenden Gebirge, für den Thüringer Wald und Harz, die fränkische
Hochebene, die Alpen und den höheren Schwarzwald, aber auch in
allen diesen Gebieten war das Laubholz damals viel reichlicher ver-
treten als heute, das Erzgebirge z. B., in dem heute der Laubwald nur
3,5% der Waldfläche einnimmt, hat noch im Anfang des 19. Jahr-
hunderts ausgedehnte reine Buchenbestände gehabt1). Und ähnliche
Wandlungen können wir an vielen Orten feststellen, sie haben den
früher geschilderten heutigen Zustand herbeigeführt, dafs % der Wald-
fläche dem Nadelholz, nur 1/s dem Laubholz gehören, dafs die Gebiete
mit reiner Laubholzbestockung verschwunden sind.
Die Ursachen dieser Verschiebung sind mannigfacher Natur. Zunächst
kommt in Betracht, dafs die Laubwaldungeu im allgemeinen den fruchtbareren
lehm- und thonreichen Boden bestocken, von diesen Böden ist aber ein be-
trächtlicher Teil im Laufe der Zeit zur landwirtschaftlichen Nutzung heran-
gezogen worden, die Waldungen wurden gerodet, wobei das Laubholz relativ
viel gröfsere Einbulsen erlitt als das Nadelholz. Dieser Vorgang hat sich
im Süden und Westen Deutschlands in der Hauptsache erst im Laufe des
19. Jahrhunderts vollzogen, denn hier ging vom 14. bis zum Ende des
18. Jahrhunderts das Streben der Regierungen in der Regel dahin, die vor-
handenen Waldungen zu erhalten. Nur im Innern der menschenarmen Wald-
gebirge sind wie im Osten der Elbe die Rodungen bis in das 17. Jahrhundert
hinein begünstigt worden. Der Wunsch, die Waldfläche ungeschmälert ?.u
erhalten, war ursprünglich wohl der Jagdliebe der Landesherren entsprungen,
schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts aber trat in den dicht bevölkerten
Gegenden des Südens und Westens die Sorge für die Befriedigung des
wachsenden Holzbedarfes, für die Erhaltung und Steigerung der recht an-
sehnlichen Einnahmen hinzu, welche Eichen- und Buchenwälder durch die
Möglichkeit lieferten, in ihnen Schweine zu mästen8). Das Streben, die
Eichen zu schonen, ist nun aber wohl auch die Ursache gewesen, dafs die
1) Beck: Ergebnisse der Erhebungen bezüglich der Verbreitung ete. Aus dem
Walde 1898, S. 269 ff
2) Der Bischof von Speyer bezog aus der ca. 8000 ha grofsen Lufshard 1645
10000 fl. EckerichBgeld.
Di
Verbreitung d. wichtigsten einheimischen Waldbäu nie in Deutschl. (533
ersten Versuche gemacht wurden, Nadelholz anzubauen in Gegenden, in denen
es bisher fehlte, um so für Bauten einen Ersatz für das Eichenholz zu
schaffen. So wandte sich 1420 der Rat der Stadt Frankfurt an den von
Nürnberg mit der Bitte um Zusendung von Kiefernsamen und eines mit der
Aussaat vertrauten Mannes, und eine Notiz in der Stadtrechnung besagt aus-
drücklich, man habe einen Versuch machen wollen, ob Nadelholz in der
Gegend gedeihe1). Das gleiche Ersuchen richtete 1498 der Markgraf Christoph
von Baden an den Nürnberger Rat; für die Pfalzer Waldungen bei Sehwetzingen
und Worms schlägt ein Gutachten aus dem Jahre 1576 den Bezug von
Tannensamen aus der Oberpfalz vor mit der Begründung: da er nit des
Landes art.
Wesentlich begünstigt wurde die Verbreitung des Nadelholzes in Ge-
bieten, in denen es bereits vorkam, dann durch die Verwüstungen, welche
der dreifsigjährige und die Kriege Ludwig's XIV. hervorriefen. Es ist ja be-
kannt, dafs damals zahlreiche Orte ganz eingingen, dafs ganze Gemarkungen
öde liegen blieben und sich im Laufe der Jahre mit Hecken oder Wald über-
zogen. Dabei hatte aber die Kiefer, wie früher erörtert, einengrofsen Vor-
sprung vor den Laubhölzern und thatsäehlich sind ihr damals ausgedehnte
Landstrecken zugefallen, was unter anderm durch die Verhandlungen bestätigt
wird, die später über ihre Wiederurbarmachung geführt wurden.
Der Hauptgrund aber für das Vordringen der Nadelhölzer liegt in der
Ent Wickelung, die die Waldwirtschaft in den beiden letzten Jahrhunderten
genommen hat. Zwar hat schon das ausgehende Mittelalter eine geordnete
Waldwirtschaft entstehen sehen, schon im 14. Jahrhundert wurden Saaten
von Laub- und Nadelhölzern ausgeführt und in vielen Gegenden herrschte
ein Mittelwaldbetrieb, der trotz mancher Mängel geeignet war, die Erhaltung
des Waldes sicher zu stellen, im 16. Jahrhundert wurden in vielen Staaten
energische und vielfach von Erfolg begleitete Versuche gemacht, nicht nur
die Nutzungen am Walde zu regeln, sondern auch dessen Zustand zu ver-
bessern. Aber der dreifsigjährige Krieg vernichtete diese Ansätze, und in
den darauf folgenden Jahrzehnten war angesichts der verminderten Bevölkerung
Deutschlands kein Anlafs vorhanden, darum zu sorgen, die Waldungen möchten
zur Befriedigung des Holzbedarfes nicht ausreichen, vielmehr wurden sie ohne
Rücksicht auf die Zukunft herangezogen zur Füllung der landesherrlichen
Kassen und zur Unterstützung der Landwirtschaft durch Waldweide, ins-
besondere auch mit Schafen, und Streuabgabe. Die letztere, für den Wald
besonders gefährliche Nutzung hat in vielen Gegenden sicher erst nach dem
dreifsigjährigen Kriege Eingang gefunden. Die Folge dieser Vorgänge war,
dafs in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Waldungen in einem grofsen
Teile Deutschlands in einem sehr schlechten Zustande waren, grofse Blöfsen
und viele verhauene Bestände aufzuweisen hatten, so dafs bei den damaligen
Transportverhältnissen, die einen Holzbezug nur auf dem Wasserweg erlaubten,
die Furcht vor einem Holzmangel nicht unbegründet war, wie er denn am
Ende des Jahrhunderts an einzelnen Orten auch thatsäehlich eingetreten ist.
1) Fei In er: Geschichte des Stadtwaldes von Frankfurt a. M. Frankfurt 1896.
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Hans Hausrath:
Die Erkenntnis dieser Zustände führte einerseits zu einer energischen Kultur-
thätigkeit, bei der die rascher wachsenden und anspruchsloseren Nadelhölzer,
die darum auch auf verengertem Boden nicht so leicht versagten als die
Laubhölzer, speziell als Eiche und Rotbuche, bevorzugt wurden, andererseits
zur Ausbildung derjenigen Art der Waldverjüngung, welche bis in die Mitte
des 19. Jahrhunderts in Deutschland die gröfste Verbreitung gehabt, der
Schirmschlagform. Diese ist wohl geeignet, auf nicht gerade armen Böden
geschlossene Buchenjungwüehse mit Hilfe des Samenabfalles der alten Stämme
zu erzielen; und da die Rotbuche das beste Brennholz liefert, war dies fftr
die Forstwirte einer Zeit, in der die Steinkohlenfeuerung in vielen Gegenden
noch unbekannt war und die Bestrebungen der Regierungen, sie einzufahren,
vielfach bei der Bevölkerung auf Widerstand stielsen, ein erstrebenswertes
Ziel. Aber es konnte nur erreicht werden unter Verzicht auf die Beimischung
anderer Holzarten, diese werden in den meisten Fällen von der Buche über-
wachsen und scheiden dann aus dem Bestände aus. Dafs unsere Waldungen
heute so viel ärmer an Eichen sind als vor hundert Jahren, ist in erster
Linie hierauf zurückzuführen. Die Versuche aber, auch andere Holzarten aut
diese Weise zu verjüngen, haben in vielen Fällen keinen guten Erfolg gehabt
und dazu beigetragen, dafs die Forstwirte in vielen Gebenden sich immer
mehr der künstlichen Kultur zuwandten, zumal ihre Methoden in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer hohen Vollendung gediehen waren.
Die Veranlassung hierzu lag in der Notwendigkeit, die grofsen Blöfsen
aufzuforsten, herabgekommene Bestände künstlich zu verjüngen, die in den
Kriegszeiten von 1792 bis 1815 entstanden waren. Bei all diesen Auf-
forstungen überwog das Nadelholz. Seine Verwendung war gewifs viel-
fach notwendig, weil die Laubhölzer auf dem heruntergekommenen, durch
Verengerung oder Streunutzung verarmten Boden versagt hätten; an manchen
Orten mag auch das Sinken des Grundwasserspiegels infolge von Drainagen
und Entwässerungen des benachbarten Geländes den Übergang zur Kiefer er-
zwungen haben, zu leugnen ist aber auch nicht, dafs man hie und da zu
weit gegangen ist, zum Anbau von Fichte oder Kiefer schritt, nur weil dieser
sich leicht und sicher vollzieht , obwohl der alte Laubholzbestand ganz gut
auf natürlichem wie künstlichem Wege hätte verjüngt werden können.
Die Umgestaltung der Verkehrsverhältnisse in Deutschland durch die
Eisenbahnen, die dadurch ermöglichte Ausbreitung der Steinkohlenfeuernng
und die so bewirkte Entwertung des Brennholzes sind dann in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts ein weiterer und sehr gewichtiger Anlafs ge-
wesen, den Anbau des Nadelholzes auf Kosten der Buche zu begünstigen.
Denn nicht ist zu leugnen, dafs die Kiefer bei ungefähr gleichen Massen
mehr Nutzholz, also höhere Werte liefert, als die Buche, dafs die Fichte aber
sowohl gröfsere als wertvollere Holzmengen erzeugt als jene. Das Streben,
durch Anbau der Fichte und Kiefer die Walderträge zu steigern, ist heute
wohl der ausschlaggebende Grund für die Zurückdrängung des Laubholzes in
vielen Waldungen. Nur freilich erhebt sich die Frage, oh die Umwandlung
nicht bereits zu weit gegangen sei, ob den reinen Nadelholzbeständen nicht
beträchtliche Gefahren drohen, die in dem gemischten Walde hinwegfallen.
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Verbreitung d. wichtigsten einbeimischen Waldbäuine in Deutschi. 635
Und leider mufs diese Frage entschieden bejaht werden. Die reinen Bestände
leiden viel mehr durch Schnee und Windbruch, die Insekten treten in ihnen
viel häufiger in gefahrbringenden, ja vernichtenden Mengen auf. Auch dem
Laien wird wohl noch in Erinnerung sein, dafs in Oberbayern 1890 bis 1892
ausgedehnte Fichtenwaldungen zum Einschlag gebracht werden mufsten, weil
sie von der Nonne kahl gefressen worden waren. Der gröfste Schade geschah
im Ebersberger Park bei München, in dem über 1000 ha kahl abgetrieben
werden mufsten. Der Wald bestand aus Fichten mit einzelnen Buchen.
Noch am Ende des 17. Jahrhunderts war es dagegen ein aus Eichen und
Buchen gemischter Wald, in dem nur einzelne Fichten vorkamen1). Wohl
durch Fehler in der Wirtschaft begünstigt, hat die Fichte dort allmählich die
Eiche und Buche ganz verdrängt, ein reiner Fichtenwald entstand, der auch
dem Standort ganz angemessen erschien, bis jene Kalamität eintrat.
Die moderne Forstwissenschaft vertritt nun freilich schon seit Jahr-
zehnten den Standpunkt, dafs eine Rückkehr zu den gemischten Waldungen
notwendig sei, dafs dem Laubholz wieder mehr Anteil an der Bestandes-
bildung gewährt werden müsse, und viele Forstverwaltungen haben dieses
Programm zu dem ihren gemacht. Trotzdem zeigt die Statistik, dafs von
1883 bis 1893 die Fläche des Nadelholzes noch um ca. 1% zu-, jene des
Laubholzes um diesen Betrag abgenommen habe. Dieser Widerspruch erklärt
sich wohl zum gröfsten Teile daraus, dafs wir heute an vielen Orten reine
Buchenbestände abnutzen und an ihre Stelle — mit vollem Rechte — Jung-
wüchse setzen, in denen die Nadelhölzer in erheblicher Menge vertreten sind.
Dadurch wird natürlich eine weitere Verminderung der Laubholzfläche herbei-
geführt. Zu wünschen ist aber, dafs in der Beimengung des Nadelholzes
nicht zu weit gegangen und umgekehrt auch für die Einbürgerung von Laub-
holz in jene Waldungen gesorgt werde, die jetzt nur aus Nadelholz bestehen.
Es empfiehlt sich das nicht nur wegen der Verminderung der Gefahren und
weil im Mischwuchse erfahrungsgemäfs wertvollere Stämme erwachsen als im
reinen Bestände, sondern auch darum, weil wir nicht wissen können, welche
Holzarten am meisten begehrt und am besten bezahlt werden, wenn die heute
begründeten Bestünde in 100 oder 120 Jahren zum Hiebe kommen. Wie
das Buchenholz durch die Steinkohlenfeuerung entwertet wurde , kann es
auch durch eine neue Erfindung wieder zu einer gesuchten Ware werden,
und ebensowenig besteht eine Sicherheit , dafs das Fichtenholz in hundert
Jahren noch ebenso begehrt ist wie heute. Die Forstwirtschaft ist nicht in
der Lage, dem Wechsel der Nachfrage rasch zu folgen, darum mufs sie eine
möglichst mannigfaltige Produktion anstreben. Und daher ist auch zu er-
warten, dafs das Vordringen des Nadelholzes bald sein Ende erreichen und
das Laubholz künftig in unseren Waldungen wieder stärker vertreten sein
werde als heute.
1) Sendtner: Vegetationsverhältnisse Bayerns. München 1854.
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636
Kleinere Mitteilungen.
Kleinere Mitteilungen.
Der Geographieunterricht an den preufsiachen höheren Schulen und
die Junikonferenz.
Die Pfingstwoche dieses Jahres hat uns in Preufsen eine Reform des
höheren Schulwesens gebracht, keine umstürzende oder in ehedem verlassene
Hahnen stark zurück lenkende, aher immerhin eine, deren Einflufs auf die
Entwicklung des Unterrichtes an den höheren Lehranstalten nicht unerheb-
lich bleihen wird.
Äufserlich erkennbar tritt sie uns in den „Lehrplänen und Lehraufgaben
für die höheren Schulen in Preufsen. 1901" Halle a/S., Waisenhaus, ent-
gegen, über deren Inhalt, soweit er den Erdkuudeunterricht betrifft, in dieser
Zeitschrift S. 4141". berichtet worden ist. Es ist leicht erkennbar, dafs, isoliert
betrachtet, losgelöst aus dem Ganzen der „Lehrpläne", unsere Disziplin einen
kleinen Erfolg zu verzeichnen hat. Sinngemäfsere Fassung der Lehraufgaben
im einzelnen, Berichtigung des groben pädagogischen Fehlers aus dem alten
Tertianeqiensum , Festlegung einer Minimalzahl von Wiederholungsstunden im
Obergymnasium, Ausdehnung des Unterrichts mit einer Wochenstunde auf die
Oberklassen der Oberrealschulen, sehliefslich der ausgesprochene Wunsch, den
Unterricht in geeigneten Händen zu sehen und ihn überhaupt nicht unter
gar zu viele Herren zersplittern zu lassen, das ist es etwa, was man rühmend
hervorheben kann. Bei näherem Hinsehen zerrinnen freilich manche dieser
schönen Dinge, Gleich die letzte und scheinbar allerwichtigste Anordnung
wird angesichts der Organisation unserer Schulen mit Notwendigkeit unaus-
geführt bleiben, und unser ganzer Vorteil wird darin bestehen, dafs wir zur
weiteren Agitation diese Bestimmung der höchsten preufsischen Schulbehörde
zur Verfügung behalten. Wie wenig selbst aber damit gewonnen ist, lehrt
ein Vergleich dieser Stelle der „Lehrpläne" S. öl, 5 mit der anderen „All-
gemeine Bemerkungen" 5e, S. 74, und 7, Abs. 5, S. 75, wo vor Zersplitterung
des Klassenunterrichtes unter zuviele Lehrer gewarnt und die „Stärkung des
Einflusses und der gesamten Wirksamkeit des Klassenlehrers gegenüber dem
Fachlehrer" aus pädagogischen Gründen gefordert wird. Da diese Mahnung
nun noch ausdrücklich für die Verhältnisse in unteren und mittleren Klassen
gegeben wird, in diesen aber nur geographische Fachlehrer überhaupt Stunden
geben können (jetzt von der Oberrealschule abgesehen), so macht sie als die
allgemein giltige die uns günstige andere hinfällig.
Doch ich möchte mich hier in keine ausführliche Besprechung der „Lehr-
pläne" einlassen. Sie ist von Auler- Dortmund auf dem XIII. Geographen tage
in Breslau gegeben worden, vgl. den Bericht, diese Zeitschrift S. 394; wenn
sie gedruckt vorliegt, ist vielleicht noch einmal auf sie zurückzukommen.
Auf ihre Vorgeschichte möchte ich vielmehr einen Blick werfen. Es ist dies
möglich infolge der Veröffentlichung der „Verhandlungen über' Fragen
des höheren Unterrichts. Berlin, 6. — 8. Juni 1900. Nebst einem Anhange
von Gutachten". Halle a/S. 1901, die im Auftrage des preufsischen Kultus-
ministeriums bald nach Ostern erfolgt ist. Diese Verhandlungen nebst den
dazu gehörigen Gutachten geben uns ein lebendiges Bild von den pädago-
gischen Strömungen und ihrer relativen Stärke, deren Folge dann die neue
G estalt der „Lehrpläne" geworden ist. Man kann dem preufsischen Kultus-
ministerium die Anerkennung nicht versagen, weitausschauend und umsichtig
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Kleinere Mitteilungen.
637
zu Werke gegangen zu sein. Schon im März 1900 war eine erhebliche An-
zahl Gutachten eingefordert worden, später hatte man dann 34 Herren zu
den Verhandlungen der Schulkonferenz eingeladen, sodafs die Versammlung
mit dem den Vorsitz führenden Minister und 8 Regierungskommissarien
43 Köpfe stark war, und schliefslich hatte man der Versammlung zehn Fragen
über die Organisation des höheren Schulwesens zur Begutachtung vorgelegt.
Die Veröffentlichung giebt nun erstens einleitende Aktenstücke, Verzeichnis
der Teilnehmer, Rednerliste u. a. S. I — XVI. Zweitens: Stenographische Be-
richte über die Verhandlungen S. 1 — 199. Drittens: Anlagen, hier besonders
unter b. die zusammengestellten Gutachten S. 218 — 408, daran schließen
sich dann noch einige Erläuterungen zu den der Schulkonferenz vorgelegten
Fragen S. 409—414.
Dies ist der äufsere Rahmen, in dem wir die Stellung der Geographie
zum Gesamtunterrichte und zu ihren Nachbardisziplinen, so wie sie Redner
und Gutachter sich gedacht haben, näher untersuchen müssen. Gehen wir
zunächst die Liste der zur Konferenz eingeladenen Herren durch, so mufs
leider festgestellt werden, dafs ein eigentlicher Geograph nicht mit einberufen
war. Prof. Kropats check wird sich heute wohl selbst nicht mehr zu denen
rechneu, deren Bestrebungen nicht mehr die seinen sind, und Geh. Rat Schwalbe,
dessen Tod wir inzwischen zu bedauern haben, war doch eigentlich aus-
schliefslich Physiker. Immerbin haben jene beiden Herren das Wort „Geo-
graphie" in den Sitzungen wenigstens gebraucht; soweit ich beim Durchlesen
habe finden können, sind sie die einzigen. Prof. Kropatscheck lehnte den
„Antrag Diels", das Englische für das humanistische Obergymnasium obli-
gatorisch zu machen, mit der Motivierung ab, auch die Zeichenlehrer ver-
langten Gleiches für ihr Fach, und fuhr S. 139 fort: „Aber noch weiter, m. H.,
gestern wies — ich glaube es war Herr Prof. Schwalbe — auf die grofse
Bedeutung des geographischen Unterrichtes ein. Ganz mit Recht! ra. H.
Auch die Geographen werden kommen und Ihnen mit den 'schlagendsten
Gründen* nachweisen, dafs ein zwei- bis dreistündiger Unterricht wöchentlich
in Prima dringend notwendig ist1). Und, m. H., wissen Sie nicht, dafs andere
Ihnen mit den schlagendsten Beweisgründen darlegen, dafs Stenographie,
Hygiene, Bürgerkunde ... in den Unterricht der höheren Lehranstalten ein-
gefügt werden müssen? Alle diese Ansprüche können mit den 'besten Grün-
den' belegt werden. Wenn wir erst einmal auf diesen schiefen Boden treten,
dann beginnt die Auktion auf Abbruch des Gymnasiums an den Mindest-
fordernden; das geht wirklich nicht!"
Dies ist die eine Stelle; ein besonderes Wohlwollen des Redners für
unser Fach läfst sich wohl kaum aus ihr konstruieren.
Anders Schwalbe; es ist die von Kropatscheck erwähnte Aufserung
vom Tage vorher, S. 112. Im Kampfe gegen Kürzungsversuche am natur-
wissenschaftlichen Unterrichte sagt er: „Mir persönlich wurde einmal gesagt:
'Was schadet das, wenn drei Stunden abgestrichen werden?' Dann erwidere
ich allen denen: 'Was schadet das, wenn sie im Griechischen abgestrichen
werden? Was schadet das, wenn sie in der Geographie abgestrichen werden?'
— M. H., auch das ist noch ein grofser Schade, dafs unsere Schüler keine
1) Eb ist mir nicht bewufst, dafs die „Geographen" jemals für einen zwei- bis
dreistündigen Unterricht eingetreten wären; ein- bis zweistündig hätte die Sachlage
richtig bezeichnet, während bei dieser Übertreibung der Eindruck der Unbescbeiden-
heit seitens der „Geographen" erweckt werden mufstc.
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»;3*
Kleinere Mitteilungen.
Geographie lerneu. Die Geographie ist eigentlich an den höheren Lehr-
anstalten so gut wie ausgeschlossen; und wenn ich persönlich den Versuch
gemacht habe, die Geographie mit den Naturwissenschaften in einem Plane
zusammenzuziehen, den ich dem hohen Ministerium eingereicht habe, so ist
das ein Versuch gewesen; ob er durchführbar ist, weifs ich nicht."
Das ist ein überaus schwerer Vorwurf, der hier erhoben wird; ein Lehr-
gegenstand, der mit einer doch nicht ganz untergeordneten Anzahl Stunden
auf den Planen verzeichnet steht, ist „eigentlich so gut wie ausgeschlossen".
Trifft dieser Vorwurf die Wahrheit, so hätte man diese Stunden längst be-
seitigen müssen, sie waren Verschwendung, wenn sich eine bessere Regelung
des Unterrichts als unmöglich erwies. Um so wunderbarer berührt es, dafs
auf diesen Vorwurf keinerlei Erwiderung, Berichtigung, Einschränkung oder
Zustimmung, weder gleich noch später, erfolgt ist, denn KropatschecVs oben
mitgeteilte Worte enthalten nichts derartiges. Stimmte man Schwalbe
schweigend zu oder liefs man seine Worte unter den Tisch fallen? In beiden
Fällen stände es um die Sache des Erdkundeunterrichtes gleich schlimm.
Aufser diesen beiden Erwähnungen der Erdkunde ist eine Nichterwähnung
zu verzeichnen. Die Frage 5, S. 128 ff., lautete: „Was kann auf den höheren
Schulen, abgesehen von der durch 4 erledigten Frage der Stundenzahl, für
die Hebung des Unterrichtes in den verschiedenen Lehrgegenständen geschehen V"
Hier bot sich, wie man sieht, die Möglichkeit, über Lage und Besserung des
Erdkundeunterrichtes zu beraten. Das ist nicht geschehen; auch Kropatscheck's
Worte stehen fast wie zufällig bei der Besprechung des Englischen. Übrigens
trifft diese Unterlassung am wenigsten die Mitglieder des Ministeriums, das
in den Konferenzen eben vor allem Anregungen von aufserhalb empfangen
wollte und das hinterher doch das immerhin günstige, ja bei solcher Sach-
lage überraschend gute Endergebnis der Lehrpläne veranlafst hat. —
Hinter den Lehrplänen finden sich die Gutachten aus dem März. Unter
ihnen lautet das auf Frage 7 (S. 365): Wie hat sich der Unterricht in
der Erdkunde seit 1892 entwickelt und was bleibt für ihn noch zu thun?
von Geh. Rat Hermann Wagner in Göttingen eingegangene: „Die Lage
des geographischen Unterrichtes in den höheren Schulen Preufsens (um die
.Fahrhundertwende)." Es war bei Zusammenstellung der Verhandlungen usw.
schon im Druck erschienen (Hannover und Leipzig, Hahn, 1900. 68 S.); man
hat daher Abstand genommen, einen Abdruck aufzunehmen, und findet nun
unter Frage 7 nichts weiter als diese selbst, den Titel des Gutachtens
und die Bemerkung über den anderweitigen Druck. Dem gröfseren Vorteil,
dafs die Wagner'sche Denkschrift als Hroschüre eine weite Verbreitung
tindeu konnte und nun wohl an nicht wenigen Orten aufrüttelnd gewirkt
haben mag, steht der Nachteil gegenüber, dafs nun die „Verhandlungen uftw."
nichts von unseren Wünschen bringen. Es entzieht sich meiner Wissenschaft,
ob es möglich gewesen wäre, wenigstens die Hauptforderungen Wagners kurz
formuliert an Stelle der einfachen Notiz über ihren Druck aufzunehmen; dafs
diese hier zu rinden höchst wünschenswert gewesen wäre, das ist doch wohl
sicher. Ich komme weiter unten auf den Inhalt der Waguer'scheu Denk-
schrift zurück und schicke ihr hier diejenigen Bemerkungen voraus, zu denen
mir die anderen Gutachten im Hinblick auf die Lage der Erdkunde Ver-
anlassung gegeben haben.
Zu Frage 2, die sich mit Verschiebungen des Lateinischen und Ersatz „
des Griechischen durch das Englische am Gymnasium beschäftigt, ist aus den
von Reinhardt (vom Goethe-Gytnn. Frankfurt) autgestellten Plänen zu er-
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Kleinere Mitteilungen.
639
sehen, dafs er eine Vermehrung der Erdkuudestunden in den Mittelklassen
vorschlägt: Plan A S. 262 U III Geschichte und Erdkunde 4 st. — B S. 264
auch noch 0 III. — C, 8. 266 sogar noch in ü II, C2 S. 267 nur wieder bis
U III. Dafs aber von den 4 Stunden Geschichte und Erdkunde die vierte
der Erdkunde zu Gute kommen soll, folgt aus S. 263: „Für die Erdkunde
wird eine Verstärkung der Stundenzahl in der Tertia wohlthätig wirken."
Frage 5 wünscht Äufserungen über die Entwicklung des neusprachlichen
Unterrichtes seit 1890 und Vorschläge zur weiteren Hebung. Aus dem Gut-
achten von Geh. Rat MQnch hebe ich einige seiner Vorschläge heraus, die
fast wörtlich auch für Erdkundelehrer empfohlen werden können und bei
denen uns ein Vergleich mit den Wagner'schen (s. u.) empfehlenswert erscheint.
Unter „die wünschenswerten weiteren Mafsnahmen" S. 310 ff. rechnet er auch
b „Freiheit der Bewegung" und fordert sie für „diejenigen Fachlehrer, welche,
von Eifer für ihre Sache erfüllt, auf neuen Wegen unter grofser Selbstauf-
opferung vollere Ergebnisse erstreben". „Durch blofsen Meinungskampf werde
kein Ergebnis gewonnen und durch Zurückdrängen und Unterdrücken freierer
Versuche kein gesundes." Die Forderung d lautet in der Hauptsache: „Der
Ersatz der noch vorhandenen nicht fachlich ausgebildeten Lehrer . . . durch
Fachleute mufs mit allem Ernst durchgeführt werden . . ."; sie pafst genau
auch für den Erdkundeunterricht, nur in dem „noch vorhandenen" liegt für
uns ein unmöglicher Euphemismus. In seinen „Schlufsbemerkungen" S. 316 f.
fafst er seine vorher ausgeführten Forderungen zusammen in die beiden „Haupt-
mittel: „Auslandsstipendien und neusprachliches Zentralinstitut (nebst Filialen)".
Von gröfster Bedeutung für die Stellung im Unterrichte ist die Art
der Behandlung, die Frage 6 gefunden hat. „Wie hat sich der Geschichts-
unterricht seit 18M 2 entwickelt und was bleibt für ihn zu thun?" lautet hier
die Hauptfrage, deren beide Gutachter Geh. Rat Jäger- Köln und Geh. Rat
Schultz (College in Berlin) sind. (Prof. Harnack's Gutachten betrifft nur einen
für uns unwichtigen Nebenpunkt.) Unabhängig von einander finden beide
(Jäger S. 348—354, Schultz S. 355—364) auch nicht die geringste Ver-
anlassung, sich über etwa vorhandene Beziehungen zwischen Erd-
kunde und Geschichtsunterricht zu äulsera, während solche zwischen
Geschichte und Deutsch und ebenso zwischen ihr und den fremden Sprachen
reichlich angegeben werden. Unter anderem schlägt Jäger vor, ein „Missus
Dominicus ad hoc" sollte eine gröfsere Anzahl preufsischer Lehranstalten zur
Feststellung des Thatbestandes auf dem Gebiete des Geschichtsunterrichtes
besuchen (S. 349), und giebt für diese eine grofse Anzahl von Punkten an,
auf die er seine Aufmerksamkeit zu richten hätte (S. 354), darunter durch-
aus solche, die von engen Beziehungen des Geschichtsunterrichtes zu anderen
Gegenständen sprechen. Erdkunde ist nicht darunter. Daraus folgt doch
wohl klipp und klar, dafs solche Beziehungen dem berühmten Historiker und
Pädagogen nicht bekannt oder, wenn vorhanden, doch seiner Meinung nach
wertlos sind. Ich möchte dies möglichst deutlich festgestellt haben, weitere
Schlufsfolgerungeu sind leicht daraus zu ziehen. Auch bei den Bemerkungen
über die „Betonung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung
Preufsens und Deutschlands", (Punkt 7 der Neuerungen für den Geschichts-
unterricht aus dem Jahre 1891 in Jäger'scher Anordnung S. 348) findet
weder Jäger (S. 351 unter ad 6) noch Schultz (S. 361 f.) irgend welche
Beziehungen zum Erdkundeunterricht zu erwähnen. Übrigens ist der Vor-
schlag Jägers eines M. D. ad hoc auch zur Prüfung der Lage des Erdkunde-
unterrichtes sehr zu empfehlen. Aber es müfste freilich eine Persönlichkeit
640
Kleinere Mitteilungen.
sein, die sowohl von Seiten der wissenschaftlichen Geographie wie von Seiten
der Schule als Fachmann gelten könnte.
Mit dem anderen Nachbar der Erdkunde, den Naturwissenschaften, be-
schäftigen sich eine gröfsere Anzahl von Gutachten auf Frage 8, 8. 366.
Unter ihnen sei das von Schwalbe erwähnt, doch ist angesichts des oben
Mitgeteilten darauf zurückzukommen nicht mehr unbedingt nötig. Hervor-
zuheben ist das von Geh. Rat Lexis S. 383 — 385, der es „für fragenswert"
halt, ob nicht von den 11 Stunden, die an den Oberrealschulen der „Chemie
nebst Mineralogie" gewidmet sind, eine oder selbst zwei Stunden im Interesse
geologischer Unterweisung abgezweigt werden könnten. „Es handelt sich
dabei," meint er, „um die positive Wissenschaft von dem Bau der Erdrinde,
die zugleich die notwendige Grundlage der physikalischen Geographie bildet."
Und so beklagt er dann überhaupt die Lage der Erdkunde in den Ober-
klassen, indem er wenigstens für Oberprima eine Stunde geographischen Unter-
richts auf naturwissenschaftlicher Grundlage erhofft. Diese klare Erkenntnis
dessen, was an den Schulen uns not thut, sollte sie vielleicht damit zusammen-
hängen, dafs Lexis in Göttingen lebt?
Die 9. Frage wünscht die Fortschritte zu erfahren, die die körperliche
Übung der Schüler seit 1890 gemacht hat, und Vorschläge zu ihrer Erwei-
terung. Dem Wunsche nach Vermehrung der Ausflüge stehe ich sehr sym-
pathisch gegenüber, ihre allzu militärische oder sportliche Ausgestaltung, wie
sie gefordert worden ist, kann ich nicht für wünschenswert halten. Der
alleinige Hinblick auf bedeutende, gewollte oder erreichte, Körperleistungen
ist für unser bestes Schülermaterial doch zu dürftig. Man versuche es mit
Ausflügen in heimat- und landeskundlichem Sinne, freilich unter Wahrung
freier und froher Formen — denn diese erhalten auf Wanderungen allein die
Aufnahmefähigkeit frisch, und man bekommt von selbst tüchtige Wanderer.
Wer wüfste nicht von geographischen Exkursionen her, wie viele berüchtigte
Schnellläufer sich unter den Fachmännern befinden; das bringt der Gegen-
stand ganz von selbst mit sich.
Jetzt zurück zu Frage 7 und ihrer Beantwortung durch Hermann
Wagner. Wagner gliedert seinen Stoff in Einleitung S. 5 — 8, I. Der geo-
graphische Fachlehrer S. 8 — 20, II. Der Studienkreis der geographischen Fach-
lehrer und die Prüfungsordnungen S. 20 — 38, in. Neue Mafsnahmen für die
Lehrerbildung S. 38 — 42, IV. Die Lehrpläne und Lehraufgaben S. 42 — 60,
V. Die Lehrmittel S. 60 — 67, und einen Anhang S. 68, der eine Übersicht
über die Zahl der Winter 1898/99 an 525 höheren Lehranstalten Preufsens im
geographischen Unterricht beschäftigt gewesenen Lehrer bringt.
In der Einleitung stellt Wagner zunächst die bekannto Thatsache fest,
dafs die grofse Menge der gebildeten Stäude ohne nennenswerte geographische
Kenntnisse unsere Lehranstalten verläfst. Er sieht die Gründe zu dieser Er-
scheinung in 3, in der Organisation des Unterrichtes gelegenen Punkten:
in mangelnder Verwendung fachmännisch vorgebildeter Männer im Unterricht,
in mangelnder erprobter Methodik aus diesem Grunde und im Fehlen selb-
ständiger geographischer Lehrstühlen in den Oberklasseu. Ein Wandel hierin
sei aber um so weniger aufzuschieben, als die Kluft zwischen Schulgeographie
und wissenschaftlicher Geographie immer gröfser und die Bedürfnisse für eine
gediegene geographische Bildung im deutschen Volke bei seiner jetzigen
Weltstellung immer dringender würden.
In Abschnitt I wird dann gezeigt, in wie beispielloser Weise der Unter-
richt unter eine Unzahl von Lehrern zersplittert ist, und damit bewieseu,
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Kleinere Mitteilungen.
641
dafs dieser Fundamentalübelstand, ohne dessen Beseitigung alle Besserungs-
vorsehläge nahezu unwirksam bleiben müssen, nicht nur in Berlin besteht,
wie ich es in Jena gezeigt hatte, sondern allgemein herrscht. Nach den
Osterprograimnen 1X99 unterrichteten an 523 höheren Lehranstalten ( 280 Gym.,
90 RGym. n. ÜReals., 47 Progymn., 106 RProgymn. u. RS. ) im Winter 98/99
ca. 7000 Lehrer; von diesen gaben 2827, also rund 40 %, geographischen
Unterricht. Von diesen 2827 Lehrern unterrichteten 1351 nur in einer
Klasse, 797 nur in zwei, noch nicht '/, in drei und mehr Klassen. Nimmt
man nun als bescheidene Norm 3 (auf einander folgende) Klassen an , in
denen ein Lehrer geographischen Unterricht geben sollte, so brauchte man
1800 Lehrer, also rund 1000 weniger. Ferner werden diese Lehrer meist
nur sprungweise und ganz vorübergehend mit Geographieunterricht betraut,
sodafs eine Masse von Herren diesen Unterricht geben, die weder Zeit noch
Neigung haben können, sich in ihn oft nur für ein Semester wissenschaft-
lich einzuarbeiten. Übrigens läfst sich dem ( bei durch eine Herabminderung
der Pflichtstundenzahl, wie das Wagner glaubt, kaum beikommen. Die schwer-
fallige Maschinerie unseres ganzen Stundenplanwesens ist es vielmehr, die
auch bei wohlwollenden Absichten eine sinngemäfse Berücksichtigung der
Bedürfnisse der Nebenfächer kaum erlaubt. Richtig aber ist die Beobachtung,
dafs „die strengere Durchführung des hohen Mafses von Pflichtstunden für
den Einzellehreru (S. 13) die Anzahl der versprengt gegebenen Stunden aufser-
ordentlich hat in die Höhe gehen lassen. Der Abschnitt schliefst mit der
Empfehlung folgender Mafsnahmen : Verlegung des Erdkundeunter-
richtes in die Hände weniger Fachlehrer (1 u. 2), probeweise Über-
tragung des gesamten Erdkundeunterrichtes einzelner Anstalten
an geeignete vorhandene Kräfte, um überhaupt erst ein Mals des zu
Leistenden zu gewinnen (3).
Der Abschnitt II ist durch Wagners eigenen Breslauer Vortrag und
die neuen Lehrplane in wesentlichen Punkten überholt, doch verdient einiges
besonders Wichtige hier noch hervorgehoben zu werden, so der Hinweis, dafs
die mathematisch -naturwissenschaftlichen Geographielehrer noch nicht eben
zahlreich sind. Wagner giebt folgende Tabelle:
Aaateltea
Ueugraphii'lehrer.
Davon Mathematiki-r und
NnturwiMeuictiuftler
Pro*
1416
9U
7,0
Progymn. . . .
160
24
14,5
RCiymn. u. OK«.
546
67
12,3
Kh
437
74
16,9
•2565 ')
264
10,3 (
Ferner sei auf den höchst beachtenswerten Unterabschnitt 6 (S. 33 ff.)
hingewiesen, der von der weiteren Ausbildung der heute bereit« bestehenden
Universitätssemiuarien handelt.
Abschnitt III spinnt dann im Grunde genommen diese Gedankenfolgeu
noch weiter aus. Bessere Ausstattung der geographischen Lehrapparate, Bei-
hilfe für geographische Exkursiouen, Vermehrung der akademischen Lehr-
kräfte, etwa in der Weise, dafs außerordentliche Professoren „nach Art der
1) Es sin«! die Lehrer der überklasseu neuiik lässiger Lehranstalten liier nicht
mitgezählt.
U«uBrophi.cbu Zeitschrift. T Jahrguu« IMt.tl.Btll. 43
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642
Kleinere Mitteilungen.
Lektoren oder anderer Dozenten in Prosenrinarien sich speziell an der Aus-
bildung der Fachlehrer zu beteiligen44 hätten (S. 40), ein Zentral institut für
Fachlehrer, Ferienkurse, regelmäfsige Reisestipendien an einzelne tüchtige
Fachlehrer, Erleichterung des Eintritts von Schulmännern in die akademische
Laufbahn, das sind die hauptsächlichsten Wünsche, die Wagner äufsert, ein
reicher Wunschzettel, den man aber gewifs gern mit unterschreibt, übrigens
vergleiche man die oben kurz berührten Wünsche anderer Lehrgegenstände,
überall liegen ähnliche Bedürfnisse vor; vielleicht verleiht das den Bestrebungen
innerhalb jedes einzelnen Faches vermehrte Stärke.
Auch aus Abschnitt IV führe ich nicht alles an, da inzwischen auch
hier wieder die neuen Lehrpläne das Bild etwas verwischt haben. Wagner
stellt gewissermafsen themata probanda auf; unser Volk hat den Charakter
eines reinen Kontinentalstaates abgestreift und bedarf für seinen erweiterten
Horizont, gemäfs der völlig veränderten Zeit, innerhalb seiner Jugenderziehung
eines geographischen Unterrichts, der über den althergebrachten Rahmen weit
hinausgeht (S. 43, 44). Für die Unterklassen hat eine weitgehende Stoff-
beschränkung einzutreten (S. 48), was nur unter verständiger fachmännischer
Leitung geschehen könnte. Die Art der Stoff behandlung (S. 49 — 52) denkt
sich Wagner etwa so: der zweite Kursus, also Ulli bis Uli mufs „einen wirk-
lich neuen Aufbau, nicht nur eine um Namen und Zahlen vermehrte Wieder-
holung des früheren Lehrganges44 bringen; das wird vermutlich solange an
den Gymnasien unmöglich sein, als diese auf der zweiten Stufe nur eine
Wochenstunde Geographieunterricht besitzen. Auf den neunklassigen Anstalten
müfste sich dann auf der Oberstufe ein dritter Kursus ansetzen, für den
vielleicht eine Wochenstunde ausreicht. Diese bekannte ewige Forderung,
die auch der XIII. deutsche Geographentag wieder in seine Resolution auf-
genommen hat, unterläfst Wagner nicht laut auszusprechen und deutlich zu
formulieren (S. 57, 58 u. 60).
Abschnitt V weist auf den hohen Stand der Schulkartographie in
Deutschland hin und den gewaltigen Abstand, in dem dieser die Lehrbücher
folgen. Eine staatliche Kommission von unbeteiligten Fachlehrern (S. 65) ist
es, von der er sich Besserung verspricht, nicht um ein Lehrbuchmonopol zu
schaffen, sondern um zu gemeinsamen Gesichtspunkten auf diesem Gebiete durch-
zudringen. Heinrich Fischer.
Neue Beiträge zur Morphologie von Norwegen.
Da neuerdings auf einem Gebiete, auf dem ich vor mehreren Jahren
selbst Forschungen zu unternehmen Gelegenheit hatte1), einige wichtige neue
Beobachtungen gemacht worden sind, sei es mir gestattet, darüber einen
kurzen Bericht zu erstatten. Herr Prof. Job.. Vogt in Kristiania veröffent-
licht im 21». Heft von „Norges Geologiske Undersögelse44 die Ergebnisse seiner
fortgesetzten Arbeiten in Helgeland, d. i. dem norwegischen Küstenstreif von
65° N. B. bis zum Polarkreis. Es ist das jenes Gebiet, welches dem Nord-
landsreisenden als der Vorhof und die Einleitung zu den großartigen Natur-
schauspielen erscheint, die seiner weiter nordwärts, in den Lofoten und am
Lyngenfjord harren.
1 j Vergl. Sitzungsber. der k. Akad. d. Wisa. in Wien, naturw. Claaae 18ÜG. Vgl.
O. Z B. III ^lH'jT) S. 46 ff.
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Kleinere Mitteilungen.
643
Ich sehe ab von den rein geologischen Erörterungen und will daraus
nur hervorheben, dafs nach des Verfassers Ansicht die Eruptivgesteine, Granit
und Gabbro jünger sind als die Schiefer, zwischen denen sie stecken; die
Eruption erfolgte wohl in der Mitte der paläozoischen Ära gleichzeitig mit
der Gebirgsfaltung. Auffallend ist der vollständige Parallelismus zwischen
der allgemeinen Richtung des ganzen Gebirges, der Richtung der Faltungs-
achscn, der Küstenlinie und dem Steilabfall gegen die Ozeantiefe, der wohl
gleichzeitig mit der Gebirgsfaltung entstanden ist.
Vogt hat aus den sehr konstanten Gipfelhöhen die ursprüngliche Höhe
des Landes und dessen allgemeine Neigung zu ermitteln gesucht und gefunden,
dafs der norwegische Küstenstreif eine schiefe Ebene darstellt, die sich mit
einer Neigung von ca. 40 Bogenminuten gegen den Ozean senkt; davon
kommen 2% Minuten auf die später zu besprechende postglaziale Hebung.
Auf serhalb des Schärenhofes vermindert sich die Neigung auf 16 Minuten,
dann folgt eine fast horizontale Fläche, die 150 — 260 Faden (282 — 376 m)
unter dem Wasser liegt, und hier 140 km breit ist. Dann folgt der Steil-
abfall des Kontinentalsockels gegen die Ozeantiefe, dessen Böschung zwischen
1° und 25° schwankt. Der steilste Abfall findet sich, wie zu erwarten,
aufserhalb der Lofoten.
Die Berggipfel entsprechen fast überall den härteren Gesteinen, es sind
herauspräparierte Denudationsreste. Die Längsthäler folgen ebenso den leichter
zerstörbaren Kalksteinen, die zwischen den Granitbergen eingefaltet sind;
diese Längsthäler sind daher meist offen und nur durch niedere Thalwasser-
schciden von weniger als 200 m Höhe unterbrochen. Die Querthäler sind
echte Erosionsrinnen; das ganze Thalsystem offenbar präglazial. Dazu stimmt,
dafs auch der geologische Befund darauf hindeutet, das Land sei lange geo-
logische Zeiträume hindurch im Trockenen gewesen und habe eine starke
Abtragung — von etwa 1000 m — erfahren. Die Erosion des Eises hat
dann die Thäler in die U-Form gebracht und die Fjorde übertieft, die bis
zu 600 m tief und am Ausgang seichter (durch Riegel abgeschlossen) sind.
Am Laude ist nicht selten postglaziale Flufserosion wahrzunehmen. Auch die
Fjorde können in Längen- oder Streichfjorde und Querfjorde unterschieden
werden; Vogt sieht darin, wie der Referent, einen Beweis für den präglazialen
Ursprung des Thal- und Fjordsystetns.
Die berühmte von Reusch 1894 zuerst beschriebene und vom Referenten
im Globus (69. Bd. S. 20) besprochene Strandebene ist in Helgeland nicht
weniger als 45 km breit. Sie liegt hier in ihrem inneren Teile 20 bis 60 m
über dem Meere, im äufseren 20 bis 30 m unterhalb des Meeresspiegels.
Hier anfsen finden sich nur einzelne Sehären, näher der Küste ragen tausende
oder zehntausende von kleinen Felseilanden aus dem seichten Wasser empor.
