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Full text of "Geographische Zeitschrift"

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Geographische  Zeitschrift 


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GEOGRAPHISCHE  ZEITSCHRIFT. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr  ALFRED  HETTNER, 

A.  O.  PROVUSSOR  ÜKIl  OKOGRAI'HIK  AN  HER  INI  VEHSITA  T  IIKIDKI.ItKKd . 


SIEBENTER  JAHRGANG. 

MIT  ABBILDUNGEN  IM  TEXT  UND  5  TAFELN. 


LEIPZIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER. 

1901. 


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4  5  0  5  2- 


5"  -  /-  . 

ALLE  RECHTE,  EINSCHLIESSLICH  DES  ÜBERSETZUNGS  RECHTS,  VORBEHALTEN. 


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Inhalt. 


Geschichte  und  Methodik  der 
Geographie.  Allgemeines. 

Kücherbesprechungen.  gelte 

Geographisches  Jahrbuch,  hrsg. 
von  H.Wagner.  XXI.  bis  XXIII.  Bd. 
1899—1901.    Von  A.  Hettner  ...  707 

Henning,  Samuel  Braun.  Von 
V.  Kautzsch   169 

Günther,  S. ,  Geisteshelden:  A. 
v.  Humboldt,  Leop.  v.  Buch.  Von 
J.  Grundmann  231 

Günther,  S.,  Das  Zeitalter  der  Ent- 
deckungen.   Von  K.  Kretschmer  708 

v.  Thümen,  E.,  Berühmte  Ent- 
deckung«- und  Forschungsreisende 
des  19.  Jahrhundert«.  Von  Hch. 
Fischer  232 

Pauly-Wissowa,  Real  -  Ency klo- 
pädie  der  klussischen  Altertums- 
wissenschaft.  Von  W.  Sieglin...  298 

Mathematische  Geographie  und 
Kartographie. 

Zur  kartographischen  Darstellung 
der  dritten  Dimension.  Von 
Dr.  Karl  Peucker  in  Wien..  22 

Bücherbesprechungen. 

Zondervan,  H.,  Allgemeine  Karten- 
kunde.   Von  A.  Bludau  416 

Allgemeine  physische  Geographie. 

Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf 
der  Erde.  Von  Dr.  J.  B.  Messer- 
schmitt an  der  Seewarte  in 
Hamburg   305 

Das  „Laufen",  bezw.  „An-  und  Aus- 
laufen" der  Seen.  Von  Dr.  Eber- 
hard Graf  Zeppelin  104 

Wissenschaftliche  Luftfahrten.  Von 
Prof.  Dr.  J.  Hann  in  Wien  ...  121 

Iber  das  Problem  früheren  Land- 
zusammenhangs 'auf  der  süd- 
lichen Erdhälfte.  Von  Prof.  Dr. 
H.  Simroth  in  Leipzig  665 

Neuigkeiten. 
Schwankungen      der  momentanen 

Drehungsachse  der  Erde  648 

Zur  Erdbebenforschung  346 

I.  internationale  Erdbebenkonferenz.  408 
Zeitdauer     gewisser  Schichtenbü- 

dungen  am  Meeresgrunde  291 


Snito 

V.  Bericht  der  internationalen  Glet- 

Bcherkoramission   105 

I  Staubfall  und  Gletscherforschung  .  . .  592 
i  Einflufs  der  Pflanzendecke  auf  die 

Wasserführung  der  Flüsse   49 

Hydrographische  Konferenz  ....346.  465 
Deutsche    Expedition    für  Meeres- 
forschung und  Versuchstischerei  in 

der  Ostsee  596 

Mittlere  Tiefe  des  Grofsen  Ozeans  . .  296 
Gröfste  bei  einer  Luftballonfahrt  or- 
reichte Höhe  626.  700 

Temperatur  in  den  höchsten  Luft- 
schichten  591 

Atmosphärische  Wärmestrahlung  . . .  591 

über  Hagelschiefsen  290 

Blut-  und  Sandregen  in  Italien  und 

Deutschland  222.  291 

Der  jährliche  Gang  der  Luft-  und 
Bodentemperatur  im  Freien  und  in 
Waldungen  und  der  Wärmeaus- 
tausch im  Erdboden   50 

Wetterberichte  der  Deutschen  See- 
warte   106 

Lebensbedingungen  und  Verbreitung 
der  Korkeiche   161 

Bücherbesprechungen. 

Kars,  0.,  Der  einstige  zweite  Mond 
der  Erde.    Von  F.  Wiegers   230 

Worgitzky,  Werden  und  Vergehen 
der  Erdoberfläche.   Von  E.  Fulda.  58 

Forel,  F.  A.,  Handbuch  der  Seen- 
kunde.   Von  W.  Ule  232 

Schreiber,  P.,  Die  Einwirkung  des 
Waldes  auf  Klima  und  Witterung. 
Von  W.  Meinardus.   416 

Allgemeine  Geographie  des  Menschen. 

Das  Meer  im  Leben  der  Völker. 
Vortrag,  gehalten  am  Institut 
für  Meereskunde  zu  Berlin  von 
Prof.  Dr.  A.  Kirchhoff  in  Hallo  241 

Die  Landbauzonen  der  aufer- 
tropischen  Länder.  Nach  den 
Untersuchungen  Th.  H.  Engel- 
breeht's.  Von  Alfred  Hettner  271 

333 

Einige  Bemerkungen  über  Wirt- 
schaftsstatistik, Wirtschaftsgeo- 
graphie und  kartographische  Dar- 
stellung. Von  Regierungsrat 
Dr.  Horm.  Losch  in  Stuttgart  425 


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IV 


Inhalt. 


14* 


64* 
466 
:$47 

«48 

10G 
162 


Geographische  und  statistische  Me- 
thode iiu  wirtschaftsgeographi- 
schen Untemcht.  Von  Prof.  Dr. 
R.  Sieger  in  Wien   195 

Uber  die  Untersuchung  und  Dar- 
stellung der  Bevölkerungsdichte. 
Von  Alfred  Hettner  49*.  673 

Bericht  über  den  internationalen 
Kimgrefs  für  Wirtschafts-  und 
Handelsgeogrnphie  in  Paris. 
(27.— 31.  August  1900.)  Von 
Prof.  Dr.  Alois  Kraus  in  Prag 

Neuigkeiten. 

Untersuchung  der  physiologischen 
Wirkung  des  Höhenklimas  

Handelstlotten  der  Welt  

Deutschlands  submarines  Kabelnetz  . 

Projekt  eines  französischen  Welt- 
kabelnetzes   

Kabelverbinduug  zwischen  Canada 
und  Australien  

Erschliefsung  neuer  IVtroleundager  . 

H  ü  c  h  e  r  b  e  s  p  r  e  c  h  u  n  g  e  n. 

Ii  rund  D  nun,  .1  .  Die  geographischen 
und  völkerkundlichen  Quellen  und 
Anschauungen  in  Herders  ,, Ideen 
zur  (beschichte  «1er  Menschheit". 
Von  J.  Partscb   70* 

Peniker,  Les  races  et  les  peuples 
de  la  terre.    Von  A.  Kirchhoff.  113 

Ratzel.  F.,  Der  Ursprung  und  die 
Wandlungen  der  Völker  geogra- 
phischbetrachtet, VonO.  Schlüter  169 

Schurtz,  H.,  Urgeschichte  der  Kul- 
tur.   Von  A.  Kirch  hoff  663 

de  Mortillet.  G.  et  A.,  Le  Pre- 
historique.    Von  A.  Kirchhoff  ..  533 

Helniolt,  H.,  Weltgeschichte.  Von 
A.  Kirchhoff  471 

Supan ,  A.,  Die  Bevölkerung  der  Erde. 
XI.  Asien  und  Australien  samt  den 
Südsee-Tnseln.    Von  K  Neukirch  709 

Der  Welt  verkehr  und  seine  Mittel. 
Von  A.  Hettner   472 

Bastian,  A  ,  Der  Völkerverkehr 
und  seine  Verstäudigungsmittel 
im  Hinblick  auf  China.  Von  O. 
Schlüter  170 

Jannasch,  Ii,  Telegraphenkarte  für 
den  Weltverkehr.    Von  A.  Kraus  f>33 

Grftfsere  1  i  1  räume. 

B  ücherbcBp  rech  un  gen. 

Gebauer,  H  ,  Handbuch  der  Länder- 
und Völkerkunde  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  volkswirt- 
schaftlichen Verhältnisse.  1.  Bd.: 
Europa.    Von  R.  Sieger  706 


Lehmann,  P.,  Länder-  und  Völker- 
kunde. II.  Bd.:  Außereuropäische 
Erdteile.  Von  A.  Kirchhoff....  653 
Langhan s,  P.,  Verkehrskarte  von 
Europa,  Nordafrika  und  dem 
Morgenland.  Von  K.  Sieger  ...  .  234 
Fitzner.   lt.,   Deutsches  Kolonial- 

Handbuch.    Von  K.  Dove  472 

Közle,  J.  F.  G.,  Neuer  Wegweiser 
für  die  deutschen  Schutzgebiete  in 
Afrika,  der  Südsee  und  Ogtauien. 
Von  K.  Hattert   1*1 


Europa. 

Annorika.  Ein  Vortrag  von  Geh. 
Hergrat  Prof.  Dr.  Hermann 
Credner  in  Leipzig.  Mit  1  Ab- 
bildung im  Text  250 

Das  Vorland  der  Pyrenäen.  Von 
Prof.  Dr.  .1.  Früh  in  Zürich  .  .  220 

Das  Wachstum  der  Bevölkerung  in 
Österreich -Ungarn.  Von  Prof. 
Dr.  Andreas  Rebhann  in 
Reichenberg  i.  B  2*7 

Geographische  Charakterbilder  aus 
Finland.  Von  Dr.  J.  E.  Rosberg 
in  Helsingfors  4*1 

Neue  Beiträge  zur  Morphologie  von 
Norwegen.  Von  Prof.  Dr.  Ed. 
Richter  in  Graz  642 

Die  Bevölkerung  Norwegens  nach 
der  Zählung  vom  3.  Dezember 
1900.  Von  Dr.  K.  Neukirch 
in  Leipzig  514 

Vorläufige  Ergebnisse  der  allge- 
meinen dänischen  Volkszählung 
vom  1.  Februar  1901  (eigent- 
liches Dänemark  >.  Von  demselben  402 

Berichtigung.  Von  A.H.  Vgl.  S.  287  346 

Neuigkeiten. 

Verkehrszunahnie    in  europäischen 

Häfen   347 

Bevölkerung  Dänemarks   223 

Bevölkerung  Norwegens   292 

Seen  der  schwedischen  Lappmarken  409 

Kabel  nach  Island..   467 

Die  Färöer   649 

Bevölkerung  von  Grofsluitannien  und 

Irland   466 

Französische  Kanalprojekte   347 

Gletuchcrforschung  in  Frankreich  .  .  .  526 
Verlandung   der   Seen    der  franzö- 
sischen Vogesen   592 

Bevölkerung  Italiens   410 

Geodätische  Aufnahme  Sardiniens  .  .  34* 

Thätigkeit  des  Vesuv»   223 


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Inhalt. 


Seite 

Höhe  des  Ätna  693 

Bahnen  auf  der  Balkanhalbinsel ....  52 

Inselbahn  in  Dalmatien   163 

Eisenbahn  in  Montenegro   164 

Bevölkerung  Serbiens  293 

liebung  des  Wasserspiegels  im  Asow- 

scheu  Meere  702 

Eisenbahnen  in  Rufsland  466 

WasserstrafBe   zwischen  Schwarzem 

und  Kaspischem  Meer  411 

Rückgang  des  Berghaus  im  Ural  . .  .  52 

Bücherbesprechungen. 

Matleko  vitf,  A.  v. ,  Das  Königreich 

Ungarn.    Von  W.  Götz   171 

A 1  f  ö  1  d  i ,  B.,  Illustrierter  Führer  durch 
Ungarn,  Kroatien  und  Slavonien. 

Von  R.  Sieger  172 

Smiljanie,    M.  V. ,    Beitrage  zur 
Siedelungsknnde  Südserbiens.  Von 

K.  Hassert  473 

(»elzer,  Geistliches  und  Weltlich  ?s 
aus      dem     türkisch -griechischen 

Orient.    Von  W.  Rüge  353 

Meyer 's  Reisebücher:  Griechenland 

und  Kleinasien.  Von  A.  Phil  ippson  114 
Annales  de  l'observatoire  national 

d'Athenes.    Von  J.  Partsch  173 

Fischer,  P.  D.,  Italien  und  die  Ita- 
liener.   Von  Th.  Fischer  713 

La  Riviera.    Von  A.  Hettner. . . .  114 
Goldstein.  J.,  Bevölkerungsproblem 
und    Berufsgliederung  in  Frank- 
reich.   Von  A.  Hettner  299 

Deecke,  W.,   Geologischer  Führer 

durch  Bornholm.  Von  A.  Jentzsch  418 
Norway  Official  Publication  for  the 

Paris  Exhibition  1900.  Von  F.  Hahn  713 
Schulz,  A.,  Über  die  Entwicklungs- 
geschichte der  gegenwärtigen  pha- 
nerogamen  Flora  und  Pflanzendecke 
der  skandinavischen  Halbinsel  und 
der  benachbarten  schwedischen  und 
norwegischen  Inseln.  Von  F.  Höck  534 

Deutschland  und  Nachbarländer. 

Die  Verbreitung  der  wichtigsten 
einheimischen  Waldbäiune  in 
Deutschland.  Von  Prof.  Dr.  Hans 
Hausrath  in  Karlsruhe  625 

Das  mitteleuropäische  Landsehafts- 
bild  nach  seiner  geschichtlichen 
Entwicklung.  Von  Dr.  Roh. 
Gradmann  in  Tübingen    .361.  435 

Über  die  Oberfläehenformen  der 
Hochalpen.  Nach  den  Unter- 
suchungen Eduard  Richters. 
Von  Alfred  Hettner  447 

Der  Gletschersturz  von  Simpeln  am 


Seite 

19.Märzl901.  Von  Ed.  Richter. 
(Mit  1  Abbildung)  459 

Eine  orographische  Studie  am  Knie 
des  Rheines.  Von  Dr.  F.  v. 
Huene  in  Tübingen.  Mit  einer 
Karte  (Tafel  2)  140 

Die  wasserwirtschaftliche  Vorlage 
in  Preufsen.  Von  Dr.  Wilhelm 
Hochstetter  in  Berlin  188 

Vorläufige  Ergebnisse  der  8.  all- 
gemeinen zehnjährigen  Volks- 
zählung im  Königreich  der 
Niederlande  vom  31.  Dezember 
1899.  Von  Dr.  Karl  Neukirch 
in  Leipzig  281 

Neuigkeiten. 

Bevölkerung  des  Deutschen  Reiches  223 
Deutsche  Städte  mit  mehr  als  50  000 

Einwohnern  107 

Die  ältesten  Wege  in  Sachsen.  7<H 

Deutschlands  submarines  Kabelnetz  .  347 
Preisausschreiben  der  Zentralkoramis- 
sion  für  wissenschaftliehe  Landes- 
kunde  466 

Regenkarte  des  Kgr.  Preufsen   51 

Grundwasserschwankungen  in  Meck- 
lenburg   162 

Seichesbeobachtungen  am  Madüsee  .  626 

Vergletscherung  der  Vogesen  409 

Seichesbeobachtungen  im  Starnberger 

See  163 

Marinelli's  orographische  Alpen- 
studien  108 

Ergebnisse  der  Beobachtungen  am 

Rhonegletscher  649 

Seiches  im  Vierwaldstätter  See   52 

Wassertemperaturen  des  Wolfgang- 

sees   223 

Bevölkerung  der  Schweiz   163 

Ergebnisse  der  Plattensee-Erforschung  163 
Anschlufs  des  rumänischen  an  das 

westeuropäische  Längennetz   701 

Trockenlegung  des  Zuidersees  409 

Kanal  zwischen  Oder  und  Adria  . .  .  .  292 

Bücherbesprechungen. 

Kirchhoff  und  Hassert,  Bericht 
über  die  neuere  Litteratur  zur 
deutschen  Landeskunde.  Bd.  I. 
(1890—99.)    Von  F.  Hahn  710 

v.  Erckert.  It.,  Wanderungen  und 
Siedelungen  der  germanischen 
Stämme  in  Mittel -Europa  auf  zwölf 
Kartenblättern.  Von  K.  Kretsch- 
mer  711 

Sieger,  R. ,  Die  Alpen.  Von  A. 
Hettner  657 

Alpine  Majestäten  und  ihr  Gefolge. 
Von  A.  Hettner  471 


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VI 


Iu  halt. 


Seite 

M eurer,  J  .  Illustrierter  Führer  auf 
«ler  Bn-niu-rhahn,  durch  die  Ziller- 
thülcr  und  Stulutirr  Mpcn  und  durch 
dir  Östl.  bayerisch  -  tirolerischen 
Kalkalpen.   Von  R.Sieger  300 

Blümcke,  A.  und  Hefs,  H..  Untt-r 
Buchungen  am  Hintereisferner.  Von 
W   t'le   —  899 

Hfl  hier  H.  M.,  Bayerisch  Schwaben 
und  Ncuburg  und  seine  Xachhar- 
g« 'biete.    Von  Joh.  Müller  ....T.  656 

Beschreibung  de8  Oberanites  Rotten- 
luirg.    Von  K.  Fricker  .  .  . .  233 

U'iehter.  0,.  Wandkarte  \<»n  Kl-al's- 
I.MthriiiL'i'n  und  d»T  Ha  vrri^chen 
l'l'al/     Von  \{.  Langrnh'ei  k   ....  .r»|n 

Beuermann,  A..  l.andr>kunde 
PreufBens  Von  Hch   Fischer.  661 

Thüringen  in  Wort  und  Bild.  —  Die 
BÖnni  BäjfiääE  in  Wort  und  Hild~ 
Von  F.  Regel  655 

Wahnschaffe,  F.,  Die  Ursachen 
der  Oberfläehengestaltung  des  nord- 
deutschen Flachlandes.  Von  E. 
Geinitz  417 

Höck.  F.,  Pflanzen  der  Kunsthestände 
Norddeutsehlands  als  Zeugen  für 
die  Vcrkehrsgeechichte  unserer  Hei- 
mat,   Von  F.  A.  W.  Schiinper. .  .  352 

Gerhardt,  Handbuch  des  deutschen 
Dünenbaues.   Von  A.  Philipp son  50 

Jensen,  Die  nordfriesiBchen  Inseln 
Sylt, Föhr, Amrum.  VonE.Traeger  114 

Buchenau,  Die  freie  Hansestadt 
Bremen  und  ihr  Gebiet.  Von  F. 
Hahn   58 

De  eck e,  W. ,  Geologischer  Führer 
durch  Pommern.  Von  A.  Jentzsch  535 

Hellmann.  G .,  Regenkarte  der  Pro- 
vinzen Westpreufsen  und  Posen. 
Von  H.  Kienast  .   170 

Zweck,  A.,  Masuren  Eine  Landes- 
und Volkskunde.    Von  W.  Tic  ..  536 

Asien. 

Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar. 
Aus  dem  Russischen.  Von  Haupt- 
mann H.  Toepfer  in  Magde- 
burg  323.  377 

Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne 
in  Klein- und  Mittel-Asien,  Pcrsien 
und  Afghanistan.  Von  Ober- 
leutnant a.  D.  Kü rehhoff  in 
Berlin  609.  677 

Bemerkungen  zur  Morphologie  des 
Kaukasus.  Von  Prof.  Dr."  E  d. 
Richter  in- Graz  61*2 

Zur  Geographie  Kamtschatkas.  Von 
Hauptmann  F.  Immanuel  in 
Engers  694 


Seit* 


Der  Salzsee  von  Larnaca  auf  Cy- 

pem.  Von  Fnvatdozent  Dr. Ott o 

159 

i1  it  i  i/  k  o  1 1  *»  n 

«■ '  t_.  II  |  U  KV  V  1  ICH. 

Philippson's   Reise    nach  Klein- 
asien   293 

593 

Wachstum  der  Pptrolenmindust  rie  im 

Kaukasus  

53 

Erforschung  des  Aralsees  

 _ — n  _  _  

298 

Niveauschwankungen  am  Aralsee  und 

die  Br  fickner'sche  Hypothese  .. 

64'.» 

\  1  in a ss v 's    Iü'i-i1    nach  Hussiseh- 

Turkestan  

293 

Seiden-  und  Baumwollproduktion  in 

RoMisch-Arien  

467 

Die  Seen  Tenit  und  Kurgaldschin  in 

der  Provinz  AkmolinBk   

l>us>isch*T  Eintlufs  in  l'ersien 


_5S 


Markgraf's  Reise  zwischen  Ob  und 

Jenissei   10S 

Sven  Hedin's  Reisen  in  Zentral- 
asien  164.  527 

Ko/.lov's  Reisen  in  Zentralaxien  294.  592 
Five"s  Forschungsreise  in  China  ...  53 
Deutsche  Schiffahrtslinie  Hongkong- 
Wladiwostok  702 

Theehandel  von  San-tu-lo  294 

Volkszählung  in  Korea  349 

Volkszählung  in  Indien  1901    348 

Erforschung  des  Sanpo- Brahma- 
putra 349.  411 

Indische«  Eisenbahnnetz   467 

Bücherbesprechungen. 

Merzbachcr,  0..  Aus  den  Hoch- 
regionen des  Kaukasus.  Wande- 
rungen. Erlebnisse,  Beobachtungen. 

Von  Ed  Richter  657 

Sachau,  Ed.,  Am  Euphrat  und  Tigris. 

Von  F.  Kobelt ,  ..'   174 

v.  Schwarz,  F.,  Turkestan.   Von  J. 

Walther  236 

Krahmer,  Rufsland  in  Asien  Band 

TH.  Von  F.  Immanuel   41» 

Dolgorukow,    Reiseführer  durch 

Sibirien     Von  F.  Immanuel  ....  116 
Wieden  fei  d,  K.,  Die  sibirische  Bahn 
in  ihrer  wirtschaftlichen  Bedeutung. 

Von  F.  Immanuel  474 

v.  Hesse- Wartegg,  E.,  China  und 
Japan.  Erlebnisse.  Studien,  Beo- 
bachtungen.   Von  F.  Hirth   174 

v  Brandt« lf.,  Dreiunddrei fsig  Jahre 
in  Ost -Asien.  Erinnerungen  eines 
dentschen  Diplomaten.   Bd.  I  n.  II. 

 420.  658 


Von  A.  K  i  n- hin»  ff 


Schwabe,  Die  Verkehrsverhältnisse 
des  chinesischen  Reiches.  Von 
F.  Hirth  176 

Kutschera,  M.,  Macao,  der  erste 
Stützpunkt  europäischen  Handels 
in  China.   Von  F.  Hirth  353 


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Injhalt. 


VII 


^Afrika. 

Die  Eisonhnlinpn  in  Afrika  und 
ihre  Bedeutung  für  den  Handel. 
Mit  einer  Ubersichtsskizze  «Ta- 
fel l  i.    Von  Qberjggtnääj  ;i.  D. 

K  Ü  i  rli  hot  t    in  Berlin  


Neuigkeiten. 

Figcher1«     Forschungsreise  nach 

Marokko   &4 

Lage  den  antiken  Möris-Sees   61 

Verlegung    der  abessinischen  Resi- 
denz  312 

Le    Roux'    Reise    im  westlichen 

Abessinien  702 

Die  Grenzen  Erythraas  621 

Goldvorkommen   in   den  westlichen 

Gallaländern  62ä 

Itali  eniwehes  Afrika  üüü 

Kipeditionen    im    Hinterlande  der 

ElfcnLeinkflste  T  225 

Flufaveränderungen  im  französischen 

Kongo  gebiet  . . .  . .  2112 

West  afrikanische  Kautschuk- Kxpedi- 

tion  221 

SchirTbarkeit  des  Niger  411 

Etinde-Vulkan  in  Kamerun  650 

Organisation  von  KranzÖBiHch-Zentral- 

afrika  226. 

Erforschung  de s  südwestlichen  Schari- 

Beckens  22ö. 

Euiflufs   des  Bahr-el-Gbasal  auf  die 

Nilschwelle  206 

Frhrn.  v.  Erlanger's    und  Neu- 

iii  an  ii'-  Leise  in  n~tatrika      liiT  412 
Pönal daon  Smith's  Reisen  in  Ost,- 

afrika  lfi& 

Eisenbahn  in  Beuguela  226 

Ü  ber    die    Zwergvölker   des  inner- 

afrikanischen  Lrwaldes  Lüh 

Deutsch  -  britisches  Grenzgebiet  zwi- 
schen Nyassa  und  Tauganjika ....  HO 
Deutsche  Dampfer  auf  den  ostafri- 

kanischen  Seen  und  FlüBsen  100 

Mfumbiro-Kirunga  ;  AfiH 

Bf völ kerung  Madagaskars   Iiis 

Bücherbesprechungen. 

Karte  über  den  Stand  des  Kisen- 
bahubaues  in  Afrika.  Von  Kürch- 
hoff  23ü 

Fischer,  Th.,  Wissenschaftliche  Er- 
gebnisse einer  Reise  im  Atlas-Vor- 
lande von  Marokko.  Von  P.  Sehn  eil  öo6 

Autenrieth,  F..  ins  lnner-Hochland 
von  Kamerun .  Von  A   Schenck  .  3QO 

Schlechter,  K  ,  Westafrikanischc 
Kautschukexpedition.  Von  F.  Höck 

Wla»t.  Südafrika  Von  A.  Schenck  116 

Brvce.J.,  Bilder  aus  Südafrika.  Von 
Ä.  S.  hi-ncki  ~  537 


Australien 
und  die  australischen  Inseln. 

Neuigkeiten.  xü£ii£ 

Bau  ftinpr  fattnukonti  Mentalen  F.iHHti- 

bahn    350 

He  im 's  Forschungsreise  nach  Neu- 
seeland  -  ft93 

Volkszählung  in  Sauna   165 

Britische  Annektierung   56 

Xetientdcckung  einer  Insel  -tf,'.> 

B  ü  c  h  er  b  es  pre  c  h  u  n  g  e  n. 

Lauterer,  J.,  Australien  und  Tas- 
manien.   Von  E.  Jung  287 

v.  L  e  n  d  e  n  f  e  1  d ,  R.,  Neuseeland.  Von 
E.  Jung   17ö 

Mord-  und  Mittel-Amerika. 

Galveston  und  seine  Sturmflut.  Von 
Dr.  Emil  Deekert  in  Berlin. 
Mit  einer  Karte  im  Text   42 

Die  Territorial-  und  Bevölkerungs- 
verhältnisse  der  mexikanischen 
Republik  nach  dem  Census  von 
190U.    Von  demselben  6«J7 

Über  die  geologische  Bedeutung 
der  tropischen  Vegetationsforma- 
tionen in  Mittelamerika  und  Süd- 
mexiko. Nach  Carl  Sapper. 
Von  E.  Werth  343 

Die  niederländisch  -  westindischen 
Inseln.  Von  11.  Zunder  van  in 


206 

Neuigkeiten. 

Xordamerikaniflche  Erdmessung  

350 

Der  höchste  Berg  Nordamerikas 

5i>3 

.)  e  s  u  p  -  Expedition  i<;.'> 

703 

Neue  Dampferverbindung  zwischen 

Nordamerika  und  Kuropa  .  .  . 

206 

Wogenbrecher  an  der  Delaware-Bai 

Tot 

1  »awson-City  

56 

Alaska -Eisenbahn   

MM 

Santa  Lucia  Mountains  

704 

Low  k  Reisen  in  Labrador. . 

60 

Kanadische  Volkszählung   

5U4 

Schiffahrt    und    Schiffbau    auf  den 

nordamerikanischen  Seen. 

110 

l'mbau  des  Krie  Kanals   

504 

Irrigatiousarbeiten  in  den  Vereinigten 

Staaten  

IM 

Theeanbau  

Gevserthätigkeit  im  Vellowstone-Park  704 

X  i  \  <  au  Veränderung  im  Grofsen  Salzsee  205 

Die  grofsen  Höhlen  von  Indiana.... 

660 

.Nikaragua- Kanal  

65 

Kulturverhältnisse  der  französischen 

05 1 

VIII 


Inhalt. 


Bflcherbesp  rechungen. 
1 1  j  1 1 1  i  <  >  g  r  a  g  h  i  e  n 


/.  nr  Li'tnJer- 
k  u  n  d  e  N  o  r  <1  a  m  «■  r  i  k  a  s,  <  i  r  i  M  i  n, 
A.  1'.  ('.,  List  ol"  Hooks  relating  t<> 
i'ut.a,  —  Philips,  1'.  G  |  Alaska 
aii'i  tlie  Northwest  l'art  ffl  North 
America  1688  l*9s.  Phillips, 
P.  L  ,  List  of  Mups  and  Views 
ol'  Washington  am!  i  »istriet  of  IV 
hunbia  in  the  Library  ol  1  jöjjgrgäi. 
—  Morrison,  H.  A~,  Library  of 
('un^n'ss,  List  ol  Hooks  and  ol' 
Artnlfv  in  l'rriodirals 
Griffin,  A.  P.  C.,  Library  of  Con- 
gress,  List  of  Books  relating  to 
HägaD    Von  f.  E  EagärZHI 


hü 


Gardini.  C.  In  der  Sternenbanner- 
Republik.    Von  E  Deck  er  t  714 

F  i  1  i  p  p  o  d  e  F  i 1  i  p  p  i ,  Die  Forschungs- 
reise 8.  K.  H.  des  1 'riny.ru  Ludwig 
Amadeus  von  Savoyen,  Herzoge  der 
Abruzzeu,  nach  dem  Eliasberge  in 
Alaska   im    Jahn-    1*97.      Von  E. 

Deckt-rt  659 

Seier.  C.  Auf  alten  Wegen  in  Me- 


xiko und  Guatemala 


Von  H.  Lenk 


714 


Do  tiein,  F.,  Von  den  Antillen  zum 
fernen  Westen.  Von  E.  Deckert  .  638 

PauBche,  Im  Fluge  durch  Jamaica 
und  Cuba.    Von  A.  Hettner  116 

Hill,  K.  T.,  The  Geology  and  Phy- 
sical  Geography  of  Jamaica.  Von 
E.  Deckert  354 

Süd-Amerika. 

Neuigkeiten. 

Kanalprojekt  in  Südamerika   696 

Greiustreit  /.wi-rln-n  Kolumbien  und 

Costanka  66.  651 

Schiffahrtseroffnung  im  Orinoko-Delta  66 
Volkszählung  in  V  enezuela   166 

Kiwrnl.:ihn)H-t/.  Roliviaa  227 

GrpnzKtreit  zwischen  Frankreich  nnd 


Hrasilirn 


_fcfi 


KiHftnlialinnt-ty.  Riasiliens   56 

Die  Seen  Patagoniens  227 


Bücher beaprechun gen. 

Krueger,P.,  Die  chilenische  Renihue- 
Expedition.    Von  P.  Stange  178 

Uno  Id.  J..  Dan  Deutochtum  in  Chile 
und  Wintzer.  W..  Die  Deutschen 
im  tropischen  Amerika.  Von  A. 
Ilrttnrr   301 


Polarregionen. 

Neuigkeiten. 

Verbreitung  des  Moachuaoehaeu  und 
des  Polarwolfa   57 

Wiaaenachaftliche    Ergebnisse  der 


Jackaon-Harmaworth-  und  der 

„  Fram**-Expedition   

X  §  n  ae n 1  s  nördlichster  Punkt 


III 

4_1^ 


l'olari'xpedition  des  Herzogs  der 
A  Ii  r  n  /  /  o  n  1  f>ti 


222 


Hilfsexpeditiou  Guerini  5'28 

Rauendahl'*  Nordpolarexpedition  ■  5-'s 
l'eary'.s  Nonlpolarexpedition  .  .5'J6.  651 
v.  Toll's  l'olareX]teilitiou  46U.  695 


HuHsis<  he  KisineerYorschungen  an  der 
Mnniiaiiküate  


JJili 


I iradmessnngsexpedition    auf  Spitz- 
bergen  413.  469.  661 

Baldwin's  und  Wellman'a  Nord- 
polarexpeditionen. •  •••••  360.  629 


413 


A  ii  sehii  t  /  -  K  ä  in  pl'e"  s    Plan  einer 

Nordpolarcxpedition  

Rückkehr  Dr.  Stein 'a  704 

Internationale  Kooperation  der  Süd- 
polarforschung  469 

Stand  des  Baus  dea  deutschen  Süd- 
polarschiffes  167 

Stapellauf   der    „Gaufs"    und  der 

„Discovery"  296 

Deutsche  Südpolarexpedition  629.  596.  652 
Englische  Südpolarexpedition  413. 470.  629 
Schwedische  Südpolarexpedition  ....  296 
Stand  der  geplanten  Südpolexpedi- 
tionen  680 

Kolonisatioiisversuch   auf  den  Ker- 

guelen    57 

Stand  der  Südpolarexpeditionen  ....  705 


Geographischer  Unterricht. 

Die  geographischen  Ortsbestim- 
mungen und  unsere  grofsen  Uni- 
versitäten. Von  Prof.  Dr.  E. 
Hammer  in  Stuttgart  

Der  ( leographieunterrieht  au  den 


399 


preufsischen  höheren 

Schulen 

nnd  die  Juniknnferenz. 

Von  Dr. 

Heinrich  Fischer  in 

Berlin  . 

SM 

Zur  Lage  des  geographiii 

hen  Un- 

terrichtes an  den  höherei 

Schulen 

Sa.-li-..-Ms  

6M 

Neuigkeiten. 
Habilitation  Dr.  Fitzncr's  in  Rostock 
Hahilitation  Dr.  Friedrich'»  in 


222 


Leipzig.  ••••••••  •  •  •  •  •  •  • 

Geographische  Vorlesungen  in  Mar- 


705 


705 


Professur  Her  Ethnologie   und  Ur- 

geschichte  in  Leipzig  352 

Professur   für  Geographie    an  der. 

Universität  l'psala  416 

Geographische  Vorlesungen  im  S.-S. 

1U01  228 

Geographische  Vorlesungen  im  VV.-S. 
1901/1902   530.  597 


Jd  by  Googl 


Inhalt. 


JX 


Seile 

Erdkunde  im  Erlals  des  Kaisers  ....  58 

Geographie  im  neuen  preufsischen 
Lehr  plan   414 

Stellung  der  Erdkunde  im  seminaristi- 
schen Lehrplan  Preufsens  697 

Geographisches  Institut  der  Universität 
Freiburg  i.  Hr  663 

Geograph iseher  L'uterricht  in  Frank- 
reich  16« 

Beschieferte  Karten  531 

B  fl  c  h  e  r  b  e,  s  p  r  e  c  h  u  n  g  e  n. 

Gr  über,  Chr.,  Die  Entwicklung  der 
geographischen  Lehrmethoden  im 

Will    im.!  XIX  .lahrluin.iert  \  m 

Heb.  Fischer  475 

Hand-  und  Lehrbücher. 

Langenbeek.R.,  Leitfaden  der  Geo- 
graphie für  höhere  Lehranstalten. 
Von  Hch.  Fischer  476 

E.  v.  Seydlitz'sche  Geographie. 

Vmn  E    Knl  da.  179 

Thotnaschky,  I\,  Schulgeographie 
für  höhere  Lehranstalten.  Von  E. 
Fulda  170 

Pah  de.  A..  Erdkunde  für  höhere 
Lehranstalti'u.  Von  Hch.  Fischer  180 

Schlemmer.   Leitfaden    der  Erd- 


kUTl.lf 
\  (iH 


für  höhere 
Fnlda  


Lehranstalten, 


Wollensack,  A.,  Lehrbuch  der  Geo- 
graphie fflr  österr.  Lehrer-  und 
Lehrerinnenbildungsanstalten.  Von 
A.  Kraus  538 

H  anncke.  It.,  Erdkundliche  Aufsätze 
für  die  oberen  Klassen  höherer  Lehr- 
anstalten.  Von  Hch.  Fischer  ...  355 

H  ü  t  tl .  Elemente  der  mathematischen 
Geographie.    Von  A.  Bludau....  60 

Vogel,  Hills-  und  Wiederholnngs- 

LiüJb  1'i'ir  den  t nU:rri':lit  in  '.Irr 

Himmelskunde  an  mittleren  Lehr- 
anstalten.   Von  A.  Bludau   Gl 

Atlanten,  Wandkarten,  Anschauungsmittel. 
Lüddeckeund  H.  Haack,  Deutscher 

Schulatlas.  Von  Hch.  Fischer..  631» 
D  i  e  r  c  k e .  Schulatlas  für  höhere  Lehr- 


Yereine  und  Versammlungen. 
Zeitschriften. 

Seit.' 

Der  XIII.  deutsche  Geographentag 
in  Breslau.  Von  Dr.  M  a  c h  a c  e k , 
Heinrich  Fischer  und  Dr.  O. 
Schlüter  3*3.  465.  533 

Die  geographische  Ausstellung  des 
XIII.  Deutschen  Geographen- 
tages zu  Breslau.  Von  Dr.  Max 
Friederic  hsen  in  Hamburg  .  .  46-2 

Der  1 3.  schweizerische  Geographen- 
tag.  Von  Heinrich  Hrmmer 
in  Zürich  r,4.-> 

Neuigkeiten. 

XIII.  Deutscher  Geographentag  112 

73.  Versammlung^  deutscher  Natur- 
forscher und  Ärzte  297.  470 

1\    Italienischer  <  ieii^raphenkniigrel's  lüH 

351 

VIII.  Internationaler  Geographenkon- 
grefs  in  Washington  1904   705 

„Verhandlungen  des  VH.  Internatio- 
nalen Geographenkongresses"  297 

..\  i'Ttfljali)>l)i'ttf  iVir  den  p-ographi- 
seilen   I  iilerrichf  '   6ÜÄ 

„The  Geographical  Teaeher-  705 

..Clitnaf  "...   29s 

„Asien"  705 

Persönliches. 

Heinrieh  Kiepert.  Ein  Bild  seines 
Lebens  und  seiner  Arbeit  von 
Prof.  Dr.  .T.  Part  sch  in  Breslau  1.  77 


Anstalten 
Richter.  G. 


Von  Hch.  Fischer  .  .  5:t9 
Wandkarte  von  Elsafs- 


Lothringen   und  der  Bayerischen 


Ca rnegie  f. 
Da wson  . 


168 
■>:u) 


Erhardt  t  531 


v.  Erckert  f  

Fiorini  f  113. 

Foa  f  

Hartlaub  f   

Karsten  t  

Leconte  f  

1.  ii  k  seil  v  


168 
169 
591» 
112 
112 
652 


Natt 


e  lt 


230 


v.  Noi  tlenskjöld  t.  638 


Prinz  Heinrich  von  Orleans 


699 


Pfalz.    V'on  R.  Langenbeck. 

Schimper  +  

600 

C.  C.  Meinhold  &  Söhne,  Geogra- 

phische Bilder ans  Sachsen.  1. 

LfK-T 

S  c  h  w  a  1  he  v   

29  H 

Blatt  1—6.   v«in  r.  Wagner 

715 

23o 

LangTs  Hililer  zur  <  ieschielite. 

69. 

Serpa  Pinto  t  

Wl 

Jerusalem  ;  To.  Bethlehem  ;  71 

Na- 

I'  o  in  a  s  <■  h  e  k  v 

699 

zureth.    Von  V.  Schwöhel 

660 

1 1 

Weigeldt,  P.,  Aus  allen  Erdt« 

ilen 

Verleihung  der  goldenen  Medaille  an 

Kflmmpntftr  zu  Ad  Lehmann*« 

fiha- 

Prof  v    Rieht  holen   

rakterhildern.     i    Rpft-  An* 

<1pii 

Hedarf  an  Axtrminmpn  im  Kolonial- 

Upen.   Von  W,  l~]»>  

715 

dinnat   

16H 

• 

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X 


Inhalt. 


Litteratnr-  und  KartenverieicliniBiJe. 

Seit« 

Neue  Bücher  und  Karten.  Zusammen- 
gestellt von  H.  Brunner,  Biblio- 
thekar in  Zürich  61.  116.  18t.  237.  »01 
355.  420.  477.  54ü.  «61.  716 

Ü£U  erschienene  officielle  Karten. 

ZgjammenjgeBtellt    von    Dr.  Max 

Y  r  hm!  e  r  i  t'  h  s  c  u  in  Hamburg  ■">■"»  7    *>  t'J 

/eHscliiiftciischau, 

Petenuanii'x     Geographische  Mit- 
teilungen .  .63.  119.  1*3.  2397~3Ö3.  351) 
Aftg    A7H    fiA3    R07    fifi«  71ft 

Globus  .  .63.  119.  1H3.  23»   303.  350.  422 
47«.  543.  607.  663.  7111 
Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik  ...63.  110.  188.  231».  304 
360.  423.  47'J.  544.  608.  663.  719 
Zeitschrift  für  Gewässerkunde    .119.  360 

429 

Meteorologische  Zeitschrift .  .64.  183.  289 
304.  3H0.  423  479  544  fiOH.  663  710 
Zeitschrift  für  Schulgeographie  ..64.  183 

•J3H.  ES  BBE  4--,.'i  47'.».  ;">  1 4  6i)s.  MX.  719 
Deutsche  Geographische  Blätter. 360.  719 

Geographisches  Jahrbuch  470.  663 

Z''il>'hiif(  >).;r  Gesellschaft  für  1-nl- 

künde  zu  Berlin.  .  239.  304  479.  719 
Verhandlungen  der  Gesellschaft  für 

Erdkunde  zu  Herlin  -J39.  304.  479.  719 
Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Ko- 

lonialwirtM-lial't  .  .  719 

Mitteilungen  der  K.K. Geographischen 

Gesellschaft  in  Wien. 64.  239.  423.  544 

663 

Abhandlungen  der  K.  K.  Geographi- 
schen Gesellschaft  in  Wien... 423.  544 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erd- 
kunde zu  Leipzig  423 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erd- 
kunde zu  Halle  a.  d.  S  119.  663 

Mitteilungen  der  Geographischen  Ge- 
sellschaft zu  Jena   64 

Jahresbericht  der  Geographischen  Ge- 
sellschaft zu  München   184 

Geographische  Mitteilungen  aus 
Hessen   64 


Seit« 

Jahresbericht  des  Württembergischen 
Vereins  für  Handelsgeographie  . . .  608 

Vereinsbericht  der  Geographen  an  der 
Universität  Wien  479 

Geographische   Jahresberichte  über 

Qttonaich  iao 

Mitteilungen  des  K.  K.  inilitargeo- 

graphNchrn  Instituts  in  Wien  . . . .  608 

X\  II,  Jahresbericht   der  Geographi- 

BcEfifl  '."■■•ylK'bat't  zu  BbEEZZSüL  423 

Festschrift  der  geogr.  -  ethnogr.  Ge- 
sellschaft in  Zürich   iW'»4 

Th>'  Geographica!  Journal  .,r>4.  1  •_»(>.  ist 

240.  304.  360.  423.  479.  544.  608.664.  720 

The  Scottish  Geographical  Magazine  120 

240.  304   360.  479.  544.  608.  720 

The  Journal  of  the  Manchester  Geo- 
graphical Society   720 

Ymer  120.  423.  479 

Norges  geologiske  undersogelse   664 

La  Geographie  63.  120.  184°  240.  304.  36Ö 

423,  479.  544.  664.  720 

Annales  de  Geographie  64.  184.  304 

479,  544,  664 

Revue  de  Geographie  .   360 

Rivista  geogratica  ltaliana  .  ,t>4.  r.'u.  184 

240.  3o4.  3)iO.  47H    gg  7"JO 

The  National  Geographie  Magazine  120 

184.  240.  304.  360  423.  479.  544.  664.  720 

The  Journal  of  School  Geography  . .  64 

120.  184.  240.  304.  360.  423?479.  664.  720 

Aus  verschiedenen  Zeitschriften  .  .64.  120 

240.  360.  423.  479.  644.  608.  720 

Verzeichnis  der  Tafeln.  Talel 

C'bersichtskarte  der  Eisenbahnen  in 
Afrika  von  Oberleutnant  a.  D. 
Kürehhoff   I 

Die  Flufsläufe  im  Norden  und  Süden 
des  Rheines  von  Dr.  F.  v.  Huene  II 

Bilder  von  der  Riesengebirgs- 
Exkursion  des  XIII,  deutschen 
Geographentages  von  Dr.  Max 
Fried erichsen  III.  IV 

Uber  das  Problem  früheren  Land- 
Zusammenhangs  auf  der  südlichen 
Erdhalfte  von  Dr.  H  Simroth  ...  V 


Berichtigungen. 

S.  120,  1.  unten  lies  „Freyreifs''  statt  „Eregreifs". 

S.  132  Fufsnote.  Zeile  4  von  unten  lies  „rasch"  statt  „langsam". 

S.  189  Zeile,  11  von  oben  lies  „durch  Reibung"  statt  „durch  die  Erdrotation". 

S.  301,  Spalte  1,  Zeile  19  von  oben  lies  „unter  den  Nkosi"  statt  „unter  dem  Ukoai". 

S.  409  (Seentabelle)  lies:  „Saggat"  statt  „Soggah". 

„Skalkajaure"  statt  „Skalkojaure". 

„Stroms  Vattudal"  statt  „Vattndal". 

„Volgsjön"  statt  „Volgrjön". 


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Heinrich  Kiepert. 

Ein  Bild  seines  Lebens  und  seiner  Arbeit 
von  J.  Partach. 

Wer  einmal  die  Geschichte  der  wissenschaftlichen  Geographie  des  19.  Jahr- 
hunderts für  Deutschland  zu  schreiben  unternimmt,  wird  bei  der  Mitte  der 
dreifsiger  Jahre  achtsam  verweilen  müssen.    Wohl  vernichtete  des  Geologen 
Friedrich  Hoffmann  früher  Tod  die  Hoffnung,  dafs  der  physischen  Geographie 
zwischen    den   über   des  Lebens  Höhe  schon   hinausgeschrittenen  Geistern 
Alexanders  v.  Humboldt  und  Leopold's  v.  Buch  aus  dem  jüngeren  Geschlecht 
ein   Führer  erwachse,  der  an  der  Seite  bahnbrechender  Pfleger  einzelner 
Zweige  der  Forschung,  wie  H.  W.  Dove,  Chr.  Gfrd.  Ehrenberg,  G.  A.  Erman, 
H.  Fr.  Link,  die  Berliner  Universität  zur  kräftigsten  Lichtquelle  für  die  von 
Humboldt  s  vielseitiger  Wirksamkeit  ausgestreute  und  genährte  Saat  natur- 
wissenschaftlicher Erdkunde  machen  werde.    Aber  auch  für  die  Blüte  der 
historischen  Geographie  bot  dieselbe  Hochschule  damals  überaus  günstige 
Bedingungen.    In  der  Altertumsforschung  und  der  Länderkunde  wirkten  an 
ihr  eine  Reihe  bedeutender  Männer,  die  wohl  geeignet  waren,  einem  zu 
fruchtbarer  Verknüpfung  beidor  Studiengebiete  gestimmten  und  befähigten 
Geiste  reiche  Nahrung  zuzuführen.     Böckh  auf  dem   Gipfel  seiner  Kraft, 
Gerhard   voll   frischer  Eindrücke  heimkehrend  von   langem  Aufenthalt  in 
Italien,  Carl  Ritter  im  vollsten  Zuge  rührigen  Schaffens,  eben  sich  rüstend 
zur  Wallfahrt  nach  Griechenland  — •  das  war  der  Kreis  der  Lehrer,  zu  denen 
der  junge  Kiepert,  wissensdurstig  aufblickte,  als  er  —  seines  Zieles  schon 
sicher  —  1836  die  Berliner  Universität  bezog1). 

In  Berlin  am  31.  Juli  1818  geboren  als  Sohn  eines  Kaufmanns  in 
mittelguter  Lebenslage,  hatte  er  schon  als  Knabe  in  ungewöhnlichem  Grade 
Sinn  und  Fähigkeit  für  die  Auffassung  und  Darstellung  von  Örtlichkeit  und 
Bodenformen  gezeigt.  Wenn  die  aus  Schlesien  stammenden  Eltern  ihn  in 
die  wechselvolleren  Landschaften  ihrer  Heimat  führten,  nahmen  sie  mit  Er- 

1)  Als  Quellen  für  dieses  Lebensbild  dienten  eine  1873  niedergeschriebene 
Selbstbiographie,  welche  1899  im  Globus  LXXV,  No.  19,  S.  297-301  von  R.  Andrec 
abgedruckt  wurde,  ferner  Briefe  und  Tagebuchnotizen  von  den  wichtigsten  Reisen. 
Mit  ihnen  zugleich  wurden  dem  Verf.  von  der  Familie  Kiepert  auch  andere  Auf- 
zeichnungen und  mündliche  Mitteilungen  anvertraut,  die  zu  der  nicht  leichten  Auf- 
gabe ermutigten,  eine  zusammenhängende  Durstellung  dieses  inhaltreichen  Lebens- 
ganges zu  versuchen  und  seine  Bedeutung  für  die  Erdkunde  zu  würdigen.  Mein 
verehrter  Freund,  Dr.  Richard  Kiepert,  hat  mich  überdies  durch  freundliche  Durch- 
sicht meiner  Ausarbeitung  unterstützt. 

Oeot(T*phi»cbe  Zeittchrift.  7.  JahrB»ng.  1901.  1.  Heft.  1 


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2 


J.  Partsch: 


stauuen  wahr,  wie  der  Kleine  schon  im  fünften,  mit  höherem  Eifer  und  Er- 
folg im  neunten  Jahre  den  Reiseweg  von  Ort  zu  Ort  einzeichnete  und  von 
den  Städten  (Frankfurt,  Bunzlau)  Planskizzen   entwarf.     Mit  den  Eltern 
wirkten  nun  auch  ältere  Freunde  der  Familie,  Onkel  Hoffmann,  ein  als 
Direktor  des  Bunzlauer  Waisenhauses  und  Seminars  zu  begründetem  Ruf  ge- 
langter Pädagog,  und  mit  gewichtigem  Rate  Leopold  Ranke  darauf  hin,  die 
im  Schulunterricht  früh  sich  bekundende  Vorliebe  des  Knaben  für  Geographie 
zu  pflegen  und  weiter  zu  entwickeln.    Dafür  blieb  auch  auf  dem  Joachims- 
thalschen  Gymnasium  (1828 — 1836)  Raum.    Bei  allem  Eifer  für  altklassische 
Lektüre  unter  Meinekes  fester  und  doch  erwärmender  Führung  blieb  eingehen- 
des geographisches  Studium  und  unermüdliche  tbung  im  Karten-  und  Plan- 
zeichnen  die  Lieblingsbeschäftigung  in  allen  freien  Stunden.  Die  Kostspieligkeit 
der  besseren  Originalkarten,  namentlich  englischer  und  französischer,  denen 
Deutschland  damals  nur  wenig  Ebenbürtiges  zur  Seite  zu  stellen  vermochte, 
trieb  ihren  jugendlichen  Bewunderer  zu  emsigem,  nicht  nur  die  Handfertig- 
keit, sondern  auch  Verständnis  und  Urteil  entwickelndem  Nachzeichnen.  Die 
tiefe  Vertrautheit  mit  dem  Inhalt  vergleichbarer  Karten   weckte  dann  den 
kritischen  Sinn,  welchen  namentlich  die  damals  verbreiteten  Kartenbilder  zur 
historischen  Länderkunde  durch  groteske  Unvollkommenheit  herausforderten. 
Die  Unzufriedenheit  mit  ihnen  spornte  zum  ersten  Versuche  der  eigenen 
Kraft. 

Als  noch  nicht  18 jähriger  Primaner  begann  Kiepert  seine  kartographische 
Laufbahn  mit  dem  frühesten  Anlauf  zur  Bewältigung  einer  Aufgabe,  zu  der 
er  oft  wieder  zurückkehrte  und  der  GO  Jahre  später  die  letzte  grofse,  voll 
ausgereifte  Arbeit  seines  erntereichen  Lebens  gelten  sollte:  er  entwarf  auf 
Grund  eigenen  Studiums  aller  ihm  erreichbaren  antiken  Quellen  und  der  ge- 
samten damals  vorliegenden  Vorarbeiten  möglichst  genaue  Pläne  zur  Topo- 
graphie von  Rom  für  die  Königszeit  (1:17  500),  für  die  Republik  und  für 
die  Kaiserzeit  (je  1  : 13333),  ferner  vom  Forum  und  seiner  Umgebung  (1  : 5500  ) 
in  voraugustöischer  und  in  späterer  Zeit,  dazu  eine  Karte  der  Umgebung 
Roms  (1:200000)  und  Grundrisse  und  Aufrisse  merkwürdiger  antiker  Ge- 
bäude. Die  Vermittlung  des  Zeichenlehrers,  Generalstabszeichners  Brückner, 
ermöglichte  ihm  die  autographische  Vervielfältigung  dieser  Pläne  und  Zeich- 
nungen, die  er  in  die  Hände  seiner  Lehrer  und  Mitschüler  legte  und  im 
nächsten  Jahre  als  junger  Student  für  Zumpt's  Vorlesungen  nochmals  aus- 
arbeitete. Niemand  wird  ohne  Bewunderung  die  3  Blätter  (45  X  35  cm) 
dieses  Heftes  ansehen  und  die  reichen  Erläuterungen,  welche  in  Perlschrift 
die  Innenseite  des  Umschlages  bedecken  (8  Spalten  mit  1200  Zeilen),  durch- 
mustern können.  Mag  man  die  Technik  der  Bergschraffierung,  die  Gewissen- 
haftigkeit und  die  elegante  Anlage  jeder  Zeichnung  prüfen,  mag  man  unter 
Berücksichtigung  des  damaligen  Standes  der  Kenntnis  dem  sachlichen  Inhalt 
und  der  bisweilen  über  die  Grenze  des  Erreichbaren  hinausgehenden  Ge- 
nauigkeit der  Eintragungen  oder  den  Erläuterungen  seine  Aufmerksamkeit 
zuwenden,  in  denen  mit  verhaltener  Lebhaftigkeit  der  jugendlichen  Empfindung 
eine  überraschende  Einzelkenntnls  und  tiefgehendes  archäologisches  Interesse 
das  Wort  führen,  immer  gewinnt  man  den  Eindruck  einer  den  Jahren  vor- 


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Heinrich  Kiepert. 


ausgeeilten  geistigen  Entwicklung  und  einer  zielbewufsten  abgeschlossenen 
Persönlichkeit,  der  die  Zukunft  wohl  noch  viel  geistige  Bereicherung  zu- 
führen, der  sie  aber  kein  anderes  Gepräge  mehr  aufdrücken  konnte. 

Kiepert  hat  dieses  Studium  Roms  auch  in  den  nächsten  Jahren  beständig 
weitergeführt  und  auf  die  mittelalterliche  Stadt  ausgedehnt,  wie  eine  Reihe 
von  handschriftlich  erhaltenen  Plänen  und  architektonischen  Grundrissen,  die 
er  1837 — 1839  entwarf,  erkennen  läfst.  Chr.  K.  .7.  Frh.  v.  Bunsen,  der  auf 
seine  Erstlingsarbeiten  aufmerksam  geworden  war,  hatte  ihm  die  Aussicht 
eröffnet,  nach  Abschlufs  seiner  Universitäts-Studien  vielleicht  selbst  bei  • 
längerem  Aufenthalt  in  der  ewigen  Stadt  ihrer  historischen  Topographie  die 
voUe  Kraft  zu  widmen.  Die  politischen  Verhältnisse  vereitelten  diese  Hoffnung. 
Die  Universitäts-Studien  erweiterten  den  Horizont  und  weckten  neue  Interessen. 

Auf  der  Universität  legte  Kiepert  für  den  vollen  Ausbau  aller  Seiten 
der  für  seine  Ziele  erforderlichen  wissenschaftlichen  Bildung  festen  Grund. 
Nicht  nur  die  grofsen  Hauptvorlesungeu  über  die  wichtigsten  philologischen 
Disziplinen   zogen  ihn  an,  sondern  bisweilen  bildete  er  mit  vier  näheren 
Freunden,  Martin  Hertz,  Ernst  Guhl,  Wilh.  Koner,  Bernh.  Köhne,  das  ganze 
Auditorium  bei  den  Archäologen  Gerhard  und  Panofka  oder  bei  dem  Numis- 
matiker Tölken1).     Es  war  eine  schöne  Studiengemeinschaft,  in  der  diese 
fünf  Berliner,  jeder  ohne  sein  Ziel  aus  den  Augen  zu  verlieren,  gegenseitige 
Anregung  übten  und  in  lebendigem  Gedankenaustausch  auch  die  gemeinsam 
gehörten  grofsen  Vorlesungen  Böckh's,  Ranke's,  Ritter's  doppelt  wirksam  ge- 
nossen.   Vorübergehend  ward  in  dem  Kreise  der  Gedanke  erwogen,  auf  einige 
Zeit  nach  Göttingen  überzusiedeln,  um  Otfried  Müller  zu  hören.    Aber  der 
Verzicht  auf  diesen  Wunsch  nach  dem  „rohen  Eingreifen  kleinstaatlicheu 
Übermuts  gegen  die  edelsten  Zierden  deutscher  Wissenschaft"  ward  grade 
Kiepert  am  wenigsten  schwer.    Ihn  fesselte  Ritter  s  Lehre  und  sein  vertrauter, 
fast  täglicher  Umgang,  der  die  Anregungen  eines  reichen  Geistes  am  unmittel- 
barsten auf  den  begeisterten  Schüler  überströmen  lief«  und  ihm  auch  des 
Meisters  herrliche  Bibliothek  und  Kartensammlung  erschlofs.    Als  Ritter,  aus 
Griechenland  heimgekehrt,  dies  Land  zum  Gegenstand  eingehender  Behand- 
lung in  seinen  Vorträgen  wählte,  fühlte  Kiepert  sich  augeregt,  dessen  antike 
Topographie  mit  Hilfe  der  neuen,  von  deutscheu  Altertumsforschern  noch 
wenig  beachteten  französischen  Karte,  der  Küstenaufnalmien  der  britischen 
Marine  und  der  Forschungsergebnisse  zahlreicher  Reisenden  gründlichst  durch- 
zuarbeiten und  die  neu  begründete  Darstellung  in  flott  gezeichneten  auto- 
graphisch vervielfältigten  Handkarten  ganz  unentgeltlich  seinen  Kommilitonen 
zugänglich   zu  machen.     Aus  diesen  zunächst  nur  für  einen  engereu  Kreis 
hergestellten  Karten8)  erwuchs  dann  auf  Anregung  des  befreundeten  Buch- 

1)  Worte  der  Erinnerung  an  W  Koner    Vh.  G.  f.  E.  XIV  1887,  866. 

2)  Von  diesen  Autogrammen  haben  mir  10  vorgelegen,  5  aus  dem  Jahre  1838 
Griechenland  1: 600000  mit  14  Kartons  für  wichtige  Städte  und  Schlachtfelder; 
Hellas,  Epeiros,  Makedonien  1  :  1500000,  Peloponnesos,  Hellas,  Thessalia  1  :  600000, 
Das  Lokal  der  llias,  Umgebung  Troias  1  : 166666,  Das  troische  Reich  1:1000000, 
Italia  inferior  1:750000»,  2  von  1839  (Nord -Hellas  1:600000.  Boiotia,  Phokis, 
Lokris  1:300000),  1  von  1840  (Peloponnesos  1:600000),  2  ohne  Jahr  (Gebiet  von 
Megalopolis  1  1 80000,  Attika  mit  Plänen  von  Athen  und  Akropolia). 

1* 


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4 


.1  Partsoh: 


händlers  Dr.  Parthey  der  Plan  eines  gröfseren,  in  Kupferstich  auszuführenden 
Atlas  von  Hellas  und  den  hellenischen  Kolonien  (24  Blatt,  Berlin,  Nicolai 
1841  — 1846;  Supplement,  neue  Ausgaben  von  4  Blättern  mit  Erläuterungen 
1851».  Die  erste  Lieferung  dieses  in  Kiepert's  letzten  Studienjahren  ent- 
standenen Werkes  war  die  erste  grofse  wissenschaftliche  Leistung,  welche 
seinen  Namen  einführte  in  die  gelehrte  Welt.  Eine  Vorrede  Carl  Ritters 
(25.  III.  1841)  beleuchtete  die  Entstehung  und  die  Bedeutung  dieses  Unter- 
nehmens, mit  dem  „seit  d'Anville's  Zeit  eine  zweite  Epoche  der  Kartographie 
für  'Alte  Geographie'  beginne". 

Gleichzeitig  aber  war  bereits  der  Beweis  erbracht,  dafs  Kiepert's  ein- 
dringende Forschungen  nicht  auf  den  inhaltreichen  Horizont  der  hellenischen 
Welt  sich  beschränkten.  Schon  lag  seine  Erstlingsleistung  für  die  historische 
Topographie  Kleinasiens  vor,  eine  Karte  und  kritische  Übersicht  des  Standes 
der  Topographie  von  Phrygien  als  Beigabe  zu  einer  Monographie  von 
Jon.  Franz  „Fünf  Inschriften  und  fünf  Städte  in  Kleinasien"  (Berlin  1840. 
40 S.  4°).  Auch  in  die  Palästina forschung  war  Kiepert  schon  eingetreten 
mit  glänzender  Lösung  der  Aufgabe,  die  sorgfältigen  Routenaufnahraen  des 
Amerikaners  Edw.  Robinson  zu  konstruieren  und  mit  den  älteren  Quellen  für 
die  Kunde  des  Landes  zu  einer  Spezialkarte  zu  verarbeiten,  welche  der  von 
Robinson  begründeten  biblischen  Archäologie  und  Topographie  die  erste  zu- 
verlässige Grundlage  bieten  sollte.  Der  Ruf  Carl  Ritters  hatte  Robinson 
1839/40  zur  Ausarbeitung  seiner  Reiseergebnisse  Berlin  als  den  geeignetsten 
Ort  erscheinen  lassen;  und  Ritter  war  es,  der,  als  Heinrich  Berghaus,  da- 
mals der  berühmteste  deutsche  Kartograph,  sich  wegeu  Überhäufung  mit 
anderen  Pflichten  der  bereits  übernommenen  Aufgabe  des  Kartenentwurfs 
entzog,  Kiepert  dafür  in  Vorschlag  brachte.  Das  noch  heute  lesenswerte 
Memoir1),  das  dieser  zu  dem  Reisewerk  beisteuerte,  giebt  einen  lehrreichen 
Einblick  in  die  Summe  geistiger  Arbeit,  welche  in  den  5  Blättern  des  Atlas 
niedergelegt  ist,  und  in  die  wesentlichsten  Ergebnisse,  unter  denen  das  Ver- 
dienst der  ersten  richtigen  Darstellung  der  Lage  und  Gestalt  des  Toten 
Meeres  in  der  Erinnerung  fortzuleben  verdient,  wenn  auch  seither  weit  voll- 
kommnere  topographische  Aufnahmen  das  von  den  Pionieren  der  Palästina - 
Forschung  Erreichte  in  den  Schatten  gestellt  haben.  Für  Kiepert  hatte  diese 
grofse  kartographische  Leistung,  die  freilich  aus  buchhändlerischen  Rück- 
sichten nur  auf  die  Hälfte  der  ursprünglichen  Mafsstäbe  reduziert,  an  die 
Öffentlichkeit  gelangte3),  eine  hohe  individuelle  Bedeutung.  Sie  machte  ihn 
in  kritischer  Erfahrung  tiefer  vertraut  mit  den  von  verschiedenen  Reisenden  mit 
sehr  verschiedenem  Eifer,  Geschick  und  Erfolg  erfüllten  Pflichten  der  Itinerar- 
Arbeit,  mit  den  Schwierigkeiten,  Grundsätzen  und  Kunstgriffen  der  Kon- 
struktion eines  verwickelten  Routennetzes;  hier  auch  übte  er,  unterstützt 1 
durch  die  sorgfältigen  Aufzeichnungen  von  Robinsous  sprachkundigem  Reise- 
gefährten Ely  Smith,  zum  ersten  Male  an  arabischen  Ortsnamen  die  ver- 

1)  Ed.  Robinson,  Palästina  und  die  südlich  angrenzenden  Länder.  Halle  1841, 
I,  S.  XL — LXXVI.    Die  Karten  tragen  die  Jahreszahl  1840. 

2)  Sinaihalbüwel  und  Petracisches  Arabien  1 : 600000.  Palästina  (9  BL)  1 :  400000. 
Sinai  1:100000.    Jerusalems  Umgebung  1:100  000    Jerusalem  1:10000, 


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Heinrich  Kiepert. 


5 


stftndnisvolle  Genauigkeit  der  Rechtschreibung  und  der  wohlerwogenen  Über- 
tragung fremder  Laute  in  das  abendländische  Alphabet.  Die  bewundernde 
Anerkennung  Robinson  s  für  Kieperts  Tollendete  Leistung  fand  ihren  schlagend- 
sten Ausdruck  darin,  dafs  Robinson  später  nach  Vollendung  seiner  nächsten 
Orientreise  im  Herbst  1852  in  Weimar,  Kiepert'»  damaligem  Wohnsitz,  Auf- 
enthalt nahm,  um  wiederum,  wie  1839/40,  persönlich  dem  Kartenzeichner 
mit  steter  Auskunft  zur  Seite  zu  stehen.  Auch  die  Frucht  dieser  Arbeit, 
eine  ueu  konstruierte  Karte  von  Palästina  und  Phönizien  (1:800000)  in 
Robinson  s  Neueren  Biblischen  Forschungen,  kam  uur  auszugsweise  und  stark 
verkleinert  an  die  Öffentlichkeit. 

Die  auf  dem  Felde  der  Palästina  -  Forschung  erworbenen  Erfahrungen 
waren  Kiepert's  beste  Vorbereitung  fiir  seine  erste  Forschungsreise  in  Klein- 
asien (1841/42).  Nach  diesem  unter  türkischer  Herrschaft  schwer  zugäng- 
lich und  unbekannt  gebliebenen  Gebiete  hatte  er  schon  beim  Verfolgen  des 
Studiums  antiker  Topographie  sich  lebhaft  gesehnt.  Als  aber  die  aus  der 
asiatischen  Türkei  1839  heimkehrenden  preufsischen  Hauptleute  Fischer, 
K.  Fr.  L.  v.  Vincke  -  Olbendorf  und  Hellm.  Baron  v.  Moltke  gerade  aus  den 
östlichen,  bisher  besonders  selten  besuchten  Landschaften  eine  Fülle  von 
Routenaufnahmen  und  Erkundigungen  mitbrachten,  an  deren  Bearbeitung 
sie  selbst  durch  dienstliche  Pflichten  verhindert  waren,  trat  dem  jungen  Kie- 
pert, den  Ritter  als  einzig  geeignete  Kraft  für  die  Verarbeitung  dieser  wert- 
vollen Materialien  empfahl,  die  lockendste,  ihn  seither  nie  wieder  loslassende 
Aufgabe  seines  Lebens  entgegen:  der  Neubau  des  Kartenbildes  der  klein- 
asiatischen Halbinsel. 

Dafür  war  besonders  dringend  nötig  die  Bereisung  ihres  nur  von  spär- 
lichen sehr  ungleichwertigen  Routenzügen  bisher  durchsponnenen  westlichen 
Teiles.  Auf  ihn  hatten  zwei  Posener  Gymnasial  -  Professoren,  der  Philologe 
Schönborn  und  der  Naturforscher  Low,  grade  damals  ihre  Aufmerksamkeit 
gerichtet.  Sie  lockte  besonders  Lykien.  Ritter's  Empfehlung  erwirkte  ihnen 
eine  bescheidene  staatliche  Unterstützung.  Kiepert  entschlofs  sich,  auf  eigene 
Kosten,  welche  die  einsichtsvolle,  zu  jedem  Opfer  freudig  bereite  Mutter  zu 
bestreiten  sich  entschlofs,  nach  Westkleinasien  zu  gehen  und  zunächst  den 
beiden  Landsleuten  sich  anzuschließen. 

Von  Konstantinopel,  das  mit  der  Neuheit  der  Eindrücke  des  Orients, 
mit  dem  Reiz  und  den  geschichtlichen  Erinnerungen  seiner  Umgebung  einen 
Monat  lang  die  zur  weiteren  Reise  sich  Rüstenden  festhielt,  führte  am 
10.  September  1841  der  Dampfer  sie  hinüber  nach  Gemlik,  dem  Landeplatz 
für  Brussa.  Acht  Tage  gönnten  sie  der  Umgebung  dieser  Stadt  und  nament- 
lich dem  Olymp.  Vier  Tage  arbeitete  Kiepert  mit  dem  Feuereifer  der  zum 
ersten  Male  gekosteten  Freude,  beobachtend  Neues  zu  erobern,  an  der  Auf- 
nahme des  von  tiefen  Thälern  gefurchten  Nordhangs  dieses  Gebirges,  und 
harrte  allein  auf  dem  zweimal  bestiegenen  Gipfel  Stunden  lang  aus,  bis  der 
Nebel  sich  lüftete  und  vor  ihm  die  Gliederung  des  wilden  Gebirges  und  das 
formenreiche,  von  steilen  Bergen  und  breiten  Seespiegeln  durchwirkte  Land, 
die  wechselvolle  Küste  und  das  Mannara-Meer  bis  zum  dämmrigen  fernen 
Ufer  Europas  sich  entschleierton.    Wie  hier,  arbeitete  er  an  zahlreichen  an- 


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ß  .1  Partsch: 

deren,  sorglieh  gewählten  Punkten  mit  schneller,  sicherer  Zeichnung  des  mit 
Winkehnessungen  ausgestatteten  Panoramas.  Bim  brauchte  die  Erfahrung 
nicht  mehr  zu  lehren,  dafs  damit  nnd  mit  genauester  Führung  des  Itinerars 
die  richtigste  Vorbereitung  gewonnen  sei  für  die  unmittelbar  nachher  am 
ersten  Ruheplatze  vollzogene  Ausführung  der  Karte. 

Der  zwölftägige  Ritt  von  Brussa  durch  Mysieu  und  Lydien  über  die 
Ruinen  von  Adrianoi,  Balat  (Blaudos),  Bighaditsch,  Balikesri,  Kiresün,  das 
Ruinenfeld  von  Pergamon,  Manisa  (Magnesia  am  Sipylos)  nach  Smyrna  führte 
EU  der  Einsiebt,  dafs  die  Interessen  der  Reisenden  doch  stark  auseinander- 
gingen. Löw  drängte,  um  sein  fernes  Ziel  nicht  zu  verlieren,  zur  äufsersten 
Eile.  Kiepert  hielt  darauf,  den  weiten  Weg  durch  unbekanntes  Land  nicht 
vergeblich  zu  raachen.  Er  blieb  iu  der  Regel  mit  der  Itineraraufnahme, 
Winkelmessen  und  Zeichnen  beschäftigt  ein  gutes  Stück  hinter  den  Gefährten 
zurück,  bemühte  sich,  die  Namen  der  Berge  und  Gewässer,  die  Lage  von 
Ruinenstätten  zu  ertragen,  und  lediglich  seiner  Arbeit  ist  es  zu  danken,  wenn 
die  Spur  jenes  eiligen  Rittes  nicht,  wie  bei  nachtlicher  Fahrt  der  Licbtstreif 
des  Meerleuchtens  im  Kielwasser  des  Schilfs,  schnell  wieder  erlosch,  sondern 
noch  beute  streckenweise  als  vereinzelt  gebliebener  Gürtel  sicheren  Wissens 
zwischen  weiten  leeren  Flächen  auf  der  Karte  Klein -Asiens  erkennbar  ist. 
Mit  Bedauern  sah  er  den  Plan,  von  Balikesri  aus  westwärts  nach  Adramyttion 
zu  gehen  und  die  Idathäler  zu  untersuchen,  der  Rücksicht  aufgeopfert, 
schneller  Smyrna  zu  erreichen.  Der  Gewaltmarsch  dahin,  der  nirgends  aus- 
giebige Nachtruhe  und  für  Pergamon  nur  einen  Vormittag  liefs,  endete  mit 
einem  durch  vorherige  Erschöpfung,  schlechten  Weg  und  arge  Hitze  auf 
i>4  Stunden  ausgedehnten  Ritt  von  Manisa  bis  Smyrna  (30.  Sept.).  Die 
Erfahrung,  dafs  mit  solcher  Eile  gar  nichts  zu  gewinnen  sei,  machte  Kiepert 
den  Entschlufs  leicht,  die  von  seinen  Gefährten  ihm  angebotene  Trennung 
anzunehmen  und  selbständig  seine  Reisezwecke  zu  verfolgen. 

Nach  einer  viertägigen  Tour,  die  der  Umgebung  Smyrnas,  dem  Hermos- 
delta  und  den  Ortslagen  der  alten  Städte  Phokaea,  Kyme,  Larisa  galt, 
wandte  sich  Kiepert  nach  Lesbos,  in  dessen  Aufnahme  er  mit  so  liebevoller 
Hingabe  sich  vertiefte,  wie  sie  nur  ein  klar  begrenztes  Arbeitsfeld , wecken 
und  dauernd  fesseln  kann.  Vom  10.  Oktober  bis  Anfang  November  war  er 
hier  in  eifriger  Thätigkeit  und  hatte  das  Ziel,  von  der  ganzen  herrlichen 
Insel  eine  neue  Karte  vorzubereiten,  die  alle  Vorgängerinnen  völlig  in 
Schatten  stellen  sollte,  ziemlich  vollständig  schon  erreicht,  als  ein  schwerer 
Malaria-Anfall  ihn  niederwarf.  Am  29.  Oktober  brechen  seine  überaus  reich- 
haltigen Tagebuchnotizen  ab.  Den  ganzen  November  lähmte  Krankheit  seine 
Thätigkeit. 

Die  Rekonvalescenz  begann  erst  am  Ende  dieses  Monats  in  Tschanak 
Kalessi  an  den  Dardanellen,  wo  er  im  Elternhause  seines  Dragomans  bessere 
Pflege  fand.  Aber  auch  im  Dezember  wollten  die  Kräfte  nicht  recht  wieder- 
kehren. Erst  eine  kleine  Reise  nach  Konstantinopel  stellte  ihn  völlig  wieder 
her.  Er  ging  nun  in  Tschanak  Kalessi  emsig  an  die  Ausarbeitung  seiner 
Aufnahmen  und  verwertete  so  die  unfreundliche  Zeit  eines  besonders  rauhen, 
stürmischen,  sebneereichou  Winters.    Nur  eine  Periode  günstiger  Witterung 


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Heinrich  Kiepert 


7 


(lO.  bis  24.  Januar  1842)  konnte  er  ausnutzen  zu  einer  weiter  ausgreifenden 
Tour   in  der  nördlichen  Troas.    Vom  Rhodios-Thal  (Fodja  Tschai)  stieg  er 
hinüber  ram  Granikos  und  folgte  ihm  abwärts  bis  bis  Mündungsgebiet,  wo 
ihn  die  später  neu  aufgenommene  Frage  nach  der  Lage  des  ersten  Schlacht- 
feldes des  Alexanderzuges  beschäftigte1).    Den  Rückweg  nahm  er  durch  das 
östlich    benachbarte  Thal  des  Aisepos  und  stieg   über   einen    hohen  Pafs 
herüber  ins  Quellgebiet  des  Skamandros  (Menderez  Tschai).    War  auch  ein 
Hauptzweck  dieser  Reise,  die  Aufspürung  der  Ortslage  von  Skepsis,  unerfüllt 
geblieben'),  so  war  doch  zum  ersten  Male  von  der  Lage,  Ausdehnung  und 
Verzweigung  dieser  früher  ganz  unsicher  bekannten  Thalsysteme  ein  festes 
Bild  gewonnen  und  die  Grundzüge  der  Terraingestalt  bildeten  eine  unver- 
rückbare Grundlage  für  alle  weitere  Forschung. 

Während  die  Einzelheiten  dieser  Wanderung  mit  Beleuchtung  der  lei- 
tenden Probleme  und  lebendiger  Schilderung  der  Landschaft  und  des  Lebens 
der  Hirten  des  Gebirges  vortrefflich  übersehbar  vorliegen  in  einem  der  beiden 
überaus  kondensierten,  gehaltreichen  Briefe  Kiepert's  an  Ritter  vom  8.  und 
20.  Februar  1842,  deren  Einsicht  mir  vergönnt  war,  kenne  ich  von  Kiepert's 
weiterer  Reise  nur  die  Hauptstationen  des  Reiseweges.  Danach  scheint 
Kiepert,  nach  einer  den  klimatischen  Vorzug  der  Südseite  der  Troas  ihm 
recht  eindringlich  vorführenden  Tour  bis  Assos  und  Kap  Baba  am  Anfange 
des  Februar,  den  gröfsten  Teil  dieses  Monats  in  Tschanak  Kalessi  der  Aus- 
arbeitung der  letzten  Beobachtungen  gewidmet  und  nur  kleinere  Ausflüge 
unternommen  zu  haben,  teils  nach  der  Troischen  Ebene,  für  deren  voll- 
kommenere Darstellung  er  beobachtend  thätig  war,  teils  längs  der  Darda- 
nellen bis  gegen  Lampsakos,  wo  ihm  die  gröfste  seiner  epigraphischen  Ent- 
deckungen beschieden  war:  das  87  zeilige  Dekret  über  die  Feier  des  Asklepios- 
festes5). 

Erst  im  März  begannen  wieder  umfänglichere  Reisen,  die  ihn  durch 
den  ganzen  tbrakischen  Chersonnes  (8.  9.  21. — 29.  in.,  6. — 10.  V.),  den 
Norden  (17.— 26.  V.)  und  Westen  (9  —13.  III.,  2.— 12.  IV.)  der  Troas, 
auch  hinaus  auf  die  ihr  vorgelagerten  Inseln  Tenedos,  Imbros4),  Samothrake 
(16.— 30.  IV.)  führten.  Gegen  Ende  Mai  hatte  er  aufbrechen  wollen  nach 
dem  Bergland  der  alten  Silbergruben  im  Osten  des  Ida.  Aber  nochmals 
warf  Krankheit  ihn  nieder  und  beschränkte  seine  letzten  Pläne.  Am  3.  Juni 
erst  konnte  er  aufbrechen,  um  die  Troas  in  südöstlicher  Richtung  zu  durch- 
schneiden und,  nach  erneuter  Bewanderung  der  äolischen  Küste  bis  Smyrna 

1)  Globus  Bd.  XXX11,  S.  263,  264;  vgl.  auch  Menioir  über  die  Konstruktion 
der  Karte  von  Kleinasien  S.  56. 

2)  Erst  neuerdings  scheint  diese  Frage  endgiltig  entschieden  durch  W.  Judeich, 
Skepsis  Festschrift  für  Heinr.  Kiepert's  80.  Geburtstag.  Berlin  1898.  2*25—240. 
Dazu  nun  Journ.  of.  hell  stud.  XIX,  330. 

3)  C.  Inscr.  Gr.  II,  No.  3641  b.  Die  von  Kiepert  zu  diesem  Werke  beigesteuerten 
Inschriften  stehen  Bd  II,  S.  978,  1022—1029,  1122—1136.  Auch  an  dem  dritten, 
von  Franz  herausgegebenen  Bande  hat  er  beratend  mitgearbeitet. 

4)  Sjrb.  Akad.  1855,  616.  E.  Oberhummer,  ImbroB  in  der  Festschrift  für 
H.  Kiepert  S  279 


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8 


J.  Partsch: 


(10.  VI.),  Ephc808,  Tralles,  auch  das  sog.  Sesostris- Monument  bei  Nymphi1) 
zu  besuchen  (14.— 21.  VI.).  Die  Rückreise  ward  durch  14tägige  Quaran- 
täne in  ßyra  und  deren  dreitägige  Wiederholung  in  Triest  so  verlängert, 
dafs  Kiepert  nur  für  Athen  5  Tage  verfügbar  behielt  und  ein  ganzer  Jahres- 
kreislauf seit  dem  Aufbruch  von  Berlin  sich  geschlossen  hatte,  ehe  er  Mitte 
August  die  Heimat  wiedersah. 

Diese  grofse  Reise  ist  für  die  Klärung  der  Topographie  wenig  bekannter 
Gebiete,  auch  für  Kiepert's  persönliche  Entwicklung,  für  die  Schärfung  seines 
praktischen  Blicks  und  seines  Urteils  über  Fragen  der  historischen  Geographie 
überaus  fruchtbar  gewesen.  Aber  den  äufseren  Erfolg,  den  sie  verdiente,  hat 
sie  ihm  nicht  eingetragen,  weil  es  ihm  nicht  vergönnt  war,  ihre  Ergebnisse 
in  einer  einheitlichen  Veröffentlichung  litterarisch  zur  Geltung  zu  bringen. 
Das  lag  teilweise  an  dem  Drange  Sufserer  Verhältnisse,  an  der  Hochflut  ver- 
schiedener Anforderungen,  die  ihn  umstürmten,  zum  guten  Teile  doch  aber 
an  seiner  absolut  selbstlosen,  nur  immer  die  Förderung  der  Sache  erstrebenden 
Natur.  Er  hat  zeitlebens  —  man  kann  schon  nicht  mehr  sagen:  die  Schwäche, 
sondern  —  ein  wahres  Geschick  gehabt,  die  Früchte  eigner  Forschung  in 
den  Arbeiten  andrer  zu  vergraben.  Wie  er  schon  vor  dem  Aufbruch  zur 
Reise  seine  Erstlings-Studien  über  Kleinasien  verborgen  hatte  in  einer  Mono- 
graphie von  Joh.  Franz,  die  nur  durch  Kiepert'«  Mitarbeit  und  seine  selb- 
ständige Beigabe  dauernden  Wert  gewann,  so  war  es  ihm  jetzt  eine  helle 
Freude,  der  Dissertation  des  Jugendfreundes  E.  Guhl  über  Ephesos  die  Fülle 
der  eigenen  Wahrnehmungen  und  sein  treffendes  Urteil  über  die  schwierigsten 
topographischen  Fragen,  namentlich  über  die  lange  verkannte  Lage  des  Ar- 
temis-Tempels zuführen  zu  können2).  Die  ausführlichen  Ausarbeitungen  aber, 
die  Kiepert  thatsächlich  ausgeführt,  wurden  —  ebenso  wie  die  von  Schön - 
born  über  den  Südwesten  Klcinasiens  —  absichtlich  zurückgelegt  als  Material 
für  Ritter's  Asien.  Nur  die  topographischen  Aufnahmen  gelangten  zur  Ver- 
wertung in  der  1844  erschienenen  Karte  von  Kleinasien  (6  Bl.  1:1000000), 
der  erst  1854,  zugleich  mit  der  schönen  Neubearbeitung  (1 : 1  500000),  das  vor- 
treffliche Meraoir  zur  Seite  trat,  das  klassische  Musterstück  des  Rechenschafts- 
berichts und  der  kritischen  Umschau  eines  Kartographen5).  Es  enthielt  im 
ersten  Hauptteil  lebendige  Übersichtsdarstellungen  der  neuerdings  erforschten 
Teile  Kleinasiens  von  allen  vier  Mitarbeitern,  Kiepert  schildert  hier  in  vor- 
trefflicher Überschau  die  westlichen  Küstenländer,  namentlich  die  Troas 
(S.  53 — 60).  Dann  folgt  die  eingehende  Erläuterung  der  Konstruktion  der 
Karte  (61  — 114)  mit  kritischer  Würdigung  der  Grundlagen;  es  tritt  hinzu 
eine  statistische  Studie,  welche  auf  den  Nachweis  der  Volkszahlen  der  Städte 


1)  H.  Kiepert,  Das  sogenannte  Monnment  des  Sesostris  bei  Smyrna.  Aren. 
Zeitung  I,  No.  3.    S.  38—46  mit  Taf.  II. 

2)  E.  Guhl,  Ephesiaca.  Berlin  1843.  Nicht  alle,  die  Kiepert  gleich  selbstlos 
gefördert,  haben  ihm  dafür  so  ehrlichen,  herzlichen  Dank  gezollt,  wie  Guhl  S.  IX. 

3)  Memoir  Ober  die  Konstruktion  der  Karte  von  Kleinasien  und  Türkisch 
Armenien  in  6  Blatt  von  v.  Vincke.  Fischer,  v.  Moltke  und  Kiepert.  Nebst  Mit- 
teilungen über  die  physikalisch  -  freopraphischen  Verhältnisse  der  neu  erforschten 
Landstriche.    Redigiert  von  H.  Kiepert.    Berlin  1864 


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Heinrich  Kiepert. 


9 


eine  Schätzung  der  Gesamtbevölkerung  des  Landes  in  methodisch  interessanter 
Weise  aufbaut  (115 — 174).  Unter  den  Anhängen  sind  die  Namenserklärungen 
und  die  Profile  besonders  wichtige  Ergänzungen  des  Kartenbildes. 

Die  Verzögerung   dieses   vorläufigen   Abschlusses   der  kleinasiatischen 
Studien  Kiepert's  erwuchs  zum  Teil  aus  den  anspruchsvollen  Anregungen 
seiner  Reise.    Je  lebhafter  er  empfand,  welche  Vertiefung  und  Bereicherung 
der  Kenntnis  ihm  die  praktisch  gewonnene  Vertrautheit  mit  der  türkischen 
Sprache  eintrug,  desto  dringender  schien  ihm  das  Bedürfnis,  auch  seinen 
kartographischen  und  geographischen  Arbeiten  für  die  anderen  Länder  Vorder- 
Asiens  diesen  Vorteil  einer  dio  Quellen  erschliefsenden,  den  ganzen  Ortsnamen- 
schatz lebendig  machenden  Sprachkenntnis  zu  sichern.    So  warf  er  sich  bald 
nach  der  Heimkehr  unter  der  Führung  von  Heinrich  Petermann  auf  das 
Studium  des  Arabischen,  des  Persischen  und  des  Armenischen  und  drang  in 
alle  diese  Arbeiten  um  so  eifriger  ein,  da  sie  für  eine  unmittelbar  vor- 
liegende Aufgabe  ihm  wichtig  waren,  für  die  Bearbeitung  einer  Preisfrage 
der  Pariser  Academie  des  Inscriptions.    Ihre  Forderung  lautete: 

Tracer  lTiistoire  des  guerres  qui,  depuis  l'empereur  Gordien  jusqu'ä 
l'invasion  des  Arabes,  eurent  Heu  entre  les  Romains  et  les  rois  de  Perse  de 
la  dynastie  des  Sassanides,  et  dont  fut  le  theätre  le  bassin  de  l'Euphrate  et 
du  Tigris,  depuis  l'Oronte  jusqu'  en  Medie,  entre  Erzeroura  au  nord,  Ctesiphon 
et  Petra  au  sud. 

Das  Ausschreiben  war  1842  erfolgt.  Mit  Eifer  warf  sich  Kiepert  bald 
nach  seiner  Rückkehr  auf  das  Studium  der  klassischen  und  der  orientalischen 
Quellen,  der  Reisewerke  und  der  modernen  Lokalforschungen,  um  für  die 
Bearbeitung  dieser  Periode  und  für  die  möglichst  genaue  kartographische 
Darstellung  der  Örtlichkeiten  neue  Grundlagen  zu  schaffen.  Aber  es  fehlte 
nicht  an  Hemmungen.  Die  Nach wirkun gen  der  Orientreisc  machten  sich 
geltend  in  wiederholten  Fieberrückfällen.  Auch  der  Verkehr  mit  der  lange 
entbehrten  Familie  und  den  Freundon  forderte  sein  Recht.  Kiepert  lebte 
in  engster  Fühlung  mit  einem  Kreise  befreundeter  Familien,  den  aufser  der 
Neigung  harmonisch  gestimmter  Seelen  eine  schwärmerische  Liebe  zu  klas- 
sischer Musik  innig  verband.  Sie  ward  auch  die  Mittlerin  für  die  Annäherung 
Kiepert's  an  die  Erwählte,  deren  Bild  er  schon  beim  Abschied  zur  Orient- 
reise im  Herzen  trug.  Weihnachten  1843  verband  ihn  mit  Siegelinde,  einer 
der  7  Töchter  des  Pastors  Jungk,  ein  für  sein  Lebonsglück  entscheidendes 
Verlöbnis.  In  dieser  Zeit  tiefer  innerer  Bewegung  ging  die  Arbeit  etwas 
langsamer  von  Statten.  Aber  hauptsächlich  entschied  doch  ihr  Umfang  und 
ihre  Schwierigkeit  die  Verzögerung  der  Vollendung.  Auf  Grund  eingesendeter 
Proben  erlangte  Kiepert  zweimal  eine  Verlängerung  des  Ausschreibens  auf 
ein  weiteres  Jahr  und  im  Juli  1846,  ein  Jahr  nach  seiner  am  27.  Ge- 
burtstage zu  Jena  vollzogenen  Doktorpromotion,  mit  der  vollendeten  Arbeit 
den  von  der  Akademie  ausgesetzten  Preis  von  2000  Franken.  Der  Ver- 
öffentlichung der  Arbeit  stellten  sich  in  den  politisch  bewegten  Jahren  die 
Schwierigkeiten  des  Verlagshandels  entgegen.  Einmal  vertagt  ward  der  Druck 
immer  weiter  hinausgeschoben,  weil  der  Fortschritt  der  Forschung  Um- 
arbeitungen zu  fordern  schien.    So  ist  er  ganz  unterblieben. 


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10 


J.  Partscl): 


Immerhin  war  der  Erfolg  dieser  Preiskrünung  wichtig  für  Kiepert,  weil 
er  der  wissenschaftlichen  Welt  recht  deutlich  bewies,  dafs  in  der  strengen 
Wissensehaftliehkeit  seiner  Arbeitsweise  auch  die  neueste  ilufsere  Wendung 
seines  Lebensganges  keine  Änderung  bedeute.  Kiepert  hatte  sich  1845  ent- 
schlossen, die  Leitung  des  einst  von  Bertueh  begründeten  und  zu  Ansehen 
erhobenen  geographischen  Instituts  in  Weimar  zu  übernehmen,  wiewohl 
es  unter  schwächlicher  Führung  gealtert  und  hinter  dem  Aufschwung  der 
Perthes'schen  Anstalt  in  Gotha  immer  weiter  zurückgeblieben  war.  Da  galt 
es  manchem  lahmen  Unternehmen,  das  nicht  recht  vorwärts  wollte,  auf  die 
Beine  zu  helfen  und  andererseits  durch  neue  tüchtige  Leistungen  den  Ruf 
des  gesunkenen  Instituts  wieder  zu  beleben. 

Dem  ersteren  Zweck  diente  neben  der  Erneuerung  der  Atlanten  auch 
der  Versuch,  den  Weiland'schen  Globen  die  Aufmerksamkeit  der  Lehrenden  und 
Lernenden  zuzuwenden  durch  ihre  Neubearbeitung  nach  den  neuesten  Forde- 
rungen der  physikalischen  Geographie,  wie  sie  durch  Humboldt,  v.  Buch,  Dove 
aufgestellt  und  auch  schon  in  den  länderkundlichen  Werken  von  Ritter  und 
Heinr.  Berghaus  berücksichtigt  waren.  Zu  diesem  neugestalteten  Globus 
schrieb  Kiepert  Erläuterungen  (Weimar  1846,  120  S.),  ein  ganzes  konden- 
siertes Kompendium  der  physischen  Geographie,  wie  wir  heute,  so  knapp 
und  stoffreich  zugleich,  keines  haben.  Das  Büchlein  ist  selten  geworden. 
Es  ist  ein  beachtenswerter  Beweis  für  die  Weite  des  Horizontes  des  Ver- 
fassers, für  den  Emst,  mit  dem  er  auch  die  Fortschritte  der  allgemeinen 
Erdkunde  im  Auge  behielt.  Die  handschriftlichen  Nachträge  seines  Hand- 
exemplars verbürgen  die  Nachhaltigkeit  des  Interesses  für  den  Stoff". 

Aber  die  Hauptarbeit  leistete  er  auch  damals  in  eigener  Kartenproduktion. 
Den  Atlanten  des  Verlages  fügte  er  einen  historisch-geographischen  Schul - 
atla.s  der  Welt  (1848)  hinzu,  der  später  nach  Kiepert 's  Abschied  aus  Weimar 
allmählich  veraltend  zu  seinem  Verdrufs  doch  immer  wieder  unter  seinem 
Namen  an  die  Öffentlichkeit  trat.  Daneben  trat  eine  Fülle  von  Karten 
einzelner  Länder,  wiewohl  er  gleichzeitig  zum  Lisco'schen  Bibelwerk  einen 
Bibelatlas  mit  Erläuterungen  (Berlin  1847)  erscheinen  liefs,  dem  mehrere 
Auflagen  beschieden  waren. 

Bei  aller  Regsamkeit  hatte  Kiepert's  Arbeit  doch  nicht  den  Erfolg,  das 
Institut  zu  neuer  Blüte  zu  erheben.  Dazu  war  schon  die  gedrückte  Lage 
des  Buchhandels  gerade  in  jenen  Jahren  gar  nicht  angethan.  Sie  machte 
natürlich  auch  in  der  Leistungsfähigkeit  der  Anstalt  gegenüber  ihren  wissen- 
schaftlichen Kräften  sich  geltend.  Die  Verhältnisse  waren  geradezu  dürftig  und 
Kiepert  kam  in  die  Lage,  Jahre  lang  dort  seine  Kraft  einzusetzen  gegen 
eine  äufsere  Entschädigung,  die  in  argem  Mifsverhältnis  zu  seinen  Leistungen 
stand.  Das  war  für  ihn  doppelt  empfindlich,  da  er  1 845  seinen  eigenen  Herd 
sich  begründet  hatte.  Aber  so  schmal  es  in  dem  jungen  Hausstand  herging, 
herrschte  doch  immer  guter  Mut  und  Arbeitsfreude,  und  alle  äufseren  Sorgen 
warfen  keinen  dauernden  Schatten  auf  das  Glück,  mit  dem  Kiepert  1846 
seinen  ersten  Sohn  in  die  Arme  schlofs.  „Oft  holte  er  den  Spröfsling  aus 
der  WTiege  herüber  in  die  Zeichensäle;  dann  kam  die  Mutter  hinterher,  um 
ihren  Liebling  dem  allzulebhaften  Vater  abzunehmen,  und  da  gab  es  mit- 


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Heinrich  Kiepert. 


11 


unter  ganz  einzige  Scenen!  —  Und  es  geschah  nach  Jahresfrist,  dafs  der 
überglückliche  Vater  ausrief:  'Jetzt  wollen  wir  den  Jungen  zum  Geographen 
machen!'  Gesagt,  gethan!  —  Eine  Wandkarte  wurde  auf  die  Diele,  der 
Kleine  darauf  gelegt,  in  dieselbe  ein-  und  längere  Zeit  hin  und  her  gerollt! 
Ganz  ruhig  ertrug  er  diese  Exekution,  und  als  er  wieder  entwickelt  war, 
sagte  der  Vater:  'So!  nun  wäre  der  Junge  geweiht!'  So  wurde  der  Grund 
zur  'Entwicklung'  Richard  Kiepert's  gelegt."  (Briefl.  Mitteilung  von 
Carl  Graf.) 

Auch  sonst  fehlte  es  diesen  kritischen  Jahren  nicht  an  Sonnenschein. 
Kiepert  fand  tüchtige,  treu  ihm  zugethane  Mitarbeiter  und  lernte  den  Vor- 
zug des  engeren  Zusammenhalts  der  Kräfte  in  einer  Stadt  von  mäfsiger 
Gröfse  kennen  —  einen  Vorzug,  den  er  später  in  der  Weltstadt  vermifste. 
Für  die  Stille  des  wissenschaftlichen  Lebens  bot  die  Pflege  der  Musik  einen 
gewissen  Ersatz.  Kiepert  war  ein  begeisterter,  zu  tiefem  Verständnis  und 
eigener  erheblicher  Fertigkeit  gelangter  Musikfreund  und  fand  in  dor 
Weimaror  Zeit  nach  dieser  Seite  viel  Genufs  und  Anregung  in  engerem 
Verkehr  mit  Hans  v.  Bülow  und  Joachim. 

Das  Gefühl  wissenschaftlicher  Isolierung  ward  Kiepert  ferngehalten 
nicht  nur  durch  die  Nachbarschaft  der  Jenaer  Freunde  Stoy,  Stickel, 
Frommami  und  Schleiden  und  durch  enge  Vereinigung  mit  Schöll,  Preller 
und  Sauppe,  sondern  mehr  noch  durch  die  Fortdauer  inniger  Beziehungen 
mit  Carl  Ritter,  dessen  wahrhaft  väterliche  Freundschaft  seit  den  Studien- 
jahren Kiepert's  Lebensgang  schützend  und  fördernd  begleitet  hat.  Er  hatte 
auch  bei  der  Entscheidung  für  Kiepert's  Übersiedlung  nach  Weimar  ver- 
mittelnd mitgewirkt  und  blieb  mit  ihm  in  vertrautem  geistigen  Verkehr. 
Kein  Jahr  verging,  ohne  dafs  er  auf  seiner  Reise  nach  der  Schweiz  in 
Weimar  vorsprach,  einen  ganzen  Tag  mit  Kiepert  arbeitete  und  mit  teil- 
nahmsvollem Einblick  in  seine  Lage  und  seine  Bestrebungen  eigene  Wünsche 
und  Anregungen  verband.  Vielleicht  hat  gerade  Kiepert's  Entfernung  von 
Berlin  dazu  mitgewirkt,  seine  Unentbehrlichkeit  dem  ehrwürdigen  Meister 
fühlbar  zu  machen,  der  mit  allmählich  abnehmender  Kraft  an  der  Bewältigung 
einer  trotz  schrittweisen  Vorwärtsstrebens  immer  weiter  anschwellenden  Auf- 
gabe rang  und  manche  alte  Mitarbeiter  dahinsterben,  andere  versagen  sah. 
Namentlich  der  Atlas  zu  Ritter 's  Asien  schien  nach  Erscheinen  zweier 
Lieferungen  ganz  ins  Stocken  zu  geraten.  J.  L.  Grimm,  der  Bearbeiter 
der  4  Blätter  über  Inner -Asien,  war  gestorben,  H.  Mahlmann  kam 
mit  den  übernommenen  indischen  Blättern  nicht  vom  Fleck.  Inzwischen 
lagen  Ritters  Bände  für  Iran,  Turan,  bald  auch  die  über  Arabien  fertig 
vor  und  die  von  ihnen  gebotene  Darstellung  war  durch  raschen  Fortgang 
der  Forschungen  schon  wieder  teilweise  veraltet,  noch  ehe  die  zugehörigen 
Karten  überhaupt  in  Angriff  genommen  wurden.  Ein  erster  freiwilliger  Ver- 
such C.  Zimmermanns  befriedigte  nicht.  Den  Schwierigkeiten  dieser  Aufgabe 
war  nicht  der  nächste  beste  Kartograph  gewachsen.  Die  Sache  kam  erst 
wieder  in  kräftigen  Flufs,  als  Kiepert  dafür  gewonnen  wurde.  Er  vollendete 
im  raschem  Zuge  auf  Grund  der  neuesten  Materialien  bis  zum  November 
1852   2  Blätter  für  Arabien  (1  :  6  000  000)  und  zwei  für  Iran  und  Turan 


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12 


J.  Parti» eh: 


(\  :  5  000  000)  nach  Lemra's  astronomischen  Ortsbestimmungen,  die  einem  ver- 
wickelten Routennetze  festen  Halt  gaben.  Es  folgten  bis  Januar  1854 
4  Blätter  für  die  Euphrat-  und  Tigris-Länder  (1:1  500  000),  grofsenteils  auf 
Chesney's  Aufnahme  begründet,  aber  unter  Verwertung  aller  Reiseergebnisse, 
welche  der  Aufschwung  der  archäologischen  Forschungen  in  diesem  Gebiete 
gezeitigt  hatte. 

Schon  den  Abschlufs  der  ersten  dieser  beiden  Lieferungen  erlebte  Kiepert 
wieder  in  Berlin.  Dorthin  zog  ihn  am  Ende  des  Jahres  1852  ein  freudig 
angenommenes  Anerbieten  des  Verlegers  des  Atlas  von  Asien,  Dietrich  Reimer's, 
das  ihn  aus  den  Schwierigkeiten  seiner  Weimarer  Stellung  heraushob  und 
ihm  an  den  wissenschaftlichen  Hilfsquellen  der  Hauptstadt  eine  freiere,  reichere 
Thätigkeit  versprach.  Kiepert  hat  mit  treuer  Hingabe  diesen  sein  Schicksal 
wendenden  Freundschaftsdienst  vergolten  und  Reimer's  kartographischen  Ver- 
lag schnell  zu  Blüte  und  höherem  Ansehen  erhoben.  Aber  neben  der  Er- 
öffnung einer  Reihe  grofser  kartographischer  Unternehmungen  und  dem  Be- 
ginn einer  überaus  mannigfaltigen  und  bei  aller  Universalität  doch  tiefgehenden 
Thätigkeit  für  die  kartographischen  Beigaben  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft 
für  Erdkunde  brachte  das  Jahr  1853  ihm  einen  neuen  Antrieb  zur  Fort- 
führung seiner  wissenschaftlichen  historisch-geographischen  Forschungen  und 
zu  ihrer  Verwertung  in  einer  Lehrthätigkeit  an  der  hervorragendsten 
Stelle.  Die  Wahl  zum  Mitglied  der  philosophisch-historischen  Klasse  der 
Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  auf  Carl  Ritters  Vorschlag  stellte 
den  35jährigen,  zur  vollsten  Leistungskraft  erwachsenen  Gelehrten  an  einen 
ebenso  ehrenvollen  wie  wirkungsfähigen  Platz.  Wie  er  ihn  zu  füllen  sich 
bestreben  wolle,  das  sprach  seine  Antrittsrede  am  6.  Juli  1854  aus1);  be- 
scheiden und  doch  des  eigenen  Wertes  bewufst,  dankbar  auf  den  in  treuer 
Hingabe  verehrten  Lehrer,  die  ehrwürdigste  Zierde  dieses  Gelehrten -Kreises, 
und  zugleich  arbeitsfreudig  auf  die  noch  zu  bewältigenden  Aufgaben  schauend, 
bezeichnete  er  selbst  das  leuchtende  Vorbild,  das  er  bei  seiner  wissenschaft- 
lichen Bahn  sich  immer  vor  Augen  halten  wolle:  „den  grofsen  d'Anville,  der 
nach  des  gröfseren  Meisters  Niebuhr  Ausspruch  der  Vervollkommnung  der 
Geographie  und  der  historischen  Philologie  durch  seine  Karten  gröfsere 
Dienste  geleistet  hat,  als  er  durch  die  gelehrten  Schriften  gekonnt  hätte". 
Als  „unser  neuer  d'Anville"  begrüfste  ihn  auch  Böckh's  Erwiderung.  Und 
dieser  selbe  Vergleich  ist  später  manchem,  der  von  den  damals  gewechselten 
Reden  keine  Kenntnis  hatte,  von  selbst  aufgestiegen8).  Er  wird  immer 
einen  sicheren  Gesichtspunkt  für  die  Würdigung  der  Lebensarbeit  Kiepert's 
bilden. 

Noch  6  Jahre  war  ihm  inniges  Zusammenwirken  mit  Carl  Ritter  ver- 
gönnt. Seine  Arbeit  in  Wissenschaft  und  Lehramt  zu  unterstützen  und  zu 
ergänzen  war  ihm  eine  pietätvolle  Freude.  Schon  früher  hatte  er  sich  an 
der  Durchsicht  der  Bände  von  Ritter's  Asien  eifrig  beteiligt.    Nun  bei  den 

1)  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  Kgl  Preur«.  Akademie  d.  Wiasensch. 
Au«  dem  Jahre  1854,  S.  350—352. 

2)  J.  Partsch,  Philipp  Clüver.  Wien  1891  S.  44.  (Justav  Parthey  widmete 
Beine  Mela- Ausgabe  „Henrico  Kiepert  Anvillio  nostri  tcmporiB". 


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Heinrich  Kiepert. 


13 


letzten  beiden  Bänden  über  Kleinasien  wuchs  Kieperts  Anteil  an  der  Samm- 
lung und  Sichtung  des  Stoffes  und  an  der  Korrektur  der  Ausarbeitung 
Bitter's,  welche  auf  eine  eingreifende,  das  Beiwerk  zurückdrängende,  die 
Hauptsachen  heraushebende  Gestaltung  immer  mehr  verzichtete,  derartig 
an,  daTs  ansehnliche  Abschnitte  dieser  Bände  nicht  viel  mehr  bieten  als 
die  von  Kiepert  geleisteten  Vorarbeiten.  Es  wird  versichert,  dafs  Ritter 
diesem  mit  innigem  Danke  hervorgehobenen  Thatbestand  gemäfs  auch  das 
volle  Honorar  dieser  Bände  seinem  Mitarbeiter  überantwortet  habe.  Kiepert 
hat  lange  den  Oedanken  festgehalten,  die  Darstellung  Kleinasiens,  für  dessen 
südliche,  zentrale  und  nördliche  Landschaften  die  beiden  vorliegenden  Bände 
eine  dauernd  wertvolle  Schatzkammer  kritisch  gesichteter,  zum  Teil  nirgends 
anderwärts  veröffentlichter  Materialien  bilden,  zu  Ende  zu  führen,  ist  aber 
daran  durch  die  Vielseitigkeit  seiner  Pflichten  gehindert  worden. 

Auch  an  der  Universität,  deren  Lehrkanzeln  ihm  die  Zugehörigkeit  zur 
Akademie  ohne  besondere  Habilitation  öffnete,  fafste  Kiepert  seine  Aufgabe 
zunächst   nur  als  eine  Ergänzung  der  Ritter'schen  Wirksamkeit.     Er  las 
einige  Jahre  nur  publice  über  alte  Geographie.    Aber  dieser  Wirkungskreis 
gewann  für  ihn  an  Bedeutung,  seit  er  1859  unter  der  Einwirkung  von  Be- 
mühungen, ihn  für  einen  neuen  Lehrstuhl  in  München  zu  gewinnen,  zum 
aufserordentlichen  Professor  ernannt  wurde  und  dieser  bestimmte  Lehrauf- 
trag    unmittelbar    nachher   im    Augenblick   des   Todes    von    Carl  Ritter 
(28.  Septbr.  1859)  ihn  zum  einzigen  Vertreter  der  Erdkunde  an  der  Hoch- 
schule machte.    Nun  erst  setzte  er  voller  seine  Kraft  dafür  ein,  in  der 
Lehrthätigkoit  Boden  zu  fassen,  und  wenn  auch  noch  lange  die  alte  Geo- 
graphie der  drei  Erdteile  und  einzelner  besonders  bedeutsamer  Länder  (Vorder- 
asien, Palästina,  Kleinasien,  Griechenland,  Italien)  im  Vordergrunde  seiner 
Leistung  als  akademischer  Lehrer  blieb,  reihten  doch   auch  Geschichte  der 
Erdkunde,  Allgemeine  Völkerkunde,  Allgemeine  Erdkunde  und  die  Länder- 
kunde ohne  geschichtliche  Beschränkung  immer   häufiger  sich  ein  in  die 
Runde  seiner  Vorlesungen,  deren  anfangs  nur  kleine  Zuhörerschaft  mit  dem 
Vertrauen  in  den  Gehalt  des  Gebotenen  sich  allmählich  mehrte  bis  zu  der 
auch  in  Berlin  merklichen,  aber  bald  wieder  ebbenden  Hochflut  vor  der 
Mitte  der  achtziger  Jahre.    Seit  1874  war  er  ordentlicher  Professor. 

Aufser  der  Lehrwirksamkeit  stellte  die  kartographische  Redaktion  und 
die  starke  eigene  Mitarbeit  an  der  Zeitschrift  für  Erdkunde1),  die  Leitung  der 
rührigen  kartographischen  Thätigkeit  des  D.  Reimer  sehen  Verlages8),  seit 
1864  auch  die  Direktion  der  Topographischen  Abteilung  des  Kgl.  Statist. 
Bureaus,  für  das  er  die  Vorbereitung  eines  vollständigen  und  wissenschaft- 
lich zuverlässigen  Ortschaftsverzeichnisses  des  Deutschen  Reiches  in  Angrifl' 

1)  Das  Verzeichnis  der  Karten  in  den  Zeitschriften  der  Berliner  Gesellschalt 
Z.  G.  f.  E.  XXVII,  Blatt  7)  führt  von  1865—1890  unter  Kieperts  Namen  78  Karten 
auf.    Aber  die  Zahl  der  von  seiner  Hand  gezeichneten  ist  wesentlich  gröfser. 

2)  Bei  der  vollen  Unmöglichkeit,  hier  eine  vollständige  übersieht  der  karto- 
graphischen Leistungen  von  H.  K.  zu  versuchen,  mufs  verwiesen  werden  auf  den 
grofaen  Verlags-Katalog  der  Geograph.  Verlagshandlung  D.  Reimer  (Hoefer  &  Vohsen). 
1846— 1896.    S.  6,  6,  8—10,  12—28,  40.    I.  Nachtrag  6—13.  II.  Nachtrag  12—19. 


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14 


J.  Part  «eh: 


nahm,  so  hohe  und  vielseitige  Anforderungen  an  Kiepert's  Arbeitskraft,  dafs 
die  wissenschaftliche  eigene  Thätigkeit,  für  deren  nie  ruhenden  Fortgang  die 
beständige  rege  Teilnahme  au  den  Verhandlungen  und  Veröffentlichungen 
der  Akademie  und,  in  den  Jahren  der  Redaktionsthätigkeit  seines  Sohnes, 
die  Mitarbeit  am  Globus  beredtes  Zeugnis  ablegt,  nur  mit  grofser  An- 
strengung und  in  längeren  Pausen  zum  Abschlufs  grösserer  eigener  Werke 
gelangen  konnte. 

Dieses  rührige  Arbeitsleben,  dessen  Früchte  wir  besser  in  systematischer 
Anordnung  als  in  ihrer  zeitlichen  Folge  überschauen  dürften,  ward  öfter 
unterbrochen  durch  wissenschaftliche  Reisen  nach  den  Ländern  der  antiken 
Kultur,  und  bisweilen  trieben  auch  die  grofseu  Weltereiguisse  die  Bewegungen 
ihrer  Wellenringe  in  das  stille  Dasein  des  Geographen  und  trugen  ihm 
nicht  nur  manche  Anregung  und  Bereicherung  seines  Arbeitslebens  zu,  sondern 
auch  das  höchste  Glück,  das  dem  Mann  der  Wissenschaft  beschieden  sein 
kann:  sein  Wissen  und  Können  in  entscheidungsvoller  Zeit  fruchtbar  werden 
zu  sehen  für  das  Heil  des  Vaterlandes. 

In  Kiepert's  Natur  lag  keine  Spur  von  Neigung,  sich  hochgestellten  Per- 
sönlichkeiten zu  nähern;  er  ging  ihnen  eher  aus  dem  Wege.  Nur  die  An- 
ziehungskraft seiner  augenfälligen  Tüchtigkeit  hat  immer  wieder  die  Auf- 
merksamkeit der  Mächtigen  auf  ihn  gelenkt  und  ihm  Förderung  von  ihrer 
Seite  als  Gegenleistung  für  seine  Arbeit  eingetragen.  So  war  schon  seine 
lockere  Beziehung  zu  den  wissenschaftlichen  Bestrebungen  Napoleon's  III. 
Oberst  v.  Stoffel  erbat  1869  Kiepert's  kritische  revidierende  Mitwirkung 
für  die  in  Vorbereitung  begriffenen  Karten  zu  des  Kaisers  Werk  über  Cäsar's 
Feldzüge.  Kiepert  ging  darauf  ein  gegen  die  Zusicherung,  dafs  ihm  für  die 
Neubearbeitung  seines  Atlas  von  Hellas  und  den  hellenischen  Kolonien  Ein- 
sicht vergönnt  werde  in  die  Ergebnisse  der  Ausgrabungen  uud  Aufnahmen, 
die  in  des  Kaisers  Auftrage  in  Alexandrien  ausgeführt  worden  waren. 

Diese  Beziehung  zu  den  Arbeiten  Napoleon's  war  wohl  der  äufsere  An- 
lars  zur  Einladung  Kiepert's  zu  der  festlichen  Eröffnung  des  Suez-Kanals 
(10.  Nov.  1869).  Die  Nachricht  erreichte  Kiepert  auf  einer  Ferienreise  in 
Süd-Tirol.  Er  lachte  zunächst  über  den  Gedanken  so  unnützer  Zeit- 
verschwendung. Aber  die  Sache  gewann  ein  anderes  Gesicht,  sowie  bei 
näherer  Erwägung  die  Hoffnung  autblitzte,  durch  die  Annahme  der  ehren- 
vollen Aufforderung  dem  Osten  der  Mittelmeerländer,  dem  Gebiete  seiner 
anhaltendsten,  tiefstgehendeu  Studien  so  nahe  gerückt  zu  werden,  dals  an  die 
Kanalfeier  mit  mäfsigen  Opfern  eine  Studienreise  nach  Palästina  sich  knüpfen 
liefs.  Freilich  war  deren  Ausführung  aus  eigenen  Mitteln  ihm  nicht  mög- 
lich. Kiepert  erbat  deshalb  aufser  einem  Urlaub  für  den  Winter  eine  mäfsige 
Unterstützung  vom  Ministerium  und  warf  sich  in  sicherer  Hoffnung  auf  die 
Bewilligung  mit  Feuereifer  in  neues  Studium  des  Arabischen  und  Türkischen. 
Ganz  überraschend  traf  ihn  der  Bescheid,  dafs  nur  der  Urlaub  ihm  bewilligt 
werden  könnte.  Er  stellte  sofort  alle  Reisevorbereitungen  ein  und  arbeitete, 
um  die  Täuschung  seiner  schönen  Hoffnung  zu  überwinden,  um  so  eifriger 
an  seinem  neuen  Atlas  von  Hellas.  Aber  das  Geschick  seines  Gesuches  ward 
doch  allgemeiner  bekannt  und  wurde  in  der  Presse  so  eindrucksvoll  besprochen, 


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Heinrich  Kiepert, 


16 


dafs  man  an  höherer  Stelle  darauf  aufmerksam  wurde.  Aus  dem  Ministerium 
selbst  erging  nun  an  Kiepert  die  Anregung,  da  die  Zeit  zum  Anschlufs  an 
die  Suez-Kanalfeier  schon  zu  weit  vorgerückt  sei,  der  Akademie  den  Antrag 
auf  Unterstützung  einer  besonderen  Orientreise  zu  unterbreiten.  Auch  die 
Gesellschaft  für  Erdkunde  steuerte  bei.  Ihm  selbst  war  es  möglich,  die 
Kosten  aufzubringen  für  die  Beteiligung  seines  mit  jugendlicher  Frische  in 
die  väterliche  Arbeitsbahn  eintretenden  Sohnes  Richard.  So  konnte  Kiepert 
mit  ihm  und  einem  jungen  Arzte  Dr.  P.  Langerhans  im  Frühjahr  1870  auf- 
brechen zum  flüchtigen  Besuch  Unterägyptens1)  und  gründlicherer  Bereisung 
Palästinas.  Seine  Thätigkeit  dort  beschränkte  sich  nicht  auf  die  Ergänzung 
seiner  Kenntnis  wohl  erforschter  Striche  durch  eigene  Anschauung  und  schärferes 
Erfassen  der  Bodengestalt  geschichtlich  bedeutsamer  Örtlichkeiten,  sondern 
im  April  trat  er  einen  dreiwöchentlichen  Forschungszug  (7.  April  bis  1.  Mai) 
ins  Ostjordanland  ans).  Bei  ungewöhnlich  rauhem,  feuchtem  Wetter  wurde 
von  der  tiefen  Depression  im  Norden  des  Toten  Meeres  das  östliche  Hoch- 
land erstiegen  und  zunächst  das  Ruinenfeld  der  Ammoniter-Stadt  Philadelpheia 
aufgenommen,  dann  über  Salt  die  Ruinenstätte  von  Gerasa  (Djerasch)  auf- 
gesucht. Von  ihr  aus  näherte  sich  die  Route  wieder  dem  Jordanthale;  am 
Wadi  Jäbis  ward  vergebens  nach  der  Lage  von  Jabes  Gilead  gesucht,  dann 
über  Tibne  Gadara  (Umm  Keis)  erreicht.  Von  hier  begann  ein  weit  östlich 
ausgreifender  Bogenzug,  der  dem  Aufsuchen  von  Capitolias  und  Dion  galt,  bis 
el  Hosn  und  Mzerib  im  Grenzgebiete  des  Havrän  und  Bäsän.  Ein  nie  begangener 
mühseliger  Weg  längs  des  tief  eingeschnittenen  Jarmuk  führte  hinab  zum 
•Jordan;  von  Tiberias,  dem  nördlichsten  Punkt  der  Route,  ward  der  Rückweg 
durch  das  Ghor  abwärts  genommen;  eines  seiner  Ergebnisse  war  die  Auf- 
nahme von  Skythopolis  (Besan).  Während  dann  eine  Erkrankung  Richard's 
die  beiden  jüngeren  Reisegefährten  in  Jerusalem  zurückhielt,  unternahm 
Kiepert  selbst  noch  eine  längere  Wanderung  nordwärts  durch  das  West- 
jordanland (13.  bis  22.  Mai). 

Nach  diesem  für  seine  kartographischen  Werke  wichtigen  Blicke  ins 
Heilige  Land  folgte  er  der  Anziehungskraft  seines  liebsten  Arbeitsfeldes: 
Kleinasiens.  Das  damals  noch  völlig  unerforschte  Innere  Kariens  lud  ein 
zu  einer  viel  versprechenden  Rekognoszierung,  deren  Ergebnisse  allerdings  bei 
dürftiger  Ausrüstung  nur  mit  grofsen  Entbehrungen  zu  erkaufen  waren.  Die 
Bahnstation  A'idin  im  Mäanderthal  war  Ausgang  und  Endpunkt  einer 
grofsen  bis  in  den  Hintergrund  des  Keramischen  Meerbusens  (Giova  Bay) 
ausgedehnten  Route  (16. — 27.  Juni).  Ihr  erster  gegen  Süden  gerichteter 
Teil  folgte  südostwärts  dem  Thale  des  Marsyas  (Tschina  Tschai),  berührte 
das  Hekate- Heiligtum  von  Lagina  und  das  Ruinenfeld  von  Stratonikeia. 
Von  Mughla  (Moboliaj  aus,  das  der  Stützpunkt  des  Ausflugs  an  den  Kerami- 
schen Busen  wurde,  ward  ein  sehr  beschwerlicher  Bergweg  nordwärts  ein- 
geschlagen,  der   bei   Kavakly    Dcre  den    östlichsten  Zweig   des  Marsyas- 

1)  Manche  der  dortigen  Beobachtungen  verwertet  die  Abhandlung  Zur  Topo- 
graphie des  alten  Alexandria  Z.  d.  G.  f.  E.  VII  1872,  333—349  m   Plan  1:20  000. 

2)  Zeitachr.  d.  Gesellschaft  f.  Erdk.  V,  1H70,  261—265.  Vergl.  auch  die  Pläne 
von  Philadelphia  <H.  K.)  und  Gerasa  (R.  K.)  in  Baedeker's  Roiwehandbuch. 


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16 


J.  Partsrh: 


gebietes  berührte.  Bei  Mesewle  gelang  dann  die  Entdeckung  der  erst  auf 
einer  späteren  Reise  voll  gewürdigten  Ruinen  einer  grofsen  alten  Stadt 
mit  zwei  Theatern;  dem  Harpasosthal  folgte  die  Route  nordwärts  zurück 
zum  Mäander.  Die  heifse  Jahreszeit,  welche  die  Anstrengungen  dieses 
Rittes  noch  gesteigert  hatte,  widerriet  eine  Fortsetzung  der  Feldarbeit  in 
Kleinasien. 

Die  Heimkehr  ward  beschleunigt  durch  den  unerwarteten  Ausbruch  des 
deutsch-französischen  Krieges,  der  Kieperts  Reisegefährten  zur  Fahne  rief. 
Auch  bei  ihm  traten  alle  Gedanken  an  den  Orient  zurück  hinter  dem 
spannungsvollen  Gange  der  Zeitereignisse.  Den  Biegespreis,  um  den  das 
deutsche  Volk  damals  zu  ringen  hatte,  kannten  wenige  so  genau  wie  Kiepert. 
Seit  1861  hatte  er  wiederholt  mit  banger  Aufmerksamkeit  von  Dorf  zu 
Dorf  die  Sprachgrenze  in  Elsafs  und  Lothringen  bewandert,  auch  über  ihre 
frühere  Lage  und  über  die  älteren  Territorialverhältnisse  gemeinsam  mit 
seinem  Freunde  Rieh.  BÖckh  tiefere  Studien  unternommen  und  den  be- 
trübenden Eindruck  des  beständigen  Rückganges  der  Vorposten  deutscher 
Zunge  auf  der  ganzen  Linie  gewonnen.  Hin  überkam  die  Sorge,  dafs  dieser 
deutsehe  Gau,  wenn  nicht  bald  das  Schwert  den  durch  die  Schwäche  des 
alten  Reichs  verdorbenen  Grenzzug  wieder  richtig  stelle,  dem  Vaterlande 
ganz  entfremdet  werden  und  ihm  für  immer  verloren  sein  dürfte.  Wie 
ein  Kriegsruf  klang  im  Weltausstellungsjahre  1867  der  von  Mommsen  vor- 
geschlagene Titel  „Vom  Rhein  bis  Paris"  auf  Kiepert's  Karte  der  deutsch- 
französischen Grenzländer.  Wie  eine  Verheifsung  nahm  er  sich  aus,  als  man 
auf  diesem  Blatt  den  Fortschritt  der  deutschen  Heere  verfolgen  konnte.  Mit 
begeisterter  Erregung  begleitete  Kiepert,  während  sein  Sohn  im  Felde  stand, 
Gattin  und  Tochter  in  den  Lazarethen  halfen,  jeden  Marsch  der  Heere  im 
Geiste,  immer  bemüht,  die  mitunter  etwas  entstellt  einlaufenden  Draht- 
nachrichten durch  Berichtigung  der  Ortsnamen  für  die  Öffentlichkeit  erst  voll 
verständlieh  zu  machen.  Als  die  Sorge  um  den  Ausgang  des  Kampfes  nach- 
ließ, trat  die  gespannte  Erwartung  der  Friedensbedingungen  in  den  Vorder- 
grund. Für  Kiepert  stand  dabei  der  nationale  Gesichtspunkt  in  erster  Linie. 
Wie  er  nie  ohne  Ingrimm  der  Nachlässigkeit  gedenken  konnte,  mit  der  man 
bei  der  Abgrenzung  Luxemburgs  1839  den  deutschen  Verwaltungsbezirk  Arel 
(Arlon)  dem  starkfranzösischen  belgischen  Anteil  zugeschlagen  und  vom 
politischen  Zusammenhange  mit  der  Nation  abgeschnitten  hatte,  so  war  es 
sein  brennender  Wunsch,  wenn  möglich,  kein  deutsches  Dorf  in  Frankreichs 
Hand  bleiben  zu  sehen.  Diesem  Gedanken  entsprach  die  erst«  bekannt- 
werdende Grenzführung  nur  unvollkommen.  Kiepert  war  namentlich  beunruhigt 
über  die  in  Aussicht  genommene  Grenzlinie  bei  Diedenhofen,  welche  eine  für 
diese  Festung  (154  m)  in  Zukunft  vielleicht  bedrohliche,  sicherlich  aber  als 
Beobachtungsposten  unbequeme  Anhöhe  (374  m)  in  französischer  Hand  liels, 
aufserdem  aber  in  ganz  unberechtigtem  Respekt  vor  den  recht  willkürlich  in 
der  Revolutionszeit  zurecht  geschnittenen  Arrondissementsgrenzen  eine  Reihe 
überwiegend  deutsch  redender  Gemeinden  dem  Kanton  Longwy  überliefs. 
Kiepert  und  Rieh.  Böckh  erhoben  sofort  öffentlich  dagegen  nachdrücklichst 
Einwendung  in  Artikeln  der  Nationalzeitung  (23.  Febr.)  und  der  Spener'schen 


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Heinrich  Kiepert. 


17 


Zeitung  (22.  Febr.).  Wirksamer  als  dieser  Appell  an  die  öffentliche  Meinung 
war  aber  wohl  eine  eingehende  Vorstellung,  mit  der  Kiepert  sich  an  seinen 
alten  Gönner,  den  Feldmarschall  Moltke,  wendete.  Dessen  Fürwort  brachte 
die  „Professorenweisheit",  über  die  der  Leiter  der  deutschen  Politik  herzlich 
gering  dachte,  im  entscheidenden  Augenblicke  doch  zur  Geltung.  Der  Frank- 
furter Friede  brachte  einen  für  Frankreich  räumlich,  für  Deutschland  national 
vorteilhaften  Gebietsaustausch,  der  im  wesentlichen  den  Vorschlägen  Kiepert's 
entsprach1).  Allerdings  ergab  eine  nachträgliche  Untersuchung,  dafs  das 
Deutsche  in  den  10  zurückgewonnenen  Gemeinden  doch  schon  viel  stärkereu 
Rückgang  erfahren  hatte,  als  Kiepert  und  Böckb  vorausgesetzt  hatten8). 

Noch  zweimal  hat  später  Kiepert  sein  Wissen  und  sein  Urteil  in  den 
Dienst  staatlicher  Verhandlungen  zu  stellen  gehabt:  1872  bei  der  Vorbereitung 
des  Schiedsspruches  des  deutschen  Kaisers  im  Streite  Grofsbritanniens  und 
der  Union  über  den  San  Juan-Archipel  an  der  Haro-Strafse  und  1878,  als 
Fürst  Bismarck  beim  Berliner  Kongrefs  für  einzelne  Punkte  Aufschlufs  und 
Rath  über  Grenzfragen  auf  der  Balkanhalbinsel  erbat8). 

Mit  Teilnahme  und  nicht  ohne  leidenschaftliche  Erregung  folgte  er  vom 
Standpunkt  des  tief  überzeugten,  durch  keine  äufseren  Erfolge  der  entgegen- 
gesetzten Strömung  in  seiner  Überzeugung  erschütterten  Grofsdeutschen  dem 
Gange  der  Weltereignisse,  tief  bekümmert  um  das  Schicksal  der  Deutschen 
in  Österreich-Ungarn  und  bis  ins  Innerste  erregt  von  jedem  Übergriff  fremden 
Übermuts  auf  den  Boden  deutscher  Kulturarbeit  und  deutschen  Sprachgebiets. 
Der  ungarischen  geographischen  Gesellschaft  schickte  er  1883  mit  offenem 
Absagebrief  das  Ehrendiplom,  das  sie  ihm  zehn  Jahre  früher  verliehen, 
zurück,  als  eine  redaktionelle  Bemerkung  im  Organ  der  Gesellschaft  gegen 
die  deutschen  Kartographen  den  Vorwurf  hartnäckiger  Verbreitung  von 
Fälschungen  lediglich  deshalb  erhob,  weil  diese  Karten  nicht  auf  die  der 
abendländischen  Kulturwelt  einzig  bekannten,  altüblichen  Ortsnamen  ver- 
zichten und  sie  durch  die  magyarischen  Namen  ersetzen  wollten4).  In  den 
Umwälzungen  des  alten  Bereiches  der  Türkenmacht  ward  er  bei  aller  alten 
Zuneigung  für  die  biedere,  schlichte  Art  türkischen  Volkstums  immer  ent- 
schiedener Philhellene.  Die  Überzeugung,  dafs  den  Griechen  die  Zukunft 
im  ganzen  Umkreis  des  ägäischen  Meeres  gehöre,  ward  in  ihm  noch  ver- 


1)  H.  Kiepert,  Der  Gebietsaustausch  zwischen  Deutschland  und  Frankreich 
infolge  des  Frankfurter  Friedens.  Zeitschr.  d.  Geaellsch.  f.  Erdk.  VI,  1871,  273 
bis  288  m.  K. 

2)  Zeitschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdk.  VII,  1872,  89. 

3)  Diese  Grenzveränderungen  hat  K.  auch  in  besonderen  Veröffentlichungen 
dargestellt  und  zum  Teil  kritisch  beleuchtet.  Zeitschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdk.  XVI, 
1881,  74  -80,  T.  1—6  (1:300  0001.  XV7I,  1882,  244—253,  T.  3.  (1:200  000). 
XIX,  1884,  55-64.  T.  2.  Vergl.  Globus  XXXIII,  1878,  263—269  in.  K.  u.  XXXTV, 
86-90  m.  K.  102-105  m.  K. 

4)  National-Zeitung  4.  April  1883  Nr.  157.  —  Die  Entgegnung  Job.  Hunfalvy's 
„Die  magyarischen  Ortsnamen  und  Herr  Prof.  Kiepert",  Ungar.  Revue  1883,  405 
bis  428  kann  nicht  umhin,  die  Redaktionsbemerkung,  die  Kiepert's  Zorn  erregte, 
preis  zu  geben  und  zur  Krzielung  eines  Eindrucks  auf  ihre  Leser  einen  anderen 
Kampfplatz  zu  wählen  —  die  Schwächen  des  Daniel'schen  Handbuchs. 

Geographische  Zeitschrift  7.  Jahrgang.  1W1  1  Heft  2 


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18 


J.  Partgeh: 


stärkt  durch  die  Erfahrungen  seiner  letzten  Orientreisen,  die  ihm  tiefere 
Einblicke  in  den  inneren  Verfall  der  arg  verrotteten  Türkenwirtschaft  und 
andererseits  den  unmittelbaren  Eindruck  des  hoffnungsfreudigen  Aufstrebens 
der  griechischen  Volkselemente  eintrugen. 

Im  Jahre  1886  reiste  Kiepert  nach  einem  Besuche  Siebenbürgens  und 
längerem  Aufenthalte  zu  Konstantinopel  (30.  Aug.  bis  9.  Sept.),  der  emsiger 
Ausbeutung  handschriftlichen  kartographischen  Materiales  gewidmet  war,  von 
Artaki  an  der  Propontis  über  Gönen,  Ilidja  Kiöi  (Hiera  GermeV)  und  Bali- 
kesri  landein  nach  Pergamon  zu  der  deutschen  Cielehrtenkolonie  (Humann, 
Conze,  Bohn,  Schuchhardt,  Michaelis,  v.  Duhn),  welche  der  Abschlufs  der 
grofsen  Ausgrabungen  dort  vereinigt  hatte.  Von  dieser  „deutscheu  Oase  im 
Barbarenlande"  aus  besuchte  er  zur  Vervollständigung  seines  alten  Routen- 
netzes in  Begleitung  Schuchhardt's  Leshos  (21. —  29.  Sept.).  Im  Oktober  war 
Smyrna  das  Standquartier,  von  welchem  aus  im  Geleit  des  Pastors  Meyer 
Ausflüge  in  die  weitere  Umgebung  unternommen  wurden;  bald  ins  Hennos- 
delta1),  bald  südwärts  auf  der  Suche  nach  Kolophon,  dessen  Umgebung  so 
gründlich  durchforscht  wurde,  dafs  für  die  Lage  des  Ruinenfeldes  nur  noch 
ein  enger  Bereich  übrig  blieb,  auf  welchem  es  nach  Kiepert's  bestimmter 
Weisung  wirklich  von  Schuchhardt  bald  nachher  gefunden  wurde8).  Einmal 
drang  Kiepert  auch  mit  Hilfe  der  neuen  Bahnlinie  ins  Innere  Lydiens  zu 
zweimaliger  Durchquerung  des  Tmolos  -  Gebirges  auf  beschwerlichen  Berg- 
pfaden im  Südwesten  und  im  Süden  von  Sardes8).  Die  Abreise  von  Smyrna 
(5.  Nov.)  verzögerte  sich  soweit,  dafs  in  Griechenland  an  ernstere  Arbeiten 
nicht  mehr  zu  denken  war.  Kiepert  mufste  darauf  verzichten,  die  beabsich- 
tigte Bereisung  der  Pisatis  zur  Bearbeitung  der  Kart*  der  weiteren  Um- 
gebung Olympias  noch  in  diesem  Jahre  vorzunehmen.  Er  fand  für  diese 
Aufgabe  1888  im  Verfasser  einen  Ersatzmann  und  behielt  dadurch  die  Hände 
frei  für  die  erstaunlich  nachdrückliche  Durchführung  seiner  letzten  klein- 
asiatischen Reise. 

Er  ging  seinem  70.  Geburtstage  entgegen,  als  er  zum  letzten  Mal  zu 
ausdauernder  Feldarbeit  sich  in  den  Sattel  schwang.  Mit  Fabricius  in  Korfu 
zusammengetroffen,  hatte  er  dieses  Mal  über  Athen  seinen  Weg  nach  Smyrna 
genommen  und  mit  der  Eisenbahn  A^din  erreicht.  Von  dort  durchzog  er 
auf  vierwöchentlichem  Ritt  (28.  April  bis  24.  Mai),  der  wieder  nach  dem 
Ausgangspunkt  zurückführte,  Karien  bis  an  den  Keramischen  Golf  auf  zwei 
in  Mylasa  sich  kreuzenden  Routen4).  Die  Entdeckung  der  alten  Stadt  Amyzon 
mit  einer  wichtigen  Inschrift  des  karischen  Dynasten  Hidrieus,  des  Bruders 
und  Nachfolgers  des  berühmten  Geschwister-  und  Ehepaares  Mausolos  und 
Artemisia,  eröffnete  verheifsungsvoll  diese  Reise  durch  ein  Land,  dessen  ver- 
wahrloster Zustand  in  bittrem  Gegensatz  steht  zu  der  herrlichen  Natur  und 

1)  Veränderungen  im  Mündungsgebiete  de»  Hermos.  Globus  LI,  1887,  150  bis 
152  m.  K. 

2)  Auftindung  des  alten  Kolophon.    Globus  LI,  1887,  296—208  m.  K. 

3)  Wahrheit  und  Dichtung  aber  einen  Kitt  in  den  Gebirgen  Lydiens.  Nat.- 
Ztg.  1886,  24.  Nov.,  No.  661.    Im  übrigen  zu  dieser  Reise  Globus  L.  271,  272,  367. 

4:  Globus  LUI.  1888,  S.  381. 


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Heinrich  Kiepert. 


19 


den  beredten  Resten  blähender  Städte  und  prächtiger  Tempel  des  Altertums. 
Dann  wurde  die  schon  vod  früheren  Reisenden  besuchte  und  richtig  erkannte 
Lage  Alindas  (Demirdschi  Deressi)  von  Kiepert  aufgenommen,  die  „über- 
raschenden Prachtbauten"  des  Ortes  ven  Fabricius  näher  untersucht.  Da- 
gegen fragte  und  spähte  man  auf  dem  Weg  nach  Mylasa  vergebens  nach  dem 
altberühmten  Heiligtum  des  Zeus  von  Labranda  und  der  von  Mylasa  zu  ihm 
führenden  60  Stadien  langen  heiligen  Strafse. 

Auf  Pedasa  deutete  man  eine  neu  entdeckte,  bis  in  die  Römerzeit  blühende 
Stadt  bei  Karadscba  Hissar.    Einen  halsbrecherisch  steilen  Abstieg  zur  Süd- 
küste lohnte  der  überraschende  Anblick  der  „gewaltigen  Prachtruinen"  des 
früher  für  unbedeutend  gehaltenen  Keramos.    Nur  ein  beschwerlicher  Felsen- 
weg führte  von  hier  dem  Ufer  entlang  nach  Halikarnafs.   Der  Rückweg  nach 
Mylasa  ward  über  Karyanda  genommen  und  dann  ein  Vorstofs  ostwärts  über 
das  Ruinenfeld  von  Stratonikeia  bis  Mughla  (Mobolia)  geführt  durch  eine 
Gegend,  in  welcher  Inschriftenjäger  der  französischen  Schule  thätig  gewesen 
waren,  ohne  sich  die  Mühe  zu  nehmen,  durch  ordentliche  Itinerarforschung 
oder  auch  nur  sorgfältige  Ortsangaben  die  Örtlichkeiten  ihrer  Entdeckungen 
in  verständlicher  Weise  festzulegen.    Ohne  die  beabsichtigte  vielversprechende 
Untersuchung  des  karisch -lykischen  Grenzgebietes,  dem  sie  zustrebten,  in  der 
gewünschten  Ausdehnung  durchführen  zu  können,  mufsten  die  Reisenden  bei 
dem  geringen  Entgegenkommen  des  Paschas  in  Mughla  sich  wieder  nordwärts 
wenden.     Nach   einem  bis  an  Kariens  Ostgrenze  vordringenden  Ritt  zur 
Untersuchung  der  Ruinen  von  Tabae  (Kaie  Davas)  erforschten  sie  im  Ost- 
flügel des  Marsyas- Gebietes  gründlich  die  Reste  von  Kys  (Pirlebol)  und  der 
schon  1870  erreichten  alten  Stadt  bei  Mesewle1),  ehe  sie  unter  genauer 
Aufnahme  der  Trümmerstätte  von  Alabanda  durch  das  Marsyasthal  zurück- 
kehrten nach  ATdin.    Die  Beschwerden  des  Zuges  durch  unwirtliches  Gebiet 
steigerten  sich  nach  einer  der  Verarbeitung  der  ersten  Ergebnisse  gewidmeten 
Rast  in  Smyrna  mit  Anbruch  des  Sommers  bei  der  nordwärts  gerichteten 
Reise  nach  dem  nie  zuvor  ernstlich  angegriffenen  vom  Ida  beherrschten  Bergland 
Mysiens  und  der  Troas.    Als  Ausgangspunkt  wurde  gewählt  der  über  die 
Bahnstation  Magnesia  und   den  Strafsenendpunkt   Akhissar  (Thyatira)  er- 
reichte Binnenplatz  Balikesri  (Hadrianu  Therae)  an  einem  linken  Zuflufs  des 
oberen  Makestos.    Das  erste  Ziel  waren  die  alten  Bergwerksorte  nordöstlich 
vom  Ida  im  Quellgebiet  des  Tarsios  und  des  Aisepos  Ergasteria  (Balia-Maden ) 
und  Argyria  (KaraXdin),  zwischen  denen  auch  die  Lage  des  alten  Argyza  und 
eine  auf  das  vielgesuchte  Skepsis  gedeutete  antike  Siedelung  aufgefunden 
wurden.     Von  KaraXdin  wurde  unter  besonders  unfreundlichen  Witterungs- 
verhältnissen bei  starken  Gewittern,  in  denen  „der  Herrscher  im  Donner- 
gewölk Zeus"  seine  Gewalt  im  alten  Machtgebiet  bewährte,  das  Ida-Gebirge 
überschritten.     Adramyttion  (Edremid)   bot  nicht  nur  Erholung  von  den 
letzten  harten  Reisetagen,  sondern  auch  die  nur  an  versteckter  Stelle  bisher 
versuchte,  nun  gründlich  von  Kiepert  begründete  Aufklärung  über  die  Ver- 


1)  Von  E.  Fabricius  in  der  Festschrift  für  H.  Kiepert  1898,  181  als  Hyllarima 
gedeutet 

i* 


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20 


.1.  Partach: 


schiedenheit  der  modernen,  erst  seit  1100  wegen  der  Piraten  ins  Binnenland 
zurückgeschobenen  Ortslagp  und  der  antiken  am  Ufer  des  Golfes1).  Eine  west- 
wärts ausgreifende  Tour  brachte  nähere  Kenntnis  über  die  alten  Plätze  Astyra, 
Antandro*,  Gargara.  Trotz  steigender  Hitze  wendete  Kiepert  dann,  während 
Fabricius  noch  nach  Pergamou  ging,  sich  nicht  auf  kürzestem  Wege,  sondern 
mit  einem  Abstecher  durch  das  Bergland  von  Edremid  nach  dem  Seeplatz 
AYvaly,  um  auch  diese  Reise  zu  schliefsen  mit  einigen  Wandertagen  auf  dem 
ihm  besonders  teuren  Lesbos.  Begleitet  von  Cichorius  und  Buresch  machte 
er  erst  eine  Tour  im  Südosten  (Plomari,  Megachorio,  Hagiasos),  darauf,  ge- 
stützt auf  den  kleinen  Dampfer  des  Paschas,  eine  ihm  bisher  fehlende  Route 
quer  durch  den  Westen  der  Insel  von  Eresos  nach  Molyvo  (Methymna ). 
Dann  hatte  „das  Reiten,  Schwitzen,  Fli»hjagenu  ein  Ende.  Der  Juli  war  an- 
gebrochen, ehe  er  nach  Smyrna  zurückkehrte,  um  die  Heimreise  anzutreten. 
Kiepert  schied  von  Kleinasien  mit  dem  bestimmten  Eindruck,  dafs  sein  Auge 
zum  letzten  Male  auf  den  schönen  Umrissen  seiner  Berge,  den  Stätten  einer 
grofsen  Vergangenheit  und  dem  Schauplatz  eines  langsam  aus  der  Barbarei 
sich  emporringenden  Lebens  geruht  habe.  So  tapfer  er  die  Entbehrungen 
und  die  Mühsal  der  Forschungsreise  auch  dieses  Mal  getragen  und  so  uner- 
müdlich sein  Zeichenstift  gearbeitet  und  jede  Bodenform  behend  festgehalten 
hatte,  konnte  er  sich  doch  nicht  verhehlen,  dafs  er  seine  Kraft  bis  zur  Er- 
schöpfung angespannt  hatte.  Der  Juli  1888  war  ungewöhnlich  heifs  im  öst- 
lichen Mittelmeer.  Von  zwei  glühenden  Arbeitswochen  auf  Leukas  hart  mit- 
genommen, schlofs  ich  eine  mehr  als  viermonatliche  griechische  Reise  zufällig 
zur  selben  Zeit  ab.  Als  ich  in  Korfu  den  Dampfer  zur  Heimfahrt  bestieg, 
fand  ich  auf  ihm  mit  freudiger  Überraschung  den  alten  Freund,  dessen  Vor- 
schlag mir  diese  längste  meiner  griechischen  Reisen  und  das  Eintreten  iu 
die  ihm  ursprünglich  zugedachte  Arbeit  für  das  Olympia -Werk  eingetragen 
hatte.  Mit  Lebendigkeit  sprach  er  von  seiner  Reise,  breitete  seine  wunder- 
vollen auf  der  Tour  mit  beneidenswerter  Vollendung  ausgeführten  Karten- 
blätter vor  mir  aus  und  sprudelte  über  von  anregender  Plauderei  über  die 
seinen  Geist  bewegenden  topographischen  Probleme.  Aber  auf  jede  solche 
erregte  Anspannung  folgte  schnell  die  Erschöpfung;  manchmal  sank  er  mitten 
im  Gespräch  zurück,  um  einzuschlafen.  Nicht  ohne  ernste  Sorge  sah  ich, 
wie  tief  sein  Arbeitseifer,  seine  Forschungsfreude  dieses  Mal  eingegriffen 
hatte  in  den  durch  die  Jahre  doch  schon  beschränkten  Kraftvorrat  seiner 
kernigen  Natur.  Aber  die  Ruhe  der  behaglichen  Seefahrt  that  ihm  schon 
sichtlich  wohl,  mehr  noch  das  Wiedersehen  mit  den  Seinen,  unter  denen  er 
unmittelbar  nach  der  Rückkehr  seinen  70.  Geburtstag  in  stiller  Zurück- 
gezogenheit zu  Erdmannsdorf  im  Riesengebirge  beging. 

Seither  blieb  der  Kreis  seiner  wissenschaftlichen  Reisen  enger  begrenzt. 
Unter  Europas  Ländern  hatte  ihn  seit  jeher  Italien  besonders  gefesselt.  Die 
fünf  letzten  Reisen  dahin  (1877,  1881,  1883,  1890,  1893)  machte  er  im 
Geleit  seiner  Gattin,  die  ihn,  lebhaft  teilnehmend  an  allem,  was  seinen  rast- 


1)  Die  alten  OrUlagen  am  SüdiüfBe  des  Idagebirges.  Zeitschr.  der  liesellsch.  f. 
Erdk.    XXIV  1889,  290-303.   Taf.  5  und  fi. 


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Heinrich  Kiepert.  21 

losen  Geist  beschäftigte,  auch  auf  abgelegeneren  Pfaden  quer  durch  Corsica, 
in  stille  Apennincuthäler,  in  die  Ruinenfelder  von  Agrigent  und  Syrakus  und 
von  dort  1883  auch  zu  einem  flüchtigen  Besuch  von  Athen  und  Korfu  be- 
gleitete.   Auch  die  Alpen  hatte  Kiepert  nicht  nur  bei  diesen  Fahrten  nach 
Italien,  sondern  auch  in  anderen  Jahren  (1854,  1861,  1862)  auf  verschie- 
denen Routen  mit  Freude  an  ihrer  Natur  durchzogen,  wenn  auch  seine  kräf- 
tige Gestalt  sich  zum  Besteigen  schwieriger  Schneeberge  nicht  recht  eignete 
und  er  auf  Pafs-  und  Thalwanderungen  sich  zu  beschränken  pflegte.  Bis 
nach  dem  60.  Lebensjahre  folgte  er  gern  der  Anziehungskraft  wissenschaft- 
licher Kongresse  und  richtete  danach  wohl  seine  Sommerreise  ein.    So  ward 
er  als  Vertreter  deutscher  Wissenschaft  1865  bei  der  British  Association  in 
Birmingham,  1867  und  1875  in  Paris1),  1871  in  Antwerpen,  1881  in  Venedig 
ehrenvoll  willkommen  geheifsen.    Erst  in  späteren  Jahren  hielt  er  sich  grund- 
sätzlich von  all  solchen  festlichen  Veranstaltungen  fern,  und  hat  selbst  die 
in  Berlin  abgehaltenen  Geographen  -  Tage  gemieden.    Neben  den  Reisen  mit 
bestimmtem  wissenschaftlichen  Programm  und  denen,  die  wissenschaftlichen 
Vereinigungen  galten,  unterbrachen  den  regelmäfsigen  Takt  seines  Arbeits- 
lebens nur  alljährliche  Erholungs -Ausflüge,  bei  denen  aber  seinen  Gewohn- 
heiten gemäfs  die  wissenschaftliche  Beobachtung  nie  völlig  ruhte.  Bisweilen 
schrieb  die  Rücksicht  auf  seine  Gesundheit  ihm  die  Wahl  der  Sommerfrische 
vor.     So  hat  er  1875  Bad  Nassau,  in  den  letzten  Lebensjahren  das  ihm 
besonders  lieb  gewordene  Hainstein  bei  Eisenach  besucht.    Ein  Pfingstausflug 
nach  Nordböhmen  1874  hinterliefs  ihm  für  sein  ganzes  Loben  ein  trübes 
Andenken.    Bei  Schlackenwerth  hatte  er  das  Unglück,  einen  Sprung  abwärts 
auf  eine  tief  eingeschnittene  Chaussee  nicht  richtig  zu  bemessen  und  einen 
Beinbruch  zu  erleiden,  der  ihm  ein  siebenwöchiges  Krankenlager  in  Karls- 
bad auferlegte.    Geduldiger,  als  seine  bewegliche  Natur  es  erwarten  liefs, 
ertrug  er  diese  Prüfung.    Er  grift'  zum  ersten  Male  im  Leben  zu  leichtem 
Zeitvertreib  —  freilich  nicht  zum  Kartenspiel,  das  er  als  „eine  ihm  unfafs- 
bare  Kunst"  immer  nur  mit  dem  Gefühl  mitleidiger  Verwunderung  von  an- 
deren üben  sah,  wohl  aber  —  zu  behaglicher  Lektüre;  doch  auch  in  ihr  war 
er  sehr  wählerisch;  nur  Fritz  Reuter  war  so  recht  nach  seinem  Sinn  und 
wirklich   seinem   Wesen   kongenial.     Aufserdem    aber  führte  ihn  die  dem 
Zeichnen  ungünstige  Ruhelage  des  Krankenbettes  zur  ruhigen  Sammlung  für 
litterarische   Arbeit.     Das  Beste,  was  er  je  geschrieben,  die  einleitenden 
Kapitel  seiner  alten  Geographie,  hat  er  in  der  erzwungenen  Mufse  seines 
Krankenlagers  damals  dem  ihn  pflegenden  zweiten  Sohne,  Walther,  diktiert. 
Auch  die  Berge  Schlesiens  hat  er  wiederholt  und  gern  besucht,    Es  bleibt 
dem  Verfasser  eine  liebe  Erinnerung,  dafs  er  im  August  1895  unter  dem 
Dache  seines  Elternhauses  in  Schreiberhau  dem  alten  Freunde  die  Hand 
drücken  konnte:  am  Abend  seiner  goldnen  Hochzeitsfeier.       (Schlufs  folgt.) 

1)  Bericht  Kiepert  s,  Verh.  (ies  f.  Erdk  II,  226— -237. 


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Karl  Peucker: 


Zar  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension. 

Von  Dr.  Karl  Peuoker  in  Wien. 

Anschauung,  wo  ßie  fehlt,  wird  etwa  Geigt  ersetzen? 

Bei  Geistes  Mangel  mag  Anschauung  je  dich  letzen? 
Nein  —  nur  wo  Geist  sich  hält  zusammen  mit  Anschauung, 

Entsteht  vor  dir  die  Welt  in  glänzender  Erbauung. 

Friedrich  RUokert  „Weisheit  de«  Hnhraanen" 

Es  soll  von  der  Veranschaulichung  der  dritten  Dimension,  von  der 
Plastik  an  Globen,  Geländemodellen  und  Karten  gesprochen  werden,  und  so 
giebt  die  Anwendung  des  Ausdruckes  „kartographisch"  im  Titel  Anlafs  zu 
einer  kurzen  Vorerinnerung. 

Der  Begriff  der  Kartographie  wäre  hier  im  weitesten  Sinne  gefafst,  indem 
er  sich  mit  dem  einer  „veranschaulichenden  Geographie"  decken  würde.  Die 
Teile  einer  solchen  gleichen  heut  noch  Gliedern,  die,  oinem  einheitlichen  Or- 
ganismus angehörend,  sich  gleichsam  in  empedokleTscher  Zerstreuung  befinden. 
Es  fehlt  die  einheitliche  Auffassung,  und  so  fehlt  auch  das  die  Fülle  des 
Inhalts  knapp  zusammenschliefsende  Wort,  da  jenes  für  den  engeren  Begriff 
altgewohnte  doch  vielleicht  eine  so  weit  den  Wortsinn  überspannende  Aus- 
dehnung nicht  verträgt.  So  steht  es  oben  nur  in  provisorischer  Verwendung. 
Das  neue  Wort  raüfstc  die  kurze  Kennzeichnung  sein  des  ganzen  Systems 
der  Darstellung  geodätischer  und  geographischer  Forschungsergebnisse  im 
Bilde.  Es  sind  das  wissenschaftliche  Bilder,  und  der  Begriff  der  Lehre  von 
ihnen  steht  dem  der  in  Worten  beschreibenden  und  erklärenden  Lehre  der 
geographischen  Wissenschaft  gleichsam  als  eine  „bildende  Wissenschaft"  —  im 
Sinne  der  „bildenden  Kunst"  gesprochen  —  gegenüber. 

Die  Ergebnisse  erdkundlicher  Forschung  sind,  gleich  denen  jeder  an- 
deren Forschung,  zunächst  eine  Gedankenreihe,  die,  mit  Sinnen  nicht  erfaßbar, 
sich  im  Hirn  des  Forschers  verborgen  bewegt.  Hier  aber  bliebe  sie  ver- 
borgen, für  Mit-  und  Nachwelt  verloren  und  unfruchtbar  in  alle  Ewigkeit, 
wie  ein  Samenkorn  in  dürrer  Erde  —  wenn  sie  nicht  in  Worten  sich  auf- 
zuschliefsen  und  zu  entwickeln,  und  in  Bildern  ans  Licht  zu  treten  und  zu 
blühen  vermöchte. 

„Der  Schein,  was  ist  er,  dem  das  Wesen  fehlt? 
Das  Wesen,  wär'  es,  wenn  es  nicht  erschiene?4' 

Das  Wort  ist  für  die  Forschung  ein  Darstellungsmittel,  und  das  Bild 
ist  ein  solches,  jedes  von  Eigenart,  keines  an  sich  dem  anderen  vorangehend 
oder  übergeordnet. 

Von  allen  exakten  Wissenschaften  aber  bedarf  gerade  die  Erdkunde  der 
Bilder,  die  Erdkunde,  deren  Inhalt  und  Formen  nicht  vom  Orte  löslich  oder 
beweglich  wie  die  der  drei  Naturreiche,  sondern  nach  Sinn  und  Wesen  un- 
trennbar mit  dem  Orte  verbunden  sind.  Räumlicher  Zusammenhang  und 
örtliche  Anordnung  der  Merkmale  bilden  den  wesentlichen  Grundzug  ihres 
Begriffes,  und  dieser  kann  eben  nur  wieder  im  räumlichen  Bilde  ohne  Rest 
und  ohne  Lücke  wiedergegeben  werden.    Das  Wort,  steht  selbstredend  deshalb 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension  2.J 


nicht  erst  an  zweiter  Stelle,  vermag  es  doch  allein  den  kausalen  Zusammen- 
hang zeitlich  und  örtlich  getrennter  Phänomene  zu  unmittelbar  erfafsbarer 
Erkenntnis  zu  bringen.  Bild  und  Wort  stehen  in  der  Erdkunde  als  sich  er- 
gänzende Erkenntnis -Vermittler  ebenbürtig  neben  einander:  Den  rede-  und 
schriftgelehrten  Geographen  müssen  sich  bildgelehrte  Geotechniker  zugesellen. 

Nun  zu  dem  eigentlichen  Thema,  der  Anschaulichkeit  und  der  Ver- 
anschaulichung der  geographischen  Grundformen  am  Globus,  am  sphärischen 
Modell,  am  Geländerelief  und  insbesondere:  an  der  Karte.  Geographische 
Veranschaulichungen,  wie  Ansichten,  Panoramen  und  ähnliches,  sollen  aufser- 
halb  dieser  Betrachtung  stehen.  Einer  an  sich  objektiven  Behandlung  gewifs 
ebenso  zugänglich  wie  im  geographischen  Interesse  bedürftig,  stehen  sie  doch 
den  vorgenannten  als  im  weiteren  Sinne  subjektive  Bilder  in  sich  abgeschlossen 
gegenüber. 

Wir  durcheilen  hier  jene  grofse  Gruppe  von  Darstellungen,  die  jede 
in  ihrer  Art  die  Aufgabe  lösen  soll,  ein  objektives  Bild  geographischer 
Formen  zu  geben.  Es  sollen  die  Formen  in  ihnen  nicht  so  sein,  wie  sie 
in  der  Natur  erscheinen,  sondern  umgekehrt:  sie  sollen  im  Bilde  so  er- 
scheinen, wie  sie  in  der  Natur  sind. 

Wir  haben  da  die  beiden  geographischen  Grundformen  vor  uns,  die 
grofse  Einzelform  der  Erde  als  Weltkörper  und  die  Mannigfaltigkeit  der 
kleinen  Formen  ihres  Reliefs,  also  die  mathematische  Form  der  Erde  und 
die  physischen  Formen  ihrer  Oberfläche.  Die  Gröfse  der  sphärischen  Form 
des  Erdganzen  drückt  sich  in  der  Natur  darin  aus,  dafs  der  Mensch  ihr 
gegenüber  zu  klein  ist,  als  dafs  er  sie,  mit  dem  Blicke  stets  nur  dicht  an 
die  Oberfläche  der  ungeheuren  Wölbungen  geschmiegt,  als  das,  was  sie  ist,  also 
als  Kugel  (oder  gar  als  Sphäroid  —  um  von  dem  Geoid  ganz  zu  schweigen) 
von  irgend  einem  Standpunkte  aus  mit  den  Sinnen  erfassen  könnte.  Er  bat 
sie  seit  den  Zeiten  der  Pythagoreer  und  des  Aristoteles  mit  steigender  Sicher- 
heit als  Kugel  nur  begrifflich  zu  erfassen  vermocht.  In  der  Natur  erscheint 
sie  ihm  heute  wie  damals  immer  nur  noch  als  kreisrunde  Scheibe  —  und  so 
stellten  sie  die  ersten  Kartographen  auch  dar.  Erst  als  mau  den  trüglichen 
Schein  durchschaut  hatte,  gab  man  jene  wunderbare,  in  der  Natur  unsicht- 
bare Thatsache,  dafs  die  Erde  eine  Kugel  ist,  im  Bilde  wieder,  um  sie  als 
das,  was  sie  wirklich  ist,  doch  einmal  vor  sich  zu  sehen;  der  erste  Globus 
entstand,  als  ein  plastisches  Bild  der  sphärischen  Form  des  Erdganzen.  Er 
veranschaulicht  die  Gestalt  der  Erde,  somit  zugleich  den  in  sich  geschlossenen 
sphärischen  Zusammenhang  aller  Teile  seiner  Oberfläche,  d.  h.  die  Verteilung 
und  den  Zusammenhang  von  Wasser  und  Land  auf  ihr.  Jede  gröfsere  Hori- 
«mtalform  ihrer  Gliederung  erscheint  dem  Auge  beim  Umwandern  des  Globus 
in  vollkommener  Formentreue;  und  indem  man  die  Kugel  um  ihre  Axe 
dreht  und  den  Globus  zum  Tellurium  ergänzt,  läfst  sich  der  durch  eine 
Denkarbeit  von  Jahrtausenden  durchschaute  Schein  von  Bewegungsvorgängen, 
der  in  der  Natur  für  das  Auge  der  alte  Schein  geblieben  ist,  auf  die  ihm 
zugrunde  liegenden  wirklichen  Bewegungen  sinnfällig  zurückführen.  Kurz, 
der  Globus  giebt  ein  objektives  reell -plastisches  Bild  der  Erde  als  Welt- 
körper.    Um  den  Vorzug  der  formentreuen  (=  flächen-,  winkel-  und  längen- 


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24 


Karl  Peueker: 


treuen)  Ansieht  der  Glieder  von  Land-  und  Wasserflächen  möglichst  unein- 
geschränkt zu  erhalten,  darf  der  Globus  nicht  zu  grofs  sein.  Denn  jede 
Fonn,  über  welche  sich  das  Auge  des  Beschauers  nicht  mehr  lotrecht  ein- 
zustellen vermag,  bildet  sich  auf  der  Netzhaut  in  externer  Perspektive  ab, 
die  bekanntlich  derartig  verzerrt,  dafs  man  sie  für  geographische  Karten 
überhaupt  niemals  anwendet.  Man  würde  dann  also  dem  Auge  am  Globus 
etwas  zumuten,  wovor  man  es  bei  der  Karte  bewahrt.  So  erreicht  der 
Mafsstab  des  Globus  nach  oben  schnell  eine  Grenze,  während  auch  der 
kleinste  Globus  noch  alle  seine  spezifischen  Vorzüge  behält,  sobald  nur  die 
wesentlichsten  Horizontalformen  der  Erdteile  auf  ihm  noch  zur  Anschauung 
gebracht  werden  konnten. 

Wenn  der  Geograph  von  der  Erde  im  Ganzen  spricht,  so  denkt  er  von 
ihren  beiden  Hauptformen  zumeist  nur  au  die  mathematische,  spricht  er  aber 
von  einem  Lande,  so  hat  er  in  der  Regel  allein  die  physischen  Formen  im 
Auge.  Indessen  steht  doch  die  sphärische  Form  irgend  eines  Teiles  der 
Erde  den  Formen  des  Reliefs  an  geographischer  Bedeutung  an  sich  nicht 
nach,  indem  es  ja  auch  für  ein  Land  eine  Fülle  geographischer  Erscheinungen 
giebt,  die  direkt  auf  der  Thatsache  der  sphärischen  Wölbung  der  Landfläche 
beruhen.  Nun  gewährt  der  Globus  von  der  Wölbung,  sagen  wir  irgend  eines 
der  westeuropäischen  Länder  keine  Anschauung  mehr,  indem  ja  gerade  in  der 
Unauffälligkeit  der  Krümmung  solcher  Teile  der  oben  berührte  Vorzug  ihrer 
formen  treuen  Ansicht  beruht  . 

So  haben  denn  hier  die  sphärischen  Ländermodelle  nach  dem  Muster 
desjenigen  von  C.  Pomba  für  Italien  i.  M.  1  :  1  Million  eine  klaffende  Lücke 
in  der  Reihe  der  geotechnischen  Darstellungen  ausgefüllt.  An  ihm  erhalten 
wir  also  eine  vollkommen  geometrisch  ähnliche  Darstellung  (obj.),  und  doch 
zugleich  auch  —  bei  nur  mäfsiger  Bewegung  des  Augenpunktes  bezw.  des 
Modells  —  einen  deutlichen  Eindruck,  ein  vollkommenes  Bild  derselben  (subj.). 

Pomba  hat  auf  seinem  sphärischen  Modell  auch  die  Gebirge  plastisch 
dargestellt  und  so  einen  lebhaften  Eindruck  von  der  Geringfügigkeit  der 
Höhendimensionen  gegenüber  den  ungeheuren  Weiten  der  sphärischen  Länge 
und  Breite  hervorgerufen.  Auch  diese  geographische  Beziehung  läfst  sich 
auf  einem  Globus  von  rationeller  Gröfse  nicht  veranschaulichen,  kommt  auch 
in  den  zur  Zeit  üblichen  Karten  nicht  zur  Darstellung1);  und  so  haben  wir 
in  den  angegebenen  die  spezifischen  Vorzüge  der  sphärisch-physischen  Länder- 
Modelle  vor  uns. 

Wir  sind  bei  der  Darstellung  der  physischen  Formen,  der  des  Geländes 
angelangt.  Die  Geringfügigkeit  der  Höhe  gegenüber  den  Dimensionen  des  Erd- 
ganzen  ist  wesentlich,  nämlich  in  mathematisch-geographischem  Sinne.  Diese 
Relation  bedurfte  und  bedarf  also  einer  bildlichen  Darstellung.  In  einer 
Reihe  anderer  Richtungen  geographischer  Forschung  und  Betrachtung  aber 
sind  die  Höhenmalse  des  Geländes  mit  einem  Gewicht  in  Anschlag  zu  bringen. 
In  der  Höhe  gemessen  zeigen  sich  schon  von  1000  zu  1000  m  ähnliche 


1  Siehe  K.  Peucker  „Studien  an  Pennesi's  Atlante  Scolaatico"  Mitteilungen  d. 
K.  K.  Geograph.  Gesellschaft  in  Wien  1899.    Hft.  7  u,  8,  S.  289(5)  f. 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  20 


Unterschiede  nach  Klima,  Vegetation,  Tierwelt  und  menschlicher  Besiedlung, 
wie  in  der  Breite,  polwärts  gemessen,  etwa  von  20  zu  20  Graden  d.  i.  in 
Abständen  von  etwa  2000000  m;  so  fallen  die  Höhen  des  Reliefs  der  Erde 
an  klimatisch-,  kultor-  und  biogeographischer  Bedeutung  mit  einem  mehr- 
tausendfachen Gewicht  in  die  Wagschale.  Das  genügt,  um  zu  sagen:  Die 
Höhenwerte  sind  darzustellen  mit  einem  Gewicht  ganz  nach  Malsgabe  höchster 
Anschaulichkeit. 

Hier  ist  es  nun  zunächst  schon  der  Eindruck  in  der  Natur  selbst,  der 
dem  der  wahren  Bedeutung  der  Höhen  entgegenkommt,  Indem  der  Blick 
die  Flächendimensionen  ungeheuer  verkürzt,  überhöht  er  die  Höhen  und  lälst 
er  die  Böschungen  versteilert  erscheinen1).  Die  Ursache  ist  die  relative 
Kleinheit  des  Menschen  auch  gegenüber  den  Höhen  der  Erde. 

Aber  das  Wesentliche  an  der  Form  des  Berges  —  das  Aufragen  in  der 
Vertikalen  —  ist,  im  Gegensatz  zu  der  Form  der  Erde,  doch  schon  in  der  Natur 
mit  den  Sinnen  zu  erfassen.  Also  lag  keine  Nötigung  vor,  sie  erst  im  reell- 
plastischen Bilde  fafslich  zu  machen.  So  kommt  es,  dafs  wir  von  Gelände- 
Modellen  erst  aus  den  jüngstvergangenen  Jahrhunderten  dio  ersten  Nach- 
richten haben.  Heut  bewundern  wir  freilich  bereits  Meisterwerke  dieser 
Technik.  Das  richtige  Gefühl  ist  zum  Durchbruche  gekommen,  dafs  die 
(lewalt  und  der  Reichtum  des  Höhon-  und  Formenwechsels  in  den  Hoch- 
gebirgen unserer  Erde  zur  Verbreitung  und  Vermittlung  ihres  tieferen 
Verständnisses  einer  plastischen  Nachbildung  bedarf.  Die  grofsen  topo- 
graphischen Geländemodelle,  allen  voran  das  Glockner-Relief  Oberlercher's  (in 
Klagenfurt)  i.  M.  1  :  2000  sind  ja  heut  in  der  That  noch  die  einzigen  geo- 
technischen  Veranschaulichungen  physischer  Formen  grofsen  Mafsstabes,  in 
welchen  die  dritte  Dimension  unmittelbar  anschaulich  wird.  Man  sieht  die 
Höhen  im  Aufrifs  vor  sich,  ähnlich  also  wie  in  der  Natur  selbst  (bei  Ober- 
lercher  Meereshöhe  des  Grofsglockner  1,9  m  —  das  Modell  steht  so  hoch, 
das  das  Meeres- Niveau  dem  Fufsboden  ringsum  entspricht),  nur  ungleich  besser 
zum  direkten  Vergleiche  geeignet,  weil  räumlich  soviel  näher  zusammen- 
gerückt. So  sieht  man  auch  alle  Böschungen  von  mehr  als  45°,  die  zumal 
in  den  Felsregionen  der  Alpen  ja  nicht  selten  überwiegen,  wesentlich  besser, 
weil  weniger  stark  verkürzt,  als  auf  der  Karte.  Wenn  so  ein  Modell  nicht 
zu  umfangreich  ist  und  die  Besichtigung  aller  wesentlichen  Teile  von  allen 
Seiten  und  in  verschiedener  Höhenlage  des  Augenpunktes  zuläfst,  so  lassen 
sich  an  ihm  nach  einander  alle  Formen  nach  ihrer  wahren  Gestalt  erfassen 
—  und  das  gewifs  auf  ganz  ungleich  schnellerem,  bequemerem  und  billigerem 
Wege  als  durch  eine  Wanderung  in  der  Natur  selber. 

Es  wäre  lächerlich,  auf  die  Vorzüge  der  unmittelbaren  Betrachtung  der 
Natur  einen  Schatten  werfen  zu  wollen,  aber  es  ist  notwendig,  immer  wieder 
mit  Nachdruck  darauf  hinzuweisen,  dafs  die  geotechnischen  Darstellungen  in 
Bildern  nicht  blofse  Notbehelfe  sind,  sondern  in  demselben  Grade  von  Eigen- 
wert für  die  menschliche  Auffassung,  wie  die  geographische  Darstellung  in 
Worten. 


I)  Vergl.  „Schattenplastik  und  Farbenplastik4'.    S.  13  ff.  Anm 


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26 


Kurl  Pcucker: 


Man  kann  sich  an  solchen  Reliefs  ohne  Seil  und  Steigeisen  die  interessantesten 
Ansichten  von  einer  Reihe  exponiertester  Punkte  verschaffen;  aber —  hierin  liegt 
auch  die  Kehrseite  des  spezifischen  Anschauungswertes  topographischer  Gelände- 
modelle, die  sich  immer  mehr  nach  oben  wendet,  je  gröfser  Mafsstab  und  Um- 
fang der  Modelle  wird.  Sie  zeigen  dann  von  jedem  Standpunkte  aus  immer 
verblüffender  die  Ansicht,  wie  sie  die  Natur  selber  bietet,  mit  ihrer  verzerren- 
den Perspektive,  und  es  wird  ebenso  wie  in  der  Natur  selber  immer  schwerer, 
sich  aus  der  Fülle  der  Gesichte  ein  klares  objektives  Gesamtbild  des  Ganzen 
zusammenzusetzen  —  es  schwindet  die  Übersicht.  Um  für  Entfernung  und 
Höhe  ein  genaues  Zahlcnmafs  zu  erhalten,  bedarf  es  am  übergrofsen  Relief 
schliefslich  wieder  derselben  Umstände,  deren  es  in  der  Natur  bedurft  hatte 
—  eben  um  dieses  objektive  Bild  zu  schaffen.  Das  letzte  Ziel  geotechnischer 
Darstellung,  an  Stelle  der  unendlichen  Mannigfaltigkeit  subjektiver  Ansichten 
der  Landschaft  ein  einheitliches,  objektives  Bild  des  Geländes  zu  setzen,  löst 
sich  rückwärts  immer  mehr  und  mehr  in  seine  Komponenten  auf.  Die  Formen 
erscheinen  wieder  so,  wie  sie  in  der  Natur  erscheinen,  und  nicht  so,  wie  sie, 
von  jedem  Scheine  losgelöst,  sind.  Je  kleiner  andererseits  der  Mafsstab  des 
Modells  wird,  desto  mehr  tritt  nach  und  nach  der  (rein)  mathematisch- 
geographische Gegensatz  zwischen  den  Höhen-  und  Flächendimeusionen  her- 
vor. Es  wäre  widersinnig,  hier  in  einer  Überhöhung  der  Formen  (die  in 
der  Praxis  ja  leider  vielfache  Anwendung  findet)  ein  Auskunftsmittcl  zu 
sehen;  denn  wie  kann  man  kleine  Formen  durch  gröfsere  falsche  Formen  er- 
setzen, nur  damit  überhaupt  etwas  wie  eine  Form  gesehen  werde!  Was 
hätte  es  für  einen  Sinn  gehabt,  wenn  Pomba  sein  Relief  von  Italien  stärker 
gewölbt  hätte,  nur  damit  die  Wölbung  besser  ins  Auge  fallen  solle! 

Es  ist  ein  Fundamentalsatz  der  plastischen  Geotechnik:  Es  sind  stets 
den  natürlichen  geometrisch  ähnliche  Formen  zu  bilden1). 

Für  den  Mafsstab  von  General-  und  geographischen  Karten  reicht  eben 
die  reine  Plastik  nicht  aus.  Ein  spezifischer  Anschauungswert  kommt  ledig- 
lich den  reell-plastischen  Darstellungen  des  Geländes  im  Mafse  topographischer 
Karten  bis  zu  dem  von  Katasteraufnahmen  kleinerer  Gebiete  oder  typischer 
Einzelformen  zu.  —  Bei  kleineren  Maisstäben  mufs  man  die  reelle  Plastik 
bereits  mit  der  optischen  vereinigen. 

An  Geländemodellen  kleinen  Mafsstabes  wirken  die  Höhenunterschiede 
in  seitlicher  oder  schräger  Ansicht  nicht  mehr  so  anschaulich,  wie  es  ihre 
geographische  Bedeutung  fordert.  Was  würde  man  wohl  von  der  Anschaulich- 
keit einer  Karte  halten,  bei  der  die  Unterschiede  der  Breite  nicht  mehr  mit 
fragloser  Deutlichkeit  in  die  Augen  sprängen!  Fällt  aber  der  Blick  recht- 
winklig auf  die  Fläche,  so  schrumpfen  auf  der  Netzhaut  des  Auges  die 
Höhen,  wie  wir  wissen,  zu  Punkten  (in  der  Bildebene)  zusammen,  ganz  wie 
in  der  Natur  beim  Ballonblick  lotrecht  auf  ein  Gebirge  hinab.    Hängt  man  uun 

1)  Sie  sind  gegenüber  den  Kleinformen  der  Natur  in  demselben  Sinne  geometrisch 
ühnlich,  in  welchem  die  Meridiane  und  Parallelen  ein  geometrisch  ähnliches  Bild 
der  gesamten  Erdform  umgrenzen.  Über  dieses  Verhältnis  der  geometrischen  Formen 
geotechnischer  Bilder  zu  den  Naturformen  wird  Näheres  an  anderer  Stelle  gesagt 
werden.    Vergl.  zunächst  „Studien  an  Pennesi's  Atlante"  III,  291,  Anm  y. 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  27 


das  Modell  in  seitlich  oder  schräg  einfallende  Beleuchtung,  so  erhält  man  ein 
ähnliches  Bild,  wie  es  eine  Karte  mit  Geländezeichung  „in  schräger  Be- 
leuchtung" bietet  —  mit  anderen  Worten:  die  dritte  Dimension  wirkt  nicht 
mehr  direkt,  nicht  mehr  durch  ihre  Realität  anschaulich  (wie  es  bei  den 
topographischen  Reliefs  der  Fall  ist),  sondern  wird  nur  noch  optisch  an- 
gedeutet 

So  sind  wir  bei  den  Karten  angelangt 

Hier  denkt  man  nun  unter  den  beiden  Hauptforraen  immer  nur  an  eine 
direkte  Veranschaulichung  der  Geländeformen,  während  man  im  Gegensatz 
hierzu  die  direkte  Anschaulichkeit  der  sphärischen  Form  ausdrücklich  aus  der 
Darstellung  ausschaltet1),  indem  man  ihre  Wölbungen  nach  irgend  einem  von 
Fall  zu  Fall  bestimmten  Projektions -Gesetze  in  die  Ebene  legt.  Dagegen 
hatte  man  von  allem  Anfang  an  das  Bestreben,  die  Berge  nach  ihrer  wesent- 
lichen Dimension,  der  Höhe,  direkt  zur  Anschauung  zu  bringen,  d.  h.  dem 
Auge  in  irgend  einer  Weise  als  kleinere  Aufwölbungen  aus  der  mathe- 
matischen Grundfläche  heraus  vorzustellen. 

Wie  man  nun  die  Gestalt  des  Erdganzen  zuerst  durchaus  dem  Augen- 
schein in  der  Natur  folgend  als  Scheibe  veranschaulichte,  so  zeichnete  man 
anfangs  auch  die  Berge  diesem  Augenscheine  entsprechend  in  ihrer  Protilgestalt 
in  die  Karte  ein.  Solange  es  noch  keine  Messungen  gab  und  man  eben  nur 
andeuten  wollte,  wo  ein  Berg  oder  wo  Gebirgsland  sei  gegenüber  dem  Lande 
mit  unauffälligem  Höhenwechsel,  war  das  auch  eine  durchaus  einwandfreie, 
gewifs  überaus  anschauliche  und  zugleich  durchaus  „natürliche",  und  selbst 
der  naivsten  Auffassung  unmittelbar  verständliche  Darstellung;  denn  man 
hatte  in  diesen  einzelnen,  sich  scharenden  oder  häufenden,  mehr  oder  weniger 
schematischen  Bergprofilen  die  für  den  ganz  allgemeinen  Formencharakter  des 
Gebirges  wesentliche  dritte  Dimension  direkt  im  Aufrifs  vor  sich,  nämlich  in 
die  Ebene  umgeklappt,  ein  Verfahren,  das  ja  auch  in  der  darstellenden 
Geometrie  bei  der  Veranschaulichung  gewisser  räumlicher  Verhältnisse  üblich 
ist  —  die  erste  und  zweite,  oder  horizontale  und  vertikale  Projektionsebene. 

Erst  als  die  Messungen  genauer  wurden,  genügte  das  Aufrifsgelände 
nicht  mehr,  und  jede  zweite  Projektionsebene  drohte  sich  aus  ihrer  vertikalen 
Stellung  heraus  der  ersten  Ebene  entgegen,  womit  an  Stelle  des  Profilschnittes 
ein  immer  gröfser  und  gröfser  werdendes  Stück  von  der  gesamten  Oberfläche 
der  Erhebung  zur  Abbildung  gelangte.  So  durch  eine  Reihe  klinogonaler 
Projektionen  hindurchgegangen,  mufste  die  Darstellung  des  Geländes  schliefslich 
in  die  orthogonale  oder  Grundrifszeichnung  einschnappen  —  womit  die 
erste  Grundbedingung  zu  einer  wissenschaftlich  exakten  Geländezeichnung  er- 
füllt war.  Die  ersten  Vorläufer  echter  Grundrifszeichnung  von  Geländeformen 
reichen  bis  ins  16.  Jahrhundert  zurück,  erst  seit  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts aber  wurde  sie  —  und  zwar  durch  J.  D.  Cassini's  „Carte  geometrique 
de  la  France"  —  zur  Regel,  die  wieder  ein  halbes  Jahrhundert  später 
durch  Johann  Georg  Lehmann  streng  geometrisch  begründet  und  ausgebildet 
wurde  (1794—1799). 


1)  „Studien  an  Pennesi's  Atlante  Scolastico"  a.  a.  0.,  S.  239(5)  f. 


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28 


Karl  Peucker: 


Die  Geländefornien  waren  nun  in  den  Grund  gelegt,  also  der  Theorie 
nach  jede  Höhe  gleichmäfsig  zum  Punkte  zusammengeschrumpft ,  d.  h.  für 
die  unmittelbare  Anschauung  nicht  mehr  vorhanden. 

Wie  hatte  man  da  nun  die  Geländeformen,  soweit  man  sie  eben  airf- 
gefafst  hatte,  zum  Ausdruck  gebracht?    Nun,  das  war  damals  noch  nicht 
als  ein  Problem  empfunden  worden  und  hatte  sich  ganz  von  selbst  gemacht. 
Die  ersten  topographischen  Zeichner  aus  dem  Wiegenalter  der  (offiziellen ) 
Topographie,  das  in  Frankreich  in  die  Zeit  Ludwig's  XIII.,  in  Deutschland 
in  die  des  Grofsen  Kurfürsten  fallt,  machten  es  wie  alle  Kupferstecher,  die 
ja,  wie  vor  ihnen  die  Holzschneider  —  und  beide  gleich  den  Malern  — ,  schon 
seit  den  ältesten  Zeiten  den  dreidimensionalen  Raum  auf  der  zweidimensionalen 
Bildebene  zu  veranschaulichen  hatten:  sie  modellierten  die  körperliche  Forin 
in  die  Bildebene  hinein  durch  eine  Schattierung  in  SchratTen.    Schon  durch 
die  Schattierung  wird  im  Auge  der  Eindruck  des  Plastischen,  des  Räumlichen 
erzeugt  ;  es  ist  die  zeichnerische  Plastik. 

Sie  wird  wesentlich  unterstützt  durch  die  Auflösung  der  natürlichen 
Schattentöne  in  einzelne  Striche.  Ursprünglich  nichts  als  ein  technischer 
Zwang  —  denn  es  liefsen  sich  auf  Holz  und  Kupfer  eben  unmöglich  auf 
andere  Weise  Scbattentöne  von  verschieden  dunkler  Wirkung  erzeugen,  als 
durch  ein  System  mehr  oder  minder  breiter  oder  enger  Linien  in  einfachen 
oder  gekreuzten  Lagen  —  wurde  dieser  Zwang  mit  echt  künstlerischem, 
d.  h.  durchaus  das  gesetzlich  Richtige  unbewufst  treffendem  Gefühle  von 
den  besten  Meistern,  so  unter  anderen  namentlich  auch  von  Albrecht 
Dürer,  zur  Förderung  des  Eindruckes  einer  Plastik  benutzt,  Das  geschah 
in  der  Weise,  dafs  man  die  Schattenstriche  der  Krümmung  der  Formen  in 
einer  Richtung  folgen  liefs,  die  nicht  parallel  der  Bildebene  lag,  nicht 
schon  durch  eine  Umrifslinie  angedeutet  war,  oder  auch,  und  zwar  bei  den 
Boden-  und  Bergformen  der  Landschaften,  in  jener  Richtung,  in  der  die  Natur 
selber  ihre  Formclemente  ausmodelliert,  das  ist  in  der  des  Wasserablaufes. 
Das  Auge  wird  auf  diese  Weise  gezwungen,  den  Linien  zu  folgen,  und  modelliert 
nun,  wahrhaft  naturgemäfs,  die  Form  in  der  geistigen  Auffassung  gleichsam 
selbst  noch  einmal  nach.  Im  Laokoon  stellt  Lessing  einen  Hauptunterschied 
zwischen  Malerei  und  Dichtkunst  dahin  fest,  dafs,  wie  das  Gemälde  nur  ein 
örtliches  Nebeneinander  zeige,  so  das  dichterische  Bild  nur  dann  mit  der 
vollen  Kraft  wirke,  wenn  es  den  Gegenstand  dem  geistigen  Auge  in  seinem 
zeitlichen  Entstehen  vorführe.  Hier  haben  wir  nun  innerhalb  der  Malerei 
selber  ein  kleines  Analogon  zu  dieser  grofsen  Wahrheit. 

So  giebt  es  also  schon  in  den  rein  malerischen  Landschaften  in  Kupfer- 
stich des  16.  und  17.  Jahrhunderts  eine  Böschungsschraffierung  nach 
dem  Gefühl;  und  sie  ging  mit  der  Grabsticheltechnik  unvermerkt  in  die  topo- 
graphische Geländezeichnimg  über  und  kam  damit  allmählich  auch,  durch 
mancherlei  Phasen  hindurch,  in  das  Grundrifs- Gelände  hinein. 

Man  kann  also  nach  obigem  die  Bösehungsschraffen  auch  als  malerische, 
oder  in  ihrer  exakten  (Lehmann'schen  >  Form  als  „optische  Modellier- Linien" 
bezeichnen.  Sie  haben  für  die  reine  Anschauung  denselben  Wert,  den  die 
Horizontalen  in  rein  geometrischem  Sinne  haben.    Diese  Höhenkurven  sind 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  29 


nun  ihrerseits  „geometrische  Modellier-Linien"  d.  h.  sie  geben  die  Grundlagen 
zur  Konstruktion  eines  Modells;  für  die  unmittelbare  Anschauung  wirken  sie 
unnatürlich,  ebenso  wie  jene  zur  geometrischen  Konstruktion  unzulänglich  sind. 

Wo  man  aber  doch  einmal  bei  einfacher  (nicht  gekreuzter)  Linien- 
führung und  in  nicht  geradlinig  verlaufenden  Formen  eine  Schattierung  in 
Parallellinien  zur  Bildebene  findet,  wirkt  sie,  wo  sie  nicht  stofflich  motiviert 
ist,  unnatürlich,  wirkt  sie  als  Manier. 

Die  Unnatürlichkeit  der  Wirkung  einer  Schattierung  in  Horizontalen 
tritt  noch  klarer  ins  Bewufstsein,  wenn  man  auf  den  Anschauungsbegriff  der 
„Stofflichkeit  der  Darstellung'4  eingeht,  wie  es  hier  andeutungsweise  geschehen 
soll.  Der  Kupferstecher  vermag  durch  Gröfse,  Form  und  Lage  des  Bild- 
elements die  stoffliche  Beschaffenheit  des  darzustellenden  Gegenstandes  sinn- 
fällig zu  machen;  und  da  findet  man  denn  eine  horizontale  Linienführung 
ganz  speziell  als  die  Grundlage  für  die  Veranschaulichung  glatter,  insbesondere 
metallischer  Stoffe.  Demnach  bietet  die  Kartographie  —  selten  genug, 
aber  doch  schon  —  einige  Muster,  die  als  recht  natürliche  Darstellungen  des 
stahlblanken  Magnetberges  aus  den  Märchen  der  Scheherezade  anmuten. 

Wem  nun  hiermit  nichts  gegen  ihre  Anwendbarkeit  in  der  Kartographie 
gesagt  erscheint,  der  mufs  sich  bei  solchen  Karten  dann  wenigstens  dessen 
bewuJst  sein,  worauf  er  bei  dieser  Darstellungsart  verzichtet  hat:  auf  die 
Natürlichkeit  des  Bildes  —  also  auf  dasselbe,  auf  das  man  sonst  in  der 
Kartographie  einen  Wert  legt,  der  nur  durch  das  Gewicht  der  Unklarheit, 
in  der  man  sich  über  den  Begriff  dessen,  was  man  hier  als  natürlich  und 
unnatürlich  bezeichnen  darf,  beeinträchtigt  wird. 

Auf  den  schwedischen  Generalstabskarten  kann  man  beide  Arten  neben- 
und  übereinander  sehen,  und  liefse  auf  ihnen  der  Zug  der  Schraffen  nicht  hie 
und  da  einiges  zu  wünschen  übrig,  derart,  dafs  sie  das  in  ihrer  wahren  Natur 
liegende  Bild  nicht  rein  zu  geben  vermögen,  so  würde  man  es  an  diesem 
praktischen  Beispiele  grofsen  Stiles  durch  eigene  Erfahrung  am  schnellsten 
bestätigt  finden  können,  dafs  man  die  Linien  für  die  Veranschaulichung  dt*s 
Geländes  und  die  Linien  für  die  geometrische  Grundlage  desselben  nicht  un- 
gestraft die  einen  für  die  anderen  setzen  dürfe,  dafs  vielmehr  beide  ihrer 
Natur  nach  dazu  bestimmt  sind,  einander  zu  ergänzen,  und  nicht,  einander 
zu  ersetzen. 

Wie  die  Böschungsstriche,  so  ging  auch  die  Schattierung  nach  schräger 
Beleuchtung  aus  der  reinen  Kunst  in  die  Geländezeichnung  über.  Doch 
waren  hier  die  geographischen  Übersichtskarten  den  topographischen  Karten 
lange  vorangegangen.  Die  Bergprofile  des  Aufrifsgeländes  sind  schon  auf  den 
ältesten  Karten  nach  schräger  Beleuchtung,  meist  auf  der  rechten,  oft  auch 
auf  der  linken  Seite,  in  Schraffen  schattiert;  und  diese  uralte  künstlerische 
und  kartographische  Manier  der  Schattierung  nach  schräger  Beleuchtung  ging 
durch  alle  Grade  der  klinogonalen  Darstellungen  hindurch  ganz  von  selbst 
in  die  orthogonale  Geländezeichnuug  über.  Schon  im  Aufrifsgelände  findet 
sich  aber  auch  eine  Schraffierung  nach  senkrechter  Beleuchtung  (sc.  senkrecht 
zur  Bildebene),  und  mit  der  Drehung  der  zweiten  Projektionsebene  kommt 
auch  sie  unvermerkt  in  das  Grundrifsgelände  hinein.    Dies  aber  zuerst  auf 


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Karl  Peucker: 


topographischen  Karten.  Die  an  sich  schon  anschauliche  Wirkung  der 
Böschungsstriche  und  noch  einige  andere  Momente  verschafften  dieser  Dar- 
stellungsart schnell  eine  gröfsere  Verbreitung,  und  dies  insbesondere  in 
Deutschland,  wo  dann  in  den  Fridericianischen  Zeiten  die  Vorläufer  Leh- 
mann's  einzugreifen  begannen,  was  an  anderer  Stelle  eingehender  behandelt 
werden  soll. 

Wie  überall,  so  gab  es  aber  auch  hier  Vermittlungen  zwischen  den 
Gegensätzen.    Zu  diesen  gehört  auch  die  Zeichnung  in  dem  ersten  grofsen 
Kartenwerke  mit  Grundrifsgelände,  in  Cassini's  Karte  von  Frankreich.    Sie  ist 
ebenso  wenig  die  erste  Karte  mit  schräger  Beleuchtung,  was  man  so  oft  zu 
hören  bekommt,  wie  überhaupt  in  ihrer  Zeichnung  des  Geländes  die  Formen- 
plastik das  Wesentliche  ist.    Die  schräge  Beleuchtung  spielt  vielmehr  liier 
zumeist  nur  eine  Nebenrolle,  und  das  Führende  iri  der  Darstellung  sind  die 
Böschungsstriche  als  solche,  die  innerhalb  der  orthogonal  wiedergegebenen  Form 
klinogonal  eingezeichnet  sind  („schräge  Schwungstriche").    Es  scheint,  dafs 
man  hierin  anfangs  mit  einigem  Bewufstsein  einen  letzten  Rest  von  direkter 
(Aufrifs-)Darstellung  der  Höhen  erblickte,  und  somit  —  wie  in  der  unmittel- 
bar vorangegangenen  Phase  der  Cavalier-Perspektive  —  zugleich  ein  eigenes 
Veranschaulichungs- Moment  für  das  Räumliche.    Später  schwand  dieses  Be- 
wufstsein  und  es  blieb  dafür  nur  die  ungeometrische  Unbestimmtheit  der 
Lage  der  Böschungslinien.    Diesem  Zustande  machte  Lehmann  ein  Ende, 
indem  er  die  Böschungsschraffen  als  reelle  Senkrechte  zu  (ideellen)  Höhen- 
linien definierte.    Erst  mit  ihm  also  wird  die  Geländezeichnung  auch  in  den 
Darstellungselementen    orthogonal.     Gleichzeitig   klärte   er  die  bestehenden 
Schattierungsregeln  —  auf  deren  vor  Lehmann  bestehende  Unklarheiten  ein- 
zugehen hier  zu  weit  führen  würde  —  in  der  bekannten  Weise.    J.  G.  Leh- 
mann hat  damit  das  erste  strenge  System  kartographischer  Veranscliaulichung 
oder  „optischer  Plastik"  geschaffen. 

Stets  nur  ein  Gelände  um  sich,  dessen  Plastik  in  grofsverteilten  Böschungs- 
gegensätzen besteht,  konnte  er  leicht  seine  Lösung  der  Aufgabe,  ein  plastisches 
Bild  zu  geben  und  gleichzeitig  die  verkehrsgeographisch  wie  morphologisch 
so  bedeutungsvollen  Böschungsverschiedenheiten  anschaulich  und  mefsbar  dar- 
zustellen, für  die  Lösung  des  Problems  der  Geländezeichnung  überhaupt  an- 
sehen, um  so  mehr,  als  er  eine  direkte  Veranschaulichung  der  Höhen  für 
unmöglich  hielt,  und  sie  durch  die  geometrische  Grundlage  seiner  Böschungs- 
schattierung, mit  dem  Korrektiv  eingeschriebener  Höhenzahlen  (die  natürlich 
weder  zur  geometrischen  Darstellung  noch  zur  optischen  Veranschaulichung, 
sondern,  als  arithmetische  Ausdrücke,  zur  Schrift  gehören)  für  beherrschende 
Gipfel,  in  genügender  Schärfe  mefsbar  gemacht  zu  haben  glaubte. 

Man  ist  in  der  Folge  nur  durch  die  Kombination  der  Ducarla'schen 
Höhenkurven  (deren  Entwicklungsgang  hier  als  bekannt  vorausgesetzt  werden 
darf)  mit  der  Lehmann'schen  Schraffendarstellung  wesentlich  über  J.  G.  Lehmann 
hinausgegangen,  in  allem  anderen  steht  man  heute,  insbesondere  in  militärischen 
Kreisen,  noch  ganz  und  völlig  auf  seinem  Standpunkte,  nur  dafs  hie  und  da 
vielleicht  an  Stelle  der  Ansicht  von  der  Unmöglichkeit:  die  Nichtbeachtung 
des  Wertes  einer  direkten  Höhen-Verauschaulichung  getreten  ist.    Auf  eben- 


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Zur  kartographischen  Darstelluug  clor  dritten  Dimension.  31 

dieselbe  Nichtbeachtung  läuft  auch  die  Lehmann  unterschätzende  Gegen- 
strömung aus,  die,  in  der  Form  einer  Wertüberschätzung  leerer  Isohypsen- 
Darstellungen,  insbesondere  von  akademischer  Seite  immer  wieder  neuen  Zu- 
flufs  erhält 

Es  mufste  zur  Ergänzung  der  an  anderer  Stelle1)  bereits  gegebenen 
kurzen  Charakteristik  der  böschungsplastischen  Schraffenzeichnung  des  Ge- 
ländes schon  hier  ein  wenig  näher  auf  das  eutwicklungsgeschichtliche  Moment 
eingegangen  werden,  damit  es  endlich  einmal  klar  werde,  dafs  man  nicht, 
wie  so  viele  Geographen  es  wollen,  auf  die  Geländezeichnung  als  auf  eine 
blofse  „Zeichensprache"  und  „Symbolik"  herabsehen  dürfe8).  Wollen  diese 
Gelehrten  Recht  behalten,  dann  haben  auch  der  grofse  Albrecht  Dürer  und 
andere  Meister  des  Grabstichels  in  ihren  unvergänglichen  Werken  die  Formen 
nur  sinnbildlich  und  durch  konventionelle  Zeichen  zum  Ausdruck  gebracht. 
Vermag,  wie  mancher  meint,  nur  die  reelle  Plastik  das  Körperliche  sinnfällig 
zu  machen,  dann  ist  nur  ein  Bismarck  in  Marmor  ein  unmittelbar  wirkendes 
Bild,  und  ein  Bismarck  von  Lenbach  bemüht  sich  vergeblich,  durch  seine 
nicht  reellen,  folglich  nur  symbolischen  Zeichen  für  das  Körperliche  einen 
direkt  wirkenden  Eindruck  auf  uns  zu  machen  —  dann  ist  die  ganze  Malerei 
nur  ein  elendes  Surrogat  für  die  Plastik!  —  Wir  wissen  jetzt,  dafs  die 
Schraffe  an  sich  auf  dem  ganzen  Wege  ihrer  Entwicklung  von  ihrer  rein 
künstlerisch -intuitiven  bis  zur  wissenschaftlich  berechneten  Verwendung  ein 
„Bildelement"  gewesen  ist,  das  sowohl  im  Interesse  der  direkten  An- 
schaulichkeit, als  auf  Grund  seiner  geometrischen  Natur  da,  wo  es 
einmal  angewendet  ist,  durchaus  notwendig  so  ist,  wie  es  ist,  und  so  und 
nicht  anders  sein  kann. 

Ein  Sinnbild,  ein  Symbol  auf  der  Karte  sind  z.  B.  die  zwei  gekreuzten 
Hämmer,  mit  denen  man  ein  Bergwerk  bezeichnet;  denn  sie  wecken  deu 
Begriff  nur  durch  eine  Ideenverbindung,  und  sie  sind  zugleich  —  neben 
vielen  anderen  für  andere  Dinge  —  konventionelle  Zeichen,  denn  das  Bergwerk 
könnte  ebensogut  durch  eine  andere  Signatur,  meinetwegen  durch  ein  Gruben- 
licht gekennzeichnet  werden. 

Es  wurde  in  der  „Schattenplastik"  (S.  36  ff.)  nachgewiesen,  dafe  und  in 
welcher  Weise  die  Lehmann'sche  Böschungsplastik  die  Formen  optisch  Über- 
halte5).   Darin  liegt  nun  keineswegs  etwas  Unnatürliches  oder  Unzulässiges; 

1)  Schattenplaetik  und  Farbenplastik  S.  29  ff. 

2)  Vergl.  für  viele:  R.  Lehmann  „Vorlesungen  über  Hilfsmittel  und  Methode 
des  geographischen  Unterrichts"  S.  35  „. . .  es  bleibt  doch  stets  eine  Zeichensprache, 
welche  die  Karte  zu  uns  redet  ....  Für  die  dritte  Dimension,  die  Höhenverhält- 
nisse, hat  sie  nur  eine  Anzahl  mehr  oder  minder  leicht  fafslicher  Symbole.44  - 
Einzig  und  allein  das  Relief  könne  Höhen-  und  Böschungsverhältnisse  unmittel- 
bar ersichtlich  machen,  und  zwar  weil  es  alle  drei  Dimensionen  reell  wiedergiebt, 
während  die  Karte  ja  nur  zwei  Dimensionen  zur  Verfügung  habe.  Als  wenn  es 
irgendwie  auf  die  Realität,  und  nicht  einzig  und  allein  auf  das  ankäme,  was  mau 
zu  sehen  bekommt!    (Vergl.  noch  a.  a.  0  3.  19  u.  S.  147f.) 

3)  Der  Ausdruck  „überhalten44  scheint  nicht  überall  verständlich  zu  sein.  Er 
ist  an  Relief  und  Karte  synonym  mit  „überhöhen44,  und  hängt,  auch  dem  Sinne 
nach,  unmittelbar  mit  dem  Ausdrucke  „Haltung44  zusammen,  den  man  in  der  Kunst- 
sprache für  die  Abstimmung  nach  der  Tiefe  des  Bildes  angewendet  findet. 


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32 


Karl  Peucker: 


im  Gegenteil.  „Unnatürlich"  ist  stets  nur  eine  Überhöhung  bei  der  reellen 
Plastik,  weil  dabei  eine  thatsächliche  Verzerrung  der  natürlichen  Form  statt- 
findet; bei  der  optischen  Plastik  giebt  es  aber  keine  Verzerrung,  weil  ja 
hier  das  Substrat  fehlt,  an  dem  eine  Verzerrung,  d.  i.  eine  Veränderung 
der  geometrischen  Form  hätte  stattfinden  können;  es  ist  folglich  schon 
von  diesem  Gesichtspunkte  aus  nichts  Unnatürliches  an  einer  optisch  über- 
haltenen  Darstellung. 

Auch  beim  Künstler  galt  und  gilt  dieser  Ratz.  Auch  hier  kommt  es 
lediglich  darauf  an,  die  Formen-Unterschiede  und  -Gegensätze  mit  allen  Mitteln 
technischen  Könnens  aus  der  Fläche  heraus-  oder  in  sie  hineinzuarbeiten.  Man 
vergleiche  doch  einmal  gewisse  Porträts  oder  Landschaften  in  Kupferstich  mit 
der  Natur,  ob  da  solche  Tiefen,  solche  Schwärzen  vorkommen  wie  in  dem  Bilde! 
Man  wird  sie  vergeblich  suchen.  Ist  das  nun  unnatürlich?  —  Wer  es  nicht 
direkt  aus  dem  Vergleiche  zwischen  Natur  und  Kunst  inne  wird,  der  kann  es  von 
H.  v.  Helmholtz  lernen,  wie  verschieden  die  Ausdrucksmittel  der  Kunst  gegen- 
über denjenigen  der  Natur  sind,  wie  der  Künstler  nur  eben  innerhalb  des  von 
ihm  selbst  auf  der  Bildebene  zu  schaffenden  Raumes  die  Gegensätze  und  die 
Abtönungen  in  Harmonie  zu  bringen  hat,  um  eine  geschlossene  Wirkung  zu 
erzielen,  und  nicht  die  Aufgabe  vor  sich  sehen  kann,  von  Ton  zu  Ton  ein 
dummes  Ebenso  der  Natur  zu  gestalten.  Nun,  der  Kartograph  soll  kein 
Künstler  sein,  aber  die  Kunst  ist  der  Mutterboden  der  Kartographie,  und 
beider  Ziel  ist  insofern  das  gleiche,  als  sie  beide  das  Räumliche  zum  ein- 
deutig sinnfälligen  Ausdrucke  bringen  wollen.  Nur  der  Weg  ist  verschieden, 
entsprechend  den  getrennten  Zwecken  ihres  Schaffens;  denn  wie  jener  dem 
ästhetischen  Zwecke  des  Kunstwerkes  entsprechend  beim  Schaffen  der  warmen 
Empfindnng  individuell-subjektiver  Intuition  folgt,  so  hat  der  Kartograph  — 
bei  der  Geländezeichnung  nicht  anders  wie  bei  der  Projizierung  der  sphäri- 
schen Erdform  —  den  nüchternen  Erwägungen  und  Berechnungen  an  der 
Hand  objektiv  feststehender  Gesetze  zu  folgen;  denn  er  will  mit  seiner 
Karte  nicht  Empfindungen  wecken,  sondern  belehren  und  die  Erkenntnis 
fördern.  Die  Thatsache,  dafs  auch  der  Gefühlskartograph  mit  seinem  „anch" 
io  sono  pittore"  schon  Gutes  «geschaffen  hat  und  noch  schafft,  ist  nur  ein 
Beweis  von  dem  ihr  selbst  unbewufsten  Spürsinne  künstlerischer  Individualität. 
Die  spricht  sich  aber  nicht  in  allgemein  giltigen  Gesetzen  aus;  die  Karto- 
graphie aber  braucht  Gesetze,  um  bei  jedem,  der  sie  mit  geschickter  Hand 
und  treuem  Wissen  betreiben  will,  des  Erfolges  so  sicher  zu  sein,  wie  der 
Baumeister  der  Festigkeit  seines  Baues,  der  Elektrotechniker  der  Kraft  und 
der  Wirkungen  seiner  Stromzuführung. 

Also  schon  der  Künstler  arbeitet  mit  Uberhaltungen,  ohne  dafs  sein 
Werk  deshalb  als  unnatürlich  gilt.  Noch  wesentlich  weniger  Halt  hat  aber 
der  Vorwurf  der  Unnatttrlichkeit  bei  einer  Höhenüberhaltung  in  der  Karto- 
graphie. Zunächst  murs  man  sich  bei  der  Beurteilung  der  Skalen  daran  erinnern, 
dafs  es  ja  stets  freisteht  —  und  so  schon  nach  J.  G.  Lehmann  selbst  —  statt 
in  der  „schwarzen"  das  Gelände  in  „blasser"  Manier  zu  geben.  Dann  aber  — 
was  heifst  eigentlich  „natürlich"?  Es  wurde  schon  oben  auf  das,  was  bei  den 
Grundlinien  der  Geländezeichnung  natürlich  und  was  unnatürlich  zu  nennen 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  33 


sei,  hingewiesen.  Nnn  soll  aber  einmal  diesem  ganzen  Schlagworte  nach 
Möglichkeit  auf  den  Grund  gegangen  werden.  Wann  mifst  man  dem  Bilde 
einer  natürlichen  Form  die  Eigenschaft  bei ,  „natürlich"  zu  sein  ?  Nun ,  ich 
meine,  z.  B.  die  Felsen  an  Oberlercher's  Relief  darf  man  als  recht  natürlich 
bezeichnen  und  ebenso  wohl  auch  alle  Einzelblicke  in  das  Relief  hinein  infolge 
der  geometrischen  Ähnlichkeit  der  Formen,  wie  infolge  des  luftperspektivisch 
zarten  Kolorits,  das  ihnen  Veiter  mit  richtigem  Gefühl  gegeben  hat.  Wird  aber 
jemals  irgend  einer  in  den  Ausruf  „wie  natürlich!"  ausbrechen,  wenn  er  einen 
Globus  erblickt,  und  mag  dieser  noch  so  richtig  die  Formen  der  Erdteile,  die 
Schiefe  der  Ekliptik,  die  Abplattung  an  den  Polen  darstellen?  Nun  —  und 
es  sind  doch  beides  richtige  Formen,  beide  genau  den  natürlichen  ent- 
sprechend? —  Ich  meine,  man  spricht  gemeinhin  nur  dann  von  einer  „natür- 
lichen"  Wiedergabe  der  Originalform,  wenn  das  Bild  dem  Augenschein  ent- 
spricht, in  dem  die  Form  in  der  Natur  vor  dem  Beschauer  steht.  Gegenüber 
dem  Globus  fällt  es  da  begreiflicherweise  schwer,  der  Bezeichnung  den 
gleichen  Sinn  unterzulegen  wie  dem  Relief  gegenüber! 

Nun,  und  so  auch  gegenüber  der  Karte,  weil  auch  auf  dieser  die  Formen 
nicht  wiedergegeben  werden  können  und  werden  sollen,  wie  sie  in  der  Natur 
dem  Auge  erscheinen,  sondern  rein  objektiv  so,  wie  sie  sind.  Objektiven 
Bildern   gegenüber  hat  die  Bezeichnung  „natürlich"  jedenfalls  nicht  jenen 
vulgären   Sinn   von  „dem   natürlichen  Augenscheine  gemäfs",   sondern  ist 
synonym  mit  „naturgemäfs"  oder  „naturgesetzlich".     Diesen  Begriff  meint 
man,  wenn  man  sich  gegen  die  optische  Überhaltung  wendet;  aber  man  ge- 
braucht ihn  nicht  in  bewufster  Trennung  von  dem  andern.    Denn  gerade  eben 
von  jener  „Natürlichkeit  des  Scheines"  leitet  man  eine  Reihe  von  Urteilen  und 
Forderungen  ab,  die  im  höchsten  Grade  geeignet  sind,  die  bestehende  Verwirrung 
in  den  Begriffen  über  die  Geländezeichnung  blühen,  wachsen  und  gedeihen  zu 
lassen.   So  sieht  man  im  Hinblick  auf  sie  das  Heil  der  Geländezeichnung  in 
der  möglichsten  Annäherung  an  das  Landschaftsbild,  führt  die  senkrechte  Be- 
leuchtung auf  einen  senkrechten  Sonnenstand  zurück,  den  wenigstens  die  Gebirge 
Europas  nicht  geniefsen,  weshalb  es  eben  „unnatürlich"  sei,  nach  senkrechter 
Beleuchtung  zu  schattieren.    In  der  That  ist  es  das  Natürliche,  dafs  bei  jeder 
Karte,  mögen  ihre  Formen  nach  schräger  oder  —  wenn  es  dem  Zwecke  der  Karte 
und  dem  Gelände-Charakter  mehr  angemessen  erscheint  —  nach  senkrechter  Be- 
leuchtung schattiert  sein,  eine  fiktive  Beleuchtungsquelle,  und  zwar 
lediglich  für  die  Bildebene,  angenommen  werde  —  eine  Lichtquelle,  die  jedenfalls 
mit  der  Sonne  Homer's,  auch  wenn  die  Gebirge  Griechenlands  dargestellt  sind, 
nichts  zu  thun  hat;  endlich  erhofft  man  gar,  von  jenem  Irrtume  geleitet,  noch 
ganz  ungeahnte  Förderungen  der  Geländezeichnung  vom  Blick  aus  dem  Luft- 
ballon!   Ist  es  aber  jetzt  noch  so  schwer,  aus  diesem  Meer  des  Irrtums  auf- 
zutauchen, wenn  man  den  Satz  von  der  Eliminierung  alles  natürlichen  Scheines 
der  Formen1)  festhält,  den  die  ganze  Entwicklungsgeschichte  der  Kartographie 
und  die  Logik  ihrer  Begriffsdefinition  mit  eherner  Zunge  predigt? 


1)  Damit  ist  selbstverständlich  nicht  die  Rucksicht  auf  die  natürlichen  Farben 
des  Landschaftebildes)  aus  der  Kartographie  ausgewiesen.   Sie  spielt  nach  wie  vor 
Geograi.hi.che  Zeitschrift.  7.  Jahrgang  UN».  1.  Heft 


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34 


Karl  Peueker: 


An  Naturgesetze  soll  sie  sich  ansehliefsen,  das  ist  richtig.  Diese  „Natür- 
lichkeit" soll  den  Grundzug  ihres  Weseus  bilden.  Ihnen  unterwirft  sich  auch 
die  Böschungsplastik  nicht  nur  durch  die  Lage  der  Schraffen,  wie  oben  ge- 
zeigt wurde,  nein,  auch  mit  ihrer  optischen  Überhaltung.  Sie  folgt  in  diesem 
Falle  einem  Gesetze  der  geographischen  Natur  der  darzustellenden  Formen, 
mit  dem  das  optische  Gesetz  verschmolzen  wurde.  Der  Geländezeichnun^ 
liegen  direkt  nicht  die  rein  physikalisch -optischen  Gesetze,  sondern  eben, 
wie  man  sich  klar  werden  mufs,  optisch-kartographische  Gesetze  zu  Grunde. 

Es  wurde  oben  darauf  hingewiesen,  dafs  bei  der  Veranschaulichuujr 
die  Höhen  mit  dem  Gewichte  ihrer  Verkehrs-  und  physikalisch-geographischen 
Bedeutung  in  Anschlag  zu  bringen  seien,  damit  sie  den  hierin  gleichwertigen 
Breiten  an  Anschaulichkeit  nicht  nachstünden.  Man  sieht  nun,  wie  vortrefflich 
die  optische  Uberhaltung  jener  Forderung  entgegenkommt.  Da  die  Gelände- 
modelle im  Malsstabe  geographischer  Karten  mit  ihrer  reellen  Plastik  dieser 
Aufgabe,  wie  wir  sahen,  nicht  entsprechen,  weil  sonst  durch  eine  thataächliche 
Formen  Verzerrung  gegen  einen  Fundamentalsatz  der  Geotechnik  gefehlt  würde, 
so  müssen  wir  diese  auf  der  Karte  dargebotene  Möglichkeit,  durch  die  optische 
Plastik  im  geographischen  Sinne  mit  höchster  anschaulicher  Kraft  wirken  zu 
können,  als  einen  spezifischen  Vorzug  der  Kartographie  bezeichnen. 

Bei  jener  Herstellung  eines  anschaulichen  Gleichgewichtes  zwischen  Höhe 
und  Breite  handelt  es  sich  nicht  um  Zahl  und  Mafs  im  mathematischen 
Sinne.  Die  Veranschaulichung  will  allein  das  Augenmals  befriedigen.  Zahl 
und  Mafs  in  ganzer  Schärfe  wird  vom  geometrischen  Grundrifs  geliefert,  der 
von  jener  optischen  Plastik  (oder  optischen  Verkörperung)  begrifflich  streng 
zu  scheiden  ist,  wenn  er  auch  bildlich  aufs  engste  mit  ihr  verknüpft  sein 
mufs.  Das  Gradnetz  mit  den  Isohypsen  zusammen  bildet  das  Liniensystem 
der  drei  geographischen  Koordinaten,  den  Rahmen,  in  welchen  die  optische 
Plastik  ihr  Bild  einspannt. 

Wir  sind  hier  auf  den  Punkt  gekommen,  an  dem  es  nötig  wird,  die 
Grundlagen,  auf  denen  sich  die  objektive  Berechtigung  der  Forderung  einer 
anschaulichen  Gleichstellung  der  drei  geographischen  Koordinaten  auf- 
baut, elementar  zu  entwickeln,  damit  sie  nicht  auch  nur  eben  eine  Meinung, 
subjektiv  wie  die  so  vieler  anderer  zu  sein  scheint,  die  heute  das  weite  Feld 
der  Lehre  von  der  Geländezcichnung  mit  allzu  seichter  Pflugschar  beackern. 

Um  die  Auseinandersetzung  zu  vereinfachen,  sei  eine  topographische  Karte 
vorliegend  gedacht,  also  eine  Karte  ohne  merkbare  Verzerrung  von  Breite  und 
Länge1)-  Wir  sehen  in  der  Karte  die  beiden  Dimensionen  der  mathemati- 
schen Erdoberfläche  innerhalb  des  geographischen  Zusammenhanges  in  voll- 
kommener Treue  vor  uns  liegen.     Welche  Eigenschaften  sind  es  nun,  die 

ihre  hochbedeutsame  Rolle  und  hat  Mich  im  Wesentlichen  eben  nur  dem  Haupt- 
zwecke der  Herausarbeitung  der  objektiven  Form  unterzuordnen. 

1)  Setze  ich  an  deren  Stelle  eine  geographische  Karte,  so  erfährt  der  Begriff 
der  Treue  der  zweidimensionalen  Darstellung  die  für  die  bezügliche  Projektion  der 
Karte  geltenden  Einschränkungen ,  die  für  Anschauung  und  Melsbarkeit  durch  das 
Gradnetz,  Tabellen  der  Verzerrungs -  Werte,  Entataltungsbilder  etc.  reguliert  wird. 
(Vergl.  „Studien  an  Pennesi'B  Atlante  Scolastico11  II  u.  DI.) 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  35 


diese  Treue  ausmachen?  Die  eine  besteht  darin,  dafs  ich  beliebige  Strecken 
nach  ihrer  gegenseitigen  ungefähren  Länge  unmittelbar  mit  dem  Auge  ab- 
schätzen kann,  d.  h.  ich  kann  mit  einem  Blicke,  nach  dem  blofsen  Augenmafs 
angeben,  ob  diese  oder  jene  Strecke  einer  anderen  etwa  gleich,  oder  merklich 
länger  oder  kürzer  ist  als  sie.  Zweitens  kann  ich  dieselben  Strecken  durch 
Anlegen  eines  Mafsstabes  genau  messen,  d.  h.  in  absoluten  Maßeinheiten  be- 
ziffern. Von  jeder  der  beiden  Dimensionen  der  mathematischen  Grundfläche 
haben  wir  also  ein  subjektives  Augenmafs  und  ein  objektives  Zahlen- 
mafs,  oder,  wie  man  auch  sagen  kann:  die  Treue  der  Darstellung  liegt 
darin,  dafs  beide  Dimensionen  innerhalb  des  geographischen  Zusammenhanges 
anschaulich  und  zugleich  mefsbar  sind. 

Nun  ist  aber  der  Gegenstand  der  erdkundlichen  Formenbetrachtung  nicht 
Breite  und  Länge,  nicht  die  mathematische  Oberfläche  der  Erde  allein,  er 
ist  in  wesentlich  weiterem  und  tieferem  Sinne  vielmehr  die  Mannigfaltigkeit 
der  körperlichen,  der  räumlichen  Formen,  die  die  physische  Erdoberfläche 
bilden;  und  so  tritt  die  Höhe,  als  die  dritte  geographische  Dimension,  hinzu. 
An  einer  Raumform  sind  schon  vom  rein  geometrischen  Standpunkte  aus 
alle  drei  Dimensionen  gleichwertig,  in  den  räumlichen  Formen  des  Geländes 
aber  die  Höhe  gegenüber  den  beiden  anderen  in  gewissem  Sinne  geradezu 
überwertig,  also  gewifs  —  was  wir  zunächst  nur  brauchen  —  jenen  an  geo- 
graphischer Bedeutung  nicht  nachstehend.  Die  Kartographie  endlich  hat  das 
in  geographischen  Begriffen  Festgestellte  im  objektiven  Bilde  darzustellen  — 
es  mufs  also  auch  die  kartographische  Darstellung  der  dritten  Dimension 
gleichwertig  derjenigen  der  beiden  anderen  sein,  d.  h.  die  Höhe  mufs 
mit  derselben  Treue  wie  jene  zum  Ausdrucke  gebracht  werden, 
auch  sie  mufs  im  oben  definierten  Sinne:  anschaulich  und  mefs- 
bar sein. 

Eine  derartige  Treue  der  Darstellung  vermag  ich  mir  nun  von  den 
Höhendimensionen  des  Geländes  zunächst  nur  immer  an  einem  einzelnen, 
senkrecht  zur  Grundlinie  geführten,  Profilschnitte  vor  Augen  zu  legen;  die 
Gesamtheit  der  Höhen  des  Geländes  würde  ich  also  erst  in  einer  unendlichen 
Anzahl  etwa  paralleler  (oder  sonst  irgendwie  sich  nicht  kreuzender,  die  Ge- 
liindefläche  lückenlos  darstellender)  Einzelprofile  vor  mir  sehen,  die  um- 
geklappt und  horizontal  neben  einander  gelegt  sind.  Dann  aber  sehe  ich  wohl 
die  Höhen  anschaulich  und  mefsbar  vor  mir  —  aber  kein  Gelände  mehr;  es 
fehlt  der  geographische  Zusammenhang,  die  Grundlage  der  Treue.  Nur  wenn 
es  gelänge,  die  Koordinaten  der  dritten  Dimension  zugleich  anschaulich  und 
mefsbar  als  Profile  und  zugleich  im  geographischen  Zusammenhange,  beides 
als  ein  einheitliches  Bild  vor  mir  zu  sehen,  wäre  die  Aufgabe  gelöst. 

Nun,  die  Lösung  liegt  bereits  vor;  es  ist  nur  nötig,  sie  dieser  neuen 
Formulierung  der  Aufgabe  theoretisch  anzupassen.  Das  Gelände  wird  mittels 
gleichabständiger  Horizontalen  in  den  Grund  gelegt.  Werden  dann  auf  der 
höhenlosen  Ebene  dieser  geometrischen  Zeichnung  die  Farben  aus  einer 
der    physiologisch -optischen    Farbenskalen1)    eingetragen   (aufgedruckt),  so 

1)  Siehe  „Schattenplastik  und  Farbenplastik"  8.  80—112. 

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Karl  Peucker: 


werden  durch  die  nun  von  der  Bildebene  ausgehenden  farbigen  Lichtstrahlen 
die  Profilebenen  optisch  bestimmt,  und  das  bezügliche  Profil  selbst  wird 
auf  jeder  dieser  unendlich  vielen  auf  der  Bildebene  senkrechten  optischen 
Ebenen  durch  die  den  Höhenwerten  proportionalen  Reize,  die  beim  Blick 
auf  die  Bildebene  von  der  Netzhaut  des  Auges  aus  empfunden  werden, 
optisch   abgebildet.     Das    Empfinden    eines    Reizes   auf  der  Netzhaut  ist 
nur  der  physiologische  Ausdruck  für:  Sehen.     Ich  sehe  also  thats&chlich 
alle  Profile  und  gleichzeitig  die  Bildebene,  aus  welcher  sie  sich  erheben 
(wobei  auch  hier  die  „optische  (Iberhaltung"  ihre  bedeutsame  Rolle  spielt). 
Die  Geländefläche  ist  also  nach  ihren  Höhenverhältnissen  in  demselben  Sinne 
anschaulich,   wie   die  Breite  oder  die  Länge  der  Grundfläche,  nämlich 
innerhalb  des  geographischen  Zusammenhanges  und  ein  relatives  Augenmafs 
gewährend;  sie  ist  aber  auch  mefsbar,  wie  eine  von  jenen,  nämlich  durch 
das  Liniensystem  der  Horizontalen ,  das  für  die  Höhe  die  absoluten  Mafs- 
einheiten  in  demselben  Sinne  markiert,  wie  es  für  Länge  und  Breite  durch 
ein  Gradnetz  von  entsprechender  Engmaschigkeit  auf  der  geographischen  und 
durch  Anlegen  des  Mafsstabes  auf  der  topographischen  Karte  geschieht 

Das  geometrisch-optische  ( farbenplastische,  farbenperspektivische)  Gelände- 
bild bietet  die  dritte  Dimension  in  derselben  Anschaulichkeit  dar,  wie  die 
alten  Karten  mit  den  umgeklappten  Profilen,  vereinigt  deren  Anschaulichkeit 
aber  mit  der  gröfsten  Vollständigkeit  und  geometrischen  Genauigkeit  Indes 
jene  parallelperspektivischen  „Maulwurfshügel"  haben  doch  noch  einen  Vor- 
zug —  den  Schatten.  Was  ist  nun  ein  farbiges  Bild  ohne  Schatten?  — 
Doch  wir  wollen  nicht  überreden,  sondern  überzeugen,  nicht  an  das  künst- 
lerische Gefühl  appellieren,  sondern  uns  auf  objektive  Gesetze  stützen. 

Das  Gesetz,  das  aller  Intuition  in  diesem  Falle  immanent  ist,  möge 
für  die  objektive  Darstellung  hier  kurz  als  das  der  unmittelbaren  Ver- 
bildlichung bezeichnet  werden. 

So  lernten  wir  bereits  die  Schraffen- Schatten  als  direkte  Bilder  von 
Böschungselementen  kennen,  und  in  den  Ausführungen  über  Farbenplastik 
erkannten  wir  Farbentöne  als  direkte  Bilder  von  Höhenabständen.  Die 
Schatten  sind  im  optisch-kartographischen  Sinne  direkte  Bilder 
der  Böschungen,  die  Farben  in  demselben  Sinne  unmittelbare 
Bilder  der  Höhen. 

Nun  setzt  sich  die  Geländefläche  ja  keinesfalls  aus  Höhenelementen  zu- 
sammen, sondern  aus  anschaulich  kleinsten  Teilen,  die  sich  als  Flächen 
einheitlicher  Böschung  definieren  lassen,  also  aus  Böschungen.  Diese  sind  nun 
auf  einer  sorgfältig  aufgenommenen  Isohypsenkarte  gröfsten  Mafsstabes  im 
geometrischen  Sinne  bereits  bestimmt,  aber  damit  eben  nur  konstruierbar, 
mefsbar  geworden,  eindeutig  und  anschaulich  noch  nicht.  Ich  sehe  sie  nicht, 
diese  kleinsten  Teile  der  krummen  Geländefläche,  wie  ich  die  kleinsten  Teile 
der  zweidimensionalen  Grundfläche  sehe;  ich  sehe  sie  nicht  unmittelbar,  es 
fehlt  ihnen  also  die  kartographische  Anschaulichkeit.  Auf  der  zweidimensionalen 
mathematischen  Grundebene  habe  ich  das  Augenmafs  für  die  Länge,  ich  habe 
es  für  die  Breite,  ich  habe  es  aber  aufserdem  (worauf  bisher  mit  Absicht 
noch  nic  ht  hingewiesen  wurde)  auch  für  jede  der  unendlich  vielen  Zwischen- 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  37 


richtungen  (  Neigungen  in  der  Horizontalen)  und  somit  aueh  für  die  Flächen- 
teile der  idealen  sphärischen  Form  der  Erde;  auf  der  Geländekarte  in  reiner 
Farbenplastik  (Höhenschichten-Karte)  habe  ich  nur  die  Anschaulichkeit  der 
Höben  an  und  für  sich,  jene  Anschaulichkeit  der  Geländeflächen- Elementen, 
die  der  der  horizontal  geneigten  Abstände  äquivalent  wäre,  d.  i.  die  direkte 
Anschaulichkeit  der  im  Räume  geneigten  Flächenteile,  fehlt  aber  ganz  und 
gar.  Sie  liegt  erst  vor,  sobald  diese  Neigungen  nach  ihrem  absoluten  oder 
relativen  Winkelwerte  (d.  i.  nach  senkrecht  oder  schräg  einfallendem  Lichte) 
schattiert  sind.   Erst  dann  ist  die  krumme  Geländefläche  selbst  veranschaulicht. 

Wer  die  Notwendigkeit  dieser  Veranschaulichungen  für  fertige  geo- 
graphische Geländekarten  nach  Farben  und  Schatten  nicht  anerkennt,  stellt 
sich  auf  den  Standpunkt,  den  einst  Strabo  einnahm  gegenüber  den  Meridianen, 
deren  Verengerung  gegen  die  Pole  zu  veranschaulichen  er  für  überflüssig  er- 
achtete, indem  ja  die  Einbildungskraft  leicht  zu  ersetzen  vermöge,  was  die 
Karte  nicht  direkt  biete. 

Für  die  Lehinann'sche  Schattierung  (die  Böschungsplastik)  gelten  also 
nur  die  Gesetze  des  Augenmafses,  d.  h.  es  kommt  nur  darauf  an,  dafs 
man  wesentliche  Unterschiede  in  den  Neigungswinkeln  im  Auge  als 
wesentliche  Unterschiede  in  den  Schatten  empfinde.  Ein  Zahlenmafs  (Mefs- 
harkeit)  mit  der  dem  Zwecke  der  Karte  angepaßten  —  nicht  aber  ab- 
soluten! —  Genauigkeit  für  die  Böschungen  erhielt  man  durch  das  Anlegen 
des  Schatten-Mafsstabes  —  der  sonderbarer  Weise  bei  den  (topographischen) 
Böschungskarten  mit  derselben  Konsequenz  fehlte,  mit  welcher  er  in  richtigem 
fiefühl  von  je  allen  Höhenschichtenkarten  beigegeben  ward.  Heut  entnimmt 
man  sinngemäfs  nur  den  Höhenkurven  ein  Zahlenmafs  der  Böschungen. 

Man  bedarf  also  der  Überhaltung,  wie  sie  die  Skalen  des  Lehmannschen 
Systems  —  gleich  den  farbenplastischen  —  im  optischen  Sinne  herbeiführen, 
und  man  bedarf  der  Augenfälligkeit  der  Unterscheidungen  für  die  Grade 
derselben  im  Interesse  der  Gleichstellung  der  Anschaulichkeit  aller  drei  geo- 
graphischen Dimensionen.  Die  Gesetze  dieser  kartographischen  Anschaulichkeit 
sind  ans  Zweck  und  Wesen  der  geotechnischen  Wissenschaft,  selbst  abstra- 
hiert, nicht  aus  Gesetzen,  die  als  fremde  von  aufsen  herein  getragen  wären, 
wie  es  die  rein  physikalischen  (physikalische  Helligkeitsskala  —  reine 
Regenbogenfarben),  oder  wie  es  „pädagogische  Forderungen'4  sind,  mit  denen 
sich  ebenso  wenig  eine  Karte  konstruieren  läfst,  wie  etwa  ein  Schulhaus 
aufbauen. 

Da  die  Lehmann'sche  Bosch ungsplastik  eine  unmittelbare  Anschauung 
der  Höhen  Verhältnisse  wohl  gewährt,  eine  Messung  derselben  aber  nicht  mit 
derselben  Schärfe  zuläfst,  wie  es  die  beiden  Dimensionen  der  Grundebene 
gestatten,  was  aus  der  Unbestimmtheit  des  überhöhungs- Quotienten  der 
Sehraffenskalen  hervorgeht1),  so  sind  die  schichtlinienlosen  Schraffenkarten 
selbst  in  geometrischem  Sinne  unvollständig;  hier  fehlt  für  die  dritte  Dimension 
sowohl  Anschaulichkeit  als  Mefsbarkcit  (so  auf  der  deutschen  Generalstabs- 
karte und  der  Dufourkarte  der  Schweiz  1  :  100OO0).    Die  Einzeichnung  der 


1)  Nach  „Schattenplastik",  S.  36  und  3*. 


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38 


Karl  Peueker: 


Horizontalen  wird  im  Sinne  exakter  kartographischer  Darstellung  mit  zu- 
nehmendem Marsstabe  in  demselben  Grade  immer  bedingungslos  notwendiger, 
wie  es  die  Einzeiehnung  des  Gradnetzes  mit  abnehmenden  Mafsstabe  wird. 
Die  Höhenkurven  haben  auf  topographischen  Karten  denselben 
Wert,  den  das  Gradnetz  auf  geographischen  Karten  hat. 

Sind  sie  aber  in  der  Zeichnung  belassen,  wie  z.  B.  in  der  österreichi- 
schen Spezialkarte  1  :  7A000,  so  ist  zwar  die  Höhe  mefsbar  geworden,  aber  sie 
liegt  nicht  anschaulich  vor,  wie  Länge  und  Breite  anschaulich  daliegen.  Ihre 
Unsichtharkeit  wirkt  um  so  störender,  je  mehr  die  Doppeldeutigkeit  der  Aus- 
lage (Exposition)  hervortritt,  die  der  Böschungsplastik  mit  und  ohne  Schicht- 
linien bei  gestreckten  Formen  des  Geländes  anhaftet1),  je  weniger  ferner  das 
Gelände  Böschungsgegensätze  aufweist,  die  sich  nach  ausgedehnten  Flächen 
gruppieren,  und  je  weniger  es  demgemäfs  durch  die  blofse  Böscbungszeiehnung 
zu  plastischer  Wirkung  gebracht  werden  kann2),  je  wesentlicher  endlich  die 
Höhenunterschiede  des  Gebietes  in  klimatischer,  bio-  und  kulturgeographischer 
Beziehung  sind. 

Schon  im  18.  Jahrhundert  findet  man  auf  manchen  topographischen 
Karten  wenigstens  die  Thalsohlen  in  höhenplastischem  Sinne  behandelt,  indem 
sie  sich  durch  ein  mildes  Grün  (in  Handkolorit)  von  den  Höhenzügen  unter- 
scheiden. Es  ist  damit  auf  Vorläufer  Sydow's  hingewiesen,  der  das  Tiefland- 
Grün  dann  auf  geographische  Karten  übertrug  und  seine  Anwendung  wissen- 
schaftlich —  wenigstens  von  einer  Seite  —  motivierte.  Es  sei  bei  dieser 
Gelegenheit  bemerkt,  dafs  auch  in  der  orthogonalen  Darstellung  des  Geländes, 
in  dem  Lehmannisch  exakten  Zuge  der  Schraffen  und  in  der  steigenden  — 
ja  erst  in  neuester  Zeit,  und  nicht  immer  an  richtiger  Stelle,  zurückgehenden  ■ — 
Verwendung  der  senkrechten  neben  der  uralten  schrägen  Beleuchtung  die  topo- 
graphische Darstellung  für  die  geographische  Muster  gewesen  ist.  Nur  in 
der  Praxis  der  direkten  Höhen- Veranschaulichung  in  Farbenplastik  ist  neuer- 
dings die  geographische  (  bersichtskarte  den  topographischen  Detailkarten 
vorangegangen. 

Die  Formenplastik  (schräge  Beleuchtung)  tritt  als  anschauliche  Darstellung 
der  krummen  Oberfläche  mit  Recht  an  die  Stelle  der  Böschungsplastik  ( senkrechte 
Beleuchtung),  sobald  diese  eben  der  Natur  des  Geländes  nach  eine  Plastik 
(in  Böschungen)  nicht  mehr  darbietet,  und  sobald  der  Zweck  der  Karte  die  un- 
mittelbare Anschaulichkeit  der  Böschungsgrade  nicht  mehr  fordert.  Das  ist 
besonders  im  Felsengebiete  der  Fall  mit  seiner  mit  der  Steilheit  verbundenen 
geringen  Verschiedenheit  der  Neigungswinkel  (in  der  Vertikalen)  und  dem 
schnellen  Krümmungswechsel  in  der  Horizontalen,  weshalb  hier  von  je  eine  eigene 
Darstellungsart  gewählt  worden  ist.  Sie  hat  sich  allmählich  zu  einer  künst- 
lerischen Charakteristik  der  Formen  ausgebildet,  in  die  bereits  in  den  (»Oer  Jahren 
ein  wissenschaftlicher  Zug  durch  die  Formencharakterisierung  der  Gesteinsarten 
gekommen  ist  ( J.  M.  Ziegler).  Im  Anschlufs  an  das  photogrammetrische  Aufnahme- 
verfahren beginnt  sie  heut  ganz  in  exakte  Bahnen  einzulenken  I  Finsterwalder). 

1)  Nach  „.Schattenplastik  und  Farhenplatitik"  S.  40 f. 

2)  A.  a.  0.  8.  42  ff. 


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Zur  kartographischen  Darstelluug  der  dritten  Dirnennion.  30 


Die  notwendige  <  J  rund  läge  voller  Exaktheit  ist  aber  gerade  hier,  wo  mit  dem 
schnellsten  Wechsel  horizontaler  Krümmungsrichtungen  die  stärksten  Höhen - 
gc  gensatze  auf  enger  Grundfläche  zusammentreffen,  die  Anwendung  der  farbigen 
Höhenplastik1)!  Sie  hat  hier  denselben  führenden  Wert  für  die  Veranschau- 
lichung, wie  für  niedrige,  flache  Geländeformen  (mit  konvexen  Gehängen)  die 
Böschungsplastik. 

Die  Formenplastik  (Schattierung  nach  schräger  Beleuchtung)  ist 
keine  objektive  Darstellung  (wie  die  Lehniann'sche  es  ist),  da  sie 
gleiche  Formenelemente  nicht  mit  gleichen  Bildelementen  zum 
Ausdrucke  bringt. 

Aber  auf  einer  „dreidimensionalen'1  Karte  wird  sie,  als  die  eigentlich 
malerische  Plastik,  schöne  Wirkungen  erzielen,  ohne  durch  ihre  Subjektivität 
der  Eindeutigkeit  des  Bildes  zu  schaden.  Ja,  wenn  sie  unter  Benutzung 
von  Wiechel  gegebener  Grundlagen  einmal  dazu  verwendet  werden  wird,  die 
Sonnen-  und  Schattenseite  zu  veranschaulichen,  dann  wird  damit  ein  wert- 
voller Ersatz  für  die  Nichtveranschaulichung  der  Böschungsunterschiede  ge- 
wonnen sein,  der  gewifs  für  manche  Zwecke  und  besonders  im  Hochgebirge 
diesen  —  sonst  gewifs  nicht  zu  unterschätzenden  —  Mangel  aufwiegen 
dürfte. 

Es  ist  wohl  zu  beachten,  dafs  es  sich  auch  hierbei  nicht  direkt  um  die 
Nachahmung  einer  Naturansicht  handelt,  sondern  um  die  objektiv-naturgemäfse 
Veranschaulichung  geographisch  bedeutungsvoller  Gegensätze. 

Es  ist  nun  noch  kurz  das  Hauptresultat  der  Untersuchung,  soweit  sie 
sich  auf  die  Karten  bezieht,  zusammenzufassen,  wobei  zugleich  der  Versuch 
einer  schärferen  Formulierung  gemacht  wird. 

Die  allgemeine  Form  des  Geländes  wird  durch  ein  rechtwinkliges  drei- 
axiges  Koordinatensystem  bestimmt,  in  dem 

x  die  Breite,  y  die  Länge,  z  die  Höhe 

sei,  wo  die  Buchstaben  nicht  bestimmte  Werte,  sondern  nur  die  bezüglichen 
Dimensionen  im  allgemeinen  bedeuten. 

Die  Aufgabe  ist,  diese  objektiv,  d.  i.  so,  wie  sie  in  Zahlen  durch  die 
Erdmessung  und  Landesvermessung  gegeben  sind,  mefsbar  (oder  geometrisch^ 
und  anschaulich  (oder  optisch)  im  Bilde  darzustellen,  i  wie  y  werden  in 
dir  Bildebene  gelegt,  sie  erscheinen  demnach  mit  ihrer  geometrischen  Dar- 
stellung von  selbst  zugleich  auch  in  optischer,  z  geometrisch  dargestellt  (durch 
Höhenkurven),  verliert,  rechtwinklig  in  die  Bildebene  projiziert,  dadurch  seine 
Dimensionalität,  wird  optisch  =  0.  Es  mufs  also  optisch  selbständig  dar- 
gestellt werden,  damit  es  der  Darstellung  der  beiden  anderen  Raumaxen  gleich- 
gestellt erscheine.  In  einer  Isohypsenkarte  mit  Höhenplastik  in  Farben  ist  im 
kartographischen,  d.  h.  geometrisch -optischen  Sinne  eine  Gleichstellung  der 
drei  geographischen  Koordinaten  erreicht. 

Das  genügt  indes  noch  nicht.    Mit  der  Darstellung  von  x  und  y  er- 


O  Vergl.  „ikhattenplaatik  uud  Farbenplastik"  S.  110  ...  Hilf 


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40 


Karl  Peuckpr: 


giebt  sich  von  selbst  auch  die  der  Fläche  a  —  f(x,y),  d.  h.  erscheint  die 
raathematische  Erdoberfläche  oder  Niveaufläche  zugleich  mefsbar  (etwa  durch 
Planimeter)  und  anschaulich  (für  das  Augenmaß)  dargestellt.  Der  Ausdruck 
für  eine  zweidimensionale  Durstellung  ohne  Gelände  ist  also: 

o  =  f(*,y)   .   .   .  (1) 

Habe  ich  nun  unter  Zuhülfenahme  der  Farbenplastik  alle  drei  Axen 
veranschaulicht,  so  ist  keineswegs  auch  schon  die  Funktion  f  («,  y,  z)  im 
optischen  Sinne  erfüllt  —  wenn  f  (r,  y,  z)  der  allgemeine  Ausdruck  für  die 
der  Niveaufläche  anschaulich  gleichgestellte  Geländefläche  ist  — ;  denn  es 
fehlt  noch  die  direkte  Anschaulichkeit  der  Übergangsflächen  zwischen  z  einer- 
seits und  x,  tj  andrerseits,  da  deren  darstellbar  kleinste  Teile  oder  Elemente 
nicht  Flächen  gleicher  Höhe,  sondern  solche  gleicher  Neigung,  kurz,  krumme 
und  schräge  Flächen  sind.  Der  optische  Ausdruck  für  Böschungen  sind 
Schatten.  Wird  also  eine  farbenplastische  Darstellung  mit  einer  schatten- 
plastischen vereinigt,  so  ist  die  (allgemeine )  Lösung  der  Aufgabe,  das  Gelände 
objektiv  abzubilden,  gelungen,  die  Funktion  f(x,  //,  z)  bildlich  dargestellt. 
f(x,  //,  z)  wäre  dann  der  Ausdruck  für  eine  abgeschlossene  dreidimensionale 
Geländezeichnung. 

Haben  wir  nun  eine  Isohypsenkarte  vor  uns,  wie  es  die  Mefstischblätter 
der  Karte  des  Deutschen  Reiches  i.  IL  1:25  000,  die  neuen  Blätter  der 
Topographischen  Übersichtskarte  i.  1  :  200000  sind,  oder  die  Blätter  des 
Siegfried- Atlas  der  Schweiz,  so  ist  nach  obigem  die  Formel  für  ihre  Dar- 
stellung: 

+  £  (2) 

d.  h.  auf  dieser  zweidimensionalen  Grandlage  f  (.r,  ij)  ist  die  dritte  Dimen- 
sion z  für  die  (direkte)  Anschauung  =0;  sie  läfst  sich  aber  aus  der  Karte 

ihrem  geometrischen  Werte  nach  entnehmen,  was  beides  durch  die  Form  ~ 
angedeutet  ist. 

Es  ist  wohl  selbstverständlich,  dafs  hiermit  solchen  grundlegenden 
Karton  nicht  die  Existenzberechtigung  abgesprochen  wird;  man  soll  sich  aber 
dessen  bewufst  sein,  dafs  man  in  ihnen  keine  abgeschlossenen  Darstellungen 
besitzt,  dafs  sie  von  der  geographischen  Erdoberfläche  nur  ein  geometrisches, 
kein  geographisches  Bild  geben,  dafs  es  nur  Geländerisse,  aber  keine  Gelände- 
karten sind,  nur  Grundmauern,  aber  kein  Haus. 

Unter  diesen  Darstellungsformen  des  Geländes  zwischen  /  («,  y)  und 
f(x,  y,  z)  herrschen  vor  die  „zweidimensionalen  Geländekarten'4  nach  Art 
der  deutschen  Generalstabskarte  (1  :  100000),  der  Generalkarte  von  Mittel- 
europa des  K.  u.  K.  MU.  Geogr.  Instituts  in  Wien  (1  :  200000),  der  Karten 
der  grofsen  Handatlanten  und  der  anderen  Karten  mit  schraffiertem  oder  ab- 
getöntem Gelände  in  senkrechter  oder  schräger  Beleuchtung.  Die  Form  der 
Darstellung  ist  hier 

ü=~ffa    H)  (3) 


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Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  41 


da  wohl  die  Beziehungen  zwischen  den  3  Koordinaten  alle  optisch  her- 
gestellt sind,  die  3.  Koordinate,  die  Höhe  z  selbst  aber  durchaus  unbestimmt 
geblieben  ist. 

Treten  Höhenkurven  hinzu,  wie  in  der  Spezialkarte  der  Öst.-Ung. 
Monarchie  (1  :  75000)  und  in  den  neueren  Schweizer  Karten  mit  Formen- 
plastik, so  ist  die  Darstellung  von  der  Form 

f-r(«,ir,5)  (4) 

d.  h.  die  Höhe  z  ist  wohl  mefsbar,  aber  nicht  gleich  x  und  y  anschaulich. 

Bei  (3)  und  (4)  fehlt  das  optische  Substrat  der  Körperlichkeit  der 
Formen. 

Ist  dagegen  die  Höhe  z  allein  als  solche  geometrisch  und  optisch  dar- 
gestellt, so  ändert  sich  die  Formel  (1)  in 

9  —  f  (*,*)  +  «  (5) 

Sie  gilt  also  für  reine  (farbenplastische)  Höhenschichtenkarten1),  in  denen 
wohl  alle  drei  Dimensionen  kartographisch  gegeben  sind,  aber  keine  der 
Beziehung  zwischen  i  und  y  gleichstehende  Relation  zwischen  z  und  // 
hergestellt  ist. 

Als  die  Formel  für  die  vollkommene  und  abgeschlossene  dreidimensionale 
Gelände  Zeichnung  sei  hier  zum  Schlüsse  noch  einmal  angefügt: 

g  m  /'(*,//,  jp)  (6) 

Wien,  im  Juni  1899. 


1)  Die  Sydow-Hauslab'schen  Schichtenkarten  (so  Ravenstein 's  Karte  der  Ost- 
alpen, der  Schweiz  n.  a.)  erfüllen  diese  Formel  (5)  nur  näherungsweise;  sie  gilt  aber 
selbstverständlich  in  keiner  Weise  für  Schichtenkarten,  die  dem  Sinne  karto- 
graphischer Darstellung  entgegen  auf  den  plastischen  Eindruck  verzichten,  um  mittels 
einer  mnemotechnisch-statistischen  Skala  lediglich  die  Unterschiede  (nicht  die  natür- 
lichen Übergänge  und  die  geographischen  Gegensätze! i  der  Höhen  mit  greller  Deut- 
lichkeit zu  zeigen.  Sie  bilden  innerhalb  der  Höhendarstellung  ein  Analogon  zur 
Müffling'schen  Böschungs- Skala  der  mittleren  Jahrzehnte  des  19.  Jahrhunderts  mit 
ihren  wechselnden,  gewellten,  gestrichelten  und  punktierten  Bergstrichen ;  und  es 
entspricht  durchaus  der  Jugendlichkeit  der  ganzen  hypsographischen  Erkenntnis- 
richtung  gegenüber  der  Reife  der  klinographischen ,  dafs  diese  manierierte  Kom- 
pilationsskala des  Generals  von  Müffling  —  deren  Abweichungen  von  der  Lehmann - 
schen  Skala  übrigens  (vorläufig  bemerkte  nicht  auf  den  hessischen  Forstmeister 
J.  Chr.  Bechstatt.  wie  man  seit  einem  Jahrzehnt  immer  wieder  liest  (zuletzt  im 
vorigen  Jahrg.  dieser  Zeitschr.  S.  449)  zurückgeht,  sondern  lediglich  auf  die  Skalen, 
die  vor  den  Napoleonischen  Wirren  in  Preufsen  nach  einander  von  den  Offizieren 
biw.  Kartographen  Schienert,  Schneider  und  v.  Humbert  vorgeschlagen  worden 
waren  —  dafs  diese  manierierte  Böschungsskala  bis  auf  einen  wenig  wesentlichen 
Rest  längst  abgethan  ist  ,  während  jene  willkürlich  schematischen  Schichtenskalen 
heute  noch  Anwendung  und  Verteidigung  finden. 


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42 


Emil  Deckert: 


Galveston  and  seine  Stnrmflnt. 

Von  Dr.  Emil  Bockert. 
Mit  einer  Karte  im  Text, 

Wer  die  Naturverhältnisse  der  Küstenlandschaften  des  Mexikanischen 
Golfes  in  gründlichere  Erwägung  zieht,  der  kann  sich  nicht  darüber  wundern, 
dafs  diese  Landschaften  in  der  amerikanischen  Besiedelungs-  und  Kultur- 
geschichte eine  ausgesprochene  Spätlingsrolle  gespielt  haben  —  abgesehen 
allein  von  Kuba  sowie  von  der  Gegend  von  Veracruz,  die  seit  Ferdinand  Cortez 
wohl  oder  Übel  als  die  Haupteingangspforte  in  das  silberreiche  Aztekenland 
zu  dienen  hatte. 

In  merkwürdiger  Einförmigkeit  umrahmt  eine  endlose  Reihe  von  niedrigen 
»Sanddünen  und  langgestreckten  sandigen  Nehrungen  oder  Nehruugsinscln  das 
fragliche  Meeresbecken  auf  einer  über  5000  km  langen  Strecke.  Die  weiten 
Brackwasserlagunen  hinter  den  Nehrungen  aber  sind  sämtlich  seicht  und  nur 
durch  schwer  auffindbare,  gefahrvolle  Zugänge  zu  erreichen,  und  was  in  ihrer 
Nachbarschaft  liegt,  ist  teils  unabsehbarer  Schilfsumpf,  teils  von  Dorngestrüpp 
bestandene  Halbwüste,  teils  lichte  Kiefernheide,  teils  endlich  —  in  dem  Be- 
reiche der  Tropen  —  undurchdringlicher  Urwald.  Nirgends  gewährt  ein 
Berg-  oder  Hügelgehänge  dem  Fahrzeuge,  das  in  die  eine  oder  andere  Lagune 
hinein  gelangt  ist,  den  in  der  berüchtigten  Orkangegend  doppelt  nötigen 
Windschutz,  und  das  Kleinod,  nach  dem  der  Seemann  immer  zuerst  aus- 
zuspähen pflegt,  wenn  er  an  das  Land  geht:  aus  klarer  Quelle  fliefsendes, 
frisches,  gutes  Trinkwasser,  fehlt  beinahe  allerwegen.  Dagegen  versengt  ihm 
an  den  meisten  Tagen  des  Jahres  —  wenn  nicht  der  wohlbekannte  Norther 
weht  —  eine  glühende  Sonne  den  Scheitel,  dichte  Moskitoschwärme  peinigen 
ihn,  wohin  er  sich  auch  wenden  mag,  und  böse  Fieberkeime  bedrohen  seine 
Gesundheit  und  sein  Leben.  Das  tragische  Schicksal  der  grofsen  Expeditionen 
von  Panfilo  de  Narvaez  (1528)  und  von  Hernando  de  Soto  (1539),  die  die 
Spanier  zur  Erforschung  und  Unterwerfung  der  Gegend  nördlich  von  dem 
Golfe  aussandten,  illustriert  diese  Thatsachen  zur  Genüge,  und  es  begreift 
sich  aus  dem  Gesagten  leicht,  dafs  der  spanische  Unternehmungs-  und  Er- 
oberergeist an  diesen  Gestaden  ebbte  und  sich  anderen  Zielen  und  Tummel- 
plätzen zuwandte,  sowie  dafs  selbst  der  gewaltige  Riesenstrom,  der  sich  in 
den  Mexikanischen  Golf  ergiefst  und  der  nachmals  so  viel  zur  Kultivierung 
Nordamerikas  beigetragen  hat  —  der  Mississippi  — ,  lange  Zeit  ein  in  tiefes 
Dunkel  gehülltes  Geheimnis  blieb. 

Darf  es  nach  dem  Gesagten  auch  befremden,  wenn  die  Geographen- 
sprache den  Mexikanischen  Golf  nach  wie  vor  mit  einer  gewissen  Gering- 
schätzung behandelt,  indem  sie  ihn  nur  als  einen  einfachen  „Golf"  und  nicht 
als  ein  „Meer"  gelten  läfst,  wenngleich  er  an  Ausdehnung  und  Tiefe  die 
meisten  Rand-  und  Binnenmeere  der  Erde  weit  übertrifft  und  beispielsweise 
gegen  ein  halbes  Hundert  „Meere"  von  der  Art  der  deutschen  Nordsee  in  sich 
aufzunehmen  fähig  wäre!  Ein  durchgreifenderer  kulturgeographischer  Gegen- 
satz, als  er  zwischen  den  Küstenlandschaften  des  altweltlichen  Mittelmeercs 


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Pialvfston  und  seine  Sturmflut 


43 


und  denjenigen  der  Nordhälftc  des  amerikanischen  Mittelmeeres  besteht,  läfst 
sich  jedenfalls  kaum  denken. 

Von  dem  unteren  Lorenzstrome  her  drang  aber  die  französische  Be- 
siedelung  um  das  Ende  des  17.  Jahrhunderts  nach  den  Grofsen  Seen  und 
nach  dem  Oberlaufe  des  Mississippi  vor,  und  von  der  Massachusetts-,  der 
New  York-,  der  Delaware-  und  der  Chesapeake  -  Bai  her  um  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  über  die  Appalachen- Pässe  die  angelsächsische  nach  dem 
Ohio- Gebiete  und  nach  dem  Mittel-  und  Unterlaufe  des  Mississippi.  Sodann 
verbreitete  sich  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  von  den 
Carolinas  her  die  Baumwollenkultur  über  die  ganze  Golf-  und  Mississippi- 
niederung,  und  in  Texas  fand  zugleich  auch  die  Viehzucht  eine  hervorragende 
Stätte. 

Da  niufste  wohl  allgemach  auch  eifriger  darauf  Bedacht  genommen 
werden,  die  brauchbarsten  Ausgangspforten  des  Landes  gegen  Süden  hin  aus- 
findig zu  machen  und,  da  es  wirklich  gute  Pforten  nicht  gab,  mit  solchen 
von  geringerer  Qualität  fürlieb  zu  nehmen  und  sie  durch  Menschenkunst  so 
viel  als  eben  möglich  zu  verbessern. 

Im  Jahre  1696,  zwei  volle  Jahrhunderte  nach  den  Entdeckerfahrten  des 
Columbus  und  reichlich  einundeinhalb  Jahrhundert  nach  dem  Tode  de  Soto's 
an  dem  Ufer  des  Mississippi,  errichteten  da  die  Spanier,  zur  Sicherung  ihrer 
Ansprüche  auf  das  dem  Namen  nach  ihnen  gehörige  Gebiet,  an  der  besten 
natürlichen  Hafenbucht,  die  die  festländische  Golfküste  überhaupt  bot,  die 
Feste  Pensacola.  Die  Franzosen  aber,  die  in  dieser  Gegend  ebenso  wie  in 
Florida  als  ihre  ältesten  Rivalen  auftraten,  gründeten  durch  den  Kanadier 
Lemoyne  de  Bienville  an  der  weiten  und  seichten  Mobile-Bay  Mohilo  (1711) 
und  bald  darauf  inmitten  der  Schilfwiesen  und  Moskitobrutstätten  des 
Mississippi  -  Deltas  New  Orleans  (1718).  Und  sehr  viel  später  noch,  lange 
nachdem  sowohl  die  Spanier  als  auch  die  Franzosen  als  auch  die  Engländer 
sich  die  Herrschaft  über  das  Golfgestade  hatten  entwinden  lassen,  erstanden 
an  den  Buchten  der  texanischen  Küste  Galveston  (1838),  Corpus  Cristi  (1840) 
und  Indianola  (1846)  —  das  letztere  freilich  nur  zu  einem  sehr  kurzen 
Dasein. 

Dafs  irgend  einer  von  den  genannten  Golfhafenplätzen  bald  nach  seiner 
Gründung  einen  raschen  und  glänzenden  Aufschwung  genommen  habe,  kann 
man  nicht  behaupten  Dazu  waren  die  natürlichen  Vorbedingungen  bei  allen 
ohne  Ausnahme  in  vielfacher  Hinsicht  gar  zu  widrige,  und  auch  die  Mississippi- 
Mündungsstadt  New  Orleans,  bei  der  das  weitverzweigte  Schiffahrtsstrafsen- 
system  des  grofsen  Stromes  so  manchen  Nachteil  quitt  macht,  ist  nur  unter 
unsäglichen  Mühsalen  und  Anstrengungen  und  durch  einen  noch  beständig 
andauernden  harten  Kampf  mit  einer  menschenfeindlichen  Natur  zu  dem,  was 
sie  heute  thatsächlich  ist,  gediehen.  In  den  ersten  Zeiten  ihres  Bestehens 
namentlich  bedrohten  auch  sie  Stürme  und  Fluten  wiederholt  mit  völliger 
Vernichtung. 

Unter  den  texanischen  Golfküstenstädten  hat  sich  Corpus  Cristi,  seit 
General  Taylor  es  zu  einem  Hauptstützpunkte  seiner  kriegerischen  Operationen 
gegen  Mexiko  machte,  am  stetigsten  und  ruhigsten  entwickelt,  wenn  auch  der 


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44 


Kuiil  Dickert: 


ganzen  Natur  der  Sache  nach  nur  in  einem  bescheidenen  Mafsstabe  —  bis 
zum  Jahre  1870  auf  2140,  bis  1880  auf  3257  und  bis  1890  auf  4387  Seelen 
heranwachsend.  An  dem  Hintergrunde  der  nach  ihm  benannten  Rai  erfreut 
sich  dasselbe  eines  etwas  höheren  (gegen  8  bis  9  m  ansteigenden)  Baugrundes 
als  die  anderen  Golfstädte,  dergestalt  dafs  auch  die  höchstgehenden  Wogen 
der  See  es  bisher  noch  niemals  erreicht  haben.  Seine  Lage  zu  dem  Unions- 
gebiete im  allgemeinen  sowie  zu  dem  texanischen  Viehzucht-  und  Ackerbau- 
gebiete im  besonderen  ist  aber  eine  sehr  exzentrische,  und  aus  diesem  Grunde 
sowie  der  Dürre  seines  unmittelbaren  Hinterlandes  halber  hat  mau  es  bisher 
nicht  für  lohnend  gehalten,  ihm  den  tiefen  Zugang  von  der  See  her,  den  ihm 
die  Natur  versagt  hat,  unter  der  Aufwendung  bedeutender  technischer  und 
finanzieller  Mittel  künstlich  zu  schaffen. 

Bei  Indianola,  an  der  Matagorda-Bai,  stand  es  um  die  natürliche  Zu- 
gänglichkeit von  der  Seeseite  ähnlich  wie  bei  Corpus  Cristi.  die  Lage  dieses 
Ortes  zu  den  produktionsfähigeren  Gegenden  von  Texas  war  aber  eine  wesent- 
lich günstigere,  und  so  durfte  es  scheinen,  als  könne  derselbe  seinem  Kivalen 
den  Rang  ablaufen.  Es  bedurfte  dazu  nur  der  Zuwendung  einer  beträcht- 
licheren Summe  von  Seiten  der  Unionsregierung,  die  bekanntlich  für  Hafen - 
ameliorationen  an  Stellen,  wo  sie  irgendwelche  Aussichten  bieten,  immer  einen 
sehr  offenen  Säckel  gehabt  hat.  Im  Juhre  1870  stand  die  Stadt  Indianola 
ihrer  um  ein  reichliches  Lustrum  älteren  Schwester  an  Einwohnerzahl  —  mit 
2169  Seelen  —  ungefähr  gleich.  Da  brach  aber  im  Septembermonat  des 
Jahres  1875  eine  jener  Sturmfluten  herein,  wie  sie  die  Golfküste  so  oft  heim- 
suchen, und  der  gröfste  Teil  der  nur  wenige  Fufs  über  dem  Meeresspiegel 
gelegenen  Stadt  wurde  davon  fortgerissen  und  mehrere  Hundert  von  ihren 
Bewohnern  fanden  dabei  ihr  Grab  in  den  Wellen.  Der  Census  von  1880 
fand  ihre  Volkszahl  (1086)  daher  auf  die  Hälfte  der  früheren  zurückgegangen. 
Die  Ausharrenden  an  dem  Orte  hatteu  aber  neuen  Mut  gewonnen  und  arbei- 
teten rüstig  daran,  «las  Gemeinwesen  wieder  cinpor/ubringen  und  ihm  seine 
Rolle  als  Ausfuhrhafen  eines  weiten  und  produkten reichen  Gebietes  besser 
als  vordem  zu  sichern.  Da  kam  im  August  des  Jahres  1886  ein  neuer 
Orkan  und  eine  neue  Orkanflut,  noch  furchtbarer  als  die  von  1875,  und 
Indianola  wurde  von  Grund  aus  zerstört,  so  dafs  von  ihm  höchstens  einige 
umherliegende  Holz-  und  Steintrflmmer  übrig  geblieben  sind.  Die  Bewohner 
der  Stadt,  welche  ihr  Leben  auch  bei  der  zweiten  Katastrophe  retteten, 
wagten  es  nicht,  sich  abermals  an  der  verhängnisvollen  Stätte  anzubauen. 

Sollte  das  Schicksal  von  Indianola  vorbildlich  sein  können  für  das  Schick- 
sal des  dritten  texanischen  Hafenplatzes,  der  aus  der  angegebenen  Reihe  noch 
erübrigt,  für  die  Stadt  Galveston,  von  deren  entsetzlicher  Verwüstung  am 
8.  September  1900  die  Welt  mit  Schaudern  erfüllt  wurde,  da  bei  derselben  nicht 
weniger  als  7-  bis  8000  Menschenleben  und  nicht  weniger  als  50  Millionen 
Dollars  Volksvermögen  von  den  wilden  Wogen  verschlungen  worden  sein  sollen? 

Die  Lage  Galvestons  im  Verhältnis  zur  See  ist  in  gewisser  Weise  eine 
noch  exponiertere  als  bei  Indianola.  Auf  eben  so  niedrigem,  nur  1  bis  3  m 
über  den  Meeresspiegel  aufsteigendem  Baugrunde,  steht  es  nicht  wie  diese* 
auf  der  festländischen  Seite  seiner  Bai,  sondern  unmittelbar  auf  der  der  Bai 


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Galveaton  und  »eine  Sturmflut. 