Die postglaziale Hebung betraf den inneren Teil der Strandehene mehr als
den äufseren.
Die Kalksteine und Glimmerschiefer sind durch die Brandung, der man
die Entstehung der Strandebeue ohne Zweifel zuschreiben mufs, gänzlich ab-
radiert worden; die gröfseren Granit-, Gabbro-, Serpentin-Einschlüsse konnten
aber nicht ganz beseitigt werden, sondern ragen als Inseln mit hoheu Bergen
aus der Strandebene auf.
Da der Felsboden an der Küste sich unmittelbar zu 500 m Höhe
erhebt, so kann man den Betrag der Abrasion auf mindestens 400 m schätzen.
Bei einer Breite von 45 km ergiebt sich eine wahrhaft unglaubliche Masse
*»•
044
Kleinere Mitteilungen.
von beseitigtem Material. (Der abradierte Felskörper hat nicht einen recht-
eckigen, sondern einen dreieckigen Querschnitt, die Rechnung lautet
Masse = 45000 m X f m X Länge des Küstenstriches.)
Die Straudebene ist präglazial, das ergiebt sich daraus, dafs alle Formen
auf ihr die „Eisschrüme" -/eigen, d. h. gerundet und gekürzt sind. Da der
Jura von Andö mit abradiert ist, so mufs ihre Bildung zwischen Jura-
faltung und Diluvium ■ — also wohl hauptsächlich im Tertiär — erfolgt sein.
Gegen die Annahme einer interglazialen Entstehung spricht sich Vogt deshalb
aus, weil einmal die Interglazialzeiten zu kurz seien, um eine so grofsartige
Wirkung zu gestatten, und zweitens beweise das Fehlen der Strandebene in
den innern Fjorden, dafs diese jünger seien als die Abrasion.
In Schottland giebt es ebenfalls eine Strandebene (nach Davis, Physieal
geography), in Grönland fehlt sie, woraus Vogt den Schlufs zieht, dafs Ver-
eisung und Strandebene nichts miteinander zu thun haben.
Die jetzige Oberflächenform der Strandebene, insbesondere der Schärenbof,
ist im einzelnen der Eiswirkung zuzuschreiben, welche das weichere Material
ausgescheuert hat.
Die Strand liuien haben mit der Strandebene nichts gemein. Diese Be-
hauptung Vogt 's steht im Widerspruch mit einigen Beobachtungen, die ich
am Moldetjord gemacht habe. Dort glaubte ich wahrzunehmen, dafs die
Straudebene sich im Innern der Fjorde zu Strandlinien verschmälere. Vogt
ist der Meinung, die Strandlinien stammen aus viel späterer Zeit, sie seien
auch nicht durch die Wellen, sondern durch den sogenannten „Eisfufs" erzeugt.
Der Eisfufs ist eine aus der Geschichte der Polarrcisen (besonders in der
Richtung Davisstrafse) wohlbekannte Erscheinung. Die Eisdecke des Meeres
friert an das Ufer an; durch die Gezeiten und den Seegang wird sie gehoben
und gesenkt, sie bricht also nahe dem Ufer wieder ab; ein mehrere Meter
breiter Streifen bleibt aber am Ufer fest; das ist der Eisfufs. Dieser wird
erst im Sommer, wenn die See im allgemeinen eisfrei geworden ist, beseitigt;
er greift das Küstengestein sehr stark an, da viele Steine fest ins Eis ein-
frieren. Besonders dort, wo starke Strömungen sind, findet eine starke Ab-
seheuerung durch die vorbeitreibenden Schollen statt.
Die Straudlinien liegen in Helgeland bis 1G8 m über dem Meeresspiegel;
dieses Maximum wird im Innern des Ranenfjords erreicht; auf der Insel
Tränen, die am weitesten im Meere liegt, finden sich die Strandlinien noch
65 m hoch.
Seit den Forschungen de Geers ist nicht mehr daran zu zweifeln, dafs
die Strandlinien ein Beweis für die Hebung des skandinavischen Festlandes
sind; eine Isanabasen- Karte zeigt, wie die Hebung je weiter landeinwärts
desto stärker war. Die „Isobasen", wie Vogt schreibt, laufen parallel der
Küste, die Isobase 0 lallt zusammen mit dem Steilabfall des Kontinental-
blockes. Nur dieser, ohne die Ozeautiefen, hat sich also gewissermafsen auf-
gebläht oder aufgewölbt. Auf einer Terrasse von 82 m fand sich arktische
Fauna (Yoldia üTCtica u. s. w.), diese stammt also aus einer der kalten post-
glazialen Perioden, auf den niedrigsten Terrassen findet mau die jetzige Fauna.
Ein interessanter Abschnitt behandelt die Entstehung der mariuen Höhleu
vom Typus des oft beschriebenen Torghattentunnels. Es ist kein Zweifel an
seinem marinen Ursprung gestattet, er liegt genau im Niveau der obersten
Strandlinie.
Gesteine aus dem Kristianiagebiet, besonders der jedem naturwissenschaft-
lichen Besucher dieser Stadt bekannte Rhombenporphyr, finden sich in einzelnen
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Kleinere Mitteilungen.
645
Stücken verschleppt bis Tränen (66° 30y Sie können nur durch schwimmendes
Eis vertragen worden sein. Da auch jetzt der Strom an der norwegischen Küste
nach N. geht, so scheint das gegenwärtige Stroinsy stein schon am Ende der
Eiszeit bestanden zu haben. E. Richter.
Der 13. Schweizerische Geographentag.
Eines aufserordentlich glücklichen Verlaufes darf sich der vom 22. — 24.
September 1901 in der Tonhalle zu Zürich abgehaltene „13. Kongrefs der
Schweizerischen geographischen Gesellschaften" rühmen. Reichte
auch die Zahl der eingeschriebenen Teilnehmer — circa 80, denen sich aber
noch eine Reihe von nur den Verhandlungen beiwohnenden Vertretern der
verschiedensten Berufszweige anschlössen — an die für die Deutschen Geo-
graphentage üblichen Frequenzziffern nicht heran, so bot dafür einerseits das
vom Vorort Zürich sorgfältig zusammengestellte Programm für die wissen-
schaftlichen Sitzungen eine Fülle von Belehrung, während die von der Geo-
graphisch-Ethnographischen Gesellschaft Zürich anderseits in ausgedehntem
Mafse gewährte Gastfreundschaft den bei wissenschaftlichen Zusammenkünften
so wertvollen engern persönlichen Verkehr der Teilnehmer wesentlich förderte.
Gehaltvoll war schon die Eröffnungsrede, in der der Vororts- und Kon-
grefspräsident, Nationalrat Oberst U. Meister, die vielfache intensive und
extensive Pflege betonte, deren sich die geographische Wissenschaft in der
Schweiz, und im besonderen in Zürich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
bis heute zu erfreuen das Glück hatte. In unserer Zeit namentlich ist Zürich
zum Sitz einer regen geographischen Thätigkeit auf allen ihren verschiedenen
Gebieten geworden, wras nicht zum wenigsten einer ganzen Anzahl von hier
lebenden weitgereisten Gelehrten zu verdanken ist. Von solchen safsen unter
uns (neben den beiden Baslern Fritz und Paul Sarasin) Conrad Keller (Ost-
afrika und Madagaskar"), Rudolf Martin (Hinterindien), Hans Schinz (Deutsch-
Südwestafrika), Carl Schröter (pflanzengeograph. Reise um die Welt),
Otto Stoll (Zentralamerika), Leo Wehrli (argentinische und chilenische Cor-
dilleren) u. a.
Die wissenschaftlichen Vorträge wollen wir nach ihrem Inhalt zu grup-
pieren versuchen, müssen uns aber des beschränkten Raumes wegen auf
einige kurze Bemerkungen darüber beschränken. An Stelle des leider er-
krankten ehemaligen Direktors des kaiserlich Russischen Physikalischen
Zentralobservatoriums zu Pawlowsk, Staatsrates Heinrich v. Wild, las
Prof. C. Keller dessen Mitteilung „Zur Föhnfrage". Wild ist an Hand des
Experimentes und eingehenden Studiums einer Reihe von typischen Föhnfällen
in seiner Auffassung des Phänomens, wie er sie schon 1867 veröffentlicht hatte,
bestärkt worden. Darnach wäre die Definition des typischen Föhns die, „dafe
er in den Thälern hinter einem Gebirgszug, und zwar besonders in den nahe
senkrecht zu ihm verlaufenden, einen aus der Höhe herabsteigenden stür-
mischen, vom Thalende nach dessen Öffnung hin wehenden warmen und
trockenen Wind darstellt, welcher durch einen das Gebirge von jenseits quer
überwehenden heftigen Luftstrom erzeugt ist. Da stürmische Winde resp.
starke Druckgradienten durchweg im Gefolge von Cyklonen auftreten, so
ist meistenteils die Entstehung des Föhns an Druckminima gebunden, die
auf der einen oder andern Seite eines Gebirges dahin ziehen. Geht also eine
Cy klone statt auf der Nordseite der Alpen auf deren Südseite vorbei, so
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t>46
Kleinere Mitteilungen.
kann in den südlichen Alpenthälern auch ein Föhn entstehen, den ich zum
Unterschied Nordföhn genannt und auch zuerst als Schlufsfolgerung der
Theorie thatsächlich nachgewiesen habe . . . Der Föhn ist eine so eigentüm-
liche Erscheinung von Gebirgsthälern, dafs ich den Meteorologen vorschlagen
möchte, diese Bezeichnung wieder auf den typischen Föhn unserer obigen
Definition desselben gemäfs zu beschränken und sogar den Ausdruck föhn-
artig zur Verhütung von Verwechslungen und falschen Deutungen zu ver-
meiden." Dem gegenüber hielt in der Diskussion Direktor Dr. Bill will er von
der Schweizerischen Meteorologischen Zentralanstalt im Einklang mit Hanu
daran fest, dafs diese engere Fassung des Begriffes „Föhn" nicht zulässig
sei und dafs als Föhn überhaupt jeder warme, trockene und fallende (also
auch ein aus einer Anticyklone herauswehender) Wind bezeichnet werden
dürfe. (Vgl. die soeben erschienene grofse Arbeit: Wild, H. „Iber den Föhn
und Vorschlag zur Beschränkung des Begriffs" in den Denkschr. der Schweiz,
naturforsch. Gesellschaft. Bd. 38, 2. Hälfte. Zürich 1901).
„Das Problem der Antarktis" behandelte der Basler Zoologe Prof.
Rud. Burckhardt vom Standpunkte der vergleichenden Ornithologie aus
mit Bezug auf die Frage nach einem einstigen antarktischen Schöpfungs-
zentrum. Die mit reichem Anschauungsmaterial belegten Ausführungen des
Redners führten zu dem Ergebnis, dafs die Vogelwelt und im besonderen die
Riesenvögel nicht mehr als Zeugen für eine ehemalige antarktische Land-
brücke, einen Kontinent, angerufen werden dürfen, ebensowenig wie nach
Schiraper auch in Hinsicht auf die Flora ein Anhalt zur Annahme eines
solchen Schöpfungszentrums gegeben sei. Die Reihe der physisch-geographischen
Vorträge beschlofs, da Prof. Eberh. Fraas aus Stuttgart seine angekündigte
Mitteilung „über die Badlands und Prairien von Nordamerika" zu geben
verhindert war, Prof. Otto Stoll in Zürich mit sehr interessanten Aus-
führungen über die „medizinische Geographie von Guatemala". Nach einer
kurzen Darlegung der geographischen Gliederung des Landes in drei land-
schaftlich und klimatisch verschiedene Höhenzonen entrollte der Vortragende
in rascher Folge ein klares Bild von den jeder dieser Zonen eigentümlichen
Krankheitserscheinungen und den den europäischen Ansiedern sich hier bietenden
Vor- oder Nachteilen.
Nur dem Titel nach nennen können wir hier die beiden Vorträge von
Prof. Rud. Martin in Zürich „Über den neolithischen Menschen der Schwei«*1
und von Prof. Ed. Naville in Genf über „Les relations des aneiens Egyptiens
avec 1 etranger, surtout avec l'Asie oceidentale". Einer sehr zeitgemäßen
Frage trat Prof. Ed. Brückner in Bern nahe mit seinen Ausführungen
„Über die Volksdichte, besonders in der Schweiz". Redner verwirft die
statistischen Karten gewöhnlicher Art, die sogenannten „Kartogramme" der
Statistiker, die die Bevölkerung auf die ganze Fläche gleichmäfsig verteilen
und daher kein geographisches Bild von deren wirklicher Verteilung geben.
Ebensowenig läfst sich den von Petermann eingeführten Karten der Siedelungs-
dichte mit ihrem System von Punkten und Kreuzen direktes Zahlenmaterial
entnehmen. Das Bestreben der Geographen ist daher darauf gerichtet, eigent-
liche Volksdichtekarten zu entwerfen, auf welchem Weg Prof. Hettner mit
seiner Befürwortung von statistischen Grundkarten vorangegangen ist. Brückner
erläutert seine Ansichten an Hand der ausgehängten Skizze einer Volksdithte-
karte einer schweizerischen Thalschaft, die nur das dauernd bewohnbare und
bewohnte Gebiet berücksichtigt. In der Diskussion verteidigte der zürcherische
Kantonsstatistiker E. Kollbrunner mit guten Gründen die Darstellungsweise
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Kleinere Mitteilungen.
647
der Statistiker und wünscht — im Einverständnis mit Prof. Brückner —
die Vornahme einer allgemeinen Volkszählung im Sommer, d. h. in der Zeit
des Erwerbes, wo die Verteilung der Bevölkerung in der Schweiz eine ganz
andere ist als im Winter, der Zeit der Ruhe. An Hand der soeben fertig-
gestellten neuen „Schulwandkarte der Schweiz" in 1:250 000 besprach end-
lich der Chef des Eidg. topographischen Bureaus in Bern, Major Held, deren
grofse Bedeutung für die Landeskunde. Er hob besonders hervor, dafs das
lang und sorgfältig vorbereitete Unternehmen nicht nur als eine zeichnerische
und technische Leistung aufzufassen, sondern als ein unschätzbares Hilfs-
mittel zur Popularisierung der geographischen Wissenschaft in der Schule
zu betrachten sei. In der That lassen sich der neuen Karte bei ihrer vor-
züglichen Ausführung eine grofse Zahl von geographischen Thatsachen ohne
weiteres entnehmen.
Einige von der vorzüglichen Kongrefsleitung in den Kranz der streug
wissenschaftlichen Vorträge eingeschobene Mitteilungen mehr unterhaltender
Art brachten erwünschte Erholung. So entwarf Arth, de Claparedo aus
Genf ein ansprechendes Charakterbild des kürzlich verstorbenen Genfer Geo-
graphen Paul Chaix, eines Vermittlers zwischen der alten und neuen Schule,
und derselbe Rodner führte uns weiterhin das Bild der durch den Bau des
Suez-Kanales umgewandelten maritimen Handels- und Verkehrsverhältnisse
vor. Endlich besprach der Sekretär der „Societe de geographie commerciale"
in Paris, Charl. Gauthiot, die neue französische Kolonie Madagaskar in Bezug
auf ihre wirtschaftliche Entwickelung und Bedeutung in der Gegenwart und
Zukunft.
Nicht vergessen wollen wir, dafs Prof. Martin einige Proben seiner beim
Artistischen Institut Orell Füssli in Zürich in vollendet schöner Technik er-
scheinenden „Wandtafeln für den Unterricht in Anthropologie, Ethnographie
und Geographie" ausgehängt, und dafs Prof. Heim im Polytechnikum eine
Ausstellung der zahlreichen von ihm und seinen Schülern modellierten geo-
logischen Reliefs (worunter ein neues, noch in Arbeit befindliches Relief der
Säntis Gruppe) veranstaltet hatte. Der Direktor des Concilium Bibliographi-
cum in Zürich, Dr. Field, erklärte dem Kongrefs seinen analytischen Zettel-
katalog der laufenden Weltliteratur aus den Gebieten der zoologischen
Wissenschaften, dessen Ausdehnung auch auf andere Fächer, z. B. die Geo-
graphie, nur eine Frage finanzieller Art ist. Es soll an dieser Stelle auch
erwähnt werden, dafs bei dem durch manche treffende Rede gewürzten Bankett
durch den Dekan der mathemat.-naturwissenschaftl. Fakultät der Universität
Zürich die Verleihung des Doktortitels honoris causa an den um die Prähistorie
und damit auch die Geographie der Schweiz verdienten Forscher, Privat-
doconten Jak. Heierli, den Verfasser der „Urgeschichte der Schweiz", unter
allgemeinem Beifall bekannt gegeben wurde.
Den Teilnehmern am Kongrefs war eine reichhaltige „Festschrift der
Geographisch - Ethnographischen Gesellschaft" dargeboten worden.
Neuer Vorort und Sitz des nächsten Kongresses des Verbandes der
schweizerischen geographischen Gesellschaften ist Neuen bürg.
Zürich. Heinrich Brunner.
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64*
Geographische Neuigkeiten.
(ieographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitzau.
Allgemeines.
* Schwankungen der momen-
tanen Drehungsachse der Erde. —
Zwei Jahre sind verflossen, seit auf den
sechs Stationen des internationalen Breiten-
dienstes mit den Beobachtungen zur Er-
mittelung des Betrages jener kleinen
Schwankungen begonnen wurde, welche
die momentane Drehungsachse des Erd-
körpers und dessen Haupttragheitsachse
erleidet. Die ersten Ergebnisse dieses
Unternehmens sind vor kurzem von Prof.
Albrecht (Potsdam) in den „Astro-
nomischen Nachrichten" veröffentlicht
worden. Aus dieser Veröffentlichung ist
zunächst zu entnehmen, dafs die Beob-
achtungen, die nach einem vom Zentral -
bureau der internationalen Erdmessung
in Potsdam aufgestellten Programm und
mit völlig gleichartig gebauten Instru-
menten ausgeführt werden, seit dem Herbst
1899 auf allen sechs Stationen, nämlich
Carloforte /Sardinien), Cincinnati, Gaithers-
burg (Nordamerika), Mizusawa (Japan),
Tschardschui (Turkestan), Ukiah (C'ali-
fornien , ohne wesentliche Störung, also un-
unterbrochen fortgeführt werden konnten.
Für den Zeitraum vom Herbst 1899 bis
zum Anfang des gegenwärtigen Jahres hat
Albrecht auch schon vorläufige Resultate
ableiten können. Der Momentanpol der
Erde hat hiernach in diesem Zeitraum
sehr nahe eine Ellipse beschrieben, «leren
grofse Achse 0,24 und deren kleine Achse
0,14 Bogensekunden beträgt. Die Rich-
tung der grofsen Achse dieser Ellipse,
also des gröfsten Ausschlages, fällt mit
dem Meridian zusammen, der 120° östlich
und 60° westlich von Greenwich verläuft,
der also einerseits durch Ostasien, andrer-
seits durch Südamerika geht. Die Ab-
weichung des Momentanpoles von seiner
Mittellage ist somit im Laufe des Jahres
1900 verhältuismäfsig gering gewesen, in
absolutem Längenmafse ausgedrückt, be-
trug sie im Maximum nur .1,7 m. (W. Beil.
Nr. 219 d. „A. Z.")
* Im Monat September hat, wie die
„N. Fr. Pru aus Interlaken erfährt, eine
Gelehrten unter Führung des Physio-
logen Prof. Zuntz und mit Unterstützung
der Berliner Akademie auf dem Brienzer
Rothorn die Einflüsse des alpinen
Klimas und der Bergbesteigungen
auf den menschlichen Organismus
untersucht. Die Einflüsse der Witterung,
des Trainings, überhaupt aller äufseren
Faktoren auf die Leistungsfähigkeit des
Körpers und auf den Stoffwechsel in ver-
schiedenen Berghöhen sollten mit physio-
logischen und meteorologischen Registrier-
Apparaten erforscht werden. Diese Be-
obachtungen sollten dann auf dem Monte
Rosa, bei der Schutzhütte der Königin
Margherita, längere Zeit fortgesetzt wer-
den, um das vielumstritteue Problem der
Bergkrankheit seiner LöBimg näher zu
führen. F. Th.
* Projekt eines französischen
Weltkabel netzes. — In Frankreich
beschäftigt man sich gegenwärtig mit
dem Plane, eigene staatliche Kabellinien
zu errichten. Die Kammer hat zu diesem
Zwecke eine eigene Kommission ins Leben
gerufen. Die Kabel sollen von ver-
schiedenen befestigten Küsteuplätzen aus-
gehen und in den französischen Kolonien
und neutralen Gebieten in der Nähe be-
festigter Orte enden. Die Küstenstationen
sollen wiederum unter einander durch
eigene , vom übrigen Telegraphennetze
unabhängige Telegraphenlinien verbunden
werden. Die oben angeführte Kommission
hat das Projekt eines ausgedehnten Kabel-
netzes ausgearbeitet, in das aufser den
französischen Kolonien auch Griechen-
land, Rufsland, Palästina. Südamerika,
Nied. -Indien, die Philippinen, China und
die Mandschurei einbezogen erscheinen.
Die ganze Anlage zerfällt in vier Netze.
1. Das südatlantische Netz mit den
Linien Rochefort— Dakar (Cap Verde\
Dakar — Cotenou , Coteuou — Libreville,
Libreville— Mossamedes , Mossamedes —
Fort Dauphin Südruadagnskari, Fort Dau-
phin— Lourer>eo-Manjuez. sodann Dakar — -
Buenos- Ay res und Dakar— Cayenne. 2. Das
Netz des indischen Ozeans mit den
Linien Tamatave— Saint Denis (Re"union),
Expedition Berliner und W i ener St. Denis— Batavia und mit der im Jahre
Geographisch
e Neuigkeiten.
649
1895 hergestellten Verbindung Mocam-
bique—Majunga und der Cberlaudtelc-
graphenlinie Majunga — Fort Dauphin.
3. Das Netz deschinesischenMeeres,
umfassend die Linien Saigon — Pulo Kondor
i Insel vor Saigon), Saigon — Pontianak
(Ost - Borueo}— Batavia , Saigon— Macao.
die überlandverbindung Macao— Kanton,
dann die Linien Macao — Amoy, Amoy —
Schanghai, Schanghai— P. Arthur, P. Ar-
thur Taku und die Telegraphenlinien
T.iku — Tientsin, Tientsin — Kussische
Grenze, endlich die Kabellinie Saigon —
Manila. 4. Das Netz des östlichen
Mittelländischen Meeres mit den
Linien Bizerta— Ergasteria (Laurion in
Griechenland) , Ergasteria— Sebastopol,
Ergasteria -Beirut, Oron -Marseille, Oron -
Port Veudres und mit der Telegraphen-
linie Bizerta-Oron. A. R
Europa.
* Die Ergebnisse der seit 1874 durch
den Schweizer Alpenklub und die hchwei-
zerische Naturforschende Gesellschaft sy-
stematisch betriebenen Beobachtungen
am B honegletscher (III. Jhrg. S. 477}
werden nächstens vom Schweizer Alpen-
klub veröffentlicht werden. Durch die
Veränderungen der vier auf dem Gletscher
angelegten Steinprotile hat sich feststellen
lassen, dafs ein Stein aus der obersten
Keihe in den 25 Jahren in horizontaler
Richtung einen Weg von 2U40 m zurück-
gelegt hat und dabei um 6x6 m gesunken
ist. Die Abschmelzung des Eises betrug
am unteren Teile des Gletschers in 1800 m
Meereshöhe jahrlich im Durchschnitte
etwa 12 m, 600 bis 700 m weiter oben
aber nur noch 3—4 m. Im eigentlichen
Firngebict, in einer Höhe von 2700 m,
zeigte sich an den eingesteckten Mefs-
stangen nicht eine Abnahme, sondern eine
Zunahme, die an einigen Orten jährlich
mehr als 4 m betrug. Zusammengenommen
ergeben die Beobachtungen einen fort-
währenden Rückgang des Bhouegletschers
in den letzten 25 Jahren, der am unteren
Gletscherrand nahezu H00 m betrug, wo-
durch 35 ha Boden blofsgelcgt worden sind.
* Chor die Färöer veröffentlicht
Knudsen im Globus Bd. LXXX, S. 227,
auf Grund der vom dänischen General-
stabe in den Jahren 1*1)5 1899 gemach-
ten Aufnahmen und einiger damit im
Zusammenhange stehenden neuen Ver-
öffentlichungen ausführliche Mitteilungen,
denen wir folgendes entnehmen: Die
Färöergruppe besteht aua etwa 24 Inseln
und Holmen, die eine Gesamtoberfläche
von 1326 qkm haben, von denen aber nur
17 bewohnt sind. Die Zahl der Bewohner
beträgt ungefähr 14000; auf der gröfsten
Insel, Ströinö (373 qkm), liegt die Haupt-
stadt Thorshavn mit etwa 1400 Einwoh-
nern. Die Inseln sind steile Felseninscln
vulkanischen Ursprungs, die aus tiefem
Meere steil emporragen. Durch das Innere
ziehen weite flache Hochebenen von einer
Durchschnittshöhe von 315 ni, welche
gegen die Küsten besonders nach Nord
und West schroff abfallen. Auf der Hoch-
ebene erheben sich viele Gipfel, die auf
den Nordinselu, wo der Porphyr vorherrscht,
eine spitze Form haben, während sie auf
den südlicheu Inseln, wo Basalt häutiger
ist, oben etwas flacher gestaltet Bind. Die
höchsten Gipfel liegen im Norden und
Westen der Gruppe, wo der „Slättera-
tinde" auf östero 882 m und der „Vil-
lingcdalsfjäld" auf Viderö 884 m Höhe
erreichen. Die Oberfläche der Inseln ist
mit einer Schicht fruchtbarer Erde be-
deckt, deren Tiefe bis 1 m beträgt, häutig
aber weit geringer ist. Sic reicht nur
selten zu den höchsten Teilen der Berge
hinauf, weshalb die Felsengipfel, wenig-
stens auf den Nordinseln, gewöhnlich
kahl und schwarz, ohne Pflanzendecke
sind. Nur ein sehr kleiner Teil des
Landes is,t angebaut, ein Stücklein um
jeden der 80 bis DO Flecken herum, der
Rest liegt noch unberührt da.
Aalen«
* Die vor kurzem am Aralsee und
einigen andern zentralasiatischen Seen
konstatierten Niveauschwankungen
haben Woeikow veranlagt, die Periode
dieser Schwankungen zu berechnen und
die gefundenen Werte mit denen der
Brückner'schen Hypothese zu ver-
gleichen (Petermaun's Mitt. 1U01, S. 100).
Aua direkten Beobachtungen Berg's am
Aralsee (S. 292) und Ignatow's an
mehreren Seen der Barabinskischen Steppe
und aus älteren Reiseberichten und Er-
kundigungen bei den Eingeborenen er-
giebt sich unzweifelhaft eine Wasserab-
nahme der Seen von den vierziger Jahren
bis zum Ende der siebziger Jahre und
eine dann eintretende Zunahme, die gcr.cn-
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650
Geographische Neuigkeiten.
wärtig nuch andauert, Andererseits lassen
die in Barnaul Heit 1838 ununterbrochen
angestellten meteorologischen Beobach-
tungen eine regelmäfsige und deutlich
erkennbare Schwankung der Niederschlage
in der Nachbarschaft der erwähnten Seen
erkennen derart, dafs die Niederschlags-
menge vom Anfang der Beobachtungs-
periode bis zur Mitte der 60er Jahre ab-
nimmt, dann wieder bis Knde der 80 er
Jahre steigt und dann mit kleinen Schwan-
kungen ungefähr gleich hoch bleibt bis
zu Eude der Beobachtungsperiode. Beide
Beobachtungen ergeben also das Vor-
handensein einer trockenen Periode, deren
Mitte auf die Jahre 1861. 06 fällt, und
einer nassen Periode, die 1893 ihren
Höhepunkt erreicht hat. Die ganze Pe-
riode dauert also 55 Jahre, nafs bis
trocken 26 V, Jahre, trocken zu nafs
28 Vj Jahre. Mit der Brückner'schen Hy-
pothese, die eine 36jährige Periode an-
nimmt, lassen sich diese Werte und Pe-
rioden kaum in Einklang bringen. Die
erste nasse Zeit fällt etwa 12 Jahre früher
als die von Brückner angenommene nasse
Zeit (18ö0j und 8 Jahre nach seiner
trockenen (1830 s, die trockene etwa 4—5
Jahre später als seine trockene (1860),
die. zweite und viel bedeutendere nasse
Zeit etwa 13 Jahre später als seine nasse
und zu einer Zeit, welche er zu einer
trockenen rechnet. Also nur die troekene
Zeit der 60er Jahre lallt mit einer Brück-
ner'sehen trockenen Zeit ungefähr zu-
sammen, die nassen Zeiten fallen auf
Jahre, welche Brückner zu den trockenen
rechnet. Ein Zusammenhang zwischen
periodischen Schwankungen der Lufttem-
peratur und der Regenmenge lieft sich
aus den BeobaehtungBreihen von Barnaul
nicht, nachweisen, das Maximum der Tem-
peratur fällt nicht auf die trockenen
Jahre 1863-64, ebenso auch nicht das
Minimum auf die nassen Jahre um und
nach 1890.
Afrika.
» Über den Et in de- Vulkan in Ka-
merun veröffentlicht Dr. Esch Berlin) in
den Sitzgsber. d. preufs. Ak d. Wiss. (1901,
Xn) als Ergebnis Beiner Untersuchungen
folgende Einzelheiten : Der Gipfel des vom
Kanierunberge ganz unabhängigen Vul-
kane* liegt fast genau auf der Linie vul-
kanischer Thatigkcit, die vom Kamerun-
berg über den Clarence-Peak auf Fer-
nando Po nach den Vulkanen auf den
Inseln Principe, Säo Thome und Annobon
verläuft, und erhebt sich in 5,5 km Ent-
fernung vom Meere zu 1774 m Meeres-
höhe. Seine Abhänge, welche ziemlich
steil zum Meere hin abfallen, sind frei
von Lawen, Aschen und Tuffen, von denen
der Fufs des Kamerunberges bedeckt ist,
und während dieser nur wenige Spuren
von Erosionsthatigkeit an seinen Ab-
hängen zeigt , ist der Etinde durch tiefe
Schluchten zerrissen, zwischen de*HMi
steile Berggrate stehen blieben, die mit
dichter Buschvegetation bedeckt sind.
Aus diesem Grunde setzte der Berg seiner
Ersteigung grofse Hindernisse entgegen.
Dr. Esch war der erste, der sie aus-
zuführen vermochte. Obgleich das geo-
logische Alter des Berges mit Sicherheit
noch nicht hat bestimmt werden können,
so kann doch darüber kein Zweifel be-
stehen, dafs er seinen Ursprung einer
der frühesten Eruptionen des Gebietes
verdankt, Er unterscheidet sich auch
in der Gesteinszusatnmensetzung vom Ka-
merunberg; denn während dieser nur aus
Basalten und Andesiten aufgebaut ist,
besteht der Etinde nur aus Leucit und
anderen feldspatfreien Gesteinen. (Gcogr.
Journ. 1901, S. 444.)
Nordamerika.
♦ 0. C. Farrington liefert in den
Veröffentlichungen des „Field Columbian
Museum" ^Geol. Serics I, S) einen dankens-
werten Beitrag zur nordamerikaniachen
Höhlenkunde, indem er die grofsen
Höhlen von Indiana einer vergleichen -
den Betrachtung unterwirft. Bei derWyan-
dotte-Höhle, die unsere Adelsberger Höhle
an Ausdehnung ungefähr doppelt über-
trifft, erscheint danach als die bemerkens-
werteste Bildung der unter dem Namen
des „Biliar of the Constitution1' („Ver-
fassungs-Säule" i bekannte Riesenstalaktit,
der bei einer Höhe von 9 m einen Umfang
von 21 m hat, und in streng cylindrischer
Form aus Aragonit gebildet ist. Es stehen
mit ihm in derselben Höhle die zahl-
reichen dünnen und langen Wurm-Stalak-
titen in seltsamem Gegensatze. Im scharf
ausgesprochenen Gegensatze zu seiner ein-
heitlichen Bildung steht auch in der Ma-
rengo Höhle das eigentümliche St alaktiten-
Compositum des sogenannten Washington-
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Geographische Neuigkeiten.
651
Monuments; diese Höhle zeigt zugleich
einen «ehr regelmäßig terrassierten Boden
und deutet dadurch verschiedene Perioden
in ihrer Bildungsgeschichte an. Die Shiloh-
Höhle andrerseits ist durch einen außer-
ordentlichen Reichtum an Blattstalaktiten
ausgezeichnet. Bei der Coans-Höhle end-
lich ist der Eingang brunnenartig, so dals
er an die bekannten „Cenotes" von Yukatan
erinnert; seine Entstehung mufs also eine
ganz andere, sein, als bei der Wyan-
dotte- und Mammuth-Höhle, wo einfache
Höhlcndacheinstürze vorliegen. E. D.
* Die KulturverhältniBse der
französischen Antillen lagen nach
den neuesten amtlichen Angaben in
den Jahren 1898 99 wie folgt: Es waren
auf Martinique im ganzen angebaut
HO 202 ha oder nahezu 30 Prozent der
Inselfläche, und zwar 15067 ha mit tro-
pischen Nährfrüchten. 10116ha mitZucker-
rohr, 1784 ha mit Kakao, 349 ha mit
Katfee, 18 ha mit Baumwolle und 2369 ha
mit Tabak und anderen Nutzpflanzen.
Auf Guadeloupe dagegen betrug die ge-
samte Anbauflache 48 «51 ha oder 30,5 Pro-
zent der Inselfläehe, und mit Zuckerrohr
bepflanzt waren 2285H ha, mit Kaffee
3605 ha, mit Kakao 2274 ha, mit Baum-
wolle 485 ha, mit Südfrüchten 359 ha.
mit lloueou 298 ha, mit Vanille und Ge-
würzen 47 ha, mit Tabak 17 ha und mit
tropischen Nährfrüchten 16240 ha. Auf
Martinique schädigte im Jahre 18U'J eine
anhaltende Dürre vor allem die Viehzucht,
während auf Guadeloupe im Jahre 1897
ein verheerendes Erdbeben, im Jahre 189U
aber ein furchtbarer Orkan eine schwere
Beeinträchtigung des Wirtschaftslebens
mit sich brachten. Die Zuckerausfuhr von
Martinique betrug im Jahre 1899: 31,4 Mill.
kg, die Kakaobohnenausfuhr 635 254 kg
und die Rumausfuhr 14.9 Mill 1; dieZucker-
ausfuhr von Guadeloupe 1898 : 44,8 Mill. kg,
die Kaffeeausfuhr 1899: 792000 kg und
die Kakaobohnenausfuhr 416148 kg. Der
besonders auf Guadeloupe wildwachsenden
Gespinstpflanze Fourcroya gif/oute« wurde
bisher nicht die Beachtung geschenkt,
welche sie verdient, E. D.
Südamerika.
♦ Nach dem Schiedssprüche des fran-
zösischen Präsidenten Loubet wird die
Grenzlinie zwischen den Staaten
Costarica und Columbien (Panama")
sich von der auf den europäischen Karten
herkömmlich angenommenen abweichend
gestalten. Von der Monkey- oder Carreta-
Spitze am Karibischen Meere ausgehend,
zieht sie sich auf dem Gebirgskamme,
der das Tarire-fSixola-^Becken südlich
begrenzt, und weiterhin auf der Wasser-
scheide zwischen dem Atlantischen und
Pazifischen Ozeane bis gegen den 9. nördl.
Breitenkreis, um dann der Wasserscheide
zwischen dem Rio Chiriqui Viejo und den
Zuflüssen des Golfo Dulce zu folgen und
an der Burica-Spitze den Pazifischen Ozeau
zu erreichen. Die bisher von Costarica
beanspruchten Inseln vor der Chiriqui-
Lagune (Kolumbus, Mangle Grande, San
Andres u. a.1) sowie die Burica - Inseln
fallen derogemäfs an Kolumbien.
E D.
Polargegenden.
* Die schwedischen Mitglieder der
Gradmessungsex peditionaufS pitz-
bergen sind am 23. September wieder
in Stockholm eingetroffen, ohne dafs es
ihnen gelungen wäre, die schon im vorigen
Jahre unvollendet gebliebenen Arbeiten
zum Abschlufs zu bringen. Die Expedition
hatte im letzten Sommer mit viel schwie-
rigeren Eisverhältnissen zu kämpfen als
in den beiden vorhergehenden Jahren,
da sich infolge anhaltender Südwinde im
Juli und August das Treibeis an der
Nordostküste zu einer undurchdringlichen
Mauer aufgetürmt hat Ii . wodurch eine
Vermessung der nördlichsten Triangu-
lationspunkte bei den Sieben-Inseln un-
möglich gemacht wurde. Nur im süd-
lichen Spitzbergen konnten Vermessungen
von Thumb-Point durch den Hinlopen-
sund zum Celsiusberge ausgeführt werden.
Eine im nächsten Jahre abzusendende
vierte Expedition soll nun hoffentlich die
Gradmessungsarbeiten zum Abschlufs
bringen. Die russischen Mitglieder der
Expedition sind am 14. Oktober nach
Petersburg zurückgekehrt und haben sich
über den Erfolg der Arbeiten der Expe-
dition sehr befriedigt geäufsert. Wenn
sie auch durch häufige und starke Stürme
zu leiden hatten, so forderte andrerseits
die grofse Sommerhitze die Arbeiten so
sehr, dafs sie zum Abschlufs gebracht
werden konnten.
* Über den Verlauf von Peary's
Nordpolarexpedition (8. 696) liegen
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652
Geog raph ische Neuigkeiten.
jetzt nähere Nachrichten vor. Danach ]
ist Peary am 15. April 1900 aus seinem
Winterquartiere bei Etah im Smith-Sund
mit seinem schwarzen Diener Henson und
fünf Eskimos nach Norden aufgebrochen
und hat am 8 Mai den nördlichsten vom
Leutenant Lockwood während der fireely-
Expedition erreichten Punkt, der aber nicht
wie bisher angenommen unter 83° 24',
sondern unter 83° 30' 26" n. Hr. liegt,
erreicht. Indem er dem nordöstlichen
Verlaufe der Küste weiter folgte, gelangte
Peary bis 83° 85)', wo die Küste plötz-
lich nach Osten umbiegt, weshalb er
sich zu einem Vorstofs nach dem Pol
direkt nordwärts wandte; bei 83° 60' n. Br.
machte jedoch ein offener Wasserstreifeu
dem nördlichen Kurs ein Ende und zwang
den Reisenden zur Umkehr nach der grön-
ländischen Küste, der er nun weiter in
östlicher Richtung folgte, bis er in 83°
n. Br. und 25° w. L. an die Indcpendence-
Bai gelangte, die er 1891 auf einer
Schlittenreise über das Inlandeis bereits
entdeckt hatte. Längs der Nordküste
Grönlands wanderte dann Peary wieder
zurück zum Kennedy-Kanal, wo er unter
82° n. Br. beim Fort Conger sein Winter-
quartier aufschlug. Im Frühjahr 1901
wurde abermals eine Schlittenreise zum
Nordpol versucht; aber Menschen und
Hunde waren den Anstrengungen nicht
mehr gewachsen, weshalb sich Peary
wieder südwärts wandte, wo er beim
Cap Sabine die ,. Windward" antraf, die.
im Sommer 1900 zu seiner Unterstützung
entsandt, hier eingefroren war und über-
wintert hatte. Da sich Peary entschlossen
hatte, noch ein viertes Mal im Norden
zu überwintern und im nächsten Jahre
einen abermaligen Vorstofs nach Norden
zu unternehmen, kehrten seine Frau und
Tochter mit dem „Erik", der in diesem
Sommer die „Windward" neu verprovian-
tiert hat, nach Amerika zurück. Die
geographischen Ergebnisse der bisherigen
Reise Peary's sind betrachtlich ; die bisher
noch unbekannten Küstenstrecken Nord
grönlands sind vermessen und aufge-
zeichnet und von der ganzen Küste Grön-
lands bleibt nur noch das Stück zwischen
Independence-Bai und Cap Bismarck im
Nordosten zu erforschen.
* Vom Leiter der deutschen Süd-
pol arexpedition ist in Berlin der erste
ausführliche Bericht aus Porto Grande
auf Sao Vicente vom 15 Sept. einge-
gangen, dem zu entnehmen ist, dafs sich
das Schiff und seine Einrichtung bisher
sehr gut bewährt hat und die Expedition
bis dahin günstig verlaufen ist. Am
16. August hat die „Gaufs" die Elbmün-
dung verlassen, ist bis zum 20. Abends
unter Dampf gefahren und dann mit
Ausnahme einer kleinen Strecke bei Ma-
deira gesegelt, bis am Abend des 11. Sep-
tember in Porto Grande vor Anker ge-
gangen wurde. Die wissenschaftlichen
Arbeiten hatten begonnen und die Er-
probung und Bereitstellung der verschie-
denen Maschinen und Instrumente waren
bereits weit gediehen. Am 16. September
gedachte man Porto Grande zu verlassen ;
der nächste Aufenthalt sollte in Ascension
genommen werden und gegen den 20. Ok-
tober gedachte man in Kapstadt ein-
zutreffen.
Geographischer Unterricht.
* An der Universität Frei bürg i. B.
hat das geographische Institut, das bisher
ziemlich mangelhaft untergebracht war.
in einem Neubau, der aufserdem der
Geologie und der Mathematik dient, neue
bequeme Räumlichkeiten erhalten.
Persönliche».
* Am 6. Juli d. J. starb in seinem
,,Camp" inmitten des kalifornischen Yo-
semitc -Thaies Joseph Leconte, der
unermüdliche Erforscher der nordamerika-
nischen Sierra Nevada, im Alter von
78 Jahren. Am 26. Febr. 1823 in Georgia
geboren, studierte er zuerst auf der dor-
tigen Staatsuniversität sowie in New York
Medizin, später aber in Cambridge bei
Boston allgemeine Naturwissenschaften
und Geologie. Seine ersten Forschungen
im Felde galten dann dem oberen Mis-
sissippigebiete und dem Gebiete des Oberen
Sees. Seit 1869 Professor der Geologie
an der Universität zu Berkeley in Kali-
fornien, wandte er seine Aufmerksamkeit
aber vor allen Dingen den kalifornischen
Küstenketten und der Sierra Nevada zu,
in der letzteren insbesondere den Tahce-
See und seine Umgebung, sowie die Ge-
gend am oberen Tuolumne und Merced
River in mustergiltigerWeise untersuchend.
Allgemein bekannt ist Joseph Leconte als
der Verfasser eines weit verbreiteten Lehr-
buchs der Geologie. E. D.
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Bücherbesprechungen.
663
ßficherbesprechnngen.
Lehmann, Panl, Länder- und Völker-
kunde. Bund II: Aufsereuropa. V,
H54 S. (Hausachatz des Wissens,
Bd. 11.) Ncudamin, J. Neumaun 1901.
JH. 7.60.
Der aufopfernden Arbeit des Verfassers
haben wir es zu danken, dafs in verhält-
uisniäfsig so kurzer Zeit dem Band über
Europa der vorliegende nachgefolgt ist,
so dafs wir nun bereits das abgeschlossene
Werk vor uns sehen. Wir begrüfseu in
ihm eine geschmackvoll und sachkundig
auf gründlicher Studienunterlage durch-
geführte Erdbeschreibung für einen wei-
teren Leserkreis. Im Titel stehen die
Worte Länder- und Völkerkunde wie
gleichwertig nebeneinander, indessen das
geographische Element wiegt doch stark
vor. Gleichwie im ersten Band bei Europa
wird auch hier bei den aufsereuropäischen
Erdteilen vornehmlich die Natur der
Länder samt ihren Städten und ihren
wirtschaftlichen Leistungen dargestellt;
die Völker werden zwar wiederum stets
eingehend gekennzeichnet und zur Ver-
anschaulichung ihres Aussehens, ihrer
Tracht in den Illustrationen reich be-
dacht, aber es wird keine allseitig aus-
gebaute Völkerkunde dargeboten , viel-
mehr ordnet sich das ethnographische
Element dem länderkundlichen unter, wie
es von einer rechtschaffenen Erdbeschrei-
bung zu verlangen ist.
An ein „Schema" hat sich der Verfasser,
wie er selbst es ausspricht, auch diesmal
bei der Stoffanordnung nicht gehalten.
Das thutdem Werk, das ja kein Lehrbuch
sein will, aber auch keinen Abbruch. Es
schildert die Länder nicht pedantisch
lehrhaft, sondern zwanglos wie zur blofsen
Unterhaltung, jedoch so glücklich in der
Auswahl des wirklich Wissenswerten, so
anschaulich und klar, mit so trefflicher
Auswahl der illustrativen Unterstützung,
dafs man kein Buch in deutscher Sprache
zu nennen würste, das auf rund 800 Seiten
die gauze aufBereuropäische Welt nach
ihren wesentlichen (inindzügen in so an-
ziehender Weise dem Verständnis der
Gebildeten nahe brächte wie dieses. Das
erklärende Moment ist keineswegs ver-
nachlässigt ; aber nie gehen klimatologische
oder geologische Erörterungen über die
Fassungskraft des gebildeten Laien. Die
eingedruckten Kärtchen des zweiten Bandes
leiden auch niemals (wie einige des ersten
zufolge photographischer Verkleinerung
des Originals) an schwieriger Lesbarkeit.
Bei einer Neuauflage müfste nur das
Ubersiebtskärtchen von Kiautschou ver-
bessert werden (besonders der Lauschan,
der kein einheitliches Kettengebirge ist
mit Streichung von SW. nach NO.). Die
japanischen Namen schreibt der Verfasser
nach deutschem, nicht nach dem von den
Japanern angenommenen englischen Laut-
wert der Buchstaben; dann sollte indessen
auch statt „Fudjijania" Kuschijama stehen
(„Fudschi" hört man die Japaner nie aus-
sprechen).
Das vor allem auch sehr preiswerte Buch
mit seinem gediegenen Inhalt, seiner an-
mutig schlichten Form verdient weiteste
Verbreitung. Kirchhoff.
Schurtz, H.,Urge schichte der Kultur.
Lex.- 8. XIV u. 658 S. mit 434 Ab-
bildungen im Text, 8 Tafeln in Farben-
druck, lö Tafeln in Holzschnitt und
Tonätzuug und 1 Kartenbeilage.