45 


vorgelagerten  Nehrungsinsel,  sich  über  die  ganze  Breite  derselben  bis  un- 
mittelbar an  den  Strand  des  offenen  Meeres  erstreckend,  und  nur  mit  seiner 
Hauptfront  der  Bai,  die  seinen  Hafen  bildet,  zugewandt.  Es  ist  in  dieser 
Weise  sozusagen  der  vorgeschobenste  Posten  im  Kampfe  mit  dem  wider- 
spenstigen Elemente,  das  der  Menschenkultur  in  dieser  Gegend  so  wenig 
dienen  will,  und  seine  Gründung  erscheint  in  jeder  Beziehung  als  eine  aufser- 
ordentlich  kühne  That  Zusammen  mit  der  Nehrung,  die  das  Wasser  der  Bai 
von  dem  offenen  Meere  abdämmt  und  die  einen  natürlichen  Wogenbrecher 
bildet,  hat  es  jeden  ersten  Anprall  irgendwelcher  höheren  Flut  über  sich  er- 
gehen zu  lassen,  während  die  jenseits  der  Bai  gelegenen  Punkte  in  einem 


beträchtlichen  Mafse  durch  die  Nehrung  geschützt  werden  und  nur  die  ab- 
geschwächte Gewalt  der  Wogen  zu  empfinden  haben.  Überdies  liegt.  Gal- 
veston  nahe  an  dem  Nordostende  seiner  Insel,  weil  sich  dort  die  Haupt- 
einfahrt in  die  Bai  uud  das  tiefste  Fahrwasser  befindet,  und  erfahrungsgemäfs 
wendet  sich  die  Wucht  der  zerstörenden  Wogen  entlang  der  ganzen  texanisehen 
Küste  immer  vorwiegend  gegen  die  Nordenden  der  Nehrungen  und  Nehrungs- 
inselu  —  in  augenscheinlichem  Zusammenhange  mit  dem  Drehungsgesetze  der 
Winde  — ,  und  die  sämtlichen  „Pässe"  der  texanisehen  Lagunen  sind  infolge- 
dessen in  einem  beständigen  Vorrücken  gegen  Süden  begriffen.  Bei  dem 
A ran sas- Passe,  der  Einfahrt  in  die  Corpus-Cristi-Bai,  betrug  dieses  Südwärts- 
rückeu  seiner  Zeit  im  Jahresdurchschnitte  78  m,  und  bei  Galveston  hat  es 


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46 


Emil  Meckert: 


eines  starken  künstlichen  Bollwerkes  bedurft,  um  zu  verhüten,  dafs  den  Be- 
wohnern des  Nordteiles  der  Stadt  der  Boden  unter  ihren  Fölsen  weggcwaschen 
wurde.    Die  einfache  Thatsache  des  Vorhandenseins  einer  tieferen  Rinne  in 
dem  Galveston  nächstbenachbarten  Teile  der  Bai  bekundet  übrigens  an  und 
für  sich,  dafs  die  Meereserosion  an  der  fraglichen  Stelle  besonders  rasch  uml 
stark  vorwärts  schreitet.     Da  der  Abflufs  der  Bai  infolge  der  Süfswasser- 
zufuhr  durch  die  einmündenden  Ströme  (Trinity  und  Jacinto)  ein  gering- 
fügiger und  auch  der  normale  Gezeitenwechsel  ein  sehr  schwacher  ist  (0,3  in  ). 
so  sind  es  einzig  und  allein  die  Sturmfluten,   die  die  Erosion  bewirken 
und  die  Rinne  tief  sowie  den  Pafs  offen  halten.    Die  heftigen  Stürme  aus 
Ost  und  Südost  stauen  das  Wasser  in  der  Bai  hoch  auf,  der  den  Südost- 
stürraen  fast  ausnahmslos  folgende  Nordwest  (Norther)  treibt  es  aber  alsbald 
durch  den  Pafs  wieder  hinaus,  und  solchergestalt  vollzieht  sich  die  Aus- 
räumung und  Südwärtsverschiebung  des  Passes  sowie  des  öfteren  zugleich 
auch  eine  gründliche  Umgestaltung  der  vor  dem  Passe  liegenden  Sandbarre. 

Sturmfluten  haben  die  Bürger  Galvestons  demgemäfs  bereits  in  grofser 
Zahl  erlebt,  und  eine  Flut  von  mäfsigerem  Umfange  oder  deren  mehrere  hat 
ihnen  beinahe  jeder  Spätsommer  oder  Herbst  gebracht,  bedrohliche  Fluten, 
die  sämtliche  Strafsen  der  Stadt  unter  Wasser  setzten,  aber  vor  allem  die 
Jahre  1867,  1875,  1880,  1886,  1891  und  1897.  Der  dadurch  augerichtete 
Schaden  bezifferte  sich  indes  auch  in  den  schlimmsten  Fällen  nur  auf  etwa 
150  000  Dollars,  und  der  Verlust  von  einer  beträchtlicheren  Zahl  Menschen- 
leben war  nur  im  Jahre  1897  zu  beklagen.  Wie  Seeleute  auf  einem  guten 
Schiff,  so  wiegten  sich  die  Galvestoner  auf  diese  Weise  bei  dem  heranbrau- 
senden Sturme  mehr  und  mehr  in  dem  Gefühle  vollkommener  Sicherheit,  sie 
gewöhnten  sich  daran,  eine  Art  amphibischer  Existenz  bei  ihrem  Gemeinwesen 
als  etwas  Selbstverständliches  zu  betrachten,  und  bei  dem  Gedanken  an 
Indianola  trösteten  sie  sich  damit,  dafs  gerade  die  freiere  und  exponiertere 
Lage  ihrer  Stadt  gegenüber  der  Sturmflut  einen  unschätzbaren  Vorteil  inso- 
fern biete,  als  dadurch  eine  so  hohe  Anstauung  des  Wassers,  wie  sie  in  den 
inneren  Winkeln  der  Lagunen  stattfindet,  unmöglich  gemacht  werde. 

Wie  trügerisch  diese  Rechnung  war,  haben  die  traurigen  Erfahrungen 
der  letzten  Tage  gezeigt.  Ganz  wie  es  die  Regel  für  die  texanischen  Sturm- 
fluten ist,  wehte  gegen  das  Ende  der  ersten  Septemberwoche  anhaltender 
und  starker  Nordoststurm  in  der  Gegend,  und  derselbe  trieb  grofse  Wasser- 
massen durch  den  Galveston -Pafs,  um  sie  besonders  in  dem  südwestlichen 
Teile  der  Galveston-Bai  —  an  der  sogenannten  West-Bai  —  zu  beträchtlicher 
Höhe  aufzustauen,  dergestalt  dafs  die  untere  Stadt  in  der  üblichen  Weise  über- 
flutet wurde.  Am  Mittag  des  8.  September  1900  schlug  der  Sturm  aber  gegen 
Südost  um,  und  alsbald  steigerte  er  sich  zu  einem  der  furchtbarsten  Orkane, 
die  die  texanische  Küste  gesehen  hat.  Die  Wogen  wälzten  sich  nun  quer 
über  die  ganze  Nehrungsinsel  in  die  West-Bai,  und  Galveston  gewährte  das 
Bild  einer  Stadt,  die  mitten  in  die  rasende  See  hinein  gebaut  ist,  und  in 
deren  Strafsen  Rofs  und  Mann  hilflos  ertrinken.  Die  angerichtete  Verwüstung 
war  eine  unbeschreibliche,  und  die  Katastrophe,  die  über  die  Stadt  herein- 
brach, stand  an  Furchtbarkeit  sicherlich  nicht  hinter  derjenigen  von  India- 


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Galreston  und  seine  Sturmflut.  47 

nola  zurück,  ganz  abgesehen  davon,  dafs  es  sich  in  Galveston  bei  der  Ver- 
nichtung von  Menschenleben  und  Reichtümern  um  viel  gewaltigere  Zahlen 
handelt.  Während  die  voraufgegangenen  Sturmfluten  immer  nur  ungefähr 
um  einen  Meter  über  die  normale  Flut  gestiegen  waren,  so  stieg  die  in  Frage 
stehende  letzte  Flut  mindestens  an  die  drei  Meter  darüber.  Der  Nordwest 
aber,  der  in  anderen  Fallen  die  Fluten  zurücktrieb,  bevor  sie  einen  so  phä- 
nomenalen Hochstand  erreichten,  blieb  in  dem  gegebenen  Falle  aus,  und  auf 
diese  Weise  war  die  Flut  auch  zugleich  eine  ungewöhnlich  lange  andauernde. 

Die  Sturrageschwindigkeit  betrug,  so  lange  sie  von  den  Instrumenten 
der  Galvestoner  Wetterwarte  gemessen  werden  konnte,  135  km  in  der  Stunde, 
nachdem  die  Instrumente  von  dem  Orkane  zerstört  waren,  erhöhte  sie  sich 
aber  noch,  und  es  wäre  wohl  möglich,  dafs  sie  zeitweise  das  Mafs  von  160  km 
in  der  Stunde  erreicht  hätte. 

Natürlich  kann  eine  so  verhängnisvolle  Verknüpfung  der  Umstände  wie 
die  geschilderte  in  jedem  der  kommenden  Jahre  wieder  eintreten,  und  weil 
sich  viele  von  denen,  die  die  Schreckenstage  überlebt  haben,  dies  sagen,  so 
haben  sie  sich  alsbald  von  der  Unglücksstätte  weggewandt,  um  nicht  wieder 
nach  ihr  zurückzukehren.  Und  eine  gute  Zahl  derjenigen,  die  die  Katastrophe 
aus  der  Ferne  beurteilen,  hat  gemeint,  dieselbe  werde  für  Galveston  das  Ende 
der  Tage  bedeuten,  genau  ebenso  wie  die  von  188(5  für  Indianola. 

In  vielfacher  Hinsicht  liegen  die  Verhältnisse  aber  doch  bei  Galveston 
anders  als  bei  der  untergegangenen  Schwesterstadt,  und  in  der  Mehrzahl  der 
Galvestoner  Bürger  wohnt  im  Zusammenhange  damit  zu  viel  von  der  be- 
kannten amerikanischen  Energie  und  Zähigkeit,  als  dafs  sie  den  einmal  auf- 
genommenen Kampf  nach  der  einen  schweren  Niederlage  ohne  weiteres  auf- 
geben sollten.  Noch  ehe  die  Fluten  sich  völlig  verlaufen  hatten  und  noch 
ehe  das  Heer  der  Toten  begraben  war,  haben  sie  dies  in  einem  Meeting,  das 
sie  abgehalten  haben,  einmütig  kundgegeben,  und  wir  hegen  keinen  Zweifel, 
dafs  sie  den  dabei  gesprochenen  mutigen  Worten  durch  Thaten  Nachdruck 
geben  werden.  Die  Stadt  hat  also  alle  Aussicht,  neu  aus  ihren  Ruinen  zu 
erstehen  und  ihre  Mission  als  texanischer  Haupthafen  weiter  zu  erfüllen, 
wenn  auch  zuvörderst  mit  erheblich  verminderter  Volkszahl. 

In  der  bisherigen  Entwickelungsgeschichte  des  „amerikanischen  Venedig*' 
hat  sich  die  Thatkraft  seiner  Bürger  bereits  glänzend  genug  bewährt,  und 
das  dadurch  Erzielte  und  Geschaffene  verdient  offenbar  nicht  blofs  höhere 
Bewunderung,  sondern  auch  nachdrücklichere  Wahrung  und  Verteidigung  als 
bei  Indianola. 

Wie  bei  allen  anderen  texanischen  Küstenlagunen,  so  genügte  auch  bei 
der  von  Galveston  die  natürliche  Einfahrt  den  Ansprüchen  des  modernen 
Hochseeverkehrs  in  keiner  Weise.  Der  etwa  2,5  km  breite  eigentliche  Pafs 
zwischen  der  Bolivar-Nehrung  und  der  Galveston-Insel  besafs  zwar  durch  die 
Sturmflut  Wirkung  eine  beträchtliche  Tiefe  (10  bis  14  m)  und  ebenso  auch 
die  unmittelbar  an  die  Stadt  anstofsende  Gegend  der  Bai  (9  ra).  Die  see- 
wärts von  dem  Passe  gelegene  Barre  hatte  aber  ursprünglich  an  der  günstig- 
sten Stelle  nur  3,6  m  Wasser  über  sich,  und  so  waren  nur  kleinere  See- 
schiffe im  Stande  sie  zu  passieren,  um  unter  den  Mauern  der  Stadt  die  an- 


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48  Emil  Deckert:  Galveston  nnd  seine  Sturmflut. 

gedeutete  zweifelhafte  Sicherheit  beim  Ein-  und  Ausladen  zu  finden.  Dazu 
war  die  Barre  vor  dem  Galveston-Passe  sehr  viel  breiter  und  mächtiger  als 
vor  dem  Aransas-Passe  (der  Einfahrt  in  die  Corpus-Cristi-Bai)  und  vor  dem 
Cavallo-Pasäe  (der  Einfahrt  in  die  Matagorda-Bai). 

Da  rasteten  und  ruhten  die  Galvestoner  aber  nicht,  bis  die  Zentral  - 
regierung  zu  Washington  unter  Aufwendung  von  7  Millionen  Dollars  zu  dem 
Baue  von  zwei  gewaltigen  Seedäramen  („Jetties")  schritt,  die  die  zurück- 
gehende Sturmflut  zwingen  sollen,  auch  durch  die  breite  Barre  eine  9  m  tiefe 
Durchfahrt  auszugraben  und  offen  zu  erhalten.  Zur  Zeit  sind  diese  Dämme, 
von  denen  der  südliche  volle  9  km,  der  nördliche  aber  wenigstens  über  6  km 
lang  ist,  so  gut  wie  fertig  gestellt,  und  die  Anlage  hat  sich  so  vorzüglich 
bewährt,  dafs  es  seit  dem  Jahre  1898  Schiffen  von  bedeutendem  Tiefgange 
(von  reichlich  7  m)  möglich  war,  in  den  Hafen  einzulaufen. 

Eine  weitere  Schwierigkeit  für  die  Entwicklung  der  Inselstadt  bestand 
darin,  dafs  ihre  Verbindungen  mit  dem  Festlande  naturgemäfs  sehr  schwer- 
fällige und  langsame  waren.  Um  diesem  Übelstande  abzuhelfen,  wurden 
zwei  über  3  km  lange  Riesenbrücken  quer  über  die  seichte  West-Bai  gelegt, 
von  ähnlicher  Art,  wie  man  sie  von  der  italienischen  Lagunenstadt  kennt, 
und  dadurch  wurde  Galveston  der  Endpunkt  von  vier  wichtigen  Eisenbahn- 
linien. 

Endlich  fehlte  es  auf  der  niedrigen  Sandinsel  an  jedem  Trink-  und 
Nutzwasser.  Da  schlug  man  auf  der  Insel  ebensowie  auf  dem  Festlande  an 
die  1000  m  tiefe  Bohrlöcher  in  den  Grund  und  beschaffte  sich  einen  reichen 
Vorrat  an  artesischem  Wasser,  den  man  der  Stadt  durch  lange  Röhren- 
leitungen zuführte. 

Von  anderen  Einrichtungen,  die  sich  die  Bewohner  Galvestons  in  der 
Wüstenei  zwischen  den  beiden  Wasserflächen  schufen,  und  auch  davon,  dafs 
sie  diese  Wüstenei  streckenweise  in  eine  halbtropische  Gartenlandschaft  mit 
stattlichen  Oleander-,  Magnolien-  und  Feigenbäumen  umwandelten,  dürfen 
wir  au  dieser  Stelle  als  von  blofsen  Nebensachen  und  Zugaben  schweigen, 
und  gerade  mit  diesen  Nebensachen  hat  ja  auch  die  letzte  Sturmflut  auf  das 
gründlichste  aufgeräumt. 

Die  Hauptsachen  — -  die  bezeichneten  grofsen  Verkehrsanlagen  —  be- 
stehen aber,  und  durch  diese  ist  ein  ausgedehntes,  reiches  Land  und  sind 
mannigfaltige  überseeische  Handelsbeziehungen  auf  Galveston  hingewiesen 
und  an  dasselbe  gefesselt,  so  dafs  sie  sich  nicht  gut  davon  loslösen  können. 
Hatte  sich  doch  Galveston  zum  bedeutendsten  Baumwollenausfuhrhafen  nächst 
New  Orleans  emporgeschwungen,  durch  seine  Ausfuhrziffer  —  im  Jahre  1895 
1,4  Mill.  Ballen  —  Baltimore,  Charleston,  Savannah  u.  s.  w.  weit  in  den 
Schatten  stellend,  und  waren  doch  seine  Anstrengungen,  sich  nebenher  zu 
einem  hervorragenden  Brotstoffausfuhrhafen  zu  erheben,  zuletzt  auch  von 
gutem  Erfolge  begleitet.  Irgend  einen  Ausgangspunkt  für  seinen  Welthandel 
mufs  ein  Land  wie  Texas  haben,  das  ist  klar,  und  da  vor  Sturmflutkata- 
strophen, abgesehen  von  dem  weit  abseits  gelegenen  Corpus  Cristi,  kein  ein- 
ziger sicher  ist,  so  wird  dir  zentrale  Lage  Galvestons  an  der  Küste  im 
Verein  mit  dem  einmal  vorhandenen  Verkehrsapparate  das  mafsgebeud»*  Moment 


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(ieographische  Neuigkeiten. 


49 


sein  müssen  bei  der  Entscheidung  über  die  Zukunft  der  Stadt.  Die  Bäume 
und  Gärten  werden  demgemäfs  voraussichtlich  wieder  gepflanzt,  und  die 
Häuser  und  Brücken  werden  wieder  aufgebaut  werden. 

Freilich  werden  aber  die  Techniker,  denen  das  Rekonstruktionswerk  ob- 
liegt, nach  den  harten  Erfahrungen,  die  während  der  letzten  Sturmflut  ge- 
sammelt worden  sind,  sorgsam  darauf  denken  müssen,  alle  Bauten  der  Stadt 
in  einer  Weise  zu  fundieren,  dafs  sie  nicht  blofs  einem  ähnlichen,  sondern 
allenfalls  auch  einem  noch  stärkeren  Anstürme  der  Wogen  Trotz  zu  bieten 
vermögen. 

Wollte  man  mit  Rücksicht  auf  die  Gefährlichkeit  seiner  Lage  künftighin 
ohne  Galveston  auszukommen  suchen  und  die  Stadt  gänzlich  aufgeben,  wie 
seiner  Zeit  Indianola,  so  würde  sich  als  einzige  Auskunft  die  bieten:  künst- 
lich eine  tiefe  Zufahrt  für  gröfsere  Seeschiffe  durch  die  Galveston  -  Einfahrt 
und  die  Galveston-Bai  und  weiter  bis  Houston  zu  bahnen.  Das  würde  aber 
ohne  Zweifel  noch  viel  gewaltigere  technische  und  finanzielle  Anstrengungen 
nötig  machen,  als  die  berührte  Sicherung  der  Stadt  an  der  Stelle,  wo  sie 
nun  einmal  steht  und  wo  sie  in  dem  Verlaufe  von  einer  kurzen  Zeitspanne 
zu  einer  recht  ansehnlichen  Bedeutung  gelangt  ist,  wenn  auch  nicht  gerade 
zu  der  Bedeutung  einer  Königin  der  Meere,  wie  vor  Jahrhunderten  das  alt- 
weltliche Venedig. 

Im  Jahre  1860,  zwei  Jahrzehnte  nach  seiner  Gründung,  hatte  Galveston 
7300  Einwohner,  1870  war  die  Zahl  auf  15000  gewachsen,  1880  auf  23000, 
1890  auf  29000  und  1900  auf  37  789.  Seine  Entwickelung  ist  also  eine 
sehr  stetige  gewesen,  keineswegs  aber  eine  aufserordentliche,  und  wenn  man 
aus  der  Bevölkerungszunahme  während  des  letzten  Jahrzehntes  seine  Schlüsse 
zieht,  so  könnte  man  geneigt  sein  zu  behaupten,  dafs  die  in  dieser  Zeit  be- 
wirkte künstliche  Vertiefung  der  Galveston-Einfahrt  mehr  der  binnenwärts 
gelegenen  Stadt  Houston  (mit  einer  Bevölkerungszunahme  von  61,97  Prozent) 
als  Galveston  (mit  nur  29,93  Prozent  Zunahme)  zu  gute  gekommen  ist. 


Geographische  Nettigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitzau. 


Allgemeines. 

*  Auf  Grund  eingehender  Beobachtungen 
and  Messungen  „über  den  Einflufs  der 
Pflanzendecken  auf  die  Wasser- 
führung der  Flüsse"  kommt  Wollny 
(Meteor.  Ztschr.  1900.  11.  Heft)  zu  fol- 
genden Ergebnissen: 

1.  Von  den  mit  Pflanzen  bedeckten 
Flächen  erhalten  die  Wasserläufe  ins- 
gesamt eine  geringere  Wassermenge  zu- 
geführt, alB  von  kahlen  oder  mit  einer 
schwachen  Vegetationsdecke  versehenen 
unter  sonst  gleichen  Verhältnissen.  Die 


Ursache  hiervon  ist  darin  zu  suchen,  dafs 
der  Boden  unter  den  Gewächsen  das  Ver- 
mögen besitzt,  gröfsere  Quantitäten  von 
Wasser  aufzuspeichern,  und  dafs  derselbe 
durch  die  aurseronientlich  starke  Tran- 
spiration der  Pflanzen  während  der  Vege- 
tationszeit bedeutend  mehr  Wasser  ver- 
liert als  der  kahle. 

2.  Die  lebenden  Pflanzen  verzögern 
sowohl  die  ober-  als  auch  die  unterirdische 
Wasserableitung  in  mehr  oder  minderem 
Grade,  weil  sie  mit  ihren  ober-  und 
unterirdischen  Organen  dem  auffallenden 
und  absickernden  Wasser  entsprechende 


Geographische  ZeiUchrift.  7.  Jahrgang  1901.  1.  Heft. 


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Geographische  Neuigkeit en. 


Hindernisse  entgegensetzen,  im  Vergleich 
zu  dem  nackten  Lande,  in  welchem  wegen 
Fehlens  der  Wurzeln  die  Geschwindigkeit 
der  abgeführten  WasBermassen  eine  un- 
gleich gröfsere  ist.  Die  Vegetation  hat 
sonach  die  Bedeutung,  dafs  öie  eine  gleich- 
mütigere Zufuhr  des  Wassers  zu  den 
Flüssen  bewirkt. 

3.  Die  Abschwenimung  von  Erde  oder 
Gesteinsschutt  auf  abhängigem  Terrain 
wird  durch  die  verschiedenen  Pflanzen- 
formen in  einem  meist  aufserordentlichen 
Grade  herabgedrückt ,  hauptsächlich  aus 
dem  Grunde,  weil  dieselben  vermöge  ihres 
Wurzelgeflechtes  die  Bodenelemente  zu 
einer  zusammenhängenden,  den  mechani- 
schen Einwirkungen  des  Wassers  gegen- 
über widerstandsfähigen  Masse  vereinigen 
und  aufserdem  den  Wasserablauf  verlang- 
samen. Deshalb  werden  vom  bepflanzten 
Boden  beträchtlich  geringere  Mengen 
von  Erde  und  Schutt  abgeführt  als  vom 
kahlen  oder  mit  einer  ärmlichen  Vege- 
tationsdecke versehenen. 

*  Der  jährliche  Gang  der  Luft- 
und  Bodentemperatur  im  Freien 
und  in  Waldungen  und  der  Wärme- 
Austausch  im  Erdboden  ist  von 
J.  Schubert l)  auf  Grund  der  Beobach- 
tungen an  IG  forstlich  -  meteorologischen 
Doppelstationen  festgestellt  worden,  die 
Mitte  der  70er  Jahre  in  Preufsen,  Braun- 
schweig und  Elsafs  -  Lothringen  zwecks 
Erforschung  der  klimatischen  Verschieden- 
heiten des  Waldinnern  und  freien  Feldes 
eingerichtet  wurden.  Eine  ganze  Reihe 
von  Untersuchungen,  an  denen  sich  Schu- 
bert in  hervorragender  Weise  beteiligt 
hat,  sind  bereits  im  Laufe  der  Jahre  aus 
dem  vortrefflichen  Material  jener  Statio- 
nen herausgearbeitet  worden,  jedoch  ist 
hier  zum  ersten  Mal  auf  den  Unterschied 
der  Boden temperatur  im  Freiland  und 
Wald  gründlicher  eingegangen  Ohne  die 
Einzelheiten  der  Abhandlung,  insbesondere 
die  wertvollen  methodologischen  Ausein- 
andersetzungen näher  zu  berühren,  mögen 
hier  nur  die  wesentlichsten  Resultate  her- 
vorgehoben werden.  Sch.  behandelt  zu- 
nächst die  Temperatur  der  Luft  und  die 
des  Bodens  in  60  und  120  cm  Tiefe  auf 
den  Feldstationen  als  Funktion  der  geo- 
graphischen Breite  und  Länge  und  der 

1)  Schubert,  J. ,  I  >er  jährl  iche  Gang  etc. 
Berlin,  Julius  Springer  1900.    8°.    53  S 


Seehöhe.  Im  Sommer  ist  die  Zunahme 
der  Temperatur  von  West  nach  Ost  im 
Boden  etwas  gröfser  als  in  der  Luft,  im 
Winter  ist  die  Abnahme  der  Temperatur 
aber  erheblich  geringer  im  Boden  (von 
Dezember  bi»  Februar  betragt  die  Ab- 
nahme der  Temperatur  auf  einen  Längen- 
grad in  der  Luft  0,27,  in  CO  cm  Tiefe  0.15° 
und  in  120  cm  nur  0,12*  C.j.  Die  letztere 
Erscheinung  wird  auf  die  gröfsere  Wir- 
kung einer  länger  dauernden  Schneedecke 
im  Daten  zurückzuführen  sein,  da  sie  den 
Boden  vor  Ausstrahlung  schützt,  aber  die 
Luft  über  sich  stark  erkalten  läfst.  Ebenso 
erklärt  sich  zum  gröfsten  Teil  aus  der 
Wirkung  der  Schneedecke  der  mit  der 
Seehöhe  wachsende  Wärmeüberschufs  des 
Bodens  gegenüber  der  Luft  (im  Jahres- 
mittel ist  der  Boden  in  60  cm  Tiefe  in 
der  Seehöhe  von  Om,  500  m  und  1000  m 
bezw.  0,75°,  1,40°  und  2,05°  wärmer  als 
die  Luft;.  Dieser  Temperaturüberschufs 
beschränkt  sich  aber  in  der  Jahresperiode 
auf  die  Zeit  von  September  bis  März,  im 
Sommer  ist  der  Boden  kühler  als  die  Luft. 
—  Weiterhin  werden  die  viel  besproche- 
nen Unterschiede  der  Temperaturen  im 
Waldbestande  und  freien  Felde  erörtert. 
Nach  einer  sorgfältigen  Ermittelung  und 
Ausmerzung  der  Fehlerquellen  führt  die 
Diskussion  der  Beobachtungeu  zu  folgen- 
den wertvollen  Ergebnissen:  Im  ganzen 
Sommerhalbjahr  und  darüber  hinaus  ist 
der  Waldboden  kühler  als  der  frei  gele- 
gene. Der  Betrag  der  Abkühlung  steigt 
in  60  bis  120  cm  Tiefe  bei  Kiefern  auf 
2,7°,  bei  Fichten  auf  3,0°  und  bei  Buchen 
auf  3,2"  im  Monatsmittel.  In  den  Winter- 
monaten ist  der  Waldboden  nur  ein  wenig 
wärmer  als  der  freie,  im  Jahresmittel 
überwiegt  daher  das  im  Sommer  geltende 
Verhalten.  Die  Lufttemperatur  zeigt  die- 
selben Unterschiede  zwischen  Wald  und 
Feld,  aber  erheblich  abgeschwächt.  Im 
Juli  ist  die  Waldluft  unter  Kiefern  0,2". 
unter  Fichten  0,3°  und  unter  Buchen  0,5° 
kühler,  im  Januar  ist  sie  bezw.  um  0,1°, 
0,3°  und  0,2°  wärmer  als  die  Freilandluft. 
Die  Ermärsigung  der  jährlichen  Tempe- 
raturschwankung im  Walde  beträgt  für 
den  Boden  etwa  2,5U,  für  die  Luft  0,5°. 
Der  Einthals  des  Waldes  auf  die  Wärme- 
verhältnisse macht  sich  also  vornehmlich 
in  den  tieferen  Bodenschichten  geltend, 
während  er  in  der  Atmosphäre  viel  ge- 
ringer ist.  als  man  gewöhnlich  annimmt. 


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G eographische  Neuigkeiten. 


51 


-  Im  zweiten  Teil  der  Abhandlung  sucht 
?ch.  die  Wärmebewegung  im  Boden  zu  be- 
stimmen. Kr  berechnet  nach  einer  metho- 
dologischen Einleitung  die  Warmemengen, 
die  im  Laufe  des  Jahres  im  Freiland-  und 
Waldboden  zwischen  der  Oberfläche  und 
den  tieferen  Schichten  ausgetauscht  wer- 
den, und  setzt  dazu  die  jährliche  und  täg- 
liche Periode  der  Bodentemperaturen  und 
ihre  mit  der  Tiefe  zunehmende  Phasen- 
verschiebung in  Verbindung.  Wegen  der 
Einzelheiten,  die  besonders  von  theore- 
tischem Interesse  sind,  mufs  auf  das  Ori- 
ginal verwiesen  werden. 

W.  Meinardus. 

Europa. 

*  Die  dritte  von  G.  Hellmann  bear- 
beiteteRegenkartedesKönigreithH 
Prenfsen  bringt  die  N iedcrschlags- 
höhe  der  Periode  1890  —  1899  in  den 
Provinzen  Westpreufsen  und  Posen  zur 
Darstellung.  Am  niederschlagreichsten 
i Jahresmenge  700—800  mm)  erweisen  sich 
das  Plateau  von  Pomereilen  und  die 
Elbinger  Höhe,  jenes  nordwestlich  und 
iu  der  Nähe  von  Karthaus,  dieses  in  den 
Trunzer  Bergen  kulminierend.  Dergröfste 
Teil  der  beiden  Provinzen  gehört  der 
Niederschlagsstufe  650 — 600  mm  an.  Der 
Text  vermittelt  eine  Übersicht  über  die 
Zugehörigkeit  der  Provinzareale  zu  den 
in  der  Karte  verwendeten  Niedersehl ags- 
«tufen. 

Stufe  ArcaUngehöriRkelt  in  %. 

in  mm.  Weitpreufcen.  Po.«n. 

450—500  mm  27.0  40.6 

600—550   „  84.5  43.5 

550—600    „  22.8  15.8 

600—  660    ,,  12.9  o.l 

650—700    „  2.4 

700—800    „  0.4  — 

Unschwer  erkennt  man,  dafs  die  Haupt- 
masse beider  Provinzen  der  zweiten  Regen- 
stufe angehört.  So  befindet  sich  denn 
auch  die  mittlere  Niederschlagshöhe  inner- 
halb derselben.  Sie  beträgt  für  Posen 
513  und  für  Westpreufsen  541  mm. 
Für  Ostpreufsen  betrug  dieselbe  600,  für 
Schlesien  680  mm.  Vorstehende  Tabelle 
und  die  Karte  lassen  erkennen,  dafs  den 
Provinzen  ein  ganz  exzessives  Trockengebiet 
eigentümlich  ist,  das  räumlich  von  keinem 
anderen  innerhalb  des  norddeutschen 
Flachlandes  übertroffen  wird.  Es  breitet 
«ich,  nur  wenig  unterbrochen,  über  mittlere 


Warthe,  obere  Netze  und  das  Weichselknie 
bis  hart  an  das  Weichseldelta  aus.  Nord- 
westlich von  Strasburg  in  Westpreufsen 
geht  die  Jahresmenge  des  Niederschlages 
sogar  noch  unter  450  mm  etwas  hinab. 

—  Während  in  Ostpreufsen  die  nassen 
Jahre  der  Zahl  nach  vorherrschten,  waren 
nach  den  bisherigen  Ergebnissen  in 
Westpreufsen  und  Posen  die  trockenen 
Jahre  in  der  Mehrzahl.  Die  Schwankungen 
in  der  Menge  sind  recht  bedeutend.  Die 
äufsersten  Grenzen  bei  Stationen  mit 
45  jähriger  Beobachtungszeit  bildeten 
281  mm  (1857)  und  794  mm  (1882)  Beide 
Extreme  traten  in  Könitz  in  Erscheinung. 

—  Bei  11  Stationen  mit  16- -62 jähriger 
Beobachtungszeit  sind  die  monatlichen 
Niederschlagsraittel  in  Prozenten  der 
mittleren  Jahresraenge  angegeben,  wodurch 
es  möglich  wird,  die  auf  die  einzelnen 
Monate  entfallenden  mittleren  Betrüge 
auch  für  Nachbarstationen  mit  hin- 
reichender Genauigkeit  zu  berechnen. 
Wie  in  Ostpreufsen  ist  auch  in  West- 
preufsen und  Posen  der  trockenste  Monat 
der  Februar  mit  4 — 5  Prozenten  und  der 
regenreichste  der  Juli  mit  12l/t— 16  Pro- 
zenten der  mittleren  Juhresmenge. 

Die  gröfste  absolute  Monatsmenge 
hatte  in  Posen  die  Station  Bromberg  mit 
206  mm  im  Juli  1888,  in  Westpreufsen 
Schönberg  mit  272  mm  im  Juli  1855  auf- 
zuweisen. 

Die  der  Karte  weiterhin  beigegebenen 
Tabellen  bringen  Ausführliches  über  die 
Details  des  behandelten  Elementes  und 
geben  einen  Überblick  sowohl  über  die 
gröfsten  bisher  beobachteten  Tagesmengen 
als  auch  über  134  Regenfälle  von  kurzer 
Dauer.  In  dem  der  Karte  zu  Grunde 
liegenden  zehnjährigen  Zeitraum  hatte 
in  Posen  Koschinin ,  in  Westpreufsen 
Wildgarten  im  Kreise  Tuchel  den  er- 
heblichsten Niederschlag.  Am  erst- 
genannten Orte  wurden  am  30.  Juli  1897 
107,8,  in  Wiidgarten  am  2.  August  1896 
154  mm  gemessen.  Von  letzteren  fielen 
in  der  Zeit  von  nicht  ganz  1%  Stunden 
nicht  weniger  als  134  mm. 

Wie  bis  jetzt  überall,  so  hat  sich  auch  bei 
den  Niederschlägen  der  beiden  Provinzen 
herausgestellt,  dafs  die  Intensität  des 
Regenfalles  mit  der  Dauer  abnimmt  und 
dafs  demgemäfs  für  alle  einschlägigen 
Kragen  der  Landwirtschaft,  der  Melioration, 
des  Ingenieurwesens,  der  Ent-  und  Be- 

1* 


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52 


Geographische  Neuigkeiten. 


Wasserung  die  Reduktion  der  Nieder- 
schläge auf  die  Stunde  als  Einheit  zu 
verwerfen  und  nur  die  Reduktion  auf 
die  Minute  zu  gestatten  ist. 

K  i  e  n  a  s  t. 

*  Ober  die  „seich es4'  im  Vierwal d- 
stätter  See  liegt  ein  Bericht  von  Sarasin 
vor,  welcher  etwa  1  '/,  Jahre  unifafst.  Von 
Juli  bis  Dezember  18i)7  war  sein  Limno- 
graph  in  Luzern  aufgestellt,  von  Anfang 
Mai  1808  bis  Ende  Mai  lstu»  in  Flüelen 
In  Luzern  waren  die  Resultate  wohl  wegen 
der  Unregclniäfsigkeit  des  Sees  von  den 
beiden  Nasen  bis  dahin  ziemlich  unregel- 
mäßig. Die  gröfste  uninodale  Periode 
hatte  im  Durchschnitt  eine  Schwingungs- 
dauer von  447,  Minuten,  die  binodalen 
Schwingungen  dauerten  durchschnittlich 
24,4  Minuten.  Daneben  traten  noch 
Schwingungskurven  von  kürzerer  Dauer, 
im  Mittel  von  11  Minuten  auf,  dcreu  Ur- 
sprung noch  unaufgeklärt  ist.  Die  Gröfse 
der  Schwankungen  des  Seespiegels  be- 
trägt meist  nur  wenige  Millimeter  bis 
2  Centimeter,  steigt  aber  unter  besonderen 
Umständen  auf  1<>—12  Centimeter.  Sehr 
regelmäfsig  zeigten  sich  die  seiches  an 
der  zweiten  Beobachtungsstelle,  die  uni- 
nodalen  mit  einer  Dauer  von  41V,  Min., 
also  nahezu  der  gleichen  wie  von  Luzern 
aus  beobachtet  wurde.  Es  verhält  sich 
also  das  Seebeckeu  trotz  Heiner  kompli- 
zierten Form  wie  ein  langer  gebogener 
Kanal,  der  trotz  der  Biegung  in  Brunnen 
und  bei  den  Nasen  ohne  Abteilungen 
schwingt;  ein  sehr  interessantes  und 
ziemlich  unerwartetes  Resultat.  Die  Dauer 
von  44  Minuten  stimmt  mit  den  theore- 
tisch berechneten  gut  überein.  Augen- 
blicklich ist  der  Limnograph  bei  Schib- 
beren  unweit  der  Vitznauer  Nase  auf- 
gestellt. W.  H. 

*  Bahnen  auf  der  Balkanbalb- 
insel.  Die  österreichische  und  die  unga- 
rische Regierung  haben  im  Principe  den 
Bau  folgender  Eisenbahnen  beschlossen: 
Die  Verbindung  des  bosnischen  Eisen- 
bahnnetzes mit  der  Strecke  Salonichi— 
Mitrowitza  und  zwar  von  Sarajewo  über 
Gorazda  an  der  oberen  Drina  durch  das 
Limgebiet  oder  Sandschak  Novi- 
pazar  mit  einer  Abzweigung  über  Wisse- 
grad an  die  serbische  Grenze  bei 
l'rac,  die  Umgestaltung  der  Bosnathal- 
bahn  in  eine  normalspurige  Bahn  mit 
einer  Seitenlinie  von  Doboj  nach  Samac 


an  der  Save,  durch  welche  Budapest  eine 
kürzere  Verbindung  mit  Bosnien  erhalten 
wird,  und  endlich  die  Verbindung  Dal- 
matiens  mit  seinem  natürlichen  Hinter- 
lande  durch  die  Bahn  Spalato- Arz  a  no 
-  Buzojno  im  Anschlüsse  an  Sarajewo: 
Diese    Strecke   wird   als  schmalspurige 
Hochgebirgsbahn   über  die  Karstflächen 
der  dinarischen  Alpen  geführt  werden. 
Die  150  km  lange  Strecke  Mitrowitza  — 
Sarajewo  wird  eine  internationale  Be- 
deutung erlangen,  sie  wird  Mitteleuropa 
mit  Salonichi,  da«  das  ägäische  Meer 
beherrscht,  verbinden.  Lokale  Bedeutung 
wird   dieselbe   nicht   haben,   denn  da* 
Limgebiet   ist   dünn   bevölkert   und  in 
wirtschaftlicher   Beziehung    ganz  unbe- 
deutend. Die  technischen  Schwierigkeiten 
werden  sehr  grofs  sein,  da  über  1000  m 
hohe  Karstflächen  erstiegen  werden  müssen. 
Bezüglich   der   Ausführung   liegeu  drei 
Möglichkeiten    vor :    Von  Gorazda  ent- 
weder in  einem  weiten  Bogen  im  Drina- 
thale  bis  Foca  und  dann  im  Thale  der 
Cechotina    in   das    Limgebiet  oder  im 
Drinathale  abwärts  bis  zur  Einmündung 
des  Lim  und  dann  in  demselben  auf- 
wärt«; die  kürzeste,  strategisch  wichtig- 
ste Strecke  würde  über  Kajnita  geführt 
werden  können,  sie  würde  aber  die  gröfsten 
Terrainschwierigkeiten     zu  bewältigen 
haben,  da  der  1245  m  hohe  Metalkasattel 
erklommen     werden     müfste.  Öster- 
reichischerseits  wünscht  man  die  baldige 
Inangriffnahme     der     alten  Projekte: 
(Spalato)  —  Kuin — Unathal  (Bihae) — Novi, 
durch   welche   Strecke   Wien   mit  Dal- 
niatien   auf  dem   kürzesten  Wege  ver- 
bunden werden  würde;  dann  die  Aus- 
führung des  Mittelstückes  B  a  n j  a  1  u  k  a  — 
Jajce.    welche   Strecke   schon   in  den 
60  er  Jahren  nach  Salonichi  geplant  war. 
Die  Entfernung  von  Wien  über  Banjaluka 
nach  Salonichi  würde  640  km  betragen, 
wogegen  derzeit  die  Fahrt  über  Budapest 
876  km  betragen  wird.  —  Die  romanische 
Regierung  hat  den  Bau  der  Timokthal- 
bahn    beschlossen,    durch    welche  das 
nimänische  Eisenbahnnetz  mit  Nisch  ver- 
bunden werden  wird.  A.  R. 

*  Rückgang  des  Bergbaues  im 
Ural.  Nach  den  Berichten  russischer 
Fachzeitschriften  ist  im  Ural  allgemein 
ein  Stillstand,  wenn  nicht  ein  Rückgang 
in  der  Erzproduktion  zu  verzeichnen. 
Nur  in  der  Eisenproduktion  ist  in  den 


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Geographische  Neuigkeiten. 


53 


letzten  zehn  Jahren  ein  merklicher  Fort- 
schritt  erzielt   worden.    Die  Produktion 
ist  nämlich  um  60%  gestiegen.    In  der 
Kupferproduktion  ist  hingegen  eine  merk- 
liche   Abnahme    zu    verzeichnen.  Die 
Goldgewinnung  hat  einen  Stillstand  er- 
fahren, was  um  so  hemerkenswerter  ist, 
als  die  Goldproduktion  der  Welt  in  dem 
verflossenen   Jahrzehnte   um  16,3%  ge- 
stiegen ist.    Auch  die  Produktion  eines 
Weltverbraucbsartikels,  des  Platins,  zeigt 
nur  eine  »ehr  langsame  Steigung.  Gegen 
das  Jahr  1*90  hat  die  Platingewinnung 
allerdings  eine  fast  60  %  hohe  Zunahme 
erfahren,  aber  gegenüber  dem  Vorjahre 
Mrug   sie  nur  0,80%!    Auch  die  Pro- 
duktion an  Salz  und  Steinkohle  ist  sich 
fast  gleich  geblieben  und  hat  nur  in  den 
letzten  Jahren  etwas  zugenommen.  Die 
Ursachen  dieser  eigenartigen  Erscheinung 
liegen  in  dem  Übelstande,  dafs  fast  alle 
Hüttenbetriebe   mangels   an  Kohle  und 
Naphtha  mit  Holz  heizen  müssen.  Die 
Zufuhr  der  erwähnten  Heizmateriale  ist 
mit  Rücksicht  auf  die  geringe  Zahl  von 
Hahnen  im  Ural  mit  grofsen  Schwierig- 
keiten verbunden.   Nicht  in  letzter  Linie 
wird    auch   der  Mangel   an  Arbeitern, 
welcher  sich  in  Kufsland  aus  wirtschaft- 
lichen Gründen  fast  überall  bemerkbar 
macht,  schuldtragend  sein.  A.  R. 

Asien. 

*  Wachstum  der  Petroleum- 
industrie im  Kaus a su 8.  Die  in  Kilasy 
—  68  km  nördlich  von  Baku  —  angestellten 
Probebob mngen  ergaben  das  Vorhanden- 
sein von  Naphtha  in  einer  Tiefe  von  264.6m. 
l»as  Lager  befindet  sich  in  der  nächsten 
Nähe  der  Baku-Petrowsker  Bahn.  Die 
Rohprodukte  ergaben  einen  Petroleum- 
Gehalt  von  fast  58%,  der  vollständig  frei 
von  Paraffin  ist.  Somit  dürfte  Kilasv 
eiu  wichtiges  Zentrum  der  kaukasischen 
Petroleumindustrie  werden.  —  Einen  be- 
deutenden Fortschritt  bildet  die  im  Laufe 
liieses  Sommers  dem  Betriebe  übergebene 
Petroleumleitung  von  Michailowo- 
Hatum  an  der  Bahn  Baku-Poti,  welche 
notwendig  wurde,  da  die  Industriebahnen 
fast  alljährlich  überschwemmt  wurden.  — 
Die  vor  drei  Jahren  begonnenen  Probe- 
bohrungen im  Gebiete  des  Embaflnsses, 
im  südöstlichen  Gebiete  von  Uralsk  j 
haben  durchweg  Anzeichen  von  Erdöl 
gegeben,  so  dafs  diesem  Gebiete  als  Krdöl- 


terrain  vielleicht  eine  grofse  Zukunft  be- 
vorsteht, umsomehr,  als  die  Lage  —  der 
Emba  mündet  in  das  Kaspischc  Meer  — 
für  den  Transport  aufserordentlich  günstig 
ist.  Der  Hafen  Grujew,  der  dann  als 
Ausfuhrhafen  für  Erdöl  in  Betracht  käme, 
ist  sehr  nahe  der  Wolgamündung  ge- 
legen und  somit  mit  ganz  Rufsland  günstig 
verbunden.  A.  R. 

*  Um  seinen  Einflufs  in  Persieu 
immer  mehr  auszudehuen,  will  Rufsland 
neuerdings  dort  Eisenbahnen  bauen,  wobei 
zunächst  eine  direkte  Verbindung  Moskau- 
Teheran  in  Betracht  kommt.  Der  Handel, 
welcher  bisher  über  das  kaspische  Meer 
geleitet  wurde,  wird  bald  die  Eisenbahn 
von  Kars,  welche  letztes  Jahr  eröffnet 
wurde,  zu  seiner  Verfügung  haben.  Die 
Eisenbahn  Tiflis-  Alexandropol  -  Kars  wird 
bald  nach  Djulfa  an  der  persischen 
Grenze  über  Eriwan  und  Nahitachevanj 
im  Arad-Thal  fortgesetzt  werden.  Die 
Linie  ist  schon  bis  Eriwan  beendet  und 
man  rechnet  darauf,  dafs  die  Strecke  im 
Jahr  1903  dem  Betrieb  übergeben  wer- 
den kann.  Es  wird  danu  möglich  sein, 
von  Moskau  innerhalb  fünf  Tagen  die 
persische  Grenze  zu  erreichen,  und  ein 
Umladen  der  Waren  ist  dann  bis  dorthin 
nicht  mehr  nötig.  —  Von  Djulfa  aus 
haben  zwei  nissische  Expeditionen  eine 
Tracc  erkundet,  welche  Persien  durch- 
schneidet, um  Diarbekr  in  der  Türkei  zu 
erreichen.  Von  dem  genannten  Ort  soll 
sich  dann  die  Eisenbahn  wieder  nach 
Norden  wenden,  um  über  Erzerum  führend 
in  Batum  zu  enden.  Andererseits  wurde 
eine  Verlängerung  der  transkaukasischen 
Bahn  als  Umgehung  des  k  ispischen  Meeres 
im  Süden  zur  Verbindung  mit  der  mittel- 
asiatischen Bahn  geplant.  (Le  Mouvement 
geographique.)  K  ü. 

*  Zur  Erforschung  der  chinesischen 
Provinzen  Tschili,  Honan,  Schansi, 
Kansu,  Szetschuan  und  der  Gebiete 
am  Kuku-Nor  hatte  der  König  der 
Belgier  im  Jahre  189'.»  eine  Mission  unter 
dem  Oberst  Five  ausgesandt,  die  Mitte 
Dezember  l'JOO  wieder  in  Lüttich  ein- 
getroffen ist.  Im  Interesse  der  Verwaltung 
des  Kongostaates  sollte  besonders  der 
Handel  und  die  Industrie  der  genannten 
Provinzen  erforscht  werden,  t^ber  den 
Verlauf  der  Expedition  äufsert  sieb  Five 
folgendermafsen :  Ausgerüstet  mit  Em- 
pfehlungsschreiben   Lihungtschang's  an 


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54 


Geographische  Neuigkeiten. 


die  Vicekönige  brach  die  aus  fünf  Mit- 1 
gliedern  bestehende  Expedition  im  No- 1 
vember  1899  von  Tientsin  auf  und  bereiste  I 
ohne  Unfall  die  Provinzen  Tschili,  Honan, 
Schansi  und  Hanau.  Dann  teilte  eich  die 
Expedition ;  die  Ingenieure  Henrard  und 
Lcdent  übernahmen  die  Erforschung  von 
Süd-Kansu  und  Nord-Szetsehuan,  während 
Five  mit  dem  Dolmetscher  Splingard,  der 
seit  34  Jahren  in  China  ansässig  ist  und 
die  Mandarinenwürde  besitzt,  und  dessen 
Sohn  die  Gebiete  am  Kuku-Nor  erforschte, 
worauf  sich  die  ganze  Expedition  in  der 
Hauptstadt  der  Prov.  KanBti  wiederver- 
einigte. Die  Rückreise  der  Expedition 
gestaltete  sich  wegen  des  unterdessen 
ausgebrochenen  Boxeraufstandes  etwas 
schwierig.  Da  der  Weg  nach  der  Küste 
von  den  Boxern  versperrt  war,  mufste 
man,  um  dem  Ersuchen  des  Vicekönigs 
von  Kansu,  Lantschou  sobald  als  möglich 
zu  verlassen.naehzukommen,sich  nordwärt» 
wenden  und  durch  die  Wüste  Gobi  Urga 
zu  erreichen  suchen.  Am  8.  September  1 900 
erfolgte  die  Abreise  von  Lantschou  und  An- 
fang Oktober,  nach  mannigfachen  Kämpfen 
mit  den  fremdenfeindlichen  Eingeborenen 
und  Irrfahrten  in  der  Wüste  Gobi,  wurde 
Urga  erreicht.  Von  hier  ging  es  dann 
weiter  über  Kiachta  nach  Irkutsk  am 
Baikal-See,  wo  die  Transsibirische  Bahn 
erreicht  und  die  Eisenbahnfahrt  nach 
Petersburg  angetreten  wurde. 

Afrika. 

*  Prof.  Dr.  Th.  Fischer  in  Marburg 
beabsichtigt  Anfang  1901  eine  dritte  Re  i  se 
nach  Marokko,  diesmal  auf  Kosten  und 
im  Auftrag  der  Hamburger  Geogra- 
phischen Gesellschaft,  anzutreten. 
Prof.  Fischer,  welcher  auf  seiner  letzten 
Reise  im  Jahre  1899  vornehmlich  die  Er- 
forschung des  Stromlaufes  des  Tensift, 
des  Um-er-Rbia  und  des  Wadi  Bcht  aus- 
geführt hat  und  sein  reiches  Material  zur 
Geographie  des  marokkanischen  Atlas- 
Vorlandes  demnächst  als  Ergänzungsheft 
zu  Petermann's  Geographischen  Mittei- 
lungen veröffentlichen  wird,  beabsichtigt 
auf  dieser  dritten  und  letzten  Marokko- 
Reise  den  wirtschaftlich  wertvollsten  und 
am  leichtesten  zu  bereisenden  Schwarzerde- 
gürtel von  Mogador  im  Süden  bis  Larasch 
im  Norden  incl.  einer  Zone  von  etwa 
100  km  landeinwärts  zu  erforschen. 

Dr.  M.  Friederichsen. 


*   „Über  die  Lage   des  antiken 
Möns-Sees"  machte  Prof.  Wessely  der 
K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien 
einige  Mitteilungen,  denen  wir  Folgenden 
entnehmen:    Den    von    den    Alten  be- 
schriebenen Möris-See  ohne  weiteres  mit 
dem  in  der  Landschaft  Faijüm  liegenden 
See   Birket  el-Qariin   zu  identifizieren, 
verbieten  gewichtige  Gründe;  denn  nach 
Herodot  (IL,  149)  stand  der  antike  See 
mit   dem  Nil   so   in  Verbindung,  dafs 
das  Wasser  einen  Teil  des  Jahres  in  ihn 
hinein-,  den  anderen  wieder  hinausflog, 
was  aber  bei  dem  heutigen  Birket  el- 
Qariin  unmöglich  ist ,  da  er  auf  der  nie- 
drigsten Höhenstufe  des  von  O.  nach  W. 
in  zwei  Terrassen  abfallenden,  also  drei 
verschiedene  Höhenstufen  bildenden  Fai- 
jtims    liegt.     Durch   Schweinfurt  h's 
Untersuchungen   über    das  Depressions- 
gebiet im  Umkreise  des  Faijüms  tZtschr. 
d.  Ges.  f.  Erdk.  z.  Berl.  1886)  ist  es  be- 
reits festgestellt,  dafs,  nach  den  Spuren 
des  ehemaligen  Ufers  zu  schliefsen,  der 
Birket  el-Qariin  in  griechisch-römischer 
Zeit  bis  an  den  Fufs  der  im  N.W.  strei- 
chenden Berge  reichte  und  einen  40  m 
höheren  Wasserstand  hatte  als  jetzt,  also 
die   von  Herodot  erwähnte  Eigenschaft 
damals  wohl  haben  konnte.    Einen  ur- 
kundlichen  Beweis   für   die  ehemals 
gröfsere  Ausdehnung  des  Birket  cl-Qaruii 
enthalten    die    Papyrusfragmente,  die 
gegenwärtig  in  Wien,  Sammlung  Papyrus 
Erzherzog  Rainer,   aufbewahrt  werden. 
Aus  diesen  Fragmenten  gelang  es  Wessely, 
einen  Text  zusammenzustellen,  in  dem  es 
sich  um  einen  Hausverkauf  in  der  Ort- 
schaft Soknopaiu  Nesos  im  J.  47  n.  Chr. 
handelt.   Uber  die  Lage  dieser  Ortschaft 
wird  in  dem  Text  gesagt,  „an  dem  See 
Möris,  der  da  ist  bei  Ptolemais  Euergetis". 
Da  nun  Krebs  bereits  früher  i Göttinger 
Nachrichten,  18V2  S.  632)  diese  antike 
Inselortschaft  Soknopaiu  Nesos  vermittelst 
einer  Inschrift  mit  dem  jetzigen  Dimeh 
3  km   vom  jetzigen   Nordwestrande  des 
Birket  el-Qarün  identifiziert  hat  ,  so  er- 
giebt  sich,  dafs  dieser  ein  Überrest  des 
einst  viel  gröfseren  und  einen  viel  höheren 
Wasserstand  aufweisenden  Möris-Sees  ist. 
und  dafs  die  Hypothese  falsch  ist  ,  die 
noch  immer  in  Handbüchern  wiederholt 
wird:  „nach  der  Zerstörung  der  Dämme 
durch  mangelnde  Fürsorge  in  der  mittel- 
alterlich-arabischen Zeit  sind  die  hinein- 


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Geographische  Neuigkeiten 


55 


Nilgewässer  .  .  nordwestlich 
in  die  tiefste  Stelle  jener  Einsenknng  ab- 
geflossen und  haben  dort  einen  neuen, 
durch  den  Natrongehalt  den  Wüstenbodens 
salzig  gewordenen  See  der  Hörner 
gebildet,  der  also  heute  eine  ganz  andere 
Stelle  als  der  trockengelegte  antike  Möris- 
See  einnimmt.41  (Anz.  d.  K.  Ak.  d.  Wiss. 
in  Wien  1900  Nr  XXII.) 

Australien  und  Polynesien. 

*  Den  ./Times"  zufolge  hat  Lord  Ran- 
furly  während  seiner  Kreuzfahrt  an  Bord 
der  „Mildura"  die  britische  Flagge 
auf  den  Inseln  Mangaia,  Aitutaki 
und  Savage  hissen  lassen.    „Man  er- 
wartete," schreibt  der  Korrespondent  der 
Times,  „Schwierigkeiten  betreffs  der  letz- 
teren Insel,  aber  die  Verhandlungen  endeten 
erfolgreich,   denn   die  Bewohner  dieser 
Insel  verlangten,  wie  die  der  andern,  ein- 
stimmig die  Annektierung.    Diese  Inseln 
«ind  fruchtbar  und  gestatten  auf  eine  Er- 
weiterung unseres  Handels   zu  hoffen." 
Diese  drei  Inseln  liegen  zwischen  dem 
160.   und   170.  Grade  westlicher  Länge 
und  dem   10.  und  20.  Grade  südlicher 
Breite.  B. 

Nord-  und  Mittelameiika. 

*  Dem  Bericht  des  amerikanischen 
Konsuls  McCook  zufolge  hat  Dawson 
in  Alaska  von  heute  gar  keine  Ähnlich- 
keit mehr  mit  dem  Dawson  vor  zwei 
Jahren.  Wenngleich  die  Goldausbeute 
noch  gestiegen  ist,  so  gleicht  doch  der 
Ort  in  keiner  Weise  mehr  einer  Minen- 
stadt. DawBon  ist  gegenwärtig  ein  blühen- 
des Handelszentrum  mit  Reihen  prächtig 
auggestatteter  Läden,  Kais  und  Waren- 
häusern, guten  Hotels,  Strafsen,  die  mit 
Elektrizität  erleuchtet  sind,  und  von  Neu- 
jahr ab  mit  einer  elektrischen  Strafsen- 
hahn.  Öffentliche  Schulen  sind  geöffnet 
worden  und  werden  gut  besucht.  B. 

*  ("her  die  i.  J.  1899  im  nördlichen 
Labrador  von  Low  ausgeführten 
tteisen  berichtet  Geogr.  Journal  Vol.  XVI 
S.  686:  Bereits  am  23.  Februar  brach 
Low  mit  seinem  Gefährten  Young  vom 
Orofsen  Whale  Flufs,  wo  sie  überwintert 
hatten,  nach  Norden  auf,  erreichten  beim 
Kichmondgolf  die  nördliche  Baumgrenze 
und  wandten  sich  ungefähr  20  km  nördlich 
vom   Nastapoka- River    westwärts  nach 


dem  Innern  der  Halbinsel,  das  hier 
schnell  zu  ungefähr  700  Fufs  Höhe  an- 
steigt, und  mit  zahlreichen  kleineren 
Seen  besetzt  ist.  Nach  Überschreitung 
der  Wasserscheide  zwischen  der  Hudson 
und  Ungavabay  ging  Low  zum  Seal-See, 
der  durch  den  Leaf  River  zur  Ungavabay 
entwässert  wird,  kehrte  dann  ins  Quell- 
gebiet des  Grofsen  Whale  Flusses  zurück 
und  erreichte  auf  diesem  wieder  die  Küste. 
Hier  wurde  die  Yacht  für  die  Sommer- 
reise in  Stand  gesetzt  und  dann  die 
Ostküste  der  Hudson-Bay  vom  Kichmond- 
golf bis  hinab  zum  Rupert-Fluh  befahren. 
Der  gröfste  Teil  der  betretenen  Gegenden 
war  aus  krystallinischen  Schiefern,  Gneisen 
und  Graniten  aufgebaut,  die  Küste  und 
die  Inseln  zwischen  Kap  Portland  und 

I  Kap  Jones  gehörten  dem  Cambrium  an. 

I  Auf  den  Nastapoka  -  Inseln  enthielten 
diese    Schichten    grofse  Einlagerungen 

[von  Eisenerzen,  ähnlich  denen  im  Süden 
vom  Oberen  See.  Die  Halbinsel  Labrador 
war  einst  vollständig  vom  Eise  überdeckt, 
das  Ausgangscentrum  desselben  lag  zuerst 
in  der  südlichen,  dann  in  der  nördlichen 
Hälfte  der  Halbinsel.  Seit  der  Eiszeit 
hat  sich  das  Land  wenigstens  700  Fufs 
gehoben,  gegenwärtig  sind  keine  Hebungs- 
erscheinungen zu  beobachten. 

*  Die  „Scientific  American"  veröffent- 
licht einen  Artikel  über  den  N icaragua- 
Kanal  von  Professor  Heilgrin,  welcher 
annimmt,  dafs  der  Bau  den  Ingenieuren 
unangenehme  Überraschungen  bereiten 
wird.  Die  Techniker,  welche  seit  16  Jahren 
die  dortigen  Gegenden  erkunden,  setzen 
übereinstimmend  den  Spiegel  des  Nicara- 
gua-Sees 32  m  über  das  Ebbe-Niveau  des 
Stillen  Ozeans  fest.  Man  findet  jedoch 
wesentlich  abweichende  Zahlen,  wenn  man 
frühere  Beobachtungen  in  Betracht  zieht, 
welche  alle  wissenschaftlichen  Garantien 
geben.  Der  Oberst  Childs  stellte  im  Jahr 
1851  34  m,  der  Leutnant  Baily  im  Jahr 
1838  ein  wenig  mehr  als  39  m  und  der 
spanische  Ingenieur  Galister  im  Jahr  1781 
fast  41  m  fest.  Auch  andere  Thatsachen 
sprechen  nach  Heilgrin  dafür,  dafs  sich 
der  See  allmählig  leert.  Im  Jahr  1838 
war  der  natürliche  Kanal,  welcher  den 
genannten  See  mit  seinem  Nebensee,  «lein 
Managua,  verbindet,  •*/,  km  lang  und 
schiffbar,  Beine  Tiefe  schwankte  zwischen 
l'/t  und  4 Vt  öi.  Im  Jahr  1896  hatte  er 
eine  fast  vierfache  Länge,  und  in  der 


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Geographische  Neuigkeiten. 


Mitte  des  Sommere  war  seine  Tiefe  so 
gering,  dafs  man  fast  trockenen  Fufses 
hindurchwaten  konnte.  Kü. 

Südamerika. 

♦  Zur  Schlichtung  eines  schon  fast  ein 
Jahrhundert  lang  herrschenden  Grenz- 
streites zwischen  Kolumbien  und 
Costarika  wurde  am  4.  November  1896 
in  Bogota  zwischen  Kolumbien  und  Costa- 
rika ein  Vertrag  abgeschlossen,  nach 
welchem  dem  Präsidenten  Loubet  die 
Schiedsrichterschaft  in  dem  Grenzstreit 
übertragen  wurde.  Die  Entscheidung  ist 
nun  dahin  gefallen:  „Die  Grenze  zwischen 
den  Republiken  Kolumbien  und  Costarika 
wird  durch  den  Ausläufer  der  Kordilleren, 
welcher  vom  Kap  Mona  am  Atlantischen 
Ozean  ausgeht  und  das  Thal  des  Rio 
Tiliri  oder  Rio  Sixola  nördlich  begrenzt, 
gebildet,  dann  setzt  sie  sich  auf  der 
Wasserscheide  zwischen  dem  Atlantischen 
und  Stillen  Ozean  ungefähr  bis  9°  n.  Br. 
fort,  folgt  dann  der  Wasserscheide  zwi- 
schen Chiriqui-Viejo  und  den  Zuflüssen 
des  Duke-Golfes  und  endet  an  dem  Punta 
Burica  am  Stillen  Ozean.  Die  Inseln, 
Inselgruppen  und  Bänke  im  Atlantischen 
Ozean  in  der  Nähe  der  Küste  gehören  ohne 
Rücksicht  auf  ihre  Zahl  und  Ausdehnung, 
soweit  sie  im  Osten  und  Süd-Osten  des 
Mona-Kaps  liegen,  zu  Kolumbien,  im 
Westen  und  Nordwesten  des  genannten 
Punktes  zu  Costarika.  Die  vom  Kontinent 
weiter  entfernteren  Inseln,  soweit  sie  zwi- 
schen der  Mosquitos-Küste  und  der  Land- 
enge von  Panama  liegen,  nämlich:  Mangle- 
Chico,  Mangle-Grande,  Ceyos-de-Albuquer- 
que,  San- Andres,  Santa-Katalina ,  Provi- 
dencia,  Esceido-de-Mongua,  sowie  alle  an- 
deren Inseln,  Inselchen  und  Bänke,  welche 
von  der  alten  Provinz  Kartagena  unter 
der  Bezeichnung  San- Andres- Bezirk  ab- 
hängen, gehören  ohne  Ausnahme  zu  Ko- 
lumbien. Im  Stillen  Ozean  werden  Kolum- 
bien einschliefslich  der  Burica-Inseln  alle 
diejenigen  Eilande  zugeteilt,  welche  im 
Osten  des  gleichnamigen  Punktes  liegen, 
während  diejenigen  westlich  desselben 
Costarika  erhält."  Vergl.  auch  die  Karte 
in  Pet.  Mitt.  Heft  11.)  Kü. 

*  Die  Regierung  von  Venezuela  hat 
die  Schiffahrt  auf  den  Kanälen  Peder- 
nales  und  Macareo  im  Delta  des  Ori- 
noko freigegeben.  Die  Schiffahrt  auf  den 
beiden    genannten    Wasserstraßen  war 


ehemals  ein  Monopol  einer  englischen 
Oesellschaft.  Kü. 

*  In  dem  seit  187  Jahren  schwebenden 
Grenzstreit  zwischen  Frankreich 
und  Portugal  bezw.  dessen  Nachfolger 
Brasilien   wegen   eines  Grenzgebietes 
zwischen  Französisch-Guyana  und  Brasilien 
ist    Frankreich    nach    einem  Schieds- 
gerichtsspruch  jetzt    völlig  unterlegen. 
Von  dem  260  000  qkm  grofsen,  streitigen 
Gebiete  erhält  Frankreich  nichts  und  die 
Grenze  zwischen  Guyana  und  Brasilien 
ist  definitiv  so  festgestellt,  wie  sie  schon 
in  Stieler's  Atlas  angegeben  ist,  im  Osten 
der   Uyapoc-Flufs    und   im   Süden  du 
Tumac-Humacgebirge.     Der  Kernpunkt 
des  Streites  lag  im  Frieden  von  Utrecht 

1714),  dessen  8.  Art.  lautete:  „Die 
Schiffahrt  auf  dem  Amazonenstrom  und 
den  beiden  Ufern  des  FIubbcs  gehört 
Portugal,  und  der  Japocflufs  oder  Vicente 
Pinzonflufs,  der  in  den  Ozean  mündet, 
dient  für  die  beiden  Kolonien  als  Grenze." 
Die  Portugiesen  behaupten  nun,  der  Japoc 
sei  der  gegenwärtige  Oyapoc,  der  westlieh 
vom  Oranjekap  in  den  Ozean  mündet. 
Die  Frauzosen  ihrerseits  wollten  den 
Japoc  in  dem  weiter  südöstlich  fliefsenden 
Araguary  erkennen,  der  in  die  Vicente 
Pinzon-Bueht  fliefst.  Das  Schiedsgericht 
hat  Brasiliens  Ansprüche  auf  die  Oyapoc- 
grenze  anerkannt  und  eine  entsprechende 
Grenzbestimmung  im  Süden  festgesetzt. 
Da  Französisch -Guyana  heute  noch  be- 
deutende jährliche  Zuschüsse  vom  Mutter- 
landc  verlangt,  wird  sich  Frankreich  leicht 
über  die  entgangene  Vergrößerung  der 
kostspieligen  Kolonie  trösten. 

*  Das  Eisenbahnnetz  Brasiliens 
umfafst  nach  einem  dem  Staatsdepartement 
in  Washington  erstatteten  offiziellen  Be- 
richte zur  Zeit  63  verschiedene  Linien  mit 
einer  Gesamtlänge  von  14  715  km;  hiervon 
gehören  nur205U  km  der  Bundesregierung 
und  176  km  den  Einzelstaaten,  der  Rest 
jedoch  Gesellschaften,  für  die  die  Regierung 
zum  Teil  Zinsgarantien  übernommen  hat 
12  387  km  der  brasilianischen  Bahnen 
sind  schmalspurig  (1  m),  die  übrigen 
haben  Spurweiten  von  1,6  oder  1,75  m. 
Die  erste  Bahnstrecke  wurde  1866  er- 
öffnet, die  meisten  Bahnen  wurden  Ende 
der  70er  und  Anfang  der  80er  Jahre 
erbaut  ,  als  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
einen  wesentlichen  Aufschwung  nahmen 
und  vor  allem  Kaffee  und  Gummi  einen 


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Geographische  Neuigkeiten 


guten  Verdienst  abwarfen.  Seit  Bestehen 
der  Republik  wurden  5640  km  gebaut. 
Eine  Eigentümlichkeit  des  brasilianischen 
Bahnnetzes  ist,  dafs  die  verschiedenen 
Strecken  zum  weitaifc  gröfsten  Teile 
Stichbahnen  sind,  die  von  den  Hafen- 
plätzen ins  Innere  gehen  und  mit  wenigen 
Ausnahmen  nicht  miteinander  in  Ver- 
bindung stehen.  Der  Reingewinn  aus 
dem  Betriebe  aller  Linien  betrug  zuletzt 
•2809  054  Dollar;  er  verzinst  das  in  den 
Hahnen  angelegte  Kapital  nur  mit 
0,5  Prozent.  Am  schlechtesten  rentieren 
tüch  die  Staatsbahnen,  denn  sie  werden 
wenig  benutzt,  obwohl  die  Personentarife 
niedrig  sind.  (Globus  Bd.  LXXVDJ  S.  364.) 

Polarregfonen. 

*  tjber  die  Verbreitung  des 
Moschusochsen  vermochte  Nathorst 
auf  seiner  vorjahrigen  Grönlandexpedition, 
auf  der  er  den  König- Oskar- Fjord  süd- 
lich vom  Franz- Joseph  -  Fjord  entdeckte 
und  erforschte,  sehr  bemerkenswerte  That- 
>achen  zu  erkunden.  Diese  aus  der  Eis- 
zeit übriggebliebene  Tierart  wurde  von 
Nathorst  an  verschiedenen  Stellen  der 
von  ihm  untersuchten  Ostküste  Grönlands 
angetroffen;  verschiedene  Exemplare 
wurden  erlegt  und  später  deren  mehrere 
deutschen  Museen  schenkungsweise  über- 
lassen. Auf  einer  Karte  (XX.  Verwaltungs- 
bericht des  Westpreufsischen  Provinzial- 
Museums)  hat  Nathorst  die  jetzige  Ver- 
breitung des  Tieres  selbst  skizziert;  da- 
nach lebt  das  Tier  an  der  Ost-  und  Nord- 
küste Grönlands  nördlich  vom  Scoresby- 
Sund,  im  nordöstlichsten  Nordamerika 
und  auf  den  nördlich  davon  liegenden 
Inseln  westlich  und  nördlich  von  Baffin- 
land. Da  sowohl  Scoresby ,  Vater  und 
Sohn,  bei  ihrem  Besuche  des  Scoresby- 
Sundes  1822,  als  auch  Sabine  1823  bei 
seinem  Aufenthalte  auf  der  Sabine-Insel 
und  Clawering  bei  seiner  Fahrt  nach  Loch 
Fine  keine  Moschusochsen  bemerkt  haben, 
und  in  den  Kjökkenmöddings  keine  Über- 
reste dieses  Tieres  gefunden  worden  sind, 
»o  schliefst  Nathorst,  dafs  der  jetzige 
•Stamm  von  Moschusochsen  erst  während 
<ler  letzten  70—80  Jahre  über  die  Nord- 
küste  nach  Nordostgrönland  eingewandert 
i«t.  Jedoch  erscheint  ihm  nicht  ausge- 
schlossen, dafs  diese  Tierart  in  noch 
früherer  Zeit  bereits  dort  gelebt  hat  und 
bis  1823  entweder  sehr  selten  geworden, 


57 

oder  ganz  ausgestorben  war.  Nathorst 
empfiehlt  die  Akklimatisation  des  Moschus- 
ochsen in  Europa,  die  jetzt  bereits  mit 
fünf  Kälbern  im  nördlichen  Schweden 
versucht  wird. 

Im  Anschlufs  an  die  Verbreitung  und 
Einwanderung  des  Moschusochsen  er- 
wähnt Nathorst  auch  die  Einwanderung 
des  weifsen  Polarwolfes  nach  Nordost- 
grönland. Während  weder  Koldewey 
1869/70  noch  Ryder  1891  92  auf  ihren 
weitenSchlittenreisenundC"berwinterungen 
Wölfe  oder  deren  Spuren  angetroffen 
haben,  bemerkte  Nathorst  am  Scoresby- 
Sund  zahlreiche  Spuren  dieser  Tiere;  von 
den  beiden  Exemplaren,  die  ihm  selbst 
begegneten,  vermochte  er  leider  keins  zu 
erlegen,  dagegen  erwarb  er  von  einem 
norwegischen  Schiffskapitän  das  Fell 
eines  bei  der  Clavering-  Insel  erlegten 
rolarwolfes.  Es  mufs  deshalb  angenommen 
werden,  dafs  der  Polarwolf  erst  nach 
1892  in  Nordostgrönland,  und  zwar  auf 
demselben  Wege  wie  der  Moschusochs, 
eingewandert  ist.  Trotz  dieser  kurzen 
Zeit  hat  sein  Erscheinen  schon  bemerkens- 
werte Änderungen  in  der  Tierwelt  hervor- 
gerufen: Die  Rentiere  sind  dort  gröfsten- 
teils  ausgerottet,  und  die  zahlreich  ge- 
fundenen Geweihe  und  Skelette  lassen 
sicher  darauf  schliefsen,  dafs  die  Tiere 
von  Wölfen  getötet  wurden.  Auch  die 
Existenz  des  Polarfuchses  scheint  sehr 
gefährdet,  da  es  Kolthoff  im  vorigen  Jahre 
nicht  möglich  war,  dort  ein  Exemplar 
davon  zu  erlangen.  (Verh.  d.  Ges.  f. 
Erdk.  z.  Berlin  Bd.  XXVII.  S.  427.) 

*  Einen  Kolon isations versuch  auf 
dcnKerguelen  unternimmt  gegenwärtig 
eine  französische  Oesellschaft  „Compagnie 
de  Kerguelen".  Anfangs  Dezember  hat 
sich  M.  A.  de  Gerlache,  der  ehemalige 
Leiter  der  antarktischen  Expedition  auf 
der  „Belgica",  auf  der  Dampfyacht  „Selika1' 
nach  den  Kerguelen  eingeschifft;  zu  seiner 
Verfügung  steht  ihm  aufserdem  der  fran- 
zösische Segler  ., Fanny",  der  auf  den 
Falkland-Inseln,  deren  Klima  demjenigen 
der  Kerguelen  sehr  ähnlich  ist,  1500  Schafe 
aufnehmen  soll,  deren  Akklimatisierung 
man  auf  den  Kerguelen  versuchen  will. 
Aufserdem  wird  die  „Fanny"  auch  einige 
Hirten  von  den  Falkland-Inseln  nach  den 
Kerguelen  bringen.  In  der  Begleitung 
des  Herrn  von  Gerlache  befinden  sich  ein 
Prospektor  und  zwei  französische  Zoologen, 


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5« 


BüeherbeHprechungen. 


Bonnier  und  Peres,  welche  die  natürlichen 
Verhältnisse  der  Inseln  untersuchen  »ollen. 
Desgleichen  sollen  meteorologische  Beob- 
achtungen angestellt  werden,  sodafs  auch 
die  Wissenschaft  von  dem  Unternehmen 
Nutzen  haben  wird.  (La  Geographie 
liioo,  Nr.  11.) 


Geographischer  linterriebt. 

*  Als  Ergebnis  der  im  Frühling  d.  J. 
abgehaltenen  Schulkonferenz  im  preufs. 
Kultusministerium  ist  ein  vom  26.  November 


datierter  Erlafs  des  Kaisern  bekanntge- 
geben, der  zwei  auf  die  Stellung  der 
Erdkunde  im  Unterricht  bezügliche  Be- 
merkungen enthält.  1.  „Es  erscheint 
angezeigt,  dafs  im  Lehrplan  der  Ober- 
Realschulen,  welcher  nach  der  Stunden- 
zahl noch  Raum  dazu  bietet,  die  Erd- 
kunde eine  ausgiebigere  Fürsorge  findet" 
und  2.  „Für  die  Erdkunde  bleibt  sowohl 
auf  den  Gymnasien  wie  auf  den  Real- 
gymnasien zu  wünschen,  dafs  der  Unter- 
richt in  die  Hand  von  Fachlehrern  gelegt 
wird  "  H.  Fischer. 


Böcherbesprechungeii. 


Worgltzky,  Dr.  Georg,  Werden  und 
Vergehen  der  Erdoberfläche, 
Hauptthatsachen  der  physi- 
schen Erdkunde  in  allgemein 
verständlicher  Darstellung. 
127  S.  Mit  76  Figuren  im  Text. 
Breslau,  F.  Hirt  18'Ji».  M  1,60. 
Das  Buch  ist  in  doppelter  Absicht  ge- 
schrieben. Es  soll  in  der  Zeit  des  ge- 
steigerten Reiseverkehrs  dem  Wunsch 
nach  Aufklärung  über  die  Ursachen  der 
gesehenen  Erscheinungen  genügen  und 
Abrundung  schon  erworbener  Kenntnisse 
bewirken.  Es  soll  aber  auch  dem  Unter- 
richt der  höheren  Schulen  in  der  physi- 
schen Erdkunde  dienen,  doch  weder  ein 
Buch  zum  Auswendiglernen,  noch  ein 
blofses  Nachschlagebuch  sein.  Es  soll 
dem  Schüler  es  ermöglichen,  durch  Nach- 
lesen zu  Hause  auch  über  die  im  Unter- 
richt nicht  durchgenommenen  Kapitel 
eigne  Belehrung  zu  schöpfen.  Demnach 
scheint  es  sich  der  Verf.  nicht  als  eigent- 
liches (eingeführtes)  Schulbuch  zu  denken. 
Das  wird  es  auch  schwerlich  werden,  da 
die  Schulen,  die  sich  noch  mit  dürftigen 
Leitfaden  der  Länderkunde  begnügen, 
kaum  das  Bedürfnis  einer  physischen 
Erdkunde  fühlen  werden,  diejenigen  aber, 
welche  bessere  Lehrbücher  besitzen,  in 
diesen  schon  genügende  Anregungen  und 
ausreichenden  Lehrstoff  finden  dürften. 
Wir  betrachten  es  somit  als  ein  Buch, 
das  der  Schüler  zu  Weihnachten  erhält, 
oder  der  wifsbegierige  „Laie1'  Bich  an- 
schafft, um  sich  über  die  physische  Erd- 
kunde „durch  Darstellungen  kürzester 
Form"  zu  belehren. 


Für  diesen  Zweck  kann  es  auch  em- 
pfohlen werden.  --  Der  Stil  hätte  zuweilen 
etwas  frischer  sein  können,  doch  hat  sich 
der  Verf.  bemüht,  allgemein  verständlich 
zu  schreiben  und  induktiv  zu  entwickeln. 
Besonders  mufs  das  Beatreben  anerkannt, 
werden,  überall  für  die  einzelnen  Erschei- 
nungen auch  die  geographischen  Gebiete 
nachzuweisen  und  an  der  Hand  alltäg- 
licher Erfahrungen  ursächliche  Erklärung 
herbeizuführen;  z.  B.  wird  (S.  22)  zum 
Verständnis  der  Verdunstung  des  Wassers 
und  der  Verdichtung  des  Wasserdampfcs 
auf  die  Vorgänge  im  geheizten  Zimmer 
hingewiesen.  Wenn  hie  und  da  eine  Un- 
genauigkeit  untergelaufen  ist,  so  kann  das 
unser  Urteil  nicht  herabstimmen;  indessen 
bedarf  die  Erklärung  der  Gezeiten  iS.  40» 
sorgfältiger  Nachbesserung;  schon  die 
Zeit  des  scheinbaren  täglichen  Mond- 
umlaufs  ist  mit  24  Stunden  «loch  zu  un- 
genau angegeben. 

Um  den  Inhalt  dieser  physischen  Erd- 
kunde zu  kennzeichnen,  seien  die  Haupt- 
teile genannt:  I.  Die  Luft,  n.  Das  Meer. 
III.  Das  Festland,  IV.  Aufbau  der  Erd- 
rinde. Dazu  kommt  ein  Register  und  ein 
Verzeichnis  der  Abbildungen.  —  In  letz- 
teren haben  wir  zumeist  liebe  Bekannte, 
namentlich  aus  dem  „Seydlitz"  wieder- 
gefunden. Als  (Quellen  sind  die  besten 
gröfseren  Lehrbücher  benutzt;  sie  werden 
(8.  6)  besonders  aufgezählt^ 

Eckart  Fulda 

Buchenau,  Prof.  Dr.  F.,  Die  freie 
Hansestadt  Bremen  und  ihr  Ge- 
biet, Ein  Beitrag  zur  Geographie  und 


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B  fleh  er  Besprechungen. 


59 


Topographie  Deutschlands.   3.  völlig  1 
umgearbeitete  Auflage.  Mit  26  Abbil-  I 
düngen  im  Text  und  12  Tafeln  und 
Karten.  Bremen,  G.  A.  v.  Halem.  1900. 
Der    kleine  bremische  Freistaat  ist 
immer  reich  an  Männern  gewesen,  welche 
sich  um  Geographie  und  Geschichte  ihrer 
Heimat  Verdienste  erwarben.    Einer  der 
würdigsten  unter  ihnen  int  Franz  Buchenau, 
dessen  topographisches  Handbuch  längst 
in  den  Händen  vieler  war.  Jetzt  legt  er 
es  uns  in  einer  dritten,  sehr  erweiterten 
und  bin  auf  die  Gegenwart  fortgeführten 
Auflage  vor,  damit  gleichsam  die  Summe 
seiner  43jährigen,  Bremen  betreifenden 
Arbeit  ziehend.    In  der  That  kann  man 
sich  durch  einen  Vergleich  dieser  Auflage 
mit  der  vorigen  leicht  davon  uberzeugen, 
daf*  kaum  ein  einziger  Absatz  ganz  un- 
verändert geblieben  ist.    Vieles  ist  ganz 
neu  dazugekommen,  z.  B.  die  hübschen 
Ansichten  bremischer  Landkirchen  aus  der 
Zeit  um   1870,  die  dadurch  besonderes 
Interesse  gewinnen,  dafs  manche  dieser 
Kirchen  seitdem  durch  neue  ersetzt  sind 
und  dafs  überhaupt  das  Siedelungsbild 
der  Landorte  ein  anderes  geworden  ist. 
Es  dürfte  jetzt  kaum  noch  eine.  Land, 
Volk  und  Ortschaften  Bremens  betreffende 
Frage  geben,  welche  nicht  bei  Buchenau 
eine   meist   recht   ausführliche  Antwort 
finden  könnte. 

Der  Staat  Bremen  ist  nur  ein  sehr 
kleiner  Teil  des  weiten  Deutschen  Reiches, 
die  Höhenunterschiede  beschränken  sich 
auf  wenige  Meter,  natürlicher  Wald  kommt 
gar  nicht  vor.  Aber  trotzdem  bietet  das 
Kapitel  „Grund  und  Bodenu  und  besonders 
diejenigen  über  das  Deichwesen  uud  die 
Gewässer  des  Lehrreichen  auch  für  die 
physische  Geographie  in  Fülle.  Eine 
ganz  eingehende,  freilich  die  Grenzen  der 
„Geographie11  im  engeren  Sinn  manchmal 
überschreitende  Darstellung  hat  die  Stadt 
Bremen  selbst  gefunden,  nicht  minder 
kommen  die  beiden  Hafenstädte,  das  an 
steilem  Geestabhang  liegende  Vegesack 
und  das  halbamerikanische  Bremerhaven 
loffiziell  immer  nur  mit  v  geschrieben) 
zu  ihrem  Recht.  Auch  die  Angaben  über 
die  Dörfer  bis  herab  zu  der  kleinsten 
Häusergruppe  enthalten  gerade  hier  in 
diesem  wasserreichen,  unter  strengster 
Beaufsichtigung  zu  haltenden  Terrain 
viel  Wichtiges  für  die  Siedelungskunde. 
Buchenau'«  Werk  hat  eine  gewisse  Ähn- 


lichkeit mit  der  neuen  Reihe  der  württem- 
!  bergischen Oberamtsbeschreibungen.  Aber 
I  wie   viele  Teile  des  Deutschen  Weiches 
giebt  es,  bei  deren  Studium  wir  derartige, 
dem  strengen   Schema  der  Geographie 
wohl  nicht  immer  entsprechende,  aber  doch 
absolut  notwendige  und  höchst  dankens- 
werte Bücher  noch  ganz  entbehren  müssen! 
Königsberg.  F.  Hahn. 

Gerhardt,  P.,  Handbuch  des  deut- 
schen Dünenbaues.  Im  Auftrage 
des  kgl.  preufs.  Ministeriums  der 
öffentl.  Arbeiten  und  unter  Mit- 
wirkung von  J.  Abromeit,  P.  Bock, 
A.  Jentzsch  herausgegeben.  8°. 
XXVHI  u.  656  S.  446  Abbildungen. 
Berlin,  P.  Parey  1900.  geb.  M  28.— 
Es  ist  sehr  erfreulich,  dafs  wissenschaft- 
liche Darstellungen  unserer  deutschen 
Küsten,  die  lange  in  der  Litteratur  recht 
stiefmütterlich  behandelt  wurden,  in  der 
letzten  Zeit  sich  zu  mehren  beginnen. 
Ein  wichtiger  Beitrag  zur  Kunde  unserer 
Meeresgestade  ist  das  vorliegende,  prächtig 
ausgestattete  Werk,  zu  dessen  Bearbeitung 
sich  hervorragende  Kenner  des  Gegen- 
standes, Naturforscher  und  Techniker, 
vereinigt  haben.  Der  geologische  Teil 
von  Jent  zsch  bringt  eine  im  ganzen  klare 
und  anschauliche  übersieht  über  Begriff 
und  Verbreitung  der  Dünen,  über  die 
Herkunft  und  Natur  ihres  Materials,  die 
Art  ihrer  Anhäufung,  ihre  äufseren  Formen 
und  innere  Struktur,  ihr  Wachsen  und 
Vergehen,  sowie  manche  Nebenerschei- 
nungen, wie  Triebsand,  Auf-  und  Nieder- 
pressungen, Wasserführung  u.  a.  Aller- 
dings hätten  wohl  einige  wichtige  Punkte 
gegenüber  ausführlich  geschilderten 
Nebendingen  etwas  eingehender  behandelt 
werden  können,  wie  das  Wandern  des 
Sandes  an  der  Küste  entlang  (durch 
„Küstenströme",  wie  der  Verf.  sich  meist 
ausdrückt!,  die  Faktoren,  welche  die 
Menge  der  Sandanhäufung  bedingen  etc. 
über  manche  Auffassungen  liefse  sich 
auch  wohl  streiten.  Schmerzlich  vermifat 
man  neben  der  allgemein-genetischen  Be- 
trachtung eine  eingehendere  Schilderung 
der  einzelnen  Dünengebiete  und  ihrer 
charakteristischen  Eigentümlichkeiten,  er- 
klärt durch  örtliche  Ursachen.  Gerhardt 
schildert  sodann  das  Wandern  des  Sandes 
am  Strande,  ebenfalls  recht  kurz,  und  aus- 
führlicher das  Wandern  der  Dünen  selbst. 


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60 


B ü  oht'r  h  e  s pr  c c h  u  n  g e n. 


Der  Botaniker  Abromeit  führt  uns  die 
Dünenflora  vor,  ihre  biologischen  und 
anatomischen  Verhältnisse,  die  denen  der 
Wüsten-  und  Steppenflanzen  ähneln,  ihre 
Vergesellschaftung  nach  Standorten  und 
ihre  geographische  Verbreitung;  dann  die 
Kulturpflanzen:  Gräser.  Halbgräser  und 
Bäume.  Zum  Schlufs  giebt  er  eine  Be- 
schreibung zahlreicher  wild  wachsender 
Diineupflanzen.  Zweck  und  Geschichte 
des  Dünenbaues,  von  den  ersten  tastenden 
Versuchen  zu  den  bahnbrechenden  Ar- 
beiten de«  Danziger  Sören  Biürn  (von 
1795  an)  und  bis  zu  den  weit  ausge- 
dehnten und  technisch  hoch  entwickelten 
Leistungen  der  Gegenwart  beschreibt 
Gerhardt  und  schliefst  daran  eine  aus- 
führliche Darstellung  der  verschiedenen 
Methoden  bei  der  Festlegung  des  Dünen- 
sandes ,  besonders  bei  der  Herstellung 
und  Unterhaltung  einer  fortlaufenden  und 
gleichmäfsigen  Vordüne,  der  Grundbe- 
dingung aller  weiteren  Verbesserungen. 
Während  die  Befestigung  des  Sandes  zu- 
nächst im  wesentlichen  durch  verschiedene 
Arten  von  Sandgraspflanzungen  zu  ge- 
schehen hat,  ist  ein  dauerndes  Ergebnis, 
das  beständige  Ausbesserungen  entbehr- 
lich macht,  nur  durch  Aufforstung  zu  er- 
zielen, der  freilich  j»me  Festlegung  durch 
Sandgras  vorausgehen  mufs.  Die  Auf- 
forstung selbst  wird  uns  von  Bock  ge- 
schildert. Er  zeigt  anschaulich  die  grofsen 
Schwierigkeiten,  die  dabei  zu  überwinden 
sind,  die  besonderen  Kulturverfahren,  die 
dabei  angewendet  werden.  Vor  allem 
kommt  es  darauf  an,  Bäume  zu  wählen, 
die  nicht  nur  in  dem  nahrungsarmen 
Sande  fortkommen,  sondern  auch  dem 
zerstörenden  Einflufs  des  Seewindes  und 
der  von  diesem  herangetriebenen  Sand- 
kürner  und  Eiskrystalle  zu  widerstehen 
vermögen.  Als  solche  haben  sich  be- 
sonders die  Berg-  oder  Hakenkiefer  i  Pinus 
montana  var.  uncinata  auf  den  Höhen, 
die  Schwarzerle  i'Alnus  glutinosa  in  den 
feuchteren  Mulden  bewährt.  An  einen 
forstlichen  Nutzen  der  Dünenwälder  darf 
natürlich  erst  in  letzter  Linie  gedacht 
werden.  Während  an  «1er  Ostsee  die  Be- 
fristung der  Dünen  grofse  Fortschritte 
gemacht  hat  und  dadurch  nicht  nur  die 
meisten  Wanderdünen  befestigt,  sondern 
auch  die  benachbarten  Grundstücke  durch 
klimatische  Verbesserung  ertragsfühiger 
gemacht  wurden,  sind  von  der  Nordsee 


erst  schwache  Anfänge  zu  berichten; 
doch  hält  der  Verf.  auch  dort  die  Auf- 
forstung für  recht  wohl  möglich.  Der 
letzte  Abschnitt,  von  Gerhardt,  über 
die  so  wichtige  Befestigung  des  Strandes, 
wodurch  erst  das  ganze  Werk  vor  Zer- 
störung durch  das  Meer  geschützt  wird, 
hat  in  den  Einzelheiten  vorwiegend  für 
Techniker  Interesse. 

Eine  grofse  Zahl  lehrreicher  Ab- 
bildungen, besonders  auch  im  botanischen 
Abschnitte,  erhöht  den  Wert  des  treff- 
lichen Werkes,  das  die  grofse  Kultur- 
arbeit, die  an  unseren  Küsten  geleistet 
wird,  dem  Verständnis  und  der  Würdigung 
auch  des  niunenländers  uahe  bringt. 

Philippson. 

Schlemmer,  Dr.  Karl,  Leitfadeu  der 
Erdkunde  für  höhere  Lehran- 
stalten. 2.  verbesserte  Aufl.  Berlin, 
WeidmannVhe  Buchhandlung  1900. 

I.  Teil:  Lehrstoff  für  die  unteren  Klassen 

65  S.  mit  3  Abbildungen. 

II.  Teil:  Lehrstoff  für  die  mittleren  Klassen. 

Vll  u.  283  S.  Mit  83  Abbildungen. 
In  der  ausführlichen  Besprechung  der 
ersten  Auflage  in  dieser  Zeitschrift  (4  Jahrg. 
1898  S.  47217)  sind  die  besonderen  Vor- 
züge und  Mängel  des  Buches  hervorge- 
hoben worden.  Letztere  haben  sich  ge- 
mindert :  die  angeführten  Fehler  sind 
meist  berichtigt  oder  vermieden.  Nament- 
lich hat  sich  der  Abschnitt  über  Deutsch- 
land zu  seinem  Vorteil  verändert;  phy- 
sische und  politische  Erdkunde  kommen 
jetzt  auch  hier  zusammen  zur  Darstellung. 
Am  Satzbau  ist  sorgfaltig  gefeilt,  der 
Depeschenstil  ganz  beseitigt.  Am  wenig- 
sten befriedigt  noch  immer  die  mathe 
matische  Geographie.  Zwei  «1er  früher 
bezeichneten  Unrichtigkeiten  sind  mangel- 
haft, «ler  schlimmste  Felder  ist  gar  nicht 
verbessert;  denn  wieder  lesen  wir  (I  S.  BfA, 
dafs  „die  Erdachse  mit  «ler  Ebene  der 
Erdbahn  einen  Winkel  von  23 V,  bildet". 

Eckart  Fulda. 

Httttl,  F.,  Elemente  der  mathemati- 
schen Geographie.  Ein  Hilfsbuch 
zinn  Gebrauche  an  mittleren  Lehr- 
anstalten, sowie  für  Kandidaten  der 
Volksschul-  und  Bürgerschul-Lehr- 
befähigungs- Prüfung.  Mit  47  in  den 
Text  eingedruckten  Figuren.  2.  Auf- 
lage. 91  S.  Wien.  Hölzel,  1900. 
.Ii  2  «  Kr.  2.20. 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


fil 


Das  Buch  ist  für  österreichische  Schul  - 
Verhältnisse  berechnet;  da»  bezeugt  schon 
allein  der  etwas  langatmige,  bureaukra- 
tisch  stilisierte  Zusatz  zum  Titel.  Aber 
dieser  thut  dem  Buche  selbst  keinen  Ab- 
brach. Der  Stoff  wird  mit  einem  mini- 
malen Aufwand  von  Mathematik  behan- 
delt, an  2  oder  3  Stellen  sind  ein  paar 
ganz  elementare  Satze  vom  Kreise  und 
Dreieck  herangezogen,  sonst  behilft  sich 
der  Verf.  ohne  jegliche  Mathematik,  was 
■deher  vielfach  mit  Dank  empfunden  wer- 
den wird,  zumal  die  Entwickelung  aller 
einschlägigen  Verhältnisse  klar  und  leicht 
verständlich  ist.  Ausgegangen  wird  von 
der  scheinbaren  Bewegung  der  Himmels- 
körper, die  in  ununterbrochenem  Zusam- 
menhange erschöpfend  dargestellt  werden. 
Dann  wird  die  wirkliche  Bewegung 
derselben  erörtert.  Hieran  schliefst  sich 
ein  Abschnitt  „Topographie  des  Himmels", 
ein  Anhang  über  wahre  und  mittlere 
Sonnenzeit  und  den  Kalender,  und  einige 
Tabellen  über  Morgen-  und  Abendweite, 
Deklination  und  Zeitgleichung  bilden  den 
Schlufs. 

An  einigen  wenigen  Stellen  geht  der 
Verf.  über  die  sonst  üblichen  Grenzen 
der  mathematischen  Geographie  hinaus; 
so  z.  B.  erörtert  er  die  tägliche  und  jähr- 
liche Erwärmung  der  Erde  durch  die 
Sonne  und  die  Gezeiten,  Fragen,  die  man 
doch  meist  der  physikalischen  Geographie 
zuzuweisen  pflegt.  Auch  bei  der  Behand- 
lung der  mathematischen  Zonen  über- 
schreitet der  Verf.  diese  Grenzen,  indem 
er  eine  nicht  blofs  die  mathematischen, 
sondern  auch  die  klimatologisch-meteoro- 
logischen,  botanischen,  zoologischen  u.s.w. 
Verhältnisse  umfassende  Schilderung  ein- 
Üicht.  —  In  dem  Texte  finden  sich  einige 
Wortbildungen,  die  anscheinend  nur  in 
Österreich  bisher  gang  und  gäbe  sind, 
aber  eine  weitere  Verbreitung  verdienten, 
<la  sie  m.  E.  glücklich  gebildet  und  gut 
bezeichnend  sind.  Einige  Proben  mögen 
hier  folgen:  Orte  am  Äquator  sind  je  nach 
der  Stellung  der  Sonne  uns  chattig  oder 


zweischattig,  solche  an  den  Wende- 
kreisen einmal  im  Jahre  unschattig, 
sonst  c  inschattig,  die  Pole  sind  je 
'/,  Jahr  unschattig,  Orte  zwischen 
Wende-  und  Polarkreisen  einschattig. 
Von  kleinen  Ungenauigkeiten  in  that- 
sächlichen  Angaben  und  im  Ausdruck,  so- 
wie von  Druckfehlern  ist  das  Buch  nicht 
ganz  frei ;  dem  im  Titel  angegebenen 
Zwecke  dürfte  es  aber  gut  entsprechen. 

A.  Bludau. 

Vogel,  J.  G.,  Hilfs-  und  Wieder- 
holungsbuch für  den  Unterricht 
in  der  Himmelskunde  an  mitt- 
leren Lehranstalten.  2.  Auflage. 
89  S.   Erlangen  und  Leipzig,  A.  Dei- 
chert  1900.    JL  1,50. 
Für  den  gleichen  Leserkreis  bestimmt, 
wie  das  ebengenannte  Buch  von  Hüttl, 
auch  die  gleiche   Aufgabe  behandelnd, 
zeigt  das  Buch  in  der  Anlage  keine  über- 
grofsen  Unterschiede,  dagegen  weicht  es 
in  der  Form  ab.  Als  Wiederholungsbuch 
setzt  es  die  Bekanntschaft  mit  den  Lehren 
und  Sätzen  der  mathematischen  Geogra- 
phie voraus   und  behandelt  demgemäfs 
den  ganzen  Stoff  in  einem  mehr  oder 
weniger  lapidaren  Stil,  zum  Teil  in  der 
Form    von    kurz   skizzierten  Aufgaben. 
Die  Disposition  des  Stoffes  ist  mit  Ge- 
schick durchgeführt,  und  die  Durcharbei- 
tung desselben   nach  voraufgegangenem 
systematischem  Studium  in  Verbindung 
mit  einer  selbständigen  Erklärung  und 
.  Lösung  der  angedeuteten  Probleme  und 
Aufgaben  dürfte  ein  guter  Prüfstein  für 
das  Mals  und  die  Sicherheit  des  erwor- 
1  beneu  Wissens  sein.  Examenskandidaten 
i  aller  Art  kann  das  Buch  gute  Dienste 
leisten.     Ein  Anhang  enthält  Aufgaben 
aus  der  physikalischen  und  astronomi- 
schen Geographie,  welche  bei  der  Aus- 
trittsprüfung in  bairischeu  Seminaren  zur 
Bearbeitung  vorgelegt  wurden.    Sie  ge- 
währen u.  a.  auch  einen  Einblick  in  das 
Mufs  der  an  Volksschullehrer  gestellten 
Anforderungen.  A.  Bludau. 


Nene  Bücher  und  Karten. 

Zusammengestellt  von  Heinrich  Brunner. 


(•enrhirhte  und  Methodik  der  Geographie. 

Gruber,  Chm.    Die  Entwickelung  der 
geograph.  Lehrmethoden  im  18.  und 


19.  Jahrb.;  Rückblicke  u.  Ausblicke. 
2  Kärtchen,  8  Skizzen.  VH1,  2f>4  S. 
München,  Oldenbourg  1900.    M  3.50. 


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G2 


Neue  Bücher  und  Karten. 


St y Hinski,  Bruno.  Die  Entdeckung  u. 
der  Entdecker  Brasiliens.  '(Zur  400- 
.jühr.  JubiläumBfeier).'  1  Bildn.  VII,  95  S. 
San  Leopoldo,  Rotermund  1900.  Jfc  1 .50. 

PayiUche  Geographie. 

Gerland.  G.  Die  kais.  Hauptstation  f. 
Erdbebenforseh.  in  Strasburg  u.  die 
mod.  Seismologie.  (Beitr.  zur  Geophysik. 
IV,  3  4).    Leipz.  1900. 

l'le,  W.  Grundrif«  der  allgemeinen  Erd- 
kunde. VIII.  396  S.  07  Abbildungen 
im  Text.  Leipz.,  S.Hirzel  1900.  M  9  - 

Allgemeiae  Geographie  de*  Meanrhea. 

Brunhes,  J.  Differences  psychologiques 
et  pedagogiques  entre  la  conception 
statiBtique  et  la  conception  geographi- 
que  de  la  geographie  economique;  re- 
pr&entations  atatistiques  et  represen- 
tations  geographiques.  50  S.  (Etudes 
geogr.  Fase.  I,  4).    Fribourg  1900. 

Helmolt.H.F.  Weltgeschichte.  Band  VII: 
Westeuropa  I.Teil.  XII, 678 S.  6 Karten, 
6  Farbendrucktafeln  u.  16  Bchwarze 
Beilagen.  Leipzig,  Bibliograph.  Institut 
1900.    .4L  10  — 

Weltverkehr,  der,  u.  seine  Mittel;  mit 
einer  lvberaicht  über  Welthandel  und 
Weltwirtschaft.  In  9.  Aufl.  bearb.  v. 
C.  Merckel,  Münch,  Nestle  ...  14  Taf. 
1  Karte,  846  Abb.  X,  981  S.  Leipzig, 
Spamor  1900.  M  12.50. 

Murari  Bru,  V.  Colonie  degli  Stati  Euro- 
pei  e  degli  Stati  uuiti  d'America.  75  S. 
1  Karte.  Turin  1900. 

Größere  Erdria«ie. 

Auatralasia.  2  maps.  384  S.  (British 
empire  series).    Loud.,  Paul  1900. 

Brandt,  M.  v.  Zeitfragen;  die  KriHis  in 
Südafr. ,  China,  Kommerzielles  u.  Poli- 
tisches, Kolonial-Frageu.  VII,  394  S. 
Herl.,  Paetel  1900.    JL  7.— 

Gabler,  E.,  Neuester  Handatlas  über  alle 
Teile  der  Erde;  mit  besonderer  Bcrücks. 
des  gesamten  Weltverkehrs.  136  Karten 
...  3.  Aufl.    4°.    Leipz.,  Berger  1900. 
6.— 

Karoaa. 

Barron,  La.    Les  fleuves  de  France:  la 

Garonne,  la  Loire.  DesBins.  2  vol.  272, 

268  S.  Paris,  Laureus  1900. 
Bosnie-Herzegovine,  la,  ä  l'exposition 

univ.  de  1900  ü  Paris.    2  Chruinotyp . 

1  planche,  60  ill.  135  S.  quer-8".  Wien, 

Holzhauseu  1900.    ^  2.60. 
Excursions  en  France;  8*  congres  g«;<>- 


logique  international  1900.  372  Fig., 
25  pl.  et  carte».    1032  S.    Paris  1900. 

Kaemmel,  Otto.  Herbstbilder  aus  Ita- 
lien und  Sizilien.  YTI,  364  S.  Leipz., 
Grunow  1900.  5.— 

Marek,  R.  Der  Wasserhaushalt  im  Mnr- 
gebiete;  ein  Beitrag  zur  Hydrographie 
der  Mur.  57  S.  4  Tafeln.  (Jraz,  Verlag 
des  Naturw.  Vereins  1900. 

Pr  ei  mll  ab  erger-  Mrazovic,  MI. na.  Bos- 
nisches Skizzenbuch;  Landschaft«-  und 
Kulturbilder  aus  Bosnien  u  der  Hen  e- 
govi.ia.  III.  1  Karte.  XVI,  338  S.  Dres- 
den, Pierson  1900.    JL  6  — 

Atlea. 

Bosse,  R.    Eine  Dienstreise  nach  dem 

Orient;  Erinnerungen.  V,  208  S.  Leipz., 

Grunow  1900.   M  3.50. 
Gold  mann,  Paul.  Ein  Sommer  in  China; 

Keisebilder.   2  Bde.  2.  Aufl.    IX,  277; 

V.  301  S.  Frankf.  a.  M.,  Litterar.  Anst, 

1900.    X  6.- 
Guide  a  travers  la  section  des  Indes 

neerlandaises.    4  Carte«.    XX,  455  S. 

(Expos,  univ.  internat.  de  1900  ä  Paris; 

groupe  XVII:  Colonisation).    La  Haye 

1900. 

Laughans,  Paul.  Der  Kriegsschauplatz 
der  deutschen  Truppen  in  China.  .  . 
1  :  l  Ooo  ooo.  Mit  Nebenkarten  sowie  Be- 
gleitworten .  . .  Farbdr.  59,5  x  69  cm. 
Gotha,  .1.  Perthes  1900.  .JL  1.— 

Leclerq,  Jul.  ün  sejour  dans  l'ile  de 
Ceylan.  1  carte,  16  grav.  hors  texte, 
293S.  Par  ,  Plön  Nourrit  C.  1900.  Fr. 4. 

Reclus,  E.  La  Chine  et  la  diplomatie 
europeenne.   16  S.   Paris  1900. 

Richthofen,  F.  v.  Baron  R's  letters 
1870—72.  149  S.  Neudruck  1900.  P. 
Shanghai  1900. 

Royaume,  le,  de  Siam;  notice  ...  142  8. 
(Expos,  univ.  de  1900).  Paris.  Levy 
impr.  1900. 

Seifarth,  F.  China;  Schilderung  von 
Land  u.  Leuten  . .  .  Mit  kurzer  Berück- 
sichtigung der  jüngsten  Ereign.  und 
Deutschlands  Handelsinteressen.  VII,  II, 
182  S.  Leipz  ,  Luckhardt  1900.  M  1.80 

Afrika. 

Lorin,  Hri.  L'Afrique  ä  l'entre>  du 
XX*  siede;  le  pays  et  les  indigenes,  la 
peuetration  europeenne.  Carte.  XII, 
377  S.   Paris,  Challamel  1900.    Fr.  3.00. 

Lucas,  C.  P.  West  Africa.  Maps.  306 S. 
2nd  ed.  revised  to  end  of  1899.  (Au 


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Zeitschriften  schau. 


histor.  geography  of  British  col.  ITI). 
Lond. ,  Frowde  1900.  7  s.  6  d. 
Schweinfurth,  Geo.  Aufnahmen  in  der 
östL  Wüste  v.  Ägypten.  1.  Ser.,  Lief.  2: 
Bl.  4  u.  5.  Farbdr.  Berlin,  D.  Reimer 
1904).  Da«  Blatt  zu  M  8.—  [4:  Die 
südl.  Galala  mit  dem  nördl.  Teil  de« 
krystallin  Küstengeb.  am  Koten  Meere. 
1  :  200  OO0.  62,5  x  61  cm.  —  6 :  Die 
krystalliu.  Kflstengeb.  am  Roten  Meere 
zwischen  Cadi  Qeneh  u.  Gebel  Set 
1 :  200  00><».  53,5  X  63  cm]. 

Australien  uml  die  australischen  Inseln. 

Handbook,  illustrated,  of  Western  Au- 
stralia;  i*sued  by  the  W.  A.  Royal  Com- 
misaion.  Map.  VIII,  178  S.  (Paris  In- 
ternat. Exhibition,  1900.)  Perth,  Pether 
1900. 

Schanz,  Mor.  Australien  und  die  Sudsee 
an  der  Jahrhundertwende;  Kolonial- 
studien. Abb.  IV,  326  S.  Berlin,  Süsse- 
rott  1900.  8.— 

Nordamerika. 

Powell,  L.  P.  Historie  towns  of  tho 
Southern  States.  (American  historic 
towns).    N.-York,  Putnam  1900.    15  s. 

I'olarreglotiea. 

Drygalski,  Krich  v.  Plan  u.  Aufgaben 
der  deutschen  Südpolar-Expedition.  Mit 


G3 

1  Karte.  23  S.  Leipz.,  Hirzel  1900. 
JL  —.80. 

Geographischer  Unterricht. 

Engelmann,  J.  Leitfaden  bei  dem  Un- 
terricht in  der  Handelsgeographie;  für 
Handelslehranstalten  u.  kaufmännische 
Portbildungsschulen,  sowie  z.  Selbst- 
unterricht. 3.  verb.  Aufl.  XIV,  314  S. 
Erlangen.  Palm  &  Enke  1900.   JL  3.— 

Kerp,  Hch.  Methodisches  Lehrbuch  einer 
begründend  -  vergleichenden  Erdkunde ; 
mit  begründ.  Darstellung  der  Wirtsch.- 
u.  Kulturgeogr.  II:  Die  Landschaften 
Europas.  4  Taf.  Zeichn.  XIV,  468  S. 
Trier,  Lintz  1900.    M  4.60. 

Lindl,  .1.  Lehrbuch  der  Geographie  für 
gymnasiale  Mädchenschulen ,  höhere 
Töchterschulen  und  Mädchenfortbil- 
dungsschulen.  189  S.  39  Fig.  Wien 
1900.    2  kr  90  k. 

Mofshammer,  Franz.  Geograph.  Kon- 
struktionszeichnungen f.  Mittelschulen 
...  Mit  Einführung.  Tl  1  u.  2.  4  S. 
Kartenskizzen.  Wien;  Berl.,  D.  Reimer 
Komm.  1900.    M  b.— 

Litteratar-  and  KartenrenclrhnlKNe. 

Busch  in,  Otto.  Bibliotheca  geographica; 
hrsg.  v.  der  Gesellschaft  f.  Erdkunde  zu 
Berl.  Bd.  VI:  1897.  XVI,  414  S.  Ber- 
lin, Kühl  1900.    „iL  8.— 


Zeitschriftenscliau. 


Petermann' s  Mitteilungen.  1900.  11  Hft. 
Vamasaki:  Das  grofse  japanische  Erd- 
beben im  nördlichen  Honschu  am  31.  Au- 
gust 1896.  —  Sei  er:  Der  Grenzstreit 
zwischen  den  Republiken  Costarica  und 
Columbia.  —  Frobenius:  Die  Kultur- 
formen Ozeaniens.  —  Vorläufige  Ergeb- 
nisse der  Volkszählung  in  den  Vereinigten 
Staaten  im  Juni  1900. 

Das».  Ergänzungsheft  Nr.  132. 
Richter:  Geomorphologische  Unter- 
suchungen in  den  Hochalpen. 

Globus.  Bd.  LXXVin.  Nr.  19.  Tetz- 
ner: Die  Tschechen  und  Mährer  in  Schle- 
sien. —  Mauritius  und  Reunion.  —  Singer: 
Zur  Kenntnis  des  Kongoquellengebietes.  — 
v.  Luschan:  Bruchstück  einer  Benin- 
platte.  —  Die  Moorleichen.  —  Die  grofsen 
.Städte  der  Vereinigten  Staaten  von  Nord- 
amerika. 

Dass.   Nr.  20.  Greim:  Wissenschaft- 


liche Luftfahrten.  —  Tetz n er:  Die  Tsche- 
chen und  Mährer  in  Schlesien. 

Dass.  Nr.  21.  Neger:  Die  schwedische 
Hülfsexpedition  nach  Ostgrönland  zur 
Aufsuchung  AndreVs  im  Sommer  1899 
unter  A.  G.  Nathorst.  —  Hauthal:  Die 
Haustiereigenschaft  des  Grypotherium  do- 
me8ticum.  —  Tetz n er:  Die  Tschechen 
und  Mährer  in  Schlesien.  —  Karutz:  Ein 
„Pangkoh  k  der  Dajakcn. 

Dass.  Nr.  22.  Winternitz:  Völker- 
kunde, Volkskunde  und  Philologie.  — 
v.  Vincenz:  Ein  Ausflug  zu  den  Teppich- 
knüpfern  von  Kula.  —  Hauthal:  Die 
HauBtiereigenschaft  des  Grypotherium  do- 
mesticum. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXIII.  Jhrg.  3.  Heft,  Rofs- 
mäfsler:  Reise  durch  die  Kalmüken- 
steppe.  -  v.  Hranilovic:  Der  Svicasee 
in  Kroatien.  —  Greger:  Die  Pirna  de 


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64 


Zeitachriftentenan. 


Atacama.  —  v.  Kodolitseh:  An  der 
Riviera  di  Levante.  —  Seidel:  Nord- 
Togo  oder  der  deutsche  Sudan. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1900. 
11.  Heft.  Bjerknes:  Räumlicher  Gra- 
dient und  Zirkulation.  —  Wollny:  Über 
den  Einflufs  der  Pflanzendecken  auf  die 
Wasserführung  der  Kiliane.  —  Müller: 
Über  die  Beobachtung  von  Irrlichtern. 

Zeitschrift  für  Schul geographie.  XXII. 
Jahrg  3.  Heft.  Aeppli:  Bin  schweize- 
rischer Schulatlas.  —  Zu  den  Grundsätzen 
für  Lehrbücher  der  Geographie.  —  Aus 
Ostasien. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  zu  Wien.  Bd.  XLUI.  Nr.  7  u.  8. 
Schaffer:  Das  Maeanderthalbeben  vom 
20.  Sept.  1899.  —  Ostreich:  Reise  in  die 
Europäische  Türkei.  —  Natterer:  Herrn 
Dir.  Th.  Fuchs  zur  Antwort, 

Geographische  Mitteilungen  aus  Hessen 
(hrs.  v.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Giefsen): 
K  r  an  s  in  ü  1 1  e  r :  Die  Volksdichte  d.  Provinz 
Oberhessen.  —  Kleinere  geographische 
Mitteilungen  aus  Hessen. 

Mitteilungen  d.  geographischen  Gesell- 
schaft (für  Thüringen)  zu  Jena.  Bd.  18. 
Kurze:  Die  Sanioaner  in  der  heidnischen 
Zeit.  —  Missionsgeographische  Mittei- 
lungen. —  Wiefel:  Da«  Sormitzgebiet. — 
Berg:  Landeskundlicher  Litteraturberich t. 

Geographica!  Journal.  Vol.  XVI.  Nr.  6. 
The  President'»  Opening  Address,  Session 
1900  —  1901.  —  Donaldsou  Smith:  An 
Expedition  between  Lake  Rudolf  and  the 
Nile.  —  Ravenstein:  The  Voyages  of 
Diego  Cao  and  Bartholomen  Dias,  1482 
-1188.  —  Guest:  The  Oases  of  the  Mu- 
dirieh  of  Assyut.  —  Armdrup:  The 
Danish  East  Greenland  Expedition.  —  On 
the  Afghan  Frontier:  A  Reconnaissance 
in  Shugan. 

Annales  de  Geograj)hie.  1900.  Nr.  48. 
Margerie  et  Ravenau:  La  cartogra- 
phie  ä  1' Exposition  universelle  de  1900.  — 
Dollfus:  Relation  entre  la  strueture  gfo- 
logique  du  bassin  de  Paris  et  son  hydro- 
graphie.  —  Pervinquiere:  La  Tunisie 
centrale.  —  Vidal  de  la  Blache:  Paul 
Blanchet.  —  La  misaion  Paul  Blanchet.  — 
Margerie:  Lapparent's  „Traite  de  geo- 
logie"  (nouv.  edit.). 


La  Ge'ograpliie.  1900.  No.  11.  Hau- 
treux:  La  cote  des  Landes  de  Gaseojjrne. 

—  Jobit:  Le  cours  inferieur  de  la  Liko- 
nala  aux  Herbes.  —  Chesneau:  L'expe- 
dition  du  Pendule.  —  Levasseur:  La 
houille  britanique  et  la  question  de  Fepui- 
sement.  -  Chudeau:  L'Elbe.  son  regime 
et  son  importance  econonrique.  —  Deni- 
ker:  La  geographie  de  l'Asie  ä  l'Expo«i- 
tion.  —  Deniker:  Voyage  d'Obroutchev 
en  Asie  centrale. 

Riv.  Geogr.  Ital.  VII.  Novemberheft. 
Porena:  Le  seoperte  Geografiche  clel 
Secolo  XIX.  —  Marinelli:  Di  alcuni 
scritti  morfologici  di  Carlo  Gemmellaro. 

—  Toni:  Spedizione  del  Principe  Luigi 
di  Savoia  Duca  deglo  Abruzzi  al  Polo 
Nord.  —  Gribaudi:  Un  buon  exempio 
da  imitarsi  par  lo  studio  della  geografia 
di  casa  nostra.  —  Mori:  Gommissione 
Geodetica  Italiana.  -  Mariuelli:  Giu- 
seppe Saija. 

The  Journal  of  School  Geography. 
Vol.  IV.  Nr.  9.  Cleeve:  A  System  of 
Comparing  Geographical  Distances.  — 
Burrows:  The  Teaching  of  Geography 
in  Preparatory  Sehools.  —  Dodge:  Ä 
School  Course  in  Geography.  —  Dodge: 
Volcanoes. 

Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

Gulliver,  F.  P.  Vienna  as  a  Type  City. 
Journal  of  school  geograjihy,  Vol.  IV. 
No.  6.  1900. 

Hausrath,  H.  Der  Wechsel  der  Holz- 
arteu  im  deutschen  Walde.  17  S.  IVr- 
handl.  d.  naturxciss.  Vereins  tu  Karls- 
ruhe. 1900. 

Linck,  G.  Über  die  dunkeln  Rinden  der 
Gesteine  der  Wüsten.  Jenaische  Zeit- 
schrift für  XaturMisiteiuichafl  Bd.  35. 
1900. 

Lugeon,  M.  Los  auciens  cours  de  l'Aar, 
pres  de  Meiringen  (Suisse).  3.  S.  ('.  H. 
de  l'acad.  des  sciences  Paris.  1900. 

Niermeyer,  J.  F.  Der  Vulkan  Idjen  in 
Besoeki.  32  S.  1  Karte.  Tijdschrift 
Aardrijkskundig  genootschap,  1900. 

Walcker,  Karl.  Die  Weltmilchte  und  die 
Weltsprachen.  Nord  und  Süd,  Heft  284. 
1900. 


Verantwortlicher  Herausgeber:  Prof  l»r  Alfred  Hettner  in  Heidelberg. 


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Die  Eisenbahnen  in  Afrika  nnd  ihre  Bedeutung  fttr  den  Handel. 

Mit  einer  Übersichteskizze  (Tafel  1). 
Von  Oberleutnant  a.  D.  Kürohhoff. 

Das  Hinterland  der  Küsten  des  schwarzen  Erdteils  blieb,  obwohl  er 
zur  alten  Welt  gehörte,  bis  vor  wenigen  Jahrzehnten  fast  gänzlich  uner- 
forscht. Erst  in  jüngster  Zeit  hat  für  diesen  Teil  von  Afrika  ein  neuer 
Abschnitt  der  Entwicklung  begonnen.  Die  politische  Aufteilung  ist  im 
grofsen  und  ganzen  beendet,  und  überall  beginnt  nun  die  wirtschaftliche  Er- 
schliefsung  und  Ausnutzung  des  Landes.  Um  aber  solches  mit  Nutzen  und 
Aussicht  auf  Erfolg  vornehmen  zu  können,  ist  es  zunächst  nötig,  leistungs- 
fähige Verkehrs- Wege  und  -Gelegenheiten  nach  dem  Inneren  zu  schaffen.  Die 
grofsen  Ströme,  die  gerade  in  Afrika  die  Hauptverkehrs-  und  Handelswege 
sind,  bieten  auf  ihrem  Lauf  sämtlich  an  verschiedenen  Stellen  solche  Hinder- 
nisse, daüs  eine  durchgehende  Schiffahrt  ausgeschlossen  ist.  Der  Grund  dafür 
liegt  in  dem  Aufbau  des  ganzen  Erdteils.  Afrika  ist  das  Land  der  Hoch- 
länder, die  meist  steil  zur  Küste  abfallen  und  durch  deren  Ränder  sich  die 
gröfsten  Ströme  meist  erst  mühselig  ihren  Weg  bahnen  müssen.  Dies  ge- 
schieht in  den  meisten  Fällen  dadurch,  dafs  sie  sich  in  das  Gestein  tiefe  uud 
steile  ThäJer  gegraben  haben,  wodurch  teilweise  Stromschnellen,  teilweise 
Wasserfälle  entstanden. 

Fuhrwerk  zum  Warentransport  ist  im  Inneren  dieses  Erdteils  so  gut  wie 
unbekannt,  und  es  würde  auch  die  Einführung  von  solchem,  besonders  in  Folge 
des  Auftretens  der  Tse  Tse  -  Fliege,  zu  den  Unmöglichkeiten  gehören,  wie  ja 
auch  z.  B.  die  Engländer  den  Wagenverkehr  in  Ostafrika  zwischen  der 
Küste  uud  dem  Viktoria  Njansa  wieder  einstellen  raufsten.  Man  ist  daher 
genötigt,  alle  Waren  durch  Menschen  weiter  befördern  zu  lassen,  was 
natürlich  mit  empfindlichem  Zeitverlust  und  namhaften  Kosten  verbunden 
ist  und  überdies  nur  eine  bedingte  Sicherheit  bietet.  Trotzdem  aber  gerade 
in  Afrika  die  Transportfrage  brennend  ist  und  nur  durch  die  Anlage 
von  Bahnen  gelöst  werden  kann,  hat  sich  doch  der  Unternehmungsgeist 
der  Europäer  erst  ziemlich  spät  auf  Herstellung  dieses  Verkehrsmittels  ge- 
worfen, und  erst  in  neuster  Zeit  entfalten  die  in  Afrika  beteiligten  Kolonial- 
mächte —  mit  Ausnahme  Deutschlands  —  eine  aufserordentliche  Thätig- 
keit  zur  Schaffung  von  Eisenbahnen.  Die  Frage  ihres  Baues  hängt  natur- 
gemäfs  mit  der  allgemeinen  Entwiekelung  des  Laudes   zusammen;  anfangs 

Oeographiiche  Zeitachrift.  7  Jfthrganp  1901.  S.  HefL  5 


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Kurchhoff: 


folgten  die  Eisenbahnen  einerseits  dem  Fortsehreiten  der  Kultur,  wie  im 
Kapland  und  in  Algier,  andererseits  dienten  sie  dazu,  die  für  die  Schiffahrt 
ungeeigneten  Teile  der  Ströme  zu  umgehen,  und  deshalb  endigen  die  Linien, 
von  der  Küste  ausgehend,  sobald  sie  die  schiffbaren  Stromstrecken  erreicht 
haben,  wie  z.  B.  die  Kongobahn;  erst  in  allerneuester  Zeit  sind  Bahnen  zur 
Erschliefsung  des  Landes  von  der  Küste  nach  dem  Inneren  zu  gebaut  worden, 
welche  unabhängig  von  Flüssen  bestehen  sollen.  Dies  tritt  besonders  an 
der  Küste  von  Guinea  hervor,  jedoch  auch  in  diesem  Fall  streben  sie  als 
Endpunkt  doch  Flüssen  oder  Seen  zu,  um  an  diesen  aufzuhören.  So  finden 
wir  in  Afrika  zunächst  meist  nur  einfache  Schienenstrecken  ohne  irgend 
welche  Verzweigungen,  und  nur  da,  wo  die  Entwiekelung  schnell  einsetzte, 
finden  sich  vollständige  Eisenbahnnetze. 

Es  ist  nicht  der  Zweck  dieses  Aufsatzes,  statistische  Angaben  über  die 
vorhandenen  Eisenbahnen  zu  machen,  da  solche  schon  in  genügender  Zahl 
veröffentlicht  sind,  auch  auf  die  Bauart  u.  s.  w.  soll  nicht  weiter  eingegangen 
werden,  es  sei  nur  darauf  hingewiesen,  dafs  die  afrikanischen  Bahnen  zumeist 
eingeleisig  und  schmalspurig  sind.  Die  Spurweiten  schwanken  zwischen 
0,60  und  1  m. 

In  Südafrika  wurde  mit  dem  Eisenbahnbau,  und  zwar  soll  hier  sowohl 
das  Netz  in  den  englischen  Kolonien  als  auch  dasjenige  in  den  beiden  Buren- 
Staaten  —  dem  Oranje  -  Freistaat  und  der  Südafrikanischen  Republik  — , 
deren  Eisenbahnen  sich  sinngemäfs  an  die  englischen  anschlössen,  zusanimen- 
gefafst  werden,  der  Anfang  durch  Herstellung  der  Strecken  Kapstadt  — 
Wellington  im  Jahre  1859  gemacht.  In  der  Folgezeit  entwickelte  sich  der 
Eisenbabnbau  in  dem  gold-  und  edelsteinreichen  Gebiet  sehr  schnell,  indem 
den  erobernden  Soldaten  die  Eisenbahn-Ingenieure  in  kurzer  Zeit  in  die 
Steppen  Südafrikas  folgten,  und  augenblicklich  bestehen  in  Kapland  drei 
grofse  von  Seehäfen  ausgehende  Bahnsysteme,  welche  in  der  Richtung  auf 
das  1041  km  nordöstlich  von  Kapstadt  liegende  Kimberley  und  den  Oranje- 
Freistaat  konvergieren  und  durch  zahlreiche  Nebenbahnen  mit  einander  ver- 
bunden sind.  Diese  Eisenbahnen  dienen  aufser  dem  Lokalverkehr  besonders 
der  Gold-,  Edelstein-  und  Kohlen  -  Bergbau. 

Von  den  genannten  drei  grofse n  Hauptstrecken,  die  sämtlich  durch 
Querbahnen  mit  einander  verbunden  sind  und  die  auch  mehrfach  Zweigbahnen 
entsenden,  läuft  die  westliche  von  Kapstadt  beginnend  über  Kimberley  —  Mafe- 
king — Vryburg  nach  Buluwayo  mit  einer  Gesamtlänge  von  2100  km;  es 
sind  auch  schon  die  Vorbereitungen  getroffen,  um  in  allernächster  Zeit  die 
Bahn  bis  an  den  Zambesi,  den  sie  bei  Wankie  erreichen  soll,  weiterzubauen. 
Die  Bahn,  die  meist  durch  flaches  und  ebenes  Land  führt  und  daher  weniger 
Bauschwierigkeiten  bot,  erschliefst  jenseits  des  Oranje-Flusses  reiche  Gold-, 
Edelstein-  und  auch  Kohlengebiete.  Die  weiter  in  Aussicht  genommene 
Strecke,  die  einen  Teil  der  geplanten  nord-südafrikanischen  Bahn  bildet,  soll, 
nach  allerdings  einseitigen  Angaben,  durch  Gebiete  führen,  in  welchen  rieb 
mächtige  Kohlenfelder  befinden,  deren  Erschliefsung  und  Ausbeutung  für 
Südafrika  deshalb  von  um  so  grölserer  Bedeutung  sein  würde,  weil  bis  jetzt 
noch  %  der  Kohlen  aus  Wales  eingeführt  werden  mul's. 


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Die  Eisenbahnen  in  Afrika  und  ihre  Bedeutung  für  den  Handel,  iu 

Ferner  macht  sieh  in  dem  zentral-afrikanischen  Protektorat  eine  Bewegung 
geltend,  welche  den  Bau  einer  Eisenbahn  wünscht,  die  von  Chiromo  am 
Schire  ausgehend,  zunächst  bis  Blantyre  und  später  weiter  nach  dem  Xyassu 
sreführt  werden  soll,  um  so  die  nicht  schiffbaren  Strecken  des  Schire  zu  um- 
gehen. Der  Bau  dieser  Eisenbahn  bedeutet  für  diese  Gebiete  des  englischen 
zentral-afrikanischen  Protektorats  insofern  eine  Lebensfrage,  als  jetzt  die  ge- 
samte Bevölkerung  sich  ihren  Unterhalt  als  Träger  erwirbt  und  es  aus  diesem 
(Irund  an  den  so  nötigen  Kräften  zur  Bebauung  des  Bodens  fehlt.  Bei  dem 
Vorhandensein  genügender  Landarbeiter  würde  in  Verbindung  mit  der  bezeich- 
neten Bahn  sich  aus  den  Gegenden  um  den  Nyassa  ein  gewinnbringender 
Reisexport  ermöglichen  lassen. 

Das  mittlere  Bahnsystem,  die  zweite  Hauptlinie,  beginnt  in  Port  Elisa- 
beth an  der  Algoa-Bai,  führt  nach  Oranje-River- Bridge  und  weiter  durch 
den  Oranje-Freistaat  über  Bloemfontein  und  Viljoensdrift  am  Vaalflufs  nach 
Johannesburg  und  seinen  Goldfeldern. 

Die  östliche  Hauptlinie  geht  von  East-London  aus  und  verläuft  in 
nordwestlicher  Richtung  nach  Aliwal  North,  an  der  Südgrenze  des  Oranje- 
Freistaates  und  schliefst  später  an  die  zweite  Hauptstrecke  an. 

Auch  Natal  hat  sein  Eisenbahnnetz  lebhaft  entwickelt.  Der  Ausgangs- 
punkt ist  für  diese  Strecken  der  Hafenort  Durban;  von  hier  führt  die 
Eisenbahn  über  die  Hauptstadt  Pietermaritzburg  nach  Ladysmith  und  von 
da  mit  einem  Zweig  nach  dem  Oranje-Freistaat.  mit  einem  zweiten  in 
die  Südafrikanische  Republik  nach  Pretoria.  Aui'ser  der  Verbindung  der 
englischen  Besitzungen  mit  den  genannten  beiden  Republiken  dient  diese 
Eisenbahn  hauptsächlich  der  Ausbeutung  der  im  nördlichen  Natal  liegenden 
Kohlenlager. 

Ebenso  wie  im  Süden  entwickelte  sich  auch  im  Norden  des  schwarzen 
Erdteils,  in  Algerien  und  Tunesien,  ein  weitverzweigtes  Bahnnetz.  Die 
dortigen  Linien  sind  ebenfalls  in  der  Hauptsache  für  den  lokalen  Verkehr 
bestimmt  und  sollen  die  Möglichkeit  der  Kolonisation  erleichtern.  80 
sehen  wir  den  Ausbau  der  Bahnen  nach  Süden  nur  langsam  vorwärts 
schreiten,  denn  die  Franzosen,  die  es  nicht  an  Eifer  zur  Erschliefsung  des 
Landes  fehlen  lassen,  haben  leider  nicht  so  glückliche  Verhältnisse  hinsicht- 
lich des  Hinterlandes  dieser  ihrer  wichtigsten  Kolonie,  wie  es  bei  den  Eng- 
ländern in  Südafrika  der  Fall  ist,  und  scheuen  sich  mit  Recht,  in  die  südlich 
der  französischen  Besitzungen  liegenden  Wüsteneien  hinein  ins  Blaue  zu 
hauen.  In  Algerien,  wo  die  erste  Strecke  im  Jahr  1862  erbaut  wurde, 
sind  die  Bahnen  meist  nur  Küstenlinien;  nur  die  bei  Ain  Sefra  und  Biskra 
pndenden  Verbindungen  reichen  etwas  tiefer  in  das  Land  hinein. 

Auch  Tunesien  weist  ein  nicht  unbedeutendes  Bahnnetz  auf.  Eine 
Linie  geht  von  der  Stadt  Turaira  westlich  nach  Algerien  hinein,  kleinere 
nach  den  Hafenstädten  Biserta,  la  Marfa,  la  Goulette,  sodann  von  Tunis  ins 
Binnenland  nach  Zeghuan.  Diese  Hauptbahn  führt  durch  eine  an  Minen 
reiche,  von  zahlreichen  römischen  Ruinen  übersäete  fruchtbare  Ebene  und 
hat  eine  Abzweigung  nach  Pont  du  Fehs,  ferner  besteht  von  der 
Hauptstadt   des  Landes  aus  eine    Eisenbahnverbindung  nach   Suffa.  Von 

6* 


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G8 


Kilrchhoff: 


letzterem  Ort  ist  eine  Linie  nach  Kaiman  im  Betrieb  und  eine  solche  nach 
Motenine  im  Bau.  Von  dem  Hafenort  Sfax  geht  eine  Eisenbahn  ins  Innere 
nach  Gassa;  sie  soll  über  Tozaur  nach  den  Schotts  weiter  gebaut  werden 
und  dient  hauptsächlich  der  Ausbeutung  der  dort  befindlichen  reichen 
Phosphatlager. 

Als  dritte  Stelle,  an  welcher  sich  ein  reiches  Bahnnetz  entwickelt  hat, 
ist  Ägypten  zu  nennen,  welches  jetzt  über  24  Bahnlinien  verfügt.  Der 
Ilauptmittelpunkt  des  ganzen  Eisenbahnwesens  ist  Kairo,  von  wo  ans  in  den 
verschiedensten  Richtungen  Linien  führen.  Eine  besondere  Aufzahlung  dieser 
verschiedenen  Strecken,  die  hauptsächlich  dem  lokalen  Verkehr,  besonders 
innerhalb  des  Nildeltas  dienen,  scheint  überflüssig,  hervorgehoben  soll  nur 
die  Nilthalbahn  werden. 

Der  Nil  ist  die  schnellste,  sicherste  und  billigste  Strafse  nicht  allein  für 
die  Beamten  des  Staates,  sondern  vor  allem  auch  für  die  Waren,  Nahrungs- 
mittel, überhaupt  für  alle  möglichen  Bedürfnisse  der  Gebiete  am  Borau, 
Uelle  und  Aruwimi,  mit  einem  Wort  des  östlichen  Sudan,  ebenso  wie  dieser, 
der  als  sehr  fruchtbar  bekannt  ist,  den  Hauptteil  des  Verkehrs  nach  dem 
Norden  liefern  würde.  Allerdings  haben  die  Engländer  hinsichtlich  der  Aus- 
beutung der  dortigen  Gegenden  zunächst  eine  arge  Enttäuschung  erfahren. 
Ein  grofser  Teil  des  wieder  eroberten  Gebietes  ist  in  Folge  des  Derwisch- 
Regiments  entvölkert,  landwirtschaftlich  ruiniert,  und  jeglicher  Handelsverkehr 
ist  ausgerottet.  Es  ist  fast  alles  von  neuem  aufzubauen,  um  die  Ausfuhr- 
fähigkeit des  Landes  zu  heben. 

Der  Nil  ist  selbst  für  größere  Fahrzeuge  schiffbar  vom  Albertsee  bis 
Dutilee  und  dann  von  Gondokoro  bis  Chartum.  Nördlich  Chartum  beginnt 
der  Durchbruch  des  Flusses  durch  die  vorliegende,  durchschnittlich  330  m 
hohe  Wüstentafel;  die  verschiedenen  Katarakte  treten  hier  der  Schiffahrt 
hindernd  in  den  Weg,  und  diese  soll  die  Nilbahn,  die  Anfang  Januar  1900 
bis  Chartum  für  den  gesamten  Verkehr  eröffnet  worden  ist,  umgehen.  Aller- 
dings wird  ihre  Leistungsfähigkeit  dadurch  sehr  beschränkt,  dafs  bei  Luxor 
ein  Wechsel  in  der  Spurweite  eintritt,  und  dafs  die  Strecke  Assuan — Wadi 
Haifa  ganz  ausfällt.  Hier  tritt  Dampfschiffahrt  ein;  um  sie  leistungsfähiger 
zu  machen,  ist  nördlich  von  Assuan  ein  sehr  wichtiges  Werk  in  Angriff 
genommen  worden,  nämlich  der  Bau  eines  Dammes,  zu  dem  am  12.  Februar 
1899  der  Grundstein  gelegt  wurdo,  und  der  den  Zweck  hat,  das  Niveau 
des  Nils  bis  auf  225  km  aufwärts  zu  erhöhen. 

So  ist  trotz  aller  Bauten  und  Verbesserungen  schon  in  Folge  der 
mehrfach  nötigen  Umladungen  der  Handelsweg  von  Süden  nach  Norden  am 
Nil  entlang  sehr  unbequem,  und  es  wurde  daher  schon  wiederholt  der  Plan 
in  Betracht  gezogen,  einen  anderen  Abflufs  herzustellen.  Man  hat  diesen 
gefunden  durch  einen  geplanten  Bahnbau  nach  dem  Roten  Meer.  Die 
Ausgangsstelle  vom  Nil  würde  Berber,  der  Punkt  gröfster  Annäherung 
des  Flusses  an  die  See,  sein,  und  die  Bahn  nach  Suakin  führen.  Aller- 
dings werden  durch  die  Unsicherheit  in  der  Wüste  und  die  furchtbare  Hitze 
in  letztgenanntem  Ort  grofse  Schwierigkeiten  für  ihre  Erbauung  und  ihren 
Betrieb  erwachsen. 


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Die  Kiseubahneu  in  Afrika  und  ihre  Bedeutung  für  den  Handel.  69 

Von  Chartuin  aus  sind  nun  noch  neuerdings  weitere  Bahnen  projektiert 
und  zwar: 

1.  eine  Linie  im  Nilthal  entlang  nach  Sobat  in  einer  Länge  von  771  km 
zur  besseren  Erschliefsung  des  Sudan  und  als  Glied  der  geplanten  trans- 
afrikanischen Bahn; 

2.  eine  Linie  Chartuin — Abu  Harrar — Ghedaref,  der  Kornkammer  des 
Sudan,  —  Kassala  —  Suakin.  Es  scheint,  dafs  sich  in  neuester  Zeit  für  diese 
Bahn  eine  aufserordentlich  günstige  Stimmung  geltend  macht,  und  es  dürfte 
sich  im  Fall  der  Ausführung  wohl  der  Plan  Berber — Suakin,  für  welche 
Strecke  schon  zum  Teil  Vorarbeiten  gemacht  worden  sind,  /erschlagen. 
Allerdings  würde  sowohl  die  letztgenannte  Eisenbahn,  wie  auch  diejenige 
über  Kassala  dem  Handel  nach  Ägypten  Abbruch  thun;  trotzdem  erscheint 
die  Ausführung  der  unter  2.  bezeichneten  Strecke  wahrscheinlich,  da  sie  in 
Rücksicht  eines  etwaigen  Krieges  mit  Abessinien  auch  strategischen  Zwecken 
dienen  soll.  Diese  Bahn  war  schon  früher  geplant  worden;  durch  ihren  recht- 
zeitigen Ausbau  wäre  der  Zusammenbruch  der  ägyptischen  Herrschaft  am 
oberen  Nil  wahrscheinlich  verhütet  worden. 

Würde  dieser  Bau  ausgeführt  werden,  so  wöre  Massaua  als  Handels- 
platz tot  gemacht  und  die  geplante  Verlängerung  der  schon  gebauten 
Linie  Massaua — Saati,  deren  Verzögerung  bis  auf  das  Hochland  schon  wesentlich 
den  Verlust  des  italienischen  Einflusses  in  Abessinien  und  damit  den 
Verlust  der  Schutzherrschaft  verschuldet  hat,  dürfte  dann  wenig  Zweck 
haben.  Die  Arbeiten  für  die  Weiterausführung  der  genannten  Strecke  nach 
Asmara  sollen  allerdings  demnächst  in  Angriff  genommen  werden,  und  es 
verlautet  auch,  dafs  die  Verhandlungen  über  die  Fortsetzimg  der  Bahn  von 
Asmara  über  Keeren  nach  Kassala,  die  mit  englischem  und  italienischem 
Kapital  hergestellt  werden  soll,  guten  Fortgang  nehmen.  Diese  Verlängerung 
ist  für  die  zukünftige  Entwickelung  der  italienischen  Kolonie  um  so  wichtiger, 
als  diese  in  der  Richtung  auf  den  Sudan  zu  suchen  ist,  besonders  da  der 
Süden  Abessiniens,  wenn  man  denselben  als  Handelshinterland  des  italienischen 
Hafens  am  Roten  Meer  glaubt  ansehen  zu  können,  für  den  Handelsverkehr 
verloren  gehen  dürfte,  sobald  die  im  Bau  befindliche  Linie  Dschibuti— Harrar, 
welche  im  November  1899  bis  140  km  dem  Betrieb  übergeben  werden  konnte, 
fertig  gestellt  ist. 

Diese  Eisenbahn,  welche  die  Anfangsstrecke  einer  geplanten  allerdings 
wohl  noch  in  weiter  Ferne  liegenden  gröfseren  Linie  in  Abessinien  ist,  die 
nach  Adis  Abeba  und  dann  weiter  nach  dem  oberen  Nil  geführt  werden 
soll,  ist  von  sehr  hoher  politischer  Bedeutung,  denn  wenn  auch,  infolge  ver- 
schiedener Umstände,  das  Ansehen  der  Franzosen  am  Hof  des  Königs  Menelik 
in  letzter  Zeit  erheblich  gesunken  ist,  so  wird  doch  der  französische  Küstenort 
Dschibuti  nach  der  Fertigstellung  der  Bahn  erst  recht  gleichsam  zum  Hafen 
Abessiniens  werden.  Aus  diesem  Grunde  wird  die  Bahn  durch  die  franzö- 
sischen Behörden  gefördert,  wenn  auch  der  Bau  durch  eine  Privatgesellschaft 
ausgeführt  wird. 

Im  Anfang  wird  diese  Linie  allerdings  mit  einigen  Schwierigkeiten  hin- 
sichtlich  der  Erträgnisse  zu  kämpfen  haben,  bis  ein  regclmäfsiger  Waren- 


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70 


Kilrchhoff: 


austausch  mit  den  ausfuhrfähigen  Gebieten  im  Süden  und  Wösten  von  Schoa 
sieb  entwickelt  hat,  denn  zunächst  besteht  zwischen  Süd-Abessinien  und  der 
Küste  kein  lebhafter  Handelsverkehr.  Später  dürfte  aber  Gewinn  zu  er- 
warten sein,  besonders  da  der  König  Menelik  die  Absiebt  hat,  nach  Fertig- 
stellung der  Bahn  jeden  Handelskarawanenverkehr  zwischen  Harrar  und  der 
Küste  zu  untersagen,  und  da  ferner  der  erbauenden  Gesellschaft  auf  längere 
Zeit  hinaus  ein  Monopol  zugesichert  und  derselben  ausdrücklich  versprochen 
ist,  dafs  keine  Konkurrenzlinien  gebaut  werden  dürfen.  Daher  wird  es 
dieser  Strecke  auch  möglieh  werden,  einen  Teil  des  Handels  des  nördlich 
gelegenen  Massauas,  besonders  aber  denjenigen  des  südlich  befindlichen  eng- 
lischen Zellas,  das  wohl  seine  Handelsbedeutung  vollständig  verlieren  dürfte, 
an  sich  zu  ziehen. 

Aufser  vom  Nil  aus  versuchen  die  Engländer  auch  von  ihren  ostafrikanti- 
schen  Besitzungen  her  den  Sudan  zu  erreichen,  und  zwar  vermittels  der  im 
Bau  befindlichen  bis  jetzt  in  einer  Länge  von  582  km  Länge  fertigen  Uganda- 
bahn. Diese  Linie,  die  eine  Gesamtlänge  von  938  km  erhalten  wird,  beginnt  in 
Mombassa,  das  als  Verkehrsmittelpunkt  für  Engliseh-Ostafrika  angesehen  werden 
kann,  und  soll  in  Kavirondo  an  der  Ostseite  des  Viktoria-Sees  enden;  die  weitere 
Verbindung  über  den  genannten  See  vermitteln  dann  Dampfer.  Zum  Haupt- 
hafenplatz am  Indischen  Ozean  ist  Kiliudi  bestimmt,  das  einen  geräumigeren 
und  geschützteren  Hafen  als  Mombassa  hat.  Die  Eisenbahn,  die  den  Zweck 
hat,  die  Ersehliefsung  Ugandas  zu  fördern  und  die  englisebe  Oberhoheit  da- 
selbst sicher  zu  stellen,  durchzieht  Britisch-Ost- Afrika  in  einer  der  deutsch- 
englischen Grenze  fast  parallelen  Streike  und  ist  am  Kilimandscharo  nur  etwa 
vier  Tagereisen  von  dieser  entfernt.  Der  bis  jetzt  eröffnete  Teil  bat  schon 
das  Geschäft  zwischen  dem  Hinterland  und  der  Küste  ganz  bedeutend  ge- 
fördert. Die  Geschäftsleute  haben  endgiltig  auf  den  Karawauenverkchr,  der 
nach  dem  deutschen  Gebiet  führt,  verzichtet,  und  es  ist  sicher,  dafs,  wenn 
deutscherseits  nicht  bald  mit  dem  Bau  einer  zentralafrikanischen  Bahn  be- 
gonnen wird,  der  gröfste  Teil  des  Handelsverkehrs  aus  dem  nördlichen 
Teil  des  ostafrikanischen  Schutzgebietes  auf  die  Ugandabahn  hinüber- 
getrieben wird. 

In  Deutsch-Ost-Afrika  hat  die  Usambara-Bahn  mit  einer  Gesamtlänge 
von  87  km  nur  örtliche  Bedeutung.  Diese  Linie,  von  Tanga  beginnend,  ist 
bis  Muhesa  im  Betrieb  und  von  hier  bis  Korogwe  im  Bau. 

Während  England,  wie  wir  weiter  oben  gesehen  haben,  von  Norden 
und  Osten  her  den  östlichen  Sudan  zu  erreichen  sucht,  will  von  Westen  her 
der  Kongostaat  —  Frankreich  ist  nach  den  Verträgen  vom  August  und  März 
des  Jahres  1899  ein  weiterer  Wettbewerb  in  dieser  Richtung  unmöglich  ge- 
macht —  in  die  bezeichneten  Gebiete  eindringen. 

Den  Anfang  zur  Ausführung  dieses  Plaues  machte  die  Kongobahn, 
welche  ein  bedeutendes  Werkzeug  für  die  Ausdehnung  des  Handels  und 
der  Civilisation  ist.  Sie  wurde  im  Jahre  1889  bei  Matadi,  bis  wohin  die 
grofsen  Seedampfer  gelangen  können,  begonnen  und  im  Laufe  von  neun 
Jahren,  teils  durch  Mangel  au  Geldmitteln,  teils  durch  Ausführimg  be- 
deutender Kunstbauten  oft  verzögert,  bis  nach  Dolo  und  dann  weiter  nach 


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Die  Eisenbahnen  in  Afrika  und  ihre  Bedeutung  für  den  Handel.  71 

Leopoldville,   dem  Regierungssitz,  und  den  Faktoreien  von  Kinchafa  erbaut. 
Der  Kongostaat  hat  mit  dieser  vollendeten  Bahn  eine  starke  Stütze  er- 
halten,   die    ihm  ein    namhaftes   Übergewicht   über  die   kolonialen  Unter- 
nehmungen   der  anderen  europäischen  Mächte  in  diesem  Teil  von  Afrika 
sichert  und  einer  aufserordentlichen  Ausdehnung  des  Handels  die  Wege  öffnet, 
da  der   im  Innern  schiffbare  Flufs  der  wahre  Weg  in  das  Herz  Afrikas  ist. 
Seine  Bedeutnng  für  den  Handel  könnte  jedoch  erst  voll  ausgenutzt  werden, 
wenn  die   die  Schiffahrt  nach  der  Küste  hindernden  Stromschnellen  durch 
eine  Eisenbahn  umgangen  würden.    Diese  wichtige  Aufgabe  löst  die  Kongo- 
bahn.   Neuerdings  ist  eine  30  km  lange  Zweiglinie  von  Borna  nach  Buki 
eröffnet  worden. 

Die  Kongobahn  hat  in  Bezug  auf  die  wirtschaftliche  Entwickelung  des 
Landes  die  günstigsten  Ergebnisse  geliefert,  denn  das  einzige  Hindernis  für 
den  erleichterten  Transport  und  Ermäfsigung  der  Frachtsätze   bildete  jene 
Strecke,  auf  welcher  die  Überwindung  der  Grenzgebirge  sich  schwierig  ge- 
staltete und  der  Lauf  des  Kongos  nicht  schiffbar  ist.    Welche  Vorteile  die 
Bahn  bietet,  geht  am  deutlichsten  aus  der  Thatsache  hervor,  dafs  es  jetzt 
möglich  ist,  in  zwei  Tagen  den  Weg  um  die  Stromschnellen  zurückzulegen, 
zu  dessen   Bewältigung  noch    vor  einigen  Monaten   18  Tage  erforderlich 
waren.    Von  Dolo  aus  vermitteln  den  Verkehr  Dampfschiffe  auf  den  weiten 
schiffbaren  Strecken  des  Kongo  und  seiner  Nebenflüsse,  und  wo  dieses  wieder- 
um unmöglich  ist,  setzen  weitere  Pläne  des  Kongostaates  ein,  die  nach  dem 
Nil  und  seinen  Verkehrslinien  sowie  nach  den  grofsen  mittelafrikaniscben 
Seen  streben.    König  Leopold,  der  Souverän  des  Kongostaates,  hat  schon 
seit  langer  Zeit  sein  volles  Augenmerk  auf  die  Wasserstrafse  des  Nils  und 
die  vorzügliche  Verbindung  des  Kongostaates  durch  diesen  zum  Mittelmeer 
hingelenkt.    Um  an  dem  genannten  Flufs  festen  Fufs  zu  fassen  und  um 
dort  einen    Verkehrsmittelpunkt  mit  allen  erforderlichen  Einrichtungen  zu 
schaffen,  haben  Kongotruppen  im  vorigen  Jahr  den  Ort  Bor  unter  6°  12'  nörd- 
licher Breite,  120  km  nördlich  von  Lado,  am  rechten  Nilufer  besetzt  und  im 
Anfang  dieses  Jahres  wurde  durch  kgl.  Erlafs  die  Summe  von  300  000  Fr. 
ausgesetzt,  um  Vorstudien  zu   machen  für  eine  Bahn,  welche  an  einem 
noch  näher  zu  bestimmenden  Ort  des  bis  Akue'tana  schiffbaren  Itimbiri  be- 
ginnen, in  nordöstlicher  und  östlicher  Richtung  über  den  Bomokondi  und 
durch  das  Uellethal  verlaufen  und  in  der  Nähe  von  Redjaf  den  Nil  erreichen 
soll.    Diese  Linie  vom  Kongobecken  nach  dem  oberen   Nil  wird  für  den 
Verkehr  vom  nördlichen  nach  dem  zentralen  Afrika    von  besonderer  Be- 
deutung sein,  da  durch  sie  der  letztgenannte  Flufs  die  unmittelbare  und 
bequemste  Zufahrtsstrafse  in  den  Osten  des  Kongostaates  werden  mufs. 

Ein  zweites  ebenfalls  vom  König  der  Belgier  angeregtes  Projekt,  für 
welches  von  privater  Seite  schon  Vorstudien  gemacht  worden  sind,  geht 
dahin,  den  Osten  und  Südosten  des  Kongostaates,  den  durch  Stromschnellen 
und  die  Stanleyfalle  dem  Schiffsverkehr  mit  dem  mittleren  Kongo  abge- 
schnittenen oberen  Kongo  (Lualaba)  durch  eine  Eisenbahn  zugänglich  zu 
machen,  die  Sultanate  am  oberen  Lauf  des  Flusses  in  ständige  Verbindung 
mit  dem  unteren  Lauf  zu  bringen  und  die  Landschaften  Manyema,  Urua 


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72 


Kürchhof  f: 


und  Katcngo  zu  erschliefsen.  Die  Eisenbahn  soll  zunächst  von  Stanleyville 
nach  einem  etwa  150  km  östlich  gelegenen  Punkt  am  oberen  Kongo,  wahr- 
scheinlich Mtawa  oder  am  Ituri  gebaut  und  dann  von  dort  durch  zwei 
Zweiglinien  einerseits  längs  des  Lukuga  bis  an  den  Tanganjika,  andererseits 
bis  an  deu  Albert  Njansa  weitergeführt  werden.  Die  Belgier  hoffen,  auf 
diese  Weise  die  Uferländer  beider  Seen  in  das  Wirtschaftsgebiet  des  Kongo 
einbeziehen  und  die  ersten  Vorbedingungen  eines  transafrikanischen  Handels- 
weges zwischen  Mittelmeer  und  atlantischem  Ozean  schaffen  zu  können. 
Die  Ausführung  einer  auf  und  an  dem  Kongo  mit  Dampf  betriebenen  Ver- 
kehrsgelegenheit zwischen  dem  innerafrikanischen  Seengebiet  und  der  atlanti- 
schen Küste  ist  von  einschneidender  Bedeutung  für  die  Entwicklung  des 
Kongostaates. 

Eine  Privatgesellschaft  beabsichtigt  ferner  zur  Erleichterung  des  Ver- 
kehrs auf  dem  zwischen  Makanghai  und  Songo  mit  Stromschnellen  durch- 
setzten llbangi,  einem  rechten  Nebenllufs  des  Kongo,  zur  Umgehung  dieser 
Hindernisse  eine  etwa  HO  km  lange  Schwebebahn  anzulegen. 

Am  1.  August  wurde  aufserdem  die  von  Borna  direkt  nach  Norden 
führende  Mayumbe- Eisenbahn,  die  den  Schiloango,  den  Grenzflufs  zwischen 
dem  Kongostaat  und  Französisch  -  Kongo  erreichen  soll,  auf  eine  Länge  von 
43  km  fertiggestellt.  Sie  erreicht  den  genannten  Grenzfluß)  bei  Lukundungi 
und  wird  bis  zu  dem  genannten  Ort  eine  Gesamtlänge  von  200  km  er- 
halten. Das  Gebiet,  nach  welchem  die  im  Jahre  1899  begonnene  Linie 
genannt  wird,  bildet  den  südlichen  Teil  von  Französisch-Kongo.  Der  Boden 
von  Mayumbe  ist  aufserordentlich  reich  und  von  staunenswerter  Fruchtbar- 
keit; schon  jetzt  findet  ein  bedeutender  Handel  von  Ebenholz  nach  dem 
Kongostaat  statt. 

Die  dritte  der  in  Afrika  mit  grolsem  Besitz  beteiligten  Mächte,  Frank- 
reich, entwickelt  im  Westen  eine  rege  Thätigkeit  im  Ausbau  des  Bahnnetzes. 
Die  in  Aussicht  genommenen  Strecken  haben  neben  ihrer  Wichtigkeit  für 
den  Handel  meist  auch  in  politischer  Beziehung  grofse  Bedeutung,  da  sie 
die  Ausführung  der  französischen  Pläne,  welche  auf  einen  Zusammenschluß 
aller  Schutzgebiete,  auf  die  Gründung  eines  nordafrikanischen  Kolonialreiches 
abzielen,  unterstützen  sollen. 

Die  älteste  Eisenbahn  in  diesen  Gegenden  ist  diejenige  von  St.  Louis 
nach  Dakar  in  Französisch-Senegal,  die  im  Jahre  1885  in  Betrieb  genommen 
wurde.  Ersteres  liegt  an  der  Mündung  des  schiffbaren  Flusses,  nach  welchem 
die  Kolonie  ihren  Namen  hat,  so  dafs  hier  also,  wo  die  Waren  aus  dem 
Inneren  ankommen,  der  gegebene  Ort.  für  den  Regierungssitz  ist.  Jedoch 
ist  der  Hafen  schlecht,  da  nur  Fahrzeuge  von  geringem  Tiefgang  unter 
günstigen  Umständen  die  vorgelagerte  Barre  passieren  und  in  deh  Flufs  selbst 
gelangen  können.  Dakar  dagegen  besitzt  einen  guten  Hafen,  der  gegen  die 
Ozeandünung  geschützt  ist  und  in  dem  auch  tiefgehende  Schiffe  an  einer 
Mole  anlegen  und  bequem  ihre  Ladung  löschen  können.  Die  Eisenbahn  ist 
also  von  hoher  handelspolitischer  Wichtigkeit.  Ebenso  auch  die  156  km 
lange  Strecke  Khayes — Bufalube.  Der  Senegal  ist  bis  zu  dem  erstgenannten 
Ort,  etwa  1100  km  von  der  Mündung,  schiffbar,  und  dann  erst  beginnen  die 


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Die  Eisenbahnen  in  Afrika  und  ihre  Bedeutung  für  den  Handel.  73 

die  Schiffahrt  hemmenden  Stromsehnellen.    Sie  umgeht  die  genannte  Bahn. 
Diese  schon  seit  mehreren  Jahren  betriebene  Strecke  soll  nun  bis  zum  Niger 
verlängert  werden;  die  ganze  Linie  würde  dann  neben  dem  Handel  auch 
der  Politik    dienen,   denn   sie  ist  die  Folge  der   politischen  Mafsnahmen, 
welche  Frankreich  dazu  geführt  hat,  sich  mehr  und  mehr  im  Hinterland 
der  französischen  Territorien  in  West-Afrika  auszubreiten,  und  sie  wird  nach 
ihrer  Fertigstellung   den  Franzosen  den  Nigerbogen  sicher  stellen,  indem 
sie  die  französischen  Kolonien  des  Sudan  und  von  Dahomey  verbindet,  und 
wird  dem   französischen  Handel  das  ungeheuere  innere  Bassin  des  Niger 
und  seiner  Zuflüsse  öffnen,  da  sie  an  den  schiffbaren  Mittellauf  direkt  an- 
schließt.    Die  Linie,   welche  eine  Länge  von  400  km  erhalt,   soll  1904 
beendigt  sein;  die  Gesamt-Baukosten  werden  auf  25  Mill.  Francs  veranschlagt. 
Ein   Bezahltmachen  der  Anlage  ist  bei  der  grofsen  handelspolitischen  Be- 
deutung der  Linie  als  ziemlich  sicher  anzunehmen,  besonders  wenn  man  in 
Betracht  zieht,  dafs  schon  bei  der  oben  genannten  Bahn  nach  Bufalube  die 
Einnahmen  die  Unterhaltungskosten   vollständig  decken,  obwohl  auf  dieser 
Strecke  kein  wichtiger  Handelspunkt  berührt  wird.    Die  Verlängerung,  deren 
Bau   im  Anfang  dieses  Jahres  von  dem  Geniekorps  begonnen  worden  ist, 
endet  am  Niger  bei  Kulikoro,  von  welchem  Ort  aus  die  Schiffahrt  das  ganze 
Jahr  über  auf  dem  mittleren  Teile  des  genannten  Flusses  bis  Say  möglich 
ist,  wie  einige  Versuche  gezeigt  haben,  bei  denen  auch  die  wenigen  nicht 
bedeutenden  Stromschnellen  ohne  Schwierigkeit  überwunden  wurden. 

Zu  gleicher  Zeit  wie  die  angegebene  Bahnlinie  wurde  auch  von 
Konakry  aus  der  Bau  einer  Eisenbahn  nach  dem  Niger  in  Angriff  genommen, 
welche  ebenfalls  den  Zweck  hat,  die  Vorherrschaft  von  Frankreich  innerhalb 
des  Nigerbogens  fester  zu  begründen  und  den  Wettbewerb  anderer  Mächte 
möglichst  auszuschliefsen.  Diese  Bahnlinie,  zu  deren  Bau  die  Erlaubnis 
seitens  der  französischen  Regierung  im  Februar  1900  erteilt  worden  ist, 
soll  das  Hochland  von  Futa  Djalon  erschliefsen  und  bei  dem  Dorf  Kadamania 
30  km  oberhalb  des  durch  seinen  reichen  Markt  berühmten  Kurussa  am  Niger 
endigen. 

Die  Herstellung  dieser  Bahnlinie  war  in  gewissem  Sinn  dringlich,  da 
seit  dem  1.  Mai  1899  die  englische  Kolonie  Sierra  Leone  eine  Eisenbahn 
besitzt,  welche  zunächst  nur  bis  zur  Entfernung  von  50  km  in  das  Land 
hineinführt,  in  nächster  Zeit  aber  bis  zum  Niger  fortgeführt  werden  soll,  und 
mit  Hilfe  welcher  England  den  Handel  des  Nigerbogens  an  sich  reifsen 
konnte,  wenn  sich  Frankreich  in  der  erwähnten  Bahn  nicht  einen  ähnlich 
wichtigen,  die  Transportkosten  verringernden  Handelsweg  zugelegt  hätte. 

In  Dahomey  soll  eine  Eisenbahn  von  Kotonu  ausgehen  und  zunächst 
nach  Tschäuru  fuhren,  bis  zu  welchem  Ort  die  Vorarbeiten  schon  beendet 
sind.  Später  ist  eine  Verlängerung  nach  Paraku  und  zum  Niger  vorgesehen, 
wodurch  dieser  Schienenweg  eine  Gesamtlänge  von  700  km  erhalten  würde. 
Diese  Bahn  würde  den  nicht  schiffbaren  Mittellauf  des  genannten  Flusses 
umgehen  und  gleich  an  den  für  Fahrzeuge  benutzbaren  Teil  anschlicfson. 

Trotzdem  Kotonu  nicht  der  wichtigste  Hafen  der  Kolonie  ist,  wurde  er 
doch  als  Anfangspunkt  der  Eisenbahn  gewählt,  da  er  allein  Entladungs- 


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74 


Kürchhoff: 


einrichtungen  besitzt,  welche  das  Ausschiffen  des  schweren  Materials  gestatten. 
Die  Bahn  folgt  zunächst  der  Küste  bis  Nidah,  wendet  sich  dann  nach  der 
Provinz  Allada,  für  welche  man  von  diesem  Verkehrsweg  eine  wesentliche 
Erweiterung  des  Olpalmenbaues  erhofft.  Dann  führt  die  Linie  durch  die 
Provinz  Abonn  hindurch,  berührt  aber  den  Ort  gleichen  Namens  nicht  selbst 
da  dieser  erstens  auf  dem  höchsten  Punkt  des  Landes  liegt  und  zweitens 
absolut  keine  handelspolitische  Bedeutung  hat. 

Die  Thätigkeit  der  Franzosen  in  diesen  Gebieten  liefs  die  Engländer 
nicht  ruhen,  und  sie  begannen  nun  auch  ihrerseits  mit  dem  Bau  von  Eisen- 
bahnen vorzugehen.  Zunächst  wurde  in  der  englischen  Kolonie  Sierra  Leone 
eine  Eisenbahn  zwischen  Freetown  und  Songotown  1895  begonnen.  Die  Gründe, 
welche  zur  Herstellung  dieser  Bahn  Veranlassung  gaben,  sind  hauptsächlich 
darin  zu  suchen,  dafs  es  den  Franzosen  in  den  der  Sierra  Leone  benachbarten 
Gebieten  gelungen  war,  durch  geeignete  Zollmafsnahmen  u.  s.  w.  fast  den 
ganzen  Handel  aus  der  Sierra  Leone  nach  der  französischen  Küstenstadt 
Konakry  zu  ziehen.  Während  die  Franzosen  ferner  sehr  rührig  in  dem  Bau 
von  Verbindungswegen  nach  dem  Inneren  waren  —  so  hatten  sie  z.  B.  eine 
Strafse  angelegt,  die  von  Konakry  nach  dem  Niger  führt  — ,  hatten  die  Eng- 
länder an  der  Sierra  Leona  fast  noch  nichts  für  die  Erschliefsung  des  Landes 
gethan.  Der  Handel  von  Freetown  ging  von  Jahr  zu  Jahr  zurück.  In  der 
richtigen  Erkenntnis,  dafs  Verbindungswege  die  Strafse  des  Handels  aufser- 
ordentlich  beeinflussen,  bauten  die  Engländer  noch  in  zwölfter  Stunde  die 
obenerwähnte  Bahn  und  haben  dadurch  den  Franzosen  den  Vorsprung  wieder 
abgerungen.  Die  Strecke  soll  noch  weiter  in  das  Innere  bis  nach  Kotombo 
weitergeführt  werden. 

In  der  englischen  Kolonie  Aschanti  ist  der  Bau  einer  Eisenbahn 
von  Akkra  nach  Kumassi  zur  Sicherung  und  Erschliefsung  des  Aschanti- 
landes beabsichtigt  und  schon  bis  22  km  fertiggestellt.  Die  Verlängerung 
nach  den  grofsen  Handelszentren  von  Bontuku  und  Salega,  von  denen  aus 
dio  Händler  die  europäischen  Waren  nach  dem  Inneren  führen,  ist  vor- 
gesehen. 

Seit  1896  ist  in  der  englischen  Kolonie  Lagos  eine  Eisenbahn  im  Bau, 
die  von  Lagos  über  Aberkuta  —  1897  eröffnet  —  und  Ideban  nach  Rabba 
am  Niger  führen  soll.  Die  Bahn,  die  durch  reiche  Gegenden  führt,  soll 
diese  erschliefsen,  weshalb  die  Anlage  Aussicht  auf  einen  beträchtlichen  Erfolg 
zu  haben  scheint;  allerdings  mufs  in  Betracht  gezogen  werden,  dafs  der 
Niger  von  Rabba  bis  zur  Küste  schiffbar  ist,  also  einen  gefährlichen  Kon- 
kurrenten darstellt.  In  diesen  Gegenden  müssen  noch  zwei  Bahnen,  die  jedoch 
nur  lokale  Bedeutung  haben,  Erwähnung  finden,  und  zwar  die  im  Bau  be- 
findlichen Strecken  von  Sikundi  nach  Tarqua  zur  Erschliefsung  der  dortigen 
Goldminen,  und  die  geplante  Linie  von  Komöe  von  der  Mündung  dieses 
Flusses  an  aufwärts,  erstere  in  Englisch- Aschanti,  letztere  in  der  französischen 
Kolonie  Goldküste. 

Unabhängig  von  Flüssen  sind  die  Eisenbahnen  in  den  westafrikanischen 
Kolonien  Portugals  erbaut,  jedoch  sind  dieses  nur  Erschliefsungsbahnen  für 
kleinere  Gebiete,  eine  gröfsere  wirtschaftliche  Rolle  mit  Beziehung  auf  die  Er- 

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Die  Eisenbahnen  in  Afrika  und  ihre  Bedeutung  für  den  Handel  7f) 

Schließung  Innerafrikas  können  sie  nicht  spielen.  Hierzu  kommt  noch,  dafs 
trotz  aller  fortgesetzt  an  die  Öffentlichkeit  tretenden  Projekte  der  Bahnbau 
neuerdings  fast  ganz  zum  Stillstand  gekommen  ist. 

Die  Linie  Loanda-  Ambakka,  deren  Ausbau  bis  Melange  im  Werke  ist 
und  die  später  bis  Rhodesia  weitergeführt  werden  soll,  dient  der  Erschließung 
der    reichen    Kautschukdistrikte    bei   Melange.      Diese    Eisenbahn    ist  im 
Jahr   188D  begonnen  worden,  hatte  jedoch  im  Jahre  1897  erst  Ambakka 
erreicht  und  1899  im  September  erst  den  nur  wenig  weiter  liegenden  Lu- 
kallafluTs,  wodurch  die  Gesamtlänge  363y2  km  erreichte.    Im  März  1897 
wurde  zwischen  der  portugiesischen  Regierung  und  der  erbauenden  Gesellschaft 
ein  Vertrag  abgeschlossen,  nach  welchem  die  Verlängerung  nach  dem  loO  km 
entfernten   Melange   hergestellt   werden   sollte.    Die   Linie   durchzieht  einen 
guten  Kaffeedistrikt,  und  man  hofft  daher  nach  der  Erreichung  von  Melange 
auf  reichliche  Erträgnisse,  welche  bisher  aus  verschiedenen  Gründen  nicht 
erzielt   worden  sind.     Die  Vorarbeiten  sind  bis  zu  dem  letztgenannten  Ort 
abgeschlossen,  aber  über  die  Inangriffnahme  dieser  Strecke  verlautet  nichts. 
Der  Bau  einer  Zweigbahn  nach  Dondo  ist  ebenfalls  schon  in  Aussicht  ge- 
nommen. 

Die  nur  23  km  lange  Bahn  von  Benguella  nach  Kalumbella  ist  eben- 
falls von  keiner  grofsen  Bedeutung  und  diente  hauptsächlich  dem  Kautschuk-, 
Elfenbein-  und  Wachshandel;  sie  ist  augenblicklich  aul'ser  Betrieb  und 
wird  zweifellos  in  kurzem  zum  Verkauf  kommen.  Das  Kapital  der  Gesell- 
schaft war  zu  klein,  um  den  Kampf  mit  den  bedeutenden  Handelshäusern 
Benguellas  bestehen  zu  können.  Letztere  thaten  sich  zusammen  in  der 
Absicht,  die  gut  gebaute  und  wertvolle  Bahn  zu  einem  geringen  Preise  zu 
erwerben. 

In  letzter  Zeit  sind  noch  zwei  weitere  Bahnprojekte  an  das  Licht  der 
Öffentlichkeit  getreten.  Das  eine,  für  welches  schon  die  königliche  Erlaubnis 
erteilt  worden  ist  und  das  auch  besonders  für  die  deutsche  Kolonie  Süd- 
west-Afrika Interesse  hat,  betrifft  eine  Eisenbahn,  die  von  Porto  Alexandra 
ausgehen  und  zunächst  das  Humbe-Hochland  erreichen  soll.  Es  ist  anzu- 
nehmen, dafs  diese  Bahn  sich  rentieren  wird,  da  ein  grofser  Export  von 
Kaffee,  Sprit,  Kautschuk,  Vieh,  ölen  und  Wachs  aus  dem  genannten  Hoch- 
land vorhanden  und  auch  die  Provinz  Mossamedes  reich  an  Handelsobjekten 
verschiedener  Art  ist.  Später  soll  die  Bahn  bis  in  die  Golddistrikte  weiter- 
geführt werden.  Der  Bau  dieser  Bahn  wird  von  der  Mossamedes- Gesellschaft 
sehr  gewünscht;  denn  diese  hat  in  der  Provinz  grofse  Landkonzessionen, 
kann  jedoch  den  Wert  derselben  ohne  Eisenbahn  nicht  ausnutzen. 

Ein  zweites  mehr  als  lokale  Bedeutung  habendes  Projekt  betrifft  eine 
Bahn,  die  von  Lobito,  38  km  nördlich  Benguella,  ausgeht  und  über  letzt- 
genannten Ort,  dann  über  Kakonda  das  Marutse-Reich  erschliefsen  soll. 
Dieser  Plan  verdankt  sein  Entstehen  den  Mafsnahmen  des  Kongostaats,  durch 
welche  der  Handel  auch  südlich  an  seinen  Grenzen  nach  diesem  abgelenkt 
würde  und  für  die  Kolonie  Angola  verloren  ging.  Dieses  Projekt  soll  hierin 
Wandel  schaffen. 

Ein  drittes  Projekt  ist  endlich  dasjenige  einer  Eisenbahn  von  Kaliuda 


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76   Kürchhoff:  Kiwcnbahnen  in  Afrika  u.  ihre  Bedeutung  für  den  Handel. 

nach  Tschiloango.  Die  beiden  letztgenannten  Anlagen  würden,  wenn  aus- 
geführt, der  dortigen  Landwirtschaft  einen  aufserordentlich  grofsen  Auf- 
schwung geben. 

Auch  in  den  portugiesischen  Provinzen  in  Ost- Afrika  haben  es  die 
Eisenbahnen  über  eine  lokale  Bedeutung  nicht  hinausgebracht,  hier  sind  im 
Betrieb: 

1.  die  Bahn  Laurenzo  Marqucz — Pretoria  in  Transvaal, 

2.  die  Bahn  Beira  nach  Fort  Salisbury  in  Englisch-Rhodesien.  Der 
Bau  dieser  Linie  wurde  1894  begonnen,  und  zwar  wurde  zunächst  die  Strecke 
Fontesvilla  am  Pongwe  nach  Chimrio  hergestellt.  Man  hatte  gehofft,  den 
genannten  Flufs  zur  Schiffahrt  bis  Beira  ausnutzen  und  daher  diese  Eisen- 
bahnstrecke sparen  zu  können.  Man  hatte  sich  aber  getäuscht,  und  eine 
Verlängerung  bis  an  das  Meer  war  notwendig.  Vor  kurzem  erfolgte  der 
Ausbau  nach  dem  Innern  über  Umtali  bis  Fort  Salisbury,  und  hier  dürfte 
die  Linie  endgiltig  beendet  sein,  nachdem  die  neuen  englischen  Eisenbahn- 
Pläne  eingreifen. 

Neuerdings  sind  auch  Pläne  aufgetaucht,  welche  bezwecken,  Beira  mit 
Jete  und  Ugundani,  letzteres  am  Zusammenflufs  des  Schire  und  Sambesi,  zu 
verbinden. 

In  Deutsch -Südwest- Afrika  ist  eine  Eisenbahn  im  Bau,  die  vom  Hafen 
Swakopmund  ausgehend,  die  Hauptstadt  der  Kolonie,  Windhoek,  erreichen 
soll.  Die  Linie,  welche  bis  108  km  schon  dem  Verkehr  übergeben  ist,  dient 
zunächst  rein  örtlichen  Interessen,  da  sie  an  Stelle  des  bis  jetzt  üblichen 
Ochsenwagenverkehrs  treten  soll. 

Die  von  dem  englischen  Hafen  Walfisch-Bai  ausgehende  1 8  km  lange 
Linie,  welche  eine  Konkurrenzstrecke  der  eben  angegebenen  werden  sollte, 
dürfte  nun  wohl  eingehen,  besonders  da  sie  nur  durch  beständiges  Arbeiten 
vor  dem  Verwehen  durch  Sand  geschützt  werden  kann. 

Die  weiteren  Eisenbahnbaupläne  für  die  zuletztgenannte  deutsche  Kolonie 
haben  noch  so  wenig  greifbare  Gestalt,  dafs  ihre  Angabe  nicht  in  den 
Rahmen  dieses  Aufsatzes  passen  dürfte.  Dagegen  sollen  noch  zwei  Projekte 
Erwähnung  finden,  welche,  wenn  ausgeführt,  für  die  gesamte  Entwickelung 
von  Afrika  von  grofser  Bedeutung  sein  würden.  Es  handelt  sich  um  die 
nord-süd-afrikanische  von  Kairo  nach  Kapstadt  führende  und  um  die  trans- 
saharische  Eisenbahn.  Da  die  Absichten  in  beiden  Fällen  nach  sehr  all- 
gemeiner Natur  sind,  so  soll  von  einem  genaueren  Eingehen  Abstand  ge- 
nommen werden.  Als  Glieder  der  ersteren  sind  im  Norden  die  Bahn  bis 
Chartum  gebaut  und  bis  Sobat  geplant,  im  Süden  bis  Buluwayo  im  Betrieb 
und  bis  Waknie  am  Sambesi  geplant,  sodafs  bis  jetzt  3753  km  schon  im 
Betrieb  sind,  während  noch  5354  km  zu  bauen  übrig  bleiben.  England, 
dessen  Projekt  die  ganze  Unternehmung  ist,  würde  im  Norden  den  sehr  be- 
deutenden Vorteil  haben,  dafs  Britisch-Ost-Afrika  und  Ägypten  mit  einander 
verbunden  würden.  Die  Fortsetzung  im  Sudan  würde  wohl  noch  längere  Zeit 
brauchen,  bevor  ihr  Wert  als  Handelsader  zu  Tage  tritt,  aber  als  Transport- 
mittel für  Arbeitskräfte  wird  sie  sofort  für  die  industrielle  Entwickelung  des 
Sudan  von  hoher  Bedeutung  werden.   In  Johannesburg  und  Kimberley  arbeiten 


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J.  Partsch:  Heinrich  Kiepert. 


77 


—  von  dem  Kriegszustand  mufs  allerdings  abgesehen  werden  —  ungefähr 
80  0O0  Eingeborene  mit  einem  Durchschnittslohn  von  etwas  mehr  als 
4  Pfund  Strl.  monatlich,  nördlich  des  Sambesi  arbeitet  die  Bevölkerung,  in 
deren  Mitte  die  Eisenbahn  führen  würde,  gern  zu  Löhnen  von  etwas  mehr 
als  4  Schilling  monatlich.  Dieser  Umstand  würde  natürlich  nicht  fortbestehen, 
sondern  leichter  und  billiger  Verkehr  durch  die  Mittelpunkte  arbeitsuchender 
Gebiete  dürfte  die  Preise  der  Handarbeit  in  ganz  Ost-Afrika  ausgleichen. 

Das  zweite  Projekt  entstammt  hauptsachlich  den  politischen  Wünschen  der 
Franzosen,  ihre  sämtlichen  Besitzungen  in  West-Afrika  zu  einem  Ganzen  zu 
verbinden.  Bedeutenden  Handelsverkehr  würde  die  Bahn  nicht  erhalten,  da 
sie  hauptsächlich  unfruchtbare  Gebiete  durchfährt  und  die  Waren  der 
Kolonien  an  der  Westküste  doch  dem  atlantischen  Ozean  nach  wie  vor  zu- 
streben werden.  Die  Eisenbahn  wird  wahrscheinlich  an  die  schon  bestehenden 
Strecken  bei  AIn  Sefra  oder  bei  Biskra  angeschlossen  werden.  Die  erstere 
Linie  hält  man  jedoch  durch  die  marokkanischen  unruhigen  Stämme  für  ge- 
fährdet, und  Anfang  des  Jahres  1900  hat  eine  von  der  Zeitung  „Matin"  aus- 
gerüstete Expedition  unter  Professor  Blanchet,  welcher  leider  Anfang  Oktober 
1900  zu  Dakar  in  Französisch -Senegal  bei  einer  Forschungsreise  gestorben 
ist,  die  Gegend  südlich  Biskra,  woselbst  das  Thal  von  Igharyhas  einen  sehr 
guten  Eingang  in  die  Wüste  bildet,  bis  Wargla  erkundet.  Als  Endpunkt 
im  Sudan  sind  Timbuktu  oder  der  Tsad-See  oder  beide  in  Aussicht  ge- 
nommen. 


Heinrich  Kiepert. 

Ein  Bild  seines  Lebens  und  seiner  Arbeit 
von  J.  Partsch. 

(Schlufs.) 

Treten  wir  nun  dem  reichen  Inhalt  von  Kiepert's  Lebensarbeit  näher,  so 
wird  es  sich  empfehlen,  gesondert  den  beobachtenden  Reisenden,  den  Forscher, 
den  Lehrer,  den  Schriftsteller,  den  Kartographen  zu  würdigen  und  dabei  die 
wichtigsten  seiner  Leistungen  zu  überschauen.  Das  knappste  Bild  seiner 
Arbeitsweise  im  Felde  hat  er  selbst  gegeben  in  dem  Abschnitt:  „Topogra- 
phische Beobachtung  und  Zeichnung",  der  G.  Neumayer's  Anleitung  zu  wissen- 
schaftlichen Beobachtungen  auf  Reisen  (Aufl.  1.  Berlin  1876.  S.  39—48) 
eingefügt  ist.  Noch  vollkommener  aber  als  aus  der  kleinen  dort  beigegebenen 
Routenprobe  aus  der  Gegend  Jerusalems x)  ersieht  man  Kiepert's  Arbeitsmethode 
und  die  durch  ihre  vollendete  Ausübung  erzielten  Ergebnisse  aus  den  Itine- 
raren  auf  der  Insel  Lesbos  von  H.  Kiepert  und  R.  Koldewey,  Berlin  1890 
(66  S.),  wo  die  Grundlage  des  Kartenentwurfs  dieser  Insel  (1:120000)  in 
Routenzügen  von  750  km  Länge  übersichtlich  niedergelegt  ist.  Nur  mufs  man, 
um  auch  von  dem  Gewinnen  des  Terrainbildes  eine  volle  Anschauung  zu  haben, 

l)  Die  kleinasiatischen  Reisen  sind  auf  seiner  grofsen  Karte  Westkleinasiens 
am  besten  übersehbar  durch  besondere  Bezeichnung  hervorgehoben. 


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78 


3,  Partsch: 


ergänzend  etwa  noch  den  Aufsatz  über  die  Ortslagen  am  Südfufs  des  Ida- 
Gebirges  hinzunehmen,  wo  ein  Beispiel  der  durch  Winkelmessungen  be- 
reicherten Panoramenzeichnung  gegeben  ist,  die  Kiepert  als  beste  Grundlage 
für  die  Darstellnng  des  Reliefs  empfahl  und  mit  vollendeter  Fertigkeit  übte. 
Auf  einem  nicht  veröffentlichten  Plan  von  Skythopolis  (Besän)  in  Palästina 
hat  er  um  den  Grenzkreis  des  runden  Kartenbildes  das  vom  Kartenmittel- 
punkt aus  aufgenommene  Panorama  perspektivisch  eingezeichnet.  Als  In- 
strumente verwendete  er  die  Diopter- Bussole  und  den  Douglas'schen  Reflektor 
für  feinere  Winkelmessungen  nach  fernen  Objekten;  für  die  Wendungen  der 
Route  den  Taschenkompal's.  Die  Uberzeugung  der  Leistungsfähigkeit 
dieser  einfachen  Hilfsmittel,  die  er  mit  Wanne  schon  1842  in  einem  Brief 
aus  der  Troas  an  Carl  Ritter  vertritt,  hat  sich  ihm  bei  steigender  Übung 
nur  immer  weiter  befestigt.  Aber  man  wird  dabei  nicht  übersehen,  dafs  die 
Leistung  des  Werkzeugs  bei  ihm  verschärft  wurde  durch  die  individuelle 
Neigung  und  Gewohnheit  eines  von  vornherein  ungewöhnlich  begabten  topo- 
graphischen Beobachters.  Itinerar  führen  war  ihm  zur  andern  Natur  ge- 
worden; er  konnte  schon  kaum  anders  seine  Wege  machen.  Ein  Notizbuch 
über  eine  vergnügte  Ferienfahrt  nach  Bayern  und  dem  Salzkammergut  (1854) 
zeigt  ein  wunderbares  Geflecht,  in  dem  exakte  Itinerare  auf  Schlenderwegen 
umrankt  sind  von  jovialen  Erinnerungen,  drastischen  Einfallen,  frischen 
derben  Urteilen  über  Personen  und  Dinge.  Und  ebenso  ist  von  Itinerarzeich- 
nungen  begleitet  das  Tagebuch  einer  Harzreise  (1855 ) 1 j.  Galt  es  aber  auf 
einer  Tour  im  Dienste  der  Wissenschaft  den  Augenblick  nutzen,  so  kannte 
er  weder  Ermüdung  noch  Nachgiebigkeit  wider  rauhe  Luft  oder  Sonnen- 
brand, ehe  er  mit  seinem  Stift  alles  zu  Erfassende  sich  erobert  oder  durch 
Messung  nach  Möglichkeit  gesichert  hatte.  So  schildert  ihn  Aug.  Schneegans 
(Sizilische  Skizzen,  Unsere  Zeit  1884,  S.  409)  in  den  Ruinen  von  Solunt: 
„Neben  den  Trümmern  eines  Zeustempels  hat  die  vorsichtige  Fürsorge  der 
Altertümerverwaltung  eine  Hütte  errichtet;  wie  kühl  und  erfrischend  ladet 
der  Schatten  zur  Ruhe  und  zum  ländlichen  Mahle!  Und  wahrlich,  von  Nöten 
sind  Schatten  und  Ruhe  nach  diesem  markvertrocknenden  Umherwandern  in 
sengender  Phöniziersonne  f  Einer  aber  von  uns  allen  —  darf  ich  ihn  nennen? 
Kein  andrer  war  es  als  mein  verehrter  Freund  Professor  Kiepert,  mit  dem 
mich  das  gütige  Schicksal  im  Museum  von  Palermo  zusammengeführt  hatte 
—  er  allein,  obwohl  der  älteste  unter  uns,  wollte  von  Ruhe  und  Schatten 
nichts  wissen,  bevor  er  bis  zum  letzten  Tropfen  den  Becher  unsrer  Alter- 
tums- und  Länderforschung  geleert;  und  während  wir  schon  die  müden 
(ilieder  hinstreckten  in  der  wohlthuenden  Kühle,  warf  er  noch  mit  rascher 
Hand  und  raschen  Strichen  das  Profil  der  Berge,  die  Höhen  und  Senkungen, 
die  Städte  und  Städtchen  auf  seine  Papierrollen,  eine  Rundschau  im  Nu 
skizzierend,  zur  Erinnerung  an  die  Phönizierstadt  und  zur  Belehrung  auch 
für  die  länderforschenden  Gelehrten  Deutschlands." 

1)  Bisweilen  wuchsen  diese  auf  Erholungswanderungen  aufgezeichneten  Itinerare 
sich  aus  zu  kleinen  Veröffentlichungen.  R  v.  Arnswaldt  und  H.  Kiepert,  Plan  der 
Umgegend  von  Eisenach  (1:50000),  Weimar  1853  (24  S.  Text  Plan  des  Ostsee- 
bades Heringsdorf  und  seiner  L  mgebunpen.  Berlin  1*62. 


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Heinrich  Kiepert. 


Diese   festgewurzelte  Gewöhnung,  mit  dem   scharfen  Auge   und  der 
strengen  Aufmerksamkeit  des  Zeichners  zu  beobachten,  gab  nicht  nur  seinen 
speziellen  Kartonblättern  frische,  individuelle  Lebenswahrheit,  sondern  war 
auch  eine  wesentliche  Vorbedingung  seiner  wissenschaftliehen  Forscherarbeit. 
Für  den  Zeichner  sind  die  Erinnerungsbilder  der  Erfahrung  sicherer  und  in- 
haltsreicher;  sie  gewinnen  damit  unendlich  an  Wert  für  die  doch  nur  der 
Erfahrung  entwachsende  Ausbildung  des  Urteils  über  das,  was  topographisch 
vernünftig  und  möglich  ist.    Dieser  praktisch  geschulte  Blick  gab  Kiepert 
eine  ungemeine  Sicherheit,  einen  festen  Takt  in  der  Beurteilung  historisch - 
topographischer  Fragen,  deren  Lösung  oft  versucht  werden  mufs  auf  Grund 
dürftiger  mangelhafter  Anhaltspunkte1).    Deshalb  stand  er  so  fest  in  seinen 
Schuhen  und  schritt  zuversichtlich  seinen  Weg,  wo  andere  zaghaft  schwankten 
und  geneigt  waren,  dem  Recht  zu  geben,  der  zuletzt  das  Wort  geführt  hatte; 
und  deshalb  lohnt  es  sich-  auch  immer,  wenn  die  Meinungen  über  alte  Orts- 
lagen noch  auseinander  gehen,  Kiepert's  Entscheidung  zu  Rate  zu  ziehen  und 
über  die  Gründe  nachzudenken,  die   ihn  geleitet  haben  mögen.     Denn  die 
andre  Vorbedingung,  die  Beherrschung  der  Quellen,  kann  man  bei  ihm  in 
der  Regel  von  vornherein  als  sicher  erfüllt  betrachten.    Die  ernste  Versenkung 
in  einzelne  Blätter  seiner  historischen  Atlanten,  die  Nachprüfung  seiner  Ent- 
sehliefsungen  und,  soweit  sie  erkennbar  sind,  seiner  Beweggründe  erschliefst 
dem  Kundigen  eine  Ehrfurcht  und  Bewunderung  gebietende  Anschauung  von 
der  Summe  ernster  Forscherarbeit,  die  in  Kiepert's  historisch-kartographischen 
Leistungen  niedergelegt  ist.    In  der  Bestimmtheit  des  Meinungsausdrucks, 
zu  der  die  kartographische  Eintragung  zwingt,  im  Gegensatz  zu  dem  leicht 
sich  wendenden,  jede  Stufe  der  Sicherheit  oder  des  Zweifels  wiederspiegelnden, 
jeden  Spielraum  ausnutzenden  Wort,  liegt  ein  gewaltiger  Imperativ  zu  stren- 
gem Nachdenken  und  für  den  ernsten  Forschergeist  ein  Erziehungsmittel  zu 
scharfer  Entsehlufsfähigkeit.  Aber  nur  dem  Tüchtigen  füllt  aus  dieser  Prüfung 
eine  Frucht  für  Geist  und  Charakter  zu.    Bei  Kiepert  fällt  es  schwer,  zu 
sagen,  ob  der  historische  Kartograph  dem  Menschen  oder  der  Mensch  dem 
Kartographen  mehr  zu  danken  hatte. 

Aus  der  strengen,  wissenschaftlichen  Auffassung  der  Aufgaben  des  Karto- 
graphen erwuchsen  unmittelbar  eine  Fülle  von  Problemen,  die  Kiepert  in 
tiefer  dringenden,  die  Grenzen  der  Kenntnis  erweiternden  Untersuchungen  zu 
bewältigen  hatte.  Viele  lagen  auf  dem  Gebiete  der  antiken  Topographie, 
andre  galten  dem  für  ihren  wissenschaftlichen  Fortschritt  unentbehrlichen 
Horizont:  der  Geschichte  der  Erdkunde;  besonders  zahlreich  aber  und  für 
seine  Arbeitsweise  bezeichnend  waren  seine  Studien  zur  historischen  Völker- 
kunde. Schon  das  Bestreben,  die  Namenselemente  der  historischen  Karte 
richtig  zu  erfassen,  führte  ihn  über  die  Grenzen  der  blofsen  kritischen  Quellen- 

l)  Ein  Beispiel  seines  treffenden  Urteils  in  einer  sehr  schwierigen,  lange  ganz 
anders  beantworteten  Frage  bietet  seine  durch  die  späteren  Ausgrabungen  glänzend 
bestätigte  Bestimmung  der  Lage  von  Dodona;  vgl.  Globus  XXXII,  1&78,  232—235. 
Ebenso  beurteilte  er,  lange  ehe  die  örtliche  Einzeluntersuchung  dafür  die  sichere 
Entscheidung  erbrachte,  im  wesentlichen  richtig  die  Frage  der  angeblichen  antiken 
Einmündung  des  Oxus  ins  Kaspische  Meer.    Z.  d.  G  f.  E.  IX,  266—275. 


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80 


J.  Partsch: 


I 


Forschung,  welche  die  geographischen  Namensformen  bei  Schriftstellern,  auf 
Inschriften  und  Münzen  scharf  zu  vergleichen  und  zwischen  ihnen  zu  ent- 
scheiden hat,  hinaus  in  sprachliche  Studien.  Sein  bis  in  hohe  Jahre  wunder- 
bar frisches  Gedächtnis  hielt  ihm  einen  so  reichen  Stoff  zu  Namensvergleichen 
gegenwartig,  dafs  er  ganz  unwillkürlich  die  für  einzelne  Völkerkreise  cha- 
rakteristischen, für  die  Beurteilung  ihrer  Verbreitung  und  Verzweigung  be- 
deutsamen Formenelemente  der  Orts-  und  Personennamen,  Wurzeln,  Abwand- 
lungssilben, Suffixe,  Präfixe  unterscheidend  auffafste  und  zu  Schlufsfolgerungen 
über  Sitze,  Wanderungen,  verwandtschaftliche  Zusammenhänge  der  Völker  zu 
verwerten  begann.  Das  wurde  ihm  erleichtert  durch  den  bedeutenden  Umfang 
seiner  sprachlichen  Kenntnisse.  Aufser  den  lebenden  und  toten  Kultursprachen 
Europas  standen  ihm  auch  gründliche  Kenntnisse  im  Hebräischen Arabischen, 
Armenischen'),  Türkischen8)  zu  Gebote.  Die  enge  Freundschaft,  die  ihn 
mit  Albrecht  Weber,  A.  Kuhn,  R.  Gosche  und  Th.  Nöldeke  verband,  sicherte 
ihm  jeden  Augenblick  den  berufensten  Beirat.  War  dies  schon  ein  gewal- 
tiger Vorteil  für  die  Redaktion  des  Namenschatzes  der  modernen  Karten,  so 
entsprangen  aus  diesem  weiten  linguistischen  Umblick  über  eine  zusammen- 
gehörige Kulturwelt,  wie  ihn  kein  Geograph  der  Gegenwart  mehr  besitzen 
dürfte,  auch  unerschöpfliche  Anregungen  für  die  historische  Ethnographie. 
Insbesondere  erwies  sich  die  Prüfung  des  Namenbestandes  der  Länder  als  das 
einzige  verläfsliche  Mittel,  über  die  frühesten  Grenzen  sicherer  geschichtlicher 
Überlieferung  hinaus  den  Gang  alter  Völkerbewegungeu,  die  Zusammenhänge 
raumlich  getrennter  Stämme  zu  enträtseln.  Hier  liegt  eine  zweite  Wurzel 
der  Treffsicherheit  und  der  Selbständigkeit  der  Urteile  Kieperts  auf  dem 
Gebiete  der  historischen  Geographie.  Ihn  lockt«  nicht  leicht  ein  ety- 
mologisches Irrlicht  in  den  Sumpf;  ihm  leuchtete  die  Fackel  selbsterworbenen 
Wissens. 

Von  der  Vielseitigkeit  dieser  Studien  Kiepert  s  giebt  seine  Alte  Geo- 
Geographie  eine  lebendige  Vorstellung.   Sie  erstreckten  sich  von  den  Iberern4) 


1)  Eine  spezielle  Frucht  »einer  hebräischen  Studien  war  die  Untersuchung 
über  die  geographische  Stellung  der  nördlichen  Länder  in  der  phönikisch-hebräischen 
Erdkunde.    Sgb.  Akad.  1859,  191—220  m.  K. 

2)  Aus  seiner  armenischen  Lektüre  erwuchsen  die  Akademie- Abhandlungen 
über  die  Landes-  und  Volksgeschichte  von  Armenien.  Sgb.  Ak.  1861»,  216-243; 
über  die  Zeit  der  Abfassung  des  dem  Moses  von  Chorene  zugeschriebenen  geogr. 
Kompendiums  (ebenda  1873,  599).  Armenische  Quellen  suchte  Kiepert  heranzuziehen 
für  seine  Untersuchung  über  die  Lage  von  Tigranokerta  (Sgb.  Ak.  1873,  164 — 210 
und  Hermes  IX,  139—149  m.  K),  welche  den  Anstois  gab  zu  Mommsen's  vortreff- 
licher Abhandlung  und  der  entscheidenden  Reise  Sachau*«  (Abh.  Akad.  aus  1880.. 
Auch  die  Erklärung  des  Itinerars  Pegolotti's  (Sgb.  Ak.  1881,  901—913)  bereicherte 
Kiepert  durch  Nachweise  aus  armenischen  Schriftwerken. 

3)  Die  vollkommene  Kenntnis  des  Türkischen  setzte  ihn  in  den  Stand,  einem 
nach  Berlin  geratenen  Syrer  Arsenis,  der  in  Urraia  ansässig  war,  die  Topographie 
der  Umgebung  dieses  Ortes  mit  einer  für  kartographische  Dartellung  genügenden 
Genauigkeit  abzufragen.  Zschr.  Ges.  f.  Erdk.  VII,  538—515,  Taf.  7.  Eine  ähnliche 
Arbeit  leistete  er  in  dem  Erfragen  und  Aufzeichnen  der  Route  Schapira's  in  Jemen. 
Globus  XXXVIII,  183—186  m.  K. 

4)  Beiträge  zur  Ethnographie  der  iber.  Halbinsel.  Sgb.  Ak  1864,  143-164  m.  K. 


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Heinrich  Kiepert. 


81 


bis  Indien1),  fanden  ihren  Schwerpunkt  aber  in  der  Forschung  über  die  äl- 
testen erkennbaren  Bevölkerungsverhältnisse  der  griechischen  und  der  klein- 
asiatischen Halbinsel.  Seine  Akademie -Vorträge  über  das  Pelasger-  und 
Leleger  -  Problem  *)  sind  nur  zum  kleineren  Teile  veröffentlicht.  Dagegen 
liegt  klar  anerkannt  vor  uns  das  Verdienst,  welches  Kiepert  sich  erwarb 
durch  die  erste  Begründung  der  Annahme  einer  vor  der  arischen  Einwande- 
rung vorhandenen,  weder  arischen,  noch  semitischen,  sondern  eher  vielleicht 
mit  den  kleinasiatischen  Stämmen  verwandten  Urbevölkerung  Kleinasiens  und 
Armeniens,  welcher  die  auf  alle  Vokale  folgenden  konsonantischen  Affixe 
nd  und  ss  (die  Endungen  — anda,  — enda,  — inda,  — onda  und  — assa, 
— essa,  — issa,  — ossa  resp.  — ndos  und  — nsos)  angehören5).  Wer  selb- 
ständig solche  Forschungswege  geht,  der  ist  auch  am  besten  dafür  vorbereitet, 
die  von  anderen  in  gleichem  Streben  geernteten  Früchte  tiefgehender  Unter- 
suchungen nachzuprüfen  und  die  vollwertig  befundenen  einzureihen  in  das 
Gesamtbild  des  Völkerlebens  der  Vorzeit 

Die  Vereinigung  dieser  Vorbedingungen  in  der  Person  eines  Forschers 
begründete  Kiepert's  Beruf,  die  schwierige  Aufgabe  einer  Übersichtsdarstellung 
der  Alten  Geographie  in  Angriff  zu  nehmen.    Dieses  Lehrbuch  (Berlin  1878, 
XVI,  544  S.)  ist  die  gröfste  schriftstellerische  Leistung  Kieperts.    Er  war 
im  allgemeinen  für  kartographische  Darstellung  zweifellos  reicher  beanlagt, 
als  für  die  Schriftstellerei.    In  seinen  Abhandlungen,  mochten  es  originale 
Aufsätze  oder  Erläuterungen  eigener  Kartenbilder,  oder  Besprechungen  frem- 
der Geisteswerke  sein,  begegnet  uns  überall  ein  entschiedenes  Überwiegen  des 
sachlichen,  geistigen  Inhalts  über  den  Wert  der  Form4).    Bei  Kiepert  fühlt 
man  sich  mehr  noch  als  beim  alten  Clüver  an  dessen  Wort  erinnert:  „Nus- 
quam  fuit  animus  plus  laboris  verbis  quam  rebus  insumere."   Das  ungestüme 
Temperament  verrät  sich  auch  bei  der  Federführung  in  dem  raschen,  zur 
streng  logischen  Subordination  sich  nicht  ruhige  Zeit  lassenden  Hervorsprudeln 
der  lebhaft  sich  drängenden  Gedanken,  in  der  ungefügen  Länge  unübersicht- 
licher Perioden.     Unter  unwillkürlichem  Verzicht  auf  Rundung,  Ebenmafs 
und  Glättung  der  Formen  des  Ausdrucks  ging  Kiepert  nur  rasch  und  fest 
auf  das  Ziel  los,  lud  in  rascher  Ausschüttung  seine  Meinung  und  seine 
Gründe  ab  und  stürmte  weiter.    Mit  dieser  Genügsamkeit,  sich  selber  irgend 
eine  Einsicht  erobert  zu  haben,  sie  schnell  einmal  anderen  vorzutragen,  aber 
sich  nicht  die  Zeit  zu  ruhig  feilender  Ausarbeitung  zu  lassen,  hängt  es 
zweifellos  auch  zusammen,  dafs  so  viele  Themata,  die  er  vor  der  Akademio 


1)  über  die  geographische  Anordnung  der  Namen  arischer  Landschaften  im 
1.  Fargard  des  Vendidad.    Sgb.  Ak.  1856,  621—647. 

2)  Sgb.  Ak.  1861,  114—182  m.  K.,  704.   1862,  635. 

S)  Fritz  Hommel,  Die  ältesten  Bevölkerungsverhältnisse  Kleinasiens  (H.  Zim- 
merer und  R.  Oberhummer,  Durch  Syrien  und  Kleinasien,    Berlin  1899,  423,  424). 

4)  Es  ist  recht  merkwürdig,  wie  treffend  schon  Bein  Abiturientenzeugnis  diesen 
Zug  seines  Wesens  andeutet  :  „Er  versteht  seine  Gedanken,  wie  sie  ihm  entstanden 
sind,  in  guter  Ordnung  hinzugeben,  wobei  er  mehr  um  den  Reichtum,  die  Richtig- 
keit und  Klarheit  derselben,  als  um  lebhafte  Darstellung  und  (iewandtheit  des  Aus- 
drucks bemüht  ist." 

Geographische  Zeitechri  t.  7.  Jahrgang.  1901.  S  Heft.  6 


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J.  Partsch: 


behandelte,  eben  nur  in  Überschriften  der  Nachwelt  vorliegen.  Sein  rastloser 
Geist  wendete  sich  dann  rasch  neuen  Aufgaben  zu,  ehe  die  Erledigung  der 
gelösten  eine  feste,  schriftliche  Form  gefunden  hatte.  So  erscheint  es 
beinahe  wie  ein  Triumph,  den  er  der  eigenen  Natur  abgerungen,  dafs 
er  das  Lehrbuch  in  wohl  gcgliedeter  Anlage,  vollendetem  Ebenmafs  der 
Teile  und  klarer,  glatt  flüssiger  Darstellung  fertig  brachte.  Es  bleibt  ein 
schönes  Denkmal  seines  reichen  Geistes,  seines  vielseitigen  Wissens,  seiner 
in  die  Tiefe  dringenden  Denkkraft.  Welch  dringendem  Bedürfnis  er  Genüge 
schaffte,  das  beweisen  unter  anderen  die  englischen  und  französischen 
Ausgaben,  die  für  seinen  Auszug  (Leitfaden  der  Alten  Geographie)  nötig 
wurden. 

Was  von  dem  Schriftsteller  gilt,  das  mag  auch  bei  der  Kennzeichnung 
des  Lehrers  von  Bedeutung  bleiben.  Die  ernste  Begeisterung  für  den  sach- 
lichen Inhalt  begründete  die  Anziehungskraft  seiner  Vorlesungen,  nicht  irgend 
ein  blendender  äufserer  Schein.  Die  Vorlesungen  waren  in  ihrer  ganzen  An- 
lage sorglich  erwogen  und  ebeninäfsig  ausgebaut.  Im  Einzelnen  forderte 
das  rasche,  etwas  stofsweise  Hervorquellen  der  lebhaft  sprudelnden  Gedanken 
eine  gewisse  Gewöhnung  des  Hörers.  In  dem  Inhalt  seiner  Vorlesungen  blieb 
er  —  so  bestimmt  ihm  auch  Carl  Ritters  Wirken  Zeit  Lebens  als  Muster 
vorschwebte  —  doch  den  besonderen  chorosophischen  Gedankenwegen  seines 
Lehrers  mit  kritischer  Zurückhaltung  fern.  Seinen  eigenen  Standpunkt  gegen- 
über der  Frage  der  Abhängigkeit  des  Menschen  von  der  Landesnatur,  die  ihn 
umfängt,  hat  er  allerdings  nie  in  ausführlicher  methodischer  Auseinandersetzung 
bezeichnet.  Aber  in  der  Beurteilung  von  Tozer's  Lectures  on  the  geography 
of  Greece  (Z.  d.  G.  f.  E.  IX,  152)  spricht  er  es  rund  aus:  „Was  Tozer 
(Kap.  V)  über  den  Einflufs  des  landschaftlichen  Charakters  auf  den  ethnischen 
und  politischen  der  betreffenden  Gegenden  —  mehrfach  den  Ideen  deutscher 
Vorgänger  folgend  —  zusammenstellt,  klingt  theoretisch  ganz  gut,  macht 
aber  doch  den  Menschen  —  uneingedenk  der  Warnung  des  Thukydides  —  zu 
sehr  zum  Sklaven  der  Scholle,  auf  der  er  erwachsen  ist,  und  ignoriert  mensch- 
liche Freiheit  uod  Naturanlage  allzusehr." 

In  einer  Beziehung  unterschied  sich  Kiepert's  Lehrwirksamkeit  zweifellos 
sehr  bedeutend  und  sehr  vorteilhaft  von  der  jedes  anderen  geographischen  Do- 
zenten: durch  die  seiner  besonderen  Fähigkeit  entsprechende  Hilfe  der  selb- 
ständig, speziell  für  die  Wirksamkeit  beim  Vortrag  geschaffenen  Kartenbilder. 
Kiepert  entwarf  in  erstaunlicher  Schnelligkeit  Wandkarten  mit  energischer, 
charakteristischer  Terraindarstellung.  Nur  durch  diese  Fertigkeit  war  es  ihm 
möglich,  bisweilen  für  den  Bedarf  weniger  Lehrstunden  eine  Wandtafel  für 
die  Anschauung  der  Bodengestalt  eines  Landes  hinzuwerfen  mit  besondrer 
Betonung  der  Hauptgrundzüge  und  Eigentümlichkeiten,  auf  die  sein  Vortrag 
Gewicht  legen  wollte.  Sein  Lehrapparat  enthält  eine  ganze  Reihe  solcher 
Darstellungen.  Andre  habe  ich  in  seinem  Nachlafs  gesehen.  In  einer  seiner 
Vorlesungen  aber,  der  Geschichte  der  Erdkunde,  griff  er  zu  dem  Mittel,  in 
eigner  autographisch  vervielfältigter  Zeichnung  die  Kartenbilder,  welche  den 
Standpunkt  des  Wissens  und  Könnens  der  verschiedenen  Epochen  veran- 
schaulichten, wiederzugeben  und  in  jedes  Hörers  Hand  so  einen  Atlas  der 


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Heinrich  Kiepert.  83 


Geschichte  seiner  Wissenschaft  zu  legen,  wie  ihn  sicher  kein  zweiter  Dozent 
seinen  Schülern  zu  bieten  vermochte l). 

So  tritt  in  jeder  Seite  seiner  reichen  Wirksamkeit  der  Meister  der 
Kartographie  hervor.  Für  dessen  Würdigung  bieten  eine  gehaltreiche, 
sichere  Grundlage  die  umfänglichen  Erläuterungen,  welche  er  seinen  Karteu- 
werken mit  auf  den  Weg  zu  geben  pflegte.  Sie  eröffnen  einen  vollen 
Einblick  in  die  Quellen,  in  die  Methode,  auch  in  die  Grenzen  des  Erfolges 
jeder  grösseren  selbständigen  kartographischen  Arbeit  und  enthalten  einen 
Schatz  gründlicher  Belehrung  für  den  Zeitgenossen,  eine  Fundgrube  kritischer 
Nachweise  für  die  künftigen  Geschichtsschreiber  der  Erdkunde  und  der 
Länderkunde.  Die  beiden  Memoirs  für  den  Robinson'schen  Palästina-Atlas 
und  die  erste  grofse  Karte  Kleinasiens  wurden  bereits  rühmend  hervorgehoben, 
aber  auch  die  Texte  zu  den  in  der  Zeilschrift  für  Erdkunde  veröffentlichten 
Karten,  zu  zahlreichen  selbständigen  Einzelkarten  und  den  grofsen  Atlanten 
sind  eingehendster  Beachtung  noch  heute  würdig. 

Die  höchste  Aufgabe  des  Kartographen  ist  die  schöpferische  Konstruktion 
des  Oberflächenbildes  bisher  unvollkommen  bekannter  Erdenräume.  Vor  ihr 
hat  Heinrich  Kiepert  oft  gestanden;  in  allen  Erdteilen  hatte  seine  konstruktive 
Gewandtheit  und  sein  kritisches  Urteilsvermögen  gegenüber  ungleichwertigen 
Quellen  sich  zu  bewähren.  Aber  die  bevorzugten  Schauplätze  seiner  Original- 
arbeit waren  doch  Vorderasien  und  die  Balkanhalbinsel,  —  Gebiete,  für  die  ein 
fester  Rahmen  geschaffen  war  durch  befriedigende  Küstenaufnahmen,  für 
deren  Inneres  aber  aufser  einer  beschränkten  Anzahl  ungleichwertiger,  erst 
besonderer  kritischer  Prüfung  bedürftiger  astronomischer  Ortsbestimmungen 


1)  Die  Reihe  dieser  Kartenbüder  zur  Geschichte  der  Erdkunde  enthielt:  Die 
Erdkarte  de8  Ptolemäus  mit  farbiger  Unterscheidung  der  von  ihm  eingetragenen 
und  der  wirklichen  Länderumrisse ,   bezogen  auf  den  Meridian  von  Alexandrien; 
Arabische  Erdkarten  (Abu-Ishäq  al-Istachri  um  960,  Abu-Abdallah  Muhammed  al- 
Idrisi  1154);  Proben  arabischer  Spezialkarten  aus  dem  Kitäbu'l-aqlim  des  Abu  Is'h&q 
al-Istachri  um  «J50;  Erdkarte  aus  dem  Kommentar  zur  Apokalypse  des  Abtes  Beatus 
(XI.  Jhd . . ;  Erdkarte  des  Richard  von  Baldingbam  (um  1800)  in  der  Kathedrale  zu 
Hereford;  älteste  datierte  Kompafskarte  von  I'ietro  Vesconte  1318;  Catalauische 
Erdkarte  1375,  die  Karte  der  Zeni  1380;  Erdkarte  des  Fra  Mauro  1459;  die  Wasser- 
halbkugel nach  Martin  Behaim  und  nach  Job.  Schoners  Globus  15-20;  Erdkarte  von 
Juan  de  la  Cosa  1500;  Seekarte  von  Diego  Ribera  152Ü;  nördl.  und  südl.  Halbkugel 
nach  Gerb.  Mercator's  Globus  von  1641.    Mittleres  Toscana,  gez.  von  Lionardo  da 
Vinci.    Gewifs  sind  noch  andere  solche  für  den  Unterrichtszweck  hergestellte  Karten 
in  den  Händen  der  Hörer  Kiepert'*,  wohl  auch  handschriftliche,  für  die  Veröffent- 
lichung gar  nicht  bestimmte  Skizzen.    Zu  diesen  gehört  das  Blatt  Schizzo  inedito  di 
una  carta  riassuntiva  dellc  cognizioni  greche  suir  India  di  Enrico  Kiepert  compilata 
e  donata  nel  1875,  durante  un  corso  speciale  di  geografia  dell'  Asia  antica  al  Dot- 
tore  Fr.  L.  Pulle  in  Berlino.  Offerta  da  S  E.  Guido  Baccelli,  ministro  della  p.  istru- 
zione  al  congresso  internazionale  degli  orientalisti  in  Roma  e  al  congresso  inter- 
nazionale  geogratico  in  Berlino   lH'.i'J   (Stadl  Italiani    di  Filologia  Indo-iranica. 
vol.  Fy",  T.  1).    Für  das  in  solchen  Karten  sich  ausprägende  lebendige  Interesse  an 
der  Geschichte  der  Erdkunde  zeugt  uuter  seinen  Veröffentlichungen  besonders  deut- 
lich die  lange  Reihe  der  Kartenbilder  zur  Entdeckungsgeschichte  Afrikas.    Z.  d.  G. 
f  E.  VIH,  T.  3,  4,  6.    Text  S.  150—170,  433—441   auch  als  Heft  1  und  2  der  Bei- 
träge zur  Entdeckungsgesch.  Afrikas).    1873,  1874. 

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84 


J.  Partsch: 


nur  Itinerare  von  Reisenden,  bald  gute,  bald  mangelhafte,  zur  Verfügung 
standen.  Bisweilen  kam  mit  einem  Schlage  Sicherheit  und  Ordnung  in  ein 
verworrenes  Netz  von  Reisewegen,  wenn  es  dem  Kartographen  selbst  ver- 
gönnt war,  eine  so  unvollkommen  bekannte  Landschaft  einmal  zu  durch- 
schneiden und  das  aufmerksame  Auge  auch  über  die  Gebiete  zu  beiden 
Seiten  des  begangenen  Weges  weithin  schweifen  zu  lassen.  Aber  wo 
eigene  Anschauung  fehlte,  war  aufser  vollster  Beherrschung  einer  weit- 
schichtigen  Reiselitteratur  treffende  Beurteilung  der  Gewahrsmänner  von 
Wichtigkeit,  nicht  minder  sichere  Kenntnis  der  Natur,  der  Bevölkerung, 
der  Sprachen  des  Landes.  Durch  die  enge  Vertrautheit  mit  diesen  Vor- 
bedingungen, kraft  deren  selbst  unvollkommene  ältere  Berichte  ihm  un- 
mittelbar verständlich  wurden1),  war  Kiepert  als  konstruktiver  Kartograph 
für  einzelne  Gebiete  in  ungewöhnlich  vollkommener  Weise  vorbereitet.  Bei- 
spiele für  den  Wert  seiner  Mitwirkung  bei  der  Verwertung  von  Routen 
anderer  bieten  seine  Bearbeitungen  der  Reisen  von  H.  Barth8),  Blau5), 
J.  G.  v.  Hahn4),  P.  v.  Tsehichatschef5),  Chanykoff6),  Schönborn,  Sperling7), 
G.  Hirschfeld8),  Buresch9),  E.  Chantre10),  der  österreichischen  Expeditionen 
nach  Karien,  Lykien ,  Pamphylien  und  Kilikien11),  J.  G.  Wetzstein"), 
Heinr.  Peterraann13),  11  Hartmann,  B.  Moritz,  Humann  und  Puchstein14), 


1)  Hans  Dernschwam's  orientalische  Reise  (1553— 1666)  aus  Handschriften  im 
Auszuge  mitgeteilt.  Globus  LH,  1887,  180— 190,  202—206,  214-220,  230  -235, 
vgl.  Sbg.  Ak.  1863,  307—325  m.  K. 

2)  Z.  f.  E.  n.  F.  XVI. 

3)  Reisen  in  Bosnien  und  der  Herzegowina.  Berlin  1877.  —  Z.  f.  E.  n.  F.  XI  T.  3. 

4)  Reise  von  Belgrad  nach  Saloniki.  Wien,  1KG8.  Karte  von  H.  K.  1:1000  000. 
Reisen  in  die  Gebiete  des  Driu  und  des  Wardar.  Denksehr.  Wien.  Ak.  phil  - 
hist,  Kl.  XVI,  1869.    Karte  von  H.  K.  1:600  000  mit  Text 

6)  Z.  f.  E.  n.  F.  VI.    Erg.-HeR  20  zu  Peterm.  Mitt.  1867,  6«  S.  Text  in  K 
1  :  2  000  000 

6)  Z.  G.  f.  E.  I. 

7)  Z.  f.  E.  n.  F.  XV. 

8)  Z.  G.  f.  E.  xrv. 

9)  Aus  Lydien.  Epigraphisch-geograph.  Reisefrüchte  Leipzig  1898.  Die 
Karte  l:6ü0000,  das  mühsame  Werk  vieler  Wochen,  ist  ein  rührender  Beweis  der 
opferfreudigen  Treue,  die  H.  K.,  selbst  dem  Ende  nah,  —  unter  Hintansetzung  seiner 
eigenen  Arbeiten  —  dem  Andenken  des  jungen  Freundes  bewahrte. 

10;  Recherche«  archeologiqueB  dans  L'  Asie  occidentale.  Mission  en  Cappudocie 
1893— 1894.    Paris  1898. 

Ii  i  Benndorf  und  Niemann,  Reisen  in  Lykien.  Wien,  1884.  Karte  1:300000. 
Graf  Lanckoronski,  Städte  Pamphyliens  und  Pisidiens.  Wien  1890.  1892.  Karte 
1:300  000.  Heberdey  und  Wilhelm,  Reisen  in  Kilikien.  Wien.  1896  (Denkschriften 
W.  Ak.  XLlVi.    Karte  1:900  000. 

12)  Z.  f.  E.  n.  F.  VU.  Reisebericht  über  Hauran  und  die  Trachouen.  Berlin. 
1860.    Duzu  Mitt,  d.  D.  Pal.-Ver.  1899,  12. 

13)  Reisen  im  Orient,    Leipzig  1860.  1861.    Karte  1:3  000  000, 

14)  Karte  des  nördlichsten  Teiles  von  Syrien  nach  den  Zeichnungen  und  Reise- 
berichten von  C.  Humann,  0.  Puchstein,  M.  Hartmann.  B.  Moritz  1:300  000  i  nebst 
Puchst«'iirs  und  Sester  s  Reise  zwischen  Euphrat  und  Tigris).  3  Bl.  in  Humann  und 
Puchsteiifs  Reisen  in  Kleinasien  und  Nordsyrien.  Berlin  1890  Vergl.  Sgb  Akad. 
1883,  29    64  und  Globus  XLIU  Nr.  5  und  6,  S.  76-80,  84—91. 


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Heinrich  Kiepert. 


85 


E.  Sachau1),  Haufsknecht'),  H.  Brugsch3).  Aber  seine  Mitarbeit  an  den 
Forschungen  wissenschaftlicher  Reisenden  beschränkte  sich  nicht  auf  die 
Verwertung  der  Ernte,  die  sie  eingeheimst  hatten,  sondern  vielfach  zogen 
namentlich  die  Erforscher  Kleinasiens  und  Syriens  aus,  gerüstet  für  ihre 
Aufgabe  mit  besonders  vorbereiteten  handschriftlichen  Spezialkarten  ihres 
Arbeitsgebietes  von  Kiepert's  Hand,  in  denen  der  Bestand  sicherer  Kenntnis, 
die  fraglichen,  unbestimmteren  Erkundigungen  der  Vorgänger,  die  empfindlichen 
Lücken  der  Forschung  besonders  bezeichnet  und  Fingerzeige  für  die 
wichtigsten  Aufgaben4)  der  Aufmerksamkeit  empfohlen  waren.  In  solchem 
Falle  liefs  Kiepert  die  dringendsten  Arbeiten  ruhen,  um  mit  seinem  Rate 
jedem  hoffnungsreichen  Unternehmen  rechtzeitig  beizuspringen  und  es  für  die 
Forschung  so  fruchtbar  wie  möglich  zu  machen.  Durch  diese  wertvolle  Mit- 
arbeit, die  fremde  Unternehmungen  bisweilen  vom  Keimen  des  ersten  Planes 
bis  zur  Ernte  ihrer  Ergebnisse  begleitete,  ward  sein  Arbeitszimmer  —  wie 
der  Glückwunsch  der  Akademie  zu  seinem  Doktorjubiläum  1895  es  aus- 
sprach —  zum  Hauptquartier  der  wissenschaftlichen  Eroberung  Klein- 
asiens. Der  Aufbau  der  Karte  dieses  Landes  ward  die  gröfste  Leistung  seiner 
konstruktiven  Arbeit,  in  deren  Natur  es  lag,  dafs  sie  niemals  vollständig  fertig 
werden  konnte5).  Es  ist  ein  Riesenunterfangen,  für  ein  Gebiet  von  dieser 
GröCse  mit  eigener  Kraft  in  der  Dauer  eines  Arbeitslebens  einen  möglichst 
vollkommenen  vorläufigen  Ersatz  schaffen  zu  wollen  für  das,  was  anderwärts 
mit  den  Mitteln  grofser  Staaten,  mit  der  vielverzweigten  Organisation  eines 
ganzen  Stabes  geschulter  Kräfte  im  Laufe  vieler  Dezennien  geleistet  wird. 
Und  der  Felsblock,  den  der  Riese  aufwärts  wältzte,  schien  immer  wieder  eine 
Strecke  zurückzurollen.    Jede  Eisenbahnlinie,  die  einen  Faden  verhältnis- 


1)  Reise  in  Syrien  und  Meso]>otamien.  Leipzig,  1888.  2  Blatt  1 :  750  000.  Abh. 
Herl.  Akad.  1880,  II,  1—9*2.  Sachau'*  Mitteilungen  verwertet  auch  die  ausgezeichnete 
zusammenfassende  Arbeit  zur  Karte  der  Ruinenfelder  von  Babylon  (1  : 600000;. 
55.  G.  f.  E.  VHI  1888,  1-26. 

2)  Z.  f.  E.  n.  F.  III.  Z.  G.  f.  E.  XVII.  C.  Hausknecht,  Reisen  im  Orient, 
Berlin  1884,  4  Bl.,  von  H.  K.  (2  1  :  600  000,  2  1:800  000). 

3)  Reise  der  k.  Preuss.  Gesandtschaft  nach  Persien  1860.  1861.  Leipzig  1892. 
Karte  Autographie  von  H.  K.  1  :  2  000  000. 

4)  Den  Mitgliedern  der  österreichischen  Expedition  nach  Karien  und  Lykien 
wurden  1882  von  H.  K.  eine  Menge  Exemplare  handschriftlicher,  autographisch  ver- 
vielfältigter Karten  (1:400  000)  mitgegeben.  Auch  fiir  Lesbos  liegt  mir  solch  ein 
autographisches  Blatt  von  1887  vor  mit  griechischer  Schritt  und  der  Aufforderung 
an  die  lesbischen  Freunde  zu  Verbesserungen  und  Ergänzungen.  Den  Dank  für 
ähnliche  vorbereitende  Beihilfe  und  leitenden  Rat  haben  nicht  alle,  die  dazu  ver- 
pflichtet waren,  so  aufrichtig  und  herzlich  der  Öffentlichkeit  kund  gegeben,  wie 
die  österreichischen  Gelehrten  und  auch  Heinr.  Zimmerer  bei  Gelegenheit  der 
R.  Oberhummer'schen  Halys  -  Expedition  (Durch  Syrien  und  Kleinasien.  Berlin, 
1899,  17). 

5)  über  den  Unverstand  von  Reisenden,  die  selbst  an  Ort  und  Stelle  nicht  die 
Verpflichtung  fühlen,  irgend  etwas  für  die  Topographie  zu  leisten,  aber  über  die 
mühevolle  Arbeit  des  konstruktiven  Kartographen,  der  doch  eben  nur  die  Itinerare 
von  Reisenden,  keine  übernatürliche  Offenbarung  zur  Verfügung  hat,  schnöde  ab- 
zuurteilen sich  erdreisten,  hat  H.  K.  einmal  ein  deutlich  Wörtchen  gesprochen 
Verh.  Ges.  f.  Erdk.  IX,  267—264. 


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86 


.!.  Partseh: 


niüfsig  sicherer  topographischer  Aufnahmen  ins  Innere  hinein  spann,  ver- 
schob ein  ganzes  zartes  Gewehe  minder  fester  älterer  Routen  und  forderte 
Umarbeitung  weiter  Flüchen.  Aber  allmählich  ging  es  doch  vorwärts  und 
schon  das  Ergebnis  des  vorläufigen  Abschlusses,  zu  dem  sich  der  hochbetagte 
Meister  rechtzeitig  entschlofs,  ehe  der  Abend  für  ihn  hereindämmerte,  bleibt 
ein  ehrfurchtgebietendes  Denkmal  seiner  nimmer  erlahmenden,  nimmer  sich 
genugthuenden  Arbeit. 

Da  die  Erlangung  der  Routenaufnahmeu  englischer  und  russischer 
Offiziere  im  mittleren  und  östlichen  Kleinasien  sich  weiter  und  weiter  ver- 
zögerte und  zeitweise  ganz  zweifelhaft  wurde,  mufste  H.  Kiepert  sich  be- 
gnügen, zunächst  die  Darstellung  des  Westens  unter  Dach  zu  bringen;  das 
geschah  zuerst  für  Samos,  Lesbos  und  für  Lykien1).  Dann  aber  schuf 
seine  „Spezialkarte  des  westlichen  Kleinasien  nach  seineu  eigenen  Routen  und 
anderen  gröfstenteils  noch  unveröffentlichten  Routenaufnahmen",  bearbeitet  im 
Malsstab  1:250000  (1Ä  Blatt.  Berlin  189U — 18112),  für  das  ganze 
Land  im  Westen  des  Meridians  31°  5'  Gr.  und  für  die  westliche  Jnsel- 
flur,  ein  Gebiet  von  etwa  175  000  qkm  Landfläche,  eine  neue  Grundlage 
der  fortschreitenden  Forschung.  Breitet  man  die  15  Blatt  auf  einmal  vor 
sich  aus,  um  den  Gesamteindruck  der  21/»  m  hohen,  2  m  breiten  Bildfläche 
auf  sich  wirken  zu  lassen,  so  wird  einem  Neuling  auf  diesem  Gebiete  nichts 
überraschender  entgegentreten  als  die  Gröfse  der  noch  vollkommen  unbekannten 
Flächen  im  Innern,  die  auf  Karten  kleinen  Mafsstabs  verschwinden.  Schon 
ihre  Ausscheidung  und  klare  Umgrenzung  ist  ein  Gewinn  für  die  Wissen- 
schaft, für  die  schärfere  Fassung  der  noch  offenen  Probleme.  Diesem  Zu- 
stand unvollständiger  Erforschung  mufs  auch  in  der  Darstellung  Rechnung 
getragen  werden  durch  die  Wahl  der  Tuschmanier,  welche  ebenso  geeignet 
ist,  in  kräftig  charaktervoller  Ausgestaltung  die  Bodenform  gut  bekannter 
Gebirge  zur  Geltung  zu  bringen,  wie  in  zartem  verwaschenen  Umriß  die  nur 
unsicher  erkundete  oder  durch  Kombination  erratene  Richtung  und  Aus- 
dehnung vieler  Bodenerhebungen  des  Innern  anzudeuten,  ohne  doch  auf  einen 
grofsen  inneren  Zusammenhang  des  Ganzen  zu  verzichten.  Das  volle  Ver- 
ständnis der  gewaltigen  Leistung  wird  aber  selbst  dem  ausreichend  Vor- 
gebildeten auch  ein  liebevolles  Eingehen  auf  den  Inhalt  einzelner  Blätter 
nur  annähernd  gewähren.  Man  mufs  schon  ein  wenig  hinter  die  Kulissen 
gesehen  haben,  um  sich  vorzustellen,  welch«»  begeisterte  Opferwilligkeit  und 
Arbeitsfreude,  welche  Arbeitskraft  und  Geduld,  welche  Paarung  liebevollster 
Nachsicht  und  unerbittlich  scharfer,  schneidiger  Kritik,  wie  umfassende  und 
tiefgehende  Studien,  welche  Erfahrung  und  Geistesschärfe  in  einem  Manne  sich 
zusammenfinden  mufsten,  um  dieses  Werk  zustande  zu  bringen. 

Mit  Eifer  arbeitete  Kiepert  in  seinen  letzten  Lebensjahren  an  der  Dar- 
stellung des  mittleren  und  östlichen  Kleinasiens  samt  Armenien  und  Nord- 
Syrien  bis  42°  östl.  L.  Green w.  ostwärts,  für  die  er  den  Mafsstab  1:500  000 


1)  Samoa  1:300  000  (Nage's  Reise).  Z.  d.  G  f.  K.  X,  1875.  Lesbos  1:120000 
18!»0  (aus  Koldewey's  Lenbo.s  Lykien  1:300  000.  1884  mit  Erläuterungen  52  S., 
8°  (aus  Benndorf  und  Niemaun,  K eisen  in  Lykien  und  Karien,  Wien  1884). 


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Heinrich  Kiepert. 


87 


gewählt  hatte.    Die  24  Blätter  dieser  Karte  blieben  unvollendet.    Die  Sorge 
für  ihre  abschliefsende  Bearbeitung  ist  eine  dem  Sohne  Richard  hinterblieben« 
Aufgabe,    deren  Umfang  und  Schwere  man  in  Zukunft,  wenn  diese  Blätter 
an   die   Öffentlichkeit  treten  werden,  nicht  unterschätzen  soll.     Auf  dem 
Fundament  der  väterlichen  Arbeit  fortzubauen  ist  selbst  für  den  Sohn  hier 
nicht  leicht.    H.  Kiepert  verliefs  sich  in  ungemein  weiter  Ausdehnung  auf 
seine  bis  in  hohe  Tage  ihm  treubleibende,  aber  in  den  letzten  Jahren  doch 
bisweilen  versagende  Gedächtniskraft.    Er  unterliefs  viele  Notierungen,  die  dem 
Erben  seiner  Arbeit  schmerzlich  fehlen,  begnügte  sich  mitunter  eine  ihm  zu- 
gänglich gewordene  Route  für  seine  Zwecke  auf  losem  Blatte  sich  zu  zeichnen 
ohne  zu  erwägen,  welche  Mühe  vor  ihrer  Einpassung  die  Ermittelung  ihres 
Ursprungs  und  ihres  Wertes  einem  anderen  machen  müsse.    So  ist  eine  Un- 
summe   von  Arbeit,  die  der  Vater  für  sich  schon  bewältigt  hatte,  von  dem 
Sohne  von  frischem  zu  leisten,  und  es  ist  für  diesen  eine  harte,  aber  uner- 
läfsliche  Notwendigkeit,  erst  selbst  des  Stoffes  in  nicht  durch  eigene  Be- 
obachtung bemeisterten  und  besonders  verwickelten  Berglandschaften  so  Herr 
zu  werden,  dafs  er  zu  der  ganz  neu  nochmals  durchzuführenden  Zeichnung 
den  Griffel  ansetzen  kann.    Die  Vollendung  des  Werkes  wird  nicht  nur  ein 
Denkmal  der  treuen  Pietät  sein,  die  der  unabgeschlossenen  Arbeit  des  Vaters 
noch  nachträglich  zu  öffentlicher  Wirksamkeit  verhilft,  sondern  auch  der 
schönste  Beweis,  dafs  dio  Kraft  des  alten  Meisters  nicht  mit  seinem  letzten 
Hauch  erloschen  ist,  sondern  fortlebt  in  dem  unter  seiner  Leitung  zur  Be- 
wältigung gleich  schwerer  Aufgaben  gereiften  Sohne. 

Ihm  ist  schon  früher  die  Sorge  für  die  zeitgemäfse  Fortführung  einer 
anderen  Seite  der  reichen  kartographischen  Thätigkeit  des  Vaters  zugefallen, 
die  weniger  an  den  selbständigen  Forscher  und  Gelehrten  sich  wendet, 
sondern  wirksam  wird  in  Schule  und  Haus.  Aus  Kiepert's  Hand  waren 
eine  Fülle  von  Wandkarten  und  Handkarten  für  Unterrichtszwecke  hervor- 
gegangen. Das  gröfste  der  Werke,  welche  die  wesentlichsten  Ergebnisse  der 
neuesten  Forschungen  der  gebildeten  Welt  in  treuen,  dem  Auge  erfreulichen 
Kartenbildern  nach  wohl  erwogenem  Plane  vorlegen  wollten,  war  sein  neuer 
Handatlas  über  alle  Teile  der  Erde  (40  Blatt,  Berlin  1860).  Das  Unter- 
nehmen ward  erschwert  durch  den  Mangel  erfahrener  Kupferstecher  in  Berlin. 
Wohl  bewährte  Brose  in  dem  technisch  schwierigsten  Blatte,  der  Schweiz, 
noch  einmal  den  alten  Ruf  seiner  Kunstfertigkeit.  Aber  für  die  Mehrzahl 
der  Blätter  mufsten  süddeutsche  Kupferstecher  gewonnen  oder  unter  Verzicht 
auf  Kupferstiche  die  Leistungen  tüchtiger  Berliner  Lithographen  zu  Hilfe 
genommen  werden.  So  waren  es  keineswegs  äufsere  Vorzüge  in  der  tech- 
nischen Ausführung,  die  dem  Atlas  seinen  namhaften  Erfolg  sicherten.  In 
dieser  Beziehung,  namentlich  in  der  Schöpfung  einer  eigenen  Schule  gleich- 
raäfsig  arbeitender  Kräfte  war  das  Gothaer  Institut  schon  damals  in  einem 
während  der  nächsten  Jahrzehnte  sich  schnell  steigernden  Vorteil.  Die  Be- 
deutung von  Kiepert's  Atlas  lag  in  den  Grundsätzen  des  Entwurfs  und  in 
der  wissenschaftlichen  Strenge  der  Ausführung.  Im  Gegensatz  zu  dem 
Streben  möglichster  Raumausnutzung,  welches  den  grofsen  Stieler'schen  Atlas 
beherrscht,  —  die  als  Sektionen  zusaminenfügbaren,  auch  vor  dem  Abfall  von 


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J.  Partsch: 


gesondert  unterzubringenden  Gebietsschnitzchen  nicht  sich  scheuenden  Blätter 
der  Spezialkarten,  wie  die  Fülle  allenthalben  eingefügter  Kartons,  —  verfolgte 
Kiepert  den  Grundsatz,  jedes  Atlasblatt  für  sich  abzurunden  zu  einem  zu- 
sammenhängenden, verständig  abgeschlossenen  Gesamtbild  eines  Gebietes,  das 
nicht  in  voller  Isolierung,  sondern  in  Beziehung  zu  seiner  Umgebung  dar- 
gestellt werden  sollte.  Daraus  ergab  sich  eine  bedeutende  Gröfse  der  Blätter 
(60X49  cm)  und  in  einzelnen  Fällen  eine  Beschränkung  des  Grundsatzes 
möglichst  einheitlicher,  in  leicht  vergleichbaren  Abstufungen  getroffener  Mafs- 
stabswahl.  Die  Begrenzung  der  Blätterzahl  ermöglichte  für  die  fremden 
Erdteile,  anch  für  manche  europäische  Länder  nur  Übersichtsdarstellungen,  ein 
reicheres  Bild  nur  für  die  Länder  deutscher  Zunge.  Aber  diese  zielbewufst 
beschränkte  Aufgabe  wurde  nun  auch  mit  selbständigem  Urteil  in  gründlicher 
Filtrierung  der  Originalquellen  in  Angriff  genommen,  die  Auswahl  des  Stoffs 
nach  streng  erwogenen,  folgerichtigen  Normen  geregelt  und  hohe  Sorgfalt 
auch  der  Rechtschreibung  der  Namen  und  ihrer  zweckmäßigen  Trans- 
skription zugewendet.  Den  Gedankenwegen,  welche  in  diesen  Richtungen 
die  einleitenden  Erläuterungen  einschlagen,  sind  später  auch  andere  gern 
gefolgt.  „Dem  streng  wissenschaftlichen  Geist,  von  dem  das  Ganze  durch- 
drungen ist",  huldigte  in  einer  wohl  abgewogenen  Anzeige  Karl  Neumanu 
(Zschr.  f.  Allg.  Erdk.  N.  F.  IX  488)  und  die  Konkurren/,  schnitt  ein  sauersüßes 
Gesicht  (Peterm.  M.  IV  128).  Der  Handatlas  eroberte  sich  Ansehen  und 
Zuneigung  in  der  gebildeten  Welt.  Erst  nach  einem  Jahrzehnt  ward  er 
durch  die  Anstrengungen  zum  Ausbau  des  grofsen  „Stiel er"  entschieden 
überflügelt.  Später  teilte  er  dessen  Schicksal,  das  Wirkungsfeld  stärker  durch 
billige,  geschickte  Machwerke  verengt  zu  sehen  als  durch  ebenbürtige  Wett- 
bewerber. 

Auch  der  kleine  Schulatlas  H.  Kieperts  hat  seine  eigenartigen  Ver- 
dienste, die  ihm  unvergessen  bleiben  mitten  in  der  Hochflut  sich  unter- 
bietender Erzeugnisse,  die  heute  den  Markt  überschwemmen.  Die  Gebirgskarte 
Deutschlands  darin  ist  ein  Kabinetstück,  wie  es  nur  ein  grofser  Meister  schaffen 
konnte.  Die  Fülle  der  Generalkarten  einzelner  Länder,  die  aus  derselben  Hand 
hervorgingen  —  wer  könnte  sie  alle  nach  Gebühr  mit  wenig  Worten  würdigen? 
Der  Geograph  kann  die  Begriffe  Empire  Ottoman,  Europäische  Türkei,  Italia 
centrale  nicht  auftauchen  sehen,  ohne  sogleich  Kiepert'scher  Werke  zu  ge- 
denken1). Aber  auch  fernere  Gebiete  —  ich  erinnere  nur  an  Südamerika  — 
hat  er  auf  Grund  selbständiger  Durcharbeitung  der  Quellen  eingehender  dar- 
gestellt.   Ohne  dabei  und  bei  den  vielen  Wandkarten  für  den  Schulgebrauch 

I)  Carte  de  la  Syrie  meridionalc  1:800000.  1860.  Nord-Syrien  1:300  000. 
1890.  —  Karte  von  Kleinasien  1:1  500  000.  1864.  —  Karte  der  Kaukasusländer 
1 :  1  600  000.  1854.  —  Nouvelle  carte  generale  des  IVuvinces  Asiatiques  de  l'Empire 
Ottoman  6  Bl.  1:1  500  000.  1H89.  —  Generalkarte  der  Europ.  Türkei.  4  Bl. 
1:1000  000.  —  Carte  de  PEpire  et  de  la  Theualie  1:500  000.  18*0.  —  Spezial- 
karte  von  Kreta  1  :  300  000.  1897.  —  Carta  corogratica  dell'  Italia  ceutrale,  4  Bl. 
1:260  000.  1881.  -  Generalkarte  von  Unteritalien,  8  Bl.  1:800  000.  1882.  — 
Karte  von  Mittel-Amerika,  4  Bl  1:2  000  000.  1858.  -  Karte  des  nördl.  trop. 
Amerika,  6  Bl.  1:4000  000.  1858.  —  Generalkarte  von  Süd-Amerika.  1:10000000. 
1882. 


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Heinrich  Kiepert. 


«9 


näher  zu  verweilen,  müssen  wir  einer  besonderen  Seite  seiner  kartographischen 
Arbeit  noch  mit  einem  minder  flüchtigen  Blick  gedenken,  der  historischen 
Kartographie. 

Um  hier  den  Kern  seines  Wesens  und  seine  Starke  scharf*  herauszuheben, 
sei  betont,  welch  weiter  Abstand  Kiepert's  Arbeitsweise  trennte  von  der 
mancher  in  topographischen  Fragen  dilettierenden  Philologen  und  Historiker. 
Für  ihn  war  immer  das  Erste  die  genaue  Ermittlung  der  Oberflächengestalt, 
der  Ortslagen  und  Wege  der  Gegenwart.  Erst  wenn  er  das  heutige  Bild 
des  Landes  klar  vor  sich  hatte  oder  diesem  Ziel  soweit  sich  genähert  hatte, 
als  möglich,  begann  für  ihn  das  Aufspüren  des  Kulturbildes  der  Vergangen- 
heit. Ein  freies  Herumraten  ohne  Rücksicht  auf  das  Terrain  konnte  ihn 
ebenso  unwirsch  machen  wie  antiquarische  Entdeckerarbeit  ohne  nebonher 
gehende  Beachtung  des  topographischen  Zusammenhangs  der  Ortslagen  und 
der  Oberflächengestalt,  in  die  sie  sich  einfügten.  Kiepert  war  auch  in  dieser 
Seite  seines  Wirkens  ein  echter  Geograph.  Da  schon  vor  Vollendung  der 
ersten  Auflage  seines  Atlas  von  Hellas1)  seine  eindringenden  Studien  auch 
Vorderasien  und  andererseits  den  alten  Kern  des  römischen  Reiches  um- 
spannten, war  für  ihn  der  Schritt  nicht  grofs  zu  einem  vollständigen  Atlas 
antiquus.  Er  erschien  —  wenn  wir  von  dem  Weimarer  Vorgänger  absehen  — 
zum  ersten  Mal  1859  und  seine  12  Karten  haben  in  ebensovielen  Auflagen 
und  in  Sonderausgaben  für  Rufsland,  Holland,  Italien,  Frankreich,  England, 
Amerika  in  300000  Exemplaren  ihren  Siegaszug  durch  alle  höheren  Schulen 
gehalten  und  mit  steigender  Vervollkommnung  sich  in  dem  errungenen  An- 
sehen dauernd  behauptet.  Diesem  vortrefflichen  Werke  entsprach  eine  Reihe 
von  Wandkarten  zur  alten  Geographie.  Und  in  diesem  Gebiet  ist  die  Herrschaft 
des  Namens  Kiepert  bisher  weniger  als  in  der  Herstellung  moderner  phy- 
sikalischer und  politischer  Wand-  und  Schulkarten  eingeengt  worden  durch 
den  erst  neuerdings  auch  hierher  stärker  Übergreifendon  Wettbewerb. 

Die  unbestrittene  Beherrschung  des  ganzen  Gebietes  der  alten  Geographie 
machte  Kiepert  auch  zum  Berater  und  kartographischen  Mitarbeiter  zahl- 
reicher historischer  Werke.  Den  Büchern  von  Rieh.  Lepsius*),  Eberh.  Schräder''), 
Neander*),  Th.  Mommsen5),  G.  Kramer6),  Emil  Hübner7),  Karl  Müllcnhoif8), 

1)  Eine  durchgreifende  Neubearbeitung  de»  Atlas  von  Hellas  und  den  hellen. 
Kolonien  in  15  Blättern  (Text  6  S.  fol.)  erschien  1867— 1872  —  in  Anlage  und 
Ausführung  ein  besonders  schön  ausgereiftes  Werk. 

t)  Denkmäler  aus  Aegypten  und  Aethiopien  L  Berlin  1859  Taf.  1—6.  Nil- 
länder (1  :  5  000  000) ;  Aegypten  und  Sinaihalbinsel;  Aethiopien  (1  :  1  500  000;;  Nildclta 
Isthmus,  Fayum;  ostägypt.  Wüste;  Sinaihalbinsel  (1:500  000);  Lepsius  Routen  in 
der  Sinaihalbinsel  (1 :  200  000).    Herrliche  Blätter! 

3)  Keilinschriften  und  Geschichtsforschung.  Oiefsen  1878.  Die  Keilinsehrifton 
und  das  alte  Testament.    Gießen  1883.    Keilinschriftliche  Bibliothek.    Berlin  1889. 

4)  Geschichte  des  apostol.  Zeitalters.  1841. 

6)  Die  unterital.  Dialekte.  Leipzig  1850.  Römische  Geschichte  V.  Berlin 
1885,  10  Bl.    Eugippius  (2.  Ausg.  in  Mon.  Germ,  ant.)  1898. 

6)  Der  Fuciner  See.    Berlin  1839. 

7)  Inaer.  Hisp.  Christ  1871.  Monumenta  linguae  Ibericae.  1X93.  Inscr.  Brit. 
thrist  1876.  Die  röm.  Grenzwälle  (Jhbb.d.  Ver.  v.  Altert,  Freunden  im  Rhld.  LXm  1878 1. 

8)  Deutsche  Altertumskunde  I.  H.  5  Bl. 


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90 


J.  Partsch: 


v.  Wietersheim1),  W.  Giesebrecht')  dienen  Kiepert'sehe  Karten  nicht  nur  zur 
Zierde,  sondern  als  wesentliche  Ergänzung,  und  zahlreiche  Klassikerausgaben 
(von  Zumpt's  Rutilius  Namatianus  bis  auf  eine  Reihe  erläuternder  Be- 
arbeitungen im  Weidmann'schen  Verlage)  sind  durch  ihn  mit  Karten  ver- 
sehen, die  —  bei  der  Beschränkung  des  geographischen  Unterrichts  auf  den 
höheren  Schulen  —  sehr  wesentlich  das  nie  zu  vergessende  Bedürfnis  in  Er- 
innerung bringen,  auch  andere  Unterrichtszweige  durch  Betonung  ihrer 
geographischen  Beziehungen  zu  beleben  und  sie  nutzbar  zu  machen  für 
das  Erwecken  geographischen  Interesses  und  die  Pflege  geographischer  Kenntnis 
bei  den  Schülern3). 

Viel  tiefer  als  in  den  eben  bezeichneten  Fällen  griff  Kiepert's  Mitarbeit 
ein  bei  einem  grofsen  Werke,  das  für  seine  kartographische  Arbeit  einen 
vollen  neuen  Rundgang  durch  die  alte  Kulturwelt  bedeutete:  beim  Corpus 
Inscriptionum  Latinarum.  Unter  den  vielen  unvergänglichen  Ruhmestiteln 
Mommsen's  wird  der  Ausbau  und  die  schöpferische  Förderung  dieses  Riesen- 
werkes einer  der  ersten  bleiben.  Zu  den  Vorzügen,  die  es  herausheben  vor 
allen  anderen  epigraphischen  Sammlungen,  bleibt  ein  besonders  fruchtbarer 
die  streng  durchgeführte  enge  Fühlung  mit  dem  Boden  der  Länder,  deren 
Vergangenheit  die  beredten  Steine  beleuchten  helfen.  Wie  die  Naturwissen- 
schaften hat  auch  die  Epigraphik  nicht  sogleich  bei  ihren  ersten  Schritten 
begriffen,  dafs  jeder  Fund  seinen  vollen  Wert  erst  erhalte  durch  die  genaue 
Angabe  und  durch  die  verständnisvolle  Betrachtung  der  Örtlichkeit.  Zu 
geographischer  Anordnung  der  Inschriftensammlungen  war  man  schon  vor 
Mommsen  gelangt,  aber  erst  er  hat  die  Vorbemerkungen  zu  den  Inschriften 
jedes  Ortes  zu  einem  Sammelplatz  der  gesamten  historischen  Ortskunde  ge- 
macht und  die  systematische  Verwertung  der  Inschriften,  der  in  alten 
Städten  gefundenen,  wie  der  Reihen  von  Meilensteinen  an  den  Römerwegen, 
für  die  Klärung  der  antiken  Topographie  als  eine  Forderung  an  die  Thätig- 
keit  des  Herausgebers  selbst  zur  Geltung  gebracht.  Dabei  war  die  Mitarbeit 
eines  geographischen  Fachmanns  unentbehrlich,  der  mit  voller  Beherrschung 
der  landeskundlichen  Litteratur,  der  Reisewerke,  der  besten  Karten  die  Be- 
reitwilligkeit und  die  Fähigkeit  verband,  jedem  noch  so  unscheinbaren 
topographischen  Problem  mit  ernstem  Willen  und  geübtem  Spürsinn  nach- 
zugehen. Man  darf  sich  nicht  vorstellen,  dafs  Kiepert  etwa  in  die  Lage 
kam,  an  einen  fertigen  Band  des  Corpus  sich  hinzusetzen  und  dazu  ein 
Kartenblatt  zu  zeichnen.  Vielmehr  war  er  schon  bei  der  Ordnung  der 
Reihenfolge,  bei  der  Abgrenzung  der  Provinzen,  bei  der  Feststellung  des 
Textes  der  Inschriften,  öfter  aber  noch  bei  ihrer  Erläuterung,  bei  der  Auf- 


1)  Geschichte  der  Völkerwanderung.  L 

2)  Geschichte  der  Deutschen  Kaiserzeit  L 

8)  In  einem  Punkte  scheint  diese  Nebenarbeit  an  Klassikerausgaben  doch 
für  Kiepert  selbst  eine  immer  wiederkehrende  Anregung  zu  weiterer  Verfolgung 
eines  viel  behandelten  Problems  gewesen  zu  sein,  der  Topographie  des  Rückzugs 
der  Zehntausend.  Z.  d.  G.  f.  E.  IV,  638  649,  V  466—460,  XVIII  888—393.  —  Einen 
wichtigen  Beitrag  zur  Erklärung  Herodot's  gab  die  Untersuchung  über  die  persische 
Königsstrafse  durch  Vorderasien.    Sgb.  Ak.  1857,  123—140  m.  K. 


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I 

Heinrich  Kiepert. 


91 


Stellung  und  Korrektur  der  Indices  zur  Mitwirkung  berufen  und  die  Karte, 
die  er  entwarf,  war  nur  der  letzte  Sehlufsstein  einer  dornenvollen,  viel  Zeit 
und  Mühe  verschlingenden  Arbeit.  80  ernste  Opfer  auf  Kosten  selbständig 
gewählter  Arbeitsziele  ihm  diese  Thätigkeit  für  das  C.  I.  L.  auferlegte,  trug  sie  ihm 
eines  ein,  woran  er  sein  Leben  lang  mit  freudiger  Hingabe  gehangen:  die 
enge  Freundschaft  und  Geistesgemeinschaft  mit  Momrasen.  Seit  er  für  ihn 
die  Karte  zur  Sammlung  der  Inscriptiones  Regni  Neapolitani  bearbeitet  hatte 
11852),  ist  er  mit  ihm  in  steter  gemeinsamer  Arbeit  geblieben  und  hat  nach 
und  nach  nicht  weniger  als  30  Karten  zu  den  Bänden  des  Corpus  und  ihreu 
Ergänzungen  beigesteuert1).  So  erwuchs  nach  und  nach  ein  neuer  speziellerer 
großer  Atlas  antiquus  durch  den  allmählichen  Fortschritt  dieser  Reihe  auf 
gründlicher  Einzelforschung  ruhender  Karten,  und  der  Gedanke  war  unaus- 
weichlich, ob  er  diese  Arbeitsergebnisse  nur  als  bequeme  Beute  für  andere 
an  die  Öffentlichkeit  gegeben  haben  solle  oder  ob  er  selber  die  eigene  Ernte 
noch  einmal  in  volle  Garben  binden  wolle  in  einem  grofsen  Atlas  der 
alten  Welt. 

Zu  spät  entschlofs  sich  Kiepert  zum  Angriff  dieser  Aufgabe.  Von  seinen 
Formae  Orbis  antiqui,  die  auf  36  Karten  (52  X  64  cm)  berechnet 
waren,  erschien  1894  die  erste  Lieferung  mit  6  Blättern:  voran  als  xr^Xavylg 
nffoowtov  die  Karte  des  westlichen  Kleinasiens  (1:1200  000),  die  ägäische 
Inselflur  (1:900  000),  Nordgriechenland  (1:600  000),  Illyrien  und  Thrakien, 
Spanien,  britische  Inseln  (je  1:2  500000).  Wie  ernst  und  tiefgehend  auch 
diese  Arbeit  angegriffen  war,  das  lehrten  die  umfänglichen,  ein  ungeheures 
Quellenmaterial  bewältigenden  und  sichtenden  Erläuterungen.  Von  der 
zweiten  Lieferung,  in  welcher  Italien  besonders  stark  vertreten  sein  sollte, 
waren  mehrere  Blätter  anscheinend  der  Vollendung  nahe,  als  das  Wanken 
der  Gesundheit  die  Arbeit  zum  Stillstand  brachte;  aber  das  verschärfte  Ver- 
antwortlichkeitsgefühl trieb  den  Sohn  zu  nochmaliger,  gründlicher  Neu- 
bearbeitung, die  namentlich  in  Gebieten  mit  so  reicher  Lokallitteratur  nicht 
schnell  sich  abschliefsen  läfst.  So  sind  von  den  für  diese  Lieferung  be- 
stimmten Blättern  bisher  nur  drei  gesondert  vor  die  Welt  getreten:  die  ge- 
meinsam mit  Ch.  Hülsen  vorbereiteten  und  von  diesem  erläuterten  Blätter 
der  Formae  urbis  Romae  antiquae  (1:10  000,  innere  Stadt  1:2500), 
Berlin  1896.  Da  Rieh.  Kiepert  in  den  Arbeiten  zur  alten  Geographie  längst 
heimisch  ist  und  nunmehr  auch  (zunächst  für  die  Supplemente  des  III.  Bandes) 
die  Fortführung  der  Mitarbeit  am  Corpus  Inscriptionum  übernommen  hat,  ist 
für  die  würdige  Durchführung  des  grofsen  Kiopert'schen  Atlas  der  alten 


1)  Britannia  (1 :  2  500  000).  Hiapania  (1 :  8  000  000,  2.  Aufl.  1 :  2  000  000).  Baetica 
(1 : 1  200  000).  Gallia  Narbonensis,  2  Bl.  (1 : 1  000  000).  Vallis  Rhodani  et  Sabaudia 
1  :  500  000.  Raetia,  Noricum,  Pannonia  (l :  1  500  000).  Dacia  (1  :  1  500  000).  Dal- 
matia  (1 : 1  500  000).  Italiae  viae  publicae  (1  1  2  600  000).  Latium  vetuB  1 :  200  000. 
Regio  I,  IV,  V  (je  1 : 500  000).  X,  IX  et  XI  (je  1  : 800  000\  n,  III,  Sicilia,  Sardinia 
(je  1:1  000  000).  Africa  prov.  1 :  1  000  000  (mit  2  Nachtragskartons  in  Ephemeris 
epigraph.  VII).  Africae  prov.  pars  meridion.  1  :  4  000  000.  Mauretania  1  : 1  500  000. 
Imperii  Romani  pars  Graeca  1 :  5  000  000.  Asia  minor  1  :  2  ßoo  000.  Ferner  zum 
C.  L  Gr.  Rhodus  insula  1 : 250  000,  urba  1 : 20  000.  -  Societas  Delia. 


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92 


J.  Partach: 


Welt,  soweit  die  wissenschaftlichen  Vorbedingungen  in  Frage  kommen,  die 
beste  Garantie  vorhanden. 

Kieperts  historische  Karten  beschränken  sich  indes  nicht  auf  die  Zeit- 
grenze des  Altertums.  Er  führte  schon  in  der  Zeit  der  Bewerbung  um  den 
Preis  der  Pariser  Akademie  seine  Forschungen  über  die  Topographie  des 
Orients  weiter  ins  Mittelalter  fort.  Auch  davon  bot  er  später  für  den 
griechischen  Syllogos  als  letzte  von  vier  grofsen  Wandkarten  (Europa; 
Balkanhalbinsel;  Weltreich  Alexander's)  eine  grofse  zusammenfassende  Dar- 
stellung /Im*!  ™v  fuaatavtxov  'EU^viafiov  xtaa  xi\v  dWr»jv  huTOVTatxrßibti 
(Berlin  1883,  1:500  000,  6  BL).  Auf  anderem  Boden,  dem  des  lebhaften 
Interesses  an  den  Zeitereignissen  und  insonderheit  den  Geschicken  des  Vater- 
landes erwuchsen  seine  kartographischen  Arbeiten  zu  der  Territorialgeschichto, 
der  Geschichte  der  Verteilung  von  Völker-  und  Sprachgrenzen  in  der  Neu- 
zeit, so  seine  historischen  und  Sprachkarten  Elsafs-Lothringens,  so  die  Arbeiten 
über  die  Verbreitung  des  Deutschtums  in  Europa,  über  die  Vergangenheit 
und  die  gegenwärtige  Verteilung  der  Volker  Südosteuropas Hier  berührte 
sich  seine  wissenschaftliche  Arbeit  mit  dem  warmen  Herzen  und  dem  nationalen 
Sinn  seiner  kräftigen  frischen  Persönlichkeit. 

Auch  deren  Andenken  wird  allen,  die  ihn  gekannt,  unvergefslich  bleiben. 
Kiepert  war  ein  echter  Berliner,  lebhaften  Sinnes,  frei  in  seinen  Uberzeugungen 
und  bis  zur  Unvorsichtigkeit  in  seinen  Worten,  kritisch  aufgelegt,  immer 
unumwunden  raisonnierend,  aber  doch  mehr  gutmütig  polternd  als  innerlich 
bitter,  gewohnt  seinem  Denken  frei  Luft  zu  machen,  ohne  allzu  ängstlich 
zu  fragen,  ob  das  kräftig  gegriffene  Wort  den  Hörer  befremden  oder  selbst 
peinlich  berühren  könne.  Trat  man  bei  ihm  ein,  so  war  es  bei  der 
sprudelnden  Lebhaftigkeit,  mit  der  er  das,  was  ihn  gerade  bewegte,  besprach, 
nicht  immer  leicht,  ihn  bei  dem,  was  man  selbst  erledigen  wollte,  festzu- 
halten. So  kräftig  ging  der  Strom  seiner  Empfindungen.  Aber  immer  ver- 
nahm man  den  vielleicht  mafslosen  und  übertriebenen,  aber  doch  lauteren 
ehrlichen  Ausdruck  einer  starken  Überzeugung.  So  gerade  aufgerichtet,  wie 
die  hohe  Gestalt  mit  dem  etwas  zur  Seite  geneigten  ehrwürdigen  Haupt 
vor  einem  stand,  so  war  er  durch  sein  ganzes  Leben  gegangen,  vor  keinem 
sich  beugend  oder  auch  nur  eine  nachgiebige  Wendung  machend,  immer  ehr- 
lich geradeaus  mit  dem  kurzen  raschen  Schritt,  unbekümmert  um  den 
Wind,  der  um  ihn  oder  über  ihm  wehte,  bescheiden  aber  fest,  des  eigenen 
Wertes  sich  bewufst.  Die  Unabhängigkeit  von  jedem  andern  als  dem  fach- 
männisch berufenen  Urteil  machte  ihn  zum  Feind  aller  äufseren  Ehren.  Titel 
und  Orden  hat  er  wie  etwas  seinem  Wesen  Widersprechendes  hartnäckig  und 

1)  Völker-  und  Sprachenkarte  von  Deutschland  und  den  Nachbarländern  im 
Jahre  1866.  1 :  3  000  000.  Völker-  und  Sprachenkarte  von  Österreich  und  den 
Unter-Donau-Ländern.  1  :  3  000  000.  Ethnogr.  Übersichtskarte  des  Europ.  Orients. 
1 :  3  000  000.  Zur  Ethnographie  von  Epirus  m.  K.  Z.  0.  f.  E.  XIII,  250—263.  Ver- 
breitung der  grieeh.  Sprache  im  pontischen  Küstengebirge,  ebenda  XXV,  317-  330 
m.  K.  1  :  660  000.  —  Bemerkenswert  durch  einschneidende  Kritik  der  Aufsatz  zur 
Ethnographie  der  Donauländer,  Globus  XXXIV,  1878,  215— 223.  Vergl.  XXXIII, 
86—90  m.  K.,  auch  XXX,  327—338,  Gruppierung  der  Konfessionen  in  Bosnien  und 
der  Herzegowina  m.  K. 


Heinrich  Kiepert. 


< 

93 


scheu  gemieden,  selbst  wenn  die  Ablehnung  einen  alten  Freund  in  eine 
peinliche  Lage  brachte.  Selbst  die  Auszeichnung  der  Grofsen  Goldnen 
Medaille  für  Wissenschaft,  die  ihm  am  14.  Juli  1895  verliehen  ward,  hat 
ihm  nicht  die  reine  Freude  gemacht,  die  eine  hohe  abschliessende  Anerkennung 
langer  Jahre  ernster  fruchtbarer  Arbeit  wecken  konnte.  Nur  die  Ehren- 
mitgliedschaft zahlreicher  geographischer  Gesellschaften  nahm  er  gern  und 
freudig,  mit  dem  Empfinden,  dafs  sie  nicht  unverdient  sei,  entgegen.  Aber 
auch  den  Geographen  entzog  er  sich,  sobald  er  fürchten  mufste,  ihren 
Glückwünschen  als  Jubelgreis  still  halten  zu  müssen.  Das  war  ein  wesent- 
lich mitwirkender  Grund  für  seinen  Austritt  aus  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde, für  die  er  einst  so  unermüdlich  gearbeitet  hatte,  als  der  50.  Jahres- 
tag seiner  Mitgliedschaft  nahe  rückte.  Dieser  Entschlufs  hing  durchaus  nicht 
zusammen  mit  der  sehr  begründeten  Verstimmung,  die  ihn  1885  zeitweise 
der  Gesellschaft  entfremdet  hatte.  Eher  kann  die  Festigkeit  seiner  Über- 
zeugungen über  die  satzungsgemäfse  Verwendung  der  Mittel  der  Carl  Ritter- 
Stiftung  mitgewirkt  haben  bei  seinem  Scheiden  aus  einem  von  anderen  Ge- 
sichtspunkten beherrschten  Kreise. 

Die  Zurückgezogenheit  der  letzten  Jahre,  das  Fernbleiben  von  den 
wissenschaftlichen  Versammlungen  der  Fachgenossen  ist  ihm  als  mürrische 
Isolierung  ausgelegt  worden;  manche  hielten  ihn  für  bitter,  rauh  und  unzu- 
gänglich. Das  traf  nicht  ganz  das  Rechte.  Wohl  fühlte  er,  wie  der  grofse 
Strom  seiner  Wissenschaft  vom  historischen  Ufer  sich  merklich  zurückzog 
und  an  ihm  nur  schwächere  Wirbel  warf,  die  Hauptbewegung  an  der  natur- 
wissenschaftlichen Wasserkante  entlang  ging,  und  er  konnte  sich  mit  dieser 
Änderung  der  Strömung  nicht  befreunden,  verfolgte  vielmehr  fest  und  un- 
beirrt den  altgewohnten,  für  ihn  seit  so  vielen  Jahrzehnten  erntereichen  Weg. 
Aber  seine  Persönlichkeit  kannten  die  nicht,  welche  ihn  für  abstofsend  und 
unfreundlich  hielten.  Bitter  wurde  er  nur,  wo  er  auf  Falschheit  zu  stofsen 
glaubte.  Die  verzieh  er  nie,  ebenso  wie  er  treue,  echte  Freundschaft  nie  ver- 
gafs.  Wem  er  einmal  in  Vertrauen  ergeben  war,  der  konnte  jeden  Augen- 
blick auf  ihn  zählen.  Ohne  Besinnen  liefs  er  eigene  Arbeit  liegen,  wenn 
ein  Freund  seine  Hilfe  oder  eine  noch  so  zeitraubende  Auskunft  verlangte. 
Er  war  darin  von  wahrhaft  kindlicher  Gutmütigkeit,  wenn  auch  die  kluge 
Gattin  oft  besorgt  warnte,  „nicht  immer  für  Andere  Steine  zu  karren". 