Leipzig und Wien, Bibliographisches
Institut 1U00. J£ 17.—
Auf umfassender, streng quellen-
mäfsiger Unterlage beschert uns der sach-
kundige Verfasser in diesem starken Band
mit der trefflichen Ausstattung, wie mau
sie vom Bibliographischen Institut gewohnt
ist, eine gediegene, auch in der stilisti-
schen Ausführung geschmackvolle Dar-
stellung des Entwickelungsgauges der
menschlichen Gesittung.
Das Werk enthält sich zwar, da es
dem weiten Leserkreis der Gebildeten
dienen will, zumeist der Anführung von
Belegstellen. Indessen man merkt es auf
Schritt und Tritt, wie der Verfasser ganz
auf der Höhe der Forschung steht. Ein
ungeheurer Wissensstoff liegt hier gründ-
lich und vorurteilsfrei verwertet vor zum
Aufbau einer Kulturgeschichte ximfasscnd-
ster Art, die alle Völker, alle Zeiten um-
spannt, nicht um zu erzählen und zu
beschreiben , sondern um generell den
Werdegang der Gesittung auf allen ihren
Hauptgebieten aufzuspüren. In diesem
erfolgreich und ohne Hypothesensucht
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654
Bücherbesp rech un gen.
durchgeführten Streben darf man den
eigentlichen Adelszug des Werkes er-
blicken. Das Ganze gliedert sich un-
gezwungen und harmonisch in 5 grofse
Abschnitte , deren Inhalt durch ihre
Überschriften »ich genügend ausspricht:
l. Grundlagen der Kultur, 2. Die Gesell-
schaft, 3. Die Wirtschaft (Wirtschafts-
formen , Kulturpflanzen und Haustiere),
4. Die materielle Kultur, 5. Die geistige
Kultur (Sprache, Kunst, Keligion, Rechts-
pflege, Anfänge der Wissenschaft).
Wo noch strittige Ansichten über ein
Problem obwalten, da erfreut regelmufsig
die in leidenschaftsloser Huhe sachlich
abwägende Art des Verfassers, so bei dem
Widerstreit der Meinungen Ober Ur-
erzeugung oder Übertragung bei auffällig
analogem Knlturbesitz innerhalb getrenn-
ter, oft weit von einander abgelegener
Völkerkreise. Hierbei kommt natürlich
Bastian's geflügeltes Wort vom „Völker-
gedanken" zur Sprache, das hier endlich
einmal klar definiert wird. Nach S. 62
soll Bastian, „soweit das aus seinen neueren
Veröffentlichungen zu entnehmen ist",
unterscheiden zwischen einer „unteren
gemeinsamen Schicht" allen Völkern
gleichartig zukommender „Elementar-
gedanken" und „dem Völkergedankeu",
als der Summe alles dessen, was die
Menschheit unter dem örtlichen Kinflufs
der „geographischen Provinz" an Erkennt-
nis und Besitz gewonnen hat. Man wird
dem Verfasser zugeben, dafs das Wort
„Völkergedanke" (auch schon seine Sin-
gularform gegenüber den „Elementar-
gedankeu") wenig glücklich gewählt ist.
Man thäte eben demnach wohl besser,
den Ausdruck ganz zu vermeiden, geradeso
wie den auch gar zu unklaren, daher viel-
deutigen und dehnsamen „geographische
Provinz". Kirchhoff.
Beuermann, A., Landeskunde Preu-
fsens. 11 Helte. Heft 1: Rhein-
provinz von H. Kerp. H. 2: Hessen-
Nassau von W. T e c h t e r. H. 3 : West-
falen von Stephau biomo. H. 4:
Hannover von A. Heuermann. H. ö:
Schleswig- Holstein v. .T. Schmarje.
H. 6: Sachsen von H. Li er seh. H. 7:
Brandenburg von H. Hei uze. H. «:
Schlesien von F. Wulle. H. 0: Posen
von Dr. Kremmer (noch nicht er-
schienen}. H. 10: Pommern von
(). Sommer. H. 11: Ost- u. West-
preufsen von Z i e s e m e r. — Ausgabe A
mit Karte. Berlin und Stuttgart,
W. Spemann 1901. Geb. je Jt 1.—
bis Jt, 1.20, zus. J£ 11 30.
Das Äufsero dieser 80—150 Seiten
starken, gut kartonnierten Hefte ist sehr
ansprechend, auch die innere Ausstattung
ist recht nett. Die fast durchgängig nach
Photographievorlagen hergestellten Bilder
bedeuten im allgemeinen einen Fortschritt,
wenn auch die auf diesem Gebiete herr-
schende Svstemlosigkeit in der Auswahl
der Abbildungen noch nicht hat über-
wunden werden können. Lose beigelegt
sind Provinzialkarten, zumeist die Debes-
scheu; bedauerlicherweise ist es für Bran-
denburg eine freilich an sich gute andere,
die rhun'sehe, für Schleswig-Holstein aber
die wenig brauchbare und unpädagogische
von Harras. — Die Verfasser erwarten natür-
lich hauptsächlich Absatz in ihren Heimat-
provinzeu, trotzdem sollten sie doch in-
sofern auf Gesamtanschaffungen Rücksicht
nehmen, dafs sie die am Rücken gauz
gleichen Bücher dort mit unterscheidenden
Nummern versehen Helsen; ohne dies ist
ihr gemeinsamer Gebrauch recht umständ-
lich. — Die innere Anlage ist überein-
stimmend geplant, ein gleichlautendes
Vorwort in allen giebt darüber Auskunft;
aus erklärlichen Gründen, sachlichen wie
persönlichen, finden aber doch bedeutende
Verschiedenheiten statt. Der verabredete
Plan, nach dem gearbeitet werden sollte,
geht von der Idee aus, dafs „die Kenntnis
der Heimat der wichtigste und wesent-
lichste Bestandteil des geographischen
Wissens" sei, und dafs eine Landeskunde
vor allem neben der Entstehungsgeschichte
des Heimatbodens die Abhängigkeit seiner
Bewohner von ihm in Verbindung mit den
übrigen natürlichen Verhältnissen darzu-
stellen habe. Die Darstellung sucht den
Ton zu treffen, der das Buch für die
Hände fortgeschrittener Schüler mittleren
Alters, sagen wir im Alter von 13 -18 Jah-
ren, oder die der Lehrer einfacher Schulen
brauchbar macht. Hieraus erklärt sich
auch wohl die angestrebte Gliederung in
1. Betrachtung der einzelnen Landschaften
und 2. Betrachtung des Gesamtbildes der
Provinz auf Grund der so gewonneneu
Anschauungen. So führt uns der Heraus-
geber in dem von ihm verfafsten Hannover
zuerst in den Harz, dann ins westliche
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Bücherbesprechungen.
655
Hügelland, darauf in die Heiden und
Moore dea Nordens, schliefshch ins Gebiet
der Marschen. Jeder einzelne Abschnitt
gliedert sich aber wieder in eine gewisse
Anzahl kleinerer Bilder. Nachdem wir
so das ganze Land durchzogen haben,
führt er es um dann noch einmal in
seinen allgemeinen Zügen vor Augen,
indem er mit der Geologie de» Landes
anhebt und mit statistischen Nachweisen
schliefst. Ähnlich macht Kerp zuerst
eine Rheinfahrt, dann Ausflüge nach
Westen und Osten und giebt an zweiter
Stelle eine analog angeordnete allge-
meine Behandlung der Provinz; so steht
es auch mit iStephanblome's „West-
falen", Techter's „Hessen-Nassau" u.a.
Schmarje's „Schleswig- Holstein" will
sich iudes unter diesen Plan durchaus
nicht unterbringen lassen, sodafs sich Vor-
wort und Inhalt in etwas auffälliger Weise
widersprechen. Vielleicht entschliefst sich
der Verfasser zu einer Umarbeitung, die
sich besser in den Rahmen des Unter-
nehmens fügt. Um hier gleich einen
zweiten Wunsch auszusprechen: Ich halte
es nach Gröfse und Kulturbedeutung Ost-
und Westpreufsens für unrichtig, beide
recht erheblich verschiedene Provinzen in
einem schmalen Bündchen zu vereinigen.
Ziesemer's Arbeit ist gewifs recht
hübsch; aber er hat sich doch im Gegen-
satz zu seinen Mitarbeitern gar zu kurz
fassen müssen; besonders Ostpreufsen ver-
diente eine weit eingehendere Würdigung.
Ausgezeichnet ist die Heimatkunde von
„Pommern", O. Sommer' s Werk; ein
schwieriges Unternehmen bot sich für
Li er sc h in der „Provinz Sachsen", die
in ihrer politischen Zerrissenheit und in
ihrer teilweisen Ausdehnung auf gar zu
verschiedene Gebiete sich am wenigsten
für eine einheitliche Behandlung eignet.
Er hat sich nicht ohne Geschick aus dieser
Schwierigkeit gezogen. Nicht übel ist
Wulle's „Schlesien"; dem Verfasser bot
sich auch in Partsch's klassischem Werke
ein prächtiges Hilfsmittel. In dem sonst
recht wohlgelungenen „Brandenburg" von
Heinze vermisse ich den bei den anderen
gebotenen Abschnitt über das Klima.
Alles in nllem bedeutet das Beuer-
mann'sclie Unternehmen einen sehr er-
freulichen Schritt vorwärts zur Entwick-
lung eines erspriefslichen Heiinatkunde-
unterricht* an unseren Schulen, und ich
wünsche ihm von Herzen das schönste
Gedeihen. Hr. Fischer.
Thüringen in Wort und Bild. Heraus-
gegeben von den Thüringer Peatalozzi-
vereinen. 8°. 476 S. Mit etwa 150 Ab-
bildungen. Berlin, Julius Klinkhardt
l'JOO. Geb. JC 0.—
Die Provinz Sachsen in Wort und
Bild. Herausgegeben von dem Pesta-
lozzivereine der Provinz Sachsen. 8°.
476 S. Mit etwa 200 Abbildungen.
Ebenda lltOü. Geb. 6.—
Die Pestalozzivereine in Thüriugeu und
derjenige der Provinz Sachsen haben ein
für weitere Kreise bestimmtes Werk zu
liefern unternommen*), welches die be-
sondere Eigenart und reizvolle Schönheit
Mitteldeutschlands, sowie das Leben und
Treiben, die Sitten und Gebräuche seiner
Bewohner in s-chlichter, volkstümlicher
Weise darstellen soll, einesteils, um da-
durch dem Kinheimischen selbst sein
engeres Vaterland nur noch lieber und
werter zu machen, andrenteils aber auch,
um den Fremden, die hier Erholung oder
Genesung gefunden haben, ein Erinne-
rungszeichen zu bieten, das ihnen lebhaft
vor die Seele stellt, was sie hier erfreut
und erquickt hat. Dieser doppelte Zweck,
den das Vorwort zu dem Bande Thüringen
als Veranlassung zur Ausgabe dieser bei-
den im besten Sinne volkstümlichen Bücher
bezeichnet, dflrfte sicherlich erreicht wer-
den. Wir haben es fast durchweg mit
Beiträgen aus den Kreisen der Lehrer
und Geistlichen zu thuu, für Thüringen
gingen die Materialien so reichlich ein,
dafs ein Teil derfelbeu für einen zweiten
Teil zurückgestellt werden mufste. Bil-
liger Preis bei tadelloser Ausstattung und
reichem Schmuck an charakteristischen
und guten Abbildungen dürften den beiden
vorstehend genannten Bänden eine weite
Verbreitung sichern.
Die einzelnen Beiträge erscheinen teils
in mehr wissenschaftlicher Form als Früchte
eingehender Quellenstudien, teils in Form
und Inhalt mehr der Auffassungskraft des
schlichten Mannes angepafst und sind
naturgemäß bei der sehr grolsen Zahl
der Beitragenden von verschiedenem Wert;
aber im allgemeinen ist trotz des volks-
—
*) Auch für das Königreich Sachsen
und für Schlesien bestehen derartige Bände.
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666
Bü cherbesprech unpen.
tümlichen Tones doch die wissenschaft-
liche Grundlage nicht verlassen, ihre Ge-
samtheit wird in Schule und Haus seine
anregende und belehrende Wirkung aus-
üben und die Leser durch hübsche Kinzel-
schilderungen in die Natur, das Volks-
leben und die Geschichte näher einführen.
Uei dem Hände Thüringen vermiJ'st
man zu Beginn einige solche zusammen-
fassende Aufsätze wie sie für die Pro-
vinz Sachsen A. Kirchhoff über Natur
und Volk vom Standpunkt der heutigen
Länderkunde, G. Hertzberg über die
Geschichte und die Bedeutung »1er Klbe
und der Saale für die Provinz Sachsen,
und P. Hoefer über die erste Besie-
delung der Provinz Sachsen geschrieben
haben; der Band Thüringen beginnt viel-
mehr nach einer poetischen Einführung
sofort mit der Einzelschilderung der reiz-
vollen thüringischen Landesteile, die mit
Darstellungen sprachlichen, geschicht-
lichen, kulturgeschichtlichen Inhalts wech-
selt neben einzelnen Aufsätzen über die
Flora und Fauna Thüringens. Letzteres
wird in dem weiteren Sinne genommen,
wie es der Ref. in seinen Monographien
umgrenzt hat, so dafs neben dem Thü-
ringerwald auch das beiderseitige Vorland
und das Vogtland zur Geltung kommen.
Aus der reichen Fülle seien hervorgehoben
zunächst einige über die Tier- und
Pflanzenwelt handelnde Aufsätze von C.
Wiefel (Der Auerhahn), F. Ludwig
i Die Pflanzen- und Tierwelt der Kalk-
inseln vom Ida-Waldhaus bei Greiz in
ihren biologischen Wechselbeziehungen),
G. Hahn (Die Flora des mittleren Elster-
gcbietes), Dr. Amm 'Die insektenfressen-
den Pflanzen Thüringens), ferner der ge-
haltvolle Aufsatz über Waldwirtschaft
und Forstkultur im Thüringerwald von
Krau L. Gerbing, die auch sonst mehrere
sehr ansprechende kulturgeschichtliche
Schilderungen | EiuTabarzerVogelschiefsen
vor 0(> Jahren, Wie sich unsere Bäue-
rinnen vor 1U0 Jahren kleideten, Von
Erfurt bis Suhl im Jahre 1522) geliefert
hat; genannt sei auch L. Hertel's Henn-
steig, sowie eine Reihe industrieller
Einzelbilder aus Ruhla, Lauscha, Sonne-
berg, Hasenthal, Pöfsneck, Greiz, Zeulen-
roda, Gera und Nordthüringen, t. B das
Kaliwerk der Gewerkschaft „Glückauf"
bei Sondershausen vom Bergrat G roch-
ier, sowie die hübschen mundartlichen
Proben aus verschiedenen Gegenden Thü-
ringens u. a. m.
Auch in dem Bande über die Provinz
Sachsen werden wir in den Bodenbau,
die Flora und Fauna mehrfach einge-
führt, durchwandern die ansprechendsten
Landschaften dieser ausgedehnten Provinz,
ihre einzelnen hervorragenderen Orte und
lernen besonders bedeutende industrielle
Betriebe, wie die Kaliindustrie von Stafs-
furt- Aschersleben, näher kennen. Einen
sonderbaren Eindruck erweckt allerdings
«ler von dem kritischen Stifte der unge-
nannten Herausgeber leider nicht ausge-
merzte Aufsatz „Das preul'sisehe Sachsen-
land" von Pastor einer. Schwen in Be-
senlaubingen, der zu den klaren Aus-
führungenKirchhotFs über dieEntstehungs-
geschiehte der Provinz Sachsen in einem
grellen Gegensatz steht.
Würzburg. Fr. Regel.
Hü hier, H. M., Bayerisch Schwaben
und Neuburg und seine Nach-
bargebiete; eine Landes- und Volks-
kunde. 325 S. 63 Abb. u. 1 Karte.
Stuttgart, Hobbing und Büchle 1001.
Die von Hübler verfafste Landes- und
Volkskunde von Bayerisch Schwaben und
seinen Nachbargebieten, die den 6. Band
der unter dem Titel „Deutsches Land und
Leben in Einzelschilderungen" erscheinen-
den Sammlung illustrierter Landschafts-
kunden bildet, gliedert sich in vier nahezu
gleichgrofse Abschnitte, nämlich 1. phy-
sische Verhältnisse (S. 1—97), 2. Mund-
art, Tracht, Wohn- und Lebensweise nebst
Sitten und Sagen der Bewohner (S. 97
bis 1H4), 3. Erwerbsleben der Bewohner
(S. 184—242), 4. Siedelungen (S. 242—319).
Bei der Darstellung der Oberflächengestalt
treten die besonderen Merkmale der vier
natürlichen Landschaften (Ries, Donauthal
und Hügelrückengebiet, Alpenvorland mit
Moränenzone, Allgäuer Alpen), an denen
Bayerisch Schwabeu Auteil hat, im ganzen
mit wünschenswerter Deutlichkeit hervor.
Für eine raschere Orientierung über die
ganz von dem geologischen Bau des
Gebirges abhängige Gliederung der All-
gäuer Alpen würde die Beigabe einer geo-
guostischen Skizze oder einiger geolo-
gischer Profile sehr forderlich gewesen
sein; denn die beigegebene Karte gewährt,
obwohl sie einen ziemlich grofsen Maß-
stab hat, infolge der Anwenduug allzu
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Bücherb es prechungen.
657
feiner Vertikalschraffen die zum Verstand- '
nid des Textes erforderliche Übersicht
über die Gliederung des Gebirge« nicht. |
Erhält man beim Durchlesen der Ka-
pitel über das Klima, die Pflanzen- und
die Tierwelt den Kindruck, dafe sich diese
Matrum hie und da eine allzu statistische
Behandlungsweise haben gefallen hissen
müssen, so zeugen dagegen die Abschnitte
über Mundart, Volkstracht, Wohn- und
Lebensweise samt Sitte und Sage von
einer erfreulichen Beherrschung und zweck-
entsprechenden Verarbeitung der hier ein-
schlägigen weiUchichtigen Litteratur sei-
tens des Verfassers. Auch die Darstellung
des Erwerbslebens der Bewohner und die
Siedelungskunde können, wenn man von
kleineren Schwachen, wie der Neigung
des Verfassers, schwäbische Lokalgröfsen
2. und 3. Ordnung dem Meere der Ver-
gessenheit zu entreifsen, absieht, als recht
gelungen bezeichnet werden.
Eine nochmalige genaue Durchsicht
des Buches nach seiner sprachlichen Form
hätte wohl zur Außmerzung mehrfach vor-
kommender stilistischer Eigentümlichkei-
ten geführt. Dem Ref. ist z. B. nicht
recht klar geworden, was folgende Aus-
drücke bezw. sprachliche Wendungen be-
sagen wollen: Wohnungen, die sorgfältig
auf fachmännische Art hergestellt waren
(S. 106), Augsburg ist der Wechselplatz,
der den achtbarsten gesicherten Umsatz
des Geldes in Süddeutschland vermittelt
(S. 930), die Stadt Augsburg schützte mit
äufserster Sorgfalt die bedeutendsten Er-
findungen des zu Ende gehenden Mittel-
alters (S. 248) u. s. w.Auch sachliche Un-
richtigkeiten, wie die, dafs in Augsburg ein
Markusbrunnen (soll jedenfalls Merkur-
brunnen heifsen!) existiert (S. 844), oder
dafs der h. Ulrich sich aU tapferer Streiter |
in der Ungarnschlacht auf dem Lechfeld
ausgezeichnet (S. 24«), oder dafs Kaiser
Ferdinand II. am ü. Sept. 1634 in Nörd-
lingen eingezogen sei, um in der dortigen
Kirche durch ein Tedeum Gott für den
Sieg zu danken (S. 864 Anmerkung), soll-
ten in einem sonst so sorgfältig ausge-
arbeiteten Buche nicht vorkommen.
Johannes Müller.
Sieger, R., Die Alpen (Sammlung
Göschen Nr. 129). kl. H°. 170 S. Mit
19 Bildern u. 1 Karte. Leipzig, Göschen
1900. ,tC — 80.
0«Offr»phlMb< Xi'iuchrift. 7. Jahrgang 1901 11.
In der Sammlung Göschen, die uns
I schon mehrere hübsche geographische
| Werkchen gebracht hat, hat Prof. Sieger
in Wien neuerdings die Alpen behandelt.
Trotz der ungeheueren alpinistischen
Litteratur fehlt uns bisher noch eine mit
voller Beherrschung des Stoffes, in wissen-
schaftlichem Geist und doch gemein-
verständlich geschriebene Alpeukunde;
darum werden die Freunde der Alpen das
vorliegende Büchlein, dessen Verf. gründ-
liche Kenntnis der Alpen mit voller Be-
herrschung der geographischen Methode
vereint, mit herzlichen Dank annehmen.
Schade, dafs es dem Zwecke der Samm-
lung gemäfs so kurz sein mufste! Man
merkt es dem Verf. an vielen Stellen an,
dafs er gern mehr gesagt hätte, und es
scheint mir, dafs er öfters schon zu viel
wissenschaftlichen Stoff gegeben hat, statt
lieber die Hauptsachen noch mehr her-
auszuarbeiten und die Darstellung mehr
abzurunden. A. Hettner.
Merzbacher, Gottfried, Aus den Hoch-
regionen des Kaukasus. Wande-
rungen, Erlebnisse, Beobach-
tungen. 2 Bände zu 957 uud 963
Seiten. Mit 246 Abbildungen und
einer dreiblättrigen Karte im Malse
1:140 000. 8°. Leipzig, Dunker &
Humblot 1901. JK 40.—
Es ist nicht möglich, von dem Inhalt
eines Werkes von nahezu 8000 Seiten
in einer Anzeige eine halbwegs genügende
Vorstellung zu geben, selbst wenn sie
über das gewöhnliche Mals des Umfangca
hinausgreift. Ich mufs mich daher darauf
beschränken, Art und Anlage des Buches
kurz zu charakterisieren, und will ein
paar, meinem Interessenkreis näher liegende
I Gebiete in eiuem eigenen Aufsatz etwas
ausführlicher besprechen.
Merzbacher ist als kühner und erfolg-
reicher Ersteiger schwieriger Berggipfel
in den Alpen seit langer Zeit bekannt.
Er ist also in erster Linie ein „Alpinist",
kein Naturforscher von Beruf. Doch ist
wissenschaftlichen Interessen ein breiter
Kaum in dem Buche zugestanden; ein
viel breiterer als das z. B. in den Büchern
der bekannten englischen Bergsteiger der
Fall zu sein pflegt, die so bewunderungs-
würdige Reisen in allen Hochgebirgen der
Erde beschreiben und aus denen wir doch
so wenig erfahren. M. hat zwei Sommer
Heft 44
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658
Büch erbe sprech ungen.
hindurch, 1X01 und 18i>2, den Kaukasus
hereist, das erstemal in Gesellschaft des
leider so früh verstorbenen L. Purtseheller.
beidemal von je zwei Tiroler Führern
begleitet.
Wenn von der Ausführung der R^isc
bis zum Krseheinen des Buches der un-
gewöhnlich lange Zeitraum von mehr als
8 Jahren verstrichen ist, so liegt der
firund gewifs in dem Streben des Verf.,
durch eingehende Studien und erschöpfende
Litteraturbenützung sich zu einer einwand-
freien Kenntnis seines Forschungsgebietes
emporzuschwingen und seineu Lesern
die Früchte dieser Studien mitzuteilen.
Infolge dieser Verbindung von grofser
Bucharbeit, aber doch nur geringer
Schulung für selbständige Beobachtung,
überwiegt das von anderen Herüber-
genommene bedeutend die eigenen For-
schungsergebnisse. Trotzdem stehe ich
nicht an, das Buch auch in wissenschaft-
lichem Sinne als eine wertvolle Bereiche-
rung unserer Kaukasuslitteratur zu be-
zeichnen, da es eine fleifsige Verarbeitung
der älteren Litteratur darbietet. Ich
spreche hiermit vom wissenschaftlichen
Teil des Textes; in einen ganz anderen
Bereich gehören die Beschreibungen der
Bergreisen. Diese nehmen etwa drei
Viertel des ersten Bandes und ebensoviel
vom zweiten Bande ein. Sie sind in der
gewohnten Weise abgefafst; das Reisen
mit seinen Schwierigkeiten, der Verkehr
mit den Bewohnern, alle die bekannten
Widerwärtigkeiten mit den Eingeborenen,
mit Wetter und Trägem, dann die tie-
fahren und Beschwerden dieser gewaltigen
Besteigungen und Übergänge treten uns leb-
haft und anschaulich vor Augen; nicht
blofs für den „Alpinisten" sondern auch
den tieographen, der sich ein genaues
Bild von dem (iebirge verschaffen will,
eine lehrreiche Lektüre.
Die reiche Ausstattung unterscheidet
sich von der anderer neuester Iteisewerke
— z. B. dem des Prinzen von Savoyen
über den Eliasberg — durch das über-
wiegen der Zeichnungen gegenüber den
unmittelbar wiedergegebeuen Photogra-
phien. Obwohl die drei geschicktesten
Alpenmaler Compton, Dimmer und Platz
mitgearbeitet haben, mufs ich doch der
anderen Manier ganz entschieden den Vor-
zug geben. Und zwar nicht blofs vom
wissenschaftlichen Standpunkt aus. Auch
liildmäfsig schöner sind die meist ruhigeren
und mit den bewunderungswürdigsten
Einzelheiten des Schnees, der Felsen und
der Vegetation ausgestatteten Photogra-
phien, an denen man sich ehensowenig
satt sieht, wie an der Natur selbst Auch
die glänzendste Technik kann das nicht
ersetzen.
Das Hauptstück unter den Beigaben
ist eine grofse Karte des mittleren Gebirgs-
teiles im Mafsstab 1 : 140 000 in drei
grofsen Blättern; in mehrfarbigem Farben-
druck mit Schummerung im bayerischen
topographischen Bureau hergestellt auf
Grund der sog. „ein Werst Karte" 1 : 42000.
Sie umfafst das HochgebirgBgebiet von
59° 52' ö. L. (Elbrus) bis 64°; also fast
ebensoviel östlich wie westlich von der
grusinischen Heerstrafse, wodurch sie sich
von der Freshfield'schen Karte wesentlich
unterscheidet. Schummerung ohne Schich-
tenlinien eingiebt stets etwas weiches ver-
schwommenes Bild, doch besitzen wir hier
die ausgedehnteste Kaukasuskarte mit
lateinischer Schrift, und insofern müssen
wir dafür dankbar sein.
Den Schlafs des Buches bildet eine
Bestimmung der mitgebrachten tiesteine
durch Herrn Ammon in München.
E. Richter.
v. Brandt, M., Dreiunddreifsig Jahre
in Ost-Asien. Erinnerungen eines
deutschen Diplomaten. B. II. 1 Bildn.
XV, 386 S. Leipzig, G. Wigand, 1001.
Dieser zweite Band erzählt die Lebeus-
erinnerungen unseres früheren diplomati-
schen Vertreters in Japan aus der Zeit von
1*63 bis 1*75. Abgesehen von der Heim-
fahrt des Verfassers im Jahre 1866 und
seiner Beteiligung an der Schlufsphase
des preufsischen Krieges gegen Österreich,
sowie einer anderen Heimfahrt (1871 zu
1872) durch die Vereinigten Staaten von
Amerika, sind es die damaligeu politischen
Ereignisse in Japan , nebenbei einige
Reisen in Japan (mit gelegentlicher Lan-
dung in Fußan in Korea), die beschrieben
werden.
Von Wert erscheinen die Berichte
über den so folgenreich gewesenen Sturz
des Schogunats, der zur Einrichtung des
modernen Staatswesens in Japan führte.
Die Vorgänge von 1868, die der Verfasser
aus nächster Nähe beobachtet«, in die er
teilweise persönlich mit hineingezogen
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Bücherb es prechungen.
659
wurde, erhalten wir hier dramatisch vor-
geführt; wir lernen die leitenden Per-
sönlichkeiten näher kennen, dazu die
Vorrangsstellung der südwestlichen Teil-
fürstentümer , besonders Satsumas und
Tosas , beim Kampf gegen den letzten,
charakterschwachen Schogun, auch das
Hineinspielen der Rivalität zwischen
Frankreich und Kngland in die Katastrophe,
die so unerwartet rasch zur Gründung
der alleinigen Mikadomacht, zur Beseiti-
gung der Daimioherrschaft und der
Privilegien der Samurai den Grundstein
legte.
Interessant ist auch noch die Einlage
(S. 140 ff.) über die kolonisatorischen Ab-
sichten, die vorübergehend die preufsischc
Regierung auf Formosa gerichtet hat.
Sie knüpften an an den unbedeutenden
Zusammenstoß) eines von der „Elbe" aus-
gesetzten Bootes 1860 mit den malaiischen
Eingeborenen an der Südspitze Formosas.
M. v. Brandt hielt im Januar 1867 über
die Frage dem Prinzen Adalbert, da-
maligem Chef der preufsischen Marine,
Vortrag und zwar mit Recht in abratendem
Sinne.
Die Reiseskizzen sind blofB touristi-
scher Natur. Geographisch fesseln höch-
stens bei der Skizze über Wanderzüge
durch das südliche Yezo einige Bemer-
kungen über die Aino neben denjenigen
über die Wirkungen kurz vorher erfolgter
Ausbrüche des Komagatake - Vulkans
(S. 227 ff.) und des Esan (S. 239 ff ).
Kirchhoff.
Fllippo de Filippl, Die Forschungs-
reiseS.K. H. des Prinzen Ludwig
Amadeus von Savoyen, Herzogs
der Abruzzen, nach dem Elias-
berge in Alaska im Jahre 1897.
Aus dem Italienischen übersetzt von
Professor Baron G. Locol la. XXI.
257 S. M. 34 Tafeln usw. Leipzig,
J. J. Weber. 1900. X 80.—
Fast wie ein Heldengedicht liest Bich
der Bericht über die Expedition des
jugendlichen Abruzzenherzogs nach dem
Eliasberge. Trotz all der furchtbaren
Schwierigkeiten, die das Unternehmen
bot, gab es auf dem ganzen Wege von
der Yakutat-Bai bis zu dem Gipfel des
Riesenberges nirgends ein wirkliches
Zurückweichen oder Zurückschrecken,
sondern nur kühnes, sicheres Vordringen, I
bis das Ziel erreicht war, und wenn man
würdigt, mit welchem Mafse von Energie
und Umsicht der Leiter der Expedition
dabei persönlich aufgetreten ist, so freut
man sich, dals dergleichen Siegfried-
natureu unter deg europäischen Fürsten-
söhnen noch nicht ausgestorben sind.
Freilich wird in dem Vorworte zu
dem Werke ausdrücklich hervorgehoben,
dafs die Expedition ausschliefslich alpi-
nistisch war, und dals es dabei einzig
und allein auf die Überwindung des bis
dahin unerstiegen gebliebenen Hoch-
gipfelfl abgesehen war. Wenig fehlte, so
wäre die Kraftprobe des prinzlichen
Bergsteigers statt an dem Mount Elias an
einem Himalajagipfel angestellt worden.
Man mufs auch gestehen, dafs die Be-
schränkung, welche man sich solcher-
gestalt auferlegte, in zwiefacher Weise
geboten war. Einmal hatte der Verlauf
fiüherer Expeditionen klar genug gezeigt,
dar» unter den gegebenen Verhältnissen
nicht wohl zwei Herren zugleich zu
dienen war, und das Erreichen des
Gipfels war bei der dazu erforderlichen
sechswöchentlichen Wanderung auf dem
Eise an und für sich ein gewaltiges
Problem; und sodann hatte der Abruzzen-
herzog in J. C. Russell einen Vorläufer
gehabt, der in wissenschaftlicher Beziehung
alle Hauptsachen vorweggenommen und
sowohl ein sorgsam ausgeführtes Karten-
bild von der Gegend als auch eine reiche
geologisch -geographische Ausbeute heim-
getragen hatte. Hatte der letztere doch
sogar die Gesteinsnatur des Eliasgipfels
bereit* ganz richtig erkannt, und war er
doch diesem Gipfel bis auf eine einzige
Tagesleistung, die Filippo de Filippi für
leicht erklärt, nahe gekommen — an
Heldcnhaftigkeit und Scharfblick dem
Abruzzenherzog in keiner Weise nach-
stehend, an wissenschaftlicher Schulung
diesem und seinen Begleitern überlegen,
und im Grunde genommen nur von
geringerem Wetterglück begünstigt, so
dafs er in 4600 m Höhe von weiterem
Vordringen abstehen mufste.
Immerhin ist die Füllo der Brosamen,
die bei der italienischen Expedition für
die Wissenschaft abgefallen siud, eine
grofse. Durch die Gesteinsproben, die
von der die Bergmasse krönenden End-
pyramide herabgebracht worden sind,
haben die vorsichtig ausgesprochenen
44*
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660
B ü c h e r b e s p r e c h u n g e n .
Russell'schen Auffassungen iu jedem Falle sie »einer Zeit in deu europäischen Alpen,
erst einen festeren Halt gewonnen. Hin- in der nordamerikanischen Sierra Nevada
sichtlich der Topographie der Bcrgziige i und in zahlreichen anderen Hochgebirgen
und Hochalpengletscher in der Umgehung ' geherrscht hahen müssen,
des EliaBberges konnten verschiedene
Ergänzungen und Berichtigungen der
Die Übersetzung des italienischen
Textes in das Deutsche wäre vielleicht
zweckmäßiger einem erfahrenen Alpi-
nisten, dessen Muttersprache das Deutsche
ist , anvertraut wordeu. Die Darstellung
Baron Locella's ist zwar im allgemeinen
anerkennenswert fliefsend, wo e« sich
aber um scharf präzisierte technische
Ausdrücke handelt, befindet er sich viel-
fach in sichtlicher Verlegenheit, und der
deutschen Sprache thut er dabei gelegent-
lich einfach Gewalt an. So redet er nicht
blos von „Einiuülleu", wo es „Gletacher-
inühlen" heifsen mufs, sondern er wendet
auch die Begriffe „Hochebene", „Niede-
rung", „Hügel" des öfteren in durchaus
unerlaubter Weise an, und die Bereiche-
rung ihres Wortschatzes durch „morä-
nische Bildungen", „moränische Küste",
„eisige Kehlen", „knorrige Gletscher-
flächen" wird sich die deutsche Sprache
schwerlich gefallen lassen.
Entstehen auf solche Weise gerade
an sachlich bedeutsamen Stellen in dem
Buche verschiedenfache Unklarheiten und
Unebenheiten, so wird dies durch die
herrliche Bilderausstattung des Werkes
reichlich wieder gut gemacht. Da hat
ein Meister alpiner Landschaftsphoto-
graphie, Vittorio Sella, an der Seite des
Abruzzenherzoges inmitten der Kiewelt
des Eliasberges eine reiche Ernte ge-
halten, und die Wiedergabe der Bilder
im Lichtdruck ist so vorzüglich, dafs für
den Mannder Wissenschaft daraus noch
ungleich mehrzu lesen ist, als aus dem
Texte. E. Deckert.
Russell'schen Beobachtungen bewirkt
werden. Es wurde eine Anzahl hoch-
interessanter zoologischer Spezies ge-
sammelt um! nach der Rückkehr strenger
wissenschafÜicher Prüfung unterbreitet.
The lückenlose Reihe meteorologischer
Beobachtungen aber, welche angestellt
wurden, erhält dadurch einen ganz beson-
deren Wert, dafs ihr auf Veranlassung
des Herzogs eine ebensolche Reihe von
Beobachtungen an der Meeresküste
parallel ging.
Höher als alles dies schlagen wir
es aber an, dafs die italienische Expeditiou
unsere Vorstellung von dem Leben, das
den von den Eliasalpen abfließenden
Gletschereißmassen innewohnt . ganz
wesentlich vertieft und vervollständigt
hat. Darauf hatten die Mitglieder der
Expedition eben der Natur der Sache
nach ihr Hauptaugenmerk zu richten, und
da dieselben durchgängig gewiegte
Gletscher- und Alpenwanderer waren, so
war von ihnen ein sachverständiges und
scharfes Urteil über die einschlägigen
Erscheinungen von vornherein zu er-
warten, ganz besonders wo Verhältnisse
in Frage stehen, die von denjenigen in
den europäischen Alpen abweichen. Wir
weisen in dieser Beziehung namentlich
auf die Ausführungen über die eigentüm-
lichen Zerklüftungserscheinungen des
riesigen Seward- Gletschers (S. 121 ff.)
hin, auf diejenigen über die trichter-
förmigen Einsenkungen in der Gletscher-
oberfliiehe, die man als „Eisdollinen"
bezeichnen könnte (S. 186), über die Be-
ziehungen der Karbildung zur Sonnen-
bestrahlung am Gletscherraude (S. 107),
über die von der alpinen verschiedene
Farbe des alaskischen Gletschereises
(S. 14*2) und über daB Wachstum der
alaskischen Hochgebirgsglotseher in der
Region des ewigen Schneefalles
1400 m über dem Meeresspiegel ). Ein
besonders reicher Gewinn dürfte der
Quartärgeologie aus dem Studium des
Berichtes erwachsen, da derselben darin
gewissermarsen ein getreues Abbild jener
Verhältnisse \or Augen gestellt wird, wie zur Verwendung im geographischen Unter-
Lang l's Bilder zur Geschichte.
Ol». Jerusalem; 70. Bethlehem;
71. Nazareth. Wien, Hölzel, 1901.
Uuaufgezogen je 2 ,<d
In dem Verlag von E. Hölzel, Wien,
sind dem Cyklus der Langl'schen Ge-
schichtsbilder 3 weitere Blätter beigefügt
über | worden , welche palästinensische Land-
schaften darstellen: Jerusalem, Bethlehem
und Nazareth. Wie der Prospekt sagt,
hofft man dabei besonders den Historikern
und Religionslehrern einen Dienst zu
thun. Hier gilt es zu prüfen, ob sie auch
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Neue Bücher und Karten.
661
rieht empfohlen werden können. Bei einem,
Bethlehem , herrscht in der That der
religiöse Zweck ho vor, dafs man ein
Nachthild wählte, um den Stem iiher der
Geburbdrirche im O. der Stadt und die
Weisen aus dem Morgenlande im Vorder-
grunde anbringen zu können. Kiu Nacht-
bild aber giebt schwerlich einen richtigen
Kindruck von einer Landschaft; von dem
freundlich gelegenen Bethlehem bekommt
man ein falsches düsteres Bild. Auch
der terrassenförmige Aufbau , der für
palästinensische Ortschaften so charak-
teristisch ist, wird dabei nicht einmal
genügend zur Anschauung gebracht.
Das Bild gehört darum mehr in den
Religions-Unterricht und noch besser in
eine Erbauungsstunde zur Weihnachtszeit,
als in dengeopraphischenl'nterrieht. Besser
steht es in dieser Hinsicht mit „Jerusalem4'.
Man bekommt ein gutes Bild von der
Lage der Stadt; die Landschaft rings um
die Mauern ist allerdings nicht fahl genug,
sie leuchtet zu matt, die Dürftigkeit des
Pflanzenkleides tritt dadurch nicht ein-
drucksvoll genug hervor. Weniger gut
ist die Lage von Nazareth getroffen;
' inufs aber dabei dem Maler zu gute
j halten, dafs die ganze Lage der Stadt
in einem Amphitheater überhaupt nicht
leicht bildlich zu reproduzieren ist, be-
sonders da die Stadt sehr zerstreut liegt
und einen etwas verwirrenden Eindruck
macht gegenüber der Geschlossenheit der
meisten orientalischen Siedeluugen. Wer
auf den Höhen über der Stadt stand und
die schöne Aussicht auf sich wirken liefs
bis hinüber an den Karnielabsturz und
den glänzenden Spiegel des Busens von
Akka, wird durch uuser Bild etwas ent-
täuscht sein; die Schönheit der Lage
kommt durch diese Aufnahme nicht zur
Geltung Im übrigen aber läfst sich an
diesem wie an dem vorgenannten Bild im
allgemeinen ein richtiger Totaleindruck
der Palästinn-Landschaft wohl gewinnen,
wobei ich allerdings die Bemerkung nicht
unterdrücken kann, dafs ich den Himmel
in Palästina fast täglich in schönerem
Blau erglänzen sah, als es diese Bilder
vermuten lassen. V. Schwöbel.
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Zusammengestellt von Heinrich Brunner.
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schwankung zwischen Aralsee und Baraba
und die Brückner'sche Hypothese. — Der
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Hochschulen im W.-8. 1901/1902. —
Krahmer: Nachrichten von der Expedition
von P. K. KobIow. — Part sc h: Memel-,
Pregel- und Weichselstrom
Globus. Bd.LXXX. Nr. 10. Wolken-
haue r : A . E. v. Nordenskjöld. — v. S t e n i n :
Die neuen Forschungen über die Basch-
kiren. — Kaindl: Die Juden in der
Bukowina.
Dans. Nr. 11. Singer: Die Garua-
Expedition. — Thilenius: Die Fahrzeuge
der Samoaner. — Hutter: Westafrika-
nische Felddienstordnung für den For-
schungsreisenden.
Dass. Nr. 12. Schuchardt: Sichel
und Säge ; Sichel und Dolch. — N e h -
ring: Ein fossiles Kamel aus Südrufsland.
— Förstern ann: Der Mayagott des
Jahresschlusses. — Der Transport und die
Aufrichtung schwerer Körper in vorge-
schichtlicher Zeit. — Das bolivianische
Territorium Acre und seine Revolution.
Das». Nr. 13. v. Negelein: Das
Pferd in der Volksmedizin. — Schu-
chardt: Sichel und Säge; Sichel und
Dolch. — Die Küsteninselu Ober-Kali-
forniens. — Gebhardt: Der Name der
weifsen Frau.
Dass. Nr. 14. Schmidt :-Die Neander-
thalrasse. — Sei er: Zwei hervorragende
Stücke der altmexikanischen Sammlung
der Christy Collection in London. —
Wardle: Die Eskimos und die Schraube.
— Knudsen: Neue Arbeiten über die
Färöer. — Krebs: Wan-Gra-Yü-Pu, ein
moderner chinesischer Schulatlas.
Dtutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. XXIV. Jhrg. 1. Heft.
Müller: Die Schrumpfungstheorie im
Lichte der Kritik. — Meinhard: Bahnen
in Türkisch- Asien. — Lemckc: Die In-
dianer Mexikos. — Syrkin: Afghanistan.
Meteorologische Zeitschrift. l'JOl. Sep-
tember. Draenert: Das Höhenklima von
Uberaba , Zentralbrasilien. — Martin:
Der Regen in Südchile.
Zeitschr.f. Schulgeograjdiie. XXII. .Ihrg.
12. Heft. Becker: Der XHI. Deutsche
Geographeutag U : Die schulgeograpischen
Verhandlungen. — Kewitsch: Die astro-
nomische Era und das Jahrhundert 19.
Geographischen Jahrbuch. XXIV. Bd.,
1901. Hammer: Fortschritte der Karten -
projektionslehre , Kartenzeichnuug und
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schritte der geographischen Meteorologie.
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graphie 1k99 und 1900. — Gerland u.
Gähtgens: Die ethnologische Forschung
1800—1000.
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Gesellschaft in Wien. Bd. XLIV. Nr. 7
u.8. v.Brosch: Die Wellman'sche Polar-
expedition 1898/99. — Fuchs: über das
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Auftreten pelagischer Tiefseetiere an der
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J. Luksch's Untersuchungen über die
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zu Halle a. d. S. 1901. Wüst: Beiträge
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Berg: Georg Torquatus als ältester Halber-
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des Elbwasserstandes bei Magdeburg
1W91 — l'JOO. — Danneil: Zur Ehre des
magdeburgischen Bauernstandes. — Lan-
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Gerbing: Die Eiben des Ringgaues und
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664
Zeitschriftenschau
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Festschrift der Geogr- Ethnogr. (Gesell-
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bei Einsiedeln, 1. Juli 1900, — Stoll:
Die ethnische Stellung der Tz'utujil-
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Allmenden des alten Landes Schwyz; mit
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Übersichtskarte der sibirischen Hahn. —
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Nr. 4. Arctowsky: The Antarctic Voy-
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Aarborg for 1900. Kristiania 1901.
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optegnclser fra Vaerdalen. — Jordfaldet
ved Mi rset i Stjordalen. — Hmfjeldet
mellem Vangsmj.ison og Tisleia iValdresi
Listerlandet.
En notis om istids-
gruset red Lysefjordens munding. — En
forekomst af kaolin og ildfast 1er red
Dydland naer Flekkefjord. — Skjaer-
gaarden ved Bergen. — Oplysninger til
Blakstads jordbundskart over Trondhjems
omegn. ~ Nogle bidrag til foorstaaelsen
af hoorledes Norges dale og fjelde er
blevne til. I) English Summary zu 1).
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für ütterr. Geschichtsforschung. Er-
gänzgsbd. VI.
Verantwortlicher I Itfrau»^'»»" : Prof. Ur. Alfred tlettner in II»id<-lb«rg
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Über das Problem früheren Landzusammenhangs auf der
südlichen Erdhälfte.
Von Dr. H. Simroth-Leipzig.
Mit einer Karte (Tafel ö).
Die Regsamkeit der Südpolarforschung hat die Aufmerksamkeit der
Geographie mit in erster Linie auf die Fragen der einstigen Ausdehnung der
Antarktis, der Landverteilung und Landverbindung auf der südlichen Erd-
hälfte schlechthin gelenkt. Der alten Annahme, wonach sich die den Süd-
spitzen der südlichen Kontinente zukommende biologische Ähnlichkeit durch
alten polaren Zusammenhang erklären sollte, wurden andere Hypothesen
gegenübergestellt. Die eine sucht die Altertümlichkeit der erwähnten Lebens-
gemeinschaften auf deren früher allgemeine Verbreitung zurückzuführen; sie
würden sich, von immer höheren Formen bedrängt, notwendigerweise nach
den äufsersten Winkeln zurückgezogen haben. Eine andere, die von Baur,
Hutton, v. Jhering, Ameghino u. a., zuerst wohl von Hooker 1853 vertreten
ward, weist auf eine gewisse engere Verwandtschaft jener älteren Organis-
men am Westabhange der chilenischen Kordillere und auf Neuseeland, resp.
Australien hin und verlangt zur Erklärung einen alten pacifischen Kontinent
zwischen beiden Gebieten.