Dafs  er  keineswegs  in  der  wissenschaftlichen  Welt  isoliert  dastand,  nur 
freilich  seinen  eigenen,  durch  die  besondere  Richtung  seiner  Forschung  und 
seiner  Darstellungskraft  erwählten  Kreis  um  sich  geschlossen  hielt,  das  be- 
wies sein  80.  Geburtstag.  Kiepert  hatte  nicht  in  der  Weise,  wie  die  be- 
deutenden Universitätslehrer  es  zu  erstreben  pflegen,  „Schule"  gemacht.  Dazu 
waren  die  Anforderungen  seines  kartographischen  Berufs  und  seiner  historisch- 
geographischen  Arbeit  zu  mannigfaltig  und  doch  wieder  zu  speziell;  sie 
finden  sich  nicht  alle  in  Dutzenden  von  Personen  vereinigt.  Seine  ganze 
„Schule"  war  —  sein  Sohn.  Aber  dennoch  erkannten  viele,  die  nie  zu  seinen 
Füfsen  gesessen,  ihn  als  ihren  Meister  und  waren  sich  bewufst,  von  ihm  ge- 
lernt zu  haben  oder  von  seinen  besonderen  Gaben  auf  ihrer  eigenen  Bahn 
gefördert  zu  sein.    8o  vereinten  sich  die  alten  Freunde,  A.  Weber,  Mommsen, 


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94 


H.  Zondervan: 


Nöldeke,  mit  einer  Reihe  jüngerer  Gelehrten,  namentlich  unter  Benndorfs 
Vortritt  eine  stattliche  Reihe  von  Erforschern  Kleinasiens  und  Syriens,  dazu 
die  Männer  des  Corpus  Inscriptionum  und  die  der  wissenschaftlichen 
Richtung  nach  nächst  verwandten  Lehrer  au  den  Universitäten  deutscher 
Zunge,  um  —  unterstützt  durch  einen  weiteren  Kreis  von  Subscribenten  — 
auf  der  Schwelle  des  hohen  Greisenalters  dem  Nestor  der  Geographie  eine 
Festsehrift  zu  überreichen,  die  mit  zwei  vortrefflichen  Porträts  (1842  und  1898) 
ein  schönes  Denkmal  seiner  Persönlichkeit,  ein  schöneres  noch  für  die  Stellung 
bleiben  wird,  die  er  sich  und  seiner  Disziplin,  der  geographischen  Altertums- 
forschung, in  der  Wissenschaft  seines  Zeitalters  errungen  hatte. 

Es  war  seine  letzte  grofse  Freude,  der  letzte  aus  der  fröhlichen  Tages- 
helle des  wissenschaftlichen  Lebens  erwärmend  zu  ihm  dringende  Strahl,  ein 
wohlthuender  Trost  in  zunehmender  Gebrechlichkeit.  Still  zurückgezogen  auf 
dem  Hainstein  bei  Eisenach  hatte  er  diesen  letzten  Geburtstag  verlebt.  Am 
21.  April  1899  erlosch  das  helle  Auge,  das  der  Länder  Weiten  so  genau, 
ihr  Leben  so  tief  in  ferne  Vergangenheit  überblickt  hatte,  wie  es  wenigen 
nur  vergönnt  war.  Und  auf  den  Lippen  aller,  die  sein  Wirken  gekannt 
und  seine  Kraft  annähernd  ermessen,  schwebte  die  Frage,  der  in  dankbarer 
Erinnerung  die  um  ein  wertvolles  Mitglied  trauernde  Zcntraldirektion  des 
Deutschen  Archäologischen  Instituts  in  ihrem  Nachruf  Ausdruck  gab:  „Wer 
wird  uns  Heinrich  Kiepert  ersetzen?" 


Die  niederländisch  west  indischen  Inseln. 

Von  H.  Zondervan. 

(Fortsetzung.) 
Aruba. 

Nach  den  Mitteilungen  Professor  Ernst's  in  Caracas  an  Prof.  Martin  soll 
der  Name  der  Insel  (in  älteren  Schriften  auch  Oruba  und  Oma  geschrieben' 
von  Oirubae,  d.  h.  die  „Begleiterin",  herrühren,  während  van  Koolwijk1)  es 
für  wahrscheinlich  hält,  dafs  Aruba  ein  karibischer  Ausdruck  ist,  welcher 
von  Oroa  herrührt  und  vielleicht  an  die  Gegend  und  den  Fluss  Aroa  in 
Venezuela  erinnert2).  Die  Insel  teilte  die  politischen  Geschicke  Curacaos 
(siehe  daselbst),  wurde  aber  erst  1740  unter  niederländische  Verwaltung  ge- 
bracht, während  sie  vordem  als  ein  wertloser,  von  einigen  Indianern  be- 
wohnter Fels  nur  dann  und  wann  von  den  vorbeifahrenden  Schiffen  besucht 
wurde. 

Aruba  liegt  etwa  70  km  westlich  von  Curacao,  hat  eine  regelmässige 
Gestalt  und  dehnt  sich  in  NW.-SO  -Richtung  über  etwa  26  km  Länge  aus, 


lj  Tijdachrift  v.  h.  Kon.  Ned.  Aardr.  Gen.,  1884  Versl.  en  Med.,  S.  36u. 
2)  Bekanntlich  triebt  es  heutzutage  noch  einen  Ort.  Aroa  im  veneznelischen 
Staate  Yaracui,  in  dessen  Nabe  bedeutende  Kupferminen  vorkommen. 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln. 


9f> 


während  die  Breite  im  Mittel  5%  km,  der  Flächeninhalt  165  qkm  beträgt1). 
Die  kürzeste  Entfernung  von  der  Nachbarküste  Venezuelas  mifst  kaum 
30  km.  Die  Gesamtzahl  der  Bewohner  belief  sich  am  1.  Januar  1899  auf 
9349,  teilweise  über  die  Insel,  vor  allem  den  westlichen  Teil,  zerstreut,  teil- 
weise in  zwei  Dörfern  angesiedelt.  Der  Hauptort  und  Hafen  ist  das  Dorf 
Oranjestad  an  der  Paardenbai  an  der  Südküste,  mit  etwa  200  Wohnstätten, 
deren  bedeutendste  das  weifs  getünchte  Regierungsgebäude  ist.  Weiter  können 
die  römisch-katholische  und  die  kleine  evangelische  Kirche  hervorgehoben 
werden,  während  das  Dorf  im  übrigen  mit  seinen  kleinen,  unansehnlichen 
Häusern  von  Stein  und  seinen  ärmlichen  Strohhütten  keinen  erfreulichen  Ein- 
druck macht,  „woran  wohl  hauptsächlich  die  unglaubliche  Dürre  des  aus 
Korallenkalken  gebildeten  Bodens  Schuld  trägt".  Das  zweite,  kleinere  Dorf, 
Santa  Cruz,  liegt  mehr  im  Innern,  eine  Wegitunde  östlich  vom  ersteren, 
jenseits  des  Hooibergs,  umgeben  von  malerischen  Felsenmeeren.  Daneben  ver- 
dienen nur  noch  die  Anlagen  der  Phosphatgesellschaft  an  der  Südostecke  der 
Insel  einer  besonderen  Erwähnung.  Der  Hafenplatz  rar  die  Phosphatgruben 
von  Colorado  ist  St.  Nikolas  an  der  gleichnamigen  Bucht,  welche  von  der 
Gesellschaft  wesentlich  verbessert  und  durch  einen  Schienenweg  mit  dem 
Serro  Colorado  verbunden  worden  ist.  Der  Ort  besteht  aber  nur  aus  wonigen, 
diesem  Betrieb  dienenden,  kleinen  Gebäuden,  während  die  Umgegend  sehr 
einsam  und  wüst  ist.  Alle  übrigen  Häuser  liegen  einzeln  über  die  ganze 
Insel  zerstreut  und  sind  fast  ausnahmslos  ärmliche,  unansehnliche  Wohnungen, 
da  es  keine  Plantagen  im  Sinne  von  Curacao  giebt.  Die  einzige  sogenannte 
Plantage  ist  die  von  Fontein  an  der  Nordküste,  welche  ihre  relative  Frucht- 
barkeit dem  kleinen  dort  fliefsenden  Bache  verdankt  Und  auch  hier  spürt 
man  nur  tiefen  Verfall  und  grofse  Armut. 

Die  Nordküste,  nach  dem  Meere  zu  durch  eine  Düne  abgeschlossen,  be- 
sitzt zahlreiche  Buchten,  während  landeinwärts  eine  Sandebene  folgt,  die  ver- 
einzelte, von  zahlreichen  Krabben  bevölkerte  Wasserlachen  enthält.  In  diese 
Buchten  münden  die  kleinen  von  W.  nach  0.  und  NO.  gerichteten  Schluchten, 
welche  nur  zur  Regenzeit  Wasser  führen  und  mit  einer  üppigen,  aber  nie- 
drigen Mangrovevegetation  bestanden  sind.  Von»  diesen  Buchten  sind  vor 
allem  die  Boca  von  Daimarie,  in  deren  Nähe  die  Rooi  Fluit  ins  Meer  mündet, 
sowie  die  von  Antikurie,  letztere  von  grofser  landschaftlicher  Schönheit,  be- 
kannt An  der  Südküste  soll  nur  die  Spanische  Lagune  hervorgehoben 
werden. 

Was  die  Bodenbeschaffenheit  betrifft8),  so  giebt  es  auf  Aruba  nur  ein 
Gebirge  von  einiger  Bedeutung  und  zwar  einen  Gebirgsstock  von  annähernd 
dreiseitigem  Umrisse,  dessen  eine  Seite  der  Nordküste  entlang  läuft  vom 
Matevidirie  bis  Fontein,  während  die  Spitze  in  der  Nähe  des  inneren  Endes 
der  Spanischen  Lagune  zu  suchen  ist.    Seine  bedeutendsten  Höhen  liegen  im 

1)  Diese,  sowie  die  Flächenangaben  der  folgenden  Inseln  nach  W.  L.  Loth, 
Kaart  van  Suriname,  Amsterdam  1899. 

2)  Ebenso  wie  bei  Curacao  folgen  wir  auch  bei  der  Darstellung  des  Boden - 
reliefs  und  des  geologischen  Baues  der  Inseln  Aruba  und  Bonaire  der  Arbeit  Martin's, 
Bericht,  1  c,  IL 


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9G 


H. Zondervan: 


SW.,  hart  an  seiner  Grenze,  und  hier  befinden  sich  auch  zwei  isolierte  Gipfel, 
der  Jamanota  (183  m)  und  der  Ariekok  167  m).  Im  W.  dieses  Gebirgs- 
stockes  dehnt  sich  ein  Plateau  aus,  von  einem  Felsenmeere  bedeckt.  Am 
SW.-Rande  desselben  liegt  der  kegelförmige  Hooiberg  (175  m),  und  von 
diesem  aus  zieht  sich  ein  niedriger  Höhenzug,  der  in  eine  Reihe  von  Hügeln 
aufgelöst  ist,  bis  zum  Innenrande  der  Spanischen  Lagune  hin.  Ebenso  schliefst 
sich  an  der  anderen  Seit«  des  Gebirgsstockes  ein  Plateau  an,  welches  den 
Südostteil  Arubas  einnimmt,  aber  einen  wesentlich  anderen  Charakter  zeigt. 
Seine  Höhe  mag  im  Mittel  etwa  30  m  betragen,  die  einzige  etwas  höhere 
Erhebung  ist  hier  der  Serro  Colorado  mit  nur  38  m. 

Das  Hauptgestein  der  Insel  ist  ein  Quarzdiorit  von  rein  granitisch- 
körniger  Struktur,  durchsetzt  von  mehreren  Kluftsystemen,  welche  zur  Bil- 
dung von  unregelmilfsigen  Blöcken  Veranlassung  gegeben  haben,  deren  Durch- 
messer 6  m  und  mehr  betragen  kann.  Nächst  den  Dioriten  nehmen  Diabase 
den  wesentlichsten  Anteil  an  dem  Aufbau  von  Aruba.  Es  sind  feinkörnige 
bis  dichte,  sehr  selten  grobkörnige,  dunkelgrüne  Gesteine,  in  allen  Einzelheiten 
der  Struktur  mit  den  Diabasen  von  Curacao  übereinstimmend1).  In  der 
Diabasregion  stehen  Grünschiefer  an,  während  innerhalb  des  Quarzdioritmassivs 
Gänge  von  Diorytporphyren,  sowie  Granitgange  vorkommen.  Von  cretacelschen 
Ablagerungen  ist  auf  Aruba  nichts  mit  Sicherheit  bekannt 

Die  Quarzgänge  erhalten  in  grölserer  oder  geringerer  Menge  Gold;  vor 
allem  an  der  NW-Ecke  der  Insel  haben  sie  sich  als  reichhaltig  erwiesen. 
Auch  Silber,  Brauneisenerz,  Magneteisen,  Kupferkies,  Malachit,  Azurit,  Rot- 
kupfererz und  Arsenkies  kommen  vor,  aber  nicht  in  abbauwürdiger  Menge. 
Das  Gold  wurde  anfangs  nur  aus  dem  Seifengebirge,  welches  der  Verwitte- 
rung und  Zertrümmerung  der  anstehenden  Formation  seine  Existenz  verdankt, 
gewonnen,  und  zwar  seit  im  Jahre  1824  durch  einen  Zufall  die  Aufmerk- 
samkeit von  neuem  auf  das  schon  im  18.  Jahrhundert  entdeckte  Erz  gerichtet 
wurde.  Im  Jahre  1825  betrug  die  Goldproduktion  im  ganzen  142  Pfund*), 
nahm  aber  sehr  rasch  ab,  so  dafs  sie  1845  nur  500 — 600  Gulden  an  Wert 
hatte.  Seit  1867  erhielt  die  „Aruba  Island  Gold  Mining  Company"  das 
alleinige  Recht  der  Goldgewinnung  und  wandte  sich  dem  Abbau  der  Gruben 
zu,  die  Ausbeute  entsprach  aber  so  wenig  den  Erwartungen,  dafs  die  Arbeit 
nach  einigen  Jahren  eingestellt  wurde.  Später  wurde  der  Grubenbau  wieder 
aufgenommen,  kam  aber  nicht  zur  Blüte,  denn  1898  betrug  die  Ausbeute 
uur  2,394  kg  im  Werte  von  3912  Gulden.  Im  Februar  1899  wurde  von 
der  Gesellschaft  ein  neuer  Kontrakt  mit  der  Regierung  eingegangen,  wonach 
ihr  die  ausschliefsliche  Ausbeute  des  Goldes,  Silbers  und  Kupfers  in  der 
NW.-Hälfte  der  Insel  zugesichert  bleibt'). 

Gröfsere  Bedeutung  als  das  Gold  erlangten  die  Phosphorit-Ablageningen, 
welche  1873  oder  Anfangs  1874  auf  Aruba  entdeckt  wurden4)  und,  wie 

1)  Kloos  in  den  Samml.  des  geologischen  Reichsmuseums  in  Leiden,  Ser.  2,  Bd.  I. 
2»  Gon  Nets  eher  in  den  Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde 
v.  Ned-Indie,  1869  8.  494. 

8)  Koloniaal  Versla^,  1899,  III.  Curacao,  S.  K. 

4)  Chumaceiro,  De  natuurlijke  hulpbronnen,  1.  c. 


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Die  niederländiach-weBtindiBchen  Inseln. 


97 


schon  bei  Curaeao  erwähnt  worden  ist,  einige  Jahre  eine  bedeutende  Ein- 
nahmequelle der  Regierung  bildeten.  Das  Lager  befindet  sich  an  der  äufsersten 
Ostecke  der  Insel  und  bildet  einen  Teil  des  Serro  Colorado  und  des  Serro 
Culebra.  „Die  Phosphorite  stellen  ein  lichtgraues  oder  gelbliches  bis  rot- 
und  leberbrauncs  Gestein  dar,  welches  allerorts  zahlreiche  (Iberreste  von 
Organismen  einschliefst;  teilweise  sind  die  phosphathaltigen  Gesteine  meta- 
ntorphosierte  Riffkalke1'1).  „Die  Höhlenphosphate  stellen  eine  zweite  Gruppe 
von  Phosphoriten  und  phosphoritischen  Kalken  dar.  So  wie  für  die  Um- 
wandlung der  Korallenkalke  Soevögel  und  meeresbewohnende  Tiere  das 
Material  geliefert  haben,  so  ist  dies  für  die  Bildung  der  Höhlenphosphate 
durch  die  kleinen  Saugetiere  (Fledermäuse,  Ratten,  früher  auch  Kaninchen) 
geschehen,  welche  die  Grotten  in  grofser  Zahl  noch  heute  bewohnen."  Die 
Ausbeute  wurde  1879  von  der  Regierung  verpachtet,  ist  aber  in  neuerer 
Zeit  stark  zurückgegangen,  sodafs  1898  nur  noch  20050  cbm  Phosphat  in 
28  Schiffen  ausgeführt-  wurden'). 

Klimatisch  stimmt  die  Insel  durchaus  mit  Curaeao  überein,  ist  daher 
sehr  gesund,  hat  aber  bei  einer  hohen  Temperatur  einen  geringen  Nieder- 
schlag, so  dafs  noch  1898,  ebenso  wie  auf  den  Xachbarinseln,  infolge  des 
Hegenmangels  die  Ernte  fast  ganz  fehl  ging  und  die  Pflanzenwelt  gleiche 
Armut  wie  dort  zeigt.  „Die  Eintönigkeit  der  Szenerie,  kahler  Felsboden  und 
Meer,  spottet  jeder  Beschreibung",  heilst  es  im  Reisebericht  Professor  Martin 's 
von  der  Gegend  der  SW.-Küste.  Und  nicht  besser  verhalt  es  sich  an  der 
Nordküste:  „Verläfst  man  den  Strand,  so  dafs  auch  die  kühnen  von  der 
Welle  umbuhlten  Klippen  dem  Auge  entzogen  werden,  so  nimmt  die  Gegend 
eine  noch  gröfsere,  kaum  besch reibliche  Eintönigkeit  an.  Auf  flachgewölbten, 
länglichen  Höhenrücken  von  rostbrauner  Farbe,  von  denen  die  Sonnenstrahlen 
eine  unerträgliche  Glut  zurückwerfen,  sieht  man  oftmals  auf  dem  Räume  von 
vielleicht  10  Quadratmetern  nur  einen  einzelnen  kleinen  Strauch,  welcher 
den  Namen  Kamari  (Coccoloba  punctata)  trägt,  und  dieser  hat  sich  ängstlich 
vor  dem  Passate  zu  Boden  gelegt,  ist  an  der  Windseite  grau  und  blätterlos, 
nur  an  den  abgewendeten  Teilen  belaubt  und  selten  bis  1  m  hoch.  Hin 
und  wieder  bemerkt  man  eine  Opuntia,  aber  keinen  Cereus,  welcher  minder 
Widerstandskraft  zu  besitzen  scheint,  und  die  Oberfläche  der  umherliegenden 
Blöcke  ist  mit  bunten  Flechten  überzogen.  So  weit  das  Auge  reicht,  kann 
man  die  Zahl  der  Kamari-  und  Opuntia-Exemplare  oftmals  bequem  zählen; 
sonst  aber'  ist  alles  wüst  und  leer."  Im  Innern  giebt  es  zwar  ausgedehnte 
Wälder,  diese  bestehen  aber  fast  ausschliefslich  aus  baushohen  Cereen  und 
bieten  ebenfalls  keinen  Schatten. 

Dadurch  dafs  von  der  Regierung  immer  mehr  Grundstücke  an  arme 
Leute  verpachtet  werden,  dehnt  sich  der  Ackerbau  in  den  letzten  Jahreu 
aus,  hat  aber  trotzdem  nicht  viel  zu  bedeuten.  Aufser  einer  Maisart  werden 
vor  allem  Bohnen  gepflanzt,  sodafs  diese  bei  ergiebiger  Ernte  sogar  zur  Aus- 
fuhr gelangen.    Weiter  werden  Pindanüsse  [Finda  amehio  In/poyea),  Dividivi 


D  Martin,  Bericht,  1.  c.  II.  S.  95. 
2i  Koloniaal  Veralag,  l8y*J,  1.  c.  S.  8. 

(ieoffrmphUche  Zeitschrift.  i.J»hr(r»nir  1901.  t.  Heft  7 


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08 


H.  Zondervan: 


und  Aloi;harz  ausgeführt,  Melonen  und  einige  andern  Obstgewächse  gezüchtet. 
Alles  zusammengenommen  liefert  der  Ackerbau  aber  nicht  genug  zur  Er- 
nährung der  Bevölkerung,  so  dafs  sogar  in  günstigen  Jahren  Lebensmittel 
eingeführt  werden  müssen.  Dividivi  ist  für  die  drei  Inseln  unter  dem  Winde 
der  einzige  Exportartikel,  welcher  schon  seit  vielen  Jahren  einen  bedeutenden 
Gewinn  abwirft,  daher  auch  von  der  Regierung  im  vergangenen  Jahre  eine 
Kommission  eingesetzt  worden  ist,  welche  zur  Aufgabe  hat,  Mittel  zu  beraten 
zur  Hebung  des  Ertrags  dieser  Pflanze,  sowie  zur  Einführung  neuer  Gewächse 
auf  001*9*0  und  den  Nachbarinseln1). 

Die  Fauna  von  Aruba  ist  besonders  bemerkenswert  durch  ihre  Ver- 
schiedenheit von  derjenigen  von  Curaeao  und  Bonaire*).  So  besitzt  die  Insel 
zwei  eigene  Papageienarten;  die  Klapperschlange,  eine  Crotalus-Art,  ist  eben- 
falls auf  Aruba  beschränkt  und  das  Gleiche  dürfte  der  Fall  sein  mit  der 
Dipsas  annulata  L.  Unter  den  Eidechsen  fehlt  es  nicht  an  Arten,  welche 
auf  Curaeao  vorkommen,  daneben  haben  beide  Inseln  ihre  eigenen  Arten. 
An  den  Küsten  findet  sich  ein  grofser  Reichtum  an  Fischen,  Schildkröten, 
Hummeru,  Garnelen  und  Austern.  Auch  die  Perlmutterauster  kommt  hier  vor 
und  in  den  sechziger  Jahren  bildete  sich  auf  Aruba  sogar  eine  Gesellschaft 
zum  Betrieb  der  Perlfischerei;  doch  ist  die  Sache  nicht  in  Flufs  gekommen3). 
Hingegen  scheint  der  Fischfang  laut  den  „Koloniale  Verslagen"  zuzunehmen. 

Die  Gesamtausfuhr  hatte  einen  Wert  von:  1896  232  741  Gld.,  1807 
266  298  Gld.,  1898  163  783  Gld.  Es  liefen  1898  ein:  291  Schiffe  mit  einem 
Tonnengehalt  von  31  973  cbm. 

Der  Wohlstand  der  Insel  ist  sehr  gering,  ja  van  Koolwijk  glaubt,  dafs 
von  allen  niederländischen  Inseln  unter  dem  Winde  Aruba  am  ärmsten  sei. 

Dafs  die  Bevölkerung  trotz  ihrer  chronischen  Armut  in  der  zweiten 
Hälfte  dieses  Jahrhunderts  stark  zugenommen  hat,  geht  aus  der  folgenden 
Übersicht  hervor. 

Jahr     Einwohnerzahl        Jahr     Kinwohnenahl         Jahr     Einwohnerzahl        Jahr  Einwohnerzahl 

1833  2746  |  1865  3484  1884  6177  1897  9191 
1849      2760      i  1875      5670         1896      8955       |  1898  9349 

Unter  den  Einwohnern  giebt  es  nur  wenig  reine  Nachkommen  von 
Europäern,  denn  auch  die  angesehenen  Familien  sind  vielfach  mit  indiani- 
schem Blute  vermischt.  In  hohem  Mafse  gilt  letzteres  bei  der  niederen 
Volksklasse,  welche  der  Hauptsache  nach  ein  Mischlingsvolk  aus  Indianern 
und  Negern  ist.    Daneben  giebt  es  Leute  ,  bei  welchen  der  Negertypus  vor- 

1)  Die  Ausfuhr  an  Dividivi  von  Aruba  und  Bouaire  (von  Curaeao  als  Freihafen 
liegen  keine  Exportzahlen  vor)  betrug: 

Aruba.  Bonaire. 

Jahr       Kilogramm       Wert  in  Gulden  Kilogramm       Wert  in  Gulden. 

1896  196840                    7849  395  855  1583» 

1897  126395                   5065  619445  24777 

1898  160  450                   6658  .626163  25046 

2)  Martin,  Bericht,  1.  c.  I,  8.  138. 

3)  van  Koolwijk  in  der  Tijdschr.  v.  h.  Kon.  Ned.  Aardr.  Gen,  1884  Versl  en 
Med  ,  S.  602. 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln. 


99 


herrscht,  andere,  im  südöstlichen  Teile  der  Insel,  welche  als  reine  Nach- 
kommen der  Kariben  gelten  können.  In  Sitten  und  Gewohnheiten  zeigen 
sich  keine  Unterschiede  zwischen  den  verschiedenen  Bevölkerungselementen, 
welche  durchschnittlich,  nach  van  Koolwijk's  Darstellung,  moralisch  nicht 
hoch  stehen.  An  die  ursprünglichen  Bewohner,  deren  Sprache  sogar  seit 
1800  ausgestorben  ist1),  erinnern  die  zahlreichen  indianischen  Altertümer, 
welche  die  Insel  besitzt,  sowie  die  Zeichnungen,  Inschriften  und  Beste  von 
Töpfen  in  den  Höhlen,  welche  einst  den  Kariben  zum  Aufenthaltsorte  ge- 
dient haben.  Sogar  die  Spuren  von  Indianerlagern  sind  erhalten  geblieben, 
z.  B.  südöstlich  von  Hooiberg*). 

Die  Sprache  Arubas  ist  das  Papiameuto,  welches  hier  indessen  mit  weit 
mehr  indianischen  Wörtern  vermischt  ist  als  auf  Curacao.  Holländisch  wird 
nur  von  wenigen  der  angesehenen  Leute  verstanden  und  von  noch  wenigeren 
gesprochen. 

Bonaire. 

Während  van  Dissel  glaubte,  der  Name  sei  von  „Bon  aire"  =  „gute 
Luft"  abgeleitet3),  bedeutet  er  nach  Prof.  Ernst  in  Caracas  die  „niedrige 
Insel14.  Mit  den  Nachbarinselu  kam  Bonaire  1527  an  Karl  V.  und  teilte 
seitdem  ihre  politischen  Geschicke.  Schon  16  26  soll  der  niederländische  Schiffs- 
kapitän  Boudewijn  Hendriksz  die  Insel  besucht,  einige  spanische  Kriegs- 
gefangene zurückgelassen ,  hingegen  Vieh  und  Farbholz  mitgenommen  haben. 
Bis  1868  galt  ganz  Bonaire  als  Eigentum  der  Regierung,  so  dafs  nur  mit 
ihrer  Genehmigung  Leute  sich  ansiedeln,  Häuser  bauen,  Acker  bestellen  und 
Viehzucht  treiben  durften.  Alle  Produkte,  aufser  denen,  welche  die  Privat- 
grundstücke lieferten,  gehörten  daher  dem  Staate  an  und  wurden  von  seineu 
Beamten  verwendet  oder  verkauft.  Es  gab  also  auf  Bonaire  Staatsäcker 
und  Staatsherden,  ja  sogar  die  meisten  Sklaven,  deren  Freilassung  in  nieder- 
ländisch West-Indien  erst  1863  stattfand,  waren  Eigentum  des  Staates. 
In  der  Zeit,  in  der  die  Insel  den  Engländern  gehörte  (1807 — 1816),  wurde 
sie,  nebst  den  Sklaven,  dem  Nordamerikauer  Foulke  vermietet  gegen  jährlich 
1000  Gulden1).  Da  nach  der  Freilassung  der  Sklaven  die  jährlichen  Ein- 
nahmen der  Regierung  stets  geringer  wurden,  die  Ausgaben  hingegen  fort- 
während stiegen,  wurden  1868  die  Bodenstücke  Bonaires  öffentlich  verkauft5). 

Bonaire  liegt  in  einer  Entfernimg  von  52  km  östlich  von  Curacao,  hat 
eine  sehr  unregelmäßige  Gestalt  und  bei  einer  Länge  von  37  km  in  N.-S.- 

1)  Gatchet,  The  Aruba  and  the  Papiamento  Jargon.  Ainer.  Philos.  Soc. 
Philadelphia,  im*4. 

2j  tber  diese  Altertümer  und  Inschriften  berichtet  van  Koolwijk  in  der 
Tijdachr.  v.  h.  Kon.  Ned.  Aardr.  Gen.,  1882,  .S.  223  ff.  Vgl.  auch  Martin,  Bericht, 
L  c.  I,  S.  133  und  Tafel  XIV. 

3)  S.  van  Dissel,  Kenige  byzonderheden  omtrent  het  eiland  Bonaire.  Be- 
itragen tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlansch  Indiö,  186U,  8.  470. 

4)  Teenstra,  1.  c.  II,  S.  704. 

6)  Der  Gesamtertrag  dieses  Verkaufs  betrug  81  960  Gulden.  Auch  die  Salz- 
pfannen wurden  zum  Verkauf  gebracht,  fanden  aber  keine  Abnehmer,  van  der 
Uou  Netscher  in  den  Bijdragen,  I.  c.  S.  492. 

7* 


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H.  Zonderran: 


Richtung  und  einer  abwechselnden  Breite  von  3  — 10  km  einen  Flächeninhalt 
von  335  qkm.  Die  kürzeste  Entfernung  von  der  Küste  Venezuelas  betrag* 
93  km.  Ihre  Einwohnerzahl  belief  sieh  am  1.  Januar  1899  auf  4829  Seelen. 
Der  gröfsere  Teil  derselben  ist  in  dem  Hauptorte,  dem  Dorfe  Kralendijk 
(=  Korallenwal),  so  genannt,  weil  die  Wohnungen  auf  dem  jungen  Korallen- 
boden gebaut  sind)  und  dessen  Umgegend  angesiedelt.  Ein  zweites  Dort", 
Rincon,  liegt  anmutiger  in  einem  Thale;  aufserdem  giebt  es  auf  Bonaire  nur 
noch  sehr  vereinzelte  Häuser,  da  die  Insel  noch  ärmer  ist  als  Aruba  und 
viele  Einwohner  ihr  Brot  in  der  Fremde  suchen  müssen. 

Kralendijk  liegt  an  der  weiten  Bucht,  welche  sich  an  der  Südküste  aus- 
dehnt und  die  beiden  Hälften  verbindet,  in  welche  sich  die  Insel  nach  ihrer 
Bodenkonfiguration  zerlegen  läfst:  einen  gebirgigen  westlichen  und  einen 
flachen,  kaum  über  dem  Ozean  erhobenen,  östlichen  Teil.  In  kurzer  Ent- 
fernung liegt  vor  dem  Dorfe  die  niedrige,  unbewohnte  Insel  Klein  -  Bonaire, 
deren  Felsbodeu  mit  niedrigem  flebüsch  bewachsen  ist.  Zwischen  diesem 
Inselchen  und  der  Küste  finden  auch  grofse  Schifte  eine  sichere  Reede;  nur 
bei  Westwind  ist  dieselbe  gefährdet.  Kralendijk  ist  gleich  armselig  und  öde 
anzusehen  wie  Oranjestad  auf  Aruba.  Aufser  dem  Regierungsgebäude,  einem 
grofsen,  schönen  Hause,  in  welchem  der  niederländische  Beamte  („Gezag- 
hebber"!  wohnt,  giebt  es  nur  wenige  steinerne  Häuser.  Südlich  von  dem 
Regierungsgebäude  liegt  ein  altes,  ganz  in  Trümmer  gefallenes  Fort,  mit  ein- 
zelnen verrosteten  Kanonen  bewaffnet.  In  der  Nähe  stehen  einige  Häuser, 
das  Spital  und  eine  kleine  evangelische  Kirche.  Ein  zweiter  Teil  Kralen - 
dijks  winl  durch  die  sogenannte  Savannah  gebildet,  eine  wüste  Ebene,  welche 
in  Regenzeiten  sofort  unter  Wasser  gesetzt,  sonst  mit  einer  dicken  Staub- 
schicht bedeckt  ist.  Hier  liegen  einige  bessere  Wohnungen,  darunter  auch 
das  Haus  der  Barmherzigen  Schwestern,  welche  hier  eine  Schule  gegründet 
haben,  sowie  die  Pfarrwohnung  unweit  der  römisch-katholischen  Kirche. 
In  der  Nähe  liegen  kleinere  Wohnhäuser,  welche  den  Weiler  Rieba  piedra 
bilden,  während  weiter  im  0.  und  S.  noch  zwei  Weiler  augetroffen  werden, 
Mundo  nobo  und  Nikiboko.  Da  der  Handel  ganz  unbedeutend  ist,  der  Acker- 
bau auf  einzelne  Maisfelder  beschränkt  ist,  so  leben  die  Bewohner  haupt- 
sächlich von  der  Ziegenzucht,  sowie  von  dem  Einsammeln  von  Dividivi  und 
Farbholz.  Oft  macht  sich  in  Kralendijk  der  Mangel  an  Trinkwasser  geltend, 
da  Cisternen  nicht  in  genügender  Zahl  vorhanden  sind  und  die  Brunnen 
nahe  der  Küste  brackiges  Wasser  enthalten,  so  dafs  trinkbares  Wasser  aus 
grofser  Entfernung  herbeigeschafft  werden  mufs. 

Rincou,  im  Innern  des  westlichen  Teiles  von  Bonaire  gelegen,  war  noch 
anfangs  der  sechziger  Jahre  ein  kleiner  Weiler,  aus  armseligen  Strohhütten 
zusammengesetzt,  ist  aber  seitdem  zu  einem  Dorfe  herangewachsen,  welches 
schon  18G8  mehr  als  600  Einwohner  zählte.  Es  hat  eine  anmutige  Lage 
in  einem  Thale,  dessen  Boden  mit  Ausnahme  einiger  felsigen  Stellen  frucht- 
bar ist,  während  die  Quellen  hier  eine  genügende  Menge  guten  Trinkwassers 
liefern.  Das  Dorf  hat  eine  römisch-katholische  Kirche,  eine  Schule  und  eiue 
nette  I'farrwohnung.  Neben  äufserst  bescheidenen  steinernen  Häuschen  be- 
merkt man  viele  erbärmliche  Strohhütten.    „So   ärmlich  indessen  das  Dorf 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln.  101 

ist,  so  reinlich  scheinen  doch  seine  Einwohner  zu  sein."  Diese  Neger  und 
Mischlinge  leben  vom  Ackerbau  (Mais,  Bohnen,  Erbsen)  und  von  Viehzucht, 
indem  sie  das  Fleisch  der  Ziegen  (Kabrieten)  essen  und  das  Fell  verkaufen. 
Auch  züchten  sie  einige  Obstbäume. 

Ebenso  wie  Curacao  besitzt  auch  Bonaire  eine  grofse  Zahl  kleiner,  ab- 
geschlossener Meeresbecken,  von  welchen  das  von  Goto  an  der  Süd-  und  das 
von  Slachtbai  an  der  Westküste  des  westlichen  Teiles  der  Insel  die  bedeutend- 
sten sind.  Ihr  Charakter  ist  auf  beiden  Inseln  derselbe.  Dieser  westliche 
Teil  ist  gebirgig,  und  zwar  erhebt  sich  hier  der  Kulminationspunkt  Bonaires, 
der  Brandaris,  ein  Kegelberg  von  254  m  absoluter  Höhe.  Von  hier  aus 
zieht  sich  nach  Rincon  zu  in  Südost richtung  ein  langgestreckter  Bergrücken, 
und  ein  zweiter  mit  gleichem  Streichen  geht  von  Karakao  aus1).  Beide  sind 
durch  eine  Anzahl  von  seichten  Einschnitten  in  Höhen  zerlegt,  welche  sich 
als  runde  Kuppen  und  kleine  Spitzen  über  der  gemeinschaftlichen  Basis  er- 
heben, ohne  aber  in  Form  von  Bergen  aus  dem  Rücken  sich  herauszulösen. 
Der  Juwa  und  der  Makaku  besitzen  unter  ihnen  den  gröfsten  Grad  von  Selb- 
ständigkeit und  gleichzeitig  die  bedeutendsten  Erhebungen  (200  m).  Der 
Küste  entlang  läuft  ein  Gebirge  von  gleichem  Charakter  wie  das  Küsten- 
gebirge Curacaos,  denn  es  fällt  seewärts  mit  sehr  steilen  Terrassen  ab.  Und 
ebenso  wie  auf  dieser  Insel  werden  auch  auf  Bonaire  im  schmälsten  Teile 
die  Gebirge  der  Nord-  und  Südküste  durch  eine  Brücke  verbunden,  welche 
hier  aber  bedeutend  breiter  ist  und  die  Gestalt  eines  Plateaus  annimmt, 
dabei  eine  mittlere  Höhe  von  etwa  40  m  hat.  Das  Küstengebirge  besitzt 
an  der  Südküste  viel  mehr  Zusammenhang  als  im  Norden,  und  östlich  von 
Goto  dehnt  sich  der  Lange  Berg  in  Form  einer  ununterbrochenen  Mauer  aus. 
Der  letzte  Ausläufer  des  Langen  Berges  bildet  die  bedeutendste  Höhe  Ost- 
Bonaires,  und  in  der  Verlängerung  seines  Streichens  liegen  noch  einige  andere 
niedrige  Hügel  in  der  Mitte  der  Insel.  Fast  der  ganze  übrige  Teil  der  Ost- 
hälfte Ist  flach  und  bildet  eine  kaum  über  den  Meeresspiegel  sich  erhebende 
Ebene. 

Das  bedeutendste  Thal  auf  Bonaire  ist  dasjenige  von  Rincon.  Es  ist 
ein  Kesselthal,  nur  im  SW.  nach  Goto  hin  geöffnet,  sonst  von  steilen  Ge- 
hängen geschlossen.  Ein  zweites  Thal  und  zwar  ein  Längsthal,  trennt  die 
Höhenzüge  im  Innern  von  West-Bonaire,  ein  drittes  erstreckt  sich  vom  Fufse 
des  Brandaris  aus  in  NO. -Richtung  bis  in  die  Nähe  der  Nordküste. 

Während  das  flache  Ost-Bonaire  und  ebenso  die  Gegend  zwischen 
Kralendijk  und  dem  Nordstrande  grofse  Dürre  und  Eintönigkeit  mit  Mangel 
an  Formenschönheit  verbindet,  zeigt  die  Strecke  von  Fontein  (einer  Plantage 
in  der  Mitte  der  Nordküste)  bis  Slachtbai  landschaftliche  Reize.  Nahe  bei 
Fontein  liegen  auf  der  Uferterrasse  am  Fahrwege  in  ungemein  grofser  Zahl 
mächtige,  abgestürzte,  scharfkantige  Kalkblöcke,  von  Pflanzen  umschlungen. 
Fontein  selber  ist  oben  an  dem  steilen  Abstürze  eines  Kalkplateaus  nach  der 
Seeseite  hin  gelegen  und  kann  nur  nach  dem  Ersteigen  einer  hohen  Treppe 
erreicht  werden.    In  den  abenteuerlichsten  Formen  liegen  die  Kalkblöcke  über 


l)  Vgl.  wiederum  Martin,  Bericht,  1.  c.  II. 


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H.  Zondervan: 


und  neben  einander,  vor  und  hinter  dem  Hause.  In  einer  Höhle  befindet  sieh 
die  kleine  Quelle,  der  Pontein  seinen  Namen  verdankt.  Die  höchsten  land- 
schaftlichen Reize  aber  bietet  Goto,  das  grölst e  der  Binnenmeere  von  Bonaire. 
„Weit  greifen  seine  Grenzen  zwischen  die  Klippen  des  eruptiven  Gesteins 
ein,  welches  hier  das  Innere  der  Insel  bildet,  und  aus  seinen  trocken  gelegten, 
innern  Teilen  ragen  /.ahlreiche,  kleine  Inselehen  hervor,  bestanden  mit  ('actus 
und  Dividivi,  welche  sich  wie  eben  so  viele  Bouquets  aus  der  Ferne  aus- 
nehmen und  dem  Reisenden  stets  neue  Durchblicke  mit  immer  wechselnden 
Formen  vorführen  ....  Das  jetzige  Ufer  ist  von  einer  Kruste  von  Koch- 
salz eingefafst,  der  sich  in  parallelen  Streifen  weitere  Krusten  landeinwärts 
anschliefsen,  die  allmähliche  Eindampfung  des  abgeschlossenen  Beckens,  dem 
neuer  Wusservorrat  so  selten  zugeführt  wird,  andeutend.  Das  mannigfaltige 
Bild  erhält  noch  mehr  Abwechselung  durch  den  äufserst  verschiedenen 
Charakter  der  umgebenden  Gebirge.'1 

Die  Darstellung  der  geognostischen  Beschaffenheit  ist  insofern  leicht, 
als  die  Insel  in  vielen  Stücken  die  grölst  mögliche  Übereinstimmung  mit 
Curacao  zeigt.  Während  die  Osthälfte  fast  ganz  aus  jungen  Rift  kalken 
und  Alluvium  zusammengesetzt  ist,  sich  in  der  Mitte  und  der  Nord-  und 
Nordwestküste  eutlang  quartärc  Kalke  ausdehnen,  wechseln  in  der  West- 
hälfte  Diabas-,  Porphyr-  und  Kreidegesteine  mit  einander  ab.  Zwischen 
Kralendijk  und  Fontein  ist  die  Übereinstimmung  mit  Curacao  vollständig: 
die  Diabase,  die  Sandsteine  uud  Kieselschiefer,  die  Mergel,  das  alles  ist  auf 
beiden  Inseln  durchaus  gleich  entwickelt,  der  Übereinstimmung  der  quart&ren 
Kalke  beider  Inseln  nicht  zu  gedenken.  Dasselbe  gilt  für  die  Gegend  von 
Fontein  bis  (ioto.  Kurz  bevor  man  den  NO.-Kand  von  (ioto  erreicht,  ändert 
sich  indessen  mit  einem  Schlage  die  ganze  Landschaft:  Relief  und  Formation 
erscheinen  im  Vergleiche  zu  dem  von  Curacao  und  Aruba  Bekannten  durchaus 
fremdartig.  Das  Gebirge  im  NW.  Bonaires  ist  nämlich  ausschliesslich  aus 
porphyrisehen  Gesteinen  aufgebaut. 

Die  drei  Inseln  Curacao,  Aruba  und  Bonaire  weisen  in  ihrem  geo- 
logischen Bau  „eine  sehr  augenfällige  Analogie  zu  der  Cordillere  des  Fest- 
landes auf.  Sie  sind  Glieder  einer  Kette  von  Eilanden,  die  sich  von  Westen 
nach  Osten  erstreckt  und  deren  ältestes,  auf  Aruba  aufgeschlossenes  Grund- 
gebirge das  gleiche  Streichen  zeigt"1). 

Phosphorite  giebt  es  in  kleineu  Mengen,  ebenso  wie  auf  Curacao,  auch 
auf  Bonaire  in  grofser  Zahl  zerstreut,  in  sogenannten  Poekets.  Nirgendwo 
aber  hat  man  abbauwürdige  Lager  gefunden.  Aus  dem  Mineralreiche  bildet 
sonst  Salz,  wodurch  Bonaire  seit  langem  bekannt  ist,  das  einzige  nennenswerte 
Produkt,  während  der  Kalk,  welcher  früher  ebenfalls  in  bedeutenden  Mengen 
zur  Ausfuhr  kam.  heutzutage  keine  grofse  Rolle  mehr  spielt2).  Die  Ziegel- 
brennerei, welche  es  auf  der  Insel  giebt,  hat  seit  1H98  gar  nicht  mehr  ge- 
arbeitet. 


1)  Martin,  Bericht,  1.  c.  II,  8.  1S2. 

2)  Teenstra  schätzte  zu  geiner  Zeit  den  mittleren  Wert  des  jährlich  auf- 
geführten Salzes  auf  50  000,  des  Kalkes  auf  10  000  Gulden. 


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* 


Die  niederländisch-westindischen  Inseln.  103 

Das  Klima  stimmt  durchaus  mit  demjenigen  Curacaos  und  Arubas  über- 
ein, läfst  sich  daher  ebenfalls  als  warm,  trocken  und  gesund  charakterisieren1). 
Mangel  an  Niederschlag  ist  auch  hier  das  gröfste  Unglück,  wodurch  noch 
1898,  in  welchem  Jahre  fast  kein  Tropfen  Hegen  fiel,  die  ganze  Ernte  fehl 
ging  und  überdies  Mangel  an  Trinkwasser  Krankheiten  erzeugte8).  Die 
Pflanzenwelt  leidet  unter  diesen  Umstünden  gleichartig  mit  und  ist  ebenso 
ärmlich,  wie  diejenige  der  Nachbarinseln;  allein  der  westliche  Teil  Bonaires 
hat  einen  im  Vergleich  zu  Curacao  und  Aruba  üppigen  Pflanzenwuchs,  wahr- 
scheinlich dadurch,  dafs  die  Höhen  an  der  Nordseite  dem  übrigen  Inselteile 
Schutz  gegen  die  schädliche  Wirkung  des  Passates  verleihen. 

Acker-,  Garten-  und  Obstbau  sind  gleich  unbedeutend,  so  dafs  sogar 
das  Hauptprodukt,  eine  Maisart-,  nicht  in  genügender  Menge  gebaut  wird 
und  jährlich  eine  gewisse  Quantität  desselben  eingeführt  werden  tun  Ts.  Mit 
der  Viehzucht  ist  es  besser  bestellt,  zumal  die  ,.Steineselu,  wie  man  lüer  die 
auf  dem  steinigen  Boden  lebenden  Tiere  nennt,  bekannt  sind  und  das  Fleisch 
der  „Kabrieten"  (Ziegen)  Bonaires  mehr  geschätzt  wird,  als  das  Ziegenfleisch 
von  Curacao. 

Aufser  Fleisch,  welches  auf  der  lusel  billig  ist,  Geflügel,  das  in  grofser 
Zahl  gezüchtet  wird  und  Fischen,  welche  das  Meer  in  grofsen  Mengen  liefert, 
raufs  alles,  was  die  Bevölkerung  an  Lebensmitteln,  Kleidern,  Hausrat  und 
sonstigen  Gegenständen  nötig  hat,  eingeführt  werden,  hauptsächlich  von 
Curacao  aus,  wodurch  die  Preise  hoch  sind. 

Die  Gesamtausfuhr  hatte  einen  Wert  von:  189 G  82  367  fl.,  1897  64  030  fl., 
1898  67  329  A.  Es  liefen  1898  ein:  303  Schiffe  mit  23  584  cbm  Tonnen- 
gehalt. 

Auch  auf  Bonaire  ist  die  Bevölkerung  aus  Weifsen,  Mischlingen  und 
Negern  zusammengesetzt.  Sie  betrug  am  Schlufs  des  Jahres  1898 
4829  Seelen.  Die  Zahl  der  Weifsen  ist  ebenso  gering,  wenn  nicht  geringer 
als  auf  Aruba ,  soll  sogar  nicht  1 0  0  der  Gesamtbevölkerung  betragen. 
Unter  den  Farbigen  begegnet  man  wieder  Leuten,  die  dem  auf  Aruba 
herrschenden  Typus  entsprechen,  Mischlingen  von  Indianern  und  Negern, 
bei  denen  der  indianische  Ausdruck  der  überwiegende  ist;  aber  diese  Leute 
treten  doch  sehr  hinter  den  andern  Farbigen  mit  vorwaltendem  Negerblute 
zurück.  Die  Sprache  ist  auf  Bonaire  ebenfalls  das  Papiamento.  Der 
Pfarrer  predigt,  der  Lehrer  unterrichtet  in  dieser  Sprache  und  sogar  die 
Lesebücher  der  Schule  sind  in  ihr  geschrieben.  Nach  den  Konfessionen  gab 
es  4686  Kömisch-Katholische  und  nur  143  Evangelische.  Ebenso  wie  auf 
Curacao  und  Aruba  hat  auch  hier  das  starke  Vorherrschen  des  Katholicismus 
seinen  Grund  darin,  dafs  ehemals  die  evangelischen  Sklavenbesitzer  die 
Sklavenkinder  römisch-katholisch  taufen  Uelsen,  damit  die  Kluft  zwischen 
Herren  und  Sklaven  noch  gröfscr  sei. 


1)  Lange  Zeit  hindurch  galt  «las  Klima  Bonaires  noch  für  besser  als  dasjenige 
Curacaos,  so  dafs  sogar  Kranke  von  letztgenannter  Insel  auf  Bonaire  ihren  Aufenthalt 
nahmen,    van  Bissel,  1.  c,  S.  470. 

8)  Koloniaal  Verslag,  1899,  1.  c,  S.  2. 


* 


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104 


Kleinere  Mitteilungen. 


Den  starken  Zuwachs  der  Bevölkerung  in  der  zweiten  Hälfte  dieses  Jahr- 
hunderts zeigen  die  folgenden  Zahlen: 

Jahr    KinwohncrMhl  |     Jahr    Einwohner/ »hl        Jahr    Eiuwouueriahl  Jahr    Einwohnaruh  1 

1833      1348         1865      3579          1884      4031  1897  4677 

1841»      2159         1875      4470       |  1896      4524  1898  4829 

(Schluß  folgt.) 


Kleinere  Mitteilungen. 

Da«  „Laufen",  besw.  „An-  und  Auslaufen"  der  Seen. 

Nachdem  der  dem  örtlichen  Sprachgebrauch  des  Lac  Leman  entnommene 
französische  Ausdruck  „Seiche"  zur  Bezeichnung  der  in  stehenden  Wellen 
sich  vollziehenden  rhythmischen  Schwankungen  der  gesamten  Wassermasse 
der  Seen  sich  infolge  des  vermeintlichen  Fehlens  einer  deutschen,  den  Begriff 
in  scharfer,  jedes  MifsverstUndnis  ausschliefsenden  Weise  wiedergebenden  Be- 
nennung bereits  ziemlich  allgemein  auch  in  unserer  deutschen  limnologischen 
Terminologie  einzubürgern  im  Begriffe  war  (vergl.  „Handbuch  der  Seenkunde, 
Allgemeine  Limnologie"  von  Professor  Dr.  F.  A.  Forel  in  Ratzel  s  Bibliothek 
geographischer  Handbücher,  Stuttgart,  J.  Engelhorn  1901,  S.  63),  haben 
meine  fortgesetzten  Nachforschungen  nach  einer  einwurfsfreien  deutschen  Be- 
nennung nunmehr  doch  noch  das  Ergebnis  der  Auffindung  einer  solchen  im 
örtlichen  Sprachgebrauche  der  Bodensee-Fischer  gehabt:  Die  Mitteilungen,  die 
mir  der  Fischer  Steinam  von  Überlingen,  ein  intelligenter  und  besser  als  die 
Mehrzahl  seiner  Berufsgenossen  gebildeter  Mann,  über  seine  schon  vor  vielen 
Jahren  und  dann  in  jedem  Jahr  zu  wiederholten  Malen  und  zu  jeder  Jahres- 
zeit gemachten  Beobachtungen  eines  ihm  ganz  unerklärlichen,  bei  völlig 
ruhigem  Wetter  und  See  sich  vollziehenden  langsamen  Steigens  und  Fallens 
des  Seespiegels  erst  in  den  letzten  Tagen  ( —  früher  kannte  ich  ihn  noch 
nicht  — )  gemacht  hat,  lassen  nämlich  auch  nicht  den  leisesten  Zweifel 
darüber  zu,  dafs  es  sich  bei  den  Wahrnehmungen  des  Genannten  um  etwas 
anderes  nicht,  als  eben  um  die  rhythmischen  Oscillationen  der  ,Seiches"  ge- 
handelt habe  und  dafs  demgemäfs  dann  auch  der  von  ihm  den  beobachteten 
Denivellationen  des  Seespiegels  als  die  im  Kreise  seiner  Berufsgenossen  von 
Alters  her  allgemein  gebräuchliche  Bezeichnung  gegebene  Namen  des  „An- 
u  nd  Auslaufens  des  Sees"  als  die  dem  Phänomen  der  „Seiches" 
im  (deutschen!)  Sprachgebiet  des  Bodensees  zukommende  Benennung  aner- 
kannt werden  mufs.  Haben  wir  aber  damit  in  dem  „An-  und  Auslaufen" 
einen  durchaus  sachgemäfsen  deutschen  Ausdruck  für  „Seiche"  endlich  über- 
haupt gefunden,  so  wird  es  einer  besonderen  Empfehlung  kaum  mehr  be- 
dürfen, um  ihm  auch  die  allgemeine  An-  und  Aufnahme  in  unserer  deutschen 
limnologischen  Terminologie  zu  verschaffen.  Ist  dies  doch  auch  bezüglich 
rinderer  Ausdrücke,  wie  z.  B.  „Schweb",  „Wyfse",  „Halde"  u.  dergl.,  die  ich 
schon  früher  aus  der  gleichen  örtlichen  Quelle  geschöpft  habe  (vergl.  meine 
„hydrographischen  Verhältnisse  des  Bodensees14,  Abschn.  III  der  Bodensee- 
forschungen aus  Anlafs  der  Herstellung  der  neuen  Bodenseekarte  im 
XXII.  Heft  der  Sehr.  d.  Vereins  f.  Gesch.  d.  Bodensees  und  sr.  ümgebg., 
Lindau,  J.  Th.  Stettner  1893),  anstandslos  schon  seit  längerer  Zeit  geschehen. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


105 


Indessen  möchte  ich  mir  hier  behufs  Beseitigung  des  dem  Ausdruck  „An- 
und  Auslaufen  des  Sees"  als  einziger  vielleicht  fühlbarer  Übelstand  an- 
haftenden Mangels  der  Einfachheit  und  Kürze  doch  noch  den  Vorschlag  bezw. 
Antrag  erlauben  dürfen,  es  solle  in  der  Praxis  entsprechend  einer  Art  von 
stillschweigender  Übereinkunft  unter  den  deutschen  Geographen  und  Limno- 
logen  zur  Bezeichnung  der  vollständigen  „Periode"  einer  „Seiche"  im 
Deutschen  künftig  kurzweg  das  blofse  Wort  „Laufen  des  Sees"  verwendet, 
die  Ausdrücke  „Anlaufen"  und  „Auslaufen"  aber  im  besonderen  gebraucht 
werden,  wenn  jeweils  gerade  von  demjenigen  Teil  der  ganzen  Periode  die 
Rede  ist,  während  dessen  das  Steigen  und  bezw.  Sinken  des  Wasserspiegels 
in  der  rhythmischen  Oscillation  stattfindet. 

Dr.  Eberhard  Graf  Zeppelin. 


Geographische 

Zusammengestellt  von 

Allgemeine  Geographie. 

*  Von  der  internationalen  Glet- 
scher-Kommission. Da  diese  Kommis- 
sion von  einem  internationalen  Geologen- 
Kon  grefs    —  dem   von  Zürich  1894  — 
eingesetzt  worden  ist,  so  hat  sich  der 
Gebrauch  eingebürgert,  dafs  sie  bei  jedem 
Geologen-Kongrefs  zu  einer  Sitzung  zu- 
sammentritt und  bei  dieser  Gelegenheit 
ihren  Vorstand  wechselt.    So  war  in  der 
Sitzung  zu  Petersburg  am  1 .  September  1897 
anstatt  F.  A.  Forel  E.  Richter  zum  Vor- 
sitzenden, und  an  Stelle  des  eben  ver- 
storbenen Du  Pasquicr  S.  Finsterwalder 
zum  Schriftführer  gewählt  worden.  Auch 
für  den  im  August  1900  in  Paris  abge- 
haltenen  Geologen  -  Kongrefs   war  eine 
Sitzung  ausgeschrieben  worden ,  sie  war 
aber  nicht  beschlufsfähig,  da  die  Skandi- 
navier und  einige  andere  Mitglieder,  wohl 
von  der  Pariser  Augusthitze  abgeschreckt, 
ausgeblieben    waren.     Hingegen  waren 
gerade  die  femsten  Länder,  Amerika  und 
Rußland,    vertreten.     Trotzdem  wurde 
»*ine  Sitzung  abgehalten  und  die  Beschlüsse 
nachträglich  auf  schriftlichem  Wege  von 
den  abwesenden  Mitgliedern  genehmigt 
Die  wichtigsten  davon  sind:  die  Wahl 
S.  Finsterwalder's  in  München  zum  Vor- 
sitzenden   und    des   Forstinspektors  in 
Bern   E    Muret  zum  Schriftführer,  des 
Prinzen  Roland  Bonaparte  zum  Ehren- 
präsidenten,  des  Professors  W.  Kilian 
zum  zweiten  Repräsentanten  für  Krank- 
reich, und  de«  Direktors  des  kgl.  Obser- 


Nenigkeiten. 

Dr.  August  Fitzau. 

vatoriums  in  Turin  Prof.  F.  Porro  zum 
Repräsentanten  Italiens  an  Stelle  des 
verstorbenen  Marinelli. 

Die  Gletscher- Kommission  hat  vor 
kurzem  ihren  fünften  Jahresbericht  in 
den  „Archives  des  Sciences"  von  Genf  ver- 
öffentlicht, aus  dem  hervorgeht,  dafs  die 
rückschreitende  Tendenz  fast  noch  bei 
allen  Gletschern  der  Welt  vorherrscht; 
nur  in  den  Ostalpen  sind  einige  beachtens- 
werte Vorstofsbewegungen,  so  vor  allem 
beim  Vernagtgletacher,  zu  registrieren. 

Die  interessanteste  Seite  der  Zusammen- 
kunft in  Paris  waren  die  Besprechungen 
über  die  Organisation  der  Gletscher- 
beobachtungen in  Frankreich  seihst.  Hier 
hat  Prinz  Roland  Bonaparte  Anfang  der 
neunziger  Jahre  eine  grofse  Anzahl  von 
Gletscherenden  in  sehr  grol'Bem  .Malsstabe 
aufnehmen  und  einige  Jahre  hindurch 
revidieren  lassen.  Es  liegt  da  ein  un- 
schätzbares Material  aufgehäuft,  wie  es 
in  dieser  Ausdehnung  kein  anderes  Land 
besitzt.  Denn  in  der  Schweiz  ist  die  ganze 
Mühe  auf  den  Rhonegletscher  aufgewendet 
worden,  und  auch  in  den  Ostalpen  ist 
die  Zahl  der  vermessenen  Gletscher  viel 
geringer.  Doch  hat  vielleicht  gerade 
die  Massenbaftigkeit  des  Begonnenen  die 
Vollendung  und  Fortsetzung  bisher  ver- 
hindert, und  so  sind  bis  heute  die  Be- 
obachtungen an  den  Gletschem  de«  Dau- 
phin«*, welche  die  Gesellschaft  der  Tou- 
risten in  Grenoble  hat  vornehmen  lassen 
und  die  im  Sommer  1900  durch  Prof. 
W.  Kilian  veröffentlicht  worden  sind,  das 


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106 


Geographische  Neuigkeiten. 


einzige,  was  seit  Jahren  über  die  Verhält- 
nisse der  französischen  Gletscher  bekannt 
geworden  ist.  Da  aber  »'in  so  reiches 
Material  und  so  bedeutende  Anfänge 
vorliegen,  welche  die  Mitglieder  des 
Geologen-  und  des  alpinen  Kongresses 
in  der  prachtvollen  Bibliothek  des  Prinzen 
Honaparte  zu  bewundern  Gelegenheit 
hatten,  so  bedarf  es  in  Frankreich  eigent- 
lich nur  eines  Entschlusses  und  einer 
entsprechenden  Organisation,  um  er- 
schöpfende Kenntnis  über  das  Verhalten 
der  dortigen  Gletscher  zu  erlangen.  Der 
Anstofe  dazu  kam  nun  tbatsächlich  in 
einer  unerwarteten  Weise,  und  es  ist  zu 
hoffen,  dafs  das  Jahr  1900  eine  neue  Ära 
in  der  Gletacherbeobachtung  in  Frankreich 
einleiten  wird.  Gelegentlich  eines  Vor- 
trages, den  der  damalige  Präsident  der 
internationalen  Gletscher  -  Kommission, 
Prof.  E.  Richter  in  Graz,  bei  dem  inter- 
nationalen alpinen  Kongrefs  am  13.  August 
in  Paris  über  die  Veranstaltung  von 
Gletscherbeobachtungen  durch  die  alpinen 
Vereine  hielt,  erhob  sich  Herr  Küfs, 
Forstinspektor  im  französischen  Ackerbau- 
ministerium, und  erklärte,  seit  der  Kata- 
strophe von  St. -Gervais,  wo  durch  den 
Ausbruch  eines  Gletschersees  über  100 
Menschen  ihren  Tod  fanden,  interessiere 
sich  die  französische  Regierung  sehr  für 
Gletscherbeobachtungen  und  sei  bereit, 
dafür  das  Forstpersonal  in  den  Alpen-  und 
Pyrenäendepartements  zur  Verfügung  zu 
stellen,  wenn  etwa  durch  den  französischen 
Alpenklub  eine  Organisation  geschaffen 
werde.  Dieses  Entgegenkommen  wurde 
entsprechend  freudig  begrüfst,  und  es  ist 
eine  Sache  der  an  solchen  Untersuchungen 
interessierten  Kreise,  das  Nötige  ins 
Werk  zu  setzen.  Dies  wäre  zunächst  die 
Gründung  einer  französischen  Landes- 
GletRcher-Kommission,  ähnlich  wie  sie 
in  der  Schweiz  besteht,  und  die  Sicherung 
der  Geldmittel  für  die  Vornahme  regel- 
mäfBiger  jährlicher  Nachmessungen,  was 
in  einem  reichen  Lande  wie  Frankreich 
keine  Schwierigkeiten  haben  kann. 

*  Nachdem  es  der  Direktion  der 
Deutschen  See  warte  gelungen  ist,  bei 
der  gegen  Ende  des  verflossenen  Sommers 
in  St.  Petersburg  stattgefundenen  Tagung 
des  Internationalen  Meteorologischen 
Komitees  die  Unterstützung  der  ver- 
schiedenen dabei  in  Betracht  kommenden 
meteorologischen  Institute  des  In-  und 


Auslandes  zu  gewinnen,  erscheinen  seit 
dem  I.  Juli  1900  neben  den  täglichen 
Wetterberichten  alle  10  Tage  inter- 
nationale Dekadenberichte,  welche 
die  Witterungsverhältnisse  auf  der  nörd- 
lichen Halbkugel  von  Amerika  quer 
über  den  atlantischen  Ozean  und  bis 
tief  nach  Asien  hinein  zur  Durstellung 
bringen.  Aufser  einem  Übers  ichtskärtchen 
des  gröfseren  Teils  der  nördlichen  Halb- 
kugel zur  Darstellung  der  Temperatur- 
abweichung und  der  Isobaren  für  den 
jeweils  dargestellten  lOtäTgigen  Zeit- 
abschnitt, enthalten  diese  Dekadenberichte 
die  diagrammatische  Darstellung  der  auf 
Schiffen  zwischen  dem  Kanal  und  Nord- 
Amerika  beobachteten  meteorologischen 
Elemente,  sowie  eine  Tabelle  der  Luft- 
druck-, Temperatur-  und  Niederschlags- 
beobachtungen  auf  über  90  der  wichtigsten 
und  bestausgerüsteten  meteorologischen 
Stationen  unserer  Hemisphäre. 

Seit  dem  1.  Januar  1901  tritt  nun  auf 
Anordnung  des  Reichsmarineamts  zu 
diesen  Dekadenberichten  eine  ,.Nord- 
atlantiscbe  Wetterausschau"  hinzu, 
welche  nach  Art  der  in  Washington 
monatlich  publizierten  s.g.  Pilot  Charts 
des  „North  Pacific"  und  des  „Xorth 
Atlantic"  alle  für  die  Schiffahrt  auf  dem 
nordatlantischcn  Ozean  wichtigen  An- 
gaben enthält  und  am  Ende  eines  jeden 
Monats  ausgegeben,  die  auf  Grund  jahre- 
langer Erfahrungen  und  Beobachtungen 
für  den  kommenden  Monat  zu  vermutenden 
Witterungsverhältnisse  veranschaulicht. 

Die  Vorderseite  des  Blattes  zeigt 
eine  Karte  des  nordatlantischen  Ozeans 
mit  einer  graphischen  Darstellung  der 
Windverhältnisse  für  jedes  Quadrat  von 
5  Gradseiten,  sowie  eine  prozentualischo 
Angabe  der  vorgekommenen  Stürme,  die 
Wassertemperaturen  und  die  Häufigkeit 
des  Nebels  in  Stunden  für  dieselben 
Quadrate.  Ferner  gelangen  zur  Dar- 
stellung: die  mittleren  Stände  des  Luft- 
druckes, die  Lagerung,  resp.  das  Fort- 
schreiten (gen  Osten)  der  Luftdruck- 
Maxima  und  -Minima  über  dem  Gebiet 
des  Ozeans,  die  Grenze  des  Treibeises 
und  der  Nebel,  die  Wahrscheinlichkeit 
der  Niederschläge,  sowie  vor  allem  in 
deutlicher  Einzeichnung  die  Linien 
gleicher  magnetischer  Deklination, 
abgeleitet  für  den  1.  Januar  1901.  DieKarte 
umgiebt  ein  erklärender  Legendenrand. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


107 


Auf  der  Rückseite  werden  Auszüge' 
aus  den  internationalen  Dekadenberichten 
der  vorhergehenden  beiden  Monate  ge- 
gel>en   in   Gestalt  von  8  Kärtchen  über 
Luftdruck   und  Abweichungen  der  Teni- 
l»eratur  in  den  betreffenden    1U  tilgigen 
Perioden,   sowie   einer  Analyse  der  in 
fliegen   Dekaden  ausgeführten  Dampfer- 
reisen und  aller  während  dieser  Fahrten 
gemachten  und  der  Seewarte  mitgeteilten 
Beobachtungen  von  allgemeinerem  Inter- 
esse.   Auch  enthalten  genannte  Kärtchen 
eine  graphische  Darstellung  der  magne- 
tischen Elemente:  Deklination,  Inklination 
und  Horizontalintensität.    Für  den  See- 
mann  von  ganz   besonderem  Interesse 
sind  die  unter  eigener  Rubrik  gegebenen 
Angaben    über   treibende   Wracks  und 
Treibeis,   sowie  die  kurzen  Auszüge  aus 
den   neuesten  bei  der  Seewarte  einge- 
laufenen  Konsulats-  und  Kapitänsfrage- 
bogen betreffend  Mitteilungen  über  nau- 
tisch interessante  Verhältnisse  auswärtiger 
Häfen. 

Zunächst   erscheinen   die  Karten  in 
der  Art  der  Wetterberichte  autographiert 
und  ohne  Farben  und  werden  durch  die 
Agenturen    der    Seewarte  unentgeltlich 
und  in   gTofser   Anzahl   zur  Verteilung 
kommen.    Indessen  wäre  es  im  Interesse 
gröfsorer   Deutlichkeit  und  dadurch  er- 
leichterter Verwendung  des  reichen  und 
vielseitigen     Inhalts     dringend  er- 
wünscht,   dafs   es   späterhin  möglich 
würde,  diese  wertvolle  deutsche  nautische 
Publikation    in    Farbendruck  herzu- 
stellen, vielleicht  auch  in  etwas  gröfserem 
Format,  etwa  so  wie  die  nordamerikani- 
*chen  Pilot  Charts,  deren  oben  Erwähnung 
geschah.     Jedenfalls    besitzen    wir  in 
Deutschland  in  der  Hamburger  Seewarte 
und  der  ihr  stets  hilfsbereit  reiches  Be- 
obachtungsmaterial zuführenden  deutschen 
Handels-   und    Kriegsmarine  diejenigen 
Kiemente,  welche  das  Gelingen  und  die 
immer  weitere   Vervollständigung  dieses 
für  Wissenschaft  wie  Praxis  gleich  be- 
deutungsvollenUnternehmens  sicherstellen. 

Dr.  Max  Friederichsen. 
*  Ein  Vertrag  über  die  Herstellung 
und  Legung  eines  unterseeischen  Kabels 
von  Britisch-Nordamerika  nach 
Australien  ist  in  diesen  Tagen  zwischen 
Vertretern  des  Colon  ial  Office  in 
London,  der  Regierungen  von  Neu-Süd- 
wales,  Viktoria,  Queensland  und  Neusee- 


land einerseits  und  der  „Telegraph  Con- 
struetion  and  Maintenance  Company4' 
andrerseits  abgeschlossen  worden.  Das 
Kabel,  welches  von  der  Insel  Vancouver 
nach  Queenaland  und  Neuseeland  geführt 
werden  soll,  wird  auf  Funning-Insel,  aut 
den  Fidschi-  und  den  Norfolk-Inseln,  die 
sämtlich  in  englischem  Besitz  sind,  ge- 
landet werden.  Die  Länge  desselben 
wird  gegen  16  000  km  betragen,  die  Ge- 
samtkosten für  Herstellung  und  Legung 
sind  auf  36  Mill.  Mark,  also  2,40  M.  für 
den  laufenden  Meter,  veranschlagt.  Die 
Fertigstellung  der  ganzen  Kabellinie  rnufs 
vertragsmäfsig  spätestens  Ende  1902  er- 
folgt sein. 

Europa. 

*  Nach  der  Volkszählung  vom 
1.  Dezember  Ii» 00,  deren  bisher  be- 
kannt gewordenen  Ergebnisse  allerdings 
nur  als  vorläufige  anzusehen  sind,  giebt 
es  im  Deutschen  Reiche  70  Städte  mit 
mehr  als  50  000  Einwohnern: 

Einwohnt- wähl 


1  Dp/,  iüoo. 

2  Do*  1896. 

1  884  346 

1  677  304 

2.  Hamburg    .   .  . 

704  669 

625  552 

3.  München  .  .  .  . 

498  503 

407  307 

4.  Leipzig    .  .  .  . 

455  120 

399  963 

5.  Breslau    .   .   .  . 

422  415 

373  169 

6.  Dresden  .  ,  .  . 

395  349 

336  440 

7.  Köln  

370  685 

321  564 

8.  Frankfurt  a.  M.  . 

287  813 

229  279 

9.  Nürnberg    .  .  . 

260  743 

162  386 

10.  Hannover    .  .  . 

234  986 

209  535 

11.  Magdeburg .  .  . 

229  732 

214  424 

12.  Düsseldorf  .   .  . 

212  949 

175  985 

13.  Stettin  .... 

209  988 

140  724 

14.  Chemnitz .  .  . 

206  584 

161017 

16.  Charlottenburg 

189  300 

132  377 

16.  Königsberg  .  .  . 

187  186 

172  796 

17.  Stuttgart  .  .  . 

176  318 

158  321 

160  885 

148  944 

19.  Bremen       .  . 

160  823 

141894 

20.  Halle  ... 

156  631 

116  304 

21.  Elberfeld .  .  . 

156  503 

139  337 

22.  Strasburg  .  . 

150  268 

135  608 

23.  Dortmund   .  . 

142  418 

111232 

24.  Barmen    .   .  . 

141  435 

126  992 

25.  Mannheim  .  . 

140  384 

97  780 

.     138 108 

125  606 

135  287 

110  651 

28.  Braunschweig 

126  052 

115  138 

29.  Essen  .... 

11H817 

96  12H 

116  151 

73  239 

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los 


Ideographische  Neuigkeiten. 


31.  Kiel  .... 

32.  Krefeld    .  . 

33.  Kassel  .  .  . 

34.  Karlsruhe 

35.  Schöneberg  . 

36.  Duisburg .  . 

37.  Rixdorf    .  . 

38.  Wiesbaden  . 

39.  Augsburg    .  . 

40.  Mülhausen  i.  E 

41.  Erfurt  .  .  . 
4*2.  Mainz  .  .  . 

43.  Lübeck    .  . 

44.  Görlitz  .  .  . 

45.  Würzburg  . 

46.  Plauen .  .  . 

47.  Darmstadt  . 

48.  Bochum  .  . 

49.  Spandau  .  . 

50.  Münster  .  . 

51.  Bielefeld  . 

52.  Ludwigshafen 

53.  Frankfurt  a.  0 

54.  Freiburg  i.  Br 

55.  Potsdam  .  . 

56.  Metz.  .  .  . 

57.  Remscheid  . 

58.  Königshütte 

59.  M.-Gladbach 

60.  Zwickau 

61.  Liegnitz 

62.  Rostock 

63.  Fürth  . 

64.  Gleiwita 

65.  Elbing  . 

66.  Bromberg 

67.  Osnabrück 

68.  Dessau.  . 

69.  Linden  .  . 

70.  Offenbach 

*  0.  Marinell 
des  Boll,  delle  Soc 
Fortsetzung  seiner 
Studien  in  den  fr 


l  n««  1900  s 

107  071  85  666 

106  887  107  245 

105  055  81  752 

98  000  84  030 

95  939  62  696 

93  605  70  272 

90  514  59  945 

?  74 133 

88  700  81  896 

88  464  82  986 

85  828  78174 

84  501  76  300 

81  517  69  874 

80  842  70175 

74  905  68  747 

73  908  55  191 

71200  63168 

64  702  53  842 

64  496  66  841 

63  495  67  135 

62  464  47  455 

61  796  39  799 

61  672  59  161 

61613  53  118 

59  326  58  455 

58  466  59  794 

58  010  47  283 

57  675  44  697 

57  659  53  662 

66  572  50  391 

54  900  61  518 

54  579  49  912 

53  875  46  726 

52  341  24  980 

52  298  46  846 

52  082  46  417 

51  487  46137 

50  750  42  376 

50  704  35  861 

50  400  39  388 

giebt  im  Heft  9—11 

Geogr.  Ital.  1900  eine 

orographiscben 
iuulischen  Alpen  und 


dem  Grenzgebiet  gegen  Tirol,  besonders 
in  der  Umgegend  von  Tareento,  Mauria, 
Lorenzago,  Comelico  Superiore,  Misurina 
und  den  Ampezzaner  und  ('adorischen 
Alpen.  Die  Höhenlage  der  tiefsten  Punkte 
der  Gletscherzungen  wird  für  den  West- 
gletscher des  Anteiao  auf  2281,  den  Ost- 
gletscher auf  2396,  den  Westgletscher  des 
Sorapiss  auf  2209,  den  Zentralgletscher  auf 
2182,  den  Ostgletscher  auf  2140  m,  den 


Cristallogletscher  auf  2270  m  bestimmt 
(18991  Von  13  kleinen  Hochseen  zwischen 
1182  und  1*63  m  Höhenlage,  von  denen 
der  gröfste,  der  bekannte  Misurinasee  nur 
15  ha  grofs  ist  und  3,6  m  tief  wird,  ver- 
danken wahrscheinlich  4  in  Comelico  Su- 
periore gelegene  Gypseinbrüchen  ihre  Ent- 
stehung. Die  gypsführenden  Schichten 
gehören  teils  der  Permformation,  teils  den 
Raibier  Schichten  an.  Auch  die  Mehr- 
zahl der  übrigen  Seen  werden  als  Ein- 
bruchsBeen  angesprochen.  W.  H. 


*  über  seine  Reise  in  der  Niede- 
rung zwischen  dem  Ob  und  dem 
Jenissei  berichtet«  0.  W.  Markgraf 
der  Russischen  Geographischen  Gesell- 
schaft in  St.  Petersburg.  Die  Reise  hat 
acht  Monate  gedauert,  sie  ging  über 
Krasnojarsk  nach  Jenisseisk,  Turuchansk 
(1200  Werst  zu  Schiff),  Obdorsk  und  seine 
Umgebung,  die  als  die  ödeste,  seit  60 
Jahren  von  niemand  mehr  besuchte  Stelle 
des  ganzen  Gebietes  erscheint.  Markgraf 
kehrte  dann  nach  Tobolsk  zurück,  begab 
sich  von  dort  nach  Beresow  und  besuchte 
Surgut.  Als  eine  Eigentümlichkeit  der 
Obniederung  erwies  es  Bich,  dafs  das 
Land  an  der  Meeresküste  bedeutend 
höher  liegt  als  an  den  übrigen  Teilen. 
Der  Boden  ist  überall  aufgeschwemmt, 
ausgehende  Gesteinsschichten  fanden  sich 
nur  wenig  vor;  kegelförmige  Berge  sind 
häufig,  erratische  Blöcke  wurden  nicht 
gefunden;  Abschwemmungen  am  Rande 
der  Niederung  legen  stellenweise  Eis- 
schichten von  3  m  Dicke  blofs.  Seen 
giebt  es  wenig,  vorwiegend  finden  sie 
sich  an  den  Mündungen  der  Flüsse.  Die 
Flüsse  des  Gebietes,  Tas,  Nadym,  Pur  u.  a., 
zeigen  breite  Thäler  von  40—50  Werst 
Breite.,  aber  die  Flüsse  haben  nicht  ein- 
mal 2  Werst  Breite.  Sehr  eigenartig  sind 
die  Grenzen  des  Pflanzenwuchses:  auf 
den  Wasserscheiden  dehnt  sich  der  Wald 
weiter  aus  als  an  den  Flüssen.  Das 
Klima  läfst,  trotzdem  das  Thermometer 
häufig  auf  —  67°  C.  herabsinkt,  doch 
ganz  gut  eine  Kolonisation  zu,  die  Luft 
ist  sehr  trocken  und  gesund.  Die  Thäler 
*ind  mit  reichen  Weidenhainen  bedeckt, 
die  Niederungen  mit  anderthalb  Meter 
langem  Gras.  Schon  der  Obische  Bezirk 
allein  kann  jährlich  2  Millionen  sehr 
schöner  Balken  liefern.    Der  an  ihn  auf 


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Geographische  Neuigkeiten 


109 


über  80O  Werst  sich  ansch liefsende  Teil 
des  Uralgebirges  ist  noch  vollkommen 
unberührt.   Fischfang,  Kenntierzucht  und 
Pelztierjagd  sind  ergiebig.    Die  Skopzen 
in  Turuchansk  haben  noch  Felder  unter 
64*  n.  Br.    Getreide  gedeiht  auch  bei 
Bere*ow;  im  allgemeinen  mufs  aber  als 
Grenze  des  Ackerbaus  die  Breite  von  60 0 
anerkannt  werden.     Um   dieses  reiche 
Land  zu  beleben  und  der  Bevölkerung 
—  den  Russen  sowohl  als  den  Einheimi- 
schen —  die  Möglichkeit  zu  geben,  die 
Gaben   der  Natur  zu  benutzen,  ist  nach 
der   Meinung  des  Referenten  dreierlei 
notwendig:  Eine  Eisenbahn  (1200  Werst) 
von  Archangelsk  nach  Beresow,  der  grofse 
Frachten  von  Bauholz,  Getreide  aus  Süd- 
sibirien, Bergprodukte  aus  dem  Ural  und 
Naphtha  zufliefsen  würden ;  Aufmunterung 
der  Flursdampfschiffahrt  und  Errichtung 
von   Beobachtungsstationen    am  Meere, 
Kohlenstationen   und   Leuchttürmen  an 
der  Küste  des  Ozeans.  (Globus  Bd.  LXXIX. 
S.  SO.) 

Afrika. 

*  Über  die  Zwergvölker  des  inner- 
afrikanischen  Urwaldes  zwischen 
Ituri  und  Semliki  berichtet  Johns  t  on 
im  Geogr.  Journal  Vol.  XVII  S.  39.  Von 
Uganda  aus  drang  Johnston  über  den 
Semliki  in  den  Kongostaat  ein,  wo  es 
ihm  gelang,  mit  den  Zwergen  in  unmittel- 
baren Verkehr  zu  treten  und  viele  photo- 
graphische Aufnahmen  von  ihnen  und 
ihren  Tanzen,  Geratschaften  und  Woh- 
nungen zu  machen  und  auch  anthropo- 
logische Messungen  an  ihnen  vorzunehmen. 
Es  ergab  sich,  dafs  man  zwei  Typen  bei 
den  Zwergen  unterscheiden  kann:  einen 
schwarzen  mit  steifem,  krausem  Haar  am 
Körper  und  einen  rötlich-gelblichen  mit 
rötlichem  Haupthaar  und  gelblich-grauen 
Haaren  am  Körper.  Einige,  besonders 
junge,  Zwerge  waren  am  ganzen  Körper 
behaart  und  die  Frauen  hatten  nicht 
selten  einen  Anflug  von  Schnurrbart. 
Nach  der  Meinung  Johnston's  sprechen 
die  Zwerge  keine  eigene  Sprache  mehr, 
sondern  die  etwas  korrumpierten  Dialekte 
der  umwohnenden  Negerstamme.  Aber 
beim  Gebrauch  dieser  Dialekte  schoben 
sie  merkwürdigerweise  Schnalzlaute  ein, 
die  den  bei  den  Hottentotten  und  Busch- 
männern gebrauchten  sehr  ähnlich  klangen. 
Wesentlich  unterscheiden  sich  aueh  die 


Zwerge  von  ihren  Nachbarn  durch  die 
Gröfse  und  Plattheit,  der  Nase,  die  fast 
keinen  Röcken  aber  sehr  grofse  Flügel 
hat;  ihre  Oberlippe  ist  sehr  grofs,  aber 
kaum  merklich  aufgeworfen.  In  vieler 
Hinsicht  haben  die  Zwerge  affenähnliche 
Züge,  aber  ihre  Intelligenz  ist  in  der 
Regel  gut  entwickelt ;  und  obgleich  sie 
abschreckend  häfslich  sind,  sind  sie  doch 
von  gewinnender  und  freundlicher  Gemüts- 
art und  ihre  Tänze  unterscheiden  sich 
durch  Ausgelassenheit  und  angenehme 
Bewegungen  vorteilhaft  von  denen  der 
gewöhnlichen  Neger.  Bemerkenswert  ist 
auch  eine  besondere  Anlage  zu  Gesang 
und  Tanz,  wobei  sie  sich  zu  kleineu 
Sängergesellschaften  vereinigen. 

*  Die  Besetzung  der  ost afrika- 
nischen Seen  und  Flüsse  mit 
Dampfern  ist  jetzt  zu  einem  vorläufigen 
Abschlufs  gekommen ,  nachdem  „Hedwig 
von  Wissraann"  auf  dem  Tanganjika 
von  Stapel  gelassen  und  die  Aluminium- 
Pinasse  „Ukerewe"  auf  ihrem  schwierigen 
Transport  quer  durch  Deutsch-Ostafrika 
am  Viktoria -See  angelangt  ist.  Die 
deutschen  Dampfer  verteilen  sich  gegen- 
wärtig folgendermafsen :  Auf  dem  Nyassa 
befindet  sich  der  „Hermann  von  Wiss- 
mann",  dessen  Einnahmen  in  den  letzten 
Jahren  stetig  gestiegen  sind,  wenn  auch 
ein  englischer  Dampfer  und  ein  Missions- 
dampfer „Paulus"  ihm  eine  lebhafte  Kon- 
kurrenz machen.  Der  Verkehr  zwischen 
dem  Nyassa  und  dem  Ozean  wird  durch 
eine  Anzahl  von  Flulsdampfcrn  englischer 
Gesellschaften  auf  dem  Sambesi  und 
Schire  mit  Unterbrechimg  durch  die 
Stromschnellen  zwischen  Chiromo  und 
Matope  vermittelt.  Auf  dem  Rufigi 
fährt  der  deutsche  Dampfer  „Ulanga"  bis 
Kungulio,  der  allerdings  durch  häufiges 
Festfahren  und  die  im  Flufs  treibenden 
Baumstämme  viel  leidet  und  öfter  der 
Reparatur  bedarf.  Auf  dem  Tangan- 
jika fuhren  bisher  nur  mehrere  deutsche 
Segelschiffe;  nunmehr  wird  „Hedwig  von 
Wissmann"  hier  auch  den  Dampferver- 
kehr eröffnen.  Am  ungünstigsten  wird 
dann  von  der  deutschen  Flagge  der 
Viktoria-See  bedacht  sein.  Mit  Dampf- 
betrieb fährt  hier  allein  die  Pinasse 
„Ukerewe",  die  sich  jetzt  gegenüber  dem 
englischen  Dampfer  „William  MacKimon", 
der  kürzlich  in  PortFlorence  in  der  (Jgowe- 
Bai  von  Stapel  gelaufen  ist,  recht  kläg- 


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110 


Geographische  Neuigkeiten. 


lieh  ausnehmen  wird.  Von  den  deutsch - 
ostafrikanischen  Flüssen  wird  aufser  dem 
Ruflgi  nur  der  Pangani  befahren.  Hier 
läuft  seit  mehreren  Jahren  ein  kleine» 
Dampfer  „Gustav  Meinecke",  der  Pangani- 
Gesellschaft  gehörig,  und  leistet  für  die 
Verbindung  zwischen  der  Stadt  Pangani, 
dem  Zuckerrohrdistrikt  und  der  Zucker- 
fabrik treffliche  Dienste.  In  den  Häfen 
befindet  sich  eine  grofse  Anzahl  kleinerer 
Kegierungsfahrzeuge;  aufser  dem  grofsen 
Tonnenleger  „Kaiser  Wilhelm  II."  ver- 
mitteln mehrere  Gouvernementsdampfer 
und  Zollkreuzer  u.  s.  w.  den  Verkehr  mit 
Zanzibar  und  deu  einzelnen  Häfen. 

*  Die  neu  aufgenommene  Karte  der 
deutsch-britischen  Grenze 
zwischen  Nyassa  und  Tanganjika 
liegt  jetzt,  nachdem  die  deutschen  Mit- 
glieder der  Grenzkommission,  Kohlschütter 
und  Glauning,  aus  Ostafrika  zurück- 
gekehrt sind,  im  Mafsstab  von  1:100  000 
vor  (4.  Heft  von  Danckelman's  Mit- 
teilungen). Der  Verlauf  der  Grenze,  wie 
sie  die  Kommission  vorschlägt  und  wie  sie 
auf  der  Karte  eingetragen  ist,  entspricht 
im  allgemeinen  dem  Vertrage  von  1890, 
berücksichtigt  aber  soweit  wie  möglich 
die  natürlichen  Verhältnisse.  Im  Osten 
folgt  die  Grenze  dem  Songwe  von  seiner 
Mündung  in  den  Nyassa  bis  zum  33"  ö.  L., 
im  Westen  den  Flüssen  Kalambo  izum 
Tanganjika)  und  Hurui  und  Massietc 
(zum  Kikwa)  bis  zum  32"  ö.  L.  Das 
dazwischen  liegende  Grenzstück  schliefst 
sich  den  orographischen  Verhältnissen 
unter  Berücksichtigung  der  Stammes- 
grenzen möglichst  an.  Aus  dem  Cber- 
blick  über  die  allgemeinen  Verhältnisse 
des  Grenzgebietes,  den  Hauptmann  Herr- 
mann, das  dritte  deutsche  Mitglied  der 
Kommission,  der  Karte  beigiebt,  geht 
hervor,  daß)  das  deutsche  Grenzgebiet  im 
allgemeinen  dichter  bevölkert  ist  als  das 
englische  und  sehr  gut  bewässert  ist 
Das  reiche  und  dicht  bevölkerte,  wenn 
auch  ungesunde  Kondeland  am  Nyassa 
verbleibt  bei  Deutsch  -Ostafrika;  weiter 
aufwärts  am  Songwe,  wo  der  Flufs  durch 
die  Bundalivorberge  bricht,  liegt  ein  un- 
bewohntes, bewaldetes  Bergland  mit 
tiefen  Schluchten  und  ausgedehnten 
Kohlenlagern.  Dann  folgt  auf  deutscher 
Seite  das  fruchtbare  Berglaud  Bundali 
mit  kühlem  Klima  und  sehr  dichter  Be- 
völkerung, die  allerdings  sehr  träge  ist. 


Hierauf  folgt  das  vorzügliche  Katfeeland 
Marira,  die  öde  und  steinige  Landschaft 
Urambia  und  hierauf  wieder  günstigeres 
Gebiet,  doch  ist  der  Westen  des  Grenz- 
endes meist  sehr  gebirgig.  Die  Be- 
völkerung, besonders  im  Osten,  ist  den 
Europäern  leider  noch  wenig  freundlich 
gesinnt,  Handelsverkehr  hat  mit  ihr  noch 
nicht  angeknüpft  werden  können. 

Nordamerika. 

*  Über  Schiffahrt  und  Schiff- 
bau auf  den  amerikanischen  Seen 
veröffentlicht  der  britische  Konsul  in 
Chicago  einen  sehr  interessanten  Bericht 
Durch  die  Eröffnung  des  verbesserten 
Wellandkanals,  dessen  Schleusen  jetzt 
270  Fufs  langen,  4ö  Fufe  breiten  und 
14  Fufs  Tiefgang  habenden  Schiffen  die 
Durchfahrt  gestatten,  ist  den  britischen 
Fahrzeugen  der  Wettbewerb  mit  Aussicht 
auf  Erfolg  mit  den  amerikanischen 
Frachtern,  die  auf  jeder  Fahrt  bis  zu 
7000  Tonnen  Getreide  befördern  können  und 
die  in  regelmüfsiger  Verbindung  mit  den 
Eisenbahnen  von  Neu- York  stehen,  sehr 
erschwert. 

Die  Canadier  haben  daher  bereits 
den  Bau  eines  Kanals  von  der  Georgia- 
Bay  nach  den  Ottawa-Flufs  vorgeschlagen, 
wodurch  ein  direkter  Wasserweg  nach 
Montreal  geschaffen  und  die  Entfernung 
nach  Chicago  und  Duluth  um  ungefähr 
400  engl.  Meilen  gekürzt  wurde.  Man  be- 
absichtigt, diesen  Kanal  so  zu  bauen,  dal's 
er  gröfseren  Schiffen  die  Durchfahrt  ge- 
stattet als  der  Welland-Kanal.  An  eiuer 
Gesamteinfuhr  nach  Chicago  im  Jahr  1899 
im  Wert  von  2  824  28:2  Pfd.  Strl.  ist  Grofs- 
Britannien  mit  6f>3  540  Pfd.  Strl.,  von 
welchen  fast  alles  durch  die  Vereinigten 
Staaten  gehen  mufste,  beteiligt.  Getreide 
und  andere  für  Europa  bestimmte  Artikel 
gehen  grundsätzlich  nach  Bnffalo,  wo  sie 
entweder  auf  Schiffe,  die  durch  den 
Erie-Kanal  gehen,  oder  auf  die  Eisen- 
bahn umgeladen  werden.  Eine  Öffnung 
für  Schiffe  Englands  wird  deshalb  wohl 
auch  diesem  einen  Teil  des  Handels  zu- 
wenden. Die  Gesamtflotte  der  grofsen 
Seen  umfal'st  3435  Schiffe,  abgesehen  von 
den  canadischen  Schiffen  mit  einem  Ge- 
samttonnengehalt  von  600  000  Tonneu. 
Die  Schiffsbauwerften  an  den  Seen 
machen  jetzt  ein  grofses  Geschäft,  und 
es  ist  anzunehmen,  dal's  die  Verbreiterung 


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Geographische  Neuigkeiten. 


III 


des  St.  Lawrence-Kanal  es  ihnen  möglich 
macht,  mit  denjenigen  an  der  atlantischen 
Küste  zu  konkurieren.  Durch  eine  der 
gröfsten  Werften  an  dorn  genannten 
Ozean  wird  an  den  Seen  in  Collingwood 
lOntario  ,  einer  Stadt,  welche  zu  grofsen 
Hoffnungen  berechtigt,  da  sie  wahr- 
scheinlich Hafen  für  die  Erze  des 
Lauren  tian-Gebirges  wird,  eine  grofse 
Schiffsbauanstalt  errichtet.  Die  ameri- 
kanischen Fahrzeuge  sind  mit  jeder  mög- 
lichen, arbeitssparenden  Vorrichtung  ver- 
sehen und  erst  neuerdings  sind  an  ihnen 
Maschinen  angebracht  worden,  welche 
fähig  sind,  400  Tonnen  Erz  in  der  Stunde 
umzuladen.  Kü. 


*  Von  den  beiden  ausgedehntesten 
und  wichtigsten  Nordpolexpeditioneu  der 
letzten  Jahre,  der  Jackson-Harms- 
worth-Expedition  auf  Franz  Joseph- 
Land  und  der  „Franr'-Expedi  tion 
Nansen' s,  liegen  jetzt  die  wissenschaft- 
lich bearbeiteten  Berichte  vor,  sodafs  sich 
die  wissenschaftlichen  Ergebnisse 
beider  Expeditionen  nun  in  ihrem 
vollen  Umfange  erkennen  lassen.  Aus 
dem  Berichte  über  die  ersterwähnte  Ex- 
pedition (Jackson :  A  Thousand  Days  in 
the  Arctic)  ergiebt  sich  in  topogra- 
phisch-geographischer Beziehung, 
dafs  Franz  Josef-Land  nicht,  wie  Payer 
konstatieren  zu  können  glaubte,  aus  zwei 
grofsen  Landmassen,  sondern  aus  einer 
beträchtlichen  (ca.  60)  Anzahl  gröfserer 
und  kleinerer  Inseln,  die  zwischen  7U°  4:V 
u.  82°  15'  n.  Br.  und  zwischen  42°  und 
63°  östl.  L.  liegen,  zusammengesetzt  wird. 
Durch  zwei  gröfsere.  nahezu  nordsüdlich 
verlaufende  Sunde  ,  Britischer  Kanal  im 
Westen  und  Austria-Sund  im  Osten,  wird 
der  Archipel  in  drei  Inselgruppen  ge- 
schieden: im  W.  das  einstige  Alexandra- 
Land,  östlich  vom  Britischen  Kanal  das 
aus  vielen  Inseln  gebildete  Zichy-Land 
l'ayer's  und  im  O.  des  Austria -Sundes 
Fayer  s  Wilczek-Land,  das  sich  als  eine 
nur  mäfsig  grofse  InBel  erwiesen  hat,  mit 
den  weiter  nördlich  gelegenen  vier  Inseln 
des  Hvidtenlandes.  über  die  geologi- 
sche« Ergebnisse  der  Expedition  ist 
bereite  früher  (VI.  Jhrg.  S.  226)  berichtet 
worden.  Die  Beobachtungen  der  Flora 
ergaben ,  dafs  die  nicht  vereisten  Süd- 
und  Westküsten  der  Inseln  eine  verhol  t- 


nismäfsig  reiche  Pflanzendecke  tragen, 
die  in  erster  Linie  aus  Flechten  zusammen- 
gesetzt ist,  in  der  aber  auch  Phanero- 
gamen  (Papaver  nudicaule,  Cardamiue 
bellidifolia,  Draba  alpina,  Cochlearia 
fenestrata,  Cerastium  alpinum,  Saxifraga 
oppositifolia  u.  stellarig,  Alupecurus  alpi- 
nus,  Phippsia  algida  u.  Poa  cenisia)  nicht 
so  selten  sind,  über  die  Tierwelt  des 
Archipels  kann  man  sich  durch  die  zahl- 
reichen, auf  die  Jagd  bezüglichen  Be- 
merkungen und  durch  die  Schufslisten 
einigermafsen  orientieren;  von  10  Vogel- 
arten gelang  es  NeBter  und  Eier  zu  finden 
und  von  21  Arten  von  Vögeln  bringt 
Jackson  Angaben  über  das  erstmalige 
Auftreten  und  den  Abzug,  über  Nestbau, 
Standort  etc.  Über  die  zahlreichen  mete- 
orologischen und  klimatologischen 
Beobachtungen  ist  ebenfalls  bereits  früher 
(FV.  Jhrg.  S.  172)  berichtet  worden. 

Von  dem  monumentalen  Keisewerk 
Nansens  (s.  V.  Jhrg.  S.  167)  liegt  der 
erste  Band  vor,  der  an  erster  Stelle  eine 
Schilderung  der  „Fr am"  von  ihrem 
Erbauer  Colin  Archer  enthält.  Die  von 
Pompekj  und  Nathorst  an  zweiter  Stelle 
veröffentlichten  Untersuchungen  über 
das  gesammelte  paläozoologische  und 
paläobotanische  Material,  denen  Nan- 
sen eine  von  einer  Karte,  Profilen  und 
mehreren  Ansichten  begleitete  geologische 
Skizze  von  Kap  Flora  beigegeben  hat, 
liefern  eine  wertvolle  Ergänzung  der 
oben  erwähnten  geologischen  Unter- 
suchungen Jackson's.  Die  ornithologi- 
s eben  Resultate  sind  von  Collet  nnd 
Nausen  bearbeitet  worden;  in  vier  Ab- 
schnitten werden  die  während  der  Ex- 
pedition beobachteten  Vögel  behandelt. 
Die  meisten,  26,  Arten  wurden  während 
der  Fahrt  längs  der  sibirischen  Küste 
beobachtet.  Während  der  Nordwestdrift 
(Sommer  18Ü4  —  14.  Mär/.  1896)  konnten 
nur  9  Arten  beobachtet  werden,  unter 
denen  sich  8  Junge  der  Rosenmöve  an 
einer  ca.  560  km  vom  nächsten  Lande 
entfernten  Stelle  befanden;  die  Vögel 
kamen  von  NO.  Verhältnismäfsig  sehr 
reich  sind  die  ornithologischen  Beobach- 
tungen während  der  Schlittenreise  Nan- 
sen's  und  Johannsen's  und  auf  der  weiteren 
„Fram"drift  vom  Mai  bis  September  1895 
ausgefallen;  auf  jener  konnten  15,  auf 
dieser  10  Vogelarten  beobachtet  werden, 
jedoch  wurden  alle  gesehenen  Arten  nur 


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112 


Geographische  Neuigkeiten 


in  einzelnen  Individuen  bemerkt,  sodafs 
die  Vogelwelt  in  diesen  hohen  Rreiten 
nicht  reich  genannt  werden  kann;  erst 
in  der  Nähe  von  Spitzbergen  wurde  die 
Vogelwelt  wieder  etwas  reicher.  Aus  Sars' 
Bearbeitung  der  Crustaceen,  von  denen 
49  Arten  mitgebracht  wurden,  ergeben 
sich  bemerkenswerte  tiergeographische 
Resultate:  Die  ganze  Crustaceenfauna 
war  in  dem  durchfahrenen  Gebiete  die 
nahezu  gleiche  und  zeigte  uberall  eine 
ausgesprochene  Ähnlichkeit  mit  der  Fauna 
des  nordatlantischen  Ozeans;  nCopepoden- 
Arten,  die  auch  von  den  norwegischen 
Küsten  bekannt  waren,  kommen  dort  nur 
in  Tiefen  von  mehr  als  100  Faden  vor, 
während  sie  in  der  Arktis  an  der  Ober- 
Hache  des  Meeres  leben;  auch  eine  An- 
zahl von  Calanoiden,  die  in  den  Fjorden 
von  West-  und  Süduorwegen  nur  in  Tiefen 
von  mehr  als  100  m  leben,  war  in  der  Arktis 
unter  der  Oberflächenfauna  zu  finden. 
Gradezu  verblüffende  Ergebnisse  lieferte 
die  Untersuchung  der  Krebse  :  Hei  84°  n. 
Br.  wurde  eine  Hemicalauus-Art  in  130  m 
Tiefe  gefunden,  deren  nächste  Verwandten 
im  Mittelmeer  und  in  tropischen  Gebieten 
des  atlantischen  und  pazifischen  Ozeans 
vorkommen;  nördlich  von  Neusibirien 
wurden  zwei  Oncaea- Arten  gefischt,  die 
aus  dem  Golf  von  Neapel  bekannt  sind, 
und  noch  mehrere  Krebsarten  wurden  ge- 
funden, deren  Verwandte  im  Mittelmeer 
und  in  den  tropischen  Teilen  des  Stillen 
Ozeans  leben.  Zwei  polare  Ampbipoden- 
Arten  erwiesen  sich  als  zwei  Arten  aus 
dem  Kaspischen  Meere  so  auffallend  nahe- 
stehend, dafs  Sars  sie  als  Ausgangsformen 
für  die  kaspischen  Arten  betrachten  möchte. 
Darnach  könnte  die  während  der  Tertiiir- 
zeit  noch  bestehende  Verbindung  zwischen 
dem  Polarmeer  und  dem  Kaspischen  Meere 
noch  gar  nicht  zu  lange  aufgehoben  sein. 
Petennann's  Mittl.  1900.    S.  285.) 

Vereine  und  Versammlungen. 

*  Der  13.  deutsche  Geographen- 
tag wird  in  der  Zeit  vom  28.  bis  30.  Mai 
d.  J.  in  Breslau  abgehalten  werden.  Als 
Gegenstände  der  Tagesordnung  sind  bis 
jetzt  die  Sndpolarforschung,  die  Landes- 
kunde der  deutschen  Schutzgebiete, 
Gletscherkunde  und  Glacialforschung, 
sowie  sehulgeographische  Fragen  in  Aus- 
sicht genommen  Die  Anmeldungen  der 
auf  dies.-   Kragen   bezüglichen  Vorträge 


sind  bis  spätestens  zum  1.  März  1901  an 
den  Vorsitzenden  des  Ortsausschusses, 
Prof.  Dr.  J.Partsch,  Breslau,  Sternstrafse22, 
gelangen  zu  lassen.  Aufserdem  bereitet 
der  Ortsausschurs  eine  Geographische  Aus- 
stellung vor,  deren  Schwerpunkt  in  der 
Vorführung  von  Arbeiten  liegen  wird, 
welche  nur  bei  dieser  Gelegenheit  der 
Öffentlichkeit  zugänglich  werden.  An  die 
Tagung  werden  sich  voraussichtlich  zwei 
wissenschaftliche  Ausflüge  schliefsen ;  ein 
geologischer  wird  die  palaeozoischen  For- 
mationen zwischen  Silberberg  und  Neu- 
rode  in  einer  Tagestour  durchschneiden, 
ein  anderer  von  zweitägiger  Dauer  (31.  Mai 
bis  I.Juni;  den  Spuren  vormaliger  Gletscher 
im  Kieseugebirge  gelten. 

Persönliches. 

*  Im  Januar  starb  zu  Lissabon  im 
Alter  von  54  Jahren  der  Afrikareisende 
Serpa  Pinto,  der  in  den  Jahren  1877 
bis  1879  Afrika  von  Benguela  nach 
Durban  durchquerte  und  dadurch  den 
Portugiesen  den  ihnen  nach  lHHö  zuer- 
kannten Besitz  ihrer  südwestafrikanischen 
Kolonien  sicherte.  Seit  1880  war  er  Ad- 
jutant des  Königs  von  Portugal. 

*  Am  20.  November  1900  starb  zu 
Bremen  im  Alter  von  87  Jahren  Dr.  med. 
Gustav  Hartlaub,  der  sich  durch 
mehrere  Werke  über  die  Vogelwelt  Afrikas 
und  Polynesiens  einen  Namen  gemacht 
hat.  Es  erschienen  von  ihm:  „System 
der  Ornithologie  Westafrika«"  1857 ; 
„Beitrag  zur  Fauna  Centralpolynesiens" 
1867;  „Die  Vögel  Ostafrikas"  als  vierter 
Band  von  v.  d.  Decken s  „Reisen  in  Ost- 
afrika"  18i0  und  „Die  Vögel  Madagaskars 
und  der  benachbarten  Inselgruppen"  1877. 
In  den  achtziger  Jahren  bearbeitete  Hart- 
laub die  ornithologischen  Sammlungen 
Emin  Pascha 's  und  veröffentlichte  darüber 
zahlreiche  Abhandlungen. 

*  Am  22.  November  1900  starb  in 
Altenburg  Dr.  Otto  Kcrsten  im  Alter 
von  61  Jahren.  Er  begleitete  v.  d.  Decken 
auf  seinen  ostafrikanischen  Reisen,  erstieg 
mit  ihm  im  November  1862  den  Kiliman- 
dscharo bis  zu  4200  m  Höhe  und  gab 
nach  v.  d  Decken's  Ermordung  (1864  in 
Barderai  dessen  vierbändiges  grofses 
Reisewerk  heraus  | Leipzig,  1869—1879,/. 
Kersten  strebte  bereits  i  .1  1869  bei  der 
preußischen  Regierung  eine  Festsetzung 


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Bücherbesprechungen. 


113 


der  Deutschen  in  Ostafrika  an  und  war  versität  Bologna.  Er  hat  sich  in  geo- 
auch  in  den  folgenden  Jahren  bemüht, !  graphischen  Kreisen  hauptsächlich  durch 
die  damals  organisierten  Afrika-Expedi- ,  seine  Geschichte  der  Geographie  bei  den 
tionen  neben  wissenschaftlichen  auch  Kirchenvätern  (übers,  von  L.  Neumann; 
]>olitigchen  Bestrebungen  dienstbar  zu  und  sein  Buch  über  Erd-  und  Himmels- 
machen, globen,  ihre  Geschichte  und  Konstruktion 
*  Am  14.  Januar  starb  Matteo  Fio-  (deutsch  von  8.  Günther,  Leipzig  189.',) 
rini,  Prof.  der  Geographie  an  der  Uni-  bekannt  gemacht, 


Bnclierbesprechungen. 


Heniker,  J.,  Les  races  et  les  peu- 
ples  de  la  terre.  Elements  d'an- 
thropologie  et  d'ethnologie. 
Avec  176  plancheB  et  figures, 
et  2  carte s.  Paris,  Librairie  Rein- 
wald, 1900. 

Ein  durch  wertvolle  eigene  Arbeiten 
auf  anthropologischem  Gebiet  wohlbe- 
kannter Fachmann  legt  hier  einen  inn- 
fassenden Grundrifs  der  Völkerkunde  vor. 
Das  Werk  zahlt  (in  kleinem  Oktav)  nicht 
weniger  als  692  Seiten  und  zerfallt  wie 
Peschel's  Völkerkunde  in  einen  umfang- 
reichen allgemeinen  und  in  einen  beson- 
deren Teil.  Jener  behandelt  die  Mensch- 
heit überhaupt  nach  ihrer  körperlichen, 
psychischen,  sprachlichen  und  kulturellen 
Ent wickelung;  dieser  schildert  die  Völker- 
gruppen und  Völker  im  einzelnen.  Ein 
reichhaltiger  Anhang  stellt  gut  übersicht- 
lich anthropologische,  namentlich  kranio- 
metrische  Zahlenwerte  für  eine  grofse 
Anzahl  von  Völkern  tabellarisch  zusammen. 

Die  Darstellung  ist  durchweg  klar, 
wohlgeeignet  zur  Einführung  in  die 
Wissenschaft;  bei  der  ansehnlichen  Stoff- 
fülle, die  hier  verarbeitet  vorliegt,  und 
bei  der  Masse  von  litterarischen  Nach- 
weisen, die  in  inustergiltig  genauen  Fufs- 
noten  den  Text  begleiten,  erhebt  sich 
das  Ganze  aber  doch  mehr  auf  den  Hang 
eines  Handbuchs.  Die  Abbildungen  sind 
gut  ausgewählt  und  meistens  auch  tech- 
nisch lobenswert. 

Deniker  scheidet  noch  den  Menschen 
im  zoologischen  System  von  den  Anthro- 
poiden ab.  Das  kann  man  heute  nicht 
mehr  billigen,  wo  wir  wissen,  wie  voll- 
ständig analog  die  Körperbeschaffenheit 
des  Menschen  derjenigen  der  Anthropoiden 
zur  Seite  steht  (nach  Selenkas  wichtiger 
Entdeckung  teilen  diese  den  diskoiden 
Mutterkuchen    vollkommeu     mit  dem 

Geographische  Zeitschrift.  7  Jahrgang,  l  "U.  2. 


Menschen,  aber  nicht  mit  den  übrigen 
Affen),  und  wo  uns  seit  kurzem  durch 
völlig  schadlos  verlaufene  Transfusion  von 
Menschenblut  ins  Geäder  des  Schimpansen 
sogar  der  experimentelle  Nachweis  der 
Blutsverwandschaft  des  Menschen  mit  dem 
Anthropoiden  erbracht  worden  ist,  Der 
Mensch  gehört  zu  den  Ostaffen  oder 
Katarrhinen,  er  bildet  innerhalb  dieser 
grofsen  Haupthälfte  der  Zweihänder  mit 
den  Anthropoiden  zusammen  eine  Gruppe, 
für  die  sich. der  Name  „Primaten"  em- 
pfehlen dürfte. 

Kleinere  Versehen  begegnen  selten, 
z  B.  die  Behauptung  (S.  172),  dars  Völker, 
die  überwiegend  Pflanzenkost  geniefsen, 
auf  Salz  ganz  versessen  seien.  Die  meist 
von  mehlreichen  Knollen  und  Früchten 
lebender  Papua  auf  Neuguinea  brauchen 
trotzdem  kein  Salz,  weil  ihnen  der  sehr 
geringe  Salzgehalt  dieser  Kost  genügt, 
indem  sie  noch  nicht  wie  die  Hauptmasse 
der  anderen  Völker  den  Gaumen  an  ein 
unnützes  Cbermafs  von  Salz  (als  Gewürz) 
gewöhnt  haben. 

Mehrfach  rächt  es  sich,  dafs  der  Ver- 
fasser der  Sprache  zu  wenig  Gewicht  für 
Bestimmung  der  Verwandtschaftsverhält- 
nisse beimifst.  So  sollen  (8.  657)  die 
Indonesier,  wie  unnützerweise  die  echten 
Malaien  des  südostasiatischen  Archipels 
genannt  werden,  keinerlei  Charakterzüge 
mit  den  Polynesien)  teilen,  während  diese 
doch  meist  ganz  malaiisch  aussehen  und 
allesamt     Sprachen     des  malaiischen 

i  Sprachenstamms  reden.  Die  ausgestorbenen 
Tasmanier  sollen  gar  keine  Australier 
gewesen  sein  (während  sie  doch  offenbar 
eine  auf  insularer  Abgeschiedenheit  be- 
ruhende Spielart  der  Australier  auf- 
machten); sie  seien  leiblich  und  in  der 
Lebensweise  vielmehr  den  Melanesiern 
verwandt    gewesen,   ihre   Sprache  aber 

Heft.  8 


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114 


Büc  herbes  p  rechungen. 


habe  weder  mit  dem  australischen  noch 
mit  dem  raelanesischen  Verwandtschaft 
gezeigt,  was  doch  entschieden  zu  viel  be- 
hauptet ist.  Ganz  irrig  heifst  es,  die 
„anglofriesische"  Sprachengruppe  Btamme 
wahrscheinlich  vom  Gotischen  ab  (S.  899). 
Gewifs  steht  das  Friesische  selbständig 
zwischen  dem  Deutschen  und  dem  Nord- 
germanischen, hat  aber  mit  dem  er- 
loschenen Ostgermanischen ,  d.  h.  dem 
Gotischen,  gar  keinen  näheren  Zusammen- 
hang, ist  vielmehr  reines  Westgermanisch. 
Ins  Englische  sind  friesische  Elemente 
hineingekommen;  das  hindert  jedoch 
nicht,  das  Englische  eine  westgermanische, 
im  Grunde  sogar  deutsche  Sprache  zu 
nennen,  weil  sie  doch  wesentlich  moderni- 
siertes Angelsächsisch  ist,  Beit  der 
Hastings-Schlacht  bereichert  durch  eine 
Menge  französischer  Worte,  ein  Abbild 
des  Kisuaheli,  das  durch  Aufnahme 
arabischer  Vokabeln  durchaus  nicht  auf- 
gehört hat,  eine  echte  Bantusprache  zu 
sein.  Gänzlich  verwirrt  ist  es  endlich, 
wenn  der  Verfasser  die  Haukoin  oder 
Bergdamara  unter  den  „Hottentotten  und 
Buschmännern"  aufführt  (S.  638  f.).  Hier- 
bei fällt  er  ganz  aus  seiner  Rolle,  die 
anthropologischen  über  die  sprachlichen 
Merkmale  zu  stellen:  er  sagt  ja  selbst, 
die  Haukoin  trügen  Negertypus,  redeten 
aber  hotten tottiBth.  Sie  sind  eben  die 
älteste  Negerbevölkerung  Südwestafrikas, 
haben  jedoch  in  inniger  Berührung  mit 
den  Hottentotten  ihre  alte  Sprache  preis- 
gegeben. A.  Kirchhoff. 

Jensen,  Die  nordfri  esiBchen  Inseln 
Sylt,  Föhr,  Amrum  und  die  Hal- 
ligen vormals  uud  jetzt.  2.  Aufl. 
Hamburg  1899. 

Bei  der  ersten  Durchsicht  dieser 
„zweiten  Auflage"  erregt  es  einige  Über- 
raschung, dafs  die  ganze  Litteratur  über 
Nordfriesland,  die  seit  der  Herausgabe 
der  ersten  Auflage  vom  Jahre  1801  er- 
schienen ist,  sowie  die  großartigen  Ver- 
änderungen, welche  die  Inseln,  Watten, 
Halligen  und  die  Verkehrsmittel  betroffen 
haben,  platterdings  unberücksichtigt  ge- 
blieben sind.  Die  Überraschung  ver- 
schwindet aber,  weuu  man  bei  einem 
Vergleich  mit  der  Ausgabe  von  1801  be- 
merkt, dafs  mit  Ausnahme  des  Vorwortes 
überhaupt  nichts  an  dem  Inhalt  ver- 
ändert worden  ist,  dafs  das  Buch  vielmehr 


mit  allen  Mängeln  der  ersten  nur  unter 
der  euphemistischen  Bezeichnung  einer 
„zweiten  Auflage"  dargeboten  wird.  Hütt« 
man  es  wirklich  mit  einer  Neuauflage 
zu  thun,  so  könnte  gar  nicht  scharf  genug 
gegen  eine  derartige  Vernachlässigung 
aller  Autoq>flichten  dem  kaufenden  und 
Belehrung  suchenden  Publikum  gegenül>er 
protestiert  werden.  Unser  Protest  mufs 
sich  daher  in  erster  Linie  gegen  die  Ver- 
lagsanstalt Aktien-Gesellschaft  richten,  die 
durch  den  Aufdruck  „zweite  Auflage"  den 
Anschein  zu  erwecken  sucht,  als  sei  der 
geographische  Teil  des  Buches  dem  ver- 
änderten Stande  der  Dinge  entsprechend 
verbessert  worden,  während  er  thatsäch- 
lich  durch  obigen  Zusatz  noch  wertloser 
als  vorher  geworden  ist.  Ein  Eingehen 
auf  den  Inhalt  erübrigt  sich  unter  solchen 
Umständen  Eugen  Traeger. 

La  Rlvlera.  Sessanta  due  vedute  della 
Kiviera  da  Nizza  hno  a  Spezia. 
Quer  8°.  40  Bl.  Berlin,  Graphischer 
Kunstverlag.    JC  4.—. 

Sauber  ausgeführte  Autotypien,  die 
eine  hübsche  preiswerte  Erinnerung  an 
eine  ltivierareise  bilden.  Den  Zwecken 
des  geographischen  Unterrichts  und  über- 
haupt der  geographischen  Anschauung 
kann  aber  nur  eine  Minderzahl  der  Ab- 
bildungen dienen,  da  bei  der  Auswahl 
mehr  die  Interessen  des  Touristen  als 
der  Wissenschaft  berücksichtigt  sind,  uud 
la  die  Ausführung  der  Einzelheiten  oft 


zu  undeutlich  ist. 


A.  Hettner. 


Meyer'»  Keisebücher.  Griechenland 
und  Kleinasien.  5.  Aufl.  Leipzig 
und  Wien,  Bibliographisches  Institut. 
1901.  8".  Xu.  338  S.  Mit 30  Karten 
und  Plänen  und  2  Bildern. 

Früher  als  zweiter  Band  mit  der 
Türkei  verbunden,  erscheint  nun  zum 
erstenmal  Meyer's  „Griechenland  und 
Kleinasien"  als  selbständiges  Werk,  und 
zwar  in  ganz  neuer,  von  den  bekannten 
Archäologen  Kern  und  Zahn  ausgeführter 
Bearbeitung.  Es  hat  vor  dem  Baedeker 
den  Vorzug,  dafs  es  das  westliche  Klein- 
asien  (nicht  das  Innere  mit  umfafst,  ein 
Gebiet,  dessen  Besuch  zu  einer  Griechen- 
landreise eigentlich  hinzugehört  und  that- 
sächlich  sehr  häufig  damit  verbunden 
wird.    Auch  die  neuerdings  so  beliebt 


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Büeherbesprechuugen. 


115 


gewordene  Seereise  von  Hamburg  nach 
Piraeus  ist  eingefügt.    Dafür  ist  freilich 
die  Zahl   der   Routen   in  Griechenland 
etwa««  beschrankter,  als  im  Baedeker;  doch 
fehlt   kaum   eine,  die  der  nur  kürzere 
Zeit  in  Griechenland  weilende,  von  archäo- 
logischen Interessen  geleitete  Tourist  ver- 
missen wird,  und  die  Darstellung  ist  so 
gründlich  und  eingehend,  wie  es  für  den 
Zweck  des  Buches  nur  gewünscht  werden 
kann.    Dafs  sie  in  archäologischer  Be- 
ziehung durchaus  auf  der  Höhe  steht, 
dafür  bürgen  schon  die  Namen  der  Be- 
arbeiter; viele  Kapitel  sind  auf  Grund 
der  neuesten   Ausgrabungen  völlig  neu 
bearbeitet,   bez.  eingefügt,  wie  Delphi, 
Thera  u.  a.    In  Kleinasien  erfahren  be- 
sonders Ephesus,  Magnesia  am  Maeander, 
Priene,  Pergamon,  Troja  eingehende  Dar- 
stellung.   Aber  auch  in  praktischer  Bezie- 
hung verdient  das  Buch  uneingeschränktes 
Lob,  und  man  kann  nur  jedem  Reisenden 
dringend  empfehlen,  die  Ratschläge  und 
Winke  der  erfahrenen  Bearbeiter  zu  be- 
herzigen.   Die  Karten  und  Pläne  sind 
ebenfalls  vortrefflich,  so  dafs  »las  Buch 
als  durchaus  zuverlässiger,  wissenschaft- 
lich gediegener  und  bequemer  Führer 
bezeichnet  werden  mufs.    Nur  eine  Ein- 
schränkung dieses  Lobes  müssen  wir  hin- 
zxifügen:    sie   betrifft  die  physikalisch- 
geographische  Seite.    Die  geographischen 
nnd    besonders    die   geologischen  Ab- 
schnitte  der  Einleitung  sind   fast  die- 
selben wie  in   den   früheren  Auflagen, 
nämlich  teils  trockne  Aufzählungen,  teils 
ein  Gemenge  von  unverstandenen  Einzel- 
heiten, z.  T.  sehr  unwichtiger  Art,  von 
veralteten  und  von  neuen  Angahen  durch- 
einander; selbst  in  der  kulturgeographi- 
schen Darstellung  des  heutigen  Griechen- 
land finden  sich  auffallende  Ungenauig- 
keiten.     Freilieh  ist  diese  Art  geogra- 
phischer   und    geologischer  Unkenntnis 
mehr  oder  weniger  allen  unsern  Reise- 
büchern eigen,  aber  darum  doch  nicht 
entschuldbar.    Man  sieht  nicht  ein,  warum 
der  Tourist  nicht  auch  in  physikalisch- 
geographischer Hinsicht  zuverlässige  Be- 
lehrung beanspruchen  darf ;  wenn  man 
sich  aber  nicht  entschliefst,  einen  sach- 
verständigen Berater  hinzuzuziehen,  so 
sollte  man  lieber  diese  Gegenstände  ganz 
beiseite  lassen  und  sich  mit  einem  Hin- 
weis auf  die  betreffende  Litteratur  be- 
gnügen! A.  Philippson. 


Dolgorukow,  W«  A.,  Reiseführer 
durch  Sibirien  und  die  mittel- 
asiatischen Besitzungen  Rufs- 
lands (Russisch.)  4.  Jhg.  1  Karte, 
zahlr.  Abb.  411  S.  Tomsk,  Maku- 
schin  1899. 
Die  Fortführung  der  sibirischen  Eisen- 
bahnen bis  zur  Grenze  Chinas  und  die 
rasche  Entwicklung  der  Verkehrsanstalten 
des  Russischen  Mittelasiens  haben  den 
Wunsch  nach  einem  zuverlässigen,  er- 
schöpfenden Aufschlufs  über  die  wirt- 
schaftlichen Eigenschaften  und  Bedin- 
gungen Sibiriens  und  Mittelasiens  hervor- 
gerufen. Dem  Bedürfnis  kommt  vor- 
liegendes Buch,  welches  bereits  im  vierten 
Jahrgang  erscheint,  in  jeder  möglichen 
Weise  entgegen.  In  volkstümlicher  Form, 
welche  dem  Bedarf  des  Reisenden  wie 
auch  dem  Wunsche  nach  übersichtlicher 
Belehrung  entspricht,  wird  die  Bahnlinie 
von  Moskau  bis  Irkutsk  mit  dem  anliegen- 
den Lande  geschildert.  Auch  die  Ussuri- 
Bahn  im  fernsten  Osten  findet  eine 
entsprechende  Beschreibung.  Hieran 
schliefaen  sich  Hinweise  auf  den  Dampfer- 
verkehr auf  den  sibirischen  Strömen  und 
auf  den  wachsenden  Umfang  der  Schiff- 
fahrtslinien naeh  Ostasien  (Wladiwostok 
und  Sachalin!,  auch  nach  den  Mündungen 
der  nordsibirischen  Flüsse.  Der  Wagen - 
und  Schlittenverkehr  auf  den  sibirischen 
Landstrafsen  tritt  mit  dem  Ausbau  der 
Eisenbahnen  natürlich  zurück  und  be- 
schränkt, sich  mehr  auf  die  Nebenlinien, 
vorzugsweise  nach  den  südsibirischen 
Bergbaugebieten.  In  ähnlicher  Weise 
wie  Sibirien  werden  auch  die  mittel- 
asiatischen Länder,  einschliefslich  der 
Verkehrsverhältnisse  auf  der  Wolga  und 
dem  Kaspischen  Meere,  behandelt.  Den 
Schlufs  bilden  praktische  Hinweise  auf 
das  Reisen  im  Lande,  sowie  auf  eine 
Frille  von  wirtschaftlichen  und  industriellen 
Gesichtspunkten. 

In  demselben  Verlag  ist  soeben  ein  Aus- 
zug aus  vorliegendem  Buche  in  deutscher 
und  französischer  Sprache  erschienen. 
Das  Werkeheu  kann  Allen  empfohlen 
werden,  welche  Verbindungen  mit  dem 
russischen  Asien  anknüpfen  oder  sich 
über  letzteres  dauernd  auf  dem  Laufenden 
halten  wollen.  Immanuel. 

WlMt,    Peter,    Südafrika.  Ent- 
wickelungageechichte  und 

8* 


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Neue  Bücher  uml  Karten. 


Gegenwartsbildcr.     8°.     310  S. 

Berlin.  A.  Sehall.  1900. 
In  dem  ernten  Teile  de«  vorliegenden 
Buches  behandelt  der  Verfasser  zunächst 
die  Geschichte  Südafrikas.  Wenn  auch 
seine  Darstellung  nicht  in  allen  Einzel- 
heiten zuverlässig  ist  und  eigentlich  nur 
tlas  wiedersieht,  was  in  anderen  Schriften 
schon  öfter  erörtert  worden  ist,  so  erreicht 
sie  doch  immerhin  ihren  Zweck,  den 
Leser  über  die  politische  Entwickelung 
Südafrikas,  namentlich  des  Verhältnisses 
zwischen  Engländern  und  Boeren  zu 
orientieren.  Alsdann  erzählt  der  Verfasser 
in  dem  zweiten  Teile  die  Erlebnisse  auf 
seinen  Reisen  (meist  Eisenbahnfahrten ) 
in  Südafrika  und  entwirft  uns  ein  an- 
schauliches Bild  von  den  sozialen  und 
wirtschaftlichen  Verhältnissen  in  Johannes- 
burg. Interessant  sind  in  erster  Linie  die 
„politischen  Briefe4*,  welche  Aufschlufs 
geben  über  die  Stimmung  in  Transvaal 
und  besonders  in  Johannesburg  seit  dem 
Kinfall  Jameson's  bis  zum  Kriege  mit 
England.  A.  Schenck. 


&,H.,  Im  Fluge  durch  Jamaica 
und    Cuba.    Vortrag.  Stuttgart, 
Cotta  Nachf.  1900. 
Dieser  Abdruck  des  Vortrages,  den 
Paasche  s.  Z.  vor  den  Mitgliedern  des 
Reichstages  gehalten  hat,  giebt  ein  inter- 
essantes kulturgeograpbisches   Bild  der 
beiden  westindischen   Inseln.  Während 
Jamaica  einst  für  eine  der  wertvollsten 
britischen   Besitzungen    galt,   ist  heut« 
sein    Glanz    verblafBt.    Die  hauptsäch- 
lichen Erzeugnisse,  Zuckerrohr,  aufser  wo 
es  sich  zur   Fabrikation   feinen  Rums 
eignet,  Kaffee,  Kakao  sind  ziemlich  ent- 


wertet, die  Weifsen  ziehen  immer  mehr 
weg,  die  schwarze  Bevölkerung  dagegen 
vermehrt  sich  trotz  der  sehlechten  Er- 
werbsverhältnisse  rapide,  und  die  Gefahr, 
dafs  die  Insel  einst  Negerrepublik  werden 

I  könnte,  liegt  nahe  genug.  Die  englische 
Verwaltung  ist  an  sich  gut  und  sticht 
sehr  von  der  spanischen  Mifs Wirtschaft  ab, 

1  aber  sie  ist  im  Verhältnis  zu  den  heutigen 
Hilfsquellen  des  Landes  zu  kostspielig 
und  hat  es  wohl  auch  zu  wenig  ver- 
standen, die  Bevölkerung  zu  erziehen. 
Allmählich  fängt  man  auch  an.  zu  anderen 
Kulturen :  Bananen,  Orangen,  Ananas, 
überzugehen;  die  meisten  dieser  Unter- 
nehmungen sind  in  amerikanischen,  einige 
auch  in  deutschen  Händen.  —  Nur 
schwierig  gelangt  man  von  Jamaica  nach 
Cuba  In  Habana  hat  der  Krieg  nur  we- 
nig Spuren  hinterlassen.    Dagegen  stöfst 

|  man  aufser  halb  der  Hauptstadt  überall 
auf  Ruinen  und  Trümmerhaufen.  Die 
Schreckensherrschaft  der  Spanier,  und 

I  insbesondere  des  Generals  Weyler,  ist  ge- 
radezu entsetzlich  gewesen ;  Zehntausende 
hat  man  mit  Absicht  verhungern  lassen. 
Die  grofsen  Zuckerfabriken  liegen  zum 
grofsen  Teil  zerstört,  auf  grorse  Strecken 
ist  das  ganze  Land  verödet.  Zur  Wieder- 
belebung fehlt  es  vorläufig  ebensowohl 
an  Kapital,  da  die  Amerikaner  vor 
diesen  landwirtschaftlichen  Unterneh- 
mungen zurückscheuen ,  wie  an  Händen. 
Zwischen  den  Cubanern  und  den  Ameri- 
kanern besteht  eine  entschiedene  Mifa- 
8timmung.    Nur  die  Tabakindustrie  hat 

I  sich  von  dem  Ruin  schon  wieder  erholt, 
und    nach    wie    vor   sind    in    ihr  die 

'  grofsen  deutschen  Firmen  mafsgebend. 

A.  Hettner. 


Neue  Bücher  and  Karten. 

Zusammengestellt,  von  Heinrich  Brunner. 

Getthirbtf  o  Muhodlk  der  UMgrs-ihif  j  Streck,  Max.  Die  alte  Landschaft  Baby- 
Ahlenius,  K.  Till  kännedomen  om  .  lonien  nach  den  arab.  Geographen.  Tl  I. 
Skandinaviens  geografi  och  kartograti  j  XIX,  171  S.  Leiden,  Brill  1900..*  5  — 
under  1600— talets,  senare  hälft.  (Mit  e. 1  Thiimen,  Em.  v.  Berühmte  Entdeckungs- 
Resume  in  deutscher  Sprache..  140  S.  u.  Forschungsreisende  des  19.  Jahrh. . . . 
l'psala,  Lundstrüm ;  Leipz.,  Harrassowitz  i  Mit  einem  biograph.  u.  chronol.-topo- 
1900.  |    graph.   Lex.     1  Karte.    XIV,  272  8. 

Hübl,  Arth.  Freih.  v.  Die  photogrammetr.      Berl.,  Deutsches  Druck-  u.  Verlagshaus 
Terrain-Aufnahme.  5  Taf.,  Abb.  67  S.  |    Komm  1901).    .¥  0.50. 
SA.  Wien,  Lechner  Komm.  1900.  M  1 .20.  '  Zondervan,  H.  Allgemeine  Kartenkunde. 


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Nein«  Bucher 


und  Karten. 


117 


Ein  Abrifs  ihrer  Geschichte  und  ihrer 
Methoden.  X,  210  S.  32  Fig.  Leipzig, 
Tetibner  1901.  geh.  JK  4.60,  geb.  JL  6 . 20. 

A  Upen  eine  ph)kl»che  Urographie 

Benndorf,  Ihm-  Ueber  die  Störungen 
des  normalen  atmosphärischen  Poten- 
tialgefälles durch  Bodenerhebungen. 
1  Fig.  18  s.  SA.  (Beitr.  zur  Kenntn. 
der  atmosphär.  Elektricitüt.  VI)  Wien, 
Gerold'«  Sohn  Komm.  1900.    .H.  —.40. 

W  a  1 1  h  e  r ,  Joh.  Das  Gesetz  der  Wüsten- 
bildung in  Gegenwart  u.  Vorzeit;  hrsg. 
mit  Unterstützg  der  k.  Akad.  d.  Wiss. 
zuBerl.  [50  Abbildungen.]  175  S.  Berl-, 
D.  Reimer  1900.        12  — 

Allgemeine  Geographie  de«  Meimchea. 

Martin,  Rud.  Anthropologie  als  Wissen- 
schaft u.  Lehrfach.  Akadem.  Antr.rede. 
30  S.    Jena,  Fischer  1901.    X  -.80. 

Mortillet,  Gabr.  et  Adr.  de.  Le  Pr<?- 
historique;  origine  et  antiquite  de 
Fhomme.  3.  ed.  XXII,  769  S.  121  Fig. 
im  Text.    Paris,  C.  Reinwald  1900. 

Schröter,  C.  Die  Palmen  u.  ihre  Be- 
deutung für  die  Tropenbewohner. 
I  Doppel-Taf.  33  S.  4°.  (Neujahrebl. 
der  Naturforsch.  Gesellsch.  in  Zür.  auf 
1901).  Zür.,  Fäsi  &  Beer  Komm.  [1900}. 
Fr.  3.—. 

Schurtz,  H.  Urgeschichte  der  Kultur. 
Lex.-Ö.  XIV  u.  658  S.  mit  434  Abbildg. 
im  Text,  23  Tafeln  u.  1  Kartenbeilage. 
Leipzig,  Bibliogr.  Institut  1900. 

«röTiere  Erdriaae. 

Chun,  Carl.  Aus  den  Tiefen  des  Welt- 
meeres; Schilderungen  von  der  deutschen 
Tiefsee  -  Expedition.  6  Chromolith., 
8  Heliograv.,  32  Vollb.,  2  Karten  u 
390  Abb.  VU,  549  S.  Jena,  Fischer 
1900.    JL  18.— 

Kunhardt,  Egon.  Wanderjahre  eines 
jungen  Hamburger  Kaufmannes;  eine 
Reise  um  die  Erde  in  777  Tagen.  2.  A. 
Abb.,  Uebers.-karten. ,  Bildnis.  XII, 
479  S.  Berl.,  D.  Reimer  1900.  JL,  10  — 

Lentz,  Heh.  Die  Kolonien  Deutschlands 
...  5  Karten,  Abb.  IV,  161  S.  Karlsr., 
Scherer  1901.    JL  2.60. 

Verschuur,  G.  At  the  Antipode»;  tra- 
vels  in  Australia,  New  Zealand,  Fiji 
Islands,  New  Hebrides,  New  Caledonia, 
South  America.  Map,  01.  34»  S.  Lond., 
Low  1900.    2  s  6  d. 


Karopa. 

Carte  des  Chemins  de  fer  francai*. 
1  :  000000.  4  Bl.  Par.,  Service  geo- 
graph.  de  l'armee  1900.    Fr.  6.—. 

Haardt  v.  Hartenthurn,  Vinc.  Notizen 
über  die  Organisation  der  militär-to- 
pograph.  Arbeiten  in  den  europ.  Staaten. 
25  S.  SA.  Wien,  Lechner  Komm.  1900. 
—.80. 

Hauptmann,  F.  Zum  Nordende  Europas ; 
Reiseskizzen.  III.  V,  135  8.  Bonn, 
Hauptmann  1900.        3  — 

Hennig,  Anders.  Geolog.  Führer  durch 
Schonen.  Übers.  -  Karte  und  85  Fig. 
VIU,  182  S.  (Sammlung  geolog.  Führer. 
VII).  Berl.,  Borntraeger  1900.  .«3  .60. 

Lehrl,  Franz.  Das  Pracisions  -  Nivelle- 
ment in  der  österr.-ungar.  Monarchie. 
1  Karte,  Abb.  27  S.  SA.  Wien,  Lech- 
ner Komm.  1900.    JL,  —.80. 

Schneller,  Chrn.  Südtirolische  Land- 
schaften. Reihe  II:  Das  Lagerthal  — 
La  valle  Lagarina.  Titelbild.  VII, 
448  S.  Innsbr.,  Wagner  1900.  JL  4.60. 

Tornquist,  Alex.  Das  vicentinische 
Triasgebirge;  eine  geolog.  Monographie 
...  2  Karten  in  1 : 26  000,  14  geolog. 
Landschaftsbilder,  10  Textfig.  u.  tekt. 
Skizzen.  Vin,  195  S.  Stuttg.,  Schwei- 
zerbart 1901.    JL  12- 

■  Ittelearopa. 

Benecke,  K.  W.,  H.  Bücking,  E. 
Schumacher  u.  L.  van  Werveke. 
Geolog.  Fahrer  durch  das  Elsass. 
56  Profile  u.  Abb.  VII,  461  S.  (Samm- 
lung geolog.  Führer.  V).  Berl.,  Born- 
traeger 1900.    JL  8  — 

Eckert,  Chrn.  Rheinschiffahrt  im  19. 
Jahrh.  III,  XIX,  450  S.  (Staats-  u. 
socialwiss.  Forsch. ;  hrsg.  v.  G.  Schmoller. 
Bd.  19,  Heft  5).  Leipz.,  Duncker  & 
Humblot  1901.    JL  10.60. 

Exner,  Fei.  M.  Messungen  der  tu  gl. 
Temperaturschwankungen  in  verschie- 
denen Tiefen  des  Wolfgangsees.  3  Fig. 
18  S.  SA.  Wien,  Gerold's  Sohn  Komm. 
1900.    JL  —.60. 

Gürich,  G.  Geolog.  Führer  in  das 
Riesengebirge.  24  Abb.  u.  8  Taf.  X, 
301  S.  (Sammlung  geolog.  Führer.  VI). 
Berl.,  Borntraeger  1900.    JL  6.60. 

Polis,  P.  Die  Luftdruckverhaltnisse  v. 
Aachen.  Fig.  10  S.  SA.  4°.  Karlsr., 
Braun  Dr.  1900.    .H.  1.20. 

Richter,  Ed.  Geomorphologische  Unter- 
suchungen in  den  Hochalpen.    6  Tat'., 


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HS  Neue  Hüther 

14  Fig.  VI.  103  S.  (Petenn.  Mitteilen; 
Erg.  -  heft  132).  Gotha,  J.  Perthes  1900. 

6.40. 

Sachsen,  die  Provinz,  in  Wort  u.  Bild; 

hrsg.  v.  dem  Pestalozziver.   d.  Prov. 

Sachseu    200  Abb.    IV,  476  S.  Beil.; 

Leipz,  Klinkhardt  1900.    .H  4.50. 
Thüringen  in  Wort  u.  Bild;  hrsg.  v. 

den  Thüringer  Pestalozziver.    150  Abb. 

IV,  476  S.    Berl.;  Leipz.,  Klinkhardt 

1900.  .H.  4  .50. 

W  a  h  n  s  c  h  a  f  f  e ,  J.  Die  Ursachen  der  Ober- 
Hächengestaltung  des  norrddeutachen 
Flachlandes.  2.  Aufl.  gr.  8.  IV u.  258  S. 
mit  9  Beilagen  und  33 Textillustrationen. 
Stuttgart,  J.  Engelhorn  1901    .H  10.—. 

Waltenberger,  E.  Specialkarte  der 
Rofan-Gruppe  '(Sonnenwend  -  Gebirge)' 
u.  Umgebung  des  Achen-Sees.  1 : 50000. 
43,5  x  37  cm.  Farbdr.  München.  Lin- 
dauer 1900.  1.50. 

AnleB. 

Dubois,  Rob.  Le  Tonkin  en  1900. 
Carte,  all .  32«  S.  4°.  Par.,  May 
(190OJ.    Fr,  37.50. 

F  u  1 1  e  r e  r ,  K.  Durch  Asien.  Erfahrungen, 
Forschungen  u.  Sammlungen  während 
der  von  Amtmann  Dr.  Holderer  unter- 
nommenen Reisen.  Bd.  I:  Geograph. 
Charakter -Bilder.  Lex. -8  mit  203  Ab- 
bildgn  im  Text,  42  Tafeln  u.  1  Über- 
sichtskarte.   Berlin,   Dietrich  Reimer 

1901.  geb.  20.—. 

Jaeger,  Franz.  Eine  Reise  nach  Ost- 
asien: Ostindien,  China  u.  Japan.  Tage- 
buch eines  Schiffsarztes.  VI,  111  S. 
Schwab.  Hall,  German  1900.    JL  1.50. 

Keller,  Ad.  Eine  Sinai-Fahrt.  Abb.  u. 
Karte.  XI,  170  S.  Frauenf,  Haber 
1901.    M.  3.20. 

Navarra,  B    China  u.  die  Chinesen  .  .  . 

15  Kunstbeil.,  60  Bildertaf.,  III.  VIII, 
566  S.  Bremen.  Nüssler  1901.  JL  10  — 

Ravenstein,  E.  G.  Map  of  the  Indian 
empire,  incl.  Ceylon  and  the  Straits 
Settlements.  1:5000  000.  With  an 
index  and  gazetteer.  Lond,  Philip  k  S. 
1900.    12  8.  6  d. 

Schneller,  Ludw.  Aus  meiner  Reise- 
tasche; Wanderbuchnotizen  aus  Palä- 
stina. Abb.  264  S.  Leipz.,  Wallmann, 
Komm.  1900.    JL  3.60. 

Wae  bor,  Cb.  Map  of  North  -  Eastern 
China.  2.  ed.  4  Bl.  Farbdr.  67,6x46  cm. 
St.  Petersbg;  Hambg,  Friederichsen  C. 
Komm.  1900.  18.— 


und  Karten. 

Wolf,  Eug.  Meine  Wanderungen.  Ulm 
Innern  Chinas.  67  III.,  1  färb.  Karte, 
Bildn.  1—6.  Taus.  298  S.  Stuttg, 
Deutsche  Verl.-Anst,  1900.    JL  5  — 

Zwemer,  S.  M.  Arabia,  the  cradle  ot 
Islam;  studies  in  geography,  peojde  and 
politics  .  .  .  III.  Chicago,  Lond.  1900 
10  b.  6  d. 

Afrika. 

Bach  mann,  F.  Süd- Afrika;  Reisen,  Er- 
lebn.  u.  Beob.  während  eines  6jähr. 
Aufenth.  in  der  Kapkol.,  Natal  u.  Pon- 
doland.  Titelbild.  VU,  219  S.  Berl, 
Eichblatt  1900.    ,H  3.—. 

Böhler,  H.  Karte  von  Ost-Usambara  . . . 
1897  99.    1  :  50  000.   Photolith.  u  Färb 
druck.   71,6  x  75  cm    Berl.,  D.  Reimer 
1900.    JL  3.—. 

Fischer,  Theob.    Wissenschaftl.  Ergeb- 
nisse  einer   Reise  im  Atlas- Vorlande 
von  Marokko    4  Taf.    165  S  'Peterm 
Mitteilgn;  Erg. -heft   188).    Gotha,  J. 
Perthes  1900.    ,£  9.-. 

Hermann,  Ernst.     Viehzucht  u.  Boden- 
kultur in  Südwestafrika;  zugleich  Hat 
geber  für  Auswanderer.    Berlin,  Deut- 
scher Kolonial- Verlag  1900.    IV,  95  S. 

K o  1 1  m  a  n  n ,  Paul.  Auf  deutschem  Boden 
in  Afrika;  ernste  u.  heitere  Erlebnisse 
Abb.  383  S.  Berlin,  Schall  1901. 
.«  4.—. 

Kunowski  u.  Petzdorff,  Der  Krieg  in 
Südafrika.  Tl  III:  Vom  Eingreifen  des 
Feldmarschalls  Lord  Robert«  bis  zur 
Aunectirung  Transvaals  durch  die  Eng- 
länder. IV,  137  S  5  Karten,  4  Skizzen, 
mehrere  Skizzen  im  Text  u.  2  Anlagen. 
Leipz,  Zuckschwerdt  C.  1901.  .«4.-. 

Lahache,  J.  E.  Etüde  hydrologique  sur 
le  Sahara  franc.  oriental.  These.   9  pl 
136  S.    Le  Mans,  Par.  1900. 

Schlechter,  K.  Westafrikanische  Kaut- 
schuk-Expedition 1899/1900.  VI  u. 
826  S.  mit  13  Taf.  u.  14  Ahbildgn  im 
Text.  Berlin,  Kolonial  -Wirtschaftliche« 
Komitee  1900.    ,«  12  — 

Vallentin,  Wilh.  Transvaal;  das  Land 
u.  seine  Urbevölkerung.  2.  A.  1  Karte, 
79  III.  229  S  (Vallentin:  Die  Gesch. 
der  Süd  -  Afrikan.  Republik.  Bd  1). 
Berl,  Walther  1901.    JC  8.—. 

Wilkin,  Anth.  Among  the  Berbers  of 
Algeria.  Sketch-map,  ilL  XIV,  264  S. 
Lond,  Unwin  1900.    16  s. 


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Zeitschriftenschau 


119 


Aaatrallarhe  Ianeln. 

Schumann,  Karl,  u.  Karl  Lauterbach. 
Die  Flora  der  deutschen  Schutzgebiete 
in  der  Südae«.  1  Karte,  1  Doppel-Taf., 
22  Taf.  XVI,  613  S.  Leipz.,  Born- 
traeger  11)00.     JL  40.—. 

Stevenson,  lt.  L.  In  the  South  Seas; 
account  of  experiences  and  observat.  in 
Marquesas,  Puumotus  and  Gilbert  Is- 
lands during  .  .  .  1888  und  1889.  352  S. 
Lond.,  Chatto  1900.    6  s. 

Nord-  and  XltteUmerlk*. 

Burckhardt,  C.  Profils  geologiques 
Transveraaux  de  la  Cordillere  Argentino- 
Chilienne.  Stratigraphie  et  Tectonique. 
Anales  del  Museo  de  la  Plata.  Secc. 
(ieolog.  y.  min.  U.  4.  130  8.  32  Taf. 
La  Plata  1900. 

Doflein,  Franz.    Von  den  Antillen  zum 
fernen     Westen;    Reiseskizzen  eines 
Naturforschers.     Abb.     VTI,    ISO    S.  ! 
Jena,  Fischer  1901.    JL  5.—. 

James,  G.  W.  In  and  around  the  Grand 


Canyon  of  the  Colorado  River  in  Ari- 
zona.   III.    Boston,  Lond.  1900.    15  s. 

Topographie  Atlas  of  the  United 
States  Physical  Geography  of  the  Texas 
Region  by  R.  Hill.  Folio.  12  S.  11  taf. 
Washington.  U.  S.  Geolog.  Survey  1900. 
UeographUrhe  r  t'nterrleht. 

Charakterbilder,  geographische,  aus 
Schwaben;  hrsg.  v.  E.  Hörle,  gemalt 
v.  Paul  Schmalzried.  Nebst  Text. 
1.  Reihe,  Bl.  1—3,  5.  Farbdr.  80x60 
cm.  Stuttg.,  Hobbing  &  Büchle  1900. 
Einzeln  zu  JL  3  — ;  6  Bl.  zusammen 
JL  12.—.  fl:  Lichtenstein  mit  Echatz- 
thal.  —  2:  Nebelhöhle.  —  3:  Hohen- 
zollern.  —  5:  Uraeher  Wasserfall  und 
Umgebg]. 

Min  n  Uli.  F.    Soluzione  grafica  di  al- 

cuni  problemi  di  geografia  matematica. 

60  S.  5  Taf.  Torino,  Paravia  Comp.  1900. 
Ule,  Willi.    Grundriss  der  allgemeinen 

Erdkunde.    Mit  67  Fig.    VIII,  395  S. 

Leipz.,  Hirzel  1900.    JL  9.—. 


Petermann's  Mitteilungen  1900.  XII. 
Heft.  Anz:  Durch  die  Halbinsel  Schan- 
tung  nach  Tsingtau  1*99.  —  Mitzopulos: 
Die  Erdbeben  in  Tripolis  und  Triphylia 
1898  und  1899.  —  Pompeckj:  Jackson's 
Forschungen  auf  Franz  Joseph-  Land.  — 
Der».:  Wissenschaftliche  Ergebnisse  von 
Nansens  Polarexpedition.  —  Uhlig:  Geo- 
logische Karte  des  Böhmischen  Mittel- 
gebirges. —  v.  Dechy:  Die  Gesellschaft 
von  Liebhabern  der  Erforschung  des 
Kul  »an  -  Gebietes.  —  Tornquist:  Zur 
Geologie  von  Klondike.  —  Zimmerer: 
Zum  Nationalitätenkampf  in  Macedonien. 

Dass.  Ergänzung«  -  Heft  No.  133: 
Fischer:  Ergebnisse  einer  Reise  im  At- 
las-Vorlande von  Marokko. 

Globus.  Band  LXXVIII.  Nr.  23. 
Krämer:  Ein  Besuch  von  Gran  Canaria. 
—  Winternitz:  Völkerkunde,  Volks- 
kunde und  Philologie  II. 

Dass.  Nr.  24.  Heilboru:  Zur  Volks- 
kunde von  Hiddensoe.  —  And  reo:  Er- 
innerungen an  Otto  Kersten.  —  Bosni- 
scher Bäuerinnen  -  Kopfschmuck  aus  Sre- 
benica.  —  Ein  chinesischer  politischer 
Bilderbogen.  —  Sapper:  Cecilie  Seier  auf 
alten  Wegen  in  Mexiko  und  Guatemala. 

Dass.    Bd.  LXXIX.    Nr.  1:  Pleytc: 


tenschan. 

Die  Mentawei-Inseln  und  ihre  Bewohner. 

—  Krause:  Die  Schraube,  eine  Eskimo- 
Erfindung?  —  Stenz:  Die  Gesellschaft 
„vom  grofsen  Messer"  i^Boxer).  —  Singer: 
Die  Polarforschung  i.  J.  1900. 

Dass.  Nr.  2.  Ehrenreich:  Wilhelm 
Wundt's  Völkerpsychologie.  —  Pleyte: 
Die  Mentawei-Inseln  und  ihre  Bewohner. 

—  Greim:  Der  westindische  Hurrikan 
vom  1.— 12.  Sept.  1900. 

JJeutscJie  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXIII.  Jahrg.  4.  Heft, 
Röll:  Die  westamerikanische  Hafenstadt 
Tacoma  und  ihre  Umgebung.  —  Jung: 
Die  chinesischen  Boxer.  —  Zweck:  Die 
Bernsteingruben  nördlich  von  Polangen. 

—  Braun:  Heide  und  Scrub  im  propon- 
tischen  Gebiete.  —  Reiner:  Die  Babia 
Göra. 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde  1900. 
5.  Heft.  Wang:  Die  Wildbachverbauung 
in  Österreich.  —  Gravelius:  Die  Was- 
sermenge der  Wolga  bei  Ssamara.  — 
G  r  a  v  e  1  i  u  s :  WassermengenrueHsung  in 
Ungarn. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkunde 
zu  Halle  a.  d.  6'.  1900.  Gerbing:  Die 
frühere  Verteilung  von  Laub-  und  Nadel- 
wald im  Thüringerwald.   —  Schmidt: 


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120 


ZeiUchriftenschau. 


Die  Siedlungen  an  der  Hainleite,  Schmücke- 
Schrecke  und  Finne.  —  Lorenz:  Die 
Hydrographie  den  Elbgystenis.  —  Kirch- 
hoff: Der  Brocken  als  Geisterberg.  — 
Stade:  Winterbilder  vom  Brocken.  — 
Toepfer:  Phänologische  Beobachtungen 
in  Thüringen  1890 

Jahresberichte,  geographische,  ülter  Oster- 
reich. Redig.  von  K.  Sieger.  III.  Jahrg. 
18%.  8.  VIU  u.  138  S.  Wien,  Hölzel 
1901.  3.50. 

The  Geographical  Journal.  Vol.  XVTI. 
No.  I.  Moore:  Tanganyika  and  the 
Countries  north  of  it.  —  Fergusson: 
Methods  used  in  Surveying,  and  Oeneral 
Notes.  —  Sir  Harry  Johnston 's  Ilecent 
Journeys  in  the  Uganda  Protectorate.  — 
Chesnaye:  A  Journey  from  Fort  Jame- 
son  to  the  Kafue- River.  —  Nathorst: 
On  the  Map  of  King  Oskar  Fjord  and 
Kaiser  Franz  Josef  Fjord  in  North -Ea- 
stern  Greenland.  —  Marr:  The  Origin  of 
Moels,  and  their  Subsequent  Dissection. 

77k  Scottish  Geographical  Magazine. 
Vol.  XVI.  No.  12.  Murray:  On  the 
Deposits  of  the  Black  Sea.  —  Mt.  St. 
Elias:  A.  Review.  —  The  Duke  of  Argyll. 

Dm».  Vol.  XVII.  No.  1.  —  Com  iah: 
On  the  Formation  of  Wave  Surfaces  in 
Sand.  —  Koettlitz:  From  Para  to  Ma- 
naos.  —  Begg:  Review  of  the  Alaska 
Boundary  Review.  —  History  of  the 
Highlands. 

La  Geographie  1900.  No.  12.  Dis- 
cours de  M.  Grandidier  dans  la  Seance 
solennelle  de  la  Socidte  de  Geographie 
du  6  de'eembre  1900.  —  Communication 
de  M.  Foureau.  —  Discours  de  M.  Ley- 
gues.  —  Hautreux:  La  töte  des  Lan- 
des de  Gascogne.  —  Les  travaux  du 
„Coast  and  Geodetic  Survey"  des  Etats 
Unis  dans  l'Alaska  de  1867—1900.  — 
Ned  Noll:  Note  sur  la  cartographie  du 
Dahouiey.  —  Marcel:  Le«  navigations 
des  Franvais  dans  les  mers  du  Sud  au 
debut  du  XVIII  siecle. 

BAv.  Geogr.  Ital.  VII.  Dezemberheft. 
Puini:  Viaggio  nel  Tibet  del  P.  Ippolito 
Desideri.  —  Porena:  Le  scoperte  Geogra- 
tiche  del  Secolo  XIX.  —  Marinelli:  Un 
esempio  nostrale,  a  proposito  di  monografi 
locali. 

Ymer.  1900.  3.  Heft.  Theel:  Uber 
„Bipolarität"  in  der  Ausbreitung  der 
Meeresorganismen.  —  Eregreiss:  Bei- 
trag zur  Kenntnis  der  Urbevölkerung  Bra- 


siliens (1814— 1816).  —  de  Geer:  über 
die  Ausdehnung  des  Gradmessiuigsnetzes 
über  Süd-  und  Mittelspitzbergen  (m.  K  *. 

—  Nathorst:  Die  bislang  gefundeneu 
Schwimmboyen  der  Andreescheu  Expedi- 
tion (m.  Taf.).  —  Petersson  und  Öster- 
gren:  Wasserproben  von  der  schwedincben 
zoologischen  Polarexpedition  1900.  —  Litte- 
rat ur:  Lundberg:  Uber  die  Verbreitung 
der  schwed.  Binnenseefische.  Notizen  ^dar- 
unter  über  Seenforschung  in  Lappland  etc.). 

The  Naiiotuxi  Geographie  Magazine. 
Vol.  XI.  No.  12.  Knight:  The  Wyo- 
ming Fossil  Fields  Expedition  of  July  1899. 

—  Hilder:  Gold  in  the  Philippines.  — 
Dodge:  The  Teaching  of  Physical  Geo- 
graphy  in  Elementary  Schools.  —  Geo- 
graphy  at  the  British  Association.  — 
Decisions  of  the  U.  S.  Board  on  Geogra- 
phical X. Lines. 

The  Journal  of  tichool  Geography. 
Vol.  II.  No.  10.  Semple:  Louisville,  a 
Study  in  Economic  Geography.  —  King: 
Striking  Characteristics  of  Certain  Cities. 

—  Cleeve:  A  System  of  Comparing  Geo- 
graphical Distances. 

Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 


Credner,  H.  Die  vogtländischen  Erd- 
bebenschwärme während  des  Juli  und 
des  August  1900.  44  S.  1  Tab.  4  Karteu. 
Abdr.  a.  d.  Her.  d.  niath.  phys.  Cl.  d. 
Kgl.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  z.  Leipzig 
1900. 

J entsteh,  A.  Der  vordiluviale  Unter- 
grund des  nordostdeutschen  Flach- 
landes. 19  S.  1  Karte.  Jahrb.  d.  k. 
pr.  geol.  Landesanstalt  1899. 

Jentzsch,  A.  Nachweis  d.  beachtens- 
werten und  zu  schützenden  Bäume, 
Sträucher  und  erratischen  Blöcke  i.  d. 
Prov.  Ostpreul'sen.  IX,  160  S.  17  Taf. 
4°.  Beitr.  z.  Naturk.  Preussens.  8. 
(Phys.  vek.  Ges.  z.  Königsberg.) 

Oberhummer,  Eug.  Die  deutsche  Süd- 
polarexpedition. Zweiter  Bericht.  Mit 
1  Karte  i.  Farbendruck.  Jahresb.  d. 
geogr.  Ges.  in  München.  1898  99. 
18.  Heft. 

Oberhummer,    Eug.  Nachträgliches 

zur  Aventinkarte.    Jahresb.  d.  geogr. 

Ges.  i.  München  1898/99.    18.  Heft. 
Richter,  E.  Les  variations  periodiques 

des  glaciers.   Uinquieme  rapport.  1899. 

20  S.    Archires  des  sciences  physiques  et 

naturelles.    T.  X.  1900. 


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Verantwortlicher  Herausgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heidelberg. 


» 

Wissenschaftliche  Luftfahrten 


Von  J.  Hann. 

Mit  grofser  Spannung  habe  ich,  und  haben  wohl  auch  die  meisten  meiner 
Faehkollegen  in  den  letzten  Jahren  der  Publikation  der  Ergebnisse  der  Be- 
obachtungen bei  den  Ballonfahrten  des  Deutsehen  Vereins  zur  Förderung  der 
Luftschiffahrt   in  Berlin   entgegengesehen.     Die   bei   einigen  dieser  Fahrten 
gewonnenen  Ergebnisse  siud  allerdings  schon  früher  gelegentlich  in  der  „Zeit- 
schrift für  Luftschiffahrt4'  veröffentlicht   worden,   dieselben   waren  auch  ge- 
eignet, das  Interesse  für  eine  zusammenlassende  Bearbeitung  zu  erhöhen.  In 
dem   ziemlich  langen  Zeitraum,   den   die  Berechnungen  und  die  Diskussion 
dieser  Beobachtungen  im  Ballon  und  deren  Drucklegung  notwendig  in  Anspruch 
genommen  haben,  begannen  zwei  neue  Methoden  der  Erforschung  der  höheren 
Luftschichten,  jene  mittelst  Drachen  und  mit  unbemannten  Ballons,  denen 
Registrier-Instrumente  angehängt  waren,  die  Aufmerksamkeit  der  wissenschaft- 
lichen Kreise  besonders  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen.    Um  die  meteoro- 
logische Erforschung  der  höheren  Luftschichten  mittelst  Drachen  hat  sich 
namentlich  der  Amerikaner  L.  Rotch  auf  seinem  Privat-Observatorium  auf 
dem  Blue  Hill   bei  Boston  verdient   gemacht1),  Leon  Teisserenc   de  Bort 
hat  diese  Beobachtungsmethode  auf  seinem  Observatorium  zu  Trappes  bei 
Paris  gleichfalls  aufgenommen.    Es  ist  diesen  beiden  thatkrüftigen  Männern, 
welche  ihren  Wohlstand  in  seltener  Weise  der  Wissenschaft  förderlich  zu 
machen  verstanden  haben,  die  erstaunliche  Leistung  gelungen,  mittelst  eines 
Kinderspielzeuges,  möchte  man  sagen,  Instrumente  bis  über  Montblanchöhe 
in  die  Atmosphäre  hinaufzusenden  und  aus  diesen  Höhen  Registrierungen  des 
Luftdruckes,  der  Temperatur  und  Feuchtigkeit  zu  erhalten.     Teisserenc  de 
Bort   hat  überdies  in  den  letzten  3  Jahren  noch  eine  andere  Methode  zur 
Erforschung  der  höchsten  Luftschichten,   die   mit   bemannten  Ballons  kaum 
oder  gar  nicht  mehr  zu  erreichen  sind,  mit  dankenswerter  Ausdauer  in  Au- 
wendung gebracht.    Mit  Wasserstoffgas  gefüllten  Papier-  oder  Seidenballons 
von  circa  60  (bis  zu  400)  Kubikmeter  Kauminhalt  werden  leichte  Hegistrier- 
Instrumento  angehängt  und  die  Ballons  dann  steigen  gelassen2).  Dieselben 

1)  Blue  Hill  Met.  Observatory.  Exploration  of  the  air  by  means  of  Kites. 
Cambridge.   I8D7.  • 

2)  R^gistrier-Ballons  „Ballons  Höndes-',  Pilot  Ballons,  wurden  zuerst  in  Frank- 
reich zur  Erforschung  der  höheren  Luftschichten  verwendet,  namentlich  haben  sich 
G.  Hermite  und  G.  Besaneon  um  die  Einführung  dieser  Methode  verdient  gemacht, 
die  auch  von  dem  Berliner  Verein  mehrfach  mit  Erfolg  angewendet  worden  ist. 
Am  7.  Juli  18114  erreichte  der  Ballon  Citrus  wenigstens  1<>  km  Höhe,  Tcmp.  —53°, 
am  6.  Sept.  18«J4  17  km,  Tcmp.  in  12,6  km  —  Ü8°,  am  14.  April  l*y7  Cirrus  II. 
14,5  km  —42°.  Min  aber  —  53  in  13,9  km  etc. 

Ücographitche  ZeiUcUrift,  7.  Jahrgang  IML  3  Heft  9 


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122  J.  Hann: 

■ 

erreichen  zumeist  10  km  Höhe  (und  mehr)  und  fallen  dann  wieder  nach 
einigen  Stunden  auf  die  Erde  herab.  Worden  sie  gefunden,  und  sind  die 
Instrumente  unversehrt,  was  zumeist  der  Fall  ist,  so  geben  die  Aufzeichnungen 
des  Luftdruckes  und  der  Temperatur  uns  Kunde  von  den  Wiirmeverhältnissen 
in  den  gröfsten  Höhen  der  Atmosphäre.  Teisserenc  de  Bort  hat  kürzlich 
einige  vorlaufige  Ergebnisse  von  mehr  als  240  solcher  Ballonaufstiege  mit- 
geteilt. 

Es  könnte  nach  dem  Gesagten  scheinen,  dafs  der  Zeitpunkt  der  Ver- 
öffentlichung der  Ergebnisse  der  Berliner  Fahrten  mit  bemannten  Ballons 
(Hochsommer  1900)  nicht  mehr  günstig  gewesen  und  dafs  das  Interesse  an 
den  Resultaten  sich  schon  abgeschwächt  habe. 

Das  ist  nun  aber  keineswegs  der  Fall.  Abgesehen  davon,  dafs  das  vor- 
liegende grofse  Prachtwerk *),  welches  mit  Unterstützung  des  deutschen  Kaisers 
erschienen  und  demselben  gewidmet  ist,  für  die  Technik  der  Ballonfahrten 
und  namentlich  der  wissenschaftlichen  Ballonfahrten  von  grundlegender  Be- 
deutung ist,  hierbei  also  keiner  Konkurrenz  von  Seiten  der  oben  erwähnten 
neuen  Unternehmungen  unterliegt,  sind  auch  die  Beobachtuugsergebnisse  in 
einer  Form  mitgeteilt,  wissenschaftlieh  bearbeitet  und  diskutiert,  welche  jede 
Konkurrenz  aus  dem  Felde  schlägt, 

Wir  gestehen,  dafs  der  HL  Band  des  Werkes,  welcher  der  Darstellung  der 
Hauptergebnisse  gewidmet  ist,  unsere  hochgespannten  Erwartungen  weit  über- 
troffen  hat,  namentlich  durch  die  Thatsache,  dafs  es  den  Bearbeitern  gelungen 
ist,  aus  den  bei  blofs  75  Fahrten  gewonnenen  meteorologischen  Beobachtungen 
so  viele  allgemein  giltige  Resultate  von  gröfster  Bedeutung  für  die  Physik  der 
Atmosphäre  abzuleiten. 

Was  man  von  jeher  als  eine  grofse  Schwierigkeit  oder  Beschränktheit  bei 
der  Erforschung  der  höheren  Luftschichten  mittelst  bemannten  Ballons,  deren 
Aufstiege  zu  sehr  grofsen  Höhen  ja  doch  aus  mehrfachen  Gründen  nicht  sehr 
häutig  erfolgen  können,  hat  ansehen  müssen,  dafs  auf  diesem  Wege  nur  Stich- 
proben von  den  Zuständen  in  grofsen  Höhen  der  Atmosphäre  erhalten  werden 
können,  hat  durch  «Iiis  Ergebnisse  der  Berliner  Ballonfahrten  und  deren  wissen- 
schaftliche Verwertung  eine  mehr  als  blofs  teilweise  Widerlegung  gefunden. 
Allerdings  spielte  dabei  auch  ein  glücklicher  Zufall  mit,  indem  die  Mittel- 
werte aus  den  Temperaturen  der  Aufstiegtage  den  mittleren  Temperatur- 
verhältnissen der  Umgebimg  von  Berlin  sehr  nahe  kommen.  Aber  es  war 
auch  vom  Anfange  an  darauf  abgesehen,  die  Fahrten  thunlichst  gleiehmäfsig 
auf  alle  Jahreszeiten  zu  verteilen  und  auch  auf  verschiedene  Witterungslagen 
auszudehnen.  Dafs  aber  das  Bchlufsergebnis  den  mittleren  Verhältnissen  so 
nahe  kommt,  konnte  nicht  vorausgesehen  werden. 

Um  nicht  zu  wTeit  zu  gehen,  müssen  wir  gleich  hinzusetzen,  dafs  in  Be- 
zug auf  die  Witterungslagen  eine  volle  Vertretung  derselben  nicht  erreicht 
wurde  und  nicht  erreicht  werden  konnte.  Dies  wird  in  der  That  wohl  immer 
eine  Beschränktheit  der  Beobachtungen  mit  bemannten  Ballons  bleiben.  Bei 

1)  Wissenschaftliche  Luftfahrten,  ausgeführt  vom  Deutschen  Verein  zur  Förderung 
der  Luftschiffahrt  in  Berlin.  Herausgegeben  von  Richard  Afsmann  und  Arthur  Berson. 
Drei  CJuartbände.   Braunschweig,  Vieweg.  1900. 


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Wissenschaftliche  Luftfahrten. 


123 


stürmischem  schlechtem  Wetter  können  grofse  Ballons  nicht,  aufsteigen,  wie 
der  6.  Dezember  1900,  ein  Termintag  der  internationalen.  Simultan  fahrten, 
wieder  gezeigt  bat.  Auch  die  Registrier-Ballons  (Ballons  soudes)  können  hei 
stürmischem  schlechtem  Wetter  mit  Regengüssen  oder  dichtem  Schneegestöher 
nicht  aufsteigen,  oder  mindestens  keine  sehr  grofsen  Höhen  erreichen.  Insofern 
werden  demnach  die  Mittelwerte  aus  Ballonbeobachtungen  oder  Registrierungen 
mit  den  Mittelwerten  aus  den  Beobachtungen  auf  Berggipfeln  in  gleicher 
Höhe  nicht  völlig  konkurrieren  können,  weil  hei  ersteren  die  stürmischen  und 
ganz  schlechten  Witterungslagen  nicht  vertreten  sind.  Einige  Differenzen 
zwischen  den  mittleren  Beobachtungsergebnissen  auf  Bergen  und  jenen  in 
Luftballons  in  gleicher  Höhe  erklaren  sich  aus  diesem  Umstände.  . 

Ich  mufs  mich  in  dieser  kleinen  Abhandlung  darauf  beschränken,  den 
Lesern  der  „Geographischen  Zeitschrift"  die  für  die  Geophysik  oder  spezieller 
die  für  die  Physik  der  Atmosphäre  wichtigsten  allgemeinen  Ergebnisse  der 
wissenschaftlichen  Luftfahrten  in  knapper  Darstellung  mitzuteilen.  Diese  Er- 
gebnisse sind  in  mustergiltiger  Form  in  dem  III.  Bande  des  Werkes  zusammen- 
gestellt worden.  Auf  diesen  mufs  sich  deshalb  unsere  Aufmersamkeit  kon- 
zentrieren. Aber  wir  dürfen  es  doch  nicht  unterlassen,  auch  einen  flüchtigen 
Blick  auf  den  Inhalt  des  ersten  und  zweiten  Bandes  zu  werfen,  was  uns  die 
eigentliche  Aufgabe  erleichtern  wird. 

Der  Inhalt  des  ersten  Bandes  (Geschichte  und  Beobachtungsmaterial 
362  S.  und  76  Tafeln  graphischer  Darstellungen  von  R.  Afsmann,  A.  Berson 
und  H.  Grofs)  entspricht  dem  Charakter  des  grofs  angelegten  Werkes,  indem 
er  uns  in  die  Geschichte  der  wissenschaftlichen  Luftfahrten  einführt  und 
uns  auch  speziell  mit  den  Forschungsmitteln  des  Deutscheu  Vereins  zur 
Förderung  der  Luftschiffahrt  in  Berlin  bekannt  macht  (das  Ballonmaterial 
von  Hans  Grofs,  das  Instrumentarium  und  die  Beobachtungsniethoden  von 
Rieh.  Afsmann,  die  Berechnungs-  und  Reduktions  -  Methoden  von  Arthur 
Berson).  Auf  150  Seiten  werden  ferner  die  sämtlichen  Beobachtungen 
bei  75  Luftfahrten  und  die  Registrierungen  einiger  unbemannter  Ballons 
vollständig  mitgeteilt,  und  daran  schliefsen  sich  graphische  Darstellungen 
aller  Fahrten  (von  H.  Grofs  und  A.  Berson),  welche  für  eine  weitere  Ver- 
wertung der  Beobachtungen  von  ganz  besonderem  Nutzen  sind.  Die  erste 
Abteilung,  welche  eine  Übersicht  über  alle  Ballonfahrten  zu  wissenschaftlichen 
Zwecken  vom  1.  Dezember  1783  an  bis  zum  Jahre  1887  giebt  und  zum 
Teil  auch  kurz  deren  Ergebnisse  zusammenfaßt,  gelangt  zu  dem  betrübenden 
Ergebnis,  dafs  alle  älteren  Temperaturaufzeichnungen  im  Ballon  (sowie  auch 
jene  der  Luftfeuchtigkeit)  bis  zu  den  späteren  Berliner  Fahrten  (1888) 
gröfstenteils  unbrauchbar  sind,  weil  die  Thermometer  unter  dem  Einflüsse  der 
Sonnenstrahlung  und  der  Nähe  der  Beobachter  im  Ballon  zu  hohe  Temperaturen 
angegeben  haben. 

Schon  bei  den  Temperaturbeobachtungen  an  den  festen  Stationen  auf  der 
Erdoberfläche  bereitet  es  grofse  Schwierigkeiten,  die  Thermometer  so  auf- 
zustellen, dafs  sie  nicht  der  Wärme-Einstrahlung  oder  -Ausstrahlung  unter- 
liegen und  infolgedessen  Angaben  liefern,  die  von  der  Temperatur  der  Luft 
erheblich  abweichen. 


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124 


J.  Hann: 


Im  Ballon,   namentlich   in  grofsen  Höhen  über  der  Erdoberfläche,  wird 
der  Eint! uls  der  Sonnenstrahlung  auf  die  Thermometer  so  machtig,  dafs  die- 
selben  ohne  ganz  besondere  Vorkehrungen  zur  Abwendung  desselben  viel  zu 
hohe  Temperaturen   angeben.    Die  Ursache  davon   ist  erstlieh  die  Zunahme 
der  Intensität   der  Sonnenstrahlung  mit  der  Höhe1)  und  zweitens  der  Um- 
stand, dafs,  weil  der  Ballon  mit  dem  Luftstrom  treibt,  in  und  um  denselben 
völlige  Windstille   herrscht,  kein  Luftzug  die  Thermometer  abkühlt  und  sie 
der  wahren  Lufttemperatur  naher  bringt.    An  der  Erdoberfläche,  namentlich 
auf  Beigen,  fehlt  eine  kräftige  Luftströmung  selten,  die  Sonnenstrahlung  ist 
weniger  kräftig  und  die  Vorkehrungen  zu  deren  Abhaltung  leichter  zu  be- 
schaffen.   Es  mufs  befremdend  erscheinen,  dafs  man  früher  diese  sehr  störende 
Fehlerquelle  bei  den  Temperaturmessungen  im  Ballon  nicht  beachtet  hat. 
Nur  Welsh  machte  eine  Ausnahme,  welcher  bei  seinen  Ballonfahrten  1852, 
die  bis  7000  m  Höhe  hinaufreichten,  ein  Thermometer  mit  künstlicher  Venti- 
lation verwendete  und  so  auch  richtige  Temperaturen  erhielt2).    Dagegen  hat 
J.  Glaisher  bei  seinen  berühmten  mit  so  viel  Mut  unternommenen  28  Hoch- 
fahrten 1862/66  (die  Balloutechnik  hatte  ja  damals  noch  nicht  die  jetzige 
hoho  Vollendung  erreicht),  bei  denen  er  einmal  eine  Höhe  von  circa  8700  m 
erreichte,  der  Ventilation  seiner  Thermometer  keine  Beachtung  geschenkt  und 
sieh  damit  um  die  Erfolge  seiner  nach  Zahl  und  erreichten  Höhen  einzig  da- 
stehenden wissenschaftlichen  Ballonfahrten  gebracht8}.    Mehr  als  20  Jahre 
ruhten  dann  die  wissenschaftlichen  Ballonfahrten,  man  darf  sagen,  ganz,  und 
die  bei   Glaishers  Fahrten   gewonnenen  Beobachtungsergebnisse  bildeten  un- 
angefochten  den  Grundstock  unserer  Kenntnisse  von  den  Temperaturverhiilt- 
nissen   der  gröfseren  Höhe  der  freien  Atmosphäre.    Man  findet  sie  in  allen 
Lehrbüchern,  und  sie   wurden   als  Grundlage   vielfacher  Berechnungen  und 
Theorien  genommen. 

Erst  die  Ballonfahrten  des  Berliner  Vereins  zur  Förderung  der  Luft- 
schifffahrt gaben  einen  neuen  Impuls  zur  wissenschaftlichen  Erforschung  der 
höheren  Luftschichten  und  zur  Herstellung  der  hierzu  dienlichen  Instrumente. 
Welsh'  Vorrichtung  zur  künstlichen  Ventilation  der  Thermometer  war  in 
Vergessenheit  geraten.  R.  Afsmauu  hat  das  Verdienst,  dieselbe  neu  erfunden 
und  wesentlich  verbessert  zu  haben,  wobei  ihn  v.  Siegsfeld  unterstützte. 
Das  neue  verbesserte  Aspirationsthermometer  von  Afsmann  gestattet  in  vollem 
Sonnenschein  richtige  Lufttemperaturen  zu  beobachten,  und  mit  der  Ver- 
wendung desselben  beginnt  die  neue  Ära  der  wissenschaftlichen  Ballon- 
fahrten4). 

Noch  eine  andere  Fehlerquelle,  der  die  Temperaturmessungen  bei  den 

1)  In  grofsen  Höhen  der  Atmosphäre  wird  die  Sonnenstrahlung  selbst  bei  den 
dort  herrschenden  niedrigen  Lufttemperaturen  den  Luftschiffern  sehr  lästig. 

2)  Einen  Bericht  über  diese  Ballonfahrten,  die  einzigen  wissenschaftlich  verwert- 
baren vor  1888,  hat  Petermann  in  den  Geograph.  Mitt.  1856  gegeben. 

3)  Die  Beobachtungen  während  derselben  sind  in  den  Reports  of  British 
Association  1862  06  veröffentlicht  worden. 

4)  Das  Thermometer  von  Afsmann  erhält  nicht  nur  eine  kräftige  Luftzufuhr, 
es  ist  überdies,  und  dus  ist  wesentlich,  durch  doppelte  Metallhülsen,  von  welchen 
die  äufsere  hoch  poliert  ist,  gegen  die  «Strahlung  fast  vollständig  geschützt. 


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 —  < 


Wissenschaftliche  Luftfahrten.  125 

früheren  Luftfahrten  ausgesetzt  waren,  wurde  bei  den  neueren  Berliner 
Fahrten  vermieden,  das  ist  die  Anbringung  der  Instrumente  im  Korbe  selbst. 
Die  Nähe  der  Beobachter,  die  Erhitzimg  des  Korbes  und  seines  Inhaltes 
durch  die  Sonnenstrahlung  mufsten  die  Thermometer  im  Sinne  zu  hoher 
Ablesungen  beeinflussen.  Die  Thermometer  werden  jetzt  ca.  ll/2  m  vom 
Korbrande  angebracht  und  mit  dem  Fernrohr  abgelesen. 

Afsmann  widmet  den  Glaisher'schen  Beobachtungen  und  dem  Nach- 
weis der  Unrichtigkeit  derselben  ein  längeres  Kapitel1).  Es  unterliegt  gegen- 
wärtig keinem  Zweifel  mehr,  dafs  man  bisher  auf  Grund  dieser  Be- 
obachtungen die  Temperatur  in  grolsen  Höhen  der  Atmosphäre  viel  zu  hoch 
geschätzt  hat,  und  dadurch  zu  irrigen  Annahmen  über  das  Gesetz  der  Wärme- 
abnahme mit  der  Höhe  verleitet  worden  ist.  Aus  Glaishers  Beobachtungen 
ergab  sieh  für  7000  m  eine  mittlere  Temperatur  von  —  10.6°,  für  8000  m 
von  —  14.8°,  und  in  der  gröfsten  erreichten  Höhe  ca.  8700  m  (am  5. 
Sept.  1862)  las  Glaisher  noch  —  20.0°  ab,  während  alle  neueren  Beobach- 
tungen übereinstimmend  für  7000  m  schon  eine  Temperatur  von  —  20°, 
für  8000  m  —  38°,  für  9000  m  --  45°  ergaben.  Dr.  Berson  hat  von 
Londou  aus  am  15.  Sept.  1898  zu  dem  besonderen  Zweck  eine  Hochfahrt 
bis  über  8000  m  Höhe  ausgeführt,  um  dem  etwaigen  Einwände  zu  begegnen, 
dafs  die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  in  dem  Seeklima  von  England 
eine  andere  sein  könnte,  als  über  Norddeutschland.  Trotzdem  am  Erdboden 
damals  eine  Temperatur  von  26°  herrschte,  war  die  Temperatur  in  8000  m 
doch  schon  —  31.3°  und  in  8320  m  —  34.1°. 

Ein  interessantes  und  beweiskräftiges  Experiment  wurde  am  3.  Okt.  1898 
von  Berson  und  Süring  ausgeführt.  Sie  beobachteten  bei  einer  Ballon- 
fahrt bis  zu  ca.  7400  m  zugleich  mit  Glaisher  s  Instrumenten  und  deren  Auf- 
stellung im  Korbe  selbst  und  mit  Aspirationsthermometern  aufserhalb  des 
Korbrandes.  Die  ersteren  ergaben  im  Mittel  die  Temperatur  um  15°  C. 
zu  hoch. 

Man  mufs  deshalb  Afsmann  Recht  geben,  dafs  die  älteren  Temperatur- 
Beobachtungen  im  Ballon  wissenschaftlich  wertlos  und  alle  auf  sie  gebauten 
Schlüsse  hinfällig  geworden  sind.  Afsmann  kann  für  sich  das  hohe  Ver- 
dienst in  Anspruch  nehmen,  dies  aufgezeigt  und  die  Mittel  zur  Abhilfe  ge- 
boten zu  haben.  Sein  Aspirationsthermometer  und  dessen  Abkömmlinge  sind 
jetzt  die  Normalinstrumente  für  dio  wissenschaftlichen  Ballonbeobachtungen 
geworden. 

Die  ersten  Fahrten  mit  diesem  neuen  Instrument  wurden  im  Jahre 
18S8  unternommen,  aber  erst  mit  dem  Jahre  1891  begannen  die  systema- 
tischen Freifahrten  zu  wissenschaftlichen  Zwecken. 

Der  umfangreiche  II.  Band  {  706  S.  Autoren  und  auch  Beobachter  im 
Ballon:  Afsmann,  Baschin,  Berson,  Börnstein,  Grofs,  Kremser,  Stade,  Süring). 
enthält   die  Beschreibung  und  die  Ergebnisse   der  einzelnen  Fahrten.  Der- 

lj  Es  ist  dies  vielleicht  das  einzige  in  dem  grofsen  Werke,  das  gegenwärtig 
veraltet  erscheint,  nicht  ho  sehr  dem  Inhalt  als  der  Form  nach.  Die  zu  «ehr 
detaillierten ,  oft  kleinlichen  Zurechtweisungen  des  verdienten  greisen  Forschers 
J.  Glaishers  liest  mau  ungern. 


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128 


J.  Hann: 


selbe  wird  für  lange  Zeit  die  wichtigste  Fundgrube  detaillierterer  Kennt- 
nisse von  den  atmosphärischen  Zuständen  in  grofsen  Höhen  der  freien  Atmo- 
sphäre bilden.  Die  Bearbeitung  der  Ergebnisse  im  III.  Bande  weist  häufig 
auf  denselben  hin  und  beansprucht  nicht,  das  hier  niederlegte  wissenschaft- 
liche Material  schon  vollständig  und  allseitig  verwertet  zu  haben. 

Wir  können  uns  jetzt  unserer  eigentlichen  Aufgabe  zuwenden,  die  Leser 
dieser  Zeitschrift  mit  den  wichtigsten  wissenschaftlichen  Ergebnissen  der  Ber- 
liner Ballonfahrten  vertraut  zu  macheu,  welche  den  Inhalt  des  dritten 
Bandes  des  Werkes  (313  S.)  ausmachen.  Die  vertikale  Verteilung  der 
Lufttemperatur  und  die  Änderung  der  Geschwindigkeit  und  der  Richtung 
des  Windes  mit  der  Höhe  hat  Dr.  Arthur  Berson  bearbeitet,  der  bekannt- 
lich als  Luft  Schiffer  den  höchsten  „Record"  erzielt  hat,  indem  er  am  4. 
Dezember  1894,  noch  dazu  als  alleiniger  Insasse  des  Ballons  „Phönix",  die 
Höhe  von  9155  m  erreichte,  wo  er  eine  Temperatur  von  —  47.9°  beobach- 
tete. Die  Verteilung  des  Wasserdampfes  in  der  Atmosphäre  und  die  Wolken- 
bilduugen  hat  Reinhard  Sflring  bearbeitet,  die  Intensität  der  Sonnenstrahlung 
Richard  Afsmann,  die  Luftelektrizität  Richard  Börnstein  und  zum 
Schlüsse  hat  Wilhelm  v.  Bezold  in  lichtvoller  Weise  von  theoretischen  Ge- 
sichtspunkten aus  die  durch  die  Ballonbeobachtungen  errungenen  Fortschritte 
der  Physik  der  Atmosphäre  dargestellt. 

1.  Die  vertikale  Temperaturverteilung  in  der  Atmosphäre  im  allge- 
meinen. Die  bei  den  bemannten  Ballonfahrten  ausgeführten  Temperatur- 
Ablesungen  geben  zunächst  folgende  Mittelzahlen  für  Höhenintervalle  von  je 
1000  rn.  Zum  Vergleiche  stehen  darunter  die  von  Teisserenc  de  Bort 
mit  seinen  Ballons  sondes  (bis  Mitte  1899)  gewonnenen  Zahlen,  welche  aber 
nur  als  provisorische  gelten  können. 

Temperaturen 

Höhe  0      1     2        3  4  5  6  7  8  ü  km 

Zahl  d.  Beob.    56     56    50       40        3'2         20         11  5  4  1 

Brrlin.  Fahrt.    10.1    5.4  0.5  —  6.0  —  10.3  —  16.6  —  24.2  —  29.4  —  38.3  —  46.4 
Ballons  ßondes    9      5     0     —  l     —   9     —  16     —  21     —29     —  38  (—44%) 

Man  wird  die  Übereinstimmung  dieser  Zahlen  geradezu  merkwürdig 
tiuden  müssen.  Dieselbe  bezeugt,  dafs  wir  schon  zu  recht  verläfslichen  Re- 
sultaten über  die  Temperatur  der  grofsen  Höhen  der  Atmosphäre  gelangt 
sind,  wie  man  sie  bei  der  geringen  Zahl  der  Beobachtungen  nicht  erwarten 
durfte. 

Diese  Übereinstimmung  ist  um  so  überraschender,  als  die  zahlreicheren 
Befunde  aus  grofsen  Höhen  über  X  km,  die  mit  den  Ballons  sondes  erzielt 
worden  sind  (im  Vereiue  mit  den  Ergebnissen  der  neuesten  simultanen  Ballon- 
fahrten, die  in  dem  grofsen  Ballonwerk  noch  keinen  Platz  finden  konnten), 
ein  unerwartetes  Ergebnis  geliefert  haben. 

Am  4.  Dezbr.  1894  hatte  man  in  6  km  —  23.8,  in  7  km  —  30.2 
und  in  8  km  — ■  37.9  beobachtet,  am  11.  Mai  desselben  Jahres  aber  in  den 
gleichen  Höheu  —  22.5,  —  31.0  und  36.8.  Man  glaubte  sich  daher  zu 
dem  Schlüsse  berechtigt,  dafs  in  Höhen  oberhalb  H  km  die  Temperatur  der 
Atmosphäre  schon  ziemlich  konstaut  geworden  sei.    Diese  Annahme  hat  sich 


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Wissenschaftliche  Luftfahrten.  127 

aber  als  voreilig  erwiesen,  die  spateren  Temporaturbefunde  in  Höhen  über 
7  km  haben  noch  eine  sehr  grofse  Veränderlichkeit  der  Temperatur  in  diesen 
Höhensehiehten  ergeben,  die  inbetreff  der  Momentan-Tempcraturen  noch  bis 
zu  10  km  kaum  eine  Abnahme  der  Schwankungen  erkennen  läfst1). 

Die  Beobachtungen  auf  Berggipfeln  bis  zu  3  km  dagegen  zeigen  eine 
Abnahme  der  Temperaturschwankungen  mit  der  Höhe,  weil  die  Temperatur - 
Maxima  mit  der  Höhe  stärker  abnehmen,  als  die  Temperatur- Minima  zuneh- 
men. Und  dabei  sind  wohl  noch  erhebliche  Einflüsse  der  Erwärmung  und 
Erkaltung  des  Bodens  durch  Insolution  und  Ausstrahlung  im  Sinne  einer 
Vergröfserung  der  Temperaturschwankungen  thätig,  die  in  der  freien  Atmo- 
sphäre fehlen.  Die  Zukunft  niufs  entscheiden,  wie  dieser  Widerspruch  zu 
erklären  sein  mag2). 

Eigentlich  steht  auch  die  grofse  Übereinstimmung  der  Mittelwerte  aus 
so  wenigen  Zahlen,  wie  die  obige  Zusammenstellung  zeigt,  in  einem  schein- 
baren Widerspruch  mit  einer  sehr  grofsen  Veränderlichkeit  der  Temperatur, 
wenn  man  diese  Übereinstimmung  nicht  einem  blofsen  Zufalle  zuschreiben  will. 

Die  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe  darf  man  nicht  unmittelbar  aus 
den  obigen  Zahlen  ableiten,  weil  die  Temperaturen  in  den  verschiedenen 
Höhen  nicht  zeitlich  korrespondierende  sind,  wie  schon  die  Zahl  der  Beobach- 
tungen zeigt. 

Berson  findet  folgende  Werte  für  die  Temperatur-Abnahme  mit  der  Höhe 

Mittlere  Temperatur -Änderung  pro  100  m 

Von  0—1     1—2     2—3     3—4     4—5     5—6     6—7     7—8      8—9  km 

T..  Abnahme       0.50     0.50     0.54     0.53     0.64     0.69     0.66     0.67  <0.90) 
Zahl  d.  Beob.      67        62        46        41        24        14         5         5  2 

Mittlere  Wärmeabnahme  bis  9  km  0.63. 

In  den  unteren  Schichten  ist  die  Wärmeabnahme  auffallend  langsam,  in 
den  hohen  und  höchsten  Schichten  sehr  rasch.  Das  ist  gerade  das  umgekehrte 
Ergebnis  von  jenem,  zu  welchem  man  aus  Glaisher's  Ballonfahrten  gelangt  war. 
Dieselben  lieferten  eine  mit  der  Höhe  verminderte  Temperaturabnahme3). 

1)  Hergesell  sagt  auf  Grund  der  neuesten  Erfahrungen:  Die  Atmosphäre 
zeigt  in  allen  Höhenlagen  bis  zu  10  km  Temperaturschwankungen,  die  innerhalb 
eines  3jährigen  Zeitraumes  in  sämtlichen  Niveaus  den  Betrag  von  40 u  erreicht 
oder  uberschritten  haben.  Von  einer  Abnahme  der  Gröfse  der  zeitlichen  Schwan- 
kungen, ist  noch  nichts  zu  bemerken.  „Die  Temperatur  der  freien  Atmosphäre." 
P«t  Geogr.  Mitt.  1900  S.  97.  Die  von  Teisserenc  de  Bort  berechnete  mittlere  Ver- 
änderlichkeit der  Temperatur  in  den  Höhensehiehten  Ins  zu  9  km  zeigt  keine 
Ahnahme  derselben  mit  der  Höhe. 

2)  Z.  T.  mufs  die  grofse  Veränderlichkeit  der  in  gleichen  Höhen  gefundenen 
Temperaturen  auch  dem  Umstände  zugeschrieben  werden,  dafs  diese  Unterschiede 
für  gleiche  Höhe  zugleich  zeitliche  und  örtliche  sind;  die  Temperaturen  be- 
ziehen sich  ja  nicht  auf  denselben  Ort,  wie  die  an  einer  festen  Station  beobach- 
teten.   Bei  den  Hegistrier-Ballons  kommen  auch  Fehler  in  Betracht. 

3)  Höhe  in  engl.  Fufs  0—5     5—10     10—15     16—20  Tausend 
Temp.- Abnahme  pro  100  m    0.67°     0.46°       0.40°  0.28" 

Für  eine  Mittelhöhe  von  6%  km  ergiebt  sich  0.19°,  für  8»/,  km  nur  0.17.  In 
Bezug  auf  die  unteren  Stufen  ist  zu  beachten,  dafs  die  Fahrten  Glaisher's  nur  im 
Sommerhalbjahr  unternommen  worden  sind. 


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J.  Hann: 


Die  Ursache  dieses  entgegengesetzten  Resultates  für  die  höheren  Schich- 
ten kennen  wir  schon,  Olaisher  erhielt  für  dieselben  bei  weitem  zu  holie 
Temperaturen  und  der  Fehler  wuchs  ziemlich  zugleich  mit  der  Höhe.  Die 
rasche  Wärmeabnahme  in  den  unteren  Schichten  erklärt  sich  daraus,  dafs 
Olaisher  seine  Ballonfahrten  fast  ausschließlich  im  Sommer  und  Spätsommer 
und  meist  um  die  Tagesmitte  unternommen  hat.  wo  die  Wärmeabnahme  in 
den  unteren  Schichten  sehr  rasch  ist.  Die  Berliner  Ballonfahrten  verteilen 
sich  einigermaßen  gleichmäßig  auf  die  Jahreszeiten  und  auch  gleichmäßiger 
auf  die  Tageszeiten.  Die  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe  in  den  unteren 
Schichten  bis  gegen  2  km  hinauf  hat  je  eine  entschiedene  tägliche  und  jähr- 
liche Periode,  sie  ist  namentlich  sehr  rasch  in  den  Nachmittagsstunden  und 
im  Sommerhalbjahr,  sehr  langsam  in  den  Nacht-  und  frühen  Morgenstunden 
sowie  im  Winter.  Bei  Nacht  und  im  Winter  kommen  häufig  sogenannte 
„Temperatur-l'mkehrungen"  vor,  d.  h.  die  Temperatur  nimmt  mit  der  Höhe 
zu,  allerdings  nur  bis  zu  einer  gewissen  Höhe,  die  aber  im  Winter  bis  zu 
1500  m  und  darüber  betragen  kann.  Diese  Erscheinung  ist  aus  Gebirgs- 
gegenden wohlbekannt,  sie  ist  aber  auch  über  ebenem  Lande  bei  den  Ballon- 
fahrten im  Winter  konstatiert  worden.  Der  Boden,  namentlich  der  schnee- 
bedeckte, wirkt  im  Winter,  und  in  der  Nacht  fast  das  ganze  Jahr  hindurch, 
abkühlend  auf  die  Luit  ein,  die  kältesten  Luftschichten  liegen  dann  unteu. 
Bei  Luft  ruhe,  also  in  dem  mittleren  Teile  der  Barometer-Maxima,  sowie  auch 
in  rings  umschlossenen  Gebirgsthälern  höherer  Breiten,  kann  sich  dieser  Zu- 
stand natürlich  am  ungestörtesten  entwickeln  und  grofse  Verhältnisse  an- 
nehmen. Betrachtet  man  die  jetzt  gewonnenen  Zahlenwerte  für  die  Wärme- 
abnahme nach  oben  vom  Standpunkte  der  Theorie,  so  findet  man  im  all- 
gemeinen eine  erfreuliche  Übereinstimmung  mit  der  letzteren. 

Die  Atmosphäre  selbst  erwärmt  sich  nur  wenig  direkt  durch  die  Sonnen- 
strahlung, sie  strahlt  auch  wenig  Wärme  aus,  dagegen  unterliegt  der  feste 
Erdboden  grofsen  Temperaturschwankungen  unter  dem  Einflüsse  der  Insola- 
tion und  Wärmeausstrahlung.  Auch  die  Wolkenoberflächen  werden,  natürlich 
in  viel  geringerem  Grade,  der  Erwärmung  und  Ausstrahlung  unterliegen, 
aber  die  Konsequenzen  derselben  entziehen  sich  fast  ganz  unserer  Beobach- 
tung. Einige  Beiträge  haben  allerdings  die  Ballonfahrten  geliefert.  Wir 
dürfen  demnach  den  Sitz  der  Erkaltungen  und  Erwärmungen  wenigstens  der 
unteren  Schichten  der  Atmosphäre  direkt  etwa  bis  1500  m,  indirekt  bis  über 
4  km  an  der  Erdoberfläche  suchen.  Die  schneefreie  Erdoberfläche  erwärmt 
sich  stark  unter  der  Sonnenstrahlung.  Die  erwärmte  Luft  steigt  empor  und 
bringt  die  Wärme  in  die  höhereu  Schichten,  allerdings  (thermometrisch) 
nicht  in  vollem  Maße,  denn  beim  Aufsteigen  dehnt  sie  sich  aus  und  kühlt 
dabei  ab,  und  zwar  im  Verhältnis  von  nahezu  je  1  0  pro  100  m  Empor- 
steigen1). Da  für  die  warmen  aufsteigenden  Luftsäulchen  kühlere  nieder- 
sinken, wobei  Mischungen  eintreten,  wird  die  thatsächlich  über  erwärmtem 


J  i  Der  „Wänne^ehalt"  oder  die  „potentielle  Temperatur"  der  Luft  bleibt  dabei 
ungei'mdert,  denn  wenn  sie  wieder  auf  gleichen  Druck  gebracht  wird,  erlangt  sie 
auch  wieder  die  frühere  Temperatur. 


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Wissenschaftliche  Luftfahrten. 


129 


Boden  an  heiteren  sonnigen  Nachmittagen  zu  beohachtende  Wärineabnahme 
nach  oben  meist  etwas  kleiner  sein  als  1  0  pro  Hektometer.  Die  auf  diese 
Weise  im  Laufe  eines  Tages  wirksame  Erwärmung  scheint  sich  direkt  wenig 
über  1000  m  Höhe  hinauf  zu  erstrecken1),  aber  im  Laufe  mehrerer  Tage 
wird  die  Erwärmimg  allmählich  bis  zu  gröfsercn  Höhen  fortschreiten  können. 

Schliefslich  aber  steigt  die  ganze  überwärmte  Luftmasse  unter  dem  Ein- 
flute irgend  einer  Störung  in  die  Höhe,  kühlt  dabei  weiter  ab  und  konden- 
siert ihren  Wasserdampfgehalt  unter  Bildung  von  Regengüssen  und  Gewittern. 
Auch  die  großen  atmosphärischen  Störungen,  Wirbelbildungen  im  Gefolge 
der  allgemeinen  atmosphärischen  Zirkulation  bringen  beim  Vorüberziehen 
die  unteren  Luftschichten  zum  Emporsteigen  und  zur  Kondensation  des 
Wasserdampfes.  Sobald  aber  das  Aufsteigen  der  Luft  mit  Kondensation  des 
Wasserdampfes  verbunden  ist,  d.  i.  die  Abkühlung  den  Taupunkt  über- 
schreitet, verringert  sich  die  Temperaturabnahme  in  der  aufsteigenden  Luft 
gegenüber  trockener;  bei  20°  mit  Wasserdampf  gesättigte  Luft  kühlt  nur 
um  0.45  pro  100  m  Emporsteigen  ab,  bei  10°  gesättigte  um  0.54,  bei  0 0 
gesättigte  um  0.G3  und  bei  —  10°  gesättigte  um  0.76°. 

Soweit  also  die  Erwärmung  der  höheren  Luftschichten  von  dem  Empor- 
steigen der  am  Boden  erwärmten  Luft  abhängt,  und  wir  sind  gezwungen 
anzunehmen,  dafs  dies  in  der  That  die  Hauptursache  der  Erwärmung  der 
oberen  Luftschichten  ist,  mufs  die  Temperaturabnahme  nach  oben  folgendes 
Gesetz  befolgen.  In  den  unteren  Schichten,  unterhalb  des  Kondeusations- 
niveaus,  erfolgt  die  Wärmeabnahme  rasch,  dann  kommt  eine  Schicht  lang- 
samer Wärmeabnahme.  Weiter  aufwärts  erfolgt  die  Wärmeabnahme  wieder 
rascher  und  erreicht  in  Höhen,  wo  die  Luft  fast  allen  W'asserdarapf  konden- 
siert, abermals  die  rasche  Temperaturabnahme  trockener  aufsteigender  Luft. 

In  der  That  geben  die  Ballonbeobachtungen  in  der  hauptsächlichsten 
Kondensationsschichte  von  2  —  4  km  eine  langsame  Wärmeabnahme  von 
0°,54  pro  100  m,  von  4  —  5  km  0°.64  und  von  5—9  km  circa  0°.75  (mit 
Einschlufs  der  internationalen  Fahrten  vom  3.  Okt.  1899).  Aber  die  unteren 
Schichten  von  0 — 2  km  stimmen  nicht,  sie  zeigen  eine  Wärmeabnahme 
von  nur  O°.50.  Wie  erklärt  sich  diese  langsame  Wärmeänderung  an  Stelle 
der  von  der  Theorie  geforderten  Wärmeabnahine  von  mehr  als  0°.9?  Die 
Ursache  dieser  Abweichung  ist  eine  mehrfache. 

Erstlich  ist  die  rasche  theoretische  Temperaturabnahme  nur  in  auf- 
steigenden erwärmten  Lnftmassen,  also  nur  in  den  Nachmittagsstunden  und 
zumeist  nur  im  Sommerhalbjahr  zu  erwarten,  nicht  im  Mittel  aller  Zustände, 
aller  Tnges-  und  Jahreszeiten. 

Die  amerikanischen  Drachenaufstiege,  die  zumeist  bei  windigem  schönem 
Wetter  und  im  Sommerhalbjahr  erfolgten,  ergeben  in  der  That  nahezu  dio 
theoretische  Wärmeabnahme  in  den  unteren  Luftschichten  und  zwar  0°.80 
bis  zur  Hohe  von  900  m  und  0°.69  von  900  bis  1800  m. 

Zweitens  wirkt,  wie  schon  oben  erwähnt,   der  Boden  in  den  Nacht- 

1)  In  dieser  Höhe  ist  in  der  freien  Atmosphäre,  wie  die  Temperatur-Registrie- 
rungen  mittelst  Drachen  ergeben  haben,  die  tägliche  Wärmeschwankung  schon  sehr 
klein  gewurden. 


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J.  Hann: 


stunden  und  im  Winter  abkühlend  auf  die  unteren  Luftschichten,  weil  er 
durch  Wärmeausstrahlung  stärker  erkaltet  als  die  Luft.  Es  bilden  sich  dann 
die  sogenannten  „Temperaturumkehrungen"  aus,  oberhalb  einer  erkalteten 
schweren  Bodenschichte  schwimmt  eine  wärmere  Luftschichte,  die  ihre  höhere 
Temperatur  wegen  grösserer  Entfernung  vom  Boden  bewahren  konnte.  Die 
Temperaturzunahme  mit  der  Höhe  kann  zuweilen  weit  gröfserc  Beträge  er- 
reichen, als  die  gröfste  Wärmeabnahme  nach  oben,  für  welche  es  eine  obere 
Grenze  giebt,  d.  i.  1°  auf  100  m. 

Mit  dem  Satze,  dafs  der  Boden  auf  die  höheren  Luftschichten  erwärmend 
wirkt,  ist  der  weitere  Satz,  dafs  er  zu  Zeiten  die  untersten  Luftschichten 
abkühlt,  ihre  Temperatur  erniedrigt,  ganz  wohl  verträglich.  Die  Erwärmung 
vom  Boden  her  reicht  bis  zu  grofsen  Höhen  hinauf,  die  Erkaltung  bleibt  auf 
die  untersten  Schichten  beschränkt,  weil  die  erkalteten  Luftmassen  an  der 
Erdoberfläche  liegen  bleiben,  und  die  höheren  Schichten  dem  Einflüsse  des 
kalten  Bodens  nur  wenig  mehr  unterliegen,  nur  wenig  Wärme  durch  Strahlung 
gegen  denselben  abgeben. 

Dadurch  erklärt  es  sich,  dafs  im  Mittel  aller  Tages-  und  Jahreszeiten 
die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  in  den  untersten  Schichten  verlangsamt 
wird.  Sehr  deutlich  zeigen  dies  die  Beobachtungen  auf  dem  Eiffelturm 
verglichen  mit  jenen  zu  Paris.  Die  Temperaturabnahme  ist  im  Jahres- 
mittel vom  Boden  (Parc  S.  Maur)  bis  zur  ersten  Plattform  in  123  m  0°.01, 
zwischen  dieser  und  der  zweiten  Plattform  in  107  m  0°.44  und  von  dieser 
bis  zur  Spitze  in  302  m  0°.53  pro  100  m.  «Der  Boden  kühlt  die  Luft  im 
Winter  so  stark  ab,  dafs  bis  zu  123  m  Höhe  im  Jahresmittel  die  Temperatur 
gleich  bleibt1). 

Dazu  kommen  aber  auch  noch  die  Temperaturumkehrungen  infolge  einer 
kalten  Luftströmung  unten,  einer  wärmeren  oben,  was  im  Winter  namentlich 
am  Westrande  eines  Barometer-Maximums  öfter  eintritt  (unten  herrscht  oft 
noch  ein  feuchter  kalter  SO -Wind  aus  dem  Barometer- Maximum  heraus, 
oben  ein  warmer  S  oder  SW).  Das  war  z.  B.  der  Fall  bei  der  Ballonfahrt 
am  12.  Januar  1894,  wo  die  Temperatur  unten  — 6°  war,  oben  in  400  m 
aber  — |—  6°!  eine  Temperaturzunahme  von  3°.2  pro  100  ra.  Die  Ursache 
der  Temperaturumkehr  war  hier  und  ist  in  solchen  Fällen  nicht  Strahlungs- 
kälte vom  Bodon  her. 

Natürlich  beeinflussen  solche  Fälle  einen  Mittelwert  aus  65  Beobachtungen 
noch  erhebliih,  und  es  wird  begreiflich,  dafs  die  Wärmeabnahme  in  Schichten 
bis  zu  und  noch  über  1000  m  hinaus  kein  Gesetz  zu  befolgen  scheint.  Bei 
Ausschi ufs  der  Temperaturumkehrungen  erhält  man  bis  1000  m  eine  Wärme- 
abnahme von  0°.61  und  dann  eine  Verminderung  derselben  auf  0°.54,  eine 
Annäherung  an  die  Theorie. 


1)  Im  Herbst  und  Winter  ist  die  Wärmez  u  nah  nie  mit  der  Höhe  in  dieser 
Schiebte  0°.18,  von  Mai  bis  Juli  die  Wärmeabnahme  0°.33  pro  100  m.  Doch  ist 
zu  beachten,  dafs  die  Wärmeabnahme  nach  oben  gröfser  ausfällt,  wenn  man  die 
in  Paris  selbst  beobachteten  Temperaturen  zur  Basis  nimmt,  die  um  0°.8  höher 
sind.  Parc  8.  Maur  liefert  die  Temperatur  der  Umgebung  von  Paris.  Paris -Eiffel- 
turm erste  Terrasse  giebt  eine  Wärmeabnahme  von  0°.ö6  pro  100  m. 


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Wissenschaftliche  Luftfahrten.  131 

Das  Ergebnis  der  deutschen  Ballonfahrten  und  der  französischen  Ballons 
sondes,  dafs  die  Temperaturabnahme  in  sehr  grofsen  Höhen  über  6  oder  7  km 
sich  der  theoretischen  Wftrmeabnahmc  in  trockenen,  aufsteigenden  oder  herab- 
sinkenden Luftmassen  erheblich  nähert,  ist  deshalb  von  besonderer  Wichtig- 
keit, weil  es  mit  Notwendigkeit  darauf  schliefsen  läfst,  dafs  auch  noch  in 
diesen  grolsen  Höhen  starke  vertikale  Luftbewegungen  vorkommen *). 

Die  jahreszeitlichen  Änderungen  der  Temperatur  in  grofsen 
Höhen  der  Atmosphäre.  Aus  der  Abnahme  der  Jahresschwankung  der 
Temperatur  mit  der  Höhe  in  den  Alpen  hatte  man  die  Schätzung  gewagt, 
dafs,  wenn  dieselben  Gipfel  von  0000  m  Höhe  hätten,  auf  denselben  der 
Unterschied  zwischen  Winter  und  Sommer  schon  verschwunden  wäre.  Die  Er- 
gebnisse der  Ballonaufstiege  haben  aber  jetzt  gezeigt,  dafs  noch  in  Höhen 
von  10  km  eine  erhebliche  Jahresschwankung  der  Temperatur  vorhanden  ist. 

Gruppiert  man  die  Temperaturbeobachtungen  während  der  Berliner 
Ballonfahrten  nach  Jahreszeiten,  so  erhält  man  trotz  der  geringen  Zahl  der- 
selben schon  recht  wahrscheinliche  Mittelzahlen,  welche  auch  die  Abnahme 
der  Jahresschwankung  mit  der  Höhe  und  die  Änderung  des  jährlichen  Ganges 
der  Temperatur  beurteilen  lassen. 

Mittlere  Temperatur  der  freien  Atmosphäre  über  Norddeutschland. 
Jahreszeit     Winter     Frühling     Sommer     Herbst      Jahr  Jährl.  Schwankg. 


Erde 

0.0 

9.0 

18.4 

9.1 

9.1 

18.4 

1000  m 

—  0.6 

2.5 

11.0 

5.4 

4.6 

11.6 

2000  „ 

—  5.1 

—  2.1 

5.3 

—  0.1 

-  0.1 

10.4 

3000  „ 

—  10.8 

—  8.6 

o.i» 

—  5.3 

—  5.3 

11.7 

4000  „ 

—  14.6 

—  14.5 

-  5.0 

—  10.5 

—  10.5 

9.6 

Höhe  der  Isotherme  0° 
Meter8)  330       1540  3150     2380       1850      <  2050 

Die  für  die  „Erde"  erhaltenen  Temperaturen  stimmen  sehr  nahe  mit  den 
mittleren  Temperaturen  für  Berlin,  weshalb  auch  die  für  die  höheren  Niveaus 
gefundenen  Zahlen  als  wahrscheinliche  Mittelwerte  gelten  dürfen. 

Die  bemerkenswerteste  Erscheinung,  welche  diese  Mittelzahlen  darbieten, 
ist  die  Verspätung  des  Eintrittes  der  niedrigsten  Temperatur  gegen  das 
Frühjahr  hin,  und  im  Gegensatze  hierzu  der  sehr  warme  Herbst. 

Vorbereitet  darauf  haben  allerdings  schon  die  Beobachtungen  auf  den 
Gipfelstationen  der  Alpen.  Die  niedrigste  Temperatur  fällt  hier  in  Höhen 
von   2%  bis   3  km  auf  Ende  Januar  bis  Mitte  Februar.    In  der  freien 


1)  Hätte  sich  da«  Glaisher'sche  Resultat  einer  sehr  geringen  Wärnieabnahme 
von  etwa  0.2°  in  8  km  bestätigt,  so  hätte  man  das  Gegenteil  annehmen  müssen,  das 
Fehlen  eines  häußgeren  vertikalen  Luftaustausches  in  diesen  Höhen.  Da  die 
Temperaturleitung  der  Luft  in  0—10  km  bei  einem  Luftdruck  von  rund  200  Mm 
schon  den  hohen  Wert  von  nahe  0.66  (cm  s )  erreicht  und  nahe  gleich  der  des 
Kupfers  wird,  so  würde  eine  langsame  vertikale  Temperaturänderung,  die  ja  dann 
hauptsächlich  eine  Folge  der  Wärmeleitung  wäre,  erklärlich  werden. 

2)  Dr.  Berson  stellt  mehrere  Schätzungswerte  für  dieselbe  auf,  die  hier  an- 
gegebenen hält  er  Belbst  für  die  wahrscheinlichsten. 


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I 


132  -I  Hann: 

Atmosphäre  in  gröfseren  Höhen  scheint  dieselbe  aber  erst  im  Marz  ein- 
zutreten, die  höchste  Temperatur  hat  der  August.  Benutzt  man  neben  den 
Berliner  Ballonfahrten  noch  die  Registrierungen  der  Ballons  sondes  von 
Teisserenc  de  Bort,  so  erhült  man  folgendes  Bild  vom  jährlichen  Wärmegauge 
bis  zu  Höhen  von  10  km. 

Kaltester  Monat  \V ärmster  Monat  Jahr  Schwankg. 

in   3  km       —  12.0  Febr.                 1.4  August  —   5.3  13.4 

„    5    „        —20.8  Marz  —   7.6      „  —14.2  13.2 

„10   „        —52.9    „  —43.9      „  —48.1  9.0 

Die  niedrige  Temperatur  der  freien  Atmosphäre  in  den  Frühlingsmonaten 
im  Gegensätze  zu  den  Herbstmonaten  (z.  B.  Mai  in  3  km  —  5.3,  Oktober 
—  2.0)  spielt  sicherlich  eine  grofse  Rolle  als  Ursache  des  verschiedenen 
Witterungscharakters  dieser  Jahreszeiten.  Die  niedrige  Temperatur  in  den 
Höhen  der  freien  Atmosphäre  begünstigt  die  Entstehung  von  Niederschlägen, 
Gewittern,  Hagelwettern,  während  der  Herbst  ruhiger  verläuft,  die  gröfseren 
Aufregungen  der  Atmosphäre  seltener  werden1). 

Dr.  Berson  findet  folgende  Zahlen  für  die  mittlere  Wärmeabuahme  in 
den  vier  Jahreszeiten  pro  100  Meter  (blofs  Berliner  Ballonfahrten) 

Winter  Frühling  Sommer  Herbst  Jahr 

0-  1000  m      0.04  0.49  0.71  0.48  0.43 

1—  3000  „      0.49  0.56  0.55  0.46  0.52 

Im  Winter  unten  häutige  Temperaturumkehrungen,  im  Sommer  rasche 
Wärmeabnahme,  im  Herbst  Übergang  zu  den  Winterverhältnissen.  Von  4  —  6  km 
ist  die  Temperaturabnahme  von  der  Jahreszeit  ziemlich  unabhängig  0.67  pro 
100  m. 

Der  folgende  Vergleich  der  Temperatur  der  freien  Atmosphäre  in  3000  Meter 
und  auf  einem  Berggipfel  dürfte  einiges  Interesse  beanspruchen  können. 
Mittlere  Temperatur  in  einer  Seehöhe  von  3000  Meter. 

Jahreszeit  Febr.      April   Aug.  Okt.     Jahr  Schwankg. 

Atmosphäre  über  N.-Deutschld.  —  12.0    —8.7    1.4  —2.0—5.3  13.4 
Tauerngipfel  (47°  N)        —12.2    -7.6    1.8—4.3—5.7  14.0 

letztere  Temperaturen  nach  den  Beobachtungen  auf  dem  Sonnblick.  Der 
Berggipfel  ist  im  Herbst  und  im  Winter  kälter,  im  Frühling  und  Sommer 


1)  Man  vergl.  mein  Handbuch  der  Klimatologie  13*1  III  S.  20— '22  Charakter  der 
Jahreszeiten.  Man  hat  früher  gemeint,  dafs  die  raschere  Wärmeabnahme  im  Frühlinge 
und  Frühsonuner  nur  daher  stamme,  dafs  wir  selbe  nach  dem  Temperaturunterschied 
zwischen  den  schon  warmen  Thälern  gegenüber  den  noch  schneebedeckten  Herg- 
hühen  berechnen.  Ich  habe  aher  gezeigt,  dafs  auch  der  Temperaturunterschied  noch 
schneebedeckter  Berggipfel  gleichfalls  im  Frfihlinge  ein  Maximum  erreicht  (z.  B. 
Schafberg  —  Sonnblick'.  Die  Ergebnisse  der  Ballonfahrten  haben  dies  bebtätigt. 
Die  freie  Atmosphäre  ist  im  Frühlinge  noch  relativ  kalt  ,  im  Herbste  noch  relativ 
warm  gegenüber  der  sich  rasch  erwärmenden,  respektive  sich  langsam  abkühlenden 
Erdoberfläche.  Die  aufsteigenden  Luftströmungen  und  ihre  Witterungsfolgen  werden 
daher  im  Frühlinge  begünstigt,  lebhaft  angeregt,  finden  dagegen  im  Herbste  wenig  . 
Nahrung. 


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Wissenschaftliche  Luftfahrten. 


133 


warmer  als  die  freie  Atmosphäre.  Die  absoluten  Temperaturen  der  letzteren 
sind  natürlich  noch  unsicher,  weshalb  auf  die  Differenz  der  Jahresmittel  kein 
Gewicht  gelegt  werden  kann. 

Sind  die  Berge  kälter  als  die  Luft  in  gleicher  Höhe? 

Dr.  Berson  meint,  dies  annehmen  zu  müssen,  weil  er  die  mittlere  Wärnie- 
abnahme  mit  der  Höhe  aus  den  Ballonfahrten  zu  U°.51  pro  100  m  gefunden 
hat,  während  die  Beobachtungen  im  Gebirge  sie  zu  0.57  im  Mittel  ergeben 
haben.  Er  gründet  diese  Annahme  auf  einen  Satz  von  W.  v.  Bezold  in 
dessen  „theoretischen  Schlufsbetrachtungen"  (S.  297),  „dafs  sich  der  Einfluß 
des  Erdbodens  im  Gesamtmittel  in  einer  relativen  Abkühlung  der  unteren 
Schichten  geltend  macht'1. 

Da  der  Einflufs  der  Erwärmung  des  Bodens  bei  Tage  durch  die  auf- 
steigenden Luftbewegungeu  bis  zu  gröfseren  Höhen  der  Atmosphäre  wirksam 
wird,  während  die  nächtliche  Erkaltung  auf  die  unteren  Schichten  beschränkt 
bleibt ,  hat  v.  Bezold  mit  Recht  Nachdruck  darauf  gelegt,  dafs  die  höheren 
Schichten  wohl  die  Erwärmung  vom  Boden  her  geniefsen,  aber  .der  nächt- 
lichen Erkaltung  der  Hauptsache  nach  entrückt  bleiben,  also  der  Boden  auf 
die  unteren  Schichten  relativ  abkühlend  wirkt,  worauf  die  geringere  Wärme- 
abnahme  nach  oben  in  der  letzteren  zurückzuführen  ist. 

Es  ist  aber  wohl  zu  beachten,  dafs  der  Boden  im  Mittel  nicht  wirklich 
abkühlend,  sondern  erwärmend  auf  die  ihm  auflagernden  untersten  Luft- 
schichten wirkt,  weil  er  im  Mittel  stets  um  circa  2°  und  mehr  wärmer  ist 
als  die  Luft.  Dieser  Wärmeübersehufs  nimmt  bekanntlich  mit  der  Seehöhe 
noch  zu. 

Der  Satz  von  Bezold  bezieht  sich  auch  nur  auf  ebenes  Terrain  oder  auf 
Thalmulden,  wo  die  kalten  Luttschichten  ruhig  liegen  bleiben,  denn  in  diesem 
Stagnieren  derselben  findet  er  seine  Begründung.  An  den  Berghängen  und 
auf  den  Berggipfeln  aber  fliefst  die  durch  Strahlung  erkaltete  Luft  fort- 
wahrend ab,  und  wärmere  ans  der  Höhe  tritt  an  ihre  Stelle.  Es  bildet  sich 
daher  keine  Temperaturumkehrung  über  dem  Boden  aus,  und  damit  entfällt 
daselbst  auch  die  „relative"  Erkaltung. 

Die  Bergabhänge  und  Berggipfel  sind  nur  im  Winter  und  in  den  Nacht- 
stunden etwas  kälter  als  die  freie  Atmosphäre  in  gleicher  Höhe,  im  Sommer 
und  bei  Tag  wärmer,  im  Jahresmittel  scheinen  sie  sehr  nahe  die  Temperatur 
der  freien  Atmosphäre  zu  haben1). 

Die  Annahme  von  Dr.  Berson,  dafs  die  Berge  in  2—3000  Meter  See- 
höhe  um  circa  2°  kälter  sind  als  die  freie  Atmosphäre  in  gleicher  Höhe, 
widerstreitet  den  Erfahrungen  und  wird  auch,  wie  oben  auseinandergesetzt 
worden  ist,  durch  die  Erwägungen  von  W.  v.  Bezold  nicht  unterstützt. 

Eine  erheblich  niedrigere  Mittelteraperatur  der  Bergstationeu  hätte  sich 
auch  längst  iu  den  Ergebnissen  der  barometrischen  Höhenmessungen  ergeben 

1)  Die  direkten  Vergleichungen  der  im  Ballon  beobachteten  Lufttemperaturen 
mit  jenen  an  dem  Bergobservatorium  haben  in  der  That  auch  diese  Verhältnisse 
nachgewiesen:  Finsterwalder  u.  Sohncke,  Ergebnisse  wissenschaftlicher  Fahrten 
den  Münchener  Vereins  für  Luftschiffahrt.  Vergleichungen  der  Temperaturen  im 
Uebirge  mit  jenen  in  der  freien  Atmosphäre.    Met.  Z.  B.  29  S.  362. 


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134  J.Hann: 

müssen.  Dieselben  lassen  aber  mit  Bestimmtheit  darauf  schliefsen,  dafs  die  auf 
Bergen  beobachteten  Temperaturen  in  den  Jahresmitteln  mit  jenen  der  freien 
Atmosphäre  sehr  nahe  überstimmen1). 

Wir  finden  dagegen  ohne  Schwierigkeit  eine  andere  Erklärung  der  rela- 
tiv geringen  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe  aus  den  Beobachtungen  der  Ber- 
liner Ballonfahrten.  Die  weitaus  gröfste  Mehrzahl  der  Fahrten  hat  in  den 
Gebieten  von  Barometer-Maximis  stattgefunden  und  keine  einzige  im  inneren  Ge- 
biete einer  Cyklone.  In  den  erstcren  ist  aber  die  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe 
eine  langsame,  wie  Dr.  Berson  selbst  aus  den  Balloubeobachtungen  nachge- 
wiesen hat2).  In  den  Beobachtungen  der  Bergstationen  sind  dagegen  alle 
Witterungslagen  vertreten,  auch  die  stürmischen  Perioden  mit  schlechtem 
Wetter,  während  welcher  die  Wärmeabnahme  rasch  ist;  in  den  Ballon- 
beobachtungen fehlen  die  stürmischen  Tage  ganz,  die  mittlere  Wärmeabnahme 
lallt  daher  langsamer  aus. 

Auch  jene  Gebiete  der  Alpen,  über  welchen  häutig  Luftdruck-Maxiroa 
sich  einstellen,  haben  eine  sehr  langsame  Wärmeabnahme.  In  Kärnthen  be- 
trägt dieselbe  blofs  0.46  im  Jahresmittel,  uud  selbst  für  die  ganzen  Ost- 
Alpen  auch  nur  0.51.  Man  hat  also  nicht  nötig,  eine  niedrigere  Tempera- 
tur der  Gebirge  anzunehmen. 

Höhe  der  Isotherme  von  0°.  Die  Festlegung  derselben  für  die  freie 
Atmosphäre  aus  relativ  wenig  Beobachtungen  ist  natürlich  sehr  schwierig. 
Die  von  Dr.  Berson  gefundenen  Mittelzahlen  haben  aber  einen  hohen  Grad 
von  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Sie  schliefsen  sich  den  in  den  Gebirgen 
gefundenen  Werten  sehr  nahe  an  und  die  Unterschiede  entsprechen  der  nörd- 
licheren Breite  und  dem  mehr  ozeanischen  Klima  von  Norddeutschland. 
Folgende  Vergleiche  der  Mittelzahlen  und  extremen  Lagen  dürften  einiges 
Interesse  haben. 

See-Höhe  der  Isotherme  von  0° 

tiefste  höchste  Jahresmittel 

Freie  Atmospäre  Lage 

Norddeutschland   320    Jan.    3400    August      1850  Meter 

Frankreich3)  (1310?)  Jan.    3650    August    (2380?)  „ 

Gebirge 

Ost-Alpen,  Nord-Seite  ....       80    Jan.    3520    August      1910  „ 
Süd-Seite    ....      550    Jan.    3590    Juli  2140  „ 

Nordseite  der  Pyrenäen  (43°)  .     1070    Jan.    3980    August      2480  „ 

Im  Sommer  ist  die  Übereinstimmung  mit  Rücksicht  auf  die  Lagen  eine 
bemerkenswerte.  Ich  habe  seinerzeit  gezeigt,  dafs  in  einer  Seehöhe  von  2000  m 

1)  Die  nach  dem  Schafberg  (1770  m)  und  dem  Obir  (2044  m)  berechnete  Seehöbe 
deB  Sonnblickgipfels  ist  3100  m  und  stimmt  völlig  mit  einer  genauen  trigono- 
metrischen Messung.  Eine  um  2"  zu  niedrig  angenommene  Lufttemperatur  hätte 
einen  Fehler  von  nahe  10  Meter  ergeben  müssen. 

2)  Mittlere  Wärmeabnahme  zwischen  0  und  3  km  in  den  Anticyklonen  0.44,  in 
den  Cy klonen  0.58;  im  mittleren  Teile  der  letzteren  vielleicht  noch  gröfser. 

3)  In  dem  Diagramm,  in  welchem  Teisserenc  de  Hort  die  Seehöhen  der 
Isothermen  von  0",  — 20°,  —  4o°,  —  öOu  in  den  einzelnen  Monaten  dargestellt  hat, 
scheint  bei  der  Einzeichuung  der  Isotherme  von  0°  ein  Versehen  passiert  zu  »ein. 


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Wissenschaftliche  Luftfahrten. 


die  Änderung  der  Temperatur  mit  der  geographischen  Breite  eine  mäfsige 
geworden  und  viel  geringer  als  an  der  Erdoberfläche  ist1). 

Es  mag  noch  gestattet  sein,  an  dieser  Stelle  die  Höhenlage  der  Iso- 
thermen von  — 20°,  —  40  ü  und  —50°  in  der  freien  Atmosphäre  nach  den 
Ergebnissen   der  Registrier-Ballons  von  Teisserenc  de  Bort  einzuschalten. 

Isotherme  von  — 20°  Minimum  4.8  km  Februar,  Max.  7.0  km  August,  5.8  Jahr 
—40°       „      7.8   „       h        „     9.5  „       „      8.6  „ 
—50°       „       9.0   ||  März,       ;,    11.0  „Aug.Sept.10.0  „ 

Die  Höhen  von  9 — 11  km  entsprechen  den  mittleren  Höhen  der  Feder- 
wolken (den  Cirren  und  Cirrostratus- Wolken). 

Die  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe  bei  verschiedenen  Witte- 
rungslagen.   Temperatur  der  Anticyklonen  und  der  Cyklonen. 

Die  Ergebnisse  der  Ballonfahrten  haben  die  aus  den  Beobachtungen  auf 
Berggipfeln  bis  zu  3000  m  Höhe  gezogenen  Schlüsso  über  die  verschiedene 
Temperatur- Abnahme  mit  der  Höhe  in  den  Gebieten  der  Barometer-Maxi ma 
und  -Minima  bestätigt  und  erwiesen,  dafs  sie  auch  für  die  freie  Atmosphäre 
gelten,  also  eine  allgemeine  Erscheinung  sind. 

Die  Wärmeabnahme  nach  oben  ist  in  den  Barometer-Maximis  in  den 
unteren  Schichten  bis  zu  3 — 1  km  eine  langsamere  als  in  den  Gebieten  der 
Barometer-Minima  (oder  Cyklonen),  in  den  höheren  Schichten  gleichen  sich  die 
Unterschiede  aus,  wie  auch  Teisserenc  de  Bort  gefunden  hat.  Dr.  Berson 
findet  folgende  Mittelwerte:  Wärmeabnahme  pro  100  m 

Höhenintervall  0—3  km      3—5  km      5  —  8  km  Mittel 
Anticyklonen     0.44  0.59  0.73  0.59 

Cyklonen  0.58  0.59  0,64  0.60 

Der  erstere  Witterungstypus  repräsentiert  zugleich  heiteres,  der  zweite 
bewölktes  Wetter. 

Es  Ist  aber  zu  beachten,  dafs  die  für  „Cyklonen"  eingesetzten  Zahlen  sich 
blofs  auf  deren  Randgebiete  beziehen,  während  für  das  Zentrum  der  Anti- 
cyklonen vielfache  Beobachtungen  vorliegen. 

Als  mittlere  Lufttemperatur  in  den  Cyklonen  und  Anticyklonen  ergiebt 
sieh  bis  zur  Höhe  von  6000  m  aus  den  Beobachtungen  der  Ballonfahrten: 

Höhe  Erde     1000     2000     3000     4000     5000     6000  m  Mittel 

Winter 

Anticyklone  1.5  1.3  —  2.0  —  6.7  —  10.9  —  16.0  —  25.8  —  8.4 
Cyklone  3.0     —  2.2    —  8.0  —  15.1  —  20.8  —  27.5  —  34.0  —  14.9 

Sommer 

Anticyklone  20.6  13.6  7.7  2.1  —3.3  —9.1  -  17.2  +  2.1 
Cyklone         15.7         9.1        3.0    —0.8    —  7.0  —  15.3  (— 22.0)  —2.5 


1)  Temperatur- Verhältnisse  der  Österr.  Alpenländer.  III.  Sitzb.  der  Wiener 
Akad.  Juni  1886.  S.  103—111.  In  den  Meridianen  der  Ost-Alpen  ist  im  Sommer 
die  TemperaturdifFerenz  pro  Breitegrad  im  Niveau  von  2000  m  nur  die  Hälfte  von 
jener  in  öOO  m.    Nur  Kärnthen  macht  eine  Ausnahme. 


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130 


J  Hann: 


Das  Resultat,  das  ich  vor  Jahren  aus  den  Sonnbliek- Beobachtungen,  die 
blofs  bis  7,u  3  km  hinaufreichen,  abgeleitet  habe,  bestätigt  sich  jetzt  aus  den 
Beobachtungen  bei  Ballonfahrten  bis  zur  Höhe  von  6  km.  Der  Luftkörper 
der  Anticyklonen  ist  im  Mittel  warmer,  als  jener  der  Cyklonen,  während  eine 
Theorie  der  Cyklonen  früher  auf  das  Gegenteil  gegründet  worden  war.  Die 
Theorie  der  Wärmeabnahme  in  aufsteigenden  (Cyklonen)  und  herabsinkenden 
(Anticyklonen)  Luftmassen  stimmt  dagegen  mit  meinem  Resultat  und  mit 
den  von  Dr.  Berson  berechneten  Daten  übereiu. 

Ein  besonders  schönes  Beispiel  für  die  hohe  Wärme  in  einer  Anticyklone 
und  die  niedrige  in  einer  Cyklone  haben  die  Ballonfahrten  vom  18.  Februar 
1897  und  vom  13.  Mai  desselben  Jahres  geliefert,  Jene  fand  fast  direkt 
im  Zentrum  eines  Maximums  statt,  let/.tere  vom  13.  Mai  im  Gebiete  einer  um- 
fangreichen Depression. 

Höhe  Erde      1120      2145      3390      4580  m 

Anticyklone  18.  Februar       2.7  5.8         1.0     —5.4  -- 13.1 

Cyklone  13.  Mai  9.2      -1.7     —8.2     -16.1  -24.1 

Der  Temperatur-Unterschied  nimmt  mit  der  Höhe  zu  und  beträgt  im 
Mittel  bis  zu  4%  km  ca.  6%°  zu  Ungunsten  der  Cyklone,  obgleich  letztere 
im  Frühsommer,  die  Anticyklone  im  Winter  stattfand1).  Diese  Temperatur- 
Verhältnisse  sprechen  also  sehr  entschieden  gegen  die  allgemeine  Richtigkeit 
der  sog.  „Konvektionstheorie"  der  Cyklonen.  Allerdings  und  noch  mehr  auch 
andere  Tbatsachen. 

Dr.  Berson  hat  auch  die  Höhe  der  Isotherme  von  0°  iu  den  Anti- 
cyklonen und  den  Randgebieten  der  Cyklonen  berechnet.  Ks  mögen  nur  fol- 
gende Ergebnisse  hier  Platz  finden. 

Höhe  der  Isotherme  0°  im  Jahresmittel. 

Anticyklone  Cyklone  Übergangsgebiet 

Rückseite      Kern       Vorderseite       Rückseite  Vorderseite 
Höhe         1575         2800  2845  1120  2390  m 

Die  Temperatur  von  0°  ist  in  den  Anticyklonen  höher  anzutreffen  als 
in  den  Cyklonen.  Die  hohe  Wärme  der  Anticyklonen  reicht  in  grofse  Höhen 
hinauf. 

Dr.  Berson  stellt  Betrachtungen  an  über  die  allgemeine  Konstitution 
der  Cyklonen  und  Anticyklonen,  die  von  grolseiu  Interesse  sind  und  viele 
Wahrscheinlichkeit  für  sich  iu  Anspruch  nehmen  können.  Es  erscheint  aber 
nicht  thunlich,  hier  darauf  einzugehen. 

Ebenso  ist  es  nicht  möglich,  auf  die  weiteren  die  Temperatur  in  und 
über  den  Wolken,  und  die  Temperatur- Umkehrung  betreffenden  Unter- 
suchungen des  Verfassers  des  sehr  lehrreichen  Abschnittes  „Lufttemperatur" 
an  dieser  Stelle  einzutreten. 

Die  vertikale  Verteilung  des  Wasserda rapfgchaltes  in  der 
Atmosphäre.    Dieselbe  wird  von  R.  Süring  in  gründlicher  und  vielseitiger 

1)  Wissonschaftl.  Luftfahrten.    Bd.  II  S.  ö'JO. 


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W  i  s  s  e  n  a  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e  Luftfahrten. 


137 


Weise  untersucht.  Ein  näheres  Eingehen  auf  die  Ergebnisse  würde  aber 
mehr  physikalische  Erörterungen  nötig  machen,  als  hier  am  Platze  wären. 

Der  Wasserdampfgehalt  der  Atmosphäre  nimmt  in  den  gröfseren  Höhen 
viel  rascher  ab,  als  man  bisher  nach  den  Ergebnissen  der  Ballonfahrten 
Glaisher's  angenommen  hat.  Dieselben  lieferten  ja  zu  hohe  Temperaturen,  da 
war  ein  höherer  Dampfgehalt  möglich,  der  jetzt  bei  den  niedrigen  Tempera- 
turen nicht  bestehen  könnte.  Die  folgenden  Zahlen  geben  an,  wie  viel  Pro- 
zent«' des  Wasserdampfgehaltes  (Dampfdruckes)  in  den  höheren  Niveaus  durch- 
schnittlich noch  vorhanden  sind: 

Höhe  km  0       1      2      3      4      5       6      7  8 

Dampfdruck  Proz.  100    68    41    26    17    11     5.4    2.8  1.3 

In  2000  m  sind  blofs  noch  41%,  in  5000  11%  des  Wassergehalts  der 
Luft  an  der  Erdoberfläche  vorhanden,  über  8  km  hinaus  wird  die  Atmosphäre 
fast  vollkommen  trocken.  Das  ergiebt  sich  ja  auch  direkt  aus  der  niedrigen 
Temperatur  in  dieser  Höhe.  Bei  eiuer  Temperatur  von  —  40°,  die  hier  durch- 
schnittlich herrscht,  ist  in  der  Luft  nur  noch  eine  Dampfspannung  von  0.12  m 
überhaupt  möglich,  oder  etwa  0.15  (»ramm  Wassergehalt  im  Kubikmeter  Luft. 

Die  Verwendung  der  kleinen  Tabelle  zu  Schätzungen  des  Wassergehaltes 
der  Luft  in  grofsen  Höhen  ist  eine  sehr  einfache.  In  den  Tropen  z.  B. 
ist  der  Dampfdruck  am  Meeresniveau  20  mm  und  darüber  (19.3  Gramm 
Wasser  im  Kubikmeter).  Tn  einer  Höhe  von  3  km  in  der  freien  Atmo- 
sphäre ist  dann  der  Dampfdruck  nur  noch  5.2  mm,  in  6  km  1.1  mm. 

An  der  Erdoberfläche  selbst,  auf  den  Bergen,  nimmt  der  Wasserdampf- 
gehalt der  Luft  langsamer  ab,  er  erhält  ja  stets  vom  Boden  her  immer 
wieder  einen  Zuwachs.  Aber  auch  hier  setzt  ihm  die  niedrige  Lufttempe- 
ratur eine  Grenze1). 

Die  relative  Feuchtigkeit  (Verhältnis  des  vorhandenen  Wasserdampfes 
zu  der  bei  der  herrschenden  Temperatur  möglichen  in  Prozenten  der  letzteren) 
ist  in  den  Anticyklonen  kleiner  und  nimmt  rascher  mit  der  Höhe  ab  als  in 
den  Cyklonen,  von  welchem  Verhältnisse  die  folgenden  Zahlen  eine  Vorstel- 
lung geben. 

Mittlere  relative  Feuchtigkeit  in  Prozenten 
Höhenschicht  0  u.  '/j    1  u-  1%    2  u.  2%    3  u.  3%    4  u.  4%  km 
Anticyklone      68  56  50  50  47% 

Cyklone  74  78  78  60  65 

Die  Rückseite  einer  Anticyklone  hat  die  gröfste  Lufttrockenheit,  und 
die  Vorderseite  hat  mehr  Wassergehalt  als  das  Zentrum. 

Süring  diskutiert  auch  die  auf  die  Wolken,  ihre  Struktur  und  ihre 
Formen  bezüglichen  Beobachtungen  während  der  Ballonfahrten.    Es  läfst  sich 

1)  Für  die  Abnahme  des  WasBerdampfgehalts  der  Luft  auf  Bergen  gilt  eiue  von 
mir  aufgestellte  Formel,  in  welcher  e»  den  Dampfdruck  im  unteren  Niveau,  <?a  jenen 
im  Niveau  von  h  in  Kilometern  darüber  bezeichnet.  Süring  hat  dieselbe  so  um- 
gestaltet, dafs  sie  auch  für  die  freie  Atmosphäre  gilt.    Diese  Formeln  sind  für  Ge- 

h  ^ 
hirgelogeh  —  logen  —      für  freie  Atmosphäre  hych  ~-lo(je0  —  ß  ^  *j 

Geographteche  Zeitschrift  7.  Jahrgang.  1901.  3.  Heft.  10 


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138  J-  Hann: 

wenig  davon  hier  mitteilen,  weil  dies  eine  breitere  Darstellung  erfordern 
würde.    Neues  von  besonderem  theoretischen  Interesse  hat  sieh  nicht  ergeben. 

Uberkaltete  Wolken  (Wolken  aus  feinen  Wassertröpfchen  bestehend  bei 
Temperaturen  unter  dem  Gefrierpunkt )  wurden  selten  angetroffen,  Eiswolken 
und  Schneewolken  häufig  durchfahren.  Bei  der  Hochfahrt  vom  11.  Mai  1894 
wurde  von  1750—  6000  m  eine  Schneewolke  durchfahren,  von  5  bis  7  km  eine 
Eiskrystallwolke,  darauf  folgte  noch  ein  Eisnebel  von  7  bis  7.G  km  reichend. 
Die  Mächtigkeit  dieser  Wolke  erreichte  demnach  nahezu  6  km;  auch  am 
14.  März  1893  wurde  eine  Eisnadelwolke  von  fast  5  km  Mächtigkeit  beob- 
achtet. Selbst  im  Sommer  kommen  Eisnadel-  oder  Ei skrystall wölken  (also 
Cirrusartige  Wolkenschichten)  schon  in  Höhen  von  3  —  6  km  vor. 

Änderung  der  Geschwindigkeit  und  Richtung  des  Windes  mit  der 
Höhe.  Die  darauf  bezüglichen  Ergebnisse  hat  Dr.  Berson  mit  grofser  Umsicht 
und  Sorgfalt  abgeleitet.  Die  Windgeschwindigkeit  nimmt  bekanntlich  in  den 
meisten  Fällen  mit  der  Höhe  zu,  und  die  Luftschiffer  haben  oft  genug  diese 
Erfahrung  machen  müssen.  Hier  erhalten  wir  eingehende  Nachweise  der 
numerischen  Verhältnisse  der  Zunahme  der  Windstärke  mit  der  Höhe.  Um 
allgemein  giltige  Zahlen  zu  erlangen  und  Mittelzahlen  bilden  zu  können, 
mufs  man  natürlich  das  Verhältnis  der  Windstärke  in  den  höheren 
Niveaus  zu  der  gleichzeitig  an  der  Erdoberfläche  herrschenden  Windstärke  für 
jeden  Fall  aufsuchen.    Derart  erhielt  Dr.  Berson  folgende  Mittelwerte: 

Zunahme  der  Windstärke  mit  der  Höhe 
Mittlere  Höhe    Erde      0.5      1.5      2.5     3.5    4.5    5.5  km 
Relative  Geschw.     1        1.75    1.95    2.15    2.5    3.1  4.5 

In  einer  Höhe  von  2  —  4  km  herrseht  zumeist  schon  eine  2  — 3  mal 
gröfserc  Windstärke  als  nahe  der  Erdoberfläche,  in  4—6  km  eine  4 — 5  mal 
gröfsere.  Die  Zunahme  erfolgt  anfangs  rasch,  dann  wird  sie  langsamer,  was 
dein  Eintritt  in  die  hauptsächlichste  Kondensationszone  entspricht,  über  3000  m 
erfolgt  wieder  eine  raschere  Steigerung  der  Windstürke.  Auch  aus  den 
Wolkeubeobachtungen  ist  man  schon  auf  die  Verlangsamung  der  Windstärke 
in  dein  Niveau  der  häufigsten  Wolkeubildungen  aufmerksam  geworden. 

Die  Zunahme  der  Windstärke  mit  der  Höhe  erfolgt  rascher  in  den  Ge- 
bieten der  Barometerdepressionen  als  in  jenen  der  Hochdruckgebiete.  Die 
Windstärke  ist  aber  in  den  ersteren  schon  an  der  Erdoberfläche  gröfser,  und 
steigt  bis  5%  km  auf  das  fünffache  von  jener  an  der  Erdoberfläche.  Sehr 
bemerkenswert  ist  das  verschiedene  Verhalten  der  West-  und  Ostwinde.  Die 
Westwinde  zeigen  eine  bis  zu  den  gröfsten  Höhen  stetig  wachsende  Wind- 
stärke, bei  den  Ostwinden  findet  man,  dafs  die  Zunahme  sich  etwa  oberhalb 
2  km  wieder  verringert,  wie  folgende  Mittelwerte  das  in  knapper  Weise 
zeigen : 

Wrestwinde  Zunahme  von  0—2  km  auf  2.0;  2—5  km  auf  3.2  (Erdoberfl.  =  1) 
Ostwinde         „         „    0-  2  „     „  1.6;  2    5  „    „   1.4  (      „  -1) 

Die  Ostwinde  sind  zumeist  seichte  Winde,  über  welchen  häufig  West- 
winde angetroffen  werden,  die  Westwinde  beherrschen  dagegen  die  ganze 
Atmosphäre.   Am  6.  September  1894  wehte  unten  ein  Ostwind  von  circa  3  ra 


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Wissenschaftliche  Luftfahrten. 


139 


Geschwindigkeit,  darüber  gab  es  Weststurme  mit  40  m  Geschwindigkeit  in 
16  km  Höhe. 

Die  Maxima  der  Windstärken  bei  den  bemannten  Ballonfahrten  erreichen 
nur  25  m  pro  Sek.,  weil  bei  sehr  windigem  Wetter  keine  Aufstiege  statt- 
fanden. Militärballons  haben  schon  28  m  im  Durchschnitt  ganzer  Fahrten 
ergeben,  Registrier-Ballons  30 — 40  m. 

Die  Windrichtung  dreht  sich  mit  der  Höhe  fast  regelmäfsig  nach 
rechts,  in  den  gröfsten  Höhen  von  5 — 7  km  um  55°  (circa  0.8°  pro 
100  m).  Schon  in  etwa  3  km  weht  der  Wrind,  der  an  der  Erdoberflache 
in  Bezug  auf  die  Richtung  der  Linien  gleichen  Luftdruckes  (der  Isobaren) 
durch  die  Erdrotation  (nördl.  Hemisphäre)  nach  links  abgelenkt  wird,  parallel 
zu  den  Isobaren.  Oberhalb  3  km  tritt  dann  zunächst  ein  bemerkenswerter 
Stillstand  der  Weiterdrehung  ein. 

In  den  Anticyclonalen  Gebieten  ist  die  Rechtsdrehung  der  Windrichtung 
mit  zunehmender  Höhe  am  stärksten,  sie  kann  in  3  km  57°,  in  7  km  88° 
erreichen;  in  5 — 7  km  erfolgt  schon  ein  Einströmen  der  Luft  gegen  das 
Zentrum  der  Anticyklonen  an  der  Erdoberfläche. 

In  den  cyklonalen  Gebieten  erreicht  die  Rechtsdrehung  des  W'indes  mit 
zunehmender  Höhe  keine  so  groJsen  Beträge,  die  Drehung  erfolgt  nur  bis  zur 
Richtung  der  Isobaren,  denen  in  6 — 8  km  Höhe  die  Ballons  entlang  zogen. 
Ein  Ausströmen  der  Luft  kam  nicht  zur  Beobachtung. 

Die  Cy klonen  unserer  Breiten  erwiesen  sich  als  räumlich  begrenztere, 
aber  in  Bezug  auf  Luftbewegung  intensivere  Gebiete,  die  bis  zu  den  gröfsten 
Höhen  hinauf  von  nahezu  parallel  zu  den  Isobaren  strömenden  Luftmassen 
um  wirbelt  werden.  Die  Anticyklonen  sind  räumlich  von  gröl'serer  (hori- 
zontaler) Erstreckung,  reichen  aber  meist  nicht  hoch  hinauf. 

Die  Zunahme  der  Intensität  der  Sonnenstrahlung  mit  der  Höhe 
wurde  mittelst  geschwärzter  Thermometer,  die  in  eine  sehr  luftverdiinnte 
Glasbülle  eingeschlossen  sind,  gemessen.  Man  erhält  auf  diesem  Wege  aller- 
dings nur  relative  Messungen,  welche  aber  doch  erhebliches  Interesse  bean- 
spruchen dürfen. 

R.  Afsraann  hat  diese  Aufzeichnungen  einer  sorgfältigen  Bearbeitung 
unterzogen.  Die  Intensität  der  Sonnenstrahlung  erwies  sich  vormittags 
stärker  als  nachmittags,  sie  war  auch  im  Winter  sehr  intensiv,  am  stärksten 
im  Herbst.  Bei  grofser  Lufttrockenheit,  also  namentlich  bei  absteigender 
Luftbewegung,  ist  die  Intensität  dsr  Sonnenstrahlung  am  gröfsten.  Ist  eine 
Bewölkung  vorhanden,  so  ist  die  Strahlung  geringer,  auch  wenn  die  Sonne 
unverhüllt  ist,  offenbar  giebt  es  dann  unsichtbare  Trübungen  auch  zwischen 
den  Wolken.  Befand  sich  aber  der  Ballon  oberhalb  eines  Wolkenmeeres,  so  war 
die  Strahlung  konstant  grofser  als  bei  ganz  reinem  Himmel.  Besonders  an 
der  Oberfläche  der  Eiswolken  war  eine  beträchtliche  Zunahme  der  Strahlungs- 
intensität zu  beobachten.  Die  Ursache  ist  wohl  in  der  meist  sehr  grofsen 
Lufttrockenheit  oberhalb  der  Wolken  und  in  der  von  den  Wolken  reflektierten 
Strahlung  zu  suchen. 

Auch  bei  ganz  verhüllter  Sonne  nahm  die  (diffuse)  Strahlung  mit  der 
Höhe  erheblich  zu. 

10* 


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140 


F.  v.  Huene: 


Die  Beobachtungen  und  Berechnungen  von  Richard  Börnstein  in  Bezug 
auf  Luftelektrizität  sind  für  die  Theorie  von  letzterer  von  grofccr  Wichtigkeit. 
Ks  ist  aber  nicht  möglich,  auf  dieselben  einzugehen,  ohne  den  gegenwärtigen 
Stand  der  Theorie  der  Luftelektrizität  einleitend  zu  erörtern,  was  an  dieser 
Stelle  nicht  zulässig  erscheint. 

Die  „Theoretischen  Schlufsbetraehtungen"  von  W.  v.  Bezold  sind  schon 
in  den  Erörterungen  über  die  Temperatur-Abnahme  mit  der  Höhe  angezogen 
worden.  Auf  die  wichtigen  Folgerungen  zur  Thermodynamik  der  Atmosphäre 
kann  an  dieser  Stelle  leider  nicht  eingegangen  werden. 

Wir  nehmen  hiermit  von  dem  monumentalen  Werke  Abschied,  das  durch 
seinen  wissenschaftlichen  Inhalt  nicht  weniger  imponiert  als  durch  seinen 
Umfang. 


Eine  orographische  Studie  am  Knie  des  Rheines. 

Von  P.  v.  Huene. 
Mit  einer  Karte  (Tafel  2). 

Mit  zu  den  interessantesten  Problemen  gehören  die  qrographischen. 
Die  Urographie  ist  ein  Bindeglied  zwischen  (ieologie  und  Geographie,  und 
diese  eine  Grundlage  der  Kulturgeschichte  und  Geschichte.  Liegt  nicht  ein  be- 
sonderer Heiz  in  der  Erkennt  nis,  dafs  von  lange  her  die  heut  ige  Oberflächen - 
gestaltung  schon  vorbereitet  war,  und  dafs  die  vorhandenen  Konstellationen 
notwendig  diese  und  keine  andere  Modellierung  hervorbringen  mufsten? 

Ein  zu  solchen  Untersuchungen  geradezu  klassisches  Gebiet  ist  der 
nordwestliehe  Jura  und  der  südwestliche  Schwar/wald,  also  die  beiden  Gebirgs- 
komplexe,  welche  der  Rhein  durchbricht,  um  Basel  zu  erreichen.  Klassisch, 
resp.  in  hohem  (trade  lehrreich  ist  dieses  Gebiet  für  den  genannten  Zweck 
«leshalb,  weil  hier  drei  grundverschiedene  Typen  der  Thalbildung  in 
charakteristischer  Entwicklung  auf  engem  Raum  zusammengedrängt  sind. 

Die  Eigenschaften  der  den  Untergrund  bildenden  Gesteine  und  die 
Lagerung  derselben  stellen  der  Drainierung  einer  Gegend  und  der  Erosions- 
arbeit des  Wassers  die  Bedingungen  so  oder  so. 

Das  Urgebirge  der  zentralen  Teile  des  südlichen  Schwarzwaldes  formt 
sich  unter  dem  Zahn  der  Zeit  ganz  anders  als  die  südlich  anliegenden  Sedi- 
mente. Auch  die  Skulpturierung  dieser  letzteren  ist  verschieden,  je  nachdem 
sie  in  Falten  geworfen  sind  oder  nicht, 

Abgesehen  von  der  wechselnden  Fruchtbarkeit  der  Erde  und  der  hierdurch 
bedingten  Vegetation  und  Bebauung  wird  die  Verschiedenheit  der  Gesteine 
und  deren  Lagerung  sich  heute  in  dem  Landschaftsbilde  auf 
zweierlei  Weise  zu  erkennen  geben:  erstens  in  der  Form  der 
Berge  und  zweitens  in  der  Figur  der  Flufssysteme.  Daher  wird  es 
gut  sein,  sich  über  diese  beiden  Punkte  zunächst  kurz  zu  orientieren. 

Von  einem  günstigen  Standorte  in  der  Nähe  Basels  bietet  sich  den 
Blicken  des  Beschauers  der  Schwarzwald  im  Norden  mit  seinen  schön  ge- 


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Geographische  Zeitschrift.    Jahrgang  VII. 


Tafel  2. 


Die  Flufdftufe  im  Norden  und  Süden  des  Rheines. 

I>ie  punktierte  Linie  im  Norden  l.edeutet  die  Diuken>rrK»p»lte ,  die  beiden  »udlicheu  die 

de*  Ki-tteiijura 


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Eine  orographische  Studie  am  Knie  des  Rheines. 


141 


rundeten  Formen  dar,  die  wie  ein  Haufwerk  von  Wollsäcken  immer  höher 
ansteigen,  wo  Kuppel  an  Kuppel  sieh  reiht  und  am  fernen  Horizont  zu  einem 
einzigen  herrlichen  Dome  zu  verschmelzen  scheint.  Die  ebenmäßigen  Formen 
und  die  zusammenhängende  Bewaldung,  welche  dem  Ganzen  trotz  der  zahl- 
losen Gipfel  eine  wohlthuende  Ruhe  verleiht,  zeugen  von  dem  einheitlichen 
Charakter  der  Gesteine  in  diesem  Teil  des  Schwarzwaldes. 

Ganz  anders  im  Süden!  Auch  hier  türmt  sich  ein  Gebirge  auf.  Wie 
eine  einzige  Wand,  nein  —  bei  näherem  Zusehen  —  wie  viele  parallele 
Mauern  streicht  der  hohe  Kettenjura  in  geschlossenem  Zuge  von  Osten  nach 
Westen.  Es  sind  langgezogene  gerade  Bergrücken,  oft  von  weithin  leuchtenden 
Felsbändern  begleitet  und  ab  und  zu  von  einem  schroffen  Querthal  durch- 
brochen, doch  nur  um  auf  diese  Weise  den  nächsten  gleichlaufenden  Gebirgskamm 
durchblicken  zu  lassen. 

Das  Gebiet  in  der  Mitte  zwischen  Schwarzwald  und  Kettenjura  macht 
einen  vollkommen  verschiedenen  Eindruck  je  nach  dem  Standort,  von  dem 
es  betrachtet  wird.  Befindet  man  sich  im  Thal,  so  sieht  man  nur  schroffe 
Bergwände;  steht  man  aber  auf  der  Höhe,  so  schweift  das  Auge  über  eine 
weite  Hochfläche,  wenn  auch  von  zahlreichen  breiten  Thälern  unterbrochen 
und  von  manchen  kuppel-  oder  domförmigen ')  Bergen  überragt.  Dieselbe 
Oberflächenform  reicht  auch  nördlich  vom  Rhein  in  das  geographische  Gebiet 
des  Schwarzwaldes  hinein,  aus  welchem  es  die  südwestliche  Ecke  gleichsam 
ausschneidet  mit  auffallend  scharfer  Begrenzung  durch  die  Linie  Kandern- 
Hausen-Säckingen.  Nicht  weniger  unvermittelt  ist  im  Süden  der  I  bergang 
vom  Plateau  zu  den  Ketten.  Im  Westen  bricht  der  Tafeljura  mit  steilem 
Rande  gegen  die  fruchtbare  Rheinebene  ab,  welch  letztere  hier  bis  an  die 
hohen  Faltenzüge  des  Kettengebirges  heranreicht. 

Wenn  aus  dieser  kurzen  Skizzierung  die  Verschiedenheit  der  drei  Gebirgs- 
formen  einleuchtet,  so  wird  ein  rasches  Überblicken  der  Anordnung  der 
Wasserläufe  desselben  Gebietes  das  Bild  vervollständigen. 

In  der  Mitte  schneidet  von  Osten  nach  Westen  als  Hauptstamm  das 
Rheinthal  ein.  Soweit  die  Gegend  hier  in  Betracht  kommt,  münden  von 
Süden  zwei  größere  Thäler,  das  Ergolz-  und  das  Frickthal.  Beide  holen 
in  S-fÖrmig  geschwungener  Linie  weit  nach  Osten  aus  und  beide  haben 
sämtliche  irgend  bedeutenderen  Nebenthäler  auf  der  Südseite.  Diese  sind  un- 
gefähr geradlinig  von  Süden  nach  Norden  gerichtet,  sie  durchbrechen 
die  nördlichste  Kette  des  Faltenjura  oder  auch  zwei  derselben  und 
empfangen  dort  ihre  Zuflüsse  unter  ungefähr  rechtem  Winkel  von  Osten 
und  Westen  aus  den  zwischen  den  Ketten  gelegenen  Thälern.  Der  Abflufs 
aus  den  Ketten  nach  Süden  (zur  Aar)  geschieht  in  der  nämlichen  Weise. 

Von  Norden  her  münden  ebenfalls  zwei  Thäler  in  den  Rhein,  die  hier 
Erwähnung  finden  sollen,  dasjenige  der  Wiese  und  das  der  Wehra.  Ersteres 
ist  beinahe  das  Spiegelbild  des  Ergolzthales,  S-förmig  nach  Osten  und  Norden 
geschwungen  erhält  es  seine  Nebenflüsse  geradlinig  von  Norden,  während  von 
Süden  kein  einziges  Seitenthal  einmündet.    Erst  von  Hausen,  dem  Geburtsort 

1)  Ein  solcher  Berg  östlich  von  Sissach  heilst  auch  landläufig  der  „Domberg". 


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142 


F.  v.  Hucne: 


llebel's,  an  schlängelt  sich  das  eng  gewordene  Thal  in  unregelmafsigen 
Krümmungen  nach  Nordosten  und  empfängt  von  beiden  Seiten  Zuflüsse. 
Ähnlich  das  Wehrathai;  in  seinem  nördlichen  Teil  läuft  es  dem  Wiesenthal 
ungefähr  parallel  und  nimmt  von  beiden  Seiten  kleine  Wässerchen  auf,  aber 
vom  Dorfe  Wehr  an  zieht  es  in  schnurgerader  Linie  nach  Süden  bis  zum 
Rhein  und  wird  nur  noch  von  der  Ostseite  her  mit  einigen  Bächen  gespeist. 

Soweit  was  auf  der  topographischen  Karte1)  abgelesen  werden  kann! 
Müssen  nicht  jedem  aufmerksamen  und  denkenden  Beobachter  die  S-förmigen, 
im  Norden  und  Süden  spiegelbildlich  ähnlichen  Flufstbäler  wie  tief  in  die 
Erdkruste  vom  Griffel  der  Natur  eingravierte  Fragezeichen  (,,?u)  erscheinen? 
Und  ist  dieses  aufgefallen,  so  werden  die  geraden,  nur  von  einer  Seite 
kommenden  Nebenthäler  nicht  weniger  frappieren,  und  ferner  der  Umstand, 
dafs  die  scheinbar  so  gesetzmäfsige  Erscheinung  nur  auf  das  Gebiet  zwischen 
dem  Kettenjura  und  dem  eigentlichen  Schwarzwald  beschränkt  ist,  und  dafs 
die  Flufsläufe  in  den  beiden  hohen  Gebirgen  selbst  wieder  andere,  aber  unter 
sich  verschiedene  Anordnung  zeigen. 

Ist  solches  konstatiert,  so  drängt  sich  unwillkürlich  die  Frage  auf:  wie 
kam  dies  zu  Stande?  und  weshalb  wurde  es  gerade  so  und  nicht  anders? 
woher  die  Gesetzmäßigkeit?  Um  diesen  Dingen  näher  zu  kommen,  ist  es 
nötig,  die  geologische  Geschichte  der  ganzen  Gegend  zu  Hilfe  zu  nehmen. 
So  wollen  wir  nun  die  beschränkte  Gegenwart  verlassen  und  die  Vorgänge 
längst  entschwundener  Zeiten  sich  vor  unserem  geistigen  Auge  aufrollen 
lassen. 

In  der  Oligocänzeit  begann  die  Einsenkung  des  Rheinthaies  zwischen 
Basel  und  Mainz,  die  Gebiete  des  heutigen  Schwarzwaldes  und  der  Vogesen 
von  einander  trennend,  welche  von  den  Sedimenten  der  Trias  und  des  Jura 
bedeckt  waren.  Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  machte  sich  im  Zusammenhang 
mit  der  Hebung  der  Alpen  von  Süden  her  eine  tangentiale  Druckwirkung 
auf  die  grofse  Sedimeuttafel  des  jetzigen  Jura  und  die  nördlich  anliegenden 
Gegenden  geltend.  Es  wurden  an  dem  Südrand  die  ersten  Anfänge  paralleler 
Faltenzügo  gebildet,  also  dort,  wo  heute  der  Kettenjura  steht').  Nördlich 
davon  dehnte  sich  eine  weite,  flach  ansteigende  Schichtenplatte  aus.  Inzwischen 
sank  der  Rheinthalgraben  immer  tiefer  ein,  es  bildeten  sich  auf  seinen  beiden 
Seiten  hauptsächlich  zwei  mächtige  Spalten,  nur  die  Ränder  seiner  Süd-  und 
Südostseite  blieben  im  Zustande  einer  steilen  Flexur.  Die  Rheinthal  Ver- 
senkung und  andere  Einbrüche  im  Osten  hatten  zur  Folge,  dafs  der  Schwar/.wald 
schliefslich  horstartig  hervorragte,  nach  <  )sten  und  Westen  von  Staffelbrüchen 
begrenzt.  Die  Erosion  hatte  nun  ein  leichtes  Spiel  und  entfernte  bald  den 
gröfsten  Teil  der  Sedimente.  (Diese  Vorgänge  reichen  schon  weit  in  das 
Miocän  hinein.) 

Als  Begleiterscheinung  der  Rheinthalbrüche  bildete  sich  von  Kanderu 
aus  nach  Osten  eine  grofse  Spalte  bis  Hausen  und  von  da  nach  Süden  ab- 
schwenkend  bis    Säckingon.     Die    innere   Seite  dieser  bogenförmigen  Ver- 

1)  Am  meisten  zu  empfehlen  ist  die  „Karte  von  Basel  und  Umgebung''  1  :  7500m. 
Verla«  von  R.  Reich  in  Basel. 

2)  Vom  westschweizerischen  Jura  ist  hier  nicht  die  Rede. 


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Eine  orographische  Studie  am  Knie  des  Rheines.  14;} 


werfung  senkte  sich  recht  bedeutend  ein,  während  die  äufsere  Seite  im  alten 
Niveau  stehen  blieb.  Auf  diese  Weise  kamen  horizontal  gelagerte  Trias- 
schichten  in  die  gleiche  Höhe  mit  dem  Granit  und  Gneifs  des  südlichen 
Sehwarzwaldmassivs  zu  liegen.  Dies  mufste  für  die  spätere  Oberflächen- 
gestaltung  von  bedeutendem  Einflüsse  sein. 

Die  Denudation  machte  grofse  Fortschritte  nicht  nur  in  dem  jetzt  hoch 
emporragenden  Schwarzwalde,  sondern  auch  in  dem  zunächst  südlich  an- 
scfa liefsenden  Gebiet,  da  das  Wasser  hier  noch  seine  volle  Wucht  hatte.  So 
konnte  sich  die  Vertiefung  vorbereiten,  die  vom  Rhein  zwischen  Schwarzwald 
und  Jura  später  benutzt  wurde.  Wir  befinden  uns  jetzt  auf  der  Schwelle 
zwischen  Tertiär  und  Diluvium1). 

Fassen  wir  nun  das  Gebiet  der  Faltungen  im  Kettenjura  ins  Auge, 
so  braucht  nicht  erst  gesagt  zu  werden,  dafs  vom  ersten  Moment  der  Auf- 
wölbung an  dem  abfliefsenden  Wasser  die  Bahnen  vorgezeichnet  waren.  Von 
dem  Gewölbescheitel,  der  Antiklinale,  mufs  es  auf  dem  kürzesten  Wege  in 
die  Synklinale,  das  Thal  zwischen  zwei  Falten,  hinunterströmen,  hier  sammelt 
es  sich  in  den  sog.  „Längsthälern".  Um  abfliefsen  zu  können,  mufs  es  die 
Kette  quer  durchbrechen  in  „Querthälern'',  die  im  Jura  „Klüsen1*  genannt 
werden.  Die  Durchbrechung  der  Ketten  ist  durchaus  keine  Kraftprobe  un- 
geheurer Wassermassen  im  Kampf  mit  himmelanstrebenden  Bergen,  wie  der 
Unkundige  leicht  denken  könnte,  wenn  er  z.  B.  auf  der  Jurabahn  zwischen 
Delemont  und  Biel  die  jähen  Schluchten  und  pittoresken  Felsabstürze  be- 
wundert, welche  diese  Querthäler  zieren.  Es  liegt  ja  auf  der  Hand,  dafs 
von  vornherein  bei  Beginn  der  Faltung  das  Wasser  sich  seinen  Weg  suchen 
muffte.  Damals  war  es  ein  leichtes,  eino  kleine  Furche  quer  durch  das 
geringe  Hindernis  zu  graben,  sobald  die  Synklinalenmulde  angefüllt  war. 
Je  mehr  aber  die  Falten  zu  Hügeln  und  zu  Bergen  anwuchsen,  desto  mehr 
vertieften  sich  auch  die  Furchen  zu  Thälern  und  zu  Schluchten.  Beide  Vor- 
gange hielten  Schritt.  Dies  brauchte  aber  nicht  immer  von  Anfang  an  der 
Fall  zu  sein.  Es  konnte  auch  eine  spätere  Wasseransammlung  durch  Uber- 
fliefsen  eine  Scharte  hervorrufen,  die  allmählich  mehr  vertieft  wurde,  oder  es 
konnte  die  rückschreitende  Erosion  von  einer  oder  auch  von  zwei  Seiten  zu- 
gleich eine  schon  vorhandene  Kette  durchnagen.  Bei  all  den  möglichen 
Fällen  wählte  das  Wasser  zur  Durchbrechung  meist  tektonisch  schwache 
Stellen  aus. 

Durch  verschiedene  und  zum  Teil  recht  komplizierte  tek tonische  Vor- 
gänge  wie  Faltenverwerfung,  Überschiebung  u.  s.  w.  wurden  auch  weichere 
Gesteine  als  die  die  oberste  Decke  bildenden  Weifsjuraschichten  der  Erosions- 
arbeit des  Wassers  zugänglich  und  so  konnte  die  Zahl  und  Mannigfaltigkeit 
der  Thäler,  speziell  der  Längsthäler,  eine  gröfscre  werden!  Häufig  durch- 
ziehen Störungslinien  die  Gewölbe  der  Länge  nach  und  solche  bieten  dem 
Wasser  wirksame  Angriffspunkte;  die  Erosion  steigt  von  den  Querthälern  im 
Osten  und  Westen  herauf  und  bald  ist  das  Gewölbe  in  zwei,  drei  oder  mehr 


1)  Von  der  zeitweiligen  Meeresiiberflutung  im  Oligocän  (Rheinthal)  und  mittleren 
Miocän  (Rheinthal  und  Tafeljura)  brauchte  hier  nicht  die  Rede  zu  sein. 


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144 


F.  v.  Hiicnc: 


parallele  Ketten  zersägt.  Die  gegenseitig  konvergierende  Schiehtenstelliing 
zeigt  die  ursprüngliche  Zusammengehörigkeit  solcher  Bergrücken  heute  noch 
au.  Auch  in  der  äufsereu  Gestaltung  weisen  die  primären  und  die  sekundären 
Längsthäler  oder  wie  man  zu  sagen  pflegt  die  Synklinalen  und  die  Anti- 
klinalenthälcr  frappante  Differenzen  auf.  Z.  B.  das  Thal  von  Baistal  und  d.^- 
jenige  von  Moutier,  welche  zur  ersten  Kategorie  gehören,  haben  eine  breite 
Mulde  und  gleichmäßig  bewaldete  CJehänge,  die  mit  mäfsigem  Winkel  an- 
steigen, während  die  stets  viel  kürzeren  und  unregelmäfsigeren  Antiklinalen- 
thäler,  deren  es  im  Gebiete  des  Pafswang  einige  sehr  typische  giebt,  schlucht- 
artig oft  von  mehreren  übereinander  liegendeu  Galerien  von  Felsbändern 
eingefafst  werden,  zwischen  welchen  ebenere  Terrassen  folgen  als  Ausdruck 
des  Wechsels  der  Gesteine  in  den  verschiedenen  Höhenlagen  der  Thalwändc. 
Solche  Felshorizonte  sind  namentlich  der  Hauptrogenstein  und  der  oben- 
weifse  Jura.  Häufig  kommt  es  vor,  dafs  die  weicheren  Gesteine  zwischen 
diesen  beiden  wiederum  so  tief  aufgerissen  werden,  dafs  ein  tertiäres  Längs- 
thal entsteht.  Eine  charakteristische  amphitheatralische  Gestalt  nimmt  der 
Abhang  des  Gewölbekerns  gegen  ein  Querthal  an,  da  hier  die  tieferen  weichen 
Schichten  ausgewaschen  werden  und  die  härteren  Flanken  stehen  bleiben; 
das  ist  in  der  Nähe  von  Langenbrink  sehr  schön  zu  beobachten. 

Wie  das  Bild  auch  im  einzelnen  modifiziert  sein  mag,  jedenfalls  sehen 
wir  im  Faltengebirge  Quer-  und  Längsthäler  ungefähr  unter  rechten  Winkeln 
zusammenstofsen  und  die  erstereu  entführen  das  Wasser  nach  Norden  und 
Süden. 

Ganz  anders  verhält  sich  der  Schwarzwald.  Hier  konnten  keine 
Faltungen  dem  Wasser  seine  Bahnen  vorschreiben ,  weil  solche  nicht  vor- 
handen waren.  Nach  allen  Seiten  standen  ihm  gleichmäfsig  die  Wege  offen. 
Daher  verlaufen  auch  die  Thäler  in  normalster  Weise  radial  nach  den 
Rändern  des  Gebirges.  Infolge  dessen  bilden  die  hohen  Kammlinien  des 
südlichen  Massivs  ungefähr  sternförmig  verzweigte  Systeme  mit  unzähligen 
kleinen  Seitenästen.  Die  Erosion  hat  sich  bis  tief  ins  Grundgebirge  hinein- 
gefressen, nur  dem  östlichen  Theile  ist  die  Buntsandsteindecke  erhalten  ge- 
blieben (mit  plateauartigen  Bergformen). 

Wenden  wir  uns  nun  wieder  zu  dem  Gebiet  zwischen  Schwarzwald  und 
Kettenjura,  und  zwar  um  die  Wende  von  Tertiär  und  Diluvinm.  Im  Norden 
der  Ketten  dehnte  sich  ein  weites  Hochplateau  aus,  das  bis  an  die  Ab- 
senkungsspalte Kandem  —  Hausen  —  Säckingen  reicht,  Diese  ganze  flache 
Sedimenttafel  ist  im  Westen  von  der  Rheinthalflexur  begrenzt,  über  welche 
hinab  zur  Ebene  ihr  Wasser  abfliefsen  mufs.  In  der  Mitte  bildet  sich  eine 
durch  lokale  untergeordnete  tektonische  Bewegungen  begünstigte  nach  Westen 
gerichtete  Rinne.  Eine  schwach  westliche  Neigung  bewirkt,  die  ebenfalls 
westliche  Richtung  der  entstehenden  Hauptseitenthäler,  Wiesen-,  Ergolz-  und 
Frickthal. 

Das  Frickthal  zieht  direkt  nach  Nordwesten,  bis  die  Hauptabzugrinne, 
das  jetzige  Rheinthal  erreicht  ist.  Die  Ergolz  liierst  nach  Westnordwesten 
bis  Liestal,  biegt  aber  dort  nach  Norden  ab,  sei  es  dafs  die  härteren  Ge- 
steine der  rauracischen  Malmfacies  sich  ehemals  vom  Genipenplateau  so  weit 


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Kino  orographische  Studie  am  Knie  des  Rheines.  J45 


nach    Osten    erstrecken,   sei    es    dafs   gewisse    untergeordnete    tektonische  * 
»Störungen  dies  veranlagten.    Das  Thal  der  Wiese  endlich  zieht  genau  nach 
Westen  bis  zum  Rande  der  Flexur  (nördlich  von  Lörrach)  und  biegt  erst 
hier  nach  Süden  um,  dem  Plateaurande  folgend  bis  Basel. 

Die  Bildung  der  Seitenthäler  dieser  drei  Flüsse  beansprucht  ein  nicht 
geringes  Interesse.    Es  ist  schon  angedeutet,  auf  welche  Weise  die  Drainierung 
des  Kettenjura  vor  sich  geht  und  vor  sich  gehen  mufste.    Die  Durchbruchs- 
thäler  leiten  alles  Wasser  nach  Norden,  resp.  Süden,  ab.    Nördlich  von  den 
Ketten  dehnte  sich  das  Hochplateau  des  jetzigen  Tafeljura  in  weiter  Fläche 
aus.     Die  von  zahlreichen  Punkten  in  bestimmten  Abständen  von  Süden  her 
auf  dasselbe  geleiteten  Wassermassen  strömten  auf  dem  kürzesten  Wege  der 
Rheinthalrinne,  resp.  dem  sich  früher  quer  vorlegenden  Ergolz-  oder  Frick- 
thale  zu.    So  kommt  es,  dafs  die  Oberflächengestaltung  des  Faltenjura  die- 
jenige des  Tafeljura  bedingt,  denn  hier  kam  im  allgemeinen  nur  einfache 
Erosion  in  Betracht.    Die  Tektonik  dieses  Gebirgsteiles  ist  nicht  dazu  an- 
getban,  den   Flufssysteinen  ihre  grofsen  Linien  vorzuschreiben,  wohl  aber 
treten  Einzelheiten  des  Gebirgsbaues  durch  die  Wasserbäche  angeschnitten 
sehr  schön   zu  Tage.    Dies  soll  unten  zur  Sprache  kommen.    Mit  den  an- 
geführten Verhältnissen  hängt  es  auch  zusammen,  dafs   das  Gebirgsstück 
nördlich  des  Ergolz-  oder  Frickthales  keine  gröfseren  Wasseradern  aufzuweisen 
hat  und  dafs  die  wenigen  doch  vorhandenen  kleinen  Bäche  stets  nach  dem 
Rhein  selbst  fliefsen.    Sie  haben  nordwestliche  Richtung  wie  das  Ergolz-  und 
Frickthal,  was  ja  auch  natürlich,  da  sie  relativ  alt  sein  müssen  und  wohl 
mit  jenen  gleichzeitig  entstanden  sind;  arbeitet  doch   die  Erosion  in  den 
Thälern  von  unten  nach  oben. 

Ganz  analog  liegt  die  Sache  bei  dem  Flufssystem  der  Wiese.  Es  ist 
gesagt  worden,  weshalb  die  Thäler  des  südlichen  Schwarzwaldes  ziemlich 
radial  nach  Süden  und  Südosten  ausstrahlen.  Die  Wiese  selbst,  soweit  sie  im 
Urgebirge  verläuft,  ist  einer  der  gröfsten  Abflüsse.  Sobald  aber  das  südlich 
anliegende  Plateau  erreicht  wird,  biegt  sie  wie  schon  erwähnt,  dessen  west- 
licher Neigung  folgend,  dorthin  ab.  Die  anderen  westlich  von  der  Wiese  im 
krystallinen  Gebirge  nach  Süden  fliefsenden  Gewässer  setzen  auf  dem  Plateau 
ihren  Lauf  einfach  gerade  fort,  da  diesem  keine  Ursache  innewohnte,  ihnen 
ein  Hemmnis  in  den  Weg  zu  legen Sie  werden  von  der  Wiese  abgefangen, 
daher  fehlen  auch  der  Höhe  von  Adelhausen  (Dinkelborgplateau  z.  Th.)  alle 
gröfseren  Wasseradern. 

Wie  schon  hervorgehoben,  "scheint  die  Wehra  sich  etwas  anders  zu  ver- 
halten. Dies  ist  aber  trotzdem  auch  auf  dieselben  Faktoren  zurückzuführen, 
welche  den  geschilderten  Verlauf  der  anderen  Flüsse  veranlal'sten.  Bis  Wehr 
ist  das  Wehrathai  dem  oberen  Wiescnthal  prinzipiell  ähnlich,  da  es  wie  dieses 
im  krystallinischen  Gestein  eingesägt  ist.  Von  hier  an  jedoch  wird  es  rechts 
von  triassischen  Sedimenten  des  Dinkelbergplateaus  begleitet,  links  bleibt  der 

1)  Es  ist  nämlich  anzunehmen,  dafs  zu  etwas  späterer  Zeit  das  Plateau 
nicht  mehr  nach  Westen  geneigt  war;  eine  schiefe  Fläche  bildete  es  wohl  nur  so- 
lange die  Dinkelbergscnkung  noch  nicht  ganz  abgeschlossen  war.  Das  Wiesenthal 
selbst  als  das  grüfste  ist  jedenfalls  das  älteste,  die  Nebenthäler  sind  jünger. 


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146 


F.  v.  Huene: 


Gnoifs.  Das  Thal  verlauft  also  in  seiner  unteren  Hälfte  auf  der  grofsen  Ver- 
werfung Kandem  —  Hausen — Säekingen.  Wirkungen  desselben  Vorganges, 
welcher  die  Wiese  nötigte,  nach  Westen  abzubiegen,  zwangen  die  Wehra, 
eine  direkt  südliche  Richtung  einzuschlagen.  Von  Osten  münden  einige  kleine 
Bäche  ein,  von  Westen  dagegen  empfängt  sie  mit  Ausnahme  des  einen  bei 
Wehr  keine  Nebenflüsse,  da  die  Wiese  dort  alles  Wasser  abfängt.  Das  eine 
bei  Wehr  einmündende  Thal  kommt  direkt  von  Norden  au9  dem  Urgebirge. 

Im  Bisherigen  haben  wir  die  Ursachen  betrachtet,  welche  mit  zwingender 
Notwendigkeit  gerade  dieses  Linienbild  der  Flulssysteme  hervorbringen  mufsten. 
Die  Anbahnung  seiner  Grundzüge  reicht  weit  zurück.  Wir  haben  gesehen, 
wie  dasselbe  in  den  drei  Gebirgskomplexcn  ein  durchaus  verschiedenes  Ge- 
präge annimmt  und  speziell  im  Gebiet  des  Plateaus  einen  sozusagen  passiven 
Charakter  trägt,  und  haben  erkannt,  dafs  dies  auf  das  Wesen  des  Gebirgs- 
baues  zurückzuführen  ist.  Im  Anfang  wurde  der  Satz  aufgestellt,  dafs 
der  Typus  des  Schichtenaufbaues  sich  nicht  nur  in  der  Art  der  Drainierung, 
sondern  auch  in  den  Formen  der  Berge  zu  erkennen  giebt.  Für  die  drei 
Hauptformen,  Kuppeln  im  Urgebirge,  lange  Kämme  im  Kettenjura  und 
Plateaus  im  Tafeljura,  mag  es  genügen,  auf  die  oben  gegebenen  Skizzierungen 
ihres  allgemeinen  Habitus  zu  verweisen.  Es  soll  nur  noch  an  einigen  Bei- 
spielen aus  dem  Ergolzgebiet  erörtert  werden,  wie  Einzelheiten  der  Tektonik 
bestimmte  Erosionsformen  hervorbringen. 

Die  Thalränder  sind  im  allgemeinen  steil,  wie  dies  durch  Abschneiden 
der  wenig  geneigten  Schichten  bedingt  wird.  Die  gleichen  jähen,  mit 
scharfer  Kante  beginnenden  Abhänge  finden  sich  in  den  Flufsthalern  des  Tafel- 
jura  wie  auch  des  Dinkelbergplateaus.  Wer  das  Frickthal  zwischen  Frick 
und  Effingen  kennt  oder  die  Berge  bei  Sommerau,  wird  unwillkürlich  an 
Verwandtes  erinnert  durch  den  Anblick  des  Plateaurandes  zwischen  Grenzach 
und  Herthcn  bei  Rheinfelden  (Dinkelberg).  In  der  Umgegend  von  Liestal, 
aus  der  ich  jetzt  einige  Beispiele  herausgreifen  will,  nimmt  der  schwer  ver- 
witternde ca.  100  m  mächtige  Hauptrogenstein  (mittl.  brauner  Jura)  den 
gröfsten  Flächenraum  ein  und  bedingt  vornehmlich  die  Landschaft.  Da  die 
Gegend  von  zahlreichen  nach  Nordosten  streichenden  Verwerfungen  durch- 
schnitten ist,  tritt  er  in  sehr  verschiedenen  Höhenlagen  auf.  Er  wird  durch 
besonders  steile,  meist  mit  Buchen  bewaldete  Abhänge  gekennzeichnet  und 
tritt  auch  nicht  selten  in  kühnen  Felsen  hervor  (Sissacherfluh).  Über  und 
unter  ihm  befinden  sich  weichere  Schichten,  die  fruchtbare  Erde  liefern  und 
sich  stets  durch  sanftere  Formen  zu  erkennen  geben.  Die  oberste  Decke 
bilden  nochmals  harte  Malmkalke  (die  in  den  meisten  Fällen  allerdings  durch 
Erosion  entfernt  sind).  Dem  entsprechend  findet  man  auf  dem  Blomd  bei 
Bubendorf  eine  ebene  Fläche  aus  oberem  weifsem  Jurakalk,  der  nach  den 
Seiten  steile  Abhänge  bildet,  dann  folgt  (auf  der  Nordseite  bei  Engelsburg) 
eine  terrassenartige  Stufe,  deren  Steilrand  nach  unten  aus  Hauptrogenstein 
.  gebildet  wird.  Ebenfalls  zwei  deutliche  Stufen  zeigt  die  Tennikerfluh  nach 
Westen  und  Nordwesten,  hier  aber  sind  sie  beide  Male  aus  Hauptrogenstein 
zusammengesetzt,  da  eine  grofse  Verwerfung  zwischen  ihnen  durchgeht.  Eine 
riesige  Platte  aus  dem  nämlichen  Gestein  ist  der  Schlcifenberg  bei  Liestal, 


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Eine  orograph isehe  Studie  um  Kniendes  Rheines. 


147 


dessen  Schichten  nach  Südosten  ansteigen.  Dies  tritt  schon  orographisch 
deutlich  hervor;  seine  Fortsetzung  findet  er  im  „grofsen  Grammont".  Beide 
sind  durch  ein  breites  Einbruchsthal,  das  Windenthal,  getrennt,  zu  welchem 
geologisch  auch  der  Plänetzen  gehört,  der  orographisch  eine  Vorstufe  des 
Grammont  ist.  Hier,  also  gegen  200  m  niedriger,  trifft  man  wieder  die 
gleichen  Schichten  des  Hauptrogensteins  wie  auf  dem  Schleifenberg  und  dem 
Grammont  zu  beiden  Seiten;  es  ist  ein  abgesunkenes  Gebirgsstüek.  Eine  un- 
erwartete Abwechslung  zwischen  den  steilen,  bewaldeten  Berghängen  bieten  die 
sanft  ansteigenden  Wiesenflächen  nördlich  von  Sissach.  Sie  befinden  sich  auf 
weichen  mergeligen  und  thonigen  Schichten  des  Keuper,  Lias  und  untern 
braunen  Jura,  die  durch  Dislokationen  auf  das  gleiche  Niveau  gebracht  sind 
und  sich  teilweise  gegen  das  Thal  hin  neigen..  Scharf  heben  sich  ringsherum 
die  Rogensteinwünde  ab. 

Auf  manchen  der  Verwerfungen1)  haben  sich  später  Thäler  ausgefurcht, 
so  die  untere  Hälfte  des  Oristhales,  die  grofse  Thalweitung  südlich  von 
Sissach  u.  a.  m.  Häutig  sind  die  Spalten  auch  durch  jäh  abschneidende 
Berghäng e  markiert,  so  ist  die  Zun/.gerhardt  auf  beiden  Seiten  (Ost  u.  West) 
von  solchen  eingefafst.  Mitunter  aber  streichen  die  Verwerfungen  quer  oder 
schief  über  einen  Berg  hinUber,  wie  z.  B.  an  der  Winterhalde,  südwestlich 
von  Hingen.  Nur  bei  genauerem  Zusehen  findet  man  auch  hier  einige  Spuren 
in  der  äufseren  Form,  indem  nämlich  auf  der  Nordostseite  sich  auf  der  Ver- 
werfung eine  tiefe  Runse  gebildet  hat.  Der  Grund  für  das  merkwürdig  un- 
deutliche orographische  Hervortreten  dieser  Spalte  liegt  darin,  dafs  Haupt- 
rogenstein und  Weifsjurakalk  in  dem  gleichen  Niveau  anstehen,  fast  horizon- 
tal aneinanderstofseu  und  beide  der  Erosion  ungefähr  denselben  Widerstand 
entgegensetzen.  Wo  die  sterilen  Effingermergel  (unt.  weifser  Jura)  gröfsere 
Flächen  einnehmen,  bilden  sich  unfruchtbare  weite  Mulden,  von  magerem  Gras 
und  einigen  Kiefern  bestanden.  Ein  gutes  Beispiel  hierfür  bietet  die  Gegend 
östlich  von  Ramlinsburg.  Dort  stofsen  auf  der  Fläche  die  für  Kultur  sehr 
günstigen  Variansschichten  (oberer  Dogger)  an  einer  Spalte  gegen  die  er- 
wähnten Effingerschichten,  der  Unterschied  in  der  Vegetation  ist  im  Sommer 
und  Frühling  geradezu  erstaunlich  und  durch  keinerlei  Anstrengungen  der 
Landleute  zu  verwischen. 

Beachtenswert  sind  auch  die  Quollen  in  diesem  von  Spalten  durchzogenen 
Gebiet.  Ein  grofser  Teil  derselben  entspringt  direkt  auf  den  Verwerfungen 
und  namentlich  in  trockenen  Zeiten  sprudeln  nur  noch  diese  letzteren  reich- 
lich, während  die  übrigen  rasch  versiegen.  Dieser  Umstand  mag  darin  seine 
Erklärung  finden,  dafs  die  Spalten  so  aufserordentlich  dicht  beisammen  liegen. 
Die  Verwerfungsquellen  haben  ein  grofses  Reservoir  hinter  sich,  die  Schichten- 
quellen in  diesem  Falle  nur  ein  sehr  kleines. 

Das  Hervorspringen  der  Quellen,  die  Formen  der  Berge,  die  Anordnung 
der  Flufsläufe  —  das  alles  ist  bedingt  durch  dio  Schichten-  und  Gesteins- 
folge sowie  durch  die  Tektonik. 

1)  Näheres  über  die  Tektonik  ist  einzusehen  in  meiner  „geologischen 
Beschreibung  der  Gegend  von  Liestal"  mit  einer  Karte  1  :  25  000.  Verh.  d.  Naturf. 
Ges.  in  Basel.    Bd.  XII,  H.  3.  1U00. 


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14H 


Alois  Kraus: 


Wir  haben  gesehen,  wie  Schwarzwald  und  Kettenjura  infolge  ihres 
geologischen  Aufbaues  die  ihnen  eigentümlichen  Flufssysteme  annehmen 
mufsten  und  wie  hierdurch  die  Wasserlaufe  des  Tafeljura  bestimmt  wurden 
und  sich  in  der  Folge  ausbildeten.  So  war  für  die  drei  Gebirgskomplexe  die 
Art  und  Weise  der  Erosion  gegeben.  Letztere  formte  auf  dem  ihr  nunmehr 
vorgeschriebenen  Wege  die  drei  unter  sich  so  verschiedenen  Gebirgstypen. 

Indem  ein  Gebiet  früher  als  das  andere  anfangt,  vom  Wasser  zernagt 
zu  werden,  kann  es  ein  anderes  beeinflussen  und  ihm  seine  Zukunft  dik- 
tieren. Eine  Gegend  kann  sich  gleichsam  aktiv,  die  andere  passiv  verhalten. 
So  ist  durch  gewisse  Schachzüge  die  Entscheidung  für  das  ganze  Spiel  ge- 
fallen oft  lange  bevor  ihre  Wirkung  sich  zeigt. 


Bericht  über  den  internationalen  Kongrefe  für  Wirtsehafts-  nnd 

Handelsgeographie  in  Paris. 

(27.— 31.  August  1900.) 
Von  Dr.  Alois  Kraus. 

Jede  allgemeine  Ausstellung,  führt  Huber  in  einer  bereits  1886  er- 
schienenen aber  noch  immer  wertvollen  Schrift1)  aus,  ist  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  ein  praktischer  Kursus  der  Wirtschaftsgeographie.  So  war  es 
denn  seitens  der  verdienstvollen  handelsgeographischen  Gesellschaft  in  Paris 
eine  recht  glückliche  Idee,  gelegentlich  der  Jahrhundert- Ausstellung  auch 
einen  allgemeinen  Kongrefs  für  Wirtschaftsgeographie  zu  veranstalten,  an 
welchem  sich  das  außerordentlich  gesteigerte  Interesse  au  den  vielseitigen 
Fragen  dieser  Disziplin  bekunden  konnte. 

Dieselben  Männer,  welche  bereits  1873  an  der  Organisation  des 
ersten  ebenfalls  zu  Paris  abgehaltenen  Fach-Kongresses  dieser  Art  bedeuten- 
den Anteil  genommen  haben,  der  bekannte  Nationalökonom  und  Geograph 
Levasseur,  der  hervorragende  Forschungsreisende  Monnier,  der  unermüdliche 
und  herzgewinnende  Goneral-Sekretär  der  Gesellschaft  Gauthiot,  waren  auch 
jetzt  die  Seele  der  ganzen  Veranstaltung.  Dieser  Umstand  ersetzte  den 
Mangel  einer  ständigen  internationalen  Organisation  und  ermöglichte  eine 
gewisse  Konzentration  der  gehaltenen  Vorträge.  In  dieser  Absicht  waren 
frühzeitig  bestimmte  Fragen  zum  Studium  empfohlen  und  für  jede  einzelne 
aus  der  Mitte  der  Gesellschaft  Berichterstatter  gewählt.  Für  die  Gruppen- 
bildung war  im  allgemeinen  jenes  Schema  angenommen,  welches  bei  der 
vorerwähnten  Gesellschaft  in  Kraft  ist:  I.  Forschungsreisen  und  Verkehrs- 
wege. II.  Natur-  und  Kunstproduktion.  III.  Auswanderung  und  Koloni- 
sation.   IV.  Unterrieht. 

Da  von  den  ungefähr  70  Vorträgen  die  wenigsten  in  gemeinsamen 
Sitzungen,  die  meisten  in  den   gleichzeitig  tagenden  Sektionen  abgehalten 

1    Die  Ausstellungen  und  unsere  Exportindustrie  18*6. 


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Intern.  Kongrefs  für  Wirtschaft«-  u.  Handelsgeographie  in  Pari«.  149 

wurden,  da  ferner  die  öffentlichen  Journale  angesichts  der  grofsen  Zahl  der 
abgehaltenen  Kongresse  nur  die  allerdürftigsten  Notizen  brachten,  wäre 
eine  Berichterstattung  über  den  Verlauf  des  Kongresses  aufserordentlich  er- 
schwert, wenn  nicht  glücklicherweise  einzelne  wichtigere  Vorträge  bereits  im 
Druck  erschienen  wären. 

Es  sei  mir  gestattet,  mit  einer  kurzen  Besprechung  der  zur  4.  Sektion 
gehörigen  Ausführungen,  zunächst  der  glänzenden  Eröffnungsrede  des  Präsi- 
deuten Levasseur  zu  beginnen.  Levasseur,  der  Bahnbrecher  des  wirtsehafts- 
geographischen  Unterrichts  in  Prankreich,  zog  die  Stellung  dieser  Disziplin 
zu  den  anderen  Zweigen  der  Erdkunde,  ihre  Aufgabe  und  ihre  Methode  in 
den  Kreis  seiner  Betrachtung.  Mit  der  politischen  bilde  die  Wirtschafts- 
geographie jenen  Zweig  der  Gesamtdisziplin,  welcher  sich  mit  den  Schöpfungen 
des  Menschen  befasse  und  welchen  man  mit  einer  gewissen  Kühnheit  der 
Sprache  als  Geographie  des  Menschen  bezeichne.  Aufgabe  der  Wirtschafts- 
geographie, von  welcher  die  des  Handels  nur  einen  Teil  darstelle,  sei  es  nun,  die 
wirtschaftlichen  Erscheinungen  als  Ergebnisse  des  langen  Kampfes  des 
Menschen  mit  der  Natur  vorzuführen,  ihre  Methode,  die  natürlichen,  mitunter 
auch  die  historischen  Bedingungen  der  gesammten  Produktion,  vor  allem 
aber  der  landwirtschaftlichen  zu  erörtern,  hernach  die  Verteilung  und  Gröfse 
derselben,  aber  keineswegs  ihre  Technik.  Die  Verkehrswege  und  Verkehrs- 
mittel, deren  Darlegung  den  zweiten  wichtigen  Teil  der  Wirtschaftsgeographie 
bilde,  seien  in  ihrem  innigen  Zusammenhang  mit  den  physischen  Verhält- 
nissen der  Erdräume  und  der  kulturellen  Entfaltung  derselben  zu  betrachten. 
Der  Zustand  des  Binnenhandels  und  der  noch  deutlicher  erkennbare  des 
Aufseuhandels  sei  als  eine  Art  Thermometer  für  die  gesamte  wirtschaftliche 
Entwicklung  eines  Gebietes  anzusehen.  Mit  der  Betrachtung  von  Produk- 
tion, Verkehr  und  Handel  seien  die  Bevölkeruugsverhältnisse  in  Zusammen- 
hang zu  bringen,  so  das  Anwachsen  der  Bevölkerung,  die  Dichte  und  Ver- 
teilung derselben  und  das  Anschwellen  der  Grofsstädte.  Damit  ungefähr 
sei  der  Kreis  von  Materien  erschöpft,  welche  von  der  Wirtschaftsgeographie 
umfafst  werden. 

Die  angedeuteten  Ausführungen  Levasseur's  über  die  Methode  der  Wirt- 
schaftsgeographie zeigen  im  allgemeinen  eine  erfreuliche  Übereinstimmung 
mit  den  in  der  deutschen  Litteratur  vertretenen  Ansichten.  WTeniger  Beifall 
dürfte  dagegen  die  hier  gegebene  Gliederung  der  Kulturgeographie  finden. 
Es  bedarf  wohl  auch  die  Aufgabe  der  Wirtschaftsgeographie  einer  schärferen 
Formulierung.  Der  Rahmen  eines  Festvortrags  bietet  hierfür  allerdings  nicht 
die  passende  Gelegenheit. 

Mit  grofser  Spannung  haben  wir  dem  Referat  des  bekannten  Verfassers 
des  Precis  de  Geographie  Economique1),  Marcel  Dubois,  über  die  beste  Me- 
thode des  wirtschaftsgeographischen  Unterrichts  entgegen  gesehen.  Indes 
hatten  seine  formvollendeten  und  rhetorisch  überaus  wirksamen  Darlegungen 
weniger  die  Methodik  selbst  zum  Gegenstand.  Es  fehlte  allerdings  nicht  an 
treffenden  Bemerkungen,  so  über  die  Notwendigkeit,  die  physische  Geographie 

J)  Paria,  MaBson.  1897. 


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150 


Alois  Kraus: 


dem  Unterrichte  zu  gründe  zu  legen,  über  die  Verkehrtheit  statistischer 
Gegenüberstellungen  ohne  Berücksichtigung  der  Natur  der  Länder,  wie  etwa 
beim  Vergleiche  des  Bahnnetzes  Spaniens  und  Hollands.  Für  die  Unterrichts- 
praxis erscheint  mir  ferner  der  Wink  recht  beherzigenswert  zu  sein,  den 
wirtschaftsgeographischen  Unterricht  durch  Stellung  von  Aufgaben  zu  be- 
leben und  damit  die  Selbständigkeit  .der  Schüler  anzuregen.  Der  gröfste 
Teil  der  Rede  war  jedoch  einer  Fernerstehenden  unverständlichen  Polemik 
gegen  Historiker,  Sociologen  und  die  ,.reinen  Geographen"  gewidmet,  welche 
in  Frankreich  die  Wirtschaftsgeographie  aus  den  Schulen  zu  gunsten  ihrer 
Disziplinen  zu  verdrängen  bestrebt  seien. 

Besonderes  Interesse  erregte  der  gehaltvolle  Vortrag  Professor  Siegers, 
der  seine  in  der  Doppelstellung  eines  Universitätslehrers  und  Vertreters  der 
geographischen  Disziplin  an  einer  Handelshochschule  (Export- Akademie  in 
Wien)  gewonnenen  methodischen  Anschauungen  in  folgender  Weise  zusammen- 
fafste: 

Jeder  Hochschulunterricht  habe  sich  im  allgemeinen  von  dem  Mittel- 
schulunterricht durch  den  wissenschaftlichen  Charakter  zu  unterscheiden, 
durch  das  Streben,  den  Hörern  nicht  blofs  Kenntnisse  zu  vermitteln,  sondern 
auch  die  Fähigkeit  selbständigen  methodischen  Urteils  und  eigener  Forschung 
zu  wecken.  Eine  Konsequenz  davon  sei  auch  eine  strenge  Wahrung  des 
geographischen  Charakters  einer  Disziplin,  in  die  man  so  oft  nationalökono- 
mische und  andere  disparate  Dinge  presse,  ja  die  man  geradezu  in  National- 
ökonomie aufgehen  lasse.  Dagegen  bestehe  zwischen  den  Handelshochschulen 
und  den  Universitäten  ein  Unterschied  zwischen  den  Endzielen  des  Unterrichts 
in  der  Richtung,  nach  welcher  hin  die  selbständige  Forschungsarbeit  des 
Hörers  sich  zu  bewegen  habe,  ein  Unterschied,  den  die  verschiedenartige 
Vorbildung  der  Hörer  noch  verstärke.  An  Handelshochschulen  ist  die  Wirt- 
schaftsgeographie ein  Teil  des  kommerziellen  Unterrichts;  man  wird  daher 
aus  den  geographischen  Thatsachen  wirtschaftliche  Schlüsse  zu  erzielen 
suchen.  An  den  anderen  Hochschulen  ist  er  ein  Teil  der  Geographie  als 
Wissenschaft;  mau  wird  daher  trachten,  aus  geographischen  Thatsachen 
Schlüsse  geographischer  Art  zu  ziehen.  Sieger  zweifelt,  ob  die  als  Wirt- 
schaftsgeographie zusammengefafsten  Disziplinen  unter  einen  einheitlichen 
geographischen  Gesichtspunkt  zu  bringen  seien,  wohl  aber  diene  jede  von 
ihnen  der  Anthropogeographie.  Sie  ordnen  sich  also  für  die  Lebrthätigkeit 
an  der  Universität  in  die  Anthropogeographie  ein.  —  Und  noch  einen  Schritt 
weiter  könne  diese  thun,  sie  habe  auch  die  rein  geographischen  Wirkungen 
jener  ökonomischen  Faktoren  zu  untersuchen,  die  nur  zum  Teil  von  der 
Wirtschaftsgeographie  aus  geographischen  Momenten  sich  erklären  lassen. 
Strenger  genommen  haben  wir  also,  das  deutet  der  Redner  zum  Schlüsse 
an,  eine  doppelte  Aufgabe  der  Wirtschaftsgeographie  vor  uns:  die  geogra- 
phischen Momente  hervorzuheben,  welche  wirtschaftlich  wirksam  sind,  und 
die  geographischen  Wirkungen  wirtschaftlicher  Verhältnisse  aufzuweisen.  — 
Die  anregenden  Ausführungen  Siegers  zeigen  am  besten  die  Notwendigkeit, 
den  ganzen  Komplex  von  Fragen  über  Stellung,  Aufgabe  und  Methode 
Unserer  Disziplin  trotz  der  grundlegenden  Arbeiten  von  Götz  einer  noch- 


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Intern.  Kongrefs  für  Wirtschafts-  u.  Handelsgeographie  in  Paris.  151 


maligen  systematischen  Erörterung  zu  unterziehen.  Referent  behält  sich  vor, 
in  einem  späteren  Aufsatz  über  den  derzeitigen  Stand  der  wirtsehafts- 
geographisehen  Litteratur  auf  diesen  Vortrag  näher  einzugehen. 

Der  Ansicht  Sieger's,  dafs  der  wirtschaftsgeographische  Unterricht  an 
der  Universität  in  den  engen  Schranken  der  Anthropogeographie  bleiben  müsse, 
könnte  man  die  Mitteilungen  Prof.  Brunhes  (Freiburg)  entgegenstellen,  dafs 
viele  Männer,  die  sich  derzeit  in  leitenden  kaufmännischen  Stellungen  oder 
im  Dienste  von  Handelskammern  befänden,  ihre  Ausbildung  in  den  geogra- 
phischen Seminaren  und  Vorlesungen  deutscher  Universitäten,  namentlich  in 
Marburg,  gefunden  hätten.  An  einen  Vortrag  desselben  Redners  über  die 
psychologischen  und  pädagogischen  Unterschiede  der  einseitig  statistischen 
und  andererseits  der  geographischen  Fassung  der  Wirtschaftsgeographie 
knüpfte  sich  eine  sehr  rege  Debatte  über  das  zulässige  Mafs  der  Heranziehung 
statistischen  Materials  an.  Die  Majorität  der  Sektion  sprach  sich  begreif- 
licherweise dahin  aus,  dafs  dasselbe  in  abgerundeten  Summen  zur  Be- 
leuchtung der  wirtschaftlichen  Entwicklung  und  des  gegen wärti gen  wirt- 
schaftlichen Standes  in  einer  sparsamen  und  wohlerwogenen  Auswahl  zu 
verwerten  sei.  —  Man  konnte  sich  während  der  Verhandlungen  des  Kon- 
gresses dem  Eindruck  nicht  entziehen,  däfs  dieser  angewandte  Zweig  der 
Geographie,  welcher  vornehmlich  auf  Anregung  Levasseurs  in  das  offizielle 
Programm  vieler  auch  nicht  kaufmännischer  Schulen  aufgenommen  ist,  in 
den  weitesten  Kreisen  grofsem  Interesse  begegnet.  Eine  Bestätigung  bot 
vor  allem  die  an  geschichtlichen  Rückblicken  und  beherzigenswerten  An- 
regungen reiche  und  gründliche  Ausführung  Prof.  G.  Burgoing's  über  die 
Organisation  des  wirtschaftsgeographischen  Unterrichtes  in  den  Fortbildungs- 
kursen1). 

Ein  Praktiker,  der  Direktor  des  „Passager",  Dr.  Bachmann,  entwickelte 
ein  Programm  seiner  in  Angriff  genommenen  „Wirtschaftsgeographie",  welche 
vornehmlich  den  Gesichtspunkt  inländischer  und  ausländischer  Verkehrs- 
beziehungen verfolgen  soll.  Die  Erfahrungen  und  Kenntnisse  dieses  Herrn 
bürgen  dafür,  dafs  die  Durchführung  der  irn  Vortrage  geäufserten  Gedanken 
eine  gewifs  wertvolle  Verkehrslehre  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  ergeben 
wird.  Schwerlich  aber  dürfte  nach  den  gemachten  Andeutungen  die  Anord- 
nung und  Verknüpfung  des  Stoffes  eine  der  geographischen  Methode  ent- 
sprechende werden.  * 

Die  Schwierigkeit,  welche  jede  spezielle  und  allgemeine  wirtschafts- 
geographische Darstellung  wegen  des  weit  zerstreuten,  aus  verschiedeneu 
Wissensgebieten  heranzuziehenden  Materials  begegnet,  wäre  durch  eine  syste- 
matische Sichtung  und  Zusammenstellung  der  Litteratur  in  bedeutendem 
Habe  vermindert.  Gerade  für  das  Reich,  in  welchem  nach  Prof.  Rein  die  Be- 
schaffung statistischen  Materials  bei  einem    bedeutsamen  Produktionszweig, 

l)  Einige  bezeichnende  Stellen  des  Referates  mögen  hier  wiedergegeben  sein: 
*La  Conference  geographique ,  la  coniVrence  coloniale  est  la  plus  demandee.«  >ün 
reclame  a  peu  pres  sur  tous  les  points,  les  causeries  qui  out  pour  objet  les 
possessions  exterieures  de  la  France;  les  divers  episodes  de  la  conquetu  au  Tonkin, 
ä  Madagascar  etc.  ont  ete"  racontees  dans  des  millicrs  d'ecoles  en  1898— 1899.« 


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152  Alois  Kraus: 

wie  es  die  Seidenindustrie  ist1),  noch  vor  kurzer  Zeit  unmöglich  war,  kün- 
digte Prot'.  Pujal  y  Serra  aus  Barcelona  eine  derartige  Quellenkunde  an. 
Natürlich  soll  Catalouien  in  erster  Linie  berücksichtigt  werden. 

Neben  methodischen  und  didaktischen  Erörterungen  sollten  in  der  4. 
Gruppe  auch  Vorträge  über  die  wirtsehaftsgeographischen  Fortschritte  be- 
stimmter Länder  während  des  19.  Jahrhunderts  geboten  werden.  Dem  Kon- 
grefs  wurde  ein  Aufsatz  über  die  wirtschaftliche  Entwicklung  der  Republik 
Argentinien  im  19.  Jahrhundert  von  dem  Advokaten  Daireaux  überreicht,  in 
welchem  lediglich  der  Zusammenhang  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  mit 
der  Erschliefsung  weiterer  Gebiete  durch  die  modernen  Verkehrswege  betont 
wird.  Die  physikalischen  Grundlagen  der  Wirtschaft sverhältnisse  werden  nur 
gelegentlich  gestreift. 

In  der  ersten  Sektion,  welcher  das  Thema  Forschungsreisen  und  Ver- 
kehrswege vorbehalten  war,  erstattete  Dr.  Spiro  das  Referat  über  die  Frage 
der  zweckmäfsigsten  Organisation  kaufmännischer  Forschungsreisen  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Verhältnisse  in  den  afrikanischen  Kolonien 
Frankreichs.  Unerläfslich  sei  die  Beschränkung  der  Zahl  der  Expeditions- 
teilnehmer auf  das  mindeste  Mafs.  Nur  so  liefsen  sich  kriegerische  Verwick- 
lungen, Schwierigkeiten  der  Überwachung  und  Verpflegung  grofser  Massen 
vermeiden.  In  die  Augen  springend  sei  der  Vorteil  gröfserer  Beweglichkeit. 
Die  Beteiligung  von  drei  Europäern  hält  Dr.  Spiro  für  ausreichend.  Dein 
Expeditiousleiter,  der  mit  den  Verbältnissen  des  Landes  bereits  vertraut  sein 
müsse,  sei  die  Routenaufnahme  zu  übertragen,  dem  kaufmännischen  Teil- 
nehmer obliege  neben  dem  Intendantlirdienst  die  genaue  Erkundigung  und 
Darstellung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse:  der  Produktion,  der  Möglich- 
keit ihrer  Steigerung  und  Verwertung  unter  Berücksichtigung  des  dortigen 
Arbeitermaterials,  der  Bedarfsartikel,  des  regional  so  häutig  wechselnden 
Geschmackes,  der  gebräuchlichen  Zahlungsmittel,  der  bisherigen  Bezugs-  und 
Absatzgebiete,  sowie  der  bisherigen  Handelsvermittelung.  Niemals  dürfe  die 
Expedition  auf  sofortige  kaufmännische  Erfolge  bedacht  sein.  Ein  natur- 
wissenschaftlich gebildeter  Arzt  genüge  für  alle  übrigen  Aufgaben.  Diesem 
werde  die  Orientierung  über  die  natürliche  Produktion  des  Forschungsgebietes 
zufallen.  Handstücke  nutzbarer  Materialien  und  Erze,  Präparat«  der  Fauna, 
vor  allem  aber  eine  möglichst  sorgfältige  Sammlung  von  Nutzpflanzen  sollen 
behufs  Anstellung  genauerer  Studien  in  die  Heimat  mitgeführt  werden.  Es 
folgten  nun  weitere  Einzelheiten  über  die  Ausrüstung  .der  Expedition  und 
die  schliefslichen  Aufgaben  derselben  in  der  Heimat.  —  Den  Zuhörern 
wurden  durch  den  Vortrag  alle  Erscheinungen  und  Schwierigkeiten  des  pri- 
mitiven Handels  in  Gebieten  mit  unentwickelten  Verkehrsformen  in  lebhafter 
Weise  veranschaulicht, 

Die  grofsen  Veränderungen,  welche  dem  Handel  aus  den  grofsen  Fort- 
schritten des  Verkehrswesens  im  neunzehnten  Jahrhundert  erwuchsen,  wurden 


1  Heiträge  zur  Kenntnis  der  spanischen  Sierra  Nevada  von  Dr.  Johannes  Rein, 
Professor  in  Bonn.  Abhandlungen  «1er  k.  k.  geogr.  Gesellschaft  in  Wien  18'J'J. 
S.  306.) 


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Intern.  Kongrefs  für  Wirtschafts-  u.  Handelsgeographie  in  Paris.  153 

wiederum  durch  die  geistreiche  Darstellung  Levasseur's  /um  Bewufstsein  ge- 
bracht. Auch  diejenigen,  welche  mit  den  entsprechenden  Kapiteln  des  Ver- 
kehrswesens durch  die  Darstellungen  eines  Sachs,  van  der  Borght  u.  s.  w. 
vertraut  sind,  mufste  die  eigenartige  Gruppierung  und  Beleuchtung  des 
Stoffes  fesseln. 

Das  Thema  der  wirtschaftlichen  Bedeutung  der  Seewege,  welches  während 
der  letzten  Jahre  in  Deutschland  an  der  Tagesordnung  war,  wurde  gewifs 
nicht  zufälligerweise  von  dem  genauen  Kenner  der  Wirtsehaftsverhältnisse 
des  Reiches,  dem  Verfasser  des  Buches  vom  industriellen  Aufschwung 
Deutschlands,  Prof.  Blondel1)  in  gewohnt  gründlicher  Art  behandelt.  Die 
grofse  Entwicklung  der  deutschen  und  der  Rückgang  der  französischen 
Handelsflotte  wurde  von  Payart,  welcher  die  Handelsmarine  der  europäischen 
Völker  zum  Thema  gewählt  hatte,  ganz  besonders  hervorgehoben  und  auf 
ihre  wirtschaftlichen  Ursachen  zurückgeführt. 

Begreiflicherweise  kamen  auch  in  dieser  Sektion  Verkehrsfragen  zur 
Verhandlung,  welche  ein  vorwiegendes  Interesse  für  Frankreich  haben.  Es 
wurde  aber  mit  Recht  abgelehnt,  dafs  sich  der  Kongrefs  auf  Grund  eines 
einzelnen  Vortrages  seitens  des  Herrn  Claparede  (Genf)  zu  gunsten  der 
kürzesten  Route  zwischen  Paris  und  Mailand  über  Lons  le  Saunier8),  Gent 
und  den  Simplon  ausspreche.  Ebensowenig  hielt  er  sich  angesichts  der  oft 
hervorgehobenen  technischen  Schwierigkeiten  für  kompetent,  sich  für  das 
von  Herrn  Henequin  befürwortete  Projekt  eines  bis  Paris  reichenden  Seekauais 
einzusetzen. 

Das  Programm  der  2.  Sektion  umfafste  Vortrage  über  Natur-  und 
Kunstproduktion,  namentlich  in  ihren  Beziehungen  zum  Außenhandel;  insbe- 
sondere waren  über  folgende  Fragen  Referate  zu  erstatten:  1.  Über  Mittel 
und  Wege,  die  industriellen  Erzeugnisse  den  Bedürfnissen  des  Aufsenhandels 
und  den  Anforderungen  der  verschiedenen  Völker  anzupassen.  2.  Über  die 
Organisation  von  grofsen  Märkten.  3.  Über  den  Charakter  und  die  Ausge- 
staltung von  Handelsmuseen.  Im  allgemeinen  also  Fragen,  die  direkt  nicht 
in  den  Bereich  der  Wirtschaftsgeographie  gehören  und  nur  als  Veranstal- 
tungen heranzuziehen  sind,  durch  welche  der  Aufsenhandel  gefördert  werden 
soll.  Kein  Geringerer  als  der  Chef  des  geographischen  Dienstes  beim 
Ministerium  der  Kolonien  Camille  Guy  hatte  das  Referat  über  die  zuerst 
gestellte  Frage  übernommen.  Er  wies  auf  das  allgemeine  Streben  der 
Nationen  hin,  sich  industriell  zu  entfalten  und  den  Überschufs  der  Erzeug- 
nisse im  Aufsenhandel  umzusetzen.  Bei  dieser  allgemeinen  Konkurrenz 
müisten  jene  den  Vorrang  gewinnen,  welche  den  Absatzmarkt  kennen,  das 
sollte  aber  bedeuten,  dafs  man  die  Landesnatur  der  Absatzgebiete  in  ihrem 
Zusammenhang  mit  dem  wirtschaftlichen  Leben  derselben  erfasse.  Ferner 
diejenigen,  welche  die  Sprache  der  Käufer  beherrschten,  welche  sich  syste- 
matisch in  den  eroberten  Absatzgebieten  einrichteten,  ihre  Produkte  dem  Ge- 


1)  L'essor  industriel  et  commercial  du  Peuple  Allemand  par  Georges  Blondel. 
Paris,  Larose.  l'JOO. 

2)  Dep.  „Jura11. 

Ueographi.cbe  Zeitschrift.  7.  Jahrgang.  1001.  3  Heft.  11 


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154  Alois  Kraus: 

sehmack,  den  Bedürfnissen  und  der  Kaufkraft  der  Konsumenten  anbequemten. 
Notwendig  sei  es  aucb,  sieb  mit  der  Kundscbaft  direkt  dureb  Reisende  und 
nicht  etwa  durch  Kommissionare  in  Verbindung  zu  setzen.  Durch  Associa- 
tionen vermöchten  auch  kleinere  Unternehmungen  die  erforderlichen  Kosten 
für  solche  Reisende  aufzubringen;  auf  Grund  desselben  Prinzipefl  könnte  man 
Musterlager,  schwimmende  Ausstellungen  veranstalten  u.  s.  w.  Und  in  allen 
diesen  Mafsnahmen,  namentlich  in  der  Vergesellschaftung  der  Kräfte,  seien 
nicht  die  individualistischen  Franzoseu,  auch  nicht  die  konservativen  Eng- 
länder, sondern  die  Amerikaner  und  vor  allem  die  Deutschen  mustergiltig.  — 
Bei  diesem  steten  Hinweise  auf  die  wirtschaftliche  Überlegenheit  der  Deutschen 
ist  es  leicht  begreiflich,  dafs  der  Vortrag  Zilling's,  des  verdienten  Direktors 
des  Stuttgarter  Exportmusterlagers,  über  Handelsrauseen  und  Exportmusterlager 
das  gröfste  Interesse  erweckte.  Redner  empfahl  den  Franzosen,  von  Handels- 
museen, die  sich  dem  wechselnden  Geschmack  nicht  anpassen  könnten,  abzu- 
sehen und  lediglich  für  Interessenten  berechnete  Exportmusterlager  zu  veran- 
stalten. Er  zeigte  an  den  rasch  anwachsenden  Umsatzziffern  des  Stuttgarter 
Institutes,  das  sich  aus  eigener  Kraft  erhalte,  in  welch  bedeutendem  Mafse 
es  den  an  seine  Begründung  geknüpften  Erwartungen  entspräche.  —  Als 
ein  vortreffliches  Mittel,  Frankreich  wirtschaftlich  zu  heben,  empfahl  Herr 
Aspe  Fleuriraont  bei  dem  Bezüge  wichtiger  Rohmaterialien,  wie  etwa  der 
tropischen  Hölzer,  des  Kautschuks,  Mafsnahmen  zu  treffen  behufs  Emanzipation 
von  fremden  Märkten,  namentlich  von  Liverpool.  Schon  habe  man  sich  für 
die  Artikel  Kaffee,  Baumwolle  und  Reis  eigene  Märkte  geschaffen.  Jetzt 
gelte  es,  eine  grofse  Börse  für  die  Hauptprodukte  der  Ein-  und  Ausfuhr  — 
natürlich  nur  in  Paris  —  zu  begründen,  die  vornehmlich  auf  die  Verwertung 
französischer  Kolonialerzeugnisse  Bedacht  nehmen  müfste.  Der  Vortragende, 
ein  Mitglied  des  Rates  für  den  Außenhandel,  empfahl  eine  Nachahmung  der 
angeblich  so  wirksamen  protektionistischen  Mafsnahmen  in  Indochina  für  alle 
Kolonien,  durch  welche  ja  der  fremde  Mitbewerb  der  Ein-  und  Ausfuhr  lahm- 
gelegt und  dem  Mutterland  das  Handelsmonopol  in  seinen  Kolonien  und  vor 
allem  der  billige  Bezug  wichtiger  Rohmaterialien  gesichert  worden  sei. 

In  vollem  Gegensatz  zu  diesen  Tendenzen  standen  die  Ausführungen 
Prof.  G.  NoeTs  von  der  Pariser  Handelshochschule,  des  Verfassers  einer  be- 
kannten Geschichte  des  Welthandels.  Bezugnehmend  auf  eine  von  der  Kon- 
grefsleitung  für  die  dritte  Sektion  aufgeworfene  Frage,  welches  Wirtschafts- 
system am  besten  die  Kolonisation  begünstige,  bestreitet  der  Vortragende  die 
Möglichkeit  der  Aufstellung  von  Grundsätzen,  die  für  alle  Kolonien  zuträfen, 
da  ja  ihr  Ursprung  und  ihre  Entwickelung  nicht  blofs  von  ihrem  natürlichen 
Wert,  sondern  auch  von  den  wirtschaftlichen,  sozialen  und  politischen  Verhältnissen 
des  Mutterlandes  abhinge,  nur  hinsichtlich  der  günstigen  Bedingungen  für 
die  Auswanderung,  der  Landzuweisungen,  der  öffentlichen  Arbeiten,  der  Zoll- 
und  Steuermafsnahmen  liefsen  sich  gewisse  allgemeine  Regeln  aussprechen. 
Nachdem  sich  nun  Noel  zunächst  gegen  die  bisher  ausnahmslos  geübte 
Methode  der  Landzuweisung  im  kleinen  erklärt,  die  sich  doch  vorwiegend 
für  dichter  bevölkerte,  höher  kultivierte  Gebiete  etwa  in  der  Form  von 
Veteranenansiedelungen  eigne,  und  Landvergebungen  im  grofsen,  an  kapital- 


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Intern.  Kongrefs  für  Wirtschaft»-  u.  Handelsgeographie  in  Paris.  155 


kräftige  für  umfassende  und  rasch  durchzuführende  Kulturarbeit  ausschließlich 
leistungsfähige  Gesellschaften  empfohlen,  wendet  er  sich  gegen  den  so  oft 
geübten  Mifsbrauch,  die  Kolonien  als  ein  Ausbeutungsobjekt  des  Mutterlandes  zu 
betrachten.  Dies  iiufsere  sich  nicht  blofs  in  der  vorzeitigen  und  übermUfsigen 
gerade  in  dem  Stadium  der  Entwicklung  besonders  drückenden  Besteuerung 
der  Kolonien,  sondern  auch  in  den  Zollmafsnahmen  gegen  den  fremden  Aufsen- 
bandel.  Jede  Zollmafsregel,  durch  welche  der  Handel  mit  dem  Auslande 
unterdrückt  werde,  iuu  ihn  dem  Mutterlande  vorzubehalten,  widerspreche  den 
wohlverstandenen  Interessen  nicht  nur  der  Eingeborenen,  sondern  auch  der 
Kolonisten  selbst;  sie  seien  dann  höher  besteuert  als  ihre  Mitbürger  im 
Mutterlande,  ein  Umstand,  der  sie  bei  der  Unsicherheit  kolonialer  Thätigkeit 
doppelt  treffe.  Ferner  sei  man  gezwungen,  eventuell  schlechtere  und  teurere 
Waren  aus  dem  Mutterlande  zu  bezichen,  als  man  sie  vom  Auslande  be- 
schaffen könnte;  durch  solche  Mafsnahmen  werde,  um  ein  Beispiel  anzuführen, 
der  Reingewinn  der  tunesischen  Produzenten  wesentlich  geschmälert,  welche 
gehindert  seien,  ihren  Bedarf  an  landwirtschaftlichen  Maschinen  aus  England 
und  Deutschland  zu  decken.  Konsequenterweise  werde  sich  der  protektio- 
nistiscne  Zug  im  Mutterlande  auch  gegen  die  Rohprodukte  der  Kolonien 
wenden,  gegen  den  Wein,  die  Mineralien,  die  Kohle,  das  Fleisch,  die  Wolle  aus 
den  eigenen  Besitzungen.  Habe  man  doch  schon  beispielsweise  die  tunesische 
Ausfuhr  von  Wein  und  Getreide  besonderen  Beschränkungen  unterworfen  und 
zeitweilig  die  Salzeinfuhr  von  Madagascar  erschwert.  Redner  weist  auf  die 
Konsequenzen  einer  solchen  Kolonialpolitik  hin:  auf  den  Abfall  Südamerikas 
und  Cubas  von  Spanien,  auf  die  Losreifsung  der  Vereinigten  Staaten  von 
England.  Nur  durch  Förderung  der  wirklichen  Interessen  der  Kolouial- 
gebiete  durch  Gewährung  gröfstmögl icher  Freiheiten  für  die  wirtschaftlichen 
Bestrebungen  der  Kolonisten  werde  auch  das  Mutterland  von  den  kaufkräftig 
gewordenen  Besitzungen  Nutzen  ziehen. 

Es  ist  höchst  bezeichnend,  dals  diesen  Ausführungen  gerade  von  den 
französischen  Kongrefsmitgliedern  der  lebhafteste  Beifall  zu  Teil  wurde.  Ver- 
drossen, aber  zutreffend  konstatierte  die  Depeche  Coloniale  (so  weit  ich  über- 
sehen konnte,  das  einzige  Blatt,  das  dem  Gange  der  Verhandlungen  mit 
gröfserem  Interesse  folgte),  dals  der  Kongrefs  bei  dieser  und  bei  auderen 
Gelegenheiten  eine  stark  freihändlerische  Tendenz  zur  Schau  trage  *). 

In  ungleich  schärferer,  vielleicht  allzuscharfer  Tonart  und  unter  Anfüh- 
rung zahlreicher  Belege  erhob  ein  ehemaliges  Mitglied  des  Kolonialrates,  Leo 
Moncelou,  derzeit  selbst  Kolonist  in  Tunis,  die  schwersten  Anklagen  gegen 
die  zentrale  und  koloniale  Verwaltung  Frankreichs.  Er  variierte  das  Thema: 
Piskalität,  Büreaukratismus ,  Militarismus.  Die  Kolonien  seien  von  über- 
flüssigen ,  der  Verhältnisse  unkundigen ,  einander  rasch  ablösenden  Be- 
amten überschwemmt.  In  den  letzten  4  Jahren  sei  in  Tunis  die  Zahl  der 
Beamten  um  das  vierfache  gestiegen,  dabei  der  Cberschufs  der  Erträge  trotz 


1)  Eine  heftige  Polemik  gegen  die  herrschende  schutzzöllnerische  Richtung  in 
Frankreich  enthalt  die  dem  Kongresse  vorgelegte  Abhandlung  des  bekannten 
Handelspolitikers  Roux:  Über  die  Begründung  eine«  Freihafens  (Marseille). 

11* 


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150 


Alois  Kraus: 


der  Einführung  violer  neuer  Steuern  um  1  Million  Franks  zurückgegangen. 
Wie  Miether  ein  Haus  mit  ungenügender  Ausstattung  meiden,  so  wenden  sieh 
auch  die  20000  auswandernden  Franzosen  von  den  französischen  Kolonien 
ah,  denen  es  vor  allem  an  Kahelverhiudungen,  regelmlifsigen  Post-  und  Fracht- 
linien fehle.  Aher  auch  im  Innern  der  Kolonien  sei  für  den  Ausbau  von 
Verkehrswegen  wenig  geschehen.  Von  der  Natur  so  wunderbar  ausgestattete 
Gebiete,  wie  Guyana,  Xeu-Caledonien  bitten  trotz  der  tausende  von  Sträf- 
lingen, diesor  Staatspensionärc,  welche  Millionen  verschlängen,  noch  immer 
keine  Strafsen.  Nur  durch  Heranziehung  grofser  Gesellschaften,  denen  Sträf- 
linge zuzuweisen  wären,  könne  etwas  für  die  Kultivierung  ähnlicher  Gebiete 
geschehen.  Geradezu  unerträglich  sei  das  finanzielle  System  in  den  Kolonien. 
Leicht  könnten  diese  dem  Mutterlande  einen  grofsen  Bruchteil  der  benötigten 
Rohmaterialien,  ferner  der  tropischen  Genufsmittel  liefern,  die  man  bisher  aus 
der  Fremde  beziehe,  aber  die  raffinierte  Fiskalität  ersticke  jede  Unternehmungs- 
lust; so  baue  man  nur  das  Notwendigste  an.  Die  herrlichsten  Böden  blieben 
unbestellt,  so  lange  die  Kolonisten  keinen  Vorteil  dabei  fänden,  sie  in  Stand 
zu  setzen.  Alle  Beschwerden  gegen  die  leitenden  Kreise,  in  die  er  auch  das 
Parlament  einbezog,  fafst  der  Redner  in  den  Worten  zusammen,  die  ich 
wiederzugeben  mir  nicht  versagen  kann : 

Trop  d'adminiHtration  et  de  mauvaise  administration  -  -  Trop  d'administrateurs 
et  de  fonetionnaires  improviseg  —  Trop  d'euiployes  inutileB  et  entravanb*  —  Trop 
d'impöts,  de  taxes,  de  charges  douaniereB  Trop  peu  de  securite  en  grneral 
Trop  de  parsimonie  et  de  conditions  dans  la  cession  des  terres  —  Mauvais  emploi 
et  repartition  de  la  main-d'oeuvre  pönale  —  Manque  de  parte,  de  routes,  de  voiefl 
ferreea  et  canaux  —  Conflit«  perpetuels  entre  »  ivils  et  militaires  —  Manque  de  colo- 
niaux  experiment/'s  ä  la  tete  des  affairen  Absence  d'une  marine  de  commerce 
desHcrvant  Icb  colonies  ä  fret  abordable. 

Jenes  wirtschaftliche  System,  so  beschliefst  Moucelon  seine  höchst  ein- 
drucksvolle Rede,  begünstigt  die  Kolonisation  am  meisten,  welches  ihr  die 
gröfste  Bewegungsfreiheit  gestattet,  die  gröfste  Erle  ich  terung  bei  der  Hebung 
und  Förderung  der  Güter  unter  Aufwendung  denkbar  geringster  Kosten,  und 
dieses  Kolonialsystem  sei  sicherlich  nicht  dasjenige  Frankreichs.  —  Im  Namen 
des  elementarsten  Patriotismus  erhob  Oberst  Perros  Protest  gegen  dergleichen 
unbegründete  und  übertriebene  Behauptungen  angesichts  der  erschienenen  Gäste. 
Der  Hinweis  auf  die  kolonialen  Erfolge  während  des  republikanischen  Regimes 
böte  die  beste  Widerlegung. 

Ungleich  ruhiger  verlief  die  Erörterung  der  schwierigen,  von  dem  Kon- 
grefskomite  gleichfalls  aufgeworfenen  Frage  nach  der  Beschaffung  des  Ar- 
beiterpersonals  in  den  Kolonien.  Insbesondere  sollte  die  Möglichkeit  der 
Einführung  jenes  Pachtsystems  in  Beratung  gezogen  werden,  bei  welchem 
der  Eigentümer  von  dem  Pächter  mit  den  Erzeugnissen  des  Bodens  in  natura 
gezahlt,  also  der  Bodenertrag  nach  Vereinbarung  zwischen  beiden  geteilt 
wird1).  Auf  Grand  vieljähriger  Erfahrung  in  Tunis  und  in  Caledonien  führte 
wiederum  Moncelon  folgendes  aus:    Es  herrsche   im    allgemeinen  in  allen 


1)  metayage.  Vgl.  hierzu  den  vorzüglich  orientierenden  Artikel  über  Kolonien 
von  Kurt  Hassert  im  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften.  2.  Aufl.  Lfg.  17  u.  18. 


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Intern.  Kongrefs  für  Wirtschafts-  vi.  Handelsgeographio  in  Paris.  157 

Kolonien  Mangel  an  Arbeitskräften.  Die  Heranziehung  von  Franzosen  als 
Scharwerkor  oder  als  Pächter  in  dem  obenerwähnten  Sinne  habe  sich  auch 
in  klimatisch  geeigneten  Gebieten  als  aussichtslos  herausgestellt.  Die  franzö- 
sischen Bauernfamilien  wandern  höchstens  nach  Nordafrika  ans  und  dort 
ziehen  sie  ebenso  wie  die  Italiener  die  selbständige  Existenz  auf  dem  kleinsten 
Besitz  vor.  Im  übrigen  bestehe  der  gröfste  Teil  der  französischen  Auswan- 
derer aus  Junggesellen ,  die  sich  nur  notgedrungen  und  in  Erwartung  eines 
Besseren  mit  der  Landwirtschaft  befassen.  In  Algerien  und  in  Tunis  leiste 
das  arabische  Element  trotz  der  Flüchtigkeit  der  Arbeitsweise  und  trotz  der 
mangelhaften  Empfindung  für  fremde  Besitzrechte  unentbehrliche  Dienste.  Als 
höchst  auffällig,  aber  als  nichts  weniger  als  willkommen  wird  von  ihm  die 
Erscheinung  hervorgehoben,  dafs  die  Juden  in  Tunis  sich  in  jeglichen  land- 
wirtschaftlichen Arbeiten  vorzüglich  bewähren.  Die  Ausbreitung  des  jüdischen 
Grundbesitzes  und  jüdischer  Landarbeiter  betrachtet  er  als  eine  bereits  auf- 
tauchende Gefahr. 

Der  farbige  Eingeborene  erweise  sich  in  seiner  Heimat  selten  als  ein 
guter  Arbeiter.  Launenhaftigkeit,  Mangel  an  Ausdauer  und  Umegelmäfsig- 
keit  kennzeichnen  seine  Thätigkeit.  Aufserhalb  derselben  hätten  sich  Be- 
wohner der  neuen  Hebriden  in  Caledonien  sehr  gut,  die  Madagassen  auf  Reuniou 
und  St.  Mauritius  hinlänglich  bewährt.  Indien  und  China  seien  übrigens  die 
grofsen  Reservoire,  aus  denen  Arbeitskräfte  für  alle  Gebiete  geschöpft  wer- 
den könnten.  Aber  die  Engländer  hätten  es  in  der  Hand,  den  Zuzug  der 
wohl  schwächeren  aber  bescheidenen  und  deshalb  willkommensten  Hindu- 
arbeiter zu  verhindern,  wie  sie  ihn  bereits  den  Bewohnern  der  Hebriden 
untersagt  hätten.  Auf  das  schärfste  wendet  sich  der  Redner  gegen  die  bis- 
herige unfruchtbare  Verwendung  der  Sträflinge  und  ihre  Beschränkung  auf 
Caledonien  und  Guyana.  Das  Gesetz  gestatte  und  die  bisherigen  Er- 
fahrungen gebieten  dringend  eine  Zuweisung  namentlich  der  farbigen 
Sträflinge  an  alle  Kolonien,  in  denen  Arbeitermangel  vorhanden  sei,  am 
besten  in  den  Dienst  der  auch  von  ihm  befürworteten  grofsen  Com- 
pagnien. 

Manche  der  hier  geäufserten  allgemeinen  Aufstellungen  erfuhren  eine 
Widerlegung  durch  die  Auseinandersetzungen  des  Kapitäns  Feist,  welche  speziell 
den  Sudan  betrafen.  So  wenig  wie  der  europäische  freie  Arbeiter,  so  wenig 
käme  in  Sudan  der  europäische  Sträfling  aus  klimatischen  Gründen  in  Be- 
tracht. Aber  auch  die  im  Kongogebiet  mit  anamitischen  Sträflingen  ge- 
machten Versuche  seien  mifslungen.  Die  Anamiten  seien  dem  Klima  ebenso 
erlegen,  wie  die  in  Senegal  zu  den  Bahnbauten  herangezogenen  freien  chine- 
sischen und  marokkanischen  Arbeiter.  Man  müsse  sich  in  diesen  Gebieten 
an  die  kräftige  und  leistungsfähige,  seit  der  Aufhebung  der  Sklaverei  aller- 
dings verwahrloste,  aber  doch  bei  entsprechender  Behandlung  lenkbare 
schwarze  Bevölkerung,  insbesondere  an  jene  von  der  Sierra  Leone  und  der 
Elfenbeinküste  halten.  Die  Einführung  des  Pachtverhältnisses  hält  Kapitän 
Feist  für  durchführbar.  Seltener  werden  Schwarze  als  vielmehr  ausgediente, 
mit  den  Verhältnissen  vertraute  Unteroffiziere  heanzuziehen  seien.  Dieses 
System  würde  die  gröfste  Förderung  von  der  Regierung  erfahren.    Hier  wie 


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15K     Kraus: -Intern.  Kongref»  für  Wirtschaft«-  u.  Handelsgeographie. 


namentlich  auch  in  einem  Vortrage  des  Obersten  Lyautey  wurde  auf  die 
Verwendung  des  militärischen  Elements  auf  Madagascar  durch  den  hervor- 
ragenden Kolonisator  General  Gallieni  und  zwar  zur  Beaufsichtigung  der 
Wege  und  Kulturarbeiten  und  zur  Heranbildung  von  eingeborenen  Hand- 
werkern hingewiesen.  Für  Indochina  empfahl  ein  Kolonist  aus  Tonkin, 
Duchemin,  die  allgemeine,  staatlich  zu  regelnde  Anwendung  des  Pacht-  be- 
ziehungsweise Akkordvertrages  mit  einheimischen  Familien  behufs  Kultivie- 
rung der  abseits  der  dichtbevölkerten  Deltas  brachliegenden  Gebiete.  Die 
Handhabung  der  Ordnung  und  Disziplin  möge  man  dann  getrost  den  ein- 
heimischen Autoritäten  überlassen.  Aufserhalb  des  gewohnten  Verbandes  ver- 
mögen sich  die  Eingeborenen  in  neue  Verhältnisse  nicht  einzufinden.  Sie 
würden  von  Heimweh  überfallen  und  seien  unbrauchbar.  In  Luzon,  Sumatra 
und  Java  sei  die  Methode  des  Akkord  Vertrages  eine  allgemein  übliche  und 
habe  sich  bewährt.  An  die  Auswanderung  anamitischer  Arbeiter  wäre  nicht 
zu  denken.  Sie  sei  im  ganzen  Königreich  verboten,  und  würde  überdies  als 
die  schlimmste  Strafe  angesehen  werden.  Zudem  gäbe  es  daselbst  aufserhalb 
der  Deltas  auf  ein  Jahrhundert  ausreichende,  frei  verfügbare  Ländereien. 
Das  vorzügliche,  unerschöpfliche  Arbeitermaterial  aus  den  chinesischen  Küsten- 
strichen liefse  sich  dagegen  auch  aufserhalb  der  gewohnten  Wandergebiete 
dieser  Rassen  in  Polynesien,  auf  den  ostafrikanischen  Inseln  und  in  Ost- 
Afrika  selbst  heranziehen,  wenn  man  es  wohl  mit  Festigkeit,  aber  mit 
Billigkeit  behandle  und  ihm  die  gewohnten  Lebensverhältnisse  schaffe. 

Die  Zeit  der  grofsen  Kolonialerwerbungen  Frankreichs  scheint  abgelaufen  zu 
sein.  Mit  grofser  Rührigkeit  geht  nun  die  Nation  daran,  das  gcwonneuc  reiche 
Kolonialgebiet  zu  erschließen,  aber  auch  gleichzeitig  nach  längerer  wirt- 
schaftlicher Stagnation  eine  neue  Aera  intensiveren  Wettbewerbes  vielleicht 
auf  freien  handelspolitischen  Hahnen  auf  dem  Gebiete  des  Welthandels  zu 
eröffnen.  Als  das  beste  Rüstzeug  in  diesem  Kampfe  erscheint  den  führenden 
Männern  neben  der  kaufmännischen  und  technischen  Schulung  auch  das  ver- 
tiefte Verständnis  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  eigenen  und  der 
fremden  Gebiete  auf  der  soliden  Grundlage  der  Erdkunde.  —  Der  wirt- 
schaftsgeographische Kongrefs  in  Paris  ist  eine  bedeutsame  Kundgebung  dieser 
Anschauungen. 

Es  ist  wohl  der  Energie  und  dem  Takte  der  Kongrefsleitung  zu  ver- 
danken, dafs  das  so  überaus  reichhaltige  Programm  in  dem  kurzen  Zeitraum 
von  ö  Tagen  vollständig  erschöpft  wurde.  Ein  Festmahl  vereinigte  zum 
Schlufs  die  Mitglieder  des  Kongresses;  hier  gelangte  die  Anerkennung  für 
die  umsichtige  und  mühevolle  Leitung,  die  Freude  an  dem  aufserordentlichcn 
Gelingen  der  Tagimg,  das  schöne  Einvernehmen  der  Mitglieder  zu  leb- 
haftem Ausdruck.  —  Der  gewinnenden  Herzlichkeit,  mit  der  die  Mitglieder 
der  handelsgeographischen  Gesellschaft  zu  Paris  allen  Gästen  und  —  wir 
dürfen  es  unverhohlen  sagen  —  insbesondere  den  deutschen  Gästen  entgegen- 
kamen, sei  auch  an  dieser  Stelle  mit  innigem  Dank  gedacht. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


159 


Kleinere  Mitteilungen. 

Der  Salzsee  von  Larnaoa  auf  Cypern. 

Nahe  der  Hafenstadt  Larnaca  befindet  sich,  ungefähr  iy2  —  2  kin  vom 
Meer  entfernt,  ein  Salzsee,  der  für  die  Insel  von  grofser  wirtschaftlicher  Be- 
deutung ist,  und  dessen  Produkt  durch  Menge  wie  durch  Güte  von  altersher 
einen  Ruf  genossen  hat.  Die  Herkunft  des  Salzgehaltes  ist  bis  jetzt  strittig 
gewesen.  Da  eine  Barriere  festen  Landes,  die  sich  an  einigen  Stellen  bis  zu 
20  m  Höhe  erhebt,  den  See  vom  Meere  trennt,  so  waren  ältere  Schriftsteller, 
wie  noch  heute  die  meisten  Einwohner  der  Ansicht,  dafs  das  Salz  nicht  aus 
dem  Meere  stamme,  sondern  aus  dem  Boden  und  aus  demselben  erst  durch 
die  winterlichen  Regengüsse  ausgelaugt  werde.  Die  alljährlichen  Ereignisse 
schienen  diese  Ansicht  zu  stützen;  denn  der  See  wird  erst  jeden  Winter 
wieder  neu  gebildet,  trocknet  im  Sommer  vollkommen  aus,  und  die  Produktion 
an  Salz  ist  um  so  ergiebiger,  je  mehr  Regen  gefallen  ist. 

Naturwissenschaftliche  Beobachter,  wie  Gaudry1),  sowie  Unger  und 
Kotschy8)  haben  die  gegenteilige  Ansicht  vertreten  und  den  Salzgehalt  auf  das 
Meerwasser  zurückgeführt.  Gaudry  macht  geltend,  dafs  im  Winter  zur  Zeit 
dauernden  Südwestwindes  das  Meer  über  sein  gewöhnliches  Niveau  steige, 
das  durchlässige  quarternäre  Stratum  am  Ufer  überschreite  und  so  Seen 
bilde.  Unger  und  Kotscby  bringen  gegen  die  Theorie  des  Salzes  im  Boden 
den  Einwand,  dafs  dann  durch  allmähliche  Auslaugung  im  Laufe  der  Zeit 
ein  verminderter  Ertrag  statthaben  müsse,  was  durchaus  nicht  der  Fall  ist. 
Das  Wasser  des  Meeres  dringe  durch  die  porösen  Sandsteinschichten  und 
suche  nach  hydrostatischen  Gesetzen  das  Wasser  des  Secbcckcns  auf  das 
gleiche  Niveau  zu  bringen.  Im  Winter,  bei  geringer  Verdunstung  und  Zu- 
flufs  von  Süfswasser  könne  der  Salzsee  sogar  über  Meeresniveau  steigen,  im 
Sommer  aber  könne  das  Durchsickern  des  Meerwassers  mit  der  Verdunstung 
nicht  Schritt  halten,  daher  die  Austrocknung. 

Baker  und  andere  Neuere  haben  jedoch  wieder  die  Ansicht  vom  Salz- 
gehalt im  Boden  vertreten;  es  könnte  zu  Gunsten  hiervon  angeführt  werden, 
dafs  das  Seebecken  über  dem  Meeresniveau  liege,  und  dafs  der  Salzgehalt 
des  Sees,  worüber  übrigens  bis  dato  keine  Messungen  vorliegen,  bedeutend 
höher  als  der  des  Meeres  sei. 

Eine  endgiltige  Lösung  dieser  Frage  ist  nur  zu  erbringen  durch  genaue 
Nivellierungen  und  besonders  durch  Bohrungen  in  der  Umgebung  des  Sees 
und  zwischen  See  und  Meer.  Da  es  sich  hierbei  nicht  um  ein  blofs  geo- 
graphisches, sondern  auch  um  ein  wirtschaftliches  Problem  handelt  —  denn 
die  Gegenwart  eines  Steinsalzlagers  und  anderer  mit  einem  solchen  gewöhn- 
lich verbundenen  Erdprodukte  wäre  von  kommerziellem  Interesse  — ,  so  war 
die  Inselregierung  auf  mein  Ansuchen  freundlichst  bereit,  durch  den  Director 
of  Public  Works  in  meiner  Gegenwart  die  erforderlichen  Arbeiten  vornehmen 
zu  lassen,  über  die  ich  hier  in  aller  Kürze  berichten  will. 

1)  Genaue  Nivellierungen  ergaben  in  mehreren  Richtungen  für  den  See 
bei  seinem  Stand  von  Mitte  Dezember,  dafs  sein  Niveau  etwa  2,3  m  unter 
Meeresfläche  liegt;  sein  Boden  je  nach  den  Stellen  3,3  —  4,2  m. 


1)  Recherches  ecientifiques  en  Orient  1856.  Paris. 

2)  Die  Insel  Cypern.    Wien  1865. 


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160 


Kleinere  Mitteilungen. 


2)  Der  Salzgehalt  ist  nach  Eintritt  der  ersten  Regen  am  stärksten, 
nimmt  dann  allmählich  ab,  und  steigt  erst  wieder  mit  Eintritt  der  Soninior- 
wiirrne.  Mitte  Oktober,  nach  dem  ersten  Regenfall,  war  der  Salzgehalt  zu 
grofs,  um  mit  meinem  Aräometer  registriert  werden  zu  können,  betrug  aber 
jedenfalls  über  18%;  am  29.  Oktober  nach  weiteren  heftigen  Güssen  16,5%, 
Mitte  Dezember  10,5  — 11  %•  (Das  Meerwasser  der  Küste  zeigte  mit  dem 
gleichen  Aräometer  3,35  %. ) 

3)  Die  Untersuchung  der  angrenzenden  Gesteinsschichten ,  die  zum  Teil 
an  der  Landstralsc  anstehen,  ergab  ziemliche  Übereinstimmung  mit  den 
Resultaten  von  ünger  und  Kotschy.  Die  oberste  Lage  .r,  die,  auch  die  Mulde 
für  den  See  selbst  bildet,  besteht  aus  einem  sandigen  Thon,  von  gelblicher 
Farbe,  mit  wenigen  und  fein  zertrümmerten  tierischen  Resten.  Darunter 
folgt  eine  Saudsteinschicht  i/,  ein  Konglomerat  von  sehr  verschieden  festen 
Partikeln  mit  zahlreichen  Versteinerungen,  die,  wie  bereits  früher  beschrieben, 
im  ganzen  noch  den  heutigen  Formen  des  Mittelmeeres  angehören  und  auf 
eine  Strandbildung  von  geringer  Tiefe  hinweisen.  Nach  der  Tiefe  zu  wird 
diese  übrigens  nur  1  —  2  m  dicke  Schicht  immer  gröber  in  ihrer  Zusammen- 
setzung und  weitlückiger.  Darunter  folgt  dann  eine  viel  festere  und  un- 
durchlässigere Schicht  (-)  aus  sandigem  Thon,  der  aber  nach  Säureprobe 
auch  mit  kohlensaurem  Kalk  stark  vermengt  ist  und  sieh  ziemlich  weit  in 
die  Tiefe  fortzusetzen  scheint;  alles  noch  postplioeäner  Natur. 

4)  Die  Organismenwelt  des  Sees  rekrutierte  sich  im  Dezember  aus  den 
bekannten  Salinenkrustaceen  Artemia,  sowie  aus  einer  mikroskopischen  Alge, 
der  Palmella  Ungers.  Letztere  war  im  Dezember  nur  in  ganz  geringen,  im 
Januar  schon  in  gröfseren  Mengen  vorhanden;  wahrscheinlich  fällt  ihre  Haupt- 
treibzeit erst  in  das  Frühjahr.  Die  Artemia  waren  dagegen  schon  im 
Dezember  in  ungeheuren  Massen  vorhanden,  so  dafs,  wo  der  Wind  hintrieb, 
„mehr  Tierkörper  als  Wassertropfen  vorhanden''  waren.  Die  noch  erstaun- 
lichere Menge  von  Eiern,  die  den  Rand  des  Sees  und  seinen  Boden  zum  Teil 
in  mehreren  cm  Dicke  bedecken,  sind  nicht  die  einer  Krabbe  Pilumnus  wie 
Unger  raeint,  sondern  wenigstens,  die  ich  fand,  die  Dauereier  der  Artemia 
selbst.  Auch  deren  Häute  häufen  sich  in  enormer  Menge  am  Boden  und 
am  Rand  des  Beckens  an  und  geben  dein  im  Wind  entstehenden  Schaum 
eine  bestimmte  Konsistenz.  Auch  als  Bodendeposit  gewinnt  die  Artemia 
Wichtigkeit  durch  ihr  massenhaftes  Auftreten.  Den  Boden  des  Sees  unter 
einer  Salzkruste  bedeckt  ein  weicher  blauschwarzer  Schlamm,  der  beim 
Trocknen  dunkelblau  wird,  eisenhaltig  ist  und  sehr  grofse  Mengen  organischer 
Substanz,  verfallene  Artemien  und  Eier  enthält.  Zwischendurch  zeigt  sich 
überall,  auch  nach  starkem  Regen  noch,  eine  ungelöste  Salzkruste. 

5)  Die  Bohrversuche,  die  in  der  Nähe  des  Seeufers  angestellt  wurden, 
zeigten  nach  der  Tiefe  zu  fortschreitend  eine  Übereinstimmung  in  der  Schich- 
tung, wie  für  die  Strandbarriere  beschrieben  wurde  (S.  o.  2).  Unter  einer 
dünnen  Lage  von  trockenem  Sand  kam  eine  nur  wenige  Zoll  dicke  weitere 
Lage  von  schwarzem  Lehm,  dem  Seebodenablagerung  entsprechend,  darunter 
kam  dann  ein  thoniger  Saud  //,  mit  mehr  und  mehr  kalkiger  Zusammensetzung 
und  teilweise  deutlicheren  Resten  von  Schalen.  Bis  etwa  3  m  davon  war 
ziemlich  hart  und  schwer  zu  bohren;  dann  wurde  das  Gefüge  lockerer  und 
feuchter;  in  noch  1  m  grölserer  Tiefe  enthielt  die  bohrende  Röhre  mehr 
Wasser  als  Gesteinsproben,  und  das  Wasser  war  gut  erkennbar  salzig 
Darunter  folgte  dann  eine  Lage  festeren  Sandes  zy  der  von  6  m  ab  so  fest 
wurde,  dafs  das  Bohren  sehr  erschwert  war.    Die  Versuche  wurden  dann, 


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Geographische  Neuigkeiten.  161 

da  namentlich  durch  die  Auffindung  der  .salzwasserhaltigen  Schicht  der  Zweck 
erreicht  war,  eingestellt. 

Nach  allem  Vorstehenden,  namentlich  aber  nach  dem  letzten  Punkt  ist 
der  Schlnfs  gesichert,  dafs  der  Salzgehalt  des  Sees  nicht  von  einem  Stein- 
salzlager, sondern  ursprünglich  aus  dem  Meer  herstammt.  Die  durchlässige 
Schicht,  in  der  auch  beim  Bohren  das  hinübersickernde  Wasser  gefunden 
wurde,  wirkt  wie  eine  Verbindungsröhrc  zwischen  dem  Meer  und  dem  See- 
becken und  zwar  um  so  besser,  weil  sie  nach  unten  durch  eine  undurch- 
lässige Schicht  abgeschlossen  ist.  Diese  Wirkung  kann  aber  nur  eintreten, 
wenn  durch  die  Winterregen  das  Seebecken  gofüllt  wird,  da  es  sich  ja  immer- 
hin nicht  um  weit  offene  Kanäle,  sondern  um  ein  Durchsickern  durch  ein 
poröses,  mehr  oder  minder  lückiges  Konglomerat  handelt. 

Um  das  Hauptbohrloch  hatte  sich  nach  einigen  Tagen  ohne  dazwischen- 
kommenden Regen  eine  Wasserlache  gebildet;  ein  sicheres  Anzeichen,  dafs 
die  Durchbohrung  des  dio  wasserführende  Schicht  überliegenden  Stratums 
wie  ein  artesischer  Brunnen  gewirkt  hatte,  in  dem  das  unterirdische  Salz- 
wasser durch  das  Bohrloch  zur  Oberfläche  aufgetrieben  wurde.  Das  Wasser 
in  diesem  Tümpel  hatte  8  %  Salzgehalt,  und  seine  Existenz  ist,  wenn  es 
noch  eines  Beweises  bedürfte,  eine  sichere  Probe  auf  die  Theorie. 

Warum  der  See  aber  einen  viel  gröfseren  Salzgehalt  hat.  als  das  Meer, 
ist  leicht  verständlich.  Das  Einsickern  des  Seewassers  sucht  sich  beständig 
zu  vollziehen,  beständig  ist  auch  allerdings  in  verschiedener  Stärke  die  Ver- 
dunstung, und  so  ist  im  und  am  Boden,  wie  ja  auch  die  Untersuchung  zeigt, 
ein  immer  gröfserer  Überschufs  an  Salz  entstanden,  der  durch  die  Regen- 
mengen nur  gemindert,  nie  ausgeglichen  wird.  In  gewissem  Sinn  haben  also 
auch  diejenigen  Recht,  die  von  einer  Auslaugung  des  Bodens  durch  den 
Hegen  sprechen,  allerdings  in  anderem,  als  sie  selbst  meinen. 

Der  Inselregierung,  wie  spez.  dem  Ingenieur  C.  V.  Bellamy,  bin  ich  zu 
bestem  Dank  für  die  Anstellung  dieser  Untersuchungen  verpflichtet. 

Dr.  Otto  Maas. 


Geographische  Neuigkeiten. 


Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitz  au 

Allgemeines. 

*  Tber  die  Lebensbedingungen 
und  die  geographische  Verbreitung 


der  Korkeichen  entnehmen  wir  einer 
neuen  Veröffentlichung  E.  M filier V) 
folgendes : 

Der  Flaschenkork  wird  bekanntlich 
von  zwei  nahe  verwandten  Eichenarten 
gewonnen.  Quercus  suber  und  Q.  occi- 
dentalis, die  sich  hauptsächlich  durch  die 

1)  Müller,  E.  A.  aber  die  Korkeiche. 
t'QuercuB  suber  L.  und  Q.  occidentalis  Gay. 
Ein  Betrag  zur  Pflanzen-  und  Handcls- 
geographie.  Mit  einer  Karte  des  Verbrei- 
tungsgebietes und  zwei  Tafeln.  Abhandl. 
d.  k.  k  geogr.  Oes.  in  Wien.   IT  Bd.  1900. 


ungleiche  Lebensdauer  ihrer  Blätter  unter- 
scheiden, welche  bei  der  ersteren  zwei- 
oder  dreijährig  sind,  während  bei  der 
zweiten  Art  jedes  Frühjahr  eine  voll- 
ständige Neubelaubung  stattfindet.  Quer- 
cus suber  bewohnt  das  eigentliche  Mittel- 
meergebiet, während  Q  occidentalis  auf 
die  feuchten  Grenzgebiete  am  atlantischen 
Ozean  beschränkt  ist  und  ein  weit  klei- 
neres Areal  einnimmt.  (Der  Verfasser 
behandelt  die  beiden  Arten  meist  ge- 
meinschaftlich als  „Korkeiche11.  Gemein- 
sam ist  den  beiden  Korkeichen  jedoch 
das  Verlangen  nach  frostfreier  Winter- 
temperatur, wo  hingegen  sie  gegen  hohe 
Temperatur  wenig  empfindlich  sind.  Eino 
Regenmenge  von  mindestens  50  mm  im 


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162 


Geographische  Neuigkeiten. 


.Jahre  gehört  zu  ihren  Lebensbedingungen. 
Diese  Bedingungen  sind  für  ihre  Ver- 
breitung innerhalb  des  von  ihr  einge- 
nommenen Gesamtareals  niafsgebend.  So 
bewohnt  die  Korkeiche  in  Nordafrika  die 
mittleren  Höhen  des  ganzen  Küsten- 
gebietes, von  Marokko  bis  Tunis,  wahrend 
sie  in  der  Wüste  und  auf  den  trockenen 
Hochsteppen  durchaus  fehlt.  Die  Be- 
stünde der  Korkeiche  nehmen  in  Algerien 
ein  Areal  von  45910»  ha  ein,  während 
sie  in  Tunis  116000  ha  bedecken.  In 
Kuropa  bewohnt  die  Korkeiche  das  süd- 
westliche Küstengebiet,  von  der  Mündung 
der  Garonne  bis  zum  Golf  der  Adria. 
Die  erste  Stelle  bezüglich  des  Cmfanges 
der  Korkwälder,  wie  auch  der  Qualität 
des  Korks,  nimmt  Spanien  ein.  mit 
255000  ha:  die  schönsten  und  best  kulti- 
vierten Korkwälder,  nicht  blofs  Spaniens 
sondern  aller  Korkwälder ,  sind  diejenigen 
Cataloniens,  wo  sie  in  der  Provinz  Gerone 
allein  80  000  ha  bedecken.  Das  Areal 
der  Korkwälder  Frankreichs  beträgt  etwas 
über  150000  ha,  und  gehört  zum  gröfsten 
Teile  der  Provence  an:  Italien  besitzt 
etwa  80000  ha,  für  Portugal  fehlen 
nähere  Angaben. 

Die  Kultur  der  Korkeiche  hat  sich  seit 
ihrem  Beginne  in  der  zweiten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts,  wo  ein  Deutscher  die 
ersten  diesbezüglichen  Versuche  in  Cata- 
lonien  ausführte,  rasch  entwickelt;  die 
Korkeichenwälder  befinden  sich  gegen- 
wärtig beinahe  sämtlich  in  rationellem 
Betriebe;  auch  hat  man  neuerdings, 
namentlich  in  Algerien  und  Tunis,  be- 
gonnen, neue  Korkeichenwälder  anzu- 
legen. Kork  bildet  einen  wichtigen  Aus- 
fuhrartikel der  meisten  seiner  Produktions- 
gebiete: Spanien,  das  bei  einer  jährlichen 
Produktion  von  etwa  30  000000  kg  ca. 
12  000000  kg  exportiert,  wird  von  Por- 
tugal weit  übertroffen,  das  ca. 50000000  kg 
produziert  und,  im  Jahre  1H97, 46  920  502  kg 
ausführte.  Kork  bildet  gegenwärtig 
nebst  dem  Wein  den  wichtigsten  Handels- 
artikel Portugals;  allerdings  steht  dessen 
Geldwert  weit  hinter  demjenigen  der 
spanischen  Ware  zurück.  Frankreich  pro- 
duziert alljährlich  ca.  6  000000  kg,  die 
zum  weitaus  gröfsten  Teile  im  Lande 
konsumiert  werden,  Italien  exportierte 
1897  1  774  200  kg,  Algerien  im  gleichen 
Jahre  mehr  als  11500000  kg,  Tunis  1896 
633  531  kg;  der  Korkexport  Marokkos  ist ! 


unbedeutend,  etwas  gröfser  derjenige  von 
Korkeichenlohe,  die,  im  Gegensatz  zum 
Korke,  ausgeführt  werden  darf. 

Schimper 

♦  KrschliefsungneuerPetroleu  ru- 
higer. Neben  den  Petroleumquellen  des 
Ohiogebietes,  Pennsylvaniens,  der  galizisch- 
rumänischen  und  kaukasischen  Gebiete 
machen  Bich  in  letzter  Zeit  Gebiete, 
welche  bisher  weniger  in  Betracht  kamen, 
immer  mehr  bemerkbar.  So  sollen  die 
Krgebnisse  in  Texas  (bei  Beaumont)  über- 
raschend gewesen  sein,  und  die  Reich- 
haltigkeit dieser  Lager  soll  sogar  gröfser 
sein  ab  die  der  übrigen  amerikanischen 
Lager.  Sehr  günstig  lauten  auch  die  Be- 
richte aus  der  Provinz  Oran  in  Tunis, 
wo  man  aus  dem  Hervorschwitzen  von 
Petroleum  an  der  Erdoberfläche  auf  reiche 
unterirdische  Lager  schliefst.  Diese  Mut- 
mafsung  wird  durch  die  geologischen 
Verhältnisse  des  in  Betracht  kommenden 
Gebietes  unterstützt.  Ganz  besondere  Kr- 
gebnisse liefert  aber  diePetroleumindustrie 
Britisch-Indiens.  Die  Gesamtproduk- 
tion dieser  Lager  betrug  1899  269  Mil- 
lionen hl  (Indien  50%,  Assam  0.01%  and 
Birma  49.99%  .  Die  Produktion  Birmas 
stieg  im  letzten  Jahre  um  75°/,!  Auf- 
fallend bleibt,  dafs  Indien  trotz  dieser 
ungeheuren  Produktion  auf  Petroleum- 
einfuhr angewiesen  ist.  Schliefslich  sei 
noch  erwähnt,  dafs  in  der  Nähe  von 
Enseli  in  Persien  neue  Lager  entdeckt 
wurden  und  dafs  an  der  kalifornischen 
Küste  in  Amerika  am  Meeresgrunde  ein 
Naphthalager  entdeckt  wurde,  aus  dem 
mittelst  gut  verankerter  Pontons  das 
Petroleum  an  die  Oberfläche  gebracht 
wird.  A.  R. 

Europa. 

*  Dr.  Safs  hat  die  Schwankungen 
des  Grundwassers  in  Mecklenburg 
von  ungefähr  140  Brunnen  untersucht  und 
ist  zu  dem  Ergebnis  gekommen,  dafs  die 
Grundwasserverteilung  in  erster  Linie 
nicht  durch  atmosphärische  Niederschläge, 
sondern  durch  die  geologischen  Verhält- 
nisse bedingt  ist;  den  gröfsten  Wasser- 
vorrat besitzen  die  Landstrecken  südlich 
der  Kndmoräne  und  z.  T.  der  Knd- 
moräne  selbst,  dagegen  findet  man  im 
Gebiet  der  typischen  Grundmoräne  im 
Gegenteil  häufig  Wassermangel.  Ferner 

.  hat  sich  gezeigt ,  dafs  das  Gebiet ,  welches 


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Geographische  Neuigkeiten. 


ganz  oder  in  der  Hauptsache  von  einem 
See  mit  Grundwasser  gespeist  wird,  in 
der  Regel  keine  grofse  Ausdehnung  be- 
sitzt. Schliefslieh  widerlegt  der  Ver- 
fasser die  oft  geinachte  Behauptung,  dafs 
schneereiche  Winter  dem  Grundwasser 
besonders  viel  Zufuhr  bringen.  (Mitt.  der 
aus  der  Grofsh.  Meckl.  Geolog.  Landes- 
anatalt  XII.)  W.  H. 

*  Seiches  im  Starnberger  See. 
Professor   Ebert   von    der  technischen 
Hochschule  in  München  hat  durch  ein 
auf   Kosten    der    Kgl.   bayr.  Akademie 
der    Wissenschaften    in    München  be- 
schafftes Limnimetre   enregisteur  trans- 
portable von  Sarasin ,  welches  am  Nord- 
ende des   Starnberger  Sees  aufgestellt 
wurde,  sehr  deutlich  ausgeprägt  unidale 
oder  Grundschwingungen  von  25  Minuten 
mittlerer  Dauer,  was  genau  genug  mit 
der  nach  der  Merian-Forel'schen  Formel 
theoretisch  berechneten  Zeit  von  24  Mi- 
nuten übereinstimmt,  und  daneben  noch 
Oberschwingungen  von  etwas  weniger  als 
*/s  Schwingungsdauer  der  Grundschwin- 
gung, nilml  ich  15%  Minuten  gefunden, 
welche  der  Eigenschwingung  des  durch 
den  unterseeischen   Rücken  bei  Unter- 
Zaismering      abgegrenzten  nördlichen 
Beckens  entspricht.    Durch  Aufstellung 
eines  zweiten  Limnimeters  am  Südende 
des  Sees  soll  noch  die  genauere  Konfigu- 
ration des  ganzen  Schwingungssystenies 
festgestellt   werden.     (Sitzungsber.  der 
math.  phys.  Klasse  der  kgl.  bayr.  Akad. 
der  Wissenschaften  Bd.  XXX,  1900  Heft  3.) 

W.  H. 

*  In  den  von  der  Plattensee-Kommission 
der  Ung.  Geogr.  Gesellschaft  heraus- 
gegebenen Resultaten  der  wissenschaft- 
lichen Erforschung  des  Plattensees 
berichtet  Sarniger  über  die  Tempera- 
tur Verhältnisse  dieses  Steppensees, 
die,  weil  der  See  in  kontinentaler 
Lage  und  von  sehr  geringer  Tiefe  ist, 
vielfach  von  denjenigen  anderer  unter- 
suchter Seen  abweichen.  Die  Haupt- 
resuftate  sind  die  folgenden:  Das  Maxi- 
mum der  Wassertemperatur  tritt,  stets 
schon  1 — 2  Tage  nach  denjenigen  der 
Lufttemperatur  ein.  Das  monatliche 
Mittel  im  Juni,  Juli.  August  übersteigt 
immer  20°.  Die  Differenz  zwischen  der 
Temperatur  des  Oberflächen-  und  des 
Boden wassers  ist  zu  allen  Jahreszeiten 
sehr  klein,  dagegen  ist  vom  Herbst  bis 


163 

zum  Sommer  die  Bodentemperatur  höher 
als  die  Temperatur  des  Bodenwassers, 
im  Sommer  umgekehrt.  Im  Winter  kühlt 
sich  vor  Eintritt  des  Zufrierens  das  See- 
wasser in  seinem  ganzen  Umfang  auf  0° 
oder  mehr  ab  —  das  ist  sehr  bemerkens- 
wert, —  sogar  der  Schlamm  kühlt  sich 
bis  auf  1  0  ab,  ja  sogar  darunter,  wenn 
die  Temperatur  des  Wassers  und  der 
Luft  längere  Zeit  um  den  0  Punkt 
schwankt,  ohne  dafs  wirklicher  Frost 
eintritt.  W.  H. 

*  Die  Bevölkerung  der  Schweiz 
beträgt  nach  der  Volkszählung  vom  1.  De- 
zember 1900  3  312  551  Seelen  gegen 
2  917  754  am  1.  Dez.  1888,  d.  i.  eine  Zu- 
nahme von  rund  394  800  Personen,  oder 
13.5°/0  in  12  Jahren.  An  dieser  Zunahme 
partizipieren  alle  Kantone  mit  Ausnahme 
von  Glarus,  dessen  Einwohnerzahl  infolge 
der  Krisis  in  der  Baumwollindustrie  von 
33  825  auf  32  397  zurückgegangen  ist;  am 
meisten  haben  die  Kantone  mit  vorwie- 
gend städtischer  Bevölkerung  zugenommen : 
Baselstadt  52,2% ,  Zürich  27,6°/ ,  und  Genf 
24,8"/,,.  Die  Einwohnerzahlen  der  25  Kan- 
tone und  Halbkantone  sind  folgende: 
Zürich  430  135;  Bern  586  918;  Luzern 
146  474;  Uri  19  701;  Schwyz  55  497;  Ob- 
walden  15  280;  Nidwaiden  13088;  Glarus 
32  397;  Zug  25  046:  Freiburg  127  719; 
Solothurn  100  838;  Baselstadt  112  246; 
Baselland  68  451;  Schaff  hausen  41  523; 
Appenzell  Aufserrhoden  65  284;  Appenzell 
Innerrhoden  13  480;  St.  Gallen  250  066; 
Graubünden  104  510;  Aargau  206  460; 
Thurgau  113  110;  Tessin  142  719;  Waadt 
279  162;  Wallis  114  980;  Neuenburg 
125  M04;  Genf  131  674.  Cber  20  000  E. 
hatten  folgende  Städte:  Zürich  150  250; 
Basel  107  290;  Bern  63  994;  Genf  68  867; 
Lausanne  46  407;  St.  Gallen  33  087;  Chaux 
de  fonds  35  890;  Luzern  29  203;  Winter- 
thur  22  320;  Neuenburg  20  701.  (Deutsche 
Rundsch.  f.  Geogr.  u.  Stet.  XXIII.  Jhrg. 
5.  Heft.) 

♦  Inselbahn  in  Dalmatien.  Die 
Erfahrungen,  die  man  mit  Trajekten  in 
Norwegen,  Schweden  und  Dänemark,  in 
jüngster  Zeit  besonders  am  Baikalsee  ge- 
macht hat,  wo  es  gelungen  ist,  bei  einer 
Seotiefe  von  1500  in  eine  Eisenbahnüber- 
fahrt von  68  km  Länge  zu  bewerkstelligen, 
haben  maßgebende  Faktoren  bewogen, 
Istrien  durch  Trajekte  über  die  Inseln 
Cherso  und  Pago  mit  dem  dalmatinischen 


164 


Geographische  Neuigkeiten. 


Festlande  zu  verhinden.  Die  geplant«?  Insel- 
hahn wird  auf  der  Halbinsel  Istrien  an  das 
Südbahnnetz  anschliefsen  und  zunächst 
nach  der  Bucht  von  Fianona  geleitet 
werden.  Ein  Trajekt  wird  den  Zug  Ober 
den  5  km  breiten  Quarnero  Canal  nach 
Cherso  übersetzen,  an  deren  Westküste 
der  Schienenstrang  sodann  bis  Cherso 
S.  Andrea  führen  wird.  Die  Seefahrt 
über  den  Quarnerolo  zwischen  Cherso  und 
Pago  wird  20  km  betragen.  Die  Bahn 
wird  bis  zur  Südspitze  der  letzteren 
Insel  geführt  werden,  den  Meereskanal 
Stretto  di  Ljubac  übersetzen  und  schliefs- 
lich  nach  Zara  geleitet  werden.  Die  Ge- 
samtlänge der  Bahn  wird  160  km,  die 
Seefahrt  25  km  betragen.  Es  wäre  dies 
die  kürzeste  Verbindung  Wiens  mit  Zara 
und,  falls  die  dalmatinisch-bosnischen 
Eisenbahn -Projekte  ausgeführt  werden, 
auch  mit  Bosnien.  A.  R. 

*  Mit  dem  Bau  einer  Eisenbahn  in 
Montenegro  wird  voraussichtlich  noch 
in  diesem  Jahre  begonnen  werden.  Nach 
Mitteilungen  dortiger  Zeitungen  ist  be- 
schlossen, eine  160  km  lange  Schmal- 
spurbahn von  der  Hafenstadt  Antivari 
nach  Niksic  zu  bauen,  wo  vor  kurzem 
reiche  Eisenlagerstätten  entdeckt  worden 
sind,  deren  Aubeutung  bereits  auswärtige 
Kapitalisten  in  Angriff  genommen  haben. 
Für  den  Bau  der  Eisenbahn  hat  die 
montenegrinische  Regierung  zum  1.  Mai 
einen  Wettbewerb  ausgeschrieben.  Die 
Bahn  soll  am  1.  Juli  1904  fertig  sein.  Zu- 
gleich werden  auch  die  Arbeiten  zur  Er- 
weiterung des  Hafens  von  Antivari  be- 
gonnen werden,  die  innerhalb  zweier 
Jahre  vollendet  sein  sollen. 

Asien. 

*  Über  den  Fortgang  seiner  Reisen  im 
Lop-Nor-Gebiet  und  im  nördlichen 
Tibet  (V.  Jahrg.  107)  berichtet  Sven 
Hedin  in  zahlreichen  Briefen  an  Freunde 
und  Gönner  vom  30.  Oktober  aus  Temirlik 
im  Tschimen-tag,  denen  Folgendes  zu 
entnehmen  ist:  Am  20.  Juli  brach  Hedin 
aus  seinem  Sommerquartier  in  Temirlik 
mit  einer  kleinen  Karawane  gen  Süden 
auf,  überschritt  den  Tschimen-tag,  den 
Ara-tag  und  den  Kalta-Ulagan,  erreichte 
den  See  Kum-kul  und  erforschte  weiter 
südlich  ziehend  den  Arka-tag,  die  Haupt- 
kette des  Kwen-Lun-Systems,  die  sich  als 
aus  vier  parallelen,  durch  grofse  Längs- 


thäler  von  einander  geschiedenen  Zügen 
erwies,  zwischen  denen  zahlreiche  salzige 
Binnenseen  liegen.  Am  Südabhang  des 
Arka-tag  beginnt  das  eigentliche  tibeta- 
nische Hochland,  in  das  der  Reisende 
bis  34°  21'  n.  Br.  in  die  Nähe  der  Jang- 
ste-kiang-Quellen  vordrang,  wo  ihn  Man- 
gel an  Proviant  und  Erschöpfung  zur  Um- 
kehr zwang.  Ende  Oktober  war  Hedin 
wieder  in  Temerlik,  nachdem  er  1559  km 
fast  durchweg  in  Höhen  von  5000  m  über 
dem  Meere  zunickgelegt  und  kartogra- 
phisch aufgenommen  hatte.  Während  84 
Tagen  sah  Hedin  keinen  einzigen  Men- 
schen und  nur  an  einer  Stelle  zeigten 
sich  verwischte  Spuren  ehemaliger  Be- 
wohner, aber  die  Tierwelt  ist  auf  diesen 
Hochländern  zahlreich  vertreten,  be- 
sonders Yaks,  Antilopen,  Wildschafe, 
Wildesel,  Bären  und  Wölfe.  Bereits  im 
November  gedachte  Hedin  zu  einer  neuen 
Reise  aufzubrechen,  die  auf  drei  Monate 
berechnet  war  und  ihn  naeh  Satschou, 
Altimisch-bulak  (Kurruk-tag)  und  wieder 
durch  die  Wüste  nach  Karakoschun 
führen  sollte.  Er  wollte  dabei  nochmals 
den  im  Frühjahr  entdeckten  alten  See 
und  die  dort  befindlichen  alten  Ruinen 
besuchen.  Der  gröfste  Teil  der  Karawane 
sollte  unterdessen  in  Tjarkhlik  über- 
wintern. 

Afrika. 

*  über  den  Fortgang  ihrer  Reisen  im 
Osthorn  von  Af rika  (s.  VI.  Jhrg.  S.  463^ 
berichten  Frhr.  v.  Erlanger  und  Neu- 
mann in  den  Verh.  d.  Ges.  f.  Erdk.  zu 
Berlin  (1900.  S.  477)  aus  Adis  Abeba  am 
1.  u.  14.  Nov.  1900:  Am  22.  Mai  erfolgte 
aus  dem  Etappenlager  bei  Ganda-Kore, 
zwei  Tagereisen  südlich  von  Harrar,  der 
Aufbruch  der  Expedition,  am  10.  Juni 
wurde  der  bereits  stark  angeschwollene 
Webi  überschritten  und  am  15.  die  Route 
Donaldson  Smith's  erreicht  ,  auf  der  man 
westwärts  bis  Scheikh- Hussein  weiter 
marschierte.  Von  hier  aus  unternahm 
v.  Erlanger  einen  siebentägigen  Ausflug 
nach  Djinir  (Gmea),  einer  von  hohem  Gras 
bestandenen  Hochebene,  ähnlich  der 
Arussi-Hochebene,  und  dann  zog  man 
weiter,  zunächst  südwestlich  zum  Abunuf* 
oder  Gara-Daj  (2780m)  und  Abu-el-Kassim 
(3000  m),  die  beide  erstiegen  wurden,  und 
dann  westlich  zur  Arussi-Hochebene,  die 
durch  den  unaufhörlich  fallenden  Regen 


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Geographische  Neuigkeiten. 


165 


in  einen  großen  Sumpf  verwandelt  worden  i 
war  und  eint   nach   achttägigen  mühe- 
vollen    Märschen    durchkreuzt  werden 
konnte.     Dann  stieg  man  in  das  breite, 
teilweise  überschwemmte  Thal  des  Hauasch 
hinab,  überschritt  am  dritten  Tage  den 
Flui*  und  gelangte  am  Buchuftu-See,  dem 
südwestlichsten  der  fünf  Adda-Seen,  vor- 
bei aui  15.  August  nach  Adis-Abeba.  Von 
hier  au»  gedachten  die  Reisenden  nach 
Teilung  der  Expedition  zunächst  südlich 
zum  Suai-  und  Abuyu-See  zu  gehen,  deren 
Ingeln  v.  Erlanger  erforschen  wollte;  dann 
wollte    dieser    Reisende    ostwärts  nach 
Djinir    zurückmarschieren  und   dann  in 
südwestlicher  Richtung  zum  Rudolf-See, 
dem  Lorian-Sumpf  und  zum  Juba  mar- 
schieren.   Sollten  dies  die  Wasserverhält- 
nisse des  Rudolf-Sees  nicht  gestatten,  so 
wird  dieser  Teil  der  Expedition  den  Kenia 
zu  erreichen  suchen  und  von  dort  nach 
Mumbassa  zurückkehren.    Neumann  ge- 
dachte vom  Abuyu-See  nordwestlich  über 
Ubo  und  üofa  nach  Katta  zu  gehen  und 
von  hier  westwärts  den  Sobat  zu  erreichen 
zu  suchen,  um  auf  diesem  Wege  nach 
Faschoda  zu  gelangen.    Vorher  hat  aber 
Neumann   noch  einen  vierwöchentlichen 
Ausflug  zum  Blauen  Nil  unternommen, 
wobei  er  Abessinien  westlich  von  Guder 
und  östlich  vom  Muger,  zwei  Nebenflüssen 
des  Blauen  Nil,  erforschen  konnte. 

*   Über   seine  zweite  ostafrika- 
nische   Reise    berichtet  Donaldson 
Smith   im  Geographical   Journal  (De- 
zeml>erheft).  Die  Reise  begann  am  1.  Au- 
gust 1809  in  Berbera  und  ging  zuerst  in 
Gut  südlicher  Richtung  zum  oberen  Juba 
und  dann  westwärts  zum  Rudolf-See,  der 
Mitte  Dezember  erreicht  wurde;  von  hier 
aus  wurde   der  Marsch  westwärts  fort- 
gesetzt, das  Land  der  Latuka  unter  ca.  6° 
n.  Hr.  durchzogen  und  am  14.  März  1Ü0U 
Fort  Berkeley  am  Nil  (40  km  oberhalb 
Udo)  erreicht.    Die  zweite  Hälfte  der 
Heise  von  Egder  (4°  n.  Br.  u.  33°  östl.  L.) 
au  führte  fast  ausschliefslich  durch  noch 
völlig  unbekanntes  Gebiet,  das  durch  die 
abessinischen  Raubzüge  der  letzten  Jahre 
stark  entvölkert  und  verwüstet  war.  Die 
(iegn.ii  ist  von  vulkanischen  Bergzügen 
bis  zu  2500  m  Höhe  durchsetzt,  deren 
mit  Alluvialboden  bedeckte  Thäler  oft  mit 
zahlreichen  kleinen  Dörfern  besetzt  waren. 
Die  zwischen  den  einzelnen  Volksstämmen 
liegenden  unbewohnten  Strecken  waren 


I  öde  und  wasserarm,  überhaupt  erwies  sich 
die  Gegend  als  ziemlich  trocken  und  die 
zahlreichen,  auf  den  Karten  angegebeneu 
Flufsläufe  waren  zur  Trockenzeit  wasser- 
leer. Das  gauze  Land  zwischen  Rudolf- 
See,  Nil  und  Sobat  hält  Smith  für  einen 
alten  Meeresboden,  dessen  Austrocknuug 
gegenwärtig  noch  anhält,  wie  das  Sinken 
des  Wasserspiegels  im  Rudolf-See  seit 
1895  um  ca.  4  m  beweist.  Der  auch 
schon  von  anderen  Reisenden  erwähnte 
Unterschied  in  Fauna  und  Flora  zwischen 
dem  Nilbassin  westlich  vom  Rudolf-See  und 
Omo  und  dem  südabessinischen  Derglund 
wird  von  Smith  ebenfalls  erwähnt.  Die 
Bevölkerung  östlich  vom  35°  östl.  L  war 
massaiähnlich,  die  westlich  davon  gehörte 
zu  den  Sudanvölkern. 

Australien  and  Polynesien. 

*  Die  erste  Volkszählung  in  Sa- 
uioa,  die  in  der  Zeit  vom  15.  August  bis 
30.  September  1000  veranstaltet  wurde, 
hat  für  die  Insel  Upolu  17  755,  für  Ma- 
mma und  Apolima  1038,  für  Savaii  14  0*22, 
für  das  gesamte  Deutsch  -  Sumoa  also 
32  815(16  804  männliche  und  15  021  weib- 
liche) Einwohner  ergeben.  (D.  Ku  misch, 
f.  Geogr.  u.  Stat.  XXI1I.  J.  5.  H.) 

Nordamerika. 

*  Die  neuesten  Pläne  der  Jesup- 
Expedition  verfolgen  Ziele,  die  für  die 
Völkerkunde  von  aufserordentlicher  Be- 
deutung sind.  Das  von  dem  Leiter  des 
amerikanischen  National -Museums  ins 
Leben  gerufene  wissenschaftliche  Unter- 
nehmen bezieht  sich  bekanntlich  auf  die 
Erforschung  der  noch  tust  unbekannten 
Volksstämme  in  den  Küstengebieten  des 
nördlichen  Stillen  Ozeans  auf  nordameri- 
kanischer wie  auf  asiatischer  Seite.  Der 
Zweck  ist,  die  Völkerverwandtschaften 
zwischen  den  Gebieten  beider  Erdteile 
festzustellen  und  darauf  die  Wahrschein- 
lichkeit von  Volkswanderungen  von  Asien 
nach  Amerika  oder  umgekehrt  zu  prüfen. 
Die  bisherigen  bereits  hochbedeuteuden 
Ergebnisse  der  Jesup-Expedition  sind  be- 
sonders durch  die  Ausstellung  von  Ge- 
sichtsmasken und  Geräten  der  erforschten 
Volksstämme  bekannt  geworden,  die  ge- 
legentlich des  VII.  Internationalen  Geo- 
grapheukongresses  in  Berlin  veranstaltet 
worden  war.  Jetzt  haben  zwei  Gelehrte, 
Jochelson  und  Bogoras,  Amerika  ver- 


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166 


Geog raphische  Neuigkeiten. 


lassen,  um  «ich  über  Wladiwostok  nach 
dem  nordöstlichen  Asien  nordöstlich  vom 
Amur  zu  begeben.  Es  sollen  dori  die 
Beziehungen  der  Kingeborenenstämme  zi» 
den  Völkern  des  äufsersten  Nordwestens 
von  Amerika  und  auch  zu  den  früher 
erforschten,  etwas  weiter  westlich  wohnen- 
den asiatischen  Stämmen  untersucht  wer- 
den. Jochelson  wird  zunächst  die  Kiisten- 
stämme  am  Nordostufer  des  Oehotskischen 
Meeres  besuchen,  welche  zu  der  grofsen 
Tungusen-Familie  gehören,  und  Bogoras 
wird  eine  lange  Reise  mit  Hundeschlitten 
durch  das  Gebiet  unternehmen,  das  nörd- 
lich von  der  Halbinsel  Kamschatka  liegt, 
und  dort  eine  geraume  Zeit  unter  den 
Tschuktschen  verbringen,  bei  denen  er 
bereits  früher  mehrere  Jahre  geweilt  hat. 
Nach  Beendigung  seiner  Arbeiten  am 
Ochotskischen  Meere  will  sich  dann 
Jochelson  nach  Westen  landeinwärts  zu 
den  Jukagiren  wenden  und  später  durch 
Asien,  über  Moskau  nach  Neu -York 
zurückkehren.  Die  ganze  Expedition  ist 
auf  zwei  Jahre  bemessen.  ( Verh.  d.  Ges. 
f.  Erdk.  z.  Berlin  l'JOO,  S.  496.) 

Südamerika. 

*  Die  letzte  Volkszählung  in  der 
Republik  Venezuela  hat  eine  Bevölke- 
rung von  2  444  91C  Seelen,  darunter  etwa 
44  000  Ausländer,  ergeben.  Die  Ein- 
wohnerzahl der  Hauptstadt  Caracas  be- 
trug 72  429  Seelen;  es  folgen  dann  Va- 
lencia mit  38  654,  Maracaibo  mit  34  284; 
Barquisimeto  mit  31  476,  Ciudad  de  Cura 
mit  12  198,  Barcelona  mit  12  785,  Ciudad 
Bolivar  mit  11  686  und  Guanare  mit 
lo  880  Einwohnern.  B. 

Polarregionen. 

*  Die  wissenschaftlichen  und 
praktischen  Ei  smeer  forsch  u  n  gen, 
die  eiue  russische  Expedition  seit  zwei 
Jahren  auf  Kosten  der  Regierung  an  der 
Murmanküste  ausführt,  haben  neuer- 
dings bedeutende  Ergebnisse  zu  ver- 
zeichnen. Es  gelang  der  Expedition, 
Klarheit  über  die  StrömungsverhültniHse 
in  den  Gewässern  an  der  Murmanküste, 
sowie  in  der  Barendza-See  zu  gewinnen 
und  die  Richtung  und  den  Verlauf  des 
sogenannten  Nordkapstromes,  des  gröfsten 
Zweiges  des  Golfstroines,  zu  bestimmen. 
Aufserdem  fand  man  unter  74"  n.  Br.  eine 
bisher  unbekannte,  warme  Strömung  und 


vermochte  fernerden  Verlauf  zweier  kalter 
Strömungen  zu  bestimmen.   Sitz  der  Ex- 
pedition, die  einen  in  Bremen  gebauten 
Stahldampfer,  „Andry  Perwoswanny",  und 
verschiedene  Segelfahrzeugc  und  Huder- 
boote besitzt,  ist  Alexandrowsk,  die  von 
den  Hussen  an  der  Kola-Bucht  angelegte 
und  vor  zwei  Jahren  feierlich  eingeweihte 
neue  Kreisstadt,  wo  sich  gleichzeitig  eine 
biologische   Station   befindet.     An  der 
Spitze  der  wissenschaftlichen  Arbeiten  an 
der  Murmanküste  Bteht  der  Biolog  Kni- 
po witsch  in  St.  Petersburg,  der  sich 
jedoch  nur  im  Sommer  am  Eismeer  auf- 
hält; im  Winter  hat  Dr.  BreitfuTH  die 
Leitung.     Für  die  im  Mai  beginnende 
gleichzeitige    internationale  Meeresfor- 
schung  ist   Hufsland   auf  diese  Weise 
bereits  vollständig  vorbereitet  und  es  hat 
auch  schon  im  letzten  Jahre  auf  dem  ihm 
von  der  Stockholmer  hydrographischen 
Konferenz  zugewiesenen  Untersuchungs- 
gebiete,  das  sich  von  der  Murmankü9te 
bis  Nowaja  Semlja  und  von  dort  bis  zur 
Bäreninsel  erstreckt,  wiederholt  Versuchs- 
reiseu  ausgeführt, 

(Beilage  Nr.  15  der  Allg.  Ztg.) 
♦  Der  Herzog  der  Abruzzen  hielt 
am  15.  Januar  in  der  Geographischen 
Gesellschaft  zu  Rom  einen  Vortrag  über 
seine  Nordpolfahrt.  Nachdem  er  tlie 
Ausrüstung  der  „Stella  Polare",  ihre 
Fahrt  nach  Archangel,  die  Einschiffung 
der  120  Schiitteuhunde  au  diesem  Orte 
und  den  Abschied  von  dort  am  1.  Juli 
1899  beschrieben  hatte,  gab  er  eine  ein- 
gehende Darstellung  des  Unternehmens 
an  der  Hand  des  sorgfältig  geführten 
Reisetogebuches.  Die  Fahrt  nordwärts 
nach  Franz  Josef  -  Land  ging  aufaugs  flott 
von  statten;  bei  74°  n.  Br.  wurde  das 
Schiff  zum  ersten  Mal  vom  Eise  blokiert 
und  17  Stunden  von  ihm  festgehalten, 
aber  bis  76°  27'  n.  Br.  war  noch  freies 
Meer.  Nach  vielen  Hemmnissen  und  Um- 
wegen kam  man  am  7.  August  1899  an 
der  Prinz  Rudolf-Insel  an,  wo  man  in  der 
Teplitz-Bai  vor  Anker  ging.  Nachdem  an 
Land  Hütten  für  die  Überwinterung  er- 
richtet worden  waren,  begannen  die  klei- 
neren Forschungsreisen  auf  der  Insel;  aber 
zu  Anfang  September  drückte  das  Kis 
einige  Schiffsplanken  ein,  wodurch  man 
zur  endgültigen  Übersiedlung  aufs  Land 
gezwungen  wurde;  das  teilweise  voll 
I  Wasser  gelaufene  Schiff  vermochte  man 


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I 


Geographische  Neuigkeiten. 


noch  vor  Weihnachten  wieder  auszuflicken. 
Bei  einer  der  während  dieser  Zeit  unter- 
nommenen Schlittenreisen  geriet  der  Her- 
zog durch  einen  Sturz  von  7  m  Höhe  in 
ernste  Gefahr,  die  nicht  ohne  nachteilige 
Folgen  für  ihn  blich,  da  er  durch 
Frost  die  Yorderglieder  zweier  Finger 
einbüfste  und,  da  sich  Fieber  einstellte, 
infolgedessen  auf  die  Schlittenreise  nach 
dem  Nordpol  verzichten  mufste.  Den 
weiteren  Verlauf  der  Expedition  schilderte 
nun  Kapitän  Cagni,  dem  der  Herzog  die 
Führung  der  Schlittencxpedition  zum  Pol 
übertragen  hatte.  Ein  erster  Versuch,  mit 
der  Schlittenkarawane  nordwärts  vorzu- 
dringen, wurde  am  19.  Febr.  1900  unter- 
nommen, aber  infolge  der  fürchterlichen 
Kälte ,  bis  —  52°  C,  mufste  man  nach 
einigen  Tagen  wieder  zur  Teplitz-Bai 
zurückkehren,  wo  die  zweite  Reise  vor- 
bereitet wurde,  die  mau  am  11.  März, 
13  Mann  stark  mit  13  Schlitten  und  108 
Hunden,  in  drei  Gruppen  geteilt,  antrat. 
Am  23.  März  schickte  Cagni  die  erste 
Gruppe,  bestehend  aus  dem  Leutenant 
fiuerini,  dem  Führer  Ollier  und  dem 
Norweger  Enriko  Stokken,  zum  Lager 
zurück,  wo  sie  aber  nicht  angekommen 
i«t.  Die  zweite  Gruppe,  Dr.  Cavalli  mit 
3  Mann,  zwei  Schlitten  und  16  Hunden, 
kehrte  am  31.  März  um  und  langte  am 

24.  April  wieder  im  Lager  an.  Das  Ziel 
der  dritten  Gruppe  war  der  87.  Breiten- 
grad, den  Cagni  zu  erreichen  hoffte,  da 
sich  Mitte  April  die  Eisverhältnisse  bes- 
serten und  ein  schnelleres  Vorrücken  er- 
möglichten. Mit  Aufbietung  aller  Kräfte 
legte  man  täglich  16  bis  17  Kilometer 
zurück,  aber  bei  86°  33' 49"  n.  Br.  ent- 
«chlofs  sich  Cagni  angesichts  der  stark 
zusammengeschmolzenen  Lebensmittel  zur 
Umkehr.    Nachdem  man  am  Abend  des 

25.  April  die  italienische  Flagge  auf- 
gepflanzt und  die  Beschreibung  der  Reise 
in  einer  Blechkapsel  niedergelegt  hatte, 
trat  man  den  Rückmarsch  an,  für  den 
man  noch  30  Tage  Proviant  hatte,  während 
der  Vormarsch  45  Tage  gedauert  hatte. 
Anfangs  ging  die  Rückkehr  rasch  von 
statten;  aber  mit  der  abnehmenden  Kälte 
wuchs  die  Gefahr  des  Aufgehens  der  Eis- 
decke,  der  Boden  unter  den  Füfsen  wurde 
immer  unsicherer,  die  Kanäle  zwischen 
dem  Eise  breiter  und  häufiger  und  oft 
mufste  man  grofse  Umgehungen  ausführen, 
wodurch  man  achliefslich  um  8  Längen- 


167 

grade  von  der  Richtung  auf  die  Teplitr.- 
Bai  abgedrängt  wurde.  In  einem  weiten 
Bogen  mufste  man  sich  der  Inselgruppe 
von  Süden  her  nähern  und  nach  101- 
tägiger  Abwesenheit  trafen  die  vier  Nord- 
polfahrer am  20.  Juni  wieder  bei  ihren 
Gefährten  an  der  Teplitz-Bai  ein.  Wäh- 
rend der  Abwesenheit  der  Schlittenreisen- 
deu  hatten  die  Zurückgebliebenen  Jagd- 
ausflüge und  wissenschaftliche  Streifereien 
von  der  Teplitz-Bai  aus  unternommen  und 
auch  vergebliche  Versuche  angestellt,  die 
verlorene  Gruppe  Guerini  wieder  aufzu- 
finden. Nach  Cagni'8  Rückkehr  wurden 
die  Vorbereitungen  zur  Rückfahrt  emsig 
betrieben,  das  Schiff  wurde  mit  unend- 
lichen Mühen  wieder  aufgerichtet,  vom 
Eise  befreit,  in  sein  Element  zurück- 
gebracht und  im  August  1900  die  Heim- 
reise südwärta  angetreten.  B. 

*  über  den  augenblicklichen  Stand 
des  Baues  des  deutschen  Südpolar- 
schiffes macht  Professor  v.  Dry- 
galski,  der  erwählte  Leiter  der  deut- 
schen Südpolarexpedition,  nach  einem 
Berichte  des  Bauleiters  Ruser  in  Peter- 
mann's  Mitteilungen  (1901  S.  24)  folgende 
Mitteilungen:  Der  Bau  des  Südpolar- 
schiffes schreitet  rüstig  vorwärts,  es  ar- 
beiten zur  Zeit  ca.  100  Zimmerleute  am 
Bau  ,  die  erste  Aufsenhaut  wird  innerhalb 
14  Tagen  befestigt  seiu,  es  kann  dann 
mit  der  zweiten  Plankenlage  von  oben 
und  unten  gleichmäfsig  begonnen  werden 
und  dadurch  wird,  trotzdem  die  zweite 
Lage  mit  zwei  durchgehenden  grofsen 
Spanten,  auf  die  Innenseite  verklinkte 
Bolzen  befestigt  werden,  diese  schnell  be- 
endet werden.  Das  Überdeck  liegt  seit 
Ende  November  und  es  wird,  da  die 
Horizontal-,  sowie  die  Vertikalkniee  im 
Unterraum  an  den  Zwiachendecksbalken 
schon  angebracht  sind,  das  Zwischendeck 
Ende  dieser  Woche  (Ende  Januar;  fertig- 
gelegt sein.  Die  eichenen  Stützen  unter 
den  Balken ,  sowie  die  starken  eicheneu 
Bugbänder  in  Knieform  sind  bereits  an- 
gebracht und  wird  mit  den  Heckbändern 
demnächst  begonnen.  An  den  Rund- 
hölzern wird  fleifsig  gearbeitet  und  sind 
die  drei  Untermasten,  aus  prächtiger 
Oregon-Tanne,  bereits  fertiggestellt.  In 
der  Tischlerei  arbeitet  man  an  den  Decks- 
häusern und  der  inneren  Einrichtung  der 
Wohnräume  der  gesamten  Besatzung. 
Die  Zwischenräume  der  Spanten,  welche 


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1C8 


Geographische  Neuigkeiten. 


mit  Korkstücken  ausgefüllt  sind,  werden 
bereits  mit  Pech  ausgefüllt.  Die  Kessel 
haben  die  kalte  Druckprobe  bestanden 
und  harren,  ebenso  wie  die  bereits  fertig- 
gestellte Maschine,  der  Zeit  des  Stapel- 
laufs, um  an  Ort  und  Stelle  gebracht  zu 
werden.  So  in  allen  Teilen  vorwärts- 
schreitend, wird  voraussichtlieh  der  Hau 
im  Mai  beendet  werden. 

<i)eographi8cher  Unterricht. 

*  Geographischer  Unterricht  in 
Frankreich,  l'nter  dem  Titel:  Uni- 
versite  de  Paris.  Horaire  des  cours  et 
Conferences  de  Pannee  scolaire  1H99  lüOO. 

Progranmies  des  certificate  d'etudes 
superieures,  Melun,  Imp.  administr.  99, 
ist  ein  kleines  Heft  erschienen,  das  etwa 
ein  Mittelding  zwischen  unsern  Vorlesungs- 
verzeichnissen und  unsern  Prüfungsord- 
nungen darstellt.  Alles  in  allem  sind  für 
Physische  Erdkunde  zwei  einstündige 
Collegien  von  M.  Ch.  Velain  angekündigt, 
das  eine  „allgemeine  „Hedingungen  der 
Uberflächengestaltung  mit  spezieller  He- 
handlung  Kuropas  und  Asiens",  das  an- 
dere „Entwicklung  der  im  ersten  Teil  des 
Programmes  für  das  Keifezeugnis  in  phy- 
sischer Erdkunde  gestellten  Fragen". 
Aufserdem  ist  zweimal  in  der  Woche 
unter  Leitung  des  Professors  Gelegenheit 
zu  praktischen  Übungen  gegeben.  Con- 
ferences (Kolloquien;  Huden  in  der  Erd- 
kunde nicht  statt,  ("brigens  ist  die  Fakultät 
der  ..Wissenscharten"  |  sciences)  in  Paris  die 
einzige,  die  in  Erdkunde  prüft  und  Zeug- 
nisse ausstellt.  Die  anderen  Fakultäten, 
mit  sehr  verschiedenen  zahlreichen  Fächern, 
enthalten  alle  Geologie,  Geographie  keine. 
Es  Bind  die  Fakultäten  in  Hordeaux, 
Ca&n,  l'lermont,  Dijon,  Grenoble,  Lille, 
Lyon,  Marseille,  Montpellier,  Nancy, 
Poitiers,  Kennes  und  Toulouse.  —  Das 
Programm  zur  Prüfung  ist  nun  ausser- 
ordentlich eingehend,  5—6  enggedruckte 
Seiten  lang  (S.  60 — 55).  Es  unterscheidet : 
1.  Morphologie  der  Erdoberfläche, 
wozu  auch  „die  Erde  im  Weltraum"  ge- 
rechnet wird;  G e om orphogonie,  diese 
sehr  ausführlich  besonders  nach  der  Seite 
der  Erosion  hin.  Physiologische  He- 
dingungen in  der  Jetztzeit  unter  den 
drei  Unterabteilungen:  Das  Leben  auf 
dem  Festland,  das  Leben  im  Meere 
und  —  Menschenrassen.  2.  A  n  w  e  n  d  u  n  g 
geologischer  Daten  auf  das  Stu- 


dium der  grofsen  Festlandsabtei- 
lungen. 3.  Praktische  Prüfung: 
„Lesen  einer  geographischen  Karte.  Die 
Kandidaten  müssen  aus  der  Prüfung  eines 
Teils  einer  Karte  in  grofsem  Mafsstabe 
eine  vernünftige  Erklärung  der  darge- 
stellten Formen  herleiten  können."  „He- 
stimmen  zweier  Gesteine,  die  aus  den 
topographisch  wichtigen  gewählt  worden 
sind,  nebst  Beschreibung  ihrer  Umwand- 
lungs-  und  Yerwitteruugserscheinungen. 
sowie  den  sich  daraus  ergebenden  Formen." 

Heinr.  Fischer. 

Vereine  und  Versammlungen. 

*  Der IV.  italienischeGeographen- 
kongrefs  wird  in  der  ersten  Hälfte  des 
April  in  Mailand  abgehalten  werden.  Alle 
sich  darauf  beziehenden  Zuschriften,  An- 
fragen und  Anmeldungen  sind  au  das 
Gomite,  Palazzo  di  Brera,  zu  richten. 
Die  Mitgliedschaft  kann  durch  Zahlung 
von  10  Lire  erlangt  werden.  Voraus- 
sichtlich werden  der  Herzog  der  Abruzzen 
und  Kapitän  Cagui  an  den  Verhandlungen 
des  Kongresses  teilnehmen  und  über  di»: 
von  ihnen  ausgeführte  Nordpolreise  be- 
richten. 

Persönliches. 

Am  12.  Dezember  1900  starb  zu  Berliu 
im  Alter  von  79  Jahren  der  russische 
General  a.  D.  Koderich  v.  Erckert, 
der  seit  seinem  1884  aus  der  russischen 
Armee  genommenen  Abschiede  in  Berlin 
wohnte  und  sich  hier  geographischen 
Studien  widmete.  Aufser  zahlreichen  Bei- 
trägen in  geographischen  Zeitschriften 
sind  von  ihm  erschienen  „Der  Kaukasus 
und  seine  Völker"  (Leipzig  1887)  und 
„Wanderungen  und  Siedelungen  der  ger- 
manischen Stämme  in  Mitteleuropa" 
(Berlin  1901). 

*  Am  27.  November  1900  starb  der 
junge  Heisende  Wynford  Carnegie, 
welcher  mehrere  Reisen  in  Westaustralien 
ausgeführt  und  Bich  um  die  Erforschung 
dieses  Landes  grofse  Verdienste  erworben 
hat  („Spinifex  and  Sand;  a  record  of 
five  years'  pioncering  and  exploration 
in  West  Australia";.  Als  er  starb,  war 
er  Assistent- Resident  der  Middle-Niger- 
Kolonie  in  Nigeria. 

*  In  Petermaun's  Mitteilungen  {1901 
S.  22 1  wird  anscheinend  offiziös  darauf 
hingewiesen,  dafs  jüngeren  Matbema- 


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Büch  erbe  sprech  Vinnen. 


169 


tikern,  welche  allerdings  auch  etwas 
praktischen  Sinn  haben  müssen,  sich 
gunstige  Aassichten  bieten,  falls  sie 
Neigung  haben ,  auf  Reichskosten  als  per- 
fekte Astronomen  für  Längen-  und  Breiten  - 
bestimmungen  sich  ausbilden  zu  lassen. 
Da  noch  ein  grofser  Teil  der  Grenzen 
der  deutschen  Kolonien  der  genauen  Fest- 
setzung harrt ,  so  wird  das  Deutsche  Reich 
noch  für  eine  ganze  Reihe  von  Jahren 
Bedarf  haben  für  so  ausgebildete  Astro- 
nomen, und  für  eine  geeignete  und  reise- 
lustige Persönlichkeit  eröffnen  sich  in- 
folgedessen sehr  gute  Aussichten,  um  so 
mehr  als  bei  dem  Mangel  an  Angebot 


die  Honorarfrage  keine  Rolle  spielt.  An- 
gebote sind  zu  richten  an  die  Kolonial- 
abteilung des  Auswärtigen  Amtes. 


Berichtigung. 

*  Im  vorigen  Hefte  ist  in  der  in  letzter 
Minute  von  mir  eingeschobenen  nekrolo- 
gischen Notiz  über  Fiorini  diesem  ver- 

1  sehentlich  auch  das  Buch:  Die  Geographie 
bei  den  Kirchenvätern ,  das  vielmehr  von 
Marinelli  ist,  zugeschrieben,  das  wichtige 

1  Werk:  Le  projezioni  delle  carte  geo- 
grafiche  1881  dagegen  vergessen  worden. 

i  A.  H. 


Büclierbesprecliangcn. 


Henning,  Samuel  Braun.  Beitrag  zur  Er- 
forschungsgeschichte von  Westafrika. 
143  S.  M.  K.  Basel,  Birkhäuser  1900. 
Samuel    Braun,    ein   Wundarzt  aus 
Stiel,  darf,  wenn  man  von  dem  leider 
noch   allzu    wenig  bekannten   und  ge- 
würdigten Hieronymus  Münzer  absieht, 
auf  den  Namen  des  ersten  wissenschaft- 
lichen   deutschen    Afrikareisenden  An- 
spruch   erheben.      Er    lebte    von  1580 
bis  ItiGK  und  unternahm  in  den  Jahren 
1611  —  1620  drei  Seefahrten  nach  West- 
afrika.    Er  hielt  sich  längere  Zeit  an  ver- 
schiedenen Orten  der  beiden  Guineaküsten 
auf   und   lernte   einzelne   der  dortigen 
Landschaften  mit  ihren  Bewohnern  und 
Erzeugnissen    ziemlich    genau  kennen. 
Nach  seiner  Rückkehr  in  die  Vaterstadt 
verfafste    er'  einen   Bericht   über  seine 
Reisen,  der  1624  zuerst  in  Basel  gedruckt 
wurde  und  bald  darauf  in  die  grofsen  Sam- 
melwerke von  deBry  undHulsius  überging. 
Leider  fand  das  Buch  nicht  die  genügende 
Beachtung  und  blieb  bis  in  die  neueste 
Zeit  fast  gänzlich  unbenutzt.   Auch  über 
Braun'»  Lebensumstände  war  nichts  be- 
kannt. Das  Verdienst,  ihn  der  Vergessen- 
heit entrissen  zu  haben,  gebührt  Friedrich 
Katzel,  der  ja  durch  seine  Beiträge  zur 
Allg.   deutschen  Biographie   und  durch 
verschiedene  Dissertationen  der  Mitglieder 
»eines    geographischen   Seminars  schon 
manchem  wenig  bekannten  älteren  Reisen- 
den zur  Auferstehung  verholfen  hat.  Er 
machte  seinen  Schüler  Henning  auf  Braun 
aufmerksam,  und  so  entstand  die  vor- 

Gcographische  Zeitschrift.  7.  Jahrgang.  11)01.  3. 


liegende  Arbeit.  Henning  schildert  zu- 
nächst auf  Grund  handschriftlicher  Quellen 
des  Baseler  Archivs  denLebensgang  Braun's, 
berichtet  dann  in  Anlehnung  an  die  ge- 
druckte Reisebeschreibung  eingehend  über 
dessen  afrikanische  «Reisen,  fafst  hieraut 
deren  wissenschaftliche  Ergebnisse  auf 
geographischem  und  völkerkundlichem 
Gebiete  übersichtlich  zusammen  und  ver- 
gleicht endlich  Braun's  sehr  beachtens- 
werte Leistungen  mit  denen  anderer 
Reisender  (Lopez,  Linschoten,  Marees, 
Battel,  Hemmersam,  Bellefond  und  Wil- 
helm Johann  Müller),  die  einige  Zeit  vor- 
oder  nachher  in  den  Küstenländern  des 
tropischen  Weatafrika  verweilten  und  Be- 
schreibungen derselben  hinterlassen  haben. 
—  Henning's  Arbeit  ist  ein  dankens- 
werter Beitrag  zur  Geschichte  der  Erd- 
kunde. Hoffentlich  findet  der  Verfasser  auch 
weiterhin  Mufse,  um  seine  biographischen 
Untersuchungen  über  wenig  bekannte 
ältere  deutsche  Reisende  in  ergebnis- 
reicher Weise  fortsetzen  zu  können. 

Victor  Hautzsch. 

Ratzel,  Friedrich,  Der  Ursprung  und 
die  Wandlungen  der  Völker 
geographisch  betrachtet.  U.Geo- 
graphische  Prüfung  der  Thatsacheu 
über  den  Ursprung  der  Völker  Europas. 
(Berichte  über  die  Verhandlungen  der 
Königlich  Sächsischen  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  zu  Leipzig.  Philol.- 
hist.  Klasse.  Bd.  52.  Leipzig,  B.  G. 
Teubner,  1000.) 
Heft.  12 


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rechungen. 


170  Bücherbesp 

Dem  Ursprung  der  Indogennanen  nach- 
zugehen ,  ist  eine  der  reizvollsten  Auf- 
gaben der  Wissenschaft;  reizvoll,  weil  sie 
so  gefahrvoll  ist,  weil  sie  einer  „exakten11 
Behandlung  noch  so  sehr  widerstrebt. 
Freilich  hat  dann  auch  jeder  Forscher, 
der  sich  mit  dieser  Frage  eingehend  be- 
fafst,  seine  eigene,  von  anderen  ab- 
weichende Ansicht.  Aber  es  kann  bei 
dem  Versuch,  das  Rätsel  zu  lösen,  nicht 
so  sehr  auf  die  Richtigkeit  der  Ergebnisse 
ankommen  als  auf  die  Auffindung  neuer 
Wege,  die  uns  auf  das  Ziel  hinleiten. 
So  inufs  auch  dieser  neuste  Versuch  Fr. 
Itatzel's,  die  Entwickelung  der  Völker 
Kuropas  zu  erklären,  angesehen  werden. 
Der  Fachmann  in  der  einen  oder  anderen 
der  beteiligten  Wissenschaften  wird  ver- 
mutlich des  öfteren  anderer  Meinung  sein 
als  der  Verfasser;  aber  die  Art,  wie  Ratzel 
die  Frage  angreift,  das  Heranziehen  der 
geographischen  Verhältnisse  in  dieser 
Ausdehnung  ist  neu,  und  es  ist  damit 
unzweifelhaft  eine  der  allerwichtigsten 
Seiten  des  Problems  berührt.  Das  Beste 
Ratzel'scher  Denkweise,  die  räumliche 
und  zeitliche  Weitsichtigkeit,  kommt  hier 
zu  vollster  Geltung. 

Es  ist  in  einer  kurzen  Anzeige  nicht 
möglich,  den  Inhalt  der  Studie  mehr  als 
nur  ganz  schattenhaft  anzudeuten.  Ratzel'* 
Grundgedanke  ist  der:  eine  Rasse  von 
ausgeprägter  Eigenart  kann  nur  entweder 
hei  insularer  Abschliefsung  entstehen, 
oder  wenn  sie  einen  weiten  Raum  zu- 
sammenhängend bewohnt.  Im  letzteren 
Fall  ist  die  Einwirkung  des  Fremden 
durch  die  verhältnismäl'sig  geringe  Aus- 
dehnung der  Feripherie  vermindert;  der 
gröfste  Teil  der  Bewegungen  trifft  auf 
Verwandtes,  sodafs  also  Gelegenheit  ge- 
geben ist,  die  Unterschiede  auszugleichen. 

Das  Ergebnis  seiner  Studien  fafst 
Ratzel  am  Sehlufs  ungefähr  folgender- 
mafsen  zusammen: 

Dem  heutigen  Europa,  das,  getrennt 
von  Afrika,  mit  Asien  in  ganzer  Breite 
zusammenhängt,  ging  ein  älteres  vorher, 
welches  von  Nordasien  getrennt  war,  da- 
gegen über  das  östliche  Mittelmeer  hin- 
weg in  engerer  Verbindung  mit  Afrika 
und  Vorderasien  stand.  Im  Norden  wurde 
es  durch  die  Eisdecke  eingeschränkt.  Als 
das  Eis  sich  zurückzog,  ging  aus  der  spär- 
lichen Jägerbevölkerung,  #die  Mittel-  und 
Osteuropa,  soweit  es  eisfrei  war,  bewohnt 


hatte,  die  blonde,  hochgewachsene  „Ko- 
lonialvarietät der  weifsen  Rasse"  hervor. 
Schon  früher  hatte  sich  eine  helle  Abart 
der  dunkleren  Völker  Afrikas  und  Süd- 
asiens über  Westasien  und  das  Mittel  - 
meergebiet  ausgebreitet.  Später,  als  die 
Verbindung  mit  Nordasien  hergestellt 
war,  kamen  von  hierher  mongolische  Ein- 
dringlinge. Durch  die  mannigfachen  Ver- 
bindungen dieser  drei  Elemente  sind  die 
seit  der  neolithischen  Zeit  Europa  be- 
wohnenden Völker  entstanden. 

Die  blonde  Rasse,  die  extremste  Aus- 
bildung der  weifsen  Rasse,  scheint  sich 
in  inselhafter  Abgeschlossenheit  entwickelt 
zu  haben. 

Von  einer  arischen  Rasse  zu  sprechen, 
ist  unrichtig;  die  europäischen  Rassen 
bestanden  schon  vor  dem  Eintreffen  der 
Völker  des  arischen  Sprachstammes.  Diese 
sind  erst  ziemlich  spät  nach  Europa  ge- 
kommen. Ihren  Ursprung  haben  sie  in 
den  Steppen  nördlich  der  Mittelpunkte  der 
westasiatischen  Kultur,  von  wo  aus  sie  eben 
diese  Kult  ur  auf  dem  Landwege  weiter  nach 
Westen  verbreiteten.        0.  Schlüter. 


Bastian,  Adolf,  Der  Völkerverkehr 
und    seine  Verständigungs- 
mittel im  Hinblick  auf  China. 
Berlin,  D.  Reimer,  1900.    31  S.  8°. 
In  der  nur  zu  gut  bekannten  Form, 
die   den  Schriften  des  Altmeisters  der 
Ethnologie  eigen  ist,  ruft  dieses  Heftchen 
den  kolonisierenden  Mächten  der  Gegen- 
wart die  nicht  genug  zu  beherzigende 
Mahnung  zu:   lernt  die  Völker,  die  ihr 
beherrschen  wollt,  auch  kennen,  lernt  ihre 
Sitten,  ihren  eigentümlichen  Vorstellungs- 
kreis  verstehen.  0.  Schlüter. 

Hellmann,     ti.,     Regenkarte  der 
Provinzen    Westpreufsen  und 
Posen,  mit  erläuterndem  Text  und 
Tabellen.    1:1600000.    27  S.   gr.  8°. 
Berlin,  Reimer.  1000.    M.  1.— 
Die  vorliegende  Karte  ist  die  dritte 
innerhalb  der  die  Niederschlagsverhältnisse 
des  Königreiches  Preufsen  zur  Darstellung 
bringenden,  im  Vorjahre  begonnenen  Reihe 
von  Veröffentlichungen.     Sie   giebt  die 
Beobachtungsresultate  der  Jahre  1890  bis 
1899  hinsichtlich  der  während  dieser  Zeit 
gewonnenen  mittleren  jährlichen  Nieder- 
schlagshöhen in  sechsBlautönuugen  wieder, 
deren  dunkelste  die  Stufe  700— 800  mm 


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Bücherbesprechungen. 


171 


einschliefst,  während  die   anderen  Hieb 
auf  Intervalle  von  je  50  mm  beziehen. 
Im  ganzen  sind  bei   den  der  Karte  zu 
Grunde     liegenden    Berechnungen  189 
westpreufsische  und  84  posensche  Orte 
berück  sichtigt  worden,  von  welchen  83 
über  eine  ununterbrochene  Beobachtungs- 
reihe  verfügten.    Wo  eine  solche  nicht 
vorlag-,  wurde  auf  die  Ergebnisse  benach- 
barter, in  topographischer  Hinsicht  ähn- 
licher   Stationen   mit   zehnjähriger  Be- 
obachtungszeit zurückgegangen  und  nach 
diesen  reduziert.  Obwohl  die  vorliegende 
Karte  der  besseren  Übersicht  wegen  frei 
von  Höhenschichtenlinien  bleiben  mufste, 
läfst  sie  doch  wegen  der  mit  zunehmen- 
der    Bodenerhebung    sich  steigernden 
Niederschlagsmenge    und   der  zwischen 
Luv  und  Lee  in  Bezug  auf  diese  bestehen- 
den wesentlichen  Unterschiede  das  Relief 
der  Provinzen  auf  das  deutlichste  erkennen, 
ja   sie  bringt   selbst   Uöhenwellen  von 
weniger  als  100  Metern  zu  unmittelbarer 
Anschauung. 

Ein  kurzer  Überblick  über  die  Häufig- 
keit der  Niederschlag«,  Eintritt  des  ersten 
und  letzten  Schneefalls  an  den  Stationen 
mit  langer  Beobachtungsreihe:  Danzig, 
Könitz,  Posen  und  Bromberg  bildet  den 
Schlufs  der  umfassenden  Darstellungen. 

H.  Kienast. 

Matlekovic,  Alex,  t.,  Das  Königreich 
Ungarn,  volkswirtschaftlich  und  sta- 
tistisch dargestellt.  2  Bände.  XXXII 
u.  616  S.,  sodann  959  S.  Leipzig, 
Duncker  &  Huinblot  1900.    J£.  3G  — 
Zwar  ist  dieses  Werk,  aus  Anlafs  der 
ungarischen  Millenniumsausstellung  ent- 
standen, nach  Anlage  und  Zweck  kein 
geographisches;  doch  wird  man  über  wich- 
tige Teile  der  Länderkunde  Ungarns  von 
keinem  anderen  Buche  ebenso  verlässige, 
vollständige  und  übersichtliche  Belehrung 
erhalten  wie  von  dem  vorliegenden.  Auf 
den  reichlich  gegebenen  Grundlagen  der 
ungarischen  Statistik  erhebt  sich  vor  uns 
ein  klares  und  gefälliges  Bild  des  viel- 
seitig und  rasch  vorwärts  geschrittenen  Er- 
werbslebens in  Ungarn,  sowohl  der  produk- 
tiven als  der  distributiven  Gewerbe  und 
insbesondere  der  nachdrücklich  fürsorgen- 
den Thätigkeit  der  Staatsverwaltung.  Nicht 
nur  befähigte  eine  langjährige  Thätigkeit 
in  letzterer  den  Autor,  die  Masse  des 
verfügbaren    statistischen   Materials  zu 


durchgeistigen,  sondern  auch  sein  Takt 
als  vielgeübter  Schriftsteller  leitete  dazu 
an,  nur  praktisch  Interessantes  und  zu 
weiteren  Schlüssen  Verwendbares  dem 
Leser  vorzuführen. 

Der  erste  Band  behandelt  die  soge- 
nannte Naturproduktion,  also  Land-  und 
Forstwirtschaft  sowie  Bergbau;  der  zweite 
Band  befafst  sich  mit  der  Industrie,  dem 
Handel  und  Verkehr,  sowie  den  auf  das 
Erwerbsleben  direkt  einwirkenden  Staats- 
und anderen  öffentlichen  Einrichtungen. 
Wir  können  hier  natürlich  nur  auf  einzelne, 
für  den  Geographen  wichtigere  Abschnitte 
hinweisen,  möchten  aber  immerhin  zur 
Orientierung  beispielsweise  anführen, 
welche  Gegenstände  der  Schlufsabschnitt 
de»  Kapitels  „Landwirtschaft"  darlegt. 
Es  sind  dies:  die  Bodenverbesserung,  die 
Wasserregulierung  und  Schutzarbeiten,  die 
Kolonisation,  die  landwirtschaftlichen  Ge- 
setze und  Institutionen,  die  landw.  Vereine, 
den  landw.  Fachunterricht,  desgl.  Ver- 
suchswesen, die  Fischerei.  Dafs  der  Para- 
graph, welcher  die  Regulierung  der  einzel- 
nen Flüsse  mit  zahlenmäfsigen  Angaben 
vorführt,  dem  Geographen  als  Fundstätte 
dienlich  sei,  desgl.  eine  Skizze  der  Fische- 
rei, bedarf  keines  Nachweises.  Letzteres 
gilt  auch  von  anderen  der  58  Paragraphen, 
welche  Landwirtschaft  und  Forstwesen 
darstellen.  Als  allgemeineren  Zug  in  der 
fortgehenden  Umänderung,  welche  das 
Aussehen  des  Landes  durch  die  Boden- 
kultur ertUhrt,  und  zwar  auch  in  Bezug 
auf  Siedelurigen  und  Wege,  werden  wir 
die  Zunahme  des  Ackerlandes  auf  Kosten 
der  Wiesen  und  der  Weideflächeu  hervor- 
heben, ein  Umstand,  welcher  einerseits  zu- 
gleich die  Bevölkerungszunahme  mitbe- 
stimmt, andrerseits  die  Abnahme  des 
Kleinviehs.  Weniger  augenfällig  aber 
ist  die  Steigerung  in  der  Krtragsmenge 
des  Getreides  und  besonders  im  Anbau 
von  Hackfrüchten,  letztere  dort,  wo  früher 
die  l'ufstenwirtsehaft  ihre  zwar  roman- 
tische, aber  wenig  rationelle  Pflege  fand. 
Zu  den  klargelegten  neueren  Anbauände- 
rungen gehört  ebenso  die  allerdings  lang- 
same Wiederherstellung  des  Weinbaues, 
welcher  auch  noch  i.  J.  1H99,  nicht  nur 
1897,  dem  letztverwendeten  Jahrgänge 
unseres  Werkes,  beträchtlich  hinter  der 
Zeit  vor  1890  zurücksteht,  so  dafs  die  Aus- 
fuhr von  der  Einfuhr  sehr  beträchtlich 
übertroffen  wird. 

VI* 


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172 


Bücherbesprechungen. 


Der  zweite  Rand  sodann,  last  um  ein 
Drittel  stärker  als  der  erste,  wird  dem  Geo- 
graphen weniger  Auskünfte  bieten,  wenn 
dieser  nicht  der  eigentlichen  Fabrik- 
industrie eine  rechtmässige  Heimstätte  in 
seinem  Fache  zuerkennen  will,  weil  sie 
das  Aussehen  der  Städte  und  die  Anlage 
und  Benützung  der  Verkehrswege  sicht- 
bar mannigfach  beeinflufst  Auch  die 
Abschnitte,  welche  die  sogen,  landwirt- 
schaftlichen Industrien  schildern,  berück- 
sichtigen meist  die  Entwicklungsgeschichte 
und  die  statistischen  Verhältnisse,  weniger 
dagegen  ihre  örtlichen,  natürlichen  Be- 
dingungen. Jedoch  haben  immerhin  die 
regelmäfsigen  Angaben  der  Sitze  aller 
größeren  Betriebe  Wert  für  uns,  während 
z.  ß.  die  Darstellung  der  Thon-  und  Glas- 
industrie auch  die  Herkunft  der  Rohstoffe 
aufmerksam  behandelt.  Im  ganzen  finden 
wir  gewil's,  wie  Matlekovic  hervorhebt, 
viele  Fortschritte  gegenüber  dem  indu- 
striellen Leben  von  1870  als  erwiesen  vor, 
wie  ja  jeder,  welcher  durch  Ungarn  seit 
zwanzig  Jahren  dann  und  wann  reist,  stets 
wieder  eine  Anzahl  neu  erbauter  Fabrik- 
anwesen erblickt.  Allein  wenn  man  sein 
Auge  auf  das  überaus  weitgehende  finan- 
zielle und  administrative  Eingreifen  des 
Staates  zu  guusten  aller  einheimischen 
Neuunternehmungen  der  Industrie  richtet 
und  erfuhrt,  dufs  Ungarn  eine  sehr  grofse 
Zahl  derselben  österreichischem  und  aus- 
ländischem Unternehmersinn  verdankt, 
dann  wird  dieRewunderung  abgeschwächt. 
Resondere  Gesetze  der  Begünstigung  der 
heimischen  Industrie  von  1881,  18U0  und 
18U1  letzteres  über  die  Hedarfsdeckung 
von  seiten  der  Behörden)  haben  ja  eine 
ermunternde  Kraft  notwendig  äufsern 
müssen.  Bei  der  Behandlung  der  Bevölke- 
rungsfragen begegnen  wir  leider  eiuiger- 
mafsen  dem  Magyarismus  des  Verfassers 
in  seiner  von  uns  Deutschen  verurteilten, 
weil  gegen  das  Deutschtum  so  gehässigen 
Erscheinung.  Mit  grofsem  Eifer  hat  M. 
insbesondere  die  Zunahme  des  Magyaren- 
tums,  statistisch  untersucht.  Wir  kennen 
die  Thatsache  des  starken  Anwachsens 
der  Zahl  derer,  welche  sich  für  Magyaren 
erklären,  wie  wir  jene  amtlichen  Mafs- 
regeln  und  Verführungsmittel  verurteilen, 
durch  welche  bis  zum  Wegwerfen  des 
Namens  ihrer  Familie  die  Magyaronen  ge- 
wonnen werden.  Dafs  größtenteils  Deut- 
sche diesen  Schimpf  sich  anthun,  kann 


uns  den  Kampf  der  Magyaren  gegen  alles 
Deutsche  nicht  anmutender  werden  lassen 
Aber  allerdings  ist  es  auch  die  Zunahme 
des  Wohlstandes  in  vielen  Landesgebieten 
und  die  vermehrte  Erwerbsgelegenheit, 
wodurch  u.  a.  die  Abnahme  der  Kinder- 
sterblichkeit und  die  hohe  Zahl  der  Ge- 
burten begünstigt  wird,  während  nach  M 
letztere  „die  kräftige  Konstitution  des 
ungarischen  Volkes  beweist".  Hier  kann 
jedoch  sein  statistischer  Nachweis  (I,  S.  125 
u.  126)  nicht  als  zu  Gunsten  der  Magyaren 
erbracht  erscheinen;  es  bedürfte  hiezu 
einer  eingehenderen  Untersuchung,  als  sie 
mit  ganzen  national-gemischten  Komitats- 
bezirken  versucht  wird.  —  Was  endlich 
die  vorderen  geographischen  §§  1—5  be- 
trifft, so  steht  die  Darstellung  zum  Teil 
nicht  auf  gleicher  Höhe  mit  dem  trefflich 
gegebenen  Gehalte  deB  übrigen  Werkes. 
Das  trockene  Umsetzen  der  Landkarte  in 
Angaben  eines  Textes  ist  sowohl  in  der 
Skizze  der  ßodengestalt  als  in  geologischen 
Abschnitten  bemerkbar.  Doch  wechseln 
letztere  mit  klaren,  anregenden  Bericht- 
teilen. Die  späteren  Paragraphen  über  die 
Beschaffenheit  des  Bodens  und  des  Klimas 
verlaufen  gleichfalls  vorteilhafter,  wenn 
sich  auch  etliche  zu  bestimmt  ausgedrückte 
Erklärungen  hier  vorfinden,  z.  B.  über  die 
Ursachen  des  Tschernosems  im  Alföld  und 
über  den  grauen  Sandboden  zwischen 
Donau  und  Theifs.  Eine  Anzahl  von 
Schilderungen  der  Naturproduktion  erfolgt 
unter  sachgemäfser  Einteilung  der  ver- 
schiedenen Qualitäten  nach  geographischen 
Landesgebieten,  gewifs  eine  sehr  fafsliche 
Behandlung  in  statistischem  und  sozusagen 
aufzählendem  Verfahren.  Zu  den  geo- 
graphischen Zügen  des  Werkes  dürfen 
wir  auch  die  Vergleichung  der  Thatsachen 
oder  Mengen  in  Ungarn  mit  den  betreffen- 
den der  anderen  Länder  Europas  rechnen, 
wodurch  es  M.  anschaulich  macht,  wie  es 
in  seinem  Lande  steht.  —  Nach  dem  allen 
giebt  es  also  ausreichende  Gründe,  die  um- 
sichtige und  ansprechende  Leistung,  mit 
welcher  uns  das  wirtschaftliche  lieben  und 
Arbeiten  Ungarns  gezeigt  und  erklärt 
wird,  auch  als  einen  wertvollen  Dienst 
für  die  Länderkunde  Europas  zu  be- 
zeichnen. W.  Götz. 

AlfÖldi,  Bela  Dr.,  Illustrierter 
Führer  durch  Ungarn,  Kroatien 
und  Slavonien.    Mit  50  Hl.,  4  K. 


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Bücherb esprechungen. 


173 


Wien,  Pest,  Lpzg.,  Hartleben  1900. 

12°,  VII  u.  260  S.  geb.  5.40  .H. 
Als  erster  deutschgesehriebener  Führer 
durch  Ungarn   kann   das  Büchlein  auf 
viele  Nachsicht  rechnen  und  thut  die« 
auch.   Nach  Art  aller  „Hartlebenführer" 
ist  viel  Wert  auf  Illustrationen  gelegt, 
dagegen  von  Karten  nur  eine  Übersichts- 
karte 1 :  2  Millionen,  die  Karte  der  Donau 
von  Prefsburg  bis  Ofen-Pest,  der  Plan  der 
Hauptstadt  und  die  Karte  der  Donau - 
katarakte   beigegeben.    Die  Anordnung 
nach    Reisetouren    ist    praktisch.  Die 
Nomenklatur  ist  in  der  Regel  die  magy- 
arische, doch  sind  daneben  die  deutschen 
Namen   angeführt.     Von  jedem  Stand- 
punkte aus,   den  man  auch  immer  in 
dieser  Beziehung  einnimmt,  wäre  wohl 
eine  Unterscheidung  erwünscht  zwischen 
deutschen  Namen  deutscher  Orte,  die  noch 
lebendig  sind,  wie  Hermannstadt,  und 
solchen,  die  heute  als  Buchnamen  gelten 
müssen.  Das  touristische  Detail  ist  wesent- 
lich   Städtebeschreibung.  Stichproben 
zeigen  grofse  Lücken:  so  sind  z.  B.  die 
Ruinen  von  Aquincum,  da«  Rathaus  von 
Kecskemet  und  andere  Sehenswürdigkeiten 
von   Bedeutung    nicht  erwähnt.  Auch 
Fehler:  so  folgt  nach  S.  24  die  Bahn 
Pärkäny-Csata  der  Eipel  statt  der  Gran. 
Die  allgemein  geographischen  und  geo- 
logischen   Bemerkungen    sind  spärlich. 
Nach  S.  26  ist  der  Neusiedler  See  im 
Austrocknen  begriffen,  von  seinen  grofsen 
Veränderungen  wird  kein  Wort  gesagt. 
Vom  Thebener  Schlofsbcrg  erfahren  wir 
B.  8,  dafs  „dieser  Berg  einst  daB  Ufer 
eines  SüfswasBereees  war,  der  das  unga- 
rische Tiefland  bedeckte".    Das  ergiebt 
sich  aus  Überbleibseln  von  „Tieren  der 
Vorzeit"   etc.    Solche  Angaben  ohne 
exakte   geologische  Bezeichnungen  sind 
wohl  in  Reiseführern  üblich,   aber  sie 
sollten  durchaus  vermieden  werden.  Ein 
für  den  Heisenden  interessantes  Moment, 
die  Verteilung  der  Nationen,  das  schon 
»üb  rein  praktischen  Rücksichten  (Ver- 
ständigung) Hervorhebung  verdiente,  ist 
nur  gelegentlich  gestreift.  Dagegen  leistet 
sich  der  Autor  bei  den  historischen  Ex- 
kursen  politische   Anspielungen,  deren 
chauvinistischer  Tenor  nicht  angenehm 
Wührt  (man  vgl.  da«  Lob  von  Klausen- 
berg S.  177  mit  der  historischen  Charak- 
teristik   der  Hermannstädter  und  ihres 
..zweimaligen  Verrats"  S.  1X4;.   Dem  ent- 


[  spricht  auch ,  dafs  ein  Verein  von  dem 
Alter  und  den  Verdiensten  des  Hermann- 
städter Siebenbürgischen  Karpat  hen  Vereins 
keine  Erwähnung  findet,  wohl  aber  der 
magyarische  Kampfverein  gleichen  Namens 
in  Klausenburg  als  „kulturelles  Institut" 
dieser  Stadt  verzeichnet  ist,  Doch  braucht 
dies  nicht  auf  gehässiger  Absicht  zu  be- 
ruhen, sondern  es  kann  ganz  gut  dei 
lückenhaften  Kenntnis  entspringen,  die 
Verfasser  von  Siebenbürgen  hat.  Vergeb- 
lich suchen  wir  z.  B.  in  dem  Buche  die 
Namen  Negoi  und  Bucsec«,  dafür  aber 
finden  wir  auf  S.  -.'03  die  Mitteilung,  daf« 
der  Retyczät  mit  24*4  m  der  höchste 
Berg  Siebenbürgens  sei  (die  Karte  giebt 
demselben  Berg  2608  m).  Der  Name 
Siebenbürgens  selbst  wird  mit  der 
deutschen  Volksetymologie  von  den  sieben 
Burgen  der  Ordensritter  statt  vom  Flusse 
Cibin  abgeleitet  u.  s.  w.  Jedenfalls  könnte 
eine  sorgfältige  Umarbeitung  dem  Buche 
nicht  schaden.  Sieger. 

Annales  de  l'observatoire  national 
d'Athenes  publice«  par  Dem.  Egi- 
nitis.  T.  II.  Athene«,  Imprimerie 
royale  Inglessi  -  Papageorgiu  10ou 
347  pp.  4U. 
Von  dem  neuen  Leben,  das  an  der  Stern- 
warte von  Athen  mit  der  Direktion  von 
Eginitis  eingezogen  i«t ,  legt  nun  bereits 
ein  neuer  inhaltreicher  Quart  band  ihrer 
Veröffentlichungen  Zeugnis  ab.  In  llhn- 
licher  Weise  wie  in  dem  früher  besproche- 
nen Bande  (vgl.  0.  Z.  VI,  S.  124)  reichen 
auch  hier  Beobachtung  und  antiquarische 
Gelehrsamkeit  «ich  die  Hand.  Den  eigenen 
Sternschnuppenbeobachtungen  des  Verf. 
(S.  41,  42)  steht  gegenüber  eine  Unter- 
suchung (S.  7—15)  über  die  aus  byzan- 
tinischen Quellen  geschöpfte  Kunde  von 
grofsen  Meteor- Schwärmen,  die  in  den 
Jahren  762,  632,  558,  518,  763  Aufsehen 
erregten.  Der  Verf.  setzt  die  vier  erst- 
genannten mit  den  Andromediden  und  mit 
den  Perioden  der  Erscheinung  des  Biela- 
schen Kometen  in  Verbindung ;  der  Schwärm 
von  763  wird  den  Lyriden  vermutungs.- 
weisc  zugewiesen.  —  Auch  eine  Darlegung 
(8.  17—24)  der  scheinbaren  Vergrößerung 
von  Sonne  und  Mond  in  der  Nähe  des 
Horizonts  greift  auf  die  antiken  Beobach- 
tungen dieser  Erscheinung  zurück.  —  Be- 
obachtungen bei  einer  Sonnenfinsternis 
(8.  VIII.  1896)  regten  den  Verf.  zur  Wieder- 


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174 


Büch  erb esprech  ungen. 


aufnähme  der  schon  von  früheren  Beob- 
achtern aufgeworfenen  Frage  an,  oh  man 
dem  Mond  nicht  eine,  freilich  »ehr  dünne 
Atmosphäre  zu  schreiben  müsse  i'S.25— 27  i. 
—  Den  Hauptinhalt  de«  Bandes  aber 
bilden  aufser  den  meteorolog.  Beobach- 
tungen  des  Jahres  1896  (S.  43 — 18«),  die 
für  Temperatur,  Feuchtigkeit,  Luftdruck 
auf  Grund  der  selbst  registrierenden  In- 
strumente stündliche  Werte  bieten,  die  Be- 
obachtungen der  Erdbeben  Griechenlands 
(1893—1898)  auf  Grund  der  Wahrneh- 
mungen von  5*>0  Beobachtern  iS.  1  H*>  347, 
dazu  29—35  allg.  Ergebnisse  über  zeit- 
liche Verteilung!.  Der  Übersicht  über  die 
räumliche  Verteilung  der  Stöfse  (85 — 38), 
welche  aufser  Zante  namentlich  die  Bruch- 
linien des  Golfs  von  Korinth  und  des  Eu- 
böischen  Meeres  als  stark  beteiligt  an 
den  Bodeubewegungen  dieser  Jahre  er- 
weist, ist.  angeschlossen  eine  speziellere 
Beschreibung  des  Erdbebens  von  Manti- 
nea  (2.  VI.  1898).  Es  ist  hoch  erfreulich, 
dafs  auch  in  der  seismischen  Forschung 
Eginitis  mit  gröfseren  Mitteln  und  Hilfs- 
kräften die  Bestrebungen  wiederaufnimmt, 
für  welche  schon  Julius  Schmidt  Athen 
zu  einem  wichtigen  Herde  gemacht  hatte. 
Breslau.  J.  Bartsch. 

Sachau,  Ed.«  Am  Euphrat  und  Tigris. 
Reisenotizen  aus  dem  Winter  18'J7 
bis  1898.  Mit  5  Kartenskizzen  und 
32  Abbildungen.  Leipzig,  J.  C.  Hin- 
Yicha,  1900.  8*.  100  S.  „¥.3.60. 
Die  Auswahl  einer  geeigneten  Arbeits- 
stelle für  die  Gesellschaft  zur  archäo- 
logischen Erforschung  der  Euphrat-  und 
Tigrislande  hat  den  berühmten  Orienta- 
listen zum  zweiten  Male  in  das  Gebiet 
der  mesopotamischen  Zwillingsströme  ge- 
führt. Diesmal  hat  er  die  Beise  in  um- 
gekehrter Ordnung  gemacht,  d.  h  er  hat 
sich  zu  Schilf  nach  der  Mündung  des 
Schfttt  el-Arab  begeben  und  ist  von  dort 
aus  über  Bagdad  und  Mosul  nach  der 
Mittelmeerküste  gewandert.  Alle  die 
Stätten  alter  Kultur  und  mittelalterlicher 
Herrlichkeit  ziehen  an  uns  vorüber.  Es 
ist  kein  erfreuliches  Bild:  noch  kann  das 
einst  so  blühende  band  sich  nicht  von 
den  Folgen  der  entsetzlichen  Mongolen- 
verwüstung erholen,  obschon  über  sechs 
Jahrhunderte  seitdem  vergangen  siud; 
die  türkische  Regierung  ist  gerade  auch 
nicht  geeignet,   ihm  neues  Leben  ein- 


zuflößen. Doch  macht  sich  auch  liier  der 
Pulsschlag  der  Neuzeit  fühlbar:  derGrund 
und  Boden  geht  mehr  und  mehr  in  den 
Privatbesitz  des  Sultans  über  und  wird 
als  „aräzi-i-seiiije"  von  dem  Civilkabinet 
verwaltet,  und  diese  Domänen,  vor  den 
Räubereien  der  Beamten  geschützt,  werden 
entschieden  Borgsamer  bebaut  und  sind 
in  besserem  Zustand  als  der  Rest  de* 
Landes.  Sie  können  wohl  der  Ausgangs- 
punkt für  einen  Aufschwung  werden, 
wenn  einmal  die  Lokomotive  vom  Mittel- 
meer zum  persischen  Meerbusen  läuft. 
Der  Sachau'sche  Bericht  ist  sowohl  für  den 
Archäologen  als  für  den  Politiker  und 
Nationalökonomen,  der  die  Zukunft 
Deutchlands  im  Südosten  sucht,  unent- 
behrlich ;  die  beigegebenen  Karten  er- 
möglichen eine  gute  Übersicht  des  ganzen 
Gebietes  von  Cilieien  bis  zum  persischen 
Meerbusen.  Ko, 

Ton  Hesse-  Wart  egg»  E.,  China  und 
Japan.      Erlebnisse,  Studien. 
Beobachtungen.  Zweite  vermehrte 
und  verbesserte  Auflage.  Mit  61  Voll 
bildern,  212  Abbildungen  und  einer 
Generalkarte  von  Ostasien.  Leipzig 
(Weber,  1900.  18.- 
Seitdem    der  fleifsige   Verfasser  im 
Jahre  1807  die  erste  Auflage  dieses  für 
die    weitesten    Leserkreise  berechneten 
interessanten  Reisewerkes  veröffentlichte, 
hat  eine  neue  Reise  ihn  in  den  Norden 
Chinas,  insbesondere  in  die  Provinz  Schan- 
tung.  das  Hinterland  der  neuen  Kolonie 
Kiautschou,  geführt.   Ein  besonders  reich 
illustriertesWerk,,,SchantunguudDeutsch- 
China"  enthält  die  Ergebnisse  dieser  Reise. 
Die  vorliegende  neue  Auflage  des  den 
beiden  Hauptländern  des  fernen  Ostern? 
gewidmeten    Buches    ist    nun   ganz  he- 
deutend  vermehrt  worden.  Insbesondere 
ist   der  gröfste  Teil  des  Werkes  über 
Schantung  mit  seinen  ausgesucht  schönen 
Illustrationen   dem  neuen  Buche  einver- 
leibt worden,  wodurch  «lern  Besitzer  des- 
selben ein  wahrhaft  reicher  Schatz  guter 
Abbildungen  und  anschaulicher  Schilde- 
rungen geboten  wird.    Die  Lebhaftigkeit 
der  Darstellung,    die   den  unkritischen 
Leser  gefangen  nimmt,  mufs  allerdings 
i  für  recht  viele  Ungenauigkeiten  entschä- 
digen; aber  bei  der  allgemeinen  Unkennt- 
nis unseres  Publikums,  das  sich  bisher 
für  die  wissenschaftlichen   Fragen  des 


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BücherbeRprechungen. 


chinesischen  Kulturlebens  nicht  besonders 
zu  erwärmen  vermochte,  wird  dies  von 
den  meisten  Lesern,  die  nur  in  anregen- 
der und  gleichzeitig  einigermaßen  be- 
lehrender Weise  unterhalten  sein  wollen, 
kaum  als  störend  empfunden  werden.  Das 
Buch  ist  nicht  für  Sinologen  geschrieben, 
und  wenn  ich  gestehe,  dafs  es  mir  so  wie 
es  ist,  trotz  aller  Fehler,  recht  gut  ge- 
fallt, so  darf  ich  es  jedem,  nicht  gerade 
fachmannische  Ansprüche  machenden  LeBer 
als  in  hohem  Grade  zeitgemäfse ,  inter- 
essante Lektüre  empfehlen.    Sollte  es  zu 
einer  dritten  Auflage  kommen,  so  würde 
ich  dem  Herrn  Verfasser  sorgfältige  Wie- 
dergabe aller  chinesischen  Namen  nach 
deutscher,  nicht  englischer  Rechtschrei- 
bung empfehlen.     Friedrieb  Hirth. 

Schwabe,  Die  VerkehrsverhältniBsc 
des  chinesischen  Reiches.  8.  A. 
29  S.    M.  K.    Berlin,  Siemenroth  u. 
Treschcl  1900.    M  1  — 
Der  Verfasser,  Geheimer  Regierungs- 
rat a.  D.,  als  Fachmann  für  Eisenbahn- 
wesen wohlbekannt,  behandelt  in  dieser 
augenscheinlich  noch  vor  Ausbruch  der 
Wirren  entstandenen  kleinen  Schrift  ein 
für  die  augenblicklich  mit  Spannung  ver- 
folgte Entwickelung  der  Verhältnisse  in 
China  höchst  wichtiges  Thema.    Die  Ver- 
kehrswege bilden  selbstverständlich  die 
hauptsächlichste  Grundlage  für  das,  was 
wir  jetzt   von   China  erwarten:  frucht- 
bringende   Entfaltung    seines  Handels. 
Die   vorliegende  Broschüre  besteht  aus 
dem    Sonderabdruck  zweier    vorher  in 
fachmännischen  Zeitschriften  erschienener 
Arbeiten,    von    denen    die    eine  über 
..Bmnenwasserstrafsen",  die  andere  über 
„Eisenbahnen"  handelt.  Der  Verfasser  hat 
zwar  das  Land,  dessen  Verkehrsverhält- 
nisse er  schildert,  nicht  selbst  bereist,  aber 
er  zieht  die  richtigen  Schlufsfolgerungen 
aus  der  ihm  vorliegenden  Litteratur.  Die 
Eisenbahnen   der  Zukunft  werden  ihre 
Hauptrolle  im  Norden  Chinas  spielen,  im 
Süden  treten  die  Flüsse  und  Kanäle  mehr 
in  den  Vordergrund.    Der  Leser  erhält 
einen    lehrreichen   Überblick    über  die 
Lage  der  Dinge,  waB  die  Verkehrswege 
betrifft,  wenn  er  im  Geiste  die  in  den 
beiden  Aufsätzen  noch  nicht  berücksich- 
tigten neuesten  Ereignisse   in  Betracht 
rieht.    Unter  diesen  wäre  bei  der  Schil- 
derung des  Yang-tzi   vor  allen  Dingen 


175 

nachzutragen,    dafs    zwei   englichc  Ka- 
nonenboote thatsächlich  den  Endpunkt 
der  möglichen  Dampfschiffahrt  Sü-tschöu- 
fu,  von  den  Chinesen  in  Ssi'-tsch'uan  ein- 
fach Sui-tu  genannt,  erreicht  haben;  ein 
kleiner   englicher   Handels-Dampfer  hat 
die  Reise  zwischen  I-tschang  und  Tschung- 
king  schon  öfter  zurückgelegt;  ein  deut- 
scher Dampfer  ist  45  Seemeilen  ober- 
halb I-t«chang  leider  ein  Opfer  der  dort 
so  gefährlichen  Stromschnellen  geworden. 
Besonders  sind  jedoch  die  Eisenbahnen 
durch  die  Kriegswirren  einigermafsen  in 
ihrer  Entwickelung  gestört  (hoffen  wir 
nur  zeitweilig  aufgehalten)  worden.  Mit 
Recht  legt  der  Verfasser  das  gröfste  Ge- 
wicht auf  das,  waB  Referent  geneigt  ist, 
für  eine  der  wichtigsten,  wenn  auch  nicht 
unmittelbaren  Ursachen  zur  Boxerbewe- 
gung zu  halten,  wenn  er  sagt:  „Mit  der 
Erwerbung  von  Kiautschou  hat  Deutsch- 
land ein  unmittelbares  Interesse,  dafs  der 
Wohlstand  der  chinesischen  Ebene  und 
ganz    besonders    im    westlichen  Teile 
Schantungs  nicht  immer  von  neuem  durch 
die   Überschwemmungen    de«  Hwangho 
zerstört  werde.    Mit  Bezug  hierauf  würde 
es  jedenfalls  von  Wert  sein,  wenn  der 
Gesandtschaft  in  Peking  als  tech- 
nischer Attache*  ein  Wasser-Bau- 
ingenieur  beigegeben  würde,  um 
die    Wasserstra  fsen    Chinas,  ins- 
besondere  den   Hwangho   zu  stu- 
diren."  Auf  der  beigegebenen  Übersichts- 
karte  ist  augenscheinlich  bei    der  Er- 
klärung der  Kartenzeichen  das  die  letz- 
teren  darstellende  Cliche  verkehrt  ein- 
gestellt worden,  was  der  Leser  im  Auge 
behalten  mufs,  wenn  er  die  übersichtliche 
Skizze  verstehen  will. 

Friedrieh  Hirth. 

Lendenfcld,  R.  v.,  Neuseeland  (Biblio- 
thek der  Länderkunde  9.  Bd.).  VHI  u. 
186  S.  Berlin.  Alfred  Schall  1900. 
M  7- 

Die  von  Prof.  Kirchhoff  und  R.  Fitzner 
herausgegebene  Bibliothek  der  Länder- 
kunde hat  mit  diesem  soeben  erschienenen 
Bande  die  sechste  Nummer  erreicht  und 
zugleich  eine  wertvolle  Bereicherung  er- 
fahren. Der  Verfasser  hat  die  neusee- 
ländischen Inseln  eingohend  durchforscht 
und  die  Ergebnisse  in  verschiedenen  geo- 
graphischen Zeitschriften  niedergelegt.  Er 
war  also  ganz  besonders  dazu  berufen, 


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17<> 


Bücherbesprechungen. 


«  ine  Arbeit,  wie  die  vorliegende,  zu  über- 
nehmen. Denn  seit  Hochstettens  klassi- 
schem Werk  haben  sich  zwar  viele  eng- 
lische Federn  daran  gemacht,  über  die 
beiden  erdkundlich  so  interessanten,  in 
ihrer  Natur  aber  so  verschiedenen  Iiisein 
zu  berichten,  doch  sind  dies  meist  nui 
touristische  oder  geschichtliche  Publika- 
tionen gewesen.  An  der  Durchforschung 
des  Landes  ist  aber  immer  wacker  ge- 
arbeitet worden,  auch  der  Verfasser  hat 
seinen  Teil  daran  gehabt,  und  es  mufste 
daher  wünschenswert  erscheinen,  diese  Er- 
gebnisse mit  den  bedeutenden  wirtschaft- 
lichen Fortschritten  zusammenfassend  dar- 
zustellen. Das  ist  in  dem  vorliegenden 
Werke,  unter  Benutzung  aller  seiner  zahl- 
reichen Vorläufer,  auch  geschehen.  Am 
Schlüte  des  Buches  stellt  Lendenfeld  seine 
eigenen  alpinistisehen  Krfolge  mit  denen 
anderer  Forscher  in  den  neuseeländischen 
Alpen  in  anziehenden  Schilderungen  zu- 
sammen. Bei  der  Aufführung  der  „ferner 
liegenden  Inseln"  wird  gesagt,  dafs  die- 
selben zu  Neuseeland  gerechnet  werden 
können.  Thatsächlich  werden  dieselben 
auch  wirklich  zu  Neuseeland  gerechnet, 
mit  Ausnahme  freilich  der  Norfolk-Insel, 
die  politisch  zu  Neusüdwales  gehört.  Po- 
litisch unterstehen  ja  bekanntlich  auch 
die  Cook-  oder  Hervey-Inseln  der  neusee- 
landischen Regierung.  Von  den  Abbil- 
dungen sind  einige  vortrefflich,  während 
andere  zu  wünschen  übrig  lassen. 

K.  Jung. 

Bibliographien  zur  Länderkunde  Nord- 
amerika», 

herausgegeben  von  der  Kongrefsbibliothek 
in  Washington. 

Griffin,  A.  P  C,  List  of  Books  rela- 
tiug  to  Cuba  (in  ein  ding  liefe  - 
rences  to  Collected  Works  and 
P  e  r  i  o  d  i  c  a  1  s;,  w  i  t  h  Bibliograph}- 
of  Maps,  by  P.  Lee  Phillips.  18UH. 
61  S.  8°.  (66th  Congress.  --  Senate. 
—  Document  No.  161.) 

Die  Arbeit  zerfällt  in  mehrere  Ab- 
•  schnitte.  Im  ersten  werden  103  Schriften 
in  alphabetischer  Anordnung  der  Ver- 
fasser, meist  englisch  oder  spanisch  ge- 
schrieben, aufgeführt.  Lcr  zweite  Ab- 
schnitt zählt  174  englisch,  spanisch  oder 
französisch  geschriebene  Journ  Partikel, 
chronologisch  geordnet  ,  aus  den  Jahren 


1825  —  9*  auf,  davon  64  allein  aus  den 
90 er  Jahren.  Auf  diese  folgt  ein  Ver- 
zeichnis von  H4  Kongreß-  und  englischen 
Kegierungsdrueksaehen  mit  Ausschlufs 
von  Resolutionen,  Anträgen  und  Reden. 
Beigefügt  sind  die  Namen  von  35  ge- 
lehrten Gesell  schaffen  Cubas,  mit  welchen 
die  Smithsonian  Institution  in  Austausch 
steht,  davon  33  allein  in  Havana. 

Für  uns  ist  schliefslich  die  Haupt- 
suche das  Phillips'sche  Karten  Verzeichnis. 
Dies  zählt  49  Karten  von  Cuba,  22 
Karten  und  Pläne  von  Havana,  14 
Karten  von  Portorico  und  95  von  West- 
indien überhaupt  auf,  von  letzteren  1  <"> 
allein  aus  dem  1H.  Jahrhundert.  Die 
ältesteu  von  Cuba  sind  Reproduktionen 
von  Handzeichnungen  und  enthalten  in 
R.  de  la  Sagra,  Historia  fisica  etc.  de  la 
isla  de  Cuba,  Paris  IMS,  sie  beziehen 
sich  auf  die  Jahre  1492—1592,  dagegen 
ist  der  älteste  Originaldruck  einer  Kurie 
von  Cuba  in  C.  Wytfliet  etc.,  Histoire 
universelle  des  Indes.  Douay  1605,  ent- 
halten. Auch  die  ältesten  Pläne  von 
Havana,  Reproduktionen  von  Hand- 
zeichnungen, für  die  Jahre  1615  und  1  GV»7 
geltend,  sind  bei  R.  de  la  Sagra  zu 
finden.  Der  älteste  datierte  gedruckte 
Plan  von  Havana  stammt  aus  dem  Jahre 
1722.  Vom  Jahre  1719  ist  die  älteste 
topographische  Karte  von  Portorico,  »ie 
ist  aber  erst  im  Jahre  181U  in  Paris  im 
Drucke  erschienen.  —  Am  weitesten  zu- 
rück, d.  h.  bis  1492,  geht  für  Westindien 
die  in  F.  A.  Varnhagen,  nicht,  wie  in 
Griffin's  Arbeit  zu  lesen,  Varhagen,  La 
verdadera  Guanahani  de  Colon,  im  Jahre 
1864  in  Santiago  erschienene  Skizze  eines 
Teiles  der  Bahama-  und  Antillen- Archi- 
pele, während  der  älteste  Originaldruck 
in  der  oben  genannten  Histoire  universelle 
des  Indes  aus  dem  Jahre  1605  vor- 
kommt. 

Den  Schlufs  des  Heftes  macht  das 
von  H.  Friedenwald,  Superintendent  der 
Handschriften  -  Abteilung  der  Kongrefs- 
bibliothek, angefertigte  Verzeichnis  von 
39  auf  Cuba  bezüglichen  Handschriften 
aus  den  Jahren  1710  —  1794,  enthalten  in 
der  für  die  amerikanische  Kolonial- 
geschichte hochwichtigen  12  Bände 
füllenden  Sammlung  der  „Vernon-Wager 
Navy  Papers'*,  und  einer  anderen  Samm- 
lung, betitelt  „Papein  relating  to  Ha- 
vanna!)". 


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Bücherbesprechungen. 


177 


Phillips,  P.  Lee,  Alaska  and  the 
Northwest  Part  of  North  Ame- 
rica 15*8-  1898.  —  Maps  in  the 
Library  of  Congress.  Washington, 
119  S.  8°. 

Der    Verfasser  dieser  Bibliographie, 
..Superintendent"  der  Karten  und  Pläne 
der  Kongrefsbibliothek,   stellt   hier  zu- 
sammen, was  seine  Sammlung  an  selbst- 
ständig erschienenen,  wie  an  in  Werken 
oder    Zeitschriften    enthaltenen  Karten 
jener  unwirtlichen  aber  an  Kobheuarten 
und  Gold  reichen  (legenden  besitzt.  Auf- 
geführt, s.  T.  mit  kurzen  bibliographischen 
Notizen,  werden  739.    Von  «Uesen  stellt 
die  zuerst  aufgeführte  jene  Gegenden  im 
Jahre   1588  dar,   sie  gehört  zur  Reise 
L.  F.  Maldonado's,  die  im  Jahre  1812  in 
Bologna  erschien,  die  zweite,  von  A.  Peter- 
mann gezeichnete,  gehört  zu  dessen  Auf- 
satz: Wrangelland  1648—186«,  aber  mit 
1736  beginnen  die  Originalkarten.  Von 
solchen    aus  dem   18.  Jahrhundert  und 
ihnen  nachgezeichneten  zählt  Lee  84  auf, 
sodafs  für  das  19.  Jahrhundert  653  übrig 
bleiben.      Amtliche  Veröffentlichungen 
sind  davon  12  canadische  aus  den  Jahren 
1857  —  98,  41  englische  aus  den  Jahren 
1792-  1895,  I  französische  aus  den  Jahren 
1852  —  50,  22  russische  aus  den  Jahren 
1H23— 64,  aber  60  amerikanische  aus  den 
Jahren  1864—98. 

Phillips,  P.  Lee.,  List  of  Maps  and 
Views  of  Washington  and 
District  of  Columbia  in  the 
Library  of  Congress  .  .  . 
Washington,  1900.  77  S.  8°.  (56 th 
Congress,  Ist  Session.  —  Senate.  — 
Document  No.  154. i 

Der  chronologisch  geordneten  Arbeit, 
welche  434  sowohl  selbständig  als  in 
Drucksachen  vorkommende  Karten  und 
Pläne  aus  den  Jahren  1782  —  1900  um- 
fafst  ,  ist  ein  alphabetisches  Verzeichnis 
der  Autoren  —  t.  Zeichner,  t.  Stecher  — 
mit  Angabe  der  Erscheinungsjahre  voraus- 
geschickt. Die  Grüfte  der  Blatter  ist  in 
amerikanischen  Zollen  angegeben,  und 
vielfach  sind  den  Titeln  bibliographische 
Zusätze  beigefügt.  Den  Schlufs  macht 
ein  Abschnitt  von  18.  meist  mit  der 
Hand  gezeichneten  Plänen  ohne  Datum, 
welche  für  einzelne  Privathäuser  Washing- 
tons angefertigt  worden  sind. 


Morrison,  Hugh  A.,  Library  of  Cou- 
Kress.    List    of  Books    and  of 
Articlea  in  Periodicals  relating 
to  Intcroceanic  Canal  and  Rail- 
way  Routes  (Nicaragua;  Panama, 
Darien,  and  the  Valley  of  the  Atrato; 
Tehuantepec    and   Honduras;  Suez 
Canal).    With  an  Appendix:  Biblio- 
graphy  of  U.  S.  Public  Documenta. 
Washington,  1900.    174  S.    gr.  8". 
(56  th  Congress,  1  st  Session.  —  Senate. 
—  Document.) 
Im  Jahre  1899  erschien,  von  L  C.  Ferrell 
bearbeitet,  Bibliograph}-  of  U.  S.  Public 
Documenta  relating  to  Interoceanic  Com- 
munication  across  Nicaragua,  Isthmus  of 
Panama,  Isthmus  of  Tehuantepec,  etc. 
prepared  in  the  Office  of  Superintendent 
of    Documenta.     Government  Printing 
Office,  ein  Heftchen  mit  etwa  200  Titeln. 
Morrison  jr.,  von  der  Kongrefsbibliothek, 
hat  ihm  nun  sein  Verzeichnis  von  863 
Büchern   und  Flugschriften  (davon  482 
im  Besitze  der  Kongrefsbibliothek)  und 
1176  Aufsätzen  in  Periodicis  (davon  980 
in  der  Kongrefsbibliothek)  folgen  lassen, 
jedenfalls  eine  willkommene  Ergänzung, 
wobei   die  FerrelPsche  Arbeit  auf  224 
Nummern   vermehrt   wieder  abgedruckt 
worden  ist.    Die  Zusammenstellung  der 
Titel  erfolgte  z.  T.  auf  Grund  der  Be- 
stände der  Kongrefsbibliothek,  z.  T.  mit 
Hilfe  von  Werken,  die  bibliographische 
Angaben  enthalten.    Da  der  Zweck  der 
Arbeit  der  ist  ,  praktischen  Studien  über 
die  Probleme  interozeanischer  Kanäle  zu 
dienen,  so  sind  Schriften  vorwiegend  ge- 
schichtlicher Richtung  weniger  berück- 
sichtigt worden.     Von  denen  über  die 
Monroe  Doktrin  und  den  Clayton-Bulwer- 
Vertrag  sind  nur  die  wichtigsten  auf- 
genommen ,   dagegen   ist   es  Litteratur 
über  den  Suezkanal,  weil  sie  praktisch- 
illustrativen    Stoff   bietet.     Das  ganze 
Material  zerfällt  in  5  Abteilungen :  1.  All- 
gemeines über  interozeanische  Kanäle  und 
Eisenbahnrouten,    a)    Bücher    aus  den 
Jahren  1745  —  1899:  70,  b)  Aufsätze  in 
Periodicis  aus  den  Jahren  1836—99:  91; 
2.  Nicaragua-Linie:  a    Bücher  aus  den 
Jahren  1791    1899:  170,  b)  Aufsätze  aus 
den  Jahren  1833  —  99:  223;  3.  Panama, 
Darien  und  Thal  des  Atrato,  a)  Bücher 
aus  den  Jahren  1825  'bez.  1699)  — 1899: 
216,  b)  Aufsätze  aus  den  Jahren  1817—99: 
1372;    4.    Tehuantepec-    und  Honduras- 


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178 


BücherbeRp  rechungen. 


Linien,  a)  Bücher  au«  den  Jahren 
1794  —  1899:  81,  b)  Aufsatze  aus  den 
Jahren    1844  —  99:    39;    6.  Suezkanal. 

a)  Bücher  aus  den  Jahren  1833—99:  218, 

b)  Aufsatze  aus  deu  Jahren  1836—1900: 
283.  Ein  allgemeiner  Index,  in  den  aber 
die  FerreU'sche  Bibliographie  nicht  auf- 
genommen ist,  weil  Hie  einen  eigenen 
Index  besitzt,  macht  den  Schlufs. 

Griff  in,  A.  P.  C. ,  Library  of  Congress, 
List  of  Books  relating  to  Ha- 
waii ( including  References  to  collected 
Works  and  Periodicals).  Washington, 
1898.  26  S.  8°. 
Der  Verfasser  giebt  in  der  Einleitung 
eine  mit  bibliographischen  Angaben  ver- 
sehene übersieht  über  die  Entdeckungs- 
und Erforschungsgeschichte  Hawais,  deren 
Anfang  Cook's  1776—80  in  London  er- 
schienene Reise  macht.  An  selbständigen 
Schriften  werden  143  alphabetisch  ge- 
ordnet, bis  auf  2- 3  englisch  geschriebene 
aufgezahlt,  darunter  nur  einige  wenige 
neue  Auflagen  und  102  chronologisch  ge- 
ordnete Periodicaaufsätze  aus  den  Jahren 
1839—98.  Von  diesen  stammen  nur  10 
nicht  aus  den  90  er  Jahren  und  sie  sind 
mit  Ausnahme  von  3  französischen  und 
1  spanischen  samtlich  aus  englischen  und 
amerikanischen  Periodicis  genommen. 
Dafs  das  Verzeichnis  eigentlich  nur  in 
englischer  Sprache  geschriebene  Werke 
und  Aufsätze  aufzählt,  hätte  billigerweise 
im  Titel  ausgedrückt  werden  sollen. 

P.  E.  Richter. 

Krueger,  Dr.  P.,    Die  chilenische 
Renihue-Expcdition.     Ein  Bei- 
trag zur  Erforschung  der  Patagoni- 
schen  Anden.  126  S.  M.  6  T.  Berlin, 
Pormetter  1900. 
Die  Arbeit  besteht  aus  2  Teilen:  Im 
ersten  ist  der  Reisebericht  enthalten  über 
die  Expedition,  die  Verf.  mit  dem  Refe- 
renten  1896/97  nach  dem  unter  42°  30' 
s.   Br.   mündenden   Renihuefjord  unter- 
nommen,  um  von   hier  aus   nach  der 
interozeanischen    Wasserscheide  vorzu- 
dringen.   Es  sollte  dabei  auch  das  Strom- 
system des  in  seinem  Mittel-  und  Unterlauf 
noch  ganz  unbekannten  Ftalenfü-Stromes, 
auch  Futalenfü  genannt,  festgestellt  wer- 
den.   Nachdem  Verf.  über  die  Reisevor- 
bereitungen sich  verbreitet  hat,  folgt  die 
Einzelbeschreibung  der  Expedition:  1.  Die 


Seefahrt  vom  sfidchilenischen  Hafen  Puerto- 
Montt  (dem  Ausgangspunkte  aller  in  das 
andine  Qebiet  Westpatagoniena  unter- 
nommenen neuern  Reisen)  an  der  Küste 
entlang  bis  zum  Corcovadostrom  (Orien- 
tierungsfahrt über  Küste  und  Strommün- 
dungsverhältnisse). 2.  Die  Fufswanderung 
mit  Tragern  das  Reftihuethal  aufwärts 
bis  zur  sekundären  Wasserscheide  am 
Navarropasse  3.  Der  Marsch  durch  das 
Alerze-Thal  zum  eigentlichen  Ftalenfü. 
4.  Von  hier  thalaufwärts  zur  Erforschung 
sämtliche!  Qucllarme  und  Feststellung 
der  oro- hydrographischen  Verhältnisse 
zwischen  diesem  Strom  und  den  Puelo- 
und  Chubutsystemen.  5.  Die  Flufsfahrt 
in  Segeltuchbooten  flufsabwärts  bis  zum 
Ausflufs  des  Barros-Aranasees  und  Fixie- 
rung des  Zusammenhanges  mit  dem 
Cerro  Situacion  an  der  Kolonie  des 
16.  Oktober. 

Als  Hauptergebnisse  dieser  Expedition 
sind  die  folgenden  zu  nennen:  1.  Die 
Erforschung  des  Renihue-  und  Ftalenlü- 
Strome»  hat  die  oro  -  hydrographische 
Kenntnis  der  Anden  zwischen  42°  und 
43"  s.  Br.  erweitert,  Beide  Ströme  inün 
den  in  den  Golf  von  Ancud,  letzterer  als 
Rio  Yeliho,  wie  Verf.  auf  einer  spätem 
Expedition  feststellte.  Die  von  den  er- 
forschten Flüssen  durchströmten  Seen 
(3  Renihue-Seen ,  6  Ftalenfü-Seen  und 
6  Cholila-Seen)  haben  eine  Form  und 
Lage,  die  von  der  kartographischen  Dar- 
stellung einiger  der  bereits  bekannten 
sehr  abweicht.  2.  Der  orographische 
Aufbau  der  Anden  ist  sehr  verwickelt: 
Eine  ununterbrochene  Hauptkette,  die  den 
„Kamm"  des  Gebirges  bildet,  ist  nicht 
vorhanden;  alles  löst  sich  in  eine  Reihe 
einzelner  Ketten  auf.  3.  AUe  durch- 
forschten Flufsthaler  liegen  im  Anden- 
bereich. Das  obere  argentinische  Ohubut- 
thal  ist  vom  Puelothal  durch  die  Maitcn- 
Kette  getrennt,  die  wie  die  durch  eine 
tiefe  flachweUige  Depression  von  ihr  ge- 
trennte Leleque-  und  ihre  südliche  Fort- 
setzung, die  Esquel-Kette  zur  Haupt- 
wasserscheide gehören.  4.  Die  Erreichung 
des  Lelequethales  und  des  Cerro  Situacion 
bringen  die  neue  Reiseroute  in  Anschlufs 
an  die  grofse  früher  ausgeführte  Palena- 
expedition. 

Im  zweiten  Teile  giebt  Verf.,  dem  aus 
den  verschiedenen  von  ihm  unternommenen 
Reisen  ein  überaus  reiches  und  wertvolles 


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Büch  erb  esprechun  gen. 


selbst  gesammeltes  Material  astronomi- 
scher und  topographischer  Arbeiten  zur 
Verfügung  steht,  eine  eingehende  Be- 
sprechung der  auch  während  der  Renihue- 
espedition  vorgenommenen  Arbeiten.  Er 
handelt  eingehend  von  den  verwendeten 
astronomischen  Instrumenten,  ihrem  Trans- 
port, ihrer  Berichtigung  u.  ihrem  Gebrauch ; 
es  folgen  wertvolle  Tabellen  und  Erlaute- 
rungen über  die  von  ihm  gemachten  Zeit-, 
Breiten-  und  Längenbestimmungen,  Ober 
Azimute  und  Triangulationen.  Der  Weg- 
aufnahme, den  Barometer-  und  Thermo- 
meterbeobachtungen  und  den  auf  sie  sich 
gründenden  Höhenmessungen  widmet  Verf. 
je  ein  Kapitel.  Das  Resultat  all  dieser 
mühevollen,  mit  peinlicher  Gewissenhaftig- 
keit von  ihm  durchgeführten  Arbeiten  ist 
dann  in  der  die  Arbeit  begleitenden  und 
im  Mafastabe  1  : 300  000  angefertigten 
(vom  Rezensenten  in  vorher  gröfserem 
Mafsstabe  getuschten)  Karte  niedergelegt. 

P.  Stange. 

K.  v.  Sey  dlitz'sche  Geographie.  In 
5  Ausgaben.     C.  Gröfste  Ausgabe. 
22.  Bearbeitung,  besorgt  von  Prof. 
Dr.  E.  Oehlmann.    XVI  u.  608  S. 
Mit  227  Karten  und  Abbildungen,  so- 
wie 5  Karten  und  8  Tafeln  in  viel- 
fachem Karbendrucke.  Breslau,  F.  Hirt 
1899.    Lwd.    „fc  5,25. 
Vm  den  Fortschritt  zu  erkennen  und 
zu  würdigen,  den  der  „grofse  Seydlitz" 
durch  Oehlmann's  sorgfältige  Arbeit  ge- 
nommen hat,  betrachteten  wir  die  19.  Aus- 
pabe  von  1881.    Von  einer  mit  Namen 
und  Zahlen  überfüllten,  dürren  „Schul- 
geographie-', die  weder  nach  Inhalt  noch 
Methode  ihrem  Zweck  entsprach,  hat  das 
Werk  seitdem  sich  zu  einem  zuverlässigen, 
lesbaren  Nachschlage-  und  Handbuch  ent- 
wickelt.   Als  solches  eignet  es  sich  zum 
Geschenk  für  den  wissensdurstigen  reiferen 
Schüler,  verdient  aber  auch  einer  guten 
Hausbibliothek  und  namentlich  der  Hand- 
bibliothek des  Lehrers  eingereiht  zu  wer- 
den; denn  bei  seinem  vielseitigen  Inhalt 
vermag  es  manche  Frage  zu  beantworten, 
die  der  Unterricht  oder  die  Vorbereitung 
dazu  anregt;  insonderheit  giebt  es  die 
bette  Auskunft  über  die  Aussprache  der 
Namen  und  häufig  auch  über  deren  Her- 
kunft. —  Das  Buch  enthält  aufser  einer 
allgemeinen  Erdkunde  und  dem  Material 
einer  Länderkunde  eine  recht  brauchbare 


179 

HandelBgeographic  und  eine  allerdings 
kurze  Geschichte  der  Geographie.  Das 
hier  angeschlossene  Literaturverzeichnis 
wird  manchem  willkommen  sein,  zumal 
auch  die  Preise  der  Werke  beigefügt  sind. 
Dies  gehört  zu  den  Neuerungen  der  letzten 
Auflage;  andere  betreffen  besonders  die 
mathematische  und  die  Handebgeographie 
und  die  deutschen  Kolonien,  die  jetzt  auf 
18  Seiten  behandelt  werden. 

Zahlreiche  Übersichtstabellen  und  drei 
Register  erleichtern  den  Gebrauch.  — 

Der  Vor-Oehlmann'sche  Seydlitz  besafs 
zwar  schon  einen  Bilderanhang;  sonst  be- 
standen aber  die  graphischen  Beigaben 
zumeist  in  den  berüchtigten  häfslichen 
Skizzen,  die  II.  Wagner  uuf  dem  1.  deut- 
schen Geographentage  deutlich  gekenn- 
zeichnet hat.  Diese  Bind  seitdem  fast 
ganz  verschwunden;  dagegen  finden  wir 
eine  Fülle  von  charakteristischen  Land- 
schaftsbildern  im  Text,  und  im  Anhang 
die  vortreffliche  Darstellung  menschlicher 
Wohnungen  und  der  Nutzung  einiger 
Kulturpflanzen.  In  diesem  Bilderschmuck 
liegt  ein  ganz  besonderer  Vorzug  des 
Werkes.  —  In  der  vorliegenden  Bearbei- 
tung sind  nun  noch  8  Tafeln  in  Bunt- 
druck hinzugekommen.  Kine  davon  (VII. 
Tropischer  Urwald  in  Brasilien)  ist  zwar 
völlig  verunglückt,  die  andern  aber  zeigen 
beim  Vergleich  mit.  den  entsprechenden 
Schwarzdruckbildern,  wie  das  Eigenartige 
durch  die  Farbe  in  erhöhtem  Mafse  zur 
Geltung  kommt;  das  gilt  nicht  nur  für 
die  Landschaften  (Alpen,  Dünen,  Fjord, 
Wüstet,  sondern  auch  für  die  Rassen- 
köpfe. Eckart  Fulda. 

Thomaschky,  Dr.  Paul,  Schulgeogra- 
phie für  höhere  Lehranstalten. 
Leipzig,    Dürr'sche  Buchhandlung. 
Unterstufe  65  S.    Mit  22  Figuren 
im  Text.    1897.    „*:  —,80.  Ober- 
stufe 182  S.   Mit  Figuren  und  Dar- 
stellungen im  Text,    1899.    JC  1,60. 
Die  einfach  ausgestatteten  Leitfäden 
(I.  für  Quinta  und  Quarta,  II.  für  Tertia 
und  Untersekunda)  enthalten  Länderkunde 
und  im  Anhang  mathematische  Geogra- 
phie.   Sie  sollen  „lediglich  als  Hilfsmittel 
für  die   häusliche  Wiederholung  dienen 
und  das  auf  der  Karte  Gebotene  ergänzen". 
Die  Auswahl  des  Stoffes  ist  gut;  neben 
den  physischen  Grundlagen  haben  auch 
Siedlungslehre  und  Wirtschaftekunde  eine 


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1 80 


Biicherbcsprechungen. 


ausgiebigere  Behandlung  erfahren.  Auf 
lehrreiche  Vergleichungen  sowie  auf  kau- 
sale Verbindung  iat  wohl  Bedacht  ge- 
nommen, indessen  haben  (wie  in  manchem 
neueren  Schulbuch)  die  Lehrpläne  von 
1892  zuweilen  und  besonders  hinsichtlich 
Deutschlands,  das  übrigens  gebührend  in 
den  Vordergrund  gerückt  ist,  eine  nach- 
teilige trennende  Wirkung  ausgeübt.  Ein 
häfsliches  Aussehen  aber  erhält  der  Text 
durch  die  vielen  Anmerkungen  in  runden 
und  eckigen  Klammern  mit  Ausrufungs- 
und  Fragezeichen,  die  „den  Schüler  zur 
Benutzung  der  Karte  und  zur  Selbst- 
tätigkeit" anregen  sollen.  Wir  lesen 
fl  S.  11)  Bogar:  [In  ähnlicher  Weise  ver- 
bindet die  Sueslandengc  welche  Erdteile?] 
—  Das  ist  um  so  bedauerlicher,  als  wir 
sehen,  dafs  der  Verf.  durch  die  Verarbei- 
tung des  zusammengestellten  Materials 
eine  lesbare  Länderkunde  hätte  herstellen 
können.  —  Die  mathematische  Geogra- 
phie, die  meist  den  schwächsten  Teil  der 
Schulgeographien  bildet,  ist  trotz  der 
Kürze  (9  Seiten  in  II;  nach  Inhalt  und 
Form  wohlgelungen. 

Hie  und  da  sind  noch  Ungenauigkeiten 
zu  berichtigen,  z.  B.: 

II.  S.  178  sind  die  Jahreszahlen  1806 
und  1890  unverständlich;  sie  stehen  wahr- 
scheinlich für  1896  und  1900.  —  S.  178: 
Tierkreis  (Zodiakus)  ist  der  Name  einer 
Zone,  nicht  der  Ekliptik.  Auch  der  Ab- 
satz über  die  Präcessiou  enthält  Unklar- 
heiten. —  S.  115:  Die  Bukowina  war  ehe- 
dem nicht  polnisch,  sondern  türkisch.  — 
S.  83:  Die  Letten  sind  nicht  finnischen, 
sondern  indogermanischen  Stammes.  — 
S.  48:  Statt  Erythrea  ist  entweder  Ery- 
thraea  oder  (italienisch)  Eritrea  zu 
schreiben. 

I.  S.  36:  Ostrumelien  ist  nicht  =  Ost- 
römerland. —  I.  S.  10:  Zu  dem  Satz:  „Fast 
das  einzige  Säugetier  ( Australiens  >  war 
das  Känguruh.'1  sei  auf  Schneiders  Typen- 
Atlas,  Tafel  XI  und  auf  Kirchhoff,  Pflanzen- 
und  Tierverbreitung  (Hann,  Hoehstetter 
und  Pokorny  Hl)  S.  287—292  verwiesen. 

Eckart  Fulda. 

Pahde,  Dr.  Adolf,  Erdkunde  für 
höhere  Lehranstalten.  II.  Mittel- 
stufe, erstes  Stück  (für  Quarta  und 
Unter-Sekunda).  Mit  8  Vollbildern 
und  S  Abbildungen  im  Text.  geb. 
.V  1.80. 


Die  Unterstufe,  deren  Fortsetzung  das 
obige  Schulbuch  ist,  hat  in  der  G.  Z. 
seine  Besprechung  gefunden  (VI,  125;.  Das 
dort  Gesagte  kann  auch  für  die  Mittelstufe 
gelten.     Es   ist   ein  dankenswertes 
Unternehmen,  wenn  Schulmänner,  die  in 
der    modernen    wissenschaftlichen  Geo- 
graphie erzogen  sind,  sich,  an  die  Her- 
stellung neuer  Lehrbücher  machen.  Aber 
es  ist  ein  schwieriges  Unternehmen, 
so  ungeklärt  wie  noch  die  ganze  Lage 
unseres  Unterrichtsfaches  ist.    Da*  be- 
beweist auch  P.'s  Mittelstufe.  Die  richtige 
Erkenntnis,  dafs  die  Zeit  in  U.  II  nicht  aus- 
reicht, den  Lehrstoff  der  Quarta  erweitert 
und  vertieft  zu  geben,  hat  den  Verfasser 
veranlafst,  sein  Buch  für  beide  Klassen 
zusammen  zu  verfassen.    Ich  fürchte,  er 
hat  nun  noch  mehr  über  die  Quartaner- 
köpfe hinweggeschrieben,  als  es  so  schon 
in  unsern  Lehrbüchern  üblich  ist:  „Schonen 
ähnelt    wegen    der    jüngeren  Gesteins- 
schichten mehrder  Unterlage  des  deutschen 
Flachlandbodens  als  dem  übrigen  Skandi- 
navien" (78).  „Fast  das  ganze  böbnnRch- 
mährische  Land  bildet  eine  ausgedehnte 
Urgebirgsscholle  .  .  .,  die  der  Auffaltung 
der  Alpen  Halt  geboten  hat"  (99).  Ich 
bin  der  ganzen  Schulgeologie  reichlich 
gram.  Dem  Quartaner  ist  sie  „böhmisch-, 
dem  Sekundaner  fehlt  die  Zeit.  Über- 
haupt bin  ich   für  die  Losung:  „alles 
irgend  Entbehrliche  aus  unserm  Unter- 
richte fort"  \ind  sehe  es  daher  auch  für 
keine  Bereicherung  eines  Lehrbuches  an, 
dafs  die  Schüler  so  eingehend,  wie  es 
gleich  anfangs  geschieht,  mit  Meerestiefen. 
Wasserwärme  (wobei  der  Grund  für  den 
Wärmeunterschied  des  atlantischen  und 
des  Mittelmeer-Bodenwassers  noch  dazu 
verschwiegen     werden     mufs)  vertraut 
gemacht  werden,  hielte  es  auch  für  mich 
persönlich  für  ein  hoffnungsloses  Unter- 
nehmen, Quartanern  das  Orograpbische 
des  Absatz  XIII  (Alpen-Länder)  wirklich 
nahe  zu  bringen.    Ich  würde  aber  diene 
Ausstellungen,  die  ich  noch  reichlich  ver- 
mehren könnte,  nicht  machen,  wenn  ich 
nicht  lebhaft  wünschte,  dafs  wir  auf  dem 
Wege,  den  nach  KirchhofF s  Vorgehen  die 
Jüngeren,  Pahde,  Langenbeck  u.  s.  w.  ein- 
geschlagen haben,  in  unsrer  Sache  vor- 
wärts kämen,  und  gerade  den  Verf,  als 
einen  derthätigsten  Förderer  unserer  Schul- 
geographie  seit   Jahren    schätzte.  Ich 
wünsche  dah^r  auch,  dafs  recht  viele 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


181 


einsichtige  FachgenoBsen  in  die  Lage 
kommen  mögen,  das  Buch  im  Sehulge- 
hrauch  zu  erproben,  nur  dadurch  kann 
hier  wie  überall  ein  vom  allzu  indivi- 
duellen Auflassen  befreites  l'rteil  über 
die  beste  Form  dieses,  wie  jedes  Lehr- 
buche* gewonuen  werden. 

Heinr.  Fischer. 

Kozle,  J.  F.  «.,    Neuer  Wegzeiger 
für  die  deutschen  Schutzgebiete 
in  Afrika,  der  Südsee  und  Ost- 
asien. VIII,  120  S.  M.K.  Stuttgart, 
M.  Kielmann  1900.    JC  2.60. 
Das    anspruchslose    Buch  behaudelt 
nach  einigen  einleitenden  Bemerkungen 
über  Deutschland  als  Kolonialmacht  und 
die    Deutschen  als   Missionsvolk  unsere 
Schutzgebiete,     wobei    im  allgemeinen 
folgende  Gliederung  des  Stoffes  inne  ge- 
halten wird:   1)  Lage  und  Ausdehnung, 
2)Geschichtlichesund  Politisches, 3j  Boden- 
gestalt Bewässerung,  Klima  und  Gesund- 
heitsverhältnisse, 4)  Bevölkerung,  5)  Re- 


ligion, Mission  und  Schule,  6)  Ortschaften, 
7)  Erzeugnisse,  8)  Handel,  Schiffahrt  und 
Verkehrswesen,  9)  Verwaltung  und  Rechts- 
pflege. Die  geographische  Beschreibung 
tritt  zurück  und  ist  stellenweise  recht 
dürftig.  Im  Vordergrunde  der  Dar- 
stellung steht  die  durch  Kultur  und 
Mission  bewirkte  Entwicklung  der  letzten 
Jahre.  Entsprechend  dem  Charakter  des 
Buches  als  Wegzeiger  werden  Schiffs- 
verbindungen und  Postbetrieb,  Fahrpreise 
und  (»ehälter,  gesundheitliche  Verhält- 
nisse u.  s.  w.  angegeben,  vor  allem  aber 
j  ist  der  Missionsthätigkeit  Aufmerksam- 
keit geschenkt  worden.  Auch  die  sehr 
lückenhaften  Litteraturangaben,  die  viele 
wichtige  Werke  vermissen  lassen,  siud 
meist  Missionszeitschriften  entnommen. 
Druckfehler  und  Flüchtigkeiten  falleu 
öfters  auf,  z.  B.  Lisbert  statf  Liebert, 
Statzner  statt  Natzmer,  Nachtigall  statt 
Nachtigal,  Bomy  statt  Bonny,  Para  statt 
Pare,  Marrongu  statt  Marangu. 

K.  Hassert. 


Nene  Bücher  und  Karlen. 


Zusammengestellt  von  Heinrich  Brunner. 


tiMrhlrhte  ..n.l  Methodik  der  Geographie. 

Morris,  H.  E.  History  of  «»Ionisation 
.  .  .  to  present  day.  2  vol.  Lond.,  Mac- 
millan  1901.    15  s. 

Allgeiaelae  pk}»Urhe  Geographie. 

Fritzscbe,  H.  Die  Elemente  des  Erd- 
magnetismus und  ihre  säcularen  Än- 
derungen während  des  Zeitraums  1561) 
bis  1916.  Publikation  IH.  62  S. 
St  Petersburg  1900. 

Höck,  F.  Die  Brotpflanzen;  ihr  Ursprung 
und  ihre  heutige  Verbreitung.  40  S. 
(Samml.  gemeinverst  wiss.  Vortr.  — 
Virchow.  Heft  366).  Hambg,  Verlags- 
anst.  1901.    JC  1- 

baurent,  L.  Le  tabac;  '(sa  culture  et 
sa  preparation ,  produetion  et  consom- 
mation  .  .  .)'.  IX,  338  S.  Paris,  Ohal- 
lamel  1900. 


UrStiMere  F.rdriuitie. 

Satow,  Sir  Ern.  M.  The  voyage  of  Capt. 
John  Saris  to  Japan,  1613;  ed.  from 
contempor.  reeords.  Map,  Ul.  LXXXIII, 
242  S.  (Hakluyt  Soc).  London,  Hakl. 
Soc.  1900. 


Jannaach,  R.  Telegraphenkarte  für 
den  Weltverkehr.  Berlin  W.,  Export 
JC  1  — 


Benger,  G.  Rumänien  im  J.  1900.  2.  A. 
des  Werkes  „Rumänien,  ein  Land  der 
Zukunft".  1  Karte,  14  Taf'.,  26  Abb. 
VIII,  304  S.  Stuttg.,  Engelhorn  1900. 
JC  10.— 

Kallina,  Leop.  Hölze  1  's  Verkehrakarte 
von  Österreich  -  Ungarn  ...  1  :  800000. 
Wien.  Hölzel  1900. 

Lentheric,  Charl.  Cötes  et  ports  franc. 
de  l'Ocean;  le  travail  de  l'homme  et 
1'oeuvre  du  temps.  11  cartes  et  pl. 
VIII,  401  S.  Paris,  Plon-Nourrit  C.  1901. 
Fr.  5.- 

Meyrac,  Alb.  Geographie  illustree  des 
Ardcnnes.  Preface  de  A.  Chuquet.  230 
grav.  XIII,  801  S.  Charleville,  Jolly  1900. 

Schulz,  Aug.  über  die  Entwickelungs- 
geschichte  der  gegenwärtigen  Phanero- 


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182 


Neu  erschienene  officielle  Karten 


gamenflora  und  Pflanzendecke  der  Skan- 
dinavischen Halbinsel  u.  d.  benachbarten 
schwedischen  u.  norweg.  fnstdn.  31 G  S. 
Stuttgart,  Schweizerbart  1900.  8.— 

Mitteleuropa. 

Cramer,  Franz.  Rheinische  Ortsnamen 
aus  vorrömischer  u.  röm.  Zeit.  V,  173  S. 
Düsseid.,  Lintz  1901.  3.— 

Schultheifs,  Chr.  Die  Niederschlags- 
verhaltnisse des  Grofsherz.  Kaden.  2.  He- 
arbeitg  auf  Grund  der  Beob.  1888  97. 
8  graph.  Beil.,  Fig.  Vll,  100  S.  (Beitr. 
zur  Hydrogr.  d.  Grofsh.  Baden.  Hit  10;. 
Karlsr.,  Braun'sche  Hofbuchdr.  1900. 
JL  16.  — 


Ebbecke,  C.  Mit  dem  Dampfer  über  die 
Yangtse-Schnellen  ...  S.  43  -61.  (Ost- 
usiat.  Rundschau.    Jahrg.  1,  Heft  8). 
Shanghai,    Deutsche    Druckerei  1901. 
—.70. 

He fs,  J.  J.  Die  geograph.  Lage  Mekkas 
u.  die  Strafse  von  Gidda  nach  Mekka. 
1  Kärtchen.  28  S.  Freiburg,  Univ.- 
buchh.  1900.    JL  1.60. 

Afrika. 

Duveyrier,  Hri.  Journal  d'un  voyage 
dans  la  province  d'Alger  \Fcvr.,  mars, 


avril  1857)'.  2  cartes,  grav.  Vll,  89  S. 
Paris,  Challamel  1900. 

Langhans,  Paul.  Karte  des  Afrikander- 
Aufstandes  im  Kaplande  u.  de«  An- 
griffskrieges der  Buren.  1:4  000000. 
Farbdr.  58x69  cm.  Nebst  Text.  Gotha. 
J.  l'ertkes  1901.  JL  1.— 
'  Michel,  Chart.  Mission  Bonchamps;  ver» 
Fachoda,  ä  la  reacontre  de  la  missioti 
Marchand  ä  travers  l'lkthiopie.  Carte, 
grav.  668  S.  Paris,  Plon-Nourrit  C. 
[1900].    Fr.  10.— 

Michel,  Charl.  Mission  de  Bonchamps.  <k 
Djibouti  au  Nil  Blanc  .  .  .  Itineraire  en 
14  feuilles.  1  :  200  000.  Paris,  Barrere 
1901.    Fr.  20.— 

Wohltmann,  F.  Bericht  über  seine 
Togo-Keise;  ausgef.  im  Auftr.  der  Kol  - 
Abt,  d.  auswart.  Amtes  1899.  20  Abb., 
1  Karte.  HI,  S.  197-223.  SA.  Berl., 
Mittler  k  S.    1900.    JL  2- 

tieoeraphU.  h  r  Uaterricht. 

Denkschrift  über  die  Ergebnisse  einer 
Studienreise  nach  Frankr. ,  Engl,  und 
Holland  für  die  Ausgestaltung  des  In- 
stitut* u.  Museums  f.  Meereskunde  zu 
Berlin.  64  8.  4".  Berlin,  Sittenfeld 
1900. 


Neu  erschienene  officielle  Karten. 


1.  Deutsches  Reich. 

Seekarte  der  Kais,  deutschen  Admira- 
lität Nr.  160:  Stiller  Ozean.  Bismarck- 
Archipel.  French-Inseln.  Deslacs-lnsel. 
Peter  Hafen  1  :  7500.  Nach  e.  flucht 
Aufnahme  S.M.S.  „Möve"  1900.  JL  — .  4u. 
—  Nr.  161.  Stiller  Ozean.  Bismarck- 
Archipel.  St.  Matthias-Insel.  Nach  e. 
thieht.  Aufnahme  S.  M.  S.  „Seeadler". 
1  :  75  000.    JL  —.80. 

Karte  des  Deutschen  Reiches 
1:100  000.  Vergl.  Eisenschmidt's  Ein- 
sendungen au  d.  Red.  d.  Zeitschr. 

Mefstischbliltter  des  Preu fsischen 
•  Staates.   1:25  000.  Desgl. 

Topographische  Karte  des  Königr. 
Sachsen.  1:25  000.  Sekt.  104.  Schöna. 
Curreutgestellt.  44,6x46,5  cm.  Kpfrst. 
A.  Farbdr.  JL  1.50. 

Geologische  Spezialkart  e  des 
Königr.  Sachsen.  1:25  000.  Blatt  62. 


48x60  cm.  Farbdr.:  Waldheiin-Böhri- 
gen  von  E.  Dathe.  2.  Aufl.  rev.  von 
E.  Danzig. 

Höhenkurven  karte  des  Königr  eich« 
Württemberg.  1:26  000.  Bl.  26. 
Wildbad.  Neu -Aufl.  47,5x62,6  cm. 
Kpfrst.  k  Farbd.    JL  2.— 

Karte  von  dem  Königr.  Württem- 
berg nach  der  allgemeinen  Landes- 
vermessung. 1 :  50  000.  Nr.  26.  Göppin- 
gen.  48,6x48,5  cm.  Kpfrst.  JL  —.76, 

Höhenschichtenkarte  des  Grofs- 
herzogt.  Hessen.  1:25  000.  Blatt 
Grofs-Gerau.  Lindenfels.  Seligenstadt 
ü  47,5x51  cm.    Farbdr.    ü  ,H.  2.— 

AmtlicherPlan  vonHamburg.  1  :  1OO0 
Sekt.  Krohnskamp  &  Bramfelder  Strafse. 
ü  56.5x85.5  cm.   Kpfrst.   ii  JL  5.— 

AmtlicherPlan  vonHamburg.  1 :  4O00 
Sekt.  Eichbaum.  56,5x85,6  cm.  Kpfrst. 
JL  5.— 


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Zeitschriftenschau. 


183 


Nord  atl  an  t  ische  Wetterausschau. 
Herausgesehen  von  der  Deutschen  See- 
warte. Dampferkarte  für  Januar  lüOl. 
Gratis. 

Neue  Oeneralkarte  von  Mittel- 
Europa,  1:200  000.  Herausgeg.  v.  k. 
u.  k.  niilitär-geogr.  Institut  in  Wien. 
23.  Lfg.  5  Blatt  ä  57x40  cm  Farhdr. : 
Egri  Palanka.  40°.  42°.  —  Orsova  40*. 
45?  —  Saloniki.  41°.  41°.  —  Vodena. 
40°.  41°.  -  Zajecar.  40°.  44°.  ä  Blatt 
1'20. 

2.  Frankreich. 

Cart  e  de  la  France.  1:100  000.  Feuille 
XXVI  — 10:  Saint- Die.  —  XXVI-24: 
Vallorcine.  —  VIII— 19:  Paimhoeuf.  — 
IV—  14:  Morlaix.  —  XII— 15:  Aleneon. 
—  XV -7:  Montreuil.  —  XXIII -19: 
Gray.  —  XVI-  7 :  Saint-Pol.  —  XIX-13: 
Montuairail.  —  XIX  —  28:  Langeac.  — 
XXIII  — 20:  Döle.  —  III- 15:  Brest.  — 
XVI  — 29:  Saint  Cere\  —  XVI  — 34: 
Castres.  —  XXII  — 26:  Lyon. 
Carte    topographique    de  l'etat- 

major.     Carte    geologique  ditaillee. 

1:80  000.  Feuüle  119:  Saumur.  Feuille 

205:  Agen. 
Carte  lithologique  sous-marine  des 

Cotes  de  France.    Par  M.  Thoulet. 

Feuille  3:  De  Fecamp  ä  la  pointe  de 

Saint- Quentin.  —  Feuille  4:  De  DiveB- 

ä  Saint-Valery-en-Caux,  ä  JL  4  — 

3.  Französische  Kolonien. 

Carte  de  la  Cochinchine  franeaise, 
revue  et  mise  ä  jour  d'aprfcs  les  tra- 


vaux  du  service  geographique  de  l'Indo- 
Chine,  du  service  du  cadastre  de  la 
Cochinchine  et  du  lieutenant  Oum  par 
le  commandant  Friquegnon.  1: 400  000. 
4  Bl.  JL  U.- 
Atlas des  colonies  francaises,  dresse 
par  ordre  du  miuist^re  des  colonies. 
Nr.  9:  Afrique  occidentale  (Senegal) 
1:3000000.  —  Nr.  12:  Congo  (feuille 
Sud)  1:3000  000.  -  Nr.  26:  Polyurie 
(etablissements  francais  de  l'Oceanie) 
1:6000  000.  —  Nr.  11:  Afrique  occi- 
dentale (Dahotncy)  1  :  3  000  000. 
Carte  de  Madagascar.  1:1000  000, 
dessint'e  par  J.  Hansen  et  Ch.  Oehrli. 
Nr.  18:  Partie  centrale  (feuille  Nord).  — 
Nr.  19:  Partie  centrale  (feuille  Sud). 

4.  Afrika. 

R,  Kiepert's  Karte  von  Deutsch- 
Ostafrika  1:300  000.  Im  Auftrage 
und  mit  Unterstützung  der  Kolonial- 
Abi  d.  Ausw.  Amtes.  Blatt  B.  6:  Mo- 
horn. 58x75,5  cm.  Frbdr.  JL  2.— 

Map  of  Transvaal  and  the  Orange 
Free  State,  issued  hy  the  Intelligeuce 
Division  of  the  War  Oftice.  London. 
1  :  250  000.  Section:  Rouxville.  M.  2  — 

Map  of  the  Oold  Coast  with  part  of 
Ashanti.  Bv  Henry  Wallach.  1  :  253  440. 
Nach  offiziellen  Quellen.  4  Blatt. 
JC  25.— 

5.  Asien. 

Plan  de  Pekiu,  publie  par  le  Service 
geographique   de   1'arniee.     1:15  000 
JL  1.50.     Dr.  Max  Friederichsen. 


Zcitseliriftciischan. 


Pctrrmann's  Mitteilungen.  1901.  Nr.  1. 
Schweinfurth:  Am  westlichen  Kande 
des  Nilthaies  zwischen  Farschüt  und  Kom 
Ombo.  —  Martin:  Llanquihue  und  Chiloe. 
—  Vanhöffen:  Von  der  deutschen  Süd- 
polexpedition: Fischereiversuche.  —  End- 
ffiltige  Ergebnisse  der  Volkszählung  in 
den  Ver.  Staaten  1900.  —  Bevölkerung 
von  Kreta  am  4.  Juni  1900. 

Globus.  Bd.  LXXIX.  Nr.  3.  K  atz  er: 
Zur  Ethnographie  des  Rio  Tapajös.  — 
Kannengiefser:  Deutach-Südwestafrika 
im  J.  1900.  —  Ehren  reich:  Religiöser 
Glaube  der  Centraieskimos.  —  Müller: 
Folkloristische  Ewhetexte. 


Dms.  Nr.  *.  Leue:  üha  (Deutsch- 
Ostafrika).  —  Seidel:  Neue  Forschungen 
und  Fortschritte  auf  Madagaskar.  — 
Rademacher:  Dr.  Soldan's  Ausgrabung 
einer  vorrömischen  Stadt  bei  Neuhäusel 
in  Nassau.  —  Friedrichsen:  Neue  Nach- 
richten von  Sven  Hedin. 

Uass.  Nr.  5.  Lauf  er:  Felszeichnuugen 
vom  Ussuri.  —  Hansen:  Das  Wasser- 
wesen der  niederländischen  Provinz  Zee- 
land.  —  Leue:  Uha.  —  Zimmermann: 
Die  zukünftige  Vermehrung  der  Bevölke- 
rung der  Vereinigten  Staaten.  —  Wilser: 
!  Die  Häuptlingsstäbc. 

Dass.  Nr.  6.  Preufs:  Mexikanische 


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1*4 


Zeit  Schriften  sc  bau. 


Thonfiguren.  —  Leue:  Uha.  —  Bischoff: 
Die  germanisch-romanische  Sprachgrenze 
in  Belgien  und  Nordfrankreich.  —  Foy: 
Zur  Ethnographie  von  Neuporaniem. 

Deutsche  Jiundschau  für  Geographie 
utul  Statistik.  XXIII.  Jhrg.  6.  Heft, 
v.  Fischer  Treuenfeld:  Paraguaythee 
—  Toball:  Heynuhnen,  eine  ostpreufsische 
Kunststätte.  —  Jung:  Die  Eisenbahnen 
de»  Australkontinents.  —  Schütte:  Der 
„Wald"  der  Insel  Ouessant.  —  Reichel t: 
Dr.  Laufer's  Forschungen  in  der  Ainur- 
gegend. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1900. 
12.  Heft.  Einer:  über  neuere  Unter- 
suchungen auf  dem  Gebiete  der  atmo- 
sphärischen Elektrizität.  —  Toepler:  Zur 
Kenntnis  der  Kugelblitze. 

Dass  1901.  1.  Heft.  Billwiller: 
Bildung  barometrischer  Teilminima  durch 
Föhne.  —  Woeikof:  Klima  und  Föhne 
der  Dänemark -Insel,  Seoresby-Suud.  — 
Valentin:  Einige  Ergebnisse  der  öster- 
reichischen Luftballons  bei  der  inter- 
nationalen Fahrt  am  12.  Mai  1900.  — 
Zur  Einführung  in  die  neueren  Anschauun- 
gen über  die  Ursachen  der  Luftelektri- 
zität. 

Zeitschrift  für  ScJtulgeographie.  XXII. 
Jhrg.  4.  Heft.  Wermbter:  Zur  Lage  des 
geographischen  Unterrichts  an  den  höheren 
Schulen  Preufsens  um  die  Jahrhundert- 
wende. —  Longo:  Zur  Frage  des  Karten- 
zeichnens in  der  Schule.  —  Zu  deu  Grund- 
sützen  für  Lehrbücher  der  Geographie.  — 
Janson:  Über  Schülerreisen.  —  Aus 
Ostasien. 

Jahresbericht  der  Geographischen  Ge- 
sellschaft in  München  189H  und  1899. 
Heft  18.  Auszüge  aus  den  Vorträgen.  — 
Therese,  Prinzessin  v.  Bayern:  Zweck  u. 
Ergebnisse  meiner  189H  nach  Südamerika 
unternommenen  Heise.  —  v.  Spei  de  1:  Be- 
richt überdie  Heise  Ihrer  kgl.HoheitTherese 
von  Bayern  nach  Südamerika  18U«.  — 
Erk,  Klimatologische  Landesforschuug  in 
Bayern.  —  U  b  e  r  h  u  m  m  e  r :  Nachträgliches 
zur  Aventinkarte  —  Ders.:  Die  deutsche 
Südpolexjtfdition. 

Annale*  de  Geographie,  1901.  Nr.  49. 
Mehediuti:    La   geographie  comparce 


I  d'apres  Ritter  et  Peschel.  —  de  Mar- 
tonne:  Sur  la  formation  des  cirques.  — 
Bleicher:  La  vallee  de  l'Ingressin  et 
ses  dt'bouches  dans  la  vallee  de  la  Meuse. 

—  Barre:  La  haute  vallee  de  la  Saune. 

—  Tavernier:  Etüde  hydrologique  sur 
le  bassin  de  la  Saöne. 

La  Geographie.  1900.  Nr.  1.  Nat 
horst:  Le  loup  polaire  et  le  boeuf  nnis- 
que  dans  le  Grönland  oriental.  —  De  la 
Vaulx:  La  Patagonie.  —  Giraud:  Le 
Probleme  du  Tanganjika.  —  Chesneau. 
La  mission  du  capitaine  WoelfFel.  — 
Deniker:  Voyage  de  M.  Kozlov  en  Asic 
centrale.  —  Giraud:  LVrosion  glaciaire. 

The  Geographica!  Journal.  Vol.  XVII. 
Nr.  2.  Markham:  The  Death  of  the 
Queen.  —  Gibbons:  Exploration  in 
Marotseland  and  Neighbouriug  Regions.  — 
Quicke:  Supplementary  Journeys.  — 
Foureau:  From  Algeria  to  the  French 
Congo.  —  Arctowsky:  Explorations  of 
Antarctie  Lands.  —  Dr.  Sven  Hedin's  El- 
plorations  1899—1900.  —  Wilson:  Jour- 
neys in  Mesopotamia. 

'  Hiv.  Geogr.  Jtal.  VIII.  Januarheft 
Berteiii:  Studi  intorno  ad  alcune  ipotesi 
e  teoui  geogeniche.  —  Porena:  Le  sco- 
perte  Geografiche  dei  Secolo  XIX  — 
Baldacci:  La  lingua  italiana  in  relazione 
al  nostro  commercio  uell'  Albania  e  uell' 
Epiro.  La  Conferenza  dcl'  Duca  degli 
Abruzzi  e  del  Comandante  Cagui  alla 
Societa  Geogratica  Italiana. 

The  Xatituxil  Geographie  Magazine. 
Vol.  XII.  Nr.  1.  Squier:  The  Influence 
of  Submarine  Cables  upon  Military  and 
Naval  Supremacy.  —  Hatcher:  The  In- 
dian  Tribes  of  Southern  Patagonia,  Tierra 
del  Fuego  and  the  Adjoining  Islands. 
Davis:  Location  of  the  Boundary  betweeu 
Nicaragua  and  Costa  Rica.  —  The  Nicara- 
gua Uanal.  —  liubbard:  The  Tsaugpo 

—  Schott:  Rccent  Contributions  to  our 
knowledge  of  the  Earth's  Shape  and  Size 
by  the  U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey. 

—  Explorations  in  Central  East  Africa 
The  Journal  of  School  Geographg.  1901. 

Nr.  1.  Cape  Nome.  —  Dodge:  The  big 
Trees  of  California.  —  Dodge:  A  School 
Course  in  Geography. 


Vemutwortlnher  Her»uigrl,er !  l'rof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heidelberg 


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Die  wasserwirtschaftliche  Vorlage  in  Preufsen. 

Von  Dr.  Wilhelm  HochBtetter. 

Nachdem  der  Gesetzentwurf  der  preufsischen  Staatsregierung  über  den 
Rhein  -  Elbekanal ,  der  den  Rhein  bei  Laar  über  den  Kanal  Dortmund- 
Emshäfen  bei  Herne  bezw.  Bevergern  und  über  die  Weser  bei  Minden  mit 
der  Elbe  bei  Heinrichsberg  bezw.  Magdeburg  verbinden  soll,  am  19.  August  1899 
von  der  Mehrheit  des  Abgeordnetenhauses  abgelehnt  worden  war,  hat  die 
Regierung  diesen  Plan  keineswegs  aufgegeben,  sondern  vielmehr  durch  Hinzu- 
fügung  mehrerer  anderer  „seit  längerer  Zeit  geplanten  Projekte"  zu  einer 
grofsen  „wasserwirtschaftlichen  Vorlage"  erweitert,  durch  welche  der  Ausbau 
eines  zusammenhängenden  Wasserstrafsennetzes,  das  die  preufsische  Monarchie 
„vom  Westen  bis  zum  äufsersten  Osten"  durchzieht,  gesetzlich  festgelegt 
werden  soll.  Sie  fügte  dem  —  unveränderten  —  Gesetzentwurf  über  den 
Rhein-Elbekanal,  der  im  1.  Heft  des  5.  Jahrgangs  (1899)  „der  Geo- 
graphischen Zeitschrift"  bereits  eingehend  besprochen  worden  ist,  noch 
folgende  wassenvirtschaftlichen  Pläne  hinzu: 

1.  Herstellung   eines   Grofsschiffahrtsweges   Berlin-Stettin  (Wasser- 
strafse  Berlin-Hobensaathen), 

2.  Verbesserung  der  Wasserstrafse  zwischen  Oder  und  Weichsel,  sowie 
der  Schiffahrtsstrafse  der  Warthe  von  der  Mündung  der  Netze  bis  Posen, 

3.  Verbesserung  des  Schiffahrtsweges  zwischen  Schlesien   und  dem 
Oder-Spreekanal, 

4.  Verbesserung  der  Vorflut  in  der  unteren  Oder, 

5.  Verbesserung  der  Vorflut-  und  Schiffahrtsverhältnisse  in  der  unteren 
Havel, 

6.  Ausbau  der  Spree. 

Dem  ersten  Blick  auf  die  Karte  zeigt  sich,  dafs  die  Vorlage,  so  weit- 
ausgreifend sie  auch  ist,  doch  nicht  alles  hält,  was  sie  mit  den  Worten: 
„vom  Westen  bis  zum  äufsersten  Osten"  der  Monarchie  zu  versprechen 
scheint;  denn  sie  läfst  sowohl  ein  grofses  Landgebiet  im  Osten,  nämlich  das 
Gebiet  östlich  der  Weichsel,  als  auch  das  südwestliche  Grenzgebiet,  das  links- 
rheinische, unberücksichtigt.  Dem  ersteren  Mangel  wäre  durch  Einbeziehung 
des  Projekts  eines  „masurischen  Kanals",  der  von  Angerburg  ausgehend  die 
masurischen  Seen  mit  Königsberg  verbinden  soll,  dem  zweiten  durch  Ein- 
beziehung der  Kanalisation  der  Mosel  und  Saar  in  die  wasserwirtschaftliche 
Vorlage  abzuhelfen.  Dahingehende  Wünsche  werden  denn  auch  gegenwärtig 
von  den  beteiligten  Kreisen  lebhaft  geäufsert,  Ja  sogar  für  das  Gebiet  inner- 
halb des  durch  Rhein  und  Weichsel  gebildeten  Rahmens  werden  Wünsche 

GwgrapbJicbe  Zeitichrift.  7  Jahrgang  1901.  4  Heft.  13 


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18G 


Wilhelm  Hochstetten 


nach  Berücksichtigung  in  der  „wasserwirtschaftlichen  Vorlage"  laut,  so  be- 
sonders der  nach  Kanalisierung  der  Lippe  anstatt  oder  wenigstens  neben  der 
zur  Verbindung  des  Kanals  Dortmund- Einshäfen  mit  dem  Rhein  gewählten 
„Emscherlinie".  Da  jetzt  noch  nicht  abzusehen  ist,  wie  weit  derartigen 
Forderungen  noch  Rechnung  getragen  wird  und  werden  kann,  müsseu  sie 
von  einer  Besprechung  zunächst  ausgeschlossen  werden.  Der  in  der  jetzigen 
Gesetzesvorlage  entwickelte  Wasserstrafsenplan  ist  auch  ohne  sie  von  grofser 
Bedeutung  nicht  blofs  für  das  Wirtschaftsleben,  sondern  auch  für  das  geo- 
graphische Bild  Norddeutsehlands. 

So  tief  einschneidende  Veränderungen,  wie  durch  den  Rhein-Elbekanal 
geschaffen  werden  sollen,  bringen  die  jetzt  neu  hinzugekommenen  Pläne  aller- 
dings nicht.  Sie  bezwecken  keine  neuen  Verbindungen  zwischen  den  vor- 
handenen Wasserstrafsen,  sondern  wollen  nur  die  bereits  vorhandenen  natür- 
lichen und  künstlichen  Wasserwege  in  einer  den  Anforderungen  sowohl  des 
modernen  Verkehrs  als  auch  der  Landeskultur  entsprechenden  Weise  aus- 
bauen bezw.  regulieren.  Neue  Querverbindungen  in  gröfserer  Ausdehnung 
östlich  der  Elbe  —  und  auf  dieses  Gebiet  beziehen  sich  alle  neu  hinzu- 
gekommenen Plane  der  Vorlage  —  zu  schaffen,  ist  bei  der  durch  den  geo- 
logischen Bau  bedingten  Oberflächengestalt  des  norddeutschen  Tieflandes  nicht 
mehr  leicht  möglich,  nachdem  schon  seit  200  Jahren  eine  weitausschauende 
Regierung  auf  den  Bau  von  Wasserstrafsen  in  den  hauptsächlich  in  Betracht 
kommenden  Linien  bedacht  gewesen  ist.  Der  ostelbische  Teil  des  nord- 
deutschen Flachlandes  wird  durch  drei  in  westöstlicher  Richtung  laufende 
Thalzüge,  deren  wesentliche  Ausbildung  in  die  Zeit  des  Abschmelzens  des 
skandinavisch-norddeutschen  Inlandeises  zu  verlegen  ist,  durchschnitten:  das 
( rlogau-Baruther,  das  Warschau-Berliner  und  das  Thorn-Ebcrswalder  Haupt- 
thal. Nördlich  von  dem  letztgenannten  zieht  sich  durch  Pommern,  West-  und 
Ostpreufseu  die  preufsiseh-pommersche  Seenplatte  hin,  die  mit  ihrer  verhältnis- 
rnäfsig  grofsen  Erhebung  für  die  Anlage  von  Wusserquerverbindungen  sich 
nicht  eignet,  mit  Ausnahme  der  —  übrigens  teilweise  grofse  Schwierigkeiten 
bietenden  —  Linie  von  der  Weichsel  -  Drewenz  über  die  oberländische  zur 
masurischen  Seenplatte.  Auch  von  den  3  genannten  Hauptthälern  kann  das 
erstgenannte,  das  (llogau-Baruther  Hauptthal,  hierfür  nicht  iu  Betracht 
kommen,  vor  allem  deshalb,  weil  es  keine  Fortsetzung  zum  We  ichsei  gebiet 
hut.  In  den  beiden  allein  übrig  bleibenden  Thalzügen  sind  aber  künstliche 
Wasserwege  bereits  angelegt,  und  zwar  in  dem  Thorn -Eberswalder  Haupt- 
thal in  seiner  ganzen  Ausdehnung  von  der  Weichsel  bis  zur  Havel  bezw. 
Elbe,  in  dem  Warschau-Berliner  Hauptthal  wenigstens  in  seiner  für  Preufsen 
hauptsächlich  in  Betracht  kommenden  westlichen  Hälfte  zwischen  Oder  und 
Spree,  während  seine  zwischen  Oder  und  Warthe  sich  hinziehende  östliche 
Hälfte,  deren  Hauptteil  der  Obrabruch  bildet,  keinen  durchgehend  schiffbaren 
Wasserweg  hat1)  und  auch,  weil  er  von  untergeordneter  wirtschaftlicher  Be- 
deutung wäre,  in  absehbarer  Zeit  nicht  bekommen  wird.    Der  die  westliche- 


1)  Der  Ohrakanal,  der  in  diesem  Thalzuge  die  Oder  und  die  Warthe  mit- 
einander verbindet,  ist  ein  Eutwässerungskanal. 


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Die  wasserwirtschaftliche  Vorlage  in  Preuf«en.  187 

Hälfte  des  Warschau- Berliner  HauptthaLs  durchziehende  Wasserweg,  der 
Oder- Spreekanal,  gentigt  seit  seinem  in  den  Jahren  188Ü — 90  erfolgten  Um- 
bau den  modernen  Anforderungen  des  Verkehrs,  indem  er  Schiffen  von 
400 1  Tragfähigkeit  Durchgang  gewährt.  Dagegen  weisen  die  im  Thorn  - 
Eberswalder  Hauptthal  angelegten  Wasserstrafseu  ganz  ungenügende  Dimen- 
sionen auf.  Und  doch  ist  —  wie  auch  aus  dem  bisher  Gesagten  sich  er- 
giebt  —  gerade  diese  Linie  die  natürliche  und  zugleich  einzige  direkte  Fort- 
setzung der  mit  dem  Rhein-Elbekanal  geplanten  Querverbindung  der  die 
norddeutsche  Tiefebene  durchziehenden  grofsen  Ströme.  Deshalb  wird  auch 
in  der  wasserwirtschaftlichen  Vorlage  der  Ausbau  der  Wasserwege  des 
Thorn  -  Eberswalder  Ilauptthales,  nämlich  des  Großschiffahrtsweges  Berlin- 
Stettin  und  der  Wasserstraße  zwischen  Oder  und  Weichsel  (Warthe,  Netze, 
Bromberger  Kanal,  Unter-Brahe)  an  erster  Stelle  erwähnt.  Diese  Wasser- 
strafse  soll,  zusammen  mit  dem  Rhein-Elbekanal,  gleichsam  das  Rückgrat  des 
Wasserstrafsennetzes  der  preufsischen  Monarchie  bilden.  Die  andern  Pläne 
der  neuen  Vorlage  bezwecken  den  Ausbau  bezw.  die  Regulierung  der  von 
diesem  Hauptstrange  sich  abzweigenden  Seitenäste. 

Wenn  der  Mittellandkanal  gebaut  sein  wird,  kann  man  auf  Binnenwasser- 
strafsen  vom  Rhein  bis  zur  Weichsel  bezw.  bis  nach  Königsberg  gelangen, 
und  zwar  nach  Ausführung  der  in  der  neuen  Vorlage  hinzugekommenen  Pläne 
auf  Fahrzeugen,  die  den  Anforderungen  des  modernen  Verkehrs  vollauf  genügen. 
Von  dem  Plan,  für  sämtliche  Wasserstraisen  Preufsens  Normalabmessungen 
in  erzielen,  mufste  allerdings  Abstand  genommen  werden,  „weil  das  Be- 
dürfnis des  Ostens  die  grofsen  600  t-Schiffe  des  Dortmund-Emskauals  nicht 
bedingt  und  einige  neuere  Anlagen  östlich  von  Berlin,  wie  der  Oder-Spree- 
kanal, die  Kanalisierung  der  oberen  Oder  und  die  Regulierung  der  Netze, 
entsprechend  den  Schiffahrtsvcrhältnissen  der  anschliefsenden  natürlichen 
Wasserstraßen,  in  kleineren  Abmessungen  zur  Ausführung  gebracht  sind4'. 
Nach  der  neuen  Vorlago  sollen  die  westlich  der  Elbe  anzulegenden  Wasser- 
strafsen und  der  Berlin -Stettiner  Großschiffahrtsweg  für  600  t-Schiffe,  die 
östlich  der  Oder  vorgesehenen  Hauptwasserstrafsen  dagegen  für  400  t-Schiffe 
ausgebaut  werden. 

Der  alte  Finowkanal,  dessen  Weg  der  geplante  G rofs  Schiffahrtsweg 
Herlin  -  Stettin  im  allgemeinen  beibehalten  wird,  läfst  nur  den  Verkehr 
von  Schiffen  bis  zu  170  t  Tragfähigkeit  zu.  Da  er  nicht  nur  ein  wichtiges 
Verbindungsglied  des  Wasserweges  von  der  Elbe  zur  Weichsel,  sondern  vor 
allem  auch  den  Vermittler  des  Wasserstrafsenverkehrs  zwischen  Berlin  und 
Stettin  bildet,  ist  er  bei  diesen  kleinen  Abmessungen  „nahezu  an  der  Grenze 
der  Leistungsfähigkeit  angelangt".  Eine  Zeit  lang  ist  erwogen  worden,  ob 
man  nicht  den  Fiuowkanal  unverändert  lassen  und  in  einer  ganz  neuen  Linie 
eiuen  Wasserweg  bauen  solle.  Zwischen  dem  vom  Fiuowkanal  benutzten 
Thorn- Eberswalder  Hauptthal  und  dem  vom  Oder -Spreekanal  durchzogenen 
Warschau-Berliner  Hauptthal  liegt  nämlich  noch  ein  drittes,  kleineres  Quer- 
thal, das  die  Spree  mit  der  Oder  verbindet,  das  Stobberbachthal.  Diese 
Linie  hätte  den  Vorzug,  die  kürzeste  Verbindung  zwischen  Berlin  und  Küstrin 
zu  bilden.     Östlich  von  Berlin  (deshalb  „Ostlinie'*  geheißen)  im  Seddinsee 

13* 


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188 


Wilhelm  Hochstetten 


gegenüber  Schmöckwitz  beginnend  sollte  sie  das  Hochmoor  „Rotes  Luch*'  durch- 
schneiden und,  bei  Alt-Friedland  sich  gabelnd,  einerseits  in  östlicher  Richtung 
nach  Küstrin,  andererseits  in  nördlicher  Richtung  über  Wriezen  nach  Oder- 
berg und  Hohensaathen  tühren.  Trotzdem  die  „Ostlinie"  vor  der  dem  Finow- 
kanal folgenden  „Westlinie"  den  Vorzug  hat,  dafs  sie  einen  Wasserweg 
schaffen  würde,  der  von  Küstrin  nach  Berlin  um  54  km,  nach  der  Elbe  um 
30  km,  sogar  von  Hohensaathen  nach  Berlin  wenigstens  um  10  km  kürzer 
sein  würde,  mufste  der  Gedanke  an  ihre  Ausführung  fallen  gelassen  werden 
wegen  technischer  Schwierigkeiten,  die  vor  allem  das  mit  Fliefssand  von 
feinster  Beschaffenheit  angefüllte  „Rote  Luch"  geboten  hätte,  wegen  bedeutend 
erhöhter  (beinahe  verdoppelter)  Baukosten  und  verlängerter  Bauzeit.  Da  der 
Nachteil  der  Westlinie,  die  gröfsere  Lange  und  infolge  davon  die  Erhöhung 
der  Frachtkosten,  dadurch  zum  Teil  beseitigt  wird,  dafs  auf  der  Stromoder 
zwischen  Hohensaathen  und  Küstrin  keine  Abgaben  erhoben  werden,  und  die 
schweren  Nachteile  der  Ostlinie  bei  der  Westlinie  nicht  vorhanden  sind,  hat 
man  sich  definitiv  für  den  Ausbau  der  Westlinie  entschieden.  Bei  dem 
Plane  hierfür  war  man  nach  Möglichkeit  bestrebt,  den  bereits  vorhandenen 
Finowkanal  zu  benutzen;  eine  einfache  Vergröfsemng  desselben  erwies  sich 
jedoch  nicht  als  zweckmafsig,  es  mufste  vielmehr  teilweise  eine  ganz  neue 
Linienführung  gewählt  werden.  Zunächst  kann  bis  unterhalb  Pinnow  a.  d.  Havel 
der  alte  Weg  beibehalten  werden,  nur  mufs  in  Spandau  eine  neue  grofse 
Schleuse  errichtet  und  der  Schiffahrtskanal  von  Plötzensee,  wo  die  vorhandenen 
Schleusen  ebenfalls  umgebaut  werden  müssen ,  bis  zum  Tegelersee  ver- 
breitert und  vertieft  werden.  Unterhalb  Pinnow  mufs  ein  neuer  Weg  be- 
gonnen werden,  der  über  den  Lehnitz-See  nach  der  alten  Wasserstrafse  ober- 
halb der  Mälzer  Schleuse  führt.  (Oranienburg  soll  bei  Lehnitz  durch  eine 
Schleuse  mit  Finowmafsen  angeschlossen  werden.)  Nunmehr  wird  wieder 
der  alte  Wasserweg  bis  Dusterlake  beibehalten,  dann  wird  wieder  ein  neuer 
Weg  gebaut  in  östlicher  Richtung  nach  Ruhlsdorf,  wo  der  alte  Finowkanal 
gekreuzt  wird,  und,  mit  kurzer  Benutzung  des  Werbellinkanals,  weiter  in 
neuer  Linie  nördlich  von  Steinfurth  und  Eberswalde  nach  Liepe,  von  wo  aus 
mittels  einer  „geneigten  Ebene"  und  einer  daneben  liegenden  Schleusentreppe 
unter  Benutzung  der  gröfstenteils  im  Bette  der  alten  Oder  sich  hinziehenden 
Wasserstrafse  der  Abstieg  ins  Oderthal  nach  Hohensaathen  erfolgt,  wo  zur 
Verbindung  mit  der  Stromoder  eine  neue  grofse  Schleuse  angelegt  werden 
mufs.  Der  Schiffahrtsweg,  der  von  der  Plötzenseer  Schleuse  ab  99,5  km 
lang  sein  wird,  soll  fast  dieselben  Abmessungen  wie  der  Rhein-Elbekanal 
erhalten,  nämlich  18,5  m  Sohlen-  und  32,35  m  Wasserspiegelbreite  und  2,05 
bis  2,55  m  (in  der  Mitte)  Tiefe,  so  dafs  600-t-Schiffe  ungehindert  darauf 
verkehren  können.  Das  vom  Kanal  durchschnittene  Gelände  ist  für  einen 
zweckmäfsigen  und  billigen  Bau  sehr  günstig.  Die  angestellten  Bodenunter- 
suchungen haben  überall  diluviale,  zum  Teil  scharfe  Sande  gezeigt,  die  an 
einigen  Stellen  mit  Lehm  schwach  durchsetzt  sind;  die  Gründung  der  Bau- 
werke stöfst  also  hier  (im  Gegensatz  zur  Ostlinie!)  auf  keine  Schwierigkeiten. 
Ebenso  ermöglicht  die  Bildung  des  Geländes  verhältnismäfsig  lange  Haltungen. 
Von  l'lötzensee  bis  Hohensaathen  werden  nur  zwei  Schleusen,  bei  Lehnitz 


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Die  wasserwirtschaftliche  Vorlage  in  Proufsen. 