Uns in Europa dürfte es schwer genug fallen, bei der Entfernung und
Ausdehnung der in Frage kommenden Erdteile für eine kritische Stellung-
nahme positive Unterlagen zu gewinnen. Es sei mir daher gestattet, auf
zwei neue Arbeiten von berufenen Kennern, einem australischen und einem
südamerikanischen, hier in verkürzter Übersetzung, der ich einige Bemer-
kungen einschalte, mich einzulassen.
Charles Hedley, Zoolog, speziell Malakolog am australischen Museum in
Sydney, ist nicht nur seit einer längeren Reihe von Jahren in eifriger und
äufserst fruchtbarer Weise bemüht, die Weichtiere des australischen Konti-
nents und der benachbarten Inselwelt zu studieren und der Wissenschaft zu-
gänglich zu machen, sondern er hat vor allen Dingen auch den freien Blick,
um aus den detaillierten Fachstudien zoogeographische und geologische Konse-
quenzen zu ziehen. Seine Beiträge zu den Fragen nach der Besiedelung
Australiens, nach der früheren Ausdehnung des Festlands, nach der Antark-
tis, werden in Zukunft wertvolle Bausteine bilden für eine allgemeine Zoo-
geographie. In den letzten Jahren hat er sich vorwiegend mit der Ethno-
graphie und Zoologie von Funafuti beschäftigt, jenem Atoll aus der Ellice-
Gruppe, auf dem die englische Expedition unter Sollas Bohrungen im
(ieograuhii .' U 7. Jahrgang. 1JKU. IS. Heft. 4ö
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G6G
H. Siniroth:
Korallenkalk anstellte, um über die Mächtigkeit und innere Beschaffenheit
eines Lagunenriffs Aufsehlufs zu erhalten. Hedley nahm an der Expedition
teil. Seine Sammlungen sind teils von ihm selber, teils von anderen Spezia-
listen bearbeitet. Nachdem diese Untersuchungen zum Abschlufs gekommen
und in einer Reihe von Abhandlungen1) niedergelegt waren, hat er ver-
gleichende Umschau gehalten und die Folgerungen gezogen für die Lösung
des Problems2), von welchen Ausgangspunkten und auf welchen Wegen die
pacifischen Inseln, wenigstens die centralen, ihre Tierwelt erhalten haben.
Es dürfte angezeigt sein, ihm in seinen interessanten Auseinandersetzungen
zu folgen, zumal er die verschiedensten einschlägigen Ansichten anderer
Autoren kritisch beleuchtet.
Vor der englischen Expedition beschränkte sich die Kenntnis der Lebe-
welt von Funafuti auf zwei Pflanzen und sieben Landschnecken. Jetzt ist die
Fauna die bestbekannte vom ganzen Stillen Ozean, sie umfafst ca. 900 Arten,
wovon etwa der sechste Teil neu ist. Sie setzt sich, unter gemeinsamer
Einordnung der Land- und Seetiere, zusammen aus: 2 Säugern, 15 Vögeln,
5 Reptilien, 73 Fischen, '2 Enteropneusten , 87 Krustern, 27 Spinnentieren,
5 Myriopoden, 42 Insekten, 440 Mollusken, 1 Brachiopod, 28 Echino-
dermen, 5 Anneliden, 12 Gephyreen, 16 Spongien, 8 Hydrozoen, 2 Scypho-
zoen und 120 Actinozoen (die Foraminiferen konnten aus Zeitmangel nicht
bestimmt werden). Hierauf läfst sich vielleicht ein sichrerer Schlufs gründen
über die Natur und Geschichte der Koralleninseln, als auf die einseitigen
und trotz aller Bemühungen noch immer ziemlich spärlichen Beobachtungen
von Seiten der Geologen, die bekanntlich zu verschiedenen und einander
widersprechenden Theorien geführt haben; jedenfalls müssen beide For-
schungswege eingeschlagen werden zur Entscheidung der Frage, ob die Atolle
die Grabsteine einer untergegangenen Welt, eines versunkenen Kontinentes
sind, oder ob sie wirklich vom Meeresboden, wenigsten von submarinen Er-
hebungen aus zur Oberfläche emporwuchsen, oder aber, ob beide Bildungs-
weisen in Betracht kommen und für welche Inseln, mit anderen Worten, es
handelt sich um die Entscheidung, welches kontinentale Inseln, welches
ozeanische sind.
Für die Beantwortung verwirft Hedley mit Recht alle Tiefenverhältnisse.
Die Annahme etwa, dafs eine Insel, die vom nächsten Festlande durch einen
Abgrund von 2000 m getrennt ist, eine ozeanische sein mürste, hat, so nahe-
liegend sie dem Laien erscheinen mag, in Wahrheit gar keine Berechtigung,
da wir für die Gröfse selbst relativ junger Senkungen bisher gar keinen
Mafsstab haben. Mafsgebend können allein die biologischen Verhältnisse sein.
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S) Ch. Hedley, A Zoogeographie Scheine of the Mid-Pacific. Proceed. of the
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Das Problem früheren Landzusammenhangg auf d. midi. Erdhälfte. 667
Eine Insel, die einst Teil des Kontinents war, bewahrt einen Rest von Be-
wohnern, der ungefähr den alten Bestand, wenn auch geschmälert, wider-
spiegelt, eine ozeanische Insel dagegen beherbergt nur Organismen, welche
die Verbreitung über das Meer ertragen konnten, sei es durch das Wasser,
sei es durch die Luft, also fliegende und schwimmende Tiere, oder solche,
die passiv solchen Transportes fähig waren; von den Pflanzen gilt das
Gleiche. Eine ozeanische Insel kann also nur eine beschränkte Lebewelt
haben von besonderen Eigenschaften. Der durch seine Galapagos-Forschungcn
auch in geographischen Kreisen bekannte Baur hat hier die glücklichen Aus-
drücke „harmonische und disharmonische Fauna" eingeführt. Denkt man sich
ein gleich grofses Areal, sagen wir von einer Quadratmeile, abgegrenzt etwa in
Europa, Amerika und Australien und die Faunen festgestellt, so werden zwar die
drei Listen viel spärlicher ausfallen als die der ganzen Erdteile, aber die
verschiedenen Tierklassen werden in einem ähnlichen Prozentsatz vertreten
sein wie in den Gesamtlisten. Ganz ähnlich bei einer Insel, die früher ein Teil
vom Festlande war. Ganz anders bei ozeanischen Inseln, die nur über See
besiedelt werden konnten. Zwar gehört auch ihre Bevölkerung zu dem
Festland, von dem sie stammt, aber die Liste zeigt ein anderes prozentuales
Verhältnis der verschiedenen Tierklassen, die Fauna ist disharmonisch. Die
Disharmonie der Atollfaunen tritt sofort hervor durch den fast völligen Aus-
schlufs der Säuger, Reptilien und Amphibien.
Um indes nähere Anhaltspunkte zu gewinnen, untersucht Hedley zuerst
die Kontinentalformen im Westen der Inselwelt.
Die australische Ostküste bildet einen gleichmäfsigen Bogen. Ihm ent-
spricht ein ähnlicher diskontinuierlicher und nach Süden divergierender
Bogen, der von Südost-Neuguinea über die Louisiaden und Neucaledonien
nach Neuseeland geht. Ein dritter und äufserster wird durch die Salomon-
und Fidschi-Inseln gebildet.
Im zentralen Teile des Stillen Ozeans herrscht ein Bogen von entgegen-
gesetzter Krümmung. Er wendet seine konvexe Seite Australien zu und zieht
von den Marshall - Inseln über die Gilbert-, Ellice-, Samoa- und Cook- oder
Hervey-Gruppe nach dem Austral- oder Tubuai-Archipel und vielleicht noch
weiter bis zu dem grofsen patagonischen Plateau, das sich von der süd-
amerikanischen Küste nach Nordwesten erstrockt.
Die erste Bogengruppe gehört dem alten Festlande an. Ein Vergleich
von Funafuti mit den benachbarten Teilen dieses Gebietes ergiebt nun, dafs
ein grofser Prozentsatz seiner niederen Meeresfauna westwärts über Neu-
guinea, den malaiischen Archipel, die Andamanen, Ceylon und Mauritius bis
zum Roten Meere verfolgt werden kann, er gehört also der indo-pacitischen
oder orientalischen Region an, wobei die Wallace-Linie zwischen Bali und
Lombok nicht weiter in Frage kommt; denn es genügt hier, bis auf Neu-
guinea zurückzugehen. Doch ist dies nicht schlechtweg als ein Teil von
„Australasien" zu nehmen, einem Begriff, den Hedley am liebsten aus der
Zoogeographie verbannt sehen möchte, da die Zusammenfassung von Austra-
lien mit Neu-Guinea und dem westlichen Stillen Ozean bis Neu-Seeland auf
älterer, der Politik entlehnter, wohl durch Swainson 1835 aufgebrachter
46*
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H. Simroth:
Anschauung beruht und sich nicht halten läfst. Sie umgreift heterogene
Dinge.
Australien selbst scheint drei verschiedene faunistische Elemente zu
enthalten nach der Skizze, die Hedley 1894 entwarf, und die inzwischen
von australischen Geographen, speziell in der Bearbeitung der Horn-Expedition
von Spencer, acceptiert wurde. Die älteste Fauna, welche Täte die autoch-
thone und Spencer die eyrische nennt, hat ihren Hauptsitz im äufsersten
Südwesten, ihr Einflufs macht sich bis nach dem Nordosten von Queensland
quer durch den Kontinent geltend, doch hat er sich nicht bis auf die Insel-
welt des Stillen Ozeans ausgedehnt.
Die Zweitälteste Fauna wird von Täte als euronotische, von Spencer als
bassische bezeichnet. Sie umfafst die hervortretendsten Charakterformen
Australiens; von antarktischem Ursprung, drang sie über Tasmanien ein,
überzog den ganzen Erdteil, überschritt die Torresstrafse nach Neu-Guinea
und erreichte ihre äufserste Grenze in den Salomon-Inseln. Charakteristische
Glieder dieser Fauna sind die Beuteltiere, Monotremen, cystignathen Frösche,
Giftschlangen und eine Anzahl von Helicideugattungen, die durch grofse Eier
ausgezeichnet sind und von Pilsbry daher als Macroogona bezeichnet werden
< Panda, Caryodes, Pedinogyra, Anoglypta).
Das jüngste Element wird von Spencer als torresisch bezeichnet, es
ist von Neu-Guinea eingewandert. Die genauere Analyse hatte Hedley schon
früher zu dem Schlufs geführt, dafs namentlich einige Landdeckelschnecken
(Pupina, Helicina, Diplommatina), die sich auf den Nordosten Queenslands
beschränken, aufs engste mit papuauischen zusammengehören. Doch geht
das viel weiter. Entlang der ganzen Ostküste von Queensland hat sich eine
kräftigo Kolonie papuanischer Tiere und Pflanzen niedergelassen: von Pflanzen
die wilde Banane, der Pfeffer, Orange, Mangostane, Rhododendron, epiphy-
tischo Orchideen und Palmen; von Tieren Mäuse und Fledermäuse, Casuare
und Grofsfufshühner, ein Krokodil, Baumschlangen, echte Frösche, also Rana-
Arten, Ornithopteren , d. h. jene prächtigsten Tagfalter Südostasiens, von
Weichtieren aufser den genannten noch die Lungenschneckengattung Papuina.
Die Kolonie ist so stark, dafs ein Naturforscher mitten in einem grolsen
Queenslandscrub aus seiner Umgebung schwerlich schliefsen könnte, ob er
sich in Australien oder Neu-Guinea befände. In der That ist die Torresstrafse
so seicht, dafs eine Hebung von mir 15 Metern eine Landbrücke herstellen
würde. Sie ist von Tieren und Pflanzen, u. a. auch Eucalyptus, in beiderlei
Richtung benutzt worden. Die Artunterschiede der Organismen nördlich and
südlich von der Torresstrafse beweisen, dafs seit der Gangbarkeit der Brücke
immerhin eine gewisse Zeit verflossen sein mufs. .Ia Pilsbry glaubt aus
der Gattungsverscbiedenheit der papuauischen Schnecken in Queensland folgern
zu müssen, dufs die Landverbindung seit dem Beginne der Tertiärzeit min-
destens zweimal bestand; der erste Zusammenhang mochte ins Eocän fallen.
Neu-Guinea hat aber nicht blofs diesen südlichen Zweig geliefert, sondern
noch zwei andere. Der eine, kürzere, zog entlang der südöstlichen Halb-
insel bis zu den Luisiaden, die er bevölkerte. Charakteristisch für ihn sind
Riesenformeu unter den Pupinelleu, einem Genus kleiner Lunddeckelschneckeu.
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Das Problem früheren Landzuaamnienhangs auf d. siidl. Erdhälfte. 6(59
Der andere beginnt in Kaiser- Wilhelmsland, setzt über nach Neu-Pommem
und Neu-Mecklenburg, dann nach den Salomonen, von diesen aus teilt er
sieh, sehr geschwächt; ein Zug lauft zu den Fidschi-Inseln, ein anderer zu den
Neuen Hebriden, von da noch mehr geschwächt nach Neu-Caledonien, giebt
einen Seitenast nach der Lord Howe-Insel ab und erreicht schliei'slich Neil-
Seeland. Was hier für die Fauna erschlossen wird, hat Lesson bereits 1825
von der Flora gezeigt. Nach ihm erstreckt sich die indische Flora zunächst
durch den malaiischen Archipel bis nach Neu-Guinea, wo sie sich üppig ent-
wickelt. Ein beschränkter Zug kreuzt die Torresstrafse und geht nach
Australien, die indische Erythrina, zwei Bananen, Flagellaria iudica u. a.;
ein zweiter gedeiht vortrefflich auf Neu-Britannien und Neu-Irland, deren
Walder noch die Arecapalme, die Sagopalme, Baumfarne und Drymirhiza
beherbergen, neben Pandanus, Baringtonia, Calophyllum, Casuarina indica.
Auf den Neuen Hebriden und Neu-Caledonien verarmt die indische Flora all-
mählich, weiter südlich bedingt auch «las Klima eine Änderung; die neusee-
ländische Flora ist schliefslich von der australischen vollkommen verschieden,
zeigt aber immer noch einige indische Züge.
Neu -Seeland selbst bildet ein ähnliches Verbreitungszentrum wie Neu-
Guinea. Durch eine südliche Verlängerung war es mit der Antarktis ver-
bunden und erhielt auf diesem Wege eine Einwanderung, die mit der Lebe-
welt Südamerikas nächstverwandt ist. Die neuseeländische Fuchsie ist ein
typisches Beispiel, von Mollusken gehören die Rhytiditen, eine Familie be-
schälter, helixähnlicher Raublungenschnecken, und die Gattung Placostylus
hierher. Auf demselben Wege, auf dem sich der Wanderstrom von Neu-
Guinea bis Neu-Seeland ergofs, gelangte der antarktische über Neu-Seeland
nach Neu-Guinea. Diese Fauna ist ganz verschieden von der euronotischen
in Australien und wahrscheinlich älter. Der eben erwähnte Zug von Neu-
Guinea nach Neu-Seeland brachte allerdings auch einen Teil australischer
Typen mit, die über die Torresstrafse gegangen waren, Cuscus ist ein
schlagendes Beispiel. Sicher geht diese Beimischung bis zu den Salomon-
inseln, über Fidschi läfst sich noch streiten.
In geologischer Hinsicht hat die Fidschigruppe neuerdings eine beträcht-
liche Hebung erfahren. Vorher ging wohl eine ebenfalls bedeutende Senkung.
Vor dieser Senkung aber war ihr Niveau hoch genug, dafs die Aufseninseln,
wie Kandavu, Vanua Levu und Viti Levu mit einander in Verbindung
traten. Eine solche Vereinigung wird durch die Verwandtschaft ihrer Land-
mollusken bezeugt, und als Mafs für die Zeit der nachfolgenden Trennung
kann die Differenz gelten, welche zwischen den korrespondierenden Arten
der verschiedenen Eilande Platz gegriffen hat, wie sie sich innerhalb der
Genera Trochomorpha und Placostylus zeigt.
Wäre die erwähnte Senkung stark genug gewesen, um die Inseln ganz
unterzutauchen, dann müfste ihre Landfauna ertrunken sein. Eine neue Be-
siedelung hätte nur durch Drift über See kommen können und wäre dis-
harmonisch. Wenn dann auch der Geolog solche Inseln als kontinental an-
sehen würde, weil sie auf einem Plateau stehen, müfste sie der Zoolog zu
den ozeanischen rechnen. Sollas will neuerdings die Fidschi- so gut wie die
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H. Siraroth:
Hawaii-Inseln als ozeanische betrachtet wissen, die, wie Stromboli und Vol-
cano, durch vulkanische Aufschüttung vom Meeresboden emporgewachsen
wären, im Gegensatze zu echt kontinentalen, wie Neu-Caledonien und Neu-
seeland. Dagegen spricht aber bei den Fidschi-Inseln ihre ganze Fauna. Unter
den Mollusken ist es vor allem wieder Placostylus, der den auf dem mela-
nesischen Plateau gelegenen Inseln zukommt, dagegen den benachbarten, durch
eine 5000 m tiefe Senke getrennten Samoainseln fehlt, trotz besten Lebens-
bedingungen. Die Amphibien liefern das gleiche Argument. Von Fidschi
hat Boulanger drei Frösche angegeben, von denen einer, Cornufer dorsalis,
auch auf den Salomonen lebt; ähnlich die Reptilien: eine Wurraschlange,
Typhlops aluensis, ist bisher nur von den beiden Inselgruppen bekannt.
Von Iiandplanarien beherbergen die Fidschi-Inseln zwei, eine Geoplana und
einen Rhynchodeinus ; die Gattung Geoplana gilt aber als streng kontinental.
Ähnlich hat das Genus Pupina auf den Fidschi-Inseln seine Ostgrenze. Die
Küfer machen einen kontinentalen Eindruck und sind wesentlich in ihrer
Zusammensetzung verschieden von denen ozeanischer Inseln, wie Tahitis und
der Marcpuesas. Unter den Seetieren beschränkt sich Nautilus ganz auf die
Küstenlinie des melanesischen Plateaus, an der er so weit nach Süden geht,
als ihm die Wärmeverhältnisse erlauben: auch er bewohnt die Fidschi-Gruppe.
Die Flora liefert eine Sapotacee, Chelonespermum, von deren drei bekannten
Spezies zwei von den Salomon-, die dritte von den Fidschi-Inseln stammt.
Schliefslich haben die letzteren auch Urgesteine: Granit, Quarzporphyr, Diorit,
Gabbro u. a.
Von den Santa-Oruz-Inseln zwischen Fidschi und Salomonen ist bisher
nichts bekannt geworden, was ein Urteil über ihre Natur gestattet; man
kann sie vorläufig der Lage nach nur als ein Glied zwischen den Salomonen
und Neuen Hebriden auffassen. Von der kleinen Insel Hotuma, ganz nahe
nördlich vom Fidschi-Archipel, hat Gardiner eine Sammlung mitgebracht, die
ihren ozeanischen Charakter erweist. Die Neuen Hebriden sind biologisch
wenig bekannt, das wenige macht sie zu einem Glied zwischen den Salomo-
nen und Neu-Caledonien. Die nahe Verwandtschaft der Faunen von Neu-
Caledonien und Neu -Seeland hat sich erst neuerdings immer sicherer
herausgestellt, wie denn auch beiden ganz ähnliche mesozoische Schichten
eigen sind. Säuger fehlen aufser Mäusen und Fledermäusen, Reptilien sind
sehr spärlich, Schlangen fehlen ganz, von Amphibien hat Neu-Caledonien gar
nichts, Neu-Seeland einen Frosch. Die Landmollusken zeigen, gegenüber diesen
negativen Befunden, die nächste Verwandtschaft in einer ganzen Reihe von
Gattungen: Melanopsis, Placostylus, Rhytida, .lanella, von den kleinen Endo-
dontiden die Charopa, sowie die Rhytidopsis- und Monomphalusgruppe. —
Die Lord Howe-Insel zeigt in ihren Landschnecken die gröfste Anlehnung
an Neu-Caledonien.
Auf Grund dieser Thatsacben ist das Kartenschema entworfen, ohne jede
Rücksicht auf Tiefenverhältnisse der trennenden Meere. In der That scheinen
die biologischen Argumente viel beweiskräftiger. Die flache Alfuren-See trennt
z. B. weit verschiedenere Faunen in West- Australien und Niederländisch-
Neu-Guinea, als die tiefe Senke zwischen den Salomonen und Fidschi-Inseln.
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Das Problem früheren Landzusammenhangs auf d. südl. Erdhälfte. 671
In Bezug auf die polynesische Fauna kommt Hedley zu folgenden
Schlüssen. Er stimmt zunächst mit Guppy (1896) überein, nach dem die
Besiedelung auf doppeltem Wege vor sich ging. Der eine kam von
Mikronesien, der andere von Melanesien. Der erstere führte von den Mo-
lukken oder Philippinen über die Paluu-Inseln und Carolinen zu den Mar-
shallinseln und von dort weiter die oben skizzierte Kette entlang, er brachte
vermutlich die paeifische Ratte. Der andere ging von Fidschi aus über die
Samoainseln; er brachte in einem rückläufigen Strom melanesische Formen
zu den Carolinen, Ladronen und Palauinseln. Ihm gehört die polynesische
Lungenschneckengattung Partula an, die von dem melanesischen Placostylus
abstammt. Natürlich enthält dieser Strom sowohl papuanische, als antark-
tische Elemente, Tornatellina, Helicina und Trochomorpha papuanisch, Par-
tula und Endodonta antarktisch.
Der Weg, den die polynesische Fauna nach ihrer Loslösung vom Fest-
land genommen, ist zu erratisch, um im einzelnen genau verfolgt zu
werden. Einzelne Thatsachen lassen sich immerhin geltend machen.
Garrett hat die Familien der Coniden, Cypraeiden und Mitriden, der
Kegel- und Porzellanschnecken und Bischofsmützen nach ihrer Artenzahl von den
Fidschi-, Tonga-, Samoa-, Gilbert-, Carolinen-, Cook-, Gesellschafts-, Paumotu-,
Marquesas- und Hawai-Inseln zusammengestellt, und da zeigt sich, dafs zwar
die Cypraeen ziemlich gleichmäfsig verteilt sind, dafs aber die anderen beiden
Familien mit der Entfernung von der melanesischen Grenze regelmäfsig und
stark abnehmen. Die Fidschi-Inseln haben 60 Coniden, die Marquesas 14, die
Hawai 21, für die Mitriden lauten die entsprechenden Zahlen 117, 6, 31.
Die Gesellschaftsinseln allerdings haben einen relativ höheren Reichtum,
wahrscheinlich weil sie älter sind. Das hohe Tahiti mit seinen Nachbarn
hat am längsten den Wanderstrom abgefangen. Vielleicht ist ihre Besiede-
lung überhaupt der der übrigen vorangegangen. So wurde neuerdings ein
merkwürdiger Baum von Tahiti, Lepinia, auf den Salomoninseln wieder-
entdeckt. Eine Untergattung von Landschnecken, Libera, ist dem Cook-
und Gesellschafts-Archipel gemeinsam, und sie besitzen ebenso die Hälfte der
Partula- Arten. Dagegen fiel ihre Insektenarmut, gegenüber den kontinentalen
Inseln, schon d'Urville bei der Reise des „Astrolabe" 1832 auf. Garrett's
Resultate lassen sich graphisch nach der umstehenden Skizze darstellen.
Reichtum in Melanesien, plötzlicher Abfall nach den Fidschis, allmähliche
Verarmung nach Osten; in Tahiti etwas unterbrochen, endlich wieder mäfsige
Anschwellung in Südamerika.
Die Botaniker scheinen darüber einig zu sein, dals die Flora der niedrigen
Koralleninseln über See gekommen ist. Erst 1895 spricht sich Hemsley in
diesem Sinne aus. Alle ihre Pflanzen sind durch Wind, Wasser, Vögel oder
andere Tiere verschleppbar. Tange (Seewead) scheinen zu fehlen und auf
Kontinentalküsten beschränkt.
Die paeifische Ratte, Mus exulans, ist wohl mit den Canoes der Einge-
borenen gekommen. Fledermäuse sind bis zur Ellice-Gruppe gedrungen.
Der Dugong hat Polynesien erreicht. Finsch giebt (1901) die Salomonen
als Ostgrenze an, Hedley Neu-Caledonien. Nördlich vom Äquator geht er zu
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<>72
H. Simroth:
den Palau-Inseln , die Hedley auch für einen kontinentalen Vorposten hält.
Von Seehunden, die sich mich Polynesien (Cookinseln) verirrten, ist nur ein
einziger Fall bekannt, wo das Tier von einem Eingeborenen für den Satan
gehalten wurde. Funafuti hat vier Eidechsen. Eine von ihnen, Gehyra
oceanica, die von den Molukken bis zu den C'ookinseln verbreitet ist, wurde
für Baur ein Hauptgrund, die Hypothese vom paeifisehen Kontinent, der
das malaiische Gebiet mit Südamerika verband, aufzustellen. Wie schwach
die Stütze ist, zeigt die Erfahrung. In jedem Canoe beinahe finden sich
Eidechsen als unfreiwillige Passagiere. Seeschildkröten gehen als gute
Schwimmer bis zu den äufsersten Punkten Polynesiens. Krokodile finden
nach Hedley ihre Ostgrenze auf den Salomonen; Boulanger's Angabe von
den Fidschis ist zurückzuweisen; nur einmal wurde hier ein verschlagenes
Stück getötet.
Vögel und Schmetterlinge scheinen durch den Wind nach der Ellice-
Gruppe gebracht zu sein. Drei Lepidoptera, Remigia translata, Chloanges
suralis und Cephouodes hylas haben nach Woodford ihren Weg von Ost-
asien über die Marshallinseln zu den Gilbertinseln genommen, da sie den
Fidschi und Salomonen fehlen. Die beiden ersteren sind auf demselben Wege
nach Funafuti gelangt. So sind Guppy und Woodford ganz unabhängig von
Hedley zum gleichen Resultate gekommen. Wie die Vögel in ihrem Gefieder
weiter für Verbreitung sorgen, ist bekannt. Vom Stillen Ozean brachte Lister
ein hübsches Beispiel. Auf der Cantoninsel im pfianzenarmen Phönixarchipel
wurde eine Gruppe von Tournefortiabäumen regclmäfsig von Tölpeln (Sula
piscatrix) zum Schlafen und zur Toilette benutzt. In den Dunen, die beim
Nesteln des Gefieders herausgezogen und an den trocknen Zweigen hängen
geblieben waren, safs ein Same eines gemeinen Unkrauts Boerhavia, der mit
Drüsenhaaren besetzt ist.
Für ein wirksames Verbreitungsmittel hält Hedley namentlich das tote
Laub, das in Waldgebieten bei windigem Wetter emporgewirbelt und fortge-
weht wird. Ein Cyclon im Stillen Ozean mag es weit tragen. Daran sitzen
aber eine Menge niedere Tiere, Eier, Larven, Erwachsene; Insekten, Spinnen,
Schnecken. Von letzteren glaubt Hedley die kleinen Helicinen, Endodonten
und Tornatellinen auf diese Weise im Grofsen Ozean verbreitet. Mosquitos
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Dan Problem früheren Landzusammcnhangs auf d. südl. Erdhälfte. 673
und Fliegen dagegen sind nachweislich als Larven erst in neuerer Zeit in
Wasserfässem verschleppt worden.
Wenn Baur das Vorkommen zahlreicher Ameisenfbrmen in Polynesien
für einen sicheren Beweis alten kontinentalen Zusammenhanges nimmt, so
hat er die Hochzeitsflüge vergessen, bei denen sich jede Art in regelmäfsiger
Wiederholung hoch in die Luft erhebt. Endlich ist auch der letzte Trumpf,
den Baur ausspielt, wenig stichhaltig. Er weist darauf hin, dafs die Madre-
porengattung Pocillopora ganz allgemein im Stillen Ozean verbreitet ist,
ebenso bestimmt aber den atlantischen Korallenbildungen fehlt. Dem stellt
Hedley eine ganze Reihe positiver Befunde entgegen, wo junge Pocilloporen an
schwimmenden Bimsteinbrocken, Holzstücken, Seeschildkröten und dergl. an-
safsen und z. T. weit verschleppt wurden, so dafs ein Kontinentalzusammen-
hang sicherlich leicht darauf gegründet werden kann.
Und so häuft sich Beweis auf Beweis. Der Palolowurm (Eunice viri-
dis) geht von der Torresstrafse bis zu den Samoa- und Tongainseln, fehlt
aber der Ellice-, Gilbert- und Marschallgruppe so gut wie dem östlichen
Polynesien.
Unter den marinen Mollusken giebt es eine Anzahl von Leitfonnen auf
der Südhemisphäre, Trigonia für Australien, Nautilus für Melanesien, Stru-
thiolaria für das circumantarktische Gebiet, Eburna für Ostasien, Concholopas
für die Westküste von Südamerika. Funafuti hat nichts davon. Eine
Sammlung seiner roichen Fauna würde dem Kenner keinen Anhalt geben,
zu beurteilen, wo sie gemacht wäre zwischen Mauritius und den Hawai-lnseln.
Der Grund, warum gewisse grofse Formen von der alten Festlandsküste
sich nicht losmachen können, liegt in der Entwickelung. Nautilus, Melo,
Voluta legen grofse Eier, in denen die Jungen die ganze Embryonalentwicke-
lung durchmachen; es fehlt das freischwimmende Trochophorastadiuin. Das
Gleiche gilt für die an allen tropischen Gezeitenzonen so wohlbekannten
Oncidien, auch sie gehen über Samoa und Tonga nicht hinaus. Auch die
Chitonen oder Käferschnecken, in manchen Formen, wie Chitonellus, für die
Korallenriffe so charakteristisch, fehlen in Polynesien.
Wenn umgekehrt manche Gattungen, wie Triforis, Cerithium und vor
allem Tritonium weit verbreitet sind, so mufs darauf hingewiesen werden,
dafs gerade sie für langes pelagisches Leben besonders angepafste grofse
Larven haben. Auch unter dem Material der deutschen Planktonexpedition
traten diese besonders hervor. Die Muscheln sind im Durchschnitt weiter
verbreitet, als die Schnecken; unter ihnen sind kaum marine bekannt, die
nicht schwimmende Jugendformen hätten.
So hängt die Verbreitung der wirbellosen Seetiere wahrscheinlich durch-
weg mit der Schwimmfähigkeit der Larven zusammen, wovon leider
nicht genügend Thaisachen bekannt sind. Von den Echinodermen wissen wir
in dieser Hinsicht wenig. Man könnte wohl geltend machen, dafs die süd-
lichen Meere in dieser Hinsicht schlechter gestellt zu sein scheinen, als
unsere nördlichen. Sie beherbergen eine grofse Menge lebendiggebärender
Stachelhäuter, deren Junge an oder in der Mutter eine abgekürzte Meta-
morphose durchmachen. Hedley macht den australischen Seestern Asterina
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H. Simroth:
exigua namhaft, dessen Junge ihre Verwandlung an demselben Felsen durch-
laufen, an dem die Eier abgesetzt wurden. Dagegen erklärt sich der hohe
Reichtum Funafutis an Krebsen, Enteropneusten, Gephyreen und Actinozoen
durch ihre eupelagischen Larven. Immerhin nimmt auch die Anzahl der
Korallenformen nach Osten hin ab, schon Funafuti läfst eine Reihe ver-
missen, die der alten Fcstlandsküste zukommen, u. a. Galaxea.
Die moderne Durchforschung der Südsee hat andererseits einen Satz
Darwin's umgestofsen, wenn er schrieb: „not one single sea-shell is known
to be common to the Pacific and to the westcoast of America". Immerhin
ist die Anzahl noch gering genug und noch kaum literarisch festgelegt. Ja
fast scheint es, als wenn die Typen zahlreicher würden, die dem Stillen mit
dem Atlantischen Ozean gemeinsam sind. Man mufs dabei natürlich von
eupelagischen circumäquatorialen Arten, wie Glaucus u. a., absehen und mehr
lokalisierte berücksichtigen. Willey hat neuerdings bewiesen, dafs unter den
Leptocardien Asymraetron caudatum von den Luisiaden den nächsten Verwandten
hat in A. lucayanum von den Bahamas. Der Schwamm Hippospongia dura
findet sich bei Funafuti und an der atlantischen Küste von Nordamerika.
Das einzige Brachiopod von Funafuti, Thecidea maxilla, steht dem west-
indischen Thecidium Barretti am nächsten, der Vorderkiemer Mecoliotia
Halligani dem westindischen Iphitus turberculatus. Acanthogorgia muricata,
bisher von Barbados bekannt, wurde bei Funafuti wieder gefunden. Sechs
Medusen sind den Fidschi-Inseln und Westindien gemeinsam. Wie es scheint,
handelt es sich bei allen diesen um sehr alte Typen, deren Verbreitung in
die graue, bisher noch nicht diskutable Vorzeit fällt.
Da aber die Beziehungen zwischen dem Stillen Ozean und der südamerika-
nischen Küste selbst für Meerestiere minimal sind, in Übereinstimmung mit
der grofsen, inselfreien Wasserfläche, die beide trennt, und mit dem kalten
Strom, der an der chilenischen Küste heraufläuft, so fällt nach Hedley die
Hypothese von dem jurassischen Kontinent, der den Pacific bis nach Süd-
amerika ausfüllte, in sich zusammen.
Ganz anders sind die Resultate, welche Burckhardt1) aus seinen
geologischen Untersuchungen in den chilenischen Anden ziehen zu
sollen glaubt. Auch er berücksichtigt das ganze Problem, in erster Linie
allerdings, soweit es sich auf die Geologie stützt. Wie bei Hedley, begnüge
ich mich bei ihm, für weitere litterarische Nachweise nur die Autornamen
anzugeben.
Burckhardt hat speziell die mächtigen porphyrischen und porphvritischen
Ablagerungen untersucht, die, grofse Teile der Anden zusammensetzend, seit
Darwin's Reise die Aufmerksamkeit der Geologen oft auf sich gelenkt haben.
Stelzner unterschied in ihnen 1885 zwei Stufen von verschiedenem Alter,
die jüngste sollte ins Tertiär gehören. Dagegen nahm Steinmann die obere
Grenze als älter an, die Schichten sollten vom Ende der Trias durch den
1) Dr. Carl Burckhardt, fjeolopuc de la section d'explorations nationale* au
Musee de la Plata. Tracea geologiques d'un ancien continent paeifique. Hevista de
Museo de la Plata X. 1900. p. 177-192. 1 PL
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Das Problem früheren Landzusammenhangs auf d. südl. Erdhälfte. 675
Jura bis in die untere Kreide reichen, unterhalb des Danien. Die erneuten
Untersuchungen zeigen, dafs Steinmann der Wahrheit am nächsten kam, die
Grenzen werden etwas mehr eingeengt, von Jura bis Neocom, wobei die
Ablagerungen zweimal äufserst mächtige Anschwellungen zeigen, im unteren
und oberen Jura oder im Lias und Malm. Da die betreffenden ober-
jurassischen Sedimente keine Versteinerungen enthalten, so mufs die Be-
stimmung mit Hilfe der oberen und unteren Nachbarschicht ausgeführt
werden; und da zeigt sich das folgende: An den verschiedensten Stellen
zwischen den 32° und 39° s. Br., fast genau auf dem 70° w. L. , parallel
der Küste, lösen sich westlich und östlich von der betreffenden Linie sehr
verschiedene Facies ab. Im Westen haben wir von unten nach oben:
1. Gyps.
2. Porphyritische Konglomerate, Hunderte von Metern mächtig.
3. Kimmeridge und Tithon.
Entsprechend im Osten:
1. Gyps.
2. Feinkörnige Sandsteine und bunte Mergel in 20 m Mächtigkeit.
3. Kimmeridge und Tithon.
Dadurch wird nicht nur der oberjurassische Charakter der Konglomerat-
schichten bewiesen, sondern auch ihre Vertretung durch ein viel schwächeres
feinkörniges Sediment im Osten. Die Ausbildung bleibt, wie gesagt, auf die
ganze lange Strecke die gleiche.
Es fragt sich, wie die dicken Konglomeratschichten entstanden. Die
meisten Autoren halten sie mit Stelzner für die Folge submariner Eruptionen.
Dagegen spricht nach Burckhardt die Beschaffenheit der einzelnen Kompo-
nenten; sie sind viel zu sehr abgerollt, so dafs teilweise ein ächter Pudding-
stein zu stände kommt. Solche grobe Rollkiesel sind aber typisch für die
Uferzone des Meeres, während das feine Material Östlich davon offenbar in
einer gröfseren Tiefe abgelagert wurde. Wir haben hier also die deutlichsten
Beweise eines paeifischen Kontinentes aus dem weifsen Jura, dessen Ostküste
fast genau mit der chilenischen Westküste zusammenfällt.
Sucht man nach weiteren Anhaltspunkten für eine schärfere Abgrenzung,
so bietet sich zunächst die Auffassung von Neumayr und Stelzner, welche
das Jurameer der Anden im Osten durch einen brasilianisch -äthiopischen
Kontinent begrenzt sein lassen. Diese Auffassung ist nach Burckhardt durch
die südamerikanische Entwiekelung, des Lias und Dogger begründet. Danach
wäre also jenes Meer, in dessen Uferzone die porphyritischen Konglomerate
abgelagert wurden, blofs ein schmaler Golf gewesen von der Breite der
Anden: er erreichte wahrscheinlich die heutige Südspitze Amerikas nicht
Diese Anschauungsweise stimmt mit der v. Jherings, die auf rezenten zoo-
geographischen Thatsachen beruht, überein, sie steht allerdings im Gegensat/,
zu der Neumayr's, der ein paeitisches Juraraeer annahm.
Nun erhebt sich die Frage: Bestanden diese Küstonlinien oder doch
diese Festländer im allgemeinen schon vor der Jurazeit? Die Andeutungen
reichen viel weiter zurück. Katzer ist 1897 bei der Untersuchung des mitt-
leren Devons von Brasilien zu dem Schlufs gekommen, dafs damals ein Süd-
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(»76 H. Simroth: Das Problem früheren Landzusammenhanfrs etc.
kontinent Chile mit Patagonien vereinigte, der Östlich bis Süd-Georgien, west-
lich aber wahrscheinlich bis Neu-Seeland reichte, bei der notwendigen Trennung
der australischen Meere von dem grofsen amerikanisch -pacitischen Ozean;
denn die mitteldevonische Fauna von Europa zeigt mehr Ähnlichkeit mit der
australischen, als mit der nordamerikanischen. Zeiller, Bodenbender, Kurtz
haben dann die Gondwauaschichten mit Glossopteris weit über die südliche
Krdhälfte bis Zentralamerika verbreitet gefunden, in Brasilien, Argentinien,
Afrika, Indien, Australien. Der Stille Ozean der Trias erreichte nach
Mojsisovics die südliche Hälfte von Südamerika nicht; anfangs mehr nördlich
drang seine Südgrenze später doch nur bis Peru vor. Noch lassen sich
Untersuchungen von Szajnocha und Solms-Laubach über das Iihät anführen.
Die damalige argentinisch-chilenische Flora gleicht der von Afrika und
Australien, hat aber mit der indischen nichts zu thun. Hier setzen dann
die oben skizzierten Untersuchungen von Burckhardt ein.
Ich gestehe, dafs ich es für schwierig halte, die Arbeiten der Geologen
mit denen des Zoogeographen Hedley völlig in Einklang zu bringen. Sicher
scheint es, dafs in alter Zeit, jedenfalls bis weit ins Mesozoische hinein,
gröfsere Landmassen auf der südlichen Erdhälfte existierten. Zum Teil sind
auch ihre Grenzen festgelegt, eben zuletzt durch Burckhardt. Nur rnuls man
bedenken, dafs er blofs die Ostküste des alten pacitischen Kontinents fixieren
konnte. Die übliche Annahme, die Westküste habe bis Neu-Seeland gereicht,
entbehrt doch in weit höherem Maafse der positiven, zwingenden Unterlagen.
Die alten bogenförmigen Küstenlinien, die Hedley zeichnet, haben wohl viel
mehr Wahrscheinlichkeit in ihrer Angliederung an Australien, als im umge-
kehrten Sinne, wie wenn sie zu Chile gehörten! Man wird auch kaum mit
dem Einwurfe durchkommen, dafs Hcdley's Rechnungen sich auf rezente
Formen stützen und diese nicht weit rückwärts Geltung beanspruchen können.
Seit Kobelt mit grofser Sicherheit gezeigt hat, dafs die gemeinen Land-
schneckenformen bei uns fast durchweg bis weit ins Tertiär, ja in die Kreide
zurückreichen und zwar meist schon an den gleichen Wohnorten, kann man
unmöglich der durchschnittlich viel altertümlicheren Molluskenfauna, mit der
Hedley rechnet, ein weit höheres geologisches Alter absprechen. Die Schlüsse,
zu denen er kommt, müssen so weit rückwärts Anerkennung finden, dafs sie
auch für die Zeit, von der Burckhardt handelt, vollen Wert haben. Dann
aber kann kaum von der weiten westlichen Ausdehnung jenes alten paci-
fischen Festlandes die Rede sein. Noch, gröfsere südliche Landraassen in
weit älterer Zeit, mit der u. a. Katzer rechnete, mögen etwa für die zitier-
ten Anomalien sporadischer Verbreitung die Erklärung abgeben, ohne dafs
man ihnen indefs schon im einzelnen nachgehen könnte. Aufschlüsse über
die Fragen, die hier erörtert wurden, und über die Lücken in unseren
Schlufsfolgerungeu sind wohl am ehesten noch von der geologischen Auf-
klärung der Antarktis zu erwarten.
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Simroth ,
Tafel V.
GeseltschafLs
Ins?
Cook
Ins;
i 2N
Alte FesUandskÜste
Linie der antarktischen Einwanderung
Linie der papuanischen Einwanderung
• Verbreitungslinien über See
. Axe der Marshall -Austrat (Tubuail- Kette
I nach Hedle y )
Geogr
Geogr. Amt v. Viagner L Debes . Leipzig.
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Kürchhoff: Eisenbahn en u. Eisen bah npläne in Klein - u. Mittel -Asien. 677
Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel -Asien,
Persien und Afghanistan.
Von Oberleutnant a. D. Kürchhoff.
(Schluß.)
Ebenso wie im Osten Asiens nach dem Stillen Ozean, dringt Rufsland
auch nach Süden gegen den Indischen planmäfsig vor.
Es ist notwendig, um die Eisenbahnbestrebungen Rufslands in jenen
Gegenden zu verstehen, einen kurzen Blick auf die politischen und militäri-
schen Verhaltnisse zu werfen; denn wenn auch die Eisenbahnen in erster Linie
den Zwecken des Handels und des Verkehrs dienen, so sind sie doch auch
gerade hier von außerordentlicher politischer und militärischer Bedeutung.
Besonders in Asien läfst sich Rufsland bei Eisenbahn bauten in weitest-
gehendem Mafse von strategischen Rücksichten beeinflussen.
Das Ziel Rufslands ist Indien oder wenigstens das Indusdelta, es mufs
dieses Gebiet sein, will Rufsland aus seinen mittelasiatischen Gebieten den
Vorteil ziehen, den es auf Grund der dort ruhenden Schätze gewinnen kann,
denn Karratschi, der Hafen des Indusdeltas, ist von jeher der Aus- und Ein-
fuhrpunkt Mittelasiens gewesen. Eine sich rentierende Ausfuhr aus diesen
Gebieten ist nur über den Indischen Ozean möglich und ferner kann das
Zarenreich nur durch Ausdehnung nach Süden einen offenen, nicht binnen-
ländischen und stets eisfreien Hafen erhalten. An der persischen Küste kann
ihm ein solcher nicht genügen, einmal ist der persische Meerbusen an der
Strafse von Orman leicht zu sperren, dann aber, und dies wird bei allen
auftauchenden russischen Pachtungsgerüchten nicht genügend berücksichtigt,
fehlt es am genannten Golf überhaupt an guten Hafenplätzen. Eigentliche
Häfen sind weder Buschir noch Bender -Abbas und nur Bigne hat einen
kleinen, ziemlich geschützten Ankerplatz. Die Reede von Buschir erhält
einen geringen Schutz durch vorgelagerte Sandbänke und diejenige von Bender-
Abbas durch die Inseln Kischam, Hornug, Larek. Das Meer ist aber an
den Ufern so seicht, dals die Schiffe 3 — 4 km vom Ufer entfernt ankern
müssen. Der einzige wirklich gute Hafen ist Muhammerah, welches nahe
der Mündung des Karunflusses in den Schat - el - Arab liegt. Die Strombreite
des Karun gehört zur Hälfte zur Türkei, zur Hälfte zu l'ersien, jedoch hat
letzteres auf seinem Gebiet zwei Kanäle, welche den Karunflufs direkt mit
dem Meer verbinden und welche nach geringer Regulierung auch für grofse
Schiffe passierbar sind. Der nächste Hafen also, welcher für Rufslands
Wünsche in Betracht kommt, ist Karratschi. Dieser Ort hat in den letzten
10 Jahren einen gewaltigen Aufschwung genommen und ist jetzt eine be-
deutende Handelsstadt namentlich für die Ausfuhr von Korn und Ölfrüchten.
Im Norden, in Mittelasien ist Rufsland gegenwärtig weit genug vor-
gedrungen, ein weiteres Vorgehen würde die Afghanen zunächst erbittern, es
würde ferner England den Vorwand geben, die Grenzen Indiens bis über
Kabul uud Kandahar vorzuschieben, woran Rufsland Grofsbritannien noch
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6.78
Kü roh hoff:
nicht hindern kann, denn die Basis Turkestan ist noch nicht gcuügeud ge-
festigt; es fohlt ihr auch vor allen Dingen der eigentliche Zusammenhang
mit dem europäischen Rußland, und diese Verbindung mufs unbedingt her-
gestellt sein, ehe das Zarenreich gegen Afghanistan weitere Schritte zu thun
vermag. Denn die Verhältnisse in jenen Gegenden liegen jetzt so, dafs jede
aggressive Mafsnahme Rufslands in jenen Gebieten zum Krieg mit Kugland
führen kann, der dem Zarenreich nicht zu leicht gemacht werden wird, denn
England kämpft um seine Existenz. Dafs aber Kufsland den Streit, der nach
Ansicht hervorragender indischer Staatsmänner und Generale nur eine Frage
der Zeit ist, nicht unvorbereitet vom Zaun brechen wird, beweist sein bis-
heriges Verhalten, bei welchem es gezeigt hat, dafs es niemals das Haltbare
dem Abenteuerlichen opfert, sondern dafs es erst Weiteres unternimmt, wenn
Erobertes in gesicherten Besitz übergegangen ist.
Während nun die Basis Turkestan weiter ausgebaut wird, ist die russische
Diplomatie nicht müfsig, den entscheidenden Feldzug auch auf anderen Ge-
bieten und in anderen Gegenden vorzubereiten. Hierzu gehört die Unter-
werfung Persiens und der Ausbau auch dieses Landes zur weiteren Operations-
basis. Ist dies gelungen, dann ist Indien an seinen Nordwestgrenzen um-
klammert. Die russischen Truppenzusammenziehungen werden dazu durch
der Kaukasus-Bahnen erleichtert. Dieser kurze Hinweis zeigt schon, welch
grofse Bedeutung der russischen Wünschen entsprechende Ausbau des persischen
Eisenbahnnetzes für die Regierung in Petersburg hat; denn steht Persien voll-
ständig unter russischem Einflufs und sind die Eisenbahnen in strategischer
Beziehung sachgemäfs ausgebaut, so ist eine Operationsbasis geschaffen, von
welcher aus die russischen Heere unter Vermeidung der schwer zugänglichen
afghanischen Gebirgsteile verhältnismäßig bequem gegen Kandahar, den
voraussichtlichen Entscheidungskampfplatz zwischen Kosak und Sepoy, vor-
marschieren können.
Unter diesen Gesichtspunkten sind die Bahnbauten im Kaukasus, Trans -
kaukasien und Persien zu betrachten, überall schnelle Truppenzusammen-
ziehung gegen Indien einerseits, gegen die Türkei andererseits, Unterwerfung
Persiens unter russischen Einflufs, besonders auch der Südprovinzen, woselbst
der englische Einflufs noch vorherrscht, und deshalb Durchführung der Linien
bis an den Golf: das sind die leitenden Gesichtspunkte für das hinsichtlich
des Bahnbaues in Persien ein Monopol besitzende Kufsland.
Verfolgt man kurz die Schritte, die Kufsland gethan hat, um allmählich
den entscheidenden Einflufs in Persien zu erhalten, so kann man die erste
politische Annäherung des persischen Reiches an das Zarenreich im Jahr 1884
feststellen, in welchem eine aufserordentliche Mission unter Führung des
Schwagers des Schah, Yasir Khan Muschir el Dowlch an den Hof zu St Peters-
burg gesandt wurde. Dafs aber Rufslaud schon vorher im Land des Schab
nicht ohne EinHufs war, geht aus dem Verhalten der persischen Regierung
gegen den vou der englischen Regierung begünstigten Baron Reuter hervor.
Dem Genannten waren im Jahr 1872 grofse Konzessionen zur Anlage von
Eisenbahnen, Ausbeutung von Minen, Verbesserung von Landverbindungen
aller Art u. s. w. erteilt worden. Man wird nicht fehl gehen, wenn man die
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Eisenbahnen und Eiaenbahnpläne in Klein- und Mittel-Asien etc. 679
im Jahre 1874 plötzlich ohne jede Begründung erfolgende Zurücknahme der
gesamten erteilten Erlaubnis auf den sich allmählich geltend machenden
russischen Einflufs schiebt, nachdem seit den für Persien ungünstigen Kämpfen
im Anfang des 19. Jahrhunderts das Verhältnis zwischen dem Schah und dem
Hof in Petersburg äufserst gespannt gewesen war.
Wesentlich erhöht wurde der Ruhm der Macht des Zaren, als Rufsland
Anfang der achtziger Jahre die Tekke-Turkmenen nicht nur unterwarf, sondern
sie auch zu gefügigen Unterthanen machte, was Persien 1860 und 1878
zweimal vergeblich versucht hatte. Durch die Besitznahme dieser Länder
wurde Rufsland im Jahr 1881 Grenznachbar Persiens, und nunmehr konnte
die russische Diplomatie mit noch gröfserem Eifer an der Unterwerfung Persiens
unter nissischen Einflufs arbeiten.
Eine Zeitlang konnte England vermittelst seiner grofsen Geldmittel be.im
Hof des Schah eine bevorzugte Stellung bewahren. Während aber, wie auch
wiederholt von englischer Seite geklagt worden ist, die englischen Staats-
männer von der Hand in den Mund lebten, nur den Bedürfnissen und Wünschen
des Parlaments von Augenblick zu Augenblick folgend, hat Rufsland seine
wohlangelegte, weitausschauende Politik mit eiserner Zähigkeit verfolgt und
daher gelang es dem russischen Einflufs, über den englischen den Sieg davon-
zutragen. Russischen Staatsangehörigen wurde im Lauf der Jahre eine Reihe
von Monopolen eingeräumt, die z. B. die Provinz Aserbeitschan ganz in russische
Hände gaben. In der ganzen nördlichen Hälfte Persiens ist der russiche Ein-
flufs schon seit langem herrschend; und seitdem das Zarenreich durch den Bau
der mittelasiatischen Bahn einen bis ins Herz Asiens führenden Schienenweg in
Betrieb gebracht hat, hat es die russische Politik verstanden, mit vieler Aus-
dauer und vielem Geschick ihren Einflufs bis ins Herz des Reiches zu erweitern.
Seit der Ende der achtziger Jahre erfolgten Aufstellung der Kosaken-
brigade durch russische Offiziere, der einzigen Truppe, welche nach europäischem
Mafsstab gemessen werden kann, hat Rufsland die Hauptstadt in Händen.
Die Bedeutung dieser Truppe für die innere Entwickelung Persiens wird am
besten dadurch gekennzeichnet, dafs durch ihr Auftreten im Jahr 1896 nach
Ermordung des Schah in Teheran allein die Ordnung aufrecht erhalten wurde.
Damals bestand die Brigade nur aus einer 500 Mann starken Kavallerie-
abteilung und einer aus vier Geschützen gebildeten reitenden Batterie. Im
Jahre 1899 wurde die Brigade auf das dreifache vermehrt, ihr gegenwärtiger
Stand beträgt 200 Offiziere und 1500 Kosaken — Infanterie und Kavallerie
— mit acht Geschützen. Die Brigade ist in vier Regimenter und zwei reitende
Batterien eingeteilt, ist vollkommen selbständig organisiert und wird aus-
schließlich von russischen Instruktoren geleitet, die dem russischen Gesandten
in Teheran unterstehen.
In der letzten Zeit hat Rufsland noch weitere Schritte zur Vergröfserung
seines Einflusses gethan. In mehreren Städten wurden Filialen der russischen
Reichsbank errichtet. Der Unterricht in der russischen Sprache wurde in den
Schulen eingeführt. Ein ehemaliger russischer Offizier soll für die Erteilung
des Unterrichts an den persischen Thronfolger berufen sein. Ein russischer
Oberst wurde zum Instrukteur der persischen Kavallerie ernannt.
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680
Kürchhoff:
Als eine äufserst einschneidende Mafsregel, besonders für die Verdrängung
des englischen Einflusses, mufs aber der Abschlufs der 5°/0 Geldanleihe im
Betrage von 22 xjt Millionen Kübel bezeichnet werden. Da der Schah als Bürg-
schaft die Zölle und Steuern aller Provinzen mit Ausnahme der nach England
verpfändeten Handelsplätze und Küstenbezirke der russischen Regierung zur
Verfügung stellt, so begiebt er sein Land in volle Abhängigkeit von Kufsland.
War doch eine der Vorbedingungen für die Gewährung dieser Anleihe, deren
Tilgung innerhalb eines Zeitraumes von 75 Jahren stattfinden soll, dafs alle
früheren Schuldverbindlichkeiten zunächst getilgt werden müfsten. Somit mufs
die Anleihe von 1892 an England zurückgezahlt werden, wodurch Persien
die freie Verfügung über die Provinz Farsistan und die Häfen des persischen
Meerbusens erhält, wie auch Kufsland von nun ab an Stelle Englands die
Kolle des herrschenden Bankiers des Schah übernimmt. Vorläufig betrachtet
England allerdings noch Südpersien als seine Domäne und erst kürzlich hat
Lord Curzon, Vizekönig von Indien, sich dahin ausgesprochen, dafs „es sich
jetzt klarer als je erweise, dafs das südliche Persien mehr in die englische
Einflußsphäre fallen müsse, dafs man in dieser Richtung niemals nachgeben
könne. Von Mekran bis zum Karuu werde man keiner europäischen Macht
gestatten, sich festzusetzen, selbst wenn man, um dies zu verhindern, zu
den äufsersten Mafsregeln greifen müsse." Immer ist die englische Politik
besonders bemüht gewesen, sich am Golf festzusetzen. In allen einigermafsen
wichtigen Kostenpunkten befinden sich englische Konsulate und Agenten,
zu deren Unterstützung stets vier bis fünf Kanonenboote zur Stelle sind. Die
Mariuestation und das Kohlendepot für diese Schiffe bildet der Hafenplatz
Bassidu auf der in englischen Händen befindlichen Insel Kischu, welche so-
wohl den Hafen von Bender-Abbas als auch die Durchfahrt durch die Strafse
von Ormus sperrt. Ferner besitzen die Engländer innerhalb des Meerbusens
die durch ihre Perlen äufserst wertvollen Bahrein-Inseln an der arabischen
Küste mit türkischem Gebiet als Hinterland, in welchem sich die Engländer
ohne Scheu als Schutzherren aufspielen. Wie sorgsam England bemüht ist,
jeden Fremdeneinflufs fem zu halten, hat Frankreich erst vor kurzem
in Maskat erfahren müssen, aber es trägt sich, wie lange Grofsbritannien
seine Macht in jenen Gegenden noch aufrecht erhalten kann, wenn mit den
russischen Eisenbahuarbeiten erst die bewachenden Kosaken ins Land kommen.
Schon jetzt beginnt Kufsland seine Fühler nach dem persischen Meerbusen
auszustrecken, wie die Einrichtung einer regelmäfsigen Dampferverbindung
Odessa— Buschir zeigt.
Aber alle die angegebenen russischen Mafsnahmen können nicht durch-
schlagend zum Ziele führen. Das Zarenreich hat deutlich erkannt, dafs
der ein Land am ersten beherrscht, der die grofsen Verkehrsmittel, die
Eisenbahnen, in Händen hat, und um dies zu erreichen, wurde schon am
10. November 18U0 zwischen Kufslaud und Persien eine Übereinkunft auf
die Dauer von 10 Jahren geschlossen, welche dahin geht, dafs 1. Persien im
eigenen Land auf die Dauer des Vertrages nicht selbst Eisenbahnen bauen
darf, und dafs 2. die persische Regierung fremden Gesellschaften oder Privat-
leuten keiue Konzession für den Bau von Eisenbahnen bewilligen darf, aus-
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Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel-Asien et<\ 681
genommen sind Pferdebahnen in den Städten. Rufsland hat bisher — wie
man wohl mit Recht hätte annehmen können — trotz dieses Vertrages in
keiner Weise die Entwickelung der Eisenbahnen in Persien gefördert. Diese
etwas wunderbare Thatsache mag vor allem darin ihren Grund haben, dafs
in den neunziger Jahren alles verfügbare Geld hauptsächlich zum Bau der
sibirischen Bahn verwandt wurde. Dieser Schienenweg ist jetzt jedoch so
gut wie fertig gestellt und eine Beschleunigung im persischen Eisenbahnbau
dürfte nunmehr umsomehr eintreten, als Deutschland nach Erhalt der Kon-
zession für den Bau der Bagdad-Bahn als ein gefährlicher Handelskonkurrent
anzusehen ist. Dafs Rufsland von seinen früheren Plänen noch nicht Ab-
stand genommen hat, geht wohl am deutlichsten daraus hervor, dafs im
Jahr 1898, also noch vor Ablauf der Vertragsfrist, diese Konzession bis zum
Jahr 1909 verlängert wurde.
Die Hauptbedeutung dieses durch den erwähnten Vertrag entstehenden
russischen Monopols liegt kommerziell und strategisch darin, dafs alle Bahnen
russische Spurweite erhalten, und dafs hierdurch ein direkter Verkehr sowohl
von Kleinasien als auch von Beludschistan nach dem persischen Reich un-
möglich ist.
Von russischen Bahnbauten in Persien war 1886 zum erstenmal die
Rede, als es sich um den bald wieder aufgegebenen Plan des Baues einer
Eisenbahn zwischen Tiflis und Teheran und zwischen letzterem Ort und Rescht
handelte. Um dieselbe Zeit wurde davon gesprochen, dafs für eine Eisenbahn
von Teheran nach dem persischen Meerbusen ein amerikanischer Unternehmer
gewonnen sei.
Aber alle diese Pläne zerschlugen sich und heute befindet sich Persien
hinsichtlich des Eisenbahnbaues in der gleichen Lethargie wie in allen übrigen
Dingen, trotzdem es, zwischen Europa und Ostasien gelegen, von allen diese
beiden verbindenden Wegen, die schon seit dem grauesten Altertum benutzt
wurden, durchschnitten wird.
Als die Schiffahrt infolge der technischen Fortschritte immer mehr Auf-
nahme fand, als endlich besonders auch für diese bequeme Verbindungen
geschaffen wurden, vor Allem auch, als durch den Suezkanal ein bequemer
Wasserweg nach dem Osten hergestellt wurde, verfielen die alten Heerwege.
Natürliche Wasserstrafsen mit Ausnahme des Kanin waren nicht vorhanden,
und infolge des abgeleiteten Verkehrs lohnte es sich nicht Eisenbahnen zu
bauen.
Von den alten Heerwegen sind eigentlich nur zwei in Betrieb und zwar:
1. Täbris — Kaswin — Teheran — Herat mit Fortsetzung in Afghanistan
bis Kabul.
2. Schuschter — Ispahan — Jezd — Farrah mit Fortsetzung in Afghanistan
nach Kandahar.
Erstere gelangt über den Chaibarpafs, letztere über den Bolanpafs ins
Industhal.
Diese beiden in ostwestlicher Richtung verlaufenden Verkehrsstrafsen sind
auf persischem Gebiet noch durch einen nordsüdlichen Weg verbunden, der
von Rescht über Kaswin — Teheran — Ispahan und Schiras nach Buschir führt.
Geographische Zeitschrift. 7. Jahrgang. 1U01. 12. Heft. 40
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682
Kflrchhoff:
Schuschter ist aufserdem durch einen alten Handelsweg mit Muhammerah,
dem Stapelplatz an der Stromvereinigung von Scha-et- Aarab und Karun,
verbunden. Diese angeführten Hauptverkehrswege sind jedoch keine Chausseen
in unserem 8inn, sondern einfache Landwege. Der Bau von ersteren, und
zwar kurzen, hat sich erst im Lauf der letzten Jahrzehnte unter dem Einflufs
von Ansiändern allmählich entwickelt.
Die kaiserlich persische Bank sollte 1891 folgende Kunststrafsen anlegen:
1. Teheran— Kaswin, 2. Kaswin— Tabris, 3. Täbris— Dschulfa, 4. Täbris—
türkische Grenze, 5« Tabris — Hamadan, 6. Hamadan — Buschir.
Jedoch wurden diese Bauten nicht alle ausgeführ ; und neuerdings wurde
die Chaussee nach Dschulfa wiederum einer Gruppe persischer Kaufleute
konzessioniert.
Einige weitere Chausseen wurden von Privatleuten erbaut.
Im Jahr 1893 erhielt die russische Regierung die Konzession zum Bau
einer Chaussee Reseht — Kaswin, welche sich an die schon bestehende Kunststrafse
Teheran — Kaswin anschlofs. Die Genehmigung zu ersterer wurde von Rufs-
land der persischen Regierung auf diplomatischem Wege abgerungen, um das
mauerartige Elburs-Gebirge zu überwinden, in dem Bestreben hierdurch der
russischen Industrie die Pfade in Persien zu ebnen. Der Bau dieser Strafse,
welche eine leichte Verbindung zwischen Teheran und dem Kaspischen Meere
ermöglicht, hatte grofse technische Schwierigkeiten zu überwinden. Trotzdem
diese Verbindung noch nicht in allen ihren Teilen, besonders hinsichtlich der
Brücken fertig war, wurde sie doch, wahrscheinlich aus politischen Rück-
sichten, im Jahr 1899 feierlich eröffnet So waren um diese Zeit dem Verkehr
übergeben:
Die Chausseen Teheran — Kaswin , 153 km, Kaswin— Rescht 150 km,
Teheran — Kum, 155 km und Mesched — Askabad, 240 km; von letzterer, die
deshalb von besonderer Wichtigkeit ist, weil sie in letztgenanntem Ort die
mittelasiatische Bahn erreicht, befinden sich 48 km auf russischem Gebiet.
Der Bau einer Chaussee Teheran — Ispahan war 1899 im Gang.
Im November 1895 hatte ein deutscher Unterthan für 75 Jahre die
Konzession zum Bau einer Chaussee von Teheran nach Bagdad und zur Ein-
richtung des Transportdienstes auf ihr erhalten, femer für 90 Jahre die
zum Bau einer Dampfbahn oder elektrischen Strafsenbahn in der Aus-
dehnung von 10 Meilen von Teheran nach den nördlich der Stadt gelegenen
Dörfern. Leider kamen diese Pläne bisher nicht zur Ausführung, wie auch
die kaiserlich persische Bank die von ihr erlangte Konzession zur Verlängerung
der Chaussee Teheran — Kum aus finanziellen Gründen nicht ausnützte. Da-
gegen wurde von einer englischen Firma eine Strafse angelegt, die von Ahias
über Schuschter nach Ispahan führt und an den schiffbaren Karun an-
schliefsend eine leichtere und billigere Einfuhr von Waren in das Innere des
persischen Reiches gestattet. Vorläufig handelt es sich allerdings auch hier
nicht um eine Chaussee in unserem Sinn, sondern nur um einen verbesserten
Fahrweg, es besteht aber die Absicht, die Strafse auszubauen.
Es ist anzunehmen, dafs durch diese Verbindung die Strafse nach Buschir
wesentlich an Bedeutung verlieren wird, denn durch sie wird der Weg zu
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Eiuenbahnon und Einenbahnplüne in Klein- und Mittel-Asien etc. 683
Lande, der bisher von Ispahan nach Buschir 740 km lang war, auf 440 km
vermindert, da von Schuschter an auf dem Karun Schiffsverkehr stattfindet.
Bei der Bedeutung des letztgenannten Flusses für Persien scheint eB
angebracht, kurz etwas genauer auf ihn einzugehen. Ein Blick auf die
Karte genügt, um die geographische Lage des Karungebietes als für die
Entwicklung des Landes vorzüglich erkennen zu lassen, denn Persien ist
in der glücklichen Lage, diese Wasserverbindung politisch und kommerziell
von fremden Einflüssen unbeschadet ausnützen zu können. Die Beschiffung
des Karun, bis 1888 nur den Engländern gestattet, ist seit dieser Zeit bis
nach Ah was allen Nationen frei gegeben. Für Deutschland würde die Karun -
Verkehrsader mit dem Tage ein besonderes Interesse gewinnen, an welchem
die Bagdad-Bahn bis an den persischen Golf geführt oder eine direkte deutsche
Schiffsverbindung dahin ins Leben gerufen wird. Vorläufig gehen die nach
Persien bestimmten Waren meist über Bombay und Buschir, was eine
wesentliche Verteuerung zur Folge hat. Der Schlüssel zu diesem Gebiet ist
Muhammerah.
Die ersten Eisenbahnbaupläne tauchten in Persicn Anfangs der achtziger
Jahre auf, als sich die persische Regierung 1883 zum Bau einer Eisenbahn
von Teheran nach Rescht am Kaspischen Meer entschlofs. Im Anschlufs an
diese Linie sollte Rescht einerseits über Baku mit der kaukasischen Bahn,
andererseits mit Askabad und auf diese Weise mit der mittelasiatischen Strecke
verbunden werden. Endlich war die Fortführung von Teheran nach dem
persischen Meerbusen beabsichtigt.
Diese Pläne kamen nicht zur Ausführung, Rufsland schlofs den oben-
erwähnten Eisenbahnvertrag, ohne dafs, wie schon gesagt, auf diesen etwas
erfolgt wäre. Bis jetzt sind in Persien im ganzen 54 km Eisenbahnen,
einschließlich der Strafsenbahnen, in Betrieb. Die erste Bahnverbindung,
welcho 8,7 km lang ist, wurde von Franzosen im Jahr 1888 von Teheran
nach dem sehr viel besuchten Wallfahrtsort Schah - Abdul - Ajim in Betrieb
gesetzt. Die Bahn wird jetzt von einer belgischen Gesellschaft betrieben. In
dem gleichen Jahr wurde von einem persischen Industriellen, dem früheren
Pächter der Münze in Teheran, der Bau einer Eisenbahn von Rescht nach
Muhammedabad am Kaspischen Meer und nach Amal oder Amul begonnen.
Die Gesamtlänge der Strecke sollte 32 km betragen, jedoch wurden nur 20 km
fertig gestellt, und auch diese waren nur wenige Jahre in Betrieb, dann wurde
er eingestellt, und die Bahnanlagen verfallen jetzt.
Im Jahr 1898 endlich trat die persische Eisenbahnfrage dadurch in ein
entscheidendes Stadium, dafs zwischen dem Schah von Persien uud dem
Kaiser von Rufsland ein Vertrag abgeschlossen wurde, demzufolge das
Kaspische Meer von einem geeigneten Hafen aus mit einem ebensolchen des
persischen Meerbusens durch eine Eisenbahn verbunden werden sollte. Aller-
dings stellte 1899 die persische Regierung gänzlich in Abrede, dafs irgend
welche Eisenbahnkonzessionen überhaupt erteilt seien; aber dieses Dementi
darf nicht allzu ernst genommen werden, denn einmal steht es fest, dafs
vorbereitende Arbeiten für Eisenbahnen vorgenommen worden sind, und zweitens
ist wohl mit Recht anzunehmen, dafs Persien die betreffenden in russischen
46 •
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6S4
Kürchhoff:
Blättern ausführlich besprocheneu Konzessionen — sollte es sie thatsächlich noch
nicht erteilt haben — doch in nicht allzuferner Zeit erteilen wird, und zwar
auf Grund des erwähnten Vertrages an Hufsland.
Es handelt sich zunächst um eine Eisenbahn, die längs der türkischen
Grenze den persischen Golf erreichen soll. Die Bahn würde die Verlängerung
der von der Eisenbahn Tiflis— Kars in Alexandropol abgehenden, nach Eriwan
im Thal der Arras führenden Linie bilden. Um vorbereitende Studien für
den Bau dieser, wie russische Blätter behaupten, vom Schah schon genehmigten
Bahn zu machen, hat sich 1K99 eine aus sieben Generalstabsoffizieren und
Ingenieuren bestehende russische Kommission zur Erkundung einer geeigneten
Trace längs der persisch - türkischen Grenze nach dem persischen Golf
begeben.
Anfangs durch sehr fruchtbares und dicht bevölkertes Land führend,
mufs sich die Bahn durch eine GO km lange Strecke himlurchwinden, wo
sich in bergigen Gebieten weder menschliches Leben noch Wasser findet. Es
folgt dann wieder fruchtbares Land bis zur Grenze. Die erste Station auf
persischem Boden ist Dschulfa. Der Bau hat bis zu letztgenanntem Ort
bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden und sind die Gesamtkosten aut
18 Millionen Rubel veranschlagt. Besonders hohe Einnahmen stehen, soweit
es sich nach den heutigen Verhältnissen beurteilen läfst, auf russischem Gebiet
nicht zu erwarten. Deshalb ist es uicht klar, weshalb man sich für diese
Trace entschieden hat, obgleich noch eine andere Linie vorgeschlagen war.
Diese letztere sollte von der transkaukasischen Bahn in Evleh hei Baku ab-
gehen und in der Richtung auf Ardabad verlaufen. Sie wurde besonders von
Unternehmern unterstützt, welche die Konzession zur Ausbeutung der Minen
von Karadag, die sehr reich an Zink, Silber, Eisen und Kupferstein sein
sollen, haben und bei denen zunächst die gute Ausbeutung durch das Fehlen
von Verbindungslinien beschränkt wird. Diesem freistand hilft die gewählte
Strecke nicht ab, da sie nicht in der Nähe der Minen vorüberführt.
Über die genaue Trace der Fortsetzung dieser Bahn auf persischem
Gebiet ist zunächst noch nichts bekannt. Die Linie ist strategisch sowohl
der Türkei wie Persien gegenüber von grüfster Bedeutung, ob sie aber für
den Handel von grofsem Nutzen sein wird, ist schwer zu sagen. Die per-
sischen Provinzen Adherbeidschan und Kurdcstan stehen hauptsächlich mit den
Städten an der Wolga und mit Moskau, also über das Kaspische Meer und
die Wolga aufwärts, in Handelsverbindung; nur Kiew mit seinen Zucker-
lieferungen repräsentiert in Westpersien den Westen des europäischen Rufslands.
Von Dschulfa aus ist die Herstellung eines Zweiges nach Täbris beab-
sichtigt, der über Sengan — Kaswin — Teheran — Schahrud — Mesched nach
Herat führen soll. Auch diese Linie soll, soweit sie auf persischem Gebiet
liegt, also bis kurz vor Herat, schon Anfang 1899 vermessen sein.
Ferner wird eine grofse, ganz Persien durchschneidende Bahn geplant,
die von Dschulfa ausgehend über Täbris, Hamadan, Ispahan, Kerman nach
Bender -Abbas führen und von Hamadan einen Zweig nach Teheran aussenden
soll. Einige russische Zeitungen behaupten sogar, dafs diese Bahn schon 1 903
fertig gestellt, sein wird. Mag dies auch wahrscheinlich übertrieben sein,
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Eisenbahnen und Ei*enhahnpläne in Kloin- und Mittel-Asien etc. 685
so ist wohl sieher, dafs diese Linie als eine der ersten in Bau genommen
wird, denn im Besitz einer von Transkaukasien bis zur Ormusstrafse fuhren-
den Bahn dürfte Rufsland von der beschränkten und zeitraubenden Fahrt
durch den Bosporus und den Suezkanal völlig unabhängig sein und einen
beträchtlich näheren und sichereren Weg zum Indischen Ozean haben, als die
Engländer vom Mittelmecr her. Die genannte Linie würde von Ispahan einen
Zweig nach Buschir entsenden; auch diese Strecke soll, Zeitungsnachrichten
zufolge, schon im Dezember 1899 vermessen sein.
Man spricht ferner noch von der Verlängerung der transkaukasischen
Bahn von Baku aus längs der Küste des Kaspischen Meeres über Astara
nach Enseli — Kescht und später weiter nach Teheran, hier an Stelle der
jetzt im Verkehr befindlichen Chaussee tretend. Dieser Teil der Bahn würde
gerade deshalb von besonderer Bedeutung sein, als sich zwischen das Kas-
pische Meer und Teheran wie eine Mauer das Elbursgebirge legt, dessen
schwer gangbare Pässe jetzt den Handel zwischen der persischen Hauptstadt
und dem Kaspi vermitteln. Es wäre natürlich bei Ausführung aller Projekte
leicht die Möglichkeit geboten, diese Bahn in Kiswan oder Sengan an die
von Täbris her geplante Linie anschliefsen zu lassen.
Selbstverständlich wird Rufsland auch versuchen, von der mittelasiatischen
Bahn her Anschlufs an Persien durch Eisenbahnen zu erlangen. Von der
Station Duschak oder Askabad (wahrscheinlich von dieser) soll eine Linie über
Mesched nach Bender- Abbas geführt werden mit einer Abzweigung nach der
Landschaft Seistan und zwar nach Nasirabad. Die Ausführung dieser eben-
falls keine grofsen Schwierigkeiten bereitenden Linie würde wesentlich durch
die fertige Kunststrafse Aschabad — Mesched unterstützt werden. Auch diese
Strecke soll schon durch russische Ingenieure erkundet sein.
Die Ausführung selbst nur eines Teiles der bezeichneten Bahnbauten
wird viele Landstriche, die heute ein Bild des Rückschrittes jeglicher Kultur
bieten, zu neuem Leben erwecken, denn die Auffassung, Persien sei ein armes
Land, ist nur in dem Sinn richtig, dafs das vorhandene Vermögen weder
zum eigenen Vorteil noch zu gemeinnützigen Unternehmungen Verwendung
findet.
Ich habe schon weiter oben darauf hingewiesen, dafs England von Indien
aus seine Augen ebenfalls auf Persien und besonders auf Südpersien gerichtet
hält. Auch Grofsbritannien will vermittelst der Eisenbahnen näheren An-
schlufs an diese Gebiete gewinnen und sie so möglichst seinem Eintlufs
dienstbar machen. Es sind schon eine ganze Reihe von Plänen verlautet,
nach welchen Indien seine Bahnen nach Persien weiterführen will.
Zunächst soll in Beludschistan eine Eisenbahnlinie von Quetta nach
Nuschki erbaut werden. Der Handel und die Bedürfnisse von dem genannten
Gebiet und von Seistan sprechen für eine möglichst baldige Verlängerung
dieser Strecke bis zu der fruchtbaren Oase Seistan. Dieser Bau kann ohne
Gefahr für den Eintiufs Englands nicht mehr lange aufgeschoben werden.
Seit 1896 hat Grofsbritannien die Nuschkiroute eröffnen wollen. Sie soll
von Quetta über Nuschki, Chalamur, Kuki, Melik, Siga, Naharabad oder
Nasirabad in Seistan, Birgend, Hann, Turben und Haidari nach Mesched
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Kflrchhoff:
führen. An dem Punkt, an welchem die Bahn nach Norden abschwenkt,
soll eine Linie nach Buschir abgezweigt werden, um einen Teil der oben-
erwähnten asiatisch -afrikanischen Bahn zu bilden.
Eine zweite mögliche indisch -persische Route liegt südlich und führt
das Meschthal entlang mit Zweigen in die fruchtbaren Distrikte Pampgur
und Kolwa und dann über Baila nach Karratschi.
Die dritte Linie folgt zuerst der gleichen Trace wie die zweite, geht
aber dann weiter südwärts in das Thal Key, folgt diesem und läuft parallel
der Küste über Baila nach Karratschi.
Die südlichen Routen sind nach Norden durch die Kirmamwüste geschützt.
Nuschki ist eine trockene Wüste, während Key und Pempgur verhältnismäßig
fruchtbare und gut bewässerte Distrikte sind. Von Seiten Indiens hat Sir
Robert Sandemann und Lord Curzon, der jetzige Vizekönig, eine Linie von
Karratschi nach Kirmam und eine zweite von Quetta nach Seistan empfohlen.
Wenn auch all die geplanten 8chienenstrafsen von grofsem handels-
politischem und strategischem Wert sind, so werden doch noch manche Jahre
dahin gehen, bis diese oder ähnliche Projekte ausgeführt sind. Denn die
Schwierigkeiten, die in Persien dem Bahnbau von allen Seiten entgegen-
gebracht werden, dürfen nicht unterschätzt werden.
Wie im Osten des asiatischen Kontinents strebt Rufsland auch in
Mittelasien unausgesetzt nach Erschliefsung des Landes durch Eisenbahnen,
obgleich der Losung dieser Aufgabe hier geradezu unüberwindliche Schwierig-
keiten entgegenzustehen scheinen. Aber fast nirgends haben die Eisenbahnen
vielleicht eine so hohe Bedeutung als gerade in Mittelasien: die günstigen
Bodenverhältnisse, die Fruchtbarkeit des Landes und der Mineralreichtura,
sowie die vorhandenen Kohlenbecken sichern dem Lande reiche Einnahme-
quellen, die aber erst zur Ausnutzung kommen können, wenn eine gute und
schnelle Verbindung mit dem Westen vorhanden ist. Ebenso wie Sibirien
war auch Mittelasien bis Mitte der achtziger Jahre nur auf schwierigen Land-
und Wasserstrafsen zu erreichen. Daher standen diese Gebiete auch nur
in losem Zusammenhang mit dem Mutterland, üm dorthin die Kultur zu
bringen, die Verkehrs- und Handelsbeziehungen zu entwickeln, aber auch
um die Machtstellung Rufslands dort zu sichern, waren Eisenbahnen nötig.
Als vor 20 Jahren, gleich nach der Eroberung des Landes, mit dem Bau
der grofsen transkaspischen, jetzt mittelasiatischen Bahn begonnen wurde,
erklärte man allgemein das Unternehmen für tollkühn, für unausführbar. Es
mufs deshalb dem Zarenreich zur allgröfsten Freude gereichen, dafs die er-
zielten Ergebnisse derartig günstig waren, dafs die Länge der jetzt in Be-
trieb befindlichen Linien bis auf 2500 km erweitert werden konnte. Es
sind diese Linien:
a. Die Hauptlinie Krasno wodsk — Aschabad — Merw — Buchara
Samarkand — Taschkent beendet 1898 1600 km,
ß. Chewak — Kokan — Andischan .... „ 1898 320 „
y. Kokan — Margalan „ 1893 10 „
8. Merw— Kuschk beendet Anfang 1899 352 „
c. Nowa- Buchara — Buchara, Residenz des Emirs, beendet 1901 3 „
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Eisenbahnen und Eisenbahnplane in Klein- und Mittel-Asien etc. (587
Die Hauptlinie war ursprünglich eine reine Militärbahn, deren Bau über-
haupt und deren Trace durch die Expedition der Russen gegen die Turkmenen
bestimmt wurde; in diesem Feldzug leistete die Bahn sowohl für den
Vormarsch, wie für die rückwärtigen Verbindungen vorzügliche Dienste. Die
Kopfstation dieser Linie lag bei Beginn des Betriebes an der äulsersten Spitze
der Michaelbucht südlich von Krasnowodsk im Fort Michailowsk. Es stellte
sich jedoch bald heraus, dafs infolge der geringen Wassertiefe dieses Meeres-
einschnitts die genannte Station für die weitere Entwicklung des Verkehrs nicht
genügte. Es mufste ein neuer Hafen, welcher den grofsen Dampfern des
Kaspischen Sees ermöglichte ihre Waren unmittelbar der Eisenbahn zu über-
geben, als Anfang der Linie gewählt werden und wurde deshalb 1896 der
Hafen Usu-Ada eröffnet, jedoch am Ende desselben Jahres die Kopfstation
der Bahn nach Krasnowodsk verlegt.
Der Verlauf der Linie ist aus jeder Karte ersichtlich. Der Übergang
über den Amn geschieht auf einer eisernen Brücke, die kürzlich an Stelle
der bisher benutzten Holzbrücke getreten ist.
Besonders wichtig sind von den berührten Orten:
Taschkent, eine Stadt von 156 000 E., von den reichsten und gesündesten
Gebieten Turkestans umgeben, am rechten Thalrand des Syr-Darja ge-
legen, bildet den wichtigsten Stapelplatz des russischen Warenverkehrs nach
Afghanistan und Indien.
Samarkand liegt in einer gut bewässerten fruchtbaren Ebene am Flusse
Saratschan und bildet den Knotenpunkt sehr belebter Karawanenstrafsen.
Die Eisenbahn ist von hohem wirtschaftlichem, politischem und strate-
gischem Wert. Besonders in ersterer Hinsicht hat die russische Regierung
auf dieser Linie aufserordentliche Erfolge erzielt, denn das durchquerte Land
welches früher an vielen Stellen vollständig wüst lag, beginnt sich zu ent-
falten. Als Beispiel kann schon die Thatsache dienen, dafs Rufsland jetzt
für 150 Mill. Rubel Baumwolle aus Asien zieht, während früher der Wert,
der jährlich gewonnenen Menge 2 — 3 Mill. Rubel nicht überschritt. Diese Er-
folge werden sich nach Herstellung von besonders südwärts gerichteten Linien
noch erheblich steigern; und wenn mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes
Hand in Hand eine umfassendere und rationellere Wasserwirtschaft, vor Allem
Berieselung in den Dienst von Ackerbau und Viehzucht tritt, so wird die
Eisenbahn nicht nur die gesamte Erwerbsthätigkeit des Syr-Darja- und
Saratschan- Gebietes mächtig anregen, sondern auch die Einwanderung von
anderen russischen Gebieten her verstärken.
Strategisch ist es einmal überhaupt nur mit Hilfe dieser Bahnstrecken
möglich, die stets zu Aufruhr geneigten Stämme niederzuhalten, dann aber
begleitet zweitens die Linie als günstige Operationsbasis die nördlicho
Grenze von Persien und Afghanistan in näherem oder weiterem Abstand,
aber immer nahe genug, um von ihr nach Verlauf eines Tages die Grenze
überschreiten zu können. Mit der Vervollständigung des mittelasiatischen
Eisenbahnnetzes wird das Vorgehen gegen Persien und Afghanistan wesent-
lich erleichtert. Überhaupt hat sich durch diese Bahn das Verhältnis Ruß-
lands gegenüber den Nachbarstaaten dadurch ausserordentlich günstig gestaltet,
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fi88
Kürchhoff:
dafs, wenn die in Mittelasien stationierten Truppen nicht genügen, leicht Unter-
stützungen aus dein Kaukasus und dem Inneren des Reiches herangezogen
werden können; dafs dies mit der nötigen Schnelligkeit geschehen kann, hat der
vor zwei Jahren gemachte Versuch gezeigt, bei welchem ein Bataillon vom Kau-
kasus nach Kuschk in der kurzen Zeit von acht Tagen geschafft wurde. Die
als Anfange größerer Linien zu denkenden Zweige Kokan — ■ Margelan und
Koka i — Andischan, welche fast bis an die chinesische Grenze reichen, ge-
statten auch dorthin Truppen zu schaffen, um das Reich der Mitte zu hedrohen.
Die Linie Merw — Kuschk ist eine der erwähnten, so wünschenswerten
südwärts führenden Verbindungen. Sie schliefst an die mittelasiatische Bahu
in Merw an, führt durch das Bewässeruugsgebiet der Merwschen Tekizen,
dann längs des Murghab und des Kusehkflusses über die russische Nieder-
lassung Alexezenskoje nach dem Kusehk-Posten. Ohne Zweifel wird die Bahn
in kürzester Zeit bis Tachtabasar verlängert werden, wo sich ein Zollamt
für Ein- und Ausfuhr von und nach Afghanistan befindet.
Durch diese Linie, durch welche Rufsland ganz an Afghanistan heran-
rückt und sich in unmittelbarer Nähe von Herat befindet, erhält das Zaren-
reich für die Lösung der afghanischen Frage, die doch unzweifelhaft nur
eine Frage der Zeit sein kann, das entscheidende Übergewicht, denn obwohl
ebenso wie die mittelasiatische Bahn militärisch organisiert, soll die Merw —
Kuschk -Linie doch ebenso wie diese neben ihrer strategischen noch die
handelspolitische Aufgabe erfüllen, durch Öffnung der afghanischen Handels-
wege, welche England gegenwärtig für sich allein auszubeuten scheint, diese
auch für Rufsland nutzbar zu machen.
Der Kuschk-Posten liegt 450 km südlich von Merw am Flufs gleichen
Namens und nur 12 km von dem afghanischen Posten Kara-Tepe und 200 km
von Herat entfernt am Wege zu dem Urdman- und Steng-Kotal-Pafs. Der
Ort, welcher bis 1892 nur ein trauriges Nest war, blüht, seitdem er End-
punkt der Bahn geworden ist, immer mehr empor, wozu wohl auch die
jetzt, nach der Erklärung Kuschks zu einer Festung vierten Grades (An-
fang 1901), bis auf 5500 Mann verstärkte Besatzung wesentlich beiträgt.
Zwei weitere infolge der Bahn aufblühende Orte befinden sich in der Nähe
des genannten Postens, Alexiewsk und Pattewsk. Ersteres wurde 1892
10 Werst von Kuschk angelegt und ist jetzt die gröfste russische Ansiedelungs-
ortschaft im ganzen turkestanischen Gebiet. Rufsland plant aber noch einen
anderen von der mittelasiatischen Bahn ausgehenden, nach Süden gegen
Afghanistan gerichteten Zweig. Diese neue Linie soll in Tschardschui, dem
befestigten f Hergang der mittelasiatischen Bahn über den Amu-Darja, be-
ginnen und am linken Ufer des genannten Flusses zunächst nach der russi-
schen Grenzstadt Kerki führen, von welchem Ort altbetretene Wege die Ver-
bindung mit Balch und Kabul herstellen. Aus dem Gesagten geht hervor,
dafs Rufsland hinsichtlich des Bahnbaues in jenen Gegenden aufserordentlich
viel gethan hat; dafs aber noch viel zu thun übrig bleibt, zeigen die Pläne,
welche das Zarenreich im weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes verfolgt,
denn die weiten Gebiete östlich Taschkent und Andischan und der ganze
Distrikt Semirjeschensk harren noch der Erschliefsung.
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Eifienbahnen und Eisenbahnplane in Klein- und Mittel-Asien etc. 689
Zunächst steht der Bau einer 157 km langen Bahn Taschkent — Tschim-
kent nahe vor der Ausführung. Diese Strecke würde ein Teil der beab-
sichtigten Verbindung zwischen der mittelasiatischen und sibirischen Bahn sein,
deren weiterer Verlauf in grofsen Zügen wie folgt festgesetzt ist : Tschimkent
— Aulie-Aba — Pischpeck — Tokmak — Wernoje — Semipalatinsk — Barnaul —
Krinotschekowo, Station der transsibirischen Bahn etwa 160 km östlich des Ob.
Technische Schwierigkeiten sind bei der Herstellung dieser Verbindungsbahn,
für welche Vorarbeiten bereits im Gange sein sollen, nicht zu überwinden.
Den Verkehrsbedürfnissen des wortvollen westsibirischen Bergbaubezirks kommt
sie sehr gelegen; sio verbindet zugleich die als Getreideproduzenten von Jahr
zu Jahr wichtiger werdenden südwestsibirischen Landnachen mit Zentralasien,
schafft also dem sibirischen Getreide ein im Aufblühen begriffenes günstiges
Absatzgebiet und befreit die Landwirtschaft im europäischen Kufsland von
einer Überflutung mit den Produkten der sibirischen Getreidemittelpunkte.
Dem russischen Export könnte die Bahn zunächst nicht dienen, denn sie
durchzieht ein vorläufig noch sehr spärlich bevölkertes Gebiet.
Von der letztgenannten Linie ist ein Zweig geplant, der in Semipalatinsk
beginnen und nach Petropawlowsk und Omsk fuhren soll. Bisher aber fehlt
der mittelasiatischen Bahn noch das Wichtigste, um sie in der gröfstmöglichen
Weise ausnutzen zu können, nämlich die Verbindung mit dem europäischen
Bahnnetz. Wenn auch die Verbindungen über das Kaspische Meer so günstig
und bequem als nur irgend möglich hergestellt sind, so bedeutet doch dieser
Wasserweg in dem direkten Verkehr eine Unterbrechung, welche besonders
bei dem heutigen Drang nach Schnelligkeit vermieden werden mufs. Es tritt
deshalb gebieterisch die Forderung nach einer Eisenbahnverbindung an die
russische Regierung heran.
Die von Baku ausgehenden Bahnen nach Poti und nach Petrowsk bilden
fast die natürliche Verlängerung der mittelasiatischen Bahn; deshalb wurdo
zunächst eine Verbindung unter Umgehung des Kaspischen Meeres auf seinem
südlichen Ufer als nächstliegend in Erwägung gezogen. Einmal würde diese
Anlage aber einen bedenklichen Umweg bedeuten, dann müfste persisches
Gebiet berührt werden und endlich erschiene ein solcher Bau in finanzieller
Hinsicht nur dann gerechtfertigt, wenn mit ihm gleichzeitig eine Erschliefsung
des persischen Hinterlandes verbunden würde. Da von letzterer vorläufig
noch keine Rede sein kann, so mufste der Anschlufs nach Norden versucht
werden und entschied sich Rufsland zum Bau der 1600 km langen Linie
Orenburg — Taschkent, deren Herstellung einer dänischen Gesellschaft über-
tragen wurde. Diese Linie wird am linken Ufer des Uralflusses aufwärts
gehen, dann das Turgaigebiet durchschneiden, die Mugodschaberge durchqueren,
um den Aralsee zu erreichen; sie umgeht diesen auf dem nördlichen Ufer bis
zum Syr-Darja, an dem sie aufwärts führt, um nach Taschkent zu gelangen.
Diese Bahn ist von grofser handelspolitischer Bedeutung, denn sie bildet die
direkte Verbindung zwischen Turkestan und dem Wolgagebiet, und damit
Russisch - Europa. Besonders aus letzterem Grund kann angenommen werden,
dals, hauptsächlich auch wenn die Verkehrsverhältnisse in Afghanistan bessere
werden, der Durchgangsverkehr aus Europa nach Indien seinen Weg über
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690
Kiirchhoff:
die russischen Bahnen nehmen wird. Aber hierauf ist die Linie durchaus nicht
angewiesen, denn sie führt durch gut bevölkerte, fruchtbare Steppen, die
in Hinsicht auf Gartenbau, Landwirtschaft und manches andere noch sehr
entwickelungsfahig sind. Auch in politischer und strategischer Hinsicht ist
die Bahn von gröfster Bedeutung, denn sie wird nicht nur die turanische
Organisation erleichtern, sondern auch wesentlich dazu beitragen, den Ein-
flufs Rufslands in Afghanistan und Persien zu heben. In Betreff des zweiten
Punktes führt sie eine schnellere Verbindung der bewaffneten Etappen herbei
und ermöglicht eine ausreichende Verpflegung gröfserer Truppenmassen.
Die technischen Schwierigkeiten sind bei der angeführten Trace gering,
hohe Gebirge werden nur wenige angetroffen und von allen in Vorschlag
gebrachten Linien dürfte die gewählte wahrscheinlich noch die verhältnis-
mätsig geringsten Kosten verursachen.