189 


und  bei  Liepe,  und  die  geneigte  Ebene  bezw.  Schleusentreppe  ins  Odcrthal 
hinab  zu  bauen  sein;  die  erste  Haltung  des  Schiffahrtsweges,  von  Plötzensee 
'  bis  zur   Lehnitzschleuse,  bei  gewöhnlichem  Wassserstande  N.N.  -f-  31,30  in, 
wird  34  (bezw.  von  Spandau  aus  gerechnet  28)  km,  die  Scheitelhaltung  von 
der  Lebaitzschleuse  bis  Liepe  (  Wasserspiegel  N.N.  +  36,85  ra  bis  37,35  m) 
sogar  50  km  lang  sein,  der  Höhenunterschied  zwischen  Liepe  und  der  Strom- 
oder (rund  36  m)  wird  durch  die  geneigte  Ebene  bezw.  die  Schleusentreppe 
mit   5   Schleusen   von  je  7,2  m  Gefälle  überwunden.     Auch  die  Wasser- 
speisung  des  Kanals  wird  keine  Schwierigkeiten  bereiten;  wie  beim  bisherigen 
Kanal   wird  die  Speisung  der  Scheitelhaltung  durch  den  Zehdeniek-Lieben- 
walder  Kanal  aus  der  oberen  Havel  erfolgen.    Die  Kosten  des  Kanals,  dessen 
Bauzeit  auf  5  Jahre  berechnet  wird,  sind  zu  42  Millionen  Mark  veranschlagt. 
Die  Bedeutung  des  geplanten  Grolsschiffahrtsweges  beruht  vor  allem  in  der 
Verbesserung  der  Verkehrsbeziehung  zwischen  Stettin  und  Berlin  bezw.  dem 
Elbegebiet  infolge  der  zu  erwartenden  Ermäfsigung  der  Frachtsätze.  Für 
den  Handel  Stettins,  der  infolge  der  Verbesserungen  an  der  Elbe  und  dem 
westlichen  Teil  der  märkischen  Wasserstrafsen ,  des  Baues  des  Oder-Spree- 
kanals und  besonders  des  Elbe-Travekanals  durch  die  Konkurrenz  Hamburgs  und 
Lübecks  schweren  Schädigungen  ausgesetzt  ist,  wird  vom  Bau  des  Grofs- 
>chiffahrtsweges  ein  neuer  Aufschwung  erhofft,  auch   für  Berlin  und  die 
industriellen  Unternehmungen  des  vom  Kanal  durchschnittenen  Gebietes,  sogar 
weiterhin  für  die  Gebiete  bis  nach  Magdeburg  und  Halberstadt  werden  von 
der  Verkehrsverbesserung   beträchtliche  Vorteile   erwartet.     Auch   auf  die 
Förderung  der  landwirtschaftlichen  Interessen  ist  bei  der  Linienführung  des 
neuen  Kanals  nach  Möglichkeit  Rücksicht  genommen  worden. 

Durch  den  Bau  des  Grofsschiffahrtsweges  Berlin -Stettin  wird  der  ge- 
plante Rhein-Elbekanal  zu  einem  durchgehends  für  600  t-Schiffe  befahrbaren 
Rhein-Oderkanal.  Der  von  der  Oder  ab  östlich  liegende  Teil  des  „Rhein- 
Weichselkanals"  soll  dagegen  aus  den  angeführten  Gründen  zu  einer  Fahr- 
strafse  für  nur  400  t-Schiffe  ausgebaut  werden.  Die  Wasserstrafse 
zwischen  Oder  und  Weichsel  ist  noch  gegenwärtig  streckenweise  nur 
für  Schiffe  von  150  t  Tragfähigkeit  benutzbar,  also  ungenügend  für  die  An- 
forderungen des  modernen  Verkehrs.  Während  bei  der  Warthe  von  Küstrin 
bis  Zantoch  und  der  unteren  Netze  von  der  Dragemündung  bis  zur  Ein- 
mündung in  die  Warthe  verhältnismäfsig  unbedeutende  Regulierungsarbeiten 
genügen  werden,  müssen  an  der  mittleren  und  oberen  Netze,  dem  Bromberger 
Kanal  und  der  unteren  Brahe  durchgreifende  Veränderungen  vorgenommen 
werden.  Auf  der  78  km  langen,  mittleren  Strecke  der  Netze  (von  der  Drage- 
bis  zur  Küddow-Mündnng),  der  sog.  „lebhaften  Netze"  müssen  vor  allem  die 
Stauanlagen  verbessert  werden,  indem  vier  Staue  neu  gebaut  und  von  den  vor- 
handenen zwei  erhöht  werden.  Auf  der  oberen  Strecke  der  Netze,  der  50  km 
langen  sog.  „trägen  Netzeu,  sollen  zwei  vorhandene  Schleusen  umgebaut  und 
Begradigungen  und  Erweiterungen  vorgenommen  werden.  Auf  dem  Brom- 
berger Kanal,  der  gegen  27  km  lang  ist,  sind  in  beiden  Schleusentreppen 
neue  Schleusen  zu  bauen,  der  Kanalquerschnitt  zu  verbreitern  und  in  der 
Scheitelhaltung  eine  Senkung  des  Wasserspiegels  herbeizuführen.     Auf  der 


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Wilhelm  Hochstetter: 


unteren  Brahe  endlich,  die  12  m  Länge  hat,  genügen  wieder  kleinere  Arbeiten, 
der  Umbau  zweier  Wehre  und  zweier  Schleusen.  Die  Kosten  des  Baues,  für 
dessen  Durchführung  ein  Zeitraum  von  zehn  Jahren  in  Aussicht  genommen 
ist,  sind  auf  rund  20  400  000  Mark  veranschlagt.  Von  der  geplanten  Ver- 
besserung, welche  Fahrzeugen  von  400  t  Tragtähigkeit  auf  der  ganzen  Strecke 
ungehinderten  Verkehr  verschaffen  wird,  erwartet  man  eine  Verminderung 
der  Frachtkosten  um  30 — 35,  mindestens  aber  25 0  0.  Der  dadurch  bedingte 
Verkehrsaufschwung  darf  als  ein  ziemlich  beträchtlicher  angesehen  werden. 
Es  ist  zu  erwarten,  dafs  nicht  blofs  von  den  Gütern,  die  jetzt  entweder  den 
Seeweg  über  Danzig  oder  die  Eisenbahn  benutzen,  ein  grofser  Prozentsatz 
dem  Wasserverkehr  zufallen,  sondern  auch  der  auf  dem  Binnenwasserwege 
bereits  bestehende  Verkehr  einen  bedeutenden  Aufschwung  nehmen  wird. 
Insbesondere  ist  eine  Steigerung  des  Holzverkehres,  auch  des  Verkehres  von 
Zucker,  Spiritus,  Petroleum  u.  s.  f.  zu  erwarten,  wovon  nicht  blofs  die  Industrie, 
bei  der  in  erster  Linie  an  die  Bromberger  Schneidemühlen  zu  denken  ist, 
sondern  mindestens  ebensosehr  auch  die  Landwirtschaft  Vorteil  haben  wird. 
Für  die  letztere,  die  in  diesem  Gebiete  auch  überwiegende  Bedeutung  vor 
der  Industrie  hat,  ist  die  geplante  Verbesserung  der  Wasserstrafse  aufserdem 
noch  insofern  von  grofsem  Werte,  als  bei  den  Neubauten  an  der  Scheitel- 
strecke des  Bromberger  Kanals  für  Entwässerung  der  anliegenden  Grundstücke 
und  bei  den  Bauten  an  der  Netzestrecke  zwischen  Küddow-  und  Drage- 
mündung für  die  Möglichkeit  umfangreicher  Bewässerung  der  anliegenden 
Wiesen  gesorgt  werden  soll. 

Unmittelbar  mit  der  geplanten  Verbesserung  des  letzten  Teilsttickes  des 
„Rhein- Weiehselkanals"  hängt  der  Plan  zusammen,  die  Schiffahrtsstrafsc 
der  Warthe  von  der  Mündung  der  Netze  bis  Posen  zu  verbessern.  Die 
Aufnahme  dieses  Projekts  in  die  Kanalvorlage,  das  der  Provinz  Posen  Anteil 
an  dem  vom  Ausbau  der  Wasserstrafsen  zu  erwartenden  Aufschwung  des 
Wirtschaftslebens  zu  geben  bezweckt,  ist  zweifellos  auch  durch  nationale  Er- 
wägungen veranlafst  worden.  Die  von  der  Verbesserung  des  Wasserweges 
bewirkte  Steigerung  des  Verkehres,  an  dem  hauptsächlich  landwirtschaftliche 
Erzeugnisse  (Zucker,  Getreide  und  Spiritus)  bezw.  Bedarfsgegenstände  teil- 
haben werden,  soll  die  Provinz  nicht  blofs  wirtschaftlich  stärken,  sondern 
auch  enger  an  die  übrige  Monarchie  anschliefsen.  Bisher  sind  die  Schifl- 
fahrtsverhältnisse  auf  der  Warthe  häufig  recht  ungünstig  gewesen,  obgleich 
schon  lange  an  der  Verbesserung  der  Wasserverhältnisse  gearbeitet  wird. 
Deshalb  ist  nunmehr  beabsichtigt,  mit  einem  Aufwand  von  2  231000  Mark 
eine  durchgreifende  Regulierung  vorzunehmen  durch  Baggerimg  der  das  Strom- 
bett durchsetzenden  Lettebänke  und  Steinhäger,  durch  Abflachung  der  weniger 
als  300  m  Radius  besitzenden  Krümmungen ,  durch  Schmälerung  einiger 
Strecken  des  Strombettes  und  durch  Umbau  einer  Anzahl  von  Brücken. 
Wenn  auch  wegen  der  geringen  Wassermengen,  die  der  Flufs  bei  Niedrig- 
wasser führt,  eine  gröfsere  durchgehende  Tiefe,  als  1  m  bei  mittlerem  Niedrig- 
wasser, sich  nicht  erreichen  läfst,  werden  dennoch  künftig  Schiffe  von  400  t 
Tragfähigkeit  ständig  von  Posen  an  auf  der  Warthe  verkehren  können,  wenn 
auch  zeitweise  mit  vermindertem  Tiefgange. 


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Die  wasserwirtschaftliche  Vorlage  in  TrenTscn. 


101 


Als  ein  weiterer  Seitenweg  des  „Rbein-Weichselkanals"  ist  die  Oder  in 
der  neuen  Vorlage  berücksichtigt  worden,  und  zwar  sowohl  der  südlich  davon 
liegende  Teil,  die  Oderstrecke  zwischen  Schlesien  und  dem  Oder- 
Spreekanal,  als  der  nördlich  davon  liegende  Teil,  die  untere  Oder. 

Die  Schlesier  fürchten  eine  Schädigung  hauptsächlich  ihrer  Kohlen-  und 
Eisenproduktion  durch  die  Konkurrenz,  die  ihnen  insbesondere  auf  dem 
Berliner  Markte  von  dem  rheinisch- westfälischen  Industriegebiet  infolge  des 
Rhein-Elbekanals  und  von  dem  Auslande  infolge  des  Berlin  -  Stettiner  Grofs- 
schiffahrtsweges  droht.  Deshalb  beabsichtigt  man,  die  Schiffbarkeit  der 
Oder  so  zu  verbessern,  dafs  die  Wassertiefe  von  der  Mündung  der  Glatzer 
Xeisse,  also  vom  unteren  Endpunkt  der  kanalisierten  oberen  Oder,  bis  zum 
Oder-Spreekanal  bei  Fürstenberg  auch  in  trockenen  Zeiten  nicht  unter  1,40  m 
hinabsinkt  und  Schüfe  von  400  t  Tragfähigkeit  mit  voller  oder  Dreiviertel- 
Ladung  verkehren  können.  Dieses  Ziel  hoflt  man  zu  erreichen:  1)  durch 
Anlage  von  Stauweihern  im  Quellgebiet  der  Oder  und  ihrer  Nebenflüsse, 
2)  durch  Ausgestaltung  der  vorhandenen  Regulierungsbauten ,  welche  die 
Mindestwassertiefe  der  Fahrstrafse  erhöhen  sollen,  und  3)  durch  Kanalisierung 
der  Stromstrecke  von  der  Neissemündung  bis  Breslau.  Da  aber  auf  ein  Ge- 
lingen des  Werkes  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  noch  nicht  mit  absoluter 
Sicherheit  gerechnet  werden  kann,  sollen  die  schon  früher  vorgenommenen 
Versuche  zunächst  noch  fortgesetzt  werden,  aber  in  umfangreicherer  Weise, 
als  bisher.  Es  ist  geplant,  mit  einem  Kostenaufwand  von  4  100  000  Mark 
an  zwei  besonders  ungünstigen  Strecken  des  Stromes  zwischen  Breslau  und 
Fürstenberg  von  je  etwa  10  km  Länge  eine  intensive  Regulierung  vorzunehmen 
und  im  Gebiet  der  oberen  Oder  ein  oder  mehrere  Staubecken  von  zusammen 
mindestens  9  Millionen  Kubikmeter  Fassungsraum  herzustellen.  Erst  nach 
Beendigung  dieser  Versuche,  von  denen  man  ein  günstiges  Ergebnis  erhofft, 
soll  ein  Gesamtplan  für  die  Verbesserung  der  Schiffahrt  auf  der  Oder  bis 
zum  Oder-Spreekanal  aufgestellt  werden. 

Während  die  bisher  besprochenen  Wasserstrafsenpläne,  sowohl  bezüglich 
des  Hauptstrangs  als  der  Seitenzweige,  in  erster  Linie  Verkehrsrücksichten 
im  Auge  haben,  wird  bei  den  nunmehr  zu  besprechenden  drei  Plänen  in 
erster  Linie  auf  die  Landesmelioration  Rücksicht  genommen.  Eine  scharfe 
Trennung  der  beiden  Arten  von  wasserbaulichen  Plänen  ist  ja  allerdings 
nicht  möglich;  eine  umsichtige  Wasserbautechnik  wird  auch  bei  Plänen,  die 
für  Förderung  der  Schiffahrt  gemacht  werden,  die  Interessen  der  Landes- 
kultur nicht  aufser  Acht  lassen,  wie  dies  auch  bei  den  Plänen  des  Rhein- 
Weser-Elbekanals,  des  Grofsschiffahrtsweges  Berlin-Stettin,  der  Wasserstrafse 
zwischen  Oder  und  Weichsel,  der  Schiffahrtsstrafse  der  Warthe  und  der  Oder 
bis  zum  Oder-Spreekanal  der  Fall  ist,  und  umgekehrt  wird  sie  bei  Aus- 
arbeitung von  wassertechnischen  Plänen,  welche  die  Melioration  des  an  einem 
schiffbaren  Flusse  liegenden  Geländes  bezwecken,  gleichzeitig  auch  den  Schifl- 
fahrtsverhältnissen  Rechnung  zu  tragen  suchen.  So  wird  auch  bei  den  Plänen 
betreffs  der  unteren  Oder,  der  unteren  Havel  und  der  Spree  das  Schiffahrts- 
interesse nicht  aufser  Acht  gelassen  werden,  wenn  auch  ihr  Hauptzweck  die 
Landesmelioration  ist. 


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192 


Wilhelm  Hochstetten 


Die  Arbeiten,  die  an  der  unteren  Oder  vorgenommen  werden  sollen, 
werden  nur  durch  die  Rücksicht  auf  die  Landeskultur  veranlafst.  Die  in 
Betracht  kommende  Strecke  der  Stromoder  wird  allerdings  einen  Teil  des 
Grofsschiffahrtsweges  zwischen  Berlin  und  Stettin  bilden;  allein  die  bisher 
vorhandenen  Verhältnisse  in  der  unteren  Oder  hätten  auch  künftig  den  er- 
höhten Anforderungen  der  Schiffahrt  genügt.  Dieser  Plan  bezweckt  vielmehr, 
die  Wiesenbesitzer  des  Oderbruchs  und  des  Thaies  der  unteren  Oder  von  den 
unzeitigen  Sommerüberschwemmungen  zu  befreien ,  welche  in  den  letzten 
Jahrzehnten  in  bedenklicher,  die  anliegenden  Wiesen  aufserordentlich  schädigen- 
den Weise1)  zugenommen  haben,  vor  allem  weil  wegen  des  geringen  Gefälles 
des  Stromunterlaufes*)  die  Flufssohle  und  damit  der  Wasserstand  sich  immer 
mehr  erhöhte  und  gleichzeitig  infolge  der  Veränderungen  im  Laufe  der  oberen 
Oder  und  ihrer  Nebenflüsse  und  der  dadurch  veranlafsten  rascheren  Zuführung 
der  Niederschlagsmengen  zum  Unterlauf  des  Stromes  die  Wassermassen  in 
diesem  Gebiet  vermehrt  wurden.  Die  Arbeiten,  welche  diese  Mifsstände  be- 
seitigen sollen,  werden  das  bisherige  Landschaftsbild  in  einer  Weise  verändern, 
wie  es  sonst  bei  keinem  der  neuen  Pläne  der  wasserwirtschaftlichen  Vorlage 
der  Fall  ist.  Es  ist  geplant,  die  teilweise  bereits  vorhandene  Zweiteilung 
des  Stromlaufes  von  Hohensaathen  bis  zum  üammschen  See  folgerichtig  aus- 
zubilden, so  dafs  künftig  das  Wasser  in  zwei  von  einander  getrennten  Strom- 
schläuchen dem  Meere  zugeführt  wird.  Der  am  Ostrande  des  Thaies  liegende 
Arm,  die  „Ostoder",  soll  als  Hauptstrora  ausgebildet  werden,  der  die  Wasser 
und  Sinkstoffe  aus  dem  Oberlauf  aufnimmt  und  als  eigentlicher  Schiffahrts- 
strom dient;  der  am  Westrandc  des  Thaies  fliefsende  andere  Arm,  die  „West- 
oder", soll  dagegen  hauptsächlich  dem  anliegenden  Gelände  als  Entwässerungs- 
kanal dienen.  Die  vorhandenen  Verbindungen  zwischen  West-  und  Ostoder 
sollen  sämtlich  abgeschlossen  werden.  Um  jedoch  den  Verkehr  zwischen 
beiden  Flufsarmen  aufrecht  zu  halten,  vor  allem  um  die  Städte  Schwedt  und 
Gartz  an  dem  durchgehenden  Verkehr  der  als  Schiffahrtestralse  dienenden 
Ostoder  teilnehmen  zu  lassen ,  sind  zwei  Querverbindungen  geplant ,  eine 
zwischen  Schwedt  und  Niedersaathen,  die  andere  zwischen  Greifenhagen  und 
Mescherin.  Nicht  ausgeschlossen  ist,  dafs,  wenn  besonders  dringende  Wünsche 
laut  werden,  auch  die  Westoder  von  Hohensaathen  bis  Stettin  als  zweite 
durchgehende  Schiffahrtsstrafse  ausgebaut  wird.  Zur  vollständigen  Durch- 
führung der  Landesmelioration  mufs  neben  dem  Ausbau  der  beiden  Strom- 
arme  auch  für  Anlage  von  Rückstandeichen,  Polder,  Kahn-  und  Entwässerungs- 
schleusen gesorgt  werden.  Der  Aufwand  von  46  100  000  ^,  welche  der 
innerhalb  15  Jahren  auszuführende  Bau  der  geplanten  Gesamtanlagen  er- 
fordert, wird  gerechtfertigt  durch  die  grofsen  wirtschaftlichen  Erfolge,  die  da- 
durch erzielt  werden:  die  Hochwassergefahren  werden  beseitigt  und  der  Oder- 
bruch entwässert:  ja  auch  auf  den  Oberlauf  des  Stromes  erstreckt  sich  die 

1)  Der  Schaden  wird  auf  jährlich  rund  1464  000  Mark  geschätzt. 

2)  Da«  Gefälle  beträgt  in  dem  an  Schwedt  vorüberffihrendon  Oderarme  auf 
der  76  km  langen  Strecke  von  Hohensaathen  bis  Stettin  im  Maximum  6,33,  im 
Minimum  etwa  1,14  m.  DaB  Gefalle  in  dem  an  Greifenhagen  vorüberführenden 
Arm  ist  etwas  stärker,  wenngleich  absolut  noch  immer  recht  gering. 


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Die  wasserwirtschaftliche  Vorlage  in  Preufsen. 


193 


günstige  Wirkung,  indem  die  Vorflutverbesserung  des  Unterlaufcs  die  Vor- 
nahme von  Meliorationen  im  Gelände  des  Oberlaufes  (/..  B.  im  Warthebruch) 
ermöglicht,  gegen  welche  bisher  wegen  der  schädlichen  Wirkung  auf  das 
Gebiet  des  Unterlaufes  Bedenken  vorlagen. 

Ein  weiterer  in  die  neue  Vorlage  hauptsächlich  im  Interesse  der  Landes- 
kultur aufgenommener  Plan  betrifft  die  Verbesserung  der  Vorflut-  und  Schiff- 
fahrtsverhältnisse in  der  unteren  Havel.  Schon  von  Spandau  an  leidet 
die  Havel  an  zu  geringem  Geiälle1),  so  dafs  das  anliegende,  weitausgedehnte 
Niederungsgebiet  unter  Hochwasser  sehr  zu  leiden  hat.  Die  Kalamität  wird 
noch  erhöht,  wenn  gleichzeitige  Hochwasserstände  in  der  Elbe  nicht  nur 
keinen  Abflufs  zulassen,  sondern  sogar  noch  Rückstau  bis  nach  Rathenow 
hinauf  bewirken.  Von  den  vielen  Entwürfen,  die  zur  Hebung  der  Mifs- 
stände  schon  gemacht  worden  sind,  ist  besonders  der  Plan  zu  nennen,  die 
Havelmündung  um  etwa  13  km  unterhalb  Quitzöbel  zu  verlegen;  er  mufste 
verworfen  werden,  vor  allem  weil  er  für  die  Elbeniederung  schwere  Nachteile 
gebracht  hätte.  Jetzt  ist  geplant,  mit  Benutzung  der  zahlreich  vorhandenen 
alten  Flufsarme  und  Schienken  besondere  Flutwege  herzustellen,  die,  am 
oberen  Ende  durch  bewegliche  Wehre  verschliefsbar,  offen  gehalten  werden 
sollen,  wenn  die  Havel  mehr  Wasser  hat,  als  sie  ohne  Ausuferung  der  Elbe 
zuführen  kann.  Zugleich  mit  diesen  zu  Gunsten  der  Landesmelioration  aus-  . 
zuführenden  Arbeiten  sollen  auch  noch  im  Interesse  der  Schiffahrt  auf  der 
Havel  Begradigungen  und  Durchstiche  des  Stromes  vorgenommen  und  sonst 
noch  Nebenanlagen  ausgeführt  werden.  Die  Gesamtkosten  des  Entwurfes, 
zu  dessen  Ausführung  die  Zeit  von  6  Jahren  angenommen  wird,  sind  auf 
11  225000  JC  veranschlagt. 

Der  letzte  der  Pläne,  der  sich  auf  den  Ausbau  der  Spree  bezieht,  be- 
zweckt die  Beseitigung  ähnlicher  Mifsstände,  wie  sie  das  vorher  besprochene 
Projekt  beheben  will.  Auch  die  Spreegegend  leidet  unter  zahlreichen  und 
lange  anhaltenden  Überschwemmungen  und  sonstigen  Hochwasserschäden;  be- 
sonders schlimm  sind  in  den  letzten  Jahren  die  Zustände  im  Spreewalde  ge- 
worden. Die  Schwierigkeiten,  welche  der  Beseitigung  dieser  Übelstände  ent- 
gegenstehen, werden  dadurch  noch  gesteigert,  dafs  eine  allzustarke  Wasser- 
entziehung den  Wiesenbesitzern  des  Spreewalds  ebenfalls  schweren  Schaden 
bringen  würde.  Der  Entwurf  sieht  nun  hauptsächlich  folgende  Mafsregeln 
vor:  Der  starken  Sandführung  der  kleinen  Spree,  des  schwarzen  und  des 
weifsen  Schöps  soll  Einhalt  geboten  werden,  im  Spreewald  sollen  die  Flufs- 
betten  verbreitert  und  vertieft  werden,  um  den  Abflufs  des  Hochwassers  zu 
erleichtern,  und  von  Leibsch  bis  zur  Dahme  soll  ein  Umflutkanal  gebaut 
werden,  durch  den  das  Hochwasser  dem  Unterlauf  der  Spree  zugeführt  wird. 
Für  die  schiffbare  Spreestrecke,  die  bei  Leibsch  beginnt,  ist  geplant:  Kürzung 
der  67  km  langen  Strecke  von  Leibsch  bis  zum  Wergensee  vermittels 
30  Durchstichen  (der  dadurch  ausgeschaltete  Schwielochsee  wird  durch  eine 

1)  Auf  der  31  km  langen  Strecke  von  der  Ausmündung  deB  Sakrow- Paretzer 
Kanals  unterhalb  Potsdam  bis  zur  Abzweigung  des  alten  Plauerkanals  beträgt  das 
Gefälle  bei  Mittelwasser  nur  1,67  m  und  auf  der  hieran  Bich  anschliefsenden,  101  km 
langen  untersten  Strecke  nur  4,61  m. 


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1D4   Hochstetten  Die  wasserwirtschaftliche  Vorlage  in  Preufsea 


Schleuse  wieder  angeschlossen),  wodurch  nicht  blofs  für  die  Schiffahrt  Vor- 
teile geschaffen,  sondern  auch  die  Hochwasserschäden  für  die  anliegenden  wie 
für  die  oberhalb  gelegenen  Grundstücke  beseitigt  werden;  ferner  Schaffung 
eines  Umflutkanals  von  der  Drahnendorfer  Spree  bei  Kersdorf  nach  der 
Fürstenwalder  Spree,  Beseitigung  von  einigen  Vorfluthindernissen  der  Müggel- 
spree  von  Grofse  Tränke  bis  zum  Dämeritzsee  und  endlich  Ausbau  des  be- 
stehenden Schiffahrtskanals  (Teil  des  Oder -Spreekanals)  von  Grofse  Tränke 
bis  Wernsdorf  als  Urnflutkanal.  Die  Gesatntkosten  für  das  Werk,  für  dessen 
Durchführung  8  Jahre  in  Aussicht  genommen  sind,  sind  auf  10  720  000  M 
veranschlagt;  die  Schäden,  welche  dadurch  abgewendet  werden  sollen,  sind  auf 
jahrlich  933  300  Jt  geschätzt  worden. 

In  der  neuen  wasserwirtschaftlichen  Vorlage  werden  also  in  weitgehender 
Weise  neben  den  Interessen  des  Verkehrs  auch  die  Interessen  der  Landes- 
kultur berücksichtigt.  Den  Hauptvorteil  wird  aber  von  der  Ausführung  des 
Gesamtplanes  natürlich  der  Verkehr  haben,  dessen  Hebung  jedoch  wieder 
zurückwirken  wird  nicht  nur  auf  die  Industrie  und  den  Handel,  sondern 
auch  auf  die  Landwirtschaft.  Die  Schaffung  eines  über  die  ganze  prenfsische 
Monarchie  sich  ausdehnenden,  zusammenhängenden  Wasserstrafsennetzes  wird 
eine  wesentliche  Verbilligung  der  Transportkosten  für  die  zum  Wasserverkehr 
geeigneten  Massengüter  zur  Folge  haben,  also  vor  allem  für  Kohle  und 
Eisen,  die  wichtigsten  Industrieerzeugnisse,  wie  auch  für  landwirtschaftliche 
Produktions-  und  Konsumtionsgegenstände,  besonders  für  Getreide  und  Holz. 
Von  aufserordentlicher  volkswirtschaftlicher  und  politischer  Bedeutung  wird  es 
sein,  dals  infolge  davon  der  industriereiche  Westen  der  Monarchie  und  der 
vorwiegend  Landwirtschaft  treibende  Osten  einander  wirtschaftlich  näher  ge- 
rückt und  zu  lebhafterem  Güteraustausch  veraulafst  werden.  Auch  zur  Be- 
lebung der  gewerblichen  und  landwirtschaftlichen  Thätigkeit  der  einzelnen 
kleineren,  von  den  Wasserstraßen  durchzogenen  Gebiete  wird  der  geplante  um- 
fassende Ausbau  der  Wasserwege  beitragen.  Aufserdem  mifst  die  Regierung 
den  neuen  Verkehrswegen  auch  strategische  Bedeutung  bei  und  erwartet  von 
ihnen  eine  Steigerung  der  Defensivkraft  des  Landes.  Als  eine  mittelbare 
Wirkung  der  durch  die  Wasserst rafsen  zu  schaffenden  Verkehrserleichterung 
wird  endlich  auch  eine  Entlastung  der  in  verkehrsreichen  Gebieten  beinahe 
überlasteten  Eisenbahnen  angesehen.  Im  Zusammenwirken  mit  dem  „bereits 
vorhandenen  und  weiter  auszubildenden  Netze  an  Voll-,  Neben-  und  Klein- 
bahnen, sowie  befestigten  Stral'sen"  wird  das  künftige  grofse  Wasserstrafsen- 
netz, wie  die  Denkschrift  sagt,  „in  hohem  Mafse  geeignet  sein,  den  wirk- 
samsten Hebel  für  die  Beförderung  und  Stützung  aller  Wirtschaftszweige 
sowie  der  Wehrkraft  des  Staates  zu  bilden". 


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Sieger:  Gcogr.  u.  statist.  Methode  im  wirtschaf  tsgcogr.  Unterricht.  195 

Geographische  und  statistische  Methode  im  wirtschaftsgeographischen 

Unterricht  *). 

Von  R.  Sieger. 

Auf  dem  Gebiete  des  Unterrichts  ist  es  nicht  selten,  dafs  gewisse  Er- 
fahrungen und  Grundsätze  Gemeingut  geworden  sind,  ehe  sie  noch  in  der  Litte- 
ratur  mit  der  wünschenswerten  Scharfe  ausgesprochen  wurden.  Erscheint  dann 
ein  Werk,  in  welchem  dies  unternommen  wird,  so  mischt  die  Freude  des 
Lesers  an  den  zutreffenden  und  auch  ihm  nicht  fremden  Beobachtungen  und 
Gedankengängen  des  Verfassers  sich  doch  mit  einem  gewissen  Gefühl  der 
Enttäuschung  darüber,  dafs  das  Werk  nichts  wesentlich  Neues  enthalte.  Man 
ist  leicht  geneigt,  das  Verdienst  des  Verfassers  zu  unterschätzen,  der  doch 
zuerst  aus  Einzelheiten  und  Bruchstücken  ein  Ganzes  bietet  und  dadurch 
die  werbende  Kraft  der  betreffenden  Ideen  steigert,  ihrer  praktischen  Durch- 
führung in  immer  weitereu  Kreisen  vorarbeitet.  In  dieser  Richtung  ist  das 
hauptsächliche  Verdienst  des  Vortrages  über  geographische  und  statistische 
Methode  zu  suchen,  den  Professor  Jean  Brunhes  auf  dem  vorjährigen  Pariser 
Kongrefs  für  Wirtschaftsgeographie  hielt.  Wie  schon  öfter  trat  Brunhes  als 
Vorkämpfer  ausländischer  wissenschaftlicher  Ergebnisse  und  Anschauungen 
unter  seinen  Landsleuten  auf  —  und  die  Diskussion  seines  Vortrages  ergab, 
dafs  die  von  ihm  vertretenen  Meinungen  nicht  so  ungeteilte  Zustimmung 
fanden,  wie  dies  wohl  im  Deiitschen  Reiche  oder  in  Österreich,  wo  durch 
Zehden's  Wirksamkeit  die  geographische  Methode  des  handelsgeographischen 
Unterrichts  tiefe  Wurzeln  geschlagen  hat,  der  Fall  gewesen  wäre2).  Nun- 
mehr liegt  uns  der  Vortrag  in  erweiterter  Form  im  Drucke  vor  und  die 
Erweiterung,  die  er  gefunden  hat,  bewegt  sich  insbesondere  in  jener  Richtung, 
welche  wohl  die  fruchtbarste,  der  Weiterbildung  und  Vertiefung  fähigste  Seite 
des  Problemes  darstellt.  Für  den  Fachgeographen  kann  es  sich  nämlich 
kaum  mehr  darum  handeln,  den  von  Ratzel8)  so  zutreffend  formulierten 
Gegensatz  der  statistischen  und  der  geographischen  Auffassung,  sowie  die 
Vorzüge  der  letzteren  weiter  zu  erläutern,  wie  dies  wohl  dem  kauf- 
männischen „Praktiker"  gegenüber  auch  bei  uns  noch  vielfach  notwendig 
ist.  Es  gilt  vielmehr  dem  Unterricht  und  überhaupt  der  Darstellung  die  Wege 
zu  weisen,  auf  denen  man  das  Tatsachenmaterial  der  Statistik  zu  einem 
geographischen  Bilde  verwerten,  in  manchen  Fällen  darf  man  wohl  sagen: 
ihm  geographische  Auskünfte  abzwingen  kann.  Die  Schwierigkeiten,  die 
sich  oft  diesem  Versuch  entgegenstellen,  rechtfertigen  wohl  die  Bezeichnung 


l)  Brunhes,  Jean,  Differences  psychologiques  et  pe'dagogiques  entre  la  con- 
ception  statistique  et  la  coneeption  geographique  de  la  geographie  economique. 
Representation!*  statistiques  et  representations  geographique*.  Etudes  geographi- 
que» I.  annee,  fascicule  4.  (Octobre  1900.)  Fribourg,  Institut  geographique  de  l'uni- 
versit«.  gr.  8°,  S.  45—108. 

S)  Vgl.  meinen  Bericht  über  den  Kongrefs  in  der  Zeitschrift  für  Schulgeo- 
graphie Märzheft  1901. 

8)  Insbes.  Anthropogeographie  L  2.  AuÖ.  S.  104  f.,  II,  147  ff. 


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196 


R  Bieger: 


gerade  dieser  Seit*  des  Problems  als  der  „wichtigsten  pädagogischen  Frage 
auf  dem  Gebiete  der  Wirtschaftsgeographie"1).  Die  folgenden  Anmerkungen 
sollen  daher  hauptsächlich  den  Äufserungen  des  Verfassers  gerade  hierüber 
gelten,  auch  wenn  dieselben  —  der  freien  Form  eines  Vortrags  entsprechend,  — 
nur  als  Andeutungen  und  gelegentliche  Anmerkungen  erscheinen. 

Demgemilfs  will  ich  auch  eine  wichtige  prinzipielle  Frage  nur  im  Vor- 
beigehen berühren,  über  die  ich  in  kurzer,  aphoristischer  Form  auf  dem  er- 
wähnten Pariser  Kongrefs  mich  geäufsert  habe  und  über  die  ich  bei  Gelegen- 
heit mich  ausführlicher  auszusprechen  gedenke,  jene  nach  den  Grenzen  der 
Wirtschaftsgeographie2).  In  Bezug  auf  die  wissenschaftliche  Entwicklung 
und  den  Hochschulunterricht  —  den  Brunhes  aus  seiner  Darstellung  grund- 
sätzlich ausgeschlossen  hat  —  scheint  es  mir  wohl  dringend  geboten,  darüber 
zu  wachen,  dafs  die  in  Rede  stehende  Disziplin  wirtschaftliche  Geo- 
graphie bleibe  und  nicht  zu  einer  —  an  sich  berechtigten  —  geographi- 
schen Abteilung  der  Wirtschaftslehre  sich  umgestalte.  Für  die 
mittleren  und  unteren  IJnterrichtsstufen  (und  in  gewissem  Mafse  auch  für 
die  Handelshochschule)  läfst  sich  aber  eine  solche  Grenze  nicht  ziehen,  da 
hier  die  Geographie  in  ähnlicher  Weise  der  Konzentration  des  Unterrichts  zu 
dienen  hat,  wie  etwa  auf  dem  Gymnasium.  Wie  dort  das  geschichtliche, 
politische  und  ethnographische,  mufs  hier  beim  kommerziellen  Unterricht  das 
handelskundliche,  haudelsgeschichtliche  und  warenkundliche,  ebenso  wie  das 
nationalökonomisebe  Element  im  geographischen  Unterricht  vielfach  seine 
Stelle  auch  dort  behaupten,  wo  es  mit  den  eigentlich  geographischen  That- 
sachen  nur  in  oberflächlichem  Zusammenhange  steht.  Insbesondere  ist  man 
neuerlich  darauf  aufmerksam  geworden,  dafs  die  Verknüpfung  warenkundlicher 
mit  geographischen  Thatsachen  dem  Lehrer  seine  Aufgabe  erleichtern  und 
das  Interesse  des  Schülers  steigern  kann.  Als  Beleg  hierfür  möchte  ich 
einerseits  die  neue  österreichische  Prüfungsordnung  für  das  Lehramt  an 
höheren  Handelsschulen  anführen,  welche  die  Vereinigung  dieser  beiden 
Fächer  in  der  Hand  eines  und  desselben  Lehrers  anstrebt  ,  und  andererseits 
auf  den  starken  warenkundlichen  Einschlag  im  wirtschaftsgeographischen 
Unterricht  hinweisen,  den  Brunhes  und  schon  der  eine  oder  andere  seiner 
französischen  Vorgänger  it.  B.  Marcel  Dubois)  befürworten.  Ebenso  tritt 
Brunhes,  wie  wir  noch  sehen  werden,  auch  für  die  Verknüpfung  ethno- 
graphischer und  sozialer  Thatsachen  mit  dem  handelsgeographischen  Unter- 
riebt ein3). 

Den  Hauptgegenstand  des  Vortrags  bildet  dagegen,  wie  der  Titel  besagt, 
die  Stellung  der  Statistik  in  dem  Unterrichte  der  Wirtschaftsgeographie.  In 
dieser,  wie  überhaupt  in  manchen  Zweigen  der  Anthropogeographie,  spielt 
die  Statistik  eine  ähnliche  Rolle,  wie  in  anderen  Zweigen  der  letzteren  die 


1)  Hrunhe*  S.  46. 

2)  Vgl.  das  obenerwähnto  Referat  in  d.  Zeitschr.  f.  Schulgeogr. 

3)  8.  49  ist  die  charakteristische  Bemerkung  zu  finden  „que  la  geographic 
economique  a  etc  jusqu'ici  une  tnaison  bien  hospitaliere,  et  que  ce  serait  fort 
dommage  de  fermer  —  ä  la  geographic  memo  —  une  porte,  qui  a  ete  si  largement 
ouverte!" 


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Geograph,  u.  Statist.  Methode  im  wirtschaftsgeograph.  Unterricht.  197 


Geschichte  und  wie  —  dies  hat  Cl aparede  auf  dem  Kongreß  glücklich 
hervorgehoben  —  in  der  physischen  Geographie  die  Geologie.  Sie  ist  hlofs 
Hilfswissenschaft,  deren  Resultate  noch  viel  mehr  in  geographischem 
Sinne  verarbeitet  werden  sollten,  als  dies  heute  „insbesondere  in  einigen 
Ländern"  geschieht.  Statistische  Daten  werden  noch  vielfach  als  nackte 
Daten  in  solchem  Ausmafs  vorgetragen,  dafs  sie  den  geographischen  Charakter 
des  Unterrichts  beeinträchtigen.  Um  dies  zu  zeigen  und  zugleich  um  die 
Grenzen  ihrer  Anwendung  zu  ziehen,  behandelt  Brunnes  in  den  drei  ersten 
Abschnitten  seiner  Abhandlung  die  drei  Hauptarten  von  Material,  das  uns 
die  Statistiker  liefern:  1.  absolute  und  relative  Zahlenwerte,  2.  Mittelwerte, 
3.  graphische  Veranschaulichungen.  Ziemlich  systematisch,  doch  bald  in 
knapper  Andeutung,  bald  in  ziemlicher  Weitschweifigkeit  und  etwas  un- 
geordneter Reihenfolge  erörtert  er  den  Umfang,  in  welchem  diese  verwertet 
und  die  Mittel,  durch  welche  ihre  Erlernung  erleichtert  werden  kann. 
Streng  genommen  haben  letztere  mit  der  geographischen  Methode  nichts  zu 
thun;  sie  kommen  aber  schliefslich  doch  dem  Unterricht  in  der  Geographie 
zugute,  insofern  sie  eine  geringere  Belastung  des  Gedächtnisses  mit  anders 
geartetem  Material  zur  Folge  haben.  Was  die  absoluten  Zahlen  betrifft1), 
so  mag  in  diesem  Sinne  ihre  thunlichst  sparsame  Verwendung  als  päda- 
gogische Hauptforderung  erscheinen.  Eine  zweite  Hauptforderung,  die  Brunhes 
ebenfalls  erhebt,  ist  die  Verbindung  dieser  wenigen  Zahlen  mit  Realitäten, 
in  unserem  Falle  mit  geographischen  Realitäten.  Er  empfiehlt  hierfür  einer- 
seits solche  Gegenstände,  mit  denen  der  Schüler  wenigstens  halbwegs  richtige 
Vorstellungen  verbindet  und  die  dann  als  Vergleichsmafsstäbe  dienen  können  — 
etwa  Areal  oder  Bevölkerung  des  Heimatlandes,  des  Heimatbezirks,  der  Heimat- 
stadt —  anderseits  solche,  deren  Anschauung  der  Schüler  durch  (von  Brunhes 
im  weitesten  Umfang  empfohlene)  Übungen  im  Messen  und  Schätzen 
erwirbt.  Es  bedarf  wohl  keiner  Hervorhebung,  wie  grofse  Vorsicht  bei  diesen 
Übungen  geboten  ist;  suchen  doch  erfahrungsgemäfs  ehrgeizige  Schüler,  wenn 
sie  beobachten  sollen,  gerne  den  Lehrer  durch  eingelernte  „sichere"  Kenntnisse 
zu  täuschen.  Was  Brunhes  sonst  in  diesem  Kapitel  hervorhebt,  sind  wesent- 
lich Hilfsmittel  zur  Erleichterung  des  Lernens,  z.  B.  verständige  Abrundung, 
Vermeidung  falscher  Exaktheit,  Wahl  der  richtigen  Einheiten8),  um  möglichst 
kurze  Ziffernreihen  zu  erlangen,  eine  Relation  zwischen  den  gröfseren  und 
kleineren  Einheiten,  etwa  jenen  für  Städte-  und  für  Staatenbevölkerungen, 
analog  der  Kommensurabilität  der  Mafsstäbe  in  Atlanten,  Hervorheben  der 
Zahlenordnung,  bez.  Größenklasse,  vor  der  Ziffer,  und  insbesondere  häufige 
Vergleichungeu.    Die  Anregung  zu  letzteren  soll  durch  Tabellchen  ge- 


1)  Abschnitt  I  S.  49-59. 

2)  Sehr  zutreffend  wird  bemerkt  ,  dafs  lange  Ziffernreihen  auch  dann  den 
Schüler  ermüden,  wenn  sie  zumeist  Nullen  enthalten;  daher  will  Brunhes  z.  B.  l»ei 
Tabellen  für  Areale  europäischer  Länder  als  Einheit  nicht  den  Quadratkilometer, 
sondern  da»  Tausend  von  Quadratkilometern  anwenden,  was  m.  K.  doch  auf  niederen 
Stufen  erheblich  erschwert  wird  durch  den  Mangel  eines  eigenen  Namens  für 
diese  Einheit,  etwa  so  wie  die  metrische  Meile  der  Skandinavier  ihn  für  das  Myria- 
meter  in  geschickter  Anlehnung  an  ein  älteres  Mafs  bietet. 


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198 


R.  Sieker: 


geben  werden,  die  dem  Lehrbuch  angehängt  siud,  aber  nicht  zum  Lernstoff 
gehören;  überhaupt  sind  Zahlen  nie  vereinzelt,  sondern  immer  vergleichend 
neben  anderen  vorzuführen. 

Wird  von  diesen  keineswegs  neuen  Forderungen  die  letztgenannte  be- 
sonders auch  durch  die  Krwägung  unterstützt,  dafs  ein  Handelsschüler  lernen 
mufs,  Tabelleu  zu  lesen  und  zu  benutzen,  so  scheint  mir  jene  der  Gröfseu- 
k lassen  vom  geographischen  Gesichtspunkt  aus  am  wichtigsten,  weil  sie 
zu  klaren  Raum-  und  Mengenvorstellungen  führt1).  Sie  ist  von  vielen  Lehrern 
in  der  Praxis  mehr  oder  weniger  bestimmt  durchgeführt  worden.  Hierbei  sollte 
man  indes  viel  entschiedener  als  Brunlies  betonen,  dafs  Gröfsenk  lassen 
nicht  immer  mit  Zahlenordnungen  zusammenfallen  müssen.  Als  Bei- 
spiel möchte  ich  die  Kategorieu  für  Flächeninhalte  vorführen,  die  ich  im  Unter- 
richte verschiedener  Stufen  erprobt  habe2):  1.  außereuropäische  Grofsstaaten 
und  Rufsland,  Millionen  von  km2  (Vergleichszahl:  Rufsland  5  Millionen), 
2.  europäische  Grofsstaaten  und  aufsereuropäisehe  Mittelstaaten,  mehrere 
Hunderttausend  von  km2  (genauer  3  —800000,  noch  genauer  287000 — 812000, 
Vergleichszahl  Deutschland  bzw.  Österreich-Ungarn),  3.  europäische  Mittelstaaten 
und  aufsereuropäisehe  Kleinstaaten,  wenige  Hunderttausend  von  km*  (genauer 
1—300  000,  noch  genauer  98  000—287  000,  Vergleichswert  Rumänien 
130000),  4.  europäische  Kleinstaaten,  gröfsere  Provinzen,  aufsereuropäisehe 
Zwergstaaten:  Zehntausende  von  km2  (Vergleichszahl  ein  österreichisches 
Krouland,  etwa  Niederösterreich  20  000;  uahe  der  oberen  Grenze  Bayern 
HO  000),  5.  europäische  Zwergstaaten  und  kleinere  Provinzen  (Vergleichs- 
wert Luxemburg  3000,  unterer  Grenzwert:  Monaco  22).  Um  die  Nachteile, 
die  sich  aus  der  Verschiedenheit,  der  üblichen  Kartenmafsstäbe  für  europäische 
und  aufsereuropäisehe  Gebiete  ergeben,  noch  nachdrücklicher  zu  bekämpfen, 
als  dies  durch  die  oben  versuchte  Nebeneinanderstellung  geschehen  ist,  kann 
man  dem  zu  lernenden  Vergleichswert  ein  aufsereuropäisches  Land  hinzufügen, 
das  ihm  fast  genau  entspricht,  also  z.  B.  „Österreich -Ungarn  ist  ungefähr 
gleich  grofs  mit  Siam".  Eine  Einteilung  der  österreichisch-ungarischen  Kron- 
länder nach  den  Volksdichtestufen:  über  100,  50—100,  unter  50  ergiebt 
natürliche  Gruppen.  Dagegen  Uelsen  sich  beim  Aufsenhandel  der  Staaten 
zwei  Gröfsenk lassen  durch  die  Milliarde  Mark  als  Grenzwert  ganz  gut  sondern. 

Den  Mittelwerten3)  gesteht  Brunhes  geographischen  Wert  nur  in  Bezug 
auf  die  allgemeinsten  Veranschaulichungen  zu,  während  sonst  die  „Mannig- 
faltigkeit der  Natur"  als  solche  vorgeführt  werden  soll.  Normalwerte,  Ex- 
treme, örtliche  und  zeitliche  Verteilung,  mit  einem  Wort  die  Darstellung  der 
thatsächlicheu  Verhältnisse  soll   die  Mittel   soweit  als  möglich  ersetzen. 


1)  Eh  ist  Brunhes  nicht  entgangen,  dafs  selbst  Höhergebildete  Kehler  in  Be- 
zug auf  die  Stelle  des  Dezimalpunkts  leichter  begehen,  als  solche  in  Bezug  auf  die 
einzelneu  Ziffern  und  sich  ihrer  Tragweite  oft  nicht  genügend  bewufst  sind. 

2)  Teilweise  die  gleichen  Gruppen  und  Vergleichszahlen  hat  eine  Notiz  von 
J.  Bachmayer  in  der  österreichischen  Handelsschulzeitung  Nr.  1,  Oktober  11)00 
S.  4  f.  im  Auge,  die  in  kürzester  Form  eine  Anzahl  der  auch  von  Brunhes  ver- 
tretenen Forderungen  ausspricht. 

3)  Abschnitt  II   8.  59-66. 


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Geograph,  u.  statist.  Methode  im  wirtschaftsgeograph.  Unterricht.  199 


Ganz  unzulässig  sind  sie  dort,  wo  sie  nur  scheinbar  Gleichartiges  zusammen- 
fassen, wo  die  Grenzwerte  zu  weit  von  einander  abliegen  und  wo  die  Einzel- 
werte allein  interessant  sind.  Auch  für  diese  wohl  allgemein  gebilligten 
Forderungen  kann  Brunhes  frühere  französische  Stimmen  anführen.  Wenn 
indes  darunter  Marcel  Dubois'  bekannte,  aber  noch  wenig  beherzigte  Aus- 
einandersetzung über  das  Verkehrswesen1)  erscheint,  so  ist  das  charakteristisch 
für  die  Oberflächlichkeit  und  Aufserlichkeit  mancher  Anknüpfungen  bei 
Brunhes.  Dubois  wehrt  sich  gegen  Schlüsse  auf  Verkehrs-  und  Kulturzustand 
der  Länder,  die  man  aus  der  Vergleichung  der  Dichte  ihres  Eisenbahnnetzes 
einseitig  zieht.  Erstens  kämen  daneben  die  Wasserstrafsen  und  andere  Ver- 
kehrsmittel wesentlich  mit  in  Betracht,  zweitens  sei  die  Bedeutung  eines 
Kilometers  Bahnlänge  sehr  verschieden  je  nach  der  Geleisezahl,  Fahr- 
geschwindigkeit, Kohlenbedarf  und  anderen,  zum  Teil  aus  der  Terrain- 
beschaffenheit hervorgehenden  Umständen.  Das  ist  durchaus  zutreffend.  Wer 
aber  das  eine,  speziell  geographische,  Moment  der  gegenseitigen  Entfernung 
der  Schienenwege  in  den  einzelnen  Ländern  übersichtlich  darstellen  will, 
wird  trotzdem  zu  irgend  einer  Art  von  Relation  zwischen  Areal  und  Bahnlänge 
■ — ,  sei  es  nun  auch  die  Maschendichte  oder  die  mittlere  Bahnferne  — ,  also  zu 
dem  verpönten  „Mittel*'  greifeu  müssen.  Und  es  bedarf  kaum  eines  Beweises, 
dafs  dieses  spezielle  Moment  mannigfaches  Interesse  auch  für  Siedlungs-,  Ver- 
kehrs- und  Wirtschaftsgeographie  bietet.  Ob  es  im  Unterricht  eine  Rolle 
spielen  wird,  ist  eher  fraglich;  aber  Dubois'  Bemerkungen  beziehen  sich 
in  erster  Linie  nicht  auf  den  Unterricht. 

Die  graphischen  Darstellungen  bespricht  Brunhes  ausführlich2) 
und  empfiehlt  sie  im  allgemeinen  warm,  namentlich  die  Kurven.  Ihre  Er- 
wähnung giebt  ihm  Gelegenheit,  auf  ein  Haupthindernis  der  Verwertung 
statistischer  Zahlen  im  Unterricht  zu  kommen,  das  in  den  voranstehenden 
Ausführungen  nur  gestreift  war:  ihre  Veränderlichkeit.  Diese  zeigt  uns 
die  Kurve,  wo  sie  anwendbar  ist,  auf  einen  Blick,  noch  mehr,  die  Kurve 
zeigt  uns  auch  die  Richtung  und  den  relativen  Betrag  der  Veränderung,  und 
ich  möchte  hervorheben,  dafs  sie  ein  Gegengewicht  bildet  gegen  die  durch 
Mittelzahlen  so  leicht  erzeugte  falsche  Vorstellung  der  Stabilität,  indem  sie 
bestimmte  Tendenzen  der  Zu-  oder  Abnahme  deutlich  unterscheiden  lehrt 
von  blofsen  Schwankungen  der  Zahlenwerte.  Einen  mehr  geographischen 
Charakter  strebt  das  Diagramm  dort  an,  wo  es  mit  der  Karte  in  Verbindung 
tritt  In  Bezug  auf  Kartogramme  und  geographische  Karten  steht  Brunhes 
durchaus  auf  dem  Standpunkte  RatzeTs.  Er  hebt  eine  gröfsere  Anzahl  von 
Bevölkerungs-,  Produktions-  und  Verkehrskarten  rein  geographischer  Art 
lobend  hervor3),  unter  welchen  uns  die  angeführten  französischen  Karten  am 
interessantesten  sind,  weil  aus  dieser  Zusammenstellung  ein  Überblick  der 

1)  Geographie  ecouomiquc  de  TEurope.  Introduction  p.  VIII  et  IX,  z.  T.  wieder- 
holt in  Dubois'  Vortrag  auf  dem  wirtschaftsgeogr.  Kongrefs  und  bei  Brunhes 
S.  62  f. 

2)  Abschnitt  HI  S.  C6-76. 

3)  S.  07  f.,  70  ff.,  Ann»  S.  76  ff.  Besonders  empfohlen  wird  Langhaus'  kleiner 
Handelsatla«. 


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200 


R.  Sieger: 


dortigen  Leistungen  zu  erlangen  ist.  Er  billigt  eine  Relation  zwischen  der 
Schrift  gröfse  und  dem  numerischen  Wert,  dem  der  Name  entspricht,  er 
billigt  die  Bezeichnung  der  Intensität  des  Verkehrs  durch  verschiedene  Dicke 
der  die  Verkehrswege  wiedergebenden  Linien.  Er  lehnt  dagegen  auf  das 
entschiedenste  solche  Kartogramme  ab,  die  einfach  statistische  Diagramme  in  das 
Kartenbild  einsetzen  und  dadurch  falsche  Lokalisierungen  bewirken.  So  wird 
z.  B.  bei  einer  solchen  Darstellung  der  Importraengen  einzelner  Artikel  aus 
den  verschiedenen  Ländern  leicht  der  Anschein  erregt,  als  ob  das  betreffende 
Produkt  gerade  jenem  bestimmten  Teil  des  Staatsgebietes  angehörte,  in  den 
sein  Diagramm  zufällig  eingezeichnet  wurde.  In  Bezug  auf  die  Darstellung 
von  Mittelwerten  durch  Kartogramme  empfiehlt  Brunhes  möglichst  natür- 
liche Einheiten  verschiedener  Ordnung  statt  der  administrativen,  und  be- 
tont, dafs  man  im  Laufe  des  Unterrichts  stufenweise  von  den  allgemeinsten 
zu  den  spezielleren  Kartogrammen  übergehen,  z.  B.  die  Volksdichtekarte 
Europas  nach  Ländern  jenen  der  einzelnen  Länder  auf  Grund  kleinerer  Ein- 
heiten voranschicken  solle.  Ganz  im  Sinne  Ratzel 's  betont  Brunhes  jedoch 
die  Vorteile  einer  Darstellung  wirklicher,  lokalisierter  Verhältnisse  vor  jener  der 
unwirklichen  und  räumlich  nicht  scharf  fixierten  „Mittel";  auch  er  sieht  daher 
die  wahre  Bevölkerungskarte  in  der  Siedlungskarte.  Deshalb  will  er  auch 
ausgewählte  Spezialkarten  im  Unterricht  vergleichend  verwendet  und  Siedlungs- 
karten (namentlich  solche  grofsen  Mafsstabes)  nebeneinandergestellt  sehen; 
etwa  so  wie  Ratzel  nach  Levasseur  französische  Typen  ungleichmäfsiger 
und  gleichmäfsiger  Siedlungsverteilung1)  oder  Vidal  de  la  Bl ach e  Kärtchen 
der  Hauptindustriegebiete  in  gleichem  Mafsstab*)  nebeneinanderhält. 

In  offenbarer  Anlehnung  an  jenen  Satz  Ratzel's  bezeichnet  ferner  eine 
gelegentliche  Bemerkung3)  als  die  wahren  geographischen  Gruudkarten 
(cartes  geographiques  fondamentales)  für  die  Geographie  der  Mineralproduktion 
die  geologischen,  für  jene  der  organischen  Produktion  die  klimatischen  und  für 
jene  der  industriellen  Produktion  die  Volksdichtekarten.  Das  will  besagen, 
dafs  sich  aus  diesen  Karten  und  Kartogrammen  durch  eine  Schlufskette  die 
Verteilung  jeuer  Produktionszweige  ableiten  läfst,  durch  eine  ähnliche  Schlufs- 
reihe,  wie  sie  die  Folgerung  aus  der  Siedlungskarte  auf  die  Verteilung  der 
Volksmengen  darstellt,  nur  etwas  weniger  einfach.  Diese  Schlufskette  wird 
aber  m.  E.  wesentlich  unterstützt,  wenn  ich  neben  die  kartographische  Dar- 
stellung der  verursachenden  Momente  auch  jene  der  aus  ihnen  abgeleiteten 
Phänomene  stelle,  die  logische  Operation  also  mit  der  Veranschaulichung 
verbinde.  Dadurch  werden  auch  die  Ausnahmsfälle  sofort,  deutlich,  in 
welchen  die  erwartete  Folgeerscheinung  nicht  eintritt,  und  es  ergiebt  sich 
sofort  die  Erörterung  der  Ursachen,  warum  sie  gerade  in  diesem  Falle  aus- 
blieb.   In  einem  anderen  Zusammenhang4)  erörtert  Brunhes  Beispiele  eines  ähu- 


1)  LevaHseur,  La  population  francaise  I,  4*26  f.;  Ratzel,  Anthropogeo- 
graphie  II,  428  f.  (Dep.  Arle«  und  Anas*.  Brunhes  erwähnt  dies  im  Abschnitt  über 
Mittelwerte  S.  Cl  Anm.,  und  wieder  S.  75. 

2)  Atlas  dMuqne  Blatt  93,  Brunhes  S.  76  Anm. 

3)  S.  73  Anm. 

4;  S,  84  ff.  (Baumwoll-  und  Steinkohleuproduktion.) 


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Geograph,  u.  Statist,  Methode  im  wirtscha fUgeograph.  Unterricht.  201 

liehen  Lehrgangs  nach  der  sokratischen  Methode.  Er  leitet  die  Verbreitung 
der  Baumwolle  von  den  physiologischen  Bedürfnissen  des  Baumwollstrauches 
ab.  Zunächst  führt  der  Lehrer  die  Regenverteilurlg  der  warmen  Zone  an  der 
Hand  von  Karten  vor,  lüfst  die  Länder  bezeichnen,  in  welchen  sie  die  Baum- 
wollkultur begünstigt,  und  erörtert,  inwieweit  die  Volksdichte  den  Anbau  er- 
möglicht und  inwieweit  die  faktische  Ausdehnung  der  Kultur  mit  der  kon- 
statierten möglichen  Entwicklung  derselben  Schritt  hält  oder  nicht.  Dann 
läfst  er  die  Gebiete  aufsuchen,  in  welchen  durch  künstliche  Bewässerung 
die  BaumwoUkultur  ermöglicht  wird.  In  ähnlicher  Weise,  wie  diese  zwei 
Kategorien  der  Produktionsländer,  werden  die  Länder  ermittelt,  in  welchen 
die  Verarbeitung  stattfindet,  und  dabei  die  neuerlich  sich  vollziehende  Rück- 
verschiebung  der  letzteren  in  die  Produktionsländer  des  Rohstoffs  erörtert. 
Dieser  Teil  des  Buches  gehört  zu  den  am  meisten  fesselnden.  Weniger  glück- 
lich ist  ein  zweites  Beispiel:  Brunhes  geht  für  die  Verbreitung  der  Kohle  zu- 
nächst von  dem  Altersunterschied  zwischen  Ketten-  und  Massengebirgen  und  von 
der  Entstehungsweise  der  Kohle  aus,  um  zu  zeigen,  dafs  die  letztere  nur  in 
alten  Ablagerungen  und  daher  vorwiegend  in  und  an  Massiven  vorkomme. 
Dadurch  wird  allerdings  eine  Anzahl  der  gröbsten  Irrtümer  ausgeschlossen, 
aber  der  Weg,  der  zu  einer  nur  sehr  allgemeinen  Vorstellung  von  der  Ver- 
breitung der  Kohle  führt,  ist  doch  wohl  zu  kompliziert.  Soll  ein  Bild  der 
wirklichen  Vorkommen  gewonnen  werden,  so  mufs  der  Schüler  ebensoviel 
Mühe  an  die  Erlernung  von  Ausnahmen  wenden,  als  er  andernfalls  für  die 
Erlernung  der  Hauptgebiete  der  Kohle  selbst  bedarf.  Immerhin  zeigen  diese 
Beispiele,  wie  die  vorerwähnte  aphoristische  Aufserung  zu  verstehen  ist,  die 
in  ihrer  Zuspitzung  leicht  falsch  aufgefafst  werden  kann.  Es  wäre  nämlich 
sehr  bedenklich,  neben  der  geologischen  oder  meteorologischen  „Gruudkarte'4 
die  Produktionskarte  selbst  zurückzustellen,  ebenso  wie  ich  im  Unterricht 
neben  der  Siedlungskarte  die  Volksdichtekarte  nicht  entbehren  möchte.  Neben 
dem  Wo  mufs  doch  auch  das  Wieviel  Ausdruck  finden.  Die  Übereinstimmung 
beider  Darstellungen  zeigt  dem  Schüler  erst  die  Art  und  den  Grad  jeuer  Ab- 
hängigkeit der  wirtschaftlichen  von  den  natürlichen  Verhältnissen,  die  ihm 
gelehrt  werden  soll. 

In  dieselbe  Kategorie  gehört,  was  Brunhes  in  einer  anderen  anmerkuugs- 
weisen  Bemerkung  zu  Gunsten  der  Verwertung  von  Bildern  vorbringt, 
welche  die  Rede  erläutern  sollen.  Er  verweist  auf  das  Beispiel  des  Unter- 
richts am  agronomischen  Institute  in  Paris,  wo  die  geologische  Karte,  Photo- 
graphien und  Handstücke1)  zur  Charakteristik  verschiedener  Gebiete  zusammen 
vorgeführt  werden  -  und  könnte  vielleicht  mit  noch  mehr  Recht  auf 
Velain's  Unterricht  der  physischen  Geographie  an  der  Sorbonne  hinweisen, 
wo  den  Hörern  das  frische  Gestein,  seine  besonders  charakteristischen  Varie- 
täten, seine  Verwitterungszustände  und  Verwitterungsprodukte,  endlich  Bild 
und  Karte  einiger  von   ihm  gebildeten  typischen  Landschaften  vorgeführt 


t)  Uli  weif«  nicht,  oh  „c'chantillons"  in  diesem  Beispiele  nicht  „Getreide- 
proben1- der  betr.  Gegend  bedeutet;  dann  wäre  der  hier  ausgesprochene  Wunsch 
»chon  teilweise  erfüllt. 

Geogrtpbiiche  Zeitschrift  7.  Jahrgang.  1901.  4  Heft.  14 


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202 


R.  Sieker: 


werden.  Warum  soll  nun,  meine  ich,  Bild  und  Muster  nicht  gerade  in  die 
Lücke  treten,  welche  zwischen  physischer  und  wirtschaftlicher  Geographie 
klafft?  Im  ohenangegehenen  Falle  braucht  man  nur  ein  Vegetationsbild 
und  eventuell  Warenmuster  von  Rohstoffen  beizufügen,  und  die  Brücke  ist 
geschlagen.  Eine  Karte  der  agrarischen  Produktion  des  Gebietes  würde 
dann  die  Erntestatistik  soweit  ersetzen  können,  dafs  man  sie  höchstens 
in  Form  eines  Diagramms  hinzuzufügen  brauchte.  Solche  Zusammenhange 
verfolgt  Brunnes  indes  ungern  bis  an  ihr  natürliches  Ende.  So  hat  er  ganz 
unterlassen,  zu  erörtern,  in  wie  weit  Bilder  auch  Gröfsen-  und  Mengen- 
verhältnisse veranschaulichen  und  dadurch  die  statistischen  Daten  ersetzen 
können.  Man  denke  an  Bilder  eines  Industriezentrums,  eines  Riescnetablisse- 
ments,  verschiedener  Typen  von  Verkehrsmitteln,  Strafsen  u.  dgl.  Mit  ihrer 
Hilfe  kann  so  manches  geographisch,  d.  i.  räumlich,  ausgedrückt  werden, 
was  uns  die  Zitier  nur  unvollkommen  veranschaulicht. 

Die  Kritik  der  statistischen  Hilfsmittel  schliefst  Brunhes  mit  einem 
besonderen  Hinweis  auf  die  Wichtigkeit  der  SiedJungskarten,  und  hebt  in 
einer  Anmerkung  insbesondere  auch  im  Sinne  Ratzels  die  Darstellung  der 
unbewohnten  Gebiete  als  wünschenswert  hervor1).  Dann  geht  er  im  vierten 
Abschnitt  zu  seinen  Vorschlägen  für  die  geographische  Gestaltung 
des  Unterrichts  über.  Vor  allem  solle  die  Mannigfaltigkeit  der  wirk- 
lichen Verhältnisse  dem  Schüler  immer  wieder  ins  Bewufstsein  gerufen 
werden,  auch  dadurch,  dafs  man  auf  besonders  auffallende  Beispiele  rapider 
Entwicklung  hinweist  und  dadurch  auch  für  langsame  Verschiebungen  Inter- 
esse weckt;  überhaupt  sei  es  gut,  durch  ungewohnte,  von  dem  gewöhnlich 
benutzten  Zusammenhang  abweichende  Gruppierungen  staunendes  Interesse 
zu  erregen,  wie  z.  B.  Haus  er  die  Betrachtung  der  deutschen  Kolonien  mit 
jener  der  deutschen  Auswanderung  verknüpft  oder  wie  Boysen  die  „Be- 
völkerungsdichten der  Meeresteile'*  mit  solchen  der  Festländer  vergleicht.  Ein 
zweites  Kennzeichen  der  „geographischen  Methode",  jedenfalls  ein  zuverlässiges, 

1)  Ein  Beispiel  für  ihre  wirtschaftsgeographische  Auswertung,  die  Brunhes 
besonder»  hervorhebt,  möchte  ich  als  irreführend  bezeichnen.  In  „La  Norvege" 
p.  8  ist  eine  Karte  der  Bevölkerungsverteilung  in  Skandinavien  gegeben  und  auf 
den  vorhergehenden  Seiten  benutzt  A.  M.  Hansen  die  Thatsache,  dafs  auf  der 
gröfsten  Strecke  die  Reichsgrenze  von  einer  ..Anökumene"  begleitet  ist,  zu  der 
Folgerung,  dafs  Schweden  und  Norwegen  anthropogeographisch  getrennte  Gebiete 
darstellen.  Diese  geht  zu  weit.  Die  unbewohnte  Zone  erklärt  wohl  manche  der 
Gegensätze  zwischen  Ost  und  West  und  z.  T.  auch  die  geringen  Handelsbeziehungen 
der  beiden  Länder,  die  weit  mehr  aus  der  Gleichartigkeit  ihrer  Produktion  und  dem 
Mangel  an  Absatz  ihrer  Massenprodukte  auf  der  Halbinsel  selbst  resultieren.  Man  darf 
aber  nicht  übersehen,  dafs  der  volkreichste  Teil  Norwegens  bei  Kristiania  auf  der 
schwedischen  Seite  dieser  Anökumene  liegt  und  dafs  die  zweitwichtigste  Volks- 
anhäufung des  Landes  bei  Drontheim  eine  Überbrückung  der  menschenleeren  Zone 
längs  eiuer  wichtigen  Verkehrslinie  aufweist,  der  in  kurzem  eine  ähnliche  bei 
tiellivare  folgen  wird.  Die  Anökumene  trennt  das  ^norwegische  Kolonistenland", 
als  welches  Finmarken  von  Reu  seh  mit  Recht  bezeichnet  wurde,  von  dem  schwe- 
dischen Kolouistenland  Norrland  —  nicht  mehr  und  nicht  weniger.  Der  Geograph 
wird  es  also  dem  Politiker  überlassen  müssen,  sie  so  stark  zu  betonen,  wie  dies 
mit  Rrunhes'  Zustimmung  geschieht.  Das  Heispiel  aber  mag  zeigen,  mit  wie  grofser 
Vorsicht  im  Unterricht  anthropogeographische  Folgerungen  gezogen  werden  müssen. 


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Geograph,  u.  statist.  Methode  im  wirtschaf  tsgeograph.  Unterricht.  203 


ist  auch  nach  Brunhes  die  Berücksichtigung  der  Rat /.ersehen  Forderung: 
„Die  Lage  im  Mittelpunkt  des  geographischen  Unterrichts!"1). 

Ein  dritter  Punkt,  der  besonders  ausfuhrlich  behandelt  wird,  bezieht 
sieh  auf  die  Wirtschaftsgeographie  speziell.  Es  ist  die  Forderung,  dafs  ihr 
Unterricht  sich  auf  der  physischen  Geographie  aufbauen  und  die  allgemein 
geographische  Methodik  befolgen  solle.  Ihre  Begründung,  so  wenig  um- 
stritten diese  Forderung  auch  ist,  giebt  doch  Gelegenheit  zu  einer  Erörte- 
rung der  Stellung  der  Wirtschaftsgeographie  im  geographischen  System. 
Eine  solche  versucht  auch  Brunhes.  Physische  und  politische  Geographie 
umfassen  zusammen  ,,1'activite,  dont  notre  terre  est  le  theätre".  Aber  sie 
sind  zwei  getrennte  Gebiete,  auf  denen  das  Studium  der  Erscheinungen 
grundverschieden  ist.  Aus  der  Vorherrschaft  des  Naturgesetzes  auf  dem  einen, 
des  menschlichen  Willens  auf  dem  anderen  Gebiete  leitet  Brunhes  die  richtige 
Folgerung  ab,  dafs  die  Naturbedingtheit  in  dem  einen  Falle  Notwendig- 
keit, in  dem  anderen  aber  nur  Möglichkeit  oder  höchstens  Wahrschein- 
lichkeit bedeute8).  In  der  Wirtschaftsgeographie  zeige  sich  aber  eine  Art 
Mittelstellung,  da  in  ihrem  Bereich  das  Walten  der  Natur  stärker  hervortrete, 
als  in  dem  der  reinen  politischen  Geographie.  Daher  müsse  der  Lehrer  auch  ihre 
Erscheinungen  enger  mit  den  von  der  Natur  gegebenen,  die  grofsen  Züge  be- 
stimmenden,   Bedingungen    verknüpfen.     Wie    dies   geschehen   soll,  zeigt. 


1)  Die  Art  de«  Überganges  zu  diesem  Punkt  verdient  eine  Anmerkung.  Die 
S.  196  Anm.  3  angeführte  Stelle  zeigt  uns,  dafs  Brunhes  sich  gegenüber  der  Frage, 
ob  alle  die  wirtschaftlichen  Fakten  überhaupt  zur  Geographie  gehören,  etwas  beengt 
fühlt,  obwohl  er  das  Levasseur'sche  Schema  der  drei  geographischen  Disziplinen  als 
giltig  voraussetzt.  So  ist  ihm  denn  S.  80  die  Auffassung  willkommen,  jene  Fakten 
seien  durch  ihre  Lage  und  den  Platz,  den  sie  einnehmen,  mit  der  Geographie 
verknüpft.  Zum  Teil  nimmt  er  diese  Verknüpfung  rein  äufserlieh:  „Wo  ihr  eine 
Fabrik  (usinc)  baut,  da  hindert  ihr  das  Gras  aufzuspriefsen,  wo  ihr  einen  Weg  an- 
legt, da  vermindert  ihr  die  Oberfläche  der  Felder  oder  Gärten!" 

2)  Die  vorgebrachten  Beispiele  für  die  Geringfügigkeit  des  Einflusses,  den 
Naturverhältnisse  auf  die  politische  Geographie  ausüben  ('Verschiebbarkeit  der 
„natürlichen"  Grenzen,  Lage  von  Paris,  zeigen  doch,  dafs  Brunhes  die  Gesetz- 
mäfsigkeit  in  der  Anthropogeographie  unterschätzt.  Schlüters  Ausführungen  über 
dieses  Thema  (diese  Zeitschrift  189Ü,  67  f.)i  haben  ihn  nicht  stark  beeinflufst,  und  er 
übersieht  vor  allem  ein  Moment,  das  sich  bei  dem  Studium  der  „natürlichen 
Grenze"  wie  der  Ortslagen  geradezu  aufdrängt:  dafs  nämlich  dieselben  natürlichen 
Bedingungen  verschiedene  Effekte  erzielen  müssen,  wenn  körperliche  Beschaffen- 
heit, Sinnesart.,  Kulturform  und  Kulturstufe  des  Menschen,  auf  den  sie  wirken, 
verschieden  sind.  Dafs  z.  B.  Flufsgrenzeti  bei  zunehmender  Kultur  zu  Gunsten 
besserer  Orenzlinien  verlassen  werden,  ist  seit  Ratzel  allgemein  als  Gesetz  an- 
erkannt, und  kaum  ein  Ergebnis  des  „freien  Willens"  allein.  Für  Ausiedlungen 
aber  ist  Bettner's  Vergleich  mit  Pflanzen,  die  u.  a.  „in  jeder  Entwicklungsperiode 
andere  Bedingungen  an  ihren  Staudort  stellen"  (vgl.  diese  Zeitschrift  I  361  ff.)  sehr 
zutreffend.  Wie  wir  bei  naturwissenschaftlichen  Erwägungen  nicht  nur  die  wirkende 
Kraft,  sondern  die  Beschaffenheit  der  Objekte  in  Erwägung  ziehen  müssen,  auf 
welche  sie  wirkt,  so  auch  bei  anthropogeographischen.  Geschähe  das  immer,  so 
würde  auch  auf  dem  Gebiete  der  eigentlichen  politischen  Geographie  manche 
scheinbare  Willkür  des  „geschichtlichen  Zufalls"  in  die  Reihe  der  gcsetzniärsiRen 
Erscheinungen  sich  einordnen  lassen.  Ich  komme  hierauf  nocji  in  anderem  Zu- 
sammenhange kurz  zurück. 

14* 


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204 


R.  Sieger: 


Brunhes  an  den  schon  oben  erwähnten  Beispielen  *).  Sie  erläutern  zugleich 
die  Forderung,  dafs  die  Methode  der  allgemeinen  Geographie  angewendet 
werde,  das  will  sagen,  dieselbe  vergleichend  genetische  Methode,  wie  in 
der  physischen  Geographie  —  eine  Forderung,  für  die  sich  Brunhes  auf 
Alois  Geistbeck8)  beruft.  Gegen  den  Einwand,  dafs  eine  derartige  Be- 
handlung des  Lehrstoffs  zu  zeitraubend  sei  —  in  der  That  ist  ja  Zeitmangel 
der  ärgste  Feind  jeder  vorgeschrittenen  methodischen  Behandlung  — ,  wendet 
Brunhes  mit  Recht  ein,  es  sei  wichtiger,  den  Schüler  auf  diese  Weise  die  Ver- 
breitung einer  Anzahl  von  wichtigen  Produkten  verstehen  zu  lehren,  als 
ihm  für  zahlreiche  Staaten  nur  eine  Aufzählung  der  Produkte  zu  bieten. 
Vor  allem  aber  kommt  es  ihm  auf  eines  an:  der  Schüler,  der  unter  Führung 
des  Lehrers  die  Thatsachen  selbst  zu  rinden  glaubt,  soll  auch  den  Eindruck 
dauernd  gewinnen,  dafs  der  Mensch  „sich  in  die  Naturbedingungen  schicken 
mufs,  wenn  er  die  Schätze  der  Natur  ausnutzen  will".  Nach  diesem  Ziele 
mufs  die  Wirtschaftsgeographie  ebenso  hinarbeiten,  wie  Wirtschafts-  und 
Handelsge  schichte. 

Auf  der  anderen  Seite  aber  verlangt  Brunhes  auch  eine  stärkere  Be- 
rücksichtigung des  menschlichen  Elements  in  der  Wirtschaftsgeographie. 
Nach  französischer  Gepflogenheit  rechnet  er  die  Bevölkerungsgeographie  ohnehin 
der  letzteren  zu.  Er  verlangt  aber  auch,  dafs  der  Mensch  als  Arbeitskraft 
betrachtet,  dafs  somit  die  allgemeinen  Arbeits-  und  Lohnverhältnisse  be- 
rücksichtigt werden,  die  von  der  Bevölkerungsverteilung  stark  beeinflufst  sind. 
Hat  doch  Augustin  Bernard  die  reichliche  Menge  arbeitskräftiger  Arme  für 
den  Hauptreichtum  eines  Landes  erklärt,  und  die  Bedeutung  der  kolonialen 
Arbeiterfrage  hat  auf  mehreren  Kongressen  dieses  Jahres  ihren  Ausdruck  ge- 
funden. Ebenso  wichtig  erseheint  Brunhes  die  Behandlung  der  verschiedenen 
Kultur-  und  Wirtschaftsformen,  deren  Studium  der  Neigung  des  Lernenden,  sich 
alle  Menschen  so  vorzustellen,  wie  sie  bei  ihm  zu  Hause  sind,  Abbruch  thun 
soll.  „Geographie  der  menschlichen  Arbeit"  genügt  also  nicht,  es  wird  auch 
„allgemeine  Geographie  der  Nahrung,  Kleidung  und  Wohnung"  verlangt. 
Mit  auderen  Worten  also  Ethnographie.  Weder  diese  Forderung  selbst, 
noch  die  Art,  wie  sie  vertreten  wird,  sind  neu.  Bei  uns  zu  Lande  ist  in 
manchen  Lehrplänen  eine  Berücksichtigung  ethnographischer  Verhältnisse  mit 
vorgeschrieben3)  und  Lehrbücher  für  kommerzielle  Mittelschulen  berücksichtigen 
auch  Arbeiter-  und  Lohnverhältnisse.  Brunhes  selbst  citiert  ausführlich  einen 
Aufsatz  von  P.  de  Rousiers4),  den  er  gutheifst.  In  diesem  geistreichen 
Artikel  wird  daraufhingewiesen,  dafs  man  in  Ländern,  die  durch  die  Kultur 
noch  wenig  umgestaltet  sind,  auch  die  sozialen  und  politischen  Verhältnisse 
aus  natürlichen  geographischen  Ursachen  herleiten  kann,  so  z.  B.  Lebens- 
weise, Staatswesen  und  geschichtliche  Rolle  der  Wüstennomaden;  in  einem 
komplizierten  Staatsgebilde  wie  Grofsbritanuien  kann  man  hingegen  uur  be- 



1)  Oben  S.  200  f. 

2;  Diese  Zeitschrift  1897,  S.  14  ff. 

3)  Z.  B.  in  dein  der  Kxport-Akademie  des  k.  k.  Handelsmusoums,  der,  nebenbei 
bemerkt,  vor  meiner  Berufung  an  diese  Lehranstalt  festgestellt  war. 

4)  La  .Science  XVII  (1*1*4;  p.  245-208,  Scottish geogr.  magaz.  X  (1884)  p.  82—80. 


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Geograph,  u.  itatist.  Methode  im  wirtschaftsgeograph.  Unterricht.  205 

günstigende  und  hemmende  Einflüsse  der  Natur  (geogr.  Lage  und  vieles 
andere)  als  mitwirkend  nachweisen.  Daher  würde  die  gnn/.e  wirtschaftliche 
Organisation  jener  niedrigeren,  oder  hesser:  einfacheren,  Stufe  zwar  der  Geo- 
graphie zugewiesen,  die  britische  Verfassung  aber  selbstverständlich  nicht. 
Hiernach  fiele  also  —  was  für  den  Unterricht  nicht  bestritten  werden  kann  — 
der  Geographie  alles  zu,  was  sich  aus  geographischen  Voraussetzungen  leicht 
ableiten  läfst.  Brunhes  selbst  betont  dagegen  mehr  eine  andere  Seite:  die 
wirtschaftliche  Bedeutung  jener  ethnographischen  Momente.  Handel  und 
Wandel,  Produktion  und  Verkehr  werden  von  Gewohnheiten  der  Völker  be- 
einflufst  —  sie  sind  z.  B.  schon  bei  Wein-  und  Biertrinkervölkern  ver- 
schieden. Diese  Begründung  mag  vom  wirtschaftlichen  Standpunkt  genügen; 
ein  grofser  Teil  jener  Beeinflussungen  bezieht  sich  jedoch  auf  Gegenstände 
der  HandeLskunde ,  die  nur  aus  praktischen  Gründen  mitunter  mit  dem 
Geographieunterricht  verbunden  wird.  Vom  geographischen  Standpunkt  aus 
möchte  ich  den  Sachverhalt  lieber  anders  formulieren:  Die  wirksamen  Kräfte 
der  Natur,  die  den  Menschen  beeinflussen,  wirken  auf  verschiedenartige 
Menschen  auch  verschieden.  Und  im  speziellen  wird  ihre  Benutzung  und 
Regelung  zum  Behufe  der  Produktion  und  des  Transports  verschieden  aus- 
fallen, je  nach  ethnographischen,  kulturellen  und  wirtschaftlichen  Verhältnissen 
der  Völker,  denen  diese  Aufgaben  zufallen.  Mit  anderen  Worten:  für  Wich- 
tigkeit und  Wert  des  Geschenks  kommt  neben  der  Geberin  auch  der  Be- 
schenkte in  Betracht,  der  es  nicht  blofs  zu  verwerten,  sondern  selbst  um- 
zugestalten vermag  je  nach  seinen  Kräften  und  Hilfsmitteln.  Deswegen  bedürfen 
anthropogeographische  Erwägungen  überhaupt1)  und  wirtschaftsgeographische 
im  besondern  einer  Rücksichtnahme  auf  alle  Arten  menschlicher  Verhältnisse; 
alle  Wissenschaften,  die  sich  mit  dem  Menschen  abgeben,  von  der  Anthro- 
pologie bis  zur  Soziologie,  können  und  müssen  ihnen  als  Hilfswissenschaften 
dienen,  aber  auch  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  denn  als  Hilfswissenschaften. 
■ — -  Dazu  tritt  endlich  das  praktische  Moment,  dafs  der  künftige  Kaufmann 
nur  in  der  Geographiestunde  die  erste  Bekanntschaft  der  „Nativcs"  machen 
kann,  mit  denen  er  später  Handel  treiben  soll,  und  ähnliche  sekundäre  Er- 
wägungen. 

Aus  all  diesen  Betrachtungen  würde  sich  mir  ergeben,  dafs  die  geo- 
graphische Methode  im  Unterrichte  der  Wirtschaftsgeographie  von  der 
statistischen  sich  unterscheide:  1.  durch  Vorführung  der  konkreten  Wirklichkeit 
an  Stelle  von  Abstraktionen  und  Mittelwerten,  2.  durch  besondre  Rücksicht- 
nahme auf  Raum  und  Lage,  3.  durch  Zugrundelegen  der  Daten,  welche  die 
physische  Geographie  liefert,  4.  durch  Verwertung  von  anthropogeogra- 
phischen  neben  den  demographischen  und  ethnographischen  Thatsachen,  5.  durch 
strengere  ursächliche  Verknüpfung  der  von  ihr  behandelten  Erscheinungen. 

Was  nun  aber  die  Verwendung  statistischen  Materials  in  diesem 
Unterrichte  anbelangt,  so  wären  wohl  aus  Brunhes'  Erörterungen  drei 
Hauptforderungen  abzuleiten:  1.  möglichste  Sparsamkeit  in  der  Anwendung 
statistischer  Daten,  2.  Auswahl  der  geographisch  wertvollsten  unter  ihnen, 

1)  Vgl.  oben  S.  203  Anm.  2. 


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206 


H.  Zondervan: 


3.  Veransehauliehung  derselben,  wo  es  möglich  ist,  mit  geographischen 
Mitteln.  Dafs  daneben  Kurve,  Diagramm  und  Mittelwert  nicht  ganz  ver- 
schwinden können,  ist  selbstverständlich.  Zutreffend  ist  aber  auch,  wenn 
Brunhes  neben  diesen  Veranschaulichungsmitteln  die  Vorführung  der 
Thatsachen  selbst  durch  Tabellen  fordert  (vgl.  oben  S.  197  f.).  Es  ist  kein 
Widerspruch  zu  seinen  Ausführungen,  wenn  er  sogar  für  die  höheren  und 
höchsten  Stufen  kommerziellen  Unterrichts  eine  Ergänzung  der  geographischen 
Unterweisung  durch  eine  solche  in  der  Statistik  empfiehlt.  Diese  soll 
die  jungen  Leute  in  den  Stand  versetzen,  statistische  Nachschlagewerke,  wie 
„Statcsmans  Yearbook"  zu  benützen,  und  daher  vor  allem  die  Methode  der 
Statistik  umfassen1).  Dadurch  soll  die  Fähigkeit  zur  kritischen  Be- 
handlung der  genannten  Werke  und  zur  raschen  Übertragung  der  Tabellen 
in  Graphika  erlangt  werden. 

Es  ist  kein  wesentliches  Plus  gegenüber  dieser  Forderung  von  Brunhes, 
wenn  man  sagt:  Die  jungen  Leute  sollen  die  Benutzung  statistischer  Quellen- 
werke  praktisch  lernen,  deren  Wirtschaftslehre  und  Geographie  in  gleichem 
Mafse  bedürfen.  Doch  ist  das  eine  Aufgabe,  deren  Lösung  der  Hochschule 
vorbehalten  ist.  Auch  an  der  Handelshochschule  soll  indes  die  Statistik 
die  geographische  Methode  nicht  beeinträchtigen.  Im  Gegenteile  durch  die 
Ausscheidung  aller  der  Nachbardisziplinen,  deren  sich  die  Geographie  auf 
niederen  Stufen  anzunehmen  hat,  wird  erst  ihre  Durchführung  in  besonderer 
Reinheit  ermöglicht.  Insofern  aber  auf  dieser  höchsten  Stufe  selbständige 
Arbeit  des  Schülers  eine  gröfsere  Rolle  spielen  kann2),  indem  ihm  einerseits 
Kalkulieren  auf  Grund  geographischer  und  nicht  geographischer  Momente, 
andererseits  die  selbständige  Beurteilung  der  geographischen  Verhältnisse  auf 
Grund  von  Originalquellen  zugemutet  werden  raufs,  erscheint  es  um  so  not- 
wendiger, ihn  die  Behandlung  der  Quellen  zu  lehren,  unter  denen  die 
statistischen  nicht  zu  übersehen  sind. 

Wien,  Ende  Januar  1001. 


Die  niederländisch-westindischen  Inseln. 

Von  H.  Zondervan. 
(Schlufs.) 
St.  EustatiuH. 

Die  Insel  wurde  wahrscheinlich  von  Columbus  auf  seiner  zweiten  Reise, 
1493,  entdeckt  ;  denn  obwohl  sie  nicht  ausdrücklich  von  ihm  erwähnt  wird, 
so  unterliegt  es  doch  keinem  Zweifel,  dafs  er  sie  gleichzeitig  mit  St.  Christoffel 
zu  Gesicht  bekam.  In  dem  ersten  Jahrhundert  nach  der  Entdeckung  wird 
St.  Eustatius  nicht  erwähnt,  wohl  weil  sie  unfruchtbar,  unbewohnt  und  ohne 

1)  S.  96  f.  „Moins  de  chiffres,  et  plus  de  methode!"  Ich  bemerke,  dafs 
solche  statistische  Vorlesungen  an  der  Wiener  Export-Akademie  bestehen. 

2)  Vgl.  meinen  S.  11(6  angezogenen  Vortrag  (diese  Zeitschrift  S.  160). 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln, 


207 


trinkbares  Wasser  war.  Die  Cariben  haiton  hier  wahrscheinlich  keine  festen 
Niederlassungen,  sondern  besuchten  die  Insel  nur  dann  und  wann.  Saba 
hingegen,  und  ebenso  St.  Martin  scheinen  eine  feste,  wenn  auch  wenig  zahl- 
reiche caribische  Bevölkerung  besessen  zu  haben.  Es  wurden  wenigstens  auf 
Saba  in  mehr  als  600  m  Höhe  caribische  Pfeil-  und  Lanzenspitzen  gefun- 
den1). Haid  wurden  die  Inseln  von  den  Spaniern,  welche  sich  auf  San 
Domingo  niedergelassen  hatten,  besucht,  und  die  Eingeborenen  als  Sklaven 
für  die  Grubenarbeit  weggeführt;  von  St.  Martin  heifst  es  nämlich  in  einer 
Heisebeschreibung  ans  dem  Jahre  1630,  dafs  sie  unbewohnt  sei*).  Es  gelang 
den  Spaniern  längere  Zeit  hindurch  alle  übrigen  Natiouen  von  den  Inseln 
über  dem  Winde  fern  zu  halten.  Zwar  unternahmen  Niederländer,  Franzosen 
und  Engländer  einige  Reisen  in  das  caribische  Meer,  gründeten  dort  aber 
vorläufig  keine  Kolonien.  Der  erste  Versuch  dazu  geschah  etwa  1625  durch 
Engländer  und  Franzosen  auf  St.  Martin  und  St.  Eustatius,  bald  aber  wurden 
die  Inseln  wegen  Wassermangels  wieder  verlassen.  Ein  zweiter  Versuch  auf 
St.  Martin  schlug  ebenfalls  fehl.  Nicht  lange  nachher  liefsen  sich  Nieder- 
länder auf  St.  Eustatius  und  Saba  nieder  und  ergriffen  später  auch  von 
St.  Martin  Besitz,  sie  wurden  jedoch  16119  von  neuem  von  letztgenannter 
Insel  durch  die  Spanier  vertrieben.  Weil  die  Insel  aber  keinen  Gewinn  lie- 
ferte, zogen  die  Spanier  1640  fort. 

Seit  1632  bildete  St.  Eustatius  ein  Besitztum  der  niederländisch- west- 
indischen Compagnie  und  durch  ihre  günstige  Lage,  im  Verein  mit  der  hier, 
im  Gegensatz  zu  den  Nachbarinseln,  herrschenden  Handelsfreiheit,  wurde  die 
Insel  allmählich  der  Marktplatz  Westindiens,  trotz  der  ungünstigen,  bei  hef- 
tigem Südwestwinde  sogar  gefährlichen  Rhede.  In  den  Kriegen  zwischen  den 
Niederlanden,  England  und  Frankreich  wurde  St.  Eustatius  mehrmals  hart 
mitgenommen  und  von  1665  an  bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  wieder- 
holt erobert  und  wieder  zurückgewonnen,  bis  sie  1816  endgiltig  an  die 
Niederlande  zurückkam.  Dennoch  wuchs  ihre  Bedeutung  als  Handelsemporium 
im  18.  Jahrhundert  und  damit  die  Zahl  und  die  Wohlfahrt  der  Bewohner 
fortwährend,  so  dafs  die  Einwohnerzahl,  welche  1665  nur  1600  Seelen  betrug, 
1780  auf  25000  gestiegen  war8).  Der  Name  „Golden  Rock'4,  womit  die 
Insel  in  ihrer  Blütezeit  bezeichnet  wurde,  war  richtig  angebracht,  denn  wäh- 
rend die  zahlreichen  Zucker-,  Indigo-,  Tabak-  und  Kaffeeplantagen  5000  Neger- 
sklaven beschäftigten,  war  die  Bedeutung  des  Handels  noch  viel  gröfser. 
St.  Eustatius  wurde  von  Schiffen  aller  Nationen  besucht,  so  dafs  oft  600  bis 
700  Fahrzeuge  vor  Anker  lagen.    An  der  Bai  der  einzigen  Stadt  (heutzu- 

1)  Historische  schets  vin  de  Nederlandsche  Bovenwindsche  Antillen  tot  op  bei 
eiride  der  l~e  eeuw,  door  J.  H.  J.  Hamelberg.  Tweede  jaarlijksch  verslag  van  het 
Oesehied-,  Taal-,  Land-en  Volkenkundig  genootschup,  gevestigd  te  Willemstad 
(Curavao).  1898,  S.  107. 

2)  „Daer  en  is  geen  volck  op",  sagt  Joannes  de  baet  in  seiner  Beschrij- 
vinghe  van  West-Indien,  2.  Aufl.,  8.  38. 

3)  Obwohl  diese  Zahl  allgemein  von  älteren  und  neueren  Schriftstellern  an- 
gegeben wird,  behauptet  A.  R.  Blommendal  in  der  Tijdschrift  v.  h.  Aardr.  Gen., 
Bd.  I  (187G),  S.  62,  dafs  die  Einwohnerzahl  niemals  10000  überstiegen  habe. 


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208 


H.  Zondervan: 


tage  nur  ein  Dorf)  zog  sich  eine  doppelte  Reihe  Packhäuser  hin,  welche  aber 
manchmal  nicht  genügten,  die  Menge  der  eingeführten  Waren  unterzubringen 
Im  Jahre  1779  lieferte  die  Insel  der  Westindischen  Compagnie  einen  Rein- 
gewinn von  etwa  70000  Mark,  und  noch  1789  betrug  die  Ausfuhr  allein 
in  niederländischen  Schiffen  und  nach  den  Niederlanden:  6  440700  kg 
Zucker,  576  955  kg  Tabak,  19060  kg  Kaffee,  45  520  kg  Cacao,  750  kg 
Tndigo,  8650  kg  Baumwolle,  2970  kg  Pfeffer  und  112  500  kg  Schildkröten, 
nebst  1165  kg  Häute,  611  Stücken  gelbes  Holz  und  81  Fässern  Rum*). 
Gegen  1780  erreichte  diese  Blüte  ihren  Höhepunkt,  hauptsächlich  infolge  des 
Schmuggelhandels  mit  den  amerikanischen  Kolonien,  während  deren  Be- 
freiungskriegs gegen  England.  Da  traf  die  Insel  der  erste  schwere  Schlag: 
die  Eroberung  durch  den  englischen  Admiral  Rodney  (1781),  wobei  sie 
grausam  verwüstet  und  ausgeplündert  wurde,  so  dafs  die  Beute  mehr  als 
50  Mill.  Mark  betrug.  Als  die  Franzosen  sie  in  demselben  Jahre  zurück- 
eroberten, fanden  sie  nur  leere  Packhäuser,  verwüstete  Plantagen  und  eine 
total  verarmte  Bevölkerung.  Nach  dem  Friedensschlufs  zwischen  England 
und  den  Niederlanden  (1784)  blühte  St.  Eustatius  wieder  auf,  bis  sie  ein 
zweiter  schwerer  Schlag  traf  durch  das  Übereinkommen  der  niederländischen 
und  französischen  Republiken  des  Jahres  1795.  Hierbei  wurde  bestimmt, 
dafs  St,  Eustatius  monatlich  30000  Gulden  aufbringen  sollte,  welche  ungeheure 
Summe  bald  herabgesetzt  werden  mufste,  1801  sogar  auf  1000  Gulden;  und 
dieser  Betrag  konnte  nicht  einmal  zusammengebracht  werden.  Zu  Tausenden 
wanderten  die  Bewohner  aus,  und  als  die  Insel  1801  von  den  Engländern 
erobert  wurde,  zählte  sie  kaum  noch  2500  Einwohner.  Die  nächstfolgenden 
politischen  Wirren  und  Kriegsereignisse  in  der  Zeit  Napoleon's  verhinderten 
einen  neuen  Aufschwung,  nachher  machte  sich  noch  die  Einschränkung  des 
Handels  mit  den  Vereinigten  Staaten  Nord- Amerikas  und  die  Verdrängung 
der  Segelschiffe  durch  die  Dampfer  geltend,  wodurch  der  Zwischenhandel  in 
Verfall  geriet,  und  damit  schwand  der  Grofshandel  auf  immer.  Die  Be- 
völkerung mufste  von  da  an  den  Ertrag  ihres  Bodens  als  Haupteinnahme- 
quelle  betrachten  und  erzielte  damit  noch  Jahre  lang  einen  gewissen  Wohl- 
stand, wenn  auch  nicht  in  solchem  Mafse,  wie  vordem.  Vor  allem  die 
Zuckerkultur  brachte  grofsen  Gewinn  ein  und  gab  vielen  Händen  Arbeit. 
Bald  aber  machte  sich  die  Konkurrenz  des  Rübenzuckers  in  Europa  geltend 
und  verursachte  eine  immer  mehr  zunehmende  Armut.  1843  betrug  die 
Ausfuhr  noch  250000  kg  Zucker,  200  Fasser  Rum  und  Melasse,  350000  kg 
Jams  und  300  Fässer  Bataten.  Die  Zunahme  der  Armut  und  die  Abnahme 
der  Einwohnerzahl  hielten  gleichen  Schritt,  und  wie  Bisschop  Grevelink 
sagt3),   gab   es  1845  auf  „dieser  unglücklichen,  allerorten  mit  Ruinen  be- 


ll Ausführlicheres  hierüber  bei  Hayna],  Beschrijving  der  Beide  Indien,  Bd  IV, 
S.  341»  ff,  ('.  de. long,  Reize  naar  de  Caril»is«he  Kilanden  in  de  jaren  1780  en 
1781,  Haarlem,  1807,  S.  106  ff.  und  M.  D.  Teenatra,  Beknopte  Beschrijving,  1.  c. 
Bd.  II,  S.  274. 

8)  V ragen  van  den  Dag,  1894.  De  beteekenia  van  St.  Eustatius  als  Neder- 
landsrhe  Bezitting,  door  J.  H.  J.  Hamelberg,  S.  480. 

3)  Bijdragen  tot  de  kennis  der  Nederlandsche  en  vreemde  kolonien,  1847,  8.35. 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln.  209 

g 

deckten  Insel  kaum  /.wanzig  Wohnungen  in  gutem  Zustande,  die  Zahl  der 
Familien  war  auf  hundert  herabgegangen,  und  weitaus  die  meisten  derselben 
waren  überdies  verarmt,  erschöpft  und  mutlos"1).  Den  Todestols  erhielt 
die  Insel  endlich  durch  die  Freierklärung  der  Sklaven,  von  denen  viele  fort- 
zogen, so  dafs  noch  manche  Plantage  brach  zu  liegen  kam.  So  heifst  es 
denn  auch  bei  Molengraaff:  „Der  Stempel  rettungslosen  Verfalls  ist  durch  die 
Freierkliining  der  Sklaven  unabwendbar  auf  diese  Gegend  gedrückt" 

St.  Eustitius  zeigt  eine  längliche,  birnförmige  Gestalt,  wobei  die  Längen- 
/  achse  NW — SO  gerichtet  ist.     Dieselbe  mifst  7,8  km,  die  Breite  wechselt 

zwischen  2,6  xind  3,7  km,  der  Flächeninhalt  beträgt  20,7  qkm.  Die  Ein- 
wohnerzahl betrug  am  1.  Januar  1899  1432  Seelen.  Der  einzige  Ort  ist  das 
Dorf  Oranje  mit  dem  kleinen  verfallenen  Fort  Hollandia  an  der  Südwestseite 
der  Insel.  Der  Ort  besteht  aus  zwei  Teilen:  der  Unterstadt,  auf  einer  schmalen 
Sandbarre  am  Fufse  eines  35  m  hohen,  steilen  Felsens  erbaut,  und  der  Ober- 
stadt, oben  auf  demselben.  Drei  steile  Wege  verbinden  beide  Teile.  Die 
Unterstadt  enthält  etwa  30  armselige  Wohnungen,  traurige  Reste  früherer 
Gröfse,  an  welche  die  Ruinen  und  Mauern  der  ehemaligen  riesigen  Packhäuser 
noch  erinnern.  Die  Oberstadt  zählt  110  Häuser,  meist  alle  von  Holz  und 
unansehnlich,  zumal  sie  wegen  der  Stürme  keine  Stockwerke  tragen.  Sie 
liegen  in  kurzer  Entfernung  von  einander  an  den  geraden  Wegen  und  haben 
teilweise  kleine  Gärten,  obwohl  das  Regenwasser  in  Cisternen  aufbewahrt 
werden  raufs,  da  die  Insel  keine  Quellen  besitzt.  Die  Häuser  sehen  hier  im 
allgemeinen  besser  aus,  sind  angestrichen  und  besser  unterhalten  als  in  der 
Unterstadt3).  Infolge  des  Abbröckeins  des  Tuffgesteins  ist  die  Oberstadt  und 
insbesondere  die  Wohnung  des  niederländischen  Verwalters  in  stets  zuneh- 
mendem Mafse  der  Gefahr  des  Absturzes  ausgesetzt.  Die  evangelische  Kirche 
mit  einem  70  Fufs  hohen  Turm  steht  schon  seit  den  zwanziger  Jahren  leer. 
In  der  Methodistenkirche  predigt  ein  englischer  Missionar;  auch  ein  römisch- 
katholischer  Pfarrer  wohnt  in  Oranje.  Die  Rhede  ist  gegen  Ostwinde  ge- 
schützt, hingegen  bei  Südwestwinden  gefährlich. 

Die  Küsten  der  Insel  sind  teilweise  Steilküsten,  teilweise  Strandküsten 
mit  steilem  Landsaum.  Erstere  ist  fast  überall  unnahbar  und  unwegbar  und 
zeigt  hier  und  da  Höhlenbildung.  Von  den  Baien  müssen  vor  allem  die 
Venusbai,  die  Coneordiabai  und  die  Turtlebai  hervorgehoben  werden. 

Was  die  Bodengestaltung  betrifft,  so  wird  das  Relief  der  Insel  voll- 
ständig beherrscht  von  zwei  Gebirgsgruppen,  die  durch  eine  breite  Ebene  von 
einander  getrennt  sind.  Die  eine,  im  südlichen  Teile  gelegen,  besteht  der 
Hauptsache  nach  aus  einem  einzigen,  sehr  regelmäfsigen  Berg  in  Gestalt 
eines  abgestumpften  Kegels,  wegen  seiner  Gestalt  meistens  als  der  Punchbowl 
bezeichnet;  ein  anderer  Name  für  ihn  ist  der  Quill.  Es  ist  ein  erloschener 
Vulkan,  dessen  höchste  Spitze  581  m  mifst  und  ein  300  m  tiefes,  an  allen 

I  i  Nach  Teenstra,  1.  c.  betrugen  1846  die  Kinnahmen  der  Insel  10900  (Wilden, 
die  Ausgaben  hingegen  22805  (Wilden. 

2)  De  geologie  van  het  eiland  St.  Eustatius  von  <!.  A.  F.  Molengraaff. 
Inaugural-Dissertation,  Leiden  1886,  8.  8. 

3)  G.  B.  Bosch,  Reizen  in  West-Indiö,  Bd.  I,  Utrecht  1829,  S.  36. 


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210  H.  Zondervan: 

« 

Seiten  von  sehr  schroffen  Felsenwänden  eingeschlossenes,  fast  kreisrundes 
Kesselthal  trägt,  7ö()  m  im  Durchschnitt.  An  der  Aufsenseite  sind  die  Berg- 
abhänge anfangs  ehenfalls  sehr  steil,  worden  aber  nach  unten  zu  allmählich 
sanfter  und  gehen  entweder,  wie  in  NW- Richtung,  unmerkbar  in  die  Ebene 
über,  oder  enden  schroff  an  der  Meeresküste.  Die  zweite  Gebirgsgruppe 
nimmt  den  NW- Teil  der  Insel  ein,  enthält  zahlreiche  Hügel  und  kulminiert 
mit  295  m  in  dem  Boven  oder  North  Hill.  Niedriger  sind  der  Signalhill 
(226  m)  und  der  Gilboohill  (174  m).  Die  Gipfel  bilden  hier  keine  scharfen 
Spitzen,  sondern  lange,  abgerundete  Gebirgskämme,  während  die  Abhänge, 
besonders  nach  der  Küste  zu,  durchaus  sehr  steil,  oft  sogar  unnahbar  sind. 
Allein  die  Ebene  zwischen  den  beiden  Gruppen  verdient  besonders  hervor- 
gehoben zu  werden.  Nur  ihr  nördlicher  Teil  ist  eben  oder  schwach  gewellt, 
wahrend  der  südliche  die  Fortsetzung  des  Abhangs  des  Punchbowls  darstellt. 

St.  Eustatius  ist  ganz  aus  Gesteinen  einer  und  derselben  geologischen 
Periode  aufgebaut,  welche  dennoch  zwei  scharf  begrenzte  Abteilungen  dar- 
stellen: das  nördliche  Hügelland  und  der  Punchbowl  mit  seinen  Eruptiv- 
gesteinen. Das  Hügelland  ist  aus  den  Resten  alter  Vulkane  zusammengesetzt 
und  teilweise  mit  dicken  Lavaschichten  bedeckt,  welche  vom  Boven  in  N-  und 
O-Richtung  ausgegangen  sind  und  an  der  Meeresküste  von  den  Wellen  zer- 
trümmert wurden,  wodurch  eine  schroffe,  unnahbare  Küste  entstand.  Petro- 
graphisch  bietet  der  nördliche  Teil  von  St.  Eustatius  sehr  wenig  Abwechslung, 
indem  er  überwiegend  aus  Augit-  Andesit  zusammengesetzt  ist.  An  einzelnen 
Stellen  tritt  Lateritbildung  auf,  in  welchem  sich  unzählig  viele  Wespen  an- 
gesiedelt haben1).  Au  der  Jenkinsbai  stöfst  man  auf  mächtige  Gypslagor. 
Fast  der  ganze  nördliche  Teil  ist  mit  einer  Schicht  guten  feinen  Humusbodens 
bedeckt,  welcher  der  vulkanischen  Asche  seine  Existenz  verdankt.  Der  übrige 
Teil  der  Insel,  etwa  */,  der  ganzen  Oberfläche  einnehmend,  ist  durch  die  vul- 
kanische Thätigkeit  des  Punchbowl  entstanden  und  ebenfalls  aus  Audesit- 
gesteinen  zusammengesetzt.  Ebenso  wie  der  Kraterboden,  ist  auch  die  Aufsen- 
seite des  Vulkans  da  und  dort  mit  Felsblöcken  von  verschiedeneu  Dünensionen 
besät.  Der  obere  Teil  des  Berges  ist  mit  üppigem,  dichtem  Walde  bedeckt 
und  auch  der  Boden  und  die  Innenwände  des  Kraters  sind  dicht  mit  Gestrüpp 
bewachsen. 

Als  Nachwirkung  der  ehemaligen  vulkanischen  Thätigkeit  sind  die  Erd- 
beben zu  betrachten.  Genaue  Wahrnehmungen  fehlen,  so  viel  steht  aber  fest, 
dafs  auf  St.  Eustatius  mehr  oder  weniger  heftige  Erderschütterungen  in 
keinem  Jahre  ganz  ausbleiben. 

Von  Molengraaff  wird  nachgewiesen2),  dass  der  Bau  von  St.  Eustatius 
mit  demjenigen  der  vulkanischen  Inselreihe,  welche  sich  von  Saba  bis  Gra- 
nada ausdehnt,  eng  zusammenhängt.  Diese  Reihe  bildet  eine  gebogene  Linie, 
welche  ihre  konkave  Seite  dem  caribischen  Meere  zuwendet.  Alle  diese 
Inseln,  wie  Saba,  St.  Eustatius,  St.  Kitts,  St.  Vincent,  Sta.  Lucia,  Dominique 
und  Guadeloupe,  gehören  einem  und  demselben  Gebiete  vulkanischer  Thätig- 


1)  Molengraaff,  De  geologie,  1.  c.  S.  18. 

2)  Molengraaff,  De  geologie,  1.  c.  S.  58  ff. 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln.  211 

keit  an  und  stimmen  auch  petrographisch  genau  überein,  indem  sie  aus  An- 
desit,  vorwiegend  aus  Augit-Andesit  aufgebaut  sind. 

Fliefsendes  Wasser  oder  Quellen  giebt  es  auf  St.  Eustatius  nicht;  nur 
in  der  Regenperiode  werden  die  Thiller  und  Schluchten  zu  Betten  mächtiger 
Flüsse.  An  einzelnen  Stellen  stürzt  alsdann  das  Wasser  aus  einer  Höhe  von 
40—50  m  an  der  senkrechten  Meeresküste  auf  den  Strand  herab  und  giebt 
dadurch  Veranlassung  zu  der  Bildung  einer  Art  von  Canons. 

Das  Klima  wird  durchaus  von  dem  Ostpassat  beherrscht,  welcher  wah- 
rend des  gröfsten  Teiles  des  Jahres  weht  und  wodurch  das  Klima  sehr  gleich- 
mäfsig  ist.  Die  Temperaturunterschiede  betragen  im  Laufe  des  Jahres  nicht 
mehr  als  12°  C,  indem  die  Temperatur  schwankt  zwischen  21°  und  33°  C, 
in  der  Sonne  aber  steigt  sie  manchmal  bis  50°  C.  und  höher.  Die  Zahl  der 
jährlichen  Regentage  ist  ebenso  abwechselnd,  wie  die  Regenmenge,  weshalb 
nicht  selten  die  Ernte  mifsrät.  Die  schwersten  Regenschauer  fallen  in  der 
Stunnperiode,  also  in  den  Monaten  Juli — Oktober.  Der  beschrankte  Umfang 
der  Regenwolken  in  den  Tropen  ist  die  Ursache,  dafs  es  oft  allein  auf  dem 
Gipfel  und  einem  kleinen  Teile  des  Vulkanabhangs  regnet.  „Dio  Gipfel  der 
höchsten  Berge,  welche  als  Verdichter  des  feuchten  Passat  windes  wirken,  sieht 
man  nicht  nur  auf  St.  Eustatius,  sondern  auch  auf  den  übrigen  Antillen 
meistens  von  einer  kleinen  Wolke  verhüllt,  aus  welcher  es  Tage  lang,  wenn 
auch  nicht  ununterbrochen  tüchtig  regnen  kann,  ohne  daTs  das  Flachland 
auch  nur  einen  Tropfen  davon  erhält." 

Die  Pflanzenwelt  steht  hiermit  in  Übereinstimmung,  denn  während  der 
obere  Teil  des  Punchbowls  von  dichtem  Walde  gekrönt  wird,  in  welchem 
Clusias,  Aroideeu  und  Farnkräuter  überwiegen,  ist  der  niedrigere  Teil  der 
Insel,  vor  allem  dort,  wo  einst  die  zahlreichen  blühenden  Zuckerplantagen 
lagen,  mit  domigem,  manchmal  schwer  durchdringlichem  Gestrüpp  bewachsen, 
wobei  die  Akazien  vorwiegen.  An  hohen  Bäumen  begegnet  man  nur  da  und 
dort  einzelnen  Tamarinden,  während  die  Melocacteen  an  den  nackten,  durch 
die  Sonne  genisteten  Felsen  einen  vorzüglichen  Nährboden  finden. 

Mit  dem  Ackerbau  ist  es  heutzutage  traurig  beschaffen,  denn  er  be- 
schränkt sich  auf  die  Zucht  von  Jams,  süfsen  Kartoffeln,  Erdnüssen  (Pindas), 
Mais  und  Kassave.  Da  auf  den  Xachbarinseln  meistens  dieselben  Gewächse 
vorkommen,  so  hat  die  Ausfuhr  der  Ackerbauprodukte  fast  gar  nichts  zu  be- 
deuten. Das  Zuckerrohr  wird  zwar  noch  in  geringer  Menge  angebaut,  aus 
dem  Saft  aber  nur  Syrup  zum  eigenen  Bedarf  und  kein  Zucker  mehr  ge- 
wonnen1). 

Ebenso  ist  der  Viehbestand  gering. 

Von  Mineralien  enthält  St.  Eustatius  eiuen  Trafsmörtel,  von  bestimmter, 
vorzüglicher  Beschaffenheit,  wodurch  die  Insel  in  ganz  Westindien  rühmlichst 
bekannt  geworden  ist2).  Zahlreiche  Gebäude  sind  damit  hergestellt  worden, 
sowohl  auf  St.  Eustatius  selber,  als  anderwärts,  so  dafs  wegen  der  bedeuten- 


1)  Koloniaal  Verslag  1899. 

2)  Näheres  in  der  Tijdschrift  v.  h.  Aardr.  Gen.  Meer  uitgebr.  art.,  1885, 
S.  196  ff. 


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212  H.  Zondervan:  » 

den  Ausfuhr  1801  von  der  Regierung  ein  Ausfuhrzoll  von  25  Cent  pro  Fafs 
auf  diesen  Artikel  gelegt  wurde.  Heutzutage  aber  hat  die  Ausbeute  gar 
nichts  mehr  zu  bedeuten. 

Der  Gesaratwert  der  Ausfuhr  betrug  1898  nur  10499  Gulden. 

Die  wichtigsten  Ausfuhrartikel  waren:  Jams,  Pferde,  Esel,  Maulesel  und 
Rinder. 

Es  liefen  1898  266  Schiffe  mit  einem  Tonnengehalt  von  13  253  cbm  ein. 

Die  Einwohnerzahl  betrug  am  1.  Januar  1899  nur  1432.  Die  Zahl  der 
Weifsen  ist  sehr  gering  und  nimmt,  ebenso  wie  auf  St.  Martin,  noch  fort- 
während ab1).  Wie  stark  die  Bevölkerung  in  unserem  Jahrhundert  an  Zahl 
zurückgegangen  ist,  lehrt  die  folgende  Übersicht.    St.  Eustatius  hatte 

1780  25  000  Einw.  1865  1936  Einw.  1897    1440  Einw. 

1818  2668     „  1875  1809  „  1899    1432  „ 

1829  2  273     „  1893  1660  „ 

1849  1945     „  1895  1613  „ 

Die  allgemeine  Umgangssprache  ist  englisch,  ebenso  wie  auf  Saba  und 
St.  Martin.  Nur  einzelne  Beamte  sprechen  holländisch,  sowie  auch  einzelne 
Eingeborene,  letztere  aber  sehr  mangelhaft.  Die  Vernachlässigung  des  Unter- 
richts hat  viel  dazu  heigetragen,  dafs  die  englische  Sprache  auf  den  nieder- 
ländischen Antillen  die  Überhand  bekommen  hat,  und  zwar  auf  St  Eustatius 
dermafsen,  dafs  schon  vor  1658  der  evangelische  Pfarrer  sich  bei  dem  Gottes- 
dienst abwechselnd  der  holländischen  und  englischen  Sprache  bedienen  mufste2), 
und  dafs,  wie  de  Jong  schon  im  Jahre  1780  bemerkt,  der  Insel  „nur  die 
englische  Flagge  fehlt,  um  vollständig  englisch  zu  sein"3).  Heutzutage  giebt 
es  in  Oranje  keinen  evangelischen  Pfarrer  mehr,  sondern  einen  römisch- 
katholischen,  sowie  einen  Missionar  der  wesleyanischen  Methodisten. 

Aus  dem  stetigen  Rückgang  der  Bevölkerungszahl  geht  schon  hervor, 
wie  gering  der  Wohlstand,  oder  richtiger,  wie  grofs  die  Armut  der  Insel 
sein  mufs.  Vor  allem  in  Dürrejahren,  wenn  die  magere  Ernte  noch  teilweise 
oder  ganz  fehlschlägt,  ist  das  Los  der  Einwohner  ein  sehr  trauriges.  Aus- 
sicht auf  Verbesserung  ist  nur  möglich,  wenn  Ackerbau,  Viehzucht  und  In- 
dustrie verbessert  und  kräftig  seitens  der  Regierung  unterstützt  werden,  denn 
an  finanzielle  Hülfe  und  an  gutem  Beispiel  thut  es  der  Insel  in  höchstem 
Marse  not*). 

Saba. 

Wie  schon  bei  St.  Eustatius  erwähnt,  wurde  auch  Saba  von  f'olumbus 
entdeckt    und   hatte  damals  eine   sefshafte   caribische  Bevölkerung 5).  Die 

1)  de  Veer  in  dem  Gedenkooek,  l.  c.  3.  67. 

'2<  Hamelberg  in  dem  Twcede  Jaarvendag,  1.  r.  S.  103. 

5)  Reize,  1.  c.  S.  107.  Man  vergl.  auch  Molengraa  ff,  De  geologie,  1  c. 
S.  4  ff. 

4)  Vragen  van  den  Dag,  1.  c.  S.  484. 

6)  Tecnstra  1.  c.  II,  behauptet  zwar,  die  Insel  «ei  bei  der  Entdeckung  un- 
bewohnt gewesen  und  erst  1065  von  St.  Eustatius  aus  kolonisiert  worden. 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln.  213 


Insel  wurde  gegen  1640  von  St.  Eustatius  aus  von  niederländischen  Kolo- 
nisten in  Besitz  genommen  und  teilte  grösstenteils  die  Geschicke  der  Haupt- 
insel. Der  Versuch  des  französischen  Kaperkapitäns  Pinel,  sich  der  Insel 
1688  durch  einen  Handstreich  zu  bemächtigen,  schlug  fehl1).  Übrigens  wird 
Saba  in  der  Geschichte  von  St,  Eustatius  nur  dann  und  wann  beiläufig  er- 
wähnt. 

Saba  ist  die  kleinste  der  niederländisch -westindischen  Inseln  und  besteht 
nur  aus  einem  steil  aus  dem  Meere  auftauchenden  erloschenen  Vulkan  von 
regelmäfsiger  Gestalt,  dessen  Spitze  800  m  absoluter  Höhe  hat,  Er  ist  ganz 
aus  Augit-Andesitgesteinen  aufgebaut  und  der  obere  Teil  mit  Bäumen  und 
Buschwerk  gut  bewachsen8).  Die  Plächenausdohnung  der  Insel  beträgt  nur 
12,83  qkm.  Die  Küsten  sind  steil  und  mit  grofsen  Felsenblöcken  besät, 
so  dafs  sogar  bei  ruhiger  See  nur  kleine  Boote  herankommen  können,  bei 
ungünstiger  Witterung  das  Landen  sehr  gefährlich  oder  durchaus  unmöglich 
ist»). 

Der  Hauptort  Hellsgate  liegt  180  m  hoch.  Die  Landungsstelle,  Ladder 
(Leiter)  geheifsen,  liegt  in  NW,  und  von  hier  führt  ein  sehr  steiler  Weg 
empor  bis  zum  ehemaligen  Krater,  auf  dessen  Boden  der  Flecken  Bodem 
(Boden)  liegt4).  Fließendes  Wasser  giebt  es  auf  Saba  nicht,  und  die  Be- 
wohner sind  daher  auf  das  Regenwasser  ihrer  Cisternen  angewiesen,  sowie  auf 
den  Inhalt  dreier  Brunnen  am  Meeresstrand,  deren  Inhalt  aber  nicht  sonder- 
lich sauber  sein  kann,  weil  in  diesen  Brunnen  „ein  Jeder  seine  Kleider 
wäscht  und  überdies  die  meisten  Bewohner  an  Elephantesis  leiden"5).  Bei 
anhaltender  trockner  Witterung  entsteht  daher  Wassermangel  und  viele 
müssen  das  Wasser  gegen  einen  hohen  Preis  kaufen.  Das  Klima  stimmt 
mit  demjenigen  der  Nachbarinseln  überein  und  wird  ebenfalls  gröfstenteils 
durch  den  üstpassat  beherrscht.  Durch  seine  bedeutende  Höhe  treten  hier 
aber  längere  Dürreperioden  nur  selten  ein  und  auch  die  Temperatur  ist 
niedriger;  vor  allem  bei  Nacht  kann  es  verhältnismäßig  recht  kühl  sein. 
Die  herrschenden  Krankheiten  sind  Lepra  und  Elephantesis. 

Alle  dazu  geeigneten  Stellen  werden  zum  Ackerbau  und  zur  Viehzucht 
benutzt  Brennholz  enthält  die  Insel  genug,  hingegen  nur  wenig  Bauholz  für 
Häuser  und  Boote,  das  also  gröfstenteils  eingeführt  werden  mufs.  Die  Acker 
sind  teilweise  derartig  mit  Steinen  bedeckt,  dafs  man  diese  erst  wegschaffen 
oder  dazwischengraben  mufs,  um  die  Saat  in  die  Erde  bringen  zu  können. 
Das  Hauptprodukt  bildet  die  süfse  Kartoffel,  daneben  giebt  es  Kassave  und 
Mais,  deren  Ernte  gewöhnlich  ausreicht  zur  Ernährung  der  Bevölkerung. 
Dieselbe  ist  aber  auch  äufserst  genügsam,  denn  ein  wenig  gesalzener  Fisch, 


1)  Hamelberg,  Historische  schets,  1.  c.  S.  103. 

2)  Eine  genaue  Darstellung  des  Bodenreliefs  und  der  geologischen  Besohafl'en- 
heit  fehlt  zur  Zeit  noch. 

3)  de  Veer,  Gedenkboek,  1.  c. 
i)  Teenstra,  1.  c.  II. 

6)  QuarleB  van  Ufford  nach  den  Mitteilungen  des  Pfarrers  de  Gast  in 
der  Tijdschrift  v.  h.  Aardr.  Gen.,  Meer  uitgebr.  art.  1885.  Toestanden  op  Saba, 
S.  ll>5ff. 


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214 


H.  Zondervan: 


der  von  St.  Thomas  eingeführt  und  manchmal  in  bedenklichem  Zustande 
verzehrt  wird,  bildet  mit  süfsen  Kartoffeln  im  allgemeinen  „das  Frühstück, 
Mittagsmahl  und  Abendessen"  der  Mehrheit  der  Bewohner.  Nur  wenige  von 
ihnen  sind  an  Brot  und  noch  weniger  an  Fleisch  gewöhnt.  Von  Obstbaumen 
werden  vor  allem  Bananen  gezüchtet.  Ausgeführt  wird  allein  ein  Teil  der 
süfsen  Kartoffeln.  Wohl  wurde  behufs  der  Ausfuhr  der  Versuch  gemacht,  die 
Kartoffelzucht  durch  diejenige  der  Zwiebel  zu  ersetzen,  zuletzt  aber  ist  man 
wieder  zur  ersteren  zurückgekehrt Rinder,  Schafe,  Schweine,  Ziegen,  Hühner 
und  Eier  werden  nach  St.  Thomas  ausgeführt  und  hauptsachlich  gegen  Mehl, 
Kleider  und  gesalzene  Fische  vertauscht.  Der  Viehbestand  umfafste  1898: 
34  Pferde,  9  Esel,  223  Rinder,  715  Ziegen,  353  Schafe  und  356  Schweine8). 
Südlich  von  Hellsgate  liegen  Schwefelgruben,  die  längere  Zeit  eine  bedeutende 
Ausbeute  lieferten,  aber  schon  seit  mehreren  Jahren  verlassen  sind.  Im 
vorigen  Jahrhundert  blühte  die  Schuhindustrie  und  Saba  war  „das  Schuh- 
emporium  für  ganz  Westindien"3),  woran  der  Name  des  an  der  Ostseite  ge- 
legenen Fleckens  Crispien  (nach  St.  Crispinus,  dem  Schutzpatron  der  Schuster) 
noch  erinnert,  Heutzutage  sind  Ackerbau  und  Viehzucht  die  Hauptbeschäf- 
tigungen, denn  das  Kalkbrennen,  der  Bootsbau,  sowie  das  Flechten  von  Stroh- 
hüten durch  die  Frauen  spielen  keine  Rolle.  Ebenso  sind  Handel  und  Fisch- 
fang ganz  unbedeutend,  obwohl  die  Bewohner  im  ganzen  westindischen 
Archipel  als  tüchtige  Seeleute  gerühmt  werden.  Die  Ausfuhr  hatte  1898 
einen  Wert  von  5800  fl.  und  bestand  in  Kartoffeln,  Rindern,  Schafen,  Schweinen 
und  Zwiebeln.  Es  liefen  in  diesem  Jahre  172  Schiffe  mit  einem  Tonnen- 
gehalt von  10633  cbm  ein. 

Die  Einwohnerzahl  belief  sich  am  1.  Januar  1899  auf  2779.  Wohl  die 
Hülfte  der  Bevölkerung  gehört  zur  weifsen  Rasse,  und  zwar  sind  es  über- 
wiegend Oeolen.  Sie  hängen  sehr  an  ihrer  Heimat  und  bilden  durch  fort- 
währende Heiraten  in  der  Verwandtschaft  fast  eine  grofse  Familie.  Obwohl 
die  Weifsen  grofsen  Wert  auf  ihre  Herkunft  legen,  ist  das  Verhältnis 
zwischen  ihnen  und  dem  schwarzen  Bevölkerungselement,  den  früheren  Sklaven, 
sehr  gut;  Mischlinge  giebt  es  nur  wenige.  Aufser  in  dem  Hauptdorfe 
Hellsgate  ist  die  Bevölkerung  hauptsächlich  in  einzelnen  kleinen  Flecken  an- 
gesiedelt, wie  Bodem,  Crispien  \md  Windwardside.  Sie  wird  gerühmt  als 
hVifsig,  ehrlich  und  sehr  sittsam,  besonders  die  Frauen4).  Die  ehemaligen 
Sklaven  sind  fast  ohne  Ausnahme  römisch-katholisch,  die  übrigen  Bewohner 
hingegen  anglikanisch.  Im  vorigen  Jahrhundert  überwog  noch  der  evan- 
gelische Glaube.  1777  liefs  sich  aber  ein  anglikanischer  Pfarrer  auf  Saba 
nieder  und  schon  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts  giebt  es  daselbst  keine  evan- 
lischen  mehr.    Die  allgemeine  Umgangssprache  ist  englisch. 

Der  niederländischen  Regieruug  gegenüber  nimmt  Saba  eine  besondere 

1)  Koloniaul  Verslag,  1899. 

2)  Im  Jahre  1897  gab  es  1136  Ziegen  auf  Saba. 

3)  Hamelberg  in  dein  Tweede  jaarlijksch  verslag,  1.  c.  S.  115. 

4)  de  Gast  (Quarles  van  Ufford  in  der  Tijdschrift  Aardr.  Gen.,  1885  I.  c. 
S.  214)  hingegen  wirft  den  Bewohnern  Trunk-  und  Streitsucht  vor.  überhaupt  sind 
nach  seiner  Darstellung  die  Verhältnisse  auf  Saba  viel  weniger  günstig. 


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Die  niederländisch-westindischen  Inseln.  215 

Stellung  ein,  denn  obwohl  streng  genommen  liier  alle  Gesetze  dieselbe  Gil- 
tigkeit  haben,  wie  auf  den  übrigeu  niederländisch  -  westindischen  Inseln,  und 
ein  Regierungsbeamter  daselbst  angestellt  ist,  „kenneu  die  Bewohner  von  den 
Niederlanden  nichts  weiter,  als  die  schöne  dreifarbige  Flagge"  r).  Die 
Regierung  fordert  keine  Steuern  oder  sonstigen  Abgaben,  leistet  aber  auch 
keine  finanzielle  Unterstützung.  Die  Bewohner  erfreuen  sich  seit  alten  Zeiten 
einer  Selbstverwaltung,  welche  ganz  mit  den  besonderen  Verhältnissen,  unter 
welchen  sie  leben,  in  Einklang  steht8),  und  leben  nach  ihren  eigenen,  auf 
die  Gewohnheit  gegründeten  Gesetzen,  haben  eine  leichte  Steuer  behufs  der 
Insel  selber  eingeführt  und  kommen  mit  der  Aufsenwelt  kaum  in  Berührung; 
denn  ebenso  selten,  als  Einwohner  Sabas  auswandern,  lassen  sich  Fremde  hier 
nieder.  Überflufs  und  Luxus  sind  zwar  unbekannt,  umgekehrt  aber  leiden 
die  Bewohner  bei  ihren  geringen  Bedürfnissen  nur  selten  Mangel,  ja  bei 
günstiger  Ernte  herrscht  ein  gewisser  Wohlstand.  Letzterer  hat  überhaupt 
in  den  letzten  Dezennien  nicht  abgenommen,  die  Bewohner  sind  anständig 
gekleidet,  haben  ein  gesundes,  heiteres  Äufsere,  erreichen  grösstenteils  ein 
bedeutendes  Lebensalter  und  fristen  —  unberührt  von  den  grofsen  Welt- 
fragen und  Weltqualen  —  ein  ruhiges,  gemütliches  und  sorgenfreies  Dasein. 
Während  die  Einwohnerzahl  1816  1145  Einwohner  betrug,  war  sie  1898  2779. 


St.  Martin. 

Die  Insel  erhielt  ihren  Namen  nach  dem  Heiligen  Sanct  Martinus  (de 
Tours),  an  dessen  Namenstage  sie  von  Columbus  auf  seiner  zweiten  Reise, 
November  1493,  entdeckt  wurde.  Nachdem  die  Spanier  die  Insel  ver- 
lassen hatten  (siehe  bei  St.  Eustatius),  blieben  einzelne  niederländische  und 
französische  Kriegsgefangene,  denen  es  gelungen  war,  zu  entfliehen  und  sich 
in  den  Wäldern  zu  verstecken,  daselbst  zurück  und  beschlossen  bald,  die 
Insel  unter  sich  zu  teilen,  derartig,  dafs  den  Franzosen  der  nördliche,  den 
Niederländern  der  südliche  Teil  zufiel.  In  den  nächstfolgenden  Jahren  gab 
die  Scheidelinie  mehrmals  zu  Uneinigkeit  zwischen  den  Kolonisten  Veranlas- 
sung, bis  die  Sache  1648  von  der  niederländischen  und  französischen  Regie- 
rung endgiltig  geregelt  wurde.  Dennoch  war  die  Grenzlinie  auch  nachher 
wohl  noch  einmal  die  Ursache  von  Streitigkeiten3),  und  im  Kriege  der  .Fahre 
1672  — 1678  zwischen  den  Niederlanden  und  Frankreich  wurde  die  Insel  ab- 
wechselnd von  Niederländern  und  Franzosen  erobert,  vom  Friedenschlufs  von 
Nijmegen  (1678)  ab  herrschte  aber  über  ein  .Jahrhundert  zwischen  den  Kolo- 
nisten beider  Nationen  die  schönste  Eintracht,  sogar  in  den  Zeiten,  während 


1)  Teenstra,  1.  c.  S.  719. 

2)  Gon  Netseber  in  den  Bijdragen,  1869,  L  c.  S.  500. 

3)  Die  genaue  Lage  des  westlichen  Teiles  dieser  Grenzlinie  steht  bis  heute 
nicht  fest.  Die  Darstellung  auf  der  Karte  Dornsei  ffen's  in  der  Tijdsehrift  v.  Ii. 
Aardr.  (Jen.,  1883,  scheint  richtig  zu  sein.  Von  dem  Simonsbai-See  bis  am  Fußte 
des  Berges  Concordia  wird  sie  durch  eine  Mauer  der  Plantage  Mount  Fortune  ge- 
bildet, läuft  ferner  über  den  Gipfel  dieses  Herges  und  die  Kücken  der  anschließenden 
Berge  und  endet  an  dem  Oysterpond. 


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216  H.  Zondervan: 

welcher  in  Europa  beide  Völker  einander  bekriegten.  In  den  Kriegen  zwischen 
den  Niederlanden  und  England  wurde  St.  Martin  oft  hart  mitgenommen  und 
dadurch,  vor  allem  seit  179ö,  Handel  und  Schiffahrt  schwer  geschadet. 
Wegen  der  Fruchtbarkeit  des  Bodens  verarmte  die  Insel  dadurch  aber  nicht 
in  so  hohem  Mafse  als  St.  Eustatius.  Von  1810 — 1816  stand  sie  unter 
englischer  Herrschaft  und  kam  alsdann  wieder  an  die  Niederlande  zurück. 

St.  Martin  ist  ungefähr  98  qkm  grofs,  ein  nicht  unbedeutender  Teil  wird 
aber  von  den  Küstenseen  eingenommen.  Die  nördliche  Hälfte  gehört  Frank- 
reich an  und  mifst  51,17  qkm  und  diese  scheint  fruchtbarer  zu  sein,  ist 
auch  ein  wenig  stärker  bevölkert  als  die  südliche  niederländische  Hälfte, 
welche  46,8  qkm  Fläche  hat,  Die  Insel  ist  sehr  gebirgig  und  die  Küste  an 
den  meisten  Stellen  sehr  schroff,  oft  unnahbar,  daher  man  nur  in  den  zahl- 
reichen Buchten  einem  Strand  begegnet.  Die  gröfseren  Baien  sind  meistens 
durch  eine  sandige  Landzunge  oder  Barre  von  dem  offenen  Meere  getrennt 
und  die  dadurch  gebildeten  Binnenseen  werden  zur  Salzgewinnung  benutzt, 
der  wichtigsten  Erwerbsquelle  St.  Martins.  Als  die  vier  gröfsten  dieser  Seen 
gelten1):  der  von  Philipsburg  (die  Grofse  Zoutpan  mit  der  Grofsen  Bai)  etwa 
200  Hektar  grofs,  der  von  Orientbai,  von  Grand  Case  und  von  Chevrisc  oder 
Bretagne. 

Die  Insel  verdankt  ihre  Gestalt  den  zwei  ungefähr  parallelen  Hügel- 
reiheu,  welche  in  NO — SW- Richtung  laufen  und  durch  ein  breites  Längsthal 
getrennt  sind.  Die  westliche  Hügelreihe  ist  die  längere  und  hat  ihren 
Kulminationspunkt  im  Mount  Paradis  (412  m)  auf  französischem  Gebiete;  in 
dem  niederländischen  Teile  erreicht  sie  in  dem  spitzen  Centry-Hill  (408  m) 
ihre  gröfste  Höhe.  Die  östliche  Kette  kulmiuiert  im  Oostonberg  oder  Naked- 
Boy  Hill  mit  280  m.  Zahlreiche  scharf  eingeschnittene  Querthäler  verlaufen 
senkrecht  zu  den  Gebirgsketten,  während  sich  überdies  ein  Querthal  von 
der  Grande  Gase  bis  zur  Orientbai  erstrockt.  Der  am  meisten  im  Westen 
gelegene  Teil  St.  Martins,  the  Low  Lands,  welcher  unbewohnt  ist,  erhebt 
sich  nur  wenig  über  den  Meeresspiegel,  ausgenommen  einzelne  Hügel,  von 
denen  der  höchste  etwa  90  m  Höhe  erreicht.  Die  Low  Lands  stellen  einen 
Landgürtel  rings  um  die  grofse  Simsons-Bai  Lagune  dar,  welche  durch  eine 
schmale  Strafse  mit  dem  offenen  Meere  in  Verbindung  stellt, 

Die  orographisehe  Beschaffenheit  hängt  eng  mit  dem  geologischen  Bau 
der  Insel  zusammen.  So  stimmt  das  Streichen  der  Sedimentgesteine,  welche 
einen  bedeutenden  Teil  St.  Martins  zusammensetzen,  mit  der  Richtung  der 
beiden  parallelen  Hügelreihen  überein  *).  Das  Grundgestein  bildet  ein  Quarz - 
glimmcrdiorit  oder  Tonalit,  welcher  oft  in  Quarzdiorit  übergeht  und  nur  an 
deu  Meeresküsten  in  untersetztem  Zustande  angetroffen  wird,  sonst  aber  mei- 
stens bis  1  m  oder  sogar  tiefer  in  einen  grobkörnigen,  glimmerreichen  Saud 
übergegangen  ist.    Die  Verwitterung  geschieht  nicht  regolmüfsig,  so  dals  ein 

1)  Het  eiland  St.  Martin,  door  Dr.  J.  Dornaeifi'en  in  der  Tijdachrift  van  het 
Aardr.  Gen.,  1883,  S  126  tf 

2)  Handelingen  van  het  Kernte  Nederlandsch  Natuur-  en  Geneeskundig  Con- 
gre«,  Haarleiu  lx*K:  Het  geologisch  verband  tusschen  de  West- Indische  eilanden, 
door  G.  A.  V.  Moleugraaff,  S.  287  ff. 


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Die  niederliindisch-westindischen  InBein. 


217 


grofser  Teil  der  Ebene  mit  Geröllblöcken  bosät  ist  und  ein  Felsenmeer  dar- 
stellt. An  vielen  Stellen  treten  andere  alt -eruptive  Gesteine  an  die  Ober- 
fläche. Die  Sedimentgesteine  zeigen  allerorten  denselben  Charakter,  und  die 
gleichmäfsig  gelagerten  Schichten  setzen  sich  abwechselnd  aus  Breccien,  Sand- 
steinen und  kiesreieben  Kalksteinen  zusammen.  Sie  liegen  unmittelbar  auf 
dem  eruptiven  Grundgestein  und  werden  an  vielen  Stellon  von  Diabas-  und 
Syeuitgranit  -  Gängen  durchbrochen.  Auch  enthalten  sie  an  manchen  Stellen 
Kisen-  und  Manganerze.  Wahrscheinlich  sind  die  Schichten  cretaeeisch,  wäh- 
rend jüngere  Sedimentgesteine  nur  wenig  entwickelt  sind,  z.  B.  an  der 
Simsonsbai  und  in  den  Lowlands1).  Obwohl  bis  jetzt  in  den  cretaeeischen 
Schichten  keine  Fossilien  gefunden  wurden,  steht  es  dennoch  fest,  dafs  sie  die 
Fortsetzung  der  ältesten  Ablagerungen  auf  Cuba,  Jamaica,  Sau  Domingo, 
Puerto  Hico  und  den  Virginischen  Inseln  bilden,  mit  welchen  St.  Martin  auf 
einem  und  demselben  unterseeischen  Gebirgssockel  liegt. 

Es  giebt  auf  St.  Martin  nur  drei  ausdauernde  Bäche,  während  die  übrigen 
Rinnsale  allein  nach  einem  Regenschauer  auf  kürzere  Zeit  Wasser  führen. 
Für  das  Trinkwasser  ist  die  Bevölkerung  daher  gröfstenteils  auf  Brunnen 
augewiesen  und,  da  dieselben  in  der  Nähe  der  Küste  brakisches  Wasser  lie- 
fern, auf  Cisternen. 

Das  Klima  ist  warm,  aber  gesund.  Früher  kamen  öfters  Fälle  vom 
gelben  Fieber  vor,  heutzutage  tritt  dann  und  wann  ein  Fall  von  Schwind- 
sucht auf.  Eine  geringe  Zahl  von  Leprosen  giebt  es  sowohl  hier,  als  auf 
St.  Eustatius  und  Saba.  Die  Temperatur  wechselt  im  Schatten  zwischen  22° 
und  32°  C  ab;  die  niedrigsten  Temperaturen  fallen  in  die  Monate  Dezember 
und  Januar.  In  diesen  Monaten  weht  auch  der  Ostpassat  am  kräftigsten. 
Die  gefürchteten  Cyklone  treten  hingegen  im  Juli — Oktober  auf.  Alle  Inseln 
über  dem  Winde  werden  dabei  oft  schrecklich  heimgesucht,  St.  Martin  wohl 
am  schlimmsten  in  den  Jahren  1819  und  1848,  dann  auch  noch  im  Sep- 
tember 1898.  Oft  spürt  man,  während  die  Cyklone  wüten,  leichte  Erdstöfse  *). 
Eine  bestimmte  Regenzeit  giebt  es  nicht;  in  den  meisten  Jahren  fällt  aber 
eine  genügende  Regenmenge,  obwohl  Dürrepcriodeu  auf  den  Inseln  über  dem 
Winde  ebensowenig  fehlen,  wie  auf  denjenigen  unter  dem  Winde.  Am  gün- 
stigsten verhält  sich  in  dieser  Beziehung  Saba,  eine  Folge  seiner  bedeutenden 
Höhe.    Die  Niederschlagsmenge  betrug  auf  St  Martin: 

188»  1*81  1882 

Philipsburg     1180  mm        1105  mm        1018  mm 
Grande  Case      702    „  795    „  952  „ 

In  trocknen  Jahren  leidet  der  Ackerbau  durch  die  Dürre,  ist  aber  die 
Salzgewinnung  von  Bedeutung,  während  umgekehrt  in  nassen  Jahren  die 
Ernte  besser  ausfällt,  hingegen  die  Salzproduktion  stark  beeinträchtigt  wird. 
Da  nun  die  letztere  Hauptsache  ist,  sind  trockne  Jahre  für  die  Bewohner 
weitaus  am  vorteilhaftesten. 


1)  Molentfraaff,  1.  c,  schliefst  hieraus,  sowie  auch  aus  anderen  (iriimlen, 
dafs  sich  die  Insel  in  einer  Senkun^speriode  befindet. 
8)  Dornseiffen,  1.  c.  S.  137. 
GcograpbUcUe  Zeitschrift.  7.J»hrg»ng.  1901  «  lieft.  16 


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218 


II  Zondervan: 


Ehemals  scheint  St.  Martin  dichte  Wälder  besessen  zu  haben,  heutzutage 
kommt  kein  Waldbestand  mehr  vor.  Wohl  sind  die  Bergabhänge  teilweise 
mit  dichtem  Gehölz  bewachsen,  dienen  im  übrigen  als  Weiden,  speziell  für 
die  Ziegen.  Der  Ackerbau  ist  hauptsächlich  auf  die  Thäler  beschränkt  und 
spielt  nur  eine  untergeordnete  Rolle.  In  den  ersten  Zeiten  nach  der  Besitz- 
ergreifung durch  die  Niederländer  wurde  auf  den  Inseln  über  dem  Winde 
viel  Tubak  gebaut  und  sogar  auf  St.  Martin  eine  Pfeifenfabrik  errichtet1). 
Bald  aber  wurde  der  Tabaksbau  aufgegeben  und  es  entstanden  grofse  An- 
pflanzungen von  Zuckerrohr.  Daneben  lebte  ein  Teil  der  Bewohner  vom 
Handel,  besonders  vom  Schmuggelhandel  auf  den  benachbarten  spanischen 
Kolonien.  In  diesem  Jahrhundert  hat  aber  nicht  nur  der  Handel  seine  Be- 
deutung vollständig  verloren,  sondern  auch  die  Plantagenwirtschaft  ist  ganz 
zu  Grunde  gegangen,  letzteres  infolge  der  Sklavcnemanzipierung,  welche  auf 
St.  Martin  noch  schlimmere  Folgen  hatte  als  auf  den  übrigen  Inseln  *).  Im 
Jahre  1847  wurden  noch  015453  kg  Zucker  und  7803  Gallons  Rum  aus- 
geführtÄ)  1881  nur  noch  26000  kg  Zucker  und  heutzutage  gar  keiner 
mehr.  1898  beschränkte  sich  der  Ackerbau  hauptsächlich  auf  die  Be- 
stellung kleiner  Bodenstücke  mit  Bohnen,  Kartoffeln,  Mais  und  Arrowroot 
zum  eigenen  Bedarf.  Daneben  giebt  es  mancherlei  Obstbäume,  obwohl  in 
geringer  Zahl. 

Die  Viehzucht  ernährt  einen  gröfseren  Teil  der  Bevölkerung,  hat  aber 
ebenfalls  nicht  viel  zu  bedeuten.  Zahlreiche  Vögel  leben  an  den  Küsten 
und  Binnenseen.  Die  Austern  sind  sehr  schmackhaft  und  das  benach- 
barte Meer  ist  reich  au  Fischen.  Der  Fischfang  spielt  aber  keine  Rolle 
und  wird  hauptsächlich  nur  von  den  Bewohnern  des  Dorfes  Simsonsbai  be- 
trieben. 

Im  Jahre  1895  wurde  von  einem  amerikanischen  Mineningenicur  der 
Reichtum  des  niederländischen  Teiles  an  Manganerzen  erforscht,  doch  obwohl 
das  Resultat  ein  günstiges  war,  sind  bis  jetzt  die  Versuche  fehlgeschlagen, 
eine  Gesellschaft  zur  Ausbeutung  dieser  Minerale  zu  gründen.  Die  Phos- 
phatlager haben  ebenfalls  nichts  zu  bedeuten,  desto  mehr  aber  die  Salz- 
gewinnung. „Kine  gute  Salzernte  giebt  fast  der  gesamten  Bevölkerung  Arbeit 
und  bringt  das  Geld  in  Flufs".  Da  dieselbe  aber  so  stark  von  der  Witterung 
beeinflufst  wird,  so  ist  der  Ertrag  grofseu  Schwankungen  unterworfen  und 
fette  und  magere  Jahre  wechseln  für  die  Bewohner  fortwährend  mit  einander 
ab.    Nach  den  Kolonialen  Verslagen  betrug  die  Ausfuhr: 


Jahr 

Menge  in  H.  L. 

Wert  in  Gulden 

1894 

132853 

99  640 

1895 

147929 

105030 

1896 

41677 

29  591 

1897 

363 

258 

1898 

51908 

36  855. 

1)  Hainelberg  in  dein  Tweed«  Jaarverslag,  1   c\,  S.  103. 

2',  Domsciffen,  1.  «•.,  S.  134. 

3;  Gon  Nets  eher  in  den  Hijdragt-n.  I.  <•.,  S.  4U7. 


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Die  niederländisch-westindischen  InBein. 


219 


Dafs  bei  der  Ausfuhr  das  Salz  eine  Hauptrolle  spielt,  geht  aus  den 
Zahlen  der  Gesamtausfuhr  klar  hervor.  Dieselbe  hatte  einen  Wert  in  Gul- 
den von: 

1896  18Ü7  1808 

30018  888  37590. 

Den  übrigen  Ausfuhrprodukten,  wie  Häuten,  Tamarinde,  Orangenschalen, 
Arrowroot  u.  a.  ist  denn  auch  fast  gar  keine  Bedeutung  beizulegen. 

Die  ganze  Insel  zahlte  1887  6607  Einwohner  und  zwar  der  nieder- 
ländische Teil  3126,  der  französische  3481.  Am  1.  Januar  1899  hatte  der 
niederländische  Teil  3577  Bewohner.  Die  Zunahme  war  hier  in  den  letzten 
Dezennien  nicht  so  stark,  wie  auf  Saba  und  den  Inseln  unter  dem  Winde. 
Denn  St.  Martin  hatte  in  dem  niederländischen  Teil  1849  2790,  1897  3984 
und  1898  3577  Einwohner.  In  der  letzten  Zeit  fand  eine  starke  Auswanderung 
statt.  Die  Mischlinge  sind  weitaus  überwiegend  an  Zahl,  während  die  weifse 
Kasse,  welche  ohnehin  schon  sehr  schwach  ist,  noch  an  Zahl  abnimmt1).  Nur 
sehr  einzelne  Personen  sprechen  oder  verstehen  holländisch  ),  während  die  all- 
gemeine Umgangssprache,  auch  in  dem  französischen  Teil,  wiederum  englisch 
ist  und  sogar  der  Unterricht  auf  den  Schulen  in  dieser  Sprache  erteilt  wird. 
Der  Wohlstand  ist  sehr  gering  und  es  ist  wenig  Aussicht  auf  eine  bedeu- 
tende Besserung  vorhanden,  wenn  auch  heutzutage  das  Geld  nicht  so  selten 
mehr  ist,  wie  in  den  ersten  Dezennien  dieses  Jahrhunderts,  wo  fast  alles  mit 
Zucker  bezahlt  wurde.  Als  übertrieben  ist  aber  wohl  die  Behauptung  auf- 
zufassen, dals  damals  sogar  dem  Arzt  sein  Honorar,  den  Beamten  ihr  Gehalt 
in  Zucker  ausbezahlt  wurde3). 

Der  wohlhabendere  Teil  der  Bevölkerung  wohnt  in  den  sogenannten 
„Städten"  (thatsächlich  einige  ganz  unbedeutende  Dörfer)  oder  auf  den  Plan- 
tagen, die  entweder  zur  Viehzucht  benutzt  werden  oder  ganz  brach  liegen. 
Die  übrigen  Bewohner  sind  über  die  Insel  zerstreut  und  bewohnen  meistens 
ganz  primitive  elende  Hütten  mit  Wänden  von  geflochtenen  Zweigen,  welche 
mit  einer  Mischung  von  Kuhmist  und  Kalk  oder  Lehm  bestrichen  sind, 
während  das  Dach  mit  Gras  gedeckt  ist.  In  den  Ortschaften  giebt  es  haupt- 
sächlich hölzerne,  sowie  einzelne  steinerne  Häuser,  welche  aber,  ganz  schmuck- 
los und  in  regclmäfsigen  Vierecken  gebaut,  einen  monotonen  Eindruck  machen. 
Das  gilt  auch  von  dem  Hauptort  Philipsburg  mit  etwa  200  Häusern,  auf 
einer  Sandbarre  an  der  Südküste  zwischen  der  Grootbai  und  der  Zoutpau 
gelegen. 

1)  Gedenkboek,  1.  c,  S.  57. 

2)  Nach  Dorn8eiffen,  1.  c,  S.  137.  sollte  ihre  Zahl  nur  4  bis  5  betragen. 

3)  G.  B.  Bosch,  Reizen  in  West-Indie,  Utrecht  182»,  Bd.  I,  S.  75.  Bei  diesem 
Verf.  heilM  es  auch:  „Wenn  hier  eine  Kuh  geschlachtet  werden  soll,  bo  wird  den 
Bewohnern  im  voraus  eine  Einzeichenliste  angeboten,  und  wenn  die  Zahl  der  Be- 
teiligten nicht  grofs  genug  ist.  so  läfst  der  Unternehmer  seiu  Vorhaben  fahren  und 
die  Kuh  bleibt  am  Leben." 


15« 


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220 


Kleinere  Mitteilungen. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Das  Vorland  der  Pyrenäen. 

Im  Antlitz  Frankreichs,  ja  ganz  Europas,  fesseln  uns  die  fächerförmigen 
Züge  westlich  der  Ciaronne,  seihst  auf  Karten  kleinen  Mafsstabes  z.  13.  1:2  Mill. 
(K.  Leuzinger,  Carte  physique  et  geographique  de  la  France  in  Höhenschichten ), 
ausgezeichnet  in  1:500000.  Das  Vorland,  abgegrenzt  durch  eine  Linie 
Bayonne  Dax-Nerac-Agen-Toulouse  und  die  obere  Garonne,  dacht  sich  nach 
NW  ab  zur  plioeäuen  Küsteuobone  der  Grandes  Landes  mit  jugendlicher, 
unbestimmter  Entwässerung,  schutzlosen,  welligen  Flächen  und  Sümpfen,  ab- 
gedämmten Buchten  und  einem  beinahe  geschlossenen  Dünengebiet.  Mit 
Ausnahme  der  obercretacischen ,  stark  durchlässigen,  von  ca.  860 — 180  m 
abfallenden  Platte  südlich  der  Gave  de  Pau  mit  den  Landes  de  Hasparren, 
L.  de  Mixte  etc.  besteht  es  aus  sehr  flach  nach  NW,  N  und  NE  gelagerten 
oligoeäneu  und  mioeäneu  Schichten,  dem  ungestörten  Detritus  der  Pyreuäen- 
flüsse,  den  Molasseschichten  des  schweizerischen  Mittellandes  vor  der  Haupt- 
hebung der  Alpen  entsprechend,  mit  einer  südlichen  Grenze  von  Bayonne 
über  Pau — Bagneres  de  Bigorre  —  Montejeau — St.  Gaudens-Pamiers  (Ariege). 
Nach  M.  Botde1),  E.  Marchand  und  L.  A.  Fahre3)  sind  die  inioeänen  Schichten 
auf  80 — 100  m  aufgeschlossen.  Im  Liegenden  findet  sich  Nagelfluh  (Konglo- 
merate) mit  Kalkgeröllen  der  subpyrenäischen  Ketten,  darauf  folgen  bunte 
Thone  (Ziegelthon)  mit  lokal  mehr  oder  weniger  feinen  Quarzgeröllen  und 
Kesten  von  Mastodon  longirostris,  Dinotherium.  Das  Hängende  besteht  im 
Süden  aus  Thon  mit  kleinen  Geröllablagerungen,  nach  Norden  werden  sie  zu 
h'alkmergelu,  schliefslich  zu  Süfswasserkalken,  ähnlich  wie  im  schweizerischen 
alpinen  Vorlande,  nur  zeigen  diese  Ablagerungen  noch  mehr  oder  weniger 
deutlich  erhaltene  Deltaspitzen  gegen  den  heutigen  Ausgang  der  Gebirgs- 
thäler.  Daher  streichen  in  die  Nordstreckeu  der  kleinen  Thäler  häutig 
weifse  Kalkdecken  aus,  welche  den  Namen  Armagnac  blanc  ^Haute  Armag. 
nördlich  der  Stadt  Auch)  aufkommen  liefsen  im  Gegensatz  zu  den  mergelig- 
sandigen und  mit  Kiefern  bewaldeten  Gebieten  der  helvetischen  Stufe  am 
Adour,  der  Bas  Armagnac  ou  Arm.  negre  (noir!).  Im  Pliocän  wurde  aus 
den  gleichen  Gebirgsthälern  Schutt  deponiert:  unten  bis  200  m  kompakte, 
nicht  sandige  Thone,  wahrscheinlich  Detritus  der  paläozoischen  Schieferdecke 
der  Pyrenäen,  mit  vereinzelten  grofsen  Kieselgeröllen;  dann  eine  rote  Lehm- 
schicht,  z.  T.  mit  Liguiten  (und  Hipparion),  zu  oberst  80 — 100  m  sandige 
Thone  mit  kalkfreien,  polygenen,  ?>tark  kaolinisierten  Gerollen,  von  einigen 
Ceutimeteru  bis  1  m  Durchmesser.  Dieser  Schutt  (mit  vereinzelten  erratischen 
Blöcken)  trägt  alle  Kennzeichen  einer  fluvioglacialen  Ablagerung,  wahr- 
scheinlich dem  ältesten  alpinen  Deckenschotter  entsprechend.  Darnach  bedarf 
die  französische  geologische  Karte  einer  erheblichen  Verbesserung.  Die  flach 
konische  Ablageruugsweise  aller  dieser  Gebilde  drückt  sich  schon  in  der 
radialen  Entwässerung  derselben  aus,  speziell  zwischen  Adour  und  Garonne, 
innerhalb  eines  Areals  von  rund  7400  qkm. 

1)  M.  Honle,  Le  Plateau  de  Lanneuiezan  et  les  Alluvions  ancionncs.  (Bull,  des 
Services  de  la  carte  geol  de  la  France.    X.  43.    VI.  lH'.t».  8°.    i'.l  8.    4  Tat) 

2)  E.  Mareliand  et  L.  A.  Fahre,  Les  erosinns  torrentielles  et  t-ubaeriennes  sur 
Ich  plateaux  des  hautes  Pyn'nees.  lExtr.  «Ich  C.  rendus  du  Congres  des  Soc.  «a- 
vantes  en  Ih-.h».    Paris  11)00,  8".    43  S.    3  Tat"., 


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Kleinere  Mitteilungen. 


221 


Es  bestehen  drei  kegelförmige  „Plateaux":  «las  westliche  oder  P.  de  Gers 
/.wischen  Grave  de  Pau  und  Adour  (Gers  38  km  NNE  Polaeq),  das  mittlere, 
kleinste  oder  P.  d'Orignac  zwischen  Tarbes  und  dem  Arros  R.  (System 
Adour;  Orignac  liegt  52  km  NNE  Bagneres  de  Bigorre)  und  das  östliche 
und  gröfste  oder  P.  de  Lannemezan,  benannt  nach  dem  Dorf  Lannemezan 
ca.  600  m  an  der  Spitze  (südlich  des  Neste-Knies).  Die  entsprechenden 
Spitzen  liegen  5 — 6  km  N  Lourdes,  5  km  südlich  ß.  de  Bigorre,  in  be- 
ziehungsweise 570  m,  750  m  und  60:)  m  ü.  M.  und  Üffuungswinkeln  nach  NW 
und  NE  von  50  60°  und  90°  (die  beiden  letzteren)  12—13  km  südlich  des 
Neste-Knies.  Sie  sind  durch  spüterc  Flufsverschicbungen  zum  teil  ihrer  sie 
erzeugenden  Gebirgsflüsse  beraubt,  tot  gelegt  und  zu  öden  Flächen  gemacht. 
Es  geschah  dies  jedenfalls  für  die  Neste  bald  nach  den  plioeänen  Ablage- 
rungen während  der  Zeit  einer  energischen  Thalbildung  ähnlich  wie  im 
schweizerischen  Vorland.  Boule  hat  zwei  fluvioglaciale  in  das  Thal  der 
oberen  Garonne  und  der  Neste  eingelagerte  Schotter  erkannt,  beide  tiefer, 
jünger  und  physiognomisch  verschieden  von  der  ältesten  fluvioglacialen 
Decke:  einen  älteren,  mit  geschichtetem  „Löfs"  bedeckten  Hoc h terrassen - 
Schotter  und  einen  jüngeren,  löfsfreien  Niederterrasscnschotter. 
Enteren  fand  er  im  Thal  der  Garonne  über  Moutrejeau,  längs  der  30  km 
langen  rechtwinkligen  Umbiegung  der  Neste  von  Tusagnet  bis  Lortes  668  m, 
ja  bis  jenseits  Heches,  7  km  südlich  des  Knies  der  Neste,  überall  auf  die 
Ferne  mit  rostgelben  Tönen  wirkend.  Die  Ablenkung  der  Neste  erfolgte 
mithin  vor  einer  zweiten  Glacialzeit,  deren  Endmoränen  noch  unbekannt 
sind,  und  offenbar  von  einem  linken  Zuflufs  der  sich  vertiefenden,  aus 
einem  viel  reichereu  Einzugsgebiet  stammenden  Garonne  und  nicht  auf  eine 
andere  von  Marchand  und  Fabre  beschriebene,  komplizierte  Art. 

Der  Niederterassensehotter  ist  nach  Boule  mit  hübschen  Endmoränen 
einer  dritten  Eiszeit  durch  einen  C bergangskegel  verbunden,  so  an  der 
oberen  Garonne  bei  Labroquere,  5,4  km  südlich  Moutrejeau,  wo  hinter  der 
Moräne  eine  etwas  ausgefüllte  Zentraldepression  besteht.  Nach  Marchand 
und  Fabre  giebt  es  entsprechende  Endmoräuenzüge  nördlich  Arreau  im  Thal 
der  Neste  und  ca.  19  km  südlich  ihres  Knies,  im  Thal  des  Adour  (7  und 
12  km  ab  Bagneres  de  Bigorre)  und  als  grofses  Amphitheater  nordöstlich 
des  Knies  der  Gave  von  Pau,  5  km  nördlich  Lourdes.  Ohne  Zweifel  würde 
sich  dort  der  Nicderterrassenschotter  auch  noch  erkennen  lassen. 

Die  drei  toten  Plateaus  oder  Kegelstümpfe  wurden  als  Aufschüttungs- 
ebenen während  und  nach  den  zwei  letzten  Eiszeiten  zerschnitten,  in  Platten 
umgewandelt,  zu  geographischen  Individuen  gestempelt.  Am  schönsten  läfst 
sich  dies  an  dem  Plateau  de  Lannemezan  erkennen,  wo  fünf  Leitlinien  von 
Lannemezan  (ca.  600  m)  auf  dem  flachen  Kegelmantel  zur  Garoune  ziehen: 
zu  oberst  (meridional,  die  ehemalige  Richtung  der  Neste  anzeigend)  die 
Baise  (130  km,  4,90/ü0  Gefälle),  östlicher  der  Gers  (120  km,  5,1°/H0),  dann 
Arrals  (120  km,  5°/00),  hierauf  Gimone  (120  km,  4,8%o)  und  der  Save  mit 
5°(W  auf  107  km.  Zwischen  diesen  konsequenten  Flüssen  erster  Ordnung 
entwickelten  sich  selbständig  kürzere,  wie  man  dies  am  Kegelmantel  eines 
Vulkans,  auf  kleinen  Thon-  oder  Sandkegeln  bei  Regenwetter  oder  Schnee- 
schmelze im  kleinen  beobachten  kann. 

Alte  Leitlinien  erscheinen  als  asymmetrische  Thäler  mit  nach  W 
schauenden  steilen  Ostufen  wie  die  geologischen  Karten  in  1:500  000,  be- 
sonders aber  die  Blätter  in  1 : 80  000  sofort  erkennen  lassen.  Für  deren 
Bildung  ist  die  Erdrotation  nach  Marchand  und  Fabre  durchaus  unzureichend; 


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222 


Geographische  Neuigkeiten. 


sie  sind  vielmehr  die  Resultierende  der  vorherrschenden  Winde  und 
Regen,  worüber  folgende  Daten  belehren: 

Agen  54  m   640  mm  an  116  Tagen 

Auch  130  m   690  „  „  109 

Pau  200  m   MO  „  „  150  „ 

Tutel  310  m   820  „  126 

Lanneihezan  590  m    .    .    .    .  1240  „  „  ? 

Bagneres  de  Big.  550  m     .    .  1250  „  „  178  „ 

Pic  du  Midi  (Sencoursj  2360  m  23U0  „  „  ? 

Pio  du  Midi  (Gipfel;  2860  m  .  1490  ,.  „  185 

Sommer  und  Winter  herrschen  Winde  vor,  aus  W  bis  NW  und  N, 
besonders  aus  NW,  bei  Regen  mit  Geschwindigkeiten  von  10- — 15  m  per 
Secunde.  Der  Effekt  dieser  kombinierten  Wirkung  ist  2160  mal  gröfser  als 
derjenige  der  Erdrotation.  Er  ist  ohnehin  um  so  gröfser,  je  näher  dem 
Meere.  In  jener  Richtung  kam  es  zu  den  Ablenkungen  des  Adour  und 
seiner  Zuflüsse  aus  NW  nach  WNW,  W,  schliefslich  mit  Hilfe  des  Flugsandes, 
zur  vollständigen  Verschiebung  des  Unterlaufes  nach  SW,  vom  Kap  Breton 
bis  Bayonne.  Im  Einzelnen  zeigt  sich,  dafs  die  subsequenten  Flüsse,  Neben- 
flüsse der  Leitlinien  unter  um  so  kleineren  Winkeln  zum  Folgefluls  münden, 
je  kleiner  der  Winkel,  den  die  Leitlinie  zur  vorherrschenden  Windrichtung 
macht.  Die  im  Luv  gelegene  Ostseite  oder  Regenwand  wird  ausnahmsweise 
die  flache  Thalseite,  wenn  lokal  die  alt- fluvioglacialen  Gebilde  sehr  leicht 
zerfallen,  einstürzen  und  mehr  Schutt  liefern  als  verfrachtet  werden  kann. 

Nach  einem  Zitat  von  Penck  (Morph.  II  113)  ist  der  an  so  vielen 
Orten  erkannte  Einflufs  der  Winde  auf  die  Bildung  asymmetrischer  Thaler 
zuerst  von  de  Lamblardic  1782  für  die  Haute  Normandie  erkannt  worden. 
Die  erhöhte  Bedeutung  der  Regenwinde  ist  von  Marchand  und  Fabre  verdienst- 
voll nachgewiesen  (siehe  A.  Fabre,  C.  R.  de  TAcad.  Paris,  Juli  1898).  Ab- 
gesehen von  gröfserem  Windschutz  wirkt  die  tächerförmige  Gliederung 
anthropogeographisch,  beinahe  wie  ein  aus  kleinen  Einheiten  bestehendes 
Hügelland:  zahlreiche  ausgezeichnete  Expositionen  für  Weinbau  (das  Dep. 
Gers  hat  mehr  als  100  000  ha  Rebland);  Parzellierung,  Mangel  gröfserer 
Siedelungen,  geringe  Industrie,  geringe  Entwicklung  gröfserer  Kommuni- 
kationen und  zahlreiche  Marktorte  sind  die  Signatur  dieser  grofsenteils 
agrikolen  Platten.  J.  Früh. 


Geographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitzau. 

Allgemeines  Morgens  der  Himmel  in  leuchtend  gelber  bis 

rötlich  gelber  Färbung.  Der  nach  einiger 
*  Die  seltene,  unter  dem  Namen  Zeit  eintretende  Regen  war  mehr  oder 
Blut-  oder  Sandregen  bekannte  Natur-  minder  stark  mit  Staubteilchen  vermischt, 
erscheinung  wurde  am  10.  März  und  um  |  die  dem  Hegen  in  Sizilien  und  Süditalien 
folgenden  Tage  in  Italien  und  Deutsch-  eine  rötliche  Färbung  erteilten;  in  den 
land  bis  nach  Hamburg  hinauf  beobachtet.  Alpen  zeigten  nach  dem  Regen  die  Schnee- 
Bei  heftigem  Südwind  imd  hoher  Tem-  flachen  eine  schmutzig-rotgelbe  Färbung 
peratur  erschien  am  Morgen  des  10.  Marz  und  in  Deutschland  hinterliefsen  die 
über  Sizilien  der  Himmel  tief  gerötet,  in  Hegentropfen  nach  ihrer  Verdunstung 
Mittelitalien  war  der  Himmel  gelb  gefärbt  beträchtliche  Mengen  von  Saud-  und 
und  in  Deutschland  erschien  am  11.  März  Lehmpartikelchen.    Ob  der  von  Norden- 


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Geographisch 


e  Neuigkeiten. 


223 


skjöld  aus  Schweden  gemeldete  Fall 
grauen  Schnees  mit  dieser  Natur- 
erscheinung in  ursächlichem  Zusammen- 
hange steht,  wird  die  mikroskopische 
und  chemische  Prüfung  des  Rückstandes 
ergehen.  Als  Ursache  des  Sand  regen  s 
nahm  man  in  Süditalien,  wo  der  blutrote 
Himmel,  der  rötlich  gefärbte  Regen  und 
die  abnorm  hohe  Temperatur  Angst  und 
Schrecken  unter,  der  Bevölkerung  ver- 
breitete, einen  heftigen  Ausbruch  des 
Vesuvs  an,  in  den  Alpen  dachte  man 
stellenweise  an  Blütenstaub  und  in  Ham- 
burg, wo  während  der  Zeit  Nordostwind 
wehte,  glaubte  man,  dafs  der  Staub  von 
den  isländischen  Vulkanen  herrühre.  Bei 
mikroskopischer  Untersuchung  in  Ham- 
burg erwies  sich  jedoch  der  dort  nieder- 
gefallene Staub  als  ein  Gemenge  von 
weifsem  Quarzsand  von  äufserst  feiner 
Beschaffenheit  mit  eigentümlich  braunen, 
oft  rötlichen,  anscheinend  organischen 
Partikclchen  und  hin  und  wieder  auf- 
tretenden kugeligen,  wahrscheinlich  zur 
Familie  der  Palmellaceen  gehörenden 
grünen  Algenzellen,  was  die  isländische 
Herkunft  ausschlofs  und  auf  nordafrika- 
nischen  Ursprung  hindeutete.  Wenn  auch 
ein  endgiltiges  Urteil  vor  Beendigung  der 
vom  preufoischen  meteorologischen  Institut 
eingeleiteten  umfangreichen  Unter- 
snr%»ng  der  Naturerscheinung  noch  nicht 
abgegeben  werden  kann,  so  läfst  sich 
doch  schon  jetzt  feststellen,  dafs  die 
weitverbreitete  Erscheinung  auf  eine 
einzige  Ursache  zurückzuführen  ist ,  und 
dafs  der  „Blutregen'4  seine  UrBache  in 
einem  Cyklon  hat,  der  im  Norden  Afrikas 
entstanden  ist  uud  vom  äufsersten  Süden 
Europas  über  Italien  den  ungewöhnlichen 
Weg  über  die  Alpen  nach  Deutschland 
genommen  hat  und  beträchtliche  Mengen 
afrikanischen  Wüstensandes  mit  sich 
führte. 

Europa. 

*  F.  M.  Exner  hat  durch  Boloineter 
vom  21).  August  bis  4.  Oktober  v.  J.  durch- 
schnittlich alle  drei  Stunden  die  Wasser- 
tetnperaturen  des  Wolfgangsees 
in  24,  87,  149,  274,  524  cm  Tiefe  gemessen 
und  gefunden,  dafs  bei  der  Erwärmung 
des  Wassers  die  Leitung  nur  eine  sehr 
geringe  Rolle  spielt,  während  die  Strahlung 
die  Hauptsache  ausmacht  und  noch  in 
5,2  m  Tiefe  eine  merkliche,  wenn  auch! 


geringe  Wirkung  ausübt.  I) je  Temperatur 
der  Luft  und  des  Wassers  läfst  sich 
durch  die  Summe  zweier  Sinuswellen 
darstellen,  die  eine  24-  und  12 stündige 
Periode  haben,  beide  zeigen  eine  Abnahme 
der  Amplitude  mit  zunehmender  Tiefe, 
erstere  zugleich  auch  eine  geringe  Phasen- 
verschiebung. So  lang  andauernde  Be- 
obachtungen mit  dreistündigem  Termine 
sind  bis  jetzt  noch  nicht  ausgeführt 
worden.  W.  H. 

*  Die  Bevölkerung  desDeutschen 
Reiches  beläuft  sich  nach  der  Volks- 
zählung vom  1.  Dezember  1900  laut  Mit- 
teilung des  kaiserlichen  statistischen  Amts 
auf  50  345  014  Personen,  davon  27  781  u67 
männlich  und  28  013  947  weiblich.  Auf 
Preufsen  kommen  34.5  Millionen,  auf 
Bayern  0,2,  auf  Sachsen  4,2  und  auf 
Württemberg  2,3  Millionen.  In  den  Grois- 
städten  über  100 000  Einwohnern,  deren 
es  jetzt  33  giebt,  wohnen  9,180,814  Per- 
sonen. Seit  1895  wuchs  die  Reichs- 
bevölkerung um  4  Millionen  oder  7,7M  Pro- 
zent, das  ist  der  höchste  Zuwachsdurch- 
schnitt der  letzten  sechs  Lustren. 

*  Die  Bevölkerung  Dänemarks 
nach  der  Volkszählung  vom  1.  Februar 
1901  beträgt  nach  einer  vorläufigen  Mit- 
teilung des  dänischen  statistischen  Bureaus 
2  447  441  Menschen.  Davon  wohnten  in 
Kopenhagen  mit  seinen  Vorstädten 
Frederiksberg  und  Sundby  470  870, 
während  1880  dort  nur  381  082  Einwohner 
gezählt  wurden.  Ein  zweites  Fünftel  der 
Gesamtbevölkerung  bewohnt  die  übrigen 
Städte,  und  die  Landbevölkerung  macht 
die  übrigen  drei  Fünftel  aus.  Die  elf 
gröfseren  Proviuzstädte,  deren  Einwohner- 
zahl mehr  als  10  000  Seelen  beträgt, 
stiegen  von  170  135  auf  244  351  E.  oder 
um  43,0  Prozent  seit  1880.  1801  wohnten 
in  dem  heutigen  Dänemark  nur  929  000 
Bewohner.  Der  Zuwachs  in  den  letzten  elf 
Jahren  beträgt  durchschnittlich  1,09  Pro- 
zent jährlich,  der  Durchschnittsprozent- 
satz des  verflossenen  Jahrhunderts  beträgt 
0,97  Prozent  im  Jahre.  Am  gröfsten  war 
die  Bevölkerungszunahme  in  der  Zeit  von 
1840—1800,  wo  die  Bevölkerung  jährlich 
um  1,11  Prozent  stieg,  am  geringsten  von 
1801  —  1840,  wo  sie  jährlich  nur  0,84  Pro- 
zent betrug. 

*  Uber  die  jüngste  Thätigkeit 
des  Vesuvs  hat  der  italienische  Forscher 
Matteucci,  der  sich  seit  einer  Reihe  von 


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224 


Geographische  Neuigkeiten. 


Jahren  hauptsächlich  mit  dem  Studium 
des  Vesuvs  beschäftigt,  der  Pariser  Aka- 
demie nähere  Mitteilungen  gemacht.  Seit 
Anfang  Juli  1896  war  der  Vesuv  mehr 
als  4  Jahre  hindurch  in  fast  ununter- 
brochener Thätigkeit.  Krst  am  1.  Sept. 
1891)  hörte  das  Ausfliefsen  der  Lava  aus 
der  Seitenspalte  auf.  Der  Krater  war 
damals  'iuo  m  tief,  aber  nunmehr  stieg 
die  Lava  in  seinem  Innern,  sodafs  sie 
am  24.  April  vorigen  Jahres  bereits  in 
80  m  Tiefe  wahrzunehmen  war.  Ks  be- 
gann nun  eine  Epoche  erneueter  Thätig- 
keit des  Vulkans,  die  darin  bestand,  dafs 
heftige  Explosionen  im  Krater  eintraten; 
auch  Flammen  wurden  beobachtet.  Die 
ausgeworfenen  vulkanischen  Bomben  und 
Blöcke  erreichten  Höhen  bis  zu  537  in 
über  dem  Kraterboden  Der  gröfste  Block, 
den  Matteueri  mafs,  hatte  ein  Gewicht 
von  etwa  600  Centnern  und  beschrieb 
seine  Wurfbahn  in  17  Sekunden.  Der 
italienische  Forscher  berechnet  die 
lebendige  Kraft  der  Dämpfe,  welche  diesen 
Kiesenblock  emporschleuderte,  auf 
608  000  Pferdekräfte,  und  schätzt  die  ge- 
sammte  Masse  des  in  den  Monaten  April 
und  Mai  ausgeworfenen  Materials  auf 
500  000  cbm.  Kings  um  den  Krater  häufton 
sich  die  Massen  in  so  grofsen  Mengen 
an,  dafs  der  Vesuv  volle  10  m  höher  wurde, 
indem  seine  höchste  Spitze  gegenwärtig 
1303  m  über  deu  Meeresspiegel  aufragt, 
statt  1293  m,  wie  es  früher  der  Fall  war. 
Während  der  Hauptthätigkeit  des  Vesuvs 
war  Matteucci  oft  in  «1er  Nähe  des  Kraters, 
zuweilen  mit  Lebensgefahr.  So  am 
13.  Mai  1900,  wo  plötzlich  gegen  Mittag 
eine  furchtbare  Explosion  im  Krater  statt- 
fand und  unzählige  Steinblöcke  und 
glühende  Schlacken  emporgeschleudert 
wurden,  bei  welcher  Gelegenheit  der 
Forscher  fast  nur  wie  durch  ein  Wunder 
dem  Tod  entging.   (39.  Beil.  z.  Allg.  Ztg.) 

Afrika. 

*  Die  1899  veranstaltete  West- 
afrikanische Kautsc  buk- Expe- 
dition1) hat  das  Resultat  ergeben,  dafs 
in  Afrika  als  sicher  Kautschuk  gebend 
bisher  bekannt  sind:  Landolphia  to- 
mentosa  (Senegambien),  L.  heudelotii 


1» Schlechter, R  .Kautschuk- Expedition. 
Berl.  1900. 


(vielleicht  nur  Abart  vor.),  L.  como- 
rensis  (O.Afr.i,  L.  kleinci  Flufsgeb.  d. 
Kongo i,  L.  curriensis  tweit  verbr.  in 
W.Afr  u.  d.  Sudan),  L.  kirkii  iS  O.Afr... 

Der  beste  Kautschuk  stammt  von  L. 
kl  ein  ei.  Von  ihr  stammt  das  „Kassai 
rouge"  des  Handels.  Diese  Art  ist  daher 
auch  hauptsächlich  im  Kongostaat  ge- 
pflanzt; doch  sind  noch  die  Pflanzungen 
zu  jung,  um  über  ihre  Ergebnisse  zu  ur- 
teilen. Denn  eine  Kautschukliane  mfi&tc 
15  Jahr  werden,  ehe  der  Stamm  an- 
zapfungsfähig ist,  da  ßie  während  des 
aufserordentlichen  Längenwachstums  kein 
stärkeres  Dickenwachstum  aufweist. 

Bei  Landolphien  und  Kickxien  scheint 
eine  Kautschukentziehung  aus  jüngeren 
Teilen  nicht  ratsam. 

Von  Wurzelkautschukpflanzen  liefert 
Carpodinus  lanceolatus  keinen  guten 
Kautschuk  und  erfordert  zu  seiner  Aus- 
nutzung zu  viel  Arbeit. 

Aufser  Ficus  vogelii  sind  noch 
keine  Kautschuk  liefernde  Feigenbäume 
aus  Afrika  bekannt;  von  anderen  Arten 
ist  der  Saft  zu  leimig,  daher  nicht  für 
alle  Zwecke  brauchbar;  auch  bei  F.  v. 
ist  er  nicht  harzfrei,  aber  doch  besser, 
ähnlich  bei  einer  F.  von  Buea. 

Von  Kickxia- Arten  Afrikas  liefert 
wirklich  guten  Kautschuk  nur K  elastica, 
das  der  anderen  Arten  ist  ebenfalls  zu 
klebrig.  Doch  lieferte  ein  Baum  jener 
Art  allein  3400  cem  Milchsalt  .  150  cem 
Milchsaft  aber  90  g  guten  Kautschuk. 
Auf  die  Anpflanzungsart  und  auf  die  An- 
zapfungsart dieser  K.  geht  daher  Verf. 
näher  ein.  Besonders  empfiehlt  er,  die 
Milch  zur  Koagulation  einzukochen. 

Auch  auf  Anpflanzung  von  Manihot 
glaziovii  und  Ficus  elastica  wird 
kurz  eingegangen. 

Unter  den  von  Schlechter  durchreisten 
Gebieten  hat  pflanzengeographisch  Togo 
das  gröfste  Interesse,  da  die  Küsten  und 
Binnenlandsgebiete  gröfsere  Verschieden- 
heiten zeigen  als  in  den  angrenzenden 
Gebieten.  Es  lassen  sich  dort  3  Zonen 
unterscheiden. 

Zunächst  der  Küste  ist  eine  ausge- 
sprochen xerophy tische  Buschsteppe,  die 
besonders  durch  das  Fehlen  der  Alpalme 
und  die  Spärlichkeit  der  Gräser  ausge- 
zeichnet ist.  Es  finden  sich  mannshohe 
Büsche  oder  kleineres  Gesträuch,  nur  hin 
und   wieder   verkrüppelte  Bäume.  Die 


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Geographische  Neuigkeiten. 


225 


Sträucher  sind  meist  Kuphorbiaceen  und 
Kubiaceen,  nicht  selten  auch  Asclepiadeen. 

Viel  weitere  Ausdehnung  hat  eine 
zweite  Gras-  und  Buschsteppenzone,  in 
der  Ölpalnien  auftreten.  An  periodischen 
Bächen  finden  xich  da  Buschwaldgruppen. 
Aufser  vielen  Gräsern  und  Gyperacecn 
finden  sich  namentlich  Scrophalariaceen, 
dann  Kubiaceen,  Kuphorbiaceen,  Gentia- 
neen,  kleine  Leguminosen,  Malvaceeu  und 
Asclepiadaceen ,  Orchidaceen  u.  a.;  von 
Bäumen  sind  Leguminosen,  Sterculiaceen, 
Kuphorbiaceen,  Gombretum  und  Bassia. 
An  Wasserläufen  findet  sich  ein  Übergang 
zu  einer  dritten  Zone. 

Diese  Urwaldzone  ist  sehr  unregel- 
mäßig ausgedehnt.  Dort  findet  sich 
dichtes  Unterholz.  Nicht  selten  ist  der 
Boden  mit  Alpinien,  die  oft  Mannesbohe 
erreichen,  bedeckt.  Im  Unterholz  spielen 
Kubiaceen  und  Kuphorbiaceen  die  Haupt- 
rolle. Der  ganze  Buschwald  ist  mehr 
oder  minder  dicht  mit  Kickxia  afri- 
cana  bestanden.  Die  höchsten  Bäume 
aber  sind  Leguminosen,  Ghlorophora, 
Kuphorbiaceen  und  Gombretaceen. 

Diesem  Waldgebiet**  Togos  ist  das  der 
Hinterländer  von  Lagos  sehr  ähnlich,  doch 
beginnt  dort  die  Waldzone  gleich  hinter 
der  Küste. 

Die  Kongoflora  hält  Schlechter  für 
arm  an  endemischen  Arten;  am  meisten 
treten  solche  noch  in  der  Küstenzone  auf. 
Die  zweite  Zone  ist  da  aber  typischer 
Äquatorialwald;  dieser  erinnert  sehr  an 
Kamerun.  H«"»ck. 

»  Von  einer  Erforschung  des  bis- 
her noch  völlig  unbekannten  süd- 
westlichen Sch  ari-Beckens  glücklich 
nach  Brazaville  am  Kongo  zurückgekehrt 
ist  jetzt  eine  französische  Kxpedition,  die 
unter  Huot  und  Bernard  Mitte  vorigen 
Jahres  von  der  Gribingi-Station  westwärts 
aufgebrochen  war.  Nach  (  berschreitung 
mehrerer  nordwärts  fliefsender  Gewässer, 
die  sich  zum  Fafa-Flul's  vereinigen,  er- 
reichte man  schliefslich  einen  großen 
Flufs  Wa  oder  Wom,  an  dessen  Ufern 
Dagbas  wohnten,  die  kurze  Canoes  ähn- 
lich denen  auf  dem  Schari  benutzten 
Man  schiffte  sich  auf  dem  Strome  ein 
und  folgte  seinem  nordöstlich  gerichteten 
Laufe  bis  ungefähr  7'//  n.  Br. ,  wo  der 
Flufs  plötzlich  nach  Nordwesten  umbiegt. 
Bernard  hält  diesen  Flufs  für  identisch 
mit  dem  Bahr  Sara,  den  Maistre  für  einen 


der  drei  Hauptarme  des  Schari  hält,  und 
betrachtet  ihn  sogar  als  den  Hauptquell- 
flufs  des  Schari.  Kr  soll  weit  im  Westen 
entspringen  und  einer  der  Stämme,  die 
dort  an  seinen  Ufern  wohnen,  soll  von 
Kuropäern  Derlen  erhalten  haben.  Der 
Flufs  hatte  eine  Breite  von  150  bis 
200  Yards  bei  einem  zwischen  Felsen  sich 
hinwindenden  Laufe.  Nachdem  man  dem 
Flusse  noch  bis  6°  45'  n.  Br. ,  ungefähr 

80  km  von  dem  Punkte  entfernt,  bis  zu 
welchem  Perdrizet  von  Norden  her  auf  ihm 
vorgedrungen  war,  gefolgt  war,  wandte 
man  sich  der  Krforschung  der  gebirgigen 
Landschaft  zwischen  Kongo-  und  Schari - 
becken  zu  und  fuhr  dann  zunächst  auf 
dem  Bali  und  spater  auf  dem  Sanga  zum 
Kongo  hinab. 

*  Im  Hinterlande  der  Elfenbein- 
küste haben  in  letzter  Zeit  zwei  fran- 
zösische Kxpeditionen  bemerkenswerte 
Keisen  ausgeführt;  eine  Kxpedition  unter 
Hostains  und  d'Ollones  brach  1899 
von  der  Klfenbeinküste  auf,  ging  den 
Gavally  aufwärts  und  erreichte  glücklich 
ihr  Ziel,  den  oberen  Nil.  Mit  dieser 
Kxpedition  sollte  sich  eine  andere  ver- 
einigen, die  zu  derselben  Zeit  unter 
Woelffel  vom  Niger  her  südwärt«  nach 
der  Küste  zu  marschierte;  da  sich  jedoch 
Hostains  zu  weit  westlich  hielt,  könnt«' 
die  Vereinigung  nicht  durchgeführt 
werden;  jedoch  vermochte  auch  Woelffel 
im  Quellgebiete  des  Sassandra  wichtige 
Forschungen  auszuführen.  Die  Kxpedition 
verliefs  Sigiri  am  oberen  Nil  am  18.  Febr. 
1899,  überschritt  den  Tankisso  um!  den 
Niger  an  einer  2000  Yards  breiten  Stelle, 
besuchte  den  wichtigen  muhamedanischen 
Platz  Kankan  und  gelangte  nach  Bissan- 
dugu,  der  einstigen  Hauptstadt  Samory's. 
heute  ein  Dorf  von  100—150  Kinw.  In 
Beila  auf  der  Wasserscheide  zwischen 
Niger  und  den  Küstenflüssen  wurden  die 
letzten  Vorbereitungen  getroffen  und  dann 
begannen  die  Aufnahmen  im  Gjuellgebiete 
des  Diugu  oder  Gavally  und  «les  Sassandra, 
ungefähr  dort,  wo  sich  auf  älteren  Karten 
das  sagenhafte  Kong-Gebirge  verzeichnet 
findet.  Das  Land  ist  von  einer  Keihe 
von  Bergmassiven  aus  Granit  und  Sand- 
stein besetzt,  von  denen  nach  allen  Seiten 
Gewässer  herabfliefsen.  die  von  dem  mehr 
als  7  Monate  des  Jahres  währenden 
Winterregen    gespeist    werden.  Unter 

81  j"  n.  Br.  trennt  die  Geye- Kette  das 


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226 


Geographische  Neuigkeiten. 


Nigerbecken  von  dem  des  Pareduguha, 
der  höchst  wahrscheinlich  mit  dem  Sas- 
sandra  identisch  ist.  In  dieser  Breite 
erreichen  auch  die  Bergmassive  ibre 
höchste  Höhe,  der  Naba  mit  ca.  2200  m 
und  der  Salekuma  mit  über  3000  m.  Die 
oberen  Teile  sind  kahl  und  vegetations- 
los, da  der  fruchtbare  Hoden  in  die 
Thäler  hinabgeschwemmt  worden  ist. 
Der  dichte,  fast  undurchdringliche  Küsten- 
wald  reicht  bis  in  die  Gegend  zwischen 
7e  und  8°  n.  Br.,  wo  seine  Grenze  von 
Westnordwest  nach  Südsüdost  verläuft. 
Die  Bewohner,  die  sich  der  Kxpedition 
sehr  feindlich  gesinnt  zeigten  und  fort- 
während Angriffe  auf  sie  unternahmen, 
waren  behende  und  gut  gewachsen,  von 
mittlerer  Gröfse  und  mehr  bronze  als 
schwarzer  Farbe.  Die  Djulas  und  Hobes, 
die  mit  den  Küstenstämmen  Handel  treiben, 
aber  noch  im  Küstenwalde  wohnen,  sind 
Anthropophagen. 

»  Die  portugiesische  Regierung 
ist  vom  Parlament  ermächtigt  worden, 
eine  schmalspurige  Bahn  von  der  Bai 
von  Lobito,  nördlich  Benguelas  i  West- 
afrika) nach  dem  fruchtbaren  Hochplateau 
von  Ka'conda,  das  für  eine  europäische 
Auswanderung  höchst  günstig  zu  sein 
scheint,  zu  erbauen.  Die  fläfen  von 
Lobito  und  Benguela  werden  somit  ihrer 
eigentlichen  Bestimmung  wieder  zurück- 
gegeben; es  sollen  dort  sofort  alle  nötigen 
Verbesserungen  und  Veränderungen  aus- 
geführt werden.  B. 

Nordamerika. 

*  Der  vor  kurzem  in  Chicago  ah- 
gehaltene neunte  I  rrigations-Kongrefs 
ist  insofern  von  mehr  als  vorübergehender 
Bedeutung,  als  seine  Bemühungen  für 
ein  rationelles  Berieselungssystem  nun 
wohl  zu  praktischen  Resultaten  seitens 
der  Bundesregierung  führen  werden.  Prä- 
sident Mc  Kiuley  interessiert  sich  lebhaft 
für  die  Wiedergewinnung  der  „arid  lands" 
in  den  Weststaaten  und  wird  darin 
kräftig  von  dem  neuerwählteu  Vizeprä- 
sidenten Hoosevelt,  dem  Sekretär  des 
Innern  Hitchcock  und  dem  Sekretär  der 
Landwirtschaft  Wilson  unterstützt.  Man 
glaubt  allgemein  in  Washington,  dafs 
den  im  Vorjahr  für  Vermessungen  dieser 
Ländereien  bewilligten  KU)  000  Dollars 
während  der  neuen  Finanzperiode  weitere 
200  000  Dollars  für  den  gleichen  Zweck 


folgen  werden.  Diese  Vermessungen  ge- 
schehen nach  zwei  Seiten  hin.  Die  geo- 
logische Abteilung  hat  es  vornehmlich 
mit  Aufnahme  der  Wasserläufe  zu  thun 
und  verzeichnet  sie  auf  Karten,  die  den 
lniiieralogischen  Karten  der  Gebirg.s»taaten 
ähnlich  sind.  Diese  Karten  werden  dem- 
nach iKe  Wasserscheide,  das  Irrigations- 
becken, das  Quantum  des  verfügbaren 
Wassers  und  die  Lage  der  zu  errichtenden 
Reservoirs  airgeben.  Die  Ingenieure  des 
landwirtschaftlichen  Departements  hin- 
gegen haben  für  eine  gewöhnliche  Landes- 
aufnahme, die  die  Lage  und  den  l'mfang 
der  „arid  lands"  angeben,  zu  sorgen.  In 
andern  Worten:  die  geologische  Abteilung 
stellt  fest,  wie  viel  Wasser  für  Irrigations- 
zwecke vorhanden  und  wo  dasselbe  zu 
finden  ist;  die  landwirtschaftliche  da- 
gegen, wie  und  wo  dasselbe  am  vorteil- 
haftesten zu  verwerten  ist.  Die  eihe 
Abteilung  löst  das  technische  Problem, 
die  andere  das  volkswirtschaftliche. 

In  einer  Zuschrift  des  neuen  Hundes- 
Vicepräsidenten  Roosevelt  an  den  oben 
erwähnten  Kongrefs  führt  derselbe  aus, 
dafs  eine  Lösung  der  „arid  laud"- Frage 
nur  dann  möglich  sei,  wenn  man  die 
Forstwirtschaft  auf  eine  rationelle  Basis 
bringe.  Nicht  nur  müfsten  die  Forst- 
reserven verzehnfacht  werden,  sondern 
es  sei  auch  erforderlich,  dafs  die  Privat- 
forsten der  Bundes-  resp.  Staatsaufsicht 
unterstellt  werden  müfsten.  Sodann  aber 
müfste  auch  die  Überwachung  der  Reserven 
strenger  durchgeführt  werden.  Die  Durch- 
führung dieses  umfassenden  Planes  hat 
Herr  Roosevelt.  der  einer  der  besten 
Kenner  des  grolscu  Westens  ist,  in  sein 
Programm  als  Vicepräsidcnt  aufgenommen. 

T.  M.  S. 

*  Thee-Anbau  in  Amerika  Die 
interessanten  Thee-Anbau  versuche 
des  Dr.  ('.  V.  Shepard  in  Summerville, 
Süd-Carolina,  die  derselbe  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  anstellte,  haben  zudem  Resultat 
geführt,  dafs  der  Anbau  nun  im  großen 
Mafsstabe  begonnen  und  kaufmännisch 
betrieben  werden  soll.  Kapitalisten  aus 
den  Nordstaateu  Amerikas  haben  sich 
bereit  erklärt,  das  1'nternehmen  zu  finan- 
zieren. Der  Anfang  des  Unternehmens 
ist  bereits  gemacht  und  zwar  mit  dem  An- 
kauf eines  Landkomplexes  von  4000  Acres, 
dem  später  weitere  Ankäufe  folgen  sollen. 
Das  Land  ist  etwa  fünfzehn  englische 


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Geographische  Neuigkeiten. 


Meilen  von  Charleston  entfernt  und  wird 
von  der  Charleston-  und  Savannah  Eisen- 
bahn berührt.  T.  M.  S. 

Südamerika. 

*  Die  Kntwickelung  des  Eisen- 
bahnnetzes in  Bolivia  hat  in  der 
letzten  Zeit  beträchtliche  Fortschritte  ge- 
macht. Gegenwärtig  sind  940  englische 
Meilen  (1612,6  km  im  Betriebe,  die  sich 
wie  folgt  verteilen: 

Challapata— Snire  .  .  .  60  Meilen 
Cochabamba— Suire  .  .  200  „ 
La  Paz— Corosoro  ...  70  „ 
La  Paz— Oruro  ....  150  „ 
La  Paz— Puerto  Perez  45  „ 
Oruro— Cochabamba  .  125  „ 
Oruro-  Lagunillas   .  .  60 

Potosi—  Suire   90 

Tarija— Tupiza  ....  140 

B. 

♦  Uber  die  erst  in  letzter  Zeit  etwas 
genauer  bekannt  gewordenen  Seen 
Patagonien  s  teilt  Hatcher  im  Bulletin 
der  geogr.  Gesellschaft  in  Philadelphia 
(Dez.  1900;  aus  seinen  Untersuchungen 
Folgendes  mit:  Man  kann  drei  besondere, 
auch  der  geographischen  Lage  nach  von 
einander  getrennte,  nordsüdlich  gerichtete 
Seensysteme  unterscheiden,  je  nachdem 
sie  tektonischen,  glazialen  und  residualen 
Ursprungs  sind.  Zu  den  Seen  tektonischen 
Ursprungs  gehören  die  schönen  grofsen 
Wasserflächen,  die  sich  auf  der  Linie  des 
72.°  w.  L.  südlich  von  46°  s.  Br.  an- 
einanderreihen, die  Seen  Argentino,  San 
Martin,  Pueyrredon  und  BuenoB  Aires; 
sie  sind  von  West  nach  Ost  gerichtet  und 
reichen  mit  ihren  westlichen,  stark  zer- 
rissenen Teilen  tief  in  die  östliche  Seitcn- 
kettc  der  Anden  hinein,  von  der  die  Gletscher 
zu  ihnen  herunterreichen.  Diese  Seen 
verdanken  ihre  Entstehung  der  ungleichen 
Schichtenfaltung,  die  wahrend  des  Auf- 
steigens  der  südlichen  Anden  in  der 
späteren  Tertiärzeit  stattgefunden  hat. 
Östlich  von  dieser  Seenreihe  und  bereits 
außerhalb  der  Andenvorhügel  geht 
eine  zweite  von  Nord  nach  Süd,  deren 
Glieder  —  wie  Laguna  Bianca,  Cardiel. 
Colhue  und  Musters  —  kleiner  sind  als 
die  der  ersten  Reihe;  diese  sind  nach 
Hatcher  glazialen  Ursprungs,  entstanden 
durch  das  Abdämmen  vorglazialer  Ent- 
wässerungswege durch  Olazialgeröll 
während  des  Zurückweichens  der  Gletscher, 


227 

die  beim  Schlüsse  der  dortigen  Eiszeit 
die  betreffenden  Thäler  einnahmen.  Über 
die  Entstehungsursache  dieser  beiden 
Seensysteme  ist  wohl  auch  sonst  kein 
Zweifel  gewesen,  wohl  aber  über  die 
Bildung  des  dritten  Systems,  der  zahl- 
reichen Salzseen,  die  über  die  ganze 
patagonische  Ebene  von  Bahia  Bianca 
bis  zur  Magellanstrafse  zerstreut  liegen. 
Dr.  0.  Nordenskjöld  ist  der  Meinung,  dafs 
das  Salz  dieser  Seen  nicht  direkt  aus 
dem  Meere  herrührt,  sondern  daher,  dafs 
sie  keinen  Abflufs  haben,  und  aus  der 
Zuführung  von  Salz  durch  das  von  den 
umgebendenFelsenhineinfliefscndcWasser. 
Hatcher  dagegen  meint,  dafs  diese  von 
ihm  Residualseen  genannten,  außer- 
ordentlich flachen,  aber  streng  umgrenzten 
und  oft  sehr  ausgedehnten  Gewässer  ihr 
Salz  aus  dem  Meere  her  haben;  sie  seien 
aus  Wasserflächen  entstanden,  die  während 
des  allgemeinen  Aufsteigen*  am  Schlüsse 
der  Tertiärzeit  vom  offenen  Meere  ab- 
geschnitten worden  wären;  sie  wären  also 
keine  ehemaligen,  durch  Ausdunstung 
salzig  gewordenen  Süfswasserseen.  Für 
seine  Behauptung  führt  Hatcher  eine 
Reihe  von  Beobachtungen  an.  (Globus, 
Bd.  LXXIX,  p.  163.) 

Polarregionen. 

*  Die  hauptsächlichsten  Resultate  der 
Nordpolarexpedition  des  Herzogs 
der  Abruzzen  in  wissenschaftlicher  Be- 
ziehung sind  nach  dem  Februarheft  des 
Boll,  della  soc.  Geogr.  Ital.  etwa  die 
folgenden : 

Der  nördlichste  Punkt  vom  Franz 
Josefland,  das  Kap  Fligely,  liegt  unter 
81°  51'  N.  Br.,  die  Inselgruppe  besitzt 
also  erheblich  kleinere  Dimensionen  als 
bisher  angenommen  wurde.  Die  meteoro- 
logischen Aufzeichnungen  in  der  Bai 
Teplitz,  welche  ein  Jahr  hindurch  fort- 
gesetzt wurden,  ergaben  beträchtliche 
Tagesschwankungen  des  Luftdrucks  und 
der  Temperatur,  die  hygrometrischen 
Messungen  ergaben  nur  für  das  Sommer- 
halbjahr brauchbare  Resultate.  Die 
Winde  kamen  meist  mit  bemerkenswerter 
Geschwindigkeit,  vorwiegend  aus  dem 
1.  und  2.  Quadranten.  Die  Schwere- 
bestimmungen mit  dem  Sterneck- Apparat 
wurden  sowohl  bei  Kap  Flora,  wie  in  der 
Bai  Teplitz  unternommen;  magnetische 
Beobachtungen    nur    in    letzterer.  Im 


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228 


Geographische  Neuigkeit  en 


Zusammenhang  mit  denjenigen  von 
Jackson  hei  Kap  Flora  liefern  sie  ein 
Mild  Alter  die  Veränderungen  der  Dekli- 
nation. Zur  Zeit  der  Sommersolstitien 
und  der  Aequinoktien  wurden  stündlich 
Flutniafsbestiinmungen  mittels  des  Maräo- 
meters  gemacht.  I)ie  Nordlichter  waren 
stets  sehr  wenig  intensiv  und  meist  von 
weifslicher  Farbe,  sie  erschienen  meist  am 
Nordosthimmel.  Das  animalische  Lehen 
war  nur  sehr  schwach  vertreten;  neben 
dem  Eisbär  wurden  wenige  Seehunde  und 
Walrosse  beobachtet,  von  Vögeln  Taucher- 
enten, Silbermöven,  Eislummer  und  blaue 
Moven.  Im  Heitmann'schen  Kanal  wurden 
Narwale  und  weifae  Delphine  bemerkt 
Die  3ü  Arten,  die  das  l'flanzenherbar 
aufwies,  gehörten  6  Phanerogamen-  und 
Krvptogamenfamilien  an,  abgesehen  von 
den  Algen  und  Schwämmen.       \V.  H. 

*  Eine  Hilfsexpedition  zur  Auf- 
suchung des  Leutnants  Guerini  und 
seiner  zwei  Gefährten  von  der  Nordpol- 
expediton  des  Herzogs  der  Abruzzen,  die 
mit  Cagni  nordwärts  aufgebrochen  waren, 
später  aber  umkehrten,  jedoch  nicht  im 
Standquartier  der  Expedition  auf  Kron- 
prinz-Rudolf-Land wieder  angekommen 
sind,  wird  sobald  es  die  Jahreszeit  erlaubt 
von  Norwegen  nach  Norden  aufbrechen. 
Der  Vater  des  Norwegers  Stökken,  eines 
der  drei  Verschollenen,  der  Aber  die  nach 
seiner  Meinung  sehr  voreilige  und  durch 
nichts  zu  rechtfertigende  Abreise  des 
üerzog8  ohne  die  Verschollenen  tief  empört 
ist,  hat  seine  ganze  Kralt  daran  gesetzt, 
diese  Hilfsexpedition  zustande  zubringen. 
Von  Sandefjord  aus  wird  die  fünfzig  Mann 
starke  Expedition  auf  der  „f  apella"  nach 
Norden  alifahren,  die  Verunglückten  zu 
suchen,  die,  falls  sie  auf  eins  der  zurück- 
gelassenen Depots  mit  Nahrungsmitteln 
gestofsen  sind,  noch  am  Leben  sein  können. 

Geographischer  Unterricht. 

Geographische  Vorlesungen 

an  den  deutschsprachigen  t'tiiversiWtcn  um]  tech- 
nischen Hochschulen  im  Somm.  rseincstcr  19ül. 

Deutschen  Reich, 
Berlin:  o.  Prof.  v.  Richthofen: 
Geographie  der  Meeresküsten,  4st.  — 
Kolloquium,  I st,  —  o.  Prof.  Sieglin: 
Geographie  von  Nordafrika  im  Altertum, 
2 st.  —  Übungen,  2st.  —  a.  o.  Prof.  v.  Dry- 
galski:  Geophysik,  "ist.  —  Kolloquium, 


'2st.  —  Pd.  Meinardus:  Klimatologie, 
I  'ist.  —  Pd.  Kretschmer:  Mittelalterliche 
Geographie  von  Deutschland,  Ist.  — 
Kartenprojektionslehre. 

Bonn:  o.  Prof.  Rein:  Klimatologie. 
2st.  —  Geographie  Amerikas.  4st.  — 
Seminar.  2 st.  —  Pd.  Prof.  Philippson: 
liest  nicht. 

Breslau : o.  Prof.  P a  r t  s c h :  < ieographie 
von  Asien,  4st.  —  Die  Eiszeit  und  ihre 
geographischen  Wirkungen,  Ist  —  Semi- 
nar, 2 st  —  Pd  Leonhard:  Hydrographie 
des  Festlandes,  2  st.  —  Geogr.  Exkursionen. 

Erlangen:  a.  o.  Prof.  Pechucl- 
Lösche:  Allgemeine  Erdkunde:  Welt 
und  Erde,  4  st.  —  Witterungskunde, 
Wetterprognose  und  Wetterschiefsen,  Ist 

—  Übungen,  2st. 

Freiburg  i.  Br.:  o.  Hon. -Prof.  Ken- 
mann: Länderkunde  von  Asien,  4 st.  — 
Landeskunde  der  Schweiz,  2«t.  —  Ge- 
schichte des  Zeitalters  der  Entdeckungen. 

—  Kartographische  und  kartometrische 
Übungen,  1  V,  »t, 

Giefsen:  a.  o.  Prof.  Sievers:  Völker- 
kunde und  Anthropogeographie,  2  st.  — 
Geographie  von  Australien  und  Oeeanien, 
3st.  —  Kartographische  (billigen,  2st.  — 
Historisch -geographische  Übungen,  2  st. 
Exkursionen. 

Göttingen:  o.  Prof.  Wagner:  Anthro- 
pogeographie, 4  st.  —  Kartographischer 
Kurs  II,  2 st.  —  Übungen  für  Fortge- 
schrittenere, 2 st,  —  Kepetitorium,  Ist. 

Greifswald:  o.  Prof.  Credner:  Über- 
sicht der  aufserenropäischen  Erdteile,  3  st. 

—  Grundzüge  der  allgemeinen  Klima- 
tologie, 2  «t.  —  Übungen.  Ist.  —  Ex- 
kursionen. 

Halle:  o.  Prof.  Kirchhoff:  Aus- 
gewählte Kapitel  der  Anthropogeographie, 
Ist.  —  Asien,  4 st.  —  Südliches  Mittel- 
europa, Ist.  —  Palästinakunde,  Int.  — 
Ü bungen ,  Ist.  —  Pd.  Prof.  S c h e n c k : 
Die  deutschen  Schutzgebiete  in  der  Süd- 
sce  und  in  Ostasien,  1  st.  —  Kolloquium, 
2 st.  —  Pd.  Prof.  Ule:  Topographische 
Übungen,  2 st. 

Heidelberg:  a.  o.  Prof.  Hettner: 
Deutschland  und  seine  Nachbarländer, 
4  st.  —  Einführung  in  das  Verständnis 
der  Erdoberfläche  und  ihrer  Erscheinungen, 
Ist.  —  Seminar,  2 st. 

Jena:  a.  o.  Prof.  Dove:  Geographie 
von  Mitteleuropa,  3 st.  —  Geographie  des 


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Geographische  Neuigkeiten. 


229 


britischen  Weltreiches,  Ist.  —  Übungen 
im  Gelinde. 

Kiel:  o.  Prof.  Krümmel:  Geographie 
des  Deutschen  Reiches,  4  st.  —  Geschichte 
der  Geographie  im  lü.  Jahrhundert,  Ist, 

—  Praktikuni,  2  st.  —  Arbeiten  im  geogr. 
Institut. 

Königsberg:  o.  Prof.  Hahn:  Ethno- 
graphische Übersicht  der  Erde,  8 st.  — 
Meteorologie,  Ist.  —  Geographische 
Übungen,  l'/^st.  —  o.  Prof.  Prutz:  Histo- 
rische Geographie  von  Deutschland,  Ist, 

Leipzig:  o.  Prof.  Ratzel:  Allgemeine 
Krdkunde,  I.  Teil:  Krdteile,  Inselu,  Hoden- 
formen, 8  st,  —  Länder  und  Völker 
Europas  in  der  Gegenwart  mit  bes.  Be- 
rücksichtigung ihrer  politisch-  und  wirt- 
sehaftsgeographischen  Verhältnisse ,  4  st. 

—  Übungen:  Einführung  in  die  Litteratur 
der  physikalischen  Geographie.  —  In 
dessen  Auftrage  Assistent  Dr.  Friedrich: 
Kartenskizzen  an  der  Wandtafel,  Ist.  — 
Geographische  Verbreitung  und  Verkehr 
der  wichtigsten  Produkte,  Ist.  —  a.  o. 
Prof.  Berger:  Die  alte  Geographie  unter 
dem  Einflüsse  der  Römer,  2 st.  —  Tacitus' 
Agricola,  l>/,it  —  Pd.  Weule:  Die 
deutschen  Kolonien  in  Afrika,  2 st.  — 
Einleitung  in  das  Studium  der  Urgeschichte 
der  Menschheit,  Ist,  —  Praktische  und 
wissenschaftliche  Arbeiten  im  Museum 
für  Völkerkunde.  —  Pd.  Sapper:  Iber 
Vulkane  als  geographische  Erscheinung, 
2  st.  —  Ethnologie  der  Iudianerstämme 
Mittelainerikas,  Ist.  —  Anleitung  zu 
wissenschaftlichen  Beobachtungen  auf 
Reisen,  mit  Übungen  im  Gelände,  Ist.  — 
Pd.  Kötzschke:  Deutschland  vor 
100  Jahren,  geographisch  und  kultur- 
geschichtlich, 1  st.  —  Übungen  zur  poli- 
tischen Geographie  Deutschlands  (16.  bis 
19.  Jhrh.). 

Marburg:  o.  Prof.  Fischer:  Geo- 
graphie von  Afrika,  mit  besonderer  Be- 
rücksichtigungderdeutschenSchutzgebiete, 
4  st.  —  Übungen,  2  st.  —  Wissenschaftliche 
Arbeiten,  2  st. 

München  :  a.  o.  Prof.  Oberhummer: 
Geschichte  der  Erdkunde  (neuere  Zeit., 
2 st.  —  Bayerische  Landeskunde,  2 st.  — 
München  und  die  gröfseren  Städte  Bayerns 
nach  ihrer  Lage  und  örtlichenEntwickelung, 
Ist.  —  Kartenlehre  mit  Anleitung  zu 
einfachen  Aufnahmen  im  Gelände,  Ist. 

Münster:  o.  Prof.  Lehmann:  All- 
gemeine physische  Erdkunde,  II.  Teil,  2  st. 


—  Geographie  von  Nord-  und  Osteuropa, 
3 st.  —  Ausgewählte  Abschnitte  aus  der 
Geographie  des  Welthandels  und  Welt- 
verkehrs, Ist.  —  Übungen,  2 st.  Ex- 
kursionen. 

Rostock : 

Straf sburg :  o.  Prof.  G  e  r  1  a  n  d  : 
Physische  Erdkunde;  die  Erdfeste,  4 st. 

—  Immanuel  Kant  als  Geograph  und 
Anthropolog,  Ist,  —  Seminar,  2st. 

Tübingen:  a.  o.  Hassert:  Geographie 
von  Asien,  4  st.  —  Eutdeckungsgeschichte 
der    Polarregiouen    der   Erde,    Ist.  — 

1  bungen. 

Würzburg:  a.  o.  Prof.  Regel:  Länder- 
kunde von  Rufsland,  4st.  —  über  China 
uud  die  europäischen  Interessen  in  Ost- 
asien, Ist.  —  Länderkundliches  Repc- 
titorium,  2 st.  —  Exkursionen.  —  Seminar. 

Österreich-  Ungar». 

Wien:  o.  Prof.  Torna  sehe  k:  Vorder- 
asien in  allen  geographischen  Beziehungen, 
3  st.  —  Über  ausgewählte  Ländergebiete 
von  Afrika,  2 st.  —  l  bungen  für  Lehr- 
amtskanditateu,  2 st.  —  o.  Prof.  Penck: 
Allgemeine  Erdkunde,  I.  T.,  6 st.  —  Semi- 
nar, 28t.  —  Übungen.  —  Pd.  Prof.  Sieger: 
AbriTs  der  Geographie  von  Nordeuropa,  2  st 

Czernowitz:  o.  Prof.  Löwl:  Klima- 
tologie  und  Ozeanographie,  5 st. 

Graz:  a.  Prof.  Richter:  Meteorologie 
und  Klimalehre,  öst.  —  Übungen,  2st. 

Innsbruck:  o.  Prof.  v.  Wieser:  Geo- 
graphie von  Mitteleuropa,  3 st.  —  Ge- 
schichte der  Entdeckung  Amerikas,  Ist, 

—  Übungen .  1  st. 

Prag:  o.  Prof.  Lenz:  Geographie  von 
Afrika,  8 st.  —  Geographie  von  Südeuropa, 

2  st.  —  Übungen. 

Schweiz. 

Basel: 

Bern:  o.  Prof.  Brückner:  Astro- 
nomische und  physikalische  Geographie, 
L  Teil,  3  st.  —  Länder-  und  Völkerkunde 
von  Asien,  3  st.  —  Kartenprojektionslehre 
mit  Übungen,  2 st,  —  Repetitorium  der 
plus.  Geographie,  2 st.  —  Kolloquium, 
2  st.  —  Anleitung  zu  selbst  ändigen  Arbeiten. 

—  Exkursionen. 

Zürich:  o.  Prof.  St  oll:  Physikalische 
Geographie  I.,  2 st.  —  Europäische  .Mittel- 
meerländer, 2 st.  —  Grundzüge  der  Ethno- 
logie. 2 st.  —  Geographische  Verbreitung 
der  Tiere,  2 st. 


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230  Bücherbesp 

Technische  Hochschulen. 

Darmstadt:  Ptl.  Greim:  Mathc- 
mattnche  Geographie,  2 st. 

Dresden:  o.  Prof.  Rüge:  Nord- 
deutuchland. 

München:  o.  Prof.  Günther:  Bio- 
logische Erdkunde,  TL  T.  --  Handels-  und 
Wirtschaftsgeographie,  I  T.  —  Geographie 
von  Australien  und  Oceanien.  —  Seminar. 
—  o.  Hon.  Prof.  Götz:  Physikalische  Geo- 
graphie des  Festbodens. 

Stuttgart :  Rektor  Schumann: 
Länderkunde  von  West-  und  Nordeuropa. 

Persönliches. 

*  Zu  Wiesbaden  starb  im  Alter  von 
57  Jahren  der  Weltreisende  Dr.  Bernhard 
Schwarz,  von  Hause  aus  Theologe,  der 
durch  ausgedehnte  Reisen  in  Kamerun 
und  Deutsch-Südwestafrika  viel  zur  Kennt- 
nis dieser  deutschen  Kolonien  beigetragen 
hat.  '„Reise  in  das  Hinterland  von 
Kameruu"  188G;  „Ein  Besuch  bei  Hendrik 
Witboi"  1888;  „Zwischen  Kamerun  und 
Oranje"  1889).  Eine  Zeit  lang  war 
Schwarz  auch  Dozent  der  Erdkunde  an 
der  Bergakademie  zu  Freiberg  i.  S. 

*  Am  16.  Februar  starb  Dr.  Natterer 
in  Wien,  der  als  Chemiker  an  den  öster- 
reichischen  „Polar"- Expeditionen  zur  Er- 
forschung des  Mittelländischen  und  Roten 
Meeres  teil  genommen  hat.  Er  hat  die 
Ergebnisse  seiner  Forschungen  in  der : 
Geogr.  Zeitschr.  1899  S.  190  ff.  zusammen- 
gefast. 

*  Am    4.    März    starb    in  Ottawa 


»rechungen. 

!  Dr.  G.  M.  Dawson,  der  hochverdiente 
Leiter  der  Geologischen  Landesaufnahme 
von  Canada.  Am  l.  Aug.  1849  als  Sohn 
des  berühmten  Geologen  Sir  William 
Dawson  in  Pictou  in  Neu-Schottland  ge- 
boren, empfing  er  seine  vielseitige  wissen- 
schaftliche Ausbildung  in  Montreal  und 
London.  Seit  1873  war  er  in  überaus 
;  rühriger  Weise  bei  der  Geological  and 
Natural  History  Survey  of  Canada  thätig, 
und  1895  wurde  er  zum  Direktor  dieser 
Anstalt  ernannt.  Trotz  seiner  Körper- 
Bchwäcbe  stand  er  bei  der  wissenschaft- 
lichen Pionierarbeit  jederzeit  in  vorderster 
Reihe,  und  besonders  grofse  Verdienste 
erwarb  er  sich  um  die  Erforschung  der 
pazifischen  Inseln,  Britisch-Columbias  und 
der  Nordwest-Territorien.  Aufser  den  tek- 
tonischen  und  morphologischen  Verhält- 
nissen fal'ste  er  dabei  namentlich  auch  die 
wirtschaftlichen  Hilfsquellen  und  Kultur- 
möglichkeiten scharf  und  kritisch  ins  Auge, 
und  die  von  ihm  geführte  Yukon-Expedi- 
tion  im  Jahre  1887  lenkte  unter  anderm 
auch  die  Aufmerksamkeit  zuerst  auf  die 
Goldvorkommnisse  des  Klondike.  Mit 
gutem  Fuge  führt  daher  die  Hauptstadt 
dieser  Landschaft  von  ihm  den  Namen 
Dawson  City.  Unter  seinen  litterarischen 
f  Arbeiten  heben  wir  neben  seinen  zahl- 
reichen amtlichen  „Reports"  namentlich 
seine  grofse  Abhandlung  „On  the  later 
physiographic  Geology  of  the  Rocky  Moun- 
i  tains"  in  den  Transactions  of  the  Royal 
Society  of  Canada  VTH)  und  seinen  Beitrag 
zu  der  „Elementary  Geography  of  the  British 
Colonies"  ^London  1892  )  hervor.     E.  D. 


BUclierbesprechungen. 


0.,  Kars,  Der  einstige  zweite  Mond 
der  Erde  als  Urheber  aller  irdi- 
schen     Entwickelung.  Berlin, 
M.  Schildberger.    1900.    61  S. 
Eine  neue  Weltanschauung  lehrt  uns 
diese  Schrift;  der  Verf.  geht  aus  von  der 
Bteten   Veränderung  der  Erde  und  ihrer 
Bewohner,  aber  er  negiert  die  geltenden 
Theorien   von  der  Vererbung  und  dem 
Kampf  ums   Dasein.    „Welchen  wider- 
natürlichen Gebrauch  machen  Fakire  und 
Schlangenmenschen  von  ihren  Gliedmafsen ! 
Hören  sie  dadurch  auf*.  Menschen  zusein? 
Haben  sie  auch  nur  ein  einziges  Organ 


mehr  oder  weniger  als  andere  Menschen?" 
Nein,  alle  Fortentwickelung  und  Vervoll- 
kommnung ist  nur  zurückzuführen  auf 
einen  Mondfall. 

Im  Anfang  stand  die  Erde  still,  von 
zwei  Monden  und  langsamer  von  der 
Sonn«'  umkreist,  so  in  eine  Tag-  und  eine 
Nacht-,  eine  Land-  und  eine  Wasserhälfte 
geteilt.  Nach  einmaliger  Umdrehung  der 
Sonne  hat  sich  eine  geologische  Formation 
gebildet.  An  den  Küsten  begann  die 
Kntwickelung  einer  Vegetation,  die  einst 
zu  üppiger  Blüte  gelangte,  aber  bei 
weiterer  Drehung  der  Sonne  „vertrocknete, 


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Bücherbesprechungen. 


231 


verkohlte  alles.  Die  Zeit  nennen  wir  die 
Karbonzeit,  denn  aus  den  verkohlten 
Biesengewächsen  jener  Zeit  ist  die  Stein- 
kohle entstanden". 

Durch  die  Anziehungskraft  der  Monde 
wurde  das  Wasser  gegen  die  Küsten  ge- 
trieben und  durch  den  fortwährenden  ein- 
seitigen Anprall  desselben  geriet  endlich 
die  Krde  in  Drehung.  Der  zweite  Mond 
näherte  Bich  dabei  allmählich  der  Erde, 
seine  Anziehungskraft  wurde  gröfser  und 
bewirkte  „eine  veränderte  Lagerung  der 
Moleküle,  so  dafs  sich  aus  an  der  Scholle 
klebenden,  festgewachsenen  Formen  all- 
mählich freie,  gehend,  hüpfend,  fliegend 
über  den  Erdboden  sich  erhebende  Ge- 
schöpfe entwickeln  konnten".  Zuletzt 
stürzt«  er  auf  die  Erde  herab  und  der 
australische  Kontinent  Neu-Holland  ist 
der  über  die  Erdrinde  hervorragende 
Teil  des  herabgefallenen  Mondes".  Denn 
woher  anders  könnte  die  eigenartige 
dortige  Flora  und  Fauna  rühren,  denn 
vom  Monde?  Es  wäre  interessant,  zu 
wissen,  ob  der  Verfasser  auch  aus  Neu- 
Holland  stammt.    Dr.  Fritz  Wiegers. 

GUother^  Stegiuiind,  A.  v.  Humboldt, 
Leop.  v.  Buch.  Geisteshelden. 
39.  Band.  Mit  zwei  Bildnissen.  Berl., 
Ernst  Hofmann  &  Co. 
Der  Verfasser  giebt  zuerst  einen  ge- 
drängten überblick  über  den  Stand  der 
Naturwissenschaften  und  der  Geographie 
in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts. 
Es  war  eine  Zeit  der  Gährung  in  den 
einzelnen  Wissenschaftsgebieten,  hervor- 
gerufen durch  bedeutsame  Entdeckungen, 
durch  neue  Ausblicke  und  Ziele.  Auf 
dieser  Grundlage  zeichnet  der  Verfasser 
zunächst  ein  Lebensbild  Alex.  v.  Hum- 
boldts unter  Benutzung  eines  reichen 
Quellenmaterials,  das  in  den  am  Schlüsse 
zusammengestellten  Anmerkungen  eine 
willkommene  Zugabe  bildet.  Das  Büchlein 
ltU'st  uns  in  der  Darstellung  der  Jugend- 
und  eigentlichen  Lehrjahre,  die  der  Ver- 
fasser mit  Humboldt's  Abgange  von  der 
Freiberger  Akademie  als  abgeschlossen 
betrachtet,  in  klarer  Weise  erkennen,  wie 
die  in  einem  günstigen  Zeichen  stehende 
wissenschaftliche  Entwicklung,  besonders 
in  Göttingen,  den  unermüdlichen  Jüngling 
mit  den  hervorragendsten  Männern  seiner 
Zeit  bekannt  machte  und  in  ihm  die 
Keime  zu  seiner  späteren  Tbiitigkeit  legte. 


In  den  folgenden  Kapiteln  schildert  uns 
der  Verf.,  nachdem  er  die  äufserst  frucht- 
bare Thätigkeit  Humboldt's  in  preufsischen 
Staatsdiensten  als  Oberbergmeister  der 
fränkischen  Erwerbungen  angemesseu  ge- 
würdigt hat ,  die  rastlosen  Wanderungen 
in  Italien,  Deutschland,  Frankreich,  endlich 
die  amerikanische  und  asiatische  Heise. 
Daran  schliefst  sich  ein  Bericht  über  die 
Abfassung  der  Heisewerke  und  Humboldt's 
Wirksamkeit  in  Berlin.  Die  Darstellung, 
welche  mit  einer  Fülle  interessanter  Brief- 
stellen gewürzt  ist,  zeigt  uns  nicht  nur 
Humboldt's  erstaunliche  Gelehrsamkeit 
und  Arbeitskraft,  sondern  es  tritt  uns 
hier  eine  Persönlichkeit  entgegen,  die 
durch  edle  Eigenschaften  des  Gemütes 
und  Herzens  uns  auch  menschlich  nahe 
gerückt  wird.  Der  Verf.  läfst  in  weiser 
Beschränkung  des  umfangreichen  Stoffes 
alle  bedeutsamen  Züge  im  Leben  Hum- 
boldt's zur  Geltung  kommen,  auch  wird 
seines  Verhältnisses  zum  Berliner  Hofe 
und  zu  den  in  Preufsen  herrschenden 
Anschauungen  treffend  Erwähnung  gethan. 
Bei  der  am  Schlüsse  stattfindenden  Zu- 
sammenstellung der  Forschungen  und 
Ergebnisse  hat  der  Verf.  nicht  versäumt, 
die  hohe  Bedeutung  Humboldt's  auch  für 
die  gegenwärtigen  Geschlechter  gebührend 
hervorzuheben. 

Der  zweite  Teil  giebt  einen  Lebens- 
abrifs  des  in  vielen  Beziehungen  mit 
Humboldt  vergleichbaren  Geologen  Leo- 
pold v.  Buch.  Mit  vielem  Interesse  lesen 
wir,  wie  bei  ihm  die  neptunistische  An- 
schauungsweise von  der  Gebirgsbildung, 
wie  sie  der  Altmeister  Werner  in  Freiberg 
lehrte,  allmählich,  unter  hartem  innern 
Kampfe,  der  plutouistischen  den  Platz 
räumen  mufste,  besonders  auf  Grund  der 
Beobachtungen  im  südlichen  Italien,  in 
der  Auvergne,  auf  den  Canarien,  in 
Schottland,  Irland,  Schweden  und  in 
den  Alpen.  Mit  Hecht  betont  der  Verf.. 
dafs  Leop.  von  Buch's  Naturanschauungen 
und  Forschungsergebnisse,  mit  denen  die 
heutige  Wissenschaft  in  vielen  Stücken 
nicht  mehr  übereinstimmt,  doch  bedeutsam 
für  die  Entwickeluug  der  Geologe  und 
physischen  Geographie  gewesen  sind,  dafs 
in  Buch's  Irrtümern  „doch  in  der  Hegel 
auch  Quelle  und  Urgrund  eines  Fort- 
schrittes" lagen.  Den  Beweis  für  die 
Richtigkeit  dieser  Behauptung  giebt  der 
Verf.  in  den  Schlufskapiteln,  wo  er  Buch's 


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232 


Bücherbesprechungen. 


Verdienst«  um  die  einzelnen  Zweige  der 
Naturwissenschaften  skizziert  und  die 
reellen  Werte  hervorhebt,  durch  welche 
auch  unsere  Generation  zum  Danke  und 
zur  Wertschätzung  dieses  Mannes  ver- 
pflichtet ist. 

Die  Lebensskizzen  solcher  Gcistes- 
helden,  wie  Alex.  v.  Humboldt  und  Leop. 
v.  Buch  es  gewesen,  haben  den  Vorteil, 
den  Leser  auf  zwanglose  Weise  in  den 
Ideenkreis  eines  groben  Zeitabschnittes 
einzuführen  und  ihn  mit  den  geistigen 
•  »rölsen  und  Erungenschaf'ten  dieser  Periode 
bekannt  zu  machen.  Diesen  Nutzen 
gewährt  das  Büchlein  in  reichem  Mafse 
und  ist  deshalb  eine  recht  angenehme 
und  lehrreiche  Lektüre. 

Dr.  J.  Grund  mann. 

Thllinen,  Emil  Ton,  Berühmte  Ent- 
deckungs-    und  Forschungs- 
reisende des  19.  Jahrhunderts. 
Original  -  Beiträge  geographischen, 
ethnographischen  und  kolonialen  In- 
halts.   Manuskripte,  Briefe,  Charak- 
teristika.   Mit  einem  biographischen 
und  chronologisch-topischen  Lexikon 
bearbeitet  von  E.  von  Th.  Kommis- 
sionsverlag vom  Deutschen  Druck-  und 
Verlagshaus,  Berlin.  11MR). 
Das    Buch    entspricht    ganz  seinem 
Titel,  es  ist  ein  ausgeschütteter  Zettel- 
kasten   voll    der    heterogensten  Briefe, 
Briefabschnitte,  Auszüge  aus  Beden  und 
Stücken  vou  Abhandlungen.    Die  Haupt  - 
anordnung    scheint   zunächst   ganz  an- 
gebracht :  Polarforschuug,  Asienforschung 
u.  s  w.  die  anderen  Erdteile.    Als  An- 
hang   zur   Afrikaforschung    findet  man 
aber  z.  B.  „Wissenschaftliche  Periplus", 
d.  h.   aufser   einigen  Worten  Thüinen's 
zwei  Briefe  zur  Krusenstern'schen  Welturn- 
seglung.    Dann  folgt  ebenfalls  noch  unter 
der  Hauptabteilung  Afrikafurschung:  „Po- 
puläre   Periplus",    Keisebriefe   von  Ger- 
stäcker  (aus  der  Südsee),  Graf  Pückler, 
Krhr.  v.  Hübner  und  Brehm.    Den  schön- 
sten Schlafs  der  Afrikaforschung  bildet 
aber  der  Artikel  „Weibliche  Forschungs- 
reisende", enthaltend  —  einen  Brief  Ida 
Pfeitfers  aus  Rio  Janeiro. 

Den  zweiten  Teil  S.  185-272  bildet 
das  „Biographische  Lexikon  berühmter 
Entdeckung«-  und  Forschungsreisender  des 
19.  Jahrhunderts".  Es  ist  ziemlich  in- 
haltreich und  daher  in  manchen  Fällen  | 


als  bequemes  Nachschlagebuch  sehr 
wohl  zu  verwerten.  Was  hat  aber  Carl 
Ritter  unter  den  Forschungsreisenden  zu 
thun  ?  An  die  Forschimgsreisenden  sehliefst 
sich  noch  eine  „chronologisch  -  topische 
(  bersicht  der  wichtigsten  Entdeckungs- 
und Forschungsreisen  desli)  Jahihuuderts" 
an,  die  in  72  geographischen  Rubriken 
eine  Art  Geschichtstabelle  der  Ent- 
deckungsreisen des  ID.  Jahrhunderts,  für 
manche  Gebiete  aber  schon  vom  ersten 
Entdeckungszeitalter  an ,  giebt.  Auch 
diese  Tabellen  können  benutzt  Werden. 
Hätte  der  Verfasser  sich  auf  diese  beideu 
Abschnitte  seines  Buches  beschränkt  und 
dieses  dann  auf  weniger  schlechtes  Papier 
drucken  lassen,  so  könnte  sein  Buch  als 
brauchbares  Hilfsmittel  empfohlen  werden. 
So  aber  wird  er  die  Beobachtung,  „dafs 
der  Plan  (des  Buches)  nicht  von  allen  ver- 
standen wird"  (Vorwort  S.  XIII),  wohl 
noch  recht  oft  machen  müssen. 

Heiur.  Fischer. 

Forel,  F.  A.,  Handbuch  der  Secn- 
k  u  u d  e.  Allgemeine  Limnologie.  vBibl. 
geograph.  Handbücher.)  Mit  1  Tafel 
und  10  Abbild.  Stuttgart,  190t 
Dafs  die  Seenkunde  in  der  jüngsten 
Zeit  sich  so  bedeutend  entwickelt  und 
vertieft  hat,  verdankt  sie  in  erster  Linie 
«ler  rastlosen  Thätigkeit  F.  A.  Forel's, 
den  man  mit  Recht  neben  Simony  stets 
als  den  Altmeister  auf  diesem  Gebiete  der 
Forschung  bezeichnet  hat.  Es  giebt  kaum 
ein  Problem  der  Limnologie,  an  dessen 
Lösung  dieser  Forscher  nicht  irgendwie 
beteiligt  ist.  Mit  Freuden  werden  es 
daher  seine  Fachgenossen  und  alle  Geo- 
graphen begrülsen,  dafs  gerade  er  von 
Ratzel  für  die  Bearbeitung  einer  all- 
gemeinen Limnologie,  die  uns  im  Rahmen 
der  bekannten  geographischen  Hand- 
bücher noch  fehlte,  gewonnen  wurde. 
Das  betreffende  Handbuch  liegt  jetzt  vor 
und  kann  allen  Freunden  der  Erdkunde 
empfohlen  werden.  Es  ist  allerdings  kein 
Handbuch  in  dem  landläufigen  Sinne, 
kein  (juellenwerk,  in  dem  mau  über  alle 
limnologischen  Fragen  erschöpfende  Aus- 
kunft erhält,  aber  es  ist  ein  vortreffliches 
Lehrbuch,  das  namentlich  denen,  die  sich 
nur  aus  allgemeinem  erdkundlichen  In- 
teresse mit  der  Seenkunde  beschäftigen, 
grofsen  Nutzen  bringen  wird.  Es  zeigt 
|auf  jeder  Seite  den  Fachmann,  der  den 


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Bü  ch  erb  esprechu  ngen. 


233 


Gegenstand  vollkommen  beherrscht,  Dafs 
:'n  einzebien  AbHchnitten  die  persönliche 
Anschauung  des  Verfassers  vielleicht 
etwas  zu  sehr  in  den  Vordergrund  tritt, 
findet  in  diesem  Umstände  ohne  weiteres 
seine  natürliche  Erklärung.  Bedenkt  man 
aber,  in  welcher  Weise  Forel  die  Linino- 
logie  beeinflufst  hat,  so  kann  man  in 
der  mehr  subjektiven  Behandlung  des 
Stoffes  kaum  noch  einen  Fehler  sehen, 
bin  grofser  Teil  unserer  hm  tu  »logischen 
Kenntnis  ist  eben  Forel's  Werk,  und  es 
müfste  daher  auch  jeder  andere  Verfasser 
den  Stoff  in  dem  gleichen  Sinne  behandeln, 
wie  es  Forel  gethan  bat.  Freilich  für  den 
Fachmann  selbst  reicht  es  nicht  immer  aus, 
dieser  verlangt  und  erwartet  von  einem 
Handbuch  etwas  mehr,  als  es  Forel  ge- 
boten hat.  Dessen  ist  sich  der  Verfasser 
aber  auch  selbst  hewufst.  Wie  aus  Vor- 
wort und  Einleitung  des  Buches  hervor- 
geht, soll  dieses  durchaus  kein  Handbuch 
der  allgemeinen  vergleichenden  Limno- 
logie  sein,  sondern  nur  eine  Darstellung 
samtlicher  auf  die  Seen  bezüglichen  Be- 
obachtungen, Gesetze  und  Theorien 
bringen.  Diese  Aufgabe  hat  Forel  auch 
gelöst.  Es  ist  in  seinem  Werk  alles  ent- 
halten, was  wir  dem  Bereiche  der  Seen- 
kunde zuordnen.  Auf  Einzelheiten  ein- 
zugehen ist  hier  nicht  der  Ort;  es  würde 
den  Referenten  vermutlich  ebenfalls  zu 
allzu  subjektivem  Urteil  verleiten.  Unsere 
Ausführungen  dürften  ausreichend  den 
Leser  über  den  hohen  Wert  dieses  ersten 
„Lehrbuches"  der  Limnologie  unterrichten. 

W  Ule. 

*  Beschreibung  des  Oberamts 
Kotten  bürg.  Herausgegeben  von  dem 
K.  Statistischen  Landeaamt.  18«Uu.  lyoo. 
VIU  ÖÖ8  u.  VI  419,  Anhg.  108  S.,  mit 
Karten  und  Bildern  im  Text. 

In  zwei  stattlichen  Bänden  liegt  nach 
längerer  Pause  eine  Fortsetzung  der 
neuen  Ausgabe  der  ausführlichen  Landes- 
beschreibung von  Württemberg  vor,  wel- 
che diesmal  wieder  einem  Bezirk 
des  Scbwarzwaldkreises  gewidmet  ist. 
Anlagen  und  Einteilung  sind  auch  bei 
diesen  beiden  Bänden  die  früheren  ge- 
blieben, sodafs  hierfür  auf  die  Anzeige 
de«  Bandes  Cannstadt  (Jahrgang  II 
S.  124  der  Geogr.  Zeitschr.j  verwiesen 
werden  kann.  Im  ersten,  allgemeinen 
Teil  sind  von  besonderem  geographischen 


Interesse  die  Abschnitte  über  die  Ge- 
wässer (bes.  zu  beachteu  die  Mitteilungen 
über  die  starken  Kohlensäuresprudel  und 
—  nicht  -  vulkanischen  —  Motetten  im 
Neckarthal»  und  über  die  geologischen 
Verhältnisse  (m.  Profil;  zu  beachten  die 
Angaben  über  Thalbildungen  und  ältere 
Höhenschotter ).  Von  besonderer  Wichtig- 
keit für  die  Volkskunde  sind  die  sehr 
eingehenden  Abschnitte  über  Abstammung, 
Mundart  und  namentlich  den  Volks- 
charakter Sitten,  Gebräuche,  Glaube 
und  Sagen),  für  die  Siedlungsgeschichte 
endlich  die  Abschnitte  V  Geschichte  und 
VI  Altertümer.  Im  erstereu  sind  weit 
über  den  Bezirk  hinaus  von  Bedeutung 
die  Mitteilungen  über  die  römische  Zeit 
(Rottenburg-Sumelocenna  die  bedeutendste 
Siedlung  des  Decumatlandes,  ja  des  ganzen 
rechtsrheinischen  Anteils  von  Germania 
superior!)  Die  vor-  und  nachrömische 
Siedlungsgegchichte  wird  zusammen  mit 
den  im  Bezirk  zerstreuten  Römerplätzen 
und  der  sehr  gründlichen  und  wertvollen 
Darstellung  der  Kömerstrafsen  im  Ab- 
schnitt über  die  Altertümer  behandelt, 
wo  auch  die  im  Lauf  des  Mittelalters 
und  der  neueren  Zeit  in  Abgang  ge- 
kommenen Wohnplätze  u.  s.  w.  Berück- 
sichtigung finden.  Der  zweite  Band  ent- 
hält die  ausführliche  Beschreibung  der 
heutigen  Wohnplätze,  ihrer  sozialen  Ver- 
hältnisse, ihrer  Geschichte  u.  dergl.  Den 
Schlufs  bilden  ein  ausführliches  Höhen - 
Verzeichnis  sowie  statistische  Tabellen. 

Die  Ausstattung  der  Bände  mit  Karten 
und  Illustrationen  ist,  der  frühgeschicht- 
lichen Bedeutung  des  Bezirks  entsprechend, 
recht  reichlich.  An  grölseren  Beilagen 
sind  vorhanden  eine  Karte  des  Bezirks 
(1  :  1O0OOU,  Ausschnitt  aus  der  K.  d. 
Deutschen  Reiches,  weit  über  die  Gren- 
zen des  Bezirks  reichend),  die  zugleich 
als  blaue  und  rote  Einträge  die  vor- 
römischen, römischen  und  nachrömischen 
Altertümer  enthält,  prähistorische  Rtug- 
wülle,  Hügelgräber,  Hochäcker,  Römer- 
Strafsen  und  -Gebäude,  alemannische 
Gräberfelder,  interessante  Flurnamen  etc. 
Sodann  ist  beigegeben  ein  umfangreicher 
Plan  der  Stadt  Rottenburg  nebst  Um- 
gebung tl  :  6000  ,  mit  roten  Einträgen 
für  Römisches,  und  endlich  eine  Ent 
fernungstabelle  der  Ortschaften. 

Von  Illustrationen  enthält  der  erste 
Teil  wesentlich  Darstellungen  der  prühisto- 


Geographiiche  ZeiUchrift.  7  Jahrgang.  1901.  4.  Heft. 


IG 


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234 


Büch  erb  esprechungen. 


rischen  uud  römischen  Funde,  daneben, 
für  den  Geographen  besonder«  interessant, 
in  Facsimiledruck  einen  Ausschnitt  aus 
dem  wirteuiberglischen  Atlas  von  167n 
(  von  Gadner?  mit  bemerkenswerter  Ge- 
ländedarstellung und  desgleichen  drei 
aus  dem  grofsen  Forstkarteuwerk  Kieser's 
16H3  in  1  :825G  mit  sehr  naturgetreuen 
perspektivischen  Ansichten  dcrOrtschaften, 
Kirchen  etc.  Der  zweite  Teil  giebt  eine 
gröTsere  Anzahl  Bilder  von  Rottenburg 
und  den  übrigen  Orten  des  Bezirks,  die 
aber  leider  nicht  auf  Lichtbildern  be- 
ruhen, also  kein  wirklich  treues  Bild 
bieten,  wie  es  für  ein  solches  Werk 
allein  angängig  wäre;  zudem  tragen  weit- 
aus die  meisten  den  Charakter  der 
Dilettantenarbeit;  daneben  finden  sich 
einige  gute  Trachtenbilder  nach  Photo- 
graphien. 

Alan  kann  die  trefflichen  und  dabei 
so  erstaunlich  wohlfeilen  Bände  nicht 
aus  der  Hand  legen  ohne  das  Gefühl 
tiefen  Bedauerns,  dafs  eine  derartige 
staatliche  Fürsorge  für  landeskundliche 
Forschung  in  Deutschland  so  wenig 
weitere  Verbreitung  hat,  selbst  in  Bundes- 
staaten, die  wesentlich  bessere  Finanzen 
aufzuweisen  haben  als  das  nicht  eben 
reiche  Württemberg  K. 

Langhaus,  Paul,  Verkehrskarte  von 
Kuropa,   Nordafrika   und  dem 
Morgenland,  bearb.  mit  bes.  Be- 
rücksichtigung der  deutscheu  Inter- 
essen. Gotha,  J.  Perthes.  Preis  8  M  , 
aufgezogen  mit  Stäben  12  M. 
Die  schöne  Karte,  deren  erster  Anblick 
das  Auge  besticht,  ist  vielleicht  etwas  zu 
zart  für  eine  Wandkarte  beim  Massen- 
unterricht, aber  vorzüglich  zur  Haus-  und 
Komptoirkarte  geeignet.    Ihr  Inhalt  ist  so 
reich,  dal's  sie  vielfach  nicht  blol's  der 
Vcranschaulichuug,  sondern  geradezu  der 
Belehrung  dient,  ohne  deshalb  an  der 
Klippe  des  Zuviel  zu  scheitern,  der  sie 
allerdings  mitunter  nahe  kommen  mufs. 
In    eine    politische  Karte   ohne  Terrain 
linden    wir    eingezeichnet:    die  Post- 
dampferlinien (das  Land  durch  Farben, 
die  Linien  durch  beigesetzte  Buchstaben 
bezeichnet;,    die    anderen,  wichtigeren 
Schiffahrtslinien,    die     Kabel  (mit 
Unterscheidung  der  deutschen,  englischen 
und  übrigen)  und  die  Anschlufslinien  des 
Landtelegraphen,  die  wichtigsten  Eisen- 


bahnlinien mit  Hervorhebung  der  Luxus- 
(KxprelVizugs-  und  der  Schnellzugslinien 
durch  verschiedene  Farben.  Die  mit 
Dampfschitfen  befahrenen  Flufs-  und 
Kanalstrecken,  die  Sitze  der  deutschen 
und  österreichisch -ungarischen  Konsu- 
late, und  die  mit  Deutschland  in  regel- 
mäfsiger  Schiffsverbindung  stehenden  Orte, 
die  Häfen  mit  Dockgelegenheit  und  die 
Kriegshäfen  sind  bezeichnet.  Kothe  Ziffern 
bei  festländischen  Orten  bezeichnen  die 
Entfernungen  in  Stunden  von  Berlin, 
bei  Dampfschiffsrouten  die  Fahrt dauer 
in  Tagen  zwischen  den  angelaufenen 
Häfen.  Auf  dem  Lande  sind  diese  Ziffern 
mitunter  schlecht  lesbar  und  fehlen  bei 
Orten,  wo  man  sie  erwarten  dürfte,  mit- 
unter (Wien  .  Sehr  hervorzuheben  ist  die 
grofse  Zahl  von  Nebenkärtchen,  welche 
Häfen ,  festländische  „Umschlagplätze", 
Meerengen  und  Schiffahrtskanäle  darstel- 
len. Sie  sind,  soweit  sie  Städte  vorführen, 
keine  Pläne,  sondern  heben  die  bewohnten 
Flächen  deutlich  durch  rote  Farbe  her- 
vor und  bezeichnen  innerhalb  derselben 
die  Lage  wichtiger  Objekte,  Docks,  Um- 
schlags- uud  Landungsplätze,  Bahnhöfe, 
Konsulate,  Postanstalten  der  mittel- 
europäischen Mächte  u.  dgl.  Schliefslich 
sind  auch  noch  am  Rand  die  in  dem  um- 
fafsten  Gebiet  für  die  Kisenbahnzeiten 
mafsgebeudeu  Meridiane,  die  Handeis- 
Haggen  der  wichtigsten  am  europäischen 
Handel  bet  eiligten  Staaten  und  die  Sehiffs- 
flaygen  der  wichtigsten  deutschen  Reh- 
dereien  angegeben. 

Wie  die  Anordnung  eminent  prak- 
tischen Gesichtspunkten  folgt,  so  trägt 
auch  die  Auswahl  den  deutschen  Inter- 
essen besonders  Rechnung.  Neue,  wicht  ige 
Linien,  die  noch  nicht  eröffnet  sind,  finden 
sich  mitunter  eingezeichnet,  so  die  Bahn 
Gcllivare-Ofoteu.  Warum  fehlt  aber  z.  B. 
der  Petersburg  -  N izza  -  Exprefs  ?  Ferner 
scheint  mir  in  Bezug  auf  manche  Schiff- 
fahrtsverbindungen  die  Auswahl  etwas 
streng.  Das  Prinzip,  die  K üstenschitf- 
fahrtslinien  der  einzelnen  Staaten  nus- 
zuschliefsen,  ist  nicht  einmal  immer  zu 
gunsten  derjenigen  mit  Postbeförderung 
durchbrochen,  z.  B.  nicht  für  Dalmatien, 
Schweden,  Finnland  etc.,  wohl  aber  für 
Norwegen.  Es  fehlt  eine  so  wichtige 
Verbindung,  wie  Fiume-Ancona;  es  fehlen 
die  Fahrten  Kopenhagen  -  Lübeck  und 
Kopenhagen -Stettin,  die  für  diese  deut- 


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H  ü  c  h  o  r  b  e  s  p  r  c  c  h  u  u  g  o  n. 


235 


sehen  Häfen  nicht  unwichtig  sind.  Die 
Hervorhebung  dieser  Beispiele  soll  nicht 
den  Wert  der  Karte  herabsetzen.  Sie 
«oll  nur  darauf  hinweisen,  dafs  auch  diese 
Karte  uur  eine  Auswahl  des  Wichtig- 
sten bringt,  was  man  bei  der  Reichhaltig- 
keit des  Inhaltes  kaum  sofort  erkennt.  Und 
ich  möchte  allerdings  für  eine  Neuauflage 
den  prinzipiellen  Wunsch  äufsern,  dafs 
solche  Linien,  welche  die  eiuzige  Ver- 
bindung zweier  Länder  darstellen,  auf- 
genommen werden,  auch  wenn  ihre  abso- 
lute Bedeutung  gering  ist ,  und  dafs  der 
Seeverkehr  von  Ländern,  die  wie  Dal- 
matien,  nur  oder  doch  fast  nur  auf  dem 
Wasserweg  erreichbar  sind,  wenigstens 
schematisch  angedeutet  werde, 

Sieger. 

Schlechter,    R.,  Westafrikanische 
Kautschuk -  Expedition.  (Berlin 
1900.    VI  u.  326  S.   Mit  13  Taf.  u 
14  Abbild,  im  Text.)    Jt  12  - 
Die  gefährdete  Luge  des  Kautsehuk- 
marktes  wegen  des  Raubbaues  der  Ein- 
geborenen  und   der   grofsen  Nachfrage 
nach  Kautschuk  veranlagte  das  Kolonial- 
Wirtschaftliche  Komitee  im  Frfihjahr  1*99 
eine  Kautschuk-Expedition  unter  Führung 
des  Botanikers  und  Kautachukinspektors 
R.  Schlechter  auszurüsten,  um  die  besten 
Kautschukvarietäten    aus   fremden  Erd- 
teilen nach  den  deutschen  Schutzgebieten 
überzuführen   und  eine  goregelte  Kaut- 
schuk-Orofskultur  in  Kamerun  und  Togo 
in  die  Wege  zu  leiten.    l>er  Leiter  der 
Expedition  giebt  hierüber  in  dem  vor- 
liegenden Buche  Auskunft, 

Während  im  1.  Kapitel  S.  1—  28)  die 
Vorbereitungen  zur  Reise,  Ausreise  und 
Yoruba- Expedition  besprochen  werden, 
sind  die  folgenden  4  Kapitel  der  eigent- 
lichen Reise  gewidmet  und  zwar  be- 
handeln : 

2}  Aufenthalt  in  Kamerun,  Heise  nach 
und  auf  dem  Kongo  (S.  29— 79  >. 

3)  Sanga-Ngoko- Reise  uud  Rückreise 
nach  Kamerun  (S.  80— 134  . 

4)  Kamerun-  und  Bakossi  -  Expedition 
(S.  135—180). 

5)  Togo -Reise  und  Heimreise  (S.  181 
bis  226). 

Schon  in  diese  Abschnitte  sind  natur- 
gemäfs  Beobachtungen  über  den  Zweck 
des  ganzen  Unternehmens  und  auch  solche 
über  die  Natur  der  durchreisten  Gebiete 


eingestreut.    Solche  sind  aber  besonders 
in  den  letzten  Abschnitten  des  Buches 
enthalten,  namentlich  in  Kapitel  6:  All- 
|  gemeines    und    Untersuchungen    ('S.  227 
.bis  249  .    Diesem  sind  anhangsweise  bei- 
I  gefügt:  Anhang  I:  Denkschrift  des  Herrn 
Prof.  Dr.  0.  War  bürg1)  zur  Begründung 
der  Kautschuk- Expedition  (S.  250—254). 
Anhang  II:  Gutachten  über  die  von  Lagos 
eingesandten  Kautschukproben  d.  ehem. 
Laborat.  f.  Handel  u.  Industrie  (Dr.  R. 
Henriques.    Berlin  S.  255—259).  End- 
lich behandelt  Kap.  7  die  botanischen 
Ergebnisse  der  Expedition    S.  260 — 326). 

Zuletzt  lälst  Verf.  ein  Verzeichnis  der 
mit  Hilfe  der  Beamten  des  Berliner  bot. 
iMuseums  und  anderer  Botaniker  be- 
stimmten gesammelten  Pflanzen  folgen. 
Auf  dies  kann  hier  natürlich  nicht  ein- 
gegangen werden. 

Es  zeigt  aber  das  Gesagte*)  schon  zur 
(Senfige,  dafs  das  Werk  durchaus  nicht 
nur  für  Kautschuk-Interessenten  Wert  hat, 
sondern  auch  in  wissenschaftlichen  Kreisen 
Beachtung  verdient. 

F.  Höck  (Luckenwalde). 

*  Karte  über  den  Stand  des 
Eisenbahnbaues  in  Afrika  1900. 
Mit  erläuterndem  Text.  Berlin,  D.  Rei- 
mer 1901.  1—  JL. 

Aus  der  vorliegenden  kleinen  Karte 
und  den  in  kurzen  Strichen  abgefafsten 
Erläuterungen  läfst  sich  mit  Klarheit  der 
jetzige  Stand  des  Eisenbahnbaues  in 
Afrika  übersehen.  Besonders  kann  das 
kleine  Schriftchen  allen  denjenigen  em- 
pfohlen werden,  die  sich  über  die  Not- 
wendigkeit eines  lebhafteren  Bahnbaues 
in  unseren  Kolonien,  besonders  in  Ost- 
Afrika  überzeugen  wollen,  da  in  dem 
Vorliegenden  gerade  darauf  hingewiesen 
wird,  was  in  dieser  Umsicht  die  fremden 
Staaten  in  den  angrenzenden  Kolonien 
thun  und  welcher  Schaden  Deutsch-Ost- 
Afrika  durch  weitere  Versäumnis  zuge- 
fügt werden  kann.  Kürchhoff. 


1)  Zur  Ergänzung  bezüglich  der  Sta- 
tistik über  Kautschukexport  in  allen  in 
Betracht  kommenden  Ländern  wird  ver- 
wiesen auf  Warburg:  Die  Kautschuk- 
pflanzen und  ihre  Kultur.  Berlin  I9oo 
Kolonial-Wirtschaftliches  Komitee.  Unter 

d.  Linden  40 1. 

2)  Vgl.  auch  Neuigkeit  S.  224  f. 

16* 


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236 


B  ü  c  h  e  r  Ii  6  s  p  r  e  e  h  u  n  g e  n. 


Schwan,  Franz  t.,  Turkcstan.  Die 
Wiege   der  indogermanischen 
Völker.     Mit   einem    Titelbild  in 
Farbendruck,  178  Abbildungen  und 
einer  Karte.  606  S.  Illustrierte  Biblio- 
thek der  Länder-  und  Völkerkunde. 
Freiburg  i.  B .,  Herder.  l'JOO. 
Der  Verfasser  war  15  Jahre  lang  als 
Astronom  in  Taschkent  thiitig  und  hatte 
Gelegenheit,  auf  vielen  Dienstwegen  das 
umliegende  Gebiet  zu  studieren.    Was  er 
dabei  erlebt  und  beobachtet  hat  über 
Land  und  Leute,  findet  eine  ansprechende 
Darstellung.  Gewisse  ethnographische  und 
geologische  Ansichten,  die  der  Verfasser 
in  seinem   Buche:  Sintflut  und  Völker- 
wanderungen ausgesprochen  hat,  sollen 
hier  eine  nähere  Begründung  finden;  da- 
durch ist  die  Anordnung  des  Stoffes  viel- 
fach beeinflufst. 

Die  Bodenbeschaffenheit  Turkestans 
wird  unter  dem  Abschnitt  Feld-  und 
Gartenbau  auf  5  Seiten  behandelt,  von 
denen  3  Seiten  dem  Löfs  gewidmet  sind. 
Die  vorzüglichen  Landschaftsbilder  hätten 
zu  einer  eingehenden  Behandlung  anregen 
können. 

Leider  hat  der  Verfasser  seine  ursprüng- 
liche Absicht,  die  Klimatologie  Turkestans 
einheitlich  darzustellen  .wieder  aufgegeben, 
obwohl  er  besser  als  jeder  andere  hierzu 
imstande  gewesen  wäre,  und  bringt  dafür 
Auszöge  aus  den  meteorologischen 
Tabellen,  die  eine  Menge  interessanter 
Angaben  enthalten.  1H86  betrug  die 
Menge  der  Niederschläge  269  mm.  die 
GröTse  der  Verdunstung  1102  mm.  Auf- 
fallend ist  die  Seltenheit  von  Gewittern  i  im 
Durchschnitt  8  Gewittertage),  ebenso  die 
Häufigkeit  von  Windstille.  Die  heftigsten 
Temperaturschwankungen  zeigen  Februar 
und  November,  am  geringsten  sind  sie  im 
Juli.  Wichtig  ist  der  Hinweis,  dafs  die 
Temperaturschwankungen  in  den  be- 
wohnten Oasen  wesentlich  geringer  sind, 
als  in  der  umgebenden  Wüste. 

Sehr  ausführlich  werden  die  ethno- 
graphischen Verhältnisse  der  Kirkis- 
kasaken  und  der  Sarten  behandelt,  sowie 
das  Leben  und  Treiben  der  Küssen  in 
Taschkent;  doch  tritt  hierbei  das 
Anekdotenhafte  oftmals  zu  sehr  in  den 
Vordergrund.  Eine  Fülle  von  interessanten 
Einzelheiten  und  eine  grofse  Zahl  guter 
Abbildungen  machen  gerade  diesen  Teil 
für  jeden  wertvoll,  der  Turkestan  bereisen 


will  oder  sich  über  die  dortigen  Ver- 
hältnisse unterrichten  möchte. 

J.  Walt  her. 

Lauterer,  Joseph,   Australien  und 
Tasmanien.    Nach  eigener  An- 
schauung   und  Forschung 
wissenschaftl  ich  und  praktisch 
geschildert.      168  Abbildungen, 
1  Karte.   X,  4»2  S.    Freiburg  i.  Br., 
Herdersohe  Verlagshandluug.  l'JOü. 
Der   Verfasser  ist  Arzt  in  Brisbane 
i  Queensland)  und  Mitglied  mehrerer  wissen- 
schaftlichen   Gesellschaften  sowie  auch 
Dozent   «1er   Botanik   an   zwei  höheren 
Fachschulen  und  hat,  wie  er  in  der  Vor- 
rede   mitteilt,    die    ganze  einschlägige 
deutsche,    englische     und  französische 
Litteratur   vergleichend    benutzt,  dabei 
aber    die    in   derselben  vorkommenden 
Irrtümer  richtig  gestellt,    So  erhebt  sich 
sein  Werk,  wie  er  meint,  über  die  aller 
seiner  Vorgänger.    Das  klingt  sehr  selbst- 
bewufat.  bei  näherer  Prüfung  wird  man  aber 
finden,  dafs  diese  Selbsteinschätzung  doch 
einiger  Einschränkung  bedarf.    Das  Buch 
zerlallt  in  11  Abschnitte.   Die  drei  ersten 
kürzesten    schildern    die    Ausreise  von 
Antwerpen     auf    einem     Dampfer  der 
Sloman-Linie  nach  Queensland.    Sie  sind 
fenilletouistisch  gehalten.  Dann  folgt  die 
Entdeckungs-  und  Staatengeschichte,  die 
viele   Falschschreibungen  und  Unrichtig- 
keiten enthält,  was  wohl  zum  Teil  auf 
ungenaue  Benutzung  der  herangezogenen 
Quellen  zurückzuführen   ist.     Die  nach- 
folgenden Kapitel,  welche  die  Struktur 
und     Bodengeschichte    Australiens,  die 
Klimatologie  und  Meteorologie,  Pflanzen- 
welt und  Tierwelt  behandeln,  sind  populär 
im  besten  Sinne  des  Worts.    Doch  hören 
wir  von  den  so  charakteristischen  Vege- 
tatioiisformen  des  Scrub  wenig  und  die 
Schilderung  des  Innern  Westaustraliens 
uud  des  daran  stofsenden  Südaustraliens 
wird    den     Leser    sicher     zu  falschen 
Schlüssen    verleiten.      Die  australische 
Wüste  mufs  eben  betreten  werden,  um 
richtig  verstanden  zu  werden,  denn  sie 
ist  keine  Sahara  und  keine  Gobi,  obwohl 
sie  vieles  mit  beiden  gemein  hat.  Der 
kleine  moloch  horridm  findet  sich  nicht 
nur  in  Westaustralien,  er   ist  auch  im 
Innern  Südaustraliens  recht  häufig.  Sehr 
eingehend  und  mit  viel  Liebe  sind  die 
Eingeborenen  des  Australkontinents  be- 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


237 


handelt,  es  liegen  da  ja  auch  umfangende 
vortreffliche  englische  Arbeiten  vor.  Wohl 
der  schwächst«  Teil  de«  Buches  ist  der, 
welcher  sieh  mit  den  Kolonisten  be- 
schäftigt. Hier  lag  gerade  eine  recht  dank- 
bare Aufgabe  vor.  Wir  hören  nur  wenig 
von  der  Erwerbsthatigkeit  der  Kolonisten, 
die  Goldgräiberei  ausgenommen,  wobei 
uns  von  einem  Goldklumpen  erzählt  wird, 
der  den  Finder,  einen  erwachsenen  Deut- 
schen, an  Höhe  übertraf  (sic!\  aber  von 
der  weit  wichtigeren  Schaf-  und  Hinder- 
zucht, vom  Ackerbau  vernehmen  wir  wenig, 
vom  Handel,  von  der  jungen  aufstrebenden 
Industrie  gar  nichts.  Hübsche  Schilde- 
rungen begegnen  wir  aber  auf  Gebieten, 
auf  denen  der  Verfasser  wirklich  zu 
Hause  ist:  von  Queensland  und  den  be- 


nachbarten Distrikten  von  Neusüdwale«. 
Was  der  Verfasser  von  unseren  Lands- 
leuten zu  berichten  hat,  ist  dürftig,  und 
was  er  von  denen  sagt,  die  nicht,  wie 
er,  katholischen  Glaubens  sind,  nicht 
schön,  zudem  sehr  ungerecht.  Dafs  fast 
alle  jungen  Leute  Australiens  zu  Mäfsig- 
keitsvereinen  gehören,  dürften  ihm  wenige 
glauben.  In  dem  Schlufskapitel,  das  die 
Topographie  Australiens  behandelt,  wird 
man  ein  sehr  gut  gruppiertes  Verzeichnis 
aller  bedeutenden  Orte  der  Kolonien  mit 
einer  meist  ganz  vortrefflichen  Charakte- 
ristik finden.  Warum  ist  aber  Bröken  Hill, 
die  reichste  Silbergrube  der  Welt,  in  Neu- 
südwales nur  so  obenhin  und  zwar  bei 
Südaustralien  genannt  V 

E.  Jung  (Eisenach). 


Neue  Bücher 

Zusammengestellt  von 

Geicalrute  der  Geographie. 

Detlefsen,  D.  Die  Beschreibung 
Italiens  in  der  Naturalis  Historia  des 
Plinius  u.  ihre  Quellen.  62  S.  (Quellen 
u.  Forsch,  z.  alten  Gesch.  u.  Geogr.; 
hrsg.  v.  W.  Sieglin.  Heft  1).  Leipz., 
AvcnariuB  1901.    ^  1.60 

Günther,  S.  Das  Zeitalter  der  Ent- 
deckungen. Mit  einer  Weltkarte. 
144  S.  (Aus  Natur  u.  Geisteswelt.  26). 
Leipz.,  Teubner  1901.    JC  1.  25. 

Allgemeine  phynlache  Geographie. 

Hann,  J.  Lehrbuch  der  Meteorologie. 
In  8  Lieferungen  mit  Tafeln,  Karten 
u.  Abb.  im  Text.  Leipz.,  Tauchnitz 
1901.    Zu  3.— 

Rabot,  Ch.  Les  variations  de  longueur 
des  glaciers  dans  les  regions  aretiques 
et  boreales.  250  S.  Geneve  et  Bäle, 
Georg  *  Co.  190O. 

Allgemeine  Geographie  dei  Menschen. 

Hueppe,  Eerd.  Ober  die  modernen 
Kolonisationsbestrebungen  u.  die  An- 
passungsmöglichkeit  der  Europäer  in 
den  Tropen.  SA.  33  S.  Berlin,  Hirsch- 
wald 1901.    Jt  1.— 

Krauss,  J.  Deutsch-türkische  Handels- 
beziehungen unter  besond.  Berücksich- 
tigung der  Handelswege.  VII,  114  S. 
Jena,  Fischer  1901.    Jt  2,  50. 


und  Karten. 