Ein zweites Projekt war noch in nähere Erwägung gezogen und soll
deshalb hier Erwähnung finden. Nach ihm sollte die Anschlufsbahn von
der Endstation des europäischen Bahnnetzes Samara ausgehen, über üralsk
durch das Transkaspigebiet am Südwestrand des Aralsees entlang zum Amu
und längs dessen linkem Ufer durch das Chanat Chiwa nach Tschardschui
führen. Diese Linie hätte gegenüber der zur Ausführung gelangenden, ab-
gesehen von der etwas gröfseren Länge (1900 km), den Nachteil gehabt, dafs
sie der Schiffahrt auf dem Kaspischen Meer und der letzten Strecke der
mittelasiatischen Bahn einen grofsen Teil des Frachtverkehrs entzogen und
beide auf diese Weise empfindlich geschädigt hätte. Da aber diese Bedenken
in späterer Zeit unter gesteigerten Verkehrsverhältnissen Mittelasiens einem
Bau nicht mehr entgegenstehen werden, da ferner die Bahn durch handels-
politisch wichtige Gebiete hindurchgeführt und das Wolgabecken und den
Südural an den mittelasiatischen Markt angeschlossen und endlich, wie ein
Blick auf die Karte zeigt, die geradeste Verbindung zwischen Moskau und
dem Indus gebildet hätte, so erscheint ihr Bau in späterer Zeit nicht aus-
geschlossen. Technische Schwierigkeiten sind auch bei dieser meist durch
Steppen führenden Linie nicht zu überwinden.
Im Anschlufs an die mittelasiatische Hauptbahn werden noch folgende
Linien in Erwägung gezogen:
1. Andischan — Urgendschi — Patar — Kainbaden ;
2. Namangan — Margelan ;
3. Namangan — Kurva.
Im fernen Hintergrund endlich schlummert noch der Gedanke, die mittel-
asiatische Bahn nach Osten über Krula an der russisch - chinesischen Grenze
hinaus durch die Mongolei nach Peking zu verlängern.
Sollen aber alle die oben angegebenen Eisenbahnpläne Rufslands dem
Zarenreich wirkliche Vorteile bringen, so ist es unbedingt notwendig, dafs
die mittelasiatische Bahn Anschlufs an das Netz in Englisch -Indien erhält.
Um dies zu ermöglichen, ist es nötig, dafs Rufsland mit seinen Schienen-
wegen Afghanistan durchschreitet. Aber wie wir oben gesehen haben, machen
die russischen Eisenbahn-Bauten und -Pläne bei der afghanischen Grenze halt,
denn heute sind die Grenzen Afghanistans für Rufsland bedingungslos ge-
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Eisenbahnen und Eisenbahnpläne in Klein- und Mittel-Asien etc. 691
schlössen. Die afghanische Frage ist noch nicht gelöst, England steht schon
lange an den Grenzen des Landes, und trotzdem Großbritannien Afghanistan
als seine Domäne betrachtet, geht doch sein Bestreben dahin, dem Emir
den Schein der Selbständigkeit zu lassen, damit Afghanistan einen Pufferstaat
bildet zwischen Indien und dem mächtigen nordischen Bären, den England
stets vermeidet zum Grenznachbar zu erhalten.
Im Norden des genannten Staates hat sich Rufsland nach ununter-
brochenem planmäfsigen Vordringen, bei welchem es mit der Besetzung Darwas
im Jahr 1873 und der Besitzergreifung des Gebietes um Merw nicht ohne
kriegerische Mafsnahmen die ersten eigentlichen Gebietsteile Afghanistans an
sich gerissen hatte, durch den Bau der mittelasiatischen Bahn eine vorzüg-
liche Operationsbasis geschaffen. Im äufsersten Osten hat sich Rufsland die
Pamirgebiete durch das Vorschieben von friedlichen Expeditionen, d. h. stärkeren
Militärkolonnen, zu sichern begonnen, und wenn auch hier ein Teil des Ge-
birges noch Afghanistan im Vertrag vom Jahr 1895 zugesprochen ist, so
dürfte die Pamirfrage doch nach einiger Zeit einfach mit einer definitiven
russischen Besitzergreifung beendigt werden. Dann hat Rufsland den Kamm
des Hindukuschgebirges, damit den unmittelbaren Zutritt in das obere Thal
des Indus erreicht und ist der direkte Grenznachbar Indiens geworden, ein
Ziel, dem das Zarenreich schon seit langem zustrebt.
Weitere Schritte könnten England reizen und zu einem Kampf ist Rufs-
land noch nicht bereit. So wird denn am Hof in Kabul zunächst nur ein
geräuschloser aber erbitterter diplomatischer Kampf geführt, dessen ihn um-
gebende Dunkelheit nur selten durch irgend eine Nachricht erleuchtet wird.
Es kann aber als sicher angenommen werden, dafs dieser diplomatische
Wettstreit früher oder später zu einem kriegerischen Zusammenstofs in Afgha-
nistan führen wird. Dieser Entscheidungskampf wird sowohl auf russischer
wie auf- englischer Seite wohl erwogen; die Eisenbahn nach Kuschk wie
die englisch -indische nach dem schon auf afghanischem Gebiet liegenden
Tschaman sprechen dafür, dafs man auf beiden Seiten mit der Möglichkeit
eines Kampfes rechnet.
Im Innern Afghanistans sind noch keine Schienenwege vorhanden;
trotzdem England schon versucht hat, die Eisenbahn von Tschaman nach
Kandahar zu verlängern, wird doch wahrscheinlich auch in diesem Land
das Zarenreich die Eisenbahnfrage zu lösen bestimmt sein. Denn erstens
neigt, wie es scheint, der Emir trotz aller von England erhaltenen Gelder
und noch mehr die Bevölkerung des Landes mehr Rufsland als Groß-
britannien zu, und zweitens ist man nach dem bisher Erfahrenen wohl be-
rechtigt anzunehmen, dafs bei der Zähigkeit, mit welcher die Regierung in
Petersburg stets an dem einmal gesteckten Ziele festhält, sie auch in nicht
allzuferner Zeit ihren Einflufs in Afghanistan zur Geltung bringen wird.
Zunächst setzt allerdings der Emir ebenso wie Rufsland auch England
gegenüber seinen Widerstand gegen Bahnbauten fort, wie aus einer kürzlich
ergangenen öffentlichen Erklärung des Herrschers in Kabul hervorgeht. In
dieser beklagt sich der letztere, dafs er bei jedem russischen Vorgehen einen
Gegenzug vorgeschlagen habe, dafs er aber stets ohne Antwort von der
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692
Kleinere Mitteilungen.
indischen Regierung geblieben sei, aufser dafs ihm der Vorschlag gemacht
worden sei, Afghanistan möge zu dem Bau von Eisenbahnen und Telegraphen
seine Zustimmung geben; das sei aber unmöglich, da es ein Mittel sein würde,
sein Land zu Grunde zu richten.
Rufslaud soll schon den Versuch gemacht haben, die Erlaubnis zum
Weiterbau der Eisenbahn von Kuschk nach Hcrat (200 km) zu erlangen.
Obgleich es hiefs, dafs dieser Schritt Erfolg gehabt hätte, so ist doch nicht
anzunehmen, dafs der Emir die Konzession schon erteilt hat, wenn es auch
fraglich erscheint, dafs er lange wird im Widerstand verharren können.
Jedenfalls aber kann man als sicher annehmen, dafs England, sobald mit
dem Bau genannter Strecke begonnen wird, die Konzessionierung der Linie
Tschaman — Kandahar erzwingen wird. Damit sind die Anfangsstrecken für
die wahrscheinlich zuerst zu erbauende Bahn Herat — Kandahar gegeben.
Diese etwa eine Gesamtlänge von 100 km erhaltende Bahn könnte, da
sie durch ein verhältnismäfsig wenig schwieriges Gelände führen wird, billig
und schnell erbaut werden. Es befinden sich zwischen Herat und Kandahar
grofse ofFene mit weichem Sand bedeckte Landstriche, die durch gröfsere
Oasen und Dörfer von einander getrennt werden. Nirgends ist ein wirklich
bindernder Bergzug zu überwinden. Es ist von vielen Seiten behauptet wor-
den, dafs sich eine Eisenbahn zwischen Herat und Quetta niemals bezahlt
machen würde. Wäre dieses thatsächlich der Fall, so würde es jedenfalls
nicht aus Mangel an bewohnten Plätzen sein. Zunächst wird ungefähr in
der Mitte der ganzen Linie die Stadt Farra berührt, welche, so lange
man von ihr Kenntnis hat, ein wichtiger Handelsmittelpunkt gewesen ist.
Nördlich von diesem Ort liegt in der Mitte eines grofsen Landbaudistriktes
Sabravar; aufserdem sind noch viele Dörfer und Städte vorhanden, welche
früher bedeutende Mittelpunkte einer Zentralindustrie, besonders der Teppich-
fabrikation waren. England steht einer derartigen Verbindung sehr wenig
wohlwollend gegenüber, da es der wohl nicht unberechtigten Ansicht ist,
dafs diese Bahn ein etwaiges russisches Vorgehen gegen Indien wesentlich
erleichtern würde.
Weiter im Norden beabsichtigt England ferner die Verlängerung der
jetzt in Peschawur endenden Bahn bis Kabul, womit der Anfang zu der
zweiten Afghanistan durchquerenden Bahn gemacht wäre, die über Musar i
Scherif nach Kerki führen wird.
Kleinere Mitteilungen.
Bemerkungen zur Morphologie des Kaukasus.
Das neue, umfangreiche und ausführliche Buch von Merzbacher „Aus
den Hochregionen des Kaukasus" giebt Anlafs zu einigen Feststellungen in
morphologischer Beziehung.
Es wird immer deutlicher, dafs die Ausdehnung der Gletscher des Kau-
kasus lange unterschätzt worden ist. Nicht nur die Hauptkette zwischen
Elbrus und Kasbek ist stark vergletschert, sondern auch weiter im Osten
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Kleinere Mitteilungen.
693
finden sich ganz bedeutende Gletschermassive. Es wäre dankbar, einmal auf
der 1 -Werstkarte den Flucheninhalt der Kaukasusgletscher wenigstens an-
nähernd festzustellen.
Einer Erörterung bedarf das Fehlen der Seen und Wasserfälle. Auch
Merzbacher wiederholt die Behauptung, deren Richtigkeit, was die Thalseen be-
trifft, natürlich nicht bestritten werden soll. Das Problem steht aber im ganzen
doch so: Weshalb soll der Kaukasus, der der Hauptsache nach ein krystal-
linisches Gebirge ist, ähnlich den Zentralketten der Alpen, der Tatra u. s. w.,
keine kleinen Seen und keine Thalstufen haben V Randseen, Kahrseen und
Thalstufen sind Kennzeichen der vereist gewesenen Region höherer Gebirge.
Der Kaukasus hat eine Eiszeit durchgemacht, darüber besteht kein Zweifel,
er mufs also auch eine Zone besitzen, die einst vereist war und es jetzt nicht
mehr ist. In dieser Zone sollten sich im Hintergrund der Seitenthäler, in
deren obersten Kahren, kleine Seen finden. Und ich bin überzeugt, dafs man
sie in viel gröfserer Anzahl finden wird, als das bisher geschehen ist, wenn
man sie dort sucht. Bisher haben die Reisenden nur die grofsen Gletscher-
reviere der heutigen Vereisung besueht, niemand kümmerte sich noch um die
unvergletscherten Nebenketten. Wer nur Chamonix, Zermatt oder die Berner
Alpen kennt, hat keine Vorstellung vom Seenreichtum der Alpen. Wer davon
etwas sehen will, der mnfs in die Seealpen, in das Defregger-Gebirge, die
Niederen Tauern und ähnliche wenig beachtete Nebengruppen, oder in die
Seitenzweige der grofsen Gruppen (z. B. Becea di Nona neben dem Gran
Paradiso) gehen. Das wird sich also im Kaukasus noch finden, davon bin
ich fest überzeugt.
Ebenso werden sich Wasserfälle noch finden. Auch die Querthäler des
Kaukasus haben Stufenbau, das entnimmt man aus Beschreibungen und Ab-
bildungen, wenn auch vielleicht nicht so ausgesprochen als die Alpenthäler.
Wasserfälle stecken aber meistens in Klammen und Schluchten und bedürfen
einer gewissen „Erschliefsnng", d. h. der Weganlagen, um gesehen zu werden.
Nur wenige sind von weitem sichtbar, wie z. B. die Krimmlcrfälle.
Was endlich die Randseen betrifft, so beweist ihr Fehlen nur, dafs die
Eiszuugeu im Kaukasus nicht bis in das Vorland hinaus vorgedrungen sind.
Ohne in die Diskussion über die Entstehung der alpinen Randseen eingreifen
zu wollen, kann man die Thatsache feststellen, dafs alle grofsen alpinen
Randseen in Moränenbogen am Ende der alten Gletscherbetten liegen. Wo
aber die Alpengletscher noch im Gebirge endigten, dort giebt es auch keine
Seen, so am Ende des Mur- und Ennsgletschcrs.
Eine systematische Durchforschung des Kaukasus nach den Grenzen der
alten Vereisung wäre auch nach A. Favre und Abich dringend nötig. Unser
Verständnis dieser Gruppe von Erscheinungen hat seit den Tagen jener
Forscher doch bedeutende Fortschritte gemacht, und man weifs gegenwärtig
manches als sprechendes Denkmal zu deuten, an dem man einst achtlos vor-
übergegangen ist.
Sehr gelungen und nach dem Eindruck der Photographien von Sella
und Dechy ganz gewifs richtig ist Merzbachor's Vergleich zwischen den Alpen
und dem Kaukasus, was den landschaftlichen Charakter betrifft. Es sei ge-
stattet, hier den Autor selbst sprechen zu lassen (I, S. 117): „Der Aufbau
des Kaukasus ist im allgemeinen viel schroffer und wilder als der Bau der
Alpen. Wenn die Gipfel schon an absoluter Höhe die der Alpen weit über-
ragen, so wird dieses Verhältnis der Schroffheit noch wesentlich gesteigert
durch tiefere Einsenkung der Thäler. Auch erheben sich viele der Gipfel
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694
Kleinere Mitteilungen.
des Kaukasus nicht, wie eine grofse Anzahl von Alpengipfeln , in terrassen-
förmigen Absätzen und Vorlagerungen aus den Thälern, sondern als kaum
unterbrochene Böschungen von Fels und Eis steigen sie unvermittelt aus der
Thalsohle zu den höchsten Kammlinien empor und erscheinen darum von
erdrückender, überwältigender Gröfse. Die Hochgipfel zeigen sich infolge
gröfserer Steilheit des Aufbaues, sowie bei der eigenartigen schiefen Faltung
des Gebirges und bei der starken Zerstörung der Kämme, dem Auge näher
aneinander gerückt, gedrängter als in den Alpen, d. h. man wird auf gleichem
Flächenraum, wenigstens im zentralen Kaukasus, mehr bedeutende Hochgipfel
finden als in den Alpen . . . Die einzelnen Berggruppen kommen uns darum
formenreicher, wilder und zerrissener vor, als viele der Alpen. Infolge gröfserer
Steilheit der Hänge haben auch die eisbedeckten Bergwände ein drohenderes
Aussehen, ihre Schluchten und Wände sind stärker von Lawinen durchfurcht
wie die der Alpengipfel, was nicht wenig dazu beiträgt, der physiognomischen
Schönheit der Berge den Ausdruck des Schrecklichen, Unnahbaren aufzuprägen.
Mit der von allen Seiton gleich furchtbaren und grofsartigen Erscheinung des
Uschba kann sich selbst das kühne Matterhorn nicht messen. Grove, in seiner
stets anschaulichen Art zu urteilen, stellt sich das Verhältnis der Kaukasus-
Gipfel zu denjenigen der Alpen vor, wie etwa die gotische Kirchenarchitektur
zur romanischen." Auch die Eisbrüche sind zahlreicher und wilder, die
Gletscher nicht kleiner. „Auch trennt Gletscherende und Region des Pflanzen-
wuchses nicht, wie dies in den Alpen meist der Fall ist, eine breite Zone
sterilen Gerölles und Felsterrains, sondern die Fruchtbarkeit des Verwitterungs-
produktes der Gesteine, oder anderenortes die grofse Menge zugeführter atmo-
sphärischer Feuchtigkeit hat zur Folge, dafs oft lange bevor der Eisstrom
aufhört, die Vegetation beginnt." Die Gletscher reichen tief in die Vege-
tationsgrenze, die Üppigkeit des Baum- und Krautwuchses wird in den Alpen
nicht im entferntesten erreicht.
Das Lob gilt hauptsächlich der Hochregion; die äufseren Thäler werden
durch den Mangel jeglicher Kultur eintönig, auch gewähren sie selten einen
Blick auf das Hochgebirge. E. Richter.
Zur Geographie Kamtschatkas.
Die nordische Halbinsel Kamtschatka, die so merkwürdig ist durch ihre
über Eis und Schnee aufragenden Vulkane, wie durch die Eigenart ihrer
Urbewohner, gehört noch immer zu den am wenigsten gekannten Gebieten
der Erde. Neue Forschungen haben nicht stattgefunden. Die einzige grofse,
wahrhaft wissenschaftliche Erforschung des Landes liegt um fast ein halbes
Jahrhundert zurück und wurde durch Karl v. Ditmar1) 1851 bis 1855
vorgenommen. Ditmar hat im Auftrag der russischen Regierung die Halb-
insel zu geologischen Zwecken bereist, kam aber erst an seinem Lebensabend
— er starb 1892 zu Dorpat — dazu, Veröffentlichungen über seine ausge-
dehnten Reisen und Forschungen herauszugeben. An zusammenhängenden
Schilderungen hat es bisher gefehlt, so dafs wir es dankbar begrüfsen dürfen,
dafs die russische Akademie der Wissenschaften nunmehr durch Friedrich
Schmidt den zweiten Teil des Werkes herausgegeben hat, nachdem der erste,
welcher das Tagebuch enthält, 1890 erschienen ist. Die Forschungen beruhen
1) Karl v. Ditmar, Reinen und Aufenthalt in Kamtschatka in den Jahren
1851 — 1855. II. Teil 8". 273 S. St. Petersburg, Kais. Akad. d. Wie«. 11)00.
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Kleinere Mitteilungen.
695
auf echt deutscher Gründlichkeit und geben ein so lebendiges Bild, dafs der
Leser ohne weiteres glaubt, sie seien der jüngsten Vergangenheit entnommen.
Dafs sie in der That um mehrere Jahrzehnte hinter uns liegen, thut ihrem
Werte keinerlei Eintrag, denn Kamtschatka hat sich seit jener Zeit nicht im
geringsten geändert und liegt noch heute in gleicher Abgeschlossenheit wie
vor einem halben Jahrhundert. Ditmar verlegt die Nordgrenze der Halbinsel
auf Grund geologischer Untersuchungen unter 62° n. Br. und kommt somit
auf eine Lange von 1200 bis 1300 Werst, auf einen Flächenraum von
5000 Quadratmeilen, etwas mehr als die Hälfte des Deutschen Reiches. Die
Ostküste, längs des kalten Ochotskischen Binnenmeeres ist kaum gegliedert,
die Westküste, an welcher die gewaltigen Vulkane emporsteigen, dagegen felsig,
zerrissen, reich an Riffen und Inseln, oft auf weite Strecken keinen Raum
bietend, wo ein Schiff gesichert landen kann. Das Innere der Halbinsel ist
von mächtigen Gebirgen ausgefüllt, einem vulkanischen Hochlande grofsartigster
Formen, dessen Ränder, namentlich im Osten, eine Reihe thätiger Vulkane
tragen. Der Forscher hält die Vulkane Kamtschatkas, die in ununterbrochener
Linie in einer endlosen Reihe von thätigen und unthätigen Kratern bis zur
Südspitze der Halbinsel ziehen, für ein Glied der gewaltigen Kette vulka-
nischer Berge rings um das ganze Becken des Grofsen Ozeans. In der Richtung
der Vulkane Kamtschatkas setzen sich nach Süden hin die feuerspeienden
Kegelberge der Kurilen fort, um dann in derselben Weise Japan zu durchziehen
und in den Vulkanen der Sundainseln und Neuseelands die westliche Um-
grenzung zu schliefsen. „Der Grofse Ozean hat aber auch an seinen Ostufern
eine ebensolche, ausgesprochen vulkanreiche Begrenzung in der langen Kette
der Anden, die vom Feuerlande durch Süd- und Nordamerika bis zu 60° n. Br.
sich hinziehen, von wo die Vulkanreihe über Alaska und die Aleuten in
zahlreichen thätigen Feuerschlünden mit leichter Biegung nach Süden der
asiatischen Vulkanreihe zustrebt. Die Vulkane Kamtschatkas erheben sich
daher gleichsam auf dem nordwestlichen Kraterende des riesigen Bassins des
Stillen Ozeans, welcher ringsum von thätigen Vulkanen umschlossen ist, und
aus dessen Mitte die kolossalen Feuerberge von Hawai als Vulkanzentrum
sich erheben." Den nördlichen Eckpfeiler dieses gewaltigen Systems, dessen
innerer Zusammenhang der Forschung der Zukunft vorbehalten bleiben mufs,
bildet auf dem asiatischen Festlande der Schiweljutsch, ein vulkanischer
Kegel von 3200 m Höhe, der sich aus dem chaotischen Gewirr gehobener
und zerstörter Gebirgsmassen durchgearbeitet hat. Nach Süden hin steigt aus
dem „chaotischen Durcheinander von älteren Kraterrändern, Trümmerfeldern,
Schuttmassen, gehobenen Gebirgsschollen der verschiedensten Gestalt und
Richtung" der schöne Vulkan Kljutschew als vollendet spitzer Kegel empor.
Dieser Vulkan, 16 130 Fufs (5180 m) hoch oder fast 300 m höher als der
Montblanc, ist seit Menschengedenken in Thätigkeit und hat nicht selten
gewaltige Ausbrüche (1727, 1737, 1854). „Er bietet ein Bild von unver-
gleichlicher Pracht für jeden, der ihn gesehen," sagt Ditmar, „hier hat man
vom Meere aus die ganz enorme Höhe von 16 000 Fufs plötzlich vor Augen
und zwar in der elegantesten Kegelgestalt, gekrönt von der kolossalen Dampf-
säule, die sich wiederum mehrere 1000 Fufs über die Spitze des Kegels
erhebt." Die Schilderungen der Hochgebirgsnatur Kamtschatkas mit ihren
grotesken Formen, unmittelbar am Ozean, ihren himmclanstrebenden Schnee-
bergen mit Rauch- und Feuersäulen, machen einen ungemein reizvollen Eindruck,
welcher durch die streng wissenschaftlich gehaltene Begründung nur gewinnt.
Die klimatischen Verhältnisse Kamtschatkas sind wegen der bedeutenden
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Kleinere Mitteilungen.
Breitenausdehnung (50° bis 62° n. Br.), wegen des Einflusses der Meere und
der Berge ungemein verschieden. Die Grenze zwischen zwei klimatischen
Zonen verlegt Ditmar auf den 60°. Nördlich desselben breitet sich die baum-
und strauchlose Moostundra aus, flach, ohne Berge, von hochnordischem
Charakter, welchen Sibirien sonst erst an der Eismeerküste zeigt. Hier haust
der Winter vom September bis Juni mit seinen heftigen Schneestürmen und
einer niedrigen Temperatur, die nicht selten — 40° C. erreicht. Diese winter-
liche, erstarrte Moostundra ist lediglich durch den Einflufs der beiden kalten,
fast während des ganzen Jahres mit Eisschollen bedeckten Binnenmeere des
sibirischen Nordostens, des Ochotskischen und des Bering -Meeres, bedingt,
welche abkühlend wirken und von bestimmender klimatischer Bedeutung sind.
Nördlich von Kamtschatka, sobald die Nähe des Meeres durch die breitere
Gestaltung der Landmassen aufgehoben wird, liegt noch eine breite Waldregion,
welche vom mittleren Kolyma- Gebiet bis an den oberen Anadjr reicht, eine
Waldregion, die noch prächtige Nadel- und Laubbäume aufweist. Anders ist
das Klima südlich vom 60°, wo das Land breiter wird, der Meereseinflufs
nicht mehr so unmittelbar ist, überall schützende Gebirge sich erheben, auch
wohl die südlichere Lage nicht ganz wirkungslos sein kann; letztere entspricht
etwa dem nördlichen Deutschland. Auffallend ist der klimatische Unterschied
zwischen der West- und Ostküste. Ersterc steht ganz unter dem abkühlenden
Einflufs des Ochotskischen Meeres, auf welchem bis in den Juni hinein
gewaltige Eismassen treiben. Hier bleibt auch im Sommer das Klima kühl,
die Vegetation ist gering, der Anbau kaum lohnend. An der Östlichen Küste
dagegen macht sich der wärmende Einflufs der Kuroschiwo, des tropischen
Meeresstromes, geltend, der aus äquatorialen Breiten kommt, an der Ostküste
der japanischen Inseln vorbeifliefst und sich bis an die Grenze des Bering-Meeres
fühlbar macht. Mit dem kalten Gegenstrom des letzteren zusammentreffend,
ruft er an der Südostktiste Kamtschatkas einen heftigen, der Schiffahrt nicht
ungefährlichen Seegang hervor, bringt aber dem Lande ein verhältnismäfsig
mildes Klima. Ditmar stellt fest, dafs die Flut 33 Werst weit in die kamtscha-
dalischen Küstenflüsse hinaufsteigt und sich in den Häfen um 21 — 23 Fufs
(mehr als 7 m) hebt. Petropawlowsk, der kleine Hauptort der Halbinsel,
hat eigenartige klimatische Gegensätze. „Wer im Sommer vom Ozean her
dort landet," erzählt Ditmar, „wird überrascht sein von der Üppigkeit der
kräftigen und blumenreichen Vegetation Kamtschatkas." Prächtige Birken-
waldungen (Bdnln Ernwni), Eschen, Fichten geben dem Lande einen fast
europäischen Aublick, während wunderbare Wiesen mit bunten Blumen einen
ungemein freundlichen Eindruck hervorrufen. Über diesem reizvollen Bilde
heben sich die kahlen Felswände, die geröllreichen Hänge und hoch über
diesen die schneebedeckten Bergriesen wundersam ab. Ditmar nennt — 4°
bis höchstens — 10° als die gewöhnliche Wintertemperatur von Petropawlowsk;
nur einmal in vier Wintern beobachtete er — 21°. Die Winter sind ungemein
schneereich, gefährliche Schneestürme von ungeheuerer Heftigkeit bilden den
Schrecken der Bevölkerung. Die Sommer sind nur mäfsig warm, meist -j- 15
bis 16°, selten bis zu 20°. Die Nächte sind kühl und feucht. Sehr lehrreich
sind die Ausführungen Ditmar's über den Getreidebau. Die russische Re-
gierung hat sich die gröfste Mühe gegeben, Hafer und Gerste, auch Kartoffeln
und Gartenfrüchte anzupflanzen. Während letztere an geschützten Stellen
ganz gut gedeihen, ist der Ackerbau völlig hoffnungslos. „Die Schneemassen,"
meint Ditmar, „welche in Kamtschatka jeden Winter fallen, sind ganz unge-
wöhnlich grofs. Nur langsam und allmählich werden im Frühjahr die Sonnen-
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Kleinere Mitteilungen.
697
strahlen Herr dieser Massen, so dafs oft noch im Mai die Erde nicht ganz
frei wird. Infolgedessen kann an eine Beackerung und Bestellung der Felder
kaum vor Anfang Juni gedacht werden." Aus diesem Grund verkürzt sich
die Vegetationsperiode so sehr, dafs die Blüte- und Reifezeit des Getreides
bis in den August gedrängt wird, wo die unbedingt eintretenden Nachtfröste
alles vernichten. Bessere Jahre sollen nur diejenigen sein, in welchen durch
die vulkanischen Ausbrüche grofse Massen heifser Asche auf die Schneefelder
kommen und hierdurch ein schnelleres Verschwinden derselben hervorrufen.
Aus diesen Gründen ist es wertlos, Getreidebau auf Kamtschatka zu treiben;
dagegen hat der Kartoffelbau, namentlich aber die Wiesenkultur und hiermit
die Viehzucht gute Aussichten. Letztere, verbunden mit Ausnutzung der
Wälder, der immer noch lohnenden Jagd und namentlich der überreichlichen
Schätze des Küstenfischfangs, gewähren auch dem abgelegenen Kamtschatka
gute Erwerbszweige und stellen es in die Reihe der produktiven Länder,
wenn auch das Getreide aus Japan eingeführt werden mufs. Noch heut«
sind die Waldungen reich an Füchsen, Zobeln und anderen edeln Pelztieren,
denn Kamtschatka ist kein Land, welches bis jetzt trotz seiner grandiosen
Schönheiten zur Einwanderung und Kolonisation eingeladen hat. Unerschöpflich
scheint das Meer an Seehunden, wenngleich die schonungslose Verfolgung durch
amerikanische und englische Fänger seit der Zeit Ditmar's eine empfindliche
Lichtung herbeigeführt hat. Erst in den letzten Jahren hat sich die russische
Regierung zu strengen Mafsnuhmen zur Verhinderung der gänzlichen Ausrottung
dieser Tiere veranlafst gesehen.
Ditmar schliefst sein hochinteressantes Buch mit einer ausführlichen
Geschichte der Entdeckung und Erforschung des merkwürdigen Landes, doch
verbietet uns der hier zur Verfügung stehende Raum, näher auf diese Seite
seiner Darstellung einzugehen. Es ist erfreulicher Weise in Aussicht gestellt,
dafs in nicht ferner Zeit eine Fortsetzung des Werkes erscheinen soll, welche
die Völkerkunde und die wirtschaftlichen Zustände der Halbinsel behandeln
wird. Wir dürfen dieser Veröffentlichung ebenso wie der in Aussicht gestellten
Karte mit berechtigter Spannung entgegensehen. Vorgreifend sei bemerkt, dafs
die Bevölkerung eine ungemein spärliche ist und nur aus etwa 10 000 Seelen
besteht. Hiervon sind 3000 Korjaken im Norden, 3500 — 4000 Kamtseha-
dalen, die Urbevölkerung, einige hundert Lemuten. Das russische Element
ist durch 300 — 400 aus dem inneren Sibirien hierher verpflanzte Kosaken
vertreten. In Petropawlowsk, dem Hauptorte, haben sich einige Kaufleute
niedergelassen, welche einen lohnenden Handel mit Pelzwerk und den Erzeug-
nissen des Fisch- und Seehundfanges betreiben.
Das Buch Ditmar's ist in der vorliegenden Ausgabo eine ungemein anregende
Lektüre für jeden, welcher sich für lebendige Schilderungen von Land und
Leuten interessiert, zugleich aber auch eine Fundgrube von wichtigen, geistreichen
Betrachtungen und Schlüssen für den Geographen. Immanuel.
Die Territorial- and BevöUcerungsverh<nisse der mc
Bepublik nach dem Census von 1900.
Auf Grund des im Jahre 1900 stattgehabten Ccnsus und der an amtlicher
Stelle vorgenommenen neueren Arealberechnungen und Grenzregulierungen
gestalten sich die Territorial- und Bevölkerungsverhältnisse der
mexikanischen Republik wie folgt. Es enthalten:
Oeographiich« Zeitschrift. 7J»hrg»og 1901. 12. Hoft. 47
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008
Kleinere Mitteilungen.
1. Yukatan 91 201
2. Campeche -Iß 855
3. Tabasco 26094
4. Veracru7. 75863
5. Tamaulipas 83 597
A. Die atlantischen Küstenstaaten:
qkm,
= 3,4 aufd. qkm
- 1,« „
= 6,1
= 12,ß
= 2,6
Insgesamt: 323 ßl() qkm, 1 734 170 Ew.— 5,4 auf d. qkm.
B. Die südlichen Hochlandstaaten nebst dem Bundesdistrikte:
Der Bundesdistrikt . . 1 496,75 qkm, 540 478 Ew.= 360 auf d. qkm
ii
w
n
312 264 Ew
84 281 „
158 107 „
9ß0 570
218 948
ii ii ii
ii ii ii
11 11 11
ß. Mexiko
23 185
ii
924 457 „ =
*40«1 *• » *>
7 tt 77 ll
7 082,25
ii
lßlß97 „ =
21 n « ii
31 ßlß
ii
1024 44ß „ =
Ol)
°** ii ii ii
9.Tlaxcala
4 132
ii
172 217 „ =
43,1 „ „ „
22 215
n
0O3O74 „ =
24,7 „ „ ,,
11 ß38
'i
228 489 „ =
19,7 „ „ „
28 3ß3
»
1 065 317 „
37,b „ „ „
13. Aguasealientes . . . .
7ß92
ii
101 910 „ =
13,2 „ „ „
Insgesamt:
137 422
qkm, 4 822 085 Ew. =
35,2 aufd. qkm.
C. Die nördlichen Hochlandstaaten:
14. Zaeatecas
ß3 38ß
qkm,
4ß2 88ß Ew.=
7,3 auf d. qkm
15. San Luis Potosi . .
ß2 177
n
682486 „ =
9»4 „ „ „
ßl 343
ii
326 940 „ ==
4
» ii ii
lß5 099
«
280 899 „ =
1 7
Ai* ii ii ii
109 495
n
371 274 „ =
8,4 „ „ „
233 094
ii
327 004 „ =
1?^ ii n ii
Insgesamt: ß94 594
qkm, 2 351 489 Ew. =
3,4 auf d. qkm.
D. Die pazifisc
hen Küste
nstaaten und Territorien:
*Territ. Niederkalifornien
151 109
qkm,
47 082
Ew
0,5
auf d. qkm
198 49ß
ii
220 553
ii
1,1
ii ii ii
71380
ii
29ß 109
ii
4,2
ii ii ii
*Territ. Tepic . . . .
28 371
n
149 ß77
ii
5,3
ii ii ii
22. Jalisco
8ß 752
ii
1 137 311
»i
13,1
ii i? ii
23. Colin»
5 887
ii
ß5 02ß
ii
11
11 •! 11
58 594
ii
935 849
ii
15,9
11 V 11
25. Guerrero
ß5 75ß
ii
474 594
51
7,3
11 11 11
91 ßß4
n
947 910
11
10,3
11 11 11
70 524
n
3ß3 ß07
11
5,1
WM Ii
Insgesamt: 827 533 qkm, 4 ß37 718 Ew. = 5,6 auf d. qkm.
Die Gesamtfläche der Vereinigten Staaten von Mexiko betragt demnach
unter Hinzurechnung von 4042 qkm für die bei den Staatenzitteru nicht mit
in Anschlag gebrachten Inseln 1 987 201 qkm, die gesamte Bevölkerungszahl
aber 13 545 4ß2 oder 6,9 auf dem qkm.
Ein Rückgang der Bevölkerungsziffer trat nur bei den Staaten Campeche,
Aguascalientos und Queretaro ein, in sichtlichem Zusammenhange mit dem
Rückgänge der Holzschlägerei bei ersterem und dorn Rückgänge des Berg-
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Kleinere Mitteilungen.
699
baues bei letzteren. Die Zunahme der Bevölkerung im allgemeinen betrug
1,45 Prozent im Jahresdurchschnitt, am stärksten (2,3 Prozent) war sie aber
bei der Gruppe der nördlichen Hochlandstaaten, in denen der befruchtende
Einflufs der Nordamerikanischen Union auf das gesamte mexikanische Wirt-
schaftsleben am wirksamsten ist; und demnächst in der Gruppe der atlan-
tischen (1,9 Prozent) sowie der pazifischen Küstenstaaten (1,7 Prozent). In
der Gruppe der südlichen Hochlandstaaten blieb sie dagegen (1,2 Prozent)
hinter dem Durchschnitt zurück, und das vergleichsweise ungünstige Ergebnis
bei dieser Gruppe, die jederzeit die eigentliche Haupt- und Kerngruppe gewesen
ist, dürfte besonders darin begründet sein, dafs bei mehreren von ihren Gliedern
— vor allem auch bei Guanajuato mit seinen phänomenalen Silbererzgängen
— die Bergbauthätigkeit ihren Höhepunkt überschritten hat, sowie darin,
dafs die dazu gehörigen reichen Kornstaaten (Guanajuato, Mexiko, Puebla,
Queretaro u. a.) eine lange Reihe von schlechten Erntejahren zu verzeichnen
gehabt haben. Bei der verhältnismäfsig grofsen Dichtigkeit ihrer Bevölkerung
mufste dies doppelt schwer empfunden werden. Den atlantischen Küstenstaaten
(ganz besonders Veracruz) dagegen kommt nach wie vor ihre günstige See-
verkehrslage zugute, und bei den pazifischen Staaten sind im letztverfiossenen
Jahrzehnt die lange vernachlässigt gebliebenen bergbaulichen Hilfsquellen an
verschiedenen Orten sehr ernstlich und erfolgreich in Angriff genommen worden,
wie sich ja auch das mexikanische Eisenbahnnetz neuerdings in ganz hervor-
ragender Weise in der Richtung gegen Westen weiter entfaltet hat.
E. Deckert.
Zur Lage des geographischen Unterrichtes an den höheren Schulen
Sachsens.
Professor Hermann Wagner führt in seiner „Denkschrift'1 1) „den that-
sächlichen Tiefstand des geographischen Unterrichts, wie er neben
manchen sehr anerkennenswerten Ausnahmen im Durchschnitte bei allen Arten
von höheren Lehranstalten noch besteht" unter anderem auf „die mangelnde
Verwendung der fachmännisch vorgebildeten Männer im Schul-
unterrichte" zurück. Als Beleg dafür weist er an der Hand der Oster-
programme der preufsiscben Anstalten im Jahre 1899 „die beispiellose Zer-
splitterung des geographischen Unterrichts auf eine stetig wechselnde Zahl
von Lehrkräften" nach. Wir wollen seinem Beispiele folgen.
Nach den Ostern 1900 ausgegebenen Programmen der sächsischen Gym-
nasien (17) und Realgymnasien ( 10) wurde in dem Schuljahre von Ostern 1899
bis Ostern 1900 der geographische Unterricht
ana 2 1* 6 3 211 Anstalten
mit 2Jk 2 T>, 5 6, 6. 6^5» 7^ 8. 10 5. 10. 10. 10. 10. 14 11_, 14. Iii 14 Klassen $
L 2j ü» 12» 12, U
1Ä
von 1 2 3 4 6 3 S 8 lfl verschie-
denen Lehrern, insgesamt also:
1} Wagner, Die Lage des geographischen Unterricht« an den höheren Schulen
Preußens um die Jahrhundertwende. Ca 8. Hannover und Leipzig 1900, Hahn'sehc
Buchhandlung. — _8Q Jt
2j Die beiden Fürstenschulen, an denen die Unterklassen fehlen.
3) Unter Klassen sind hier immer KlasBen zu verstehen, die geographischen
Unterricht erhalten.
47*
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700
(Jeographische Neuigkeiten.
in 21 Klassen von 121 Lehrern erteilt,
ungerechnet die Mathematiker und Physiker, denen auf (Jmnd der Lehr-
ordnungen vom 28. Jan. 1893 (ffir die Gymnasien» und vom 13. Novbr. 1893
(für die Realgymnasien) der Unterricht in der mathematischen Geographie
(„Elementen der Astronomie") in Oberprima oblag.
Von diesen 121 Lehrern unterrichteten
in 1 2 3 4 5 6 7 Klassen
64») 25 13 9 6 1 S Lehrer,
das sind 52,9 20,7 10,7 7.4 5 0,8 2.5 Prozent,
wöchentlich 123 4 5 6 7 81012 14 Stunden
23 52 4 16 3 8 3 7 2 2 2 Lehrer,
das sind 1» 43 3,3 12,4 2,5 6.6 2,5 5,8 1,6 1,6 1,6 Prozent.
In welcher verschiedenen — man möchte sagen x beliebigen - Weise
die Stunden verteilt werden, ergiebt sich recht deutlich daraus, dafs an einem
Gymnasium mit h Klassen in jeder Klasse ein auderer Lehrer der
Geographie auftritt, während in lö Klassen eines Realgymnasiums nur
3 verschiedene Lehrer thätig sind, und dafs von zwei Realgymnasien mit je
14 Klassen das eine 3, das andere 10 Lehrer mit dem geographischen Unter-
richte betraut.
Besondere Erwähnung verdient, dafs in einem Gymnasium der ge-
samte geographische Unterricht in einer Hand liegt und dafs in
einem Realgymnasium bereits seit fünf .Jahren in allen Klassen, also
auch in Unter- und Oberprima, geographischer Unterricht erteilt wird.2)
Geographische Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitzau.
... . | gelegt wurden. Von dem mitgeführten
* 8* Proviant wurden während der 7't8tün-
* über ihre denkwürdige Luftfahrt, ' digen Fahrt nur einige Schluck Selters-
die in die bisher noch nicht erreichte wasser genommen. Die wissenschaftliche
Höhe von 10 500m führte, berichten die Aufgabe dieser Hochfahrt bestand darin,
beiden Luftfahrer, Prof. Rerson und in möglichst grofsen Höhen eine Kontrolle
Dr. Siiriug, in den „Aeronautischen der Registrierapparate durch direktes Ali-
Mitteilungen" , wodurch unsere früheren lesen der Instrumente zu erhalten, daneben
Mitteilungen über diese Fahrt (a. S. 526 1 auch die Vorstellungen von der physiolo-
in einigen Punkten berichtigt werden, gischen Wirkung der Höhe auf den
Der Ballon „Preufseu" war mit 5400 cbm menschlichen Organismus zu klären. Der
Wasserstoff gefüllt und trug die bedeu- Ballon stieg mit 1,5 m Geschwindigkeit
tende Ballastmenge von 3500 kg. Zur in der Sekunde bis zu 4500 m, wo er
künstlichen Atmung hatte man vier Sauer- ' prall voll war, von da ab wurden in
stotfflaschen zu 1000 Liter Inhalt mitge- kurzen Zwischenräumen meist zwei Säcke
führt. Zur Erwärmung dienten schwere Ballast gleichzeitig abgeschnitten, wo-
Rentierpelze und Thermophorgefäl'sc, die durch ein für die meteorologischen ßeob-
in die Taschen und in die Filzschuhe achtungen sehr günstiges, stufeuweises
1) Wir bemerken ausdrücklich, dafs diese ungewöhnlich hohe Zahl nicht etwa
darin begründet ist, dafs man den geographischen Unterricht dem Klassenlehrer
zugewiesen hätte.
2) Lt. Verordnung vom 31. .lau 1895 bis auf weiteres genehmigte Abweichung
von der Lehrordnung.
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Geographische Neuigkeiten.
701
Eniporgehen erzielt ward. Da alle körper-
liche Arbeit im Korbe möglichst ein-
geschränkt wurde, war unter 6000 m Höhe
ein Bedürfnis, Sauerstofl zu atmen, kaum
vorhanden. Bis gegen 7000 m blieb in
dieser Weise der Zustand verhältnismäfsig
behaglich. Eine gewisse Müdigkeit ging
von da ab allmählich in ein unbeabsich-
tigtes Einschlummern über ; Einsaugen
von Sauerstoff erwies sich zur vollen
Belebung als ausreichend, und schwere
Bewufstaeinsstörungen traten bis zur letzten
Beobachtungsreihe in 10 250 m Höhe
nicht ein. Uber dieser sind die Vorgänge
den beiden Teilnehmern nicht mehr völlig
klar. Jedenfalls zog Berson, als ihm der
Schlafzustand bei Süring bedrohlich er-
schien, zweimal das Ventil und zwang
dadurch den Ballon zum Abstieg, brach
jedoch dann ohnmächtig zusammen. Vor
oiler nach diesem Ventilzieheu versuchte
auch Süring in lichten Augenblicken seinem
schlafenden Kollegen durch verstärkte
Sauerstoffatmung aufzuhelfen, aber ver-
gebens. ErBt in 6000 m Höhe erwachten
beide ziemlich gleichzeitig aus schwerer
Ohnmacht. Nach dem Barographen hat
der Ballon 10 800 m Höhe erreicht, doch
sind die Aufzeichnungen des Apparats
lückenhaft und schwach; die letzte direkte
Barometerablesung entspricht einer Höhe
von 10 500 m. Die Temperatur in 10 000 m
Höhe war — 40° C, etwas wärmer als in
dieser Höhe im Juli normal sein dürfte.
Der Ballon hätte, der noch vorhandenen
Ballastmenge entsprechend, bei genü-
gender Reservierung von Abstiegballast,
11 500 bis 12 000 m Höhe erreichen können.
Die Kräfte der beiden Luftschiffer waren
nach der Ohnmacht so gering, dafs diese
nur die allernotwendigsten Bewegungen
ausführen konnten; ausgiebige Sauerstotf-
zufuhr liefB zwar die Atemnot und das
Angstgefühl schwinden, aber bleierne
Mattigkeit, Schwächegefühl im Magen
und zeitweise etwas Kopfschmerz blieben
zum Teil noch nach der Landung bestehen.
Irgendwelche nachteilige Folgen haben
sich bei ihnen nicht gezeigt. (K.-Ztg.)
Europa.
* Die ältesten Wege in Sachsen
hat Finanz- und Baurat H. Wiechel in
einem längeren Aufsatze nebst Karte zu
rekonstruieren versucht. (Sitzungsber.
des „Isis", Dresden 1901, H. 1.) Es handelt |
sich um das Wegenetz in der Periode
von 800—1200, um Strafsen, die zum Teil
heute noch als Hauptverkehrsadern be-
stehen, zum Teil als Fufssteige, Raine
und Schneisen ein halbvergessenes Dasein
fristen. Zu ihrer Erforschung dienten
dem Verf. zwei Methoden: 1. Die Beach-
tung der urzeitlichen Wegtrassierungs-
grundsütze (Vermeidung des Alluviums
und Diluvialrandes, Benutzung der wassor-
scheidenden Höhenrücken, Überschreiten
von Flufsarmen und Nebenflüssen vor ihrer
Vereinigung). 2. Heranziehung der be-
deutungsvollen Lokalnamen für die Wege,
wie sie in reicher Zahl auf der trefflichen
kursüchsischeu Landesaufnahme von
Oberreit aus der Zeit um 1780 enthalten
sind. Das dritte Auskunftemittel: „Ver-
hältnis der Wegzüge zu den Flurgrenzen
und zum Liniens y stein der Flurverteilung"
mufste bis Fertigstellung der „Grund-
karte" 1 : 100000 wegen des Mangels an
kartographischen Unterlagen unbenutzt
bleiben. Die wichtigsten auf der Karte
eingezeichneten Wege gruppieren sich
radiär um zwei Brennpunkte: 1. Das salz-
spendendc Halle, von wo sie ausstrahlen
nach Rothenburg a. N. , Görlitz, Prag,
Hof; 2. um den politischen Mittelpunkt
Prag (hierher gehören dieErzgebirgspäBsc).
Dazu kommen 3. die westöstlichen Quer-
wege. Wg.