Heinrich  Brunner. 

Nübling.  Eug.  Die  Handelswege  des 
Mittelalters;  ein  Beitr.  z.  Frage  der 
deutschen  Weltpolitik.  SA.  VIII,  50  S. 
Ulm,  Nübling  1901. 

Gröfsere  Krdrinme. 

Atlas  cliniatologique  de  l'empire  de 
Russie;  publik  p.  l'Observat.  physique 
central  Nicolas  ä  l'occas.  du  50.  anni- 
versaire  de  sa  fondation,  1849—1899. 
89  cartes,  15  tableanx  graph.  f°. 
St.  Petersb.  1900. 

Fitzner,  Rod.  Deutsches Kolonial-Hand- 
bueh.  1.  Bd.  1.  u  2.  A.  VIII,  4:2  S. 
Berlin,  Paetel  1901.    .<£  8. — 

Maj  est  Uten,  alpine,  u.  ihr  Gefolge; 
die  Gebirgswelt  der  Erde  in  Bildern. 
12  Hefte  zu  12  Bl.  f.  München, 
Ver.  Kunstanstalten  1901.    zu  „*  1.  — 

Scobel,  A.  Velhagon  u.  Klasing's  neuer 
Volks-  u.  Familienatlas  in  100  Karten- 
seiten. 37  x  49  cm.  Farbdr.  Biele- 
feld, Velh.  &  Kl.  1901.  20  Lief,  zu 
-.60. 

Karopa. 

A  r  t  a  r  i  a '  s  Eisenbahnkarte  von  Österreich- 
Ungarn;  mit  Stationsverzeichnis.  Wien, 
Artaria  1901.    Kr.  2.  - 

Barron,  Ls.  Les  fleuves  de  la  France: 
le  Rhone.  168  dessins.  303  S.  Paris, 
Laurens  190O.    Fr.  4.  — 


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238 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Debei,  E.   Schulwandkarte  von  Europa; 

im  Anschlufs  an  des  Hrsg.  Schulatlanten 

hearb.     1:3270000.    Ausg.  mit  polit. 

Kolorit.    Farbdr.    6  Bl.  zu  »0  x  5*  cm. 

Leipzig.,  Wagner  &  Debes  1901.  JL  8. 
Odysseus.    Turkey  in  Europe.  MapB. 

476  S.    Und.,  Arnold  1900.    16  s. 

Xltteleiropa. 

August  in,  F.  Die  Tempera  turverhält- 
nisse  der  Sudetenin nder.  2.  Tl.  SA. 
3  Karten.  100  S.  Prag.  Rivnac  Komm. 
1900.    .<£  2.40. 

Engler,  A.  Die  Pflanzen -Formationen 
u.  die  pflanzengeograph.  Gliederung 
der  Alpenkette  .  .  .  Mit  2  Orieutierungs- 
karten.  96  S.  (Xotizbl.  des  k.  botan. 
Gartens  zu  Berlin.  Appendix  VII). 
Leipz.,  Engelmann  Komm.  1901.  JL  2.40. 

Haardt  v.  Hartenthurn,  Vinz.  Die 
Generalkarte  v.  Mitteleuropa  im  Mafse 
1  :  200000;  .  .  .  erläuternd  geschildert. 
Mit  2  Beil.  N.  A.  39  S.  Wien, 
Lechner  1901.    JL  —.80. 

Hochwasserkatastrophe,  die,  des 
Jahres  1900  im  österr.  Donaugebiete. 
(Beitr.  zur  Hydrogr.  Österreichs.  Heft 
IV).    Wien,  1900. 

Richter,  Gurt,  Wandkarte  von  Elsals- 
Lothr.  u.  der  Bayer.  Pfalz.  1  :  175000. 
79,5x63,5  cm.  Farbdr.  4  Bl.  Essen, 
Baedeker  1901.    Ji  12.  — 

Sieger.  R.  Geographischer  Jahresbericht 
über  Österreich.  III.  Jahrg.  1H9G.  Wien, 
Ed.  Hölzel  1901.    13K  S.  Geh.  Kr.  4.  — 

Stromgebiete,  die,  des  Deutschen 
Reichs;  hydrograph.  u.orogr. dargestellt, 
mit  bes.  Verzeichnis  der  deutschen 
Wasserstraßen.  Tl.  nb:  Gebiet  der 
Weser.  3  Karten,  3  Taf.  IV,  105  S. 
(Statistik  des  deutsch.  Reichs.  NF. 
39  IIb.)  Berlin,  Puttkammer  u.  Mühl- 
brecht 1901.    JL  2.  — 

Sympher,  Reg-  u.  Baurat.  Die  wasser- 
wirtschaftl.  Vorlage;  mit  Benutzung 
atntl.  Unterlagen  bearb.  3  färb.  Karten. 
IV,  148  S.  Berlin,  Mittler  A  S.  1901. 
1.50. 

Walser.  Herrn.  Dörfer  u.  Einzelhöfe 
zwischen  Jura  u.  Alpen  im  Kant.  Bern. 
(Neujahrsbl.  der  litterar.  Gesellseh. 
Bern  auf  d.  .1.  1901).  46  S.  4°.  Bern, 
Wyss  1901.    Fr.  2.  — 

Aulen. 

Baelz,  E.  Die  Ostasiaten;  ein  Vortr. 
59  S.    Stuttg.,  Wittwer  1901.    JL  1.  - 


Denkschrift  betreffend  die Entwickelung 
des  Kiautschou  -  Gebiet*  Okt.  1W99  bis 
Okt.  1900.  3  färb.  Karten,  5  Taf.,  53  S. 
4°.    Berlin,  D    Reimer  Komm.  1901. 

JL.  5.  — 

Führer  nach  Ost -Asien,  mit  bes.  Be- 
nlcks.  des  deutschen  Schutzgebietes 
von  Kiautschou.  2  Karten,  25  III.  98  S. 
iWoerls  Reisehandbücher).  Leipz.. 
Woerl  (1901  .    J(.  —.50. 

Hafen,  die  wichtigsten.  Chinas;  ein 
Handbuch  ....  hrsg.  v.  der  Dir.  der 
Deutschen  Seewarte.  11  Taf.  XI, 
2*2  S.    Berlin.  Mittler  &  S.  1901. 

Stadl ing,  J.  Through  Siberia;  ed.  by 
F.  H.  H.  Guillemard.  III.,  2  map«. 
830  S.    London,  Constablc  1901.    18  8. 

Afrika. 

Hahn,    Friedr.     Afrika;    eine   all  gem. 

Landeskunde.     2.   A.,   nach  der  von 

Wilh.  Sievers  verf.   1.  A.  völlig  um- 

gearb.    11  Karten,  21  Taf..  17o  Abb. 

Leipz.,  Bibliogr.  Inst.  1901.    15  Lief. 

zu  JL  1 .  — 
Honort5,  Maur.    Le  Transsaharien  et  la 

penetration  frane.  en  Afr.  These.  Carte. 

144  S.    Paris,  Pedone  1901. 

Aiutrallen  n.  die  anntral.  Iniiela. 

Sawyer,  Fred.  H.  The  inhabitants  of 
the  Philippines.  Maps,  ül.  XXVIII, 
422  S.     Lond.,  Low  C.   1900.     14  8. 

Woerl.  Leo.  Samoa;  Land  und  Leute. 
2  Karten,  28  III.  48  S.  Leipz.,  Woerl 
1901.    JL  1- 


Compilation  of  narratives  of  explo- 
rations  in  Alaska;  reported  from  the 
committee  on  military  affairs  by 
Mr.  Carter  .  .  .  Karten,  Tafeln,  III. 
MI,  856  S.  4".  Washington,  Governm. 
pr.  off.  1900. 

Polarliader. 

Borchgrevink,  C.  E.  First  on  the 
Antarctic  continent;  aecount  of  British 
Antarctic  expedition  1899  1Ö0O.  Portr , 
maps,  Ell.  350  S.  London,  Newnes 
1901.    10  8.  6  d. 

UeourraphUrhrr  l'nterrlelit. 

Haas.  Hippolyt.  Anschauungsbilder  für 
den  Unterricht  in  der  Geologie  u. 
phys.  Geographie;  gezeichnet  von  Jul. 
Fürst.  30  Taf.  zu  45  x  60,5  cm.  Kiel, 
Lipsius  k  Tischer  1901.    JL  16  — 


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Zeitschriftonschau. 


Niebertlings  Schul-Geographie;  bearb. 
v.  M.  Richter.  23.  Aufl.  VIII,  2*8  S. 
Paderborn,  Schöniugh  lüOO.         I.  — 

Hu  ach,  G.  Lehrbuch  der  Geographie  für 
österreichische  Lehrer-  u.  Lehrerinnen- 
Bildungsanstalten.    Teil  I:    für  den  I. 


239 

u.  II.  Jahrgang.  II,  320  S.  Oft  Abb. 
Wien,  Pichler  1901.  Kr.  3.50. 
Zeehe  u.  Schmidt.  Österreichische 
Vaterlandskunde  f.  die  8.  Gyinnas  - 
Klasse.  VII,  201  S.  M.  1  Stammtafel. 
Laibach  1901. 


Zeitscliriftenseüau. 


Petermann's  Mitteilungen.  1901.  2. 
Heft.  Sapper:  Beiträge  zur  Ethno- 
graphie des  Bildlichen  Mittelamerika.  — 
Schlagint  weit:  Die  Namen  des  höchsten 
Berges  der  Erde.  —  B  retschnei  der: 
Das  russische  Pachtgebiet  in  der  süd- 
lichen Mandschurei. 

Globus.  Bd.  LXXTX.  Nr.  7.  Erd- 
weg: Ein  Besuch  bei  den  Varopu.  — 
Unter  den  Fellachen  Gosens.  —  Höf  er: 
Fortschritte  in  d  r  Datierung  der  Stein- 
zeit. —  ten  Kate:  Eine  japanische  Rache- 
pnppe.  —  Karutz:  Eine  schottische 
Rachepuppe.  —  Elfenbeinhandel  des 
Kongostaates. 

Dass.  Nr.  8.  Buschan:  Der  Stand 
unserer  Kenntnis  über  die  Basken.  — 
Förster:  Neues  zur  Bodenplastik  des 
äquatorialen  Zentral- Afrika.  —  von  den 
Steinen:  Die  Schraube  keine  Eskimo- 
Erfindung.  —  Ozaki:  Yubana  die  Heifs- 
wa88erprobe  in  Japan.  —  Förster:  Das 
Tangauikaproblem  und  das  Runsoroge- 
birge. 

Dass.  Nr.  9.  Hutter:  Wirtschaftliche 
Bedeutung  von  Nordkamerun.  — 
Conradt:  Das  Leben  einer  deutschen 
Hausfrau  in  Kamerun.  —  Das  Schulwesen 
in  den  deutschen  Kolonien.  —  Kiautschou 
im  Jahre  1899/1900.  —  Kannengiefser: 
Die  deutsche  Kolonialschule  in  Witzen- 
hausen a.  d.  Werra.  —  Deutschlands 
Dampferverbindungeu  mit  seinen  Schutz- 
gebieten. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXIII.  Jhrg.  6  Heft, 
v.  Hegner- Rezelfeld:  Die  Reform  des 
Kalenders  in  Rufsland.  —  Dinter:  Kreuz- 
und  Querzüge  in  Deutseh-Südwejtafrika. 
—  Nusser-  Asport:  Expedition  Villerobe 
vom  Ucayali  zum  Inambari.  Die  Insel 
Ceylon. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1901.  2.  Heft, 
Mohn:  Einige  Bemerkungen  über  die 
Schwerekorrektionen  der  Barometerhöheu. 


—  Woeikof:  Platzregen  und  grofse  täg- 
liche Regenmengen.  —  Schreiber:  Bei- 
träge zur  Hageltheorie. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  XXII. 
Jhrg.  5.  Heft.  Kerp:  Die  Anregung, 
Unterstützung  und  Leitung  der  erd- 
kundlichen Vorstellungstkätigkeit  durch 
den  mündlichen  Unterricht,  beziehungs- 
weise Vortrag  des  Lehrers.  —  Zu  den 
Grundsätzen  für  Lehrbücher  der  Geo- 
graphie. 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für 
Erdkunde  zu  Berlin.  1900.  Nr.  9  u.  10. 
v.  Erlanger  und  Neumanu:  Reisen 
in  Nordostafrika. 

DiUS.  1901.  Nr.  1.  Über  die  Karo- 
lineninscl  Yap.  —  Sven  Hedin:  Reise- 
bericht aus  Zentralasien. 

Dass.  Nr.  2.  Wahnschaffe:  Ur- 
sachen der  Oberflächengestaltung  des 
norddeutschen  Tieflandes.  —  über  die 
Reisen  von  K.  Frhr.  v.  Erlanger  und 
Oskar  Neumann  in  Nordostafrika.  — 
v.  Danckelman:  Der  augenblickliche 
Stand  der  geographischen  Aufnahmen  am 
Kiwu-See. 

Zeitschrift  der  Gesellschaß  für  Erd- 
kunde zu  Berlin.  1900.  Nr.  4.  Penck: 
Die  Eiszeiten  Australiens.  —  Staven- 
hagen:  Uber  das  neueste  Militärkarten- 
wesen Österreich -Ungarns. 

Dass.  Nr.  5.  Futterer:  Land  und 
Leute  in  Nordost-Tibet.  —  v.  Eisner: 
Die  Höhenverhältnisse  des  Ngaiui-Lande, 
nach  Dr.  S.  Passarge. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geog raphischen 
Gesellschaft  zu  Wien.  Bd.  XLIII.  Nr.  11. 
u.  12.  Kubitschek:  Die  Mosaikkarte 
Palästinas.  —  Trampler:  Drei  Dolinen- 
gruppen  im  mährischen  Karst.  —  L  e  v  a  c  i  c : 
Über  die  Umschreibung  des  griechischen 

S  und  %  in  den  geographischen  Namen 
der  Balkanhalbinsel. 

Das*.  Bd.  XLIV.  Nr.  l.u.  2.  Heger: 
Die  Altertümer  von  Benin. 


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240 


Zeitschriftenschau. 


XVII.  Jahresbericht  der  Geographischen 
Gesellschaft  in  lirrn  1 89«  99  J  o  c  h  e  1  s  o  n : 
Die  Jukagiren  im  äufsersten  Nordosten 
Asiens.  —  Der».:  über  die  Spruche  und 
Schrift  der  Jukagiren.  —  Sarasiu:  Über 
unsere  Reinen  im  Innern  von  Celebes.  — 
Schumacher:  Die  Übereinstimmung  von 
Zeit,  Weg  undKreisteiluug.  —  Brück  ner: 
Die  schweizerische  Lundschaft  einst  und 
jetzt.  —  Mann:  Kreuz  und  quer  durch 
Brasilien.  —  Wehr  Ii:  Reisebilder  aus 
den  Anden.  —  Graf:  Über  die  Schweizer- 
karte des  Jost  von  Meggen. 

The  Geographica!  Journal.  Vol.  XVII. 
Nr.  3.  In  Coinmemoration  of  the  Reign 
of  Her  Late  Majesty,  Queen  Victoria, 
Kmpress  of  India.  —  Collie:  Exploration 
in  the  Canadian  Rocky  Mountains.  — 
Murray:  A  Rathymetrical  Survey  of  the 
Freshwater  Lochs  of  Scotland.  —  Mi  11: 
Prof.  Pore!  on  Limnology.  —  Beazley: 
Rockhill's  „Rubruquis". 

Ilir  Scott  iah  Geographica!  Magazine. 
1901.  Nr  2.  A  former  Ice  Age  in  South 
Africa.  —  Workman:  Amid  the  Snows 
of  Raltistan.  —  Regg:  Review  of  the 
Alaska  Boundary  Queetion. 

Dam,  Nr.  3.  Murray  and  Pullar: 
A  Bathymetrical  Snrvey  of  the  Fresh- 
Water  Lochs  of  Scotland.  II.  —  Sharpe: 
Trade  and  Colonieation  in  British  Central 
Africa.  -  F.  P.  Pullar  f. 

La  Geographie.  1001.  Nr.  2.  Colin: 
Deuz  misaions  scientitiques  sur  les  cötes 
Orientale  et  occidentale  de  Madagascar 
—  Julien:  De  Ouango  ä  Mobaye.  — 
Bonin:  Voyage  de  Pekin  au  Turkestan 
russe.  Huber  et  von  Kraatz-Kosch- 
lau:  Entre  l'Ocean  et  le  Rio  Guama.  — 
Barre:  1/ Atlas  climatologique  del'Empire 
de  Russie. 

Riv.  Geogr.  Jtal.  VIII.  Februarheft. 
P.  Berteiii  Studi  iutorno  ad  alcune 
ipoteri  e  teorio  geogeniche.  —  Mari- 
nelli:  Termini  geografici  dialettali 
raccolti  in  Cadore.  —  Oberti:  Le 
regioni  interne  dell' Africa  Orientale 
seondo  le  ulluire  pedizioni.  —  P.  Melzi: 
Osservazioni    tromometriche  dell'osser- 


vatorio  geodinamico  della  Kuerce.  — 
P.  A 1  f  a  n  i :  II  nuovo  gabinetto  geo- 
dinamico dell'osservatioro  Xiineniano.  — 
Mori:  II  „Giro  del  Mondo"  del  Gemelli- 
Careri. 

The  Xatinnal  Geographie  Magazine. 
1901.  Nr.  2.  Austin:  An  Around-the- World 
American  Exposition  —  Martin:  The  Cau- 
ses,  that  led  up  to  the  Siege  of  Peking.  — 
Hubbard:  Singan,  the  Present  Capital 
of  the  Chinese  Empire.  —  Cranc:  The 
Midnight  Sun  in  the  Kloudike.  -  Web- 
ster: Japan  and  China. 

Tht  Journal  of  Schoo!  Geographg.  19oi 
Nr.    2.     Davis:    üreater  London. 
Jeffersou:  Weather  Map  Exercisos.  — 
Norton:  Typhical  Views  inPhysiography. 

Ans  verschiedenen  ZeitschrLfteo. 

Dannenberg:    Die    vulkanischen  Er- 
scheinungen im  Lichte  der  Stfibelschen 
Theorie.    Xaturw.  Hundsihau.  Jahrg. 
XVI.  1901. 
Schreiber:  Orientierende  Untersuchungen 
über      die       meteorologisch  -  hydro- 
graphischen     Verhältnisse     u.  die 
Wirkungsweise    von   Stauanlagen  im 
Gebiete  des  Weifseritzflusses.    1H94  bis 
lxi>7.    Abhfllgen  d.  k.  sächs  meteor.  IhSt. 
Heft  5.    Felix  1901. 
Pockels:    Zur    Theorie    der  Nieder- 
schlagshildung  an  Gebirgen.  Annalen 
der  Physik.   IV.  Folge.    Bd.  4.  1901. 
Hammer:      Direkte  Polhühenbestiin- 
mung    für    einen    Punkt    in  Stutt- 
gart. Jahresb.  d.  V.  /'.  taterl.  Naturkde. 
in  W'ürttemlterg.    Bd.  f>7.    Jahrg.  1901. 
Friedrich:    Das    Brodtener    Ufer  bei 

Wätter. 


Travemünde. 
Jahrg.  1901. 
Hammer:  Astronomisches  Nivellement 
durch  Württemberg.  Yeröffttitlg.  d.  k. 
uürttemb.  Kommission  /'.  d.  internationale 
Erdmessung.  IV.  Heft.  8.  VII.  157  S. 
18  Fig.  1  Taf. 
Garde:  Isforholdene  i  de  arktiske 
Have  1000.  8.  Abdr.  d  naut.  meteor. 
Jahrb.  d.  dän.  meteor.  Jnst.  17  S. 
2  Taf. 


Yirtnlu  ortlicher  HeratuKober:  Prof.  Dr  Alfred  Hettncr  in  Heidelberg. 


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Das  Meer  im  Leben  der  Völker. 

Vortrag,  gehalten  am  Institut,  für  Meereskunde  zu  Berlin 
von  Alfred  Kirchhoff. 

Die  ein/ige  absolute  Großmacht  auf  Erden  ist  das  Meer.  Aus  dem 
Meeresschofs  erst  ist  das  Land  geboren  worden,  das  noch  heute  in  insularer 
Zerstückelung  blofs  hie  und  da  den  allumfassenden  Ozean  unterbricht.  Nur 
das  Meer  bildet  zwischen  der  Lufthülle  und  dem  Gesteinspanzer  der  Erde 
ein  Ganzes,  und  der  Hauptsache  nach  ist  die  Erde  immer  noch  ein  vom 
Ozean  umwogter  Planet.  Auch  den  geheimnisreichen  Ursprung  des  orga- 
nischen Lebens  werden  wir  uns  als  ein  folgenschweres  Begebnis  der  Meeres- 
flut aus  jener  Zeit  zu  denken  haben,  da  es  noch  kein  Land  gab  und  un- 
zertrennt  ein  einiger  Ozean  den  Erdball  umgab  als  konzentrische  Hohlkugel 
gleich  der  ihn  selbst  eiuschliefsenden  der  Atmosphäre.  Ist  aber  die  Weiter- 
entfaltung des  irdischen  Lebens  einheitlich  erfolgt,  so  entstammen  selbst  die 
landbewohnenden  Gewächs-  und  Tierformen  bis  hinan  zum  Menschen  marinen 
Vorfahren. 

Durch  äonenlange  Anpassung  an  die  Daseinsbedingungen  aufserhalb 
des  Meeres  hat  sich  indessen  eine  tiefe  Kluft  herausgebildet  zwischen  land- 
und  meerbewohnenden  Geschöpfen.  Zwar  Flüsse  und  Seen,  durch  ihre 
Wassernatur  dem  Meer  wahlverwandtc  Elemente  des  Landes,  verwischen  in 
Ausnahmefällen  die  sonst  so  streng  eingehaltene  Grenze  des  ozeanischen 
Faunareichs;  manche  Fische  sind  wie  Aale  und  Lachse  geradezu  Doppel- 
wohner  in  Salz-  und  Süfswasser,  andere  Seefische  gewöhnen-  sieh  allmählich 
an  das  minder  salzige  Gewässer  der  Flursmündungen,  bis  ihre  Nachkommen 
schließlich,  die  Stromadern  hinaufschwimmend,  für  die  Dauer  im  Süfswasser 
verbleiben,  gleichwie  der  kleine  Keulenpolyp  in  jüngster  Zeit  erst  aus  der 
Nordsee  durch  das  Brackwasser  der  Elbmündung  in  die  Elbe  und  Saale,  ja 
bis  in  den  Süfsen  See  bei  Eislebeu  eindrang.  Wale  gebären  am  Land,  flug- 
kräftige Fischräuber,  so  der  Fregattvogel,  der  Albatros  bewegen  sich  mit 
ihren  mächtigen  Schwingen  Tage  lang  über  hoher  See,  Tauseude  von  Kilo- 
metern entfernt  von  der  Küste.  Trotzdem  bleibt  der  Küstenzug  die  durch- 
greifendste Scheidelinie  in  der  Verbreitung  der  Lebewesen  auf  Erden.  Und 
der  Mensch,  dessen  ganze  Organisation  darauf  hinweist,  dafs  seine  Ahnen 
im  Tertiäralter  früchteverzehreude  Waldinsassen  gewesen,  war  selbstverständlich 
von  Anfang  an  aussehliefslicher  Landbewohner.  Der  Küstenring  der  Ostfeste 
darf  als  weitgesteckte  Aufsenmauer  des  Heimatshausps  der  Urmenschheit 
gelten. 

ßeographitche  Zcil«chrift.  7  Jalirgan«  VAU  .V  Heft  17 


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242 


Alfred  Kirchhoff: 


Das  Meer  kann  auf  den  Menschen,  als  er  es  zuerst  erblickte,  nur  ab- 
schreckend gewirkt  haben  mit  seiner  Ungastlichkeit,  mit  den  jähen  Gefahren, 
durch  die  es  den  nährenden  Mutterboden  des  Festlandes  bedrohte  in  der  Ge- 
stalt von  hoch  aufspringender  Brandung,  überschwemmenden  Fluten,  furcht- 
barem Sturmwetter.  Dem  weit  überlegenen,  mit  elementarer  Gewalt  an- 
drängenden Feind  gegenüber  sah  sich  der  wehrlose  Mensch  zuvörderst  in  die 
Verteidigungsstellung  gedrängt,  zumal  an  Flachküsten,  wo  das  Steigen  und 
Fallen  des  Meeresspiegels  bei  Flut  und  Ebbe  Gezeitenströmungen  erzeugt, 
die  weit  über  die  Küstenniederung  daherfegen.  Plinius  hat  uns  ein  drama- 
tisches Bild  dieses  an  Urzeiten  gemahnenden  Kampfes  mit  dem  Ozean 
vom  deutschen  Nordseegestade  überliefert,  als  dieses  zur  römischen  Kaiserzeit 
des  schirmenden  Deichbaues  noch  entbehrte.  Alltäglich,  berichtet  Plinius, 
setzte  der  Flutstrom  dies  Land  der  germanischen  Chauken  unter  Wasser, 
dafs  die  Bewohner,  in  ihre  Hütten  geflüchtet,  Seefahrern  glichen,  bis  dann 
der  Ebbestrom  einsetzte  und  die  Leute  wie  Schiffbrüchige  aus  ihren  engen 
Behausungen  lockte,  um  Fische  aus  dem  zurückweichenden  Meerwasser  zu 
fangen  oder  ausgeworfenen  Seetorf  vom  feuchten  Wattengrund  aufzulesen. 
Wir  sehen  hier  den  Daseinsstreit  des  Menschen  mit  dem  Meer  schon  mit 
vervollkommneten  Hilfsmitteln  geführt;  die  Chauken  hatten  sich  bereits  auf 
selbst  aufgeführten  Hügeln,  auf  „Wurten",  einen  festen  Baugrund  für  ihre 
Hütten  geschaffen,  wie  noch  heute  die  Halligleute  auf  den  kleinen,  darum 
uneingedeichten  Marschlandinseln  vor  Schleswigs  Westküste  solche  'benutzen. 
Es  brauchte  nur  noch  der  „goldene  Reif4  des  Deichwalles  längst  der  Küste 
gezogen  zu  werden,  um  den  amphibischen  Gürtel  des  Wechselspiels  der 
Gezeiten  als  weide-  und  weizenreichen  schweren  Marschboden  dauernd  dem 
deutschen  Festland  zu  gewinnen.  Man  weifs  es  aus  der  Geschichte,  wie 
viel  Segen  dieser  Triumph  unseren  und  den  niederländischen  Küstenbewohnern 
eingetragen  hat,  seitdem  der  Friese  nach  dem  letzten  Spatenstiche  stolz  dem 
in  feste  Schranken  zurückgewiesenen  „blanken  Hans"  d.  h.  dem  Meer  das 
Siegeswort  zurief  „Trutz  nun,  blank  Hans!"  und  es  heifsen  durfte:  Dens 
marc,  Batavus  litoru  freit.  Der  über  den  sonst  so  allmächtigen  Gegner  er- 
zielte Erfolg  steifte  den  freiheitsstolzeu  Nacken,  und,  je  unablässiger  der 
Deichbau  gemeinsame  Arbeit  forderte  für  seine  fernere  Instandhaltung,  wie 
er  nur  zu  gründen  gewesen  durch  thatkräftiges ,  entsagungsvolles  Zusammen- 
wirken vieler,  desto  zählebiger  entfaltete  sich  hinter  dieser  Festungsmauer  gegen 
den  Tyrannen  Okeanos  der  den  selbstsüchtigen  Einzelwillen  bändigende  ehren- 
feste Gemeinschaftsgeist,  der  alle  staatliche  Ordnung  trägt,  ganz  ähnlich  wie 
Jahrtausende  früher  hinter  den  Damm-  und  Kanalbauteu  am  unteren  Ho- 
angho,  in  Babylonien  oder  am  ägyptischen  Nil. 

Ungleich  wichtiger  jedoch  erscheint  jener  entscheidungsvolle  Schritt,  den  der 
Mensch  in  entlegener  Vorzeit  that,  als  er,  das  Grausen  vor  dem  Unbekannten 
bezwingend,  sich  kühn  dem  feindlichen  Elemente  selbst  anvertraute,  um  die 
wogende,  endlos  vor  ihm  liegende  See  zu  befahren  auf  gebrechlichem  Flofs, 
im  ausgehöhlten  Baumstamm  oder  im  roh  aus  Hölzern  gezimmerten  Boot. 
Mehr  als  einmal  mag  unser  Geschlecht,  durch  ausgedehnte  Wanderungen 
längst  zerspalten  in  variierte  Horden,  die  einander  nicht  kannten,  angelangt 


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Das  Meer  im  Leben  der  Völker. 


243 


an  der  Küste  des  Meeres,  diesen  gewichtigen  Fortschritt  vollzogen  haben,  der 
den  Keim  zur  Herrschaft  des  Menschen  über  die  Erde  in  sich  barg.  Wo 
Ströme  ins  Meer  mündeten,  konnte  man  den  Versuch  wagen,  auf  Flufsbooteu 
die  hohe  See  zu  erreichen,  anderwärts  erzeugt«  der  Trieb,  auf  dem  Rücken 
des  Meeres  sich  dauernder  als  blofs  schwimmend  zu  bewegen,  unmittelbar 
jene  nachmals  so  staunenswert  hoch  entwickelte  Kunst  des  Baues  wie  der 
Führung  mariner  Fahrzeuge,  durch  die  der  Mensch,  unter  allen  Geschöpfen 
allein,  die"  Schranke  der  Küstenlinie  nach  allen  Seiten  und  in  die  weitesten 
Fernen  zu  durchbrechen  vermochte. 

Was  in  aller  Welt  trieb  ihn  denn  aber  zu  dem  tollkühnen  ozeanischen 
Wagnis V  Recht  oft  wohl  der  Hunger,  dieser  finstre,  allgewaltige  Erzieher 
der  Menschheit,  wie  uns  schon  die  nach  Fischbeute  im  Ebbestrom  aus- 
spähenden Chauken  ahnen  lassen;  oft  auch  mag  die  Flucht  vor  einem  über- 
legenen feindlichen  Stamm  in  Todesangst  erfinderisch  gemacht  haben,  um  die 
trügerische  See  als  zeitweiligen  Zutluchtsraum  dem  sicheren  Ende  vor- 
zuziehen. Schlug  dann  aber  ein  Volksstamm  seinen  Wohnsitz  für  die  Dauer 
am  Meercsstrand  auf,  so  vermochte  zweierlei  ihn  zu  allmählicher  Vertrautheit 
mit  dem  anfangs  gefürchteten  Element  zu  erziehen:  der  Schatz  des  Küsten-  . 
meeres  an  verwertbaren  Seetieren  und  winkende  Gegenküsten  oder  beides 
zusammen.  Der  Nahrungsmangel  der  Polarlande  hätte  die  Eskimo  wohl  nie 
bis  gegen  und  über  den  80.  Parallelkreis  vordringen  lassen;  das  erwirkte 
vielmehr  allein  die  Nahrungsspende  des  tierreichen  arktischen  Meeres;  wesent- 
lich der  Seehundsfang  war  es,  der  diese  beherzten  Polarmenschen  über  die 
eisigen  Sunde  Amerikas  bis  in  den  höchsten  jemals  von  Menschen  bewohnten 
Norden  geleitete  und  sie  zu  so  unübertrefflichen  Meistern  im  Kajakfahren  her- 
anbildete, dafs  ein  geschickter,  ausdauernder  Eskimo  die  Strecke  von  Rügen 
nach  Kopenhagen  im  Einmannsboot  an  einem  Tage  zurücklegen  könnte. 
Die  Kolonisation  der  Hellenen  rückte,  den  Thunfischzügen  entgegengehend, 
vom  •  ägeischen  Meer  längs  dem  pontischen  Strand  vor,  wie  diejenige  ihrer 
nautischen  Lehrmeister,  der  Phönizier,  durch  das  Vorkommen  der  für  ihre 
Färberei  unentbehrlichen  Purpurschnecke  an  den  verschiedensten  Uferstrecken 
des  Mittelmeers  beeinflufst  worden  war.  Wo  auch  aufserhalb  der  Polarwelt 
das  Binnenland  durch  Felsenwildnis,  Moor  und  Walddickicht  den  Menschen 
zurückschencht,  das  Meer  dagegen  durch  Fische,  Muscheltiere  und  Krebse 
eine  gut  beschickte  Tafel  ihm  aufthut,  da  begegnen  wir  Völkern,  die  gleich 
Seevögeln  sogar  fast  ausseh liefslich  von  Seekost  leben,  am  Land  nur  wohnen; 
so  am  äufsersten  Südende  der  bewohnten  Erde  den  Feuerländern,  in  dem 
ganz  skandinavisch  von  Fjorden  zerschnittenen,  zu  Küsteninseln  zerrissenen 
Südosten  Alaskas  den  Tlinkit-Indianern,  die  dermafsen  mit  ihren  trefflich  ge- 
bauten schlanken  Fahrzeugen  verwachsen  sind,  dafs  sie  nur  ungern  und  un- 
geschickt zu  Fufs  sich  bewegen.  Bei  uns  in  Europa  hat  sich  gleichfalls  ein 
ganz  überwiegend  der  Küste  angehöriges  Schiffervolk  aus  den  Dänen  her- 
ausgebildet, seitdem  ein  Teil  derselben  au  Norwegens  Strand  unter  dem 
treffenden  Namen  der  Wikinger,  d.  h.  der  Fjordeuleute,  Sicdelungen  gründete 
zwischen  einem  überaus  fischreichen  Meer  und  den  öden  Fjeldeu.  Die  Nor- 
mannengeschichte entroll!  uns  dazu  ein  eindrucksvolles  Bild,  wie  kühne  Sce- 

17* 


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244 


A  1  f  r  c  «1  Kirchhoff: 


fahrer  immerdar  auch  leicht  Seeräuber  wurden;  als  solche  verlegten  die  Nor- 
mannen ihre  Raubzüge  bald  vom  heimischen  Strand  in  ferne  Lande,  wozu 
die  freie  Weite  des  Meeres  den  Mutigen  einlud,  fuhren  die  ostenglischen 
Flüsse,  die  Seine,  die  Elbe,  den  Rhein  hinauf,  um  Köln  zu  brandschatzen, 
betraten  erobernd  den  Boden  Siziliens.  Gleichwie  in  den  Wüsten  gilt  auf 
dem  Meer  der  Satz,  dafs  verführerisch  reiche  Beute  den  Wagehals  zum  Über- 
fall lockt,  zumal  wenn  Ortskunde  und  ein  sicherer  Bergeplatz  des  Raubes  Erfolg 
verheifst.  Die  dalmatinische  Küste,  die  in  der  ganzen  Flanke  der  axlriatischen 
Schiffskurse  eine  solche  Fülle  günstiger  Ausfallsthore  wie  Schlupfwinkel 
durch  ihre  versteckten  Felsbuchten  und  engen  Seegassen  darbietet,  war  des- 
halb schon  im  Altertum  ein  ständiger  Sitz  der  Piraterie,  und  wenn  die 
illyrische  Königin  Teuta  den  Sendboten  Roms  auf  deren  Forderung,  das 
Kaubhandwerk  einzustellen,  stolz  erwiderte,  das  gehe  Rom  nichts  an,  es  sei 
einmal  bei  ihrem  Volk  so  Brauch,  hatte  das  eine  gewisse  geographische  Be- 
rechtigung1. Gelegenheit  macht  nicht  nur  Diebe,  sondern  erzieht  auch  Räuber- 
völker. 

Dafs  Buchten-  und  Inselfülle  der  Küstenmeere  die  Bewohner  nautisch 
anregt,  ist  neuerdings  etwas  überkritisch  angezweifelt  worden.  Hinter  den 
glatt  verlaufenden,  inselleeren  Küsten  des  australischen  und  afrikanischen 
Festlandes  wohnten  die  Eingeborenen  seit  alters  ohne  jede  Fühlung  mit  dem 
Meer.  Man  sage  doch  nicht,  der  Neger  zeige  keine  Anlage  zum  Seemanns- 
beruf! Wie  mancher  schwarze  Afrikaner  hat  schon  wackre  Matrosendienst« 
am  Bord  unserer  Schiffe  geleistet!  Der  ganze  Küstenstamm  der  Kruneger 
bei  Kap  Palmas  ist  sogar  dadurch  weltbekannt,  dafs  aus  ihm  die  besten 
Schiffsknechte  der  westafrikanischen  Kauffahrtei  stammen,  allerdings  erst  seit 
diese  „Kruboys"  in  neuerer  Zeit  von  vorüberfahrenden  Schiffen  der  Europäer 
zu  solcher  Arbeit  gedungen  wurden.  Bedeutsam  jedoch  dünkt  es,  dafs  die 
Papelneger  Portugiesisch -Westafrikas  südlich  von  Senegambien,  dieses  ein- 
zige selbständig  Schiffahrt  treibende  Negervolk,  eben  dort  sich  entwickelt 
hat,  wo  der  Bissagos-Archipel  der  Schlauchmündung  des  Rio  Geba  dicht  vor- 
lagert. Am  insel-  wie  halbinselarmen  Küstensaiun  Südamerikas  trafen  die 
europäischen  Entdecker  nichts  als  Flofsfahrt,  abgesehen  von  den  Rinden- 
kähnen der  Feuerländer;  wo  dagegen  unfern  der  Orinokomündung  die  west- 
indische Inselreihe  an  das  Festland  ansetzt,  hatten  die  Kariben  bereits  see- 
tüchtige Schiffe,  die  sie  mit  Steuerruder  lenkten  und  unter  Baumwollsegeln 
dahingleiten  liefsen;  sie  waren  gefürchtete  Seeräuber  und  hatten  die  Erobe- 
rung der  Antillen  begonnen.  An  der  Westseite  Nordamerikas  grenzte 
wiederum  Seeunkunde  der  Indianerstämrae  und  hochgesteigerte  Seetüchtigkeit 
genau  da  an  einander,  wo  mit  der  De  Fuca-Strafse  der  Fjordencharakter  der 
Küste  anhebt.  Asien  wie  Europa  zeigen  uns  erst  recht  die  Hauptgebiete 
ihrer  nautischen  Entfaltung  an  ihren  am  reichsten  gegliederten  Aufsenseiten. 
Unter  den  asiatischen  Seefahrervölkern  von  Arabien  bis  Japan  stehen  die- 
jenigen des  umfangreichsten  Tropenarchipels  in  der  Mitte  dieses  Läuderzugs 
schon  .frühzeitig  den  übrigen  insofern  voran,  als  wir  hier  bei  den  Mainyen 
den  Ursprung  zu  suchen  haben  für  einen  ausgezeichneten  Bootsbau  und  den 
Ausgangsort  für  die  ungeheuere  Verbreitung  dei  Malayenras.se  über  die  zahl- 


Dan  Meer  im  Leben  der  Völker.  24f> 

losen  Inseln  der  Südsee.    Seit  vorchristlichen  Zeitfernen  hat  diese  allmählich 
vollzogene  Völkerwanderung  über  den  gröfsten  aller  Ozeane  den  nämlichen 
Typus  des  schlanken,  oft  mit  Ausleger  gegen  das  Kentern  geschützten  Bootes 
mit  dem  scharfen  Kiel  verbreitet,  dessen  Ruderkraft  durch  Mattensegel  ver- 
stärkt wird,  und  das  die  plumpe  Walzenform  des  Eiliba  ums  hier  nirgends 
hat  aufkommen  lassen.    Erstanden  aber  ist  dabei  die  polynesische  Abart  der 
lichtbraunen  Kasse,   die   von   allen   Zweigen    unseres  Geschlechts   am  all- 
seitigsten  und  tiefsten  verknüpft  ist  mit  dem  Weltmeer,  im  materiellen  wie 
im  geistigen  Leben  bis  hinan  zu  Dichtung  und  Mythus;  ewig  die  balsamische 
Seeluft  atmend,  früher  schwimmen  lernend  als  gehen,  indem  sie  als  Säug- 
linge schon  auf  dem  Mutterann  durch  den  Gischt  der  Brandung  geführt 
werden,  leben  diese  Menschen  auf  ihren  schmalen  Koralleneilanden  ein  ganz 
amphibisches  Dasein,   fast  wie  auf  festgeankerten  Schiffen  in  hoher  See. 
Blicken  wir  auf  den  indisch-arabischen  Südwesten  Asiens,  so  offenbart  uns 
das  ewige  Wechselspiel  der  Monsune  die  grofsartige  Förderung  des  Schiffs- 
verkehrs über  den  indischen  Ozean;  weil  immer  zur  Winterzeit  der  nörd- 
lichen Erdhälfte  die  Segler  so  ständig  vom  Monsun  nach  Afrikas  Ostküste 
getrieben  wurden  wie  dann  im  Sommerhalbjahr  wieder  heimwärts  nach  dem 
indischen  oder  arabischen  Hafen,  vollzog  sich  in  diesem  Raum   früher  als 
irgendwo  sonst  ein  befruchtender  Völkerverkehr  zwischen  zwei  Erdteilen  und 
ganz  verschiedenen  Rassen  über  landferne  See.    Von  ihm  stammt  der  Ann- 
schmuck  der  indischen  Braut  aus  afrikanischem  Elfenbein,  die  Ausdehnung 
des  indischen  Reisbaues  durch  arabische  Sklavenhändler  bis  zum  Kongo,  das 
Kisuaheli  als  arabisch  durchsetzte  Bantunegersprache,  der  noch  heute  rege 
Handelsverkehr  zwischen  Deutsch-Ostafrika  und  Bombay,  das  ständige  Wohnen 
kapitalkräftiger  indischer  Händler  an  unserer  Schutzküste.     Endlich  welch 
eine  glänzende  Reihe  nautischer  Thaten  tritt  uns  im  Wandel  der  Zeiten  vor 
die  Seele,  wenn  wir  hinüberblicken  nach  Griechenland,  Italien,  der  iberischen 
Halbinsel    und    nach    den    atlantischen    Gestadeländern    Westeuropas!  Die 
Mittelmeersehiffahrt  war  früher  erweckt,  indessen  die  atlantische  wuchs  schon 
im  Altertum  höher,  denn  sie  hatte  zu  ringen  mit  einem  ungleich  gefähr- 
licheren Meer.    Mit  den  soliden  Keltenschiffen  der  Veneter  in  der  heutigen 
Bretagne  aus  dicken  Eichenplauken  mit  eisemen  Ankerketten  und  Ledersegeln 
konnten  griechische  oder  römische  Kauffahrer  uicht  wetteifern.     Die  Jahr- 
hunderte hindurch  fortgesetzten  Uberfahrten  der  Normannen  in  ihren  grofsen 
Ruderkähnen,  den  schwarz  getheerten  „Seerappen",  von  Norwegen  nach  Grön- 
land und  zurück  sind  mannhaftere  Leistungen  gewesen  als  die  freilich  ge- 
schichtlich folgenreichere  Fahrt  der  Kolumbus-Karavelen  im  mhigeren  Süd- 
meer mit  dem  Kompafs  als  Leiter.    Den  grofsen  Vorzug  der  Lage  am  ver- 
kehrsreichsten aller  Ozeane  nutzten  indessen  erst  in  der  Neuzeit  für  Welt- 
handel und  Gründung  überseeischen  Besitzes  die  vier  mittelständigen  Laude 
voll  aus:  Frankreich,  die  Niederlande,  England,  Deutschland.     Für  diesen 
gewaltigsten  Aufschwung  des  Seewesens  mufste  vor  allem  erst  Amerika  als 
weckendes  Ziel  den  Blicken  Europas  entschleiert  werden.     Und  wenn  sich 
sodann  auch  innerhalb  der  neueu  Welt  die  moderne  Gröfse  von  Schiffsbau 
und  Seeverkehr  dort  entfaltete,  wo  unendliche  Waldungen  prächtiges  Schiffs- 


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246 


A  1  frort  Kirch  ho  ff: 


bauhol/.  lieferten,  namentlich  aber  eine  feine  Küstengliederung  Buchten  und 
Sunde,  bergende  Flufsmündungshäfen  nebst  weit  ins  Land  hinein  für  miifsige 
Seeschiffe  befahrbaren  Strömen  darbot,  also  in  Kanada  und  im  Nordosten 
der  Vereinigten  Staaten,  so  wird  man  hier  ebenfalls  der  ursächlichen  Ver- 
knüpfung inne,  die  zumeist  besteht  zwischen  Naturbegabung  der  Küstenlande 
und  seemännischer  Bethätigung  ihrer  Bewohner. 

Allerdings  wäre  es  geistlos  pseudogeographischer  Fanatismus,  wollte  man 
dieses  Verhältnis  wie  einen  naturgesetzliehen  Zwang  deuten.  Der  Mensch  ist 
kein  willenloser  Automat;  er  verhält  sich  zu  Naturanregungen  seiner  Heimat 
bald  wie  ein  gelehriger,  bald  wie  ein  teilnahmloser  Schüler.  Das  Wasser 
des  heutigen  Welthafens  von  Neu-York  diente  einst  den  Indianern  blofs  zum 
Sammeln  efsbarer  Muscheln;  an  derselben  Sehären  käste,  die  die  Norweger  zu 
so  kühueu  Schiffern  erzog,  leben  die  Lappen  weiter  als  armselige  Fischer. 
Die  Angelsachsen  vertieften  sich  nach  der  Landung  in  Britannien  so  ganz 
in  die  Kämpfe  mit  den  dortigen  Kelten,  danach  in  Landbau  und  Viehzucht, 
dafs  sie  der  See  völlig  den  Rücken  zukehrten,  Alfred  d.  Gr.  seine  Schiffe 
auf*  deutschen  Werften  bauen  lassen  mufste.  Die  meisten  Insulaner  auf  den 
Kykladen  denken  heutzutage  nicht  an  Seefahrt,  sondern  bauen  Weizen, 
pflegen  die  Hebe  oder  weiden  ihre  Ziegen.  Seit  die  Holländer  wohlhabend 
wurden,  vernachlässigten  sie  die  von  ihren  Vorfahren  im  härteren  Daseins- 
kampf so  viel  energischer  betriebene  Schiffahrt,  ja  in  den  belgischen  Nachbar- 
provinzen Brabant  und  Flandern  öberliefs  der  Niederländer  den  auch  dort 
recht  beträchtlichen  Seeverkehr  seit  alters  vorzugsweise  Ausländern,  da  ihn 
auf  seinem  fruchtbaren  Boden  Ackerbau,  Gewerbe,  Landhandel  weit  bequemer 
nährte. 

Wagt  es  aber  der  Mensch,  seine  Kraft  zu  messen  mit  der  elementaren 
Obergewalt  des  Meeres,  erwählt  er  als  Seemann  dieses  Ringen  mit  Sturm 
und  Wogenschwall  sogar  zu  seinem  Beruf,  dann  gilt  von  ihm  vollauf  das 
Dichterwort:  „Es  wächst  der  Mensch  mit  seinen  höhern  Zielen14.  Das  See- 
mannshandwerk stählt  Muskel  und  Nerv,  übt  Sinnesschärfc,  Geistesgegenwart, 
steigert  mit  jedem  neuen  Triumph  menschlicher  Klugheit  über  rohe  Natur- 
kraft den  Mut  überlegten,  furchtlosen  Handelns.  Wie  scharf  beobachtend 
späht  ganz  habituell  das  verwetterte  Antlitz  unserer  Matrosen  unter  dem 
Südwester  in  die  Ferne,  wie  wortkarg,  aber  tüchtig  und  thatbereit  ist  ihr 
ganzes  Wesen;  dem  scheinbaren  Phlegma  im  Ruhezustand  entspricht  vom 
Augenblick  der  Auslösung  der  bisher  latent  zusammengehaltenen  Kraft  die 
Energie  und  die  erstaunliche  Ausdauer  der  Leistung.  Wenn  der  Seemanns- 
beruf wie  in  Norwegen  oder  Grofsbritannieu  sehr  weite  Bevölkerungskreise 
umschliefst,  wenn  er  dazu  als  ein  Grundpfeiler  der  gesamten  Volkswirtschaft 
hohe  Achtung  geniefst  und  bei  geringem  Abstand  der  Küste  selbst  vom 
innersten  Binnenlandkern  allen  Leuten  in  seiner  klar  ausgeprägten  Eigenart 
vorschwebt,  so  zünden  die  ('haraktervorzüge  des  Seemanns  auch  innerhalb 
der  nicht  seemännischen  Bevölkerung  durch  Nachahmung.  Ergreift  dann,  wie 
bei  gröfsereu  Kulturnationen  so  oft,  im  Gefolge  wachsender  Vertrautheit  mit 
dem  Ozean,  mit  dem  Erdganzen  überhaupt,  Seehandel,  überseeische  Koloni- 
sation immer  ausgedehntere  Kreise,  so  teilt  sich  gar  viel  von  dem  frischen 


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Das  Meor  im  Lehen  der  Völker. 


1>47 


Unternehmungsgeist,  dem  Wagemut,  dem  durch  Berührung  mit  Fremden  er- 
weiterten geistigen  Horizont  dem  gesamten  Volk  mit.  Typisch  hierfür 
leuchtet  uns  aus  dem  Altertum  der  Gegensatz  auf  zwischen  dem  braven, 
jedoch  engherzigen  Spartaner,  der,  durch  sein  im  Ausland  nicht  kursfähiges 
Geld  der  Eisenstifte  vom  Überseeverkehr  auch  künstlich  abgeschrankt,  zwischen 
den  Gebirgsmauern  seines  Eurotasthals  konservativ  fortlebte,  und  andererseits 
dem  ionischen,  fortschrittlichen  Schitferstamm ,  den  in  ugeischer  Seeluft  ge- 
badeten Athenern  voll  fröhlichster,  in  schrankenlose  Weite  strebender  Thateulust, 
Der  Urmensch  wird  das  Weltmeer  kaum  gekannt  haben,  späteren  Ge- 
schlechtern war  es  ein  Gegenstand  von  Furcht  und  Schrecken.  Als  man 
jedoch  nachmals  für  die  Dauer  an  seinem  Ufer  wohnte,  seine  Schätze  aus- 
schöpfte, seinen  breiten  Rücken  sich  dienstbar  machte,  um  nach  Herzenslust 
die  fernsten  Küsten  anzufahren,  da  trat  man  ihm  näher  und  näher,  freilich 
ohne  ihm  jemals  Sklavenfesseln  anlegen  zu  können.  Als  schöpferische  Gott- 
heit begann  man  es  zu  verehren.  Die  bezaubernde  Schönheit  des  Meeres, 
wenn  es  bei  stiller  Luft  friedlich  die  Segler  dahin  gleiten  läfst  über  seinen 
Spiegel,  aus  dem  des  Tages  freundlich  der  Sonnenglanz,  nachts  der  Sternen- 
himmel silbern  widerscheint,  oder  wenn  im  Gewittersturm  die  Wogen  auf- 
gepeitscht werden,  flammende  Blitze  das  Düster  von  Seegewölk  und  Wasser 
durchzucken,  der  Anprall  der  Wogen  gegen  die  Steilküste,  der  Kampf  des 
Schiffes  mit  dem  Sturm,  dann  die  verklärte  Natur,  nachdem  das  rasende 
Wetter  sich  verzogen,  das  stets  wachsende  Farbenspiel  in  einer  Harmonie 
von  Himmel  und  Wasser,  wie  sie  dem  Land  in  solcher  Vollkommenheit 
mangelt,  —  das  alles  hat  die  dichterische  Naturschilderung  nicht  blofs  in 
Homers  und  Ossian's  Gesängen  begeistert,  nein  selbst  aus  schlichten  Stegreif- 
liedern von  Naturvölkern  des  Strandes  klingt  das  naturfrisch  uns  entgegen, 
und  die  Maler  aller  .in  der  Kunst  höher  gestiegenen  Seefahrernationen  haben 
uns  in  herrlichen  Bildern  die  Andacht  des  Menschen  im  Anblick  ozeanischer 
Gröfse  verewigt 

Wissen  und  technisches  Können  wurde  schon  dadurch  beim  Umgang 
mit  dem  Meer  mächtig  angeregt,  weil  dieser  zum  Bau  des  nötigen  Fahr- 
zeugs sowie  zu  dessen  immer  höherer  Vollendung  hintrieb.  Und  wie  viel- 
seitig wurde  Wissenschaft  und  Technik  für  den  Schiffsbau  vollends  in  An- 
spruch genommen,  seitdem  das  19.  Jahrhundert  die  Dampfer  schuf,  um  selbst 
gegen  Wind  und  Strömung  die  Ozeane  zu  durchkreuzen!  Mittelbar  hat  ferner 
die  Sicherung  der  Schiffsführung  eine  Mehrzahl  von  Wissensgebieten  segens- 
voll beeinflufst.  Noch  leben  auf  karolinischen  Eilanden  einige  greise  Glieder 
jener  merkwürdigen  Gilde,  in  der  sich  genaue  Kenntnis  der  Fixsternlage  zum 
Sommer-  und  Winterhorizont  für  Verwertung  bei  der  Bootssteuerung  vererbte 
und  zugleich  eine  so  genaue  Bekanntschaft  mit  der  Ortslage  der  Inseln  in 
weitestem  Umkreis,  wie  sie  die  zeitgenössische  Geographie  der  Kulturvölker 
lange  noch  nicht  besafs.  Italienischen  Nautikern  danken  wir  die  Einführung 
des  Kompasses  in  unseren  Schiffsdienst  auf  Grunjl  der  zuerst  in  China  er- 
kannten Richtungskraft  der  Magnetnadel.  Er  hat  nicht  blofs  zahllosen  Tau- 
senden von  Schiffen,  denen  in  Nacht  und  Nebel  kein  Gestirn  schimmerte,  den 
rechten  Weg  gewiesen,  sondern  ohne  die  am  Kompafs  durch  alle  Zonen  von 


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248  Alfred  Kirchhoff: 

■ 

den  Schiffern  gemachten  Massenbeobachtungen  hätte  auch  kein  Gaufs  erfolg- 
reich am  Problem  des  Erdmagnetismus  zu  arbeiten  vermocht.  Und  wenn 
schon  vor  Jahrhunderten  die  Markscheider  im  Klausthaler  Bergwerk  üire 
unterirdischen  Gänge  zielsicher  ausbauten,  beim  Grubenlicht  den  Kompafs  be- 
fragend, so  klingt  selbst  in  diese  wahrlich  seeferuc  Arbeit  ein  verhallendes 
kulturgeschichtliches  Echo  vom  Wogengetümmel. 

Zum  Gröfsten  jedoch  führte  das  Weltmeer  den  Menschen  hinan,  indem 
es  ihm  die  einzige  Möglichkeit  erschlofs,  die  Erde  als  Ganzes  auf  dem  Weg 
der  Entschleierung  des  irdischen  Antlitzes  kennen  zu  lernen,  durch  den 
Welthandel  die  Wirtschaft  der  einzelnen  Völkerkreise  zur  Weltwirtschaft  zu 
verknüpfen,  endlich  durch  dieses  Mittel  allseitigen  Verkehr,  wie  ihn  allein 
der  alle  Lande  umschlingende  Ozean  zu  schaffen  vermag,  die  urzeitliche 
Trennung  der  Menschenstämmc  nach  den  einzelnen  Kontinenten  zu  über- 
winden, auch  eine  geistige  Verbindung  der  gesamten  Menschheit  anzubahnen. 
Dafs  der  Welthandel  hierbei  die  Führung  übernahm,  versteht  sich  aus  der 
nicht  blofs  bösen  Macht  der  Gewinnsucht.  Rief  doch  schon  Strabo  aus,  da 
er  im  entsetzlichen  Tanz  der  Wellen  die  Seeleute  ihr  Leben  einsetzen  sah, 
um  die  nach  Rom  bestimmten  Waren  auf  hoher  See  vor  der  schon  damals 
zu  seichten  Tiber  aus  dem  Kauffahrer  in  die  Leichterboote  überzuladen: 
„Ja,  die  Sucht  nach  Erwerb  besiegt  alles!"  Das  Meer  öffnete  von  jeher  die 
freisten  und,  was  sehr  schwer  wiegt,  die  billigsten  Wege  um  den  Erdball. 
Wir  werden  bald  aus  den  unfernen  Schantungwerkeu  billigere  Steinkohlen 
nach  Tsingtau  liefern,  als  man  von  England  dort  feilbieten  könnte,  dagegen 
schon  Mailand,  geschweige  denn  die  italienische  Küste  liegt  uns  zu  fern,  um 
dort  die  englische  Kuhle  auszustechen,  weil  diese  fast  schon  vom  Förderungs- 
platz bis  nach  Italien  den  Seeweg  vor  unserer  deutschen  Binnenlandkohle 
voraus  hat  Apfelsinen  aus  Italien  werden  in  Hamburg  billiger  feilgeboten 
als  in  München  oder  in  Wien,  weil  die  Seefracht  von  Sizilien  nach  Hamburg 
nicht  einmal  ganz  so  teuer  zu  stehen  kommt  wie  z.  H.  die  Landfracht  von 
Hamburg  nach  Berlin.  So  wirft  allerwegen  der  Soehandel  wegen  wohlfeilster 
Fracht  den  meisten  Verdienst  ab;  um  die  billige  Seestrafse  nicht  um  ein 
Kilometer  unnötig  zu  verkürzen,  sind  ja  die  gröfsten  Seehandelspliitze  eben 
in  den  innersten  Nischen  von  Meereseinschnitten  ins  Land  erblüht;  und  der 
Millionen  verdienst  des  Welthandels  wirft  genug  ab,  um  die  Unsummen  ber- 
zuliefern,  die  der  Schiffsbau  verschlingt,  und  um  jene  Millionengarde  wackerer 
Schiffsbemannung  zu  lohnen,  auf  dafs  sie  fern  der  süfsen  Heimat  harte  und 
mit  steter  Lebensgefahr  bedrohte  Arbeit  leiste,  selbst  den  Taifunen  trotzend. 

„Unfruchtbar"  nannte  Homer  die  See,  und  doch  wie  viel  Güter  beschert  sie 
den  Menschen,  aus  eigenem,  nimmer  versiegendem  Schatz,  mehr  noch  dadurch, 
dafs  sie  die  Schütze  der  ganzen  Erde  über  ihre  spiegelnde  Fläche  geleitet 
mit  denkbar  geringster  Beeinträchtigung  ihrer  Marktfähigkeit.  Über  die  Ge- 
stadeländer des  Meeres,  zumal  der  am  intensivsten  arbeitenden  gemäfsigten 
Zonen,  schauen  wir  einen  Abglanz  dessen  sich  ausbreiten:  die  verkehrs- 
reichsten Städte,  die  dem  Welthandel  als  Hafenorte  dienen,  Werfte,  Industrie- 
stätten, die  überseeisch  erzeugte  Rohstoffe  aus  erster  Hand  haben  wollen, 
um  sie  in  Kunstprodukte  umzusetzen,  vereinigen  sich  an  den  Küstenstreifen 


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Das  Meer  im  Lehen  der  Vfilker. 


249 


mit  einer  Fülle  kleinerer  Siedelungen,  teils  auch  vom  Seehandel  oder  von 
Küstenfahrt  und  Fischerei  lebend,  umgehen  von  meist  wohlbestellten  Fluren, 
über  denen  der  milde  Seehauch  befruchtend  waltet.  Der  leichter  zu  er- 
ringende Wohlstand  ist  es,  was  die  Menschen  an  die  Küste  zieht.  Darum 
zeichnen  sich  Inseln  so  oft  vor  dem  benachbarten  Festland,  kleinere  Inseln 
unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  vor  gröfseren  aus  durch  stärkere  Volks- 
verdichtung zufolge  ihres  relativ  gröfsereif  Küstcnanteils.  Wo  Land  und 
Meer  einander  berühren,  da  zeigt  sich  mithin  naturgemäß  am  offen  kundigsten 
des  Meeres  Segen  für  die  Menschheit. 

Werfen  wir  zum  Schlufs  noch  einen  raschen  Blick  auf  die  Bedeutung 
des  Meeres  für  den  Staat,  so  versteht  es  sich  aus  dem  eben  Gesagten  zu- 
nächst von  selbst,  dals  jeder  Staat,  falls  er  sich  der  Vorteile  des  Seewesens 
für  seine  Angehörigen  bewufst  wird,  nach  Ausdehnung  seines  Gehiets  bis  zum 
Meer  streben  wird,  und  wäre  es  auch  blofs  um  einen  so  winzigen  Küsten- 
streifen zu  erwerben  wie  neuerdings  Montenegro  an  der  Adria  erhielt.  Denn 
wer  einen  Fufs  am  Strande  hat,  kann  seine  Schiffe  um  die  ganze  Erde 
senden.  Welche  Machtfülle  in  Seehandel,  Seeherrschaft  und  Kolonisation  bis 
an  die  entlegensten  pontischen  Gestade  hat  im  Altertum  Milet,  im  Mittelalter 
Genua  von  einem  einzigen  Hafen  aus  entfaltet!  Die  Schweiz  steht  uns  als 
einziger  Wunderbau  eines  Staates  vor  Augen,  der,  auf  den  Alpenzinnen  in- 
mitten Europas  gegründet,  durch  den  rüstigen  Industriebetrieb  seiner  Be- 
wohner Handel  über  die  ganze  Welt  hin  treibt,  ohne  je  eine  Küsteneroberung 
hoffen  zu  dürfen.  Aber  wie  peinlich  abhängig  fühlt  sich  darum  auch  die 
Schweiz  für  Warenabsatz  nebst  Warenfracht  von  den  Zolleinrichtungen,  den 
Tarifsätzen  der  Eisenbahnen  seitens  der  vier  Grofsstaaten,  die  sie  umklammern! 
Kufsland  hingegen  bietet  uns  das  weltgeschichtlich  gröfste  Beispiel  eines 
ursprünglich  rein  binnenländischen  Staates,  der  in  zielbewufsten  Vorstöfsen 
die  Küsten  seiner  sämtlichen  Umgebungsmeere  sich  angliederte,  dafs  nun  sein 
Banner  weht  von  der  Ostsee  bis  zum  Huanghai. 

Aber  dem  Staat  als  solchem  verleiht  das  Meer  drei  der  besten,  ja  der 
unentbehrlichsten  Gaben:  Unabhängigkeit,  Einheit  und  Macht  fülle.  Das  Meer 
ist  das  schlechthin  Unbewohnbare,  betont  mit  Recht  Ratzel,  somit  die  aller- 
sicherste  Schutzmauer  für  einen  Staat.  Wie  viel  minder  gewährleistet  er- 
schiene des  gröfsten  Freistaats  Freiheit,  hätte  die  Union  zum  atlantischen 
Littoral  nicht  auch  das  paeifische  errungen!  Ein  allseitig  meerumschlungenes 
Staatsgebiet  wie  das  britische,  das  japanische  und  nun  auch  Australien,  der 
neue  Weltinselstaat,  kann  nie  anders  als  punktweise,  nämlich  allein  durch 
Flottenangriff  berannt  werden.  Frankreich  erscheint  durch  Überwiegen  der 
Seegrenze  besser  gedeckt  als  Deutschland.  Weil  gleichfalls  der  friedliche 
Verkehr  nur  stichweise  zu  Schiff  über  die  Küste  ins  Innere  eines  Staates  zu 
dringen  vermag,  haben  die  vom  Meer  gebildeten  Staatsgrenzen  auch  ethnisch 
etwas  schärfer  Umrissenes  vor  den  verschwommeneren  Landgrenzen  voraus:  sie 
helfen  besser  die  Vereinheitlichung  nationaler  Volksmischung  fördern  und 
erhalten.  Im  römischen  Weltreich  bewährte  sich  umgekehrt  ein  einziges 
Mal  in  der  Geschichte  das  Mittelraeer  als  die  von  innen  her  den  gewaltigen 
Staat  zusammenhaltende  Kraft.    Unablässig  jedoch  bringt  das  Weltmeer  von 


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250 


Hermann  Credner: 


aufsen  allou  Staaten,  an  deren  Saum  es  brandet  und  die  seinen  Weckruf 
verstehen,  Einheit  nnd  Macht.  Griechenland,  die  Apenninen-Halbinsel  ver- 
legen bei  ihrem  gebirgigen  Inneren  einen  guten  Teil  ihres  jGesamtverkehrs 
auf  die  Küstenfahrt,  die  Tag  für  Tag  Bewohner  und  Güter  von  Nord  und 
Süd  zusammenführt,  die  Interessengemeinschaft  steigernd  und  immer  von 
neuem  den  Blick  auch  weiter  lenkend  auf  die  hohe  See  jenseits  des  heimat- 
lichen Strandes. 

Scehandel  wie  jede  über  See  drängende  Thätigkeit,  sei  das  Grofsindustrie, 
technische  Bethiitigung  über  See  oder  Kolonisation,  führt  mehr  als  irgend 
etwas  sonst  zur  Verflechtung  einer  Nation  mit  der  weiten  Welt,  schweifst 
aber  zugleich  die  binnenliindischen  Staatsteile  aufs  festeste  zusammen  mit 
der  Küste,  über  die  allein  der  lebendige  Austausch  zwischen  Daheim  und 
Draufsen  geschehen  kann,  schmiedet  folglich  mit  den  Hammerschlägen  des 
Begreifens  der  Zusammengehörigkeit  die  Teile  zum  Ganzen.  Das  fühlen  wir 
Deutschen  kräftiger  denn  jemals  in  der  Gegenwart.  Kein  Hohenstaufe  kehrt 
mehr  den  deutschen  Küsten  gleichgiltig  den  Rücken,  um  Roinzttge  über  die 
Alpen  zu  führen;  keine  Hansa  streicht  mehr  unmutig  die  Flagge,  weil  es 
ihren  ruhmwürdigen  Thaten  an  Sicherung  durch  Rcichssehutz  gebricht.  Eine 
wachsende  Panzerwehr  unter  deutscher  Reichsflagge  schirmt  unsere  Handels- 
schiffe auf  allen  Meeren,  leiht  jeder  redlichen  Unternehmung  deutscher 
Reichsbürger  in  und  aufser  unseren  Schutzgebieten  ihren  schützenden  Arm 
bis  zum  fernsten  Strand.  So  strömen,  vor  feindseligen  Unbilden  bewahrt,  die 
von  deutscher  Betriebsamkeit  verdienten  Güter  der  Welt  über  die  Schwelle 
des  Meeres  in  alle  Gaue  unseres  Vaterlandes,  steigernd  den  Wohlstand  unseres 
Volkes  zu  vordem  nie  erreichter  Höhe,  segensvoll  erweiternd  seinen  geistigen 
Gesichtskreis,  nährend  die  staatliche  Macht.  Auch  unseres  Reiches  Herrlich- 
keit liegt  stark  verankert  im  Weltmeer. 


Armorika. 

Ein  Vortrag 
von  Dr.  Hermann  Credner  in  Leipzig 

Versetzen  wir  uns  in  den  Beginn  der  Juraperiode  und  zwar  auf  einen 
Schauplatz,  der  seitdem  seinen  Charakter  so  vollständig  geändert  hat,  wie 
auf  Erden  nur  möglich.  Wir  blicken  über  jene  Wasserfläche  der  nördlichen 
Hemisphäre,  welcher  allmählich  der  westlichste  Teil  des  europäischen  Kontinentes 
entstiegen  ist.  Der  Boden,  auf  dem  sich  heute  Paris,  Orleans,  Amiens,  Verdun 
und  Nancy  erheben,  war  damals  und  noch  für  lange  spätere  Zeiten  Meeres- 
grund. Wie  im  Osten  und  Süden,  so  bricht  sich  das  französische  Meer  auch 
im  Westen  an  einer  schroff  emporsteigenden  gebirgigen  Insel.  Sie  ist  es, 
aus  der  sich  unter  dem  umgestaltenden  und  zerstückelnden  Einflüsse  fort- 
gesetzter geologischer  Vernichtungsarbeit  einerseits  das  Bergland  von  Irland, 
Wales  und  Cornwall,  anderseits  die  Bretagne  nebst  der  von  der  Normandie 


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A  r  m  0  r  i  k  a 


251 


weit  in  den  Kanal  hinausragenden  Halbinsel  des  Cotentin  herausgegliedert 
haben. 

Selbst  im  Vergleiche  mit  dem  sie  umspülenden  Jurameere  ist  diese 
Insel  uralt  und  setzt  sich  aus  den  ältesten  Schichtkomplexen  zusammen,  die 
an  dem  Aufbau  unserer  Erdkruste  teilnehmen.  Ursprünglich  lagen  diese 
Schichten,  ganz  wie  sie  die  Unneere  abgesetzt  hatten,  fast  horizontal  auf 
derem  Boden.  Erst  kurz  vor  der  Zeit,  als  sich  in  anderen  Gegenden  aus 
den  dschungelartigen  Wäldern,  welche  die  sumpfigen  Ebenen  überwucherten, 
die  Steinkohlenflötze  des  Carbon  bildeten,  begannen  sie  sich  unter  dem  seit- 
lichen Drucke  des  sich  zusammenziehenden  Erdballs  zu  wölben  und  zu  immer 
steiler  werdenden  Sätteln  und  Trögen  zu  falten  und  zu  Streifen  zu  zerbersten, 
die  sich  an  einander  verschoben.  Gleichzeitig  wurden  gewaltige  Massen 
von  glutflüssigem  Material  des  Erdinnern  in  das  gelockerte  Bauwerk  ein- 
geprefst,  erstarrten  hier  zu  Granit  und  wandelten  unter  dem  Einflüsse  ihrer 
Glut  die  Beschaffenheit  und  das  Aussehen  ihrer  Nachbargesteine  vollständig  um. 

So  steigt  allmählich  eine  schroffe,  durch  Thalsysteme  noch  nicht  ge- 
gliederte Hochgebirgsmasse  empor,  die  sich  vom  Süden  des  heutigen  Irlands 
und  Englands  ununterbrochen  bis  in  den  Westen  Frankreichs  erstreckt,  und 
von  nun  an,  wenngleich  in  durch  Abtragung  immer  verminderter  Höhe,  alle 
späteren  Meere  überragt  und  so  auch  dasjenige  der  Juraperiode,  von  dem 
unsere  Betrachtungen  ausgingen. 

Neue  Zeitalter  kommen,  während  deren  sich  in  wechselnder  Folge 
oscillierende  Bewegungen  an  den  Einzelabschnitten  der  Erdkruste  vollziehen, 
bei  denen  aber  auf  europäischem  Areale  das  Mafs  der  Hebungen  dasjenige 
der  Senkungen  überwiegt,  sodafs  die  Festlandsmassen  an  Ausdehnung  zu- 
nehmen, bis  Europa  in  seinen  jetzigen  Hauptumrissen  aufgetaucht  ist.  So 
legen  sich  denn  immer  breiter  werdende  Gürtel  des  der  See  abgewonnenen, 
mit  deren  Absätzen  bedeckten  Landes  um  die  Küsten  der  Inseln  des  west- 
europäischen Meeres,  in  immer  engere  Grenzen  wird  dasselbe  während  der 
Jura-,  Kreide-  und  Tertiärzeit  zurückgedrängt,  schmäler  und  schmäler  werden 
seine  Verbindungskanäle  mit  dem  offenen  Ozeane.  Wenn  nun  auch  diese 
noch  mehrmals  neuen  Überflutungen  von  seiten  des  Meeres  dienen,  so  werden 
sie  doch  schliefslich  und  zwar  in  der  Mitte  der  Tertiärperiode  endgiltig  ab- 
gedämmt. Das  französische  Binnenmeer  geht  seiner  Trockenlegung  entgegen. 
Dann  werden  die  einstigen  Inseln  nicht  mehr  durch  dessen  Wasser  getrennt, 
sondern  von  weiten  Flächen  seiner  Sedimente  zu  einem  zusammenhängenden 
Teile  des  europäischen  Festlandes  verknüpft,  —  sie  sind  landfest,  sie  sind 
zu  geologischen  Inseln  geworden. 

Als  solche  bleibt  auch  das  westlich  vorliegende  Gebirgsland  erhalten 
und  zieht  sich  als  einheitliche  Zone  ununterbrochen  über  das  südliche  England 
bis  in  die  Bretagne.  Erst  in  der  jüngsten  geologischen  Zeit  beginnen  neue 
Verhältnisse  auf  sie  einzuwirken.  Die  letzte  Hebung  des  Landes  wird  durch 
eine  ebenso  langsame  Senkung  abgelöst,  die  heute  noch  anhält  und  zuletzt 
einen  nicht  geringen  Teil  Hollands  und  von  Hochwald  bedeckte  Küstenstriche 
der  Normandie  und  der  Bretagne  bis  unter  den  Spiegel  des  Meeres  hat  sinken 
lassen,  von  wo  jetzt  das  Ohr  des  Volkes  die  Glocken  der  versunkenen  Städte 


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252 


Hermann  Oredner: 


läuten  hört  oder  wo  das  Auge  thaLsächlieh  die  Stümpfe  der  nun  auf  Meeres- 
boden wurzelnden  Baumriesen  erblickt.  Von  Norden  und  von  Westen  drängen 
die  Wogen  des  vorrückenden  Ozeans  dem  sinkenden  Festland  nach  und  wie 
sie  heute  noch  an  den  Inseln  der  schleswig-holsteinischen  und  friesischen 
Küste  nagen,  wie  man  sie  jetzt  noch  im  furchtbaren  Schwalle  die  Felsküsten 
der  Bretagne  unterminieren  und  dann  verschlingen  sieht,  so  begannen  sie  das 
Becken  der  Nordsee  auszuräumen,  welchem  gleichzeitig  von  Südwesten  her 
der  Kanal  entgegenrückte,  bis  sich  beide  in  der  Enge  von  Calais  vereinten. 
Jetzt  war  England,  vom  Kontinent  getrennt,  zum  Tnselreich  geworden,  der 
quer  vorgelagerte  uralte  Gebirgszug  war  vom  Kanal  durchsägt  —  die  nord- 
westlichen Teile  desselben  bilden  jetzt  den  Süden  des  heutigen  Irlands,  sowie 
Wales  und  Cornwall,  sein  kleinerer  diesseits  des  Kanals  gelegener  Abschnitt 
aber  ward  zum  „Land  am  Meere"  der  Kelten,  zu  Armorika,  welches  die  Römer, 
als  wenn  sie  seine  Geschichte,  den  einstigen  Zusammenhang  und  die  geologische 
Zusammengehörigkeit  dieser  Landstriche  geahnt  hätten,  Britannia  minor  oder 
Britannia  cismarina  nannten,  —  unsero  heutige  Bretagne1). 

Wie  uns  die  amerikanischen  Geologen  im  Jahre  1891  von  Washington 
aus  in  ihre  Wunderländer  am  Yellowstone  und  am  Colorado  führten,  —  wie 
wir  drei  Jahre  später  mit  den  Schweizern  die  Alpen  vom  Züricher  See  bis 
zur  Po-Niederung  durchquerten  und  wie  uns  endlich  die  russischen  Freunde  in 
mehnnouatlichcr  Reise  von  den  Ufern  der  Ostsee  bis  zu  denen  des  Kaspischen 
Meeres,  über  die  Waldberge  des  Ural  und  die  Schneegebirge  des  Kaukasus 
geleiteten;  so  boten  uns  im  vorigen  Jahre  die  französischen  Fachgenossen  vor 
und  nach  dem  internationalen  Geologen -Kongrefs  in  Barls  eine  reiche  Aus- 
wahl verlockender  Exkursionen,  die  eine  in  die  Pyrenäen  oder  in  die  cot- 
tiuischen  Alpen,  die  anderen  nach  den  Ardennen,  der  Auvergne  und  der 
Bretagne.  Der  Entschlufs  war  schwer.  Ich  entschied  mich  zunächst  für  die 
Bretagne  und  preise  diese  Wahl  noch  heute  in  dankbarster  Erinnerung.  Diese 
gilt  in  erster  Linie  dem  Manne,  der  uns  in  all  die  Herrlichkeiten  des  Landes 
einführte,  Herrn  Charles  Barrois,  Professor  an  der  Universität  zu  Lille. 
Nicht  etwa  nur,  dafs  er  die  in  einem  streckenweise  recht  unwirtlichen  Lande 
mit  ganz  besonderen  Schwierigkeiten  verknüpften  Vorbereitungen  für  eine 
12tägige  Exkursion  von  20  Geologen  mit  nie  versagender  Sicherheit  ge- 
troffen hatte,  nein,  in  ihm  besafsen  wir  den  genauesten  Erforscher  und  er- 
fahrensten Kenner  der  bretonischen  Geologie  und  Orographie  als  Führer,  der 


1)  Als  wichtigste  das  geographische  und  geologische  Gesamtbild  der  Bretagne 
behandelnde  Publikationen  sind  zu  nennen:  Charles  Barrois,  Des  divisions  geo- 
graphiques  de  la  Bretagne,  Anunles  de  Geographie.  Vol.  VI.  1^97.  S.  23  und  S.  103 
mit  Karte;  —  derselbe:  Bretagne.  Heft  VII  des  Guide  geologique  en  France. 
Paris  1900;  —  derselbe:  La  Bretagne,  Carte  geologique  de  la  France.  —  L.  Rüti- 
meyer,  Die  Bretagne.  Schilderungen  aus  Natur  und  Volk.  Gesammelte  kleinere 
Schriften  B.  n.  S.  259.  Basel  1898.  —  Zur  Orientierung  sehr  nützlich  erweisen  sich 
die  drei  durch  je  eine  Karte  und  Textfiguren  illustrierten  Hefte:  Ad.  Joanne, 
Geographie  du  Morbihan  0.  Aufl.  1898,  —  du  Finistere  7.  Aufl.  1900,  —  des  Cötes- 
Du-Nord  4.  Aufl.  1890,  Paris,  Hachette  et  Cie. 

Zahlreiche  und  ausgezeichnete  Abhandlungen  von  Ch.  Barrois  hezichen  sich  auf 
dem  Zwecke  unseres  Vortrages  zu  ferne  liegende  geologische  Einzelzüge  der  Bretagne. 


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Arniorika. 


253 


uns  vom  frühesten  Morgen  bis  zur  Nacht  mit  unermüdlicher  Geduld  und 
Liebenswürdigkeit  aus  dem  reichen  Borne  seiner  Kenntnis  des  Landes  und 
seiner  Bewohner  schöpfen  liefs.  In  die  materielle  Aufgabe  der  Führung  teilte 
sich  mit  ihm  Herr  Dr.  Paul  Leon,  dessen  Umsicht  und  dienstbereite  Ge- 
fälligkeit wesentlich  mit  dazu  beitrugen,  die  nicht  gewöhnlichen  Anstrengungen 
jener  Tage  zu  mildern. 

In  unserer  einleitenden  entwiekelungsgeschichtlichen  Skizze  lernten  wir 
die  Bretagne  in  ihrer  ersten  Anlage  als  den  südöstlichen  Abschnitt  einer 
Hochgebirgsinsel  kennen,  der  später  dem  sich  vergröfsernden  westeuropäischen 
Kontinente  als  Gebirgslaud  zugewachsen  war.  Ursprünglich  stellte  derselbe 
ein  mehrere  tausend  Meter  hoch  emporragendes  Faltensystem  von  ost-west- 
lich  streichenden  Kämmen  vor,  deren  nördlichster  die  gröfste  Höhe  erreichte 
und  die  sämtlich  ihre  steilere  Flanke  dem  Norden,  ihre  flachere  dem  Süden 
zuwandten.  Aber  bereits  unmittelbar  nach  ihrem  Emportauchen  aus  dem 
Meere,  also  schon  in  der  zweiten  Hälfte  der  Carbonperiode,  begannen  aflf 
ihnen  die  Atmosphärilien  mit  ihrer  zerstörenden  und  abtragenden  Arbeit  ein- 
zusetzen, die  sie  von  nun  an,  nie  wieder  durch  eine  Meeresbedeckuug  des 
Gebirgslandes  unterbrochen,  während  der  ganzen  unfafsbar  langen  geologischen 
Zeiträume  von  damals  bis  jetzt  unablässig  bethätigten.  Je  steiler  und  zer- 
rissener die  Konturen  der  ursprünglichen  armorikanischen  Gebirgsmasse  ge- 
wesen sein  mögen,  um  so  mehr  Angriffspunkte  boten  sie  der  zerstörenden 
Thätigkeit  der  sich  als  Regen  niederschlagenden,  wie  der  in  den  Schluchten 
brausenden  Wasser.  Zunächst  verfielen  die  scharfen  Grate  und  hochragenden 
Felsmauern  der  eng  zusammengestauchten  und  hierbei  geborstenen  Gebirgs- 
kämme  der  Vernichtung  durch  die  chemische  Thätigkeit  der  Atmosphärilien 
und  der  Abschwemmung  durch  die  Rieselwasser  sowie  der  Unterwühlung  von 
Seiten  der  Gebirgsbäche.  Alles,  was  die  engen  Synklinalthäler  schroff  über- 
ragte und  Wind  und  Wetter  am  meisten  ausgesetzt  war,  zerbröckelte,  brach 
zusammen,  stürzte  herab  und  ward  von  den  fliefsenden  Gewässern  thalabwärts 
getragen.  Anfänglich  strömten  diese  in  den  tiefen  Längsthälern,  also  in  den 
Synklinaltrögen  der  Gebirgsfalten  von  Osten  nach  Westen  oder  von  Westen 
nach  Osten.  Letztere  waren  es,  die  noch  in  mesozoischer  Zeit  das  zu  Kiesen 
und  Sanden  zerkleinerte  Gesteinsmaterial  des  armorikanischen  Gebirges  dem 
zentralfranzösischen  Meeresbecken  zuführten.  Heute  folgt  kein  einziger 
bretonischer  Flufs  mehr  dieser  Richtung,  —  jenes  Synklinale  Urstromsystem 
ist  erloschen  und  hat  einem  Netze  von  transversalen  Thälern  Platz  gemacht, 
welche  die  Wasser  der  Halbinsel  nach  Norden  und  Süden  dem  Meere  zuführen. 
Fortgesetzte  Denudation  und  Erniedrigung  der  die  Synklinalthäler  scheidenden 
Antiklinalkämme,  Einkerbung  und  Quergliederung  deren  Rümpfe  durch  rück- 
wärtsschreitende Erosion  der  den  Stammthälern  von  beiden  Gehängen  zu- 
eilenden Bäche,  Erhöhung  der  ursprünglichen  Thalsohlen  durch  Schotter- 
anhäufung, —  das  waren  die  Vorgänge,  welche  das  anfängliche  System  von 
ostwestlichen  Längsthälern  in  ein  späteres  von  meridionalen  Querthälern 
umgestalteten.  Bim,  wie  früher  den  jetzt  in  dasselbe  übergeleiteten  Ur- 
strömcn,  führten  die  Regen-  und  Rieselwässer  das  durch  die  fortgesetzte 
Verwitterung  gelockerte  Gesteinsmaterial  der  benachbarten  Gehänge  zu,  so  dafs 


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254 


Hermann  Credner. 


dir  ganze  Oberflüche  in  eine  stete  Wanderung  nach  dem  sie  gliedernden 
Thaluetze  versetzt  wurde.  Letzteres  spielte  also  die  Rolle  von  Abfuhrkauälen, 
in  welchen  die  Massen  der  Gebirge  hinanswanderten  in  den  die  bretonische 
Küste  jeweilig  umspülenden  Ozean.  Wie  rasch  und  mit  welchem  Erfolge 
der  Prozefs  der  fJebirgszerstörung  und  -abtragung  sich  vollzieht,  das  zeigen 
ja  unsere  Alpen.  Obwohl  im  Vergleiche  mit  dem  urmorikanischeu  Gebirge 
ganz  jugendlich,  erst  in  jüngster  geologischer  Vergangenheit  zu  einem  kom- 
plizierten Faltensystem  emporgetürmt,  sind  sie  schon  jetzt  nur  noch  eine 
Ruine  des  letzteren;  wohl  bereits  die  Hälfte  ihrer  Gebirgsmasse  haben  ihnen 
die  Bäche  und  Gebirgsströme  entführt.  Einen  Hauptfaktor  aber  in  diesem 
Prozefs  hatte  das  alte  armorikanische  Gebirge  vor  den  Alpen  voraus,  nämlich 
die  vielfach  längere  Zeit,  während  deren  sich  der  Zerstörungsvorgang  an  iluu 
vollziehen  konnte  und  welche  genügte,  um  das  ganze  Hochgebirge  durch 
anhaltende  Abtragung  zu  einem  Bergland  zu  erniedrigen.  So  lange  aber 
das  Wasser  zu  fliefsen  vermag,  setzt  sich  ebenso  wie  die  Verwitterung  auch 
die  Wegschattung  des  durch  sie  gelieferten  Gesteinsgruses  und  hiermit  die 
Abtragung  der  Berge  fort.  Schliefslieh  entstand  aus  dem  ursprünglichen 
Gebirge,  dem  späteren  Bergland  Armorikas  eine  fast  ebene  oder  wellig  hügelige 
Hochfläche,  welche  die  noch  übrig  gebliebene  Sockelpartie  des  einstigen  Hoch- 
gebirges vorstellt  und  sich  als  Rumpf  desselben  durch  ihre  komplizierte 
geologische  Struktur,  aber  auch  dadurch  verrät,  dafs  auf  ihr  jene  Granit- 
massen zu  Tage  treten,  welche  einst  in  grofser  Tiefe  erstarrten  und  erst  bei 
dem  allmählichen  Tieferlegen  der  Erdoberfläche  von  dieser  augeschnitten 
wurden.  In  diesem  ihrem  heutigen  Stadium  stellt  die  bretonische  Landschaft 
eine  monotone,  sanftwellige  Denudationsebene,  eine  „Peneplain"  dar, 
deren  kaum  merklich  geneigte  Flächen  nur  durch  sanft  emportauchende,  mit 
einander  verfliegende  Hügel  und  Höhenzüge  unterbrochen  werden. 

Auf  dieser  gegenwärtigen  Anschnittfläche  der  Basis  des  einstigen  armori- 
kanischen  Gebirges  (siehe  nebenstehendes  Kärtchen)  bilden  zwei  Antiklinalzoneu 
von  Gneifsen,  Lagergraniten  und  krystallinen  Schiefern  den  Rahmen  der  bretoni- 
schen Halbinsel.  Die  nördliche  derselben  streicht  in  südwestlicher,  die  süd- 
liche in  westnordwestlicher  Richtung,  beide  konvergieren  also  nach  Westen, 
gelangen  aber  erst  jenseits  der  Küste  auf  dem  Boden  des  atlantischen  Meeres 
zu  spitzwinkeliger  Scharung.  Der  Raum  zwischen  diesen  beiden  archaeischen 
Zonen  ist  von  altpalaeozoischen  Formationen,  «lern  Praecambrium  ( Brioverien ), 
dem  Cambrium,  Silur,  Devon  und  Subcarbon  eingenommen.  Ihre  Ausstriche, 
die  basalen  Stümpfe  der  abgetragenen  Steilfalten,  verlaufen  als  langgestreckte 
Antiklinalen  und  Synklinalen  in  Wellenlinien  von  im  allgemeinen  östlicher 
Richtung  von  der  Westküste  bis  zum  Rande  des  Pariser  Beckens,  divergieren 
aber  hierbei  ebenso  wie  die  beiderseitigen  archaeischen  Streifen  in  spitzen 
Winkeln  nach  Osten,  wo  sich  neue  Sättel  zwischen  sie  einschieben.  Granit- 
stöcke  unterbrechen  den  Verlauf  dieser  Schichtenzonen  und  sind  von  grofs- 
artigen  Kontakthöfen  umgeben.  Rekonstruiert  mau  aus  den  der  Abtragung 
entgangenen  Basen  der  Sättel  und  Mulden  die  ersteren,  so  erhält  mau  jenes 
Faltensystem  von  mehreren  tausend  Meter  Höhe,  aus  welchem  sich  das  ur- 
sprüngliche armorikanische  Hochgebirge  aufbaute. 


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Armorika. 


255 


Geradezu  überraschend  wirkt  die  Ebenheit  der  an  seine  Stelle  getretenen 
bretonischen  Denudationsfläche,  der  Mangel  an  jedem  ruinenhaften  Überbleibsel 
des  einstigen  Gebirges  in  dem  westlichen  Küstenland  der  Bretagne,  wo  sich 


Tektonische  Skiize  der  Bretagne  d.i.  I:  Charles  Barroia, 

zeigend  die  beiden  archaeischen  Anliklinnlzonen  von  Leon  im  Nordwesten  und  der  Cornonaille  im 
Süden  der  Halbinsel,  iwischen  diesen  die  Hauptfaltungslinicn  der  altpalucozolst-hen  Formationen. 
B  a  Brest .  Q  =  Quirn  perle,  C  =  Carn*c,  N  =  Nantes,  R  =^=  Kennes. 

die  Hochfläche  60 — 100  m  tief  fast  senkrecht  zum  Meere  abstürzt.  Nicht 
zu  hochragenden  Jochen  oder  zu  kuppenförmigen  Häuptern  erheben  sich  die 
weit  ins  Meer  vorgeschobenen  Vorgebirge  und  die  zwischenliegenden  Steil- 
küsten, nein,  überall  schneidet  ihr  oberer  Rand  mit  horizontal  verlaufenden 
Flächen  ab,  die  sich  geradlinig  ins  Inland  fortsetzen,  um  hier  überall  zu 
herrschen.  Nur  wo  ein  besonders  festes  Gestein,  namentlich  Quarzit,  der 
Verwitterung  mehr  Widerstand  geleistet  hat,  markiert  sich  dies  in  Form 
sanft  undulierter  Rücken.  Als  solche  der  allgemeinen  Nivellierung  entgangene 
hügelige  Bodenwellen  erheben  sich  die  Montagnes  d'Arree  und  die  Montagnes 
Noires  mit  dem  Meuez  Horn  in  ihren  höchsten  Anschwellungen  bis  zu  300  m 
über  die  Ebenheiten  im  Westen  der  Bretagne. 

Vom  Meer,  von  dessen  Buchten  aus,  überall  wird  der  Wanderer  über- 
rascht durch  die  fremdartige,  nach  der  furchtbaren  Schroffheit  der  Abstürze 
unerwartete  Horizontalität  der  die  Wasser  umrahmenden  Höhenlinien.  Von 
gar  manchem  Steilrande  der  westlichen  Küste  aus  trifft  der  Blick  jenseits 
der  Horizontalkontur  des  nächstliegenden  Vorgebirges  den  blauen  Wasser- 
streifen eines  tief  eingreifenden  Meeresarmes,  hinter  ihm  erhebt  sich  der 
Rand   der  jenseitigeu  Felszunge  ebenso  geradlinig  wieder  zum  uämlichen 


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2f>6  Hermann  Credner: 

Niveau  und  ohne  durch  eine  steilere  Höhe  oder  eine  einzige  felsige  Empor- 
ragung gehindert  zu  sein,  schweift  der  Blick  tief  ins  Innere  des  Landes. 

Weiter  nach  Osten  zu  ändert  sich  zwar  die  Landschaft  und  nimmt 
streckenweise  den  Charakter  eines  bergigen  Hügellandes  an,  das  sich  aber  in 
meist  sanft  geböschten  Höhen  nur  bis  zu  300  ra  über  die  See  erhebt.  Die 
abgerundeten  Konturen  der  Berge,  die  mit  dichtem  Hochwald  bestandeneu 
Gehänge,  die  Wiesenauen  zwischen  ihnen,  die  nicht  selten  von  steilen  Fels- 
anschnitten begrenzten  Thäler  versetzen  uns  beim  Durchwandern  solcher 
Gegenden  in  die  Scenerie  des  Vorlandes  heimischer  Gebirge.  Bald  aber  er- 
reichen wir  wieder  jene  Ebenheiten,  die  dort,  wo  die  abspülende  Thätigkeit, 
der  Gewässer  nicht  einsetzen  und  den  Schutt  wegräumen  konnte,  bedeckt  sind 
von  einer  oft  viele  Meter  dicken  Verwitteruugsschicht  oder  von  rauhen 
Blockmeeren. 

Die  flachen  Erhebungen  des  Landes  verschmelzen  zu  zwei  Plateaus, 
welche  die  bretonische  Halbinsel  ihrer  Länge  nach,  also  von  Ost  nach  West 
durchziehen  und  namentlich  im  Westen  durch  eine  Depression  von  einander 
getrennt  werden.  Die  südliche  dieser  beiden  Hochflächen  senkt  sich  sauft 
zur  Küste  des  atlantischen  Ozeans,  die  nördliche  in  etwas  rascherer  Neigung 
zu  den  Gestaden  des  Canal  la  Manche.  Diese  asymmetrische  Abdachung  des 
Geländes  entspricht  der  Ungleichseitigkeit  des  armorikanischen  Faltenwurfes, 
der  zugleich  den  jetzt  dort  abfliefsenden  Gewässern  ihren  Lauf  vorgezeichnet 
hat,  indem  sie  nach  Norden  zu  auf  kurzem  geradem  Laufe  ins  Meer  fallen, 
nach  Süden  zu  dieses  aber  erst  nach  längerem,  vielfach  gewundenem  Wege 
erreichen. 

Die  Eintönigkeit  der  bretonischen  Landschaft  spiegelt  sich  in  der  Gleich- 
niäfsigkeit  des  Klimas  der  gesamten  Bretagne  wieder.  Es  ist  mild  und 
feucht,  das  gemäfsigtste  Seeklima  Frankreichs  und  schuldet  dieses  wesentlich 
dem  Arme  des  Golfstromes,  welcher  die  Süd-  und  Westküste  der  Halbinsel 
bespült.  Ohne  an  ein  Gebirge  zu  stofsen,  werden  die  lauen  Wasserdünste 
von  den  herrschenden  Südwest  winden  über  das  ganze  Land  getrieben,  das 
sie  gar  oft  vollständig  in  Nebel  hüllen,  an  der  Mehrzahl  der  Jahrestage  aber 
mit  Regen  berieseln.  Schneit  es  im  Winter  einmal,  so  bleibt  der  Schnee 
nur  auf  kurze  Stunden,  auf  den  300  m  Höhe  erreichenden  Hügelzügen  viel- 
leicht einige  Tage  liegen. 

Unter  solchen  günstigen  Vegetationsbedingungen  dürfte  man  überall  auf 
der  bretonischen  Halbinsel  ein  üppiges  Pflanzenkleid  erwarten  und  in  der 
That  trägt  dieselbe  auf  grofse  Erstreckung  das  fruchtbarste  Ackerland,  welches 
unsere  Kornfrüchte  sowie  Hanf  und  Flachs,  ferner  alle  Arten  von  Gemüse, 
unter  diesen  Artischokken,  Spargel  und  Blumenkohl,  und  zwar  so  frühzeitig 
hervorbringt,  dafs  sie  auf  die  Märkte  im  Innern  Frankreichs  sowie  Englands 
und  Hollands  als  Erstlinge  der  Saison  zum  Verkauf  gebracht  werden.  Die 
überall  verbreiteten  Apfel-  und  Birnenanpflanzungen  liefern  das  Obst  zur 
Herstellung  von  jährlich  fast  2  Millionen  Hektoliter  Cider.  Au  begünstigten 
Stellen  wuchert  die  Feige,  die  mit  roten  Blumenkelchen  behangene  Fuchsie, 
der  Lorbeer  und  die  Aloe;  in  Gärten  prunken  hohe  Araukarien,  Myrthen, 
Granatäpfel  und  Magnolien;  in  einzelnen,  freilich  beschränkten  Gebieten  ver- 


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Armorika. 


257 


einen  sich  Eichen,  Buchen  und  edle  Kastanien  zu  schattigem  Hochwald,  auf 
dessen  Untergrund  mannshohe  Adlerfarne  wuchern  und  dessen  Stämme  der 
Epheu  dicht  umrankt.  Aber  mit  solchen  Strecken  üppigsten  Pflanzenwuchses 
wechseln  weite  Flächen  steriler  Heide.  Nur  der  tiefe  Purpur  der  Erica, 
welche  manche  derselben  überzieht,  mildert  die  Trostlosigkeit  des  Anblicks 
solcher  Einöden;  gar  oft  aber  dehnen  sie  sich  als  mit  Gesteinsblöcken  be- 
streute, fast  vollkommen  nackte  oder  mit  fast  undurchdringlichem  Gestrüpp 
von  Brombeeren ,  langstacheligem  Heckenginster  und  Wachholder  bedeckte 
grusige  Halbwüsten  in  unübersehbare  Ferne,  nur  hie  und  da  unterbrochen 
von  einer  Gruppe  Kiefern,  einigen  niedrigen  Häuschen  mit  armseligen  Feldern, 
einem  Tümpel  rostigen  Wassers  oder  von  den  abenteuerlich  emporragenden 
Gestalten  der  Riesensteine.  Derartige  Einöden  und  Heiden  bilden  ein  wesent- 
liches Element  der  bretonischen  Landschaft,  denn  nicht  weniger  als  ein  Drittel 
der  ganzen  Bretagne  wird  von  ihnen  eingenommen. 

Auch  an  den  den  heftigen  Seewinden  und  -stürmen  ausgesetzten  Küsten- 
strecken verschwindet  der  Ackerbau  und  der  Wuchs  hochragender  Pflanzen. 
Auf  dem  sich  nach  Westen  ins  Meer  schiebenden  Plateau  erblickt  das  Auge 
keinen  Baum  und  diejenigen,  die  in  Thaleinsenkungen  Schutz  gefunden  haben, 
hat  die  Kraft  der  Winde  schräg  oder  schweifartig  landeinwärts  gebogen.  Die 
.sanfthügelige  Fläche  selbst  überzieht  ein  kurzer  Rasen,  aber  bunt,  blütenreich, 
von  unglaublicher  Farbenpracht.  Die  niedrigen  Kräuter  sind  alte  Bekannte 
vom  Inlande  her,  jedoch  in  Liliputformen,  die  Purpurheide,  der  von  grell- 
gelben Blüten  bedeckte  Ginster,  der  Adlerfarn,  alle  sonst  mannshoch,  sind 
zu  handgrofsen  Zwergen  zusammengeschrumpft. 

Wird  die  Einförmigkeit  der  armorikanischen  Landschaft,  so  weit  man 
sie  auf  der  Hochfläche  überschaut,  nirgends  durch  kühne  charaktervolle  Linien 
unterbrochen,  so  ändert  sich  das  Bild,  sobald  wir  in  die  Thäler  hinabsteigen, 
welche  sich  die  dem  Meer  zueilenden  Bäche  und  Flüsse  in  die  Felsplateaus 
eingefurcht  haben.  Hier  wechseln  die  reizvollsten  Scenerien,  steile  Felswände 
mit  von  Hochwald  bedeckten  Gehängen,  schmale  Engen  mit  breiten  Auen. 
Altbretonische  Städtchen  haben  sich  eingenistet,  klimmen  die  Thalwände  hin- 
auf und  werden  von  stattlichen  Klöstern  und  Kirchen  überragt.  Hie  und  da 
taucht  ein  Schlofs,  umrahmt  von  kunstvoll  verschnittenen  Buchsbaumheckeu, 
einsam  aus  den  stillen  Waldungen  am  Rande  des  Flusses  hervor.  Diese 
Thäler  sind,  wie  wir  gesehen  haben,  aufserordentlich  alt;  schon  bei  der  Ab- 
tragung des  armorikanischen  Gebirges  haben  ihre  Anfänge  als  Kanäle  gedient, 
sich  mit  der  allmählichen  Herausgestaltung  des  jetzigen  topographischen 
Charakters  immer  schärfer  ausgeprägt  und  grofse  Tiefe  erlangt,  welche  der 
auf  dem  Plateau  dahineilende  Dampfwagen  auf  hochbogigen  Viadukten  und 
Hängebrücken  kreuzt.  Verblüffend  dagegen  und,  ich  mufs  gestehen,  geradezu 
unheimlich  wirkt  ein  anderer  Charakterzug  dieser  Thäler  und  ihrer  Gewässer 
auf  den  binnenländischen  Fremden  ein.  Er  steigt  von  der  weiten  Hochfläche 
zu  solchem  Thal  hinab.  Statt  eines  in  festen  Ufern  dahinströnienuen  Flusses 
liegt  vor  ihm  zwischen  dem  Grün  des  dichten  Laubwaldes  oder  dem  Ginster- 
und  Famgebüsch  der  Gehänge  ein  weiter  Thalboden  von  grauem,  zähem 
Schlamm.    Sandbänke  und  von  Wasserpflanzen  durchwachseue  Tümpel  unter- 

OenitraphUche  Zeitschrift.  ;.  Jahrgang.  l'JÜl.  5.  Heft.  lH 


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II-  i- in  nn  li  Oredner: 


brechen  die  Fläche.  In  vielen  Verzweigungen  und  mäandrischen  Biegungen 
windet  sich  durch  dieselbe  das  Flüfschen.  Die  hie  und  da  auftauchenden 
Felsköpfo  und  ein  schmaler  Saum  am  Fufs  der  Thalwände  sind  bedeckt  von 
schlaff  herabhängenden,  bräunlich •  grünon  Seetangen,  auf  dem  schlammigeu 
Boden  aber  liegt  hie  und  da  ein  Schiff,  schräg  zur  Seite  gelehnt,  verlassen 
von  seiner  Bemannung,  wie  in  die  fast  wasserlose  Einsamkeit  hingezaubert. 
Und  kreuzen  wir  nach  einigen  Stunden  das  nämliche  Thal,  so  erkennen  wir 
es  nicht  wieder.  Eine  breite  salzige  Wasserflut  treibt  thalaufwärts ,  unter 
ihr  verschwinden  die  Schlammflächen  und  die  Rinnsale  des  Flusses,  die  langen 
Blätter  der  Tange  breiten  sich  aus  und  schweben  in  den  Wassern  auf  und 
ab,  die  Schiffe  heben  sich,  richten  sich  auf  und  ziehen,  die  zurückgekehrte 
Mannschaft  an  Bord,  weiter  ins  Inland  hinein.  Zweimal  täglich  wiederholt 
sich  dieser  Wechsel,  —  es  ist  das  Spiel  der  Gezeiten.  Meilenweit  zieht  die 
Meeresflut  hinauf  in  die  oft  engen  Thäler,  trägt  Fahrzeuge  vom  Meer  her 
bis  zu  24  km  von  der  Küste  gelegenen  Orten,  um  sich  dann  auszulaufen 
und  mit  eintretender  Ebbe  ebenso  rasch  wieder  zum  Ozean  zurückzukehren. 
So  sind  denn  die  Stellen,  bis  zu  welchen  die  Flut  die  Flüsse  zeitweise  schiff- 
bar macht,  zu  Handelsplätzen  erblüht,  in  denen  die  Schiffe  ihre  vom  Meer 
heraufgebrachteu  Lasten  vertauschen  mit  Produkten  des  Inlandes.  Auf  der 
durch  die  Flut  geschwellten  Laita  treiben  die  Sardinenschiffe  von  der  Küste 
aus  zwischen  den  Steilwänden  des  Thaies,  an  Schlössern  und  Burgruinen  vorbei 
bis  hinauf  nach  Quimperle,  um  von  hier  mit  einer  vielleicht  für  England  be- 
stimmten Holzladung  auf  den  ebbenden  Wassern  ins  Meer  zurückzukehren. 
Den  Pulsschlag  des  Ozeans,  ohne  noch  dessen  Nähe  zu  ahnen,  hier  inmitten 
des  hochragenden  Landes  so  deutlich  zu  vernehmen,  berührt  den  Fremdling 
gar  wundersam,  er  zieht  ihn  hinaus  zur  Küste  selbst. 

In  furchtbarer  Zerschlitzung  zu  massig  plumpen,  spitz  keilförmigen  oder 
mauerartigen  Vorgebirgen  schiebt  sich  die  bretonische  Halbinsel  hinaus  in  den 
ihr  von  Westen  her  entgegenbrandenden  atlantischen  Ozean  und  umgekehrt 
greift  dieser  in  fjordähnlichen,  in  trichterförmig  sich  verengenden,  in  bogig 
geschwungenen  oder  sackartig  endenden  Buchten  tief  in  das  Land  hinein. 
Schmale  Binnen  dehnen  sich  zu  weiten,  fast  rings  geschlossenen,  scharfzackig 
ausgeschnittenen,  zuweilen  iuselreichen  Binnenseeen  aus,  durch  deren  Ein- 
gangspforte und  zwischen  deren  Inseln  sich  Ebbe  und  Flut  in  reifsendem 
Strome  hindurchdrängen.  Aber  mit  dem  Steilrande  der  Küste  endet  der  Be- 
reich des  alten  armorikanischen  Festlandes  noch  nicht,  vielmehr  wird  jene 
von  einem  Kranze  trotziger  Inseln,  steiler  Klippen  und  schwarzer  Felsköpfe 
umgürtet  und  ebenso  umschwärmen  solche  oft  in  dichtem  Gewirr  auch  die 
weit  draufseu,  als  schwer  nahbare  Vorposten  liegenden  gröfseren  Inseln. 

Au  der  Steilküste,  an  den  Vorgebirgen,  an  den  Inseln  und  Klippen  bricht 
sich  mit  donnerndem  Wogenschwall  der  Ozean.  Ja,  selbst  dort,  wo  die  Fels- 
köpfe auch  während  der  Ebbe  nicht  mehr  hervortauchen,  erscheint  noch  in 
weiter  Ferne  der  dunkle  Meeresspiegel  betupft  mit  Flocken  des  weifsen  Gischtes 
der  auf  felsigen  Untiefen  brandenden  See. 

Dort,  wo  das  am  tiefsten  zerrissene  Vorgebirge  der  bretonischen  West- 
küste fast  30  km  weit  zwischen  der  Bucht  von  Brest  und  der  Bay  von  Douar- 


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Armorika. 


259 


nenez  wie  ein  Arm  mit  gespreizten  Fingern  in  das  Meer  hinausgreift,  wandern 
wir  über  die  baumlose,  ebene  Hochfläche.  Im  Norden  schweift  das  Auge 
Über  eine  von  Felszungen  tief  ausgefranste  Doppelbucht,  in  welche  vom 
Meere  her  nur  ein  ganz  schmaler,  noch  dazu  durch  einige  Inselchen  verengter 
Eingang  führt,  sodafs  sie  fast  zu  einem  rings  geschlossenen  Binnensee  wird. 
Blau  und  friedlich  dehnt  sie  sich  aus,  aber  auf  jedem  ihrer  Vorgebirge  ziehen 
sich  lange  Reihen  von  Batterien  hin,  an  allen  beherrschenden  Punkten  er- 
heben sich  Fortifikationcn,  aus  denen  die  schwarzen  Läufe  der  Geschütze  her- 
vorragen, —  über  die  Wasserfläche  gleiten  Panzerschiffe  eines  manövrierenden 
Geschwaders  in  gleichmäßigem  Abstände,  —  am  Nordgestade  schimmern  die 
Häuser  einer  weithin  sich  ausdehnenden  Stadt:  vor  unserem  Blicke  liegt  der 
gewaltige  Kriegshafen  von  Brest  (B  des  Kärtchens  auf  Seite  255).  Aber  wir 
wenden  uns  nach  Westen  gegen  das  offene  Meer  und  folgen  dem  Donner  der 
Wogen.  Unvermittelt  stehen  wir  am  Rande  des  Plateaus,  in  erschreckender 
Steilheit  stürzt  es  sich  60 — 100  m  hinab  zum  Meere.  Von  den  oft  senk- 
rechten, ja  zuweilen  überhängenden  Felswänden  laufen  kamroartig  zerschlitzte 
Mauern  und  wuchtige  Riffe  in  die  See  hinaus,  um  sich  hier  in  Klippen  und 
Felsköpfe  zu  gliedern,  zackige  wallartige  Vorsprünge  schieben  sich  vor  — 
an  allen  bricht  sich  die  zu  Gischt  zerstäubende  Woge.  Hier  hat  sie  im 
Niveau  der  Brandung  ganze  Reihen  von  tiefen  Grotten  in  die  Felswände 
eingewühlt,  in  die  sie  sich  stürzt  und  an  deren  Rückwand  sie  sich  mit 
Kanonendonner  bricht;  dort  hat  sie  eine  enge  senkrechte  Schlucht  eingeschnitten, 
in  der  sie  hoch  emporschiefst,  um  dann  an  deren  oberem  Ende  wie  eine 
Schaumfontaine  herauszuspritzen.  Die  vorragenden  Felsmauern  werden  durch 
die  fortgesetzte  Vertiefung  jener  Grotten  von  kühnen  Felsthoren  durchbohrt 
oder  durch  diejenige  der  Schluchten  in  Reihen  von  Pfeilern  und  Nadeln  zer- 
legt und  zwischen  diesem  Gewirre  von  Felsgestalten  und  dem  Steilabstur/. 
der  Küste,  da  kocht,  wogt  und  wirbelt  das  Meer. 

In  einem  kleinen  Dampfer  der  französischen  Marine,  den  uns  der  Kom- 
mandant des  Kriegshafens  Brest  in  zuvorkommendster  Weise  zur  Verfügung 
gestellt  hatte,  durften  wir  uns  diesem  Chaos  von  Fels  und  Brandung  an- 
vertrauen, deren  Wildheit  an  uns  erproben  und  die  Arbeit  des  Meeres  aus 
der  Nähe  staunend  verfolgen.  Aber  wehe  dem  Segler  oder  dem  Fischerboot, 
die  durch  widrige  Winde,  und  tückische,  rasch  wechselnde  Unterströmungen 
an  dieses  gefährliche  Gestade  getrieben  werden!  Wie  oft  kämpfen  sie  ver- 
gebens. Alle  die  Angst  und  Not  klingt  wieder  in  den  düsteren  Namen,  die 
sich  an  gar  manche  dieser  Gründe  heften,  wie  Cap  Seemannstod,  Bucht  der 
Verzweiflung,  Schreckensinsel  und  Bay  der  Dahingeschiedenen.  Von  der 
Insel  Ouessant  heifst  es  im  Sprichwort  „wer  dich  erblickt,  sieht  auch  sein 
Blut1'  und  noch  heute  betet  der  Schiffer,  ehe  er  in  den  bretonischen  Mal- 
strom, den  Raz  de  Sein  einlenkt,  welchen  noch  kein  Seemann  passiert  hat 
sans  peur  ou  sans  malheur,  die  Worte:  „Beschütze  mich,  mein  Gott,  auf 
meiner  Fahrt  durch  den  Raz,  mein  Schifflein  ist  ja  so  klein  und  Dein  Meer 
so  grofs!" 

Erbarmungsloser  aber  noch  als  Woge  und  Klippe  erwiesen  sich  in  frühereu 
Zeiten  die  rauhen  Bewohner  jener  ungastlichen  Gestade,  wenn  sie  die  nach 

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Hermann  Credner: 


einem  rettenden  Hafen  ausblickende  Bemannung  der  in  Seenot  befindlichen 
Schiffe  durch  falsche  Lichtsignale  ins  sichere  Verderben  lockten,  um  den  Segen 
des  Strandgutes  zu  mehren. 

Die  zerrissene  Küste,  auf  der  wir  stehen,  sie  ist  der  neugeschaffene 
Rand,  die  von  Wogen  gepeitschten  Inseln,  auf  die  wir  hinab-  und  hinaus- 
blicken, sie  sind  die  Ruinen  des  einst  bis  nach  Britannien  vorgeschobenen  ein- 
heitlichen Festlandes.  Unablässig  hat  die  Brandung  an  dessen  Zerstörung 
und  Zerstückelung  gearbeitet  und  was  heute  vor  uns  liegt,  ist  nur  die  Schlacht- 
linie im  Eroberungskampfe  des  Ozeans  gegen  den  Kontinent,  den  er  bis  hinab 
zum  Niveau  der  Ebbe  abzusagen  bestrebt  ist.  Mit  ungebrochener  Gewalt 
stürzen  sich  noch  jetzt  die  Wellen  des  atlantischen  Ozeans,  getrieben  von 
den  westlichen  und  südwestlichen  Winden,  als  Sturmeswogen  und  Dünung 
gegen  die  bretonische  Küste,  brechen  sich  an  ihr,  so  dafs  der  Boden  dröhnt, 
und  bearbeiten  sie  unablässig  mit  enormer  Stofskraft.  Zur  Entfaltung  ihrer 
ganzen  Macht  gelangen  sie  aber  erst  mit  Hilfe  der  Gezeiten,  wenn  sich 
die  Flutwelle  an  der  Südküste  der  Bretagne  zu  der  enormen  Höhe  von  8  m, 
an  deren  Nordküste  bis  zu  einer  solchen  von  sogar  12,  ja  13  m  über  den 
Stand  der  Ebbe  erhebt.  An  den  Inseln  und  Vorgebirgen  teilt  sich  die  an- 
dringende Flut  in  Einzelströme,  die  sich  zwischen  jenen  ihren  Weg  suchen, 
sich  dann  wieder  begegnen,  in  wirbelndem  Toben  an  die  Felsen  prallen  und 
als  ungestüme  Unterströmung  dem  nächsten  Andränge  Platz  machen.  Zweimal 
täglich  klimmt  mit  steigender  Flut  die  Brandungslinie  an  den  Gestaden  hinauf 
bis  zu  jenen  Höhen  und  dann  wieder  hinab  zum  Ebbspiegel,  —  zweimal  in 
24  Stunden  ist  jeder  Punkt  zwischen  dem  Niveau  der  Ebbe  und  der  höchsten 
Flut  der  Arbeit  der  Brandung  ausgesetzt. 

Von  dem  gewaltigen  Mafse  der  zerstörenden  Wirkung  der  Wogen  erhält 
man  erst  dann  ein  überzeugendes  Bild,  wenn  man  während  der  Ebbe  hinab- 
steigt zum  Strande.  Hier  reiht  sich  im  Niveau  der  Flutbraudung  Grotte  an 
Grotte,  überhängende  Felsbänke  und  kühne  Nadeln  drohen  zusammenzubrechen; 
dort  hat  ein  Steilgehänge  von  Felstrümmern  durch  Annagung  seines  Fufses 
den  Halt  verloren  und  wird  bald  als  Steinlawine  in  die  Flut  herabprasselu, 
allerorts  türmen  sich  durch  Unterminierung  zusammengestürzte  Wände  als 
kaum  überklimmbare  Haufwerke  von  grofsen  Blöcken  auf,  mit  solchen  ist  das 
weit  hinaus  trocken  gelegte  Vorland  tiberstreut.  Von  den  Rändern  der  einen 
hängen  dunkelgrüne  und  braune  Tange  wie  dichte  Fransen  herab;  andere 
schimmern  im  dunklen  Blau  der  sie  in  dichtester  Packung  bedeckenden  Mies- 
muscheln, noch  andere  sind  von  hell  gelblichen  Patellen  und  Balanen  in- 
krustiert, auf  denen  sich  wiederum  giftgrüne  Fadenalgen  angesiedelt  haben. 
Auf  den  Flächen  zwischen  den  Blöcken  breiten  sich  Anhäufungen  und  weite  Felder 
von  Seetang  mit  Gehäusen  von  Seeigeln,  Schulpen  von  Tintenfischen  und 
Muschelschalen  aus,  dann  folgt  der  weifs  schäumende  Saum  der  augenblicklichen 
Brandungslinie.  Aber  erst  dort,  wo  das  Vorland  nicht  steil  in  die  See  ab- 
bricht, sondern  sich  ganz  flach  unter  dem  Meere  fortsetzt,  gelangt  der  enorme 
Höhenunterschied  im  Stande  des  Meeres  zur  Zeit  der  Ebbe  und  der  Flut  zum 
geradezu  erschreckenden  Ausdruck. 

Es  ist  tiefste  Ebbe,  wir  stehen  am  Fufs  der  Steilabstürze,  welche  die 


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Armorika. 


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tief  in  die  Nordküste  der  Bretagne  eingreifende  Bay  von  Yffiniac  umrahmen. 
So  weit  das  nach  dem  Meere  suchende  Auge  nach  Norden  reicht,  nichts  als 
eine  fast  ebene  Fläche  von  lichtem  Sand  und  grauem  Schlamm  mit  kleinen 
Tümpeln  von  Seewasser  und  mit  flachen  Rinnsalen  der  Bäche,  die  sich  vom 
Binnenlande  her  in  mäandrischem  Laufe  der  See  zuschlängeln.  Grofse  See- 
möven hocken  herden weise  dicht  bei  einander;  eine  steigt  empor,  die  anderen 
werden  unruhig,  dann  hebt  sich  der  ganze  Schwann  in  weiten  Kreisen  und 
mit  grellen  Schreien  in  die  Lüfte.  Hochgeschürzte  Frauen  mit  ihrem  schwarzen, 
im  Wind  fliegenden  Rock  und  Tuch  eilen  von  Tümpel  zu  Tümpel  und  fischen 
mit  ihrem  Netze  Garneelen,  andere  laden  Tang,  oder  den  Schutt  von  Muschel- 
schalen, die  das  Meer  zusammengespült  hat  und  die  als  geschätztes  Dünge- 
mittel dienen,  auf  zweirädrige  Karren.  Nur  ganz  am  äufsersten  Horizonte, 
in  mehr  als  7  km  Entfernung  taucht  ein  schmaler  Streifen  des  offenen  Meeres 
auf,  er  wird  breiter  und  breiter,  der  weilse  Saum  der  Brandung  kommt 
näher  und  näher,  die  Frauen  streben  mit  ihren  Wagen  eilig  nach  dem  Strande, 
eine  Schlammfläche  nach  der  andern  verschwindet  unter  der  Flut.  Jetzt  er- 
kennt man  die  noch  fernen  Gischtkronen  der  immer  vorwärts  rückenden,  sich 
an  ihrem  Fufs  überstürzenden  Woge,  hinter  ihr  folgt  eine  schwächere,  in 
weiterer  Entfernung  eine  noch  sanftere,  sich  auf  dem  gekräuselten  Meeres- 
spiegel wellenförmig  erhebende  Dünung.  Das  züngelnde  Wasser  verwischt 
die  tiefen  Fufs-  und  Wagenspuren,  dann  spritzt  es  an  den  in  der  Nähe  des 
Strandes  zerstreuten  Blöcken  empor  und  zuletzt  brandet  die  volle  Flut  donnernd 
am  felsigen  Gestade  und  arbeitet  von  neuem  an  dessen  Unterminierung. 

Aber  selbst  die  Gewalt  der  Meereswogen  hätte  für  sich  allein  nicht  ge- 
nügt, das  cornisch-bretonische  Massiv  quer  zu  durchschneiden,  Britannion  von 
der  Bretagne  zu  trennen,  die  bretonische  Küste  zu  zerfransen  und  in  Schwärme 
von  Inseln  z\i  zergliedern.  Gar  bald  würden  sich  selbst  die  höchsten  Wellen 
auf  der  durch  Abtragung  eines  schmalen  Streifens  der  Küste  geschaffenen 
Brandungsterrasse  tot  gelaufen  und  ihre  unterwühlende  Kraft  eingebüfst 
haben,  wenn  ihnen  nicht  ein  geologischer  Vorgang  zu  Hilfe  gekommen  wäre, 
der  die  Angriffslinie  des  Meeres  immer  weiter  landeinwärts  gerückt  hat.  Es 
ist  die  langsame  Senkung  des  dortigen  Festlandes  und  somit  auch  seiner 
Küste,  die  sich  noch  bis  in  die  jüngsten  Zeiten  erstreckt.  Dafs  sie  die 
flachen  Küstenstriche  mit  allem,  was  sie  trugen,  unter  dem  Meeresspiegel  ver- 
senkt hat,  davon  zeugen  die  unterseeischen  Wälder  in  der  Bay  von  Granville 
und  am  Kap  Frehel  an  der  Nordküste  der  Bretagne  sowie  an  deren  Süd- 
küste im  Morbihan  und  in  der  Villainebucht;  davon  zeugen  die  Ruinen  einer 
versunkenen  Stadt  in  der  Bay  von  Douarnenez,  —  römische  Strafsen,  deren 
Fortsetzung  unter  der  See  verschwindet,  —  die  von  den  Urbewohnern  auf- 
gerichteten Riesensteine  auf  den  Inseln  des  Morbihan,  welche  nur  noch  bei 
tiefster  Ebbzeit  sichtbar  werden.  Während  so  die  flachen  Gestade  durch 
ruhiges  Untertauchen  unter  dem  nivellierenden  Spiegel  der  See  verschwanden 
und  immer  tiefer  in  das  Land  eingreifenden,  nur  noch  von  Inseln  durch- 
ragten Meeresbuchten  Platz  machten,  und  während  das  Meer  in  den  alten 
Thalmündungen  landeinwärts  vordrang  und  sie  zu  fjordähnlichen  Armen  ge- 
staltete, fielen  die  Steilküsten  und  zwar  je  nach  der  Widerstandsfähigkeit 


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H  ermann  Credner: 


ihrer  Gesteine  mehr  oder  weniger  rasch  dem  wilden  Werke  der  sich  gegen 
sie  vorschiebenden  Brandung  zum  Opfer.  Granite  und  quarzitische  Sandsteine 
trotzten  demselben  länger  als  Schichtenkomplexe  von  geringerer  Festigkeit. 
Da  nun  der  geologische  Aufbau  der  Bretagne  aus  Gebirgsgliedern  von  ver- 
schiedener Zähigkeit  ein  zonaler,  von  Ost  nach  West  verlaufender  ist,  der 
von  dem  Meeresufer  quer  oder  schräg  geschnitten  wird,  so  resultirte  aus 
dem  Zusammenwirken  der  beiden  Faktoren,  einerseits  der  Senkung  eines 
randlich  durch  tiefe  Thalfurchen  eingekerbten  Landes,  anderseits  der  zonal 
einsetzenden  Erosion  der  Küsten  durch  das  vorrückende  Meer  jenes  von  Inseln 
und  Klippenschwärmen  umkränzte,  tief  zerfranste  Litoral,  welches  mit  Recht 
als  Typus  der  Riasküsten  gilt. 

Eigenartig  wie  die  Geschichte  des  Werdens  der  Bretagne  selbst  ist  auch 
diejenige  ihrer  Bewohner.     Armorika  ist  eine  derjenigen   Domänen,  die 
dem  einst  so  machtvollen  Volksstamme  der  Kelten  übrig  geblieben  sind. 
Der  Sitz  der  Kelten  war  seit  undenklichen  Zeiten  der  Westen  von  Europa 
von  den  Pyrenäen  und  den  Alpen  bis  zum  Rhein  und  der  atlantischen  Küste. 
Durch  kühne  Eroberungszüge  erweiterten  sie  ihr  Reich  um  das  Vielfache, 
80  dafs  zu  ihrer  Blütezeit  fast  das  gesamte  West-,  Mittel-  und  Südeuropa 
von  Britannien  bis  zur  Balkanhalbinsel  ihrem  Machtbereiche  angehörte,  den 
sie  selbst  noch  bis  nach  Kleinasien  ausdehnten.    Als  aber  dann  gegen  Be- 
ginn unserer  christlichen  Zeitrechnung  die  Römer  unter  Caesar  und  Augustus 
nach  Norden  vordrangen,  wurden  auch  die  Kelten  nach  langen  und  blutigen 
Kämpfen  gezwungen,  sich  dem  römischen  Joch  zu  unterwerfen.    Unter  der 
Herrschaft  der  Römer  gingen  sie  des  wahren  Kerns  ihrer  Nationalität  ver- 
lustig und  wurden  durch  die  sich  nach  Süden  vorschiebenden  Germanen  des 
Restes  ihrer  Eigenart  beraubt  und  von  diesen  absorbiert.    Als  Völkerschaft 
vom  Kontinent  verdrängt,  retteten  zwei  kleine  Aste  der  Kelten  ihre  nationale 
Selbständigkeit  und  mit  dieser  ihre  Sprache  auf  die  andere  Seite  des  Kanals 
in  die  Berglande  von  Schottland,  Irland,  Cornwall  und  Wales.    Einige  Jahr- 
hunderte hindurch  blieben  diese  Bezirke  die  letzten  und  einzigen  Zufluchts- 
orte jener  grofsen  Völkerfamilie,  deren  Herrschaft  einst  bis  zum  ägaeischen 
und  schwarzen  Meere  gereicht  hatte.     Dann  aber  begann  bei  ihnen  unter 
dem  Drucke  der  Angelsachsen  während  des  4.  und  5.  Jahrhunderts  nach 
Christus  eine  neue  Völkerwanderung  und  zwar  eine  Rückwanderung  nach 
dem   nächst   liegenden  Teile  ihres  alten  Stammsitzes,  nach  der  ihnen  ihre 
Felsarme  entgegenstreckenden  armorikanischen  Halbinsel  und  diese  haben  sie 
noch  heute  inne.     Keine  Race  unter  den  Bewohnern  Frankreichs  hat  ihre 
Individualität  reiner  bewahrt  wie  die  Kelten  der  Bretagne,  so  dafs  sie  sich 
noch  heute  durch  Charakter,  Sprache,  Trachten  und  Gebräuche  von  den 
übrigen  Völkerschaften  Frankreichs  scharf  abheben.    Während  das  keltische 
Idiom  schon  seit  mehr  als  einem  Jahrhundert  in  dem  Heimatland  der  Bretonen, 
in  Cornwall  verklungen  und  den»  Englischen  gewichen  ist,  halten  die  Kelten 
der  Bretagne  mit  Zähigkeit  an  ihrer  eigenen  alten  Sprache,  dem  Armorischen 
fest.     Die    unter   ihnen    gebräuchlichen  Dialekte  sind  mit  dem  Gälischen 
Schottlands  und  Irlands  und  mit  dem  Welsch  von  Wales  so  nahe  verwandt, 
dafs  sich  die  Stammesgenosseu  durch  sie  gegenseitig  zu  verständigen  ver- 


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Armorika.  263 

mögen.  Wohl  die  Hauptmasse  der  Bretonen,  namentlich  aber  die  gesamte 
Landbevölkerung  der  westlichen,  also  Hasse  -  Bretagne ,  bedient  sich  des 
Keltischen,  viele  sprechen  nur  dieses,  verstehen  aber  französisch  und  nur  bei 
einem  verhältnismäfsig  geringen  Teile  ist  auch  letzteres  nicht  der  Fall. 
Aber  nicht  etwa  nur  als  volkstümlicher  Dialekt,  nein  als  Schriftsprache 
hat  sich  das  Keltische  der  Bretagne  in  Bardenliedern,  Dichtungen  fröhlichen 
und  religiösen  Inhalts,  in  Dramen  und  in  einer  Bibelübersetzung  erhalten 
und  wird  noch  heute  in  der  Poesie,  in  Zeitschriften  und  Tageszeitungen  ge- 
pflegt. Wenn  neuerdings  die  Republik  bestrebt  ist,  das  Keltische  als  Schul- 
und  Kanzelsprache  auszumerzen,  so  dürfte  dies  darin  begründet  sein,  dafs 
der  Grundcharakter  der  zähen  Bretonen  ein  royalistischer  und  der  klerikalen 
Bevormundung  unterworfener  geblieben  ist. 

Dem  rasch  das  Land  durchziehenden,  der  armorischen  Sprache  nicht 
mächtigen  Fremden  bleibt  natürlich  das  innere  Wesen  des  keltischen  Volks- 
stammes verschlossen,  nur  Äufserlichkeiten  sind  es,  die  er  erhascht,  und  diese 
gelangen  naturgemäfs  weniger  in  den  Städten  als  auf  dem  Lande  zur  Geltung. 

So  weit  dieses  dem  Ackerbau  und  der  Viehzucht  dient,  haben  ihm 
keltische  Sitte  und  Bewirtschaftung  eine  durchaus  charakteristische  und  dem 
Reisenden,  wenn  er  auch  nur  mit  dem  Schnellzuge  die  Bretagne  durcheilen 
sollte,  direkt  als  eigenartig  auffallende  Erscheinungsweise  aufgeprägt.  Vom 
Uufscrsten  Osten  bis  fast  zum  westlichen  Ende  der  bretonischen  Halbinsel, 
überall,  wo  nicht  sterile  Heide  oder  WTaldbestand  den  Boden  deckt,  sieht  er 
das  Land  durch  eine  Gliederung  in  lauter  meist  viereckige,  verhältnismäfsig 
kleine  Parzellen  beherrscht,  die  durch  hohe,  dicht  bewachsene  Wälle  gegen 
einander  und  gegen  die  sie  durchziehenden  Strafsen  und  Wege  abgegrenzt 
werden.  Infolgedessen  erscheinen  alle  der  Landwirtschaft  nutzbar  gemachten 
Landstriche  einem  Maschensystem  unterworfen.  Die  bis  über  meterhohen 
Wälle,  welche  dasselbe  gittern,  bestehen  aus  Erde,  Gesteinsschutt  und  Blöcken, 
die  roh  aufeinander  gebaut  sind,  und  dienen  zum  Sitz  einer  üppigen  Vege- 
tation. Aus  ihrem  Kamme  streben  in  dichte  Reihen  gestellte  Eichen,  Wall- 
nufsbäume,  edle  Kastanien  und  auch  wohl  Ulmen  empor,  deren  zum  Teil 
gewaltiger  Durchmesser  das  hohe  Alter  der  sie  tragenden  Wälle  bezeugt. 
Aber  nicht  zu  entsprechender  Höhe  und  zu  weithin  reichenden  Kronen  ent- 
falten sich  diese  Bäume,  nein,  die  Hand  der  Bretonen  hat  sie  zu  Krüppeln 
geformt  und  erhält  sie  in  ihrer  Mifsgestalt.  Selbst  die  dicksten  Stämme  sind 
wenige  Meter  über  ihrer  Wurzel  gestutzt  und  senden  dann  nur  ein  niedriges, 
dichtes  Astwerk  aus;  andere  sind  nicht  verkürzt,  aber  so  glatt  geschoren, 
dafs  sie  schlank  wie  italienische  Pappeln  in  die  Höhe  schiefsen;  noch  andere 
sind  fast  bis  zur  Spitze  ihrer  Aste  beraubt  und  breiten  erst  hier  ihre  Zweige 
regenschirmartig  aus.  So  unnatürlich  sind  diese  Gestalten,  dafs  es  oft  un- 
möglich ist,  aus  der  Ferne  die  Arten  der  die  Wälle  krönenden  Bäume  zu 
erkennen.  Bis  armstarke  Ranken  von  Epheu  umstricken  die  Stämme  und 
schlingen  sich  um  jeden  Ast.  Dazwischen  bilden  Stechpalmen  mit  ihren 
glänzend  grünen  stacheligen  Blättern,  Haselnul's-,  Wachholder-  und  Brombeer- 
sträuche nebst  hohen  Adlerfarnen  buschige  Hecken  auf  den  mit  Moos  und 
intensiv  rot  blühender  Heide  überwucherten  Wällen.    Innerhalb  dieser  Um- 


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Hermann  Credner: 


rahumngen  breiten  sich  die  Feldflächen  aus,  die  der  Kultur  des  Weizens, 
Hafers,  Roggens  und  der  Gerste,  namentlich  aber  des  Buchweizens  unterliegen, 
zugleich  aber  mit  weitläufig  gestellten  Obstbäumen  besetzt  sind  und,  sobald 
die  Ernte  eingeheimst  ist,  dem  Vieh  als  Weideplatz  dienen,  also  in  jeder 
Richtung  ausgenutzt  werden. 

Aus  dem  Grün  der  Wälle  ragen  hier  und  dort  die  dunklen  Schiefer- 
dächer der  bretonischen  Steinhäuschen  und  Gehöfte  hervor;  durch  den  Wirr- 
warr von  Hecken,  Mauern  und  Wällen  den  Weg  zu  ihnen  zu  finden,  ist  oft 
schwierig.  Wir  gelangen  zum  Haus  eines  wohlhabenden  Bauern  und  treten 
ein.  Es  ist  einstöckig  und  besteht  aus  zwei  durch  den  Eintrittsgang  ge- 
trennten gröfseren  Räumen  mit  festgestampftem  Lehmboden.  Derjenige  rechts 
dient  als  Wohn-,  Efs-  und  Schlafzimmer  dem  täglichen  Leben  Die  Wand 
gegenüber  der  Thür  wird  gröfstenteils  von  einem  breiten  offenen  Herde  ein- 
genommen, in  dem  über  glimmenden  Holzkohlen  Brei  in  einem  grofsen  drei- 
füfsigen  Topfe  brodelt;  auf  der  weifsen  Asche  zu  seineu  Seiten  ausgestreckt 
schlummern  Hund  und  Katze;  in  dem  sich  breit  öffnenden  Rauchfang  hängen 
vom  Rufs  schwarz  gefärbte  Würste  herab.  Der  Sims  desselben  ist  mit  einem 
Kruzifix,  einer  bretonischen  Bibel  und  einigen  Messinglampen  verziert.  An 
der  Zimmerdecke  schweben  zwischen  Ketten  von  Zwiebeln  und  Knoblauch 
grofse,  wie  Schweizerkäse  aussehende  Laibe  von  Talg,  von  denen  der  eine 
zugleich  als  Nadelkissen  dient,  um  die  Nadeln  vor  dem  Verrosten  in  der 
feuchten  Seeluft  zu  bewahren.  Die  eine  fensterlose  Wand  wird  eingenommen 
von  schrankartigen,  tiefen  und  langen  Kästen,  die  sich  in  doppelter  Reihe 
übereinander  aufbauen.  Sie  sind  von  reliefartigen  Schnitzereien  bedeckt  und 
mit  durchbrochenen  Schiebethüren  versehen,  die  jetzt  offen  stehen.  Hohe 
Federbetten  bauschen  sich  in  ihnen  auf,  es  sind  Schlafschränke.  Jeder  von 
diesen  beim  Gebrauche  allseitig,  in  der  unteren  Etage  auch  oben  geschlossenen 
Käfigen  dient  nicht  nur  zwei  Erwachsenen  zur  Ruhestätte,  sondern  in  manchen 
derselben  befindet  sich  auch  noch  quer  zu  deren  Füfsen  eine  Abteilung  für 
ein  kleines  Kind.  Da  aber  mehrere  dem  Haus  entsprossene  und  in  ihm  ver- 
eint bleibende  Generationen  und  deren  eingeheiratete  Ehehälften  sich  in  diese 
Kästen  verteilen,  so  müssen  deren  Insassen  trotz  der  Düsternis  und  Engigkeit 
der  Behältnisse  zugleich  auch  ihre  Nacht-  und  Morgentoilette  in  denselben 
bewerkstelligen.  Auf  der  Bank  vor  diesen  Schlafschränken  sitzen  jetzt  die 
Männer  und  rauchen  ihre  kurze  Thonpfeife,  müssen  aber  den  feuchten  Tabak 
mit  Hilfe  einer  glühenden  Kohle,  die  sie  in  einer  kleinen  Zange  halten, 
immer  wieder  in  Brand  setzen. 

Es  ist  gerade  Mittagszeit.  Die  Mädchen  rühren  den  Brei  noch  einmal 
mit  einem  entrindeten  Ast,  schaben  dann  diesen  mit  einem  Schieferscherben 
wieder  rein  und  richten  das  Mahl.  Die  Bewohner  des  Hauses  setzen  sich 
um  den  derben  Tisch.  Vor  ihnen  steht  eine  Schüssel  voll  Buchweizenbrei, 
in  der  Mitte  mit  einer  von  einem  Wulste  des  Breies  umgebenen  Grube  gefüllt 
mit  zerlassener  Butter,  vor  jedem  Teilnehmer  ein  brauner  Napf  mit  Milch, 
von  der  Decke  hängt  wie  ein  Kronleuchter  ein  durchlöchertes  Brett  mit 
Löffeln  herab.  Ein  jeder  langt  sich  einen  solchen  herunter  und  greift  dann 
aus  der  gemeinsamen  Breischüssel  wacker  zu. 


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A  rmorika. 


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Der  links  vom  Eintrittsgang  liegende  Raum  ist  das  Staats-  und  Fremden- 
zimmer und  enthält  nur  zwei  besser  ausgestattete  Schlafschränke,  ferner 
einen  nicht  zum  Kochen,  sondern  nur  als  Kamin  bestimmten,  nischenartigen 
Fouerplatz,  an  Tafeln  Bänke  mit  geschnitzten  Rückenlehnen,  an  den  Wänden 
Borde  dicht  mit  grell  bemalten  Tellern  besetzt,  dazwischen  bunte  Heiligen- 
bilder und  Rosenkränze,  an  der  Decke  aber  Leisten  mit  einer  Unzahl  von 
Tassenköpfen.  Alles  ist  eingerichtet  und  vorbereitet  auf  Gastlichkeit  und 
Geselligkeit  im  grofsen  Kreise.  Wer  aber  aus  der  Menge  der  Tassen  darauf 
schliefsen  wollte,  dafs  sich  die  hier  Versammelten  mit  Kaffee  laben  würden, 
der  irrte  sich  gewaltig.  Nein,  sie  dienen  zu  grofsen  Gelagen  in  Cider.  Er 
ist  das  Nationalgetränk  der  Bretonen.  In  ihrem  Lande  reift  die  Traube 
nicht,  dafür  gedeiht  an  den  Obstbäumen  ihrer  Felder  und  Haine  ein  reicher 
Segen  von  Äpfeln  und  Birnen,  die  sie  in  erstaunliche  Mengen  von  Cider 
umsetzen,  um  ihren  Durst  zu  löschen,  ihre  Zunge  zu  lösen  und  ihr  Herz  zu 
erfreuen.  Was  den  Baiern  das  Bier,  den  Italienern  und  Südfranzosen  der 
Rotwein,  das  ist  den  Bretonen  der  Cider.  Hin  verfertigt  fast  jeder  Grund- 
besitzer, bringt  ihn  in  auf  einspännige  Wagengestelle  gelegten  langen  Fässern 
nach  der  Stadt  oder  hält  ihn  selbst  in  seiner  Behausung  feil.  Wenn  der 
durstige  Wanderer  ins  Dorf  oder  Städtchen  einzieht,  so  fällt  ihm  die  Wahl 
schwer,  wo  er  sich  erquicken  soll,  über  den  Thüren  so  vieler  Häuser  sind 
Zweige  mit  Äpfeln  befestigt,  die  zur  Einkehr  laden.  Doch  bat  er  mit  seinem 
Geldbeutel  sorgsam  zu  wirtschaften,  so  zählt  er  vorsichtigerweise  erst  die 
jedesmalige  Zahl  der  Frücht«,  denn  sie  bekundet  diejenige  der  Sous,  die 
dort  für  das  Liter  des  Weins  verlangt  werden.  Steckt  neben  den  Äpfeln 
noch  ein  Gui,  ein  Mistelzweig,  so  erhält  er  durch  dieses  alt  ererbte  Symbol 
die  Kunde,  dafs  er  hier  auch  nächtliche  Unterkunft  findet. 

Das  erste  bretonische  Städtchen,  das  ich  zu  mehrtägigem,  mir  unvergefs- 
lichem  Aufenthalte  wählte,  war  Quimperle,  reizvoll  gelogen  an  der  Stelle, 
wo  sich  die  Isole  und  Elle  zur  Laita  vereinen,  die  dann  durch  die  ein- 
dringende Flut  zeitweilig  schiffbar  gemacht  wird.  Meine  Herberge  trug  keinen 
Mistelzweig,  sondern  die  goldene  Inschrift  Hotel  du  Lion  d'or.  Im  Glanz 
des  nächsten  Morgens  lag  vor  meinem  Fenster  ein  grofser  reinlicher,  mit 
schattigen  Bäumen  besetzter  Platz,  jenseits  desselben  und  der  Isole  klettern 
die  niedrigen  Häuser  in  nur  mit  Hilfe  von  Treppen  passierbaren  Strafsen  die 
steile  Thalwand  hinauf,  um  an  deren  oberem  Rande  von  der  viertürmigen 
Kirche  St.  Michel  und  dem  von  Parkanlagen  umgebenen,  sich  lang  dahin- 
ziehenden Ursulinerinnen- Kloster  überragt  zu  werden.  Rechts  von  mir  das 
altehrwürdige  frühere  Benedictiner- Kloster  mit  dem  nach  dem  Muster  der 
Grabeskirche  zu  Jerusalem  gebauten  Dome  Ste.  Croix.  Über  diesen  Platz 
zogen  zu  zweien  oder  einzeln  hintereinander  in  langer  Folge  Frauen  in 
schlichtem  schwarzem  Kleid  mit  weifser  Haube.  Kein  Wunder,  dafs  ich  sie 
in  dieser  düstern  Tracht  und  in  dieser  klösterlichen  Umgebung  für  Nonnen 
hielt  Erstaunt  vernahm  ich  die  Aufklärung,  dafs  es  Frauen  und  Mädchen 
von  Quimperle  seien,  die  vom  Markt  zurückkehrten.  Dahin  eilte  ich,  um 
ihre  Tracht  näher  in  Augenschein  zu  nehmen.  Die  ganze  Gestalt  der  Weiber 
ist  in  Schwarz  gehüllt.    Schwarz  ist  das  langärmlige  Mieder,  dessen  Hals- 


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266 


Hermann  Crcdner: 


ausschnitt  mit  schwarzem  Sauimet  besetzt  ist,  schwarz,  der  Rock,  der  augen- 
scheinlich über  einen  dicken  Hüftenwulst  senkrecht  und  faltenreich  herabfallt 
und  am  unteren  Rand  einen  schwarzen  Sammetstreifen  trägt,  -  schwarz 
sind  die  Strümpfe  und  die  auf  dem  Pflaster  klappernden  kahnartigen  Holz- 
pantoffeln. In  schneeigem  Weifs  hebt  sich  nur  die  Kopfbedeckung  ab.  Sie 
besteht  aus  einem  barettartigen  Käppchen,  das  hinten  in  ein  Mützenschild 
ausläuft,  über  welches  die  Enden  einer  Schleife  und  zwei  lange  breite  weifse 
Bänder  herabfallen.  Hierzu  kommt  noch  bei  einzelnen  Frauen  als  etwas 
vornehmere  Zugabe  ein  weifser,  steifer,  horizontal  weit  abstehender  Kragen, 
der  hinten  von  Schulter  zu  Schulter  läuft  und  über  den  jene  Bänder  herab- 
wallcn.  Man  denke  sich  versetzt  auf  einen  Marktplatz,  der  von  solchen 
Frauen  wimmelt,  alle  schwarz  gekleidet,  weifs  behauptet,  an  keiner  auch 
nur  ein  buntes  Bändchen;  jung  und  alt,  hager  und  dick,  eine  wie  die  andere 
ohne  die  geringste  Anpassung  der  Farbe  oder  des  Schnittes  an  die  äufserc 
Erscheinung.  Etwas  bunter  präsentieren  sich  die  Männer.  Die  alten  haben 
an  der  hergebrachten  Tracht  festgehalten.  Die  blaue  kurze  Jacke  steht  vorn 
offen,  die  schwarze  Weste  ist  mit  zwei  Reihen  silberner  oder  vergoldeter 
Knöpfe  besetzt.  An  die  kurzen,  weiten,  faltigen  Pumphosen  schliefsen  sich 
braune  Kniestrümpfe  und  diese  enden  in  schweren  Holzschuhen.  Vom 
schwarzen  Filzhut  hängen  au  silberner  Schnalle  zwei  lange  Sammetbänder  herab. 

Es  wird  Abend.  Der  Markt  leert  sich.  Auf  der  Chaussee,  die  vom 
Thal  aufs  Plateau  steigt,  begegne  ich  den  in  ihre  Dörfer  und  Gehöfte  zurück- 
kehrenden Frauen.  Fast  keine  geht  zu  Fufs.  Zu  vier  oder  sechs  haben  sich 
die  schwarzen  Gestalten  auf  die  beiden  Sitze  zweiräderiger  hoher  Karren 
gepackt.  Eine  lenkt  den  kleinen  Schimmel.  Von  weitem  schon  hört  man 
ihr  Schwatzen.  In  kurzen  Zwischenräumen  folgen  wohl  15  — 18  solcher 
schimmelbespannter  Weiberwagen.  Und  wo  sind  die  Männer?  Diejenigen, 
die  der  Beruf  nicht  zu  Hause  oder  auf  der  See  festgehalten  hat,  die  haben 
sich  vom  Apfelbüschel  verlocken  lassen;  aus  den  letzten  Häuschen  der  Stadt 
tönt  ihr  Lärmen. 

Nicht  überall  jedoch  in  der  Bretagne  herrscht  die  nonnenhafte  Tracht 
von  Quimperle,  vielmehr  wechselt  letztere  zugleich  mit  den  Dialekten  der 
bretonischen  Sprache  in  den  verschiedenen  Landschaften. 

Es  folgt  ein  Sonntag.  Ein  klarer  Sommerabend  breitet  sich  über  die 
sanftwelligc  Hochfläche,  aus  deren  Thalsenken  Dörfer  hervorlugen.  Weithin 
sichtbar  krönt  ein  altes  Kirchlein  oder  eine  Kapelle  fast  jede  der  weitläufig 
zerstreuten  kahlen  Anhöhen,  die  sich  bereits  die  alten  Kelten  zu  Thingplätzen 
und  vor  ihnen  schon  ihre  Vorgänger  zu  Grab-  und  Opferstätten  erkoren 
hatten.  Von  letzteren  ragt  noch  hier  und  da  ein  pfeilerartig  aufgestellter 
Riesenstein  empor,  aber  seines  heidnisch  rohen  Gewandes  hat  man  ihn  be- 
raubt, glatt  behauen  trägt  er  jetzt  ein  Kreuz  auf  einer  oder  jeder  seiner 
Seiten.  Ein  Kirchlein  hat  sich  mit  seinem  Gottesacker  in  die  Reste  eines 
kaum  noch  erkennbaren  Ringwalles  eingenistet.  Uralte  dickstämmige  Eiben, 
in  grauer  Vorzeit  hier  angepflanzt  und  den  Todesgöttern  geweiht,  sind  dem 
Untergange  entronnen  und  harmonieren  in  ihrem  düsteren  Kleide  mit  der 
ernsten  Stimmung  jener  Plätze. 


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Armorika 


2C7 


Dort  unten  aber  am  Kufs  jenes  Kirchbügels  ertönt  aus  dem  Garten  einer 
Schänke  frohes  Leben.  Aus  der  ganzen  Umgegend  ist  das  tanzlustige  Volk 
zusammengeströmt,  mehrere  Hundert  füllen  den  von  Bäumen  und  Strauchwerk 
eingerahmten  weiten  Tanzplatz  in  buntem  Treiben.  Ihren  schwarzen  Kleidern 
und  weifsen  Häubchen  haben  heute  die  Frauen  und  Mädchen  grell  blaue 
und  rote  Schürzen  zugefügt  und  auch  dio  Burschen  tragen  blaue  Kittel. 
Lebhaft  sprechen  sie  dem  Cider  zu.  Der  Dudelsack  tönt,  aber  nicht  in 
lustigem  Kundtanze  schwingen  sich  die  Paare,  in  einförmigem  Reigen  be- 
wegen sie  sich  reihen-  und  gruppenweise  bald  zur  Seite,  bald  vor-  und  rück- 
wärts, nur  dann  und  wann  mit  der  Unterbrechung  eines  schuhplattlerartigen 
Sprunges.  Aus  dem  Vorgarten  der  Schänke  tönen  Volkslieder.  Unter  diesen 
darf  nicht  fehlen  das  allbeliebte  Ann  hini  gouz,  ein  keltisch -patriotischer  Sang, 
der  in  30  Strophen  die  Vorzüge  der  Bretagne  vor  Gallien  preist,  welche 
das  Volkslied  in  einem  älteren  bretonischen  und  einem  jungen  gallischen 
Mädchen  personifiziert.  Die  Alte  hat  weifse  Haare,  die  Junge  blonde, 
die  Alte  hat  Haut  wie  dürres  Farnkraut,  die  Junge  einen  Teint  wie  Schnee, 
die  Junge  ist  zierlich,  die  Alte  schwerfällig,  aber  wenn  sie  so  alt  wäre 
wie  die  Welt,  „ich  stäke  ihr  doch  den  Ring  an  den  Finger,  denn  —  mit 
diesem  Refrain  endet  jeder  der  30  Verse,  — 

Ann  hini  gouz 
Eo  ma  dous; 
Ann  hini  gouz 
Eo  zur! 

Die  Alte  ist's,  die  ich  liebe,  die  Alte,  das  ist  sicher." 

Clanz  anders  wie  das  Leben  der  Acker-  und  Obstbau  treibenden  Be- 
völkerung im  Innern  des  Landes  spielt  sich  dasjenige  an  der  Küste  ab,  deren 
männliche  Bewohner  fast  sämtlich  der  Fischerei  und  Schiffahrt  obliegen. 
Die  Gefahren  des  Klippenmeers  und  seiner  tückischen  Strömungen  und 
Stürme  haben  dieses  Küstenvolk  zu  kühnen  Meeresarbeitern  gemacht.  Von 
der  nördlichen  Küste  aus  schweifen  ihre  Schitfe  weit  über  den  Ozean  bis 
auf  die  Fischgründe  von  Island  und  Neufundland,  an  der  Südküste  haben 
sie  sich  eine  Flotte  von  Fischerbooten  geschaffen,  die  ausschliefslich  dem  Fang 
von  Sardinen,  Makrelen,  Huramern  und  Langusten  des  Küstenmeeres  dient. 

Von  Concarneau  und  Douarnenez,  den  beiden  Haupthäfen  für  den 
Sardinenfang,  ziehen  täglich  von  Ende  Juui,  sobald  die  Sardinenschwärme 
sich  einstellen,  bis  gegen  Dezember  1200  bis  1300  Fischerboote  hinaus  in 
die  See,  jedes  bemannt  mit  5  bis  6  Leuten.  In  tiefstem  Schweigen  lassen 
die  Fischer  vorsichtig  die  bis  20  m  langen  Schleppnetze  ins  Meer,  streuen 
die  Lockspeise,  aus  Stockfisch-  oder  Sardinenköpfen  bestehend,  aus  und  warten, 
bis  sich  das  Netz  unter  der  Last  der  sich  in  dasselbe  verwickelt  habenden 
Fischchen  zu  senken  beginnt,  dann  wird  es  eingezogen  und  dabei  ausgeschüttelt, 
so  dafs  sich  die  Sardinen,  ohne  mit  der  Hand  berührt  zu  werden,  in  dem 
Schiffsräume  aufspeichern.  In  den  Hafenplätzen  wartet  ein  Heer  vou  Frauen 
auf  die  heimgebrachte  Beute,  um  sie  vorzurichten,  einzusalzen  und  in  Tönu- 
chen  oder  Kisten  zu  verpacken,  oder  in  Blechdosen  in  Öl  einzulegen.  Die 
Düfte,  welche  diese  Häfen  umwehen,  kann  man  nicht  als  lieblich  bezeichnen. 


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Hermann  Oredner: 

• 

Wird  aber  die  Flotille  der  Fischerboote  unterwegs  von  den  oft  unerwartet, 
hereinbrechenden  Stürmen  überfallen,  so  wird  gar  manches  von  ihnen  ein 
Kaub  der  zwischen  den  Klippen  und  Inseln  tobenden  See,  von  deren  Opfern 
die  übergrofse  Anzahl  von  Witwen  und  Waisen  in  den  Ortschaften  zeugt, 
die  auf  das  gefahrvolle  Gewerbe  der  Sardinenfischerei  angewiesen  sind. 

Ist  der  Ausgangspunkt  für  diese  letztere  das  wie  ein  Wellenbrecher  in 
das  Meer  ragende  westliche  Vorgebirge  der  Bretagne,  so  dient  deren  süd- 
östliches, flaches  Litoral  der  mühseligen  Zucht  der  Austern.  Sie  bringt 
nicht  nur  viele  Millionen  reife,  als  armorikanische  bekannte  Austern  auf  die 
Märkte,  sondern  liefert  auch  deren  Brut  für  die  Bänke  fast  aller  übrigen 
Küsten  Frankreichs.  Auf  weiten  Strecken  an  den  flachen  Ufern  des  Unter- 
laufes der  Ströme  Morbihans  reihen  sich  die  Brutbeete  aneinander.  Sie  be- 
stehen aus  mauerartigen  Bauten  von  lauter  locker  aufeinander  gelegten 
pfannenartigen  Hohlziegeln,  welche  sich  oft  wie  dicht  nebeneinander  stehende 
Buhnen  vom  Ufer  aus  rechtwinklig  in  die  der  Ebbe  und  Fluth  unterworfenen 
Flüsse  hinausschieben.  An  die  mit  leuchtendem  Weifs  angestrichenen  Hohl- 
ziegel setzen  sich  die  im  Mai  bis  Juli  frei  im  Wasser  schwärmenden  Larven 
der  Austern  fest  und  wachsen  hier  zu  einige  Centimcter  grofsen,  oft  dicht 
gedrängt  sitzenden  Muscheln  an.  Nach  Ablauf  eines  Jahres  nimmt  man  die 
Ziegeln  heraus  und  trennt  die  von  den  raubgierigen  Krabben  entleerten 
Schalen  ab,  ebenso  auch  die  Tierchen,  die  nur  eine  geringe,  noch  heilbare 
Verletzung  durch  diese  ihre  Verfolger  erlitten  haben.  Die  letzteren,  die 
Invaliden,  bringt  man  bis  zu  ihrer  Gesundung  ins  Hospital,  d.  h.  in  Kästen 
von  Eisendraht,  die  ins  Meer  gesenkt  werden.  Nachdem  diese  Scheidung 
vollzogen  ist,  gelangen  die  nun  nur  noch  mit  der  intakt  gebliebenen  Brut 
besetzten  Ziegeln  zum  Versandt  in  die  Austernzüchtereien.  Nur  ein  geringer 
Teil  der  jungen  Austern  wird  losgelöst  und  an  Ort  und  Stelle  zur  Erzielung 
von  Zuchtaustern  zurückbehalten,  auf  dem  flachen  Ufer  ausgebreitet,  während 
der  Ebbe  durch  tägliches  Überschaufeln  mit  Wasser  rein  gewaschen  und  vor 
Verschlammung  bewahrt.  Sie  gedeihen  dann  auf  dem  diatomeenreichen 
Schlamm,  der  ihre  Nahrung  bildet,  im  Laufe  zweier  Jahre  zu  reifen 
Zuchtaustern. 

Wenn  sich  unsere  Kenntnisse  von  den  Anfängen  der  geologischen  Ge- 
schichte Armorikas  nur  auf  starre  Zeugen  von  Felsgestein  stützen,  so  gilt 
das  Gleiche  von  unserem  Gesamt  wissen  über  die  Urbe  wohner  des  Landes. 

Die  Bretagne  ist  das  Land  der  vorhistorischen,  wie  von  Riesenhänden 
aufgepflanzten  oder  zu  rohen  Steinbauten  aufeinander  gelegten  Megalithen. 
In  der  öden  Heide,  an  der  flachen  Küste,  auf  den  unfruchtbaren  Höhen  des 
Inlandes,  wie  am  Rande  des  Steilabsturzes  und  auf  den  Inseln  —  überall 
bauchen  diese  sagenumwobenen  Denkmäler  aus  der  Urzeit  des  Menschen  vor 
dem  Wanderer  aus  der  Erde.  Meist  sind  es  vereinzelt  stehende,  unbehauene, 
gewöhnlich  1  bis  2,  seltener  4  oder  gar  6  m  hohe  pfeilerartige  Steine,  die 
Menhir,  also  Hochsteine  der  Kelten,  zuweilen  aber  auch  ganze  Gruppen  von 
solchen,  die  dann  entweder  in  lange  Reihen  gestellt  oder  in  Kreise  geordnet 
sind  und  in  letzterem  Falle  Cromlechs,  Steinkreise,  genannt  werden. 
Weitläufiger  zerstreut  sind  die  Dolmen,  die  Steintische,  die,  wie  der  Name 


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Arraorika. 


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andeutet,  aus  einer  Anzahl  senkrecht  stehender  Steinklötze  bestehen,  welche 
horizontal  auf  sie  gelegte  gewaltige  Felsblocke  oder  -platten  als  Decke 
tragen.  Dafs  sie  als  Begräbnisstätte  gedient  haben,  steht  nach  den  in  ihnen 
gemachten  Funden  aufser  Zweifel.  Während  aber  die  Menhirs  und  Cromlechs, 
seit  sie  aufgerichtet  wurden,  frei  in  die  Luft  ragen,  waren  die  Dolmen  ur- 
sprünglich unter  hünengrabähnlichen  Hügeln  von  feinem  Gesteinsschutt,  von 
Erde  oder  Meeresschlamm,  den  Galgals  der  Kelten,  verborgen.  Wind  und 
Wetter  trugen  diese  Tumuli  im  Laufe  der  Zeiten  ab,  und  was  von  ihnen 
noch  übrig  blieb,  das  verteilte  der  eingewanderte  Kelte  auf  seine  mageren 
Äcker.  So  sind  denn  die  Dolmen  aus  ihrer  Hülle  aufgetaucht  und  erheben 
sich  jetzt  frei  über  den  flachen  Erdboden,  nur  auf  dem  einen  oder  anderen 
dieser  riesigen  Grabhügel  hat  das  einziehende  Christentum  eine  Kirche  er- 
richtet, unter  deren  Schutze  er  sich  erhalten  hat  und  in  sich  noch  heute  die 
unversehrten  Grabkammern  birgt. 

Wie  gesagt,  Menbirs,  Cromlechs  und  Dolmen  finden  sich  gruppenweise 
zusammengeschart,  häufiger  noch  einzeln  über  die  ganze  Bretagne  zerstreut 
und  bilden  in  dieser  Allgemeinheit  ihrer  Verbreitung  geradezu  einen  Charakter- 
zug der  bretonischen  Scenerie.  Zu  einem  die  Landschaft  vollkommen  be- 
herrschenden, ihr  ganzes  Wesen  bedingenden  Elemente  aber  werden  sie  dort, 
wo  sie  sich  thatsächlich  zu  Tausenden  an  einander  drängen,  wie  es  auf  der 
einförmigen,  unfruchtbaren  Ebene  der  Fall  ist,  die  sich  südlich  von  Auray 
zum  Spiegel  des  Morbihan  an  der  Südküste  der  Bretagne  herabsenkt.  Die 
Zentralstelle  der  dortigen  Grabstätten,  Opferplätze  und  Heiligtümer  ist 
Carnac  (C  des  Kärtchens  auf  Seite  255)  und  zwar  zunächst  durch  seine 
Menhir-Reihen.  Nicht  weniger  als  2813  Menhir  ziehen  sich  hier  in  elf 
parallelen  Reihen  von  fast  4  km  Länge  wie  unabsehbare  Steinalleen  von 
Westsüdwest  nach  Ostnordost  als  100  m  breiter  Streifen  über  die  Heide. 
Die  senkrecht  stehenden  Steine  sind  durchaus  unbehauen,  rauh  und  so  viel- 
gestaltig geformt,  wie  sie  der  zufällige  Fund  lieferte.  Sie  schwanken  zwischen 
Manneshöhe  und  einer  Länge  von  2  bis  4  m  und  bestehen  alle,  ebenso  wie 
der  Untergrund  der  Gegend  selbst,  aus  Granit.  Da  sie  dem  festen  Fels- 
boden und  zwar  oft  mit  ihrem  sich  nach  unten  verjüngenden  Ende  ohne 
weiteren  Halt  stumpf  aufgesetzt  sind  und  zugleich  ihre  breite  Seite  den 
vom  nahen  Meere  heranbrausenden  Stürmen  darbieten,  so  erscheint  es 
rätselhaft,  dafs  nur  sehr  wenige  von  ihnen  im  Laufe  mehrerer  Jahrtausende 
zum  Sturze  gebracht  worden  sind.  Durch  300  bis  400  m  breite  stein- 
freie Zwischenräume  werden  die  Menhir-Reihen  in  drei  Gruppen  gegliedert, 
an  deren  beide  äufsere  sich  ein  von  grofsen  Hochsteiuen  umrahmter  Cromlech 
anschliefst. 

Die  Menhir- Alleen  von  Carnac  sind  wohl  die  ausgedehntesten,  aber 
nicht  die  einzigen  des  dortigen  Gebietes,  vielmehr  wiederholen  sie  sich  hier 
im  kleineren  Mafsstabe  noch  an  7  bis  8  Stellen,  so  dafs  sich  die  Gesamtzahl 
dieser  Menhir  auf  gegen  4000  belaufen  dürfte. 

In  weitem  Umkreis  um  diese  reihenförmigen  Steingruppen  liegen  nicht 
weniger  als  250  Dolmen  aller  Art  zerstreut.  Die  einfachsten  bestehen  aus 
3  oder  4  rohen  Pfeilern  oder  Platten,  auf  welche  ein  plump  plattigcr  Granit- 


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Hermann  Credner:  Armorika 


block  gelegt  ist,  der  bei  ein  oder  anderthalb  Meter  Dicke  nicht  weniger  als 
6  oder  7  m  Lange,  ja  10  bis  12  ra  erreichen  mag.  Andere  dieser  Dolmen 
stellen  allseitig  geschlossene  Kammern  mit  schmalem  Zugang  vor,  noch  andere 
bilden  gedeckte  Gallerien  zum  Teil  mit  kleineren  Seiteukammern,  ja  in 
einzelnen  Fällen  stehen  derartige  Gelasse  in  zwei  Etagen  über  einander, 
Alter  eins  haben  sie  alle  gemein,  das  ist  ihr  Aufbau  aus  roh  neben  einander 
gestellten  und  auf  einander  gelegten,  stets  unbehauenen,  plumpen  Granit- 
klötzen,  -platten  und  -blöcken  von  zum  Teil  cyklopischer  Gröfse. 

Dafs  die  Dolmen  und  die  ursprünglich  über  sie  gehäuften  Galgals  als 
Begräbnisstellen  voraussichtlich  hervorragender  Männer  gedient  haben,  steht 
nach  den  in  ihnen  gemachten  Funden  von  menschlichen  Skeletresten,  Aschen- 
krügen, Steinbeilen  und  einigen  seltenen  Bronzeschwertern  fest:  zu  welchem 
Zwecke  aber  sind  jene  Tausende  von  Hochsteinen  zu  vielreihigen,  mehrere 
Kilometer  langen  Alleen  mit  ihren  halbkreisförmigen  oder  quadratischen 
Cromlechs  aufgepflanzt  worden? 

Das  Volk  hat  diese  Frage  längst  durch  eine  fromme  Mythe  beant- 
wortet: Die  langen  geraden  Steinreihen,  sie  sind  die  „Soldaten  des  heiligen 
Cornelius".  Von  heidnischen  Kriegern  verfolgt  und  bedrängt,  floh  der  Papst 
Cornelius  von  Rom  aus  bis  an  die  Südküste  der  Bretagne.  Hier  stand  er, 
hinter  sich  die  mordlustigen  Heiden,  vor  sich  das  eben  so  erbarmungslose 
Meer.  In  dieser  angstvollen  Bedrängnis  hob  er  seine  Hände  gen  Himmel 
und  verwandelte  durch  kraftvolles  Gebet  seine  Verfolger  in  Stein.  Noch 
heute  stehen  sie  in  den  langen  Reihen,  in  denen  sie  herangezogen  waren. 

Wer  sich  von  diesem  sagenhaften  Berichte  nicht  befriedigt  fühlt,  der 
wird  in  den  weiten,  von  Steinpallisaden  umgebenen  Vierecken  und  Kreisen, 
den  Cromlechs,  die  Stätten  erblicken,  in  denen  die  Priester  der  verschwundenen 
Urbevölkerung  Armorikas  ihre  heiligen  Handlungen  vollzogen,  in  denen  die 
Herrscher  und  Heerführer  gekürt  wurden  und  von  wo  aus  Recht  und  Schieds- 
spruch verkündet  ward  im  Angesichte  der  Volksmassen,  die  sich  zwischen 
den  auf  die  Cromlechs  zulaufenden  Steinalleen  nach  ihren  Stämmen  oder 
nach  ihrer  Heimat,  geordnet  hatten.  In  der  Umgebung  dieses  Volksheiligtums 
fanden  die  Edlen  des  Landes  ihre  Ruhestätte.  Ein  Dolmen  nach  dem  anderen 
ward  aus  cyklopischen  Blöcken  aufgetürmt,  um  deren  Leichnam  oder  die 
Vase  mit  dessen  Asche  zu  bergen,  und  über  diese  wurden  hohe  Tumuli 
aufgeschichtet,  um  das  Grabmal  für  Jahrtausende  zu  beschirmen.  So  erwuchs 
eine  Totenstadt  aus  Riesengräbern  um  die  geweihten  Stätten. 

Noch  ein  Abschiedsblick  auf  das  bretonische  Land  von  dort  oben  der 
Höhe  jenes  Tumulus,  den  jetzt  das  Kirchlein  des  heiligen  Michael  krönt. 
Im  Süden  glitzert  die  Sonne  in  der  von  Inseln  erfüllten  Meeresbucht,  dem 
Morbihan,  dem  „kleinen  Meere'4  der  Kelten;  es  ist  die  Stätte,  wo  Cäsar  in 
wütender  Seeschlacht  die  Flotte  der  Veneter  vernichtete;  im  Norden  dehnt 
sich  die  von  Steinbauten  übersäte  weite  Heide  aus.  Wir  sehen  wilde,  mit 
Steinhammer  und  Speer  bewaffnete  Völkerscharen  heranziehen,  sich  in  die 
Steinreihen  drängen  und  sich  ordnen;  wir  erblicken  im  Cromlech  die  Priester, 
wie  sie  ihr  Opfer  vollziehen,  wir  vernehmen,  wie  sie  ihre  Weissagungen  und 
Schiedssprüche  der  harrenden  Menge  verkünden,  wir  sehen  die  Rauchsäulen 


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Alfred  Hettner:  Die  Landhauzonen  der  aufsertropischen  Länder.  271 


der  Feuer  aufwirbeln,  welche  die  in  ernstem  Zuge  hierher  geleiteten  Leichname 
der  Helden  des  Volkes  verzehren. 

Nur  48  Stunden  spater  und  wir  stehen  in  vielsprachigem  Gedränge  am 
Kufse  des  Eiffelturmes;  bis  zu  seiner  Spitze  erstrahlen  Guirlanden  und  Sterne 
elektrischen  Lichtes.  Zwischen  der  Kunst  derer,  welche  das  eiserne  Balken- 
werk bis  zur  schwindelnden  Höhe  von  300  m  zusammengefügt  haben,  und 
der  Cyklopenarbeit  jeuer,  welche  gewaltige  Felsblöcke  zu  den  rohen  Steiu- 
bauten  der  Bretagne  aufrichteten  oder  aufeinander  walzten,  liegen  Tausende 
von  dahren.  Aber  selbst  diese  Jahrtausende  verschwinden  gegen  die  Zeit- 
maße der  geologischen  Geschichte  des  Landes,  während  deren  der  Kegentropfeu 
und  die  brandende  Woge  das  armorikanische  Hochgebirge  zum  Flachland  er- 
niedrigten und  zur  bretonischen  Halbinsel  gestalteten,  zu  dem  Land  der 
Kelten,  zu  Armorika. 


Die  Landbanzonen  der  aufsertropisehen  Länder. 

Nach  den  Untersuchungen  Th.  H.  Engelb  recht's. 
Von  Alfred  Hettner. 

I.  Aufgabe  und  Methode  der  Untersuchung. 

Die  Verschiedenheit  des  Landbaus  und  der  Viehzucht  in  verschiedenen 
Ländern  und  Landschaften  der  Erde  ist  zweifellos  eine  der  hervorstechendsten 
und  zugleich  folgenreichsten  geographischen  Thaf suchen ,  die  Auffassung  der 
Landbauzonen  und  Landbauregionen1)  daher  eine  der  wichtigsten  Erforder- 
nisse unserer  Wissenschaft.  Wohl  haben  die  Pflanzengeographen  schon  seit 
Humboldt  auch  die  geographische  Verteilung  der  Kulturgewächse,  die  Tier- 
geographen die  Ausbreitung  auch  der  Haustiere  in  den  Bereich  ihrer  For- 
schung gezogen;  aber  sie  haben  mit  den  Methoden  ihrer  Wissenschaft  doch 
der  Hauptsache  nach  nur  die  Gebiete  und  Grenzen  des  Auftretens  der 
einzelnen  Arten,  nicht  auch  die  Intensität  ihres  Auftretens,  den  quantitativen 
Anteil  an  der  Besetzung  der  Flache  feststellen  können.  Dies  ist  nur  mittels 
der  Anbaustatistik  möglich,  die  aber  bisher  immer  nur  für  einzelne  Staats- 
gebiete, noch  nie  für  gröfsere  Erdräume  vergleichend  durchgearbeitet  worden 
ist.  Das  wenigstens  für  die  Länder  der  gemäfsigten  Zonen  zu  leisten,  ist 
die  Aufgabe,  die  sich  En  gel  brecht  in  seinem  Buche  über  die  Landbauzonen 
der  aufsertropischen  Länder  gesetzt  hat8).  Er  hat  uns  darin  mit  einem  von 
echtem  wissenschaftlichen  Geiste  getragenen  Werke  beschenkt,  für  das  ihm 
die  geographische  Wissenschaft  —  wir  haben  hier  natürlich  nur  für  diese 
zu  reden  —  zu  grofsem  Danke  verpflichtet  ist. 

Engelbrecht  ist  dazu  überall  auf  die  agrarstatistischen  Origiual- 
veröffentlichungen,  die  er  sich  oft  nur  schwer  hat  verschaffen  können,  zurück- 

1)  Mit  Recht  wendet  sich  Engelbrecht  gegen  den  oft  dafür  gebrauchten  Ab- 
druck „Kulturzonen",  der  eine  umfassendere  Bedeutung  hat. 

2)  Th.  H.  Engelbrecht,  Die  Landbauzonen  der  aufsertropischen  Länder. 
9  Bde.   Berlin.    D.  Keimer,  1899. 


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272 


Alfred  Hettner: 


gegangen,  hat  in  vieljähriger  Arbeit  für  verhältuismäfsig  kleine  Verwaltungs- 
einheiten (Regierungsbezirke,  Departements,  Counties)  die  Gröfse  der  Anbau- 
flächen der  verschiedenen  Kulturgewächse  und  die  Kopfzahl  der  verschiedenen 
Haustierarten  zusammengestellt  und  daraus  gewisse,  gleich  näher  zu  be- 
sprechende Verhältniszahlen  berechnet,  welche  die  Grundlagen  der  Erörterung 
und  der  kartographischen  Darstellung  bilden.  Der  erste  Band  seines  Werkes 
enthält  die  Erörterung,  der  zweite  die  Tabellen,  der  dritte  die  Karten,  die 
die  Verbreitung  der  einzelnen  landwirtschaftlichen  Kulturpflanzen  und  Haus- 
tiere darstellen. 

Die  Frage  nach  der  Methode  der  Berechnung  war  nicht  leicht  zu  ent- 
scheiden. Engelbrecht  hatte  sich  schon  früher  in  einem  Aufsätze  über  den 
Standort  der  Landwirtschaftszweige  in  Nordamerika x)  darüber  ausgesprochen. 
Es  handelt  sich  darum,  das  Material  so  zu  behandeln,  dafs  es  die  Art  des 
landwirtschaftlichen  Betriebes  in  seiner  Abhängigkeit  vom  Klima  und  von 
den  allgemeinen  wirtschaftlichen  Verhältnissen  erkennen  läfst. 

Eine  grofse  Schwierigkeit  der  Arbeit  besteht  zunächst  in  der  üngleich- 
artigkeit  der  agrarstatistischen  Erhebungen  in  den  verschiedenen  Ländern, 
und  zwar  nicht  sowohl  in  deren  verschiedener  Genauigkeit  als  in 
der  Verschiedenheit  der  Grundsätze  der  Erhebung.  Die  unmittelbare  Ver- 
gleichung  des  Materials  ist  dadurch  sehr  erschwert,  und  manche  an  sich 
zweckmälsige  Darstellungsweisen  haben  deshalb  nicht  angewandt  werden 
können.  Die  Vergleichung  und  kartographische  Darstellung  erfordert  selbst- 
verständlich die  Berechnung  von  Verhältniswerten,  und  die  wichtigste  grund- 
sätzliche Frage  ist  daher,  welche  Einheit  zu  Grunde  gelegt  werden  solle. 
Die  häufig  gewählte  Beziehung  auf  die  Bewohnerzahl  des  Landes  hat,  wie 
der  Verf.  mit  Recht  betont,  hauptsächlich  nur  handelspolitischen  Wert  und 
ist  daher  wohl  für  den  Vergleich  ganzer  Staatsgebiete  angebracht,  für  den 
Vergleich  kleinerer  Gebiete  aber  nicht  sehr  lehrreich.  Das  ist  durchaus 
geographisch  gedacht;  es  ist  ein  entschiedener  Fehler  vieler  geographischer 
Schriftsteller,  dafs  sie  Anbaufläche  und  Viehstand  in  erster  Linie  auf  den 
Kopf  der  Bevölkerung  statt  auf  die  Flüche  beziehen.  Es  fragt  sich  nun 
aber,  auf  welche  Fläche  als  Einheit  man  die  einzelnen  Anbauflächen  beziehen 
soll.  In  erster  Linie  bietet  sich  dafür  die  Gesamtfläche  jedes  Gebietsab- 
schnittes dar;  aber  der  Verf.  wendet  dagegen  ein,  dafc  dann  hauptsächlich 
die  allgemeine,  sich  auf  die  verschiedenen  Pflanzen  in  gleicher  Weise  er- 
streckende Anbaufähigkeit  zum  Ausdruck  kommen  und  die  Karten  der  ver- 
schiedenen Pflanzen  ziemlich  ähnlich  ausfallen,  ihr  verhältnismäfsiger  Anteil 
also  nicht  deutlich  hervortreten  würde.  Hierfür  müsse  man  also  eine  andere 
Einheit  wählen.  Es  liegt  nahe,  an  die  landwirtschaftlich  benutzte  Fläche 
zu  denken,  die  auch  in  der  Statistik  öfters  verwandt  wird;  aber  der  Begriff 
ist  schon  in  den  Kulturländern  und  erst  recht  in  unkultivierten  Ländern 
wegen  der  vielen  Übergänge  von  Kulturland  zu  Ödlaud  zu  unbestimmt  und 
daher  gleichfalls  als  Einheit  nicht  geeignet.  Die  Fläche  des  Acker- 
landes ist  eine  viel  bestimmtere  Gröfse  und  in  vielen  Ländern  auch  durch 

1)  Land  wirtschaftliche  Jahrbücher  Bd.  XII  (1888)  S.  45'J  ff 


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Die  Landbauzonen  der  aufRertropischen  Länder. 


27a 


die  statistischen  Erhebungen  genügend  festgestellt,  aber  in  vielen  anderen, 
namentlich  überseeischen  Ländern  nicht  genügend  ermittelt,  so  dafs  man 
auch  von  ihr  absehen  mufs.  Engelbrecht  hat  sich  deshalb  dahin  entschieden, 
die  Anbauflache  des  gesamten  Halmgetreides,  worunter  er  die  nördlichen 
Getreidearten  Weizen,  Spelz,  Roggen,  Gerste  und  Hafer  im  Gegensatz  zu 
den  tropischen  Hackgetreiden  Mais,  Hirse  und  Reis  versteht,  oder  mit 
kürzerer  Bezeichnung:  die  Getreidefläche  als  Einheit  zu  nehmen,  da  sie  sich 
fast  überall  genügend  feststellen  läfst.  Ahnliche  Erwägungen  haben  ihn 
dazu  geführt,  die  Kopfzahl  der  verschiedenen  landwirtschaftlichen  Haustiere 
weder  auf  die  Gesamtzahl  des  Viehs  noch  auf  die  berechnete  Zahl  des 
sog.  Grolsviehs,  sondern  auf  die  Anzahl  des  Rindviehs  als  Einheit  zu 
beziehen. 

A.  J.  Herbertson  hat  sich  in  einer  Besprechung  des  Engelbrecht'schen 
Buches1),  in  der  er  diesem  in  vieler  Beziehung  grofse  Anerkennung  spendet, 
doch  gegen  die  angegebene  Wahl  der  Einheiten  scharf  ausgesprochen  und 
es  bedauert,  dafs  Engelbrecht  nicht  Anbauflächen  sowohl  wie  Viehstand  auf 
die  Gesamtfläche  der  Gebietseinheiten  bezogen  habe.  Ich  glaube,  dafs  er 
dabei  den  eigentlichen  Zweck  der  Engelbrecht'schen  Untersuchung  verkennt. 
Die  thatsächliche  Produktion  der  Länder  läfst  sich  selbstverständlich  nur 
auf  Karten,  bei  denen  die  Gesamtfläche  der  Gebiete  allen  Verhältuiswerten 
als  Einheit  zu  Grunde  gelegt  ist,  vergleichend  überblicken;  solche  Karten 
bleiben  ein  Bedürfnis,  und  es  wäre  mit  grofser  Freude  zu  begrüfsen,  wenn 
der  Verf.  selbst  oder  ein  anderer  auf  Grund  seiner  im  zweiten  Bande  ver- 
öffentlichten Tabellen  sie  wenigstens  für  eine  Auswahl  von  Pflanzen  und 
Tieren  zeichnen  wollte.  Aber  Engelbrecht  war  es  gar  nicht  um  die  Gesanit- 
gröfse  der  Produktion,  sondern  um  den  verhältnismäfsigen  Anteil  der  einzelnen 
Gewächse  zu  thun;  er  will  zeigen,  wie  sich  mit  dem  Klima  und  den  all- 
gemeinen wirtschaftlichen  Bedingungen  das  Feldsystem  und  die  Auswahl  der 
angebauten  Gewächse  und  gezüchteten  Tiere,  also  der  ganze  Charakter  der 
Landwirtschaft  ändert.  Wenn  wir  auf  den  Engelbrecht'schen  Karten  bei- 
spielsweise die  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  eines  bestimmten  Gebirges 
studieren  wollen,  so  können  wir  daraus  nicht  erkennen,  eine  wie  grofse 
Fläche  durch  die  Gebirgsnatur  der  landwirtschaftlichen  Benutzung  überhaupt 
entzogen  ist,  wohl  aber,  welches  besondere  Gepräge  jene  dem  landwirtschaft- 
lichen Betriebe  aufdrückt.  Herbertson  behauptet  zwar,  dafs  man  den  ver- 
hältnismäßigen Anteil  der  verschiedenen  Gewächse  auch  bei  Zugrundelegung 
der  Gesamtflächen  durch  die  einfache  Vergleichung  der  verschiedenen  Karten 
erkennen  könnte;  aber  Engelbrecht  hat  diese  Möglichkeit  schon,  offenbar  auf 
Grund  eingehender  Versuche,  in  Abrede  gestellt.  Darin  möchte  ich  aller- 
dings Herbertson  beipflichten,  dafs  die  Berechnung  und  kartographische  Dar- 
stellung zweier  weiteren  Verhältnisse,  nämlich  des  Verhältnisses  der  Getreide- 
fläche zur  Gesamtfläche  und  des  Rindviehbestandes  sei  es  zur  Getreide-,  sei 
es  gleichfalls  zur  Gesamtfläche  (also  der  Rindviehdichte),  den  Wert  des 
Buches  sehr  erhöht  haben  würde,  weil  der  Leser  dadurch  in  den  Stand  ge- 


l)  Oeographical  Journal  Vol.  XV  (1900  I)  S.  62  ff. 

(ieugraphioche  Zeitschrift.  7.  Jahrgang.  1901  5.  Heft.  IV 


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1>74 


Alfred  Hettner: 


setzt  worden  wäre,  sich  wenigstens  einen  ungefähren  Begriff  von  der  that- 
sächlichen  Gröfse  der  Anbauflachen  und  dem  thatsächlichen  Viehstande  zu 
raachen. 

Sehr  wichtig  ist  es,  dafs  Engelbrecht  sich  nicht  auf  einen  bestimmten 
Zeitmoment  beschränkt,  sondern  durch  den  Vergleich  älterer  und  neuerer 
laudwirtschaftsstatistischer  Aufnahmen  die  Veränderungen  der  Anbauverhält- 
nisse untersucht,  die  im  Laufe  der  Zeit  in  Folge  abnormer  Witterungs- 
erseheinungen  oder  allgemeiner  wirtschaftlicher  Veränderungen  eingetreten 
sind.  Im  ganzen  sind  diese  Verschiebungen  der  Anbauverhältnisse  in  Europa 
gering,  und  nur  die  Kulturen  der  eigentlichen  Handelsgewächse  sind  hier 
wenigstens  teilweise  starken  und  plötzlichen  Schwankungen  ausgesetzt.  In 
den  Koloniallandern  dagegen,  wo  die  Preise  viel  stärker  schwanken,  sind  sie 
viel  gröfser,  und  der  rasche  Wechsel  bildet  violleicht  das  am  meisten 
charakteristische  Merkmal  der  kolonialen  Landwirtschaft  gegenüber  dem  ver- 
hältnismäfsig  stationären  Landbau  der  alten  Kulturländer.  Auf  den  Karten 
sind  diese  Veränderungen  übrigens  nur  teilweise  (hauptsächlich  bei  der  Vieh- 
zucht) berücksichtigt;  sie  stellen  den  Stand  in  einem  bestimmten  Jahre 
(zwischen  1882  und  1890,  je  nach  den  vorhandenen  Aufnahmen)  dar. 

Im  Gegensatz  zu  den  bisherigen  pflanzengeographischen  Darstellungen 
mifst  Engelbrecht  den  äufsersten  Verbreitungsgrenzen  der  Gewächse  nur 
geringen  Wert  bei,  weil  es  sich  dabei  oft  um  ganz  isolierte,  von  zufälligen 
Umständen  abhängige,  aber  im  Laufe  der  Zeit  oft  wechselnde  Vorkommen 
handele.  Seine  Karten  zeigen  erst  das  reichlichere  Auftreten  an,  wobei  ja 
auch  gröfsere  Vorposten  zur  Darstellung  kommen.  Es  ist  dabei  besonders 
wichtig,  zu  beachten,  wo  eine  Pflanze  im  landwirtschaftlichen  Betrieb  durch 
eine  andere,  relativ  vorteilhaftere  ersetzt  wird,  und  ob  der  Übergang  plötzlich 
oder  allmählich  vor  sich  geht.  Diesen  Grenzen,  z.  B.  der  Grenze  zwischen 
überwiegendem  Anbau  von  Hafer  oder  von  Brotgetreide,  von  Roggen  oder 
Weizen,  hat  Verf.  besondere  Aufmerksamkeit  zugewandt  und  sie  mit  grofser 
Sorgfalt  auf  seinen  Karten  eingetragen.  Zum  Vergleich  hat  er  dabei  stets 
natürliche  Vegetationslinien,  namentlich  von  Waldbäumen  und  andern  Holz- 
gewächsen, und  klimatische  Linien,  besonders  Isothermen  herangezogen  — 
die  Isohyeten  hat  er  leider  etwas  vernachlässigt  — ,  um  daraus  die  klima- 
tischen Ursachen  jener  Grenzen  zu  erkennen.  Er  betont  auch  mit  Recht, 
dafs  die  genannten  Grenzlinien  zwischen  dem  Überwiegen  dieser  oder  jeuer 
Kulturpflanze  den  besten  Anhalt  zur  Abgrenzung  der  Landbauzonen  darbieten; 
leider  aber  hat  er  sie  auf  verschiedene  Karten  verteilt  und  nicht,  wenigstens 
für  die  einzelnen  Erdteile  nicht,  auf  einer  Karte  vereinigt,  die  dadurch  zu 
einer  Karte  der  Landbauzonen  würde;  nur  für  die  gauze  Erde,  also  in  sehr 
kleinem  Mafsstabe,  hat  er  eine  Karte  der  Landbauzonen  gezeichnet.  Auch 
im  Text  bespricht  er  ein  Gewächs  und  ein  Tier  nach  dem  anderen  und 
giebt  nur  zum  Schlufs  eine  kurze  Übersichtsdarstellung  der  Landbauzonen 
der  Erde.  Für  uns  Geographen,  denen  es  nicht  auf  die  Verbreitung  der 
Gewüchse  als  solche,  sondern  auf  die  Ausstattung  der  Erdräume  mit  den 
verschiedenen  Gewächsen  ankommt,  ist  aber  die  Auffassung  der  Landbau- 
zonen, d.  h.  der  Gebiete  gleichartigen  Anbaus   und  überhaupt  gleichartiger 


Die  Landbauzonen  <ler  aufsertropisoheu  Länder. 


:>75 


Landwirtschaft,  gerade  die  Hauptsache,  und  ich  werdo  deshalb  im  Folgenden 
versuchen,  die  wichtigsten  Ergebnisse  der  Engelbrecht'schen  Untersuchungen 
—  für  alle  spezielleren  Fragen  mufs  ich  natürlich  auf  das  Buch  selbst  ver- 
weisen —  in  der  Weise  zusammenzufassen,  dafs  ich  die  Landbauzonen  der 
verschiedenen  Erdteile  kurz  darstelle1). 

Es  fragt  sich  nun  aber,  nach  welchen  Grundsätzen  man  die  Landbau- 
zonen aufstellen  und  abgrenzen  solle.  Engelbrecht  will  sie  (S.  25)  auf  die 
Futtergetreide  begründen,  weil  diese  besonders  charakteristisch  für  die 
klimatischen  Vorbedingungen  der  Landwirtschaft  seien,  weil  ihre  allgemeine 
Verbreitung  und  ihr  umfangreicher  Anbau  ihnen  überall  eine  wichtige 
Stellung  im  Ackerbau  sichere,  und  ihr  gegenseitiges  Anbauverhältnis  auch 
durch  den  wechselnden  Preis  nur  wenig  berührt  werde,  da  sie  in  der  Regel 
mehr  zum  Verbrauch  in  der  eigenen  Wirtschaft  als  zum  Verkauf  angebaut 
werden.  Dagegen  mufs  aber  eingewandt  werden,  dafs  die  Futtergetreide 
bei  speziellerer  Betrachtung  zur  Begründung  der  Landbauzonen  nicht  aus- 
reichen, und  dafs  viele  charakteristische  Unterschiede  bei  ihrer  einseitigen 
Bevorzugung  verloren  gehen.  Engelbrecht  selbst  stellt  z.  B.  eine  Baumwoll- 
zone auf;  in  seiner  subtropischen  Gerstenzone  sind  Länder  von  ganz  ver- 
schiedenem Klima  und  ganz  verschiedenen  Anbauverhältnissen  vereinigt,  auch 
die  Haferzone  läfst  weitere  Abteilung  wünschenswert  erscheinen,  für  die  man 
am  besten  wohl  in  erster  Linie  das  Verhältnis  der  verschiedenen  Brotgetreide 
benutzt.  Vielleicht  könnte  auch  die  relative  Bedeutung  der  Viehzucht  be- 
rücksichtigt werden;  doch  ist  das  auf  Grund  des  Engelbrecht'schen  Werkes 
nicht  möglich. 

II.  Europa. 

Wir  beginnen  mit  Europa.  Aber  das  Bild,  das  wir  von  seiner  Land- 
wirtschaftsgeographie entwerfen  wollen,  mufs  leider  noch  unvollständig  bleiben, 
weil  für  Spanien  und  Portugal,  den  gröfseren  Teil  der  Schweiz,  Polen  und 
die  Länder  der  Balkanhalbinsel  mit  Ausnahme  Bosniens,  der  Herzegowina 
und  Serbiens  agrarstatistische  Aufnahmen  noch  fehlen  und  nur  Viehzählungen 
vorhanden  sind,  aufser  in  der  Türkei,  die  auch  dieser  entbehrt. 

Im  arktischen  Norden  Europas  finden  wir  zunächst  eine  Region  ohne 
Anbau.  Als  Südgrenze  kann  man  die  polare  Gerstengrenze  auffassen,  die 
Eugelbrecht  auf  Tafel  6  des  Atlas  nach  den  Angaben  Middendorfs  eingetragen 
hat,  und  die  an  der  norwegischen  Küste  etwa  am  Altenfjord  beginnt,  von 
hier  ungefähr  über  1%°  nach  Süden,  dann  bis  65°  nach  Südosten  und  auf 
diesem  Parallelkreis  nach  Osten  zum  Ural  zieht.  Die  Landwirtschaft  dieser 
Zone  besteht  der  Hauptsache  nach  in  der  Renntierzucht  der  nomadisierenden 
Lappen  (vergl.  T.  61).  Sie  erstreckt  sich  in  ganz  ähnlicher  Weise  auch  auf 
die  Fjelde  der  skandinavischen  Halbinsel;  aber  die  Abgrenzung  der  Aufnahme- 
bezirke hindert  uns,  sie  hier  scharf  aufzufassen. 

Südwärts  folgt  eine  Zone,  die  Engelbrecht  als  die  arktische  Gersten  - 

1)  Zum  Vergleich  mit  den  klimatischen  Verhältnissen  »ei  besonder«  auf  den 
Aufsatz  und  die  beiden  Karten  Köppen's  im  vorigen  Jahrgang  Heft  11  und  12 
hingewiesen. 

19« 

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276 


Alfred  Hettner: 


zone  bezeichnet,  die  man  aber  auch  mit  etwas  allgemeinerem  Ausdruck  die 
subarktische  Zone  der  überwiegenden  Waldwirtschaft  und  Vieh- 
zucht, mit  untergeordnetem  Anbau  hauptsächlich  von  Gerste  nennen  könnte. 
Engelbrecht  rechnet  sie,  soweit  mehr  Gerste  angebaut  wird  als  Hafer  (vergl. 
T.  6).  Sie  umfafst  danach  das  norwegische  Küstengebiet  nördlich  von  05%  °, 
das  skandinavische  Hochland,  soweit  es  überhaupt  noch  Anbau  hat,  das 
nördliche  und  mittlere  Schweden  etwa  bis  zur  Grenze  von  Norrland  und 
Svealand,  die  nördliche  Hälfte  Finnlands  und  in  Rufsland  einen  nach  Osten 
sich  verbreiternden  Streifen,  der  zwischen  der  Polargrenze  der  Gerste  und  einer 
Linie  liegt,  die  sich  von  64°  n.  Br.  an  der  Westgrenze  gegen  60°  n.  Br. 
am  Ural  senkt  und  ungefähr  mit  der  9  °-  Isotherme  des  September  zusammen- 
fällt. Ein  erfolgreicher  Ackerbau  ist  in  dieser  Zone  überhaupt  nicht  mehr 
möglich,  die  wirtschaftliche  Ausnutzung  besteht  hauptsächlich  in  Waldwirt- 
schaft und  Viehzucht,  die  Bodenkultur  zieht  sich  in  Gärten  zurück.  Als 
Getreide  überwiegt  weitaus  die  Gerste,  da  der  Hafer  eine  um  drei  Wochen 
längere  Vegetationszeit  beansprucht  und  durch  Herbstfröste  leicht  getötet 
wird;  jedoch  reichen  Kartoffel,  Kohl  und  Wasserrübe  noch  etwas  über  die 
Gerste  hinaus.  Untergeordnet  werden  auch  Hafer  und  Roggen,  jener  mehr 
in  Skandinavien,  dieser  mehr  in  Rufsland  gebaut.  Bemerkenswert  ist  das 
Zurücktreten  der  Schweinehaltung,  das  sich  aus  dem  geringen,  kaum  dem 
Bedarf  des  Menschen  genügenden  Körnerbau  erklärt,  und  die  relativ  grofse 
Bedeutung  der  Milchwirtschaft. 

Südlich  von  der  arktischen  Gerstenzone  läfst  Engelbrecht  die  Haferzone, 
in  welcher  der  Hafer,  und  dann  die  Maiszone  folgen,  in  welcher  der  Mais 
das  vorherrschende  Futtergetreide  ist.  Aber  die  Haferzone  setzt  sich  aus 
zwei  wesentlich  verschiedenen  Gebieten  zusammen,  da  teilweise  der  Haferbau 
so  vorherrscht,  dafs  er  den  Anbau  von  Brotgetreide  überwiegt,  während 
er  im  anderen  Teile  hinter  dem  des  Brotgetreides  zurückbleibt  und  meist 
sogar  weit  zurückbleibt;  die  beiden  Gebiete  haben  auch  ganz  verschiedene 
Feldsysteme,  was  nicht  blofs  die  Folge  wirtschaftsgeschichtlichen  Zufalles  ist, 
sondern  auf  der  Anpassung  an  verschiedene  klimatische  Verhältnisse  beruht. 
Die  Maiszone  ist  von  der  Zone  des  Brotgetreides  eher  weniger  verschieden; 
da  der  Maisbau  in  Europa  meist  nur  neben  den  Weizenbau  tritt  und  das 
ganze  Wirtschaftssystem  sich  weniger  ändert, 

Ich  fasse  also  den  Begriff  der  Haferzone  in  engerem  Sinne  und 
beschränke  sie  auf  die  Gegenden,  in  denen  der  Anbau  des  Hafers  den  Anbau 
von  Brotgetreide  übertrifft,  der  jedoch  auch  fast  überall  vorhanden  ist  (vergl. 
die  rote  Grenzlinie  auf  T.  7).  Das  herrschende  Wirtschaftssystem  ist  die 
Feldgraswirtschaft,  und  man  könnte  die  Haferzoue  danach  vielleicht  auch 
als  die  Zone  der  Feldgraswirtschaft  bezeichnen.  Starker  Wiesenbau 
und  grofse  Ausdehnung  der  Ackerweide  und  des  Anbaus  von  Futterpflanzen 
bis  zum  Anderthalbfachen  und  Doppelten  der  Getreidefläche  und  in  Folge 
davon  umfangreiche  Viehhaltung,  insbesondere  Rind  Viehzucht  mit  Milchwirt- 
schaft sind  kennzeichnend,  während  die  Schweinehaltung  gering  ist.  Diese 
Form  der  Landwirtschaft  ist  eine  Anpassung  an  kühle  feuchte  Sommer  und 
ist  daher  in  Irland,  Schottland  und  dem  nördlichen  Teil  von  England,  in 


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Die  Landbauzonen  der  au TsertropiKchen  Länder. 


277 


den  friesischen  Marschen,  auf  der  cimbrischen  Halbinsel  uud  dem  gröfseren 
Teil  der  dänischen  Inseln  (mit  Ausnahme  von  Laaland  und  Falster),  im 
südlichen  Teil  von  Norwegen  und  Schweden,  in  der  südlichen  Hälfte  von 
Finnland  und  dem  Gebiet  der  groisen  Seen  sowie  in  verschiedenen  mittel- 
europäischen Gebirgen,  namentlich  den  Ardennen  und  Karpaton  und  vielen 
Alpenlandschaften,  entwickelt.  Manche  Länder  dieser  Zone,  besonders  Irland 
und  Süd -Norwegen  haben  einen  sehr  starken  Kartoffelbau.  Der  Flachsbau, 
der  sonst,  meist  sehr  zurückgegangen  ist,  hat  sich  im  nordöstlichen  Irland 
grofse  Bedeutung  bewahrt. 

Ein  wesentlich  anderes  Gepräge  trägt  die  Landwirtschaft  in  der  eigent- 
lichen Getreidebauzone  oder  Zone  des  vorherrschenden  Brotgetreides. 
Die  herrschenden  Feldsysteme  sind  hier,  je  nach  der  Kulturstufe,  Dreifelder- 
wirtschaft oder  Fruchtwechselwirtschaft,  Der  Getreidebau  und  zwar  der 
Anbau  der  Brotgetreide  steht  im  Vordergrunde  der  Landwirtschaft,  und 
wenn  in  Osteuropa  seine  Fläche  im  Verhältnis  zur  gesamten  landwirtschaft- 
lichen Fläche  teilweise  gering  ist,  so  kommt  das  nicht  auf  Rechnung  anderer 
Kulturen,  sondern  der  Brache,  die  bei  der  hier  noch  herrschenden  Dreifelder- 
wirtschaft grofse  Flächen  beansprucht.  Manche  Kulturen  sind  der  Haupt- 
sache nach  auf  diese  Zone  beschränkt.  So  z.  B.  der  Zuckerrübenbau,  dem 
in  der  Haferzone  der  Sommer  zu  kühl  ist,  der  aber  auch  die  Nachtfröste 
des  kontinentalen  Teiles  der  Getreidezone  nicht  verträgt;  er  beansprucht 
guten  Boden  und  intensive  Kultur;  seine  Hauptgebiete  sind  Flandern  und 
die  angrenzenden  Landschaften  Frankreichs  und  Belgiens,  Sachsen,  Schlesien, 
Böhmen,  Podolien.  Ferner  die  Gerste  in  der  Form  der  Braugerste,  haupt- 
sächlich in  trockenen  Gegenden.  Sodann  der  Tabak,  der  in  klimatisch 
begünstigten  Landschaften  mit  intensiver  Kultur  gebaut  wird. 

Je  nach  dem  vorherrschenden  Brotgetreide  kann  man  eine  Roggen-  und 
eine  Weizenzone  unterscheiden  (vergl.  T.  4). 

Der  Roggen zone  gehören  in  Westeuropa  nur  ein  Stück  der  Bretagne, 
ein  Stück  der  Gascogne  und  das  französische  Zentralplatcau  an.  Dagegen 
umfafst  sie  ganz  Mittel -Europa,  mit  Ausnahme  Belgiens  und  des  südlichen 
Teils  des  Oberrheingebietes,  eines  kleinen  Gebietes  in  Dänemark  und  Holstein 
und  des  nördlichen  Böhmens,  ferner  das  nördliche  und  mittlere  Rufsland 
südlich  bis  zu  einer  von  Karaenez  über  Saratow  und  Samara  nach  Ufa 
ziehenden  Linie.  Der  Weizen  fehlt  in  dieser  Zone  nicht,  hat  aber  teils 
unter  ungenügender  Sommerwärme,  teils  unter  der  Winterkälte  zu  leiden 
und  ist  deshalb  auf  die  besseren  Böden  beschränkt,  und  der  Winterweizen 
ist  aus  dem  nordöstlichen  Teil  des  russischen  Roggengebietes  ganz  aus- 
geschlossen CT.  3).  An  einigen  Stellen  der  Grenze  gegen  das  Weizengebiet, 
nämlich  in  Belgien,  Südwestdentschland  und  an  der  Wolga  wird  der  auch 
botanisch  zwischen  Roggen  und  Weizen  stehende  Spelz  oder  Dinkel  viel 
gebaut  (T.  5),  jedoch  geht  sein  Anbau  zurück.  An  einzelnen  Stellen  ist 
der  Gerstenbau  recht  bedeutend  (Taf.  6).  Der  Weinbau  sendet  Ausläufer  in  * 
dies  Gebiet. 

Auch  innerhalb  des  Roggengebietes  treten  uns  wieder  mehrere  verschie- 
dene Typen  der  Landwirtschaft  entgegen.     Im  mittleren  Rufsland,  südlich 


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278 


Alfred  Hettner: 


von  der  Grenze  der  subarktischen  Gerstenzone  etwa  bis  zu  einer  Linie,  die 
von  Königsberg  über  Moskau  nach  Perm  verläuft,  finden  wir  einen  besonders 
einseitigen  Getreidebau,  bei  dem  das  Getreide  (Roggen  und  Hafer)  trotz  der 
grofsen  Brache  über  die  Hälfte  der  gesamten  Ackerfläche  einnimmt.  Der 
Kartoffelbau  ist  hier  unbedeutend,  wohl  weil  sich  der  erst  spät  in  die  Kultur 
eingetretene  konservative  Russe  an  diese  überseeische  Pflanze  noch  nicht 
gewöhnt  hat;  eine  Anzahl  frostempfindlicher  Kulturen,  die  wir  südwärts  von 
der  genannten  Grenzlinie  antreffen,  wie  Winterweizen,  Buchweizen,  Hirse, 
Hanf,  Sonnenblume,  Tabak,  Zuckerrübe,  sind  hier  durch  das  Klima  aus- 
geschlossen. Auch  Pferdehaltung  und  Schweinezucht  zeigen  nördlich  von 
der  genannten  Grenzlinie  eine  plötzliche  Abnahme.  Neben  dem  Getreidebau 
ist  am  wichtigsten  der  Flachsbau,  was  damit  zusammenhängt^  dafs  die  klein- 
bäuerliche Bevölkerung  im  langen  harten  Winter  auf  industriellen  Neben- 
erwerb angewiesen  ist. 

In  dem  südlicheren  Teile  des  russischen  Waldgebietes,  in  dem  Übergangs- 
land zur  Grassteppe  und  auch  in  deren  nördlicherem  Teile  finden  wir  gleich- 
falls vorherrschenden  Anbau  von  Roggen  und  demnächst  von  Hafer,  aber 
der  Anbau  ist  doch  weniger  einseitig,  da  hier  auch  die  genannten  frost- 
empfindlichen Gewächse  gebaut  werden,  damit  eine  vermehrte  Schweine-  und 
Pferdehaltung  verbunden  ist,  und  auch  die  Schafzucht  hier,  wohl  der 
Zunahme  der  Grassteppe  entsprechend,  mehr  hervortritt. 

Wandern  wir  westwärts  nach  Deutschland,  so  fallt  uns  im  Gegensatz 
zu  Rufsland  vor  allem  der  starke  Kartoffelba*  auf,  der  im  allgemeinen, 
wegen  der  geringen  Transportfähigkeit  der  Kartoffel,  in  den  dichtbevölkerten 
Landschaften  am  gröfsten  ist,  aber  auch  im  nordöstlichen  Deutschland  sehr 
beträchtlich  ist,  weil  er  hier  die  Grundlage  der  Branntweinbrennerei  bildet. 
In  Norddeutschland  werden  aufserdem  besonders  Erbsen  und  Pferdebohnen, 
im  feuchteren  Westen  Buchweizen  und  Flachs  gebaut.  Weizen  ist  auf  be- 
sonders gute  Böden  beschränkt,  der  Roggen  herrscht  durchaus  vor.  Nach 
Süden  nimmt  der  Anbau  des  Weizens  allmählich  zu,  im  südwestlichen  Deutsch- 
land wird  auch  viel  Spelz  gebaut,  und  im  südlichen  Teil  des  Oberrheinlandes 
betreten  wir  die  eigentliche  Weizenzone,  in  der  der  Anbau  des  Weizens  den 
des  Roggens  übertrifft  und  überhaupt  die  wichtigste  Halrafrucht  ist.  In  Süd- 
deutschland oder  wenigstens  in  seinen  wärmeren  Teilen  finden  wir  auch  stärkeren 
Anbau  von  Handelsgewächsen:  Braugerste,  Hopfen,  Wein,  Tabak,  Hanf  u.  a. 

Die  Weizenzone  liegt  westlich  und  südwestlich  von  der  Roggenzone; 
denn  sie  urnfafst  das  Flachland  des  südöstlichen  Englands  (die  sog.  Com 
CounHcs),  den  gröfseren  nördlichen  Teil  Frankreichs,  mit  Ausnahme  eines 
Teiles  der  Bretagne  und  des  Zentralplateaus,  und  das  südwestliche  Deutsch- 
land. Sie  wird  klimatisch  durch  die  etwas  gröfsere  und  gleichmäfsigere 
Feuchtigkeit  und  mehr  noch  durch  die  milderen  Winter  und  die  Freiheit 
von  längerer  Schneebedeckung  charakterisiert.  Darum  kann  der  empfind- 
lichere aber  ertragreichere  Weizen  den  Roggen  ersetzen,  während  für  erfolg- 
reichen Maisbau  die  Sommerwärme  noch  nicht  genügt.  Darum  kann  auch 
die  Schafzucht  in  gröfserem  Umfange  betrieben  werden,  weil  die  Über- 
winterung keine  Umstände  und  Kosten  verursacht, 


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Die  Landbauzouen  der  au fsertropischeu  Länder. 


1>79 


Der  englische  Anteil  zeigt  manche  Besonderheiten,  die  teils  mit  dem 
gemäfsigten  Klima,  teils  mit  der  eigentümlichen  wirtschaftlichen  Entwicke- 
lung  zusammenhängen;  am  auffallendsten  sind  das  Fehlen  des  Weins,  dem 
der  Sommer  zu  kühl  und  feucht  ist,  und  der  Zuckerrübe,  die  wohl  wegen 
der  Billigkeit  des  Kolonialzuckers  nicht  gebaut  wird,  der  stärkere  Anbau 
der  Gerste,  der  Hülsenfrüchte,  der  Futterrüben,  der  ausgedehntere  Wiesen- 
bau, die  stärkere  Betonung  und  grofse  Pflege  der  Viehzucht,  namentlich 
der  Schafzucht,  die  jetzt  nicht  mehr  wie  früher  auf  Woll-,  sondern  auf 
Fleischgewinnung  gerichtet  ist  In  Frankreich  sondern  sich  die  nördlichen 
Küstenlandschaften,  in  denen  wegen  der  kühleren  Sommer  (Mitteltcmperatur 
des  Juli  unter  19°)  Mais  und  Wein  nicht  fortkommen,  in  denen  daher 
Apfelwein  (Cider)  das  Volksgetränk  ist,  von  dem  größeren  südlichen  Teile 
mit  Mais-  und  Weinbau  ab. 

Je  weiter  nach  Süden,  um  so  mehr  nehmen  Mais-  und  Weinbau  zu, 
während  der  Haferbau  nachläfst,  und  so  kommen  wir  in  allmählichem  Über- 
gange in  das  Maisgebiet,  in  der  der  Mais  den  Hafer  als  Futtergewächs 
ersetzt,  auch  ein  wichtiges  Nahrungsmittel  wird  und  teilweise  in  gröfserem 
Umfange   als  der  Weizen  angebaut   wird.     Ob  man  es  der  Getreidezone 
unterordnen    oder   gleichberechtigt    neben   sie   stellen  will,   ist  schliefslich 
gleichgiltig;  keinesfalls  aber  kann  ich  Engelbrecht  darin  beistimmen,  dafs  er 
dies  Gebiet  als  eine  zusammenhängende  Zone   auffalst    (T.  l).    Die  Be- 
dingung des  Maisbaues  ist  hohe  Sommerwärme  verbunden  mit  reichlicher 
Feuchtigkeit,  die  ja  gelegentlich  auch  durch  künstliche  Bewässerung  beschafft 
werden  kann,  im  allgemeinen  aber  reichliche  Sommerregen  erfordert.  Der 
Maisbau  ist  daher  im  ganzen  an  die  südliche  Grenze  der  gemäfsigten  Zone 
gebunden,  vermeidet  aber  ausgesprochen  ozeanische  Klimate   wegen  ihrer 
kühlen  Sommer,  und  tritt   auch  in  der  europäischen  Subtropenzone ,  für 
die  ja  Regenarmut  des  Sommere  charakteristisch  ist,  nur  untergeordnet  auf. 
Ob  das  nördliche  und  nordwestliche  Spanien  mit  seinem  milden,  aber  aus- 
gesprochen ozeanischen  Klima  von  Engelbrecht  mit  Recht  zum  Maisgebiete 
gerechnet  wird,  ist  mir  zweifelhaft;  ich  vermute,  dafs  thatsächlich  ihm  auf  der 
spanischen  Halbinsel  nur  das  nördliche  Portugal  und  die  baskischen  Provinzen 
angehören.    An  sie  schliefst  sich  das  aquitanische  Maisgebiet  an.  Starken 
Maisbau  finden  wir  weiter  in  der  Tiefebene  der  Saone,  wo  er  jedoch  hinter 
dem  Haferbau  zurückbleibt,  im  nördlichen  Teil  der  Poebene,  wo  die  Mais- 
grütze (Polenta)  eines  der  wichtigsten  Nahrungsmittel  ist,  und  vielen  der 
grofsen  Alpenthäler,  dann  in  Kroatien   und   Slavonien,  Serbien,  dem  süd- 
östlichen  Ungarn   und    Siebenbürgen,   Rumänien,    dem    westlichen  Trans- 
kaukasien  (Kolchis).    Der  Mais  wird  vielfach  von  der  Hirse  begleitet,  und  auch 
der  Anbau  der  frostempfindlichen  Krupbohne  (Phasrolus)  fällt  grol'senteils  in 
dies  Gebiet.    In  der  oberitalienischen  Tiefebene  mit  ihren  ausgedehnten  Be- 
wässerungsanlagen wird  auch  Reis  gebaut;  nördlich  vom  Po  hat  auch  der 
Wiesenbau  mit  Viehzucht  ziemliche  Bedeutung.     Im  ganzen  aber  tritt  die 
Milchwirtschaft  im  Maisgebiet  zurück,  während  die  Schweinezucht  oft  recht 
stark  ist. 

Im  Südosten  grenzt   die  Zone   des  Brotgetreides   oder   spezieller  die 


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'JSO    Alfred  Hettncr:  Die  Landbauzonen  der  aufaert römischen  Länder. 

Roggenzone  an  das  südosteuropäisch-asiatische  Steppengebiet.  Dieses 
gehört  seinen  Temperaturverhältnissen  nach  noch  zur  gemäfsigten  Zone  und 
unterscheidet  sich  von  jenem  nur  durch  die  geringere  Feuchtigkeit  und,  im 
Zusammenhang  damit,  die  andere  Bodenbeschaflenheit.  Ihm  gehören  der 
gröfsere  Teil  der  ungarischen  Pulsten,  wenngleich  sie  eine  Zwischenstellung 
einnehmen,  und  namentlich  das  südliche  Rufsland  etwa  südlich  von  der  bei  der 
Roggenzone  angegebenen  Grenzlinie  an.  Es  ist  lange  im  Besitz  nomadisierender 
Hirtenvölker  gewesen,  und  der  Anbau  trat  neben  der  Steppenviehzucht  zurück. 
In  Ungarn  hat  die  Kultur  schon  gröfsere  Fortschritte  gemacht,  aber  in  Süd- 
Rursland  herrscht  auch  heute  noch  wilde  Feldgraswirtschaft  vor,  und  es 
erklärt  sich  daraus  die  grofse  Ausdehnung  der  Brache,  die  vielfach  gröfser 
als  die  gesamte  Fläche  der  Halmfrüchte  ist.  Während  weiter  nördlich 
Roggen  das  vorherrschende  Brotgetreide,  Hafer  das  vorherrschende  Futter- 
getreide ist,  tritt  hier  an  die  Stelle  des  Roggens  der  Weizen  und  zwar  der 
Sommerweizen,  weil  der  lange  kalte  Winter  den  Anbau  des  Wrinterweizens 
nicht  zuläl*st,  an  die  Stelle  des  Hafers,  der  die  Hitze  und  Dürre  des  Vor- 
und  Hochsommers  nicht  verträgt,  die  Gerste,  die  sich  der  Trockenheit  besser 
anzupassen  vermag.  Der  Mais,  der  ja  weiter  westlich  in  gleicher  Breite 
angebaut  wird  und  auch  nach  Ungarn  hineinreicht,  findet  in  den  süd- 
russischen Steppen  nicht  die  genügende  Feuchtigkeit.  Nicht  unwichtig  ist 
der  Anbau  von  Hirse  und  Lein,  den  man  hier  aber  nicht  seiner  Fasern, 
sondern  seiner  ölreichen  Samen  wegen  baut  Eigentümlich  ist  der  Anbau 
von  Melonen  als  Feldfrucht;  auch  die  Weinrebe  gedeiht  stellenweise,  dagegen 
können  die  Baumkulturen  den  kalten  Winter  nicht  vertragen.  Überraschend 
erscheint  (T.  32)  in  diesem  trockenen  Lande  die  ziemlich  grofse  Ausdehnung 
der  Wiesen;  es  sind  aber,  wie  Engelbrecht  betont,  keine  eigentlichen,  saftigen 
Wiesen,  sondern  Steppen  mit  zerstreut  wachsenden  hohen  und  harten  Gräsern, 
die  sich  zur  Futtergewinnung  wenig  eignen,  von  denen  aber  der  Getreidebau 
noch  nicht  Besitz  ergriffen  hat.  Sie  bilden  auch  heute  noch  die  Stätte  der 
Schaf-,  im  östlichen  Teile  auch  der  Kamelzucht. 

Im  ganzen  schliefst  sich  das  besprochene  Gebiet  also  noch  an  die 
Ackerbau-  oder  Getreideländer  Europas  an.  Dagegen  zeigen  die  sttdeuropäischen 
Länder  oder  genauer  die  südeuropäischen  Küstenlandschaften  ein  anderes 
Gepräge.  In  Bezug  auf  die  sommerliche  Trockenheit  stimmen  sie  allerdings 
mit  den  südosteuropäischen  Steppenländern  überein,  dagegen  unterscheiden 
sie  sich  von  ihnen  durch  ihre  milden  Winter,  welche  immergrünen  Baum-  und 
Strauchwuchs  erlauben.  Darum  sind  für  dies  Gebiet  die  Baumkulturen,  in 
erster  Linie  die  Kultur  des  Ölbaums,  besonders  charakteristisch;  man  wird 
das  Auftreten  dieser  Kulturen  (vergl.  T.  24)  am  besten  zur  Abgrenzung  des 
Gebietes  benutzen,  und  wird  dieses  auch  zweckmäfsig  als  die  Zone  der 
Baumkult  uren  oder  die  Oliven zone  bezeichnen  können,  denn  die  Verschieden- 
heiten von  der  Wüste  mit  ihren  Oasenkulturen  sind  doch  zu  grofs,  als  dafs 
ich  mich  mit  Engelbrecht's  Zusammenfassung  beider  Zonen  zu  einer  Gersten- 
zone (S.  256)  befreunden  könnte.  Der  Ackerbau  erfordert  allerdings  auch 
hier  meist  künstliche  Bewässerung.  Das  wichtigste  Getreide  ist  der  Weizen, 
aber  im  Gegensatz  zum  südrussischen  Steppengebiet  kann  man  hier  natürlich 


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Kleinere  Mitteilungen. 


281 


Winterweizen  bauen.  Die  Ähnlichkeit  mit  jenem  besteht  hauptsächlich  darin, 
dafs  die  Gerste  das  hauptsachliche  Futtergewächs  ist  und  besonders  das 
landesübliche  Pferdefutter  liefert.  Nur  hier  und  da,  wo  reichlichere  Feuchtig- 
keit zur  Verfügung  steht,  wird  auch  Mais  und  an  einzelnen  Stellen  Reis 
gebaut.  Eine  ziemlich  grofse  Rolle  spielen  die  Hülsenfrüchte.  In  den 
Küstenlandschaften  übertreffen  die  Weinberge  manchmal  die  Getreidefläche 
an  Ausdehnung.  Dagegen  verhindert  die  Trockenheit  des  Sommers  saftigen 
Graswuchs  und  beschränkt  dadurch  die  Rindviehhaltung,  besonders  die  Milch- 
wirtschaft. Die  Butter  wird  deshalb  hier  durch  das  öl  ersetzt.  Mit  der 
Trockenheit  hängt  auch  der  starke  Bestand  an  Eseln  und  Maultieren  zu- 
sammen, der  den  Pferdebestand  übertrifft.  Die  Ziegen  haben  in  dieser 
Zone  ihr  Hauptgebiet;  sie  weiden  besonders  in  den  immergrünen  Gebüschen 
(Maquis)  und  bilden  ein  Haupthindernis  der  Wiederbewaldung.  Auch  die 
Schafzucht  ist  sehr  bedeutend,  besonders  in  den  trockeneren  Binnenlandschaften 
der  spanischen  Halbinsel  wie  der  Balkanhalbinsel  und  Kleinasiens.  Stärkere 
Schweinezucht  ist  dagegen  auf  die  Bergwälder  beschränkt,  wo  Kastanien  und 
Eicheln  ein  gutes  Futter  geben.  (Schilift  folgt.) 


Kleinere  Mitteilungen. 

Vorläufige  Ergebnisse  der  8.  allgemeinen  sehnjährigen  Volkssählung 
im  Königreich  der  Niederlande  vom  31.  Dezember  1899. 

Die  Zahl  der  Gemeinden  mit  über  20  000  Einwohnern1)  ist  in  der 
Zeit  vom  31.  12.  1881)  bis  31.  12.  1899  von  21  auf  24  gestiegen; 
Nieuwer-Amstel,  welches  1889:24  903  Einwohner  zählte,  ist  durch  Ein- 
gemeindung eines  Teiles  in  Amsterdam  wieder  aus  der  Reihe  der  Gemeinden  mit 
über  20  000  Einwohnern  ausgeschieden;  Gouda,  fApeldoorn,  Zaandam  und 
*|"Enschede  sind  hinzugekommen.  Eingemeindungen  fanden  seit  1889  bei 
*  Amsterdam  (1896:  Teile  von  Nieuwer-Amstel,  Sloten  und  Diemen), 
♦Rotterdam  (1895:  Kralingen  und  Charlois),  *Utrecht  (1896:  Teile  von 
De  Bilt,  Jutphaas  und  Oudenrijn)  und  *  Leiden  (1896:  Teile  von  Leiderdorp, 
Oegstgeest  und  Soeterwoude)  statt.  Im  Bezug  auf  die  (absolute)  Einwohner- 
zahl, welche  uus  der  obenstehenden  Liste  zu  ersehen  ist,  haben  sich  f  Tilburg 
und  Dordrecht  durch  Nijmegen,  's  Hertogenbosch  durch  Zwolle,  Helder  durch 
Breda  und  fApeldoorn,  Gouda  durch  fApeldoorn  und  f Enschede,  Zaandam 
durch  f  Enschede  überflügeln  lassen. 

Den  höchsten  Prozentsatz  in  der  Bevölkerungszunahme  von  1889 — 99 
erreichen  die  Gemeinden  f Enschede  (59,91  %)  und  *Rotterdam  (57,77), 
bei  welch  letzterer  jedoch  der  eingetretene  Gemeindezuwachs  zu  berücksichtigen 
ist.  Über  30%  Z  imahme  zeigen  die  Gemeinden  Zaandam  (38,31)  fApel- 
doorn (33,65),  Nijmegen  (33,19)  und  's  Gravenhage  (31,38).  Über  20°/,, 
hat  die  Gemeinde  Haarlem  (26,87),  sodann  die  drei  anderen  Gemeinden,  bei 
denen  Einverleibungen  in  Betracht  kommen,  nämlich  *Amsterdam  (25,19), 


1)  *  Seit  1889  durch  Eingemeindungen  vergrölsert.  —  t  Der  namengebende 
Wohnplatz  der  Gemeinde  ist  nur  ein  klemerer  Bestandteil  derselben. 

4 


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282  Kleinere  Mitteilungen. 


Ciemeinden  mit  über  20000  Einwohnern1). 


- 

's 

- 

Bevölkerung 

Bevölkerung 

Zun  a)i  nie 

a  e  e 

V  =  3 

* 

i4 

Gemeinde 

Provin« 

Sl.  12 

Sl.  lt. 

Ii 

1899  •) 

1889') 


in  % 

1 

1 

•Amsterdam  .  .  . 

N.-H. 

610  850 

408  061 

25,19 

2 

2 

•Rotterdam  .  .  . 

Z.-H. 

318  468 

201  858 

67,77 

3 

3 

's  Gravenhage.  . 

Z.H. 

206  023 

156  809 

31,38 

4 

♦Utrecht  

ü. 

102  085 

84  346 

21,08 

5 

5 

Groningen   .  .  . 

Gr. 

66  6H7 

56  038 

18,74 

G 

6 

Haarlem  .... 

N.-H. 

64  069 

50  500 

26,87 

7 

7 

Arnhem  .... 

Gd. 

66  812 

49  727 

14,25 

8 

8 

•Leiden  

Z.H. 

63  658 

43  379 

23,70 

9 

11 

Nijmegen .... 
fTüburg  

Gd. 

42  766 

32  101 

83,19 

10 

9 

N.-B. 

40  628 

38  905 

19,83 

11 

10 

Dordrecht    .  .  . 

Z.-H. 

38  386 

32  622 

17,66 

12 

12 

Maastricht  .  .  . 

L. 

34  339 

82  078 

7,05 

13 

13 

Leeuwarden    .  . 

F. 

32  162 

30  433 

6,68 

14 

14 

Delfl  

Z.-H. 

31  682 

28  458 

10,98 

15 

16 

Zwolle  

0. 

30  560 

26  384 

15,83 
12,45 

16 

15 

s  Hertogenbosch 

N.-B. 

OVJ  Oll 

27  1 Hfl 

17 

17 

Schiedam  .... 

Z.-H. 

27  126 

25  633 

6,24 

18 

18 

Deventer  .... 

0. 

26  212 

22  914 

14,39 

19 

20 

N.-B. 

26  097 

22  176 

17,68 

20 

22 

fApeldoorn   .  .  . 

Gd. 

SO  1  Ol 

1»  Z7Ö 

oo,Ou 

21 

19 

Heldcr  

N.-H. 

26  169 

22  221 

13,22 

22 

24 

fEnschede  .... 

0. 

24  352 

15  229 

69,91 

23 

21 

Gouda   

Z.-H. 

22  084 

19  704 

12,08 

24 

23 

Zaandam  .... 

N.-H 

21  146 

15  282 

38,81 

24  Gemeinden  mit  (1899)  über  20  000  Einw.** 

1  857  369 

1  466  171 

27,66 
6,26 

1097 

II 

„     „  unter 

•* 

3  246  665 

3  056  244 

1121*» 

Gemeinden   des    Königreichs  der 

5  103  924 

4  611  416 

13,18 

*•  1899  zwei  Gemeinden  weniger  als  1889  (1123  Gemeinden),  da  Kralingen  und 
Charlois  1895  Rotterdam  einverleibt  wurden.  Die  Bevölkerungszahlen  von  1889  für 
die  24,  bezw.  1097  Gemeinden  würden  durch  Berücksichtigung  dieser  und  der  anderen 
Eingemeindungen  erhöht,  bezw.  erniedrigt  werden;  die  entsprechenden  Zahlen  für  die 
Zunahme  1889 — 99  würden  umgekehrt  niedriger,  bezw.  höher  ausfallen.  Bei  alleiniger 
Berücksichtigung  der  Veränderungen  der  Gemeinde  Rotterdam  ergeben  sich  schon 
die  Zuwachszahlen  26,04%  statt  27,55° L  und  6,32%  statt  6,26%.  Bei  den  Zahlen 
der  Provinz  Zuidholland  wird  bei  Berücksichtigung  der  Gebietserweiterung  Rotter- 
dams der  Anteil  der  Geineinden  von  über  20  000  Einwohnern  für  1889  von  53,63% 
auf  66,62%  erhöht,  die  Zunahme  der  Gemeinden  mit  über  20  000  E.  von  37,17% 
auf  29,69%  erniedrigt,  die  der  Gemeinden  von  unter  20  000  E.  von  1,31  auf  8,52% 
erhöht.   In  den  Talwllen  sind  die  ersteren  Zahlen,  im  Text  die  letzteren  angegeben. 

♦Leiden  (23,70)  und  *Utreeht  (21,03).  Die  übrigen  Gemeinden  mit  über 
20  000  Einwohnern  liegen  zumeist  zwischen  10  und  20%,  nämlich  fTilburg 
(19,83),  Groningen  (18,74),  Breda  (17,68),  Dordrecht  (17,66),  Zwolle  (15,83), 
Deventer  (14,39),  Arnhem  (14,25),  Helder  (13,22),  's  Hertogenbosch  (12,45), 
Gouda  (12,08)  und  Delft  (10,98).  Unter  10%  Zunahme  halten  sich  nur 
Maastricht  (7,05),  Schiedam  (6,24)  und  Leeuwarden  (5,68). 

Bei  fast  allen  Gemeinden  mit  über  20  000  Einwohnern  hat  der  Wohn- 


1)  JaarcijferB  voor  het  Koningrijk  der  Nederlanden.  Rijk  in  Europa  1899. 
Bewerkt  door  het  Centraal  Bureau  voor  de  Statistiek  ('s  Gravenhage  1900).    S.  18. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


283 


platz,  welcher  der  Gemeinde  den  Namen  giebt,  den  Hauptanteil  an  der 
Bevölkerungszahl;  ein  kleinerer  Bestandteil  ihrer  Gemeinde  sind  nur  die 
Orte  fEnschede  (18891)  etwa  7/l5),  fTilburg  (18891)  etwa  %ß)  und  f  Apel- 
dorn (1886 8)  etwa 

Zählt  man  zu  der  Einwohnerzahl  von  Rotterdam  vom  Jahre  1889 
(201  858  Einw.)  die  Einwohnerzahlen  vom  Jahre  1889  der  dieser  Gemeinde 
1895  angegliederten  ehemaligen  Gemeinden  Kralingen  (10  706  Einw.)  und 
Charlois  (18  593  Einw.)  hinzu,  so  ergiebt  sich  für  die  Gemeinde  Rotterdam 
nach  ihrem  Umfang  von  1899  eine  Zunahme  1889 — 99  von  nur  37,77  %, 
sodafs  sie  erst  an  dritter  Stelle  steht.  Auch  viele-  andere  Zahlen  der  nach- 
folgenden Tabellen  werden  hierdurch  beeinflufst. 


Verteilung  der  Gemeinden  auf  die  Provinzen. 


A 

n*ahl 

der  Gemeinden  mit 

1  l 

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1  M' 

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Provinzen  *) 

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Ii* 

Zuidholland    .  .! 

Ii 

i 

s 

2 

3 

16 

60 

59 

37 

6 

IHK 

16,1 

Noordholland 

i 

2 

5 

11 

40 

45 

24 

5 

134 

20,7 

Drente      .   .   .   .  . 

4 

3 

21 

6 

_ _ 

34 

78,3 

Utrecht  .... 

i 

1 

4 

19 

21 

17 

"9 

72 

Ii»  .2 

Overijssel    .  .  . 

1 

ft2 

4 

17 

22 

9 

6 

61 

54,8 

Gelderland  .  .  . 

i 

1 

ttl 

6 

22 

60 

24 

7 

4 

116 

43,8 

Limburg  .... 

1 

— 

! 

10 

25 

47 

30 

8 

123 

17,9 

Groningen   .  .  . 

i 

1  1 

33 

9 

57 

40,3 

Noordbrabant  .  . 

2 

ttl 

4 

16 

62 

56 

32 

11 

184 

27,9 

Zeeland  .... 

2 

4 

26 

38 

34 

5 

109 

16,4 

Kriealand.    .  .  . 

1 

12 

19 

6 

2 

43 

77,2 

Niederlande  *) .  . 

(     «     r  • 

4 

4 

4 
4 

8 
8 

8 
8 

46 

u 

133 
133 

364 

365 

316 
315 

MM 

IM 

Ii" 

46 

1121 

1121) 

29,4 

•ft  Der  namengebende  Wohnplatz  je  einer  der  betreffenden  Gemeinden  ist  nur 
ein  kleinerer  Bestandteil  derselben  (nur  bei  den  Gemeinden  mit  über  20  000  Ein- 
wohnern angegeben). 


In  der  Bevölkerungsdichtigkeit  der  Provinzen  hat  sich  seit  1889,  ab- 
gesehen von  der  Erhöhung  derselben  bei  allen,  eine  Verschiebung  in  der 
Reihenfolge  bei  Noordbrabant  und  Friesland  vollzogen,  indem  letztere  infolge 
der  aufserordentlich  geringen  Zunahme  (1,40%)  von  ersterer  (8,68%)  über- 
holt ist  und  die  Provinz  Overijssel  (12,83%)  nur  um  ein  Geringes  übertrifft, 
gegen  welche  Drente  als  letzte  dann  allerdings  weit  zurücksteht.  Die  Zunahme 
seit  1889  beträgt  bei  dem  ganzen  Lande  13,13%.  Die  drei  Marschenprovinzen 
Zuidholland,  Noordholland  und  Utrecht,  deren  Areal  zu  50%  oder  darüber 
der  Wiesenwirtschaft  angehört,  deren  Bevölkerung  1889  sowohl  wie  1899 


1)  Wagner  und  Supan,  Die  Bevölkerung  der  Erde  IX.  Ergänzungshef't  107  zu 
Petermann'B  Mitteilungen  (Gotha  1893).    S.  41. 

2)  Penck,  Das  Königreich  der  Niederlande.  (Unser  Wissen  von  der  Erde  II,  1,2). 
8.  494. 

8)  Nach  den  Einwohnerzahlen  in  „Nederlandsche  Staatscourant"  1900,  224, 
Bijvoegsel  (7  Seiten). 

4)  Nach  der  Angabe  in  „Nederlandsche  Staatscourant44  1900,  231  ,  Bijvoegsel, 
S.  3  und  Jaarcijfers  u.  s.  w."  8.  4,  welcher  wohl  berichtigtes  ürmaterial  zu 
Grunde  liegt. 


2H4 


Kleinere  M i 1 1  ei  | u n g en. 


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Bevölkerungsverhaltnisse  der  Provinzen. 


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Berftlkerung 


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31.  18.  UM*] 


31   18.  188»') 


Bevöl  kerungsdichte 


1 
2 
8 
4 
5 
6 
7 
8 
9 
10 
11 


Zuidholland 
Noordholland 
Utrecht.  .  . 
Groningen 
Limburg  .  . 
Zeeland.  .  . 
Gelderland  . 
Noordbrabant 
Krieslnnd  . 
Overijssel  . 
Drente  .  . 


3  022 

2  770 
1384 
2298 
2204 
1786 
6  081 
5128 

3  320 
3345 
2  663 


1  144  401 

968  105 
251  034 
299  604 
281  951 
216  293 
666  549 
553  845 
340  263 
383  337 
148  642 


949  641 
829  489 
221  007 
272  786 
255  721 
199  234 
612  202 
509  628 
336  558 
295  446 
130  704 


378,7 
349,5 
181,4 
130,4 
127,1» 
121,2 
111,5 
108,0 
102,5 
99,7 
65,8 


314,2 
299,5 
169,7 
118,7 
116,0 
111,6 
100,8 
99,4 
101,1 
88,3 
49,1 


20,51 
16,71 
13,59 

9,83 
10,26 

8,56 
10,61 

8,68 

1,40 
12,83 
13,66 


Niederlande 


33  000 


6  103  924») 


4611  416 


154,7 


136,7 


13,13 


t  3» 

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III 


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2 
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Bevölkerung 
der  Gemeinden  mit 

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Zu  null  im- 1!  Bev. 
(1889—9*  in  %) 
der  Gem.  mit 


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Kinw.  Kinw. 


Zuidholland" 
Noordholland 
Drente  .  .  .  . 
Utrecht    .  .  . 
Overijssel    .  . 
Gelderland  .  . 
Limburg  .  .  . 
Groningen  .  . 
Noordbrabant 
Zeeland  .  .  . 
Friesland    .  . 


Niederlande" 


•2.3.  *8.  11.  14.  17.  23 
*1.  6.  21.  f24. 

•4. 

16.  18.  t22. 
7.  f9.  20. 
12. 

5. 

10.  16.  19. 
13. 


1—24. 


60,93 
64,17 
0,00 
40,67 
24,30 
22,12 
12,18 
22,21 
17,66 
0,00 
9,46 


36,39 


53,53 
59,80 
0,00 
38,16 
21,84 
19,74 
12,54 
20,54 
16,33 
0,00 
9,07 


32,28 


20,61 
16,71 
13,65 
13,59 
12,83 
10,61 
10,26 
9,83 
8,68 
8,66 
1,40 


13,13 


37,17 
25,23 

21,03 
26,70 
23,96 
7,06 
18,74 
16,85 

5,68 


27,65 


1,31 
4,04 

13,65 
8,99 
9,22 
7,33 

10,72 
7,53 
7,08 
8,56 
0,98 


6.26 


zu  einem  erheblichen  Prozentsatz  (1899:  60,93,  64,17  und  40,67%)  in 
Gemeinden  mit  über  2O000  Einwohnern  (darunter  die  vier  Gemeinden  mit 
über  100  000  Einwohnern)  wohnte,  zeigen  einerseits  die  höchste  Bevölkerungs- 
dichte (378,7,  349,5  und  181,4%),  eine  höhere,  als  die  Gesamtheit  der 
Niederlande  (154,7)  hat,  und  haben  andererseits  alle  eine  Zunahme  der 
Bevölkerung  188H — 99,  welche  ebenfalls  über  dem  Mittel  des  Königreichs 
liegt.  Zur  Provinz  Zuidholland  gehören  die  Handelsstädte  *  Rotterdam 
(37,77%)  und  Dordrecht  (17,66%),  die  Residenz  's  Gravenhage  (31,38%) 
und  die  Industriestädte  »Leiden  (23,70),  Delft  (10,98),  Schiedam  (6,24) 
und  Gouda  (12,08);  sie  betragen  60,93%  der  Gesamtbevölkerung  der  Provinz 

1)  Amtliche  Berechnung  vom  Jahre  1879,  mit  Ausschluß»  der  Zuidersee  und  der 
Watten  (5250  qkm)  und  des  niederländischen  Anteils  am  Dollard  (96  qkm);  nach 
Supan,  Die  Bevölkerung  der  Erde  X.  Erganzun£nheft  130  zu  Petermann's  Mitteilungen 
(Gotha  1899).    S.  25. 

2)  Jaarcijfers  u.  8.  w.    S.  2. 

3)  Ausschließlich  158  Seelen,  deren  Gemeindezugehörigkeit  nicht  festgestellt 
werden  konnte. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


285 


und  haben  eine  mittlere  Zunahme  von  29,69%**,  während  die  der  kleineren 
Gemeinden  8,52%**  beträgt.  Zu  Noordholland  zählt  die  Haupt-,  Handels- 
und Industriestadt  *  Amsterdam  (25,19%),  die  Industrie-  und  Blumenstadt 
Haarlem  (26,87),  die  mühlenumgebene  Industriestadt  Zaandam  (38,31%)  und 
die  Handels-  und  Hafenstadt  Helder  (13,22);  bei  einem  Anteil  von  64,17% 
an  der  Provinzbevölkerung  und  einer  Zunahme  der  Gesaratbevölkerung  von 
16,71%  ist  die  mittlere  Zunahme  dei  gröfseren  Gemeinden  25,23%,  die  der 
kleineren  4,04.  Die  Provinz  Utrecht  schliefslich  hat  nur  einen  gröfseren 
Ort,  die  gleichnamige  Handels-  und  Vorkehrsstadt  *  Utrecht,  welche  40,67% 
der  Provinzbevölkerung  beträgt  und  eine  Zunahme  von  21,03%  aufweist, 
während  die  übrige  Bevölkerung  der  Provinz  eine  solche  von  8,99%,  die 
ganze  Provinz  eine  solche  von  13,59%  hat.  Die  Anziehungskraft  der  grofsen 
Städte  macht  sich  bei  diesen  drei  Provinzen  sehr  stark  geltend.  Bei  einem  Zu- 
wachs der  Bevölkerung  der  kleineren  Gemeinden  von  8,52%,  4,04%  und  8,99%, 
zeigen  die  grofsen  Gemeinden  einen  solchen  von  29,69%**),  25,23%  und  21,03%. 

Die  vierte  Marschenprovinz,  Zeeland,  deren  Charakter  durch  das  Vor- 
herrschen der  Feldwirtschaft  bedingt  wird,  hat  infolge  des  Mangels  gröfserer 
Städte  eine  niedrigere  Volksdichte  als  die  anderen,  ist  jedoch  an  Zunahme  der 
Bevölkerung  (8,56%)  der  Zunahme  der  Bevölkerung  der  Gemeinden  mit  unter 
20  000  Einwohnern  der  Provinzen  Utrecht  (8,99)  und  Zuidholland  (8,56) 
fast  gleich,  während  sie  gerade  infolge  dieses  Mangels  die  entsprechende  Zahl 
der  Provinz  Noordholland  (4,04)  bedeutend  übertrifft.  Alle  vier  Marschen- 
provinzen zeichnen  sich  durch  Kleinräumigkeit  der  Gemeinden  aus.  Zuid- 
holland hat  eine  mittlere  Arealgröfse  der  Gemeinden  von  16,1  qkm,  Zeeland 
von  16,4  qkm,  Utrecht  von  19,2  qkm  und  Noordholland  von  20,7  qkm. 
Bei  der  Provinz  Utrecht  macht  sich  die  Beteiligung  der  Geest  an  der 
Zusammensetzung  des  Areals  schon  bemerkbar,  bei  Noordholland  kommen  die 
durch  Trockenlegungen  entstandenen  Gemeindeflächen  zur  Geltung1).  Die  Provinz 
Limburg  steht  unter  den  anderen  allein  an  mittlerem  Gemeindeareal  auf  der- 
selben Stufe  (17,9)  mit  den  Marschenprovinzen.  —  Ahnlich  sind  sich,  trotz 
entgegengesetzter  geographischer  Lage  und  zum  Teil  verschiedenartiger  Ver- 
hältnisse, im  Bezug  auf  die  Bevölkerungsdichte  wie  -zunähme  die  Provinzen 
Groningen  und  Limburg,  welche  beide  hauptsächlich  unter  dem  Zeichen  der 
Feldwirtschaft  stehen  und  zum  Teil  der  Geestlandschaft  angehören.  An 
gröfseren  Gemeinden  hat  Groningen  nur  die  Verkehrs-  und  Industriestadt 
Groningen  (18,74%  Zunahme),  Limburg  nur  die  Handels-  und  Industriestadt 
Maastricht  (7,05%  Zunahme),  ersteres  22,21%,  letzteres  12,18%  der  betr. 
Provinzbevölkerung.  Die  Zunahme  der  Hestbevölkerung  (7,53  und  10,72%) 
läfst  wohl  auch  das  Wechselspiel  zwischen  Anteil  der  gröfseren  Gemeinden 
an  der  Gesamtbevölkerung  und  dem  Zudrang  zu  denselben  einerseits  und 
Zunahme  der  kleineren  Gemeinden  andererseits  durchscheinen.  Die  Höhe  der 
mittleren  Gemeindegröfse  bei  Groningen  (40,3  qkm)  giebt  einen  weitereu 
Anhalt.  —  Gelderland  mit  seinen  Flufsmarschen  (Betuwe),  Seemarscheu  und 
seinem  Anteil  an  der  Geestlandschaft  (Veluwe),  Ackerland,  Wiesen  und  un- 
bebautes Land  zu  gleichen  Teilen,  hat  bei  einer  Dichte  von  111,5  Einwohnern 
auf  1  qkm  eine  Gesamtzunahme  der  Bevölkerung  von  10,61%;  die  beiden 
Verkehrs-  und  Industriestädte  Arnhem  (14,25%)  und  Nijmegen  (33,19%) 
und  die  weiträumige  Gemeinde  f  Apeldoorn  (339  qkm,  33,65%  Zunahme) 
fassen   22,12%  der  Provinzbevölkerung  und  haben  eine  mittlere  Zunahme 

1)  Penck  a.  a.  0.    S.  492. 


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2m 


Kleinere  Mitteilungen. 


von  23,96%,  während  der  Rest  der  Bevölkerung  7,33%  aufweist.  An 
mittlerer  Gemeindegröfse  (43,8  qkm)  kommt  Gelderland  der  Provinz  Groningen 
(40,3  qkm)  nahe.  Das  benachbarte  Noordbrabant  dagegen  hat  bei 
einer  (wohl  infolge  der  rein  fränkischen  Bevölkerung)  bedeutend  geringeren 
Mittelgröfse  der  Gemeinden  (27,9  qkm)  eine  ähnliehe  Gesamtbevölkerungs- 
dichte und  ähnliche  Zunahme  der  Bevölkerung  der  kleineren  Gemeinden, 
während  die  übrigen  Zahlen  derselben  niedriger  liegen  als  bei  Gelderland. 
Den  Prozentsatz  17,56  an  gröfseren  Gemeinden  bilden  die  industriereiche 
Gemeinde  f  Tilburg  (80  qkm,  19,83%  Zunahme)  und  die  beiden  Handels- 
und Industriestädte  's  Hertogenbosch  (12,45%)  und  Breda  (17,68).  —  Fries- 
land mit  seinen  Grünlandmooren  und  weiträumigen  Gemeinden  (77,2  qkm) 
hat  wenig  Industrie  und  nur  eine  gröfsere  Stadt,  die  Handelsstadt  Leeu- 
warden,  mit  nur  5,68%  Zunahme,  während  die  übrige  Bevölkerung  sogar  nur 
0,98%  Zunahme  zeigt,  und  sich  für  die  ganze  Provinz  1,40%  ergiebt.  An 
Dichte  steht  es  an  drittletzter  Stelle,  sodafs  ihm  hierin  nur  die  typischen  Geest- 
landschaften, die  Provinzen  Overijssel  und  Drente,  nachstellten.  An  Zunahme 
der  Bevölkerung  wird  es  sogar  von  letzteren  beiden  gewaltig  übertroffen. 
Hierin  steht  Drente  (13,65%)  an  dritter,  Overijssel  (12,83%)  an  fünfter 
Stelle,  wohl  ein  Zeichen  der  stets  fortschreitenden  Nutzbarmachung  der  bis- 
her unproduktiven  oder  geringwertigen  Gebiete.  Die  mittlere  Arealgröfse 
der  Gemeinden  beträgt  bei  Overijssel  54,8,  bei  Drente  gar  78,3  qkm. 
Overijssel  hat  an  gröfseren  Gemeinden  24,30%,  mit  einer  mittleren  Zunahme 
von  25,70%,  nämlich  die  Handels-  und  Verkehrsstadt  Zwolle  (15,83%),  die 
Handels-  und  Industriestadt  Deventer  (14,39%)  und  die  industrielle  Gemeinde 
fEnschede  (59,91%).  Drente  mit  seinen  Hochmooren  hat  gar  keine  Gemeinde 
mit  über  20  000  Einwohnern.  Bei  der  Beurteilung  der  mittleren  Areal- 
gröfsen  der  Gemeinden  in  den  einzelnen  Provinzen  ist  aufser  der  Beteiligung 
der  sandigen  und  moorigen  Strecken  der  Geestlandschaften  an  der  Zusammen- 
setzung derselben  auch  das  Vorherrschen  der  sächsischen  Siedelungsform  in 
den  nordöstlichen  Landesteilen  von  Einflufs.  Die  mittlere  Gemeindegröfse  des 
ganzen  Königreichs  beträgt  29,4  qkm. 

Nach  Berechnungen  von  C.  A.  V.  Stuart1)  und  eigenen  Berechnungen 
sei  zum  Schlufs  dieser  nur  auf  vorläufigen  und  unvollständigen  Veröffent- 
lichungen beruhenden  Skizze  noch  eine  Tabelle  der  geschichtlichen  Ent- 
wickelung  der  Zunahme  der  Bevölkerung  der  Provinzen  in  %  gegeben: 


Nr 

Provinz 

is4.i  i;< 

49  —  69  t  69  —  69 

69  —  79 

79  —  89 

8«.»  — 99 

1 

Zuidholland.  . 

7.11 

9,93 

11,11 

16,69 

18,26 

20.51 

s 

Noordholland  . 

7. 02 

9,81 

10,22 

17,66 

22,09 

16,71 

1 

Orente  ... 

14,15 

16,11» 

10,98 

12,47 

l«[oi 

13,65 

4 

Utrecht    .   .  . 

2,98 

7.1S 

8,40 

10,40 

15,36 

13,59 

6 

< Ivcrijssi-I     .  . 

11,14 

8,99 

8,04 

7,88 

7.*5 

12,83 

8 

(Jehlerlami  .  . 

7,92 

8,88 

7,20 

7,82 

9,79 

10,61 

7 

Limburg  .   .  .  1 

4,28 

6,08 

8,77 

6,96 

6,82 

10,26 

8 

Groningen   .  . 

7,28 

10,21 

8,50 

12,25 

7,84 

9,83 

9 

Noordbrabunt  . 

1  4,76 

2,87 

6,17 

8.76 

«»,26 

8,68 

10 

Zeeland    .   .  . 

6,90 

3,63 

6,90 

6,21 

6,64 

8,56 

Frieslaud .  .  . 

i  8,66 

10,89 

6,68 

12,69 

1,86 

1,40 

Niederlande    .  j|  6,86 

8,26 

8,17 

12,08 

19,60 

18,13 

Dr.  Karl  Neukirch. 
1)  Ncderlandsche  Staatacourant  1900,  231,  Hijvoeg«el,  S.  2. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


287 


Das  Wachstum  der  Bevölkerung  in  Österreich-Ungarn. 

Auf  Grand  der  amtlichen  Mitteilungen  über  die  Volkszählung  vom 
31.  Dezember  1900  in  den  beiden  Reichshälften  lassen  sich  folgende  Ergebnisse 
feststellen. 

Österreich-Ungarn  hatte  am  31.  Dezember  1900  eine  Gesamtbevölkerang 
von  45  310  835  Beelen  gegenüber  41  358  88G  des  Jahres  1890.  Die  absolute 
und  relative  Einwohnerzahl  der  einzelnen  Ländergebiete  der  Monarchie,  sowie 
die  Zunahme  der  Bevölkerung  im  Prozentsatze  sind  aus  nachstehender 
Zusammenstellung  zu  ersehen: 


i.  J.  1900 

Zunahme 
in  %  r-  1890 

auf  1 

1900 

r|kra 
(1890) 

Galizien 

7  295  638 

10.4 
*  <  * 

92 

(841 

6  318  280 

M 

121 

(112) 

Niederösterreich  .  .  . 

3  086  882 

16,0 

164 

(134) 

2  435  081 

6,9 

109 

(102) 

1  356  058 

M 

60 

(57) 

Tirol  

850  062 

4,6  , 

31,8 

(80) 

Oberösterreich  .... 

809  918 

3,1 

67 

(63) 
(62) 

729  921 

12,9 

69 

680  529 

12,4 

132 

(117) 

Dalmatien  

591  597 

12,2 

46 

(41) 

Krain  

508  848 

M 

51 

(60) 

367  344 

1,8 

35,6 

(35) 

Istrien  

344  173 

8,4 

69 

(64) 

Göns  u.  Gradiska    .  . 

232  338 

5,5 

79 

(75) 

193  247 

11.4 

26 

(24; 

Triest  u.  Gebiet  .  .  . 

178  672 

13,5 

1861 

(1679) 

Vorarlberg  

129  816 

11,8 

49 

(45) 

26  107  304 

9,3 

86 

(79) 

Ungarn  U.Siebenbürgen 

16  754  260 

9,9 

59 

(54) 

Fiume  u.  Gebiet  .  .  . 

38  139 

29,31 

1907 

(1474) 

Kroatien  u.  Slavonien 

2411  132 

9,5 

54 

(52) 

l'ngaru  

Österreich-Ungarn  .  . 

19  203  631 
46  310  835 

9,96 
9,5 

59 

(54) 
(66) 

Die  Bevölkerung  hat  sich  demnach  in  beiden  Reichshälften  ziemlich 
gleich  vermehrt,  in  Österreich  um  9,3,  in  Ungarn  um  9,96  v.  H.  Die 
Zunahme  der  Gesamtbevölkerung  gegen  das  Jahr  1869,  in  welchem  die  erste 
Volkszählung  vorgenommen  wurde,  beträgt  in  Österreich  27,9,  in  Ungarn 
24,6  v.  H.  In  Ungarn  fällt  die  gröfste  Zunahme  auf  das  Jahrzehnt  1880—1890. 
Während  die  Bevölkerung  in  der  Zeit  1869—81  nur  um  314  096,  d.  i.  um 
2,1%  zugenommen  hat,  stieg  sie  im  folgenden  Jahrzehnt  gleich  um  10,9%. 
In  Österreich  nahm  die  Bevölkerung  seit  1869  glcichmäfsig  zu;  1869 — -1880 
um  8,5,  1880—1890  um  7,9,  1890—1900  um  9,3%.  Der  Sprung  in  der 
Zunahme  der  Bevölkerung  Ungarns  entspricht  dem  politisch-wirtschaftlichen 
Aufschwünge  des  Landes  in  der  neuen  Ära.  Die  prozentuelle  Zunahme 
der  Bevölkerung  ist  in  beiden  Staaten  gröfser,  als  im  Deutschen  Reiche,  das 
im  Jahrzehnt  1890 — 1900  nur  einen  Zuwachs  von  7,78%  zu  verzeichnen  hatte. 

Zieht  man  die  Details  der  Volkszählungsergebnisse  in  Betracht,  so  er- 
geben sich  bedeutende  Verschiebungen  innerhalb  der  einzelnen  Ländergruppen. 
Die  gröfste  Einwohnerzahl  unter  den  österreichischen  Kronländern  zeigt  wie 
in  den  früheren  Jahren  Galizien  (7,29  Millionen),  die  geringste  Vorarlberg. 
Die  gröfste  prozentuelle  Zunahme  weist  Niederösterreich  auf;  die  Zunahme 
beträgt  hier  gegen  1890  16%,  gegen  1880  32,4%.    Ihm  reiht  sich  noch 


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288 


Kleinere  Mitteilungen. 


Bukowina  mit  12,9  bez.  27,6%  an.  Unter  dem  Durchschnitte  stehen  die 
industriellen  Sudetenländer,  ausgenommen  Schlesien,  das  einen  Zuwachs  von 
12,2  bez.  20,3%  aufweist.  Dieser  Zuwachs  bezieht  sich  fast  ansschliefslich 
auf  das  Karviner  Kohlenbecken.  Westschlesien  hat  eine  sehr  geringe  Zunahme; 
in  dem  gebirgigen  Teile,  wo  die  Leinenindustrie  vorherrschend  als  Haus- 
industrie betrieben  wird,  ist  sogar  eine  beträchtliche  Abnahme  zu  verzeichnen. 
Selbst  die  Landeshauptstadt  Troppau  (24  863  E.)  vermehrte  sich  nur  um 
9%,  die  Hauptsitze  der  schlesischen  Tuchindustrie  Bielitz  (16  554  E.)  und 
Jägerndorf  (14  305  E.)  nur  um  13,  bez.  2%;  der  Hauptsitz  der  schlesischen 
Leinenerzeugung  Freudenthal  (7  760  E.)  zeigt  sogar  eine  Abnahme  von  1%. 

Gerade  der  Umstand  mufs  besonders  hervorgehoben  werden,  dafs  die 
wirtschaftlich  bedeutendsten  Teile  des  Staates,  die  Sudetenländer,  in  sehr  vielen 
Bezirken  durchweg  einen  Rückgang  in  der  Bevölkerung  aufweisen.  Der 
Abflufs  der  Bevölkerung  aus  den  rein  landwirtschaftlichen  Gegenden  in  die 
Städte  und  modernen  Industriegebiete  hat  sich  vielleicht  nirgends  so  stark 
vollzogen,  wie  gerade  in  den  österreichischen  Sudetenländern.  Beweis  dafür  sind 
die  Abnahme  der  Bevölkerung  in  den  landwirtschaftlichen  Bezirken  einerseits, 
und  das  aufserordentliche  Wachstum  der  Städte  und  Industrieorte  andererseits, 
wie  es  selbst  in  den  deutschen  Industriegegenden  nicht  vorgekommen  ist. 
Eine  bedeutende  Zunahme  erfuhren:  Pilsen  und  Umgebung,  im  Durchschnitt 
uni  36%;  die  zahlreichen  Bierbrauereien  und  die  im  Aufschwünge  befindliche 
Eisenindustrie  (Skoda  Werke)  beschäftigen  hier  eine  immer  gröfsere  Arbeiterzahl. 
Dann  die  Industrieorte  am  Fufse  des  Erzgebirges  (Töplitz  24  110  E.  um 
19,8%,  Eger  23  665  E.  um  26,8%,  Brüx  21  525  E.  um  44,5%,  Turn 
bei  Töplitz  12  408  E.  um  119%,  Bruch  sogar  um  312,8%  u.  s.  w.), 
der  Gablonzer  Glasindustriebezirk  (Gablonz  21  086  E.  um  43,9%)  und  endlich 
der  Polizeirayon  der  Landeshauptstadt  Prag.  Prag  zählt  gegenwärtig  mit 
seinen  Vorstädten  (ohne  Vororte)  477  000  E.  und  hat  sich  in  dem  verflossenen 
Dezennium  um  47,6%  vermehrt.  Alle  übrigen  Bezirke  Böhmens  weisen 
kaum  eine  Durchschnittszunahme  auf,  die  südlichen  Bezirke,  wie  schon  bemerkt, 
durchweg  eine  Abnahme  der  Bevölkerung.  Aus  diesen  letzteren  Bezirken 
strömt  die  Bevölkerung  zumeist  nach  Wien  und  seiner  Umgebung.  In  den 
Bezirken  der  nordböhmischen  Textilindustrie  stieg  die  Einwohnerzahl  selbst 
in  den  Städten  nur  um  ein  Geringes.  Beichenberg  (34  424)  und  Trautenau 
(14  653)  beispielsweise  weisen  einen  Zuwachs  von  nur  1<>%  auf.  Ebenso 
liegen  die  Verhältnisse  in  Mähren  und  Schlesien.  Im  Kohlenrevier  stieg  die 
Bevölkerungszahl  in  den  Ortschaften  im  Durchschnitt  um  200  %i  in  den 
Städten:  Witkowitz  (19  128)  um  57%,  Prziwoz  (10  800)  um  65%, 
M.  Ostrau  (30  115)  um  57%  und  Poln.  Ostrau  (18  761)  um  42%.  Die 
Textilbezirke  weisen  ähnliche  Verhältnisse  auf,  wie  in  Böhmen.  Die  Haupt- 
sitze der  mährischen  Textilindustrie,  ausgenommen  Brünn,  wo  noch  viele 
andere  Industrien  in  Betracht  gezogen  werden  müssen,  Iglau  (24  387)  und 
M.  Schönberg  (11  060 J  haben  einen  Zuwachs  von  4%  bez.  2%,  Sternberg 
(15  930)  sogar  eine  Abnahme  von  1,5%. 

Die  Alpenländer  weisen  die  übliche  geringe  Zunahme  auf:  die  geringste 
wohl  Kärnten,  wo  die  ehedem  so  blühende  Montanindustrie  vollständig  dar- 
niederliegt. Nur  die  Hauptstädte  zeigen  eine  Zunahme  ihrer  Einwohnerzahl. 
Salzburg  (32  937)  18%,  Innsbruck  (24  525)  10%,  Laibach  (33  055)  26%, 
Klagenfurt  (24  580)  16%  und  Trient  (23  427)  12%:  hingegen  Steyr 
(17  547)  einen  bedeutenden  Rückgang  ( —  22%). 

Die  Ergebnisse  der  Volkszählung  sind  auch  in  national-politischer  Hin- 


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Kleinere  Mitteilungen. 


289 


sieht  sehr  lehrreich.    Wahrend  die  Zunahme  der  Deutscheu  beispielsweise  in 


Böhmen   1880  —  90  nur 


und   die   der  Tschechen   4,98  %  betrug, 


forderte  die  Volkszählung  1900  das  überraschende  Ergebnis  zutage,  dafs  die 
Zunahme  der  Deutschen  8,83 °/0  während  die  der  Tschechen  nur  6,9% 
betrug,  was  dem  Umstände  zuzuschreiben  ist,  dafs  die  slavische  Bevölkerung 
in  den  deutschen  Bezirken  nicht  sefshaft  ist  und  allmählich  deutsch  wird. 

Die  Bevölkerimg  in  Ungarn  hat  im  letzten  Jahrzent  eine  Zunahme  von 
9,96%  zu  verzeichnen,  die  also  nur  um  ein  Geringes  hinter  der  des  vor- 
letzten Jahrzehntes  zurückblieb,  in  welchem  in  Kroatien  und  Slavonieu  die 
Zunahme  anderthalbmal  so  grofs  war,  wie  in  den  übrigen  Ländern  der 
ungarischen  Krone,  während  jetzt  die  Zunahme  in  Kroatien  9,64  v.  H. 
beträgt,  in  Ungarn  ohne  Fiume  hingegen  10,08  v.  H.  Die  gröfste  Zunahme 
weist  das  Tiefland  auf  mit  einer  durchschnittlichen  Zunahme  von  12 — 13%. 
Angesichts  dieses  Ergebnisses  werden  die  agrarsozialen  Bewegungen  der  letzten 
Jahre  in  diesen  rein  landwirtschaftlichen  Gegenden  vollends  klar.  Mangels 
einer  Industrie  kann  die  überschüssige  Bevölkerung  nicht  entsprechend  be- 
schäftigt werden,  die  Entlohnung  wird  infolge  des  grofsen  Wettbewerbes  immer 
schlechter.  Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  auch  in  Galizien  und  der 
Bukowina.  Alle  diese  Gebiete  stellen  bedeutende  Beiträge  zur  Auswanderung 
nach  Amerika.  Da  gerade  in  dem  Tiefland  das  magyarische  Volk  ansässig 
ist,  so  hat  die  starke  Zunahme  gleichzeitig  eine  Stärkung  der  herrschenden 
Nation  zufolge.  Dasselbe  bedeutet  auch  die  Vennehrung  der  Bevölkerung 
in  den  ungarischen  Städten,  die  bekanntlich  auch  dort,  wo  am  flachen  Lande 
keine  Magyaren  wohnen,  Stützpunkte  des  Magyarentums  sind.  Nur  Prefsburg 
scheint  hievon  eine  Ausnahme  zu  bilden,  denn  nach  der  Volkszählung  1900 
wohnen  hier  trotz  allen  Hochdruckes  noch  immer  69%  Deutsche.  Am  un- 
günstigsten war  das  Ergebnis  am  rechten  Donauufer  mit  5,28%  und  im 
Banale  mit  7,07%.  Von  den  Komitaten  zeigten  die  gröfste  Zunahme  die 
Komitate  Pest  (20,09)  und  Borsod  (18,85%),  die  geringste  Baranya  (1,44%) 
und  Arva  (0,17%),  eine  Abnahme  Tolna  ( —  0,09%).  Die  meisten  Städte 
weisen  eine  hohe  Zunahme  auf.  An  der  Spitze  stehen  Ofen-Pest  mit  45% 
und  Agram  mit  49,51%. 

Orte  mit  mehr  als  35  000  Einwohnern  (1900). 
Die  mit  *  bezeichneten  sind  ungarische  Orte. 


i.  J  1SMIÜ 

i.  J  1«90 

Zunahme 

in  % 

1  662  261) 

1  364  548 

21 

•Ofen-Pest.  .  . 