* Nach dem von Prof. Helmert ver-
öffentlichten Jahresbericht des Geodä-
tischen Instituts auf dem Telegraphenberg
bei Potsdam (April l'JOO bia April 1901)
bestand die Haupt thiitigkeit des ihm unter-
stellten Instituts in der sicheren astro-
nomischen Bestimmung der geo-
graphischen Längendifferenz Pots-
dam—Bukarest; sie ward auf Anregung
des Chefs des rumänischen militär-geo-
graphischen Institut«, des Generals
Bratianu in Bukarest, auf preufsischer Seite
von Albrecht ausgeführt, so dafs jetzt
Bukarest an das westeuropäische Längen-
netz angeschlossen ist und so das neue
Hauptdreiecksnetz Rumäniens das
wichtige Verbindungsglied zwischen dem
österreichisch-ungarischen und dem süd-
ru8sischen — auch einer sicheren astro-
nomischen Bestimmung in geographischer
Länge nicht mehr entbehrt. Im Anschlufs
daran führte Borafs in Bukarest und
Tiglina bei Galatz sowie auf der Wiener
Sternwarte relative Schweremessuugen in
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7(12
Geographische Neuigkeiten.
Bezug auf Potsdam aus, so dafs Rumänien
jetzt auch für relative Schwerkraftmes-
sungen an das Netz der europaischen Haupt-
stationen angeschlossen ist. F. Th.
* Hebung des Wasserspiegels
im Asow'schen Meere. Die Häfen des
Asow'schen Meeres besitzen durchgängig
eine für Seeschiffe ungenügende Tiefe.
Die tiefste Stelle der Strafse von Kertscb
beträgt nur 13,4 m. Die Wassertiefe des
Hafens von Taganrog beträgt nur 2,2 m
und erreicht erst 23 Seemeilen seewärts
0,7 m. Die Flufsmündung im Hafen von
Mariupol ist infolge einer vorgelagerten
Barre für Seeschiffe unzugänglich, und
ihre Wassertiefe beträgt nur 1,6 m.
Bei Rostow am Don beträgt die mittlere
Tiefe der Hafeneinfahrt 2,4 m. Die Ver-
frachtung kann daher in allen Häfen nur
mit Hilfe von Leiterschiffen bewerkstelligt
werden, wodurch sich die Beförderungs-
kosten für Getreide um Bedeutendes er-
höhen. Die von der Regierung getroffenen
Mafsnahmen um Vertiefung der Strafse
von Kertech und der Hafeneinfahrten
haben sich als ungenügend herausgestellt.
Deshalb gedenkt die Regierung, den ihr
vorgelegten Plan einer Abdämmung der
Strafse von Kertsch zu verwirklichen.
Zwischen der Halbinsel Krim und der
Spitze der Landzunge Tusla beträgt die
Weite der Meeresstrafse etwa 3247 m;
für die Schiffahrt kommt jedoch nur eine
Breite von 1210 m mit einer durchschnitt-
lichen Tiefe von 8,2 m in Betracht, da sich die
erwähnte Landzunge unter dem Meeres-
spiegel in einer Durchschnittstiefe von
1,36 m weit ins Meer fortsetzt. An dieser
Stelle soll ein 16,76 km langer Querdamm
errichtet werden. Diese Gesamtlänge ver-
teilt sich auf einzelne Teile in folgender
Weise. In einer Wassertiefe Von 5,6 m
soll der Damm 1491 m lang und in einer
Tiefe von 8,2 m 1810 lang werden; dazu
kommt noch der auf der Landzunge zu
errichtende Querdamm von 12,46 km
Länge. Der ganze Damm soll in seinem
mittleren Teile zum Zwecke der Durch-
fahrt mit Schleusen versehen werden.
Der Damm würde genügen, um einen
WasHcrüberschufs des Asow'schen Meeres
von 33,6 Kubikkm, der durch die Strafse
von Kertmh dem Schwarzen Meere jähr-
lich zugeführt wird, zurückzuhalten und
dadurch die gewünschte Hebung des
Wasserspiegels zu gewinnen. Die Kosten
des Unternehmens wurden auf 6,8 Mil-
lionen Rubel geschätzt, die Entschädigung
an die durch die Hebung geschädigten
Bewohner auf 3 Millionen Rubel. Zur
Deckung dieser Ausgaben soll von den
Seeschiffen ein Durchgangszoll eingehoben
werden. A. R.
Asien.
* Eine deutsche Schiffahrtslinie
Hongkong- Wladiwostok. Die Ham-
burg-Amerika-Linie hat sich entschlossen,
den seit Frühjahr dieses Jahres von ihr
betriebenen ostasiatischen Küstendienst
(die drei Linien: Kanton -Hongkong-
Schanghai; Schanghai -Hankau; Schan-
ghai-Tsingtau-Tschifu-Tientsin) durch eine
neue Linie für Personen- und Fracht-
verkehr zwischen Hongkong und Wladi-
wostok über Japan zu erweitern. Der
Hafen von Wladiwostok wird neuerdings
durch die russische Verwaltung mittels
grofser Eisbrecher auch im Winter offen
gehalten, sodars ein regelmäfsigcr Ver-
kehr mit Wladiwostok möglich geworden
ist und die Eröffnung der neuen Linie
schon für den Winter 1902 in Aussicht
genommen werden kann.
Afrika.
* Lber eine Reise im westlichen
Abessinien berichtet HuguesLeRoux
in „La G<k>graphic" Nr. 10. Mit besonderer
Erlaubnis und Empfehlung Menelik's reiste
Le Roux am 13. März 1901 von Adis
Abeba nach der westlichen Provinz Wal-
lega, die zu betreten Menelik bisher
europäischen Reisenden nicht gestattet
hatte, in der Absicht, den Ort der Ein-
mündung des Didessa in den Blauen Nil
genau festzustellen. Das Ergebnis der
am 4. Mai in Adis Abeba beendigten
Reise war die Bestätigung der bereits
1899 von Herbert Blundell gemeldeten
Thatsache, dafs der Didessa nicht, wie
bisher angenommen, unter 10° 30' n. Br.,
sondern einige Minuten südlich von 10°
n. Br. in den Blauen Nil einmündet. Da
diese Einmündungsstelle den südlichsten
Punkt des Nilbogens angiebt, macht also
der Blaue Nil einen grölseren Bogen
nach Süden, als bisher auf den Karten
augegeben wurde.
* Beträchtliche Veränderungen a u f
der Karte des nördlichen französi-
schen Kongogebietes und der spa-
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Geographische Neuigkeiten
703
irischen Rio Muni- Kolonie wird die ;
Forschungsreise Lesicur's in diesen
Gebieten bewirken. Wie dieser Reisende
berichtet, ist der CampO, der Grenzflute
zwischen Kamerun und dem Rio Muni-
Gebiet, identisch mit dem Temboni Four-
neau's und dem Ntem CrampeTs; der
Kune Crampel's ist sein grölster Neben-
flute. Da »ein Lauf durch Stromschnellen
unterbrochen wird, so stellt der Flute
keine schiffbare Verbindung zwischen dem
Inneren und der Küste her. Der Benito,
in den man bisher den Temboni münden
glaubte, ist ein viel kleinerer Flute als
der Campo; an Stelle seines früheren
Namens Ejo ist jetzt nach Verdrängung
seiner ehemaligen Uferbewohner die Be-
zeichnung Welen getreten; auch er ist
für die Schiffahrt unbrauchbar. Der Aina
oder Ivindo flietet zuerst nördlich, dann
östlich und vor seinem Einflute in den
ügowe südsüdwestlicb. Der Ja oder Djah,
. den Crampel 1888 beim Dorfe Jambong
erreichte, flietet nicht soweit nördlich wie
auf unseren Karten; er flielst von Fran-
zösisch Kongo nach Kamerun, dann wie-
der dorthin zurück und mündet schliete-
lich als Iadie iu den Ivindo; ja er soll
sogar gröteer sein als der Ivindo und den
Hauptflute des Systems bilden. (Geogr.
Journ. 1901. Novemb.)
Nordamerika.
* Über die bisherige Thätigkeit
und die Resultate der Jesup-Ex-
pedition machte Prof. Boas in der
Berliner Gesellschaft für Erdkunde einige
Mitteilungen, denen wir folgendes ent-
nehmen: Die von Morris K. Jesup,
dem Präsideuten des American Museum
of Natural History in Neu -York 1897
ausgerüstete Expedition sollte eingehende
Untersuchungen der eingeborenen Stämme
des nördlichen Teiles der pazifischen
Küsten Asiens und Amerikas ausführen,
um einen etwaigen früheren Zusammen- ]
hang zwischen amerikanischen und asi-
atischen Völkern festzustellen. Seit 1897
sind sowohl auf asiatischer Seite, nörd-
lich vom Amur, wie auf amerikanischer
Seite, nördlich vom Columbia-River, eine
Reihe von Forschern thätig gewesen.
Auf asiatischem Gebiet erforschte Dr.Lau-
fer aus Köln die Stämme des Amur,
insbesondere die Golden und Giljaken,
unter denen er fast 2 Jahre weilte. |
Weiter im Norden ist eine Expedition,
bestehend aus den Herren Jochelson,
Bogoras, Axelrot und dem Zoologen
Buxton, bei den Jukagiren und Lamuten,
den TBchukschen und Korjäken thätig.
Auf amerikanischer Seite ist die Thätig-
keit der Expedition bislang auf das Ge-
biet südlich von Alaska beschränkt ge-
blieben, da schon in früheren Jahren
seitens der Regierung der Ver. Staaten
eingehende Studien über die Eskimos von
Alaska gemacht worden sind. Im äufser-
sten Süden beschäftigte sich Dr. Farraud
mit einer Untersuchung der Küstenstämme
des Staates Washington, besonders mit
den isolierten Quilleyute. Prof. Boas,
dem die Organisation und Leitung der
Expedition oblag, untersuchte die Stämme
der nördlichen Vancouver- Insel und der
angrenzenden Gebiete von Britisch-Colum-
bien. Die Hoida der Königin Charlotte-
Inseln sind aufs sorgfältigste von S w a n t o n
untersucht und im ganzen Küstengebiet
von Britisch - Columbien und Washington
wurden Studien über die prähistorischen
Menschen von Smith ausgeführt. Im
Innern von Britisch-Columbien beschäftigte
sich Teit mit den Bewohnern des Südens
und Farrand mit der Ethnologie der
Chilcotin. Die Ergebnisse der einzelnen
Forschungen werden von dem American
Museum of Natural History veröffentlicht
und sind teils bereits erschienen, teils in
der Vorbereitung begriffen.
Ein übersichtliches Bild über die Re-
sultate der Expedition ist jetzt schon nur
unvollkommen zu geben, da die Ergebnisse
der Einzelforschungen, besonders aus dem
nordöstlichen Sibirien, entweder noch
ganz fehlen oder nur unvollkommen vor-
liegen. Auf amerikanischer Seite hat
sich jedoch schon so viel herausgestellt,
date die eigentümliche Kultur, welche
ihr Zentrum in den mittleren Teilen der
Küste von Britisch-Columbien hat, dort
j schon seit langer Zeit heimisch gewesen
sein mute; auf der südlichen Vancouver-
Insel und dem gegenüberliegenden Fest-
lande verflüchtigt sich der spezifische Cha-
rakter dieser Kultur infolge prähistorischer
Völkerverschiebungen, bei denen die
von Norden her vordringenden Küsten-
völker sich mit der Urbevölkerung assi-
milierten oder sie vernichteten. Scheinbar
sind die Eskimos der Westküste Nord-
| araerikas Eindringlinge, die einen früheren
704
Geographische Neuigkeiten.
Zusammenhang zwischen den Völkern des
nordöstlichen Sibiriens und den Indianern
Alaskas und Britisch - Columbiens unter-
brochen haben. Unzweifelhaft sind die
Völker des nordöstlichen Asiens und die
des nordwestlichen Amerikas einander
physisch außerordentlich ahnlich und der
allgemeine Eindruck der bislang erzielten
Resultate der Expedition geht dahin, dafs
sich die Völker des nordwestlichen
Amerikas und des nordöstlichen Asiens
als in den engsten Beziehungen stehend
erweisen dürften. (Verh. d. G. f. Erdk.
z. Berl. 1901. 8. 356.)
* Durch die Vollendung des ge-
waltigen Wogenbrech erB an dem
Ausgange der Delaware-Bai, un-
mittelbar hinter dem Kap Henlopen, ist
für die grofsen Delaware - Häfen Phila-
delpia und Wilmington ein tiefer, ge-
räumiger und sicherer Vorhafen geschaffen
worden, der besonders bei den starken
winterlichen Eisgängen, sowie bei den in
der Gegend häufigen Oststürmen der Schiff-
fahrt vorzugliche Dienste leisten wird. Der
genannte „Delaware Breakwater", der
2,4 km lang ist und zu dessen Herstellung
1 464 410 Tonnen Steine verwendet wurden,
gilt als eine geniale wasserbautechnische
Leistung Ch. W. Raymond's, von dem ver-
einsstaatlichen „Board of Engincers", und
wurde in der kurzen Frist von 44 Arbeits-
monaten fertig gestellt. Der dadurch
geschaffene Kunsthafen aber enthält
221 ha mit einer Niederwassertiefe von
9 m und weitere 96 ha mit einer Nieder-
wausertiefe von 7,2 m, ist also auch Riesen-
schiffen nahbar. E. D.
♦ Nach E.H.Barbour's Beobachtungen
ist die grofsartige Geyserthätigkeit
des Yellowstone-ParkeB zur Zeit sehr
entschieden im Erlahmen begriffen.
So haben die grofsen Quellen der soge-
nannten Minerva-Terrasse ebenso wie der
Pulpit (Kanzel-) und Jupiter-Terrasse seit
dem Jahre 1895 gänzlich zu fliefsen auf-
gehört. Der „Brüllende Berg" („Roaring
Mountain") ist verstummt und dampft
nur noch, und ebenso hat das Getöse des
„Schwarzen Brummer«" („Black Growler")
im NorriB-Geyserbecken, das früher ein
sehr anhaltendes war, auffällig nach-
gelassen. Ferner haben die großartig
schönen Eruptionen des Fountain-Geysers
im Unteren Becken, und ebenso diejenigen
des „Splendid" und des „Beehive" im
„Oberen Becken" vollständig aufgehört.
Der Kaskaden-Geyser aber, der sonst all-
stündlich spielte, thut es jetzt nur einmal
in jedem Tage, und der gewaltige Grand-
Geyser, der früher alltägliche Ausbrüche
hatte, springt im Laufe des Sommers nur
noch dreimal. E. D.
* Zur Charakteristik der wenig be-
kannten Santa Lucia Mountains, die
sich als ein Hauptglied der kalifornischen
Küstenketten von Monterey bis gegen
San Luis Obispo hinziehen, veröffentlicht
Bailey Willis in dem „Bulletin" der
amerikanischen Geologischen Gesellschaft
(Vol. XI, S. 417 ff.) einen bemerkenswerten
Aufsatz. Danach erreicht der Gebirgszug
in Beinern mittleren Teile im Sta. Lucia
Peak 1606 m und im Cone Peak 1530 m,
während im nördlichen Teile der Pico
Blanco nur 1122 m und im südlichen der
Pine Mountain nur 1088 m hoch sind.
Diese Berge sind Reste eines ältesten
und höchsten Erosionsniveaus („Monad-
nocks"). Im übrigen trägt der aus Quarz-
schiefer, Glimmerschiefer, Gneif« und
Granit bestehende breite Gebirgsrücken
in jeder Weise den Charakter einer alten
Landschaft („mature topography44). Der
Westhang dagegen stürzt steil und in
zahlreichen Vorgebirgen nahezu senkrecht
zum Stillen Ozeane ab, durchfurcht von
zahlreichen Erosionsschluchten jugend-
lichen Alters und an verschiedenen Orten
deutliche Terrassierung zeigend. Offenbar
entspricht derselbe einer jungen Verwer-
fungslinie, und während der westliche Teil
des Gebirges unter den Wellen des
Ozeans begraben liegt, erhob Bich der
östliche Teil zu seiner gegenwärtigen
Höhe ruckweise und mit längeren Ruhe-
pausen zwischen den Hebungsperioden.
E. D.
Polarregionen.
* Mit dem Expeditioneschiffe Pcary'B,
der „Wind ward", welche am 26. Sep-
tember aus dem Smith -Sunde nach Bri-
gus auf Neufundland zurückgekehrt ist,
ist auch Dr. Stein, welcher zweimal in
Ellesmere - Land an der Wüstküste des
Smith-Sundes überwintert hat, heim-
gekehrt. Über den Erfolg seiner Reise
liegen noch keine näheren Nachrichten
vor. Die „Windward" fährt im nächsten
Sommer wieder nordwärts, um Peary nach
einem vierjährigen Aufenthalte in Nord-
Geographisch
e Neuigkeiten
grönland wieder in die Heimat zurück-
zuholen.
» Von den in der Ausreise begriffenen
Südpolexpeditionen liegen folgende
weitere Nachrichten vor. Danach ist das
englische Expeditionsschiff die „Discovery"
am 3. Oktober in Kapstadt augekommen,
nachdem sie die Insel Trinidad angelaufen
hatte, wo Kapt. Scott, Murray und
Dr. Koettlitz trotz der heftigen Brandung
eine Landung ausführten und dabei eine
interessante Sammlung naturhistorischer
Gegenstände zusammenbrachten. Von Kap-
stadt ging das Schiff nach Simonsbay und
von dort am 16. Okt. nach Lyttleton (Neu-
seeland), nachdem man den beabsichtigten
Besuch von Melbourne aufgegeben hatte.
Von der deutschen Südpolarexpedition,
über deren Schicksal man bereits Besorg-
nisse hegte, (hi sie nach den letzten Mit-
teilungen ihres Leiters bereits am 20. Okt.
in Kapstadt eintreffen sollte, ist erst am
23. November die folgende Nachricht ein-
getroffen: „Die Expedition ist glücklich
in Kapstadt eingetroffen; alle wohl. Ver-
zögerung durch Wetter. Ascension, weil
unnötig, aufgegeben. Aufenthalt 10 Tage
zur Reinigung im Dock." Weitere Nach-
richten fehlen noch. Unterdessen ist auch
die schwedische Südpolarexpedition am
16. Okt. an Bord der „Antarktika von Gothen-
burg aus nach Süden aufgebrochen. Der Ex-
peditionsleiter Dr. Otto Nordenskjöld,
ein Neffe des kürzlich verstorbenen Nord-
polforschers Frhrn. A. E. v. Nordenskjöld,
will an der Küste von König Oskars-Land
möglichst weit nach Süden vordringen,
um dort mit Dr. Bodman, Dr. Ekelöf zu
überwintern und botanische, geologische,
zoologische Sammlungen anzulegen und
wissenschaftliche Beobachtungen anzu-
stellen. Im folgenden Südsommer Boll
dann auf SchlittenreiBen König OBkars-
Land untersucht und dabei festgestellt
werden, ob es ein Teil des antarktischen
Kontinents oder eine Inselgruppe ist.
Die „Antarktik" soll nach Landung der
Vorräte nach dem südatlantischen Ozean
zurückkehren, dort Meeresuntersuchungen
vornehmen und am Feuerland überwintern.
Im folgenden Herbst (Frühjahr 1Ü03) ge-
denkt die Expedition zurückzukehren.
Geographischer Unterricht.
* Als Privatdozent der Geo-
graphie an der Universität Leipzig
habilitierte sich Dr. Ernst Friedrich,
Assistent am dortigen geographischen
Seminar, mit der Habilitationsschrift:
„Die Anwendung der kartographischen
Darstellungsmittel auf wirtsehaftsgeo-
graphische Karten".
* Die Abhaltung der Vorlesungen und
Übungen über Geographie an der Uni-
versität Marburg ist im laufenden W.-S.
für den beurlaubten Professor Theobald
Fischer dem Privatdozent an der Uni-
versität Halle a.S. Prof. Dr. Willi Ulc
übertragen worden.
•
Vereine, Versammlungen nnd
Zeitschriften.
* Der nächste InternationaleGeo-
graphenkongrefs soll, wie im National
Geographie Magazine mitgeteilt wird, in
Washington abgehalten werden. Auf die
förmliche Einladung der National Geogra-
phie Society in Washington , die durch
den amerikanischen Botschafter White
dem geschäftsführenden Ausschufs des
Kongresses in Berlin übermittelt worden
ist, hat sich dieser entschieden, den näch-
sten Kongrefs in Washington, aber nicht
vor dem Jahre 1904, stattfinden zu lassen.
Die gastgebende Gesellschaft hofft es er-
möglichen zu können, den Kongrefs auch
in Neu -York, Boston, Philadelphia, viel-
leicht auch in San Franzisko und Seattle,
Sitzungen abhalten zu lassen, und stellt
eine grofse Zahl von Exkursionen vom
Golf von Mexiko bis nach Alaska in
Aussicht.
* Seit Oktober erscheint als Organ
der Deutsch-Asiatischen Gesellschaft im
Verlag von H. Paetel, Berlin, eine neue
Zeitschrift „Asien", welche in erster
Linie der wirtschaftlichen Erforschung
dieses Erdteils dienen und der Deutschen
Kulturarbeit im Osten im weitesten Sinn
des Wortes neue Freunde und Anhänger
zuführen soll. W. H.
* Eine neue englische schulgeogra-
phische Zeitschrift erscheint seit Ok-
tober 1001 in London unter dem Titel:
„The Geographical Teacher." Die jährlich
nur dreimal, im Oktober, Februar und
Juni, zur Ausgabe gelangende Zeitschrift
soll das Organ der „Geographical Asso-
ciation" bilden und sich hauptsächlich
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Tun
Büeherbesprechungen.
mit methodischen Fragen (Ick geogra- Persönliches,
phischen Unterrichts und des geographi- ♦ Dem Altmeister der deutschen Geo-
schen Lehrstoffes befassen; eine beson- graphcn, dem Professor der Geographie
dere Abteilung soll einen Ideenaustausch ' an der Universität Berlin, Geh. Rat Ferdi-
zwisehcn den Lesern und die Diskussion nand von Rieht hofen, ist vom Deutschen
über schwierigere geographische Fragen | Kaiser die grol'se goldene Medaille für
vermitteln. Kunst und Wissenschaft verliehen worden.
Bücherbesprechniigen.
Gebauer, H., Handbuch der Lander- 1
und Völkerkunde in volkstüm-
licher Darstellung mit besonderer
Berücksichtigung der volkswirtschaft-
lichen Verhältnisse. 1. Bd: Europa.
Lex. 8°. 086 S. Leipzig, G. Lang
1901. Preis 15 UK, geb. 17 JC
Bei der ersten flüchtigen Durchsieht
des umfassenden Werkes fällt bereits
eine Eigentümlichkeit auf, die es von allen
ähnlichen Handbüchern unterscheidet:
der völlige Mangel an Illustrationen. Da-
durch hat sich der Verfasser die Arbeit
selbst überaus ersehwert und insbesondere
die Darstellung der mathematischen Geo-
graphie leidet unter diesem Mangel, dem
der gelegentliche Hinweis auf einen Schul-
atlas nicht abhelfen kann. Ist auch man-
ches, wie etwa die Erklärung der Gleich-
heit von Polhöhe und geographischer
Breite, auch ohne Figuren recht anschau-
lich gegeben, so ist doch in anderen Fällen
der Leser förmlich gezwungen, sich eine
Skizze zu entwerfen, um das Gelesene
zu verstehen, so etwa bei der Besprechung
der scheinbaren Bewegung. Auch sonst
siud die allgemeinen Abschnitte (L Die
Erde als Weltkörper. II. Die Natur der
Erde: l. Land, 2. Wasser, 8. Luft, 4. Pflan-
zenhülle, 5. Tierwelt. III. Die Erde als
Wohnplatz des Menschen) und insbeson-
dere der erste davon weniger sorgsam durch-
gearbeitet als der besondere Teil. Be-
griffe, die erst später zur Erörterung kom-
men, werden vorweggenommen (Drehung
der Erde im Abschnitt „Gestalt und Gröfse"
u. a.). Der Anschlufs an die als Quellen
benützten Handbücher, denen manches
wörtlich entnommen ist, ist ein zu enger,
auch in der Disposition; man ist z. B
überrascht , einmal Wagner für eine von
ihm blofs wiedergegebene Zusammen-
stellung von Prestwieh citiert zu linden,
während dies an wichtigeren Stellen unter-
bleibt, und in dem umfangreichen Ab-
schnitt über die Haustiere vermifst man
die Erwähnung der reichlich benützten
Arbeit von E. Hahn. Manche Erscheinung
ist an einer befremdenden Stelle be-
sprochen oder, wie die Zonenzeit, gerade
vom wirtschaftsgeographischen Stand-
punkt aus nicht genugsam ausgewertet
u. s. w. Doch finden sich auch in diesen
Abschnitten die wichtigsten neueren For-
schungsergebnisse meist klar und voll-
ständig wiedergegeben. Der Tendenz des
Werkes entsprechend werden im Kapitel
„Meer" die Strömungen besonders aus-
führlich besprochen und der Seefischerei
mehrere Seiten gewidmet; ebenso ist die
Schiffbarkeit der Flüsse und die Kanali-
sation relativ ausführlich besprochen
In dem Abschnitt ,,Die Erde als Wohn-
platz des Menschen" ist dagegen streng
genommen gar nicht von der Erde, son-
dern nur von den Menschen und ihrer
physischen, sprachlichen und kulturellen
Gliederung die Rede. Wohl mit Bedacht
hat der Verfasser die Schwierigkeiten ver-
mieden, die sich einer „volkstümlichen
Darstellung" der allgemeinen „Anthropo-
geographie" entgegenstellen.
Über 700 Seiten des Buches entfallen
auf die spezielle Geographie Europas
und fast 400 davon auf das Deutsche
Reich. Einem kurzen einleitenden Ab-
schnitt über den gesamten Erdteil ist
die Besprechung der Alpen als Ganzes
einverleibt. Es sei hier bemerkt, dafs
Verfasser nur eine Dreiteilung der Alpen
kennt und die Grenzlinien thunlichst den
politischen Grenzen anpafst. Die folgen-
den länderkundlichen Abschnitte be-
sprechen zuerst Lage und Grenzen, be-
sonders die begrenzenden Meere; hierauf
folgt unter den Titeln „Bodengestalt" und
„Flüsse" eine oft recht lebhafte choro-
graphische und landschaftliche
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Bücherbcsp
rechungen.
707
Schilderung, aus welcher auch die
wichtigsten Verkehrswege und Städte-
lagen, sowie manche Produktionsverhält-
nisse beleuchtet werden. Bemerkenswert
ist hier die Stellung des Verfassers gegen-
über den von der Geologie gelieferten
Daten. Er berücksichtigt konsequent dit*
Momente, deren anthropogeographische
und wirtschaftliche Wirkungen sich er-
fassen lassen, also Geeteinsart und Boden-
art (Verwitterung, starke Zerrissenheit etc.),
gedenkt dagegen der Struktur- und
Skulpt Urformen zumeist nur dort, wo sich
— wie bei den Bruchlinien im Schollen-
land oder denDiluvialthalern Norddeutsch-
lands — die Verkehrswege unmittelbar
an sie anlehnen. Leider wird diese
Schilderung durch die gesonderte Be-
sprechung der Fluf8täler zerrissen. An
diese beiden Abschnitte schliefsen sich
in der Regel (die verschieden ausführliche
Behandlung der einzelnen Länder bedingt
Ausnahmen) die topographisch-statisti-
schen und wirtschaftlichen Abschnitte in
folgender Reihenfolge: Kanäle, Seen,
Klima, Bevölkerung (mit Einschlufs des
Unterrichtswesens), staatliche Verhältnisse,
Heerwesen, Finanzen, Gerichtswesen,
Ackerbau, Viehzucht, Bergbau, Handel
(mit Münz- und Mals- und Gewichts-
wesen ), Geld- und Kreditverkehr etc. —
und endlich werden die Städte und ihre
Krwerbszweige eingehender verzeichnet.
Wir finden also den Typus des „geo-
graphisch- statistischen Handbuchs" zum
Nachschlagen! Das Deutsche Keich ist
ausführlich und, so weit ich urteilen kann,
insbesondere sind die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse mit erheblicher Sachkunde behan-
delt. Dagegen ergab mir eine genauere
Durchsicht des Abschnittes Österreich-
Ungarn zahlreiche veraltete und irrige
Angaben, Ungenauigkeiten und Lücken.
Unrichtiges ist hier erwähnt, während
man z. B. hervorragende Industrieorte
vermifst. Die meisten übrigen Länder
sind besser bearbeitet. Dafs sich Un-
gleichheiten in der Behandlung und ein-
zelne befremdliche Auslassungen finden,
ist bei einem so reichhaltigen Material,
wie es insbesondere bei der Aufzählung
der Städte mit ihren wirtschaftlichen
Charakterzügen verarbeitet werden mufste,
kaum vermeidlich. Seine Aufgabe als
Nachschlagewerk erfüllt das Buch im
ganzen sehr gut. Sieger.
Geographisches Jahrbuch, heraus-
gegeben von H. Wagner. XXI. bis
XXni. Band. Gotha. Justus Perthes
1899—1901, je 15.—
Im ganzen ist der Charakter de« Geo-
graphischen Jahrbuches derselbe geblieben,
wie er sich im Laufe der Jahre im ganzen
bewährt hat; einzelne Bearbeiter haben
gewechselt, die prinzipiellen Änderungen
sind gering. Besonders dankenswert
scheint mir die Erweiterung der karto-
graphischen Berichte durch Hammer und
die neu eingeführte Behandlung der
geographischen Landmessung von dem-
selben Autor zu sein. Es ist sehr zu
bedauern, dafs dieser vorzügliche Geodät
seine Mitarbeit am Geographischen Jahr-
buch einstellen wird ; wir Geographen
können die mathematische Geographie,
die für uns eine Hilfswissenschaft ist in
demselben Sinne wie die Chronologie für
die Geschichte, nicht selbständig fordern,
sondern müssen uns darin auf die Er-
gebnisse der Astronomie und Geodäsie
stützen, und müssen es deshalb dankbar
begrüfsen, wenn uns hervorragende Ver-
treter dieser Wissenschaften deren Stoff
in der für uns geeigneten Form darbieten.
Weitere Änderungen der Berichte über
allgemeine Erdkunde sind die t bernahme
des klimatologischen Berichtes durch
Meinard us, der ihnen aber denselben
Charakter wie seine Vorgänger H a n n und
Brückner gelassen hat, und die Erneue-
rung der tiergeographischen Berichte. Im
Gegensatz zu den früheren Faunenlisten
Sehmarda's giebt Ortmann eine Erörte-
rung der Probleme; in dem vorliegenden
Bericht ist allerdings die Tiergeographie
des Meeres etwas einseitig gegenüber der
des Landes bevorzugt. In bezug auf den
geophysikalischen und den geognostischen
Bericht hat sich mir die schon früher
(G. Z. II, 1896, S. 67) ausgesprochene
Meinung noch befestigt, dafs sie den
geographischen Bedürfnissen nicht ge-
nügen. Ein Bericht über das Auftreten
der Gesteine und Formationen hat für
den Geographen keinen Wert und gehört,
in ein geologisches, aber nicht in ein
geographische« Jahrbuch. Was wir
brauchen, ist eine Zusammenstellung der
in der geographischen und geologischen
Litteratur enthaltenen Angaben über
inneren Bau, Oberflächenformen und
geologische Vorgänge, während jetzt selbst
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Tos
Bücherbcspreehungen.
aus geographischen Arbeiten nur die
eigentlich geognostischen i stratigraphi-
schen) Anhalten herausgeschält werden.
Der geophysikalische Bericht bietet dafür
keinen Ersatz, weil er den Gegenstand
nur vom Standpunkt der allgemeinen,
nicht von dem der speziellen Geographie
behandelt, und weil sich nun einmal die
Tektonik und Morphologie der Erdober-
fläche nicht physikalisch behandeln lassen.
Kine andere empfindliche Lücke scheint
mir das Fehlen von Berichten über die
Geographie des Menschen (aufser der von
Gerland bearbeiteten Ethnologie zu sein;
über Siedelungsgeographie, Verkehrsgeo-
graphie, Bevölkerungsdichte u. s. w. sind
in dem letzten Jahrzehnt so viele Einzel-
arbeiten erschienen, dafB regelmäfsige Be-
richte darüber sehr wünschenswert wären.
Hoffentlich gelingt es dem Herausgeber,
hierfür einen geeigneten Berichterstatter
zu gewinnen. Aus der Länderkunde ist
zu erwähnen, dafs Asien von Ticfsen über-
nommen worden ist. und dafs die Berichte
über Großbritannien und Kufsland aus-
gefallen sind. A. Hettner.
Günther, 8., Das Zeitalter der Ent-
deckungen. Mit einer Weltkarte.
'26. Bändchen der Sammlung „Aus
Natur und Geisteswelt". Leipzig,
B G. Teubner 1901. ,« 1.86.
Das letzte Jahrzehnt hat gerade für
die Geschichte des Zeitalters der Ent-
deckungen im Anschlufs an die Feier
der 400jährigen Wiederkehr des Tages
der Entdeckung Amerikas und des See-
weges nach Ostindien eine reiche Litteratur
hervorgebracht. Es mufste daher eine
anziehende Aufgabe sein, das Ergebnis
der neuesten Forschungen auch in einer
populär-wissenschaftlichen Form zur Dar-
stellung zu bringen. Der Verfasser hatte
diesen Gegenstand im Auftrage des
Münchener Hochschulvereins bereits in
sechs Vorträgen behandelt, und diese
sind in abgerundeter und teilweise er-
weiterter Gestalt zu einem Büohelchen
vereinigt. Der erste Vortrag hat die all-
mähliche Aufhellung des geographischen
Horizontes im Altertum und Mittelalter
zum Gegenstande. Die anderen behandeln
die Entdeckerthätigkeit »1er Portugiesen
in Afrika und Indien, die That des
Kolumbus und die weitere Entdeckung
der Neuen Welt, die erste Erdumsegelung I
und die Erschließung der Südsee. ferner
die Entdeckungen und Eroberungen der
Spanier und Portugiesen in Amerika und
den Eintritt der Franzosen und germa-
nischen Völker in die Entdeckerthätigkeit.
— Mit der dem Verfasser eigenen sti-
listischen Gewandtheit und lebendigen
Darstellungsweise sind hier die grofsen
weltbewegenden Ereignisse der geogra-
phischen Kenaissancezeit ansprechend ge-
schildert worden. K. Kretschmer.
(•rundmann. Johanne«. Die geogra-
phischen und völkerkundlichen
(Quellen und Anschauungen in
Her der 's „Ideen zur Geschichte
der Menschheit". VI u. 139 S.
Berlin, Weidmann, 1900. .fc 3.—
Eine Aufgabe, die in engcrem Rahmen
Paul Lehmann's Programm „Herder in
seiner Bedeutung für die Geographie"
.'Berlin. Falk-Kealgymn. 1883 mit frischem
Zuge in Angriff nahm, wird hier ein-
dringend und mit Erweiterung nach der
Seite der Völkerkunde bearbeitet. Der
I. Teil überschaut die „Quellen allge-
meiner Art und im besonderen zu den
physisch-astronomisch-geographischen Be-
trachtungen HerderV'. Hier werden die
Beziehungen zu Leibniz, Rousseau und
mit besonnenem, wohl abgewogenem Urteil
namentlich die zu Kant erörtert, auch die
stoffreichen Werke, die ein dem Herder-
schen ähnliches Ziel schon vor ihm ver-
folgten (Iselin, Falkoner und namentlich
Zimmermann^, gewürdigt, endlich die all-
gemeiner bedeutsamen Keisewerke und
verwandten Zeitschriften gemustert. Der
U. Teil giebt die Analyse der „Quellen
zu den Völkerbeschreibungen". Es ist
höchst anziehend, hier in die Werkstatt
des Denkers zu blicken und die Gesichts-
punkte kennen zu lernen, nach denen er
seine Stellung gegenüber den naturgemäfs
stark auseinandergehenden Meinungen
wählte. Der III. Teil endlich ist der
wichtigste. Er beleuchtet unter scharfer
Abhebung der eigenen Leistung Herder s
seine Anschauungen über die Einwirkung
der Natur (des in weitestem Sinne ge-
fällten ..Klimas") auf Körper und Geist,
auf soziale und politische Einrichtungen
und die gesamte Kulturentwicklung der
Völker. Lage, horizontale und vertikale
Gliederung der Länder kommen gesondert
zur Geltung Durch Vergleich mit Hippo-
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Bücherbesprechungen.
709
krates und Montesquieu werden Herder' h I
marBvolle, tiefer durchdachte Lehreu ins
rechte Licht gestellt. — Gern und mit
wachsendem Vertrauen folgt man der
Führung der gründlichen, wohlüherlegtcn
und sorgfältig gefafsten Darstellung.
Breslau. J. Partsch.
Supan, Alexander, Die Bevölkerung
der Erde. XI. Asien und Australien
samt den Südsee -Inseln. Gotha,
J. Perthes, 1901. Ergänzungsheft 135
zu Petermann' b Mitteilungen. IV u.
107 S., 1 Karte. 6.40.
Diese „Übersicht über neue Arealbe-
rechnungen, Gebietsveränderungen, Zäh-
lungen und Schätzungen der Bevölkerung
auf der gesamten Erdoberfläche" wurde
1872 von Ernst Behm und Hermann Wagner
begründet und von beiden in Zwischen-
räumen von ein bis zwei Jahren bis 1882
fortgeführt (I 1872, II 1874, HI 1875,
IV 1876, V 1878, VI 18X0, VII 1882),
indem der Stoff eines jeden Heftes in die
Kapitel 1. Areal und Bevölkerung nebst
Gebietsveränderungen und II. Ortsstatistik
zerfiel. Diese „Jährliche" I bersicht wurde
nach Behm's Tode (1884) durch H.Wagner
und AlexanderSupan 1891 als „Periodische"
Übersicht fortgesetzt ( Heft VIII ff.) und
wird seit 1899 von letzterem allein heraus-
gegeben. Die Teilung des Stoffes in die
beiden oben erwähnten Kapitel ging bei
den Heften VIII und IX so weit, dafs
Heft VIII nur das Kapitel Areal u. s. w.,
Heft IX (18»«, bereits von A. Supan allein
bearbeitet i die Ortsstatistik für sich be-
handelte. Seit Heft X wurde eine Zu-
sammenfassung des gesamten Stoffes unter
die einzelneu Länder und Erdteile ein-
geführt, so dafs Heft X (1899) Europa,
Heft XI il901) Asien, Australien und
die Südsee -Inseln betrachtet, während
Heft XII Afrika und Amerika (wohl auch
die Polarländer) bringen soll. Diese
Dreiteilung des Stoffes wird wahrschein-
lich beibehalten werden; daneben sollen
Jährliche Tabellen der Staaten und Kolo-
nien die Fortschritte der Bevölkerungs-
statistik in grofsen Zügen vor Augen
führen". Den Interessen der Geographen,
der Sprödigkeit des Materials wie der
Mühseligkeit der Arbeit ist dureh diese
Einteilung wohl am besten entsprochen.
In Heft XI sind Türkisch- Asien und
China, zwei gröfsere Gebiete Asiens, deren
i Zählungsergebnissc infolge der Eigenart
ihres Zählungsmechanismus (betr.Türkisch -
Asien vergl. S. 8 des Heftesi am meisten
der kritisch prüfenden Durcharbeitung
und Richtigstellung bedürfen, in gröfseren
Aufsätzen eingehend behandelt.
Bei der Skizze über Türkisch -Asien
wurden den Angaben, welche sich auf
die Fläche, die Gesamtbevölkerung und
ihre konfessionelle Gliederung sowie die
Bevölkerungsdichte der Wilajets und
Mutessarifliks. der Sandschaks sowie der
Kasas erstrecken, hauptsächlich die beiden
Werke des kürzlich verstorbenen Forschers
Vital Cuinet zu Grunde gelegt , welcher
seine Quellenstudien „auf seinen zwölf-
jährigen Reisen (1878—1890, in Türkisch-
Asien und durch seine ausgebreitete Kor-
respondenz mit Gewährsmännern au allen
gröfseren Orten" zu vervollständigen suchte,
nämlich „La Turquie d'Asie" (Paris 1890
—94, mit Karten; und „S.vrie, Liban et
Palestine" (Paris 1896—1901, mit Karte).
Daneben wurden aufser verschiedenen
anderen Werken zur Ergänzung und Prü-
fung der Angaben Cuinefs, welcher von
A. Supan als „ein fleifsiger. aber durchaus
unkritischer Kompilator" bezeichnet wird,
hauptsächlich folgende Karten benutzt:
H. Kiepert, Carte generale des provinces
europeennes et asiatiques de l'Empirc
ottoman (2. Ausg., Berlin 1892) in
1:3 000 000; R. Huber, Empire ottoman,
division administrative | Konstantinopel
1900) in 1:1600 000. Das Hauptresultat
der kritischen Arbeit ist eine von ihrem
Verfasser entworfene Karte der Volksdichte
von Kleinasien, Armenien und Kurdistan
im Marsstab 1 : 7 600 000 mit Unterschei-
dung von sechs Dichtestufen. Auch der
Feststellung der inneren administrativen
Grenzveränderungen wird viel Aufmerk-
samkeit gewidmet. Erwähnt sei an dieser
Stelle nur die auf Grund des E. Glaser-
schen Aufsatzes in der Münchener Allge-
meinen Zeitung vom 3. Januar 1900 auf
S. 6 und 19 des Heftes) angeführte Teilung
des arabischen Wilajets Jemen in die vier
neuen Wilajets Assyr, Hodeidah, Sana
und Ta'is, da über diese Neuerung meines
Wissens in geographischen Zeitschriften
bisher noch nicht berichtet wurde. Eine
Liste der Einwohnerzahl einer gröfseren
Anzahl von türkischen Orten mit über
1000 Einw. (nach verschiedenen Quellen)
beschliefst den inhaltreichen Aufsatz.
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710
Buch erbe sprcch ungen.
Das Chinesische Reich ist der
Gegenstand des zweiten größeren kriti-
schen Aufsatzes. An der Hand der durch-
schnittlichen jährlichen Bevölkerungs-
zunahme il749— 1894, für 14 Perioden
berechnet ) prüft Supan zum ersten Male
eingehend die Zuverlässigkeit der chine-
sischen Zählungen und berechnet unter
Eliminierung der vollständig unzuverläs-
sigen, den späteren Zählungen als Grund-
lage dienenden Ergebnisse der Zählung
von 1776 und nach Ersatz derselben durch
berechnete Wahrscheinlichkeitswerte kri-
tische Zahlen für 1894. Supan erreicht
auf diesem Wege für die 18 Provinzen
eine Reduktion der Einwohnerzahl um
48 Millionen für die Zählung von 1776.
Für die letzte Zählung 1894 (bei einigen
Provinzen für 1879 und 1893) berechnet
Supan die Einwohnerzahl nach zwei Me-
thoden; einerseits durch Addition der von
ihm für 1776 berechneten Einwohner-
zahl \b) und der Zunahme der Bevölkerung
1776 — 1894 nach den amtlichen Zahlen
(A — a), also nach der Formel Ii = b
-\- (A — «); andrerseits unter Benützung
des Wachstumskoeffizienten der Provinzen
von der unzuverlässigen Zahlung (1776)
bis zur letzten Zählung nach den amt-
lichen Zahlen, also nach der Formel
Ä = t|l|'^"J, welch letztere mit
Recht (wegen der Benutzung der Zahl <i
zur Division) als die weniger empfehlens-
werte bezeichnet wird. Supan erhält so
tür 1894 (bei einigen Provinzen für 1879
und 1893) nach der ersten Formel als
mutmassliche Bevölkerungszahl der 18 Pro-
vinzen des eigentlichen China 345 784 000
(nach der zweiten Formel 281 016 000)
Seelen, oder unter Berücksichtigung der
politischen Änderungen durch Abtretung
der Pachtgebiete und nach gleichniäfsiger
kritischer Berechnung der Einwohnerzahl
aller Provinzen lür 1894 in starker Ab-
rundung 319 000 000 Seelen. Für das
ganze Chinesische Reich von 1 1 138 880 qkm
ergeben sich dann 330 130 000 Einwohner,
d.i. 30 Einw. auf 1 qkm; für die fremden
Besitzungen und Pachtgebiete in China
6160 qkm mit 950 000 Einw., d. i. 154 Einw.
auf 1 qkm. Die P. S. Popov'schen Zahlen
für das eigentliche China verwirft Supan
vollständig.
An ausführlichen A ngaben über Grenz-
vc rändern ngeu im letzten Jahrzehnt
des vorigen Jahrhundert« sind erwähnens-
wert die unter den Artikeln Persien.
Afghanistan, Chinesisches Reich, Franzö-
sisch-Indo-China, Siam und Sunda-Inseln
und Molukken angeführten. Neue Areal-
messungen bringt das Heft besonders
noch für Französisch -Indo- China, wobei
auch Laos für sich betrachtet ist (nach
allerdings ungenügenden Karten), für das
Chinesische Reich (von B. Trognitz auf
E. Bretschneider's Map of China in
1 : 4 500 000, 2. Ausg., St Petersburg 1900,
ausgeführt), für Niederländisch- Indien,
Cypern, Siam (von Haack auf The
map of the kingdom of Siam, from
Govern- ment Survey under direction of
J. McCarthy, 1900, in 1:2000 000, er-
mittelt), für die Philippinen, Formosa,
Ceylon, die Nicobaren und Niederländisch-
Neuguinea.
Durch neue umfangreichere Z ä h i u n g s -
ergebnisse, auch in Bezug auf die Orts-
Btatistik, sind folgende Länder vertreten:
Russisch-Asien (1897), Britisch-Indien (für
1891 und 1901, in umfangreichen Tabellen),
Japan (1898), Korea, Französisch -Indo-
China, Philippinen (li?99), Sunda-Inseln
und Molukken (1895); auch für Persien
ist eine Liste gröfserer Städte nach ver-
schiedenen Quellen zusammengestellt. Für
den Australischen Bund finden sich
Zusammenstellungen nach natürlichen
Gebieten. Für die Südsee-InBein sind
übersichtliche Tabellen zusammengestellt
und die politischen Veränderungen des
letzten Jahrzehnts zusammengetragen.
Unter Britisch-Indien ist auch die von
Supan als „Westliche Grenzländer" be-
zeichnete, 1901 neugebildete Provinz mehr-
fach erwähnt (119 800 qkm, 21/,— 3 Mill.
Bewohner). Auch in Arabien sind einige
politische Veränderungen zu berichten.