713  383 

491  938 

46 

Prag            .  . 

225  7X0 

182  536 

22 

Triest  

178  672 

157  466 

13 

Lemberg    .  .  . 

159  618 

127  943 

24 

138  370 

112  069 

23 

109  000 

94  461 

15 

•Szegedin  .  .  . 

100  552 

85  669 

17 

Krakau  .... 

91  310 

74  593 

22 

*Maria  Theresi- 

opel  .... 
•Debrecziu   .  . 

81  302 

72  737 

12 

72  688 

56  940 

27 

Czeruowitz   .  . 

69  619 

54  171 

28 

Pilsen  .... 

68  292 

50  221 

35 

•Prefsburg    .  . 

61  861 

52  411 

18 

•HödmezÖ  Vä- 

sarhely  .  .  . 

60  789 

55  475 

9 

♦Agram.   .   .  . 

•Kecskemet  .  . 

•Arad  .  .  .  . 
Kgl.  Weinberge 

•Temesvär    .  . 

•Gr.  Wardein  . 

Smichow  .  .  . 

*Klausenburg  . 

Przemysl  .  •  • 
•Fünlkirchen 

Budweis    .  .  . 

•Fiume  .  .  .  . 

Aussig  .  .  .  . 

•Kaschau  .  .  . 

Floridsdorf  .  . 


Geographi.che  Zeitschrift.  T.Jahrgan*  liWl   f,  Heft 


i  J.  liKMJ 

i.  J.  I81K) 

Zunahme 

in  % 

60  089 

41  236 

45 

58  778 

47  685 

23 

57  930 

3H  742 

50 

56  951 

48  493 

17 

53  800 

42  052 

28 

52  483 

34  531 

52 

49  917 

39  977 

23 

47  365 

38  557 

23 

47  135 

32  646 

44 

46  349 

36  865 

31 

46  349 

35  209 

31 

42  700 

34  067 

25 

39  360 

28  491 

38 

38  139 

29  494 

29 

37  254 

23  646 

57 

36  224 

28  884 

25 

36  220 

26  110 

U 

20 

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290 


Geographische  Neuigkeiten 


Die  Monarchie  zahlt  demnach  8  Grofsstädte  (Österreich.  6,  Ungarn  2) 
gegenüber  4  des  Jahres  1869.  Die  Anzahl  der  8tädte  mit  mehr  als 
40  000  Einwohnern  betrug  nach  der  Volkszählung 

1880  16  (9  -f  7)  mit  2  540  000  E.  (74  %  Ö.,  26  %  ü.),  d.  i.  6,7  %  d-  Gesamtbevölkerung. 
1890  19(11  +  8)     „  3  192  000  E.   (72  %  +  28%)  d.  i.  7,8 
1900  27  (14  -f  18)  „  4  412  000  E.   (  70  %  -f  SO  %)  d.  i.  9,73  %  „ 

In  Deutschland  betrug  die  Zahl  solcher  Städte  im  Jahre  1900  94,  ihre 
Einwohnerzahl  bilden  22,2  %  der  Gesamtbevölkerung.  Aus  der  letzten 
Zusammenstellung  ist  zu  ersehen,  dafs  die  Anzahl  der  ungarischen  Mittel- 
städte bedeutend  schneller  wächst,  als  die  Österreichs.  Die  Volkszählung 
19(K)  bestätigt  im  grofsen  und  ganzen  das  Vorwärtsschreiten  Ungarns  auf 
wirtschaftlichem  Gebiet  auf  Kosten  Cisleithaniens  und  sein  politisches  Über- 
wiegen über  dasselbe.  Dr.  Andreas  Rebhann. 


Geographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitzau. 


Allgemeines. 

*  In  den  ersten  Apriltagen  fand  in 
Stuttgart  die  allgemeine  Versamm- 
lung der  deutschen  meteoro- 
logischen Gesellschaft  statt.  Der- 
jenige Punkt,  welcher  die  meiste  Zeit  und 
wohl  auch  das  gröfste  Interesse  der 
Fachleute  wie  der  Nichtmeteorologen 
erregte,  war  die  Verhandlung  über  das 
Hagelschiefsen,  die  den  ganzen  ersten 
Tag  in  Anspruch  nahm.  Sie  wurde 
durch  einen  Vortrag  von  Prof.  Pemter 
in  Wien  eingeleitet ,  der  in  sehr  vor- 
sichtiger Weise  alle  bis  jetzt  gemachten 
Beobachtungen  abwägend  zu  dem  Schlüsse 
kam,  dafs  die  bei  dem  Hagelschiefsen  er- 
zeugten sogenanuten  Wirbelringe  nur 
unter  »ehr  günstigen  Umständen  (Auf- 
stellung der  Hagelkanonen  auf  erhöhten 
Plätzen  etc.)  biB  in  die  Höhe  der  Hagel- 
wolken vordringen  können,  sonst  aber 
weit  darunter  bleiben,  und  dafs  deswegen 
von  einer  direkten  Wirkung  derselben 
kaum  die  Rede  sein  kann.  Auch  in  jeder 
sonstigen  Hinsicht  ist  vom  wissenschaft- 
liehen Standpunkt  keine  Einwirkung  der- 
selben plausibel  zu  machen,  so  dafs  vor- 
läufig für  den  Physiker  die  ganze  Frage 
in  der  Schwebe  ist.  Um  nun  einesteils 
vom  praktischen  Standpunkt  aus  die 
Frage  weiter  zu  verfolgen,  da  ja  auf 
irgend  eine  Weise,  die  die  Wissenschaft 
nicht  vorhergesehen  haben  könnte,  eine 


Einwirkung  möglich  wäre,  andernteilsaber, 
falls  dien  nicht  der  Fall  sein  sollte,  um 
die  Unnahbarkeit  der  für  das  Hagel- 
schiefsen eine  gewisse  Begeisterung  zeigen- 
den Volksmeinung  nachzuweisen,  hat  sich 
Prof.  Pernter  resp.  die  österreichische 
Regierung  veranlagt  gesehen,  zwei  Schiefs- 
versuchsfelder bei  Windisch -Feistritz  und 
Bruck  einzurichten,  auf  denen  unter  ge- 
nauer Kontrolle  und  unter  Beachtung  aller 
Nebeuumstände  das  Hagelschiefsen  noch 
einmal  praktisch  erprobt  werden  soll. 
Auch  die  sämtlichen  übrigen  Redner 
sprachen  sich  alle  in  nicht  sehr  zuversicht- 
lichem Siun  aus,  die  event.  Möglichkeit 
einer  Schallwirkung,  die  von  einer  Seite 
geltend  gemacht  wurde,  wurde  von  den 
Herren  des  preufsischen  Meteorologischen 
Instituts  widerlegt,  indem  sie  aus  noch 
unpnblizierten  Untersuchungen,  die  auf 
und  in  der  Umgegend  von  grofsen  deut- 
schen Artillerieschiefsplätzen  angestellt 
worden  sind,  als  Resultat  mitteilten,  dafs 
selbst  der  viel  stärken'  Schall  der  grofsen 
Festungsgeschütze  ohne  jede  Einwirkung 
auf  die  Niederschläge  sei.  Auch  in  Ungarn, 
wo  schon  1500  Hagelkanoneu  in  Thätig- 
keit  sind  und  von  einem  Beamten  des 
Meteorologischen  Instituts  beaufsichtigt 
werden,  sind  die  bis  jetzt  erzielten  Er- 
gebnisse nicht  ermutigend,  und  aus  Italien 
liegen  Berichte  vor,  nach  denen  in  vielen 
Fällen  trotz  regelrechten  und  ausdauernden 
Schiefsens  teils  starke,   teils  sehr  starke 


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Geographische  Neuigkeiten. 


291 


Hagelschäden  iu  den  Schiefsgebieten  selbst 
vorkamen  (s.  Meteorol.  Zeitsehr.  1901 
S.  135).  Freilich  wird  in  Italien  meist 
mit  relativ  kleinen  Modellen  von  Hagel- 
kanonen geschossen,  die  schon  heute  als 
unzureichend  erwiesen  sein  dürften, 
während  andererseits  bei  Verwendung 
gröfserer  Sehiefsapparate  auch  wieder  die 
Kosten  sehr  schnell  ansteigen,  so  dafs 
dann  sehr  bald  die  Frage  in  den  Vorder- 
grund tritt,  ob  es  überhaupt  rentabler  ist, 
sein  Feld  resp.  sich  durch  Schiefsen  oder 
durch  Versicherung  vor  dem  Hagelschaden 
zu  schützen.  An  einem  der  folgenden 
Tage  wurden  den  Versammlungsteil- 
nehmern in  Hohenheim  zwei  Schiefs- 
apparate vorgeführt ,  ein  gröfserer  des 
österreichischen  Modells,  der  nicht  in  seiner 
gewöhnlichen  Lage,  sondern  annähernd 
horizontal  montiert  worden  war,  und  ein 
kleinerer  französischen  Modells,  mit  dem 
vertikal  geschossen  wurde,  beides  nur, 
um  die  Wirbelringe  zu  demonstrieren. 
Sie  waren  besonders  bei  dem  kleineren 
Apparat  gut  zu  sehen,  verschwanden  aber 
nach  Schätzungen  schon  in  einer  Höhe 
von  50 — 60  m  dem  Auge,  nachdem  sie 
schon  vorher  durch  den  nur  mäfsigen  Wind 
Ktark  abgelenkt  worden  waren.  Bei  beiden 
Apparaten  war  dagegen  das  eigentüm- 
liche Pfeifen  nach  den  Schüssen  sehr 
deutlich  wahrzunehmen.  Mitgebrachte 
Bohne'sche  Aneroide  und  Variometer  zeig- 
ten in  nächster  Nähe  der  Schüsse  ab- 
gebenden Apparate  keine  wesentlichen 
Ausschläge  und  die  Vorführung,  obwohl 
sehr  gelungen,  bestärkte,  wie  es  schien, 
die  ganze  Versammlung  in  ihrem  skepti- 
schen Verhalten.  Gr. 

*  über  die  Zeitdauer  gewisser 
Schichtenbildungen  am  Meeres- 
gründe sind  bei  Gelegenheit  von  Er- 
weiterungsbauten im  Hafen  von  Dün- 
kirchen einige  sehr  interessante  Beo- 
bachtungen gemacht  worden.  Prof. 
J.  Gosselet  von  der  Universität  in  Lille 
vermochte  folgendes  festzustellen:  Unter 
einer  angeschütteten  oberen  Schicht  von 
1 — 2  m  Mächtigkeit  fand  sich  eine  7 — 
K  m  dicke,  von  Seetnuscheln  durchsetzte 
Sandschicht,  in  deren  unterstem  Teile 
Scherben  von  Gefäfsen  aus  dem  An- 
fange des  16.  Jahrhunderts  und  Teile 
eines  SchiffBrumpfcs  mit  Geschossen,  auf 
denen  die  Jahreszahl  1581  zu  lesen  ist, 
lagen    Daraus  ergiebt  sich,  dafs  die  7  bis 


8  m  dicke  Sandschicht  sich  erst  seit  dem 
16.  Jahrhundert  gebildet  haben  kann  und 
dafs  etwa  2  m  in  hundert  Jahren  ab- 
gesetzt wurden.  Die  Bildung  mächtiger 
Schichten  vermag  aUo  unter  Umständen 
auch  am  Meeresboden  ausserordentlich 
rasch  vor  sich  zu  gehen.  (K.  Z.) 

Europa. 

*  Am  11. März  wurde  inNorddeutsch- 
land  das  seltene  Phänomen  eines 
Staubniederschlags  wahrgenommen, 
der  nach  den  bisher  vorliegenden  Berichten, 
insbesondere  nach  meteorologischen  und 
mikroskopischen  Untersuchungen,  als  Aus- 
läufer eines  tags  zuvor  in  Sizilien  und  Italien 
beobachteten  Staubsturms  und  „Blut- 
regene"  anzusehen  ist.  Die  Erscheinung 
pflanzte  sich  vom  südlichen  Sizilien,  wo 
sie  in  den  Morgenstunden  des  10.  März 
durch  eine  ganz  ungewöhnliche  Ver- 
finsterung der  Luft  bei  Temperaturen  von 
mehr  als  20°  C.  und  stürmischen  Scirocco 
zuerst  bemerkbar  wurde,  nach  Norden 
hin  fort  und  hat  ihre  letzten  Spuren  wie 
es  Bcheint  in  der  Nacht  vom  11.  auf  den 
12.  in  Dänemark  und  Südschweden  hinter- 
lassen. In  Italien  traten  im  Laufe  des 
10.  Regenfülle  ein,  die  aus  der  staub- 
erfüllten Atmosphäre  beträchtliche  Mengen 
fester  Bestandteile  zur  Erde  brachten. 
Bei  Neapel  wurde  auf  einem  Quadrat- 
meter eine  Menge  von  11  g  Staub  ge- 
sammelt ,  im  Gemeindegebiet  Neapels 
wären  demnach  allein  608  000  kg  Staub 
niedergefallen.  In  den  österreichischen 
Alpenländern  und  Graubünden  fiel  rot- 
gelb gefärbter  Schnee  in  der  Nacht  vom 
10.  zum  11.  Am  Vormittag  des  11 
traten  östlich  der  Weser  leichte  Regen- 
fälle  ein,  die  sich  nordwärts  ausdehnten 
und  überall,  wo  sie  stattfanden,  einen 
lehmfarbigen  Rückstand  hinterliefsen. 
Nachmittags  erreichte  diese  Erscheinung 
die  Ostseeküste;  um  diese  Zeit  begann 
es  in  Westdeutschland  zu  schneien  und 
in  einem  vom  unteren  lihein  bis  zur 
Kieler  Bucht  ausgedehnten  Gebiet  wurden 
abends  und  nachts  ebenfalls  so  erhebliche 
Staubmengen  niedergeschlagen,  dafs  sie 
den  Schnee  stark  färbten  und  in  größeren 
Mengen  gesammelt  werden  konnten.  Aus 
Dänemark  und  Schweden  liegen  noch 
keine  näheren  Berichte  vor. 

Die  Wetterkarten  vom  10.  und  11.  März 
geben  die  Erklärung  für  die  zeitliche  uud 

20* 


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292 


Geographische  Neuigkeiten. 


räumliche  Ausdehnung  und  die  Intensität 
der  Erscheinung.  Am  Morgen  des  10 
<8  Uhr)  lag  eine  tiefe  Depression  (unter 
750  mm)  vor  der  tunesischen  Küste  (mit 
ihrem  Zentrum  im  Golf  von  Tunis);  auf 
ihrer  Ostseite  wellten  stürmische  Süd- 
und  Südostwinde.  Am  Abend  desselben 
Tages  (m  Uhr)  hatte  dieselbe  Depression 
bereits  den  ligurischen  Meerbusen  er- 
reicht. Das  Gebiet  stürmischer  Südwinde 
hatte  sich  nun  über  Italien  und  die  Adria 
nordwärts  ausgedehnt.  An  der  West- 
küste Mittelitalicns  und  in  der  Lombardei 
entluden  sich  gleichzeitig  heftige  Ge- 
witter. An  der  südfranzösischen  und  der 
spanischen  Ostküste  herrschten  heftige 
Nord-  und  Nordwestwinde.  Im  Laufe  der 
Nacht  zum  11.  überschritt  die  Depression 
die  Alpen  und  bedeckte  am  11.  morgens 
Süddeutschland  (  Zentrum  in  Mittelfranken). 
Da  sie  sich  verflacht  hatte,  waren  die 
Winde  abgeflaut.  Um  diese  Zeit  begannen 
die  Niederschläge  in  Sachsen  und  Thüringen 
bei  östlichen  Winden.  Am  Abend  des 
11.  tinden  wir  den  tiefsten  Druck  in 
Mecklenburg.  Gleichzeitig  erfolgte  an  der 
Westseite  der  Depression  im  unteren 
Rheinland  und  Nordwest-Deutschland  ein 
ungewöhnlich  starker  Schneefall  bei  Nord- 
ostwinden. Die  Depression  verschmolz 
am  nächsten  Tage  mit  einem  Gebiet 
tiefen  Druckes,  das  seit  einigen  Tagen 
Nordeuropa  beherrscht  hatte.  Die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit des  erwähnten 
Minimums  betrug  durchschnittlich  etwa 
64  km  in  der  Stunde  oder  15  m  p.  S. 
Mit  annähernd  gleicher  Schnelligkeit  hatte 
sich  die  Krönt  des  Staubfalls  vom  süd- 
lichen Sizilien  bis  zur  Ostseeküste  auf 
eine  Entfernung  von  fast  2000  km  nord- 
wärts vorgeschoben.  Die  räumliche  und 
zeitliche  Verbreitung  der  Erscheinung  ist 
demnach  aufs  engste  mit  dem  Fortschreiten 
jener  Depression  verknüpft  Wo  die 
letztere  ihren  Ursprung  hatte,  läfst  sich 
heute  und  wird  sich  vielleicht  niemals 
feststellen  lassen.  Zweifellos  lag  ihr  Ur- 
sprungsort südlich  des  Mittelmeers,  in 
der  Wüste  Sahara  oder  gar  südlich  davon 
im  Sudan.  Im  letzteren  Fall  müfste  sich 
aus  der  mikroskopischen  Untersuchung 
der  von  ihr  mitgeführten  Staubmassen 
darin  das  Vorhandensein  von  Laterit,  dem 
eisenhaltigen  Verwitterungsprodukt  der 
Tropen,  nachweisen  lassen.  Einige  bisher 
ausgeführte  Analysen    scheinen   auf  die 


Libysche  Wüste  als  Ursprungsort  hinzu- 
weisen. In  diesem  Falle  hätte  die  De- 
pression vielleicht  eine  ähnliche  gekrümmte 
parabolische)  Bahn  beschrieben,  wie  die 
grofsen  tropischen  Cyklonen  (Taifune;, 
die  im  Sommer  ihren  Weg  über  die 
Ozeane  nehmen.  Auf  alle  Fälle  gehört 
das  Vordringen  einer  Depression  von  der 
Küste  von  Tunis  nordwärts  zur  Ostsee  zu 
den  gröfsten  Seltenheiten  und  darauf  ist 
es  auch  zurückzuführen,  dafs  bei  uns, 
besonders  in  Norddeutschland,  derartige 
Erscheinungen  wie  die  vom  11.  März 
ganz  vereinzelt  dastehen. 

W.  MeinarduB. 

*  Die  ungarische  Regierung  plant 
die  Herstellung  einer  Wasserstrafse  von 
der  Oder  zur  Adria.  Diese  Wasserstrafse 
würde  an  die  641  km  lange,  schiffbare 
Oder  von  Stettin  bis  Kosel  anschliefsen. 
Von  da  soll  in  der  Länge  von  70  km  die 
Kanalisierung  der  Oder  bis  Oderberg  vor- 
genommen werden.  Von  Oderberg  würde 
der  Kanal  des  Olsathales  die  Wasserscheide 
oberhalb  des  Jabluukapasses  durch- 
schneiden und  mit  Benutzung  mehrerer 
Flüsse  das  Wagthal,  das  natürlich  erst 
kanalisiert  werden  müfste,  bei  Sillein  und 
die  Donau  bei  Komoru  erreichen.  Der 
Donau  entlaug  würde  der  Kanal  über 
Ofen-Pest  nach  Vukovar  führen  und  dem 
62  km  langen  Vukovar-Samac-Kanal  ent- 
lang zur  Save,  dann  der  Save  entlang  in 
einer  Länge  von  285  km  bis  Karlstadt 
oder  Brod  an  der  Kulpa  führen.  Von 
Brod  bis  Fiumc  würde  die  Schaffung  einer 
53 — 60  km  langen  Wasserstrafse  versucht 
werden.  Die  ganze  Wasserstrafse  von 
Stettin  bis  Fiume  hätte  eine  Länge  von 
2200  km,  wovon  1400  km  auf  natürliche 
Wasserstfafsen  entfallen.  Die  Strecke 
der  mit  verhältnismäfsig  geringen  Kosten 
schiffbar  zu  machenden  FlÜBse  beträgt 
428  km,  die  Länge  des  thatsächlich  aus- 
zuführenden Kanals  380  km  (17%  der 
ganzen  Strecke).  Dieser  Kanal  würde 
eine  grofse  Bedeutung  für  den  deutschen 
Levantehandel  haben  und  die  Städte 
Ofen -Fest  und  Fiume  zu  internationalen 
Handelsplätzen  erheben.  A.  R. 

#  Die  Bevölkerung  Norwegens 
beträgt  nach  den  vorläufigen  Ergebnissen 
der  Zählung  vom  3.  Dezember  lyoo 
2  231  395  Seelen;  die  Bevölkerungszunahme 
in  den  letzten  5  Jahren  betrug  230  478 
oder  11,5°,,,  wovon  74  447  auf  Kristiania, 


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Geographische  Neuigkeiten. 


293 


71  858  auf  die  anderen  Städte  und  84  173 
auf  die  ländlichen  Bezirke  kommen. 
Kristiania  zählt  gegenwärtig  225  686  Ein- 
wohner, Bergen  72  179  Einwohner  und 
Throndjem  38  156  Einwohner.  In  den 
ländlichen  Distrikten  hat  sich  die  Be- 
völkerung Nordlands  am  stärksten  und 
zwar  um  18  279  Bewohner  vermehrt;  nur 
diejenige  von  Nedenaes  weist  eine  Ver- 
minderung von  1  229  Einwohnern  auf, 
ebenso  wie  sich  die  Bevölkerung  der 
ländlichen  Bezirke  von  Jarlsberg  und 
Larvik  um  261  Seelen  vermindert  hat. 

*  Die  Einwohnerzahl  Serbiens 
betrug  nach  der  am  31.  Dezember  1900 
stattgefundenen  Volkszählung  2  535  066. 
Die  Bevölkerung  hat  in  den  letzton  fünf 
Jahren  hiemach  um  181  286  Einwohner 
zugenommen.  Belgrad  hat  nach  der  letzten 
Zählung  70  516  Einwohner. 

Asien. 

»  Mit  der  Erforschung  des  Aral- 
sees (s.  VI.  Jhrg.  S.  339)  hat  die  Tur- 
kestanische  Sektion  der  K.  Russischen  Geo- 
graphischen Gesellschaft  Herrn  L.  S.Berg 
betraut,  der  Aber  seine  Thätigkeit  im 
ersten  der  drei  in  Aussicht  genommenen 
Forschungsjahre  in  der  Zeitschrift  der 
geogr.  Sektion  d.  GeB.  der  Liebhaber  der 
Erdkunde  zu  Moskau  1900,  Heft  2  u.  8 
berichtet.  Da  auf  dem  See  gegenwärtig 
keine  Schiffahrt  vorhanden  ist,  war  es 
schwierig,  das  elende,  10  m  lange  Segel- 
boot aufzutreiben,  auf  dem  die  Expedition 
mit  den  nötigen  Instrumenten  am  16.  Juni 
von  Kasalinsk  nach  dem  Syr-Darja-Delta 
aufbrach.  Hier  blieb  auf  der  niedrigen 
Insel  Kossaral  der  Topograph  Moltschanow 
zurück,  der  im  Laufe  von  zwei  Monaten 
eine  vorzügliche  Karte  des  ganzen  Deltas 
mit  den  angrenzenden  Meeresteilen  auf- 
nahm. Am  25.  Juni  stach  die  Expedition 
in  See  und  besuchte  auf  ihrer  Fahrt  die 
noch  wenig  bekannten  Inseln  Barssa-Kel- 
mefs  und  Nikolai  und  landete  am  28.  Juli 
an  der  steilen  Westküste,  die  den  Ost- 
rand des  Öden  Ust-Urt- Plateaus  bildet. 
Nachdem  Berg  hier  auf  dem  Ust-Urt  be- 
deutende geologische  Sammlungen  zu- 
sammengebracht und  die  hier  befindliche 
Tiefenregion  des  Aralsees  ausführlich  unter- 
sucht hatte,  begab  er  sich  längs  dem  Wett- 
ufer  weiter  nach  Norden  zum  Vorgebirge  I 
Bai-Kubek  am  Nordwestende  des  Sees 
und  dann  zur  Halbinsel  Kulandy ,  von 


wo  aus  quer  durch  den  See  nach  der 
Menschikow  -  Insel  zwischen  den  Mün- 
dungen des  Syr-  und  Amu-Darja  gesteuert 
wurde,  um  dabei  die  Tiefe  der  Mitte  des 
Sees  zu  untersuchen.  Dann  kehrte  Berg 
nach  Kasanlinsk  zurück,  um  im  August 
nochmals  ins  Meer  hinauszusteuern,  um 
der  Erforschung  der  Seyches  obzuliegen. 

Im  ganzen  wurden  von  der  Expedition 
an  39  Stationen  meteorologische  und  hydro- 
graphische Beobachtungen  angestellt,  was 
die  Möglichkeit  zur  Herstellung  einer  zu- 
verlässigen hydrographischen  Karte  des 
Sees  giebt;  die  Planktonfischerei  ergab 
ein  reiches  Material,  über  6000  Insekten 
und  200  Pflanzenarten  wurden  gesammelt 
und  während  dreier  Monate  wurden  täglich 
meteorologische  Beobachtungen  angestellt. 
Die  Tiefe  in  der  Mitte  des  Sees  betrug 
20  bis  23  m,  die  Maximaltiefe  am  Steil- 
abfall des  Westufers  62,5  m.  Der  Salz- 
gehalt des  Wassers  erwies  sich  als  3ehr 
niedrig,  dagegen  war  seine  Durchsichtig- 
keit aufsergewöhnlich  grofs  und  betrug 
im  Maximum  20,5  m  bei  23,5  m  Tiefe. 
Zahlreiche  Anzeichen  lassen  ein  schnelles 
Steigen  des  Seespiegels  erkennen,  was 
um  so  auffallender  ist,  als  alle  Reisenden 
von  1820—1880  von  einem  Eintrocknen 
des  Sees  berichten.  Durch  4  aufgestellte 
Mafsstöcke  und  durch  eine  in  den  Felsen 
eingeschlagene  Höhenmarke  wird  man  in 
Zukunft  zuverlässige  Daten  über  die 
Schwankungen  des  Seespiegels  erhalten 
Die  Seyches  -  Beobachtungen  ergaben  un- 
zweifelhaft das  Vorhandensein  dieserOber- 
flächenbewegung ,  jedoch  erfordert  die 
völlige  Ergründung  der  Frage  noch  weitere 
Beobachtungen  mit  dem  Limnometer. 
'Globus,  Bd.  LXXIX.   S.  213.) 

*  Prof.  Dr.  Alfred  Philippson  in 
Bonn,  dem  die  kgl.  preufs.  Akademie 
der  Wissenschaften  aus  der  Wentzel- 
Heckmannstiftung  eine  l'nterstützung 
zur  geographischen  und  geologischen  Er- 
forschung des  westlichen  Kleinasiens  ge- 
währt hat,  wird  diesen  Sommer  eine  For- 
schungsreise in  das  alte  Lydien,  d.  h. 
das  Gebiet  des  Heimos  und  Kaystros,  süd- 
wärts bis  zum  Maeander  unternehmen. 

♦  In  der  außerordentlichen  Versamm- 
lung vom  13.  Mai  der  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien  hat  Dr.  Georg  von 
Almässy  über  seine  im  März  1900  unter- 
nommene Reise  nach  R  ussisch-Tur- 
k  est  an  berichtet.    Almässy  weilte  neun 


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294 


G eographische  Neuigkeiten. 


Monate  in  jenen  Gebieten,  die  er  haupt- 
sächlich als  Zoologe  und  Botaniker  durch- 
forschte. Die  transkaspische  Bahn  brachte 
ihn  bis  Taschkent,  von  da  ging  er  auf 
der  Poststrafte  nach  Wjerooe  (Wernyj), 
dem  Hauptorte  des  Gouvernements  Semirje- 
tschensk,  und  über  den  1750  m  hohen 
Tenirliktau-Pafs  nach  Przewalsk,  das  er 
zu  seinem  Standquartiere  erwählte.  Von 
hier  aus  unternahm  er  zahlreiche 
Forschungsreisen  in  die  gebirgige  Um- 
gebung. Er  nahm  auch  Vermessungen 
dieses  bisher  sehr  mangelhaft  erforschten 
Gebietes  vor  und  berichtigte  zahlreiche 
Irrtümer  der  russischen  Karten.  Ein 
52tägiger  Ausflug  brachte  ihn  auf  das 
plateauartige  Hochthal  des  Sari-dschas- 
Flusses.  Hier  sieht  man  den  7200  m  hohen 
Khan-tengri.  Von  hier  wandte  sich 
Almässy  nach  Norden  und  erreichte  den 
Naryn-Kol  im  Tekesthale  an  der  chine- 
sischenGrenze.  Da  ihm  die  Russen  den  Uher- 
gang  verwehrten,  kehrte  er  nach  Przewalsk 
zurück.  Die  wichtigsten  Ergebnisse  seiner 
Heise  waren  die  Entdeckung  einer  dritten 
Parallelkette  zum  Sari-dschas-System,  des 
Netsch-tschat-tau,  dann  die  Feststellung 
deß  hochflächenartigen  Sari-dschaa-Thales, 
das  früher  ein  Seebecken  war,  welches 
seinen  Abflufs  nordwärts  dem  Balkasch- 
See  zuwandte.  Der  gegenwärtige  Durch- 
bruch nach  Süden  in  das  Tarim-Becken 
entstand  durch  spätere  Faltungen. 

A.  Ii. 

*  Durch  die  Reisen  Kozlov's  und 
seiner  Gefährten  Kaznakov  und  Lady- 
ghin  in  Zentralasien  ist  die  Er- 
forschung des  Grofsen  Altai  und  der  noch 
unbekannten  Gebiete  der  östlichen  Gobi 
beendet  worden.  Über  den  ersten  Teil 
der  Heise  von  Altai  Stanitsa  nach  Kobdo 
ist  bereits  früher  (VI.  Jhrg.  S.  114)  be- 
richtet worden.  Ende  August  189!»  ver- 
lief* Kozlov  Kobdo  und  zog  südöstlich  in 
dem  Thale,  welches  die  Nordkette  Mongo- 
lischer Altai)  von  der  Südkette  (Altain- 
Nuru,'  trennt,  bis  zum  Beghersee;  beide 
Bergketten  waren  bii*  1900  m  Höhe  mit 
dichten  Wäldern  bedeckt.  Ungefähr  50  km 
südöstlich  von  diesem  See  beim  Kuduk 
Nor  vereinigt  sich  der  Altain-Nuru  mit 
der  Nordkette,  der  Kozlov  in  südöstlicher 
Richtung  weiter  folgte  bis  zum  Massiv 
des  Arza  Bogdo  in  der  Nähe  des  Ulan- 
Nor,  wo  sich  die  Nord  kette  scharf  nach 
Südost  wendet.   In  Tschazeringhi-Chuduk, 


85  km  südwestlich  vom  Ulan -Nor,  traf 
Kozlov  mit  Kaznakov  zusammen,  der  zu- 
erst am  Südabhang  des  Altain-Num  hin- 
gezogen und  jenseit«  von  dessen  Ver- 
einigung mit  der  Nordkette  in  diese  ein- 
gedrungen war  und  östlich  von  Kloster 
Jum-Beysin  eine  Reihe  von  Plateaus  in 
ostsüdöstlicher  Sichtung  bis  zum 
105".  östl.  Länge  durchzogen  und  sich 
dann  auf  der  Strafte  Urga-Alaschan  nord- 
wärt* nach  der  Gegend  des  Ulan-Nor  ge- 
wendet hatte.  Nach  der  Erforschung  des 
Grofsen  Altai  machte  sich  Kozlov  mit 
seinen  Gefährten  an  die  Durchquerung 
der  noch  unerforschten  Östlichen  Gobi,  die 
auf  drei  von  Nord  nach  Süd  verlaufenden 
Routen  unternommen  wurde:  Kozlov  über- 
schritt zusammen  mit  Kaznakov  das  Gur- 
bun-Saichan- Gebirge  und  drang  dann 
allein  in  südlicher  Richtung  nach  Liang- 
Tschou  vor,  wobei  er  die  600  m  unter  den 
Meeresspiegel  reichende  Depression  von 
Goizo  nördlich  von  Ala-Chan  durchquerte. 
Kaznakov  wandte  sich  in  südsüdwestlicher 
Richtung  den  Doppelseen  Socho-Nor  und 
Gaschiuu-Nor  zu,  die  er  samt  ihrem  Zu- 
flufs  Edzin-Gol  kartographisch  aufnahm, 
wandte  sich  dann  südöstlich  nach  Ala- 
Chan  und  erreichte  nach  einer  1500  km 
langen  Wüstenreise  Liang-Tschou.  Die 
westlichste  Route  schlug  Ladygbin  ein,  der 
von  Dalanturu  etwas  östlich  vom  Kuduk - 
Nor  in  südlicher  Richtung  autbrach,  das 
Tumurtengebirge  in  einer  Länge  von 
200  km  verfolgte  und  erforschte  und  dann 
in  südöstlicher  Hichtung  zunächst  Su- 
Tschou  und  dann  Liang-Tschou  erreichte, 
wo  sich  die  drei  Forscher  wieder  zu- 
sammen fanden. 

*  Eb  wird  erwartet  ,  daft  der  Hafen 
von  San-tu-lo  welchen  die  chinesische 
Regierung  letztes  Jahr  dem  Handel  ge- 
öffnet hat,  ein  bedeutendes  Ausfuhr- 
Handelsgeschäft  in  Thee  machen  wird. 
Die  Flufsthäler  in  jenem  Bezirk  sind  be- 
rühmt durch  die  Güte  des  dort  ge- 
wonnenen Thees.  Früher  brachten  Kulis 
den  zuzuführenden  Thee  von  diesen 
Gegenden  nach  dem  vier  Tagereisen  süd- 
westlich gelegenen  Fuchau.  Augen- 
blicklich haben  sich  allerdings  noch  keine 
Anzeichen  bemerkbar  gewacht,  welche 
worauf  deuten,  dafs  San-tu-lo  Fuchau 
|  Konkurrenz  machen  werde.  Einige  Störung 
wird  gefürchtet,  welche  die  Kuli-Träger 
hervorrufen  werden,  wenn  dieselben  nicht 


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Geographische  Neuigkeiten. 


mehr  auf  die  alte  Weise  ihren  Lebens- 
unterhalt verdienen  können,  sobald  die 
Schiffe  den  Thee  in  dem  neuen  Hafen 
laden.  Kü. 

Afrika. 

*  über  den  EinflufB  des  Bahr-el- 
Ghasal  auf  die  Nilschwelle  stellte 
Koulet  in  der  Pariser  Geogr.  Gesellschaft 
folgende  Theorie  auf:  Die  Wassermassen 
des  Nils,  welche  die  regelmäfsigen  jahr- 
lichen  Überschwemmungen  hervorrufen, 
stammen  aus  drei  verschiedenen  Gegenden : 
Aus  der  Region  der  grofsen  Seen,  aus 
Abessinien  und  aus  dem  Bahr-el-Ghasal. 
Im  ersten  Gebiet  füllt  die  Regenzeit  auf 
die  Monate  Februar,  März  und  April; 
aber  einesteils  gleichen  die  grofsen  Seen 
die  Unterschiede  der  Wasserstände  aus, 
andemteils  verzögert  der  2000  km  lange 
Plufslauf  den  Wasserwuchs  um  mehrere 
Monate,  sodafs  er  fast  unmerkbar  vor- 
sichgeht.  In  der  zweiten  Region  dagegen, 
die  in  grofser  Meereshöhe  und  in  geringer 
Entfernung  vom  mittleren  Nil  liegt,  sind 
die  Wasserläufe  reil'sender  Natur  und  ihre 
Anschwellungen  plötzlich,  sodafs  sie  ver- 
heerende Überschwemmungen   des  Nüb 
hervorrufen  würden,  wenn  der  dritte  Zu- 
flufs  nicht  existierte.    Die  Gegend  des 
Bahr  -  el  -  Ghasal,  des  Bahr-el-Homr  und 
des  Bahr-el-Arab  ist  fast  absolut  eben, 
die  Wasserscheide  zum  Atlantischen  Ozean 
liegt  kaum  600  m  über  dem  Meere,  und 
da  Karthum  noch  400  m  über  dem  Meere 
liegt,  bo  beträgt  der  Fall  des  Flusses  auf 
dem  1000  km  langen  Laufe  nur  200  m. 
Während  der  Regenzeit  stagnieren  deshalb 
hier  die  Gewässer  wegen  Mangels  an  Fall, 
und  daB  Bett  des  Bahr-el-Ghasal  gleicht 
beim  See  Nö  einem  grofsen,  100  km  breiten 
Sumpfe.    Die  zu  gleicher  Zeit,  im  Juni, 
Juli  und  August,  sowohl  in  Abessinien 
wie  im  Bahr-el-Ghasal  fallenden  Regen- 
maBsen  rufen  au»  diesem  Grunde  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  ein  Wachstum  des  Nil- 
wassers hervor:  Die  schneller  ablaufenden 
Abessiniens  im  Juli  bis  September,  die 
langsam  abfliefsenden  des  Bahr-el-Ghasal 
im  August  bis  Dezember.    Würde  das 
Bahr  -  el  -  Ghasal  -  Gebiet  ebenso  gebirgig 
sein  wie  Abessinien,  so  würden  die  Nil- 
überschwemmungen   stets  verheerender 
Natur  und  Unterägypten  würde  morastig 
und  unfruchtbar  sein.   Die  von  den  jähr- 
lich nach  der  Trockenzeit  im  pflanzen- 


2i>5 

]  reichen  Bahr  -  el  -  Ghasal  stattfindenden 
|  Waldbränden  herrührende  Pflanzenasche 
wird  von  den  Regenmassen  ausgelaugt 
und  die  Pottasche  dem  Nil  zugeführt,  so- 
dafs die  überschwemmungswaBser  aus  dem 
Bahr-el-Ghasal  wegen  ihres  Pottasche- 
gehaltes  besonders  befruchtend  auf  die 
überschwemmten  Gebiete  Ägyptens  ein- 
wirken. Man  kann  deshalb  ohne  Über- 
treibung sagen,  dafs  Ägypten  seine  Frucht- 
barkeit zum  Teil  den  eigenartigen  oro- 
graphischen  und  floristischen  Verhältnissen 
des  Bahr-el-Ghasal  verdankt.  La  Geo- 
graphie 1901,  Nr.  3.) 

»  Der  Leutnant  Pallier  von  der 
Expedition  Joalland  -  Maynier  hatte  in 
Zinder,  bevor  er  die  Tirailleure  der 
Mission  Voulet  aus  dem  Süden  zurück- 
führte, eine  kleine  Garnison  unter  den 
Befehlen  eines  Sergeanten  zurückgelassen. 
Dieser  Ort,  welcher  schon  von  Barth  be- 
sucht wurde  und  woselbst  der  Hauptmann 
Cazemaju  und  der  Forscher  Olive  ihren 
Tod  gefunden  hatten,  soll  weiter  besetzt 
bleiben.  Ein  Militär-Territorium  ist  in 
dieser  Gegend  eingerichtet  worden.  Zinder, 
die  Hauptstadt  von  Damargu,  wurde  zum 
Hauptort  bestimmt;  in  seiner  Nähe  ist 
ein  kleines  Werk,  Fort  Cazemu,  errichtet 
worden.  DieseB  Territorium  dehnt  sich 
über  die  Gegenden  am  linken  LTfer  des 
Niger,  von  Sey  nach  dem  Tsad-See,  welche 
durch  Vertrag  vom  14.  Juni  1898  unter 
französische  Herrschaft  gekommen  sind, 
aus.  Das  Territorium,  an  dessen  Spitze 
ein  Militär- Kommandant  steht,  ist  dem 
Gouverneur  von  Französisch  -  Westafrika 
unterstellt.  Dieses  Militär-Territorium  ist 
das  dritte  in  Westafrika.  Die  beiden 
anderen  sind  durch  Dekret  vom  26.  Dezem- 
ber 1899  geschaffen  worden  und  umfafst 
das  eine:  die  Kreise  Timbuktu,  Sumzi, 
Bamba,  Gav  Sinder  und  die  Residenten- 
stellen  Dori,  Macina,  Yatenga;  das  andere 
die  Kreise:  Kutiaka,  Sikasso,  Bobo-Diu- 
lasso,  Kury,  Loli  und  die  Residenten- 
stellen MoBBi  und  Gourounsi.  (Revue  de 
ge"ographie.)  Kü. 

Nordamerika. 

*  Seit  einiger  Zeit  wird  ein  bedeutendes 
Sinken  des  Wasserspiegels  des  Grofsen 
Salzsees  in  Utah  beobachtet,  welches 
man  den  kolossalen  Bewässerungsanlagen 
zuschreibt.  Die  Flüsse  Jordan,  Bear,  City 
Crcek  und  viele  andere,  die  auf  den  Bergen 


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296 


Geographische  Neuigkeiten. 


östlich  des  Sees  entspringen,  lieferten  ihm 
etwa  10  000  cbm  Wasser  in  der  Sekunde, 
ehe  das  Wasser  jener  in  unzählige  Be- 
wässerungsgruben abgeleitet  wurde. 
Diesem  Umstand ,  im  Vereine  mit  der  starken 
Verdunstung  des  Sees  selbst  ist  das  un- 
unterbrochene Sinken  des  Wasserspiegels 
dieses  amerikanischen  Binnenmeeres  zu- 
zuschreiben. B. 

*  Eine  neue  Dampferverbinduug 
zwischen  Nordamerika  und  Europa 
ist  Ende  April  durch  Eröffnung  einer 
direkten  Dampferlinie  zwischen  Chicago 
und  Europa  hergestellt  worden.  Vier 
grofse  Ozeandampfer,  von  je  3200  Tons, 
werden  den  Verkehr  auf  der  neuen  Linie 
unterhalten  und  ihre  Fahrten  nach  Ham- 
burg und  Liverpool  ausführen.  Der  Weg 
der  Schiffe  führt  von  Chicago  nach  Detroit 
und  St.  Mary  River,  von  dort  durch  den 
Wellandkanal,  den  Ontariosee  und  den 
St.  Lorenzstrom  zu  dem  Atlantischen 
Ozean.  Da  der  Wellandkanal  vorläufig 
nur  für  Schiffe  bis  14  Futo  Tiefgang  pas- 
sierbar ist,  sollen  die  Dampfer  in  Chicago 
nur  bis  zu  14  Fufa  Tiefe  laden  und  erst 
in  Montreal  volle  Fracht  bis  20  Ful's 
Tiefgang  einnehmen.  Da  die  Frachten 
infolge  des  Wegfalls  der  Umladung  und 
der  Verfrachtung  mittelst  Eisenbahn  er- 
heblich billiger  werden,  verspricht  man 
sich  in  Chicago  und  den  westlichen  Staaten 
viel  von  der  Wirksamkeit  der  neuen 
Dampferlinien,  deren  Fracht  vorzugsweise 
aus  landwirtschaftlichen  Produkten  und 
europäischen  Waren  bestehen  wird.  (Ex- 
port 1901.    Nr.  16.) 

Polarregionen. 

*  Das  Expeditionsschiff  der 
Deutschen  S  ü  d  p  o  1  a  r  e  x  p  e  d  i  t  i  o  n  ist 
am  2.  April  auf  den  Howaldtswerken  in 
Kiel  im  Beisein  von  Vertretern  der  Staate- 
behörden und  der  Wissenschaft  glücklich 
vom  Stapel  gelaufen.  In  seiner  Tauf- 
rede wies  Professor  v.  Rieht h ofen  darauf 
hin,  dafs  vor  65  Jahren  ein  deutscher 
Denker,  Carl  Friedrich  Gaufs.  die  An- 
regung zur  Erforschung  der  Antarktis  ge- 
geben habe,  und  taufte  ihm  zu  Ehren 
das  Schiff  auf  den  Namen  „Gaufs".  Auch 
das  Schiff  der  englischen  antarktischen 
Expedition  ist  am  21.  März  in  Dundee 
vom  Stapel  gelaufen  und  „Discovery"  ge- 
tauft worden.  Wenn  nicht  unvorher- 
gesehene Zwischenfälle  eintreten,  werden 


also  beide  Expeditionen  an  dem  in 
Aussicht  genommenen  Zeitpunkte  im 
August  d.  J.  nach  Süden  aufbrechen 
können. 

*  Auf  unerwartete  Schwierigkeiten 
ist  die  geplanteschwedi  s  che  Südpolar- 
expedition unter  Leitung  von  Dr.  Otto 
Nordenskjöld  gestofsen,  da  die 
schwedische  Akademie,  welcher  das  Ge- 
such an  den  König  um  Bewilligung  der 
noch  fehlenden  3U  oimj  Kronen  zur  Begut- 
achtung vorgelegt  worden  war,  ein  un- 
günstiges Urteil  sowohl  aus  sachlichen 
wie  aus  persönlichen  Gründen  abgegeben 
hat.  Einerseits  wird  die  ganze  Summe 
von  115  000  Kronen  für  zu  gering  an- 
gesehen, um  eine  Expedition  nach  dem 
Südpol  zweckmäfsig  auszurüsten,  anderseits 
wird  dem  Leiter  des  Unternehmens,  welcher 
bisher  an  Expeditionen  in  Patagonien 
und  Feuerland,  in  Alaska  und  Ostgrönland 
teilgenommen  hat,  nicht  die  genügende 
Erfahrung  zur  Führung  einer  derartigen 
Expedition  zugetraut.  Dr.  Nordenskjöld 
will  nun  den  Versuch  machen,  auch  die 
Itestsummc  durch  private  Sammlungen 
zu  beschaffen.  Da  auch  die  geplante 
schottische  Expedition  noch  keineswegs 
gesichert  ist,  so  würde  beim  Ausfall  der 
schwedischen  Expedition  das  Südpolar- 
gebiet im  Süden  von  Amerika  in  der 
Periode  gemeinsamer  antarktischer 
Forschung  jeder  Forschungsthätigkeit  ent- 
behren, was  im  Hinblick  auf  den  Wert 
der  gleichzeitig  anzustellenden  wissen- 
schaftlichen Beobachtungen  sehr  bedauer- 
lich sein  würde.  (Peterm.  Mitti.  1901 
S.  72.) 

Meere. 

*  Die  mittlere  Tiefe  des  Grofsen 
Ozeans  ist  neuerdings  aus  der  Ge- 
schwindigkeit der  Flutwellen  berechnet 
worden,  die  von  dem  grofsen  japanischen 
Erdbeben  am  15.  Juni  1896  verursacht  und 
von  den  selbstregistrierenden  Flutmessern 
zu  Honolulu  und  San  Salito  (bei  San  Fran- 
ziskoj  aufgezeichnet  wurden.  Das  Zentrum 
des  Erdbebens,  von  dem  der  Stöfs  aus- 
ging, lag  unter  einem  Punkt  in  39°  nördl. 
Breite  und  144"  östl.  Länge,  etwa  240  km 
ostsüdöstlich  von  Miyako,  und  der  Stöfs 
fand  statt  am  15.  Juni  7  Uhr  32' ,  Minuten 
nachmittags.  Zu  Honolulu  begann  7  Uhr 
37  Minuten  abends  das  Meer  zu  steigen, 
und    die   Welle    erreichte   ihre  gröfste 


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Geographische  Neuigkeiten. 


297 


Höhe  6  Minuten  später,  worauf  noch 
mehrere  schwächere  Wellen  folgten.  Die 
Entfernung  dieses  Ortes  von  dem  Epi- 
zentrum des  Erdbebens  beträgt  5800  km, 
die  Geschwindigkeit  der  Welle  also  225  m 
in  der  Sekunde.  Hieraus  ergiebt  sich 
für  die  durchschnittliche  Tiefe  des  Grofsen 
Ozeans  in  der  Richtung  von  Japan  auf 
Honolulu  rund  4360  m,  was  dem  bisher 
durch  Lotungen  ermittelten  Werte  sehr 
nahe  kommt.  Zu  San  Salito  wurde  der 
Gipfel  der  ersten  Flutwelle  um 
1  Uhr  5  Minuten  früh  von  dem  Apparat 
aufgezeichnet,  die  Entfernung  beträgt 
7700  km,  die  Geschwindigkeit  der  Fint- 
welle war  also  200  m  in  der  Sekunde, 
und  daraus  ergiebt  sich  als  mittlere  Tiefe 
des  Ozeans  auf  der  von  der  Woge  durch- 
laufenen Strecke  4140  m.  Die  direkten 
Messungen,  welche  früher  in  diesem  Teile 
des  Ozeans  ausgeführt  worden  sind,  er- 
geben als  durchschnittliche  Tiefe  desselben 
5100  m.  Auch  bei  frühern  Erdbeben  hat 
man  aus  der  Geschwindigkeit  der  Wellen- 
bewegung bereits  auf  die  Tiefe  des  Ozeans 
geschlossen.  So  lieferte  das  Erdbeben 
von  Arica  in  Peru  (am  13.  August  1868), 
welches  Wellen  erregte,  die  im  Grofsen 
Ozean  westwärts  bis  zu  den  Chatham- 
Inseln  rollten,  für  die  Strecke  zwischen 
der  Küste  Südamerikas  und  Honolulu  eine 
mittlere  Tiefe  von  4200  m.  Das  Seebeben 
vom  23.  Dezember  1854,  dessen  Zentrum 
bei  Simoda  in  Japan  lag,  führte  auf  eine 
durchschnittliche  Tiefe  des  Grofsen  Ozeans 
zwischen  Japan  und  Kalifornien  von  rund 
4000  m,  sodafs  man  annehmen  darf,  dafs 
die  durchschnittliche  Tiefe  des  Stillen 
Ozeans  4000  m  nicht  sehr  erheblich  über- 
schreitet. (Köln.  Ztg.) 

Geographischer  Unterricht. 

*  An  der  Universität  Rostock  hat 
sich  Dr.  Rudolf  Fitzner  für  Geographie 
habilitiert.  Es  ist  mit  Freuden  zu  be- 
grüfsen,  dafs  damit  die  letzte  deutsche 
Universität,  an  der  ein  amtlicher  geo- 
graphischer Lehrstuhl  fehlt,  wenigstens 
einen  freiwilligen  Vertreter  unserer  Wissen- 
schaft erhalten  hat. 

Vereine,  Versammlungen  und 
Zeitschriften. 

*  Die  diesjährige  73.  Versammlung 
Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte 
wird  in  der  Zeit  vom  22.-28.  September 


in  Hamburg  stattfinden.  Mehrfach  ge- 
äufserten  Wünschen  entsprechend  sollen, 
um  einer  Zersplitterung  der  wissenschaft- 
lichen Interessen  der  Versammlung  ent- 
gegenzuarbeiten, mehrere  der  jetzt  be- 
stehenden Abteilungen  mit  einander  ver- 
schmolzen und  die  Zahl  derselben  dadurch 
auf  27  reduziert  werden.  Mit  der  Ab- 
teilung für  Geographie  werden  in  Zukunft 
die  Kartographie  und  Hydrographie,  mit 
der  Abteilung  für  Geophysik  die  Meteoro- 
logie verbunden  werden.  Auch  soll  die 
Abteilung  für  mathematischen  und  natur- 
wissenschaftlichen  Unterricht  nicht  mehr 
selbständig  weitergeführt  werden,  sondern 
Vorträge  aus  diesen  Gebieten  sollen  in 
gemeinsamen  Sitzungen  der  mathematisch- 
naturwissenschaftlichen Abteilungen  ge- 
halten werden.  Einführende  für  die  Ab- 
teilung Geographie  etc.  sind  die  Herren 
Dr.  L.  Friedrichsen  und  Admiralitäts- 
rat Koldewey,  Schriftführer  die  Herren 
Dr.  H.  Mi  cho  wund  Dr.  Gerhard  Schott. 
Vorträge  sind  möglichst  bis  zum  15  Mai 
bei  Herrn  Dr.  Friedrichsen,  Neuerwall  61, 
anzumelden. 

*  Die„Verhandlungen  des  sieben- 
ten Internationalen  Geographen- 
Kongresses"  zu  Berlin  1899  sind  so- 
eben gleichzeitig  in  Berlin,  London  und 
Paris  erschienen.  Mancherlei  Gründe 
haben  das  Erscheinen  dieses  Berichtes  so 
unliebsam  verzögert;  der  Herausgeber, 
Herr  Hauptmann  a.  D.  G.  Kol  Im,  giebt 
darüber  in  seiner  „Vorbemerkung"  Auf- 
schluß. Die  Fülle  des  zu  bearbeitenden 
Materials  liefs  das  Werk  schliefslich  auf 
über  90  Druckbogen  und  30  Karten  an- 
wachsen. Dadurch  wurde  auch  die  Glie- 
derung in  zwei  Teile  bedingt.  Der  erste 
Teil  enthält  den  Bericht  über  den 
Verlauf  des  Kongresses,  Mitteilungen 
über  die  Organisation  und  das  Verzeich- 
nis der  Mitglieder;  möglichst  ausführliche 
und  genaue  Wiedergabe  der  Verhand- 
lungen, vor  allem  auch  der  Diskussionen 
wurde  angestrebt.  Der  zweite  Teil 
bringt  die  in  den  Sitzungen  gehaltenen 
Vorträge  und  erstatteten  Berichte  sowie 
auch  einige  dem  Kongrefs  zur  Veröffent- 
lichung in  den  „Verhandlungen"  be- 
sonders überreichte  Abhandlungen.  Wegen 
des  Inhaltes  beider  Teile  verweisen  wir 
auf  den  in  dieser  Zeitschrift  seinerzeit  er- 
schienenen ausführlichen  Bericht  (Bd.  V, 
1899,  S.  678  ff,  Bd.  VI,  1900,  S.  28  ff.  u. 


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298 


Bficherbesprechungen. 


S.  104  ff.),  sowie  auf  die  von  uns  bereits 
veröffentlichten  Vorträge. 

*  In  Moskau  erscheint  unter  dem  Titel 
„Climat"  eine  neue  meteorologische  Zeit- 
schrift gleichzeitig  in  deutscher,  russischer, 
englischer  und  französischer  Sprache  unter 
der  Redaktion  de«  Ingenieurs  N.  A.  Demt- 
schinsky.  Sie  verfolgt  wesentlich  prak- 
tische Ziele:  Der  Heransgeber  will  genaue 
Prognosen  deB  Wetters  und  der  atmo- 
sphärischen Erscheinungen  für  die  ganze 
nördliche  Halbkugel  geben  auf  Grund 
einer  neuen  UnterBuchungsmethode,  bei 
der  der  Einflufs  des  Mondes  eine  Haupt- 
rolle spielt;  daneben  soll  möglichst  reich- 
haltiges Material  zur  Erforschung  der 
oberen  Luftschichten  gesammelt  werden. 

Persönliches. 

*  Am  81.  März  starb  der  Geh.  Rcg- 
Rat  und  Stadtschulrat  von  Berlin  Prof. 
Dr.  Schwalbe,  am  Tage,  nachdem  er 
sein  bisheriges  Amt  als  Direktor  des 
Dorotheenstädtischen  Realgymnasiums  zu 
Berlin  niedergelegt  hatte,  im  Alter  von 
60  Jahren.  Schwalbe  gehörte  zu  den 
wenigen  bisherigen  Leitern  höherer  Lehr- 


anstalten in  Deutschland ,  die  die  Be- 
deutung der  Geographie  für  unsere  heutige 
Bildung  schon  seit  lange  erkannt  hatten. 
So  gehörte  er  den  D.  Geogr.-Tagen  seit 
ihrer  Begründung  1881  als  thätiges  Mit- 
glied an,  hatte  in  den  von  ihm  begrün- 
deten „Unterrichtsblättern  für  Mathematik 
und  Naturwissenschaft41  versucht,  ein  Mittel 
auch  für  die  Pflege  der  Schulgeographie 
zu  finden,  und  war  vor  allem  an  seiner 
Anstalt  bestrebt,  diesem  Lehrgegenstand 
über  den  zu  engen  Rahmen  der  bestehen- 
den Lehrpläne  gerecht  zu  werden,  u.  a. 
durch  Einrichtung  einer  besonderen  Unter- 
richtsstunde für  Geographie  im  Ober- 
gymnasium, die  er  lange  Zeit  selber  gab; 
durch  Veranlassung  einer  umfangreichen 
geographischen  Lehrsammlung  u.  a.  Es 
ist  im  Interesse  der  Förderung  schul- 
geographischer Bestrebungen  außerordent- 
lich zu  bedauern,  dafs  es  Schwalbe  nicht 
vergönnt  gewesen  ist,  in  dem  weiteren 
Wirkungskreise,  für  den  er  berufen  war, 
für  die  Förderung  der  geographischen 
Schulung  unserer  Jugend  zu  sorgen,  was 
zu  thun  er  schon  angekündigt  hatte. 

Heb.  F. 


Kttcherbesprechnngen. 

Pauly-Wissowa.  Keal-Encyklopädie  Masse  von  Material,  das  hier  verarbeitet 
der  klassischen  Altertums-  j  vorliegt,  ein  Hilfsmittel  zur  Informierung 
Wissenschaft.    Stuttgart.  auf  dem  Gebiete  der  antiken  Geographie 

Wir    müssen    der    Vcrlagshandlung  <  gewonnen,  wie  es  kein  zweites  auf  der 

dankbar  sein,  dafs  sie  sich  entschlossen  Welt  giebt. 

hat,  die  altberühmte  Paulysche  Real-  Nur  einB  ist  für  den  Geographen  etwas 
Enzyklopädie,  die  im  Verlauf  der  Jahre  unbequem  Der  Herausgeber  hat  im 
vielfach  veraltet  und  unzureichend  ge-  Gegensatz  zu  den  früheren  Bearbeitern 
worden  war,  in  neuer  Bearbeitung  er-  bei  griechischen  und  osteuropäischen 
scheinen  zu  lassen.  Bis  jetzt  sind  16  Halb- ;  Namen  durchweg  griechisches  Alphabet 
bände  von  dem  auf  20  Halbbände  be-  statt  des  lateinischen  zu  Grunde  gelegt; 
rechneten  Werke  erschienen.  Soweit  wir  \  er  schreibt  bei  diesen  durchweg  „ku,  bei 
bis  jetzt  überblicken  können,  hat  der  den  lateinischen  und  westeuropäischen 
Herausgeber  seine  schwierige  Aufgabe  I  „c"  u.  s.  w.  Dies  mag  in  vielen  Fällen 
glücklich  gelöst.  Er  hat  es  verstanden,  nützlich  sein,  in  anderen  wenigstens  nichts 
treffliche  Mitarbeiter  sich  zu  gewinnen;  schaden;  bei  den  geographischen  Namen 
ich  nenne  nur:  A.  Baumgartner,  H.  Berger,  aber  erschwert  die  Unterscheidung  die 
J.  Benzinger,  K.  Hübner,  Chr.  Hülsen,  Benützung  oftmals.  So  steht  das  dacische 
W.  Judeich,  A.  Milchhöfer,  E.  Oberhummer,  Acmonia  p.  283,  das  phrygische  Akmonia 
J.  Partsch,  W.  Tomaschek.  Mit  ihrer  p.  1174;  Callipollis  und  KallipolÜB  sind 
Hilfe  ist  ein  völlig  neues  Werk  entstanden,  getrennt.  Solche  Fälle  sind  äußerst 
das  die  Beachtung  der  Geographen  in  zahlreich.  Eine  Menge  nur  einmal  vor- 
jeder  Weise  verdient.  Besonders  jüngere  1  kommender  Ortsnamen  vermißt  der  Leser 
Gelehrte    haben    durch    die   ungeheure  schmeralich.     Wie    dankbar    wäre  ein 


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Bücherbesprechungen. 


jüngerer  Gelehrter  oftmals  für  den  einfachen 
Hinweis,  dafs  der  gesuchte  Name  nur 
einmal  in  den  Schriften  des  Altertums 
genannt  wird.  So  fehlt  z.  B.  das  japy- 
gische  Abydus,  A graule,  Agnotes,  An- 
cyrium,  das  syrische  Aiga,  Aladda,  der 
Anthemusflufs  Iberiens,  u.  s.  w.  Besonders 
in  Plinius,  Ptolemaeus,  der  Tab.  Peuting. 
ist  mir  eine  grofse  Menge  von  Namen 
aufgestoßen ,  die  in  dem  vorliegenden 
Werke  fehlen.  Der  Herausgeber  würde 
sich  ein  Verdienst  erwerben,  wenn  er  sie 
alle  systematisch  zusammenstellen  liefse 
und  in  einem  Nachtrage  veröffentlichte. 
Berlin.  W.  Sieglin. 

BlAinckc,  Ad.,  und  Hefa,  lt..  Unter 
suchungen  am  Hintereisferner. 
( Wissenschaftliche  Ergänzungshefte 
zur  Zeitschrift  des  D.  u.  ö.  Alpen- 
vereins.  I.  Bd.  2.  Heft.  ;   Mit  1  Karte 
und  9  Tafeln.    München,  1899. 
Dem  vortrefflichen  Werk  von  Finster- 
walder  über  den  Vernagtferner  ist  bald 
als  zweites  Heft  der  wissenschaftlichen 
Ergänzungshefte  zur  Zeitschrift  des  D.  u. 
ö.  Alpenvereins  ein  weiteres  Gletscher- 
werk erschienen,    dem   ein  besonderer 
Wert   darum  beizumessen  ist,   weil  es 
gleichsam  eine  Kontrolle  der  von  Finster- 
walder  auf  Grund  seiner  Untersuchungen 
aufgestellten  Theorie  darbietet.  Blümcke 
und  HefB,  die  Verfasser  der  neuen  Ab- 
handlung, wollten  durch  die  Untersuchung 
des  Hintereisferner  einmal  die  bisherigen 
Arbeiten   am  Gepatsch-,   Vernagt-  und 
Hochjochferner  ergänzen,  zugleich  aber 
auch   eine   experimentelle  Prüfung  der 
genannten     Theorie     ausführen.  Der 
Hintereisferner  schien  dazu  sehr  gut  ge- 
eignet, da  er  eine  im  Verhältnis  zum 
Firngebiet  sehr  ausgedehnte  Zunge  von 
geringer  Neigung  und  sehr  geringer  Zer- 
klüftung hat. 

Die  Untersuchungen  am  Gletscher, 
die  in  den  Jahren  1893—1899  ausgeführt 
wurden,  begannen  mit  einer  sorgfältigen 
Vermessung  des  Gebietes.  Die  Forscher 
überspannten  dieses  mit  einem  dichten 
trigonometrischen  Netz,  dessen  Punkte 
z.  T.  auf  photogrammetrischen  Wege  ge- 
wonnen wurden.  Bei  der  Verarbeitung 
der  Vermessungen  und  bei  der  Her- 
stellung der  Karte  wurde  mit  grofser 
Sorgfalt  verfahren,  vorwiegend  unter  Be- 
nutzung der  von  Finsterwalder  gegebenen 


L*)9 

Anweisungen.  Neben  der  trigonome- 
trischen Vermessung  bildeten  zahlreiche 
Geschwindigkeitsbestimmungen  und  die 
Ermittelung  des  Betrages  der  Ablation 
die  Hauptaufgabe  der  Untersuchung.  Mit 
Hilfe  dieser  beiden  Werte  war  die  Be- 
rechnung der  Querschnitte  des  Gletschers 
nach  der  Finsterwalder'schen  Theorie  er- 
möglicht; sie  ergab  durchausbefriedigende 
Resultate.  Zur  Prüfung  der  Richtigkeit 
dieser  wurden  auch  Bohrungen  vor- 
genommen, die  das  obige  Resultat  be- 
stätigten. Die  Bohrlöcher,  deren  Herstel- 
lung mit  grofsen  Schwierigkeiten  ver- 
bunden war,  wurden  zugleich  zu  Tem- 
peraturmessungen benutzt.  Es  fand  sich 
in  allen  Tiefen  des  Gletschers  stets  eine 
den  jeweiligen  Druckverhältnissen  ent- 
sprechende Schmelztemperatur.  Von  all- 
gemeinerer Bedeutung  ist  auch  die  weitere 
Untersuchung  über  den  Zusammenhang 
zwischen  mittlerer  Geschwindigkeit,  Ober- 
flächenneigung und  Querschnitt,  welche 
lehrte,  dafs  die  von  Eytelwein  für  die 
Bewegung  des  Wassers  in  Flüssen  und 
Kanälen  aufgestellte  Formel  auch  auf 
den  Gletscher  sich  anwenden  läfst,  wofern 
nur  die  von  den  Widerständen  abhängigen 
Gröfsen  entsprechende  andere  Werte  er- 
halten. Die  Arbeit  ist  endlich  wie  die 
von  FinBterwalder  auch  reich  an  lehr- 
reichen Einzelbeobachtungen  und  Ver- 
suchen, unter  denen  wir  nur  noch  der 
erfolgreichen  Herstellung  künstlicher 
Gletscher  gedenken  wollen.  Für  den 
ferneren  Ausbau  der  Gletscherkunde  bildet 
sie  eine  aufserordentlich  wertvolle  Grund- 
lage. Ule. 

Gold  stein,  J.,  Bevölkerungsproblem 
und  Berufsgliederung  in  Frank- 
reich. VI  u.  223  S.  Berlin,  Gutten- 
tag.  1900. 

Wenngleich  das  vorliegende  Buch 
sozialpolitische  Ziele  verfolgt  und  durch- 
aus im  Geiste  und  nach  der  Methode  der 
Sozialwissenschaften  geschrieben  ist,  so 
sind  doch  die  Thatsachen  der  Bevölkerungs- 
bewegung von  so  einschneidender  geo- 
graphischer Bedeutung,  dafs  es  mir 
wünschenswert  schien,  das  Buch  auch  in 
der  G.  Z.  zu  erörtern.  Die  geringe  Be- 
völkerungszunahme Frankreichs,  im  Ver- 
gleich namentlich  mit  der  starken  Zu- 
nahme Englands  und  Deutschlands,  ist 
ja  eine  der  merkwürdigsten  Erscheinungen. 


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3(10 


Bücherbespreehungen. 


deren  Ergrundung  schon  viele  hervor- 
ragende Forscher  beschilftigt  hat;  waren 
die  Franzosen  früher  au«  Angst  vor  Über- 
völkerung geneigt,  diese  Erscheinung 
mit  einer  gewissen  Befriedigung  zu  be- 
trachten, so  empfinden  sie  sie  heute  als 
ein  schweres  Übel,  weil  sie  in  Folge  ihrer 
geringen  Zunahme  in  der  Reihe  der 
Völker  immer  mehr  zurücktreten,  über 
die  Ursache  sind  die  verschiedensten 
Vermutungen  aufgestellt  worden;  Verf. 
weist,  wie  mir  scheint,  überzeugend  nach, 
daf8  die  Ursache  in  der  wirtschaftlichen 
Struktur,  namentlich  in  dem  starken  Über- 
wiegen des  gewerblichen  und  bäuerlichen 
Mittelstandes  und  dem  Fehlen  der  Grofs- 
industrie  liegt  —  Zunahme  findet  sich 
thatsächlich  nur  in  den  Departements  mit 
armer  landwirtschaftlicher  Bevölkerung 
wie  der  Bretagne  und  in  den  Gebieten 
der  Grofsindustrie  — ;  sie  ist  also  in 
letzter  Linie,  wie  auch  schon  der  franzö- 
siche  Geograph  Dubois  u.  a.  ausgesprochen 
haben,  in  den  geographischen  Bedingungen 
der  Lage  und  Küstengliederung  und  der 
mangelhaften  Ausstattung  mit  Kohle  be- 
gründet, welche  es  in  Frankreich  nicht 
zu  der  gleichen  Entwicklung  der  Grofs- 
industrie wie  in  England  und  Deutschland 
haben  kommen  lassen.  Diese  geographische 
Begründung  fehlt  beim  Verf.  allerdings. 
Man  vermiTst  bei  ihm  überhaupt  mit 
Bedauern  jeden  Hauch  geographischer 
Anschauungsweise;  die  geographische 
Litteratur  über  sein  Thema,  namentlich 
die  höchst  lehrreiche  Karte  von  Supan  in 
Pet.  Mitt  .  1892  iBt  ihm  imbekannt  geblieben, 
und  von  der  Methode  kartographischer 
Darstellung,  die  ja  überhaupt  erst  einen 
Überblick  über  verwickelte  Verbreitungs- 
erscheinungen  möglich  macht,  hat  er 
offenbar  auch  für  seine  eigenen  Studien 
keinen  Gebrauch  gemacht.  Es  haben 
bisher  leider  erst  wenige  Nationalökonomen 
und  Statistiker  eingesehen,  welchen  Vor- 
teil Bie  aus  geographischen  Studien  ziehen 
können.  A.  Hettner. 

Meurer,  Ju).,  Illustrierter  Führer 
auf  der  Brennerbahn,  durch  die 
ZillerthalerundStubaierAlpen 
und  durch  die  östl.  bayerisch- 
tirolerischen  Kalkalpen 
(München  -  Bozen).  Hartleben's  Ol. 
Führer  Nr.  53.  Wien.  Pest,  Leipzig, 
A.  Hartleben.    12°.   VII,  194  S.,  6  S. 


unpaginiert  fRegisteri,  mit  45  111  u. 

10  K.  Preis  geb.  5.40  JL 
Der  Führer,  der  auch  die  Strecke 
Wörgl— Zell  a.  3.,  ferner  Schiern,  Grödner 
Dolomiten  und  die  weitere  Umgebung  des 
Karersee-Hotels  mehr  oder  weniger  aus- 
führlich einbezieht,  ist  —  wie  von  einem 
so  hervorragenden  Alpenkenner  zu  er- 
warten —  ein  gutes  Nachschlagewerk  in 
allen  praktischen  Dingen,  namentlich  in 
Bezug  auf  Distanzen  und  Unterkunft. 
Geographische  Zusammenfassungen  oder 
spezielle  Notizen  naturwissenschaftlichen 
Inhalts  enthält  er  nicht.  Auch  ist  er 
nicht  für  Hochalpinisten,  sondern  „für 
das  grofBe  gebirgsrei sende  Publikum"  be- 
stimmt und  ihm  bestens  zu  empfehlen. 
Kleine  Versehen  wie  S.  64,  wo  man 
meinen  könnte,  dafs  bei  Mayrhofen  sich 
5  Thäler  vereinigen,  sind  wohl  auf  Rech- 
nung der  angestrebten  Knappheit  der 
Ausdrucksweise  zu  setzen.  Die  45  Voll- 
bilder stellen  ein  förmliches  kleines 
Album  dar,  die  Karten  sind  von  Freytag 
in  seiner  bekannten  Art,  vielleicht  etwas 
zu  monoton  grau,  ausgeführt.  Neben 
einer  Übersichtskarte  der  Ostalpen  1 : 1  Mill. 
finden  wir  eine  der  Brennerbahn  1 : 900 000 
und  der  Pusterthalbahn  1:1400000,  die 
eigentlich  entbehrlich  sind,  4  Karten 
gröfserer    Gebiete     in    1:250  000  und 

I  :  350  000 ,  3  Spezialkarten  aus  den 
Stubaiern  und  Dolomiten  in  1  :  100000  und 
1:150000  und  2  Pläne,  Bozen  und  Inns- 
bruck, die  beide  wohl  zu  klein  sind. 
Der  Bozener  Plan  entbehrt  auch  aller 
Strarsenbenennungen.  Eine  Umgebungs- 
karte von  Innsbruck  1  :  100  000  ist  dem 
praktischen  Büchlein  ebenfalls  beigegeben, 
es  sind   also  mit  der  Übersichtskarte 

II  Karten  und  2  Pläne.  Sieger. 

Autenrleth,  Fr.,  Ins  Inner-Hochland 
von    Kamerun.     Eigene  Reise- 
erlebnisse.   Kl.  8°.   160  S.   Mit  Ab- 
bildungen   und    Karte.  Stuttgart, 
Holland  &  Josenhans.  1900.  JL  1,26, 
geb.  JC  1,76. 
Verfasser  war  als  Missionar  auf  der 
Station  Mangamba  unter  den  Abonegern 
des  mittleren  Kamerungebietes  thätig  und 
unternahm  von  dort  aus  in  den  Jahren 
1893—95  drei  Reisen  nach  Norden  und 
Nordosten  bis  Nyasoso   am  Fufse  des 
3000  m  hohen,  vulkanischen  Kupeberges 
und  bis  in  da«  Land  der  Bakaga  an  den 


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Neue  Bücher 


und  Karten. 


301 


südlichen  Abhängen  der  wahrscheinlich 
ebenfalls  vulkanischen  Manengubaberge. 
Die  geographischen  Ergebnisse  dieser 
l,  T.  durch  noch  unbekannte  Gegenden 
führenden  Reisen  hat  er  in  v.  Danckel- 
man's  Mitteilungen  1895  veröffentlicht; 
in  dem  vorliegenden  Buche  aber  wendet 
er  sich  an  ein  gröfseres  Publikum  und 
schildert  in  schlichten,  bald  humorvollen, 
bald  aber  auch  ergreifenden  Worten  seine 
Erlebnisse  im  Hinterlande  von  Kamerun. 
Im  Dienste  der  Mission  unternahm  er 
seine  Reisen  und  in  der  Begeisterung  für 
seinen  Beruf,  die  aus  seinen  Schilderungen 
herausklingt,  harrte  er  mutig  aus  unter 
allen  Gefahren,  die  ihn  umgaben  und 
mehr  als  einmal  sein  Leben  bedrohten, 
bis  er  endlich  seine  Ausdauer  mit  Erfolg 
gekrönt  Bah  und  unter  dem  Ukosi  in 
NyasoBQ  eine  Missionsstation  errichten 
konnte.  A.  Schenck. 

Unold,  J.,  Das  Deutschtum  in  Chile 
(Der  Kampf  um  das  Deutschtum, 
16.  Heft).  München,  Lehmann  1899. 
JC  1.20. 

Wintzer,  W.,  Die  Deutschen  im  tro- 
pischen Amerika  (Der  Kampf  um 
das  Deutschtum,  14.  Heft).  München, 
Lehmann  1900.  M  1.40. 
Unold  ist  eine  Reihe  von  Jahren  als 
Lehrer  in  Chile  thatig  gewesen  und  hat 
dadurch  das  dortige  Deutschtum  gründlich 
kennen  gelernt.  Nach  einem  Rückblick 
auf  die  geschichtliche  Entwicklung,  bei 
dem  er  dem  Anteil  der  Deutschen  be- 
sondere Aufmerksamkeit  schenkt,  bespricht 
er  kurz  die  Stellung  der  Deutschen  in 
Mittel -Chile  und  dann  ausführlich  die 
deutschen  Ansiedelungen  in  Süd -Chile, 
„Kleindeutschland  am  Stillen  Ozean",  wie 
er  sie  wohl  etwas  zu  optimistisch  nennt. 
Es  ist  ein  anziehendes  erfreuliches  Bild 
deutscher  Tüchtigkeit,  aber  leider  auch 
ein  betrübendes  Bild  deutschen  kon- 
fewionellen  Haders,  das  er  uns  hier  ent-  I 


wirft.  In  mir  erweckte  seine  Schilderung, 
die  mir  in  allen  wesentlichen  Punkten 
richtig  zu  sein  scheint,  eine  lebhafte  Er- 
innerung an  meinen  Besuch  jenes  schönen 
anheimelnden  Landes,  und  wer  dies  nicht 
selbst  kennt,  wird  sich  daraus  eine  gute 
Vorstellung  von  dem  Leben  unserer  dortigeu 
Brüder  machen  können. 

Die  Aufgabe  Wintzer's  war  insofern 
schwieriger,  als  sich  seine  Darstellung  auf 
ein  sehr  viel  grösseres  Gebiet,  nämlich 
auf  Mexiko,  Mittelamerika  und  die  süd- 
amerikanischen Andenländer  erstreckt  — 
Brasilien  fällt  dagegen  nicht  in  den  Be- 
reich seiner  Betrachtung  — .  Er  kennt 
Mexiko  aus  eigener  Anschauung  und  ver- 
mag daher  Land  und  Leute  richtig  und 
mit  grofser  Anschaulichkeit  zu  schildern 
und  die  Stellung  der  Deutschen  treffend 
zu  beurteilen.  Bei  den  übrigen  Ländern 
geht  ihm  dagegen  die  persönliche  Kennt- 
nis ab,  und  er  hat  sich  leider  auch  nicht 
genügend  in  der  Litteratur  umgesehen, 
so  dafs  namentlich  die  geographische  Dar- 
steUung  dieser  Länder  teilweise  ziemlich 
mangelhaft  ist.  Der  Grundgedanke  der 
Schrift  scheint  mir  richtig  zu  sein:  In 
Mexiko  und  auch  noch  in  Mittelamerika 
mufs  in  Folge  des  räumlichen  Zusammen- 
hanges das  Übergewicht  der  Nordameri- 
kaner immer  mehr  zunehmen.  In  seiner 
Ausdehnung  auf  Südamerika  dagegen  fehlt 
dem  Panamerikanismus  die  innere  Be- 
rechtigung; hier  stehen  die  amerikanischen 
Interessen  noch  ganz  im  Hintergrunde, 
und  es  liegt  auch  kein  Grund  vor,  warum 
nicht  die  Europäer  und  im  besondern  wir 
Deutschen  den  Kampf  mit  den  Amerikanern 
aufnehmen  sollten.  Dafs  aber  irgendwo 
ein  guter  Boden  für  deutsche  Bauern- 
kolonisation sein  sollt«,  möchte  ich  be- 
zweifeln :  wenn  auch  die  klimatischen  Be- 
dingungen in  den  höheren  Regionen  erfüllt 
sind,  so  liegen  doch  gerade  hier  ungünstige 
wirtschaftliche  und  soziale  Verhältnisse 
vor.  A.  Hettner. 


Nene  Bücher  and  Karten. 

Zusammengestellt  von  Heinrich  Brunner. 

OeMklekU  4er  Geographlr.  Konr.  Häbler.  24  S. ,  14  facsiin.  S.,  2  Abb 

Kolumbus  -  Brief ,    der    deutsche;    in      (Drucke  u.  Holzschn.  des  15.  u.  16.  Jahrb. 
Facsimile-Dr.  hrag.  mit  einer  Einl.     i    VI).   StrafBburg,  Heitz  1900.    X  8  — 


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302 


Neue  Biicher  und  Karten. 


AHfffmeliir  phj»Uehe  Geograph!». 

Günther,  S.  Akustisch -geograph.  Pro- 
bleme. SA.  19  S.  München.  Franz 
Komm.  1901.    JC  —.40. 

Hints  to  travellere,  scientific  and  general; 
ed.  for  the  Council  of  the  Koyal  Geo- 
graph. Soc.  by  John  Coles.  8th  ed. 
enl.  9  vol.  London,  R.  Geograph.  Soc. 
1901.    16  a. 

Hugues,  L.  Oceanografia.  VIII,  275  S. 
Turin,  Fratelli  Becca  1901. 

Europa. 

Ardouin-Dumazet.  Voyage  en  France. 
23.  Serie :  Plaine  comtoise  et  Jura, 
Haute-Saöne,  Doubs,  Beifort,  partie  de 
l'Ain.  25  cartes.  423  S.  Paris,  Berger- 
Levrault  1901.    Fr.  3.50. 

Bass,  Alfr.  Deutsche  Sprachinseln  in 
Südtirol  und  Oberitalien  .  .  .  Abb.  V, 
104  S.    Leipzig,  Lucius  1901.    X  2.50. 

Oegrand,  A.  Souvenirs  de  la  Haute- 
Albanie.  Hl  grav.  341  S.  Paris,  Welter 
1901.    Fr.  10.—. 

Gsell-Fels,  Th.  Rom  u.  die  Campagna. 
6.  Aufl.  XTVr,  1255  S.  m.  6  Karten, 
53  Plänen  u.  Grundrissen  und  Gl  An- 
sichten. Leipzig,  Bibliographisches  In- 
stitut 1901. 

Holz,  Prof.  tTber  Wasserkraftverhältnisse 
in  Skandinavien  und  im  Alpengebiet. 
SA.  8  Tal.,  79  Abb.  48  S.  P.  Berlin, 
Ernst  &  S.  1901.    JC  24  — 

Notices  sur  la  Finlande ;  publice»  ä 
Toccas.  de  l'Expos.  univ.  ä  Paria  en  1900. 
Abb.  Karten.  V,484  S.  Hehüngfors  1900. 

Russie,  la,  a  la  fin  du  19.  siecle;  ouvr. 
public  sous  la  direction  de  W.  de  Kova- 
levsky.    (Commission  impcr.  de  Russie 
ii  l'expos.  univ.  de  Parin.;.    CarteB,  ill 
XX,  990  S.    Paris,  Dupont  1900. 

Sernander,  Rutger.  Den  Skandinaviska 
vegetationens  «pridningsbiologi  ;  zur 
Verbreitungsbiologie  der  skandinav. 
Pflanzenwelt.  Mit  einem  deutschen 
Mosumö.  32  Abb.  IV,  459  S.  Berlin, 
Friedländer  &  S.  Komm.  1901.  JC  10.- 

Mitteleuropa. 

Achleitner,  Arth.  Tirolische  Namen; 
Handb.  zur  Namendeutung.  MI,  133  S. 
Innsbr.,  Wagner  1901     ,h  1.60. 

Berzan,  K.  v.  Bozen -Gries  und  Um- 
gebung. 1  Karte.  Abb.  50  S.  Bozen, 
Buchhandlung  „Tyrolia"  1901.  JC.  1 .  — 

Ebert,  Herrn.  Periodische  Seespiegel- 
schwankungen    '(Seiches)',  beobachtet 


am  Starnberger  See.  SA.  28  S.  Mün- 
chen, Franz  Komm.  1900.  .40. 

Fertsch,  G.  Die  Volkszählung  im  Grofs- 
herzogt  Hessen  vom  2.  XII  1895.  IV, 
XX VII,  141  S.  (Beitr  z  Statistik  d. 
Grofsherzogt.  Hessen.  Bd.  44,  Heft.  8). 
Darmst.,  Jonghaus  1900.    JC  3.60. 

Luib,  Fei  Der  Taunus  u.  sein  Gebiet. 
100  Blatt  in  Phototypie,  nach  der  Natur 
aufgenommen.  20  Lief.  4°.  Frankf.a.  M., 
Kesselring  1900— 1901.    Zn  JC  2.—. 

Hold  ich,  Col.  Sir  T.  Hungerford.  The 
Indian  Borderland  1880—1900.  Map. 
22  iU.  XH,  397  S.  London,  Methuen  C. 
1901.    15  s. 

Karte  des  Kriegsschauplatzes  in  China; 
hrsg.  von  der  kartograph.  Abt.  der 
k.  preufs.  Landes- Aufnahme.  1 :  300000. 
Farbdr.  Sekt.  Ho  kien  fu: 27,5x72,5 cm; 
Sekt.  Peking  und  Schan  hai  kwan: 
60  x  72,5  cm.  3.  Aufl.  Berlin,  Eisen- 
schmidt  1901.    JC  —.76  u.  JC  1.60. 

Pavie,  Aug.  Mission Pavie[enJIndo-Chine 
'(1879— 96)':  Geographie  et  voyageB  I. 
18  cartee,  140  ill.,  portr.  339  S.  4°. 
Paris,  Leroux  1901. 

Percy,  Earl.  Highlands  ofAaiaticTurkey. 
III.  348  S.    London,  Arnold  1901.    14  b. 

Richthofen,  Ferd.  v.    Karte  des  nord 
östl.  China  ...    1  :  3  000  000.  Farbdr. 
39,6  X  57,6  cm.  (Kriegskarte  IH).  Berlin, 
D.  Reimer  1900.    JL  1.— 

Vermessung,  die,  des  deutschen  Kiaut- 
sehou-Gebiets  .  .  .  ;  bearb.  im  Reichs- 
Marine -Amt  auf  Grund  der  Aufh 
1898—1900.  90  S  11  Kartenanlagen. 
P.  Berlin,  D.  Reimer  Komm.  1901. 
10.  - 

Afrika. 

Bernard,  M.  Autour  de  la  Mediterrance : 

Les  cötes  barbaresques,  de  Tunis  a  Alger. 

1  carte,  120  ill.   368  S.   Paris,  Laurens 

[1901].    Fr.  10  — 
Gatelet,  le  lt.    Historie  de  la  eonquöte 

du  Soudan  fran«,ais  '(1878—99)'.  29  cro- 

quis.  VIH,  623  S.  Paris,  Berger- Levrault 

1901.    Fr.  10.— 
Reclus,  Elise'e.    Geographie  universelle: 

FAfrique  australe;  iuise  ä  jourp.  Ontteitne 

Reclus.  28  cartes.  363  S.  Paris,  Hachette 

C.  1901.    Fr.  10  — 
Vohsen,  Ernst.    Zur  deutsch-ostafrikan. 

Scenbahn-Frage.    Mit  1  Karte  v.  Afr. 

30  S.   Berlin,  I)  Reimer  1901.  X  —.60. 


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Zeitschriftenschau. 


303 


Autrallicfca  Usela. 

Kramer,  August  in     Die  Sa*» 

Entwurf  einer  Monogr.  Karten,  Taf., 
Textill.  4  Lief.  Stuttg.,  Schweizerbart 
1901.    Zu  JL  4.- 

SÜ,Uniorlk«. 

Gernhard,  Rob.  Dona  Francisca,  Hansa 
u.  Blumenau;  drei  deutsche  Muster- 
siedelungen  im  südbrasil.  Staate  Santa 
Catharina.  Festschrift.  1  Karte,  III. 
XXIV,  416  S.  Breslau,  Schles.  Buchdr. 
1901.  JL  8.— 

Kaerger,  K.  Landwirtschaft  und  Koloni- 
sation im  spanischen  Amerika.  2  Bde. 
L  Die  La  Plate-Staaten.  IX,  939  S. 
mit  1  Tafel.  II.  Die  Südamerikas 
Weststaaten  und  Mexiko.  VII,  743  S. 
Leipzig,  Duncker  &  Humblot  1901. 
JL  42.80. 

PoUrreglonea. 

N  an  Ben,  F.  Norwegian  North  Polar 
expedition:  scientific  results.  Vol.  II. 
4°.    London,  Longmans  1901.    30  s. 


Gcographlirker  Uaterrleht  u  ml 

Gebauer,  Hch.  Handbuch  der  Länder- 
u.  Völkerkunde  .  .  .  mit  bes.  Berücks. 
der  Volkswirtschaft!  Verhältnisse.  I : 
Europa.  IV,  986  S.  Leipz.  Lang  1901. 
JL  15.— 

Diercke-Gaebler.  Schulatlas  für  höhere 
Lehranstalten.  37.  Aufl.  Revision  von 
1900.  169  Haupt-  und  166  Nebenkarten. 
Braunschweig,  Westermann  1901. 

Lüddecke-Haack.  Deutscher  Schul- 
atlas. 3.  Aufl.  8*  Karten  und  7  Bilder 
auf  61  Seiten.  Gotha,  Justus  Perthes. 
1901. 

Meinhold.  Geograph.  Bilder  aus  Sachsen. 
2.  Lief.  6  Taf.  Farbdr.  60  x  86  cm. 
Dresd.,  Meinhold  &  Söhne  1901 .  JL  9.— ; 
einzeln  zu  JL  1.80.  [b  :  Kloster  Marien- 
thal; 7  :  Bastei ;  8  :  Herrnhut;  9  :  Moritz- 
burg; 10  :  Kriebetein.] 

Rieht  er 's  Atlas  für  höhere  Schulen. 
23.  Aufl.  v.  0.  Richter  u.  C.  Schulteis. 
46  Karten  mit  40  Nebenkarten.  Glogau, 
Flemming  1901. 


Zeitschriftensclian. 


Petermann'g  Mitteilungen.  1901.  Nr.  8. 
K  atz  er:  Das  Gebiet  an  der  Mündung  des 
Trombetas  in  den  Amazonas.  —  Tho- 
roddsen:  Das  Erdbeben  in  Island i.  J.  1896. 

—  Henkel:  Die  Verbreitung  der  Schrift- 
arten in  Europa.  —  Schuh:  Das  Gefrieren 
der  Seen.  —  Sieger:  Zur  Thalgeschichte 
des  obersten  Donaugebietes.  —  Philipp- 
so n:  Geologie  von  Rhodus.  —  Hammer: 
Die  Mission  Pavie.  —  Gravelius:  Der 
Einflufs  des  Waldes  auf  Bodenfeuchtigkeit 
und  Grundwasser.  —  Tornquist:  Zur 
Geologie  von  Jamaika.  —  Ders.:  Neuere 
Betrachtungen  über  das  geologische  Alter 
der  Erde. 

Globus.  Bd.  LXXDL  Nr.  10.  v.  1)  a  n  c  k  e  1  - 
man:  Das  deutsche  Material  zur  Karto- 
graphie des  afrikanischen  Grabengebietes. 

—  Kaindl:  Aus  der  Volksüberlieferung 
der  Bojken.  —  Andre"e:  Alte  west- 
afrikaniBche  Elfenbeinschnitzwerke  im 
Herzogl.  Museum  zu  Braunschweig. 

Dans.  Nr.  11.  Rüge:  Rattenberger 
Studien.  —  Steffens:  Die  Verfeinerung 
des  Negertypus  in  den  Vereinigten  Staaten. 

—  Kohnt:  SophuB  Rüge.  —  Förster: 


Foureau's  Expedition  von  Algier  nach 
Französisch  -  Kongo. 

Da$8.  Nr.  12.  Krämer:  Der  Purpur- 
fisch der  Gilbertinsel.  —  Rüge:  Ratten- 
berger Studien.  —  Friedrichaen:  Prof. 
Futterer's  Reise  durch  Asien. 

Boss.  Nr.  13.  v.  Luschan:  Zur 
anthropologischen  Stellung  der  alten 
Ägypter.  —  Pater  Andreas  Hartmann's 
Hereisung  der  Südostküste  des  Tanganjika- 
Sees.  —  Jäger:  Die  Salzburger  Bucht. 

—  Neger:  Der  Stund  der  Kautschuk- 
gewinnung im  tropischen  Afrika.  — 
Mehlis:  Prähistorische  Schleudersteiue 
aus  dem  M  ittelrhei  nlande.  —  Schuchardt: 
Zum  Stand  unserer  Kenntnis  Aber  die 
Basken 

Dass  Nr  14.  v.  Seidlitz:  L.  S.  Berg's 
Erforschung  des  Aralsees  im  Sommer  1900. 

—  Purpus:  Fel»malereien  und  Indianer- 
gräber in  Tulare  County  (Kalifornien).  — 
Seidel:  Togo  im  Jahre  1900.  — 
Tetzner:  Das  bosnische  und  herzego- 
winische  Haus.  —  Neger:  Das  Licht- 
klima  in  der  arktischen  Zone  und  der 
Lichtgenufs  der  Pflanzen  in  der  arktischen 


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304 


Zeitschriftenschau. 


Region.  —  Sapper:  Zur  Statistik  von 
Guatemala. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXIII  Jahrg.  7.  Heft 
Meinhard:  Die  Frauen  der  Völker  im 
südöstlichen  Europa.  —  Yokoyama: 
Der  Ausbruch  des  Vulkans  Adatara  in 
Japan.  —  Das  gelbe  Fieber  in  Rio  de  Janeiro. 
—  Die  Reise  Kozlov's  in  Zentralasien. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie. 
XXII.  Jhrg.  6.  Heft  Sieger:  Der  inter- 
nationale Kongrefs  für  Handels-  und  Wirt- 
schaftsgeographie in  Paris.  —  Stübler: 
Über  LandschaftsBchilderung.  —  Zu  den 
Grundsätzen  für  Lehrbücher  der  Geo- 
graphie. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1901. 
3.  Heft.  Polis:  Beitrüge  zur  Gewitter- 
kunde im  Hohen  Venn  und  der  Eifel.  — 
Köppen:  Versuch  einer  Klassifikation  der 
Klimate.  —  Messerschmidt:  Über  die 
Halophänomene. 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für 
Erdkunde  zu  Berlin.  1901.  Nr.  3. 
Borehgrevink:  Die  antarktische  Expe- 
dition des  „Southern  Gross"  189»— 1900. 

Kret8chmer:  Die  physische  Entwick- 
lung der  Nordseeküste  in  historischer  Zeit. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde 
zu  Berlin.  1900.  Nr.  C.  Fischer:  Zur 
Klimatologie  von  Marokko. 

The  Geographical  Journal.  Vol,  XVn. 
Nr.  4.  Church:  South  America:  An 
Outline  of  it«  Physical  Geography.  — 
Stein:  Note  on  Topographical  Work  in 
Chinese  Turkestan.  —  Chambers:  Can 
Hawkins's  „Maiden  Laudu  be  identified 
as  the  Falkland  Islands?  —  Beazley: 
Sebastian  Münster. 

The  Scottish  Geographical  Magazine. 
1901.  Nr.  4.  Murray  and  fPullar: 
A  Bathymetrical  Survey  of  the  Fresh- 
Water  Lochs  of  Scottland.  IH.  —  Gulston: 
Some  Notes  on  the  Baltio  and  Arctic 
Voyages  of  the  „Ermack"  1899.  —  Hin  se- 
in an:  The  River  Spey.  —  The  British 
Rainfall  Organisation. 


La  Geographie.  1901.  Nr.  3.  Vam- 
bery:  La  Perse  Orientale  et  le  Khorassan. 

—  Bon  in:  Voyage  de  Pe"kin  au  Turkestan. 

—  Jobit:  Mission  Gendron  au  Congo 
francais.  —  Loefler:  Mission  Gendron. 
Note  but  la  region  comprise  entre  le 
N'Gounie"  et  FAlima.  —  Huot:  Mission 
Chari-Sangha.  —  Hodge:  Re'centes  ex- 
plorations  ethnologiques  et  archeologiques 
aux  Etats  Unis. 

Annales  de  Geographie.  1901.  Nr.  50. 
Woeikof:  De  l'influence  de  Thomme  sur 
la  terre.  —  Gallois:  Le  Bassigny.  — 
L  e*  o  n  :  Exeursion  geographique  daus 
l'Ardenne.  —  Zaborowski:  Les  Finnois. 

—  Saint  Yves:  Transalai  et  Pamirs.  — 
Chevalier  et  Cligny:  La  Casamance. 

—  Bouffard:  Notes  de  voyage  au  Se- 
Tch'oan. 

Rivista  Geografica  Baliana.  VHI.  März. 
U  ziel  Ii:  La  scoperta  delT  America  al 
Congresso   degli   americanisti  del  1900. 

—  Fi  echt  er:  Notizic  sul  nuovo  rile- 
vamento  del  Vesuvio  eseguito  nell' 
anno  1900.  —  M  a  r  i  n  e  1 1  i  :  Termini 
geografici  dialettali  raecolti  in  Cadore. 

—  Oberti:  Le  regione  interne  dell' 
Africa  Orientale  secondo  le  ultime  spedi- 
zioni.  —  Biasutti :  Le  carte  topo- 
grah'che  nell*  insegnamento  della  geo- 
grafia.  —  Aleani:  Osservatorio  Ximeniano 
di  Firenze. 

The  National  Geogiaphic  Magazine. 
1901.  Nr.  3.  Crosby:  Abyssinia,  the 
Countiy  and  People.  —  McGee:  The  Old 
Yuma  Trail.  —  The  Sea  Fogs  of  San 
Francisco.  —  Geographie  Facta  from  Re- 
port oft  the  Taft  Philippine  Commission. 

—  Hoffmann:  The  Philippine  Exhibit 
at  the  Pan-American  Exposition. 

The  Journal  of  School  Geography. 
1901.  Nr.  3.  Carter:  A  Method  of 
Map-Drawing.  —  Davis:  Local  Illustration« 
of  Distaut  Land.  —  Mifs  Reynolds  „Novel 
School-'.  —  Lusk:  The  Australian  Com- 
monwealth. —  Dodge:  A  School  Course 
in  Geography. 


Verantwortlicher  Herautgrlier    Prof  Dr  Alfred  ffettatr  in  Heidelberg 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde. 

Von  Dr.  J.  B.  Messerschmitt  an  der  Seewarte  in  Hainburg. 

Wohl  eine  der  wichtigsten  physikalischen  Eigenschaften  der  Materie  ist. 
die  Schwere  Sie  bewirkt,  dafs  alle  Körper  einander  anziehen  und  zwar,  wie 
es  Newton  zuerst  dargethan  hat,  direkt  proportional  den  Massen  und  um- 
gekehrt proportional  dem  Quadrate  der  Entfernung  derselben.  Damit  ist 
aber  dieser  Kraft  auch  die  enge  räumliche  Begrenzung  genommen;  sie  herrscht 
allgemein,  sowohl  auf  der  Erde  als  auch  im  weiten  Weltraum.  Es  liegt 
auch  für  die  Astronomie,  worauf  neuerdings  H.  Seeliger1)  hinwies,  kein 
Gmnd  vor,  dieses  tiesetz  nicht  überall  als  giltig  zu  betrachten. 

Über  das  Wesen  der  Schwerkraft  oder  der  Gravitation  haben  wir  noch 
keine  genaue  Kenntnis,  welche  auch  für  viele  Untersuchungen  nicht  not- 
wendig ist.  Betrachtet  mau  die  Anziehung  einer  homogenen  Kugel  auf 
einen  materiellen  Punkt,  so  erfolgt  dies»,  nach  dem  Newton'schen  Attraktions- 
gesetze ebenso,  wie  wenn  ihre  Masse  im  Mittelpunkt  vereinigt  wäre.  Wenu 
also  die  Erde  eine  homogene  Kugel  wäre  oder  eine  Kugel,  bei  welcher  die 
Massen  in  homogenen  Schalen,  wenn  auch  von  verschiedener  Dichte  zu- 
sammengesetzt, angeorduet  wären,  so  würde  die  Schwere  an  der  Oberfläche, 
abgesehen  von  der  durch  die  Rotation  entstehenden  Modifikation  wegen  der 
Fliehkraft,  überall  gleich  sein  und  zwar  gleich  derjenigen  Kraft  ,  welche  von  der 
ganzen  Masse,  im  Mittelpunkt  vereinigt  gedacht,  ausgeht,  wobei  sie  nach 
dem  Zentrum  gerichtet  wäre. 

Da  aber  die  Erde  keine  Kugel,  sondern  ein  schwach  abgeplattetes  Ro- 
tationsellipsoid ist,  dessen  kleine  Achse  nach  den  beiden  Polen  gerichtet  ist 
und  das  sich  überdies  um  diese  Achse  dreht,  so  erkennt  mau,  dafs  hier  die 
Stärke  und  Richtung  etwas  verschieden  von  dem  vorher  angeführten  ein- 
fachen Fall  sein  wird.  Es  läfst  sich  zeigen,  dal's  die  Schwerkraft  abhängt 
von  dem  Quadrate  des  Sinus  der  geographischen  Breite2).  Bei  einem  solchen 
Körper  ist  auch  die  Richtung  der  Kraft  nicht  nach  dem  geometrischen 
Mittelpunkt  gerichtet,  sondern  fällt  jeweilen  mit  der  Richtung  des  Krümmungs- 
radius zusammen,  so  lange  eben  die  Dichtigkeitsverteilung  in  der  Erde 
gleichmäfsig  ist.  Ist  dies  aber  nicht  der  Fall,  so  erhält  man  Abweichungen 
zwischen  den  beobachteten  und  den  auf  obige  Weise  theoretisch  ermittelten 

Ii  H.  Secliger,  Über  das  Newton'sche  Gravitationsgesetz.  Sitzungsbericht  der 
Akademie  zu  München,  Math.-Phys  Kl.  '26,  S.  3S«J  IHM6. 

2)  9  =  %  +  •  »in'qp,  wo  g0  die  Schwere  am  Äquator  und  #  eine  Konstante 
bedeutet,  die  von  der  Fliehkraft  und  der  Abplattung  der  Erde  abhängt. 

Geographische  Zeitichrift.  7.  Jahrgang.  l»0l  0.  Heft.  21 

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30G 


J.  B.  MesaerBchraitt: 


Werten ;  dies  giebt  für  die  Richtung  der  Schwerkraft  die  „Lotabweichungen" 
und  für  die  Intensität  die  „Schwereanomalien". 

Wie  schon  eine  flüchtige  Umschau  erkennen  läfst,  ist  wenigstens  in  der 
Nähe  der  Erdoberfläche  die  Massenverteilung  nicht  gleichmäfsig,  auch  ist  in 
der  Verteilung  der  Unregelmäfsigkeiten  kein  mathematisches  Gesetz  erkennbar. 
Man  mufs  daher  die  Schwere  nach  Größe  und  Richtung  durch  direkte  Be- 
obachtungen von  Ort  zu  Ort  ermitteln. 

Iufolge  dieser  Abweichungen  fällt  auch  die  Fläche,  auf  welcher  die 
Richtung  der  Schwerkraft  (das  Lot)  überall  senkrecht  steht  (man  nennt  sie 
Niveaufläche,  speziell  in  Meereshöhe  Geoid),  nicht  mit  einem  Rotationsellipsoid 
ganz  zusammen ;  nur  die  Oberflächen  der  Flüssigkeiten,  insbesondere  der  Meere ') 
bilden  den  sichtbaren  Teil  dieser  mathematischen  Figur  der  Erde  (des  Geoids), 
wobei  allerdings  von  den  Bewegungen  durch  Ebbe  und  Flut,  durch  Winde  und 
andere,  Meeresströmungen  erzeugende  Ursachen,  Luftdruck  u.  s.  w.  abgesehen 
werden  mufs. 

Wie  bereits  angedeutet,  sind  es  die  Dichtigkeitsänderungen  in  der  Erde, 
welche  die  Abweichungen  von  den  einfachen  geometrischen  Verhältnissen  her- 
vorrufen und  auch  bei  der  mathematischen  Untersuchung  der  Krümmungs- 
verhältnisse direkt  eintreten.  Für  das  Studium  des  Baues  der  Erdrinde  ist 
jedoch  die  Intensität  der  Schwere  wichtiger,  auf  welche  hier  deshalb  auch 
näher  eingegangen  werden  soll. 

Die  direkte  Messung  der  Beschleunigung  der  Schwerkraft  stöfst  auf 
Schwierigkeiten,  sobald  man  sie  einigermafsen  genau  haben  will.  In  den 
Peudelbeobachtungen  jedoch  hat  man  ein  Hilfsmittel,  die  Schwerkraft  sicher 
zu  ermitteln.    Für  das  mathematische  Pendel  ist  bekanntlich  die  Schwingung*  • 


Schwere  und  %  die  Ludolph'sche  Zahl  bedeutet.  Setzt  man  die  Zeit  /  gleich  1*, 
so  erhält  man  //  =  ?ts/,  d.  h.  die  Intensität  der  Schwere  ist  der  Länge  des 
Sekundenpendels  direkt  proportional.  Um  also  g  zu  erhalten,  ist  die  Messung 
einer  Länge  und  einer  Zeit  nötig;  Gröfsen,  welche  im  allgemeinen  sehr  genau 
erhalten  werden  können.  Da  aber  nicht  mit  einem  mathematischen  sondern 
mit  einem  physischen  Pendel  beobachtet  werden  mufs,  so  treten  eine  Reihe 
von  Schwierigkeiten  auf,  welche  bewirken,  dafs  die  Bestimmung  der  Intensität 
der  Schwere  mit  zu  den  kompliziertesten  Aufgaben  der  Physik  gehört. 

Man  unterscheidet  nun  zweierlei  Arten  der  Bestimmungen,  nämlich  ab- 
solute und  relative.  Je  nachdem  die  eine  oder  andere  Bestimmung  ausgeführt 
werden  soll,  sind  die  dazu  dienenden  Instrumente  und  Apparate  verschieden. 
Bei  ersterer  müssen  möglichst  alle  konstanten  Fehlerquellen  vermieden  oder 
wenigstens  sicher  bestimmt  werden  können,  anders  bei  der  relativen  Messung, 
wo  konstante  Fehlerquellen  meist  ohne  allen  Nachteil  sind,  dagegen  sollen  sie 
hiuwiederum  möglichst  empfindlich  sein,  um  feinere  Unterschiede  nachweisen 

l)  Auch  die  Seen  bilden  solche  Niveauflächen.  Für  die  mathematische  Dar- 
stellung dieser  Verhältnisse  vgl  F.  R.  Helmert,  Die  niath.  u  physik.  Theorien  der 
höheren  fieodäsie.  2.  Band,  Leipzig  1884  und  H.  Bruns,  Die  Figur  der  Erde. 
Berlin  1878.    Publik,  d.  k.  pr.  geod.  Inst. 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde.  307 

zu  können.  Da  nun  in  der  Physik  der  Erde  gerade  die  Verteilung  der  Schwer- 
kraft auf  der  Erde  von  der  gröfsten  Bedeutung  ist,  so  werden  dafür  die 
relativen  Bestimmungen  in  ausgedehnter  Weise  verwendet,  während  man  die 
absoluten  Messungen  auf  wenige  dafür  günstige  Orte  beschränken  kann.  Es 
ist  dies  ein  grofser  Gewinn,  da  gerade  die  absoluten  Beobachtungen  viel 
Zeit  erfordern,  während  die  relativen  mit  •  wenig  Aufwand  au  Zeit  und 
instrumentellen  Mitteln  ausgeführt  werden  können. 

Für  absolute  Messungen  kommen  besonders  zwei  Apparate1)  in  Betracht, 
nämlich  das  einfache  Fadenpendel,  wie  es  Biot,  Arago,  Borda,  Th.  Young 
und  besonders  Bessel  zu  seiner  klassischen  Abhandlung  „Untersuchungen  über 
die  Länge  des  einfachen  Sekundenpendels"  (Abhandlung  d.  Akad.  Berlin  1826  2) 
verwendet  hat,  und  das  Reversionspendel.  Das  Prinzip  dieses  Apparates 
wurde  zuerst  von  Bohnenberger  in  seiner  „Astronomie"  (Tübingen  1811 
S.  448)  beschrieben,  später  von  Bessel  unabhängig  davon  neuerdings  an- 
gegeben und  zuerst  von  Repsold8)  in  die  Praxis  umgesetzt.  Dies  Instrument 
wurde  mehrfach  durch  Repsold,  v.  Orff,  Defforges  u.  a.  verbessert,  so  dafs 
die  konstanten  Fehler  besonders  bei  den  Längenmessungen,  die  Elastizität, 
das  Mitschwingen,  das  Gleiten  der  Schneiden  u.  dgl.  m.  vermieden  oder 
deren  Einflufs  wenigstens  sicher  ermittelt  werden  kann.  Das  Reversions- 
pendel wird  jetzt  fast  allein  noch  für  absolute  Messungen  verwendet4). 

Von  den  verschiedenen  Methoden  für  die  relative  Bestimmung  der 
Schwere  giebt  bis  jetzt  allein  die  Anwendung  von  „invariablen  Pendeln" 
brauchbare  und  genaue  Werte.  Bei  diesen  Pendeln  wird  die  einfache  Be- 
ziehung verwendet,  dafs  sich  die  Schwere  an  zwei  Orten  umgekehrt  dem 
Quadrat  der  Schwingungszeiten  des  gleichen  Pendels  an  den  beiden  Orten 
verhält.  Die  grofsen  Expeditionen  in  der  ersten  Hälfte  des  letzten  Jahr- 
hunderts von  Kater,  Sabine,  Foster,  Freycinet  u.  s.  w.  benutzten  schon  solche 
invariable  Pendel.    Ein  grofser  Fortschritt  wurde  aber  erst  durch  den  Apparat 


1)  Vgl.  Th.  von  Oppolzer:  „Bericht  über  die  Bestimmung  der  Schwere  mit  Hilfe 
verschiedener  Apparate.1'  Verhandl.  der  7.  alldem.  Konferenz  der  Europ.  Grad- 
messung zu  Rom  1883.  Anlage  VI,  und  Zeitschr.  für  Instrumentenkunde  4.  1884. 
S.  303  und  379. 

2)  Reproduziert  in  „Ostwald's  Klassiker  der  exakten  Wissenschaften14  und 
Bessel  F.  W.  Abhandlungen,  hrsg.  von  K.  Engelmann,  3.  Bd.  Leipzig  1876. 

8)  E.  Plantamour,  „ExpCriences  faites  ä  Qeneve  avec  le  pendule  a  reversion." 
Mem.  de  la  Soc.  phys.  et  d'hist.  nat.  Geneve  18.  1866  und  „Nouvelles  experiences". 
1872. 

4)  Es  genügt  hier  auf  einige  der  wichtigsten  Abhandlungen  über  diesen  Appanit 
zu  verweisen.  C.  8.  Peirce,  On  the  flexure  of  pendulum  supports  (App.  No.  14. 
Coast  and  Geodetic  Survey  Report  for  1881);  P.  Kuhlberg,  Astron.  Nachr.  Bd.  101. 
1882  No.  2416  u.  Bd.  113.  1886.  No.  2689.  C.  von  Orff,  Bestimmung  der  Länge 
des  einfachen  Sekundenpendels  auf  der  Sternwarte  zu  Bogenhausen,  Abhdlgeu  der 
der  math.-phys.  Kl.  der  Akad.  14.  München  1883;  G.  Lorenzoni,  Kelazione  sulle 
esperienze  istituti  nel  R.  Obs.  astr.  di  Padova  per  determinare  la  lunghezza  del 
pendolo  semplice  a  secondi.  Roma  1888;  O.  Defforges  in  Memorial  du  depöt  ge- 
neral  de  la  guerre.  T.  16.  Observations  du  pendule.  Paris  1894;  F.  R.  Helmert, 
Beiträge  zur  Theorie  des  Reversionspendels.  Potsdam  1898.  Veröff.  d.  k.  pr.  geod. 
Instituts. 

21* 


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308 


J.  B.  Messerscbmitt: 


dos  Oberst  R.  von  Sterneck 1 )  erzielt,  welcher  Apparat  besonders  einfach  und 
für  Feldbeobachtuugen  praktisch  und  kompcndiös  ist,  dessen  Vorzug  aufser- 
dem  noch  in  der  neuen  Anordnung  des  Koinzidettzapparats  liegt.  Etwas 
komplizierter  ist  der  relative  Apparat  von  G.  Dcfforges2),  der  aber  ebenfalls 
bei  leichter  Transport lühigkeit  sehr  gute  Resultate  liefert.  Die  ineiste  Ver- 
breitung hat  der  Apparat  von  Sterueck  gefunden,  wovon  der  von  Menden- 
hall3) eine  Modifikation  durstellt. 

Seit  Oberst  von  Sterneck  seinen  Apparat  erstellt  und  seine  Brauchbar- 
keit durch  grofse  und  rasche  Aufnahmen  in  Österreich  deutlich  gezeigt  hat, 
hauen  die  Untersuchungen  über  die  Verteilung  der  Schwere  einen  ungeahnten 
Fortschritt  genommen.  Wenn  auch  der  Apparat  bei  guter  Aufstellung  allen 
Ansprüchen  genügt,  die  man  an  ihn  zu  stellen  berechtigt  ist,  so  sind  doch 
seither  einige  Verbesserungen  vorgenommen  worden,  welche  besonders  das 
Mitschwingen  des  Stativs  betreffen.  So  konstruierte  von  Sterneck  selbst  eine 
sichere  Wandkonsole,  Haid4)  ein  neues  Stativ,  Schumann s)  gab  eine  Methode 
für  die  Bestimmung  der  Korrektion  wegen  Mitschwingen  an  u.  s.  w.,  wo- 
durch auch  dieses  störende  Element  beseitigt  wird.  Eine  Modifikation  der 
Koinzidenzbeobachtungen  gab  Brillouin6)  an.  Durch  diese  Änderungen  wird 
die  Genauigkeit  der  Beobachtungen  um  ein  bedeutendes  gesteigert  und  zum 
Teil  sogar  erst  ermöglicht,  die  kleineu  in  ebenen  Gegenden  u.  s.  w.  vor- 
handenen Unterschiede  in  der  Schwere  sicher  zu  ermitteln,  wahrend  die 
grofsen  Differenzen  im  Hochgebirge  leichter  gefunden  werden. 

Ein,  besonders  vom  physikalischen  Standpunkt  aus,  interessantes  Neben- 
resultat, welches  diese  Fendelmessungen  lieferten,  ist  die  Veränderlichkeit  der 
Pendel7)  mit  der  Zeit.  Es  sind  sowohl  lang  andauernde  allmähliche  Än- 
derungen als  auch  plötzliche  Sprünge H)  gefundeu  worden.  Im  allgemeinen 
wurden  Verkürzungen  der  Fendelstangen  beobachtet,  die  man  durch  Ver- 
biegen der  Stangen  oder  auch  durch  Strukturiinderuugen  erkliiron  kann.  Zur 


1)  R,  von  Sterneck,  Der  neue  Pendelapparat  de*  k.  k.  mil.-geogr.  Instituts. 
Mitteilungen  den  mil.-geogr.  Instituts.   Wien  1887. 

2)  G.  Defforges  L  c.  Memorial  etc.  1894. 

3i  T.  C.  Menden  hall,  Determination  of  gravity.  Washington  1892,  und  T.  C. 
Mendenhall,  On  the  Use  of  Planes  and  Knife-edges  in  Pendulums  for  Gravity 
Measurements.    Amer.  Journ.  of  Sciences.  (3)  45  S.  144.  1898. 

4)  M.  Huid,  Neues  Pendelstativ.  Zeitschrift  für  InRtrumentenkundc  1896 
8.  193. 

üi  H.  Schumann,  Über  die  Verwendung  zweier  Pendel  auf  gemeinsamer 
Unterlage  zur  Bestimmung  der  Mitschwingung.  Zeitschritt  für  Math.  u.  Physik.  44. 
1898.  S.  102. 

6)  M.  Brill ouin,  Appareil  leger  pour  la  determination  rapide  de  l'intensite  <le 
la  pesanteur.    Conaptes  rendus  126.  1897.    8.  292. 

7)  Vergl.  die  von  mir  gegebenen  Untersuchungen  und  Zusammenstellung  in  „Das 
schweizerische  Dreiecknetz",  Relative  I  Stimmungen  der  Intensität  der  Schwerkraft 
in  der  Schweiz"  Bd.  7     Zürich  1897.  S.  170-182. 

8)  Bestimmung  der  Polhühc  und  der  Intensität  der  Schwerkraft  auf  22  Stationen 
von  der  Ostsee  bei  Kolberg  bis  zur  Schneekoppe  Berlin  1896.  Veröff.  d.  k.  pr. 
geud.  Inst.  Seite  162.  Ferner  K.  lt.  Koch,  „Über  relative  Schwerebestimmungen." 
Zeitschrift  für  butnimentenkunde  18.  1898.    S.  298. 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde.  309 


Vermeidung  dieser  Veränderlichkeit  gab  Wilsing1)  eine  andere  Form  an,  mit 
welcher  aber  bis  jetzt  noch  keine  Messungen  bekannt  sind. 

Wenn  es  nun  auch  möglich  ist,  die  Intensität  der  Schwere  an  vielen 
Orten  verhältnismäfsig  leicht  zu  messen,  so  fehlt  es  uns  doch  bis  jetzt  an 
einem  Apparat,  diese  Messungen  auch  auf  dem  Meere  mit  genügender  Ge- 
nauigkeit ausführen  zu  können.  Da  nun  aber  das  Meer  weitaus  den  gröfsten 
Teil  der  Erdoberfläche  bedeckt,  so  bleibt  hierdurch  eine  bedeutende  Lücke 
in  unserm  Wisseu,  die  um  so  schwerwiegender  ist,  als  zwischen  der  Schwere 
auf  den  Inseln  und  den  Kontinenten  eine  Anomalie  besteht,  die  noch  nicht 
völlig  aufgeklärt  ist,  deren  Lösung  nur  durch  direkte  Messungen  auf  dem 
Meere  gefunden  werden  kann.  Ob  Versuche  mit  andern  Apparaten,  wie 
Hypsometern,  Aräometern,  die  Verwendung  des  Druckes  konstanter  Gas- 
massen, Elastizitätsinstrumente  u.  s.  w.  jetzt  schon  zum  Ziel  führen,  lälst  sich 
nicht  mit  Sicherheit  vorhersagen,  da  die  damit  gemachten  Beobachtungen 
zu  wenig  zahlreich  oder  die  verwendeten  Apparate  nicht  über  das  Versuchs- 
stadium hinaus  gelangt  sind.  Immerhin  haben  aber  die  zahlreichen  Be- 
obachtungen der  letzten  Jahre  eine  Reihe  interessanter  Resultate  ergeben, 
welche  daher  einer  eingehenderen  Betrachtung  wohl  wert  sind. 

Wie  die  allgemeine  Schwere  die  Erklärung  der  Entstehung  der  Erd- 
gostalt  geliefert  hat,  so  bietet  dieses  Gesetz  auch  die  Mittel  zur  Bestimmung 
einer  weiteren  wichtigen  Konstanten  des  Erdkörpers,  nämlich  seiner  mitt- 
leren Dichte. 

Schon  Newton  hatte  geraten,  die  Dichte  der  Erde  durch  Messung  der 
ablenkenden  Wirkung  von  Gebirgsmassen  auf  das  Lot  zu  bestimmen.  Aber 
erstBouguer  und  La  Condamine  führten  1735  nach  diesem  Prinzipe  gelegent- 
lieh ihrer  Breitengradmessung  in  Peru  eine  Dichtigkeitsbestimmung  der  Erde 
aus.  Es  kommt  hierbei  das  Verhältnis  der  Anziehung  eines  Gebirges  (Berges) 
zu  jener  der  ganzen  Erdraasso  in  Betracht,  woraus  man  auch  das  Verhältnis 
dieser  ihrer  Gröfse  nach  bekannten  Masse  zur  ganzen  Masse  der  Erde  und 
damit  die  Dichte  erhält.  Die  ersten  Messungen  konnten  aus  verschiedenen 
Gründen  keine  brauchbaren  Resultate  liefern,  erst  später  haben  Hutten  und 
Maskelyne  in  England  damit  Erfolg  gehabt. 

Statt  der  Lotablenkung  kann  man  aber  auch  die  Intensität  der  Schwere 
verwenden,  indem  man  ein  Pendel  auf  dem  Gipfel  eines  Berges  von  be- 
kannter Masse  und  an  seinem  Fufs  schwingen  läfst.  Vermöge  der  Attraktion 
der  unterhalb  befindlichen  Masse  des  Berges  nimmt  die  Schwere  auf  ihm 
langsamer  ab,  als  bei  freier  Erhebung  in  der  Luft.  Der  Unterschied  zwischen 
der  beobachteten  und  der  für  den  letzteren  Fall  berechneten  Intensität  der 
Schwere  ist  dem  Verhältnis  zwischen  der  Bergraasse  und  der  Masse  der 
Erde  proportional  und  gestattet  daher  die  Dichte  der  Erde  zu  berechnen. 
Diese  Methode  verwendete  zuerst  Carlini  und  neuerdings  mit  Erfolg  die 
Amerikaner  Preston  und  Mendenhall  in  Japan.    Das  nämliche  Resultat  er- 

1)  J.  Wi Ising,  über  eine  besondere  Form  invariabler  Pendel.  Zeitschrift  für 
Instrumentenkundc.  17.  1897.  S.  109.  Wilsing  glaubt,  daf»  die  Änderung  der  Pendel 
durch  thermische  Nachwirkungen  hervorgerufen  wird,  entsprechend  der  Theorie 
von  Thiesacn.    (Wissensch.  Abhdlg.  d.  Phys.  Techn.  Rcichsanstalt  8.  1895.  S.  75.) 


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310 


J.  B.  Messerschmitt: 


hält  man,  wenn  man  sich  in  das  Innere  der  Erde  begiebt,  um  dort  die  In- 
tensität der  Schwere  zu  bestimmen,  wie  es  zuerst  Airy  und  später  Albrecht, 
von  Sterneck  und  Schiötz  thaten. 

Aber  alle  diese  Messungen  leiden  unter  der  Schwierigkeit,  die  Masse 
der  auf  das  Pendel  oder  Lot  wirkenden  Erdschichten  genügend  genau  fest- 
zustellen. Davon  sind  die  rein  experimentellen  Methoden  frei,  wobei  relativ 
kleine  Massen  für  die  Anziehung  in  Verwendung  kommen. 

Diese  Methoden  beruhen  bekanntlich  auf  die  Anwendung  der  Coulomb- 
sehen Drehwage  (Cavendish,  Reich,  Baily,  Cornu  und  Baille,  Boys  und 
C.  Braun);  der  gewöhnlichen  Wage  nach  Jolly,  später  von  Poynting  und 
kürzlich  von  Richarz  und  Krigar-Menzel  verwendet,  und  endlich  auf  der  An- 
ziehung von  Massen  auf  ein  nahe  im  Schwerpunkt  aufgehängtes  Pendel  nach 
J.  Wilsing.  Eine  neue  Methode  hat  in  jüngster  Zeit  Gerschun1)  angegeben, 
Messungen  liegen  jedoch  damit  keine  vor. 

Alle  diese  Bestimmungen  liefern  Werte  zwischen  5,5  und  5,6  für  die 
mittlere  Dichte  der  Erde;  der  Mittelwert  der  neueren  Messungen  liegt  um 
5,52.  Die  Unsicherheit  desselben  ist  in  so  engen  Grenzen  eingeschlossen, 
dafs  man  das  Problem  schon  umkehren  kann  und  mit  der  bekannten  mitt- 
leren Erddichte  die  Dichte  der  die  obere  Erdkruste  zusammensetzenden  Massen 
oder  deren  Konstitution  abzuleiten  sucht.  Als  Hilfsmittel  dienen  hierbei  die 
für  die  Bestimmung  der  mittleren  Erddichte  zuerst  angeführten  Methoden, 
nämlich  Messungen  von  Lotablenkungen  und  besonders  Beobachtungen  der 
Intensität  der  Schwerkraft.  Die  so  erhaltenen  Beobachtungs-Resultate  ver- 
gleicht man  mit  dem  theoretischen  Verhalten  der  Schwere.  Aus  den  Ab- 
weichungen der  beobachteten  Verteilung  der  Schwere,  gegenüber  derjenigen, 
wie  sie  bei  einer  homogen  geschichteten,  nahezu  kugelförmigen  (ellipsoidischen) 
Erde  vorhanden  sein  mufs,  lassen  sich  die  erwähnten  Schlüsse  ziehen.  Es 
ist  daher  deren  Kenntnis  von  eben  so  grofser  Wichtigkeit,  wie  der  wirkliche, 
aus  den  Beobachtungen  folgende  Verlauf  der  Schwere. 

Zum  besseren  Verständnis  mufs  zunächst  der  Begriff  des  Potentials  her- 
angezogen werden,  der  in  der  modernen  Physik,  besonders  der  Elektrizität 
eine  hervorragende  Rolle  spielt.  Denken  wir  uns  einen  mit  der  Masse  1  be- 
gabten materiellen  Punkt,  der  unter  dem  Einflufs  der  von  der  Erde  auf  ihn 
ausgeübten  Massenanziehung  und  der  aus  ihrer  Achsendrehung  entspringenden 
Zentrifugalkraft  steht.  Verbindet  man  diese  Punkte  mit  allen  Massenelementen 
der  Erde,  so  nennt  man  die  Summe  aller  wirkenden  Massenteilchen,  jedes 
durch  seine  Entfernung  vom  angezogenen  Punkt  dividiert,  das  Potential  des 
Erdkörpers.  Da  sich  nun  die  Erde  bewegt,  so  kommt  zu  dem  Punkt  noch 
die  Zentrifugalkraft,  welche  vom  Quadrat  der  Rotationsgeschwindigkeit 
und  seines  Abstandes  von  der  Rotationsachse  abhängt.  Die  Summe  beider, 
des  Potentials  und  des  Einflusses  der  Rotationsgeschwindigkeit,  nennt  man 
die  Kräftefunktion  der  Erde,  häufig  auch  schlechtweg  „Potential  der 

1)  A.  Gerschun,  Methode  pour  de'terminer  la  density  moyenne  de  la  terre  et  la 
constante  gravitationnelle.  Comptes  rendus  129.  1899.  S.  1013  und  A.  Sella,  Sur 
une  nouvelle  mtHhode  proposee  par  M.  Gerschun  de  determination  de  la  density  de 
la  terre.    Archive»  Geneve  X.  1900.  S.  322. 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft,  auf  der  Erde. 


311 


Schwerkraft"  (W).  Die  Fläche  selbst  nennt  man  das  Geoid,  sie  stellt  die 
mathematische  Gestalt  der  Erde  vor. 

Wir  können  nun  an  Stelle  dieser  Fläche  eine  andere,  regelmäfsigere 
substituieren,  das  sog.  Niveau-  oder  Normalsphäroid  (U),  dessen  Kon- 
stanten so  angenommen  werden,  dafs  für  dieses  die  normale  Schwerkraft  (y) 
giltig  ist.  Im  allgemeinen  werden  beide  Funktionen  in  einem  beliebigen 
Punkte  der  Erdoberfläche  um  eine  Gröfse  ('/')  von  einander  abweichen.  Auf 
diese  Weise  ist  die  Kräftefunktion  (  W  =  U  -f-  T)  in  einen  regelmässigen 
Teil  (U\  der  bis  auf  kleine  Reste  das  Potential  der  Zentrifugalkraft,  sowie 
das  der  Anziehung  enthält,  und  ein  Restglied  (T  =  W —  U)  zerlegt,  das 
auf  die  Wirkung  einer  idealen  störenden  Schicht  im  Mecresniveau  zurück- 
geführt werden  kann. 

Für  diejenigen  Punkte,  in  welchen  beide  Flächen  nicht  zusammenfallen, 
läfst  sich  der  Abstand  nach  dem  Theorem  von  Bruns  aus  der  Gleichung 

T 

AT  =  —  bestimmen,  wenn  y  die  normale  Beschleunigung  in  dem  betreffenden 

Punkte  bedeutet.  Ist  T  =  0,  so  berühren  bez.  schneiden  sich  Geoid  und  Sphäroid. 
Hierdurch  ist  die  wichtigste  Beziehung  zwischen  den  beiden  Flächen  gegeben. 
Da  nun  wiederum  zwischen  dem  Normalsphäroid1)  und  einem  entsprechend 
abgeplatteten,  der  Erdgestalt  sich  möglichst  anschliefsenden  Rotationsellipsoid 
ein  ähnlicher  einfacher  Zusammenhang  besteht  (Bruns  und  Heimelt  konnten 
auf  zwei  verschiedenen  Wegen  zeigen,  dafs  sich  beide  im  Maximum  nur  um 
19  m  von  einander  entfernen),  so  folgt  daraus  die  Berechtigung,  für  rein 
geodätische  Operationen  und  für  alle  geographischen  Untersuchungen  das 
Geoid,  abgesehen  von  Verbiegungen  lokalen  und  kontinentalen  Charakters, 
als  abgeplattetes  Rotationsellipsoid  anzusehen. 

Den  oben  gefundenen  Abstand  (N)  zwischen  Geoid  und  Sphäroid  kann 
man  auch  als  die  Störung  des  Radiusvektors  ansehen.  Um  nun  die 
gesuchten  Beziehungen  zwischen  der  normalen  und  der  wirklichen  Schwere 
zu  finden,  bildet  man  die  Ableitung  der  Kräftefunktionen  in  der  Richtung 
der  Normalen: 

•cW  dU.BT 
ch  ™  3h~T  d  h 

Die  Ableitung  der  Kräftefunktion  des  Geoids  iu  der  Richtung  der  Nor- 
malen ist  gleich  der  wirklichen  Schwerkraft  (g)  in  Meereshöhe.    Es  ist  ferner 

w- -('+«-*  +  -•) 

gleich  der  normalen  Schwere  (y),  nebst  einem  Korrekt ionsgliede.  Mit  aus- 
reichender Genauigkeit  ist  |^  =  —  ,  wo  R  den  Erdradius  bezeichnet. 
Endlich  ist 

dS  =  —  2xk"ü  —  K  A  

_____  ch  2li  ' 

1)  Das  Normnlsphäroid  ist  eine  algebraische  Fläche  der  14.  Ordnung.  Für  alle 
diese  Betrachtungen  sind  die  beiden  angegebenen  Werke:  Bruns,  „Die  Figur  der 
Erde"  und  besonders  Helmert,  „Die  math.  u.  phys.  Theorie  der  höheren  Geodäsie1' 
anzuführen. 


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312 


.1  15.  MesKerschmitt : 


wenn  wir  uns  clor  Potentialtheorie  entsprechend  die  störenden  Massen  als 
einen  unendlich  dünnen  Massenbeleg  auf  der  Erdkugel  in  Meereshöhe  aus- 
gebreitet denken.  Hierin  bezeichnet,  X  die  Dicht«  der  störenden  Masse  für 
die  Flächeneinheit. 

Wie  schon  angegeben,  ist  innerhalb  der  hier  eingehaltenen  Genauigkeit 

7'=  Xy  und  ebenso  genau  y  =  *  7tk~&m  7»,  bezogen    auf  die    Erde  vom 

o 

Kugelradius  7t  und  der  mittleren  Dichte  &m.  Nach  dem  Hinsetzen  dieser 
Werte  und  gehöriger  Reduktion  erhält  man  schliefslich  die  gesuchte  Re- 
lation zwischen  Schwerestörung  untl  der  Dichtigkeit  der  störenden 
Schicht  für  einen  Punkt  des  Geoids. 

worin  y  die  beobachtete,  auf  Meereshöhe  reduzierte  Schwere,  y  die  theoretische 
Schwere,  Jt  den  Erdradius,  &,n  die  mittlere  Erddichte  bezeichnet.  6>7),  wo- 
für oben  X  geschrieben  war,  bezeichnet  die  im  Meeresniveau  gedachte,  ideale 
kondensierte  Störungsschicht  von  der  Dicke  J>  und  der  Dichte  &  des  be- 
treffenden Gesteins.  Endlich  ist  ,Y  der  unbekannte  Abstand  der  ( JeoidHäche 
(Meeresniveaus)  über  die  Fläche  gleich  großen,  ungestörten  Potentials,  des 
Normal-Sphäroids. 

Um  N  ableiten  zu  können,  wäre  die  Kenntnis  der  Schwere  auf  der  ge- 
samten Erdoberfläche  nötig,  was  bis  jetzt  noch  nicht  der  Fall  ist,  da  z.  Ii. 
Schwerebestimmungen  auf  dem  Meere  zur  Zeit  noch  nicht  vorhanden  sind,  ab- 
gesehen von  den  Beobachtungen  auf  dem  Eise  im  nördlichen  Polarmeer  von  Scott 
Hansen.  Dagegen  kann  man  aus  den  Lotabweichungen  wenigstens  die  relative 
Erhebung  zwischen  Geoid  und  Sphäroid  auf  den  Kontinenten  bestimmen. 
Man  findet  dafür .  in  Europa  Abstände  bis  zu  etwa  15  bis  20  m,  in  Asien 
und  Amerika  dürften  sie  vielleicht  bis  50  m  ansteigen1). 

Wenn  daher  wegen  der  Unkenntnis  von  N,  der  Störung  des  Radius- 
vektors, die  allgemeine  Anwendbarkeit  der  Formel  von  y  —  y  für  ver- 
einzelte Stationen  nicht  möglich  ist,  so  zeigen  doch  diese  und  andere  Unter- 
suchungen, dafs  die  Abweichungen  des  Geöids  vom  Rotationsellipsoid  sich  in 
engen  Grenzen  halten  und  kaum  200  Meter  überschreiten  werden.  Dieser 
Umstand  ermöglicht  es  aber  auch,  für  kleine  Gebiete  N  als  konstant  anzu- 
sehen. Kennt  man  daher  für  ein  solches  Gebiet  eine  gröfsere  Anzahl  //—}', 
so  läfst  sich  daraus  die  Störungsschicht  &J)  berechnen.  Die  so  berechnete 
Störungsschicht  ist  aber  eine  ideale,  für  welche  die  Störungsmassen  in  der 
Nähe  der  Meeresoberfläche  angenommen  ist.  Wie  diese  alter  in  Wirklichkeit 
in  dem  Erdkörper  verteilt  sind,  läfst  sich  nicht  genau  angeben,  da  aus  der 
Potentialwirkung  aufserhalb  eben  nur  die  gleichwirkende  Störungsschicht  in 
der  Oberfläche  ermittelt  werden  kann.  Die  Potentialtheorie  lehrt  aber,  dafs 
man  immer,  unbeschadet  der  Wirkung  aufserhalb,  alle  Massen  innerhalb 
einer  geschlossenen  Fläche  in  einer  bestimmten  Weise  auf  derselben  ver- 

1,  J.  B.  Messerschmitt,  „Über  den  Verlauf  des  Gcoids  auf  den  Kontinenten  und 
auf  den  Ozeanen."    Annalen  der  Hydrographie.   23.  1000.  Seite  595. 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde. 


313 


teilen  kann.  Man  kann  sich  also  auch  etwa  vorhandene  störende  Massen 
im  Erdin nern  auf  die  Meeresoberfläche  verschoben  denken,  wobei  aber  die 
Gröfse  und  die  Richtung  der  Verschiebung  unbekannt  bleibt.  Immerhin 
kann  man  aber  aus  dem  Verlauf  der  so  berechneten  idealen  Schicht  Ver- 
mutungen über  die  wirklich  störenden  Massen  aufstellen,  da  die  Dichtigkeit 
im  Erdkörper  an  gewisse  Grenzen  gebunden  ist.  Überdies  ist  es  plausibel, 
dafs  hauptsächlich  die  oberen  Schichten  der  Erdkruste,  etwa  bis  zu  einer 
Tiefe  von  100  Kilometern,  beteiligt  siad,  wie  sich  namentlich  durch  Herbei- 
ziehung anderer  Thatsachen  besonders  aus  den  Gebieten  der  Geologie  und 
Geophysik  ergiebt. 

Aus  den  Pendelmessungen  des  letzten  Jahrhunderts  bis  1880  hat 
F.  R.  Helmert  eine  Formel  für  die  normale  Schwere  in  Meereshöhe1)  ab- 
geleitet: 

M 

y  =  9,7800  (1  +  0,005310  sin2  B) 

cm 

bez.  für  die  Pendellunge  L  =  09,0918  (1  -f  0,005310  sin8  B) 
wo   B  die    geographische    Breite    bedeutet.    Hierbei    ful'sen    die  absoluten 
Messungen  hauptsächlich  auf  derjenigen  von  Bessel  in  Berlin.    Die  Abplat- 
tung der  Erde  folgt  damit  zu  l/yAKl. 

Die  absolute  Bestimmung  Oppolzers  in  Wien  giebt  nach  der  Übertragung 
für  Berlin  einen  um  0,35  mm  gröfseren  Wert  der  Schwere,  als  der  von  Bessel 
gefundene  ist,  weshalb  jetzt  auch  vielfach  au  die  Hcluiert'schen  Werte  noch 

M 

die  konstante  Korrektion  ~j-  0,00035  angebracht  wird2).  Im  Nachfolgenden 
soll  auch  stets  bei  Zahlenangaben  diese  Korrektion  berücksichtigt  werden. 

Durch  eine  Bearbeitung  fast  des  gesamten  Materials  des  letzten  Jahr- 
hunderts mit  Anschlufs  an  die  absolute  Bestimmung  von  Oppolzer  in  Wien, 
berechnete  Ivanof3)  eine  neue  Forniel  für  die  Länge  des  Sekundenpendels  in 
Meereshöhe,  wie  folgt: 

cm 

L  =  99,0997  -f  0,5240  sin2  tp'  —  0,0016  (sin  q>'  —  %  sin  V) 

worin  <p  die  geozentrische  Breite  bedeutet.  Er  hat  hierbei  noch  eine  Kugel- 
funktion 3.  Ranges  mitgenommen:  der  geringe  Betrag  des  Koeffizienten  der- 
selben beweist  jedoch,  dafs  man  zur  Zeit  eine  Ungleichheit  der  Nord-  und 
Südhälfte  der  Erde  nicht  nachweisen  kann.     Die  Schwerkraft  am  Äquator 

wird  damit  9,78075  d.  i.  um  0,75  mm  gröl'ser  als  der  ursprüngliche  Hel- 
mert'sche  Wert  und  um  0,40  mm  gröfser  als  der  verbesserte.  Die  Abplattung 
der  Erde  folgt  daraus  zu  Vga72,  also  ein  recht  befriedigender  Wert. 


1)  1.  c.    Bd.  2.  S.  241. 

2)  Bestimmung  der  Polhöhe  und  der  Intensität  der  Schwerkraft  auf  2*2  Stationen 
an  der  Ostsee  hei  Kolberg  bis  zur  Scheekoppe.  Berlin  1896  S.  VTU.  Veröff.  d.  k. 
preufs.  geod.  Instituts. 

3)  F.  R.  Helmert,  Bericht  über  die  relativen  Messungen  der  Schwerkraft  mit 
Pendelapparaten.  Verhandlungen  der  12.  allgem.  Konf.  der  internat-  Krdmessung 
in  Stuttgart  1898.    S.  889.  .  - 


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314 


J.  B.  Meeserscbmitt: 


Für  die  Untersuchung  der  geographischen  Verteilung  der  Schwere  sind 
übrigens  solche  konstante  Differenzen  ohne  Einflul's,  da  dadurch  der  relative 
Unterschied  zwischen  den  einzelnen  Stationen  ungeändert  bleibt  und  nur  die 
absoluten  Werte  eine  Änderung  erleiden.  Es  geben  daher  auch  die  Differenzen 
zwischen  der  beobachteten  und  der  aus  vielen  Beobachtungen  abgeleiteten 
Formel  berechneten  mittleren  Schwere  am  besten  und  deutlichsten  Auskuna 
über  diese  Verhältnisse.  Da  überdies,  wie  oben  gezeigt  wurde,  die  Diffe- 
renzen (0 — y)  leicht  in  einen  idealen  Massenwert  (Defekt  bez.  Überschufs) 
umgewandelt  werden  können,  so  verdienen  sie  auch  bei  graphischen  Dar- 
stellungen (sog.  Isogammen)  den  Vorzug.  Wird  die  Schwere  gröfser  als  nor- 
mal gefunden,  so  spricht  man  von  einem  Massenüberschufs,  wird  sie  kleiner 
gefunden,  von  einem  Massendefekt.  Nach  den  soeben  gemachten  Ausführungen 
erkennt  man  leicht,  dafs  diesen  Bezeichnungen  noch  eine  gewisse  Unsicherheit 
anhaftet.  Der  Unterschied  der  wahren  mittleren  Schwere  gegenüber  der- 
jenigen aus  einer  Formel,  z.  B.  der  von  Helmert,  abgeleiteten  liegt  jedoch 
innerhalb  mäfsiger  Grenzen,  sodafs  man  mit  Vorteil  die  Ausdrücke  Massen- 
Defekt  bez.  -Anhäufung  (Überschufs)  beibehält 

Die  Verteilung  der  Schwerebeobachtungen  auf  der  Erde  ist  bis  jetzt 
noch  eine  recht  ungleichmäfsige,  ja  nicht  einmal  auf  einem  Kontinente 
kennen  wir  sie  überall  mit  genügender  Sicherheit.  In  Europa  ist  in  erster 
Linie  Österreich -Ungarn  *)  zu  nennen,  das  durch  die  Bemühungen  des  Obersten 
von  Sterneck  mehr  als  500  Schwerestationen  aufweisen  kann  (ca.  1  Sta- 
tion auf  345  qkm),  dann  folgt  die  Schweiz  (1  Station  auf  500  qkm),  dessen 
Netz  genügend  dicht  ist,  um  eine  Karte  der  Isogammen  mit  Erfolg  zeichnen 
zu  können').  In  den  übrigen  Staaten  Europas  wird  jedoch  mit  grofsem  Eifer 
an  der  Ausführung  der  Beobachtungen  gearbeitet,  so  dafs  für  diesen  Erd- 
teil in  nicht  zu  langer  Zeit  dieses  Ziel  der  Hauptsache  nach  erreicht  sein 
wird.  Abgesehen  von  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  und  von 
Japan  werden  hingegen  Schweremessungen  anderweitig  gar  nicht  oder  wenig- 
stens nur  nebenbei  ausgeführt.  So  hat  besonders  die  österreichische  Marine 
viele  Stationen  in  allen  Meeren  beobachtet,  in  Deutsch-Ostafrika  ist  für  diese 
Zwecke  E.  Kohlschütter  gewesen,  in  Westafrika  läfst  die  deutsche  Kriegsmarine 
Messungen  ausführen,  welche  interessante  Resultate  versprechen. 

Die  Beobachtungen  längs  einer  mcridionalen  Linie  von  Kolberg  an  der 
Ostsee  bis  zur  Schneekoppe  haben  nun  im  nördlichen  Teil  von  der  Ostsee 
bis  zum  Kleisterberge  auf  der  pommerschen  Seenplatte  eine  Störungsschicht 
von  etwa  -f-  210"'  ergeben.  Auf  dem  südlichen  Teil  der  Seeenplatte  von 
Kleisterberg  bis  zum  Thal  der  Netze  ist  die  Störung  etwa  bis  —  100"',  im 
Wartethal  Null,  dann  bis  Tirschtiegel  etwa  -{-  30 w.  Dann  erfolgt  eine 
ziemlich  plötzliche  Steigerung  bei  Bomst,  von  wo  ab,  unter  dem  Oderthal 
weg  bis  auf  20  km  nördlich  vom  Gröditzberg  (trotz  des  sandigen  Bodens), 
eine  Dicke  der  störenden  Schicht  über  -j-  300 m  nahezu  gleichförmig  besteht, 

1)  R.  von  Sterneck,  in  den  „Mitteilungen  des  mil.-geogr.  Instituts"  in  Wien. 
Bd.  8—17  1888  bis  1898. 

t)  J.  B.  Mesucrschmitt,  Das  schweizerische  Dreiecknetz,  Bd.  7  und  9.  Zürich 
1897  und  1901. 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde. 


315 


Der  schwere  Basalt  des  Gröditzberges  und  der  immer  noch  verhältnismäfsig 
schwere  silnrische  Thonschiefer  in  Ladwigsdorf  verhindern  nicht  eine  all- 
mähliche Abnahme  der  Dicke  der  Störungsschicht  bis  auf  Null.  Weiterhin 
ist  dieselbe  negativ,  im  Mittel  etwa  —  200"',  ein  Einflufs  des  anstehenden 
Bodens  und  Gesteins,  ob  Lehm,  Porphyr  oder  Granitit,  ist  dabei  nicht  er- 
sichtlich. 

Die  ganze  norddeutsche  Tiefebene,  soweit  sie  bis  jetzt  durchforscht  ist, 
zeigt  einen  ziemlich  erheblichen  Massenübersehufs,  welches  Verhalten  nach 
den  Angaben  von  General  von  Zachariae  auch  noch  in  Jütland  bestehen 
bleibt.  Auch  in  der  Ostsee,  auf  der  Insel  Bornholm1),  wo  an  15  Punkten 
Schweremessungen  ausgeführt  worden  sind,  wird  dieser  Überschufs  von  etwa 
500  m  Mächtigkeit  noch  angetroffen,  ja  er  hat  sogar  gegenüber  der  Küste 
bei  Kolberg  (vgl.  oben)  noch  etwas  zugenommen.  Sehr1  bemerkenswert  ist 
die  Verteilung  der  Schwere  auf  der  Insel  selbst,  mit  welcher  übrigens  auch 
die  daselbst  von  A.  Paulsen  gefundenen  Anomalien  des  Erdmagnetismus  einen 
gewissen  Zusammenhang  zu  haben  scheinen.  Überhaupt  entspricht  diese  Ver- 
teilung der  Schwere  ganz  dem  geologischen  Charakter  der  Ostsee  und  der 
norddeutschen  Tiefebene. 

Nähert  man  sich  dem  Harz  von  Norden  her,  so  steigt  von  Harzburg  an 
rasch  die  Schwerkraft  bis  etwas  südlich  vom  Brocken1),  wo  eine  Störungs- 
schicht von  -f-  300  m  vorhanden  ist,  wenn  in  Harzburg  die  Schwere  noch 
normal  ist  Nach  dem  Leinethale  zu  nimmt  die  Störungsschicht  allmählich 
auf  etwa  -f-  50  ra  bis  60  m  ab,  während  sie  auf  dem  linken  Ufer  dieses 
Flusses  wieder  in  ähnlicher  Weise  zunimmt.  Nach  Süden  und  Südosten  zu 
nimmt  diese  Schicht  stetig  ab.  In  Langensalza  erscheint  die  Schwere  nahe 
ungestört,  in  Thüringen  aber  stellt  sich  ein  Massendefekt  ein.  Es  verdient 
ferner  Beachtung,  dafs  ebenso  wie  in  Langensalza,  so  auch  weiter  nörd- 
lich in  Oldesloe  in  Holstein  die  'Schwerkraft  ungestört  erscheint.  Da  an 
beiden  Orten  Soolquellen  zu  Tage  treten,  dürften  die  unter  beiden  Stationen 
vorhandenen  salzhaltigen  Massen  die  Ursache  davon  sein. 

Sehr  bemerkenswert  ist  auch  der  innige  Zusammenhang  zwischen  der 
Schwerkraft  nach  Intensität  und  Richtung  im  Harz,  sowohl  mit  den  geolo- 
gischen, als  auch  den  erdmagnetiscben  Verhältnissen  dieser  Gegend,  wie  dies 
die  Vergleichung  der  aus  den  sichtbaren  Massen  berechneten  Lotstellungen3) 
mit  den  direkt  beobachteten  und  die  Untersuchungen  dos  Erdmagnetismus 
durch  Eschenhagen4)  ergeben  haben. 


1)  G.  von  Zachariae,  Relative  Pendulmaalinger  i  Kobenhavn  og  paa  Bornholm 
med  Tilkuylning  til  Wien  og  Potsdam.  Oversigt  over  det  K.  Danske  Vidensk. 
Selsk.  Forh.    Kobenhavn  1897.    No.  2. 

2)  L.  Haaaemann,  Bestimmung  der  Intensität  der  Schwerkraft  auf  55  Stationen 
von  Hadersleben  bis  Koburg  und  in  der  Umgebung  von  Göttingen.  Veröff.  d.  k. 
preufs.  geod.  Instituts.    Berlin  1899. 

3)  J.  B.  Messerschmitt,  Über  den  Einflufs  der  sichtbaren  Massen  des  Harz 
auf  die  Stellung  des  Lotes.   Zeitschr.  für  Vermessungswesen.   Bd.  88.   1899.   S.  634. 

4)  M.  Eschenhagen,  Magnetische  Untersuchungen  im  Harz.  Stuttgart  1898. 
Forschungen  zur  deutschen  Landeskunde.   Bd.  11.    Heft  1. 


316 


.1.  B.  Mcsserschinitt: 


Der  geringe  Massendefekt,  welcher  in  Thüringen  gefunden  wird,  hält  in 
nieridionaler  Richtung  an,  von  Kohurg  nach  Süden  zu  bis  zur  Donau1),  in 
einer  Stärke  von  —  150  m  bis  —  300  m1  von  da  ab  nimmt  derselbe  mehr 
und  mehr  gegen  die  Alpen  hin  zu. 

Was  nun  die  Schwerkraft  in  den  Alpen  anbelangt,  so  haben  die 
Messungen  in  dem  österreichischen  Gebiete,  in  der  Schweiz  und  weiterhin 
noch  vereinzelte  Beobachtungen  in  den  übrigen  Teilen  dieses  Gebirges  über- 
einstimmend einen  starken  Defekt  ergeben.  Unterhalb  der  Tiroler  Alpen2) 
zwischen  Innsbruck,  Landeck,  Stilfserjoch  und  Bozen  erreicht  dieser  in  der 
oben  auseinandergesetzen  Weise  auf  das  Meeresuiveau  kondensiert  gedachte 
Defekt  eine  Stärke  von  ca.  1500  m  (bei  einer  negativen  Dichte  von  2,4), 
weiter  nach  Süden  zu  nimmt  dieser  Defekt  rasch  ab  und  geht  in  der  Gegend 
des  Gardasees  eine'  Strecke  lang  sogar  in  einen  geringen  Massenübcrschufs 
über.  In  den  Ausläufern  des  Gebirges  bei  Mantua  stellt  sich  wieder  ein 
geringer  Defekt  ein,  der  aber  in  der  Poebene  gegen  die  Küste  hin  rasch  ab- 
abnimmt. 

Ganz  analog  verläuft  die  Schwere  in  den  Schweizeralpen3).  Auf  der 
Südseite,  in  der  Poebene  ist  die  Schwere  nur  wenig  von  der  normalen  ver- 
schieden (z.  B.  in  Mailand).  Mit  der  Annäherung  an  die  Alpen  wird  die 
Schwere  immer  kleiner  als  der  normale  Wert  gefunden,  und  dieser  dadurch 
angedeutete  Defekt  nimmt  rasch  gegen  das  Zentrum  der  Alpen  hin  zu. 
Unterhalb  der  Berner  Alpen,  des  St.  Gotthard  ist  er  etwa  1200  m,  nach 
Osten  hin  wächst  er  noch  mehr  und  erreicht  im  Engadin  den  gleichen  Be- 
trag von  1500  m  bis  1600  m  Mächtigkeit  wie  im  anstofsenden  Tirol  Es 
ist  dies  der  gröfste  in  den  Alpen  konstatierte  Betrag,  was  für  die  Geologie 
dieses  Teiles  der  Alpen  wohl  von  Bedeutung  ist.  Nach  Norden  zu  nimmt 
entsprechend  der  äufseren  sichtbaren  Gestalt  des  Terrains  der  Defekt  langsam 
ab.  Hierbei  ist  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dafs  das  Maximum  des  De- 
fekts nicht  mit  der  höchsten  Erhebung  des  Gebirgs  zusammenfällt,  sondern 
etwas  nach  Norden  verschoben  gefunden  wird,  ein  Umstand,  der  wohl  seinen 
Grund  in  der  Bildung  der  Alpen  hat,  welche  durch  von  Süden  nach  Norden 
wirkende  Schubkräfte  entstanden  sind,  woher  auch  der  steilere  Abfall  im 
Süden  rührt. 

Im  nördlichen  Teile  der  Alpen  und  auf  der  schweizerischen  Hochebene 
bis  zum  Bodensee  wird  durchgehends  eine  mittlere  Abweichung  von  nahezu 
der  gleichen  Gröfse  gefunden;  im  östlichen  Teile  der  Schweiz  geht  dabei 

1)  K.  v/bn  Orff,  Bemerkungen  über  die  Beziehung  zwischen  Schweremessungen 
und  geologischen  Untersuchungen  u.  s.  w.  Sitz.-Ber.  der  bay.  Akad.  Math.-phys. 
Kl  27.  München  1897.  Seite  155  und  K.  von  Orff,  Über  die  Hilfsmittel,  Methoden 
und  Resultate  der  Internat.  Erdmessung.  Festrede.  K.  b.  Akad.  München.  1899. 
Seite  40. 

2)  F.  II.  Helmert,  Die  Schwerkraft  im  Hochgebirge.  Veröff.  d.  pr.  geod.  Inst. 
Berlin  1890  und  die  Abhandlungen  des  Herrn  K.  von  Sterneck  in  den  Mitteilungen 
des  niil.-geogr.  Instituts  in  Wien  besonders  Bd.  XI  u.  XII.    1892  u.  1893. 

.'i  J.  B.  Messerschmitt.  Das  schweizerische  Drciccknctz  7.  Bd.  Relative 
Schwerehestimmungen.  Zürich  1897  und  9.  Bd.  Polhöhen  und  Azimutmessungen. 
Das  Geoid  der  Schweiz.    Zürich  1901...  - 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Krde. 


317 


der  gröfsere  Defekt  mehr  nördlich  als  im  Westen;  ja  hier,  in  der  Gegend 
des  Genfersees,  findet  sich  ein  Gebiet,  wo  der  Defekt  sehr  klein  ist.  (Senkungs- 
gebiet). Der  Jura  tritt  bei  der  Intensität  der  Schwere  gar  nicht  hervor, 
indem  dort  fast  die  gleichen  Werte,  wie  auf  der  schweizerischen  Hochebene 
gefunden  werden;  ähnliche  Verhältnisse  zeigt  auch  der  fränkische  Jura.  Es 
erscheiut  .somit  der  schweizerische  Jura  im  Vergleich  mit  dem  schweizerischen 
Mittellandef  der  sog.  Hochebene,  gar  nicht  kompensiert,  indem  hier  überall 
nahezu  der  gleiche  Massendefekt  entsprechend  einer  Mächtigkeit  von  .'MO  m 
bis  400  m  Dicke  gefunden  wird.  Es  rührt  dies  wohl  daher,  dafs  der  Jura 
durch  viel  schwächere  Kräfte  als  die  Alpen  entstanden  ist.  Er  reicht  daher 
trotz  der  kolossalen  Mächtigkeit  der  Kalkablagerungen  nicht  tief  in  die  Erd- 
rinde ein,  so  dafs  in  verhältnismäfsig  geringer  Tiefe  eine  mehr  normale 
Schichtung  des  Gesteins  zu  erwarten  ist,  weshalb  der  Jura  auf  das  Pendel 
nur  wie  ein  einfaches  Hebungsgebiet  wirkt.  Anders  bei  den  Alpen  und  auf 
dem  Schwarzwald,  bei  welchen  dank  ihrer  Entstehungsgeschichte  noch  tief 
hiuab  die  Gebirgsfalten  reichen,  die  durch  die  verminderte  Stärke  der  Schwer- 
kraft nachgewiesen,  ja  gewissermafsen  abgewogen  werdeu  können.  Es  dringen 
die  weniger  dichten  Gesteine  hier  noch  in  Tiefen  hinab,  die  sie  bei  normaler 
Lagerung  nicht  haben,  wodurch  die  Schwingungszeiten  der  Pendel  ent- 
sprechend geändert  erschienen.  Der  stärkere  Defekt  im  Engadin  wäre  dann 
dadurch  zu  erklären,  dafs  dort  die  Falten  des  Gebirges  noch  tiefer  hiuab- 
reichen,  als .  in  anderen  Teilen  der  Alpen,  besonders  in  den  benachbarten 
Herner-  und  Freiburger-Alpen.  Es  ist  ja  nun  auch  in  der  Thal  der  geolo- 
gische Aufbau  des  Gebirges  im  Engadin  komplizierter,  als  in  den  oben  an- 
geführten anderen  Teilen  der  Schweiz. 

Die  geringsten  Unterschiede  zwischen  der  beobachteten  und  der  nor- 
malen Schwere  in  dem  eben  behandelten  Gebiete  werden  am  Ithein  in  der 
Gegend  von  Basel  bis  Sehatfhausen  (auch  am  Hohentwiel)  gefunden;  wo  also 
Jura  und  Schwarzwald  zusammeustofsen.  Inwieweit  hier  die  Salzlager  bei 
Rheinfelden  eine  Rolle  spielen,  läfst  sich  bis  jetzt  nicht  bestimmt  nachweisen. 
Der  Schwarzwald  ergiebt  nämlich  wieder  bedeutende  Defekte  der  unter- 
irdischen Massen1),  was  wieder  auf  die  geologische  Zusammensetzung  dieses 
Gebirgs  zurückzuführen  ist,  dessen  Fufs  in  grofser  Tiefe  liegend  angenommen 
werden  kann. 

Weiterhin  wird  in  Österreich  aufserhalb  der  Alpen,  in  der  Nähe  von 
Graz  die  Schwere  zu  grofs,  also  Massenanhäufung  gefunden;  diese  erstreckt 
sich  nach  Süden  etwa  bis  zum  Bachergebirg  und  weit  nach  Osten,  wo  sie 
sich  noch  erweitert.  Nördlich  von  Graz  tritt  dagegen  Massendefekt  auf,  der 
über  den  ganzen  Semniering  nachgewiesen  werden  konnte.  Er  ist  verhältnis- 
mäfsig gering  und  entspricht  etwa  200  m  bis  300  m  Mächtigkeit.  Man 
kann  ihn  als  den  östlichen  Ausläufer  des  grofsen  Defektes  auffassen,  der 
unter  den  Alpen  konstatiert  wurde.  Weiter  nördlich  zeigt  das  Wiener  tertiäre 
Hecken  wieder  Massenanhäufung,  die  nach  Ungarn  hin  an  Mächtigkeit  zu- 


1)  M.  Haid,  Die  Schwerkraft  in  der  Rheinehene  und  im  Schwarzwald.  Bericht 
über  die  27.  Versammlung  des  Oberrhein,  geolog.  Vereins.   Landau  1B94. 


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318 


J.  B.  MeBserschmitt: 


nimmt  und  an  den  Ufern  des  Neusiedlersees  ein  Maximum  von  etwa  1000  m 
äquivalenter  Dichte  der  überschüssigen  Schichte  erreicht.  Jedenfalls  ist  auch 
im  Gebiete  des  Wiener  Waldes  (Kreideformation ,  also  Sedimentgebirge) 
Massenüberschufs  vorhanden,  doch  scheint  hierbei  die  Höhe  des  Gebirges  nur 
von  untergeordnetem  Einflufs  zu  sein;  es  sind  also  ahnliche  Verhaltnisse  wie 
beim  Schweizer  Jura,  der  ähnlichen  geologischen  Ursachen  sein  Dasein  ver- 
dankt. • 

Weiterhin  befindet  sich  unter  der  galizischen  Ebene  ein  Massendefekt 
von  etwa  400  m,  der  unter  dem  nördlichen  Abfall  der  Karpathen  bis  auf 
nahezu  600  m  ansteigt  und  zwischen  den  Stationen  Slacosko  und  Lawoczne 
plötzlich  verschwindet.  Letzterer  Ort  zeigt  schon  Massenanhäufung,  welche 
sich,  wie  bereits  augedeutet,  über  den  gröfsten  Teil  von  Ungarn,  den  Süd- 
abhang der  Karpathen  inbegriffen,  erstreckt,  wo  sie  bis  600  m  äquivalente 
Mächtigkeit  erreicht,  die  sie  ohne  wesentliche  Änderungen  in  der  nordungari- 
schen Tiefebene  beibehält;  weiter  südlich  verringert  sie  sich  auf  etwa  die 
Hälfte. 

Unter  dem  siebenbürgischen  Hochland  zeigt  sich  trotz  der  hohen  Lage 
eine  Massenanhäufung,  während  die  aus  primären  (azoischen)  Formationen 
bestehenden  Randgebirge  wieder  Massendefekt  zeigen.  Es  scheint  auch  hier 
die  Verteilung  der  Defekte  nicht  immer  mit  den  sichtbaren  Massen  im  Ein- 
klang zu  stehen,  indem  deren  Maxima  nicht  immer  mit  denjenigen  der  Boden- 
erhebung übereinstimmen;  man  kann,  ebenso  wie  in  den  Alpen,  eine  gegen- 
seitige Verschiebung  erkennen,  die  wohl  auf  die  gleiche  Ursache  zurück- 
geführt werden  kann. 

Tm  Süden  der  Alpen,  besonders  nach  dem  Becken  des  adriatischen 
Meeres  zu,  ist  längs  der  Küste  in  Italien  und  auf  der  Balkanhalbinsel  die 
Schwere  normal.  In  dem  Senkungsgebiete  der  Poebene,  namentlich  in  der 
Nähe  der  Mündung,  wird  die  Schwere  etwas  zu  grofs  erhalten;  je  mehr  man 
sich  aber  von  der  Küste  seewärts  entfernt,  desto  gröfser  wird  der  Massen- 
überschufs. Bei  der  Insel  Pelagoso  im  adriatischen  Meere  erreicht  der 
Massenüberschufs  bereits  1000  m. 

Interessant  ist  der  Verlauf  der  Schwere  im  Querschnitt  durch  die 
apenninische  Halbinsel  bei  Neapel.  Hier  wird  überall  Massenüberschufs  ge- 
funden, der  im  Westen  bei  Ischia  bis  auf  1500  m  ansteigt1).  Es  finden 
hier  offenbar  ähnliche  Verhältnisse  statt  wie  auf  den  ozeanischen  Inseln, 
woraus  zu  schliefsen  ist,  dafs  die  Ursache  der  Entstehung  der  Vulkane  in 
beträchtlicher  Tiefe  zu  suchen  ist. 

Eine  ganz  ähnliche  Verteilung  der  Schwere  konnte  A.  von  Triulzi  im 
Roten  Meere*)  nachweisen,  wo,  wie  ja  überall  auf  den  Meeren,  die  Schwer- 
kraft relativ  grofs  gefunden  wird.  Von  den  26  daselbst  beobachteten  Sta- 
tionen sind  6  Inselstationen,  7  liegen  auf  der  Halbinsel  Sinai,  die  übrigen 

1)  Relative  Schwerebstinimungen.  Ausgeführt  durch  die  k.  u.  k.  Kriegs-Marine 
1892—94.    Wien  1895. 

2)  A.  von  Triulzi,  Relative  Schwerebestimmungen.  Expedition  S.  M.  Schiff" 
„Pola"  im  Roten  Meer.  Bericht  der  Komm,  für  ozeanogeographische  Forschungen. 
Denkschriften  der  Akademie  Wien.    65.  Bd.    Wien  1898. 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde.  319 

an  den  Küsten.  Auf  der  Insel  St.  John  ist  ein  etwa  2000  m  starker 
Masse nüberschnfs  vorhanden,  der  nach  den  Küsten  zu  und  nach  Norden  hin 
abnimmt.  Nur  im  Golf  von  Akabah  ist  die  Schwere  kleiner  als  der  theore- 
tische Wert  (Defekt).  Der  Gebirgsstock  des  Sinai,  der  Golf  von  Akabah 
und  die  angrenzenden  Gebirge  der  arabischen  Küste  haben  demnach  relativ 
kleine  Schwere.  Nach  den  bestehenden  Theorien  ist  daher  in  Übereinstimmung 
mit  den  Schweremessungen  das  Rote  Meer  als  Senkungsgebiet,  der  Golf  von 
Akabah  hingegen  wegen  der  daselbst  gefundenen  kleineren  Schwere  als  ein 
Thal  im  Gebirge  aufzufassen.  Die  Zunahme  der  Schwerkraft  vom  Lande 
gegen  die  See  erfolgt  ziemlich  regelmäfsig  mit  der  Abnahme  der  Boden- 
erhebung und  zwar  scheint  die  Zunahme  nach  der  ägyptischen  Seite  hin 
rascher  zu  sein,  als  auf  der  arabischen. 

Die  relativ  kleine  Schwere  in  Indien  ist  schon  vor  einem  halben  Jahr- 
hundert durch  Pratt  nachgewiesen  worden,  der  dadurch  angezeigte  ideale 
Massetidefekt  entspricht  wieder  wie  in'  Europa  angenähert  den  äufseren  sicht- 
baren Massen,  das  nämliche  ergiebt  sich  für  den  Kaukasus1).  Aber  am  letz- 
teren Ort  besonders  treten  auch  gröfsere  Abweichungen  von  diesem  allge- 
meinen Gesetze  auf. 

Auf  einer  Linie,  die  über  Spitzbergen,  Frankreich  nach  Algier  geht, 
liegen  eine  gröfsere  Anzahl  Beobachtungen')  vor,  welche  für  den  nördlichen 
Teil  des  afrikanischen  Kontinents  einen  grofsen  Massendefekt  orgeben.  Das 
Mittelländische  Meer  weist  wieder  einen  starken  Massenüberschufs  auf,  der 
weiter  nördlich  rasch  in  einen  Defekt  übergeht.  Im  nördlichen  Frankreich 
und  an  den  Küsten  von  England  weicht  die  Schwere  nur  wenig  von  dem 
normalen  Wert  ab.  Dagegen  wächst  der  Massenüberschufs  im  Ozean  be- 
trächtlich an;  in  Spitzbergen  entspricht  er  etwa  einer  Schicht  von  800  m. 

Auch  in  der  neuen  Welt  wird  der  nämliche  Zusammenhang  zwischen 
den  Schwere-Anomalien  und  der  Landerhebung  gefunden.  So  fand  Defforges 
längs  dem  40.  Parallelgrad  nördl.  Breite  an  der  Ostküste  der  Vereinigten 
Staaten  von  Nordamerika  zunächst  einen  geringen  Massenüberschufs,  der  in 
der  Gegend  von  Chicago  bereits  in  einen  Massendefekt  übergegangen  ist  und 
unter  dem  Felsengebirge  eine  den  äufseren  sichtbaren  Massen  entsprechende 
Gröfse  erreicht;  an  der  Westküste  bis  San  Francisco  ist  wieder  die  Schwere 
nahezu  normal,  wie  an  der  Ostküste. 

Ebenso  zeigen  die  Küsten  des  Golfs  von  Mexiko3),  Neu -Orleans  und 
Galvestons  eine  gröfsere  Schwere,  als  die  mehr  im  Inneren  des  Landes  ge- 
legenen Stationen,  wie  dies  überall  zwischen  Küsten-  und  Landstationen  ge- 
funden wird.  Im  ganzen  zeigen  auch  hier  alle  Stationen  im  Innern  des 
Landes  einen  Schweredefekt. 

Im  Gegensatz  zu  den  Kontinenten  wird  auf  den  ozeanischen  Inseln  die 
Schwere  zu  grofs  gefunden  und  ganz  beträchtlicher  Massenüberschufs  erhalten; 

1)  F.  R.  Helmert,  Die  Schwerkraa  im  Hochgebirge.    Berlin  1890. 

2)  Memorial  du  depüt  general  de  la  guerre.  T.  16.  Observation«  du  peudule. 
Paris  1894. 

3)  ü.  R.  Putnam,  Results  of  Pendulum  observations  made  in  1895  aud  189G. 
Rep.  of  the  Coast  and  Geodetic  Survey.    Washington  1897.    Appendix  6. 


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320 


.1.  B.  MoHsersi  hmitt: 


wie  die  Schwere  auf  dem  freien  Ozean  dagegen  ist,  läfst  sieh  bis  jetzt  noch 
nicht  sagen.  Man  darf  annehmen,  dafs  sie  hier  nahezu  normal  sein  wird; 
dauu  ist  die  grüfserc  Schwere  auf  den  Inseln  hauptsächlich  auf  Rechnung 
der  Inselpfeiler  zu  setzen. 

Was  nun  diese  Massendefekte  anbelangt,  so  wird  man  sie  sieh  nicht  als 
wirkliche  Hohlräume,  sondern  nur  als  Massen  von  geringerer  Dichte  oder 
lockerer  Struktur  zu  denken  haben.  So  genügt  es  zur  Erklärung  der  ge- 
ringeren Schwere  in  den  Alpen,  anzunehmen,  die  entsprechenden  Schichten 
haheu  l>is  zu  einer  Tiefe  von  etwa  LMM)  km  eine  um  wenige  Prozent  ge- 
ringere Dichte,  als  die  umgehenden  Schichten  der  Knie.  Massenanhäufung 
kann  man  sich  durch  Senkungen  entstanden  denken,  weshalb  auf  den  Meeren 
trotz  der  Wasserbedeckung  von  tausenden  Metern  Tiefe  die  Schwere  normal 
ist.  Andererseits  sind  die  Gebirge  und  ebenso  die  ganzen  Kontinente  unter- 
irdisch kompensiert.  Die  Kompensation  der  Anziehung  braucht  jedoch  nicht 
überall  vollständig  zu  sein,  wie  auch  einzelne  (iebirgsstöcke  oft  nicht  für  sich 
allein  kompensiert  sind,  was  für  einzelne  Berge  in  niederen  (legenden  eben- 
falls nicht  der  Fall  zu  sein  braucht.  Die  Ursache  der  unvollständigen  Kom- 
pensation kann  teilweise  daran  liegen,  dafs  die  Massendefekte  kleiner  sind, 
als  die  Gebirgsmassen  über  dem  Meeresniveau,  teilweise  auch  daran,  dafs  sie 
bei  gleichem  Betrage  sich  in  gröfseren  Tiefen  vorfinden  und  somit  nach 
aufserhalb  eine  geringere  Anziehung  ausüben,  als  die  Oherflächenmassen. 

Airy1)  hat  bereits  18.r>5  die  Theorie  aufgestellt,  wonach  die  ganze  Erd- 
kruste auf  dem  flüssigen  Erdiunern  schwimmt.  Nach  dieser  Vorstellung  sind 
die  Festländer  dicke  Teile,  welche  tief  in  das  schwerere  Erdinnere  einge- 
sunken sind,  wogegen  der  Meeresboden  aus  dünneren  Schollen  besteht,  welche 
nur  flach  über  dem  schwereren  Erdiunern  schweben,  so  dafs  dieses  unter  den 
Ozeanen  in  geringerer  Tiefe  angetroffen  wird  als  unter  dem  Festland.  Eine 
ähnliche  Anschauung  hat  auch  Stokes  entwickelt. 

Osmond  Fisher")  hat  diese  Massenverteilung  einer  Theorie  über  die 
Erdkruste  zu  Grund  gelegt,  woraus  er  namentlich  die  Ablagerungen  ganzer 
geologischer  Perioden  in  seichten  Gewässern,  ohne  dafs  diese  zugeschüttet 
werden,  durch  das  Einsinken  der  stärker  belasteten  Unterlage  erklärt.  Der 
Reichtum  von  Vulkanen  in  den  Ozeanen  wird  daraus  ebenfalls  erklärt,  da 
der  Weg  vom  Erdiunern  nach  dem  Meeresboden  viel  kürzer  ist,  als  unter 
dem  Festlande. 

.1.  H.  Pratt3),  dem  man  die  eisten  Thatsachen  über  die  Lotabweich- 
ungen und  Schwereanomalieo  aus  der  indischen  Vermessung  verdankt,  denkt 
sich,  dafs  bei  der  Erstarrung  der  Erde  die  einzelneu  Stücke  der  erst  erstarrten 
Kruste  sich  verschieden  verhielten.  Die  einen  Teile  dehnten  sich  aus  uud 
wurden  zu  Gebirgen  und  Festländern,  während  die  anderen  sich  zusaminen- 

1)  Airy,  On  the  cotnputation  of  the  etfect  of  the  attra«  tion  of  mountain-iuasses, 
as   dirtturbin^  the   apparent  astronomical  latitude  in   geodetics  survevs.  Philos 

Transact.  14».  ihöö.  S.  101. 

2)  O.  Fisher,  Physics  of  the  Harth'*  LVu-t    London    1**1    S.  2»0. 

3)  J.  H.  Pratt,  Phil.  Trans,  of  the  Roy.  Soc.  of.  London.  Vol.  141»  i*öy 
.S.  747  und  169.   1871    S.  Mb. 


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Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde. 


321 


zogen  und  den  Boden  der  Meere  bildeten.  Hierbei  nimmt  er  an,  dafs  die 
Masse  in  jeder  Vertikalen  der  Erdrinde,  abgesehen  von  lokalen  Störungen, 
konstant  sei.  Er  gelangt  mit  dieser  Annahme  für  Ostindien  und  den  Hima- 
laya  zu  recht  befriedigenden  Ergebnissen.  Die  Tiefe,  bis  zu  welcher  die 
Ausgleichung  der  Massen  erfolgt,  berechnet  er  zu  etwa  3CK)  km,  welcher 
Wert  viele  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat.  Die  (Jrundlage  dieser  Hypothese 
steht  aber  mit  der  Thatsache  in  Widerspruch,  dafs  die  höchsten  Gebirge 
nicht  uralt,  sondern  meist  verhältnismäfsig  jugendliche  Schöpfungen  sind; 
damit  fällt  aber  die  obige  Hypothese  von  Pratt  in  sich  selbst  zusammen. 

Eine  andere  Erklärung  hat  Philipp  Fischer1)  gegeben.  Er  glaubt  den 
Sehwereübersehufs  auf  den  ozeanischen  Inseln  ausschließlich  auf  regionale 
Abweichungen  des  Geoids  vom  Sphflroid  zurückführen  zu  können,  so  dafs 
also  die  Inseln  näher  dem  Erdschwerpunkt  seien,  als  die  Kontinente,  an 
deren  Küsten  dann  entsprechende  Lotstörungen  vorhanden  sein  müfsten. 
Obgleich  A.  Fischer2)  auf  die  Unzulänglichkeit  dieser  Untersuchungen  so- 
gleich hinwies,  verbreitete  sich  jene  Ansicht  der  grofsen  Depressionen  der 
Meere,  auf  welche  bekanntlich  andere  Hypothesen,  wie  besonders  die  Schwan- 
kungen der  Ozeane  in  der  Quartärzeit,  bez.  die  Geoidänderuugen  der  Eiszeit, 
sich  stützten.  Eingehender  noch  hat  F.  R.  Helmert3)  diese  Hypothese  be- 
leuchtet, und  ist  zu  dem  folgenden  Urteil  gelangt:  Ganz  abgesehen  davon 
nämlich,  dafs  die  Vorgleichung  der  Beobachtungen  mit  einer  Interpolations- 
formel (für  die  mittlere  Schwere)  nur  Sinn  hat,  wenn  man  als  normales 
Niveausphäroid  ein  solches  nimmt,  das  konzentrisch  zum  gestörten  Erdschwer- 
punkt ist,  hat  Ph.  Fischer  nicht  eingehend  genug  die  gestörte  Schwerkraft 
im  gestörten  Meeresniveau  untersucht,  sonst  müfste  er  bemerkt  haben, 
dafs  ein  Widerspruch  mit  der  Ei-fahrung  besteht.  Es  haben  dann  auch 
weitere  Untersuchungen  durch  Bruns,  und  besonders  Helmert  und  andere4) 
ergeben,  dafs  die  Abweichungen  des  Geoids  vom  Sphäroid  keine  so  grofse 
Beträge,  wie  sie  nach  Ph.  Fischer  angenommen  worden  waren,  erreichen 
können. 

Eine  andere  Hypothese,  welche,  wie  es  scheint,  den  Beobachtungen  am 
besten  entspricht,  stellte  Faye&)  auf.  Er  kommt  aus  dem  Verhalten  der 
Schwere  über  den  Ozeanen  gegenüber  demjenigen  auf  den  Festländern  und 
nach  den  Gesetzen  der  Wärmetheorie  zu  einer  den  anderen  Hypothesen  ganz 
entgegengesetzten  Anschauung.   Er  nimmt  nämlich  an,  dafs  unter  den  Meeren 


1)  Ph.  Fischer,  Untersuchungen  über  die  Gestalt  der  Erde.    Darmstadt  1868. 

2)  A.  Fischer,  Astron.  Nachr.  1896  Bd.  88.  No.  2094,  2095,  2104. 

8)  F.  It.  Helmert,  Die  inath.  u.  phys.  Theorien  der  höheren  Geodäsie.    2.  Bd. 
Leipzig  1894. 

4)  H.  Bruns,  Die  Figur  der  Erde.  Berlin  1878;  F.  R.  Helmert,  Die  Schwer- 
kraft im  Hochgebirge.  Berlin  1890;  Drygalski,  Über  die  Geoidformationen  der 
Eiszeit.  Zeitschr.  d.  Gcb.  für  Erdkunde,  Berlin.  22.  1887.  S.  169.  Hergesell,  Ab- 
weichungen des  Geoids  vom  Normalsphäroide  1891;  J.  B.  Messerschniitt,  Ober 
den  Verlauf  des  Geoids  auf  den  Kontinenten  und  auf  den  Ozeanen.  Annalen  der 
Hydrographie  und  maritimer  Meteorologie.  28.  Jahrg.  1900.  S.  590. 

ö)  Faye,  Sur  la  Constitution  de  la  croute  terrestre.    Compt  rend.  1886.  Bd. 
102.  S.  651  u   786  und  1886  Bd.  103.  S.  99,  296,  841,  1093  u.  1221. 
Geographische  Zeitschrift  7.  J»hrK»nif.  INI.  6.  Heft.  22 

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322    J-  B.  Messerschmitt:  Die  Verteilung  der  Schwerkraft  auf  der  Erde. 

die  Abkühlung  rascher  vorwärts  ging,  als  unter  den  Kontinenten.  Dieses 
schnellere  Erkalten  mufste  dann  aber  auch  eine  bedeutende  Verdickung  und 
eine  Vergrößerung  der  Dichte  der  Erdkruste  unter  den  Meeren  zur  Folge 
haben,  während  unter  den  Kontinenten  die  Verdickung  und  Verdichtung  in- 
folge der  geringeren  Abkühlung,  die  in  der  geringem  Wärmeleitung  des 
Erdreiches  gegenüber  dem  beweglichen  Wasser  ihren  Grund  hat,  nur  sehr 
langsam  vorschreiteu  konnte.  Dieser  Bau  der  Erdoberfläche  erklärt  zur  Ge- 
nüge die  Unregelmässigkeit  der  Pendelschwingungen  auf  dem  Meere  und  den 
Kontinenten.  Auch  Helmert  kommt  zu  einer  ähnlichen  Ansicht  der  Massen- 
verteiluug. 

Aus  dem  eben  geschilderten  Abkühlungsmodus  ergiebt  sich  ferner,  dafs 
durch  die  unter  den  Meeren  existierenden  dickeren  Schichten  der  Erdrinde 
ein  gröfserer  Druck  auf  das  Erdinnere  ausgeübt  wird.  Dieser  Druck  pflanzt 
sich  durch  den  flüssigen  Kern  im  Erdinnern  nach  allen  Richtungen  fort  und 
treibt  dadurch  diejenigen  Teile  der  Erdrinde  empor,  die  eine  geringere 
Widerstandskraft  besitzen,  das  sind  die  Kontinente. 

Man  kann  die  erhaltenen  Resultate  demnach  etwa  so  zusammenfassen: 
Aus  dem  tatsächlichen  Verhalten  der  Schwere  läfst  sich  1ns  jetzt  der  Schlufs 
mit.  Sicherheit  ziehen,  dafs  die  Wirkung  der  Kontinentalmassen  mehr  oder 
weniger  kompensiert  wird  durch  eine  Verminderung  der  Dichtigkeit  der  Erd- 
kruste unterhalb  der  Kontinente.  Die  raschen  Änderungen,  welche  in  man- 
chen Gebieten  die  Schwere  in  verhältnismäfsig  geringen  Entfernungen  erleidet, 
beweisen,  dafs  die  Dichtigkeitsänderungen  sich  in  den  oberen  Schichten  der 
Erdrinde  befinden  müssen,  deren  Tiefe  etwa  200  km  nicht  viel  überschreiten 
wird.  Dafs  dieselben  aber  häufig  noch  viel  weniger  tief  angenommen 
werden  müssen,  zeigen  sowohl  die  Lotablenkungen,  als  auch  die  neuer- 
dings mit  denselben  im  Zusammenhang  gefundenen  erdmagnetischen  Störungs- 
gebiete. 

Die  Beobachtungen  erfordern  ferner,  dafs  die  Massenverteilung  eine  der- 
artige ist,  dafs  von  einer  gewissen  Tiefe  unterhalb  des  Meeresniveaus  an  bis 
zur  physischen  Erdoberfläche  vertikale  Prismen  von  gleichem  Querschnitt  an- 
nähernd gleiche  Massen  enthalten,  wo  man  die  Prismen  auch  nehmen  mag. 
Man  braucht  jedoch  nicht  so  weit  zu  gehen  und  zu  verlangen,  dafs  die  Dichte 
auf  allen  Radien  vom  Erdmittelpunkt  aus  konstant  sei. 

Diesen  Anforderungen  genügen,  wie  wir  gesehen  haben,  verschiedene 
Hypothesen.  Um  sich  für  die  eine  oder  andere  sicher  entscheiden  zu  können, 
ist  neben  der  Berücksichtigung  anderer  Kriterien,  wie  sie  besonders  die  Geo- 
logie bietet,  noch  eine  weitere  Vennehrung  der  Beobachtungen  der  Schwer- 
kraft, namentlich  auch  auf  dem  offenen  Meere,  geboten. 


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H.  Toepfer:  Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar. 


323 


Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar. 

Aus  dem  Russischen1). 
Von  H.  Toepfer. 

L 

Einer  der  wenigen  Markte,  nach  denen  Rufsland  die  Fabrikate  seiner 
ziemlich  einseitigen  Industrie  absetzen  kann,  sind  die  ausgedehnten  Provinzen 
des  an  die  mittelasiatischen  russischen  Besitzungen  grenzenden  westlichen 
China,  im  besonderen  die  Provinz  Han-ssu-ssin-tsien,  welche  in  die  Landschaft 
Kaschgar  und  die  Bezirke  Tarbatagi  und  Iii  zerfallt. 

Die  Entfernung  dieser  Provinzen  von  dem  eigentlichen  Innerchina,  die 
ungeheueren  Schwierigkeiten  der  über  die  öden,  wenig  bevölkerten  Berg- 
länder des  Kuku-nor  und  der  Mongolei  oder  durch  die  sumpfigen  Thaler  des 
Zaidam  fuhrenden  Wege  Verbindungen  nach  China  haben  gleichzeitig  mit  der 
verhältnismäfsigen  Nähe  der  russischen  und  englischen  Besitzungen  die  Be- 
wohner von  Kaschgar  schon  seit  langem  auf  die  Erzeugnisse  des  eigenen 
Landes  oder  der  leichter  erreichbaren  Nachbargobiete  Rurslands  und  der 
indischen  Fürstentümer  angewiesen.  Schon  im  Jahre  1858  hatte  deshalb 
die  anglo-indische  Regierung  ein  Auge  auf  Kaschgar  als  einen  Absatzmarkt 
für  die  Produkte  ihres  Landes  geworfen  und  ihren  Privatagenten,  den 
Reisenden  Schlagintweit  dorthin  entsandt.  Trotzdem  nun  dieser  erste  Ver- 
such von  Seiten  der  Engländer  scheiterte  —  Schlagintweit  wurde  unterwegs 
ermordet  und  sein  Eigentum  geraubt  — ,  liefsen  sie  nicht  nach,  und  so  be- 
findet sich  der  Handel  von  Süd-Kaschgar  gegenwärtig  in  ihren  oder  vielmehr 
ihrer  eingeborenen  Unterthanen  von  Ladak  Händen. 

Als  die  Russen  Ferghana  und  Ssemirjetschensk  besetzten,  stand  die 
dortige  eiuheimische  Bevölkerung  bereits  seit  langem  in  Handelsbeziehungen 
zu  der  ihr  verwandten  Bevölkerung  von  Kaschgar;  vornehmlich  blühte  der 
Tauschhandel.  Dieser  ftrund  allein  berechtigt  schon  zu  der  Annahme,  dafs, 
je  mehr  sich  die  russischen  Unterthanen  Mittelasiens  als  Russen  fühlen,  je 
mehr  sich  die  Verkehrsstrafsen  und  die  Industrie  dortselbst  entwickeln,  nicht 
nur  Kaschgar,  sondern  auch  ganz  Öst-Turkestan  ökonomisch  immer  mehr 
von  Rufsland  abhängig  werden  und  unter  russischen  Einftufs  geraten  müssen. 
Eine  Bestätigung  dessen  können  wir  aus  der  Thatsache  entnehmen,  dafs  mit 
der  Fortführung  der  zentralasiatischen  Eisenbahn  bis  Andidshan  der  Handels- 
Umsatz  und  -Verkehr  zwischen  Rufsland  und  Ost-Turkestan  sich  mächtig 
gehoben  hat.  Und  die  Zahlen  des  Rechenschaftsberichts  der  Zollbehörden 
des  Grenzabschnitts  Ferghana  beweisen,  dafs  der  Wert  der  Ein-  und  Aus- 
fuhr von  Kaschgar  mit  jedem  Jahre  zunimmt:  im  .Tahre  18113  betrug  der 
Wert  des  gesamten  Handelsumsatzes  mit  Kaschgar  über  Ferghana  und  Sse- 
mirjetschensk 2  107  720,  im  Jahre  1897  schon  4  235  930  Rbl.  Die  Er- 
wartung ist  also  nicht  unberechtigt,  dafs,  wenn  die  Händler  mit  russischen 

l)  Beilagen  der  Nowoje  Wremja  Nr.  »865,  8876,  8911  und  8923. 

22* 

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324 


H.  Toepfor: 


Waren  nur  mit  einigem  Geschick  verfahren,  wenn  die  Verkehrswege  zwischen 
Ferghana  und  Kaschgar  verhessert  werden  und  die  Eisenhahu  noch  weiter 
nach  Zentralasien  hineingeführt  wird,  die  Engländer  aus  dem  westlichen 
China  völlig  verdrängt  werden  können. 

Der  kürzeste  und  hequemste  Weg  für  den  Handels-  und  Reisenden- 
Verkehr  nach  Kaschgar  führt  von  Andidshan  üher  die  Stadt  Osch  und  die 
Grenzfestung  Irkeschtam  nach  Kaschgar.  Von  Bequemlichkeit  kann  aller- 
dings nicht  die  Rede  sein,  denn  von  all'  den  schlechten  Wegen  zwischen 
Kufsland  und  Westchina  ist  er  ehen  nur  der  brauchbarste,  der  am  wenigsten 
schlechte.  Kr  durchschreitet  ein  außerordentlich  durchschnittenes,  für  Wagen- 
verkehr unzugängliches  Gelände,  nimmt  auf  450  Km.  6  bis  7  Pafshöhen, 
von  denen  eine  auf  13  000  russ.  Fufs  (3900  m)  Meereshöhe  liegt  und  die 
übrigen  Höhen  zwischen  7500  und  10  500  Fufs  (2250  und  3150  m)  erreichen. 

Schon  seit  einigen  Jahren  ist  der  Bau  einer  Eisenbahn  von  Andidshan 
nach  Osch  geplaut,  aber  aus  unbekannten  Gründen  ist  das  völlig  ausge- 
arbeitete Projekt  dazu  verurteilt,  Projekt  zu  bleiben.  Schade,  denn  auf  der 
nur  48  km  langen  Strecke  sind  ernstliche  Schwierigkeiten  nicht  zu  über- 
winden, welche  die  Herstellung  des  Babnplanums  verteuern  könnten!  Der 
heutige  Fahrweg  windet  sich  durch  ungezählte,  in  malerischer  Unordnung 
verstreute  Anwesen,  Kukurus-,  Hirse-  und  Baumwollcnstaudcnfelder.  Das 
Gelände  scheint,  wie  überhaupt  ganz  Ferghana,  soweit  bis  jetzt  bekannt  ist, 
mehr  als  alle  anderen  dazu  geeignet,  Rufsland  mit  selbstgezogener  Baum- 
wolle zu  versorgen.  Der  Transport  der  Baumwolle  aus  Innerasien  macht 
im  wesentlichen  die  Betriebskosten  der  zentralasiatischen  Eisenbahn  bezahlt. 

Die  unbedeutende  Kreisstadt  Osch  liegt  auf  der  Grenze  zwischen  den 
steinigen  Löfsboden-Landschaften  der  verhältnismäfsig  tief  gelegenen  Teile 
des  Landes  und  dem  gebirgigen  Teile.  Die  auf  4000  Fufs  (1200  m) 
Meereshöhe  befindliche  Stadt  und  der  zu  ihr  gehörige  Kreis  zeichnen  sich 
durch  ein  ziemlich  glcichmäfsiges  Klima  aus;  wenn  im  Sommer  in  ganz 
Ferghana  eine  unerträgliche  Hitze  herrscht,  ist  es  in  Osch  viel  eher  auszu- 
halten. Deshalb  betrachten  die  Bewohner  des  Landes  Osch  als  klimatischen 
Sommerkurort  und  die  eingesessenen  Aeskulap- Jünger  verschreiben  es  denen, 
welche  die  in  den  Niederungsländern  Mittelasiens  einheimische  Malaria  be- 
kommen haben. 

Osch  gilt  als  Ausgangspunkt  für  die  Reisen  nach  Kaschgar  und  dem 
Pamir.  Hier  werden  die  für  Kaschgar  oder  die  Pamir-Fürstentümer  be- 
stimmten Waren  aus  den  Lastwagen  in  Saumtierlasten  umgepackt;  und  von 
den  Einheimischen  finden  viele  ihren  Broterwerb  im  Warentransport  über 
das  Gebirge;  der  Kara-Kesch,  der  Saumtiertreiber  ist  hier  eine  ebenso 
häufige  Erscheinung,  wie  der  Lastwagenfuhrmann  in  anderen  Städten;  ge- 
wöhnlich besitzt  er  zwei  bis  drei,  höchstens  zehn  Lastpferde  und  steht 
mit  einigen  anderen  in  einem  Artjel Der  Artjel  marschiert  unter  Führung 

1)  In  Hufsland  bilden  sich  in  allen  auf  Erwerb  gerichteten  Berufsarten  solche 
Artjele  —  Genossenschaften,  welche  mit  ihrer  Gesamtheit  für  die  Verpflichtungen 
des  einzelnen  aufkommen.  So  giebt  es  weitverzweigte  Bankkassierer-,  Bahnhofs- 
restaurateur-,  Gepäckträger-  u  s.  w.  Genossenschaften. 


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Der  Weg  von  Onch  nach  Kaschgar. 


325 


seines  Ältesten,  eines  erfahrenen,  wegekundigen  und  überhaupt  gewandten 
Mannes,  des  sogenannten  Karawan-Baschoju,  mit  seinen  armseligen,  wenig 
ansehnlichen,  aber  ausdauernden  und  an  Gebirgspfade  gewöhnten  Pferden 
furchtlos  auf  Wegen,  welche  keinesfalls  als  gefahrlos  angesehen  werden 
können, 

Der  Weg  zieht  sich  fortwährend  durch  bergiges  Gelände,  in  welchem 
der  Heisende  auf  so  wunderbar  schöne,  wildzerkliiftete  Gegenden  und  maje- 
stätische Naturformen  stöfst,  wie  sie  sich  nur  selten  in  den  schroffsten 
Alpenpartien  der  Schweiz  finden.  Kin  europäisch  gebildeter,  oder  vielmehr 
verfeinerter  Besucher  dieser  Gegenden,  der  die  Schönheit  einer  Landschaft 
nach  der  Bequemlichkeit,  mit  der  er  sie  geniefsen  kann,  bemifst,  wird  frei- 
lich Warnungstafeln  an  jähen  Abstürzen,  Schutzhütten  und  Aussichtspunkte 
mit  Schutzdächern  und  Lauben  entbehren  müssen.  Dennoch  ist  zu  wünschen, 
dars  jetzt,  nachdem  Ferghana  durch  bequeme  und  billige  Verkehrsmittel  mit 
dem  europäischen  Rufsland  verbunden  worden  ist,  seine  Gebirge  mehr  besucht 
werden.  Für  die  Russen  ist  es  geradezu  beschämend,  dafs  man  in  Mittel- 
asien mehr  fremde  als  russische  Reisende  trifft,  und  dafs  Engländer  und 
Deutsche  im  Turkestan  besser  Bescheid  wissen,  als  die  Herren  des  Landes. 

Die  malerischsten  Punkte  der  Strafse  Osch-Kaschgar  liegen  hinter  dem 
Posthof  Langar.  Von  hier  ab  folgt  die  Strafse  den  engen  Thälern  kleiner 
Flüsse  bis  zu  ihrem  Quellgebiet,  überschreitet  mehrmals  auf  hochliegenden 
Pässen  sich  kulissonförmig  vor  einander  schiebende  Bergzüge,  durchfurtet 
zahlreiche  Flufsläufc  und  Bäche  und  bietet  fortwährend  Landschaftsbilder 
von  wilder,  eigenartiger  Romantik.  Ganz  besondere  Schönheiten  weist  der 
Anstieg  zu  dem  Terek-dawan-Pafs  von  Ssufi-kurgan  aus  auf.  Ein  präch- 
tiger Blumenteppich  bedeckt  hier  im  Sommer  die  waldlosen  Berghängo  und 
entzückt  durch  den  Reichtum  seiner  Farbenpracht,  wie  sie  sich  ähnlich  nur 
in  den  Steppen  Sibiriens  und  am  Amur  entwickelt,  das  Auge  des  Beschauers: 
die  berühmte  Blumenfülle  und  reizvolle  Mannigfaltigkeit  der  Ukrainesteppe 
mufs  weit  hiergegen  zurückstehen. 

Der  enge  Saumpfad  im  Thalgrund  des  Flusses  Terek-ssu  wechselt  un- 
zählige Mal  das  Ufer,  klettert  rauhe,  vielfach  sehr  schwer  zugängliche  Fels- 
vorsprünge hinauf  und  klebt  sich  an  die  Hänge  felsiger  Halden.  Immer 
enger  wird  die  Thalschlucht,  immer  lauter  und  wilder  schiefst  das  Wasser 
dahin.  Bei  Guristan  (einem  mahommedanischen  Kirchhof)  beginnen  sich 
auf  den  Bergen  vereinzelte  Büsche  krüppelhaften  turkestanisehen  Wachholders 
—  Artscha  genannt  —  zu  zeigen;  bald  bedecken  sie  mit  ihrem  dem  Auge  so 
wohlthuenden  dunklen  Grün  beide  Thalhäuge  vom  Grunde  des  Flusses  bis 
hinauf  zu  den  höchsten  Felsgraten.  Auf  10  oder  11  km  vom  Anfang  dieses 
Weges  aus  erweitert  sich  das  Thal  auf  eine  kurze  Strecke,  um  sich  gleich 
darauf  wieder  um  so  enger  zusammenzuschliefsen  und  eine  unter  dem  Namen 
Darbasa  (Durchbruch)  bei  den  Einwohnern  bekannte  Felsspalte  zu  bilden. 
Nur  12  bis  15  Schritt  breit  hat  hier  der  Flufs  den  Felsen  durchbrochen; 
senkrecht  steigen  die  Wände  zu  beträchtlicher  Höhe  empor,  und  zwischen 
ihnen  schiefst  das  Wasser  schäumend  dahin,  die  ganze  Breite  der  Spalte 
ausfüllend  und  mit  seinem  Rauschen  die  menschliche  Stimme  übertönend. 


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326 


H.  Toepfer: 


Jetzt  beginnt  der  „Komar",  die  Strecke  der  Terek-dawan-Strafse,  welche 
von  den  sie  benutzenden  Karawaneuführern  am  meisten  gefürchtet  wird. 
Hier,  unmittelbar  vor  den»  Terek-dawan-Pafs,  ist  der  Weg  so  beschwerlich, 
dafs  viele  Saumtiere  den  ttbermäfsigen  Anstrengungen  nicht  gewachsen  sind 
und,  da  ihnen  keine  Erholungspause  gegeben  werden  kann,  auf  dem  Pafs 
zusammenbrechen  und  getötet  werden  müssen.  Der  Komar  gehört  immer 
noch  zum  Thale  des  Terek-ssu,  aber  das  Thal  wird  fast  auf  10  km  Länge 
durch  herabgestürzte  Felsblöcke  fast  unzugänglich  gemacht.  Fortwährend 
sind  solche  Blöcke  in  Bewegung  und  bilden  gigantische  Trümmerfelder,  durch 
welche  sich  der  Saumpfad  mühsam  hindurchwindet.  Ein  falscher  Tritt  und 
losgelöst  stürzt  ein  Stein  zum  Flufs  nieder  und  bringt  alles,  was  sich  künst- 
lich auf  ihn  stützte,  ins  Rollen,  das  ganze  Trümmerfeld  gerat  in  Bewegung 
und  begrabt  Menschen,  Pferde  und  Lasten. 

Je  höher  man  den  Komar  hinaufsteigt,  desto  kälter  wird  die  Temperatur; 
hier  und  da  liegt  vom  Winter  her  ein  nicht  aufgetauter  Haufen  Schnee; 
bald  verschwindet  die  Artscha,  die  Bergformen  werden  noch  wilder;  ihre 
Hänge  bedecken  sich  mit  Alpenkräutem,  darunter  alle  möglichen  Lauch- 
arten, in  den  verschiedensten  Formen  von  verschwindend  kleinen,  kaum  sich 
über  die  Erde  erhebenden  Blümchen  bis  zu  übermannshohen  Gewächsen. 

Der  felsige  Thalgrund  steigt  steiler  an,  vorwärts  tauchen  schneebedeckte 
Gipfel  und  der  sich  scharf  am  Horizont  abzeichnende  Kamm  des  Terck-dawan- 
Pa.sses  auf.  Die  zwei  letzten  Kilometer  klettert  der  Pfad  in  Zickzacks  ein 
sehr  steiles  Trümmerfeld  hinan,  das  mit  Tier-  und  Menschenknochen  wie 
besät  ist.  Völlig  ausgebleichte,  halb  zerstörte  Teile  wechseln  ab  mit  noch 
frischen,  nicht  auseinandergefallenen  Skeletten  von  Felsblöcken  erdrückter 
oder  in  Schneestünnen  und  Unwetter  erstarrter  Menschen  und  Tiere.  Ein 
düsteres  Gemälde  ringenden  Kampfes  um  Leben  und  Tod  mit  den  entfesselten 
Naturkräften  entrollt  sich  vor  den  Augen  des  Reisenden  beim  Anblick  dieser 
Überreste  ganzer  Karawanen,  die  einst  voller  Energie  und  Mut  dahinzogen; 
und  es  treibt  ihn  hinweg  von  dieser  ungastlichen  Stätte.  Nur  der  fromme 
von  Kaschgar  nach  Mekka  pilgernde  Muselmann  sieht  sich  veranlafst,  um 
Verzeihung  seiner  Sünden  zu  erlangen,  pietätvoll  einige  Dutzend  menschlicher 
Knochon  zu  sammeln  und  zu  bestatten. 

Der  Weg  über  den  Terek  ist  der  einzige,  welcher  auch  im  Winter 
passierbar  ist  und  auf  den  die  Karawanen  notgedrungen  angewiesen  sind,  auf 
dem  auch  die  Post  verkehrt.  Aber  die  häufigen  und  fast  immer  unerwartet 
einfallenden  Schneestürme  und  von  Frösten  begleiteten  heftigen  Winde  halten 
die  Karawanen  oft  Tage  lang  auf  —  wehe  denen,  welche  nicht  rechtzeitig 
den  am  Fufse  des  Gebirges  liegenden  Posthof  erreichen!  Trotz  seiner  Be- 
schwerlichkeiten hat  der  Terek-dawan  in  der  Geschichte  der  Völkerwande- 
rungen als  eines  der  hauptsächlichsten  Ausfallthore,  durch  welches  die  reisigen 
Nomadenhorden  der  Steppen  der  Mongolei  sieh  nach  Westen  ergossen,  eine 
wichtige  Rolle  gespielt.  Nicht  selten  jedoch  sind  ganze  Heerhaufen,  von 
Schneestürmen  überfallen,  au  den  Berghängen  und  Gipfeln  elend  erfroren 
und  erst  Ende  der  7üer  Jahre  haben  über  600  Kaschgarzen-Familien,  welche 
auf  russisches  Gebiet  auswandern  wollten,  hier  einen  kläglichen  Tod  gefunden. 


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Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar. 


327 


Der  Blick  von  der  Pafshöhc  ist  bei  hellem,  gutein  Wetter  bezaubernd: 
im  Süden  in  ganz  weiter  Ferne  zeichnet  sich  in  einem  blendend  weifsen,  in 
der  Sonne  hell  glänzenden  Streifen  der  schneebedeckte  Gebirgskamra  der 
Transalai-Kette  mit  ihren  gigantischen  Clipfein  Kurunda  und  Pik  Kaufmann 
vom  Himmel  ab;  im  Osten  wird  das  Auge  durch  eine  weithin  sich  dehnende 
Reihe  allmählich  an  Höhe  abnehmender  zahlloser  unbedeckter  Berghöhen  ge- 
fesselt; rechts  vom  Pafs  erhebt  sich  konisch  gestaltet  ein  von  ewigem  Schnee 
bedeckter  Berg,  geradeaus  zu  den  Füfsen  des  Beschauers  erstrecken  sich 
ebensolche  Trümmerfelder,  wie  die  eben  durchschrittenen  und  verlieren  sich 
nach  und  nach  in  das  enge  Thal  eines  Flüfschens,  auf  dessen  Sohle  der  Weg 
zum  Posthof  Kok-ssu  und  weiterhin  nach  der  russischen  Grenzbefestigung 
Irkeschtam  führt. 

Irkeschtam  liegt  schon  an  dem  zu  Kaschgar  gehörigen  Kisyl-ssu  noch 
9000  Fufs  (2700  m)  über  dem  Meere  und  besteht  aus  der  für  eine  halbe 
Ssotnje  Kosaken  bestimmten  Festung  und  dem  Grenz -Zollposten.  Traurig, 
kläglich  ist  das  Bild,  welches  diese  Grenzfestung  bietet  inmitten  einer  wilden 
Gebirgsnatur,  mit  ihrer  in  jeder  Beziehung  mangelhaften  Ausstattung.  Das 
einfache  Haus  der  Zollbehörde  ist  noch  ein  Palast  im  Vergleich  zu  der 
Offizierswohnung.  Es  ist  kaum  zu  begreifen,  dafs  eine  solche  Hundehütte, 
welche  aufser  einem  Zimmer  für  Fremde  die  Quartiere  für  die  Offiziere  des 
Postens  enthält,  dem  Kommandanten  einer  Grenzfestung  als  Aufenthalt  an- 
gewiesen ist,  der  schliefslich  doch  das  Prestige  Rufslands  inmitten  einer 
unzivilisierten  Bevölkerung  erhalten,  gegenüber  einer  grofsen  Zahl  durch- 
reisender Fremder  das  Reich  repräsentieren  soll.  In  keinem  noch  so  entlegenen 
Grenzposten  Sibiriens  ist  der  Kommandant  auf  eine  so  ärmliche  Unterbringung 
angewiesen,  die  geradezu  eine  Einzelhaftzelle  für  einen  mit  Intelligenz  be- 
gabten Menschen,  der  ganze  Monate  von  aller  übrigen  Welt  abgeschnitten 
ist.  Kein  Wunder,  dafs  beim  Anblick  dieser  Annseligkeit  mancher  Reisende 
den  russischen  Offizier  von  oben  herab  behandelt  und  sich  um  seine  An- 
weisungen nicht  kümmert,  wie  es  vor  nicht  gar  zu  langer  Zeit  von  Seiten 
eines  bekannten  Reisenden  geschehen  ist!  Auch  nicht  zu  verwundern  ist, 
dafs  das  ein  bis  zwei  Jahre  währende  Kommando  hicrselbst  von  den  Offizieren 
wie  eine  Verbannung  angesehen  wird  und  viele  von  ihnen  moralisch  völlig 
verkommen. 

II. 

Das  Gelände,  durch  welches  der  weitere  Weg  nach  Kaschgar  hindurch- 
führt, ist  von  dem  soeben  beschriebenen  Teile  Ferghanas  wesentlich  ver- 
schieden. Die  ganze  Wegstrecke  ist  mit  Ausnahme  der  Teile,  welche  Flufs- 
thälcrn  folgen,  auffallend  tot  und  öde,  jeder  Bewachsung  bar,  zeigt  abwech- 
selnd Salzlachen  und  unbedeckte  Kalkfelsen  und  macht  auf  den  Reisenden 
einen  wenig  anmutenden  Eindruck.  Nur  selten  unterbrechen  dürftige  Oasen, 
ganz  unmotiviert  aufgewachsene  Pappelgebüschgnippen  und  Distelfelder 
das  ermüdende  Einerlei  dieser  Wüste,  erstere  willkommene  Ruhepunkte  auf 
dem  Wege  durch  diese  wenig  einladende  Gegend. 

Gleich  vor  und  hinter  Irkeschtam  mufs  der  Kisyl-ssu  mit  einer  Furt 
durchschritten  werden.    Der  Flufs  ist  in  der  Regenperiode  und  besonders  in 


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328 


H.  Toepfer: 


der  hcifsen  Jahreszeit,  wenn  infolge  der  Hitze  die  Schnee-  und  Eisfelder  im 
Gebirge  tauen,  sehr  wasserreich  und  ein  ernstliches  Bewegungshindernis, 
welches  weiter  abwärts  noch  mehrfach  durchflutet  werden  mufs.  Die  Furten 
sind  alle  der  reifsenden  Strömung  wegen  häufigen  Veränderungen  ausgesetzt 
und  sehr  gefährlich,  für  den  Karawanen-Handelsverkehr  jedenfalls  eine  grofse 
Unbequemlichkeit.  Und  Unbequemlichkeiten  bietet  der  Weg  so  wie  so 
genug,  dafs  es  nicht  recht  begreiflich  ist,  warum  mau  der  Pafsförmlichkeiten 
wegen  überflüssigerweise  zweimal  die  Karawanen  Gefahren  für  Leib  und 
Leben,  mindestens  ihre  Waren  dem  Verderben  aussetzt,  während  doch  ein 
kürzerer,  völlig  brauchbarer  Weg  sich  auf  einer  Seite  des  Flusses  hält  und 
Irkesehtam  seitwärts  liegen  läfst. 

Überhaupt  ist  die  Lage  von  Irkesehtam  seltsam  und  fordert  verwun- 
dertes Kopfschütteln  selbst  bei  einem  Laien  heraus:  unverständlich,  wie  man 
auf  den  Gedanken  kommen  konnte,  die  Grenzfestung  in  dem  tiefsten  Punkt 
einer  Kessellandschaft  anzulegen,  die  allseits  von  beherrschenden  Höhen  in 
nicht  gar  weiter  Ausdehnung  umrahmt  ist!  Die  Chinesen  brauchten  nur 
eine  einzige  Kanone  in  Stellung  zu  bringen,  um  das  ganze  Nest  in  kürzester 
Zeit  zusammenzuschießen.  Ebenso  gering  wie  die  militärische  Bedeutung  von 
Irkesehtani  ist  seine  Bedeutung  als  Zollstation  für  den  Warenverkehr 
zwischen  Ferghana  und  Kaschgar,  denn  der  Handel  mit  China  ist  vertrags- 
mäfsig  mit  wenigen  Ausnahmen  keinen  Zollbeschränkuugen  unterworfen  und 
die  Verzollung  darum  sehr  einfach.  Könnte  man  unter  diesen  Umständen 
nicht  besser  die  Zollabfertigung  nach  Gultscha  verlegen,  in  Irkesehtani  einen 
Grenzwach-Beobachtungsposten  belassen  und  damit  Offizieren,  Beamten,  Ko- 
saken und  Grenzreitern  ersparen,  einen  Teil  ihres  Lebens  in  einer  menschen- 
unwürdigen Umgebung  zuzubringen? 

Die  russisch-chinesische  Grenze,  welche  von  der  Grenzfestung  aus  dem 
Maltabar-Flusse  folgt,  liegt  nur  15  —  20  Schritte  vom  Zollhause  entfernt.  Der 
Übertritt  über  die  Grenze  wird  durch  keinerlei  Formalitäten  erschwert.  Noch 
ganze  20  km  weit  kein  Anzeichen,  dafs  man  sich  auf  chinesischem  Gebiet 
befindet.  Erst  dann  trifft  man,  an  den  Anhöhen  und  Thälern  des  Südost- 
Abfalls  des  Alai-Gebirges  vorbeipassierend,  auf  den  ersten  chinesischen  Grenz- 
posten Aegin.  Die  Festung  Aegin  ist  nichts  weiter  als  der  gewöhnliche, 
Chinareisenden  so  wohlbekannte,  aus  Lehmschlag  gebaute  Impan  zur  Unter- 
bringung der  Soldaten.  Die  ganze  Garnison  besteht  nur  aus  berittenen  Miliz- 
Kirgisen  unter  einem  chinesischen  Unteroffizier. 

Das  Thal  des  Aegiu-Flusses,  in  dem  der  Posten  gelegen  ist,  ist  einer 
der  besten  Weideplätze  in  Nordwest-Kasehgar  und  wird  deshalb  mit  Vorliebe 
von  den  nomadisierenden  chinesischen  Kirgisen  der  nächsten  Umgebung  be- 
sucht,  welche  im  Sommer  mit  ihren  Herden  die  Grasflächen  tbalaufwärfs 
ausnutzen,  zum  Herbst  und  Wiuter  aber  mehr  nach  dem  Ausgang  des  Thaies 
zu  ziehen  und  in  dessen  Pappel-  und  Weidengebüschen  z.  T.  ihre  ständigen 
Winterwohnungen  haben. 

Aegin  ist  ein  Kreuzungspunkt  vieler  Strafsen,  vorzüglich  geeignet  zur 
Einrichtung  einer  Zollstation  und  eines  Beobachtungspostens.  Hier  giebt  es 
Brennholz,  Viehfutter  und  Verpflegungsmittel,  und  Unterkunft  ist  leicht  zu 


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Der  Weg  von  Osch  nach  Kasehgar. 


320 


schaffen;  es  ist  also  alles  vorhanden,  was  in  Irkeschtam  fehlt.  Die  malerischsten 
Stellen  dos  Weges  im  Aeginthale  und  heinahe  auf  dem  ganzen  Wege  nach  Kaschgar 
sind  da  zu  linden,  wo  er  durch  dichtes  Pappel-  und  Weidengehölz  führt. 
Das  krystallklare,  durchsichtige  Wasser  des  Aegiu,  welcher  zwischen  steilen, 
waldhedeckten  Felsen  in  tosendem  Laufe  dahinfliefst,  ladet  den  Reisenden, 
an  seinen  Ufern  auszuruhen  und  sich  von  dem  Eindruck  der  unerträglichen 
Einförmigkeit  des  langweiligen  Marsches  über  die  öden,  waldlosen  Hügel  und 
kahlen  Thaler  des  soeben  durchschrittenen  Hochlandes  von  Kara-dawan  zu 
erholen.  Da,  wo  das  prachtig  klare  Wasser  des  Aegin  mit  dem  ziegelrot- 
gefärbten  Walser  des  sich  breitausdehnenden  Kisyl-ssu  zusammenströmt,  liegt 
am  rechten  Ufer  des  letzteren  die  alte  Festung  Nagry-Tschaldy,  welche  die 
Aufgabe  hatte,  den  Weg  im  Aeginthale  von  seinem  Austritt  aus  dem  Walde 
an  zu  beherrschen  und  das  Debouchieren  eines  Feindes  gegen  den  Kisyl-ssu 
zu  verhindern.  Heute  ist  die  Festung  verlassen,  und  ihre  redoutenfönnig 
aufgeführte  Hingmaner  dient  nur  noch  als  geschützter  Aufenthalt  für  die 
Saumtiere  hier  lagernder  Karawanen.  Von  Nagry-Tschaldy  an  führt  der 
Weg  wieder  bis  Ulugtschat  (44  km)  den  Kisyl-ssu  entlang  und  durchfurtet 
ihn  mehrmals.  Auch  diese  Furten  zu  passieren  ist  kein  Vergnügen,  beson- 
ders im  Sommer  für  die  Treiber  nicht,  weil  sie  sich  völlig  entkleiden  müssen, 
sofern  sie  nicht  Kamele  hei  ihrer  Karawane  haben.  Besonders  gefährlich 
ist  die  Furt  bei  Ssary-Kamysch,  etwa  5  km  von  Ulugtschat,  weil  hier  der 
in  mehrere  Anne  mit  tiefem  Wasser  verzweigte  Flufs  breite  Wasserrinnen 
bildet  und  den  mit  geführten  Flugsand  ablagert,  in  welchen  Pferde  und 
Kamele  bis  an  den  Leib  versinken.  Die  gefährlichen,  durch  trübes  Wasser 
bedeckten  Stellen  genau  zu  erkennen  vermögen  nur  die  in  der  Gegend 
nomadisierenden  Kirgisen,  welche  sich  als  Führer  verdingen;  sie  haben  auch 
Kamele  zu  vermieten,  welche  benutzt  werden,  wenn  die  Lasten,  ohne  dem 
Verderben  ausgesetzt  zu  sein,  auf  Pferden  nicht  über  den  Flufs  geschafft 
werden  können. 

In  der  Festung  Ulugtschat  macht  der  Koisende  zum  ersten  Male  mit 
Vertretern  der  chinesischen  Regierung  Bekanntschaft  und  hier  empfängt  er 
die  ersten  Eindrücke  von  regulären  chinesischen  Truppen.  Von  aufsen  er- 
scheint Ulugtschat  wie  ein  gewöhnlicher  chinesischer  Impan,  hat  aber  sehr 
schwache  Mauern  und  umfafst  eine  grofse  Menge  Unterkunftsräume.  Augen- 
blicklich waren  etwa  200  Mann  Infanterie  und  Kavallerie  untergebracht  und 
standen  unter  Befehl  des  seinerzeit  in  China  sehr  bekannten  früheren  fiene- 
ral-Gouverneurs  der  Insel  Formosa,  des  wegen  der  Übergabe  der  Insel  au  die 
Japaner  zum  gemeinen  Soldaten  degradierten  und  iu  eine  der  mittleren  Pro- 
vinzen verbannten  Mandarinen  Tung.  Dank  seinen  Verbindungen  am  Pekinger 
Hofe  hatte  er  inzwischen  schon  wieder  den  ersten  Offiziersgrad  erreicht  und 
war  in  seine  gegenwärtige  Stellung  gelangt,  welche  er,  so  unbedeutend  sie 
ist,  ganz  gehörig  auszuschlachten  verstand.  Abgesehen  von  den  in  der  chine- 
sischen Beamtenwelt  allgemein  üblichen  Erpressungen,  mit  dor  er  die  einge- 
sessene Bevölkerung  bedrückte,  und  von  den  schamlosen  Soldkürzungen,  welche 
sich  seine  Untergebenen  gefallen  lassen  mufsten,  füllte  er  seine  Taschen,  in- 
dem er  den  Schmuggel  auf  geradezu  unerhörte  Weise  begünstigte.  Haupt- 


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H.  Toepfer: 


sächlichste  Kontrebandc  sind  Korallen  und  „Nascha",  d.  h.  Haschisch,  dessen 
Einfuhr  in  russisches  Gebiet  bedingungslos  verboten  ist.  In  Ulugtschat  aber 
lagern,  wenn  man  den  umwohnenden  Kirgisen  Glauben  schenken  darf,  aus- 
schliefslich  dem  Kommandanten  gehörig,  kolossale  Vorräte  dieses  Narkoti- 
kums; von  Zeit  zu  Zeit  läfst  er  kleinere  Mengen  davon  über  die  russische 
Grenze  schaffen  und  unter  den  dortigen  Kirgisen  absetzen.  Die  Schwierig- 
keil der  Beobachtung  so  langer  Grenzstrecken  durch  ein  unzureichendes 
Greuzaufsichtspersonal  und  die  stete  Möglichkeit,  auf  unwegsamen  Pfaden  die 
verbotene  War3  unentdeckt  über  die  Grenze  hinüberzupaschen,  der  hohe  Wert 
der  Ware  und  der  gute  Verdienst  sind  die  gegebenen  Bedingungen  dafür, 
dafs  der  Schmuggel  auf  der  chinesiseh-ferghanesischen  Grenze  noch  recht 
lange  blühen  wird. 

Wir  mufsten  in  Ulugtschat  übernachten.  Kaum  hatten  wir  unser  Zelt 
etwas  entfernt  von  der  Festung  aufgeschlagen,  als  wir  von  einem  Haufen 
chinesischer  Soldaten  umringt  waren,  welche  der  Anblick  so  seltener  Gäste 
aus  Kuropa  herbeigelockt  hatte.  Man  mochte  kaum  glauben,  dafs  diese  halb- 
verhungerten, gelbhäutigen,  vom  beständigen  Opiumrauchen  ausgemergelten 
Kerle  in  ihren  blauen  Jacken  Soldaten  vorstellen  sollten,  so  wenig  Kriege- 
risches verriet  ihre  ganze  Haltung;  und  wenn  sie  nicht  alle  in  der  gleichen 
Kleidung  mit  aufgenähten  chinesischen  Zeichen  gesteckt  hätten,  selbst  nicht 
die  kühnste  Phantasie  hätte  sie  als  Vertreter  der  chinesischen  bewaffneten 
Macht  in  Kaschgarien  erkennen  können.  Sie  waren  größtenteils  Dunganen 
aus  Turfan;  nur  ein  einziger  verstand  etwas  Pekinger  Dialekt  und  erfreute 
sich  darum  eines  gewissen  Respekts  bei  seinen  Kameraden;  er  spielte  den 
Dolmetscher  und  sprach  auch  ganz  geläutig  sartisch. 

Jenseits  der  Furt  Ssary-Kamyseh  verläfst  der  Weg  nach  Kaschgar  das 
Ufer  des  Kisyl-ssu  und  tadelt  sich  in  die  unbewohnten  Thäler  der  südlichen 
Ausläufer  des  Tjan-schan  ein.  Zunächst  folgt  er  dem  breiten,  kaum  bemerk- 
bar ansteigenden  Flufsbett  des  Tugrak-ssas-ssai,  welches  eine  steinbesäte 
Rinne  darstellt,  in  der  bei  Regengüssen  ein  mächtiger  Giefsbach  dahinschiefst. 
Tiefe  Löcher  und  von  den  Berghängen  herabgerollte  Felsstücke  bezeichnen 
seinen  Weg.  Je  höher  hinauf,  desto  mehr  verengt  sich  das  Bett  und  ver- 
llachen die  Thalhänge;  die  Bergformen  werden  immer  weniger  ausgesprochen, 
die  aus  Felsen  und  Konglomeraten  aufgebauten  Höhen  machen  Thonformationen 
Platz  und  gleichen  schliefslich  in  ihrer  Gestalt  Sanddünen,  von  denen  sie  sich 
nur  durch  gröfsere  Festigkeit  der  Masse  unterscheiden.  Noch  mehr  als  10  km 
zieht  der  Weg  durch  dies  unwirtliche  Gelände,  übersteigt  die  unbedeutende 
Kammhöhe  Schur-bulak  und  betritt  sodann  eine  auf  8000  Fufs  (2400  m) 
Höhe  gelegene  Hochebene,  ein  Meer  von  Bergen  und  Hügeln  graugelber 
Färbung  ohne  jedwede  Spur  selbst  von  Graswuchs.  Ein  trostloser  Anblick 
für  den  Reisenden!  So  einförmig  ist  die  Gegend,  dafs  der  Unvorsichtige,  der 
den  Karawanenpfad  verläfst,  Gefahr  läuft,  sich  zu  verirren  und  von  der 
Karawane  abzukommen.  Der  Pfad,  welcher  einige  von  fast  ganz  ausgetrockneten 
Flüfscben  übrig  gebliebene  Salzlachen  sehneidet,  windet  sich  wie  an  einem 
Ariadnefaden  durch  dieses  Labyrinth,  endet  an  einem  den  Abstieg  von  der 
Hochebene  begrenzenden  steilen  Absturz  und  durchschreitet  hierbei  den  Hof 


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Der  Weg  von  Osch  nach  Kanehgar. 


331 


der  alten  Jakub-bek  gehörigen  Festung  Maschrai),  welche  die  Aufgabe  hatte, 
den  Eintritt  in  das  Thal  des  Dshan-bulak  zu  sperren,  und  jetzt  von  den 
Chinesen  verlassen  ist.  In  der  Festung  selbst  war  zu  Jakub-bek's  Zeiten  ein 
Brunnen  von  über  275  m  Tiefe  angelegt  worden,  aber  auch  er  versiegte  mit 
der  Zeit,  weshalb  die  Festung  aufgegeben  wurde. 

Der  Abstieg  von  der  Hochebene  in  das  Thal  des  Uksalyr,  in  welchem 
früher  der  gleichnamige  Posten  lag,  ist  eine  aufserordentlich  schwierige  Passage 
für  Handelskarawanen,  denn  er  ist  als  enger  steiler  Gang  iu  die  Felsen  ge- 
hauen und  zur  Zeit  der  Frühjahrs-  und  Herbstfröste  von  Eis  bedeckt. 

Das  Uksalyr-Thal  ist  im  Vergleich  zu  der  eben  verlassenen  Hochebene 
das  reine  Paradies.  Schöne  Bilume  und  prachtvolle  Wiesen  veranlassen  die 
Nomaden,  in  ihm  sogar  standigen  Aufenthalt  zu  nehmen;  selbst  Gartenge  wüchse 
wurden  hier  zu  allererst  in  Kaschgarien  zu  ziehen  versucht.  Sobald  man  das 
ziemlich  malerische  Thal  und  die  Ruinen  der  Festung  Uksalyr  hinter  sich  ge- 
lassen hat,  fädelt  sich  der  Weg  von  neuem  auf  eine  längere  Strecke  in  ein 
Labyrinth  von  stellenweise  so  schmalen  Gebirgsschluchten  ein,  dafs  faktisch 
zwei  einander  begegnende  Saumtiere  sich  nicht  ausweichen  können.  An 
einzelnen  Stellen  sind  diese  Hohlwege  und  Glinge  so  wild,  an  andern  so 
überaus  malerisch,  dafs  nur  der  Baumwuchs  fehlt,  sonst  würden  hier  die 
herrlichsten  Landschaftsbilder  das  Auge  des  Reisenden  erfreuen,  wahrend  so 
die  eintönige  sandgelbe  Färbung  des  kahlen  Bodens  ihn  stört  und  von  hinnen 
treibt.  Ein  eigentlicher  Weg  ist  überhaupt  nicht  vorhanden;  er  wird  ersetzt 
durch  das  Bett  bei  Regen  sich  füllender  Bäche,  welche  sich  allmählich  in 
die  Thonschiefer-  und  Sandsteinschichten  eingewaschen  haben.  Die  Wände 
dieser  Schluchten  sind  ganz  wunderbar  gestaltet:  bald  erscheinen  ihre  oberen 
Ränder  wie  die  Konturen  von  Türmen,  Brücken  und  Mauern  halb  verfallener 
Burgen,  bald  wie  sagenhafte  Ungeheuer.  Für  den  Geologen  aufserordentlich 
viel  Interessantes  bietend  sagt  die  Gegend  nichts  für  Herz  und  Sinn  des  ein- 
fachen Reisenden,  den  schliefslich  selbst  die  Vielgestaltigkeit  der  toten  Land- 
schaft zn  langweilen  beginnt.  Auch  das  Tierleben  hält  sich  fern,  und  Menschen 
giebt  es  gleich  gar  nicht;  nur  hier  und  da  stöfst  man  auf  einen  kleinen 
Trupp  Kaschgarzen,  der  an  den  ziemlich  zahlreichen  Silber-  und  Kupferminen 
arbeitet,  Diese  Minen  liegen  aber  seitab  von  der  Karawanenstrafse,  an  Orten, 
wo  jedes  Brennholz  zum  Ausschmelzen  der  Erze  fehlt;  deshalb  müssen  die 
Erze  durch  Saumtierlasten  in  holzreiche  Gegenden  transportiert  werden.  So 
linden  sich  z.  B.  bei  der  Furt  Ssary-Kamysch,  wo  noch  Pappel-  und  Weiden- 
gehölze vorhanden  sind,  an  den  steilen  Ufern  überbleibsei  zahlreicher  Schmelz- 
öfen primitivster  Konstruktion.  Gegenwärtig  ist  das  Schmelzen  von  Kupfer- 
und  Silbererzen  etwas  eingeschränkt  worden,  da  auf  all'  diesen  Giefsereien 
falsche  Münzen  geprägt  und  in  Masse  an  die  nomadisierende  Bevölkerung  der 
Umgegend  abgesetzt  worden  sind.  Böse  Zungen  behaupten,  dafs  auch  hier- 
bei der  schon  genannte  Kommandant  von  Ulugtschat  seine  Hand  im  Spiele 
habe,  ja,  dafs  das  ganze  Geschäft  von  ihm  gemacht  werde  und  ihm  recht 
hübsche  Erträge  abwerfe. 

Nachdem  man  sich  durch  einige  enge  unbequeme  Schluchten  hindurch- 
gequält, eine  Anzahl  Gcbirgsbäche  überschritten  und  mehr  als  ein  Dutzend 


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332  H.  Toepfer:  Der  Weg  von  Osch  nach  Kascbgar. 

steile  und  ermüdende  Pafshöhen  genommen  hat,  gelangt  man  endlich  in  die 
weite,  mit  grünenden  Wiesen  bedeckt«  Kessel landschaft  des  Kisil-oi,  in  der 
chinesische  Kirgisen  ihre  ständigen  Wohnsitze  haben  und  von  wo  ein  fahr- 
barer Weg  nach  Kaschgar  beginnt.  Mau  stöfst,  sobald  man  die  etwas  feuchten 
Wiesen  von  Kisil-oi  und  die  Ruinen  der  einst  nicht  unwichtigen,  ausgedehnten 
Festung  Kang-dshugan  hinter  sich  hat,  dem  Thale  des  Urjuk  folgend,  sehr 
bald  auf  die  neue  Festung  Karan-palik,  durch  deren  Thore  die  Strafse  un- 
mittelbar hindurchführt.  Für  etwa  100  Mann  berechnet,  ist  sie  doch  nur 
von  5  bis  6  Infanteristen  bewohnt,  welche  liebenswürdiger  Weise  die  freien 
Räume  als  Lagerstätten  anboten.  Diese  Räume  ähnelten  freilich  eher  Ställen, 
als  menschlichen  Wohnungen.  Wenn  nicht  an  den  Wänden  die  in  chinesischen 
Wohnungen  üblichen  Einrichtungen  zum  Schlafen  und  zum  Erwärmen  der 
Räume  vorhanden  gewesen  wären  und  diese  den  spezifischen  Geruch  chinesischer 
Wohnstätten  verbreitet  hätten,  würde  man  den  Aufenthalt  darin  für  menschen- 
unmöglich haben  halten  müssen. 

Die  Soldaten  hatten  keinerlei  Vorräte  und  mufsten  sich  von  Wurzeln 
verschiedener  Gewächse  und  einigen  Kräutern  nähren,  aus  denen  sie  eine  Art 
Grütze  bereiteten.  Eine  derartige  Nahrung  ist  wohl  nicht  allzu  kräftig,  denn 
die  chinesischen  Krieger  stürzten  sich  gierig  wie  halb  verhungerte  wilde  Tiere 
auf  die  Knochen  und  sonstigen  Überbleibsel  unserer  mehr  als  spartanisch 
einfachen  Mahlzeit.  Und  mit  welchem  Genufs  benagten  sie  die  Hammel- 
knochen  und  saugten  sie  aus  den  vorsichtig  entzweigeschlagenen  Knochenröhren 
das  Mark  aus!  Armseligkeit  und  Hunger  sahen  aus  allen  Ecken.  Übrigens 
geht  es  neun  Zehnteln  aller  chinesischen  Trappen  nicht  viel  besser,  denn  ihre 
Gebührnisse  fliefsen  in  die  Taschen  ihrer  Vorgesetzten,  welche  dafür  den 
Untergebenen  völlige  Freiheit  in  der  Wahl  ihrer  Existenzmittel  lassen.  Genau 
so  erbärmlich  wie  in  Karan-palik  waren  die  Mannschaften  der  beträchtlich 
gröfseren  Garnison  Myn-jul  gestellt  und  genau  dieselbe  Jammerwirtschaft  konnte 
man  bei  den  Mustertruppen  Li-Hung-Tschang's  und  der  Provinz  Tschili  zur 
Zeit  ihrer  Neuorganisation  antreffen.  Deshalb  braucht  man  sich  nicht  zu 
windern,  wenn  die  auf  sich  selbst  angewiesenen  chinesischen  Soldaten  sich 
mehr  mit  andern  Dingen  als  militärischer  Ausbildung  beschäftigen.  In  Karan- 
palik,  Myn-jul  und  Kaschgar  treiben  sie  neben  ihren  notwendigsten  Dienst- 
verrichtungen Ackerbau  und  Handel  und  schinden  und  placken  aufserdem 
die  friedliche  Bevölkerung  auf  unerhörte  Weise.  Bei  diesen  Orten  liegen 
ziemlich  ausgedehnte  Felder,  von  denen  Wintervorräte  geerntet  werden, 
nicht  nur  für  den  eigenen  Gebrauch ,  sondern  auch  für  den  Bedarf  durch- 
reisender Karawanen.  Natürlich  werden  ganz  willkürliche  Preise  für  die 
Produkte  genommen;  rassischen  Händlern  gegenüber  allerdings  sind  die 
Soldaten  und  ihre  Vorgesetzten  sehr  vorsichtig,  und  vor  dem  blofsen  Namen 
des  russischen  Konsuls  in  Kaschgar  Petrowski  haben  sie  mehr  Respekt, 
als  vor  ihren  Vorgesetzten.  Da  mir  von  früher  her  bekannt  ist,  mit 
welchem  Hochmut  und  welcher  Frechheit  die  chinesischen  Beamten  Händlern 
gegenüber  auftreten,  so  mufste  ich  wohl  annehmen,  dafs  unser  Konsul  es 
ausgezeichnet  verstanden  bat,  sich  diese  Herren  zu  ziehen  und  ihnen 
mehr   Achtung   vor   dem   russischen   Namen   beizubringen,   als    wir  sonst 


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Alfred  Hettner:  Die  Landbauzonen  der  aufsertropischen  Lilnder.  333 

gemeiniglich  im  östlichen  China  und  selbst  in  der  Residenz  des  Bogdychan 
geniefsen. 

Bis  Myn-jul  kann  der  russische  Händler  reisen,  ohne  sich  irgendwie 
ausweisen  zu  müssen;  in  Myn-jul  jedoch  müssen  alle  Durchreisenden  im  Jamyn 
ihre  Pässe  vorzeigen,  welche  von  hier  an  den  Daotai  von  Kaschgar  eingesandt 
werden.  Myn-jul  ist  eine  gröfsero  chinesische  Garnison,  die  letzte  vor  Kaschgar. 
Zwischen  beiden  Orten  dehnt  sich  auf  14  km  ein  steinbesätes,  wasserarmes 
Thal  aus,  wie  sie  im  Innern  von  Kaschgarien  so  häufig  sind.  Soweit  der 
Blick  reicht,  von  ausgewaschenen  Hohlwegen  durchschnittene  einförmige  Ebene, 
welche  in  ganz  weiter  Ferne  gen  Südosten  von  dem  staubnebelumhüllten, 
in  seinen  in  ewigem  Schnee  erstarrten  Spitzen  hellglänzenden  Massiv  des 
Mustag-agar,  dem  Gebirgsriesen  im  Pamirhochland,  begrenzt  ist.  Nach  Osten 
zu  zeichnen  sich  in  einem  kaum  bemerkbaren  grünen  Streifen  die  Gärten 
und  Haine  von  Kaschgar  und  seiner  Umgebung  ab.  Noch  eine  kurze  Strecke 
und  ein  ganzes  Netz  von  Armen  des  in  zahllose  Aryks1)  sich  verteilenden 
Kisyl-ssu  verwandelt  die  menschenleere  ödfläche  in  eine  blühende  dicht  be- 
völkerte Oase.    Das  ist  Kaschgar.  (Schlufs  folgt.) 


Die  Landbanzonen  der  aufsertropisohen  Länder. 

Nach  den  Untersuchungen  Th.  H.  Engel  brecht' n. 
Von  Alfred  Hettner. 
(Schlufs.) 
III.  Nordamerika. 

In  der  Landwirtschaft  Nordamerikas8)  macht  sich  natürlich  geltend,  dafs 
es  ein  Kolonialland  ist.  Das  Land  ist,  trotz  des  raschen  Fortschreitens  der 
Entwickelung,  doch  immer  noch  nicht  in  ganzer  Ausdehnung  von  Menschen 
besetzt  worden,  und  in  den  jüngeren  Siedelungsgebieten  zeigt  die  Landwirt- 
schaft noch  so  starke  Veränderungen  von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt,  dafs  man 
ihre  heutige  Form  vielfach  nur  als  eine  in  der  Jugend  der  Entwicklung  be- 
gründete Übergangsform  ansehen  mufs  und  die  wirtschaftsgeschichtlichen  und 
die  klimatischen  Ursachen  noch  nicht  mit  Bestimmtheit  aus  einander  halten 
kann. 

Im  nördlichen  Teil  des  Kontinents  können  wir  jedenfalls  auch  hier  eine 
Zone  ohne  Anbau  und  eine  subarktische  Gerstenzone  ausscheiden,  aber 


1)  Bewässerungsgräben. 

2)  Für  Nordamerika  hat  Verf.  dies  Thema  schon  früher  in  dem  Aufsatz:  ,.Per 
Standort  der  LandwirtschaftsKrenze  in  Nordamerika"  (Landwirtschaftliche  Jahr- 
bücher Bd.  XII  S.  459 ff.  M.  T.  VI— X)  behandelt,  in  dem  die  wichtigsten  That- 
sacben  und  die  Ursachen  der  Erscheinungen  vielleicht  noch  schärfer  hervortreten. 
Zu  vergleichen  sind  aufserdem  M.  Seriiitf:  Die  landwirtschaftliche  Konkurrent 
Nordamerikas  Lpzg.  1*87:  iVJO  ff.  u.  K.  und  F.  Ratzel:  Kulturgeographie  der  Ver. 
Staaten  2.  Aufl.,  bes.  die  Karte. 


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Alfred  Hettner: 


die  Besiedeluug  reicht  noch  nicht  in  diese  hinein,  nur  ihre  Grenze  ist  viel- 
leicht im  nördlichen  Neu-Braunsebweig  und  in  Nord-Saskatschewan  erreicht 
worden,  da  hier  der  Weizen  vom  Frost  getötet  wird. 

In  dem  besiedelten  Teile  von  Canada  und  im  nördlichen  Teile  der  Ver- 
einigten Staaten  läfst  Engelbrecht  die  Haferzone  als  einen  breiten  Gürtel 
von  Ozean  zu  Ozean  reichen.  Er  befafst  unter  diesen  Begriff  natürlich  auch 
hier  alle  die  Gebiete,  in  denen  der  Hafer  das  wichtigste  Futtergetreide  ist 
und  in  gröfserem  Umfange  als  Gerste  oder  Mais  angepflanzt  wird.  An  der  West- 
und  an  der  Ostküste  und  in  einigen  dazwischen  liegenden  gebirgigen  Land- 
schaften kann  man  von  Haferzone  auch  in  dem  engeren  Sinne  sprechen,  dafs 
Hafer  überhaupt  das  am  meisten  angebaute  Getreide  ist  und  dafs  Wiesen  und  An- 
bau von  FuttergewHchsen  (Heugewinnung  jeder  Art)  eine  sehr  grofse  Rolle 
in  der  Landwirtschaft  spielen  und  den  Getreidebau  meist  um  ein  vielfaches 
übertreffen.  In  den  dazwischen  liegenden  Gegenden  jedoch  treten  der  Hafer- 
bau und  die  Heugewinnung  durchaus  zurück,  der  Weizenbau  in  den  Vorder- 
grund. Eugelhrecht  hat  schon  in  einer  Besprechung  des  Werkes  von  Seriug 
ausgeführt,  dafs  das  zunächst  eine  wirtschaftsgeschichtliche  Thaisache  sei, 
dafs  der  einseitige  Weizenbau  die  Kultur  des  Neulandes  sei,  und  dafs  er  im 
Laufe  der  Zeit,  wenn  der  Boden  durch  die  einseitige  Bebauung  erschöpft  sei, 
durch  mannigfaltigeren  Anbau  verdrängt  werde.  Und  er  weist  jetzt  darauf 
hin,  dafs  die  Richtigkeit  dieser  Behauptung  durch  die  Entwicklung  der  Ver- 
hältnisse bestätigt  werde,  dafs  sich  nämlich  eine  Verschiebung  des  einseitigen 
Weizenbaues  nach  Norden  und  Westen,  also  in  die  jüngeren  Siedlungsgebiete, 
verfolgen  lasse.  Trotzdem  möchte  ich  glauben,  dafs  in  diesen  Biuneuland- 
schaften,  die  ein  trockeneres  Klima  haben,  und  die  daher  im  natürlichen  Zu- 
stande grofsenteils  nicht  Waldland,  sondern  Prärien  sind,  der  Charakter  der 
Landwirtschaft  auch  künftighin  ein  anderer  als  in  den  westlichen  und  öst- 
lichen Küstenlandschaften  sein  wird.  Ebenso  wie  wir  in  Europa  die  Hafer- 
zone Eugelbreeht's  in  die  auf  Landschaften  von  maritimem  Charakter  be- 
schränkte Haferzone  im  engem  Siune  (mit  Feldgraswirtschaft,  und  starkem 
Wiesenbau)  und  die  Zone  des  vorherrschenden  Brodgetreides  zerlegen  konnten, 
so  werden  wir  wohl  auch  in  Nordamerika  aus  der  Haferzone  die  Binnen- 
laudsehaften  ausscheiden  müssen,  die  heute  jedenfalls  eine  Zone  des  vor- 
herrschenden Brotgetreides  sind. 

Die  Haferzone  im  engeren  Siune  ist  ein  Land  der  feuchten  kühlen 
Sommer  und  grofsenteils  wohl  auch  des  steinigen  unfruchtbaren  Bodens, 
zeigt  also  ganz  ähnlichen  Naturcharakter  wie  die  skandinavische  Halbinsel 
oder  der  westliche  Teil  der  britischen  Inseln.  Ihr  gehören  am  Stillen  Ozean 
Britisch-Columbien  und  das  Küstenland  von  Washington,  die  Gebirgsland- 
schaften von  Wyoming  und  Montana,  ferner,  wie  es  scheint,  Teile  von  Wis- 
consin, Ontario,  Quebec,  Neu-Braunschweig  uud  Neu-Sehottland,  die  Neu-England- 
staaten  etwa  nördlich  von  4l\°  und  die  höheren  Teile  der  Appalachen  an. 
Der  Haferbau  nimmt  in  diesen  Landschaften  meist  über  70%,  teilweise  über 
00%  Getreidefläche   ein,   Weizen    wird   nur   wenig   gebaut   wegen  der 

Feuchtigkeit  und  Küble  des  Sommers  und  im  Osten  auch  wegen  der  Strenge 
des  Winters,  die  den  Winterweizen  ganz  ausschliefst,  nicht  unbedeutend  ist 


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Die  Landbauzonen  der  aufRertropischen  Länder.  335 

* 

dagegen  stellenweise  der  Gerstenbau.  Eine  grofse  Rolle  besonders  in  der 
Landwirtschaft  der  atlantischen  Küstengegenden  spielen  der  Anbau  von  Buch- 
weizen und  Kartoffel,  was  mit  der  dichten  Bevölkerung  und  dem  dadurch  be- 
dingten vorstädtischen  Tjandwirthschaftsbetriebe  zusammenhängt;  die  Kartoffel  - 
fläche  ist  stellenweise  ebenso  grofs  wie  die  ganze  Getreidefläche.  Aufser- 
ordentlich  grofs  ist  die  Heugewinnung.  Sie  bildet  hauptsächlich  die  Grund- 
lage der  Milch-  und  Meiereiwirtschaft.  An  diese  schliefst  sich  aber  nicht, 
wie  bei  uns,  auch  Schweinezucht  an;  der  Schweinestand  ist  vielmehr,  nament- 
lich im  Vergleich  mit  der  südlich  angrenzenden  Zone  des  Maisbaues,  ziem- 
lich gering.  Die  Schafzucht,  die  in  den  Neu-Englandstaaten  früher  sehr  be- 
deutend war,  hat  sich  sehr  vermindert  und  ist,  den  ganzen  wirtschaftlichen 
Verhältnissen  entsprechend,  heute  vielmehr  auf  die  Zucht  von  Fleischschafen 
als  von  Wollschafen  gerichtet.  Auch  die  Arbeitsochsen  sind  immer  mehr 
vom  Pferde  verdrängt  worden,  wenngleich  nicht  in  dem  Mafse  wie  in 
jüngeren  Siedlungsgebieten.  Das  Maultier  kommt  in  dieser  Zone  nicht  in 
Betracht. 

Gebiete  des  vorherrschenden  Baus  von  Brotgetreide  und 
zwar  überwiege ud  von  Weizen  sind  in  Britisch-Nordainerika  Teile  von 
Saskatschewan ,  die  beiden  Assiniboia,  Manitoba  und  ein  Teil  von  Ontario, 
im  Kordillerengebiet  der  Vereinigten  Staaten  die  inneren  Landschaften  von 
Washington,  Oregon,  Iduho,  Utah,  Teile  von  Kalifornien,  Colorado  und  Neu- 
Mexico,  östlich  von  den  Kodilleren  die  beiden  Dakota,  Minnesota,  Michigan, 
Teile  von  Wisconsin,  in  dem  der  Haferbau  überwiegt,  Indiana  und  Ohio,  deren 
südliche  Teile  schon  zur  Maiszone  gehören.  Es  sind  also  dio  mäfsig  feuchten, 
kühleren  Teile  der  Kordilleren-,  Prärien-  und  Übergangsländer  zum  Wald- 
gebiet. Man  wird  diese  Landbauzone  am  ehesten  wohl  teils  mit  der  euro- 
päischen Roggenzone,  teils  mit  der  südrussischen  Steppenzone  vergleichen 
können.  Das  vorherrschende  Getreide  ist  Sommerweizen,  da  der  Winter- 
weizen die  kalten  Winter  nicht  verträgt.  Der  Bau  von  Roggen  tritt  in 
Nordamerika  zurück,  weil  er  ja  nur  wenig  konsumiert  wird,  am  stärksten  ist 
er  im  Grenzgebiet  dieser  Zone  des  Sommerweizens  und  der  Maiszone.  Auch 
der  Anbau  von  Mais  hat  nur  untergeordnete  Bedeutung;  nur  im  südlichen 
Oregon  zeigt  sich  ein  Ansatz  zur  Ausbildung  eines  Maisgebietes.  Bei  dem 
einseitigen  Vorherrschen  des  Getreidebaues  tritt  die  Tierzucht,  etwa  mit  Aus- 
nahme der  Arbeitspferde,  im  allgemeinen  in  den  Hintergrund;  nur  iu 
Michigan  und  Ohio  finden  wir  eine  recht  bedeutende  Merinozucht,  wohl  ohne 
dafs  dafür  klimatische  Ursachen  vorhanden  wären. 

Weiter  südlich  stellt  sich  eine  bestimmte  Scheidung  des  Westens  und 
des  Osten  heraus. 

Der  Westen  ist  trocken,  im  kalifornischen  Küstengebiet  etwa  von  40° 
südwärts  mit  ausgesprochenem  Winterregen,  im  Innern  mit  Trockenheit  zu 
allen  Jahreszeiten.  Die  Vegetatiousbediugungen  des  kalifornischen  Küsten- 
landes sind  also  dieselben  wie  in  den  Küstenlandschaften  Südeuropus,  während 
wir  im  Innern  reine  Steppe  finden.  Eugulbrecht  fafst  beide  Gebiete,  die  zu- 
sammen hauptsächlich  die  Staaten  Kalifornien,  Nevada  und  Arizona  ein- 
nehmen, sich  aber  auch  in  die  östlichen  Nachbarstaaten  hineinerstrecken,  als 


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Alfred  Hettner: 


Gerstenzone  zusammen,  weil  Gerste  das  hauptsächliche  Futtergewächs  ist  und 
sowohl  der  Hafer  wie  der  Mais,  die  beide  der  Feuchtigkeit  bedürfen,  nur 
wenig  angebaut  werden1).  Aber  auch  hier  beben  sich  die  Küstenlandschaften, 
zu  denen  ich  auch  noch  das  grofse  kalifornische  Längsthal  rechne,  durch 
Weizenbau  und  wohl  noch  mehr  durch  Weinbau  und  Baumkulturcn  land- 
wirtschaftlich von  den  Steppeulandschaften  ab,  wo  Wein-  und  Baumkultnren 
fehlen,  der  Weizen  hinter  der  Gerste  zurücktritt  und  der  gröfste  Teil  der 
Fläche  überhaupt  nur  durch  extensive  Viehzucht,  ursprünglich  hauptsächlich 
Pferdezucht,  später  mehr  Rindvieh-  und  heute  immer  mehr  Schafzucht  aus- 
genutzt werden  kann. 

Dieser  Teil  der  Steppe  stimmt  in  der  Hauptsache,  nämlich  in  dem  Vor- 
herrschen extensiver  Viehzucht,  die  auf  den  sog.  Hanges  (Hmuhos)  betrieben 
wird,  mit  den  Steppen  östlich  von  den  Kordilleren  (den  sog.  Plains)  überein. 
Aber  da  sich  die  landwirtschaftliche  Statistik,  die  die  Grundlage  der  Unter- 
suchungen Engelbrecht's  bildet,  nur  auf  die  Farmen  bezieht,  wohl  auch 
in  Folge  der  Gesichtspunkte,  von  denen  er  überhaupt  ausgeht,  rechnet  er 
diese  östlichen  Steppen  schon  der  Maiszone  zu,  weil  in  den  Anpflanzungen 
der  Besiedelnngsoasen  Mais  den  Hauptgegenstand  des  Anbaus  bildet.  Die 
Zone  des  zusammenhängenden  Maisbaus  beginnt  etwa  erst  vom  100.  Meri- 
diane an. 

Der  ganze  südöstliche  Teil  der  Vereinigten  Staaten,  östlich  von  100° 
w.  L.,  südlich  etwa  von  43 0  n.  Br.  steht  unter  der  Herrschaft  warmer 
feuchter  Sommer,  hat  also  klimatische  Verhältnisse,  die  in  Europa  nur  unter- 
geordnet auftreten  und  mehr  an  die  asiatischen  Monsun länder  erinnern.  Den 
Halmgetreiden  sagt  dies  Klima  nicht  recht  zu,  sie  treten  daher  durchaus 
hinter  dem  Mais  zurück,  der  hier  sowohl  als  Futtergewächs  wie  für  die 
menschliche  Ernährung  gebaut  wird.  Mit  dem  Maisbau  ist  fast  in  der 
ganzen  Zone  eine  starke  Schweinezucht  verbunden,  wie  wir  sie  in  Europa 
nur  in  wenigen  Gegenden  haben;  die  Zahl  der  Schweine  übertrifft  hier  meist 
die  der  Rinder.  Dagegeu  ist  die  Schafzucht  von  mäfsiger  Bedeutung  und 
entschieden  in  der  Abnahme  begriffen,  sie  zieht  sich  in  die  sandige  Kiefer- 
zone {P'me  Jirlt)  zurück.  Charakteristisch  ist  auch  die  starke  Verwendung 
von  Arbeitsochsen ,  die  wohl  mit  den  niedrigen  Löhnen  zusammenhängt,  uud  das 
Vorherrschen  der  Maultiere  vor  den  Pferden.  Im  übrigen  zeigen  aber  die 
verschiedenen  Teile  dieses  Gebietes  grofse  Verschiedenheiten,  und  wir  können 
danach  drei  oder  vier  Zonen  unterscheiden. 

Die  nördlichste,  die  die  beiden  anderen  auch  im  Westen  umfafst,  ist  die 
Maiszone  im  engeren  Sinne,  in  der  die  Baumwolle  noch  keine  gröfsere  Be- 
deutung hat.  Der  Mais  ist  im  allgemeinen  dcis  vorherrschende  Getreide,  aber 
in  vielen  Gegendon  finden  wir  auch  einen  starken  Anbau  von  Weizen,  und 
zwar  von  Winterweizen,  der,  wie  es  scheint,  die  schwereren  Böden  bevorzugt. 
Hauptsächlich  an  der  Nordgrenze  reicht  auch  beträchtlicher  Roggenbau  in  diese 
Zone  hinein.    Die  Kartoffel  begegnet  sich  hier  mit  der  Batate  (Surrt  Fotato), 

1)  Es  ist  deshalb  nicht  verständlieh,  warum  Ratzel  Kalifornien  zum  Maiflgebiet 
gestellt  hat. 


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Die  Landbauzonen  der  au fuertropiachen  Lilnder. 


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herrscht  aber  noch  vor  dieser  vor.  Dagegen  fehlt  die  Erbse  so  ziemlich, 
weil  der  Sommer  für  die  europäische  Erbse  {Canadian  Pro)  zu  warm, 
für  die  Cow  Pea  dagegen  nicht  heifs  genug  ist.  In  Kentucky  und 
Missouri  wird  Hanf  gepflanzt.  Von  besonderer  Bedeutung  ist  der  Tabaksbau, 
dessen  Haupt  gebiete  in  Ohio  und  in  den  atlantischen  Staaten  zwischen  35° 
und  40°  n.  Br.  liegen.  In  dem  westlich  von  den  Appalachen  gelegenen 
Teile  erreicht  die  Schweinezucht  ihr  Maximum,  da  die  Zahl  der  Schweine 
anderthalb  bis  zweimal  so  grofs  ist  als  die  der  Binder.  In  den  Appalachen 
selbst,  die  ja  einen  halbinselartigen  Vorsprang  der  Haferzone  darstellen, 
überwiegen  die  Binder,  und  auch  an  der  Ostküste  ist  der  tTjersehufs  der 
Schweine  nur  unbedeutend. 

Die  Südgrenze  dieser  Zone  füllt  an  der  atlantischen  Küste  ungefähr  mit 
der  Südgrenze  von  Virginia  zusammen,  zieht  sich  dann  in  den  Appalachen 
südwärts,  verläuft  weiter  auf  dem  3ö.  Parallel  und  kehrt  am  Tennesseeflufs 
wieder  bis  3t)V20  n.  Br.  zurück.  Das  wichtigste  Merkmal  der  südlich  fol- 
genden Zone  ist  der  starke  Baumwollenbau,  der  hier  gröfsere  Flächenräume 
als  der  Weizenbau  einnimmt.  Engelbrecht  bezeichnet  diese  Zone  daher  als 
die  Baumwollenzone.  Wir  haben  hier  die  gemäfsigte  Zone  verlassen  und 
sind  in  eine  halbtropische  Landschaft  gekommen.  Weizen  und  Gerste  treten 
hier  ganz  zurück,  dagegen  ist  der  Heisbau  schon  häutig,  und  man  hat  den 
Eindruck,  als  ob  er  sich  mit  Hilfe  der  Negerarbeit  noch  viel  weiter  aus- 
breiten könnte.  Auch  die  Erdnufs  (Arachis)  wird  viel  gebaut.  Die  Kar- 
toffel tritt  in  den  Hintergrund  gegenüber  der  Batate. 

Noch  deutlicher  ist  der  halbtropische  Charakter  in  der  Zone  des 
Zuckerrohrs  ausgesprochen,  deren  Greuze  von  der  mexikanischen  Grenze 
ungefähr  unter  37°  w.  L.  nach  Norden  zieht,  dann,  allerdings  mit  starken 
Schwankungen,  dem  32.  Parallelkreis  nach  Osten  folgt  und  an  der  atlan- 
tischen Küste  bis  Charleston  ansteigt.  Im  ganzen  fällt  auch  der  ausgedehntere 
Reisbau  (mehr  Reis  als  Weizen)  in  diese  Zone,  doch  reicht  er  nicht  so  weit 
westlich,  während  er  an  der  atlantischen  Küste  weiter  nördlich  ansteigt. 
Weizen-  und  überhaupt  Köruerbau  tehlen  dieser  Zone  fast  ganz;  Roggen  und 
Hafer  werden  als  Grünfutter  gebaut.  Aber  der  Anbau  des  Mais  übertrifft 
den  Anbau  der  Halmgetreide  um  das  Zehnfache.  Im  nördlichen  Teil  der 
Zone  ist  damit  auch  noch  starke  Schweinehaltung  verbundeu,  die  sich  jedoch 
an  der  Golfküste  ziemlich  vermindert. 

Auf  der  Halbinsel  Florida  treten  die  Banane  und  in  der  südlichen 
Hälfte  auch  die  Kokospalme  auf.  Auch  die  Oraugengewinnung  ist  hier  sehr 
bedeutend. 

IV.  Südamerika. 

Die  Untersuchung  Südamerikas  hat  sich,  da  für  Chile  kein  agrarsta- 
tistisches  Material  vorliegt,  leider  auf  Argentinien  und  Uruguay  beschränken 
müssen.  Während  Chile  im  ganzen  mit  den  Ländern  Westeuropas  und  der 
nordamerikamschen  Pacificstaaten  zu  vergleichen  ist,  kehren  in  den  La  Plata- 
ländern  ähnliche  Verhältnisse  wie  im  östlichen  Teil  der  Vereinigten  Staaten 
wieder;  denn  wie  dort  finden  wir  auch  hier  wanne  und  im  ganzen  feuchte 
Sommer.    In  manchen  Zügen  kommt  es  zur  Geltung,  dafs  wir  es  hier  mit 

Geo„r»phitchc  Zeitschrift  7  J«l.rg»ng  VMl  C  Heft  23 


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Alfred  Hcttner: 


keinem  englischen,  sondern  mit  einem  spanischen  Kolonisa tiousgohiet  zu  thuu 
haben. 

Die  Polargrenze  des  ausgedehnten  Anbaus  von  Zuckerrohr,  welche  wir 
hier,  da  der  Anbau  der  Baumwolle  ganz  unbedeutend  ist,  als  die  Grenze 
des  subtropischen  Anbaus  ansehen  müssen,  verläuft  in  der  Ebene  unge- 
fähr unter  *J8  0  s.  Br.,  also  1  0  näher  am  Äquator  als  in  Nordamerika,  zieht, 
sich  aber  im  Gebirge  natürlich  weiter  nach  Norden  zurück.  In  den  Niede- 
rungen von  Tucuman  und  Jujuy  wird  er  vom  Reisbau  begleitet,  der  jeden- 
falls noch  weiterer  Ausdehnung  fähig  ist. 

Ein  von  diesem  halbtropischen  Tiefland  abweichendes  Gepräge  hat  die 
Luid  Wirtschaft  natürlich  in  den  Anden  der  Provinzen  Jujuy,  Salta  und 
Tucuman.  In  mäfsiger  Höhe  überwiegt  der  Anbau  von  Mais  und  Weizen, 
und  zwar  scheint  dieser  höher  als  jener  hinanzusteigen.  In  gröfserer  Höhe 
gewinnt  der  Anbau  von  Gerste  und  Kartoffeln  die  Oberhand.  In  den  Ge- 
birgshüheu  wird  auch  viel  Schafzucht  getrieben,  die  sonst  diese  halbtropischen 
Gegenden  vermeidet.  Auch  die  Lamas  reieben  von  Peru  und  Bolivien  bierher. 
Für  die  tieferen  Teile  ist  der  starke  Bestand  an  Eseln,  die  nach  spanischer 
Sitte  viel  als  Arbeitstiere  gebraucht  werden,  und  an  Maultieren  bezeichnend. 

Wandern  wir  in  der  Ebene  südwärts,  so  kommen  wir  in  ein  Gebiet, 
in  dem  Mais  und  Weizen  die  weitaus  wichtigsten  Gegenstände  des  Anbaus 
bilden,  das  Engelbrecht  daher  seiner  Maiszone  zurechnet.  Aber  innerhalb 
dieser  Zone  haben  wir  doch  zwei  Gebiete  von  ganz  verschiedener  Landwirt- 
schaft zu  unterscheiden. 

Im  östlichen,  der  Küste  zu  gelegenen  Teil  ist  genügende  Feuchtigkeit 
vorhanden  und  auch  der  Boden  gut  ,  so  dafs  der  Anbau  die  ganze  Fläche 
zusammenhängend  Iwdecken  kann.  Hier  haben  wir  das  eigentliche  Ackerbau- 
gebiet, das  wir  mit  dem  nordamerikanischen  Maisgebiet  östlich  von  1<M)° 
w.  L.  oder  mit  den  europäischen  Maisgebieten  vergleichen  können.  Neben 
Mais  und  Weizen  treten  die  anderen  Getreidearten  und  überhaupt  andere 
Kulturen  ganz  zurück.  Ob  der  Anbau  des  Mais  oder  des  Weizens  über- 
wiegt, scheint  aufser  von  volkswirtschaftlichen  Rücksichten  in  erster  Linie 
vom  Boden  abzuhängen.  Auch  das  Klima  wirkt  ein,  da  im  allgemeinen  nach 
der  Äquatorialgrenze  zu  und  im  feuchteren  Osten  der  Mais,  weiter  polwärts 
und  landeinwärts  der  Weizen  häufiger  ist.  Im  südlicben  Teil  der  Provinz  Buenos 
Aires  nähert  sich  der  Mais  seiner  Polargrenze  und  wird  im  Fruchtwechsel  durch 
Gras  und  Ackerweide  ersetzt,  so  dafs  wir  hier  vielleicht  eine  Weizenzone  an- 
zunehmen haben.  Schweinehaltung  knüpft  sich  in  Argentinien  au  den  Maisbau 
nicht  an,  wie  in  Nordamerika,  weil  Weidewirtschaft  noch  durchaus  vorherrschend 
ist.    Im  südöstlichen  Teile  des  Gebietes  ist  die  Schafzucht  sehr  bedeutend. 

Das  Gebiet  zusammenhängenden  Auhaus  erstreckt  sich  nach  Kärger 
westwärts  etwa  bis  zum  öl.  Meridian,  der  somit  dieselbe  Rolle  wie  der  100, 
Meridian  in  Nordamerika  spielt.  Die  meist  gebauten  Getreide  sind  auch 
hier  noch  Mais  und  Weizen;  aber  der  Anbau  ist  im  allgemeinen  nur  noch 
mit  künstlicher  Bewässerung  möglich,  und  diese  wird  in  viel  gröfserein  Um- 
fange zum  Anbau  der  Luzerne  (Alfalfa)  und  am  Gebirgsfufs  auch  zum  Wein- 
bau benutzt,  dessen   Fläche  vielfach   die  Hälfte   der  Getreidefläche  beträgt. 


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Die  Landbauzonen  der  aufsertropischen  Länder. 


Die  Steppe  selbst,  grofsenteils  Strauchsteppe,  bleibt  der  Viehzucht  vorbehal- 
ten; die  Schafe  treten  hier  mehr  zurück  und  werden  durch  Ziegen  ersetzt, 
an  deren  Zucht  die  Spanier  von  ihrer  Heimat  her  gewöhnt  waren;  recht 
grofs  ist  der  Pferdestand. 

V.  Sudafrika. 

Für  Südafrika,  mit  Ausnahrae  des  halbtropischen  Natal,  fehlt  eine  eigent- 
liche Anbaustatistik,  und  wir  konneu  uns  nur  nach  der  Erutestatistik  ein 
ungefähres  Bild  der  Anbauverhältnisse  machen. 