Diese kurzen Andeutungen mögen genügen,
den reichhaltigen Stotf des XI. Heftes vor
Augen zu führen. Eine Veranschaulichung
der Ergebnisse durch Übersichtstabellen
wird in einem der nächsten Hefte der
G. Z. folgen. Dr. K. Neukirch.
Bericht über die neuere Litteratur
zur deutschen Landeskunde.
Herausgegeben im Auftrag der Zen-
tralkommission für wissenschaftliche
Landeskunde von Deutschland von
Prof. Dr. Alfred Kirchhoff und Prof.
Dr. Kurt Hasttert. Band I (1896
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Bücherbesprechungen.
711
— 99). ffr. 8°. 250 S. Berlin, A. Schall,
1901.
Obgleich Mitglied der Zentralkommis-
aion, habe ich doch mit der Herausgabe
und Anordnung des vorliegenden Werke»
nicht da* Mindeste zu thun gehabt. Es
ist mir deshalb gewils gestattet, auch an
dieser Stelle der dankbaren Anerkennung
Ausdruck zu geben, welche jeder Freund
der Landeskunde der unendlich mühsamen
Arbeit der Herren Kirchhotf und Hassert
gegenüber empfinden mufs. Es kann
keinen Augenblick zweifelhaft sein, dafs
ein solcher Litteraturbericht einem sehr
dringenden Bedürfnisse entsprach. Für
diesmal berücksichtigt der Bericht die
Jahre 1896—99: es sind 952 Bücher,
Aufsätze und Kartenwerke aufgenommen
worden. Natürlich ist die Zahl der wirk-
lich erschienenen Arbeiten viel gröfser,
über Erdbeben werden z. B. nur 2, über
Seeverkehr auch nur 2 Arbeiten registriert.
Wenn noch keine annähernde Vollständig-
keit erzielt wurde, so trifft die Schuld
selbstverständlich nicht die Herausgeber,
sondern die mangelhatte Unterstützung
der verschiedensten Kreise. Unendlich
schwer ist bei solchen Arbeiten die An-
ordnung dea Stoffes; mag man verfahren
wie man will, immer wird es einzelne Be-
denken und unvermeidliche Mängel geben.
Man hat sich dafür entschieden, alles in
55 sachlichen Abschnitten unterzubringen,
so dafs z. B. Abschnitt 1 die Biblio-
graphien, Abschnitt 10 die Arbeiten über
Grundwasser und quellen, Abschnitt 32
die Ortsbeschreibungen und Ortsgesehich-
ten, Abschnitt üü endlich das über Feste
und Belustigungen, Sitte und Brauch Er-
schienene umfal'st. Einzelne Abschnitte
sind weitumfassend, andere sehr begreuzt.
Es wäre leicht, diese und jene Bedenken
geltend zu machen, schwer aber, die gewils
nach vielen Versuchen und Überlegungen
gewählte Anordnung, die im allgemeinen
durchaus zweckentsprechend ist, durch
eine bessere zu ersetzen. Gönnen wir
deshalb der Hillebille, diesem in der T hat
volkskundlich höchst interessanten Schall-
brett, ihre eigene, sogar 11 Arbeiten um-
fassende Rubrik! Innerhalb jedes Ab-
schnittes ist im allgemeinen von Süd nach
Nord gegangen worden, so dafs es duch
keineswegs zu schwer ist, die eine be-
stimmte Provinz betreffenden Arbeiten
herauszusuchen. Dem Plan entsprechend
sind die einzelnen Arbeiten auch kurz
besprochen worden. Da weder lange kri-
tische Abhandlungen noch dürftige Titel-
umschreibungen gegeben werden sollten,
war die Aufgabe recht schwer, sie ist
aber von den zahlreichen Mitarbeitern aus
allen Gauen des Reiches im allgemeinen
vortrefflich gelöst worden. Die Bespre-
chungen sind knapp gehalten, reichen aber
völlig aus, um danach den Charakter der
betreffenden Arbeit zu beurteilen. Jeder
Benutzer des Bandes wird seine Lieblings-
wünsche hinsichtlich der Erweiterung und
der reicheren Ausstattung dieses und jenes
Abschnittes haben, alle aber werden sich
darüber freuen, dafs endlich einmal ein
Anfang und zwar ein guter Anfang ge-
macht ist. Möchte sich die Hoffnung,
dafs dieser Band nur der Erstling einer
langen, langen Reihe Bei, erfüllen, möge
aber auch die wachsende Teilnahme
immer weiterer geographisch interessierter
Kreise dem Kollegen Hassert seine Re-
daktionBarbeit erleichtern, und möge
endlich dem Bande in dieser bösen Zeit
eins nicht fehlen, was er auch dringend
gebraucht, der Absatz!
F. Hahn (Königsberg).
von Erckert, R. Wanderungen und
Siedelungeu der germanischen
Stämme in Mittel-Europa auf
zwölf Kartenblättern. Berlin, Mittler
und Sohn. 1901, fol.
In dem vorliegenden Werk hat sich
der vor kurzem verstorbene Verfasser
(ehemaliger Generalleutnant der russischen
Armee) au einen Gegenstand gewagt, der
seit Zeufs und Möllenhoff wiederholt in
scharfsinniger Weise behandelt worden
ist. Er ist sich der Schwierigkeiten der
Probleme vollkommen bewufst, und sucht
nur die bisherigen Forschungen in einer
Folge von Karten übersichtlich zusammen-
zufassen, ohne eine eigene Auffassung
durchblicken zu lassen. Wenn Joh. Ranke
im Vorwort es ein „Grund werk in einer
die gehegten Hoffnungen weit übertreffen-
den Vollendung", ein „(juellenwerk ersten
Ranges" nennt, so bezeichnet es der Ver-
fasser selbst, meines Erachtens sehr viel
richtiger, als einen „ethnographischen
Versuch, bei dem so manches ungelöstes
Problem bleiben mulstc". Ein Text ist
dem Werke nicht beigegeben; dafür ent-
halten einige Karten einen gedrängten
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712
Rücherbesprechungen.
Kommentar geschiehtüchen und sprach-
wissenschaftlichen Inhalt». Was die
Karten selbst betrifft, so liefsen sich in
methodischer Hinsicht ja mancherlei Aus-
stellungen machen. Das Ziehen fester
Grenzlinien ist bei der mangelhaften Be-
schaffenheit des Materials immer sehr ge-
wagt. In dieser Beziehung befindet sich
der Kartograph stets in einer mifslichen
Lage. Während der priifende Forscher
die Für und Wider eines Problems erörtert
und manche Frage voreichtigerweise offen
läfst, mufs der Kartograph sich über alle
Einzelheiten endgiltig schlüssig werden.
Oft hat sich der Verfasser über die
Schwierigkeiten durch erklärende Zu-
sätze fortzuhelfen gesucht, wie „Grenze
nur im ganzen richtig", ..wahrscheinliche,
ganz ungefähre Grenze" und dgl. m.
Bei dem ziemlich grolsen Mafsstab der
Karten (1 : 9 000 000J waren solche Zu-
sätze allerdings geboten, wenn nicht falsche
Auffassungen erweckt werden sollten.
Auch die Marschrouten wandernder Völker
können auf Karten nur sehr angenähert
die allgemeine Richtung andeuten, wenn
nicht ganz bestimmte Nachrichten vor-
liegen.
Den Kernpunkt des ganzen Werkes
bildet die allmähliche Ausbreitung des
Germanentums über Mitteleuropa in den
verschiedenen Perioden der Geschichte
vom Anfang des VI. Jahrhunderts bis zum
Anfang des IX. Jahrhunderts. Die Ver-
breitungsgebiete der Germanen sind in
roten Flächentönen mit verschiedenen Ab-
stufungen gegebpn, jene der Kelten in
grauer und der Slaven in gelber Tönung.
Tafel II und III veranschaulichen das Vor-
wärtsdrüngen der Germanen nach 8. bis zur
nördlichen Wasserscheide des Mains und
dem Erzgebirge und Sudetenwall, sowie
nach W. bis zum Rhein, den einzelne Ger-
inanengruppen im II. Jahrhundert v. Chr.
schon überschritten haben müssen. Südlich
der Mainlinie safsen damals ausschliefslich
keltische Stämme. Zu Caesar's Zeiten
(Tafel IV) hat sich die Situation zu Gunsten
der Germanen bedeutend verschoben.
Die Kelten sintl weiter nach S. gerückt,
die Bojer haben Böhmen verlassen und
Germanen ( Vaugionen, Ncmeter, Triboker /
sind über den Oberrhein in die Pfalz
vorgedrungen. Zweihundert Jahre später
(Tafel V) finden wir Germanen in den von
den Kelten verlassenen böhmisch -mäh-
rischen Gebieten vor (Markomannen,
Quadtm, die bereits im Anfang des
I. christlichen Jahrhunderts diese Ge-
biete aufgesucht haben). Die rö-
mische Militärgrenzc am Rhein und der
Limes hatte dagegen eine Weiterausbrei-
tung in dieser Richtung bis auf einige
Ausnahmen (Ubier, Cugemer) noch ver-
hindert. Für die geographische Stellung
der einzelnen Germanenstämme bietet
neben anderen die Geographie des Ptole-
maeus eine wichtige Handhabe. Tafel VI
bringt daher zum Vergleich mit dem vor-
hergehenden Blatt einen Ausschnitt aus
der Ptoleraaeuskarte, Germanien und
Sarmatien umfassend. Vom Anfang des
II. Jahrhunderts an kommt abermals eine
Bewegung in die germanische Völker-
masse. Es beginnen die Wander- und
Kriegszüge, die bis in das VI. Jahrhundert
hineinreichen und mit Berücksichtigung
der Normannen sogar noch im XI. Jahr-
hundert sich bemerkbar machen. In vier
kleineren Kartenskizzen (Tafel VIIi wird
das Hin- und Herwogen der Völkerwellen
veranschaulicht. Die alten Stammes-
namen verschwinden in dieser Zeit und
neue Gruppennamen wie Franken, Ale-
mannen, Thüringer, Bajuwaren treten auf.
Am bedeutsamsten ist für Mitteleuropa
jedenfalls die Thatsache, dafs die Ost-
germanen ihre Sitze zwischen Oder und
Weichsel im IL— in. Jahrhundert ver-
lassen haben und nunmehr die Slaven
in die offenen Gebiete von der Weichsel
her vordringen. Die Tafeln VIII— XII
bringen für die Jahre 300, 400, 500, 600
und 814 den westlichen Vormarsch der
slavischen Völker zur Darstellung, der
sich bekanntlich ganz geräuschlos vollzog
und uns in historischen Quellen kaum
einmal gemeldet wird.
Der Verfasser hat mit anerkennens-
wertem Eifer und Fleifs das einschlägige
Quellenmaterial durchgearbeitet und sich
auch mit einer Reihe von Fachgelehrten
in Verbindung gesetzt. Von einem aus-
führlichen Kommentar hat er mit Rück-
sicht auf sein Alter Abstand genommen,
um den Abschlufs des Ganzen nicht ins
Ungewisse hinauszuschieben. Um so mehr
aber wird man sich freuen dürfen, dafs
es ihm noch vergönnt war, die letzte Ar-
beit seines Lebens in so stattlicher Aus-
führung volleudet zu sehen.
K. Kretschmer.
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Bücherbesprechungen.
713
Norway. Official I'ublication for
the Paris Exhibition 1900. gr. 8°.
626 -f XXXIV S. 6 K., 83 Tat,
57 Textbilder u. Diagr. KriBtiania,
Aktie-Bogtrykkeriet, 1900.
Am 6. März 1809 hatte das norwegische
Storthing eine nicht unerhebliche Summe
bewilligt, um ein umfassende» Werk über
Norwegens Land, Volk und Staat für die
Pariser Ausstellung von 1900 herzustellen.
Das Ergebnis der von Dr. Konow und
Kurl Fischer mit Unterstützung einer
sehr grofsen Anzahl norwegischer Gelehrten
und Schriftsteller sofort in Angriff ge-
nommenen Arbeit lag in einem stattlichen,
schön ausgestatteten Bande rechtzeitig
vor, das norwegische Kultusministerium
hat das Werk mit dankenswerter Libera-
lität auch den Gelehrten des Auslandes
zugänglich gemacht. Die ursprünglich
natürlich norwegisch geschriebenen Artikel
sind sämtlich in das Englische über-
tragen worden. Es könnte auffallen,
dafs man für Paris ein englisches Werk
zusammenstellte , indessen ist die eng-
lische Sprache, wie französische Reisende
schon öfters mit ergötzlichem Erschrecken
festgestellt haben, dem Norden viel ver-
trauter als die französische. Für deutsche
Leser hätte es allerdings der Übertragung
überhaupt kaum bedurft, da die so leicht
verständliche dänisch-norwegische Sprache
bei uns doch weit bekannter ist, als man
in Norwegen wohl annimmt. Mit der
englischen Sprache mufs der Leser auch
englische Mafse mit in den Kauf nehmen,
was besonders im klimatologischen Teil
mit seinen Zollen und Fahrenheitgraden
störend ist. Das Buch als Ganzes be-
trachtet ist ein vortreffliches Nachschlage-
werk, es wird kaum eine Seite der Landes-
kunde geben , über die nicht wenigstens
eine knappe Auskunft gegeben würde.
Der Geographie am nächsten stehen die
ersten Abschnitte. A. M. Hansen hat
unter dem Titel „Geographische Situation14
die eigenartigen geographischen Bedin-
gungen des ganzen norwegischen Volks-
und Staatelebens kurz und scharf hervor-
gehoben. Das völlige überwiegen der
maritimen Interessen , das Zusammen-
drängen der Bevölkerung an den Fjorden
(nicht an allen) und in den wenigen
Thalweitungen tritt uns sofort entgegen.
Der Abschnitt „Topographie" Betzt diese
Betrachtungen fort und fafat die all-
Oeogr»Phli«he Zeitschrift. 7.J»hrgmag. 1901 IS.
gemeine Orographie, Hydrographie und
Gletscherkunde zusammen, freilich ohne
irgendwo auf wissenschaftliche Streit-
fragen einzugehen. Das lag ja auch gar
nicht in der Absicht der Verfasser.
Geologie (v. H. Reusch), Klima (v. A. Steen),
Pflanzenwelt (v. H. H. Gran), Tierwelt
(v. J. A. Grieg) werden nun in hübschen
Monographien dargestellt; aber auch alle
folgenden Kapitel , die sich nach und
nach von der Geographie im engeren
Sinne weiter entfernen, bieten doch man-
chen geographischen Wink und über-
zeugen uns, wie bei vielen statistischen
Zahlen und politischen Erscheinungen
die eigenartige Landesnatur bestimmend
mitwirkt. So wird das Buch auch in
methodischer Beziehung wertvoll, und
das Studitun vieler Abschnitte bildet für
den angehenden Geographen eine nütz-
liche Übung. Zwar nicht geographisch,
aber doch gerade jetzt für weite Kreise
lehrreich sind die Kapitel über norwegische
Litteratur und norwegische Kunst, letzteres
durch viele Abbildungen hervorragender
Kunstwerke erläutert. Auch in den mehr
geographischen Partien fehlt es nicht
an teilweis recht guten Abbildungen, Dia-
grammen und Karten. Einige litterarische
Winke (bisweilen zu knapp) sind den
Kapiteln beigefügt. Am Schlufs ist die
Verfassungsurkunde Norwegens, sowie die
Unionsakte wortgetreu abgedruckt, gerade
jetzt gewifs vielen wiUkommen.
F. Hahn (Königsberg).
Fischer, P. D., Italien und die
Italiener. Betrachtungen und
Studien über die politischen, wirt-
schaftlichen und sozialen Zuatände
Italiens. 2. Aufl. Berlin 1901. 456 S.
8°. M 7 —
Es ist aufserordentlich erfreulich und
zeugt von dem grofsen Interesse, welches
in Deutschland dem von Deutschen soviel
besuchten Garten von Europa entgegen-
gebracht wird, dafs dies ausgezeichnete
Buch in so kurzer Zeit eine zweite Auf-
lage erfordert hat. Dieselbe ist in Be-
zug auf das Zahlenmaterial der Gegen-
wart angepafst und trägt auch in zahl-
reichen zum Teil umfangreichen Zusätzen,
wie beispielsweise über die rasch auf-
blühende ZuckerinduBtrie, über Fortschritte
im Volksschulwesen und dgl., den ver-
änderten Verhältnissen Rechnung.
48
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714
Büch erbesp rechungen.
Da über die erste Auflauf eingehend
(Jahrgang 1K99 S. 713,. berichtet wordeu
ist , so möge dieser kur/.e Hinweis ge-
niigen. Th. Fischer.
Gardini, Carlo, In der Sternenbanner-
Republik. Nach der zweiten Auf-
lage des italienischen Originals von
M Rumbauor. XV, 405 S. DL Olden-
burg, Schulze 1900. 6 —
Das vorliegende Buch erzählt in be-
haglicher Breite und bunter Reihe von
Allem und Jedem, was sein Verfasser
wahrend seiner Amtszeit als italienischer
Konsularagent in der nordamerikanischen
Union gesehen und erlebt hat; in seiner
ursprünglichen Form mag es sich ganz
angenehm lesen, so dafs sich sein buch-
händlerischer Erfolg erklären würde,
auch wenn es nicht zugleich dem Durch-
schnittsleser eine Fülle von Belehrung
über die Dinge und Zustände jenseits des
Atlantischen Ozeans darböte. In seiner
deutschen Übersetzung dürfte es aber nur
sehr bescheidenen Ansprüchen genügen.
Kinmal ist unsere deutsche Litteratur an
neueren Reiseberichten über die nord-
amerikanische l'nion durchaus nicht so
arm, wie der Übersetzer in dem Vorworte
meint, und eine ganze Anzahl der deut-
schen Publikationen geht den amerika-
nischen Kulturerscheinungen sicherlich
liesser und kritischer auf den Grund als
das italienische Buch. Sodann läfst die
Üb ersetzung der Form wie dem Inhalte
nach mancherlei zu wünschen übrig. Auch
wenn man nicht zu den rücksichtslosen
Fremdworttötern im deutschen Lande
gehört, so ist es einem des ausländischen
Kauderwelsches zu viel, wenn es heilst:
„Die Zentralader Broadway wird von elek-
trischen Trams befahren'" ;S. 43) - „Die
ötfentlichen Schulen sind gratis und mit
dem Prinzip der freien Lehre geleitet"
(S. 48) — „New York liegt in derselben
Parallele wie Neapel" (>. 68) — „Diese
enormen Klimadinerenzen" (meint Schwan-
kungen! S G4 > — „Die Todesexekutionen
sind nicht selten in den Vereinigten
Staaten" (3. 72) — „inmitten des reich-
sten und bevölkert sten Zentrums der
Union" (S. 77) — „riesenhafte Phänome-
nalerscheinungen der Natur" (S. 138)
u. s. w. u. ». w. Wirren Sinn aber ent-
halten Sätze wie: „Die Blizzards werden
durch eine sehr starke Bewegung der
Polarströme erzeugt, welche rapide Ver-
änderungen in der Atmosphäre, verbunden
mit kalten, schneeigen Winden, hervor-
bringen" (S. 20). „Durch den Kriekanal,
der in seinein Lauf die durch Seitenkanäle
auch mit dem Mississippibecken in Ver-
bindung stehenden Seen vereinigt, wurde
der Hafen von New York seit 1*65 (!) der
Stapelplatz fast aller zum Export nach
Europa bestimmten Getreidearten des
Westens" fS. 89\ „Nach der Meeresseite
zu ist New York dem Golfstrom ausge-
setzt, d. h. der Strömung, die von Süden
kommt und im Sommer so entsetzliche
Hitze erzeugt, dafs Sonnenstiche mit töd-
lichem Ausgange vorkommen" iS. 64). Im
übrigen heilst der nun verstorbene Brook-
lyner Kanzelredner nicht Becher, sondern
Beecher, die Insel in der New-York-Bai
nicht Staaten Island, sondern Staten Islaud,
die New Yorker Heizdampflieferungsge-
sellschaft nicht New York 's Steamer-Com-
pany, sondern New York Steam Company,
die Bostoner Faneuil Hall nicht Craddle
of liberty, sondern Cradle of Liberty, der
kleingeschlagene Anthrazit nicht Pea Cool,
sondern Pea Coal, und das Bostoner Athe-
näum ist nicht im Stile des Palladiums
gebaut, sondern im Stile Palladio's, des
grofsen Baumeisters. Sapienti sat!
E. Deckert.
Seier, C. , Auf alten Wegen in
Mexico und Guatemala. XXIV u.
363 S. M. 260 Abb., 65 Taf. u. 1 K.
Berlin, Dietrich Reimer 1900. . V. 20 . —
Im vorliegenden Buche schildert uns
die federgewandte Gattin und furchtlose
Reisebegleiteriu des bekannten Amerika-
nisten E. Seier den äufseren Verlauf ihrer
zweiten nahezu zweijährigen Reise, welche
der archäologischen Durchforschung des
südöstlichen Mexico und Guatemala« ge-
widmet war. Vorzüglich mit Mitteln des
amerikanischen Macens Herzog von Loubat
ausgerüstet, besuchte die Expedition in
den Jahren 1*95— 1*97 nach einem Aus-
flug in das Tarasco-Gebiet von Patzcuaro
das archäologisch bisher arg vernach-
lässigte Oaxaca, insbesondere die in dieser
Hinsicht fast noch ganz unbekannte,
äufserst interessante Mizteca alta. wandte
sich dann über den Isthmus von Tehu-
antepec nach Chiapas und durchwanderte
I auf zahlreichen Kreuz- und Querzügen
Guatemala, uin schliel'slich zu Schiff nach
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Bü cherbesprechungen.
715
Colima und von da teils zu Pferde, teils
mit Eisenbahn über Miehoacan nach der
Hauptstadt Mexico zurückzukehren.
Während die eigentlichen wissenschaft-
lichen Ergebnisse der Reise für ein be-
sonderes Werk reserviert, ja nähere An-
deutungen über dieselben hier fast ängst-
lich vermieden werden, finden wir in dem
vorliegenden Buch eine durch frische
Crsprünglichkeit ausgezeichnete Reise-
schilderung, welche uns mit den durch-
zogenen Gebieten , ihren Bewohnern und
deren Sitten bezw. Unsitten in anschau-
lichster Weise bekannt macht. Wer je
in spanisch-amerikanischen Ländern ge-
reist ist, wird die lebenswahre, warm-
empfundene Schilderung der Eindrücke,
welche der Europäer von der indianischen
bezw. gemisehtblütigen Bevölkerung er-
hält, als mustergiltig bezeichnen müssen,
wird die feine Beobachtungsgabe der
Verfasserin im Verkehr mit den Ein-
geborenen, wie den Humor, mit dem sie
die bei solchen Fahrten unausbleiblichen,
z.T. freilich unnötigen Widerwärtigkeiten,
das „Quien sähe" und des „manana"
überwindet, bewundern und ihr aufrichtige
Anerkennung zollen müssen, dafs sie Sinn
und Auge nicht nur für die archäologisch-
ethnographischen Spezialzwecke der Reise,
sondern auch für die Landschaft als
solche und ihre Vegetationscharaktere
offen gehalten hat. l'nermüdlich ist dabei
auch die photographische Camera thätig
gewesen, um jene Eindrücke festzuhalten,
und t*iu reicher Bilderschmuck 65
wohlgelungene Lichtdrucktafeln neben
260 Textbildern von Landschaften, Be-
völkerungstypen und archäologischen Ob-
jekten — bildet eine hochwillkommene
Ergänzung des Textes, den der Leser
nicht aus der Hand legen wird, ohne für
die empfangene Unterhaltung, Anregung
und Belehrung dankbar zu sein. Kür den
Geographen werden die einzelnen Weg-
kärtchen, sowie die beigegebene Über-
sichtskarte des südöstlichen Mexico und
Guatemalas, in 1 : 1 780 000 von P. BoBchann
nach den neuesten Quellen gezeichnet,
einen besonderen Wert besitzeu.
Unter der neueren Reiselitteratur über
Zentralamerika nimmt Cäcilie Seier s Werk
bei seiner vornehmen Ausstattung, nament-
lich in Rücksicht auf die von dem
Forscherpaar besuchten, sonst wenig be-
kannten Gebiete von Guatemala, einen
würdigen Platz ein und mit grofser
Spannung darf man nunmehr auch der
wissenschaftlichen Verarbeitung des mit
so grofser Ausdauer gesammelten , offen-
bar ungemein reichhaltigen Materials ent-
gegensehen, von dem ein grofser Teil im
Berliner Museum für Völkerkunde all-
gemein zugänglich gemacht wird.
H. Lenk.
Wcigeldt, P., Aus allen Erdteilen.
Kommentar zu Ad. Lehmann1» Cha-
rakterbildern. 2. Heft: Aus den Alpen.
Leipzig, F. E. Wachsmuth. 1901.
Weigeldt setzt in diesem 2. Heft seine
Erläuterungen zu den bekannten geo-
graphischen Charakterbildern von Ad. Leh-
mann fort. Wieder giebt er nicht blofs
eine Beschreibung der Bilder selbst, son-
dern sucht durch näheres Eingehen auf
die in den Bildern veranschaulichten Er-
scheinungen überhaupt das geographische
Verständnis zu erweitern. Der Lehrer
wird diesen Kommentar zur eigenen An-
regung wie als Hilfsmittel für den Unter-
richt gut gebrauchen können.
Bei der Abfassung des Textes hat der
Verfasser vielfach Werke anderer Autoren
benutzt, zuweilen fast wörtlich, ohne die
Quelle anzugeben. So begegnen wir in
dem Abschnitt „Die Adelsberger Grotte"
wiederholt Sätzen aus Supan's „Physischer
Erdkunde". Ebenso ist die Bemerkung
über die Seen auf S. 73 nahezu wörtlich
dem Lehrbuch von Supan entnommen.
Der erläuternde Text ist nicht immer
einwandfrei. Die Schneebrille ist in den
höheren Regionen nicht wegen der un-
gemein blendenden Weifse des Schnees,
sondern der intensiven Rückstrahlung des
Sonnenlichtes wegen erforderlich. Den
Eibsee als einen Typus der Eintiefungs-
seen zu bezeichnen, ist nicht zulässig; er
ist eher ein Aufschüttungssee nach Supan.
In der Schweiz giebt es keine „Alm".
Bei der Schilderung der Berner Alpen ist
daher „Alpe" richtiger als „Alm", nicht
umgekehrt, wie der Verfasser sagt. Ule.
C. C. Meinhold ii Söhne, Dresden, Geo-
graphische Bilder aus Sachsen.
1. Lfg.: Dresden, Meifsen, Pirna,
Bautzen, Oybin. 2. Lfg: Kloster
Marienthal, Herrnhut, Sehlofs Krieb-
stein, Moritzburg, Bastei. Preis für
! Lieferung oder 5 Blatt nach Wahl
4**
716
Neue Bücher und Karten.
JC 9 . — . Mit Leinwandrand und Ösen
JC 10.—. Einzelne Blätter JC 1.80
bez. JC 8.—.
Die Sammlung der Meinhold'schen
Bilder, deren 2. Lieferung uns vorliegt,
sucht in erster Linie die Bedürfnisse des
heimatkundlichen Unterricht« der Unter-
stufe zu befriedigen. Auf dieser Stufe
kann nicht leicht ein Zuviel der bildlichen
Veranschaulichung eintreten , gleichviel
ob die Bilder die geographischen Grund-
begriffe klären, ob sie geschichtlich und
kulturhistorisch merkwürdige Lokalitäten
darstellen oder lediglich die landschaft-
lichen Schönheiten der heimatlichen
Scholle zu Gemüte führen sollen. Deshalb
ist von diesem Gesichtspunkte aus be-
trachtet auch gegen die bisherige Aus-
wahl der Objekte nichts einzuwenden. Ob
es nach dem Erscheinen aller sechs Liefe-
rungen möglich sein wird, aus dem
gebotenen Material eine beschränktere
Bilderzahl mit geographisch wertvollen
Objekten für die nichtsächsischen Schulen
zusammenzustellen, läfst sich vorläufig
noch nicht beurteilen. Aber es wäre ge-
wifs eine dankenswerte Aufgabe, die Form-
elemente der sächsischen Landschaft zu
veranschaulichen, selbst auf die Gefahr
hin, dafs der malerische Effekt eines
solchen Elementes nur gering ist (z. B.
die flachen Gneifszüge des Erzgebirgs, das
vielkuppige Granitterrain der Lausitz,
andrerseits die schroffen Erosionsthäler,
der böhmische Steilabfall des Erzge-
birgs etc.).
Die künstlerische Wiedergabe der
Natur ist meist klar, in kräftigen, auf
Fernwirkung berechneten Konturen und
Farbentönen, und der kindlichen Auf-
fassungsfähigkeit entsprechend, so dafs
sich verschiedene Blätter recht wohl zum
Schmucke der Schulzimmer eignen dürften.
Leider hält da« geographische Verständnis
des Malers nicht immer Schritt mit dem
künstlerischen. So ist das Blatt „Bastei"
gegenüber der fast identischen Aufnahme
in der bekannten Lehmann'schen Bilder-
sammlungentschieden minderwertig. Denn
der wichtigste Charakterzug des Elbsand-
steins, seine Neigung zu bankförmiger
Absonderung, kommt weniger zur Geltung,
als in der Natur auf ungleich gröfsere
Entfernung. Die technische Verviel-
fältigung der Bilder entspricht den An-
forderungen, die man bei dem niedrigen
Preise billigerweise stellen darf.
P. Wagner.
Nene Bücher und Karten.
Zusammengestellt von
GeiehlchU a. Methodik der Geographie.
Hegemann, E. Das topograph. Zeichnen;
eine Sammlung v. 12 Musterbl. 12 Taf.
IV, 36 S. Berlin, Parey 1901. JC 6. —
Marquart, J. EränSahr nach der Geo-
graphie des Ps. Moses Xorenac'i; mit. . .
Kommentar u. histor. u. topograph. Ex-
cursen. 358 S. (Abh. der k. Ges. der
Wiss. zu Gött,; philol.-histor. Kl. NF. III,
2). 4°. Berlin, Weidmann 1901. JC 30.—
Pauly's Real-Encyclopädie. Neu bearb.
von G. Wissowa. Halbbd VIII. Stutt-
gart, Metzler 1901.
Probeblätter von geograph. Karten,
Plänen etc. des Art. Institut Orell
Füssli, kartograph. Anstalt, Zürich.
18 Bl. Zürich, Orell Füssli 1901. 4°.
JC 4. -
Allgemeine phytUche Geographie.
Ratzel, Friedr. Die Erde u. das Leben;
eine vergleichende Erdkunde. Bd. I.
Heinrich Brunner.
264 Abb. u. Karten im Text, 9 Karten -
beilagen u. 23 Taf. 706 S. Leipz. u.
Wien, Bibliograph. Inst. 1901. JC 17. —
Rinne, F. Gesteinskunde ; für Techniker,
Bergingenieure u. Studierende der Na-
turwissenschaften. 4 Taf. 235 Abb.
VU, 206 S. Hannover, Jänecke 1901.
jMk 9. 60.
Stübel, Alph. Ein Wort über den Sitz
der vulkan. Kräfte in der Gegenwart.
Nebst Textfig. u. 1 Taf. 15 S. (Mitt.
aus dem Museum f. Völkerkunde zu
Leipzig; Abt. f. Länderkunde). 4°. Leip-
zig, Weg Komm. 1901. JC 4. — .
Allgemeine Geographie des Meaechea.
Fitzner, R. Deutsche« Kolonial -Hand-
buch, nach amtlichen Quellen bearbeitet.
H. 2. Aufl. 3 Karten. 8°. IV, 272 S.
Berlin, Paetel 1901.
Frey tag, G. Der Weltverkehr; Karte
der Eisenb.-, Dampfer-, Post- u. Tele-
zed by Google
Neue Bücher und Karten.
717
graphen - Linien. Maßstab am Äq.
1 : 45 000 000. Farbdr. 64 x 96,6 cm.
Wien, Freytag & ßerndt 1902. JC 2.—
Friedrich, E. Die Anwendung der karto-
graphischen Darstellungsmittel auf wirt-
schaftsgeographischen Karten. 1 Karte.
Habilitationsschrift, Leipzig, Schönert
1901.
Gr (Store Erdriane.
Gaebler, Ed. Neuester Handatlas über
alle Teile der Erde. 136 Karten u. Dar-
stellgn, nebst aiphabet. Namenverz. . . .
40 färb. Kartens. XXXH S. Text. 4. Aufl.
4°. Leipzig, Berger 1901. JL 5.—
Stiel er, Ad. Stieler's Hand- Atlas; 100
Karten in Kupferstich, hrsg. von Justus
Perthes' Geograph. Anstalt in Gotha.
9. Ausgabe. F°. In 60 Lieferungen.
Gotha, J. Perthes 1901 ff. zu JL —.60.
Europa.
Anderlind, L. Darstellung des Kaiser-
lichen Kanals von Aragonien, nebst
Ausblick auf ein in Preufsen herzu-
stellendes Kanalnetz. 1 Abb. Leipzig
u. Breslau, K. Scholtze 1902.
Beck v. Mannagetta, G. Ritter. Die
Vegetationsverhältnisse der illyrischen
Länder ... 6 Vollbild. , 18 Textfig.,
2 färb. Karten. XV, 634 S. (Engler und
Drude. IV. — Die Vegetation der Erde.)
Leipzig, Engelmann 1901. Subskr.-Preis
JL 20.— Einzelpr. JC 30.—
Wallis, H. Sowerby, and H. R. Mill.
British rainfall 1900; on the distribut.
of rain over the British Isles . . . 1900 . . .;
with articles upon various branches of
rainfall work. 326 S. London, Stan-
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Waraberg, Freih. Alex. Von Palermo
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lasse. 46 DL, 1 Karte. 124 S. Wien,
Konegen 1901. JL 6.—
JUtteleiropa.
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Straufs 1901. JL 10.—
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ginskische, petropawlowskische u. Ana-
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schwerdt 1902. JL 8.—
Langen, H. G. Die Key- oder Kii-Inseln
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Wien, Gerold's Sohn 1902. JL 2.60.
Laughan», Paul. Polit.-militär. Karte
von Afghanistan, Persien u. Vorder-In-
dien ... Mit stetist. Begleitworten.
Farbdr. 63x74 cm. Gotha, J. Perthes
1901. JL 1.—
Lindenberg, Paul. Auf deutschen Pfa-
den im Orient; ReiBebilder. 110 Abb.
320 S. Berlin, Dümmler 1902. Jt 4.—
Monnier, Marcel. Itine"raires a travers
l'Asie, lev£s au cours du voyage ac-
compli durant 1895—98 . . . Grav. et
album de 28 feuille». 253 S. 8° u. 4°.
Paris, Plön Nourrit 1901. Fr. 26.—
Nisbet, J. Burma under British rule
and before. 2 vol. 930 S. London,
Constable 1901. 32 s.
Pflüger, Alex. Smaragdinseln der Süd-
see; Reiseeindrücke u. Plaudereien. 5
Karten, 144 Abb., 8 Einschaltbilder,
1 Übers. - Karte. IX, 244 S. Bonn,
Straufs 1901. JC 10 —
Tornow, Max L. Die wirtechaftl. Ent-
wicklung der Philippinen. 10 Voll-
bilder, 4 Taf. u. 1 Karte. 63 S. Berlin,
Paetel 1901. JL 2,40.
718
ZeitBchriftenachau.
Afrika.
Dier, Matth. Unter den Schwarzen;
allerlei aus Togo über Land u. Leute,
Bitten U. Gebräuche. Kin Karbdr, Abb.
2. Aufl. 397 S. Steyl. Miss-Druckerei
1901 .tC 2-
Droogmans, Hubert. Notice sur le Bas-
Congo. Annexes aus feuilles 1 ä 15
de la Carte de l'Etat Ind^pend. du
Congo ä lVch. du 100000 e. 15 Karten.
XX, 301 S. Brüssel, Vanbuggenhoudt
1901.
Lloyd, der österreichische, u. sein Ver-
kehrsgebiet: offiz. Reisehandbuch . . .
Chefred.: Hugo Bürger. II: Ägypten.
102 III., 3 Fahrpl., 1 Karte. 244 S.
Wien, Braum(iller Komm. 1901. .4L 1.80.
Velten, C. Schilderungen der Suaheli.
Böttingen, Vandenhoek Ä: Ruprecht 1901.
JL 5.—
Aantralien und aaatrallirhe Innela.
(Jrey, J. Grattan. Australasia; old and
new. Portr. XVI, 396 8. London,
Hodder k Stoughton 1901. 7 b. 6 d.
Fountain, P. Great desert« and Ibrests
of North America; with pref. by W.
H. Hudson. liondon, Longmans 1901
9 b. 6 d.
Beschreibung, kurze, der Republik
Chile; nach offiziellen Angaben. 36 Abb.,
2 Karten. 103 S. Leipzig, Brockhaus
1901.
Kagalde, Alberto. MagallaneB el pais
del porvenir. I. Dl. u. Karten VI,
438 S. Valparaiso 1901.
Qoeldi, E. A. Album de aves Amazo-
nicas. Heft 1. 12 Taf. Rio de Ja-
neiro, de Alves k Cie. 1900.
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graphie des plantes »pontanees et cul-
tivees les plua importantes de la region
Amazonienne. 2 Hefte. 20 Taf. Para,
Muscu Paraense 1900.
Jannasch, R. Karte von Süd-Braailien.
Rio Grande do Sul, Santa Catharina,
Paranä . . . Ausg. Frühjahr 1902.
1:2000000. Lith. 75x79,5 cm Wil-
mersdorf-Berlin , Allg. Verlags- Agentur
1902. .<£ 5 —
Meyer, H. Die Privatkolonien von Dr.
Herrmann Meyer in Rio Grande do Sul
'Südbrasilien'. Leipzig 1901.
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Reiseskizzen. Abb. 98 S. Berlin, Gropius
1901. JL 2 —
Nathor*t, A. G. Tvu somrar i Norra
iBhafolt: Kung Karlsland, Spitzbergens
kringsegling spanande efter Andree i
Nordftstru (Grönland. 2 Bde. 2 -f 1
Karten. XXXV, 352; XIV, 414 S. Stock-
holm, Beijer (1901).
Geographischer Unterricht.
Baur, Ludw. Fragen u. Aufgaben aus
der mathemat.-physikal. Geographie . . .
15 Abb. 216 S. Stuttg., Muth 1902.
JL 2.80.
Fritzsche, Rieh. Method. Handbuch für
den erdkundl. Unterricht in der Volks-,
Bürger- u. Mittelschule ... I: Das
deutsche Reich. 17 Kartensk. XII,
399 S. Langensalza, Beyer k Söhne
1901. JL 4.50.
Kuhnert, M. Erdkarte, westl. Hälfte
'(in Reliefmanier/; in Verbindung mit
G. Leipoldt gezeichnet. Mittl. Mafs-
stab 1 : 12 000 000. Farbdr. 6 Bl. zu
86x60 cm. Dresden, Müller 1901.
JK 12.—
Langhana, P. Handelsschul-Atlas. 2.Aufl.
Gotha, Perthes 1902. 2 —
Reiner, Jul. Was rauft mau von der
Geographie wissen? Allgemein ver-
stäudl. dargestellt. 109 S. Berlin, Stei-
nitz 1902. JL 1.50.
Zeitschriftenschan.
Peter mann' 8 Mitteilungen 1901. lO.Heft. polarexpedition, I. Beriebt. — Lang-
Rat zel: Die Kaut-Laplace'eche Hypothese 1 hans: Die Wassererwerbs-Bevölkcrung im
und die Geographie. — Hermann: Die , Deutschen Reich. — Singer: Das Uganda-
Revölkeruug der Insel Pitcairn als Gegen- Protektorat, — Ders.: Die Uganda-Bahn,
stand wissenschaftlicher Untersuchung.! — Krahmer: Die Nachrichten von der
— v. Drygalski: Die deutsche Süd- Expedition von P. K. Koslow.
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Zeit Schriften schau.
719
Globus. Bil LXXX. Nr. 15. Tetzner:
Finnisch-ugrische volkskundliche Studien.
— Durand*« Besuch hei den Webias auf
Neukaledonien. — Schulze: Die erste
ethnographische Skizze über dießotokuden
in deutscher Sprache.
Dass. Nr. 16. Anutschin: Ergeb-
nisse der anthropologischen Erforschung
Rufslands. — Bodsohn: Reise im unab-
hängigen Sikkim. — Sapper: Speise und
Trunk der Kekchi-Indianer.
Dass. Nr. 17. Höfer: Der römische
Handel mit Nordeuropa. — Anutschin:
Ergebnisse der anthropologischen Erfor-
schung Rufslands. — Stenz: Zur Pekinger
Volkskunde. — Knosp: Poetische Wert-
kämpfe in Annam.
Dass. Nr. 18. Buhle: Das Deutsch-
tum in Guatemala. — Sapper: Eine land-
wirtschaftliche Expedition nach Zentral-
und Südamerika. — Hütt er: Westafri-
kanisches Stationsleben. — Seidel: Kör-
perverunstaltungeii im Süden Deutsch-
Ostafrikas. — Pennsylvania - Deutsch. —
Das deutsche Interesse an den englisch-
poilugie«i«rhen Grenzfragen.
Deutsche Bumlschau für Geogra^iie
und Statistik. XXIV. Jhrg. 2. Heft,
Floericke: Marokko. — Sehiller-
Tietz: Die Hautfarbe der neugeborenen
Negerkinder. — Lemke: Die Indianer
Mexikos. — v. Stenin: Die Talabaski-
schen Inseln auf dem Pleskauer See.
Meteorologische Zeitschrift. 19<>l.lu.Heft.
v. Bezold: Die Meteorologie an der Wende
des Jahrhunderts. — Hergesell: Die
Berliner wissenschaftlichen Luftfuhrten.
Zeitschrift für Schulgeographie. XXIII.
Jhrg. 1. Heft, Oppermann: Die preußi-
schen Lehrplüne für Lehrerbildungsan-
stalten und die Geographie. — Schwarz-
leitner: Über morphologische Karten als
Lehrmittel. — ImendÖrffer: Noch ein-
mal daB Kartenzeichnen in der Schule.
— Gorge: Zur Behandlung der Geogra-
phie Vorderindiens im Mittelschuhinter-
richt.
Dass. 2. Heft, Mofshammer: Grund-
lagen des Entwurfs geographischer Kon-
struktionszeichnungen. — Die Teilung
Afrikas. — Der Nil und die Irrigationen.
— Mayer: Zur Orographie Nordamerikas.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erd-
kunde zu Berlin. 1901. Nr. 3. Werth:
Lebende und jungfossile Korallenriffe in I
Ost-Afrika. — Stavenhagen: Über diel
englische Landesaufnahme in Europa und
Vorderindien. — Kohlschütter: Die
Grabenländer im nördlichen Deutsch-Ost-
afrika,
Verhandlungen der Gesellschaft für
Erdkunde zu Berlin. 1901. Nr. 7. Boas:
Die Jesup- Nordpazifische Expedition. —
Eine neue Schingü-Expedition. — v. Dry-
galski: Die deutsche Südpolarexpedition.
Deutsche Geographische Blätter. XXIV.
3 n. 4. Stavenhagen: Der Wert der
Mandschurei für Rufsland. — Linde-
mann: Adolf Erik von Nordenskjöld. —
Martha Krug: Die Kartographie der
Meeresströmungen in ihren Beziehungen
zur Entwickelung der Meereskunde (mit
Karte des Golfstromes). — Kleinere Mit-
teilungen.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Ko-
lonialicirtschaft. U\. 1901—1902. Heft 1.
Hillemanns: Unsere Kolonien im Jahre
1900 I. — Cannstatt: Zur Sagen Ver-
wandtschaft fremder Völker und Men-
schenrassen. — Todd: Die Heise des
amerikanisehenKanonenbootesWilmington
auf dem Amazonenstrom I. — Dove:
Meteorologische Beobachtungen aus den
deutschen Schutzgebieten.
Dass. Heft 2. Frankreich in Wcst-
afrika I. — Cannstatt: Zur Frage der
Anlage von deutschen Ackerbankolonien.
— Hille mann«: Unsere Kolonien im
Jahre 1900 II. — Todd: Die Reise des
amerikanischenKanonenbootesWilmiugton
auf dem Amazonenstrom U. — H. H. :
Die Eingeborenenpolitik der grofsen Ko-
lonialmächte.
Dass. Heft 3. Zur Arbeiterfrage im
Bismarckarchipel. — Engelhardt: Meine
Heise durch Uhehe, die Ulanganiederung
und Cbene über da« Livingstone-Gehirge
zum Nyassa. — Frankreich in West-
afrika U.
Dass. Heft 4. R.j Australischer Brief.
— Frankreich in Westafrika IU. — Fies:
Die Ölpalme in Togo. — Die Entwicke-
lung des Bismarckarchipels.
Dass. Heft 5. Seidel: Studien zur
Grammatik und Lexikographie der mo-
dernen nordchinesischen Umgangssprache.
— Spellenberg: Bericht über meine
dritte Reise ins N.-W. -Gebiet des Hinter-
lande« von Kamerun. — Seidel: Das
Bakririvolk in Kamerun.
Dass. Heft 6. Seidel: Das Bakriri-
volk in Kamerun. — Dahome. — Joap:
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720
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berg: Ein Beitrag zur Land- und Völker-
kunde von Kamerun-Hinterland.
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The Ober - Ammergau - Passion Play. —
Bellamy: En Route to the Passion Play.
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Wragge: The Snowy Ranges of Australia,
Mount Kozciusko and its Observatory. —
Heywood:A Holiday in Japan. — Newby:
The Death of Mr. Howell in Iceland.
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gues Le Roux: Voyage au Ouallaga. —
Weifsgerber: Itineraire de Casablanca
aux Beni Meskin. — Dcniker: La pre-
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Kit*. Geogr. Jtal. VIII. Augusthea.
Poren a: A proposito di un recente arti-
colo ,.sulla Geografia comparata secondo
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Intorno alla infiuenza dei Viaggi di Marco
Polo sulle „Carte dell' Asia di Giacomo
Gastaldo'4 (Traduzione dello svedese di
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wissenBchaftlichn Luftfahrten. Himmel
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Weiler: Von Tsingtau durch Sibirien.
Köln. Volksztg. 1901. Nr. 41. 13. Okt.
Verantwortlicher
l'rof. Dr. Alfred Hettner in Heideltwrg.
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I
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