Der  südöstliche  Teil  des  Kaplandes,  etwa  östlich  von  23°  ö.  L.,  nord- 
wärts ungefähr  bis  an  die  Wasserscheide  gegen  den  Oraujeflufs,  hat  ein 
warmes  und  dabei  feuchtes  Klima  mit  vorherrschenden  Sommerregen  nnd 
infolge  dessen  einen  ausgedehnten  Anbau  von  Mais,  der  den  von  Hafer 
und  Gerste  übertrifft.  Wir  müssen  dies  Gebiet  also  der  Maiszone  zurech- 
nen. Mit  dem  Maisbau  ist  namentlich  der  Anbau  der  Mohrhirse  (Sorghum) 
verbunden.  Die  Schweinezucht,  die  man  nach  dem  Muster  Nordamerikas  in 
diesem  Gebiete  vermuten  sollte,  ist  ebenso  wie  in  Argentinien  gering;  am 
Küsteusaum  haben  die  Rinder  ein  entschiedenes  Übergewicht  über  alle  ande- 
ren Viehgattungen,  weiter  landeinwärts  erlangen  dagegen  schon  die  Schaf- 
und  die  Ziegenzucht  grofse  Bedeutung. 

Nach  Nordosten  findet  etwa  au  der  Grenze  von  Natal,  also  ungefähr 
unter  31°  s.  Br.,  der  Übergang  zu  halbtropischer  Landwirtschaft  statt, 
da  das  Zuckerrohr  die  wichtigste  Kultur  wird  und  die  europäischen  Halm- 
früchte, ins  Gebirge  zurückweichen. 

Ein  anderer  Übergang  vollzieht  sich  von  der  Mossel-Bai  westwärts.  Das 
Klima  wird  hier  viel  trockener,  besonders  nehmen  die  Niederschläge  des 
Hochsommers  sehr  ab;  die  letzten  Reste  tropischer  Vegetation  verschwinden, 
und  es  beginuen  die  Busch-  und  Heideflächen  der  eigentlichen  Kaptlora. 
Dementsprechend  tritt  der  Mais  zurück  und  läfst  die  europäischen  Getreide- 
arten in  den  Vordergrund  treten.  Als  Futtergewächs  überwiegt  an  der  West- 
küste, wohl  durch  die  Regen  und  Nebel  und  die  Milde  des  Winters  be- 
günstigt, der  Hafer,  landeinwärts  die  Gerste.  Im  ganzen  aber  treten  die 
Futtergetreide  entschieden  gegenüber  dem  Weizen  und  stellenweise,  besonders 
in  höheren  Gebirgslagen  mit  steinigem  Boden,  auch  gegenüber  dem  Roggen 
zurück,  der  in  einem  für  koloniale  Verhältnisse  ungewöhnlichen  Umfange  an- 
gebaut wird.  Im  ganzen  Inneren  bewahrt  der  Ackerbau  überhaupt  wegen 
der  Höhenlage  einen  mehr  nordischen  Charakter,  der  sich  auch  in  dem  Kar- 
toffelbau zu  erkennen  giebt.  Das  wichtigste  Merkmal  der  Steppen  des  Innern 
ist  aber  die  enorme  Schaf-  und  Ziegenhaltung;  die  Zahl  sowohl  der  Schafe 
wie  der  Ziegen  übertrifft  die  der  Kinder  um  das  Zehn-,  ja  um  das  Zwan- 
zig- und  Dreifsigfache.  Auch  der  Pferde-  und  Maultierbestand  ist,  wenigstens 
im  Verhältnis  zum  Rinderbestand,  außerordentlich  grofs.  Engelbrecht  rech- 
net dies  ganze  Gebiet  westlich  von  der  Mais-  und  Zuckerrohrzone,  die  er 
übrigens  auf  der  Übersichtskarte  zu  weit  landeinwärts  ins  Hochland  hinein 
gezeichnet  hat,  seiner  subtropischen  Gerstenzone  zu.  Aber  der  Einfluß 
der  Bodengestaltung,  der  raschen  Wechsel  der  Temperatur  und  der  Nieder- 

23* 


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340 


Alfrod  Hettner: 


schlagsverhältnisse  hervorruft,  steht  doch  wohl  einer  so  verallgemeinernden 
Auffassung  entgegen.  Manche  Gebirgslandschaften  sind  am  ehesten  den 
europäischen  und  nordamerikanischen  (legenden  mit  vorherrschendem  Anbau 
von  Brotgetreide  zu  parallelisieren;  der  gröfsere  Teil  des  Gebietes  empfängt 
sein  Gepräge  von  der  extensiven  Steppenviebzucht. 

VI.  Australien. 

Auf  dem  australischen  Kontinent  ist  bekanntlich  der  klimatische  Gegen- 
satz zwischen  der  schmalen  Ostküste,  dem  Innern  und  der  Südwestecke  sehr 
ausgesprochen. 

Der  gröfsere  Teil  der  Ostkflste  hat  trockene  Winter,  aber  wanne  Sommer 
mit  häutigen  und  reichlichen  Hegen;  erst  ganz  im  Süden  sind  die  Regen 
gleich  mäfsiger  über  das  Jahr  verteilt.  Im  Norden  (etwa  bis  19°  s.  Hr.) 
haben  wir  noch  eigentlich  tropische  Kulturen  wie  den  Kaffeebau,  dessen 
Bedeutung  allerdings  noch  sehr  gering  ist.  Dann  folgt,  bis  80°  s.  Hr.1),  die 
halbtropische  Zuckerrohrzone,  in  der  die  Kultur  des  Zuckerrohrs  weitaus 
die  wichtigste  Bodenkultur  und  der  Mais  das  wichtigste  Getreide  ist.  Die 
übrigen  halbtropischen  Kulturen  haben,  mit  Ausnahme  der  Banane,  erst 
wenig  Fufs  gefafst,  als  Nahrungsgewüchse  werden  neben  dem  Mais  nament- 
lich Kartoffel  und  Batate  gebaut.  Die  Schafzucht,  die  im  gröfseren  Teile 
Australiens  so  dominiert,  fehlt  hier  fast  ganz.  Der  einzige  in  Betracht 
kommende  Gegenstand  der  Viehzucht  ist  hier  das  Kindvieh. 

Auch  weiter  südlich,  bis  in  den  östlichen  Teil  von  Victoria,  allerdings 
nur  in  einem  schmalen  Küstengürtel,  der  etwa  bis  zur  Wasserscheide-  reicht, 
pflegt  die  Fläche  des  Mais  noch  vier-  bis  fünfmal  so  grofs  zu  sein  als  die 
Fläche  des  Halmgetreides  zur  Körnergewinuung,  so  dafs  dies  Gebiet  durchaus 
die  Merkmale  der  Maiszone  trügt.  Ihre  Grenze  fallt  hier  wie  im  Kapland 
bezeichnenderweise  genau  mit  der  äufsersten  Verbreitungsgrenze  der  Palmen 
zusammen.  Ziemlich  bedeutend  ist  in  dieser  Zone  der  Kartoffelbau,  dessen 
Anbaufläche  ungefähr  halb  so  grofs  als  die  Fläche  der  Halmfrucht  ist. 
Stelleuweise  trifft  man  grofse  Oraugeuhaine.  Die  Schafzucht  tritt  auch  hier 
noch  gegenüber  der  Kindviehzucht  zurück. 

Auf  der  Westseite  des  Gebirges  südlich  etwa  von  '26 0  s.  Br.,  auf  der 
daran  sich  anschließenden  Nordseite  der  Gebirge  von  Victoria  und  in  Süd- 
australien, soweit  diese  Gebiete  überhaupt  noch  die  für  den  Anbau  nötige 
Feuchtigkeit  empfangen,  herrscht  mit  einzelnen  örtlichen  Ausnahmen  der 
Weizen  bau  durchaus  vor,  ja  man  kann  sagen,  dass  der  Weizenbau  über- 
haupt in  wenigen  neubesiedelten  Ländern  so  einseitig  und  rücksichtslos  be- 
trieben wird  wie  hier;  aber  die  Erträge  sind,  wegen  der  Dürre,  auffallend 
niedrig  und  ungemein  unsicher;  nur  die  vollendetste  Technik,  insbesondere 
der  Erntemaschinen,  macht  den  Weizenbau  überhaupt  möglich.  Am  Ost- 
lind  Südrande  dieser  Zone,  also  an  und  nahe  dem  Gebirgshange,  wird  viel 
Tabak,  am  Südrande  auch  die  Weinrebe  gepflanzt.  Dies  ist  auch  die  Zone 
der  australischen  Schafzucht,  in  der  der  Schafhestand  den  Kindviehbestand 

1)  Auf  der  Übersichtskarte  ist  die  Grenze  zu  weit  südlich  gezogen. 


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Die  Landbauzonen  der  au fsertropischen  Länder.  341 


im  nördlichen  Teile  um  mehr  als  das  Vierfache,  südlich  von  30°  s.  Br.  um 
mehr  als  das  Zehnfache  übertrifft.  Dafs  im  Gegensätze  zu  den  entsprechen- 
den Landschaften  Südamerikas  Ziege,  Esel  und  Maultier  hier  fehlen,  mufs  aus 
der  englischen  Kolonisation  hier,  der  spanischen  dort  erklärt  werden. 

Steigen  wir  über  das  Gebirge  von  Victoria  in  das  südliche  Küstenland 
hinüber,  so  zeigen  die  Anbauverhältnisse  den  denkbar  schroffsten  Gegensatz  zu 
denen  des  eben  verlassenen  Gebiets.  Der  Weizen  tritt  hier  ganz  zurück,  der  Hafer 
wird  plötzlieh  die  wichtigste  Halmfrucht,  und  in  den  trockeneren  Teilen  stellt 
sich  ihm  die  Gcrsto  zur  Seite.  Auch  der  Kartoffelbau  ist  meist  sehr  be- 
trächtlich, und  in  manchen  Grafschaften  wird  sogar  eine  gröfsere  Fläche  mit 
Kartoffeln  als  mit  Getreide  bepflanzt.  Möchte  man  danach  versucht  sein, 
dies  Gebiet  etwa  mit  Irland  zu  vergleichen  und  der  Haferzone  zuzuweisen, 
was  Kngelbrecht  thatsächlich  thut,  so  scheint  mir  das  doch  mit  den  Anpflan- 
zungen von  Orangen,  die  allerdings  die  Küste  selbst  vermeiden,  und  von 
Oliven  nicht  gut  vereinbar  zu  sein.  Auch  der  sehr  starke  Anbau  der  Hülsen- 
früchte (stellenweise  20 — 30%  der  Getreidefläche)  und  der  Futterrüben,  der 
an  das  südöstliche  England  erinnert,  fügt  sich  nicht  in  das  Bild  der  Hafer- 
zone ein.  Die  der  südlichen  Halbkugel  eigentümliche,  in  ihrem  ozeanischen 
Klima  begründete  Milde  der  Winter  bewirkt  hier  eine  gewisse  Vermischung 
süd-  und  westeuropäischer  Vegetations-  und  Anbauverhältnisse,  wie  sie  uns  ja 
auch  schon  im  Kaplande  angedeutet  erschien.  Im  trockeneren  westlichen  Teile 
dieses  Gebietes  überwiegt  die  Schaf-,  im  feuchteren  östlichen  die  Riudviehzucht. 
Auch  die  Schweinezucht  ist  hier  etwas  gröfser  als  sonst  in  Australien. 

Ähnlich  und  doch  anders  sind  die  Klima-  und  Anbauverhältnisse  im 
südwestlichen  Australien,  soweit  es  noch  ausreichende  Niederschläge 
empfängt.  Hier  zeigt  das  Klima  mehr  den  südeuropäischen  Typus,  die 
sommerliche  Trockenheit  ist  stärker  ausgesprochen.  Damm  sind  der  Weizen- 
und  der  Gerstenbau  bedeutender,  der  Haferbau  weniger  bedeutend.  Der 
Maisbau  ist  auch  hier  nur  mit  Hilfe  künstlicher  Bewässerung  möglich.  Das 
Vieh  ist  hauptsächlich  Rindvieh.  Das  ganze  übrige  West-Australien  jedoch, 
wo  die  geringe  Feuchtigkeit  den  Anbau  nicht  mehr  erlaubt^  ist,  ähnlich  wie 
die  inneren  Landschaften  Ost- Australiens,  ein  Land  der  Schafzucht.  In  den 
Bergwerken  werden  neben  Pferden  auch  Kamele  verwandt. 

Die  Anbauverhältnisse  von  Tasmanien  schliefsen  sich  in  mancher  Be- 
ziehung an  die  von  Victoria  an,  doch  bestehen  auch  wichtige  Unterschiede. 
Die  subtropischen  Kulturen  der  Orange  und  Olive  kommen  hier  nicht  mehr 
fort,  ebensowenig  der  Mais;  dagegen  ist  der  Weizenbau  wieder  beträchtlicher. 
Der  Haferbau  überwiegt  nur  in  der  feuchteren  Westhälfte  der  Insel,  wo  auch 
der  Kartoffelbau  verhältnismäfsig  stark  ist,  während  umgekehrt  Gerste  und 
auch  Weizen  die  trockenere  Ostseite  bevorzugen.  An  England  erinnern  der 
starke  Anbau  der  Hülsenfrüchte  und  auch  die  starke  Schafzucht,  die  mit  Aus- 
nahme der  feuchten  Westseite  in  Tasmanien  getrieben  wird  und  sich  schon 
überwiegend  auf  englische  Fleischrassen  bezieht. 

Auf  dem  langgestreckten  Neu- Seeland  heben  sich  mehrere  Anbauzouen 
von  einander  ab.  Der  nördliche  Teil  bis  zu  einer  Linie,  die  die  Westküste 
unter  38°  schneidet  und  sich  gegen  die  Ostküste  auf  39°  s.  Br.  senkt,  ge- 


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342    Alfred  Hettner:  Die  Landbauzonen  der  aufnertropischen  Lander. 

hört  der  Maiszone  an,  deren  Grenze  auch  hier  mit  einer  Anzahl  natürlicher 
Vegetationsgrenzen  zusammenfällt,  und  die  ähnliche  Merkmale  wie  sonst  zeigt. 
Am  mildesten  ist  das  Klima  der  Halbinsel  nördlich  von  Auckland,  wo  auch 
alle  Arten  von  Südfrüchten,  insbesondere  Orangen,  vorkommen.  Die  Schaf- 
zucht tritt  auch  hier  wie  sonst  im  Maisklima  zurück. 

Südlich  von  der  genannten  Linie  ist  fast  überall  der  Hafer  das  wich- 
tigste Halmgetreide.  Besonders  gilt  das  für  das  regnerische  (iebirgsland  der 
Südinsel,  weil  der  Hafer  die  starke  Bewölkung  und  die  häufigen  Nieder- 
schläge noch  verhält nismäfsig  am  besten  erträgt.  (Jerste  und  Weizen  sind 
im  ganzen  mehr  auf  die  trockeneren  Landschaften  der  Ostseite  beschränkt, 
die  man  schon  mehr  mit  den  englischen  Com  Counlies  vergleichen  kann,  und 
der  Weizenbau  nimmt  auch  nach  Süden  rasch  ab.  Ungewöhnlich  grofs  ist, 
im  engen  Zusammenhang  mit  der  Schafzucht,  im  ganzen  Hafergebiet  Neil- 
Seelands  der  Anbau  des  Futterrüben,  besonders  der  Tumips,  so  dafs  Neu- 
seeland in  dieser  Beziehung  unter  den  Kolonialländern  eine  ähnliche  Stellung 
einnimmt  wie  Grofsbritannien  unter  den  europäischen  Ländern.  Für  die 
Schafzucht  gilt  ungefähr  dasselbe  wie  in  Tasmanien;  sie  vermeidet  auch  hier 
die  allzu  regnerischen  Westküsten,  aber  findet  in  den  sonnigen  Ebenen  der 
Ostküsten  einen  aufserordentlich  günstigen  Boden;  die  Merinozucht  ist  auch 
hier  von  der  Zucht  englischer  Fleischrassen  zurückgedrängt  worden,  für  die  mau 
schon  ganz  allgemein  die  Mästung  auf  Turnipsfeldern  anwendet,  so  dafs  auch 
die  Qualität  des  Fleisches  den  Ansprüchen  des  englischen  Absatzmarktes  genügt. 

Fassen  wir,  ehe  wir  von  dem  lehrreichen  Buche  Abschied  nehmen,  die 
Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  im  Geiste  zusammen,  so  mufs  sich  uns, 
scheint  mir,  eine  grofse  Lehre  unwiderstehlich  aufdrängen.  Wenn  auch  die 
Landwirtschaft  der  verschiedenen  Erdteile  in  vielen  Einzelheiten  von  dem 
Alter  und  der  Art  der  Besiedelung  und  mancherlei  Nebenumständen  abhängig 
ist,  so  finden  wir  doch  der  Hauptsache  nach  unter  entsprechenden  klima- 
tischen Verhältnissen  auch  entsprechende  Ausbildung  der  Landwirtschaft. 
Die  Landhauzonen  fallen  im  grofsen  und  ganzen  mit  Klimazonen  zusammen; 
das  gilt,  wie  die  Karte  zeigt,  auch  für  die  Länder,  auf  welche  sich  die 
Engelbrecht'schen  Spezialuntersuchungen  aus  Mangel  an  Material  nicht  er- 
strecken. Ganz  in  derselben  Weise  wie  in  der  Verbreitung  natürlicher 
Erscheinungen,  z.  B.  der  Ffianzen,  die  auf  den  ersten  Blick  jeder  Kegel  zu 
spotten  scheint,  die  vergleichende  wissenschaftliche  Betrachtung  gesetzmäfsige 
Anordnung  erkannt  hat,  so  wird  uns  hier  für  einen  wichtigen  Zweig  der 
Geographie  des  Menschen  durch  einwandfreie  statistische  Untersuchung  die 
gleiche  Gesetzmäfsigkeit  der  Anordnung  erwiesen.  So  frei  auch  Willkür  und 
Zufall  in  den  einzelnen  menschlichen  Handlungen  schalten  mögen,  wie  ja 
auch  in  der  Natur  ein  zufälliger  Windstofs  das  Samenkorn  hierhin  oder 
dorthin  trägt;  schliefslich  pafst  sich  der  Mensch  doch  ebensogut  wie  Pflanzen 
und  Tiere  den  natürlichen  Bedingungen  an,  weil  er  nur  bei  solcher  An- 
passung den  Kampf  ums  Dasein  zu  bestehen  vermag.  Unter  den  Bedin- 
gungen der  Landwirtschaft  spielen  aber,  wie  aus  dem  Werke  Engelhrecht's 
unzweifelhaft  hervorgeht,  die  klimatischen  Verhältnisse  weitaus  die  erste  Holle. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


343 


Kleinere  Mitteilungen. 

Über  die  geologische  Bedeutung  der  tropischen  Vegotationsformationen 

in  Mittelamerika  und  Südmexiko. 

Nach  Carl  Sapper. 

Sapper  hat  bei  seinem  langjährigen  Aufenthalt,  in  den  Tropen  Mittel- 
amerikas und  Südmexikos  eine  Reihe  Beobachtungen  über  den  Einflufs  der 
Pflanzendecke  auf  den  unterliegenden  Boden,  ihre  Einwirkung  auf  die  ver- 
frachtende Thiitigkeit  von  Wasser  und  Wind  sowie  die  Lockerung  der  ober- 
flächlichen Gesteinsschichten  (durch  die  mechanische  und  chemische  Thätigkeit 
der  Wurzeln)  gesammelt.  Obwohl,  wie  er  selbst  zugiebt,  das  Beobaehtungs- 
material  keineswegs  zur  endgiltigen  Lösung  der  gestellten  Frage  ausreicht, 
so  ist  seine  Abhandlung  doch  sehr  dazu  angethan,  eine  wirksame  Anregung 
zur  Erforschung  des  Gegenstandes  zu  gewähren.  Dafs  gerade  die  Verhältnisse 
in  den  Tropen  zu  derartigen  Untersuchungen  besonders  einladen  und  viel- 
versprechend sind,  liegt  daran,  dafs  hier,  je  nach  dem  Auftreten  oder  Fehlen 
einer  ausgesprochenen  Trockenzeit,  die  gleichmäfsig  hohe  Temperatur  die 
extremsten  Vegetationsformen  schafft,  im  einen  Falle  eine  fast  wüstenartig 
armselige  Pflanzendecke,  im  anderen  den  in  überschwäuglicher  Üppigkeit  sich 
darbietenden  Urwald. 

Bei  einer  mittleren  jährliehen  Regenmenge,  die  weniger  als  1  m  beträgt, 
und  die  in  ein  oder  zwei  Regenzeiten  niedergeht,  die  durch  ausgeprägte 
Trockenzeiten  getrennt  werden,  pflegen,  wie  auch  sonst  in  den  Tropen,  in 
Mittelamerika  und  Südmexiko  lichte  Grasfluren  (Savannen)  und  xerophile 
Buschformation  das  Vegetationsbild  zu  beherrschen.  Während  der  Trockenzeit 
bieten  solche  Gegenden  ein  überaus  ödes  Bild.  Die  Grasbüschel  der  Savannen 
sind  verdorrt  und  erscheinen  als  struppige  braune  Besen  über  die  weite 
kahle  Fläche  verteilt.  Die  meisten  Sträucher  der  Buschgehölze  haben  ihr 
Laub  abgeworfen  und  recken  die  knorrigen  Aste  mit  kahlem  Gezweig  in  die 
Luft.  Die  wenigen  immergrünen  Formen  treten  ganz  zurück,  dagegen  be- 
herrschen viele,  zeitlebens  funktionierender  Blätter  entbehrende  Pflanzen, 
Cereus-,  Opuntia-  und  Mamillaria- Arten  in  charakteristischer  Weise  das 
Landschaftsbild. 

Der  hervorragende  Schutz,  der  dem  Boden  im  allgemeinen  durch  die 
Pflanzendecke  gewährt,  wird,  ist  bei  solcher  Vegetation  natürlich  auf  ein 
Minimum  reduziert.  Fast  ungehindert  wird  der  Wind  das  ausgetrocknete, 
durch  Risse  und  Sprünge  geborstene  und  teilweise  zerkleinerte  Erdreich  fassen 
und  entführen  können.  Am  leichtesten  verfällt  nach  dem  Verfasser  vulkanische 
Asche  der  äolischen  Verfrachtung,  daher  sind  bei  dem  häufigen  Vorkommen 
derartiger  Böden  in  dem  behandelten  Gebiete  auch  grasbewachsene  Ebenen 
von  löfsartiger  Beschaffenheit  eine  nicht  seltene  Erscheinung. 

Durch  mangelnde  Ber>ehattung  ist  der  etwa  blofsliegende  Felsuntergrnnd 
der  direkten  Insolation  preisgegeben,  welche  bei  der  bedeutenden  täglichen 
Wilrmeschwankung  eine  nicht  unerhebliche  Zertrümmerung  des  Gesteines  nach 
sich  zieht,  und  so  dem  Winde  und  den  später  auftretenden  Regen  wassern 
neues  Material  zur  Fortführung  liefert,  Denn  noch  ehe  bei  Beginn  der 
Regen  die  Pflanzen  ihr  Laub  entfalten  und  so  dem  Boden  zu  ihren  Füfsen 
einen  merklichen -Schutz '  gewähren  können,  haben  die  heftigen  Güsse  bereits 
genügend  Gelegenheit  gehabt,  das  während  der  Trockenzeit  gelockerte  ober- 


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344 


Kleinere  Mitteilungen. 


flächliche  Material,  soweit  dieses  nicht  bereits  vorher  vom  Winde  entführt 
wurde,  in  erheblichen  Mengen  wegzuspülen.  Haben  sich  dann  aber  Gräser, 
Sträueher  und  Bäume  mit  frischem  Grün  bedeckt,  und  ist.  der  Hoden  durch 
die  aufgenommene  Feuchtigkeit  gebunden,  so  ist  damit  die  Wirksamkeit  von 
Wind  und  Regen  ganz  erheblich  geschwächt;  nur  die  rein  erodierende 
Thätigkeit  der  durchfliefsenden  Wasseradern  schafft  noch  eine  ansehnliche 
Menge  lockeren  Materials  fort. 

Wie  die  Savannen  und  trockenen  Huschgehölze,  so  sind  auch  die  regen- 
feuchten Urwälder  echt  tropische  Vegetationsformationen.  Sie  treten  nur  in 
Gebieten  auf,  denen  mindestens  180  cm  Regen  zukommt  und  denen  aus- 
geprägte Trockenzeiten  gänzlich  fehlen.  Trotz  der  ungleich  gröfseren  Menge 
Regen  aber,  die  in  Urwaldgebietcn  niedergeht,  vermag  dieser  dennoch  nicht 
im  mindesten  in  gleicher  Weise  das  Erdreich  fortzuspülen,  wie  in  den 
Regionen  der  trockenen  Gehölz-  und  Grasformationen,  da  die  eigentümlichen 
Vegetationsverhältnisse  des  Urwaldes  dem  Moden  den  vorzüglichsten  Schutz 
gewähren. 

Das  äufsere  Blätterdach  des  Waldes,  die  Kronen  der  gewaltigen  Baum- 
riesen, ferner  die  zahlreichen  kleineren  Bäume,  namentlich  Palmen  und  Farn- 
bäume, endlich  die  üppige  Bodenvegetation  mannigfacher  Kräuter  und  Stauden 
schaffen  in  ihrer  Gesamtheit  einen  etagenartigen  Aufbau  der  Belaubung  des 
Urwaldes,  welcher  den  Regenfall  erheblich  verlangsamt  und  damit  die  spülende 
Wirkung  desselben  in  gleichem  Mafse  vermindert.  In  ähnlicher  Weise  wirken 
die  Lianen,  welche  in  grofser  Zahl  von  den  Baumkronen  bis  zum  Boden 
ihre  langen  Schlingstämme  ausspannen,  indem  sie,  ebenso  wie  die  senkrecht 
herabwachsendeu  Luftwurzeln  vieler  epiphytischer  Gewächse,  die  fallende 
Bewegung  des  Regenwassers  in  eine  gleitende  umwandeln. 

Ganz  besonders  wichtig  als  Schutz  des  Bodens  der  abspülenden  Wirkung 
der  heftigsten  Gewitterregen  gegenüber  ist  aber  der  eigenartige  Feuchtigkeits- 
baushalt im  Urwalde,  der  selbst  bei  längere  Zeit  fehlendem  Regen  eine  mit 
Feuchtigkeit  fast  gesättigte  Atmosphäre  zu  erhalten  vermag.  Manche  der 
zahlreichen  Epiphyten  und  ähnliche  bodenständige  Pflanzen  vermögen  in  dem 
dütenförmigen  Grunde  ihrer  Blattrosetten  eine  nicht  unerhebliche  Wassermenge 
aufzuspeichern  und  so  der  (Zirkulation  zu  entziehen.  Das  Gleiche  gilt  von 
den  Lianen,  deren  Stammgefäfse  unglaublich  viel  Wasser  fassen  und  festhalten 
und  erst  allmählich  durch  Verdunstung  der  Atmosphäre  des  Waldes  über- 
mitteln. Das  intensive  Lichtbedürfnis,  welches  Epiphyten  und  Kletterpflanzen 
bis  in  die  höchsten  Gipfel  der  Bäume  treibt,  sorgt  auch  dafür,  dafs  diese 
Pflanzen  am  Rande  des  Waldes  sich  derart  üppig  entfalten,  dafs  hier  das 
Wirrsal  der  Blätter  ihrer  von  den  Baumkronen  und  Asten  herabhängenden 
Zweige  eine  dichte  Wand  bildet,  die  nicht  nur  die  Wirkung  der  Sonnen- 
strahlen erheblich  zu  schwächen  vermag,  sondern  auch  eine  Vermischung  der 
feuchten  Innenatmosphäre  mit  der  trockenen  Aufsenluft  sehr  erschwert.  Im 
allgemeinen  kann  man  mit  dem  Verfasser  sagen,  „dafs  alle  Verrichtungen 
des  tropischen  Urwaldes  auf  Herabsetzung  der  spülenden  Wirkung  der  Ge- 
wässer hinauslaufen". 

Nicht  im  gleichen  Mafse  vermag  der  Urwald  die  erodierende  Thätigkeit 
tliefsenden  Wassers  einzuschränken.  Namentlich  die  Tiefenerosion  ist  der 
schützenden  Einwirkung  der  Pflanzendecke  fast  ganz  entzogen.  Nichtsdesto- 
weniger ist  die  Abtragung  des  Bodens  im  Urwaldgebiete  eiue  überaus  geringe. 
Auch  der  Wind  vermag  in  dieser  Richtung  keine  nennenswerte  Thätigkeit  zu 
entfalten.   Da  nun  bei  der  überraschenden  Üppigkeit  der  Vegetation  auch  deren 


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Kleinere  Mitteilungen. 


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mechanische  und  chemische  Einwirkung  auf  den  Untergrund  natürlich  ein» 
ganz  bedeutende  ist,  „so  ist  das  Gebiet  der  regenfeuchten  Tropenwälder 
zugleich  ein  Gebiet  der  Eluvialböden  und  der  Tiefenzersetzung  der  Gesteine". 

Wirksamer  Schutz  und  mächtige  Anreicherung  gelockerten  Bodens  sind 
demnach  die  bedeutsamsten  Momente  des  geologischen  Einflusses  der  tropischen 
regenfeuchten  Vegetation.  Hiermit  aber  stellt  sich  der  Urwald  in  einen 
scharfen  Gegensatz  zu  den  trockenen  Grasfluren  und  Gehölzformationen,  wo, 
wie  wir  sahen,  oberflächliche  Zertrümmerung  des  Gesteins  durch  die  Insolation, 
Verfrachtung  des  Bodens  durch  den  Wind  und  energische  Abspülung  desselben 
durch  die  Regenwässer  eine  hervorragende  Holle  spielten. 

Zum  Schlufs  seiner  Arbeit  versucht  nun  der  Verfasser,  die  gewonnenen 
Thatsachen  auf  die  historische  Geologie  anzuwenden,  und  führt  ungefähr 
folgendes  aus.  Gehen  wir  von  der  Voraussetzung  aus,  dafs  in  früheren  Erd- 
perioden das  tropische  Klima  über  die  ganze  Erde  oder  wenigstens  über  den 
gröfsten  Teil  derselben  ausgedehnt  war,  und  auch  damals  schon  eine  ähnliche 
Scheidung  verschiedener  Vegetationsformationen  stattgefunden  hat  wie  heute, 
so  werden  auch  damals  schon  auf  den  Luvseiten  der  Gebirge  regenfeuchte 
Wälder  bestanden  haben,  während  trocknere  Vegetationsformationen  die  Lee- 
seiten und  das  Windschattengebiet  der  Gebirgszüge  bedeckt  haben  werden. 
Tritt  nun,  etwa  durch  die  Entstehung  eines  Gebirges  im  Gebiete  regenfeuchter 
Vegetation,  lokal  eine  Veränderung  des  Klimas  ein,  so  ändern  sich  mit  dem 
Charakter  der  Vegetation  natürlich  auch  sofort  die  geologischen  Einwirkungen 
von  Wasser  und  Wind.  Ein  derart  aufgerichtetes  Gebirge  würde  nämlich 
auf  der  Luvseite  allein  die  regenfeuchten  Winde  zur  Kondensation  bringen, 
welche  vorher  ein  ausgedehntes  Gebiet  mit  Kegen  versehen  haben.  Auf  der 
Leeseite  des  Gebirges  wird  der  Vegetationscharakter  verändert  werden  und 
eine  xerophile  Formation  zur  Ausbildung  gelangen.  Damit  wird  aber  nun 
der  einst  von  üppiger  Vegetation  überzogene  und  geschützte  und  darum  an- 
gereicherte Boden  der  Abtragung  durch  das  Wasser  überliefert,  fortgeführt 
und  als  tonige  Ablagerungen  wieder  abgesetzt. 

„Denkt  man  sich,"  sagt  der  Verfasser,  „dafs  jedesmal  mit  dem  Erdreich 
auch  ein  grofser  Teil  der  absterbenden  Vegetation  von  den  l  bersehwemmungs- 
fluten  mitgerissen  wird,  so  kann  man  sich  die  Entstehung  von  Steinkohlen- 
flötzen  im  Anschlufs  an  derartige  Folgeerscheinungen  eines  entstehenden 
Gebirges  denken."  Während  die  Abtragung  der  angereicherten  Böden  zur 
Entstehung  thoniger  Ablagerungen  führt,  „so  schafft  die  während  der 
Trockenzeit  einsetzende  Insolation  durch  mechanische  Zertrümmerung  der 
Gesteine  die  Materialien  zur  Bildung  von  Sandsteinen,  ßreccien  und  Kon- 
glomeraten.44 

Wenn  der  Verfasser  sich  in  dieser  Weise  die  Entstehung  von  Steinkohlen- 
flötzen  denkt,  so  können  wir  eine  solche  Erklärungsweise  wohl  kaum  auf 
die  Bildung  der  avisgedehnten  und  wichtigsten  Kohlenablagerungen,  diejenigen 
der  Carbon-Formation  anwenden.  Denn  einmal  ist  für  dieselben  in  den 
weitaus  meisten  Fällen  nachgewiesen,  dafs  sie  aus  Pflanzen  gebildet  wurden, 
die  an  Ort  und  Stelle  gewachsen  waren,  zum  andern  aber  konnte  nach 
Sapper  die  enorme  abtragende  Wirkung  der  Regenwässer  im  gegebenen 
Falle  sich  erst  wirksam  erweisen,  wenn  an  Stelle  der  regenfeuchten  Vegetation 
eine  xerophile  getreten  war,  die  während  der  Trockenzeit  und  jedesmal  zu 
Beginn  der  periodischen  Regen  dem  Boden  keinen  Schutz  gewähren  konnte; 
so  könnten  also  die  mit  den  Massen  angereicherter  Thonerde  fortgeführten 
Pflanzenreste  nur  dieser  trockenliebenden  Vegetationsformation  "entstammen. 


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346 


Geographische  Neuigkeiten. 


Die  Flora  der  Steinkohlenperiode  stellt  man  sich  aber  gewöhnlich  als  Sumpf- 
und  Morast  -  Vegetation  vor.  Und  das  geschieht  gewifs  mit  vollem  Recht, 
denn  die  Pflanzen  der  Steinkohlenzeit  sind  fast  ausschließlich  Pteridophyten, 
und  auch  die  heute  lebenden  Pflanzen  dieser  Gruppe  sind  vorwiegend  hygrophile 
Formen.  Überhaupt  ist  es  nach  der  Art  des  Entwicklungsganges  der 
Pteridophyten  kaum  denkbar,  dafs  dieselben  je  in  einigermafsen  hervorragender 
Weise  sich  an  der  Bildung  ausgedehnter  xerophiler  Vegetationsformationen 
beteiligt  haben.  Zudem  läfst  die  Erklärungsweise  des  Verfassers  auch  gerade 
das  Auffallendste  bei  der  Entstehung  der  Steinkohlenflötze,  die  enorme  Menge 
abgelagerter  organischer  Substanz,  vollkommen  unerklärt. 

Sind  so  die  weitgehenden  Spekulationen,  zu  denen  Sapper  sich  auf 
Grund  der  beobachteten  Erscheinungen  verleiten  läfst,  wohl  noch  etwas 
verfrüht,  so  bietet  doch  die  Arbeit  im  übrigen  unendlich  viel  Anregung  auf 
einem  noch  wenig  bebauten  Forschungsgebiet.  E.  Werth. 

Berichtigung. 

In  dem  Aufsatz  über  das  Wachstum  der  Bevölkerung  in  tfsterreieh- 
Ungarn  im  vorigen  Heft  ist  ein  bedauerlicher  Fehler  untergelaufen.  Die  für 
das  Deutsche  Reich  angeführte  Bevölkerungszunahme  von  7,78°,,  bezieht  sich 
thatsächlich  nicht  auf  das  Jahrzehnt  189(1/1900,  sondern  auf  das  Jahrfünft 
189.V1900,  sodal's  der  Vergleich  mit  Österreich  und  Ungarn  hinfällig  wird. 

A.  H. 


Geographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitz  au. 

I  Bezugspreis    beläuft    »ich   jährlich  auf 
Allgemeines.  6  Kronen  =  5  Mark.  —  Einem  Berichte, 

*  Zur  Erdbebenforschung.  —  Das  zufolge,  den  Hofrat  v.  Mojssisovics  in 
stetig  sich  mehrende  Beobachtungsniaterial  i  der  letzten  Sitzung  der  naturhistorischen 
der  Erdbebenereignisse,  welches  der  Lai-  Abteilung  der  k.  k.  Akademie  der  Wissen- 
bacher Sternwarte  vom  In-  und  Auslande  |  schatten  in  Wien  erstattet  hat,  soll  in 
zukommt ,  sowie  eigene  Beobachtungen  Przibram ,  dem  bekannten  böhmischen 
halten  den  Leiter  der  genannten  Warte,  I  Silberbergwerksorte ,  in  einer  Tiefe  von 


A I  b  i  n  B  e  1  a  r  zur  Herausgabe  einer  Monats- 
schrift bewogen,  von  der  die  erste  Lieferung 
bereit«  erschienen  ist  Sie  soll  unter  dem 
Namen  „Erdbebenwarte"  zunächst  die 
auf  der  Laibacher  Warte  gemachten  Be- 


nno m  eine  Erdbebenstation  errichtet 
werden,  welche  mit  den  gleichen  Instru- 
menten ausgestattet  sein  wird,  wie  eine 
gleichzeitig  auf  der  Erdoberfläche  zu 
errichtende  Station,  wodurch  eine  korre- 


obachtungen  behandeln, besonderes  Augen-  spondierende  Beobachtung  auf  und  unter 

merk  sodann  der  Entwicklung  der  Erd-  der  Erde  ermöglicht  sein  wird.    A.  R. 
Lebenforschung  mit  Hilfe  von  Instrumenten        *  In  Christiania  tagt  gegenwärtig 

widmen  und  daher  alle  Neuerungen  auf  die    internationale  hydrographische 


diesem  Gebiete  zur  Besprechung  bringen 
Auch  geschichtliche  Erdbebenberichte  wird 
die  Zeitschrift  sammeln  und  veröffent- 
lichen, um  durch  Vergleichung  der  früheren 
und  gegenwärtigen  Erdbeben  auf  die  Be- 
wegung gewisser  Bodengebiete  ein  klares 
Licht  zu  werfen.    Die  Monatsschrift  er- 


Konferenz, bei  der  Deutschland  durch 
den  Präsidenten  des  deutschen  Seefischerei- 
vereins Dr.  Herwig  in  Hannover,  sowie 
die  Professoren  Krümmel  und  Brandt  aus 
Kiel,  Heincke  aus  Helgoland  und  Henking 
aus  Hannover  vertreten  ist.  Auf  der 
Konferenz  soll   das   181)'.)    in  Stockholm 


scheint  im  Verlage  des  Herausgebers;  der    angenommene  Programm  für  die  in  diesem 


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Geographische  Neuigkeiten. 


347 


Jahre  beginnenden  und  gemeinsam  aus- 
zufahrenden hydrographischen  Arbeiten 
weiter  ausgebaut  werden  und  möglicher- 
weise auch  die  Frage  über  den  Sitz  des 
Zentral-Instituts  Erledigung  finden.  Als 
erfreulich  ist  mitzuteilen,  dafs  Deutsch- 
land für  diese  Zwecke  einen  besondern 
Dampfer  bauen  liifst.  Die  Kosten  des- 
selben betragen  300000  JC,  und  hierzu 
kommen  die  laufenden  Ausgaben,  zu 
denen  das  Reich  120000  . «  und  Preufsen 
30000  .4C  für  das  Jahr  hergiebt.  Für 
die  regelmäfsigeu  Fahrten,  deren  alljähr- 
lich für  den  Zeitraum  von  mindestens 
fünf  Jahren  vier  stattfinden,  nämlich  im 
Februar,  Mai,  August  und  November,  wird 
noch  ein  zweiter  Dampfer  gemietet,  da 
Deutschland  bei  den  internationalen  For- 
schungen sowohl  die  Ostsee  wie  die  Nord- 
see zu  befahren  hat.  Norwegen  besitzt 
bereit«  in  dem  „Michael  Sars"  ein  vor- 
treffliches Fahrzeug,  Rufsland  unterhält 
seit  einigen  Jahren  an  der  Murmanküste 
eine  ständige  hydrographische  Expedition, 
deren  Fahrzeuge  auch  für  die  kommenden 
Forschungen  zur  Verfügung  stehen.  Hol- 
land, Dänemark  und  Schweden  stehen  im 
HegriflFe,  besondere  Schiffe  auszurüsten, 
nur  von  England  ist  unbekannt,  ob  es 
ein  besonderes  Fahrzeug  bauen  will  oder 
sich  mit  einem  andern  Schiffe  begnügt. 
Inzwischen  hat  sich  auch  noch  Belgien 
bereit  erklärt,  an  den  Meeresforschungen 
teilzunehmen;  Frankreich  dagegen,  das  man 
gleichfalls  aufforderte,  lehnte  ab.    (K.  Z.) 

Europa. 

♦  Uber  das  Wachstum  des  Ver- 
kehrs in  den  gröfsten  europäischen 
Häfen  seit  1880  veröffentlicht  La  Geo- 
graphie (April  1901  S.  320)  folgende  be- 
merkenswerte Tabelle: 


1880 

1890 

1899 

in  Tausenden  Tonnen 

London 

6  970  (i) 

7  709  (i) 

9  438  (i) 

Liverpool  . . 

4  913  (2) 

6  782  (*) 

6  152 

(M 

Marseille. . . 

2  769  (4) 

3  459  (5) 

4  699 

(«) 

Le  Havre  . 

l  970  («) 

2  159  (7) 

2  176 

(8) 

Bordeaux  . 

1  013(10) 

1  091  (11) 

976 

(11) 

Dünkirchen . 

766(ii) 

1  257  (10) 

1  366 

(10) 

Antwerpen 

3  064  (3) 

4  606  (4) 

6  873 

(S) 

Rotterdam  . 

1  682  (7) 

2  918  (6) 

6  323 

(4) 

Amsterdam. 

1  077  (9) 

1  484  (9) 

1  813 

(9) 

Hamburg  . . 

2  767  (5) 

5  203  (s) 

7  766 

(2) 

Bremen 

1  169  (8) 

1  734  (s) 

2  407 

Gl 

Am  augenfälligsten  zeigt  diese  Zu- 
sammenstellung das  Wachstum  der 
deutschen  Häfen  und  der  niederländischen 
Häfen  mit  deutschen  Provenienzen,  während 
sich  andererseits  bei  den  französischen 
Häfen  nur  ein  geringes  Wachstum  be- 
merkbar macht.  Das  Wachstum  der 
englischen  Häfen  schreitet  relativ  viel 
langsamer  vorwärts  als  das  Hamburgs, 
dessen  Verkehr  sich  in  den  19  Jahren  fast 
verdreifacht  hat. 

*  Ein  weitverzweigtes  submarines 
Kabelnetz,  das  Deutschland  von  den 
englischen  Linien  unabhängig  machen 
und  eine  direkte  Verbindung  zwischen 
Deutschland  und  seinen  überseeischen 
Besitzungen  herstellen  soll,  soll  in  den 
nächsten  Jahren  zum  Ausbau  gelangen. 
Im  Oktober  1900  ist  die  Linie  Kiautschou  — 
Tschifu  eröffnet,  die  man  gegenwärtig 
bis  nach  Schanghai  und  Kanton  weiterführt. 
Später  soll  ein  Zweigkabel  von  Kiautschou 
nach  Nagasaki  gelegt  und  dadurch  die 
Verbindung  mit  dem  geplanten  nordameri- 
kanischen Facific-Kabel  hergestellt  werden, 
wahrend  das  Hauptkabel  weiter  nach 
Manila,  Sumatra,  Bomeo,  Neu-Guinea  und 
den  Karolinen  fortgeführt  werden  soll. 
Von  den  Azoren,  wo  sich  eine  Station  des 
deutsch -amerikanischen  Kabels  befindet, 
wild  eine  Linie  südwärts  über  die  Kap 
Verde -Inseln  nach  Südamerika  mit  den 
Stationen  Bahia,  Rio  de  Janeiro  und 
Montevideo  gelegt  werden.  Auf  der  Ost- 
seite des  atlantischen  Ozeans  wird  ein 
Kabel  die  Verbindung  mit  Marokko,  Togo 
und  der  Guinea- Küste,  Kamerun  und 
Deutsch  -  Südwestafrika  herstellen,  sodafs 
man  nach  Fertigstellung  aller  dieser  Linien 
von  Deutschland  aus  ohne  Benutzung  eng- 
lischer Linien  nach  allen  deutschen  über- 
seeischen Besitzungen  wird  telegraphieren 
können.  Den  atlantischen  Ozean  durch- 
kreuzen deutsche  Kabel,  im  Stillen  Ozean 
stellt  das  nordamerikanisch-paci  fische 
Kabel,  das  dann  vollendet  sein  wird, 
die  Verbindung  her. 

*  Französische  Kanalprojekte. — 
In  der  Gesetzesvorlage,  welche  die  franzö- 
sische Regierung  vor  kurzem  der  Kammer 
vorgelegt  hat,  sind  für  Wasserbauten  nicht 
weniger  als  611  Millionen  Francs  ein- 
gestellt. Diese  Bauten  umfassen  Ver- 
besserungen bestehender  und  Schaffung 
neuer  Wasserstrafsen,  um  den  Wettbewerb 
mit  dem  Auslande  besser  aufnehmeu  zu 


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Geographische  Neuigkeiten. 


können.  Au«  dem  der  Vorlage  bei- 
geschlossenen Berichte  entnehmen  wir  fol- 
gende der  wichtigsten  Projekte:  Geradc- 
legung  und  Vertiefung  der  Loire  von 
Nantes  lux  Angers  in  einer  Länge  von 
x4  km.  Kanäle  von  der  Rhone  einerseits 
nach  C  e 1 1 e ,  andererseits  nach  M  a  r  s e  i  1 1  e 
(siehe  Jhrg  VI  S.  49).  Loirc-Khöne- 
Kanal  über  St.  Ktienue,  130  km  lang;  der- 
selbe wird  bedeutende  technische  Schwie- 
rigkeiten bieten,  da  er  eine  Pafshühe  von 
657  m  zu  fiberwinden  haben  wird,  Per 
Chierskanal  (86km)  und  der  Kanal  von 
der  Scheide  «vir  Maas  (154  knii  werden 
Dünkirchen  und  das  nordfranzösische 
Kohlen-  und  Industriegebiet  mit  dem  Eisen- 
erzgebiete  von  Longwy  verbinden;  von  der 
Länge  des  letzteren  entfallen  12  km  auf 
den  bereit«  bestehenden  Sambre-Oisc- 
Kanal.  Von  der  gröfsten  Bedeutung  wird 
der  aus  mehreren  Teilen  bestehende  N  o  r  d  - 
kanal  sein,  da  er  die  Kohlenbecken  der 
Departements  Nord  und  Pas  de  Calais  mit 
Paris  in  unmittelbare  Verbindung  setzen 
wird.  Kr  soll  vor  allem  den  St.  Quentin- 
Kanal  entlasten.  Seiuc  Teile  sind:  Der 
Kanal  von  Arleaux  am  Senate  nach  Pe- 
ronne  am  Somme  (45  km),  der  Ausbau 
des  Somme-Kanals  von  Peronne  bis  Harn 
(35  kntl  und  der  Kanal  von  Hain  zum 
Oise-Seitenkanal  bei  Noyon  20  km  .  End- 
lich wäre  noch  zu  erwähnen  die  Ver- 
bindung des  Canal  lateral  von  Sancoins 
nach  M  o  u  1  i  n  s ,  der  Hauptstadt  des  kohlen- 
reichen Departements  Allier.       A.  It. 

*  Durch  den  soeben  herausgegebenen 
dritten  Anhang  der  Superticic  del  regno 
d'Italia  ist  die  geodätische  Aufnahme 
des  Königreichs  Italien  vollendet. 
Der  Anhang  behandelt  die  Insel  Sardi- 
nien, deren  Fläche  auf  23  «.'{3,3  qkm 
berechnet  ist,  so  dafs  die  Gesamtoberfläche 
Italiens  danach  2*6  6*2,2  qkm  beträgt. 
Verglichen  mit  der  Karte  Sardiniens 
in  1:50  000  vom  Jahre  1884  stellt  sich 
das  Areal  dieser  Insel  um  33,7  qkm  gröTser 
da.  Dieser  Unterschied  wird  keineswegs 
auf  ungenaue  Aufnahmen  gescholten, 
sondern  entspricht  wahrscheinlich  dem 
natürlichen  Zuwuchs  der  Insel  in  den 
letzten  17  Jahren,  indem  die  zahlreichen 
kleinen  Küstenflüsso  grofsc  Krdmassen 
nach  der  Küste  verfrachtet  und  dadurch 
diese  weiter  hinausgerückt  haben.  Be- 
sonders ist  dies  im  Golf  von  Uagliari  und 
im  Golf  von  Oristano  der  Fall,  in  den  der 


Ti>«o,  der  gröfste  Flur*  der  Insel,  ein- 
mündet. W.  H 

Asien. 

*  Die  Seen  Tenis  und  Kurgal- 
d sch in  in  der  Provinz  Aknmlinsk 
(Westsibirien).  Die  westsibirische 
Zweigabteilung  der  Kais.  Russ.  Geogr. 
Ges.  hat  im  Sommer  18UH  durch  P.  Igna- 
tow  die  grofsen  Seebecken  in  der  west- 
sibirischen Provinz  Akmolinsk,  namentlich 
die  beiden  Salzseen  Tenis  und  Kurgal- 
dschin  100,  bezw.  150  Werst  südwestlich 
der  Stadt  Akmolini%k  erforschen  und  ver- 
messen lassen.  Herr  Iguatow  veröffent- 
licht in  Heft  4  der  „Iswestija'1  1»00  über 
die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen 
interessante  Einzelheiten,  die  um  so  be- 
merkenswerter sind,  als  jene  Seen  bis 
jetzt  nur  ganz  oberflächlich  nach  Lage, 
Größe,  Beschaffenheit  bekannt  waren. 
Das  Becken  des  inselreichen  Tenis,  des 
westlicheren  der  beiden  Seen,  umfafst 
nicht  weniger  als  1520  qkm,  nimmt  so- 
mit in  «ler  Reihe  der  russischen  Binnen- 
seen die  20.  Stelle  ein.  Die  mittlere 
Tiefe  beträgt  5—6' ,  m,  übertrifft  also 
erheblich  die  Tiefe  der  anderen  west- 
sibirischen  Seen."  Das  stark  salzhaltige 
Wasser  hatte  im  Mai  eine  Durchsichtig- 
keit biB  zu  4  m.  Der  See  trägt  durchaus 
das  Gepräge  eines  Binnensees  der  west- 
sibirischen Steppenlandschaft:  flache  Ufer, 
leicht  wellige,  mit  Waldgruppen  be- 
setzte Steppe.  Er  nimmt  im  Gegensatz 
zu  den  meisten  anderen  Wasserbecken 
Westsibiriens   langsam   an  Umfang  zu, 


erhält  am 


riehen    Zuflufs    von  den 


Hügelreihen  der  Karkaralinsk'schen  Kette, 
die  als  niedriger  Granitrücken  das  Berg- 
land von  Tarbagatai  nach  Nordwesten 
hin  fortsetzt.  Der  erstaunliche  Fisch- 
reichtum des  Sees  lockt  in  den  Winter- 
monaten die  kirgisischen  Nomaden  der 
umliegenden  Steppen  an  seine  Ufer.  Der 
See  Kurgaldschin  liegt  etwa  15  Werst 
östlich  des  Tenis  und  umfafst  bei  einer 
Durchschnittstiefe  von  nur  2  in  eine  Ober- 
fläche von  456  qkm.  Er  ist  mehr  ein 
Durehflulssec  der  Nura  als  ein  selbstän- 
diges Wasserbecken,  vielfach  mit  Schilf 
durchwachsen.  Im  übrigen  sind  Salz- 
gehalt und  Fischreichtum  dieselben  wie 
beim  See  Tenis.  Immanuel. 

*  Volkszählung  in  Indien  1901.  In 
auffallend  kurzer  Zeit  sind  die  Ergebnisse 


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Geographische  Neuigkeiten 


349 


der  im  Jahre  1901  vorgenommenen  Volks- 
zählung in  Britisch-Indien  veröffentlicht 
worden.  Danach  zählen  die  britischen 
Territorien  231  085  (»00  Kinwohner  {gegen 
231266  000  im  Jahre  1801),  die  Einge- 
borenen-Staaten  63  182  000  Einwohner 
(gegen  66  050  000  i.  J.  1801),  ganz  Indien 
somit  204  266  000  E.  (gegen  287  317  000 
i.  J.  181)1).  Die  G  esain  tzuuahme  beträgt 
in  dem  Jahrzehnt  18Ü1  bis  lüOl  6  047  653 
Seelen  (2,42  %),  doch  erniedrigt  sich  die- 
selbe auf  4  283  060,  wenn  man  die  neuer- 
dings angeschlossenen  Nordwestterritorien 
an  der  Grenze  von  Afghanistan,  die  zum 
ersten  Male  mit  aufgelührt  werden,  weg- 
läfst.  Dann  beträgt  die  Zunahme  von 
1801  bis  1901  nur  1,49  %,  während  sie 
sich  im  Zeiträume  von  1881  bis  1891  auf 
11,2°0  belief.  Einige  Landschaften  zeigen 
sogar  eine  sehr  bedeutende  Abnahme  der 
Bevölkerung,  was  auf  die  Test  und  Hun- 
gersnöte zurückzufuhren  ist.  (D.  Hund- 
schau f.  G  u.  St.  1901.  S.  373.) 

*  Ein  erneuter  Versuch,  die  bis- 
her noch  unbekannte  Flufsstrecke  des 
Sanpo-Brahmaputra,  auf  der  er  den 
östlichen  Himalaja  durchbricht,  zu  er- 
forschen, ist  in  diesem  Jahre  von  der 
Survey  of  India  angestellt  worden.  Wenn 
auch  die  Identität  des  Sanpo  mit  dem 
Brahmaputra  zweifellos  feststeht,  so 
ist  doch  die  Kenntnis  der  noch  unbe- 
kannten Flufsstrecke  deshalb  von  beson- 
derem Interesse,  weil  der  Flufs  auf  dem 
130  englische  Meilen  langen,  unbekannten 
Laufe  einen  Höhenunterschied  von  3000  m 
überwinden  und  deshalb  eine  lange  Kette 
vou  Stromschnellen  und  Wasserfällen 
bilden  mufs.  Mit  der  Ausführung  der 
Erforschung  wurden  zwei  Gurkha-  Feld- 
messer betraut,  die  für  die  Reise  besonders 
vorbereitet  worden  sind;  die  Keiseanord- 
nungen  an  Oit  und  Stelle  traf  der  poli- 
tische Agent  in  Sadija,  Needham ,  der 
sich  schon  lange  mit  der  Lösung  des 
Problems  beschäftigt  hat.  Aus  den  bis 
Ende  März  1901  reichenden  Nachrichten 
über  die  Expedition  geht  hervor,  da  Ts  die 
Heise  auf  dem  rechten  Ufer  des  Flusses 
ausgeführt  wird.  Um  den  Widerstand 
der  Passi- Minjong,  die  aus  Furcht  ,  den 
einträglichen  Zwischenhandel  zu  verlieren, 
sich  bisher  jeder  Erforschung  des  Flusses 
erfolgreich  widersetzten,  zu  überwinden, 
war  Needham  schon  vorher  mit  dem  Älte- 
sten von  Kebang,  der  Hauptniederlassung 


der  Passi-Minjong  auf  dem  rechten  Ufer, 
in  Unterhandlung  getreten  und  hatte  sich 
seiner  Hilfe  für  die  Expedition  versichert. 
Uberraschend  klingt  die  Nachricht,  dafs 
der  Marsch  von  Sadija  durch  Kebang 
nach  Gyala  Sindong,  der  tibetanischen 
Grenzstadt,  unverhältnismäfsig  bequem 
war,  da  nördlich  von  Kebang  das  Land 
offen  und  wellig  war  und  keine  Gebirge 
zu  überschreiten  waren,  .sodafs  nur  10 
Halte  gemacht  zu  werden  brauchten. 
Hinter  den  Passi-Minjong  wohnen  die 
ihnen  verwandten  und  ihre  Sprache  spre- 
chenden Pangis,  ein  strebsames  Handels- 
volk, das  erst  nach  langen  Unterhand- 
lungen den  beiden  Ghurkhas  den  Durchzug 
durch  ihre  Gebiete  gestattete;  am  18. 
März  wurde  die  Reise  durch  das  Gebiet 
der  Pangis  angetreten,  weitere  Nachrichten 
fehlen.  (Geogr.  Journal  1901,  Mai  S.  525.) 

*  Volkszählung  in  Korea.  Die 
Zahl  der  Einwohner  vou  Korea  kann 
immer  nur  annähernd  augegeben  werden. 
Auch  die  letzte  Volkszählung  (die  erste 
war  im  Jahre  1898,  seitdem  wird  jährlich 
eine  solche  vorgenommen)  giebt  bei  der 
Unzuverlässigkeit  aller  von  koreanischen 
Beamten  aufgestellten  Statistiken  nur 
einen  ungenauen  aber  doch  annähernden 
Überblick  über  die  Einwohnerzahl.  Nach 
der  neuesten  Statistik  hatte  Korea  am 
81.  Dezember  1900  im  ganzen  5  608  151 
Einw.,  3  102  650  Männer  und  2  505  501 
Frauen,  gegen  5  340  901  Einw.  im  vorher- 
gehenden und  5  299  770  i.  J.  1898.  Die 
Einwohner  Koreas  verteilen  sich  auf  die 
einzelnen  Provinzen  wie  folgt:  Soeul 
196898,  Kjöng-Kwi  669  798,  Nord-Tschöng 
276  882,  Süd-Tschöng  422  602,  Nord- 
Tschölla  386  132,  Süd-Tschölla  437  600, 
Nord  -  Ongsang  590  602  .  Süd  -  Ongsang 
483  616,  Skang-Wrön  276  736,  Hwan-Hai 
361  907,  Süd-Pjöng-Jan  390  297,  Nord- 
Pjöng-Jan  393974,  Süd-Harn  gjöng437019, 
Xord-Ham-gjöng  285  028.  (D.  Hundschau 
f.  G.  u.  St.  1901.  S.  874.) 

*  Eine  abermalige  Verlegung  der 
abessinischenHesidenz,  der  siebenten 
seit  seinem  Regierungsantritt,  hat  der 
Negus  Negest  Menelik  zu  Anfang  des 
Jahres  1901  vollzogen,  indem  er  zu  dieser 
Zeit  seinen  Wohnsitz  von  Adis  Abeba 
nach  dem  60km  westlich  davon  liegenden 
Adis  Alam  verlegte,  wo  er  in  den  letzten 


350  Geographische 

Monaten  des  Jahres  1900  die  Errichtung  j 
der  neuen  Stadt  überwacht  hatte.  Die 
.  neue  Residenz  liegt  herrlich  inmitten 
alter  Waldungen,  jedoch  mangelt  es  an 
Waaser,  woran  Adis  Abeba  Übertlufs  hatte. 
Der  Grund  zur  Verlegung  des  Wohnsitzes 
dürfte  weniger  in  politischen  Krwiigungen 
als  darin  zu  suchen  sein,  dafs  ringsum 
von  Adis  Abeba  infolge  von  Waldver- 
wüstung  ITolzmungel  zu  Bau-  und  Heiz- 
zwecken eingetreten  war,  weshalb  eine 
andere  waldreiche  (legend  aufgesucht 
wurde.  Die  fremden,  in  Adis  Abeba  an- 
sässigen Kaufleute  sind  von  dem  Hesidenz- 
wechsel  wenig  erbaut  ,  da  sie  mit  ihren 
steinernen  Häusern  und  ihren  Warenlagern 
dem  Negus  Negest  nicht  ohne  weiteres 
in  die  Waldsebluehten  folgen  können. 
Vorläutig  bleibt  jedoch  Adis  Abeba  die 
wichtigste  Stadt  Sehoas  und  der  Sitz  der 
fremden  Vertreter. 

Australien. 

+  Den  Bau  einer  t  ran skouti  ue  n - 
talen  australischen  Kiseubahu, 
welche  West -Australien  mit  den  östlichen 
Bundesstaaten  verbinden  soll,  plant  die 
Bundesregierung  Australiens.  Jetzt  ist 
Westaustralien  ganz  ohne  Landverbindung 
mit  den  östlichen  Staaten,  und  der  öst- 
lichste Punkt  seines  1892  engl.  Meilen 
langen  Eisenbahnnetzes,  Kalgoorlie,  liegt 
noch  ungefähr  1000  engl.  Meilen  von 
Port  Augusta  am  Spencer  -  Golf,  wo  das 
ostaustralische  Eisenbahnnetz  endigt,  ent- 
fernt. Es  soll  nun  eine  Eisenbahn  von 
Kalgoorlie  nach  Port  Augusta  gebaut 
werden,  die  sich  an  dergrofsen  aust  ralischen 
Bucht  hinziehen  und  durch  eine  von 
zivilisierten  Menschen  fast  noch  unbe- 
tretene Gegend  führen  wird.  Das  Land, 
ein  horizontales  Tafelland,  wird  dem 
Bahnbau  keine  besonderen  Hindernisse 
in  den  Weg  legen,  sodals  die  für  die 
Entwickelung  West-Australiens  unbedingt 
nötige  Verbindung  mit  dem  Osten  bald 
hergestellt  seiu  wird.  Der  Verkehr  auf 
der  zu  erbauenden  Eisenbahn  wird  vor- 
aussichtlich sehr  grofs  werden,  da  von 
Heisenden  die  kürzere  Eisenbahnfahrt 
meistens  der  Seereise  durch  die  meist  stür- 
mische Australbucht  vorgezogen  werden 
wird.  Aulserdem  verspricht  auch  die  Bahn 
durch  die  Ersehliefsung  bisher  noch  uner- 
forschter (iebiete,  iu  denen  grofserMineral- 
rcichtum  vermutet  wird,  grofsen  Gewinn. 


Neuigkeiten. 

Nordamerika. 

*  Die  Ergebnisse  der  nordaine- 
rikanischen  Erdmessung  In  Nord- 
amerika werden  seit  vielen  Jahren  nach 
einem  einheitlichen  Plane  grofse  Ver- 
messungen ausgeführt,  die  nicht  nur  die 
Unterlage  für  genaue  Landesaufnahmen, 
sondern  auch  für  eine  neue  und  schärfere 
Ermittlung  der  Gröfse  und  Gestalt  der 
Erde  bildeu.  So  ist  unter  39°  nördl.  Br. 
ein  Bogen  der  Erdoberfläche  vermessen 
worden,  der  vom  Atlantischen  bis  zum 
Stillen  Ozean  reicht  und  dessen  Endpunkte 
49°  Längenunterschied  aufweisen.  Der 
höchste  Vcrmessungspunkt  dieses  unge- 
heuren Bogens  liegt  in  4300  m  Seehöhe. 
Ans  dieser  Vermessung  in  Verbindung 
mit  derjenigen  an  den  grofsen  Seen  er- 
picht sich  für  den  äquatorialen  Halbmesser 
der  Erde  eine  Gröfse  von  6377  912  m,  für 
den  Polarhalbmesser  um  0  356 309  m.  Ein 
zweiter,  schräg  zum  Meridian  liegender 
Bogen  von  22°  Ausdehnung  ist  von  der 
nordöstlichen  Grenze  iu  Maine  bis  zum 
südwestlichen  Ende  von  Alabama  am  Golf 
von  Mexiko  gemessen  worden.  Aus  dieser 
Messung  folgt  für  den  äquatorialen  Erd- 
halbinesser  eine  Länge  von  637«  157m, 
für  den  Polarhalbmesser  von  6357210m. 
Diese  Messungen  stimmen  in  sehr  befrie- 
digender Weise  mit  den  aus  frühereu 
Erdmessungen  von  Clarke  abgeleiteten 
Mittelwerten  übereiu.  Demzufolge  kann 
man  annehmen,  dafs  der  äquatoriale  Erd- 
halbniesser  rund  637HOOO,  der  polare 
6  3ö6  700  in  beträgt,  und  dafs  diese  Zahlen 
bis  auf  ein  paar  hundert  Meter  richtig 
sind ,  sodafs  nun  die  Länge  der  Halb- 
messer unseres  Erdballes  bis  auf  eine 
Gröfse  genau  bekannt  ist,  welche  etwa 
der  Länge  der  festen  Hheinbrücke  bei 
Köln  gleichkommt     K.  Z  ) 

Polarregionen. 

*  Lediglich  zu  dem  Zwecke,  den 
Nordpol  zu  erreichen,  nicht  um  unsere 
Kenntnis  der  Polarregionen  zu  erweitern, 
werden  in  diesem  Sommer  zwei  nord- 
a  merikauische  N  o  r  d p o  1  e  x  p e d  i  - 
tiouen  polwärts  aufbrechen.  Für  die 
Ausrüstung  der  einen  Kxpedition  hat 
ein  amerikanischer  Millionär  Ziegler  eiue 
Million  Dollar  zur  Verfügung  gestellt, 
wofür  sich  der  Kührer  der  Expedition 
Baldwin  verpflichtet  hat,  auf  jeden  Kall 


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Geographische  Neuigkeiten. 


351 


das  Sternenbanner  anf  dem  Pol  aufzu- 
pflanzen. Baldwin,  ein  früherer  Gefährte 
Peary's  und  Wellman's,  will  mit  drei 
Schiffen  nach  Franz  -  Joseph  -  Land  auf- 
brechen, vor  Anbruch  des  Winters  das 
eine  Schiff  wieder  zurückschicken,  die 
anderen  aber  zu  seiner  Verfügung  dort 
behalten.  Zur  Schlittenreise  will  er  aufser 
Hunden  auch  einige  sibirische  Ponies 
mitnehmen,  von  denen  er  hofft,  dafs  sie 
sich  in  den  schwierigen  Eisverhilltnissen 
bewähren.  Die  andere  Expedition  leitet 
der  Amerikaner  Well  man,  der  mit 
dem  Fangschiff  „Magdalena"  Anfangs  Juni 
von  Norwegen  nach  Franz  -  Josephs  -  Land 
autbrechen  will,  um  von  hier  aus  nach 
Errichtung  eines  Depots  mit  Hunden  und 
Kajaks  polwärt«  vorzudringen.  Die  „Mag- 
dalena" kehrt  wieder  nach  Tromsö  zu- 
rück und  soll  im  nächsten  Jahre  die  Ex- 
pedition von  dem  errichteten  Depot  wie- 
der abholen. 

Vereine  und  Versammlungen. 

*  Der  vierte  italienische  Geo- 
graphentag wurde  in  der  Osterwoche 
in  Mailand  abgehalten.  400  Personen  be- 
teiligten sich  an  demselben.  Am  10.  April 
fand  die  feierliche  Eröffnung  unter  Be- 
teiligung der  höchsten  Behörden  Mailands 
Btatt;  der  König  hatte  selbst  das  Patronat 
übernommen.  Nach  Ansprachen  des  Prä- 
sidenten Vigoni  und  des  Bürgermeisters 
von  Mailand  ergriff  der  Unterrichts- 
minister  Naai  das  Wort.  Er  überbrachte 
die  Grüfse  des  Königs  und  der  Regierung, 
die  vom  Geographentag  wertvolle  Kat- 
schläge für  die  grofsen  Probleme  der 
Auswanderung  und  der  Kolonisation  er- 
warte. Nach  Würdigung  der  grofsen 
Fortschritte  der  Erdkunde  im  19.  Jahr- 
hundert verbreitete  sich  der  Minister 
über  die  Mängel  des  geographischen 
Schulunterrichts,  die  nach  ihm  nicht  nur 
von  den  Lehrplänen,  sondern  auch  von 
den  Lehrern  herrühren.  Abends  fand  ein 
Festabend  mit  Konzert  statt.  Der  11. 
und  19.  April  waren  den  Abteilungs- 
sitzungeu  gewidmet.  In  der  Abteilung 
für  Unterricht  entwickelte  Prof.  Bellio 
von  der  Universität  Pavia  seine  Ideen 
über  Hebung  des  geographischen  Unter- 
richts; er  stellte  fest,  dafs  man  nach 
zwanzigjährigem  Bemühen  noch  keinen 
Schritt  vorwärts  gekommen  sei,  und  forderte 
vor  allem  Anerkennung  der  Geographie  als 


selbstatändiges  Fach  für  die  höheren  Stu- 
dien und  Prüfungen.  In  der  anschliefsen- 
den  Erörterung  betonte  Prof.  Bertolini 
(Univ.  Bologna)  die  Notwendigkeit,  beson- 
dere Lehrstühle  der  Geographie  zu  er- 
richten und  dieses  Fach  nicht,  wie  bis- 
her, den  Historikern  im  Nebenamt  zu 
übergeben.  Dann  werde  man  auch  tüch- 
tige Lehrer  der  Geographie  für  die  Gym- 
nasien und  anderen  Mittelschulen  erhalten. 
Prof.  Minutilli  kritisierte  die  Lehrpläne 
der  letzteren.  Trotz  lebhafter  Debatte 
kam  man  zu  keinem  Beschlufs.  Minutilli 
verlas  hierauf  den  Bericht  Bertacehi's 
„über  die  Notwendigkeit  eines  Lehrstuhls 
der  mathematischen  Geographie  an  den 
wichtigsten  Universitäten  des  Königreichs". 
Schliefslich  wurde  ein  Ausschufs  ein- 
gesetzt, um  ein  Iteformprogramm  iür  den 
geographischen  Unterricht  aufzusetzen. 
Am  12.  besprach  Prof  Amat  i  den  geogra- 
phischen Unterricht  in  den  höheren  Schulen 
seit  lhCO,  auch  er  wufste  so  gut  wie  nichts 
von  Fortschritten  zu  berichten.  Gleich- 
zeitig beklagte  er,  dafs  die  Atlanten  das 
Trentino  und  das  Julische  Venetieu"  (ital. 
Sprachgebiet  des  Küstenlandes)  vernach- 
lässigten. Bruzzo  aus  Bologna  trat  für 
geographische  Ausflüge  mit  deu  Schülern 
der  technischen  Schulen  und  der  Lehrer- 
seminare ein.  In  der  geschichtlichen  Ab- 
teilung verteidigte  Prof.  U  ziel  Ii  aus  Flo- 
renz die  Echtheit  des  Briefes  Toscanelli's 
an  Columbus  und  der  Schriften  Vespucci's. 
Grasso  behandelte  die  Greuzen  der  histo- 
rischen Geographie  und  verlangte  gröfsere 
Berücksichtigung  und  Pflege  derselben. 
Pulle  gab  Mitteilungen  über  die  antike 
Kartographie  Indiens  und  zur  Ethnologie 
und  Linguistik  Italiens.  In  der  Wirt- 
schaft«- und  handelsgeographischen  Abtei- 
lung wurde  namentlich  die  Auswanderuugs- 
frage  beraten,  ein  für  Italien  gegenwartig 
sehr  aktuelles  Thema.  Senator  Bodio  kriti- 
sierte die  Auswanderung8- Gesetzgebung. 
Er  trat  für  Schutz  und  Leitung  der  Aus- 
wanderung ein  und  stellte  namentlich  die 
deutschen  und  irischen  Hilfsvereine  ala 
vorbildlich  hin.  Allgemeine  Vorträge 
hielten  Hugues  ausTurin  über  die  wissen- 
schaftlichen Ergebnisse  der  Nordpolar- 
forschungen, (Jora  über  Montenegro,  der 
Genfer  Bertrand  in  französischer  Sprache 
über  die  Ba-Rotsc  am  oberen  Sambesi. 
Er  erläuterte  seinen  Vortrag  durch  Pro- 
jektionsbilder.   Mit  dem  Geographentag 


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352 


Bücherbefiprechungen. 


war  eine  Ausstellung  alter  und  neuer 
Karten  und  Pläne  von  Mailand  und  Um- 
gegend verbunden,  sowie  eine  vom  Rad- 
fahrklub veranstaltete  Ausstellung,  welche 
die  Kntwickelung  der  Verkehrswege  und 
Verkehrsmittel  veranschaulichte.  Z. 


Geographischer  Unterricht. 

*  Per  I'rivntdoxent  der  Geographie  und 
Ethnographie  an  der  Universität  Leipzig, 
Dr.  Weule,  ist  zum  etatsmäßigen  außer- 
ordentlichen Professor  für  Ethnographie 
und  Prähistorie  an  derselben  Universität 
ernannt  worden,  nachdem  er  kurz,  vorher 
vom  Rath  der  Stadt  Leipzig  zum  II.  Direktor 
lies  dortigen  Museums  für  Völkerkunde 
ernannt  worden  war. 


Persönliches. 

*  Im  April  starb  zu  Waiblingen  in 
Württemberg  «1er  Afrikaforscher  Dr.  Hein- 
rich Schlichter  an  den  Folgen  der 
Malaria,  die  er  sich  auf  einer  Reise  nach 
Südafrika  18i>7 — 98  zugezogen  hatte. 
Von  Geburt  und  Krziehung  ein  Deutscher, 
hatte  Schlichter  vor  lungeren  Jahren  schon 
die  englische  Nationalität  angenommen 
und  war  in  den  letzten  Jahren  im  englischen 
Interesse  an  der  Erforschung  Südafrikas 
und  seiner  alten  Goldniinen  und  Kultur- 
stätten thätig  gewesen.  Seine  geo- 
graphischen Studien,  die  er  im  Geogr. 
Journal,  in  Petermann's  Mitteilungen  und 
vereinzelt  auch  in  dieser  Zeitschrift  ver- 
öffentlichte, befaßten  sich  mit  der  Geo- 
graphie Afrikas. 


Büclierbesprechangen. 


HÖck    Dr.    F.,   Pflanzen  der  Kunst- 
bestände     N  o  r  d  d  e  u  1 9  c  h  1  a  n  d  s 
als  Zeugen    für  die  Verkehrs- 
gesohichte      unserer  Heimat. 
Forschungen  zur  deutschen  Landes- 
und   Volkskunde.     XIII.    2.  Stutt- 
gart 1900. 
Nachdem  frühere  Abhandlungen  des 
Verf.  den  natürlichen  Formationen  Nord- 
deutsehlands gewidmet  waren,  behandelt 
das  vorliegende  Heft  die  Anbaupllanzen 
und  namentlich  die  Unkräuter  demselben 
Gebietes 

Die  Zunahme  des  Verkehrs  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  hat  eine  solche  der 
Kulturpflanzen  hervorgerufen,  obwohl 
viele  früher  angebaute  Arten  ganz  ver- 
schwunden sind  oder  nur  noch  als  Un- 
kräuter ihr  Dasein  fristen.  Die  ersten 
Aubaupflanzen  wurden  der  heimatlichen 
Flora  entnommen,  und  andere  Bestand- 
teile der  letzteren  begleiteten  sie  gegen 
den  Willen  des  Menschen  in  dessen 
Kulturen.  Später  traten  zahlreiche  Kultur- 
pflanzen  und  Unkräuter  aus  dem  Süden 
hinzu,  während  der  Norden  gar  keine, 
der  Osten  nur  wenige  beisteuerte.  Die 
Entdeckung  Amerikas  bereicherte  die 
europäischen  Kunstbestände  mit  einigen 
neuen  Kulturpflanzen  und  mit  zahlreichen 
Unkräutern,  welche  letzteren,  seit  den 
fünfziger  Jahren  des  gegenwärtigen  Jahr- 
hunderts, in  rascher  Zunahme  begriffen 


sind.  Süd -Afrika  hat  zwar  zahlreiche 
Zierpflanzen,  bis  jetzt  aber  nur  eine  Un- 
krautart,  Valuta  COTOnopifoJia ,  geliefert, 
während  Australien,  sowie  das  antarktische 
Süd -Amerika  in  der  UnkrautUora  bis 
jetzt  unvertreten  sind. 

Die  wertvolle  Arbeit  behandelt  nach- 
einander: 1)  lue  heutigen  Anbaupflanzen 
Norddeutschlands  (mit  Ausnahme  der 
Nährpflanzen,  die  bereits  für  ganz  Mittel- 
europa den  Gegenstand  eines  früher  er- 
schienenen Heftes  der  Sammlung  bilden). 
%)  Die  einst  angebauten  Pflanzen.  8)  Die 
Unkräuter. 

her  Ii.  Abschnitt,  bei  weitem  der  aus- 
führlichste, behandelt  in  seinem  ersten 
Kapitel  die  schon  vor  der  Mitte  des 
III.  Jahrhunderts  gefundenen  Unkräuter 
Acker-,  Garten-,  Rudernlunkrü uteri  und 
zwar  nicht  bloß  bezüglich  deren  Ver- 
breitung in  Norddeutschland,  sondern 
auch  nach  ihrem  Vorkommen  in  einigen 
überseeischen  tiebieten.  Das  zweite  Ka- 
pitel bespricht  mit  der  gleichen  Gründ- 
lichkeit und  Sachkenntnis  die  in  den  letzten 
Jahrzehuten  eingeführten  Unkräuter  (An- 
kömmlinge und  AdventivpHanzenp. 

Bin  Schlußbericht  bringt  allgemeine 
Betrachtungen  über  die  Heimat  der  nord- 
deutschen Kulturpflanzen,  die  Zeit  ihrer 
Einführung  und  die  Beeinflussung  ihrer 
Wanderungen  «buch  die  Wandlungen  der 
Verkehrsmittel.  Schimper. 


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Bücherbesprechungen. 


353 


Geizer,  Geistliches  und  Weltliches 
aus  dem  türkisch-griechischen 
Orient.      XII,    258  SS.  Leipzig, 
B.  G.  Teubner  1900. 
Wie  schon  der  Titel  andeutet,  nimmt 
das  Geistliche  in  diesem  Buch  die  erste 
Stelle  ein,  das  Weltliche  erst  die  zweite. 
Und  zwar  will  G.  seine  Leser  in  die  Ge- 
danken und  Bestrebungen  der  t'onstan- 
tinopolis  Christiuna  einführen,  die,  wie 
er  mit  Kecht  bemerkt,  dem  gewöhnlichen 
Orientreisenden  wenig  oder  gar  nicht  be- 
kannt ist.    Und  es  ist  ja  auch  nur  zu 
natürlich,  dafs  die  meisten  Besucher  in 
Konstantinopel  die  türkische  Stadt  neben, 
nur  Bie  beachten,  und  an  die  christlichen 
Kiemente  der  Bevölkerung  kaum  denkeu. 
Und    doch   ist   es   im    höchsten  Grade 
interessant  diese  Verhältnisse  kennen  zu 
lernen.   Wir  befinden  uns  dort  vor  allem 
im  Bereich  der  orthodoxen  Kirche.  Ihr 
Haupt    ist    der   ökumenische  Patriarch 
von  Konstautinopel.     Aber  seine  Macht 
ist  nicht  entfernt  mit  der  des  römischen 
Papstes   zu   vergleichen.     Denn  einmal 
hat  er  neben    sich  die  «heilige  Synode 
und  den  nutionalen  immerwährenden  ge- 
mischten Rat,  die  bedeutende  Hechte  be- 
sitzen, so  das  Wahlrec  ht  und  die  Beauf- 
sichtigung des  Kirchenvermögeus.  Und 
dann  ist  der  Patriarch  nicht  das  Ober- 
haupt   aller    Orthodoxen;    denn  jeder 
politisch    selbständige    Staat    ist  auch 
kirchlich  selbständig,  so  sind  aufser  der 
russischen  Kirche  auch  die  von  Griechen- 
land, Serbien,  Montenegro  u.  s.  w.  auto- 
kephal,  und  seit  1872  haben  sich  auch 
die   Bulgaren   losgesagt.     Diese  stehen 
unter  einem  eigenen  Exarchen,  der  eben- 
falls   in    Konstantinopel    residiert.  So 
zeigt  sich  klar  der  grofse  Unterschied 
zwischen  römischer  und  orthodoxer  Kirche : 
bei  jener  eine  einheitliche,  stratfe  und  da- 
her machtvolle  Organisation,  bei  dieser 
systematische   Schwächung    der  eigent- 
lichen Zeutralgewalt  des  byzantinischen 
Patriarchat«.      Allerdings    scheint  der 
Höhepunkt  der  Zersplitterung  jetzt  über- 
wunden zu  sein;  es  mehren  sich  die  An- 
zeichen   einer    zentripetalen  Strömung, 
aber  es  wird  wohl  noch  lange  dauern, 
bis  sie  zu  greifbaren  Resultaten  führt. 

An  zweiter  Stelle  nach  der  griechischen 
Kirche  steht  die  armenische;  ihr  Patriarch 
hat  seinen  Sitz  in  Kuui-Kapu,  westlich 
der  Aja  Sophia.    Und  schliefslich  haben 
Geographisch«  Zeitichrift.  7.  Jahrgang.  1V01.  ti 


auch  die  katholischen  Institute  unter 
dem  lateinischen  Patriarchalvikar  von 
Konstantinopel  eine  grofse  Bedeutung. 

Der  weltliche  Teil  des  Buches  handelt 
über  die  Türken  und  die  unterworfenen 
Völker.  G.  ist  zu  derselben  Anschauung 
gekommen,  wie  sie  schon  oft  von  ge- 
naueren Kennern  des  Volkes  ausgesprochen 
ist.  Das  türkische  Volk  ist  gut,  brav, 
ehrlich  und  würdevoll ,  der  türkische 
Beamte  ist  schlecht,  faul,  untauglich. 
Die  Staatsmänner,  die  früher  die  Türkei 
grofs  gemacht  haben,  sind  keine  Türken 
gewesen;  an  den  Türken  wird  die  Türkei 
zu  Grunde  gehen.  Sehr  günstig  urteilt 
G.  über  die  Griechen  der  Türkei;  auch 
für  die  Armenier  tritt  er  ein.  Denn  er 
giebt  zwar  zu,  dals  der  armenische  Kauf- 
mann ohne  viel  Skrupel  seinen  Gewinn 
annimmt,  wo  er  ihn  findet;  aber  er  be- 
tont mit  Kecht,  dal»  sich  damit  die  ent- 
setzlichen Armeniermorde  nicht  recht- 
fertigen und  auch  nicht  erklären  lassen. 
Denn  diese  haben  besonders  den  braven 
armenischen  Bauernstand  getrotfen.  Sie 
sind  von  oben  her  befohlen  worden,  da- 
mit ein  den  Türken  fremdes  Volkselement 
in  Kleinasien  vernichtet  würde. 

Schon  aus  dieser  kurzen  Inhaltsaugabe 
geht  hervor,  dafs  der  1.  Teil  der  wert- 
vollste des  Buches  ist.  Uber  die  Türken 
und  die  unterworfenen  Völker  ist  schon 
oft  und  gut  gesprochen  und  geschrieben 
worden;  aber  über  die  kirchlichen  Ver- 
hältnisse der  christlichen  Türken  erfahren 
wir  aus  Reisebeschreibungen  so  gilt  wie 
nichts.  Dafs  wir  hierüber  durch  G.  unter- 
richtet werden,  dafür  müssen  wir  be- 
sonders dankbar  sein.  Sein  Studiengebiet 
hatte  ihn  schon  seit  langer  Zeit  in  Ver- 
bindung mit  einer  Reihe  von  eintlufsreichen 
Persönlichkeiten  gebracht,  er  fand  im 
Orient  manchen  seiner  alten  Jeneusischen 
Schüler  wieder  und  lernte  die  hervor- 
ragendsten Kirchenfürsten  persönlich 
kennen.  So  beruht  seine  Darstellung 
auf  den  denkbar  besten  Quellen. 

Dr.  W.  Rüge. 

Ktitschera,  Max,   Macao,  der  erste 
Stützpunkt  europäischen  Han- 
dels in  China.    Wien  1900.   tfc  a. 
Ein  mit  photo-  und  lithographischen 
Landschaftsbildern  gezierter  Bericht  über 
die  portugiesische  Kolonie    Macao  bei 
Hongkong.    Dem  deutscheu  Leser  dürfte 
Heft.  24 


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854 


B  ü  ch  e  r  b  c  «  p  re  e  h  u  n  ge  n. 


das  kleine,  5  Bogen  starke  Bach  gerade 
jetzt  gelegen  kommen,  wenn  auch  die 
vor  einiger  Zeit  in  der  Presse  aufgetauchte 
Nachricht  von  dem  geplanten  Ankauf 
Macaofi  durch  das  Deutsche  Reich  sich 
nicht  bestätigt  hat.  Der  Verfasser,  zur 
Zeit  k.  u.  k.  österreichisch-ungarischer 
Konsul  in  Honkong,  hat  an  Ort  und  Stelle 
reichliche  Gelegenheit  gehabt,  sich  über 
die  modernen  Verhältnisse  Macaos ,  der 
Wiege  des  europäischen  Verkehrs  in 
China,  zu  unterrichten ,  verarbeitet  jedoch 
auch  die  besten  Quellen  zur  Kenntnis 
Beiner  Geschieht«.  Unter  den  Quellen, 
die  hinter  dem  Vorwort  genannt  werden, 
hätte  Sir  Andrew  Ljungstedt's  „Historical 
Sketch  of  the  Portuguese  Settlements  in 
China"  einen  Platz  verdient,  doch  mögen 
die  von  späteren  Autoren  diesem  im 
Jahre  1832  entstandenen  Werke  ent- 
nommenen Mitteilungen  genügen.  Hie 
Veröffentlichung  dieser  übersichtlichen 
Skizze  entspricht  einem  Zeitbedürfnisse 
um  so  mehr,  als  in  deutscher  Sprache 
wohl  schwerlich  eine  Monographie  über 
diesen  Gegenstand  zu  haben  ist. 

Friedrich  Hirth. 

HUI,  Robert  TM   The  Geology  and 
P h y  s i c a l G e o g r a p h y  o f  J am a i c a . 
t  Bulletin  of  the  Museum  of  Comparative 
Zoology    of  Harvard    College,  Vol. 
XXXIV,  Geological  Serie«,  Vol.  IV.) 
Cambridge,  Mass.    1899.  8°. 
Diese  Schrift  bezeichnet  einen  wicht  igen 
Fortschritt  in  unserer  Kenntnis  von  den 
geologischen    und   geographischen  Ver- 
hältnissen Jamaikas  und  Gesamt- West- 
indiens.   Allerdings  lag  hinsichtlich  des 
inneren    Baues   der   Insel    ein  ziemlich 
eingehender    Bericht    der  geologischen 
Aufnahme    vor,    welche    die  britische 
Kolonialregierung  Anfang  der  sechziger 
Jahre   veranlagt  hatte,  durch  den  vor- 
zeitigen Tod  des  Direktors  dieser  Aufnahme 
(L.  Barrett  i  enthielt  dieser  Bericht  aber 
im  Grunde  genommeu  nur  ein  übel  in 
sich      zusammenhängendes  Stückwerk. 
It.   T.   Hill,   von   der  Vereinsstaatlichen 
Geologischen    Landesuntersuehung,  der 
Jamaika    im    Auftrage    von  Alexander 
Agassiz   zum   Gegenstande  eingehender 
tektonischer   und   morphologischer  For- 
schungen machte  —  ebenso  wie  früher 
schon   Kuba        fand  daher  mancherlei 
richtig  zu  stellen  und  zu  vervollständigen. 


sowie  vom  Standpunkt  seiner  theoretischen 
Auffassung  anders  zu  interpretieren ,  als 
es  bisher  üblich  war.  Hervorzuheben  ist 
in  letzterer  Beziehung  ganz  besonders, 
dafs  Hill  die  Syenit-  und  Granitporphyre, 
sowie  die  Hornblende-Andesite  der  Blue 
Mountains  und  der  Clarendon  Mountains 
nicht  als  archaische  bezw.  prae-palaeo- 
zoische  Format  ionsglieder  gelten  läfst, 
sondern  sie  als  tertiäre  Laccolithe  und 
Gänge  betrachtet.  Was  aber  die  sedi- 
mentären Bildungen  betrifft,  so  sind  die 
ältesten  derselben  —  die  in  ihrer  Lagerung 
stark  gestörten  Konglomerate  und  Schiefer, 
welche  die  Kernmasse  der  genannten 
Hauptgebirge  bilden  — kretaccischen  Alters 
und  ganz  vorwiegend  aus  eruptivem  Schut  t- 
material entstanden.  Die  Stätte,  an  der 
die  Insel  heute  aus  dem  amerikanischen 
Mittelmeere  herausragt,  muTs  also  in  der 
mesozoischen  Zeit  Herd  einer  gewaltigen 
vulkanischen  Thatigkeit  gewesen  sein. 
Im  übrigen  beginnt  die  aus  dem  Schichten- 
baue und  derOlierflächengestaltin  positiver 
Weise  lesbare  Kritwickelnngsgeschichte 
erst  mit  der  Tertiärzeit,  und  zwar  zeigt 
sich  dieselbe  vor  allen  Dingen  vou  mehreren 
groTsen  Oscillationen  gegenüber  der  Kbene 
des  Meeresspiegels  beherrscht.  Ursprüng- 
lich erhoben  sich  die  erwähnten  kreta- 
ceischen  Bergmassen  samt  ihrer  wahr- 
scheinlich sehr  ausgedehnten  Inselland- 
umgebung zu  beträchtlicher  Höhe  in  den 
Luftkreis,  und  in  diesem  Zustande  waren 
sie  einer  aufserordentlich  ungestümen 
Erosion  und  Denudation  ausgesetzt,  was 
namentlich  die  mächtigen  Seichtwasser- 
ablagerungen der  eoeänen  „Riehiuoml 
beds"  bekunden.  Dann  folgte  eine  Ver- 
senkung des  Hauptkörpers  der  Insel  zu 
bedeutender  Tiefe,  dergestalt  dafs  nur 
die  höheren  Teile  der  Blue  Mountains 
als  ein  zusammengeschrumpfter  Rest  über 
den  Meeresspiegel  emporragten  und  die 
ausgesprochenen  Tiefscebildungen  der 
oligoeänen  „Montpelier  beds"  zur  Ab- 
lagerung gelangen  konnten.  Im  Mittel - 
tertiär  (Miocän  oder  Spät-Oligocän)  da- 
gegen erfolgte  ein  Wiederaufsteigen  aus 
der  Flut,  an  dem  auch  die  ganze  Nach- 
barschaft teilnahm,  und  Jamaika  wurde 
in  der  gleichen  Weise  wie  Haiti,  Kuba 
und  vielleicht  auch  Süd-Florida  (nicht 
Nord-Florida!j  integrierender  Bestandteil 
einer  einzigen  Grofs-Anlille.  Spätestens 
bei  Anbruch  des  plioeänen  Alters  fand 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


855 


dann  ein  neues  Sinken  statt  und  damit 
zugleich  ein  Auseinanderlegen  der  Grofß- 
Antille  in  ihre  vier  gegenwärtig  uoch 
vorhandenen,  Beither  aber  wieder  stärker 
emporgehobenen  Hauptstücke.  Der  Ter- 
rassenbau, welcher  das  Ruckweise 
des  neueren  Emporsteigens  beweist  — 
bezw.  gewisse  Schwankungen  bei  dem 
Emporsteigen  — ,  ist  in  Jamaika  nicht  bo 
wohl  erhalten  wie  in  Ost-  und  West-Kuba, 
immerhin  aber  an  verschiedenen  Orten 
i  Yallahs  Point,  Moutego  Bay  etc  )  deutlich 
genug  sichtbar.  In  den  seichten  Küsten- 
gewässern  begannen  dabei  seit  der  Pliocän- 
zeit  auch  die  Korallentierchen  ihre  Bau- 
tätigkeit, und  zwar  auf  steigerndem 
Gruude  und  in  der  Folge  (während  des 
Pleistocän)  in  ihren  Riffen  zum  Teil  bis 
gegen  20  m  über  den  Meeresspiegel  empor- 
gehoben. 

In  einem  besonderen  Kapitel  diskutiert 
K.  T.  Hill  die  Beziehungen  der  jamaika- 
nischen Formationen  zu  denjenigen  der 
umherliegenden  Gegenden,  dabei  aufser 
seinen  eigenen  Beobachtungen  auch  die 
vorhandene  Litteratur  in  sehr  anerkennens- 
werter Weise  in  Rücksicht  ziehend.  So 
lange  der  geologische  Bau  der  Haupt- 
gebirge Haitis  und  Ost-Kubas  nicht  in 
gröfserer  Klarheit  vor  Augen  liegt,  als 
es  derzeit  der  Fall,  ist  aber  eine  feste 
Stellungnahme  hinsichtlich  der  dabei  be- 
rührten Kontroversen  schwer  möglich.  Eine 
jurassische  Landbrücke  zwischen  Nord- 
und  Südamerika  über  die  Bahamas  und  die 
Karibischen  Inseln  ist  nach  des  Verfassers 
Auffassung  in  gewisser  Weise  indiciert, 
während  diejenige  von  Panama  in  der 
gleichen  Zeit  nicht  vorhanden  war,  wohl 
aber  am  Ende  der  kretaeeischen  Zeit  und 
nach  der  frühtertiären  Überflutung  von 


neuem,  und  zwar  ununterbrochen,  seit  dem 
Mitteltertiär.  Die  bekannte  Rekonstruk- 
tion eines  Antillen- Kontinents,  wie  sie 
J.  W.  Spencer  versucht  hat,  und  das  ge- 
waltige Auf-  und  Abtauchen  dieses  Kon- 
tinent* in  plioeäner  und  postplioeäuer 
Zeit  wird  mit  gutem  Grund  abgelehnt. 
(Vergl.  Geogr.  Zeitschr.  Bd.  1.,  S.  415.) 

E.  Dcckert, 

Hanneke,  Dr.  Rudolf,  Erdkundliche 
Aufsätze  für  die  oberen  Klassen 
höherer  Lehranstalten  mit  12  Ab- 
bildungen     (Verkleinerungen  aus 
„Hölzeis   geogr.  Charakterbildern"). 
Glogau  1900,  Carl  Flemming.  VI  u. 
00  S.,  geb.  1.80. 
Es  sind  im  ganzen  sieben  kleine  Auf- 
sätze vereinigt,  fünf  über  die  lünf  Erd- 
teile, der  sechste  über  Deutschland ,  der 
letzte  nennt  sich  „Der  Sternenhimmel  und 
unser  Sonnensystem14.  Der  Verfasser  hofft 
mit  ihnen  Lust  und  Liebe  am  erdkund- 
lichen Wissen  bei  unserer  Jugend  mehr 
zu  kräftigen,  indem  er  sie  sich  als  eine 
Art  Repetitionslektüre  in  oberen  Gymna- 
sialklassen denkt.    „Die  Erdkunde  hat 
als  Unterrichtszweig  den  geänderten  (nicht 
mehr   „auglocentrischen")  Verhältnissen 
Rechnung  zu  tragen;  die  Schüler  müssen 
mit  besserem  geographischen  Wissen  und 
gröfserer  Klarheit  in  der  Auffassung  erd- 
kundlicher Übersichten  und  Vergleiche 
ins  Leben  treten"  lautet  das  Bekenntnis 
des  Verf.  über  den  Zweck  seines  Buches. 
Hoffen  wir,   dafs  die   Aufsätze  diesem 
Zwecke  dienen  mögen,  wenn  mir  auch 
die  mehr  geistreiche  als  zu  wissenschaft- 
lichem Denken  ermunternde  Form  nicht 
ganz  als  die  glücklichste  erscheint. 

Heinr.  Fischer. 


Neue  Bücher  and  Karten. 

Zusammengestellt  von  Heinrich  Brunner. 


Uenrhlc-ht«  der  Urographie. 

Günther,  Siegin.    Geschichte  der  an- 
organ.  Naturwissenschaften  im  19.  Jahrh 
1.— 3.  Tausend.    IG  Bildn.   XX,  984  S. 
(Das  10.  Jahrh.  —  Schienther.   Bd  ö). 
Berl.,  Bondi  1901.    JL  10.— 

Allgemeine  ph)  »lache  Urographie. 

Alpine  Majestäten  und  ihr  Gefolge.  Heft  II 
und  HI.    München  1001. 


Hcrbertson,  Andrew  J.  The  dist ribut ion 
of  rainfall  over  tho  land.  13  Karten, 
1  Taf.    II,  70  S.    Lond.,  Murray  1901. 

Kobclt,  W.  Die  Verbreitung  der  Tier- 
welt. Ca.  12  Taf.,  Abb.  im  Text. 
12  Lief.  Leipz.,  Tauchnitz  1901,  zu 
Jt  l.W. 

Wägler,  C.  Die  geographische  Ver- 
breitung der  Vulkane.   26  S.   2  Karten 

24* 


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356  Neue  Bücher 

(a.  d.  Mitt.  d.  Ver.  f.  Erdkunde).  Leipzig, 
Duncker  Ar  Humblot  1001. 

All^t-mdne  (tfojcraphir  dm  Jlnmrhf  n. 

(Seorge,  H.  B.  Relation»  of  geography 
and  history.  »04  S.  Lond.,  Frowde  1901. 
4  8.  6  d. 

B  a  t  z  e  1 ,  Frdr.  Der  Lebensraum ;  eine 
biogeograph.  Studie.  SA.  III,  87  S. 
Tübingen,  Laupp  1901.    .IL  2.50. 

(irnf«n>  Krdränmr. 

(i  runde  mann,  R.  Kleine  Missions  -IJeo- 
graphie  und  -Statistik  ...  44  Kartensk. 
62  u.  20»  S.   Calw,  Vereinsbuchh.  1901. 

M  8 .  — 

Ha  rtleben,  A.  Statistische  Tabelle 
über  alle  Staaten  der  Erde.  IX.  Jahrg. 
190 1  Wien,  Pest,  Leipz.  1 90 1 . 60  b .  =  60  * . 

Hartleben,  A.,  Kleines  statistisches 
Taschenbuch  über  alle  Staaten  der 
Knie.  VIII.  Jahrg.  1901.  Kearb.  von 
F.  Umlauft.   Wien,  Pest,  Leipz.  1901. 

Jan  nasch,  Rob.  Telegraphenkarte  für 
den  Weltverkehr  .  .  .  Herl.  1901. 

Kolonialatlas,  kleiner dexitscher;  hrsg. 
v.  der  deutsch.  Kolonialgesellsch.  8  färb. 
Karten,  6  S.  Text  N.  Ausg.  4°.  Herl., 
D  Reimer  1901.    ,k  1  — 

Geikie,   Sir  A.    Scenery   of  Scotland; 

viewed   in  connection  cd"  it«  physical 

geol.    III.  ,  4   maps.     662  S.    3rd  ed. 

Lond  ,  Macmillan  1901.    10  s 
Handbuch  der  Südküste  Irlands  u.  des 

Bristol-Kanals;  hrsg.   v.   der  Dir.  der 

deutsch.  Seewarte.    Mit  25  Küstenans. 

u.  10  Hafenpl.    2.  A.    XXII,   461  S. 

Hambg  ,  Fricderichsen  C.  Komm.  1901. 

.H,  3. 

Philippson,  Alfr  Beiträge  zur  Kennt- 
nis der  griech.  Inselwelt.  4  Karten.  172S. 
(Petorm.  Mitt  ;  Erg.-Hett  134  .  (Jotha, 
Justus  Perthes  1901.  .«10.- 

Seraphim,  Ernst.  Malerische  Ansichten 
aus  Li  vlaud,  Estland,  Kurland . . .  375  Aldi. 
250  S  4°.  Kiga,  Deubner  1901.  JL  20.— 

Mitteleuropa. 

Andresen,  H.  X.,  u.  H.  Bruhn.  Wand- 
karte v.  Schleswig-Holstein  1  :  160000. 
Farbdr  4  Hl.  zu  85,5x80,5  «  in.  Flens- 
burg, Westphalen  1901.    .*L  10  — 

Dix,  Arth.  Deutschland  auf  den  Hoch- 
strassen  des  Welt  Wirtschaftsverkehrs. 
X,  218  S.  Jena,  Fischer  1901.    .it  4.50. 


und  Karten. 

Gaebler,  Ed  Wand-Karte  von  Unter- 
Elsafs.  1:80000.  Farbdr.  4  Bl  zu 
71,5x65  cm.  (.Schweiler.  Boitze  1901. 
.€  13.50. 

Höhenschichtenkarte  der  norddeut- 
schen Stromgebiete;  Warb,  im  Bnr.  des 
preufs.  WasserausschusHC«.  1  :  1  000000. 
Farbdr.  4  Bl.  zu  41x61  cm.  Herl., 
D.  Keimer  1901.         10  — 

Holtheuer,  K.  Das  Thalgebiet  der 
Freiberger  Mulde.  X,  124  S.  Leisnig, 
Ulrich  1901. 

Nähert.  H.    Das  Deutschtum  in  Tirol. 
XVI.  128  S.  (Der  Kampf  um  das  Deutsch- 
tum. Heft  7.)    Münch.,  Lehmann  19»U 
.fc  2  — 

Schreiber,  Paul.  Orientierende  Unter- 
suchungen über  die  nieteorolog.-hydro- 
graph.  Verhältnisse  ...  im  Gebiete  des 
Weif8eritzfluB»esl894  97.  lTaf.  IV.45S. 
(Abb.  des  kön.  säehs  meteorolog.  Inst 
Hft  6).  4°.  Leipz,  Felix  Komm.  1901. 
.*  3  — 

Sieger,   Rob.    Die  Alpen.    19  Abb.  u. 
1  Karte.    170  S.  (Sammig (iöschen  129 
Leipz  ,  (löschen  1900.    . H.  —.80. 

Ule,  W.  Der  Wünnsee  ('Starnbergersee' ) 
in  Oberbayern.  Eine  limuologische 
Studie.  VI,  211  S.  16  Textfiguren.  5  Auto- 
typien u.  1  Atlas  von  8  Tafeln.  (Wiss. 
Veröl!',  d.  Ver.  f.  Erdk.  zu  Leipzig.  V>. 
8"  u.  4°.  Leipzig,  Duucker  &  Humblot 
1901.    .H  10.— 

Wandkarte  des  Elbe  -  Trave  -  Kanals 
1  :  100000.  Farbdr.  44x70  cm  Lübeck, 
(Sehr.  Borchers  1901.    .«£  1  50. 

Atlrn. 

Deasy,  H.  H.  P.  In  Tibet  and  Chinese 
Turkestan;  Wing  the  record  of  three 
years'  cxploration.  III.,  maps.  436  S. 
Lond.,  Unwin  1901.    21  s. 

De  bes.  E.    Schulwandkarte  v.  Asien 
1  :  7  400000  6  Hl.  zu  80x68  cm  Farbdr. 
Ausg.  BL  polit.  Kolorit.    Leipz  ,  Wagner 

\  Debe«  1901.  .<k  io.— 

Diel«,  L.   Die  Flora  von  Central  China  .  . 

SA.    5  Taf,  1  Karte.    489  8.  Leipz., 

Kugelmann  1901. 
Häfen,  die  wichtigsten,  Chinas  .  .  ;  hrsg. 

v.  der  Dir.  der  deutsch  Seewarte.  1 1  Taf. 

XI,  282  S.    Herl  ,  Mittler  k  Sohn  1901 
2  .60. 

Knochenhauer,  Bruno.  Korea.  Vortrag. 
1  Karte.  62  S.  fVerh.  der  deutsch  Ko- 
lonial-C.es.;    Abt.   Berlin  -  Charlottenbg 


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Neu  erschienene  officielle  Karten. 


357 


1900  01,  Heft  4).  Berl.,  D.  Keimer  1901. 
.«  1.20. 

Merzbacher,  Gottfr.  Au«  den  Hoch- 
regionen  des  Kaukasus  ...  3  Karton, 
Abb.  2  Bde.  Leipz.,  Duncker  k  Hura- 
blot  1901.    „«  40  — 

SaraBin,  Paul  u.  Fritz.  Pber  die  geolog. 
Geschichte  der  Insel  Celebes  auf  (Jrund 
der  Tierverbreitung.  15  Taf  VI,  169  S. 
Materialien  zur  Naturgeseh.  der  Insel 
Celebes.  Bd  3).  4".  Wiesbaden,  Kreidel 
1901.    .«  40.— 

Scott,  .1.  Geo.,   and  Hardiman,  J.  P. 
Gazettecr  ofl'pper  Burma  and  the  Shan 
States.    In  5  vol.  [I  u.  II  erschienen]. 
Map,  Plan,  III.    Rangoou  1900  f. 
Afrika. 

Dominik,  Hans.  Kamerun;  sechs  Kriegs- 
u.  Friedensjahre  in  deutschen  Tropen. 
26  Tat.,  51  Abb.,  1  Ubers  -Karte.  VIII, 
315  S.  Berl.  ,  Mittler  A:  Sohn  1901. 
.«  12.50. 

F  ü  1 1  e  b  o  r  n ,  F.  Ober  die  Nj  assa-Länder. 
Vortrag.  10  Lichtdr  -Bilder.  21  8.  ( Verh. 
der  deutsch.  Kolonial-ties. ;  Abt  Berl- 
Charlottcnbg  1900  01,  Heft  2).  Berl., 
D.  Keimer  1901.  1.20. 

Hassen  .  Kurt.  Der  Kampf  um  Südafr. 
u.  die  deutsch.  Interessen.  Sonderheft 
der  Beitr.  zur  Kolonialpolitik  u.  Kol  - 
wirtschaft.  27  S.  Berl.,  Süsscroth  1901. 
„«  —.60. 

Tavel,  K.    Sechs  Wochen  in  Marokko. 

Vortrag.    1  Karte,   13  Lichtdr.-Bildcr. 

22  S.  ('Verh.  der  deutsch.  Kolonial  ties. ; 

Abt.  Berl.-Charlottenbg  1900  01,  Heft  3). 

Herl.,  D.  Reimer  1901.  .«1.20. 
Vallat.  (Just.    A  la  conquetc  du  conti- 

nent  noir;  misnions  militnires  et  civiles 

de   1892   ü   1900  incl.    Grav.    365  S. 

Par.,  Tafh'n-Lefort  1901. 

Aafttrallarh«  limrtn. 

Garnier,  Jul.  Vovage  autour  du  monde; 
la  Nouvelle  -  Calcdonie  (cöte  orient  . 
III  VI ,  387  S.  N  ed.  Par.,  Plön- 
Nourrit  C.  1901.    Fr.  4  - 


3nrdanrrlka. 

M  a  p  of  the  Dominion  of  Canada. 
1:6336000.  Farbdr.  Ottawa,  Departm. 
of  the  Inferior  1901. 


Arid*,  Th.  Über  den  Parallelismus  der 
Küsten  von  Südamerika.  II,  85  S.  1  Karte. 
Diss.   Leipzig,  Naumann  1901. 

Polarrtglonea. 

Hugues,  L.  Le  esplorazioni  polari  nel 
bccoIoXLX.  10  carte  geogr.  VIII,  374  S. 
Milano,  Hoepli  1901.    L.  12.— 

Rabot,  Charles.  Les  vari«itions  de  lon- 
gueur  des  glaciers  dans  les  regions 
aretiques  et  boreales  .  .  .  Kxtr.  250  S. 
Geneve  et  Bale,  Georg  1900 

UeoaraphUrhFr  I  nterrlcht. 

Geistbeck,  M.  u.  A.  Leitfaden  der 
Geographie  f.  Mittelschulen. 
I.  Teil.  VII  u.  62  S.  .«  —  70.  14.  Aufl. 
II.  „  VIH  u.  72  S.  JC-  «o.  13.  Aufl. 
IIT.  „  IV  u.  71  S.  .«  —  .70.  12.  Aufl. 
IV.  ||  VII  u.  05  S.  M \—  .85.  11:  Aufl. 
München,  Oldenhourg  1901. 

Hörle,  K.  Geograph.  Charakterbilder  aus 
Schwaben ;  gemalt  v.  Paul  Schmalzried. 
6  Bilder  Farbdr.  80x60  cm.  Nebst  Text 
Stuttg.,  HobbingA- Büchlel901.  Einzeln 
zu  .«  3. — 

Pütz.  W.  Lehrbuch  der  vergleichenden 
Erdbeschreibung  für  die  oberen  Klassen 
höherer  Lehranstalten  u.  z.  Selbstunter- 
richt 17.  verb.  Aufl.,  bearb.  v.  F.  Behr. 
XVI,  380  S.  Freiburg,  Herder' sehe  Ver- 
lagsh.  1901.  geh.  .«  8.—,  geb.  .«3.45. 
stauten;  5:  Ulm  u.  sein  Münster.] 

Rusch,  Gust.  Lehrbuch  der  Geographie 
für  österr.  Lehrer-  u.  Lehrerinnen-Bil- 
dungsanstalten ...  Tl.  I.  IL,  320  S. 
Wien,  Pichlers  Witwe  1901. 

Vrraammlnnaen. 

Verhandlungen  des  siebenten  internat 
Geographen  -  Kongresses  ,  Berlin  1899. 
2  Tie.    Abb.,  Taf.    IV,  455;  XV,  981  S. 
i     Berl.,  Kühl  1901.    .«  20.— 


Neu  erschienene 

1.  Deutsches  Reich. 
Karte  des  Deutschen  Reiches 
1:100  000.    231  Haren.    255  Laar.  256 
Lingen.    261  Neustadt  am  Rübenberge. 
282  Kheine.    2*1  Lübbecke.   30»  Biele- 


offlcielle  Karten. 

feld.     311  Hildesheim.     333  Detmold. 
334  Höxter.    35«  Brakel.   359  l'slar. 
Mefstischblittter    zur    Karte  des 
Deutschen  Reichs.   1:26000.  329 
Ouaschin.  390  Zuckau.  461  Prangenau. 


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358  Neu  erschienene 

538  Gr.  Ta^au  639  Subbowitfc  r>41 
fJr.  Lichtenau.  1083  Roggenhausen. 
1109  Neustadt  -  Gödenz  1110  Stein- 
hausen  1111  Jadebusen.  1112  Atens. 
1113  Loxstüdt.  1114  Beverstädt.  1173 
Sartowitz.  120O  Neuenburg  i .0.  1201 
Varel.  1203  Brake.  1204  Hagen  i,  Hr. 
1205  Hambergen.  1284  Apen.  1285 
Westerstede.  1286  Wiefelstede.  1289 
Schwanewede.  1290  Osterholz.  1297  Holm. 
1299  Kirchgellersen.  1365  Baresel.  1366 
Edewecht.  1370  Vegesack.  1371  Lesum. 
1445  Scharrel.  1446  Friesoythe.  1447 
Littel.  1448  Wardenburg.  1449  Kirch- 
hatten. 1450  Delmenhorst.  1520  Garrel. 
1521  Grossenkneten.  1522  Dötlingen. 
1523  Harpstedt.  1524  Lykc.  1533  Eimke. 
1535  Ülzen.  1588  Sögel.  1589  Werete 
1590  Molbergen.  1591  Cloppenburg. 
1593  Wildeshausen.  1594  Twistringen. 
1604  Unterlans.  1667  Kl.  Berssen. 
1658  Holte.  1659  Löningen.  1660 
Essen  i/O.  1662  Vechta.  1729  Hase- 
lünne. 1730  Herzlake.  1731  Berge. 
1732  Quakenbrück.  1733  Dinklage. 
1734  Lohne.  1744  Winsen  a/Aller. 
1745  Celle.  1801  Backum.  1802 
Lengerich  i/Hann.  1803  Fürstenau 
i/Hann.  1804  Bersenbrück.  1*05  Hol- 
dorf.  1816  Fuhrberg.  1890  Heinersen. 
2020  Vechelde.  2026  Braunschweig. 
2093  Hamm.  2258  Bobersberg.  2479 
Sagan.  2482  Neustädte!.  2654  Sprottau. 
2555  Primkenau.  25H4  Rüthen.  2586 
Alme.  2586  Madfeld.  2658  Eversberg. 
2669  Brilon.  2666  Adorf.  2728  Böde- 
feld. 2729  Niedersfeld.  2730  Goddels- 
heim. 3038  Weyerbusch.  3158  Wald- 
breitbach. 3159 Dierdorf.  3214 Neuwied. 

Seekarte  der  Kais.  Deutschen  Admiralität 
Nr.  16:  Ostsee.  Westküste  von  Kurland, 
Nördl.  Teil.     1  :  160  000.  1.40.  — 

Nr.  17:  Ostsee.  Westküste  von  Kurland, 
Südl.  Teil.    1  :  150  000.  1.25. 

Kart  ed.  DeutschenReiches.  1 :100  0oo 
Vergl.  Eisensebmidt's  Einsendungen  an 
d.  Red.  d.  Zeitschr. 

Kar  ted.  Deut  sehen  Reiches,  ltiooooo. 
Abt.  Königr.  Bayern  Nr.  670;  Oberst- 
dorf. Kpfrst.  u.  kol.  .<£  1.60.  —  Nr. 
662 :  Füssen.  Nr.  673 :  Vereinsalpe. 
Buntdr.-Ausg.  ä  M  1.50. 

Meßtischblätter  des  Preufsischen 
Staates.  1:96000.  Vergl.  Eisen- 
schmidt's Einsendungen  an  d.  Red.  d. 
Zeitschr. 


officielle  Karten 

Höhenschichtenkarte  der  nord- 
deutschenStromgebiete.  Bearbeitet 
im  Bureau  des  preufs.  Wasserausschusses. 

I  :  1000  000.  4  Bl.  ä  41  X  61  cm. 
Farbdr.    Jt  10.— 

Generalkarte  von  Württemberg  in 

6    Bl.       1  :  200000.       Bl.    IV :  Ulm. 

47  x  69,6  cm.    Kupferst.    .H.  2.— 
Höheukurvenkarte  vom  Königreich 

Württemberg.     1:26  000.     BL  36: 

Weissach  47,6  x  62,5  cm.  Kupferst. 

h.  Farbdr.    ,-ft  2. — 
GeologischeSpezialkartedestirofs- 

her/.ogtumB  Baden.  1:25 WO.  Farbdr. 

mit  Erl.  Nr.  43:  Rappenau  v.  F.  Schalch 

—  Xr.  93:  Haslach  von  H.  Thürach. 

II  t  K  <2 .  • — ■ 

Geologische  Spezialkarte  d.  Königr. 
Sachsen.  1:26  000.  Farbdr.  m.  Erl. 
Nr.  146:  Johanngeorgenstadt  v.  F.  Schalch. 
2.  Aufl.  rcv.  von  C.  Gabert.  .«8.- 

2.  Frankreich. 

Carte  de  la  France.  1 : 100  000.  Feuille 
VHI  — 10:  Les  Picux  —  X VIII  — 22: 
Moulins.  —  IX -26:  He  d'Oleron.  — 
XUI  — 31:  Villeneuve-sur-Lot.  —  XXV 

—  19:  Beaumc  les  Dames. 

Carte  topographique  de  l'etat- 
major.  Carte  geologique  detaillöe. 
1 : 80  000.  Feuille  25 :  Longwy .  —  36 :  Metz. 

—  232  :  Bedarieux.  —  16  :  Les  Pieux. 
ä  Jfc  6  — 

Carte  de  France.  1:50  000.  Agran- 
dissement  photograpbique  de  la  carte 
au  80  000".  Die  Blätter  sind  mit  wenigen 
Ausnahmen  fast  vollständig  erschienen. 
Die  Blatteinteilung  ist  mit  der  Ein- 
teilung der  Karte  in  1  :  80  000  identisch. 
Preis  pro  l/4  Matt  .iL  -.50. 

Atlas  des  colonies  francaises,  dresse" 
par  ordre  du  ministere  des  colonies. 
Nr.  18:  Madagascar,  partie  centrale 
(feuille  Nord)  —  Nr.  19:  Madagascar, 
partie  centrale  (feuille  Sud).  —  Nr.  23: 
Inde  et  Guyane.  —  Nr.  6:  Alge"rie.  — 
Nr.  6:  Tunisie. 

3.  England 

Englische  A  d  m  i  r  a  1  i  t  ä  t  s  k  a  r  t  e  n. 
Nr.  117:  Faeroe  Islands.  2  6.  —  2058 
North  Atlantie  Route  Chart.  2  6.  — 
171.  Plans  on  the  east  coast  of  New- 
foundlaud:  Hooping  harbour.  Fourche 
harbour.  16.  —  3141.  Ncwfoundland: 
Little  Harbour  Deep  and  Union  cove. 


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Zeitschriftenschau. 


350 


1/6.  —  3017.  Lake  Superior :  Duluth 
and  Superior  harbours.  1/6.  —  2827. 
Cuba,  north  coast:  Port  Gibara.  1 '6.  — 
290H.  Africa,  south  coast:  Port  Natal 
entrance.  1/6.  —  1646.  Bay  of  Bengal: 
Moulmeiu  harbour.  1/6.  —  3154.  Japan. 
Inland  sea':  Drainage  to  Futakami  Jinia. 
2  6.  —  31H3.  Queensland,  east  coast: 
Cairns  harbour.  2/.  —  8155.  Queena- 
land, .-asf  coast:  Flinders  group.  1/6. 

—  8170—3175.  Antarctic  Uceau,  sheet 

I-VL 

4.  Serbien. 

Neue  Spezial  karte  von  Serbien. 
Nach  der  Spezialkarte  des  königl. 
serb.  Geueralstabes.  1:75  000.  XXV11. 
21.  Prnjavor.  —  XXVIII.    21.  Krupanj. 

—  22.  Valjevo.  —  23.  Arangjelovac. 

—  24.  Palanka.  -  25.  Petrovac.  — 
XXIX.  22.  Gomja  Toplica.  —  23.  Gornji 
Milanovac,  —  24.  Kragujevac.  —  25.  Zagu- 
bicn.  -  XXX.  22.  Ivanjica.  -  23.  Kral- 
jevo.  —  24.  Krusevac.  —  25.  Aleksinac. 

—  26.  Knjazevna.  —  XXXII.    26.  Nis. 

5.  Afrika. 

Carte  de  l'Afrique,  publiee  par  le 
Service  geographique  de  Faruiee. 
1  :  2  (MIO  000.  Feuille  Nr.  33  :  Benin, 
(region  equatoriale).  —  Nr.  30:  Berbera 
(r^gion  Orientale).  —  Nr.  38 :  Moukdicha 
(region  equatoriale),  ä  JL  1.— 


Carte  de  l'Alglrie.  1:200000.  Publiee 
par  le  Service  geographique  de  l'armee. 
Feuille  Nr.  35:  Guelt  es  Stel.   JL.  —.70. 

Carte  topographique  de  l'etat- 
major.  Carte  geologique  detail lee 
de  l'Algerie.  1:60000.  Nr.  208: 
Beni-Saf. 

Carte  de  la  Tunisie.  Publiee  par  le 
Service  geographique  de  l'armee.  1:50000. 
Feuille  Nr.  1:  Kef  Abbed.  —  Nr.  27: 
Medjez  el  Bab.  —  ä  JL  1.50. 

Carte  de  la  Tunisie.  1:100000.  Feuille 
Nr.  26:  Djebina.    ,*  1.20. 

Carte  de  l'Ktat  Independant  du 
Congo.  1  :  2  000  000.  Dressee  par 
A.  J.  Wauters.    4  Bl.  .«7.50. 


6.  Asien, 
de  l'Asie.   Publiee  par  le  Service 


Cartt 

geographique  de  Tarniee.  1:1000000. 

Feuille    28—132:    lies   Hokoubou.  — 

Feuille  32—132:  Kagoshima,  ä  JL  1.25. 
Karte    des    Kriegsschauplatzes  in 

China.    Herausgegeben  v.  d.  kart.  Abt. 

d.  kgl.  pr.  Landesaufnahme.   1  :  300000. 

Sektion:   Ho  kien  fu.     JL   —.75.  — 

Sektion:  Peking.    JL  1.50.  —  Sektion: 

Schau  hai  kwan.    JL  1.50. 
Carte  du  bassin  inferieur  du  Yang- 

Tse-Kiaug.     (Asie   au  1:10000000 

Publiee  par  le  Service  geographique  de 

lannee.    JL  1.60. 

Dr.  Max  Friederichsen. 


Zeitschriftenschau. 


Petermann's  Mitteilungen.  1901.  4.  Heft. 
Hjort:  Die  erste  Nordmeerfahrt  des  nor- 
wegischen Fischereidampfers  „Michael 
Sars"  i.  J.  1900.  —  Der  geographische 
Unterricht  an  den  deutschen  Hochschulen 
im  S.-S.  1900.  —  Meinardus:  Die  Haupt- 
ergebnisse der  wissenschaftlichen  Ballon- 
fahrten in  Norddeutschlaud.  —  Krahmer.- 
Nachrichten  von  der  Expedition  Kozlow. 
—  Fried  richsen:  Nachrichten  über 
Prof.  Fischer's  Reise  nach  Marokko. 

Das».  Ergänzungsheft  Nr.  134. 
Philippson:  Beitrage  zur  Kenntnis  der 
griechischen  Inselwelt. 

Globtt*.  Bd.  LXXIX.  Nr.  15.  Par- 
kinson: Die  Einwohner  der  Insel  St. 
Matthias.  —  Förster:  Deutsch-Ostafrika 
1899/1900.  —  Mewius:  Deutsche  Nutzbar- 
machungen auf  der  Bäreninsel  —  R.  Par- 


kinson. —  Jachmann:  Das  Klima  des 
Kamerungebietes.  —  Kannengiefser: 
Der  deutsche  Export  nach  den  Tropen 
und  die  Ausrüstung  für  die  Kolonien.  — 
Die  Kabelverbindungen  Deutschlands  mit 
seinen  Kolonien. 

Da.ts.  Nr.  16.  Hagen:  Eine  Bestei- 
gung des  Vulkans  Kaba  auf  Sumatra.  — 
Ihm:  Ein  römisches  Mosaik  ans  Veji.  — 
Tetzner:  Klete  und  Swime.  —  Parkin- 
son: Die  Insel  St.  Matthias.  —  v.  Bruch- 
hausen: Fortschritt  in  der  Erkenntnis 
des  Wetterschiefsens.  —  Fried  richsen  : 
Weitere  Nachrichten  von  Sven  Hedin. 

Das*.  Nr.  17.  Preu  fs:  Die  Schicksals- 
1  bücher  der  alten  Mexikaner.  —  Nehring: 
Fossile  Kamele  in  Rumänien  und  die 
pleistocilne  Steppenzeit  Mitteleuropas.  — 
Hagen:   Eine  Besteigung  des  Vulkans 


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360 


Zeitschriftenschau. 


Kaba  auf  Sumatra.  —  v.  Seidlits:  Das 
uordrussische  Seengebiet.  —  Z  i  in  in  er- 
mann: Ein  australische«  [nielreich  Neil- 
Seeland. 

Dass.  Nr.  1H.  Luschan:  Schwalbe's 
neue  Untersuchung  des  Ncanderthal  - 
Schädels.  —  Hagen:  Eine  Besteigung  des 
Vulkans  Kaba.  —  Grünwedel:  Bilder 
zur  Kesarsage.  —  Carlsen:  Stonehenge. 

—  v.  Buchwald:  Zur  Frage  nach  dem 
Alter  der  Schraube.  --  de  Vries:  Heise 
nach  Key,  Tenimber  und  Aru. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XX11I.  Jhrg.  8.  Heft. 
Hermann:  Die  beschränkte  Bedeutung 
der  Bagdadbahn  und  ihre  Gefahr.  — 
Zweck:  Bilder  von  der  russischen  Grenze. 

—  Trampler:  Das  „Burgverlies"  im 
mährischen  Karst.  —  Der  Ararat.  — 
D int  er:  Kreuz-  und  Quersäge  in  Deutsch- 
Süd  westafrika. 

Deutsche  (i eog r arische  Blätter.  XXIV. 
Heft  1  u.  2.    Wied  ein  an  n:  Ein  Besuch 
in  Herbertshöhe.  —  Friedrich:  Die  Kaut 
schukproduktion  Afrika».  —  Le  Mang: 
Die  Dünen  der  französischen  Nordküste 

Jung:  Viehstand  und  Fleischhandel 
in  Nordamerika, 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  XXII. 
Jhrg.  7.  Heft.  Schöne:  Die  politisch- 
geographische Auffassung  des  Staates.  — 
S t ü  b  1  e r :    Tber  Landschaftsschilderung. 

—  Zu  den  Grundsätzen  für  Lehrbücher 
der  Geographie. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1901.  4.  Heft. 
He  11  mann:  Die  Entwicklung  der  me- 
teorologischen Beobachtungen  bis  zum 
Ende  des  XVII.  Jahrhunders,  —  Klein: 
Cirrus-  Studien. 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde.  1901. 
1.  Heft.  Bok:  Die  Breusch.  —  Ziegler: 
übe-  die  Notwendigkeit  der  Einbeziehung 
von  Thalsperren  in  die  Wasserwirtschaft. 

The  Geographica!  Journal.  Vol.  XVII. 
Nr.  5.  Hol  dich:  The  Geography  of  the 
North -West  Frontier  of  India.  —  Ber- 
nacchi:  Topography  of  South  Victoria 
Land.  —  Austin:  Survey  of  the  Sobat 
Region.  de  Free:  Notes  of  a  Journey 
on  the  Taua  River,  1809,  —  Beazley: 
Madaba  Map.  —  The  Sculpture  of  Desert 
Regions.  Launch  of  the  Antarctic  Sbip 
,,  Discovery". 

The  Scott ish  Geographica!  Magazine 


]  May  1900.  Holdich:  Railway  Connection 
with  India.  —  Cadeil:  A  Sail  down  the 
Irrawaddy. 

La  Geographie.  1901.  Nr.  4  Lap- 
parrent:  La  trouvaille  d'un  oursin  fossille 
dans  le  Sahara.  —  Rabot:  Le  contlit 
chilo-argentin  et  les  phenomeucs  de  cap- 
ture  ilans  la  Cordillere  des  Amles. 
Garnier:  L'aucien  „desert  Victoria" 
(Australie  occidentale).  —  Backlund: 
Mesure  d'un  arc  de  meridien  au  Spit*berg. 

—  Rabot:  Resume  des  travaux  des  mis- 
sions  suedoises  pour  la  mesure  d'un  ari- 
de meridien  au  Spitsberg.  —  Clozel: 
Bingerville.  —  Moureaux:  Resultats 
magiietiques  de  l'expedition  Nansen. 

Herne  de  Geographie.  1901.  Avril. 
Brugierc:  L'expansion  europeenne  ä  la 
üu  du  XIX  siecle.  —  Dorniu:  Dans  le 
nord  du  Soudan  francais.  —  Massieu: 
Les  territoires  militaires  du  Tonkin.  — 
de  Baye:  Chez  les  Tatars.  —  Rayaud: 
Fromenades  en  Extremc-Orienti  lH9f>-l*9H  . 

Hu:  Geogr.  Jtal.  VIII.  Aprilheft. 
II  Quarto  Congresso  (ieogratico  Italiano. 
Bertacchi:  II  Prof.  Matteo  Fiorini  e  la 
Geogratia  Matematica.  —  (irasso:  Sul 
cambiamento  di  nome  nei  Comuui  attuali 
d'Italia.  —  Melzi:  < »»servazioni  tronio- 
nietricho.  -  Alfani:  Osservatorio  Xiuie- 
metiiauo  di  Firenzi.  —  Marinelli:  Nehbie 
e  piogge  rosse  del  10  Marzo.  —  La  Geo- 
gratia  e  la  carta  agronomica  d'Italia. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1901.  April.  Mettee:  The  Old  Yuma 
Trail.  (ireely:  Advances  in  Geographie 
Knowledge  during  the  XIX  Century.  — 
Navarro:  Mexico  of  Today. 

The    Journal    of  School   Geograph y 
Vol.  V.    Nr.  4.    From  Para  to  Manaos. 

—  Blount:  Exercises  on  l'nited  Staates 
Topographicul  Maps.  —  Abbott:  Obser- 
vation* on  the  Tcmperature  of  Spring 
Water.  —  Dodge:  A  School  Course  in 
Geography. 

Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

Brunhes:  Instituts  Geographiques  et 
Chambres  de  Commerce  en  Alleinague 
h'crue  Internationale  de  V Enseiynement 
1901. 

Burckhardt:  Traces  geologiques  d'un 
ancien  coiitinent  pacifique  Kecista  del 
museo  de  la  Plata.  X. 


Verantwortiii  her  HerausKol.er :  l'iof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Hoiilelberg 


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Das  mitteleuropäische  Landschaft sbild  nach  seiner  geschichtlichen 

Entwicklung. 

Von  Dr.  Rob.  Gradmann  in  Forchtcnbcrg  (Württemberg). 

Alexander  v.  Humboldt  hat  den  Satz  ausgesprochen:  „Wenn  auch  der 
Charakter  verschiedener  Weltgegenden  von  allen  äufseren  Erscheinungen  zu- 
gleich abhängt,  wenn  Umrifs  der  Gebirge,  Physiognomie  der  Pflanzen  und 
Tiere,  wenn  Himmelsbläue,  Wolkengestalt  und  Durchsichtigkeit  des  Luftkreises 
den  Totaleindruck  bewirken,  so  ist  doch  nicht  zu  leugnen,  dafs  das  Haupt- 
bestimmende  dieses  Eindrucks  die  Pflanzendecke  ist."1)  Diese  Worte  ent- 
halten die  Rechtfertigung  des  Sinnes,  in  welchem  von  einer  Geschichte  der 
mitteleuropäischen  Landschaft  hier  die  Rede  sein  soll.  Innerhalb  des  ge- 
schichtlichen Zeitraums,  auch  wenn  man  diesen  Rahmen  möglichst  weit  fafst, 
hat  das  Grundgerüste  unserer  Landschaft  schwerlich  mehr  eine  durchgreifende 
Veränderung  erlitten.  Wohl  haben  die  geologischen  Kräfte  der  Verwitterung 
und  Abtragung  ununterbrochen  fortgewirkt;  auch  Massenverschiebungen  finden 
noch  fortwährend  statt;  der  Kampf  zwischen  Meer  und  Festland  wogt  hin 
und  her;  die  Flüsse  arbeiten  ihr  Bett  aus,  es  hier  vertiefend,  dort  mit  ihrem 
Geschiebe  erfüllend;  die  Binnenseen  gehen  durch  allmähliche  Zuschüttung  und 
Verwachsung  langsam  ihrem  Aussterben  entgegen2).  Allein  diese  Vorgänge 
alle,  so  anziehend  und  wichtig  sie  sind  und  so  gründlich  sie  einzelne 
Örtliehkeiten  umgestaltet  haben  —  sie  haben  doch  in  allzu  kleinem  Mafsstab 
gewirkt,  um  auf  den  Gesamtcharakter  der  mitteleuropäischen  Landschaft 
eiuen  entscheidenden  Einflufs  zu  gewinnen.  Das  einzige  Landschaftselement, 
das  eine  wirklich  vollkommeue  Umwälzung  innerhalb  des  gegebenen  Zeit- 
raums erlitten  hat,  ist  die  Bodenbedeckuug,  das  Pflanzenkleid  der  Erde. 
In  einer  Geschichte  der  wechselnden  Bodenbedeckung  wird  eine  Darstellung 
der  Landschaftsgeschichte,  sobald  man  die  Aufgabe  streng  fafst  und  sich 
zugleich  auf  das  Wesentliche  beschränkt,  nahezu  aufgehen  müssen.  Sie 
behält  auch  in  dieser  Einschränkung  das  Recht  auf  ihren  Namen,  weil 
gerade  die  Pflanzendecke  es  ist,  die  in  jedem  Landschaftsbilde  den  Ausschlag 
zu  geben  pflegt. 

1)  AI.  v.  Humboldt,  Ansichten  der  Natur.   3.  Aufl.   184».    S.  20. 

2)  Unter  dem  Gesichtspunkt  der  Landschaftsgeschichte  sind  die  genannten 
Vorgänge  eingehend  gewürdigt  von  J.  Wimmer,  Histor.  Landschaft.skunde.  1885. 
(hier  auch  die  geophysikalische  Litteratur) ,  und  neuerdings  von  Kd.  Brückner, 
Die  schweizerische  Landschaft  einst  und  jetzt.    Kektoratsrede.  1900. 

Ueogr»phi»cbo  Zeitschrift.  (.Jahrgang.  1901,  T.Heft.  26 


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362 


Rob.  Gradiuann: 


t 

Dasjenige  Problem  der  Landschaftsgeschiehte,  das  jedenfalls  vor  allem  andern 
erledigt  sein  mnfs,  ist  der  Wiederaufbau  der  Urlandsehaft,  Diese  Frage, 
die  trotz  ihrer  grofsen  Tragweite  und  aufserordentlich  vielseitigen  Bedeutung 
häufig  nur  oberflächlich  gestreift  und  mit  unklaren  Vermutungen  abgethan  wird, 
läfst  sich  verschieden  formen.  Man  kann  die  Fragestellung  zunächst  so  wenden: 
Welchen  Anblick  würde  die  mitteleuropäische  Landschaft  heute  darbieten, 
wenn  der  Mensch  nie  seinen  Fufs  auf  europäischen  Hoden  gesetzt  hätte? 
In  diesem  Fall  wird  man  die  bekannten  GröTsen,  mit  deren  Hilfe  die  gesuchte 
unbekannte  zu  errechnen  ist,  unmittelbar  der  Gegenwart  entnehmen. 
Es  läfst  sich  ja  feststellen,  in  welcher  Weise  die  Kultur  auf  die  land- 
und  forstwirtschaftlich  benutzten  Hodenflächen  einwirkt;  es  mufs  sich  daher 
diese  Einwirkung  auch  im  Geist  wieder  ausschalten,  Natur  und  Kunst 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  unterscheiden  lassen.  Ferner  sind  gewisse 
Trümmer  der  Urlandsehaft  noch  bis  heute  inmitten  der  Kulturflächen  mehr 
oder  weniger  unversehrt  erhalten  geblieben;  ja  der  noch  immer  vorhandene 
Reichtum  der  Flora  läfst  darauf  schliefsen,  dafs  kein  wesentlicher  Typus  der 
mitteleuropäischen  Urlandsehaft  gänzlich  verloren  gegangen  ist.  Indem  nun 
solche  Trümmer  der  Urlandsehaft  auf  ihre  Daseinsbedingungen  und  Erscheinungs- 
formen sorgfältig  untersucht  und  namentlich  auch  mit  den  bedeutenderen 
Resten  ursprünglicher  Vegetation  in  auswärtigen  Ländern  verglichen  werden, 
sollte  es  zuletzt  gelingen,  für  jede  Bodenform  wenigstens  anuähernd  zu  be- 
stimmen, welche  Art  von  Pflanzenbedeckung  ihr  eigentlich  von  Natur  zukommt. 
Aus  allen  die9en  Einzelbildchen  entsteht  dann  ein  Bild  der  Urlandsehaft, 
das  über  allgemeine,  unbestimmte  Vermutungen  erhaben  ist  und  Anspruch  auf 
Wahrscheinlichkeit  machen  darf. 

Lassen  wir  unter  diesen  Gesichtspunkten  die  Hauptbestandteile  der 
gegenwärtigen  Landschaft  an  uns  vorüberziehen,  so  wird  es  uns  verhältnis- 
mäfsig  noch  sehr  leicht,  alle  menschlichen  Hoch-  und  Tiefbauwerke,  die 
Wohnstätten  und  gewerblichen  Anlagen,  die  Strafsen-  und  Eisenbahnbauten 
aus  dem  Laudschaftsbild  uns  wegzudeuken.  Etwas  schwieriger  wird  die 
Unterscheidung  von  Natur  und  Kunst  schon  bei  den  Gewässern  und  deren 
unmittelbarer  Umgebung,  den  Binnenseen  und  Weihern,  den  Flüssen  und 
Bächen.  Die  künstlich  angelegten  Stauweiher  kommen  für  das  Landschaftsbild 
im  großen  kaum  in  Betracht.  Sehr  bedeutend  aber  sind  die  Veränderungen, 
welche  die  Wasserlänfe  jeglicher  Art  und  Gröfse  durch  künstliche  Ein- 
dämmung erleiden.  Der  geregelte  Lauf,  mit  dem  jetzt  die  meisten  unserer 
Flüsse  zwischen  glatten,  gleichmäfsig  verlaufenden  Uferböschungen  in  die 
wohlgeebnete  Thalsohle  einschneiden,  ist  ja  ein  durchaus  unnatürlicher  Zustand. 
Der  freie,  ungebändigte  Strom  kennt  diese  Regelmäfsigkeit  nicht;  er  strebt 
beständig  sein  Bett  zu  verlegen.  Bald  gräbt  er  sich,  durch  irgend  ein 
Hindernis  abgelenkt,  in  die  steile  Thalwand  ein,  um  von  dort  zurückgeworfen 
wieder  in  entgegengesetzter  Richtung  das  Thal  zu  durchqueren;  bald  wird 
die  so  entstandene  Schlinge  bei  Hochwasser  und  Kisgang  wieder  abgeschnitten, 
indem  der  Strom  sein  Hindernis  durchbricht.     So  wird  der  Thalgrund  in 


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Das  mitteleurop.  Landschaftsbild  nach  seiner  geschieht).  Entwick).  363 

zahllose  Inselchen  und  Schollen  zerschnitten,  mit  Geröll  überschüttet,  der 
Strom  in  regellose  Arme  zerteilt,  und  auch  die  vom  Hauptstrome  abgeschnittenen 
verlassenen  Teile  des  Bettes  bleiben  als  Altwasser  und  Tümpel  bestehen,  um 
höchstens  allmählich  zu  Röhricht,  Moor  und  Bruch  zu  verwachsen.  Eine 
derartige  Stromwildnis  zeigten  bis  in  die  neueste  Zeit  und  zeigen  zum  Teil 
heute  noch  der  Oberrhein,  die  Donau,  Bier,  Lech,  Isar  und  andere  Alpen- 
ströme in  ihren  Oberläufen.  Früher  war  das  der  allgemeine  Zustand.  Es 
ist  wichtig,  diese  Thatsache  festzuhalten,  weil  sie  mit  der  vielverbreiteten 
Anschauung,  als  ob  gerade  die  Sohlen  der  Stromthäler  in  alter  Zeit  eine 
besonders  günstige  Stätte  für  Wanderung  und  Ansiedlung  geboten  hätten,  in 
unvereinbarem  Widerspruch  steht. 

Einen  recht  ursprünglichen  Landschaftstypus  stellen  ohne  Zweifel  die 
im  norddeutschen  Tiefland  wie  auch  im  Alpenvorland  so  verbreiteten  Moore, 
Wiesen-  und  Hochmoore,  dar,  wenigstens  soweit  sie  nicht  entwassert  und  der 
Torfnutzung  unterworfen  sind. 

Dafs  von  der  Bodeubedeckung  des  trockenen  Landes  die  Waldungen 
im  allgemeinen  dem  Urzustand  noch  am  nächsten  kommen,  bedarf  ebenfalls 
nur  der  Erwähnung.  Wo  heute  Wald  steht,  da  ist  auch  für  die  Urlandschaft 
Waldbedeckung  anzunehmen.  Auf  die  Umgestaltung  der  Waldbilder  durch 
die  Forstwirtschaft  kommen  wir  noch  zu  sprechen. 

Auch  bezüglich  des  Acker-  und  Gartenlandes  kann  ein  Zweifel  kaum 
bestehen.  Es  giebt  in  Deutschland  keinen  Ackerboden,  der  nicht  mit 
Leichtigkeit  in  Wald  umzuwandeln  wäre;  läfst  man  ihn  verwildern,  so  be- 
stockt er  sich  von  selbst,  sobald  nur  Gelegenheit  zum  Samenanflug  gegeben 
ist.  Das  ist  oft  beobachtet  worden1),  und  wir  dürfen  unbedenklich  annehmen, 
dafs  das  gesamt«  Ackerland  Deutschlands,  soweit  es  nicht  durch  Entwässerung 
von  Mooren  und  Brüchen  entstanden  ist,  von  Natur  für  den  Wald  bestimmt 
ist;  kein  Forstmann  wird  daran  zweifeln.  Dagegen  bieten  unsere  Weinberg- 
lagcu,  östlich  vom  Rhein  fast  durchaus  auf  sonnige  Berghänge  beschränkt, 
für  den  geschlossenen  Hochwald  keine  Stätte  mehr.  Nur  ein  lichter  Busch- 
wald ist  diesen  trockenen  Standorten  eigen;  ein  solcher  pflegt  sich  auch  in 
wieder  aufgelassenen  Weinbergen  einzustellen2);  Aufforstung  gelingt  ausser- 
ordentlich schwer. 

Strittig  wird  die  Frage  nach  der  Urvegetatiou  erst  bei  den  verschiedenen 
Formen  des  Gras-  und  Heidelandes.  Hier  stehen  sich  die  Ansichten  wenigstens 
scheinbar  sehr  schroff  gegenüber.  Die  einen  sprechen  von  dem  natürlichen 
Grasland  Mitteleuropas  wie  von  einer  selbstverständlichen  Sache;  der  saftige 

1)  Systematische  Beobachtungen  aus  neuerer  Zeit s  Hoffmann,  Untersuchungen 
zur  Klima-  und  Bodenkunde  Bot.  Ztg.  1865.  Beil.);  Fliehe,  Un  reboisement  (A.  Sc. 
agronomique  I.  1888.  —  Bot,  Jahrb.  hsg.  v.  Kngler  XI.  18!»0.  Litt.-B.).  Beispiele 
spontaner  Bewaldung  von  Ackerland  liefern  die  Sammlungen  mittelalterlicher  Ur- 

W  künden  in  Menge;  Zusammenstellungen  finden  sich  bei  A.  Schwappach,  Hand- 
buch der  Forst-  und  Jagdgesehichte  Deutschlands  (1880.  S.  37,  162,  182)  und 
K.  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter.    1880.    1.  S.  131. 

2)  M eigen  hat  in  den  sächsischen  Reblausherden  die  allmähliche  Besiedelung 
des  Bodens  mit  wildwachsenden  Pflanzen  systematisch  beobachtet  Bot.  Jahrb.  hsg. 
v.  Engler  XXI.    1890.    S.  212). 

26» 


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3<>4 


Roh.  Gradmann: 


Wiesenteppich  unserer  Flufsthiiler,  die  dürren  Weideflächen  unserer  Höhen, 
die  unübersehbaren  Heidou  des  nord westdeutschen  Tieflandes  tragen  für  sie 
das  unverkennbare  Gepräge  der  Urwüchsigkeit.  Andere  sehen  in  dem  allem 
nur  Kulturprodukte.  Am  schärfsten  ist  in  dieser  Hinsicht  der  Ausdruck 
Sehlatter's1):  „Ks  ist  einzig  der  regelmäßigen  Handhabung  der  Sense  zu 
verdanken,  dafs  unsere  Wiesen  ihren  floristischen  Charakter  behalten,  d.  b.  nicht 
zu  Wald  werden.  Unsere  jetzige  Wiesenflora  ist  direkt  vom  Menschen,  d.  h.  seiner 
Bodenbenutzung  abhängig.    Ohne  Sense  und  Heuernte  keine  Wiesenflora.1' 

Indessen  scheint  der  Gegensatz  doch  mehr  im  Ausdruck  als  in  den 
wirklichen  Meinungen  zu  liegen.  Man  ist  darüber  einig,  dafs  zum  mindesten 
ein  grofser  Teil  unserer  Wiesen,  Weideplätze  und  Viehtriften  auf  früherem  Wald- 
boden künstlich  angelegt  ist.  Die  Ursprünglichkeit  kann  nur  für  einige  ganz 
bestimmte  Standörtlichkeiten  in  Frage  kommen.  Kine  eigenartige  Stellung 
nimmt  vor  allem  das  Grasland  der  Marschen  ein;  dafs  es  sich  hier  im 
Flutbereich  um  ursprüngliche  Bewaldung  nicht  handeln  kann,  ist  selbst- 
verständlich. Aber  auch  die  Thal  wiesen  werden  vielfach  als  urwüchsiger 
Vegetationstypus  in  Anspruch  genommen,  allerdings  mit  einer  bedeutenden 
Kinschränkung.  Allgemein  anerkannt  ist,  dafs  unsere  Flufsthäler  ursprünglich 
nicht  mit  einem  weichen  Wicsenteppich  ausgekleidet  zu  denken  sind,  sondern 
mit  einem  Gestrüpp  von  Weiden,  Krleu,  Kschen,  Pappeln,  Eichen,  also  mit 
Auenwald  und  Krleubruch.  Nur  da,  „wo  durch  irgend  welche  Ursachen,  sei 
es  durch  Waldbrand,  Überschwemmung  u.  s.  w.,  oder  sei  es  durch  menschliche 
Thätigkeit  eine  Kutblöfsung  des  Bodens  erfolgt  ist",  bilde  sich  von  selbst 
ein  natürliches  Grasland,  das  unseren  heutigen  Wieseu  entspricht,  allerdings 
nur  für  kurze  Zeit,  „indem  es  nämlich  im  natürlichen  Verlauf  der  Vcgetations- 
entwicklung  nach  einer  Keihe  von  Jahren  einer  Busch-  und  Waldformation 
Platz  macht41.  Krst  durch  die  menschliche  Kinwirkung  werde  der  von 
Natur  labile  Zustand  in  einen  stabilen  verwandelt').  In  diesem  Sinn  mag 
man  wohl  allgemein  die  Wiesen  als  „natürliches  Grasland"  gelten  lassen;  sie 
haben  demnach  in  den  Stromthälern  der  Urlandschaft  neben  den  Auen-  und 
Bmchwüldern  eine  räumlich  jedenfalls  ganz  aufserordentlich  beschränkte  und 
immer  nur  vorübergehende  Bedeutung  gehabt,  genau  entsprechend  der  Schlag- 
vcgetation  in  unseren  Wäldern3).  Mit.  dieser  Anschauung  deckt  sich  der 
Zustand,   in   dem  sich  noch  heute  z.  B.  nach  Brehm 's  Schilderung4  )  die 

1)  Über  die  Verbreitung  der  Alpenflora  (Ber.  St.  (Jaller  uaturw.  <ies.  1873)  S.  351. 

2j  C.  Weher,  t  her  die  Zusammensetzung  des  natürlichen  Graslands  in  West- 
holstein, Bithmarsehen  und  Eiderstedt  Sehr,  naturw  Ver.  f.  Schlesw.-Holst  IX.  1892) 
S.  180  f. 

3)  Dem  Standpunkt  C.  Webers  schliefst  sich  0.  Drude  ausdrücklich  an 
(Deutschlands  Pflanzengeographie  I  189G  S.  289).  Auch  Grisebach  hat  die  Wiese 
uIb  ursprüngliche  Formation,  jedoch  von  sehr  beschränkter  Bedeutung,  behandelt, 
—  Der  Ein  tl  in-  der  Kultur  wird  aul'ser  von  Schlatt  er  a.  a.  O.  besonders  betont 
und  nachgewiesen  von  Ernst  EL  L.  Krause,  Beitrag  zur  Gesch.  der  Wiesenflora  in«^ 
Norddeutschi.  (Bot.  Jb.  hsg.  v.  Engler  XV.  1893),  H.  Christ,  Pflanzenleben  der  Schweiz 
1879,  K.  Gradmann,  Pflanzenleben  der  schwäb.  Alb.  2.  Aufl.  1900.  I  S.  223  ff.  — 
0.  Bendiner  (Veget.-Verh.  Südbayerns  1804,  S.  4G8;  betrachtet  die  Thal  wiesen 
ohne  weiteres  als  „Kulturwieseu". 

4)  A.  K.  Brehm,  Vom  Nordpol  zum  Äquator.   1890.  S.  75  H*. 


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Das  mitteleurop.  Landscbaftsbild  nach  seinergeschichtl.  Kntwickl.  365 

Thäler  der  sibirischen  Waldströme  befinden,  aber  auch  noch  manche  nicht 
regulierte  Strecken  europaischer  Stromthäler,  so  am  Rhein,  an  der  Donau, 
Elbe,  Oder,  Weichsel,  und  namentlich  an  den  Alpenströmen. 

Einen  besonders  urwüchsigen  Eindruck  machen  vielfach  die  Bergwiesen 
oder  Matten.  Hier  hat  man  zu  unterscheiden  zwischen  den  eigentlichen 
Alpenwiesen  oberhalb  des  Waldgürtels,  also  in  einer  Höhe  von  mindestens 
1000  m  u.d.M. '),  und  andrerseits  dem  Grasland  tieferer  Kegionen.  In  der  alpinen 
und  auch  schon  in  der  subalpinen  Region  giebt  es  zahlreiche  natürliche  Pflanzen- 
vereine, die  thatsäehlich  keinerlei  Holzgewächse  enthalten  und  daher  einen 
wiesenartigen  Eindruck  machen.  Dies  ist  überall  da  der  Fall,  wo  der  Hoden 
während  des  gröfsten  Teils  des  Jahres  von  Schnee  oder  Eis  eingehüllt  ist,  also 
nahe  der  Grenze  des  ewigen  Schnees  oder  auch  tiefer  am  Rande  der  Gletscher, 
in  Sehneemulden  und  Sehneethälehen.  Die  Süfsgriiser  spielen  freilich  hier 
eine  untergeordnete  Rolle;  dikotyle  Krauter  herrschen  vor,  daneben  Ried- 
gräser; die  Ähnlichkeit  mit  den  Thalwiesen  besteht  einzig  in  dem  Fehlen 
der  Holzgewächse.  Dagegen  sind  alle  die  sogenannten  Bergwiesen  innerhalb 
der  Waldregion,  mag  ihr  Eindruck  ein  noch  so  urwüchsiger  sein,  wesentlich 
als  Kunstprodukte  anzusehen.  Sie  sind  öfters  durch  Entwässerung  aus  Moor- 
grund entstanden,  noch  häufiger  auf  abgeholztem  Waldboden  oder  auch  an 
Stelle  ursprünglicher  trockener  Steppenheide  oder  Hügeltrift  oder  wie  man's 
nennen  mag.  Jedenfalls  ist  das  gänzliche  Fernbleiben  der  Holzgewächse  in 
allen  diesen  Fällen  ausschliefslich  der  Sense  zu  verdanken,  die  des  Jahres 
mindestens  einmal  über  diese  Wiesenflächen  hingeht*). 

Ganz  entsprechend  verhält  es  sich  mit  den  übrigen  Formen  des  Gras- 
lands, den  Waldwiesen,  Streuwiesen,  Schafweiden,  Triften,  nur  dafs 
in  den  letztgenannten  Fällen  das  Maul  der  weidenden  Tiere  das  Geschäft 
besorgt,  das  sonst  der  Sense  obliegt:  sie  lassen  keinen  Holzwuchs  aufkommen, 
aufser  den  Hornsträuchern,  die  sich  hier  im  Gegensatz  zu  den  Wiesen  häufig 
finden.  Was  man  in  Süddeutschland  als  Heide  zu  bezeichnen  pflegt,  ist  fast 
immer  Schafweide;  der  natürliche  Pflanzen  wuchs  wäre  hier,  wenn  nicht 
geschlossener  Hochwald,  so  doch  ein  lichtes  Gebüsch.  Wo  die  Schafhaltung 
aufgehoben  wird,  pflegen  sich  derlei  öde  Flächen  auch  allmählich  mit  Holz- 
wuchs  zu  überziehen3). 

Auch  die  norddeutschen  Heiden,  die  eigentlichen  Calluna-Heiden, 
waren,  wie  Borggreve  und  Krause  nachgewiesen  haben,  jedenfalls  zu  ihrem 
überwiegenden  Teil  ursprünglich  bewaldet.  Nur  dort,  wo  die  Stürme  den 
Waldwuchs  nicht  aufkommen  lassen,  was  an  der  Nordseeküstc  teilweise 
wirklich  der  Fall  zu  sein  scheint,  besitzt  die  Heide  als  Stück  der  Urland- 
sehaft  ein  eigentliches  Heimatrecht4). 


1)  So  tief  senkt  «ich  die  Waldgrenze  nur  im  Harz;  im  Sehwarzwald  und 
Bühnicrwald  liegt  sie  schon  über  1400  m,  im  Alpengebiet  durchweg  über  1500  m. 

2)  Yergl.  Enint  H.  L.  Krause  a.  a.  O.j  Gradmann,  Pflanzenleben  der  schwäb. 
Alb.  I  S.  22«  ff. 

3)  Grad  mann,  a.  a.  O.  I  S.  23ti  ff. 

4)  Borggreve,  über  die  Heide  (Abh.  naturw.  Ver.  Bremen  III  1873).  —  Krnst 
H.  L.  Krause,  Die  Heide  (Bot.  Jb  hsg.  v.  Engler  XX  1895).  -    Engler,  Entwick- 


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360 


Roh.  Gradmann: 


Erst  nachdem  alle  wichtigeren  Landschafts-  und  Vegetationstypen  nach 
dieser  Richtung  untersucht  sind,  lüfst  sich  die  Frage  mit  einiger  Wahrschein- 
lichkeit heant worten:  welchen  Anhlick  würde  die  mitteleuropaische  Landschaft 
heute  darbieten,  wenn  nie  der  Mensch  störend  in  ihre  Entwicklung  ein- 
gegriffen hätte?  Und  da  erhalten  wir  nun  thatsächlich  das  Bild  eines 
zusammenhängenden  Urwalds,  der  sich  von  den  Alpen  bis  zur  Nord-  und 
Ostsee,  von  der  atlantischen  Küste  bis  zu  den  Pulsten  Ungarns  und  den 
Steppen  Südrufslands  erstreckt  und  sich  weiter  im  Norden  in  den  sibirischen 
Waldgürtel  fortsetzt  Nur  von  wenigen  Lücken  ist  dieser  Urwald  durch- 
brochen. Da  sind  die  Gipfel  der  Alpen  und  Karpaten  sowie  die  bedeutenderen 
Erhebungen  einiger  weniger  Mittelgebirge,  der  Sudeten,  des  Harzes,  des 
Sehwarzwalds,  des  Wasgenwalds,  des  Schweizer  Jura,  die  kahlen  Hauptes  aus 
dem  Wäldermeer  emportauchen.  Da  sind  ferner  die  Dünen  und  Heiden,  die 
Salzwiesen  und  Moore  des  Nordseestrands,  im  Innern  einige  Süfswasserbecken 
und  gröfsere  Moorflächen;  sonst  blofs  noch  kleinere  Lücken  an  Felsabstürzen 
und  Geröllhalden,  sowie  die  vorübergehenden  Blöfsen,  wie  sie  etwa  durch 
den  zündenden  Blitzstrahl,  durch  Wind-  oder  Schneebrueh  entstehen,  um  nach 
kurzer  Zeit  wieder  zu  überwachsen.  Nur  an  sonnigen  Steilhängen  und  viel- 
leicht bei  sehr  grofser  Trockenheit  auch  auf  ebenem  Gelände  wie  etwa  den 
Heiden  Südbayerns  (Garchinger  Heide,  Lechfeld)  oder  gewissen  Kalk-  und 
Löfshügcln  Mitteldeutschlands1)  hat  man  sich  den  Baumwuchs  etwas  lichter 
zu  denken,  sonst  überall  dichten,  geschlossenen  Urwald2). 

Mit  der  Vorstellung  des  Urwalds  gilt  es  nun  aber  auch  vollen  Ernst  zu 
machen.  Meist  schwebt  wohl  das  Bild  eines  wohlgepflegten  Hochwalds  vor, 
nur  mehr  ins  Grofsartige  übersetzt  und  von  einem  unerschöpflichen  Wild- 
reicbtum  belebt  Die  Berichte  der  Reisenden,  die  wirklichen  Urwald  gesehen 
haben,  wie  etwa  Goeppert  im  Böhmerwald3),  Middendorf  oder  Brehm  in 
Sibirien,  lauten  ganz  anders.  Da  sind  nicht  die  weiten  Hallen  des  hundert- 
jährigen Hochwalds;  Bäume  aller  Altersklassen  stehen  wirr  durcheinander. 
An  uralten  Riesen  fehlt  es  nicht,  aber  sie  sind  umgeben  vom  jungen  Nach- 
wuchs, der  undurchdringliches  Dickicht  erzeugt.  Metertiefer  Moder,  worin 
der  Fufs  einbricht,  deckt  den  Boden;  gras-  oder  krautartige  Vegetation  tritt 
im  Waldgrund  ganz  zurück  und  macht  sich  höchstens  an  Wasserläufen  und 
auf  den  kleinen,  rasch  vergänglichen  Blöfsen  geltend.    Den  stärksten  und 


hing  der  Pflanzengeographie  (Humboldt-Cent ennarsehrift  hsg.  v.  der  Oes.  f.  Erdkd. 
zu  Berlin  1899)  S.  190. 

1)  0.  Drude,  Deutschlands  Pflanzengeograi>hie  I  1896  S.  293. 

8)  Schlatter  (Ober  die  Verbreitung  der  Alpenflora,  Ber.Si.OaU.  nat,  Ges.  1*78, 
S.  351  f.  —  Die  Einführung  der  Kulturpflanzen  in  den  Kantonen  St.  (iallen  u.  Appen- 
zell, a.  a.  O.  1891,  S.  121  f.)  und  mit  ihm  H.  Christ  (Pflanzenleben  der  Schweiz  1879), 
ebenso  Ernst  H.  L.  Krause  (Die  natürl.  Pflanzendecke  Norddeutschi.,  Globus  ßl. 
1898)  gehen  in  der  Betonung  der  ursprünglich  geschlossenen  Waldbcdeekung  noch 
weiter,  während  0.  Drude  i'a.  a.  O.  S.  292 ff.)  die  natürlichen  Lücken  des  Waldbilds, 
jedoch  in  nicht  wesentlich  anderem  als  dem  oben  vorgetragenen  Sinn,  mehr  her- 
vorhebt. 

3)  Skizzen  zur  Kenntn.  der  Urwälder  Schlesiens  u.  Böhmens  (Acta  Ac.  Leop.- 
Car.  34.  1868).  —  Vgl.  dazu  auch  0.  Drude  a.  a.  0.  S.  291  f. 


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Das  mitteleurop.LandschaftBbild  nach  Beinerjf cschichtl.Entwickl.  367 

überraschendsten  Eindruck  raachen  offenbar  auf  alle  Beschauer  die  Massen 
von  kranken  und  abgestorbenen  Baumen.  „Da  stehen  und  lehnen,  hängen 
und  liegen  vermorschende  Bäume  allüberall.  Aus  den  Überresten,  gefallener 
Stämme  sprossen  junge  Schöfslinge  auf.  Riesige  Baumleichen  sperren  in 
Dickichten  Wege  und  Stege."  „Wie  das  Innere  der  (sibirischen)  Waldungen 
beschaffen  ist,  vermag  niemand  zu  sagen,  weil  nicht  einmal  die  aus  solcher 
Wildnis  den  Hauptströmen  zufliefsendcn  Gewässer  hemmnisloses  Vordringen 
erlauben  und  selbst  die  kühnsten  Zobeljäger  nur  einen  Grenzgürtel  von 
höchstens  einhundert  Kilometer  Breite  kennen  gelernt  haben  sollen."  Das 
sind  Worto  Brehm's1).  Middcndorff  hat  namentlich  dem  Erstaunen  über  die 
merkwürdige  Armut  an  Wild  lebhaften  Ausdruck  gegeben;  „zum  Verhungern 
leer"  nennt  er  die  Urwälder  Sibiriens,  und  er  macht  gleichzeitig  darauf  auf- 
merksam, dafs  dies  keineswegs  eine  besondere  Eigentümlichkeit  Sibiriens  ist, 
dafs  von  anderen  Urwaldgebieten,  z.  B.  von  Nordamerika,  vom  Himalaja, 
ganz  ähnliche  Erfahrungen  vorliegen.  Erst  gegen  die  Steppe  hin  und  in  der 
Nähe  menschlicher  Wohnstätten  nimmt  der  Wildbestand  etwas  zu.  Auch  die 
Ob  wegsam  keit  der  Wälder  geht  aus  MiddcndorfFs  Berichten  deutlich  hervor. 
Seine  Reise  ins  Taimyrland  macht  er  auf  dem  gefrorenen  Strom;  das  ist  der 
einzige  Pfad,  der  von  der  Steppe  durch  den  sonst  undurchdringlichen  Waldgürtel 
zur  Tundra  führt.  Von  den  Urwäldern  am  Ochotskischen  Meer  berichtet  er,  dafs 
sie  nur  durch  Wildstege,  welche  die  Bären  getreten  haben,  gangbar  werden. 
„Ohne  die  Bären  wären  manche  Dickichte  jener  Gegend  kaum  durchdringlich. 
Die  Bären  sind  dort  die  Vertreter  der  Kultur,  indem  sie  dem  Menschen  die 
Wege  bahnen."2)  Ahnlich,  vielleicht  etwas  reicher  an  Wild  wegen  der 
besseren  Nahrung,  welche  die  Laubhölzer  bieten,  aber  sicher  nicht  leichter 
zugänglich  hat  man  sich  die  mitteleuropäischen  Urwälder  vorzustellen.  Von 
saftigen  Wiesengründen,  von  weitem,  offenem  Weideland  enthält  das  ganze 
Landschaftsbild  kaum  eine  Spur;  höchstens  am  Meeresstrand  sind  zu  allen 
Zeiten  gröfsero  waldfreie  Flächen  zu  denken. 

n. 

Das  hiemit  gewonnene  Ergebnis  hat  nun  aber  eine  ernste  Probe  zu 
bestehen.  Es  giebt  ja  noch  einen  ganz  andern  Weg,  der  ebenfalls  zu  der 
Urlandschaft  zurückzuführen  verspricht,  das  ist  der  historisch-archäolo- 
gische. Die  geschichtliche  Überlieferung  reicht  ja  allerdings  nicht  unmittelbar 
bis  in  die  Urzeit  zurück;  als  Pytheas  die  ersten  dürftigen  Nachrichten  von 
den  Ländern  nördlich  der  Alpen  brachte,  waren  diese  schon  seit  Jahrtausen- 
den bewohnt.  Wohl  aber  können  wir  in  der  geschichtlichen  Vergangenheit 
einen  möglichst  weit  zurückliegenden  Punkt  aufsuchen,  für  den  sich  der 
Landschaftszustand  noch  annähernd  feststellen  läfst;  wir  dürfen  annehmen, 
dafs  derselbe  dem  Urzustand  jedenfalls  näher  ist  als  der  gegenwärtige.  Wir 
lernen  damit  die  Richtung  kennen,  in  der  sich  die  Entwicklung  vollzogen 

1)  Brehm  a.  a.  0. 

2)  Th.  v.  Middendorf!',  Reise  in  den  äußersten  Norden  u.  Osten  Sibiriens 
IV  2  (1875)  S.  786  ff.  996. 


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368 


Rob.  CJradmann: 


hat,  und  indem  wir  diese  rückwärts  verfolgen,  müssen  wir  ebenfalls  und 
ganz  unabhängig  von  der  naturwissensehaftlich-kulturtechnologisehen  Methode 
zu  dem  Hilde  der  Urlaudsehaft  gelangen. 

Als  ein  solcher  möglichst  weit  zurückliegender  fester  Punkt  empfiehlt 
sich  die  Zeit  der  römischen  Eroberung  in  Deutschland.  Wie  hat  es 
damals  bei  uns  ausgesehen?  Die  landläufige  Anschauung  lautet,  wenn  ich 
nicht  irre,  ungefähr  so:  dichter  Urwald  breitete  sich  noch  unabsehbar  über 
das  ganze  Land;  unter  seinen  tausendjährigen  Eichen  und  finsteren  Tannen 
hauste  noch  halbwild  der  Germane,  lag  auf  Härenhäuten  und  trank  sein 
Bier  und  seinen  Meth;  den  bescheidenen  Lebensunterhalt  verschaffte  er  sich 
hauptsächlich  durch  die  Jagd  und  allenfalls  noch  durch  Raubzüge  in  die 
höher  zivilisierten  Nachbarländer.  Für  eine  solche  Vorstellung  kann  man  sich 
auf  Aussprüche  römischer  Schriftsteller  berufen;  sie  scheint  auch  vortrefflich  zu 
dem  Bilde,  das  wir  aus  anderen  Quellen  bereits  gewonnen  haben,  zu  stimmen. 
Gleichwohl  ist  sie  grundfalsch,  wie  freilich  jedem  Kenner  des  Altertums  be- 
kannt sein  iuufs1);  immerhin  scheint  mir  die  berichtigte  Anschauung  einer 
noch  entschiedeneren  Hervorhebung  zu  bedürfen. 

Halten  wir  uns  zunächst  einmal  an  die  Verbreitung  der  römischen  und 
der  etwa  gleichzeitigen  keltischen  und  germanischen  Altertümer,  so  be- 
kommen wir  sofort  ein  ganz  anderes  Bild,  nämlich  keineswegs  dasjenige 
einer  gleichraäfsigen  Waldbedeckung,  vielmehr  eines  überaus  scharfen 
Gegensatzes  zwischen  stark  bevölkerten  Gebieten  einerseits  und 
gänzlich  unbewohnten  Landschaften  andererseits2).  Im  jetzigen 
Königreich  Württemberg  sind  z.  B.  weit  über  400  römische  Niederlassungen 
nachgewiesen3).  Diese  alle  drängen  sich,  wie  auch  die  Hügelgräber  und 
sonstigen  Altertümer  aus  vorrömischer  Zeit,  im  Neckarland,  auf  der  Alb  und 
in  gewissen  Teilen  Oberschwabens  zusammen;  der  Schwarzwald  und  die  Höhen 
der  Keuperstufe,  der  Schurwald,  Welzheimer,  Mainhardter,  Murrhardter 
Wald,  die  Löwensteiner,  Waldenburger,  Limpurger  und  Ellwanger  Berge, 
ebenso  die  anschliefsende  Frankenhöhe  sind  fast  leer1).  Ebenso  leer  sind 
die  mitteldeutschen  Gebirge,  Rhön,  Thüringerwald,  Frankenwald,  Erzgebirge 
und  Riesengebirge,  Böhmerwald  und  mährisches  Gesenke,  im  Westen  die 
Ardennen,  die   Vogesen,  der  Schweizer  Jura,  im  Süden  grofse  Teile  der 

1)  Sie  ist  schon  von  J.  Möser  widerlegt. 

2)  Vgl.  zu  dem  Folgenden  für  Süddeutschland  bes.  die  archäologischen  Karten 
von  Ed.  Paulus,  P  Ohlenschlager  und  E.  Wagner;  für  die  Rheinlandc 
K.  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter  1880,  für  Mitteldeutsch- 

.  land  Fr.  Regel,  Thüringen  1892/90,  für  das  Königreich  Sachsen  R.  Wuttke, 
Sächsische  Volkskunde  1900,  für  Böhmen  A.  Häuften,  Einführung  in  die  deutsch- 
böhmische Volkskunde  181)6,  für  die  Schweiz  K.  Dändliker,  Gesch.  der  Schweiz 
1885.    Weitere  Quellen  sind  unten  noch  angegeben. 

3)  Jul.  Hartmann.  Die  Besiedlung  Württembergs.  (Württemb.  Neu- 
jahrsbl.  XI  1894.) 

4)  Auf  diesen  Gegensatz  ist  schon  oft  hingewiesen  worden;  vgl.  z.  H.  Kd.  v. 
Paulus  (d.  Ä.),  Die  Altertümer  in  Wflrtt.  (Württ.  Jahrb..  f.  Statist,  u.  Landesk. 
1875)  S.  159.  —  Jul.  Hartman n.  ('her  die  Besiedlung  des  württ.  Schwarzwalds 
(Württ.  Jahrb.  1893)  S.  4  ff.  —  Karl  Well  er,  Ansiedlungsgeschichte  des  württ 
Fraukeus  <Württ   Vicrteljahrsli.  f.  Landesgesch.  N.  F.  III  1891)  S.  4. 


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Das  mitteleuropLandschaftsbild  nac  h  seiner  geschichtl.  Entwickl.  369 

Alpenländer.  Reich  besiedelt  erscheint  dagegen  z.  B.  die  oberrheinische 
Tiefebene,  das  Alpenvorland,  besonders  in  seinem  tieferen,  an  den  Jura  und 
die  Donau  anschliefsenden  Teil,  ferner  die  schwabische  und  fränkische  Alb, 
die  (irgend  um  den  mittleren  Main,  das  Moselland,  das  subhercjnische  Hügel- 
land und  endlich  ein  breiter  Küstenstreifen  entlang  der  Nord-  und  Ostsee1). 

Auf  den  gleichen  Gegensatz  von  gänzlich  unbewohntem  Ödland  einer- 
seits und  rcichbesiedelttm  Landschaften  andererseits  fuhren  in  Wirklichkeit 
auch  die  Nachrichten  römischer  Schriftsteller.  Man  darf  nur  nicht  blofs  die 
rhetorisch  gefärbten  Stellen  herausgreifen,  wo  der  Gegensatz  zu  der  südlichen 
Kulturlandschaft,  um  damit  etwas  Merkwürdiges  zu  sagen,  möglichst  stark 
hervorgekehrt  und  unwillkürlich  verallgemeinert  wird*). 

Die  Römer  kannten  ziemlich  bestimmt  umgrenzte  deutsche  Waldgebietc 
und  haben  uns  deren  Namen  überliefert.  So  nennt  Cäsar  im  Westen  die 
silva  Arduenna,  den  Ardennerwald,  der  aufser  den  heutigen  Ardennen  auch 
noch  die  gesamte  Eitel,  wahrscheinlich  auch  Hundsrück  und  Hochwald  um- 
fafste3).  Ostlich  vom  Rhein  wird  dann  die  silva  Caesia  genannt4),  weiter 
nördlich  der  bekannte  Teutoburger  Wald  (Osning),  im  hessischen  Bergland 
später  die  Buchonia  silva5).  Das  gröfste  Waldgebiet  war  die  Hercynia  silva. 
Der  Name,  ursprünglich  keltischer  Gattungsname  und  nichts  anderes  als 
Bergwald  bedeutend,  wird  bald  enger  bald  weiter  gebraucht;  in  allen  Fällen 
schliefst  er  die  mitteldeutschen  Waldgebirge  in  sich  vom  Odenwald  und 
Spessart  bis  zum  Riesengebirge  und  Mährischen  Gesenke,  zuweilen  auch  noch 
den  Böhmerwald  und  bei  Cäsar  anscheinend  sogar  den  Schwarzwald.  Der 
Böhmerwald  führt  noch  den  besonderen  Namen  rußg^ra  Gabreta  silva, 

der  Thüringerwald  Semana  silva;  der  Schwarzwald  heifst  Abnoba  oder  Mar- 
tiana  silva6).  Der  von  Cäsar7)  bereits  genannte  Jura  drückt  seinen  Charak- 
ter schon  im  Namen  aus;  Jura  bedeutet  Wald,  Schwarzwald8),  und  noch 
Gregor  von  Tours  spricht  von  dem  Juren.se  desertum.  Seine  Tannen,  wie 
auch  die  des  Wasgenwalds,  werden  von  Plinius  erwähnt9).  Als  sehr  wald- 
reich werden  auch  die  Alpenländer  geschildert10).  An  den  Bodensee  schliefst 
sich  eine  Waldwildnis  au11),  die  Bottav  fpj^ufo12).  Endlich  ist  wohl  auch 
unter  dem  ijpjpog  rüv  EkovTptaiv  dos  Ptolemäus13)  schwerlich  etwas  anderes 

1)  Der  römische  Einfluf«  erstreckte  sich  bekanntlich  nicht  über  die  Elbe 
hinaus;  es  fehlt  uns  deshalb  für  das  östliche  Deutschland  ebenso  an  sicher  datier- 
baren Altertümern  wie  an  historischen  Nachrichten. 

2)  Ich  denke  dabei  vor  allem  an  die  oft  angexogenen  Stellen  Tacit.  (Jerm.  5: 
Terra  etsi  aliquante  specie  difl'ert,  in  Universum  tarnen  aut  silvis  horrida  aut  palu-  f 
dibus  foeda  und  Plin.  16,5:  Aliud  e  silvis  miraculum:  totam  reliquam  Germaniam 
rcplent  adduntque  frigori  umbras. 

3)  Lamprecht  I  8.  93. 

4)  Tacit.  Ann.  I  60. 

5)  Casars  Bacenis  silva  ist  weiter  östlich  zu  suchen  und  nicht  näher  bestimm- 
bar (Kiepert,  Lehrb.  der  alten  (Jeogr.  1H78  S.  636). 

6)  Die  betr.  Stellen  aus  Cäsar,  Tacitus,  Plinius,  Strabo  u.  s.  f.  sind  zusammen- 
gestellt bei  K.  Zeuse,  Die  Deutschen  und  dio  Nachbarstämme.    1837.    S.  5  ff. 

7)  Bell.  Gall.  4,  10.       8)  J.  J.  Egli,  Nomina  Geographica  1893,  S.  463. 
9)  Plin.  16,  197.       10)  Strabo  VII,  1.       11)  Amniian.  XV,  4. 

12)  Strabo  VII,  1.       13)  2,  11,  10.  7. 


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370 


Hob.  G  radmann: 


zu  verstehen  als  ein  Urwaldgebiet,  nämlich  die  bewaldeten  Keuperhöhen  im 
Norden  der  schwäbischen  und  fränkischen  Alb1). 

Dafs  diese  deutschen  Waldgebiet«  in  römischer  Zeit  noch  als  wirkliche 
Urwälder  zu  denken  sind,  geht  aus  den  Aufserungen  der  Schriftsteller  deut- 
lich hervor  und  wird  überdies  durch  die  mittelalterliche  Besiedlungsgeschichte 
bestätigt.  Vor  allem  wird  die  Unzugänglichkeit  der  Waldgebiete  stark 
hervorgehoben.  Ein  grofser  Teil  Deutschlands,  sagt  Pomponius  Mela,  ist 
durch  seine  Wälder  und  Sümpfe  unwegsam*);  den  Bodensee  schildert 
Ammian  als  gröfstenteils  unzugänglich  wegen  der  schauerlichen  Urwälder, 
die  ihn  umgeben3).  Und  um  die  Unzugänglichkeit  und  beängstigende 
Wildnis  des  eimiuischen  Waldes  zu  malen,  weifs  Livius  keinen  treffenderen 
Vergleich  als  die  Wälder  Germaniens4).  Jahrhundertc  lang  hatte  der  Ur- 
waldgürtel  Mitteldeutschlands  die  unübersteigliche  Grenzmauer  gebildet,  welche 
die  Germanen  im  Norden  von  den  Kelten  im  Süden  schied;  erst  nachdem 
von  den  Chatten  und  Markomannen  der  Damm  einmal  durchbrochen  war, 
ergofs  sich  auch  ein  germanischer  Völkerstrom  nach  dem  andern  gegen  den 
nunmehr  unaufhörlich  bedrohten  Süden5).  Bezeichnend  ist  auch,  dafs  auf 
die  Körner  die  Wälder  offenbar  einen  viel  tieferen  Eindruck  gemacht  haben 
als  die  Bodenerhebungen;  die  deutschen  Gebirgszüge  werden  meistens  nach 
ihrem  Pflanzenwuchs  benannt  als  siltac  oder  saltus,  viel  seltener  nach  ihrer 
Erhebung  als  monics.    Begreiflicherweise;  was  sich  bemerklich  machte,  das 


1)  So  wird  da»  Wort  mit  Hinweis  auf  den  späteren  ständigen  Sprachgebrauch 
(eremuB  oder  desertum  «=  Urwald)  schon  von  Christ.  Fr.  Stalin  erklärt  (Wirtcmb. 
Geschichte  I  1M41.  S.  5.  »5);  ähnlich  auch  K.  Möllenhoff,  Deutsche  Altertums- 
kunde II  1887,  S.  268.  An  ein  früher  besiedeltes  und  später  verödete»  Land 
(Moniuisen,  Köm.  Gesch.  V  1885  S.  138)  ist  schon  deshalb  nicht  zu  denken,  weil 
sich  im  Fall  einer  schon  an  eich  unwahrscheinlichen  völligen  Entvölkerung  des 
Kulturlandes  die  keltischen  Flufsnamen  nicht  hätten  erhalten  können  (vgl.  Well  er 
in  Wörtt,  Vierteljahrsh.  N.  F.  III  1894  S.  8  f.).  Ob  Stälin  mit  dem  Ausdruck 
„Schwäbisches  Waldgebirg"  wirklich  das  Keupergebiet  gemeint  hat,  vermag  ich 
nicht  zu  sagen.  Jedenfalls  hatten  nach  Tacitus  die  Helvetier  früher  in  unmittel- 
barer Nachbarschaft  dieses  Waldgobiets  gewohnt  (Germ.  28:  inter  Hercyniam  sil- 
vam,  Khenumque  et  Moenum  amnes  Helvetii).  An  einem  Teil  dieses  Waldgebiets 
(worüber  Näheres  in  meiner  Abhandlung  „Der  obergermaniscVrjitisehe  Limes  und 
das  fränkische  Nadelholzgebiet"  Peterm.  Geogr.  Mitt.  18U9)  ist  der  Name  virgund 
(heute  „Virngrund")  haften  geblieben,  wohl  ein  keltisches  Wort  und  gleichbedeu- 
tend mit  Hercynia  oder  vergunna  (Wildnis)  nach  M.  Ruck,  Flurnamenbuch  1880 
S.  288;  Das  Königr.  Württ,  I  1882  S.  242.  Anders  K.  Zeus»,  Die  Deutschen  und 
die  Nachbarstämme  1837  S.  10  naeh  Grinim  =  fairguni,  fergunna  Gebirge. 
Meitzen  'Siedelung  und  Agrarwesen  1895  I  S.  407)  bringt  den  Namen  mit  den  Bur- 
gunden  in  Zusammenhang,  die  er  in  dem  Urwald  zwischen  rätischem  und  ober- 
germanischem  Limes  wandern  und  wohnen  läfst  —  zum  Beweis,  wie  unerläßlich 
die  genaue  Kenntnis  der  Landschaflsgeschichte  für  die  Beurteilung  mancher  ge- 
schichtlichen Vorgänge  ist. 

2)  Silvia  ac  paludibus  invia.    De  situ  orbis  III  3. 

3)  Horrore  silvarum  squalentium  inaccessum.    Ammian.  XV  4. 

4)  Silva  erat  Ciminia  magis  tum  invia  atque  borrenda  qum  nuper  fuere  Ger- 
raanici  saltus,  nulli  ad  eam  diem  ne  mercatoribus  quidem  adita.    Liv.  IX  35  f. 

6)  H.  Kiepert,  Lehrbuch  der  alten  Geogr.  1878  S.  535.  —  K.  Möllenhoff, 
Deutsche  Altertumskunde  II.  1887.    S.  218.  236.  302. 


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Das  initteleurop.  LandschaftHbild  nach  seinergesi  hichtl.Ent  wickl.  371 

war  vor  allen  Dingen  der  kulturfeindliche,  den  Verkehr  hemmende  Urwald; 
die  Bodenerhebung  an  und  für  sich  kam  daneben  kaum  in  Betracht.  So 
nehmen  denn  auch  auf  der  Karte  des  Ptolemäus,  wie  Ratzel  bemerkt,  die 
Wälder  und  Sümpfe  eine  hervorragendere  Stelle  ein  als  alle  Gebirge1). 

Nun  geht  schon  aus  der  einfachen  Thatsache,  dafs  gewisse  Landstriche 
des  alten  Germaniens  durch  ihre  Waldbedeckung  aufgefallen  und  darnach  be- 
nannt worden  sind,  mit  zwingender  Notwendigkeit  hervor,  dafs  der  Rest  des 
Landes  /um  mindesten  weniger  stark  bewaldet  gewesen  sein  mufs.  Dies 
ergiebt  sich  weiter  aus  der  höchst  bedeutenden  Volkszahl,  die  in  diesem  Lande 
ansässig  war.  Nichts  hat  ja  die  Römer  so  sehr  in  Staunen  und  Schrecken 
gesetzt,  als  die  immer  neuen  Völkermassen,  die  sich  trotz  aller  Vernichtungs- 
kämpfe aus  dem  Innern  Germaniens  ergossen.  Hat  es  aber  grofse  unbe- 
wohnte Waldgebietc  hier  gegeben,  so  müssen  die  übrigen  Landschaften  nur 
um  so  stärker  bewohnt  gewesen  sein  von  einem  Volk,  das  zu  seiner  Er- 
nährung ein  grofses  waldfreies  Acker-  und  Weideland  brauchte. 

In  Wirklichkeit  ergiebt  sich  auch  aus  den  Nachrichten  der  römischen 
Geschichtschreiber  und  Geographen  bei  allseitiger  Berücksichtigung  ihrer  An- 
gaben keineswegs  das  Bild  eines  Jäger-  und  Räubervolks.  Die  Vorliebe  für 
die  Jagd  wird  ja  von  Cäsar  und  Tacitus  recht  stark  betont,  aber  der  erstere 
erwähnt,  der  andere  beschreibt  ausführlich  daneben  den  Ackerbau  und  dio 
Viehzucht  der  Germanen3).  Schon  die  Kimbern  und  Teutonen  bitten  um 
Land  und  Korn  zur  Saat.  Julian  trifft  die  Alamannen,  die  eben  erst  im 
Elsafs  eingebrochen  waren,  daselbst  friedlich  ihre  Saaten  bestellend.  Probus 
rühmt  in  einem  Schreiben  an  den  Senat:  „Für  euch  pflügen  die  Barbaren 
den  Acker  und  für  euch  streuen  sie  Saat  aus!  Die  gallischen  Felder  werden 
mit  deutschen  Ochsen  gepflügt,  .  .  .  alle  römischen  Scheunen  sind  voll  deut- 
schen Getreides"3).  Thatsächlich  wurden  auf  deutschem  Boden  Getreidearten 
gebaut,  welcho  den  Römern  erst  durch  die  Germanen  bekannt  wurden4). 
Der  treffliche  breitscharige  Pflug  ist  urdeutscho  Erfindung,  während  die 
römische  Landwirtschaft  sich  mit  dem  elenden,  noch  heute  in  der  Campagna 
üblichen  Hakenpflug  behalf5).  Auch  das  Hufeisen  haben  die  Römer  erst  bei 
den  Kelten  und  Germanen  kennen  gelernt;  in  älterer  Zeit  hatten  sie  ihre 
Pferde  gar  nicht  beschlagen6).  Und  bei  alledem  ist  noch  immer  das  Vor- 
urteil verbreitet,  als  haben  dio  Deutschen  erst  von  den  Römern  den  Acker- 
bau lernen  müssen!  In  Wirklichkeit  hat  der  Ackerbau  und  zwar  der  höhere 
Ackerbau  mit  Pflug  und  Rind  schon  lang  vor  Tacitus  den  Hauptnahrungs- 


1)  Fr.  Ratzel,  Anthropogcographie.   1882.   S.  185. 

2)  Oaes.  Reil.  Gall.  IV  1;  VI  21;  Tacit.  Germ.  5.  15.  26. 

3)  Vgl.  Job.  Meyer,  Die  drei  Zeigen  1880  (Progr.  der  Thurg.  Kantonsschule 
p.  1879  80)  S.  65. 

4)  Hafer,  Roggen  und  Behr  wahrscheinlich  auch  Dinkel.  Vgl.  hierüber 
(5.  Buschan,  Vorgeschichtl.  Botanik  1895.  lt.  (Jradmann,  Pflanzenleben  der 
schwäb.  Alb.  2.  Aufl.   1900.  I  S.  387  ff. 

6)  Aug.  Meitzen,  Siedelung  u.  Agrarwesen.  1895.  I  S.  272. 
6)  Vgl.  Braungart,  Die  Huleisenfunde  in  Deutschland  (Landw.  Jahrb.  hBg. 
v.  Thiel.  22.  1893). 


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372 


Hui»,  (iradraann: 


zweig  des  Volkes  gebildet1).  Ackerbau  aber  betreibt  man  nicht  im  dichten 
Urwald,  sondern  auf  freier  FeldHur.  So  werden  wir  denn  auch  von  hier 
aus  wieder  auf  den  (Gegensatz  geführt  von  ausgesprochenen  Urwaldgebieten 
einerseits  und  offenem,  waldfreiem  oder  doch  waldarmem  Kulturland 
andererseits. 

Wer  hat  aber  diesen  Gegensatz  geschaffen,  da  wir  doch  zunächst 
von  der  Voraussetzung  einer  ursprünglich  gleiebmüfsigen  Waldbedeckung 
Mitteleuropas,  wenigstens  des  Binnenlands,  ausgehen  müssen? 

Darüber  scheinen  alle  einig  zu  sein,  die  schon  an  der  Besiedlungsge- 
sehiehte  Deutschlands  gearbeitet  haben:  von  Rodungen  gröfsereu  Mafsstabes  findet 
Bich  bei  den  Germanen  in  vorrömischer  Zeit  noch  keine  Spur8).  Ein  solches 
Werk  ist  auch  für  niedere  Kulturstufen  von  vornherein  recht  schwer  vorstellbar. 
Man  denkt  sich  die  Arbeit  des  Wülderrodens  vielfach  zu  leicht.  Mit  dem  blofsen 
Niederhauen  oder  gar  Niederbrennen  des  Waldbestandes  ist  es  nicht  gethan. 
Zumal  das  Feuer  wirkt  im  Urwald  ganz  anders,  als  man  es  sich  wohl  ge- 
wöhnlich vorstellt.  Als  anschaulichstes  Zeugnis  sei  wieder  eine  Schilderung 
Brehms  von  der  Wirkung  des  Waldbrandes  im  Urwald  angeführt:  „Die 
Flammen  vernichteten  wohl  das  Leben  der  Bäume,  verzehrten  aber  nur  die- 
jenigen unter  ihnen,  welche  zur  Zeit  des  Brandes  bereits  verdorrt  waren; 
die  mehr  angerufsten  als  verkohlten  Stämme  jener  bleiben  daher  stehen, 
und  selbst  ihre  Wipfel  büfsten  blofs  die  Nadeln,  Schöfslinge  und  dürren 
Zweige  ein.4*  Mit  der  Zeit  fallen  nun  die  noch  aufrecht  stehenden  Baum- 
leichen dem  Sturm  anheim.  „Einer  und  der  andere  wird  zu  Boden  ge- 
worfen, einer  und  der  andere  entastet,  entwipfelt,  im  oberen  Dritteile  oder 
Vierteile  abgebrochen.  Kreuz  und  <juer,  in  allen  Richtungen  durch,  in  ver- 
schiedenen Höhen  über  einander,  liegen  nach  geraumer  Zeit  Tausende  von 
Baumleichen  am  Grunde,  welchen  unzählige  Baumtrümmer  bereits  früher 
bedeckten."  Erst  nach  Jahren  beginnt  sich  der  Boden  wieder  zu  begrünen, 
und  zwar  nicht  etwa  mit  Graswuchs,  sondern  mit  Flechten,  Moosen,  Farnen 
und  hauptsächlich  mit  Beerensträuchern,  die  dann  später  wieder  dem  Wald- 
wuchs IMatz  machen8). 

Durch  blofses  Niederbrennen  läfst  sich  demnach  kein  Urwald  in  Acker- 
oder Weideland  umschaffen;  höchstens  die  Arbeit  des  Wegräumens  wird  da- 
durch zum  Teil  erspart,  und  das  wird  der  Grund  sein,  dafs  das  Niederbrennen 
in  Nordamerika  so  viel  geübt  worden  ist.  Zum  Urbarmachen  gehört  noch 
etwas  anderes.  Ist  das  Holz,  sei's  min  durch  Hieb  oder  durch  Brand,  einmal 
niedergelegt  und  abgeräumt,  dann  beginnt  erst  das  Roden,  d.  h.  das  müh- 
same Ausgraben  der  Stöcke.  Etwas  anderes  hat  der  Bauer,  der  Waldarbeiter 
unter  Roden  oder  Reuten  noch  nie  verstanden.  Nur  in  Büchern  werden  die 
Wälder  mit  der  Axt  oder  mit  Feuer  „gerodet". 

1)  So  auch  nach  Hirt,  Die  vorgeschichtliche  Kultur  Europas  und  der  Indo- 
germanen  (Geogr.      IV  18<>8.  S.  377). 

2)  Vgl.  z.  B.  W.  Arnold,  Ansiedelungen  u.  Wanderungen.  1875.  S.  61.  - 
bamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter.  I  S.  107.  —  Meitzen 
a.  a.  O.  I  S.  136. 

Ii)  A.  E.  Urehm,  Vom  Nordpol  zum  Äquator.    1890.    S.  75  ff. 


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Das  uiitteleurop.  Landschaftsbild  nach  seiner  geschieht!  Entwickl.  373 


Fast  unbegreiflich  ist  es,  wie  man  die  bis  vor  wenigen  Jahren  gerade 
von  den  Sachkundigen  allgemein  geteilte  Ansicht,  dafs  die  Gormanen,  ja  die 
Arier  überhaupt  als  Nomaden  in  Mitteleuropa  eingezogen  seien,  mit  der 
Vorstellung  einer  dichten  Urwaldhedeekung  vereinbar  finden  konnte.  Noch 
niemals  haben  Nomaden  in  Wiildern  gewohnt  oder  Wälder  gerodet.  Sie 
siud  zum  einen  so  wenig  befähigt  wie  zum  andern.  Der  Urwald  bietet  für 
Wanderhirten  mit  ihren  Herden  weder  Nahrung  noch  freie  Bewegung,  und 
vollends  der  Gedanke,  dafs  ein  Hirtenvolk  durch  mühsame  Rodearbeit  sich 
die  Weideplätze  erst  künstlich  schaffen  soll,  steht  in  einem  so  ungeheuerlichen 
Widerspruch  zu  der  extensiven  Wirtschaft,  um  die  es  sich  hier  handelt,  zu 
den  gewaltigen  Räumen,  die  thatsächlich  eine  einzige  Nomadenfamilie  zu  ihrem 
Unterhalt  braucht,  dafs  es  fast  lächerlich  ist,  nur  davon  zu  reden.  Hat  es 
jemals  in  Mitteleuropa  Wanderhirten  gegeben,  so  müssen  sie  weite  wald- 
freie Weideplätze  bereits  vorgefunden  haben. 

Denken  wir  uns  entsprechend  den  neueren  Anschauungen1)  einen 
Ubergang  von  einem  ursprünglichen  Jäger-  oder  Fischerleben  zum  Hackbau 
und  später  zum  höheren  Ackerbau,  so  ist  allerdings  die  theoretische  Möglich- 
keit gegeben,  dafs  die  Urbevölkerung  mit  Rodungen  in  kleinstem  Mafs  be- 
gonnen und  die  späteren  Bevölkernngsschichten  ganz  allmählich  Schritt  für 
Schritt  das  gewonnene  Kulturland  bis  zu  dem  Umfang,  den  wir  itlr  die 
römische  Zeit  festgestellt  haben,  erweitert  hätten.  Eine  derartige  Annahme 
steht  aber  im  Widerspruch  mit  den  sichersten  Ergebnissen  der  archäologischen 
Befunde.  Wir  müssen  ausgehen  von  der  Thatsache,  dafs  die  Germanen  zur 
römischen  Zeit  nicht  gerodet  haben2),  und  zwar  trotz  grofser  Landnot. 
Sie  wufsten  sich  nicht  anders  zu  helfen  als  durch  Auswanderung;  dem  ge- 
schlossenen Urwald  standen  sie  otfenhar  machtlos  gegenüber.  Wir  begreifen 
das;  das  Vordringen  in  Urwälder,  um  sie  zu  roden  und  zu  kultivieren,  setzt 
schon  eine  hochentwickelte  Kultur  voraus,  vor  allem  kultivierte  Stützpunkte 
zur  Ernährung  der  Kolonisten  über  die  Zeit  der  Urbarmachung3).  Sollte 
schon  eine  vorausgegangene  Bevölkerung  dies  Werk  vollbracht  haben,  so 
müfsten  wir  ihr  eine  entsprechend  höhere  Kultur  zuschreiben.  Die  aufeinander- 
folgenden Kulturschichten,  wie  sie  sich  aus  den  archäologischen  Funden  er- 
geben, zeigen  jedoch  von  einer  derartigen  rückschreitenden  Bewegung  kaum 
eine  Spur,  sondern  im  Gegenteil  einen  nahezu  stetigen  Fortschritt. 

Schwerer  wiegt  eine  andere  Thatsache,  die  mit  der  Verbreitungs- 
statistik der  prähistorischen  Altertümer  zusammenhängt.  Es  gilt  vielfach 
als  ausgemacht,  dafs  die  Kultur  überall  die  günstigsten  Funkte  zuerst  auf- 
gesucht und  sich  von  hier  aus  strahlenförmig  allmählich  auch  über  die 
weniger  fruchtbaren  Landstriche  ausgebreitet  habe4).  Wer  von  dieser 
Voraussetzung  ausgehend  aus  der  archäologischen  Karte  eine  geographische 
Entwicklung  der  prähistorischen  Besiedluugsgeschichte  herauslesen  möchte, 
der  erlebt  eine  schwere  Enttäuschung.    Wenn  man  sieht,  mit  welchen  Riesen- 

1)  Ed.  Hahn,  Die  Haustiere  und  ihre  Heziehungen  zur  Wirtschaft  als  Menschen. 
1896.  —  Hirt  a.  a.  0.  S.  369  ff. 

2)  S.  vorige  Seit*.         3)  Vgl.  Meitzen    I    S.  14.  136. 

4)  Wir  kommen  an  anderer  Stelle  noch  auf  diesen  Punkt  zurück. 


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374 


Hob.  Gradmann: 


schritten  die  Kultur  während  des  Mittelalters  in  zuvor  unbewohnte  Gebiete 
vorgedrungen  ist,  so  ist  man  freilich  nur  zu  sehr  geneigt,  diese  Bewegung 
auch  rückwärts  in  die  vorgeschichtliche  Zeit  hinein  zu  verlängern.  Aber  in  der 
Fundstatistik  sucht  man  vergeblich  nach  Belegen,  und  vielleicht  ist  das  auch 
ein  Grund  dafür,  dafs  die  archäologischen  Karten  bisher  weniger  beachtet  wurden, 
als  sie  es  verdienen.  Der  Mangel  jedes  geographischen  Fortschrittes 
in  der  Landesbesiedlung  von  der  neolithischcn  Zeit  durch  die 
Bronze-,  Ballstatt-  und  La  Tene-Periode  bis  an  die  Schwelle  der 
Kömerzcit  gehört  zu  den  auffallendsten  Thatsaehen  der  Prähistorie. 
Ich  sage:  jedes  geographischen  Fortschrittes.  Denn  die  Funde  zeigen 
wohl  in  den  einzelnen  Perioden  verschiedene  Dichtigkeit,  sie  werden  im 
allgemeinen  um  so  spärlicher,  je  weiter  wir  in  der  Zeit  zurückschreiteu;  dafs 
jeweils  verschiedene  Örtlichkeiten  als  Wohnst  ättcu  bevorzugt  wurden,  mag 
ebenfalls  zugegeben  werden.  Allein  von  irgend  welcher  räumlichen  Ent- 
wicklung, von  einem  allmählichen  Vordringen  in  bisher  unbewohnte  Gebiete, 
sei's  von  den  östlichen  Steppen,  sei's  von  der  Meeresküste  oder  auch  von 
einzelnen  Kernpunkten  im  Innern  aus,  findet  sich  schlechterdings  kein  An- 
zeichen. Alle  die  Landschaften,  die  man  in  .spätgermanischer  Zeit  besiedelt 
findet,  waren  auch  zur  jüngeren  Steinzeit  schon  bewohnt,  wenn  auch  wahr- 
scheinlich weniger  dicht.  Und  zwar  sind  schon  die  Steinzeitmenschen  keine 
Waldmeuschen,  keine  blofseu  Jäger  oder  Sammler  gewesen;  sie  besafsen,  wie 
aus  den  Pfahlbaufundeu  bekannt  ist,  Rinder,  Schafe  und  Schweine,  bauteu 
Weizen,  Birse,  Gerste  und  Lein  und  müssen  demnach  auch  schon  über 
Acker-  und  Weideland  verfügt  haben.  Mau  kann  dem  Schlufs  nicht  aus- 
weichen: sind  die  alten  Kulturfiächen  Mitteleuropas,  wie  sie  noch  am  Be- 
ginn unsrer  Zeitrechnung  als  einzige  und  ausschliefsliche  Stätten  der  Be- 
siedelung  gedient  haben,  überhaupt  vom  Menschen  geschaffen,  künstlich 
entwaldet  worden,  so  kann  dies  Werk  nur  der  neolithische  Mensch  vollbracht 
haben.  Wer  mag  aber  dieser  Bevölkerung  zumuten,  dafs  sie  mit  ihren 
ärmlichen  Steinwerkzeugeu  unormefsliche  Urwälder  gerodet  und  damit  eine 
That  verrichtet  habe,  an  deren  Fortsetzung  kein  späteres  Geschlecht  bis 
zum  Eindringen  der  Römer  sich  mehr  heranwagte? 

Es  bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  die  manche  Historiker,  ohne  sich  der 
entgegenstehenden  Schwierigkeiten  bewufst  zu  werden,  mehr  oder  weniger  klar 
voraussetzen,  zu  der  aber  auch  einer  der  vornehmsten  Vertreter  wissenschaft- 
licher Geographie  im  vollen  Bewufstsein  ihrer  Tragweite  gelangt  ist:  dafs 
nämlich  schon  die  ersten  Besiedler  Mitteleuropas  bestimmte 
Gebiete   bereits   in    waldfreiem    Zustande  vorgefunden  haben1). 

1)  Penck  in  Kirchhoff's  Länderkunde  des  Erdteil«  Europa  I,  1  (1887)  S.  441: 
„Der  Streifen  des  Löfsgebietes  zwischen  den  waldigen  (icbirgshöhen  und  den  wald- 
bedeckteu  Ebenen  [im  Norden  der  böhmischen  Umwallung]  ist  somit  der  eigentliche 
Sitz  der  Slaven  und  war  früher  besiedelt  als  die  benachbarten  Waldgebiete.  Teil- 
weise mag  sich  dies  auf  seine  Fruchtbarkeit  zurückführen,  welche  eine  Ackerbau 
treibende  Bevölkerung  anzog;  aber  wenn  nicht  gerade  angenommen  werden  soll, 
dafs  dieselbe  instinktiv  innerhalb  grofser  Waldflächen  den  besten  Feldboden  rodete, 
so  ist  wohl  wahrscheinlich,  dafs  sie  die  Löfedistrikte  in  waldfreiem  Zustande  als 
Wieseugebiete  vorfand,  ähnlich  den  Prärien  des  nordamerikanischen  Westens." 


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Das  initteleurop.Landschaftsbild  nach  seiner  geschichtl.Entwickl.  375 

m. 

Wir  sind  damit  bei  einem  sehr  eigentümlichen  Ergebnis  angekommen. 
Naturwissenschaftliche  Thatsachen  fordern  die  Annahme  einer  ununterbrochenen 
Waldbedeckuug  als  Naturzustand  Mitteleuropas.  Die  historischen  und  archäo- 
logischen Befunde  zeigen  uns  im  Gegenteil  weite  waldlose  oder  doch  sehr 
waldarme  Gebiete  schon  für  die  Urzeit.  Wie  ist  dieser  Widerspruch  zu  be- 
seitigen ? 

Die  Lösung  des  Rätsels  wird  doch  wieder  von  naturwissenschaftlichen 
Thatsachen  dargeboten.  Auch  die  Geologie  lehrt  ja,  dafs  gewisse  Teile 
Deutsehlands  einst  von  Natur  waldfrei  gewesen  sind,  allerdings  nicht  unter 
dem  gegenwärtigen  Klima,  sondern  schon  während  der  Diluvialperiode  unter 
der  Herrschaft  eines  trockenen  waldfeindlichen  Klimas1).  Welche  Gebiete 
dies  waren,  läfst  sich  wohl  noch  annähernd  feststellen;  wir  besitzen  dafür 
verschiedene  Anhaltspunkte.  Einmal  ist  es  der  Löfs,  der  durch  seine  Ver- 
breitung alten  Steppenboden  anzeigt.  Seine  äolische  Entstehung  wird  ja 
jetzt  so  ziemlich  allgemein  zugegeben;  aufserdem  ist  in  seinem  Kalkgehalt 
eine  innige  Beziehung  zur  Steppenvegetation  und  den  ihr  eigentümlichen 
Verwitterungsvorgängen  nachgewiesen2).  Ein  weiteres  Hilfsmittel  besitzen  wir 
in  den  Überresten  von  charakteristischen  Steppentieren,  wie  sie  Nehring 
an  so  zahlreichen  Punkten  Mitteleuropas  nachgewiesen  hat,  und  endlich 
in  der  Verbreitung  von  Steppenpflauzen,  d.  h.  Arten,  die  weder  im  ge- 
schlossenen Walde  noch  auf  Kulturboden  lebens-  und  wanderungsfähig  sind, 
und  die  noch  heute  ein  sehr  streng  geschlossenes  charakteristisches  Vor- 
kommen zeigen3). 

Diese  Zeugnisse  stimmen  recht  befriedigend  überein.  Wo  der  Löfs  ist, 
da  finden  sich  auch  die  Steppenpflanzen,  und  auch  die  fossilen  Steppentiere 
sind  auf  die  gleichen  Verbreitungsgebiete  beschränkt.     Dafs  dies  wirklich 


1)  Von  der  Zurückdrängung  de»  Waldes  während  der  ohne  Zweifel  feucht- 
kalten Vergletscherungsperioden  ist  hier  nicht  die  Rede,  weil  ich  einen  direkten  Zu- 
sammenhang der  Besiedelungsgeschichte  mit  der  Ausbreitung  der  Gletscher  nicht 
zu  erkennen  vermag.  Die  Pfahlbaukultur  schliefst  Bich  den  Moränengebieten  offen- 
bar nur  wegen  ihres  Seenreichtums  an. 

2)  Der  trockene  Steppenboden  reichert  sich  mit  Karbonaten  und  anderen 
Salzen  an,  während  im  Waldklima  der  Boden  ausgelaugt  wird.  Hilgard,  A  Re- 
port on  the  Relations  of  Soil  to  Climate  (U.  S.  Department  of  Agriculture,  Weather 
Bureau  Bull.  Nr.  3).  —  N.  Bogoslowsky,  Die  Verwitterungsrinde  der  russischen 
Ebene  (Verh.  Russisch -Kais.  Mineral.  Gesellseh.  2.  Serie.  Bd.  38.  1.  Lief.  S.  281  ff  ). 
—  R.  Gradmann,  Pflanzenl.  d.  Schwäb.  Alb.  18U8.  I  S.  326.  —  Erst  unter  diesem 
Gesichtspunkte  wird  die  so  scharfe  Abgrenzung  der  Löfsvorkommnisse  verständlich, 
während  sich  nicht  vorstellen  läfst,  warum  Staubniederschläge  am  Rand  der  Wald- 
gebiete so  plötzlich  Halt  machen  sollten. 

3)  Beispiele  bei  Loew,  Über  Perioden  und  Wege  ehemaliger  Pflanzen- 
wanderungen  im  norddeutschen  Tieflaude,  Linnaea  Bd.  42.  1878 — 79.  —  O.  Drude, 
Die  Verteilung  östlicher  Pflanzengenossenschaften  in  der  sächsischen  Elbthal-Flora. 
Isis  1885.  18'J5.  —  A.  Schulz,  Grundzüge  der  Entwickelungsgesch.  der  Pflanzen- 
welt Mitteleuropas.  1893.  —  A.  Petry,  Vegetationsverhältnisse  des  Kyffhäuser-Ge- 
birgea  1889.  —  W.  Jännicke,  Die  Sandflora  von  Mainz,  ein  Relikt  aus  der  Steppeu- 
zeit  1892.  -  Gradmann  a.  a.  0.  1900.  I  S.  275.  278.  337  ff. 


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376    Rol>.  Gradmann:  Das  mitteleuropäische  Landschaftsbild  etc. 


einmal  Steppengebiete  waren,  während  die  benachbarten  Waldlandschaften 
als  solche  fortbestehen  konnten,  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als  sie  sich  auch 
durch  verhältnismäßig  trockenes  Klima  und  vorwiegend  lehmige  Boden- 
beschaffenheit auszuzeichnen  pflogen,  während  die  Nachbargebiete  mit  ihren 
Sandböden  und  ihrer  reichlicheren  Feuchtigkeit,  namentlich  auch  während  des 
Winters,  den  Wald  entschieden  mehr  begünstigen1). 

Stellt  mau  nun  auf  Grund  der  angegebenen  Merkmale  die  alten  Steppen - 
bezirke  Mitteleuropas  zusammen,  so  gelaugt  mau  zu  dem  gewifs  überraschendeu 
Ergebnis,  dafs  diese  im  Binnenlande,  soweit  sich  die  Topographie  überhaupt 
bis  jetzt  verfolgeu  lüfst,  mit  den  uns  bereits  bekannten  Stätten  ur- 
alter Besiedelung  identisch  sind.  Solche  Steppenbezirke  sind  z.  B. 
im  norddeutschen  Tiefland  die  großen  diluvialen  Stromterrassen,  besonders 
die  Niederungen  der  Elbe  und  der  Saale,  der  Ostrand  des  Harzes,  in  Süd- 
deutschlaud  die  oberrheinische  Tiefebene,  das  untere  Alpenvorland  von  der 
Schweiz  bis  nach  Niederösterreich,  ferner  die  Hochflächen  der  schwäbischen 
und  fränkischen  Alb,  die  Niederungen  des  Main-  und  Neckargebietes,  das 
nördliche  Böhmen.  Dagegeu  hat  man  in  den  öfters  genannten,  uoch  zur 
Römerzeit  unbewohnten  Waldgebieten  noch  keine  Spur  von  Löfs,  keinen 
Knocheu  eines  Steppentieres  gefunden,  und  auch  die  Steppeupflanzen  halten 
sich  von  ihnen  ganz  auffallend  fern5). 

Soll  eine  Erklärung  gegeben  werden,  die  allen  den  aufgezählten  That- 
sachen  gerecht  wird,  so  kann  diese  wohl  nur  so  lauten:  die  erste  Bevölkerung 
Mitteleuropas  hat  sich  daselbst  niedergelassen  zu  einer  Zeit,  als  die  alten 
Steppeubezirke  mindestens  noch  sehr  waldarni  waren;  sie  hat  diese  Bezirke 
bald  so  dicht  besetzt,  dafs  auch  unter  dem  später  wieder  feuchter  werdendeu 
Klima  der  Waldwuchs  daselbst  niemals  überhandnehmen  konnte,  während  die 
eigentlichen  Waldgebiete  von  Anfang  an  unbewohnt  blieben.  Indem  jede 
nachfolgende  Bevölkerung  sich  der  waldfreien  Bezirke  bemächtigte  und  sie 
allein  besiedelte3),  konnte  es  geschehen,  dafs  die  Züge  der  alten  Diluvial- 
steppenlandschaft auch  unter  dem  späteren  entschiedenen  Waldklima  bis 
zum  Heginn  des  Mittelalters  erhalten  blieben.  Die  vorrömischeu  Bewohner 
Mitteleuropas  waren  zwar  nicht  im  Stande,  grofsc  Flächen  Urwaldes  zu  roden, 
wohl  aber  konnten  sie  da,  wo  sie  dem  Wald  wüchse  gleichsam  noch  zuvor- 
gekommen waren,  dessen  Eindringen  in  ihr  Weide-  und  Ackerland  dauernd 
verhindern4).  Wie  der  Augenschein  noch  in  der  Gegenwart  lehrt,  genügt 
dazu  schon  ein  regelmäfsiges  He  weiden  des  Landes. 

1)  Vgl.  bes.  Nehring,  Cber  Tundren  und  Steppen  der  Jetzt-  und  Vorzeit. 
1890.  —  Genauere  Nachweise  für  Süddeutsehland :  Gradmann  I  S.  345  tf.  —  Über 
die  Beziehungen  der  Wald-  und  Steppenvegetation  zum  Hoden:  Kostytschc w, 
I  ber  den  Zusammenhang  zwischen  dem  Erdboden  etc.  1890  (Ref.  in  Engter*«  Hot. 
Jb.  XV  1893.  L  B.  S.  331). 

2)  Grad  mann  I  S.  355 ff. 

3)  Bafs  der  alte  Kulturboden  mit,  Zähigkeit  festgehalten  wird,  liegt  in  der 
Natur  der  Sache  i.Meitzen  a.  a.  0.  I  S.  10),  und  wird  'überdies  durch  die  prähisto- 
rischen Funde  bestätigt  (vgl.  oben  S.  373 f.). 

4)  Einen  ähnlichen  Gedanken  hat  Ernst  H.  L.  Krause  schon  1892  ausge- 
sprochen  (Die  natürliche   PÜanzeudecke  Norddeutschlands.     Globus  61  S.  Kl  ff). 


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H.  Toepfer:  Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar.  377 


Wie  man  sich  nun  aber  auch  zu  dieser  Theorie  stellen  mag,  die  nach- 
gewiesene Beziehung  zwischen  der  Topographie  der  diluvialen  Steppenland-  I 
schaft  und  der  älteren  Besiedelungsgeschichte  bleibt  eine  unwiderlegliche 
Thaisache,  und  damit  ist  der  Satz  erwiesen,  den  ich  als  den  Kernpunkt 
meiner  Ausführungen  hinstellen "  möchte:  Der  Gegensatz  zwischen  Wald- 
gebieten  und  offener  Landschaft,  wie  er  die  ganze  ältere  Be- 
siedelungsgeschichte Mitteleuropas  durchzieht  und  noch  bis  in 
die  Gegenwart  fortwirkt,  ist  tief  in  der  Natur  begründet  und 
darf  daher  auch  eine  tiefe,  bisher  nfcht  genügend  gewürdigte 
geographische  Bedeutung  in  Anspruch  nehmen.        (Schlufs  folgt.) 


Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar. 

Aus  dem  Russischen. 
Von  H.  Toepfer. 

(Schlufs.) 
III. 

Der  Flufs  Kisyl-ssu  teilt  sich  bei  seinem  Eintritt  in  die  ganz  flache 
Kaschgar-Ebene  in  einige  natürliche  Arme,  die  sich  ihrerseits  in  eine  Menge 
künstlich  hergestellter  kleinerer  Bewässerungsgräben  —  Aryks  —  nach  allen 
Seiten  verzweigen.  Durch  dies  Netz  von  Wasserläufeu  wird  der  Kaschgar- 
Oase  das  nötige  Wasser  zugeführt,  und  ihr  Bestehen  als  Oase  gewährleistet. 
Ihren  Mittelpunkt  und  Hauptort  bildet  die  Stadt  Kaschgar  selbst,  einer  der 
ältesten  Orte  der  Erde.  Schon  die  altgriechischen  Historiker  Eratosthenes 
und  Megasthenes  erwähnen  ihrer,  und  sehr  eingehend  wird  sie  von  alten 
chinesischen  Reisenden  und  Chronisten  beschrieben.  Bei  den  letzteren  heifst 
die  Stadt  mit  ihrer  Umgebung  Ssu-le  und  wird  ihre  von  Alters  her  be- 
stehende Bedeutung  als  Handelsplatz  betont,  Diese  Bedeutung  hat  sie  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  wenigstens  für  den  Handelsverkehr  zwischen  dem 
chinesischen  Turkestan  und  Rufsland  bis  heute  bewahrt,  und  sie  spricht  sich 
darin  aus,  dafs  die  Chinesen  hier  eine  „Hauptverwaltung  für  die  Handels- 
angel«genheiten"  von  ganz  Kaschgarien  eingerichtet  ha'  en.  Die  nachfolgen- 
den Zeilen  geben  einige  Aufschlüsse  über  die  Stadt  und  ihre  Bevölkerung, 
natürlich  nur  oberflächliche,,  wie  sie  von  einem  Touristen  nicht  gut  anders 
erwartet  werden  können. 

Kaschgarien  ist,  wie  allgemein  bekannt  und  auch  oben  schon  angedeutet 
ist,  eine  verhältnismäfsig  hoch  über  dem  Meeresspiegel  gelegene  Kessel- 
landschaft, deren  sefshafte  Bevölkerung  sich  ausschliefslich  da  konzentriert 
hat,  wo  die  Bodenverhältnisse  und  Bewässerung  den  Ackerbau,  mindestens 
die  Viehzucht  gestatten,  Wo  die  felsige  Einöde  durch  Strecken  mit  frucht- 
barem Löfsboden  unterbrochen  wird  und  wohin  die  von  den  hohen  Rand- 
gebirgen sich  sammelnden,  von  der  heifsen  Sonne  -aus  Gletschern  und  Schnee- 

Geogr»phi«che  ZeiHchrJft  7J»hrg»ujr  1901.  T.Heft  20 


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378 


II.  Toepfer: 


massen  herausgetauten  Wasserraassen  zusammenströmen,  da  hat  sich  die 
Bevölkerung  dichter  gruppiert. 

Ähnlich  wie  in  den  Oasen  des  wasserarmen  Transkaspien  hat  sich  das 
dem  örtlichen  Bedürfnis  entsprechende  künstliche  Bewässerungssystem  hier 
völlig  selbständig  entwickelt:  von  dem  weitverzweigten  Netz  von  Aryks 
ist  der  bedeutendste  der  „Andishan-Kitschu"  benannte,  breite  und  tiefe 
Wassergraben ,  den  der  Reisende  20  km  vor  Kaschgar  überschreiten  mufs: 
er  speist  zahlreiche  ausgedehnte  Felder  am  Fufs  der  südlichen  Ausläufer  des 
Tjan-schan  und  umströmt,  nach  Aufnahme  verschiedener  kleinerer  Aryks 
Tjumen  genannt,  in  einem  Bogen  gegen  Südosten  die  Stadt  Kaschgar. 

Von  dem  Ubergang  über  den  Andishan-Kitschu  an,  wo  sich  eine 
chinesische  Herberge  befindet,  bis  zur  Stadt  führt  der  Weg,  von  weuigen 
kurzen  Strecken  abgesehen,  durch  bewohnte  Ortschaften.  Je  mehr  man  sich 
der  Stadt  nähert,  desto  häufiger  werden  die  langen  Pappel-Alleen  und  -Gruppen 
auf  den  Knicks,  welche  die  Reisfelder  von  einander  abteilen.  Bald  tritt  der 
Weg  in  eine  engbesetzte  Allee  von  hohen  Pyramidenpappeln  ein  und  wird 
beiderseits  von  Obst-  und  Gemüsegärten  begleitet.  Die  bisher  verstreut 
liegenden  Häuser  gruppieren  sich  dichter  und  vereinigen  sich  zu  Weilern  und 
Dörfern  (Kisehlaks);  der  Ausblick  auf  die  -Stadt  selber  wird  durch  Wohu- 
stätten  und  Bewachsung  uoch  lange  verdeckt.  Man  passiert  den  alten  ver- 
fallenen Wachtturm,  von  dem  aus  zur  Zeit  Jakub-bek's  nach  den  aus  Rufs- 
land kommenden  Handelskarawanen  Ausschau  gehalten  wurde  und  wo  damals 
die  Pässe  geprüft  wurden;  hier  beginnen  die  eigentlichen  Vorstädte  von 
Kaschgar,  hier  ist  die  Grenze,  welche  das  mit  unfruchtbaren  Gesteinsfiächen 
durchsetzte  Schwemmland  des  KisyJ-ssu  und  seiner  Anne  von  dem  eigent- 
lichen schweren  Löfsboden  scheidet,  der  in  Zentralasien  und  besonders  Inner- 
china so  häufig  auftritt. 

Kaschgar  selbst  besteht  eigentlich  aus  zwei  Städten:  der  alten  Moham- 
medaner-Stadt, welche  ungefähr  an  der  Stelle  des  früheren  Ssu-le  gelegen 
ist,  und  dem  neuen  durch  die  Chinesen  eingerichteten  verschanzten  Lager 
für  die  Garnison,  Jangi-Schaar.  Obgleich  das  letztere  fast  10  km  von  dem 
Zentrum  der  Mohammedaner-Stadt  entfernt  ist,  wird  es  doch  auch  als  „Neu- 
Kaschgar"  oder  kurzweg  „die  Neustadt"  bezeichnet. 

Alt-Kaschgar  liegt  also  in  einein  Bogen  des  Tjumen  benannten  Flufs- 
laufes  und  bildet  einen  ziemlich  ausgedehnten,  von  hoher  Mauer  umschlosseneu 
Gebäudekomplex;  die  Höhe  der  Mauer  beträgt  12 — 14  m,  ihre  Stärke  oben 
auf  der  mit  einer  Brustwehr  gekrönten  Plattform  noch  über  3  m.  Im  Weich- 
bild der  Stadt  wohnen  mehr  als  30  000  Mohammedaner,  auf  etwa  200  Stadt- 
viertel verteilt.  Diese  Reviere  werden  durch  zahllose  Strafsen  und  Gassen 
durchkreuzt,  welche  zumeist  so  eng  sind,  dafs  zwei  einander  begegnende  Last- 
wagen sich  unmöglich  ausweichen  könnten  und  den  Warentransport  deshalb 
durch  Saumtierlasten  mittelst  Pferden  und  Eseln  bewältigt  wird.  Wenn  eine 
Kameelkarawane  durch  die  Strafsen  zieht,  so  reitet  ein  Führer  vorher  und 
fordert  mit  lauter  Stimme  auf,  den  Weg  frei  zu  geben;  wehe  dem,  der  sich 
nicht  rechtzeitig  in  eine  Seitengasse  flüchtet!  er  riskiert  unter  die  Hufe  der  Tiere 
.zu  kommen  oder  an  die  schmutzigen  Lehmwände  der  Häuser  gedrückt  zu  werden. 


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Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar. 


379 


Die  Häuser  in  der  Stadt  Kaschgar  unterscheiden  sich  in  nichts  von 
denen  der  Dörfer;  es  sind  dieselhen  unansehnlichen  Lehmhütten,  die  so  leb- 
haft an  die  kleuirussischen  erinnern,  nur  dafs  sie  innen  und  aufsen  keinen 
weifsen  Anstrich  erhalten  wie  in  Kleinrufslaud,  sondern  dieselbe  graugelbe 
Sandfärbung  zeigen,  wie  der  Löfsboden,  aus  dem  sie  hergestellt  sind.  Die 
Gebäude  sind  stets  einstöckig,  haben  ein  flaches  Dach  und  keine  Fenster  nach 
der  Strafse  zu;  und  die  wenigen  Fenster  nach  dem  Hof  sind  ganz  klein  und 
ohne  Scheiben,  nicht  einmal  mit  Papier  beklebt,  wie  man  es  doch  sonst  bei 
den  Fenstern  der  chinesischen  Fansen  sieht.  Das  Innere  des  Hauses  ent- 
spricht ganz  seinem  ärmlichen  Aufsern  und  ist  für  den  Europäer  wenig  ein- 
ladend. Der  Fufsboden  ist  selbst  bei  den  Wohlhabenden  ein  aus  Löfsboden 
gestampfter  Lehmestrich  und  wird  nur  bei  den  allerreichsten  Kaschgarzen 
aus  Ziegeln  hergestellt,  welche  ebenfalls  aus  Ijöfs  geformt  und  von  der 
heifseu  Sonne  gebrannt  werden.  Der  rückwärtige  Teil  des  Raumes,  der  bis- 
weilen durch  einen  halbhohen  Verschlag  abgeteilt  wird,  ist  gewöhnlich  gegen 
den  Teil  am  Eingang  etwas  erhöht  und  wird  mit  Strohmatten  oder  Teppichen 
belegt:  er  dient,  als  Ehrenplatz,  in  dem  die  Gäste  empfangen  und  ge- 
wöhnlich auch  bewirtet  werden.  Ofen  giebt  es  nicht  und  sind  des  verhältuis- 
mäfsig  mildeu  Klimas  wegen  auch  kaum  nötig  —  an  ihrer  Stelle  bat  mau 
einen  mächtigen  und  ungewöhnlich  viel  Hauch  entwickelnden  Kamin,  von 
dessen  Thätigkeit  der  ganze  Raum  das  Aussehen  einer  Räucherkammer  be- 
kommt. 

Tritt  man  durch  die  niedere  Thüre  einer  solchen  Behausuug,  so  bedarf 
mau  zunächst  einer  gewissen  Erfahrung,  um  sich  schnell  orientieren  zu 
können,  denn  die  innen  herrschende  Finsternis  verschleiert  alle  Einzelheiten 
der  häuslichen  Einrichtung,  welche  zumeist  aus  Teppichen  an  Stelle  der 
Betten  und  dem  allerprimitivsten  Gerät  besteht. 

Hier  und  da,  vornehmlich  im  Zentrum  Kaschgars,  wo  mehrere  Strafsen 
und  Gassen  zusammenlaufen,  sind  Plätze  vorhanden,  welche  als  Marktplätze 
oder  Bazare  dienen.  Hierher  bringen  alle  Donnerstage  die  Bewohner  der 
umliegenden  Weiler  und  Dörfer  ihre  Erzeugnisse  oder  Rohprodukte,  mit  denen 
sie  Tauschhandel  betreiben.  Solcher  Bazare  giebt  es  mehrere,  und  sie  werden 
je  nach  der  WTare,  die  hauptsächlich,  vertrieben  wird,  benannt:  Kunak-Bazar 
der  Getreidemarkt  ,  At-bazar  der  Viehmarkt  u.  s.  w.  Da  herrscht  an  den 
Donnerstagen  ein  buntes  Treiben  und  Durcheinander,  wie  man  sieh's  nur 
schwer  vorstellen  kann.  Denn  schliesslich  werden  nicht  nur  Waren  aus- 
geboten und  an  den  Mann  gebracht,  sondern  alle  Neuigkeiten  ausgetauscht, 
und  ist  wie  in  allen  mohammedanischen  Städten  der  Markttag  für  die  Eiu- 
wobuer  dasselbe,  was  für  einen  in  entlegene  Gegenden  verschlageneu  ge- 
bildeten Menschen  das  Eintreffen  neuer  Zeitungen  bedeutet.  Die  in  der 
Nähe  des  Ba/.ars  gelegenen  Theebuden  —  Tschai-hane  —  und  Garküchen 
verdienen  für  die  ganze  Woche;  es  wimmelt  ip  ihnen  von  Besuchern,  welche 
zu  ihnen  strömen  in  der  Absicht  und  sicheren  Überzeugung,  einige  Neuig- 
keiten aufzuschnappen,  denn  es  wird  über  alles  Mögliche  debattiert  und 
kommentiert,  geklatscht  und  gesprochen,  und  manche  politische  Umwälzung 
ist   auf   dem   Bazar  gekeimt.     Der  Bazar  selbst   bietet  ein  ungewöhnlich 

•26* 


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380  H.  Toepfer: 

malerisches  und  eigenartiges  Bild.  Verkaufsbuden,  wie  in  europäischen 
Städten,  giebt  es  nicht,  dafür  mächtige  viereckige  Schirme  aus  Strohmatten 
auf  Bambusrohren  oder  Holzstangen,  welche  in  der  Sitzbank  oder  einfach 
im  Boden  befestigt  sind.  Unter  diesen  Ungetümen  lagert  der  eingeborene 
Kaufmann  mit  seinen  einfachen  Waren;  Handler,  welche  eingeführte  Manu- 
Cakturwaren  vertreiben,  besuchen  den  Bazar  nicht,  sondern  machen  ihre  Ge- 
schäfte in  den  Karawansereien,  wo  sich  grofse  Niederlagen  befinden,  oder 
in  den  ständigen  Läden,  welche  übrigens  ebenfalls  mit  europäischen  Waren- 
lagern nicht  das  geringste  gemein  haben.  Es  sind  nach  der  Strafse  zu 
offene,  sehr  wenig  tiefe  Räume  mit  einigen  Regalen  an  den  Wänden,  in 
denm  Mitte  der  Kaufmann,  auf  der  Diele  hockend,  seine  Waren  anpreist. 
Mit  Einbruch  der  Dämmerung  wird  die  offene  Seite  mit  Brettern  zugesetzt 
oder  durch  eine  massive  Thür  mit  mächtigem  Schlaft  abgesperrt.  Der  Laden- 
besitzer wohnt,  allermeist  wenigstens,  iu  demselben  Anwesen,  lieber  noch  in 
dem  Hause,  zu  dem  der  Laden  gehört,  sehr  oft  im  Laden  selbst.  Mitunter 
wird  auch  bei  Tage  sein  Bett  nicht  weggeräumt  und  verschläft  er  den  lieben 
langen  Tag  inmitten  allen  Strafsenlänns. 

Dem  Heisenden  fällt  sofort  die  übermäfsig  grofse  Zahl  der  Handel 
treibenden  eingeborenen  Bevölkerung  auf;  so  ist  aber  der  Kaschgar/.e :  sobald 
er  denken  kann,  geht  sein  ganzes  Dichten  und  Trachten  darauf  hinaus,  einen 
Laden  aufzumachen,  und  wenn  sich  ihm  hierzu  nur  irgend  eine  Möglichkeit 
bietet,  Hilst  er  sie  ganz  sicher  nicht  vorübergehen.  Und  so  kommt  es,  dafs 
reichlich  drei  Viertel  aller  Kaufleute  mit  Gegenständen  handeln,  nach  welchen 
nur  sehr  geringe  Nachfrage  ist,  oder  welche  eher  als  Schund,  denn  als  Ware 
zu  bezeichnen  sind.  So  giebt's  Läden,  in  denen  nur  ausgeleerte  Sardineu- 
büchsen  und  Glastlaschen  jeder  Form  und  Gröfsc  und  sonstiger  von  Reisenden 
weggeworfener  Krimskrams  feilgeboten  oder  bunte  Steine,  z.  B.  Nephrite,  die 
doch  jeden  Wert  verloren  haben,  verhandelt  werden.  Im  allgemeinen  gewinnt 
mau  sehr  bald  die  Überzeugung,  dafs  trotz  allen  Lärms  und  aller  Geschäftig- 
keit auf  dem  Bazar,  trotz  der  Unmenge  Händler  und  Käufer  der  Handel 
sehr  lahm  geht  uud  au  gewöhnlichen  Tagen  beinahe  stockt,  Um  dies  be- 
stätigt zu  finden,  braucht  man  nur  die  die  ganze  Stadt  durchziehende  Haupt- 
geschäftsstraße entlaug  zu  gehen,  iu  welcher  sich  ein  Laden  neben  dem 
andern  befindet,  von  denen  aber  eine  ganze  Anzahl  enl  weder  geschlossen  ist 
oder  eine  ganz  klägliche  Existenz  führt.  Kaum  je  siebt  man  iu  letzteren 
einen  Käufer,  dafür  aber  als  gewöhnliches  Bild  den  Ladenbesitzer  ungestört 
schlafend;  er  weifs,  dafs  sein  Keiph  nicht  unterbrochen  werden  wird.  Mehr 
Leben  ist  in  den  Holz-,  Fleischer-,  Grünkram-  und  Viehfulterliiden,  in  denen 
eine  immer  lärmende,  wie  in  einem  Ameisenhaufen  wimmelnde  Menge  aus- 
und  eingeht,  bis  die  Sonne  unter  dem  Horizont  verschwunden  ist. 

Wie  kommt  es,  dafs  trotz  der  grofseu  Menge  Handeltreibender  uud  trotz 
des  flauen  Geschäfts  und  geringen  Ertrages  alles  zum  Handelsstand  sich 
drängt?  Wenn,  wie  schon  oben  gesagt,  des  Kaschgarzen  höchstes  Ideal  ist, 
ein  Kaufmann  zu  sein,  ein  Ideal,  das  er  übrigens  mit  einem  grofseu  Teil 
der  Bevölkerung  des  mohammedanischen  Orients  geniein  hat,  so  ist  der 
Grund  dafür  lediglich  darin  zu  suchen,  dafs  für  den  unternehmenden  Musel- 


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Der  Weg  von  Osch  nach  Kaschgar. 


381 


man  der  Handel  das  einzige  Mittel  ist,  zu  Wohlstand  und  Reichtum,  Ehre 
und  Ansehen  unter  seinesgleichen  zu  gelangen.  Und  darum  gilt  Handel 
jeder  Art  als  ein  Beruf,  der  sich  der  höchsten  Achtung  erfreut.  Indessen 
betreibt  doch  der  Karschgarlyk  allermeist  irgend  eine  Nebenbeschäftigung, 
z.  B.  Ackerbau  oder  Viehzucht,  welche  ihm  seine  Existenz  zuverlässiger 
sichert,  als  der  Handel  allein  mit  seinen  mageren  oder  unsicheren  Er- 
trägnissen. 

Kaschgar,  die  Stadt,  hat  drei  Thore  mit  eisenbeschlagcnen  massiven 
Flügeln,  welche  mit  Sonnenuntergang  geschlossen  und  erst  bei  Beginn  der 
Morgendämmerung  wieder  geöffnet  werden.  Dies  ist  Aufgabe  besonderer 
Thorwachen,  welche  im  Innern  bei  den  Thoren  untergebracht  sind  und  jedes- 
mal durch  Kanonenschüsse  an  ihre  Pflicht  erinnert  werden.  Abends  werden 
zwei  Schüsse  gelöst:  auf  den  zweiten  fallen  die  Thore  ins  Schlofs  und 
werden  gleichzeitig  alle  an  den  Mündungen  der  Strafsen  und  Gassen  befind- 
lichen Gitterthüren  verriegelt.  Diese  letzteren  haben  den  Zweck,  die  Stadt-  . 
reviere  und  ihre  Bevölkerung  zur  Nachtzeit  von  einander  abzusondern.  Die 
chinesischen  Behörden  trauen  nämlich  bis  auf  den  heutigen  Tag  der  ein- 
geborenen Bevölkerung,  welche  übrigens  ein  paar  Dutzend  mal  zahlreicher 
ist,  als  die  chinesische  einschl.  des  Militärs,  nicht  über  den  Weg.  Sympathien 
kann  allerdings  ihr  unverständiges  Kegierungssystem,  welches  fast  unerschwing- 
liche Abgaben  erprefst  und  der  eigennützigen  Willkür  seiner  Beamten,  ohne 
zu  strafen,  weitesten  Spielraum  läfst,  unter  der  eingeborenen  Bevölkerung 
nicht  erwecken.  Im  Gegenteil,  die  Unzufriedenheit  ist  allgemein  und  wird 
ganz  offen  gezeigt,  Und  da  nun  die  Völker  des  Orients  als  leicht  entzünd- 
lich bekannt  sind,  sieht  sich  die  chinesische  Regierung  veranlagt,  gegen  jede 
Regung  von  Unbotmäfsigkeit  mit  gröfster  Strenge  einzuschreiten,  in  Kaschgar 
eine  ziemlich  beträchtliche  ständige  Garnison  zu  halten  und  allerhand  Mafs- 
regeln  zu  ersinnen,  um  jede  Empörung  im  Keime  zu  ersticken.  Daher  der 
Gitterabsehlufs  der  einzelnen  Reviere,  damit  unerwartete  Aufregungen  nicht 
weiter  verbreitet  werden  können  —  sonderbare  Naivetät  chinesischer  Behörden 
übrigens,  zu  glauben,  dafs  die  einmal  entfesselte  Volkswut  vor  diesen  arm- 
seligen Gitterthüren  Halt  macht! 

Wie  schon  oben  angedeutet  worden  ist,  hat  Kaschgar  für  den  russischen 
Handel  mit  Ost -Turkestan  seine  grofse  Bedeutung;  zu  seinen  ständigen  Be- 
wohnern gehören  russische  Unterthanen,  Kaufleute  aus  Ferghana  und  Ssamar- 
kand.  Zur  Wahning  ihrer  Interessen  und  des  Ansehens  des  russischen 
Namens  ist  im  Jahre  1882  ein  Berufskonsulat  errichtet  worden;  erster 
Konsul  wurde  der  frühere  Beamte  des  Finanzministeriums  für  Turkestan 
N.  P.  Petrowski,  welcher  diesen  seinen  inzwischen  zum  General-Konsulat  er- 
hobenen Posten  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  verlassen  hat. 

Die  Bevölkerung  von  Kaschgar  ist  mit  der  des  russischen  Turkestan 
eines  Stammes  und  steht  mit  ihr  in  engen,  vielfach  verwandtschaftlichen  Be- 
ziehungen. In  Kaschgar  haben  sich  frühere  Einwohner  von  Khokand  nnd 
Ssamarkand  niedergelassen,  welche  nach  der  Einverleibung  ihrer  Heimat 
in  Rufsland  mit  der  neuen  Gestaltung  der  Dinge  sich  nicht  zu  befreunden 
vermochten    oder,   politisch    kompromittiert,    flüchten  mufsten.  Umgekehrt 


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382  H.  Toepfcr:  Der  Wep  von  Osch  nach  Ka.mhgar. 


sind  auf  russisches  Gebiet  verlogen  und  ziehen  noch  heule  viele,  welche 
ein  unabhängiges  Kaschgarien  anstreben.  Sie  alle  haben  entweder  ihre 
Familien  in  der  alten  Heimat  zurückgelassen  oder  mindestens  mit  ihrem  Ver- 
wandtenkreise nicht  völlig  gebrochen  und  tragen  dazu  bei,  die  durch  Stammes- 
verwandtschaft,  Religion  und  Sprache  bedingten  Beziehungen  zwischen 
Kaschgarien  und  Ferghana  noch  enger  zu  gestalten.  Die  aus  Fcrghana  und 
den  übrigen  russischen  Gebietsteilen  stammenden  Fremden,  sei  es,  dafs  sie 
nur  zu  vorübergehendem  Aufenthalt  gekommen  sind,  oder  ihren  ständigen 
Wohnsitz  in  Ost-Turkestan  nehmen  und  chinesische  Unterthanen  werden 
wollen ,  heifsen  in  Kasehgar  Andischanzen.  Sie  zeichnen  sich  vor  den  Ein- 
geborenen durch  gröfsere  Selbständigkeit  und  Findigkeit  aus  und  bilden  des- 
halb ein  der  chinesischen  Regierung  höchst  unerwünschtes,  freilich  auch 
sehr  unruhiges  Element  der  Bevölkerung.  Von  der  chinesischen  Regierung 
unfreundlich  behandelt  und  in  dauernder  Verbindung  mit  den  zu  Handcls- 
zwecken  Kasehgar  besuchenden  früheren  Landsleuten,  müssen  die  Andischanzen, 
sie  mögen  wollen  oder  nicht,  am  russischen  Konsulat  einen  Halt  suchen,  denn 
allein  die  russische  Vertretung  vermag  gegen  die  Willkür  der  chinesischen 
Beamten  einen  Schutz  zu  gewähren.  So  kommt  es,  dafs  die  Andischanzen 
ihre  Wohnungen  und  Karawanseraien  in  der  Nähe  des  russischen  Konsulats, 
vorzugsweise  aufserhalb  der  Stadtmauern,  erbauen. 

Die  ganze  russische  Kolonie  zählt  einschl.  der  Kasaken  nur  vielleicht 
80  Köpfe,  aber  sie  hat  eine  außerordentliche  Bedeutung  für  die  Stadt,  Dank 
ihrer  Unabhängigkeit,  von  den  chinesischen  Behörden.  Sie  bildet  buchstäblich 
eine  Stadt  für  sich  mit  völlig  russischem  Gepräge,  in  der  kein  chinesischer 
Krieger  je  erscheint  und  nur  russische  Wünsche  mafsgebend  sind. 

Infolge  der  chinesischen  Wirren  hat  sich  die  Lage  der  chinesischen  Be- 
hörden in  Kasehgar  sehr  schwierig  gestaltet.  Denn  Zündstoff  ist  über- 
genug in  Kaschgarien  vorhanden:  12  000  Chinesen,  eine  Welle  in  dem  Meere 
einer  zwei  Millionen  zählenden  eingeborenen  Bevölkerung,  leben  dort  als  eine 
nach  Herkunft,  Sprache,  Religion  und  Gesittung  fremde  Herrenkaste,  ver- 
achten und  knechten  das  Volk  und  halten  es  unter  einem  schier  unerträg- 
lichen Steuerdruck.  Kein  Wunder,  wenn  dies  Volk  im  Hinblick  auf  die  ver- 
gleichsweise sehr  günstige  Lage  seiner  unter  russischem  Scepter  stehenden 
Stammesgenossen  sich  höchst  unzufrieden  fühlt.  Die  chinesischen  Behörden 
wissen  das  sehr  wohl,  aber  sie  kennen  auch  aus  langer  Erfahrung  die  Apathie 
und  mangelnde  Einigkeit  ihrer  Unterthanen  und  stützen  ihr  Regiment  darauf, 
zugleich  mit  strengen  Strafen  jeden  Versuch  des  Aufruhrs  bedrohend. 

Zum  Schlufs  noch  einige  Worte  über  den  russischen  Handel  in  Kaschgarien. 
Einfuhrartikel  sind  hauptsächlich  Baumwollen-  und  Manufakturwaren,  Zucker, 
Eisenwaren  und  Petroleum.  Die  Einfuhr  in  Kasehgar  und  ganz  Westchina 
ist,  wie  schon  angedeutet,  im  wesentlichen  zollfrei,  dennoch  nicht  so  be- 
deutend, als  man  danach  annehmen  könnte;  sie  hebt  sich  auch  nur  sehr 
langsam,  einmal  wegen  der  sich  kaum  bessernden  wirtschaftlichen  Verhält- 
nisse, der  Ärmlichkeit  und  Bedürfnislosigkeit  der  Kaschgar/.en ,  vornehmlich 
jedoch  wegen  der  starken  Konkurrenz,  welche  die  aus  Indien  weniger 
aus  Innerchina    —    kommenden  Waren  machen.    An  sich  billiger  haben  die 


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Der  XIII.  deutsche  (Jeographeutag  in  Breslau. 


889 


englisch-indischen  Erzeugnisse  durch  die  Kosten  des  aufserordentlich  ersehwerten 
Transports  auf  weiteren  Wegen  vorlaufig  zwar  noch  einen  heträchtlichen 
Preisaufschlag  zu  trageu;  aber  dieser  Umstand  hat  die  Englander  bereits 
veranlaßt,  ernstlich  an  die  Herstellung  einer  Strafse  von  Ladak  nach  Kaschgar 
zu  denken  und  über  das  Stadium  des  Projekts  einer  solchen  Strafse  hinweg 
zu  gelangen.  Soll  die  englisch -indische  Konkurrenz  nicht  zu  gefährlich 
werden,  wird  auch  Rufsland  nichts  übrig  bleiben,  als  die  Wegeverbindungen 
aus  Ferghana  und  Ssemirjetschje  zu  verbessern. 

In  der  That  ist  man  der  Frage  näher  getreten,  in  welcher  Weise  der 
Weg  von  Osch  bis  Irkeschtam  besserungsfähig  ist.  Es  handelt  sich  erstens 
darum,  ihn  für  das  ganze  Jahr  passierbar  zu  erhalten,  zweitens  die  Be- 
schwerden des  Marsches  für  Mensch  und  Tier  zu  vermindern.  Hierzu  müssen 
nicht  nur  die  wirklich  unumgänglichen  Besserungsarbeiten  auf  der  Strecke 
seihst  ausgeführt,  sondern  den  Karawanen  auch  vermehrte  Gelegenheit  zur 
Unterkunft  und  Entnahme  von  Mundvorräten  und  Fourage  gegeben  werden  — 
denn  die  bislang  erbauten  Herbergen  reichen  nicht  entfernt  aus.  Während 
aber  diese  Mafsregeln  den  Handelsverkehr  nur  insofern  fördern,  als  sie  das 
Reisen  und  den  Warentransport  erleichtern,  dürfte  von  der  Fortführung  der 
Eisenbahn  bis  Osch,  von  der  Einrichtung  einer  regelmäfsigen  Postverbindung, 
endlich  von  der  Herstellung  einer  Telegraphenlinie  bis  Kaschgar  erhofft, 
werden,  dafs  die  bisherige  wirtschaftliche  Abgeschlossenheit  Kaschgars  gegen 
Rufsland  endgiltig  aufhört.  Je  eher  aber  mit  diesen  Mitteln  engere  Be- 
ziehungen zwischen  Rufsland  und  Westchina  angeknüpft  werden,  desto  leichter 
wird  es  den  Russen  gelingen,  den  von  Süden  und  Südosten  her  vordringen- 
den Engländern  entgegen  zu  treten. 


Der  XIII.  deutsche  Geographen  tag  in  Breslau. 

Von  Dr.  Machacek,  Heinrich  Fischer  und  Dr.  O.  Schlüter. 

Vom  2H.  bis  zum  30.  Mai  ist  in  Breslau  der  dreizehnte  deutsche  Geo- 
graphentag abgehalten  worden.  War  auch  wegen  der  grofsen  Entfernung  die 
Beteiligung  aus  dem  westlichen  Deutschland  gering,  so  war  doch  der  Tag, 
der  unter  der  Oberleitung  von  Prof.  Partsch  vortrefflich  vorbereitet  worden 
war,  als  ein  entschiedener  Erfolg  zu  bezeichnen;  er  hat  allen  Teilnehmern 
reiche  Anregung  und  Belehrung  gebracht. 

SUdpolarforschang. 

Den  ersten  Beratungsgegenstand  bildete  ebenso  wie  bei  der  Jenaer  Tagung 
die  Sttdpolarforschung. 

Zunächst  berichtete  Geh.  Admiralitätsrat  Neuinayer  über  die  Thätigkeit 
der  vom  XI.  Deutschen  Geographentage  zu  Bremen  ernannten  Kommission  für 
Südpolarforschung  seit  1807.  Bei  dem  regen  Interesse,  dessen  sich  diese 
Angelegenheit  erfreut,  ist  ihr  Stand  .wohl  als  bekannt  anzunehmen;  man 
weifs,  dafs  die  „Gaufs"  unter  Drygalski's  Leitung  noch  in  diesem  Sommer 


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Der  XIII.  deut.Hphe  Geographentag  in  Breslau 


Europa  verlassen  wird.  Da  das  ganze  Unternehmen  in  die  Hände  der  Reichs- 
regierung übergegangen  Ist,  betrachtet  die  Kommission  ihre  Aufgabe  als  er- 
ledigt. Nach  einigen  Dankesworten  v.  Riehthofcn's  wurde  der  Antrag  auf 
Auflösung  der  Kommission  angenommen. 

Dr.  Emil  Philipp]  aus  Berlin,  einer  der  Teilnehmer  der  bevorstehenden 
Expedition,  erörterte  deren  geologische  Probleme.  Als  vornehmstes  Problem 
erscheint  es,  festzustellen,  welchem  der  beiden  Typen  im  geologischen  Aufbau 
der  Südhemisphäre,  dem  indo-atlantischen  (Südafrika,  Indien,  Australien  xind 
das  östliche  Südamerika)  und  dem  pazifischen  (Neu-Seeland  und  der  andine 
Teil  Südamerikas)  die  einzelnen  Landgebiete  der  Südpolarregion  angehören. 
Am  besteu  bekannt  ist  bisher  das  Land  südlich  von  Südamerika  (Alexander- 
Land ,  Graham-Land,  Südgeorgien  etc.),  wo  an  vielen  Orten  kristallinische 
Schiefer,  sowie  eine  lebhafte  vulkanische  Thätigkeit  vorgefunden  wurden. 
Doch  fehlt  von  den  Kreideschichten  der  and  inen  Küstenkordillerc  noch  jede 
Spur;  die  von  Arktowski  behauptete  Fortsetzimg  dieser  Kette  durch  diesen 
Inselkranz  nach  dem  antarktischen  Kontinent  ist  also  noch  nicht  endgilt  ig 
festgestellt.  Noch  weniger  ist.  das  südlich  von  Neu-Seeland  gelegene  Gebiet 
bekannt.  Auf  dem  Viktoria -Land  erhoben  sich  die  noch  thätigen  Vulkane 
Erebus  und  Terror  zu  1000  m  auf  einem  Sockel  von  Granit,  Gneifs  und 
Schiefern,  die  ein  Faltengebirge  ähnlich  dem  Neu-Seelands  zusammenzusetzen 
scheinen.  Am  wenigsten  ist  das  Land  im  südlichen  indischen  Ozean  bekannt; 
die  von  der  „Valdivia"  mitgebrachten  alten  Gesteine  und  roten  Sandsteine 
deuten  auf  eine  Zugehörigkeit  zur  indo-atlantischen  Region.  —  Als  zweites 
Problem  kommt  die  Untersuchung  der  paläoklimatischen  Verhältnisse  in  Be- 
tracht. Andeutungen  eines  milden  Klimas  im  Tertiär  sind  bekannt  vom 
Oskar-Land  und  von  dem  südlichsten  Amerika.  Anderseits  bedarf  das  Auf- 
treten karbonischer  Glazialspuren  eines  näheren  Studiums.  Auch  die  Frage 
nach  der  Beschaffenheit  der  gegenwärtigen  Eisbedeckung,  nach  der  Gleich- 
zeitigkeit einer  einstmals  gröfseren  Eisbedeckung  mit  der  nordischen  Vereisung, 
sowie  schliefslich  das  Transgressionsproblem  verdienen  noch  grofse  Beachtung. 

Prof.  Alexander  Supan  sprach  über  das  antarktische  Klima,  wesent- 
lich im  Anschlufs  an  die  Beobachtungen  der  „Belgica"  von  1898 — 1899  und 
der  englischen  Expedition  auf  Kap  Adare  1899  — 1900  in  einer  mittleren 
Breite  von  70yä°  S.  Die  gefundenen  Jahrestemperaturen  sind  im  Vergleich 
zu  nordischen  Verhältnissen  nichts  Auffallendes;  das  eigentlich  Charakteristische 
des  antarktischen  Klimas  aber  ist  die  Kälte  der  warmen  Jahreszeit.  Kap 
Adare  liegt  das  ganze  Jahr  in  einer  permanenten  Anticyklone  mit  echt  po- 
laren Winden;  hingegen  fand  die  „Belgica"  einen  ausgeprägten  Monsun- 
typus mit  W.-  und  NW. -Winden  im  Winter  und  S.-  und  SE. -Winden  im 
Sommer.  Die  antarktische  Anticyklone  erleidet  im  Laufe  des  Jahres  be- 
trächtliche Verschiebungen,  und  ebenso  die  diese  Region  umgebende  baro- 
metrische Mulde.  Alle  bisherigen  Beobachtungen  entsprechen  aber  noch  nicht 
dem  polaren  Hochdruckgebiet ,  sondern  nur  dessen  Randzone.  Die  nächsten 
Expeditionen  müssen  daher  ihre  Stationen  möglichst  weit  nach  Süden  in  das 
Gebiet  der  eigentlichen  Anticyklone  verlegen,  von  wo  die  wichtigsten  Auf- 
schlüsse zu  erwarten  sind. 


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Der  XIII.  deutsche  Geographentag  in  Breslau.  385 

Zum  Schlüsse  berichtete  Geh.  Admiralitätsrat  Neumayer  üher  die 
neuesten  Ergebnisse  erdmagnetischer  Forschung  in  den  Polar- Regionen  an 
der  Hand  von  Isochronen-Karten.  Die  bedeutendsten  Fortschritte  stellen  dar 
die  Beobachtungen  von  Van  Bemmelen  in  Batavia  über  die  Bewegungen  der 
erdmagnetischen  Axe  und  die  säkularen  Schwankungen  der  erdmagnetischen 
Elemente,  ferner  die  vortrefflichen  Beobachtungen  von  Scott-Hansen  auf  der 
„Kram".  Gerade  im  Südpolar-Gebiet  aber  sind  die.  Lücken  unserer  Kennt- 
nisse am  empfindlichsten  bemerkbar. 

Landeskunde  der  deutlichen  Schutzgebiete. 

Für  die  Vormittagssitzung  des  zweiten  Tages  war  die  „Landeskunde  der 
deutschen  Schutzgebiete"  (in  erweitertem  Sinne)  als  Beratungsgegenstand  be- 
stimmt worden.  Die  Sitzung  begann  mit  dem  Vortrage  des  Geh.  Rats 
Frhrn.  von  Richthofen  über  Chinas  Binnenverkehr.  Was  v.  Richthofen 
ausführte,  hat  er  vereinzelt  und  in  anderen  Zusammenhängen  schon  häufig 
schriftlich  oder  mündlich  geäufsert,  namentlich  in  seinen  Vorlesungen  über 
allgemeine  Siedelungs-  und  Verkehrsgeographie.  Hier  aber  handelte  es  sich 
um  eine  erstmalige  zusammenfassende  Übersicht  über  die  Verkehrsverhältnisso 
Chinas,  die  als  solche  und  wegen  ihrer  Wichtigkeit  für  die  allgemeine  Ver- 
kehrsgeographie von  ganz  besonderer  Bedeutung  war,  und  von  der  man  nur 
wünschen  mochte,  dafs  sie  einmal  in  gröl  st  er  Ausführlichkeit  veröffentlicht 
würde,    v.  Richthofen  führte  ungefähr  folgendes  aus: 

Wer  im  heutigen  Europa  Verkehrsgeographie  treiben  will,  der  sieht 
sich  lauter  Ausnahmezuständen  gegenüber.  Die  Technik  des  Eisenbahnbaus 
überwindet  alle  Schranken  und  Hindernisse,  die  Einwirkung  der  Natur  ist 
verdunkelt.  In  China  giebt  es  nach  wie  vor  immer  nur  einen  ameisenartig 
wimmelnden  Verkehr  mit  kleinen  und  kleinsten  Mitteln,  der  sich  notwendiger- 
weise viel  enger  an  die  natürlichen  Verhältnisse  anschliefsen  muls. 

Und  die  eigentümliche  Entwickelung  Chinas,  die  sich,  von  aufsen  un- 
beeinflufst,  Jahrtausende  hindurch  in  einer  und  derselben  Richtung  bewegte, 
hat  es  bewirkt,  dafs  diese  Anpassung  einen  ungewöhnlich  hohen  Grad  von 
Vollkommenheit  erreicht  hat.  So  sehen  wir  im  Binnenverkehr  Chinas  Zu- 
stände, die  von  den  uusrigen  ganz  und  gar  verschieden  sind,  in  sich  aber 
so  bestimmt  ausgeprägt  und  so  sehr  in  Übereinstimmung  mit  der  Landes- 
natur, wie  nirgendwo  sonst  auf  der  Erde. 

China,  das  Land,  das  sich  von  den  Tropen  bis  in  Gebiete  mit  grimmig 
kalten  Wintern  hinein  erstreckt  bringt  in  sich  alles  hervor,  dessen  es  bedarf. 
Darin  liegt  ein  Hauptgrund  dafür,  dafs  es  sich  nach  aufsen  so  fest,  abzu- 
schliefsen  vermochte.  Aber  diese  Selbstgenügsamkeit  war  eben  nur  dann 
möglich,  wenn  ein  sehr  entwickelter  Verkehr  für  den  Austausch  der  Erzeug- 
nisse sorgte;  die  Abschliefsung  nach  aufsen  konnte  nur  bei  innerer  Einigung 
stattfinden.  Die  Art,  in  der  sich  dieser  Verkehr  vollzieht,  richtet  sich  nach 
den  verschiedenen  Landesteilen,  sodafs  die  Verkehrsgebiete  und  die  natür- 
lichen Teile  des  Landes  fast  vollständig  zusammenfallen. 

Aufser  dem  scharfen  Unterschied  zwischen  Nordchina  und  Südchina, 
einem  Unterschied  in  jeder  Beziehung,  besteht  ein  Gegensatz  zwischen  dem 


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386  Der  XIII.  deutsche  Geographentag  in  Breslau. 

Westen  und  dem  Osten.  Die  Linie,  die  diese  Trennung  hervorbringt,  hängt 
mit  dem  grofsen  Chingan  zusammen  (v.  Richthofen  hat  sie  bekanntlich  erst 
kürzlich  genauer  dargestellt).  In  der  Richtung  von  Osten  nach  Westen 
lassen  sich  demnach  als  verschiedene  Lebensgebiete  die  Küste,  das  Vorland 
und  das  Hinterland  unterscheiden;  In  nordsüdlicher  Richtung  ergiebt  sich 
gleichfalls  eine  Dreiteilung,  da  innerhalb  der  Südhälfte  wiederum  die  Ge- 
biete des  Jangtsekiang  und  des  Hsikiang  gesondert  werden  können. 

Im  Nordosten  bildet  die  grofse  Ebene,  aus  der  nur  das  Bergland  von 
Schantung  inselartig  hervorragt,  das  eigentliche  Gebiet  des  ungehinderten 
Landverkehrs.  Das  Transportmittel  sind  hier  jene  bekannten  kleinen,  zwei- 
rädrigen Wagen,  deren  Form  in  ganz  Nordchina  genau  die  gleiche  ist. 

Bemerkenswert  ist  der  weite  Blick,  den  sich  die  Fuhrleute  in  dem 
weiten  Lande  erworben  haben.  Ihnen  sind  die  entferntesten  Orte  genau  be- 
kannt, und  ohne'Besinnen  gehen  sie  Fuhrverträge  auf  Strecken  von  1200  km 
ein.  Der  Wasserverkehr  ist  im  nördlichen  China  gering;  denn  die  Flüsse 
sind  hier,  im  Tieflande,  schlechte  Fahrstrafsen,  und  ihre  Linien  gehen  auf 
dem  grofsen  Dejektionskegel  des  Hwangho  nach  der  Küste  zu  auseinander. 
Um  dem  abzuhelfen,  legten  die  grofsen  Mongolenkaiser  den  1200  km  langen 
Kaiserkanal  an,  der  eine  Verbindung  der  Ebene  des  Nordens  mit  dem  Schwer- 
punkt Chinas,  der  Jaugtse-Mttndung,  herstellt. 

Die  Linie,  dio  den  Osten  vom  Westen  trennt,  tritt  im  nördlichen  China 
mit  aufserordentlieher  Schärfe  hervor.  Der  Steilabfall  der  Hochflächen  des 
Hinterlandes  bildet  für  die  Tiefebene  überall  eine  mauerartige  Schranke. 
Nur  ganz  wenige  Lücken  ermöglichen  den  Zugang  zu  dem  Hinterlande. 
Dieses  ist  deshalb  in  dem  Bewufstsein  seiner  Bewohner  allenthalben  küsten- 
fern, so  nah  auch  die  Küste  (im  nördlichen  Petsehili)  räumlich  liegen  mag. 
Weit  entlegene  Städte  Innerasiens  wie  .larkand  liegen  dem  Auge  des  Hinter- 
landbewohners näher  als  Orte  der  grofsen  Ebene,  die  nur  300  km  ent- 
fernt sind. 

Südchina  ist  fast  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  Gebirgsland,  mit  Aus- 
nahme einiger  kleinerer  Ebenen,  die  sich  an  den  Lauf  des  Jangtsekiang  an- 
schliefsen.  Ein  Verkehr  mit  Wagen  würde  deshalb  sehr  schwierig  sein. 
Dafür  sind  aber  die  Bedingungen  für  den  Flufsverkehr  ausnehmend  günstig. 
Hier  konvergieren  erstlich  die  Linien  alle  nach  der  Küste  hin,  und  sodann 
haben  vor  "allen  Dingen  die  Flüsse  ihre  Erosionsarbeit  so  vollkommen  gethan, 
dafs  selbst  die  kleineren  Zuflüsse  bis  fast  zur  Quelle  hinauf  schiffbar  sind, 
freilich  nur  bei  vielfach  sich  wiederholender  Umladung  auf  kleinere  Fahr- 
zeuge, und  auch  dann  müssen  die  Schiffe  noch  oft  in  dem  seichten  Wasser 
fortgeschoben  werden.  Obwohl  die  Schiffahrt  demnach  nicht  sehr  bequem 
ist,  sind  die  Flufsfahrzeuge  hier  doch  das  beinahe  ausschliefsliche  Beförde- 
rungsmittel. Die  Wasserscheiden  zwischen  den  verschiedenen  Flufsgebieten 
werden  mit  Hilfe  von  Trägern  überwunden.  Weitaus  der  wichtigste  Teil 
des  südlichen  China  und  der  Kern  Chinas  überhaupt  ist  das  Gebiet  des 
Jangtsekiang,  das  zwischen  den  beiden  so  sehr  verschiedenen  Hälften  des 
Reiches  vermittelt.  Die  Chinesen  haben  darum  gerade  an  der  Mündung  des 
Jangtsekiang  den  Fremden  nur  höchst  ungern  den  Zutritt  gewährt;  nur  den 


Der  XIH.  deutsche  Geographentag  in  Breslau.  387 

Arabern  und  in  der  Neuzeit  den  Engländern  ist  es  geglückt,  ihn  zu  erlangen. 
Sonst  lag  die  eine  Eingangspforte,  die  China  den  Fremden  immer  nur  öff- 
nete, stets  im  Süden,  wo  der  Hsikiaug  eine  ähnliche,  aber  ungleich  weniger 
bedeutende  RoHe  spielt  wie  der  Jangtsekiang. 

Die  Scheidelinie  gegen  das  Hinterland  ist  in  Südchina  schwerer  /.n  er- 
kennen als  in  Nordchina.  Doch  ist  auch  hier  die  Trennung  sehr  scharf. 
Das  Thal  des  Jangtsekiang  bildet  beinahe  das  einzige  Zugangsthor.  Aber 
der  Flufs  strömt  hier  in  engen  Schluchten  mit  reifsender  Geschwindigkeit 
dahin  und  bildet  viele  Strom -Schnellen.  Er  ist  deshalb  nur  boi  hohem 
Wasserstand  und  nie  ohne  Gefahr  zu  befahren.  Ist  die  Verbindung  an  dieser 
Stelle  nicht  möglich,  so  bleibt  nur  noch  der  weite  Umweg  durch  das  Thal 
des  Han,  des  wichtigsten  Nebenflusses  des  Jangtsekiang,  übrig.  Auch  hier 
im  südlichen  China  ist  es  also  weniger  die  hier  thatsächlich  bedeutende  Ent- 
fernung von  der  Küste,  die  das  Hinterland  zum  küstenfernen  Gebiet  macht, 
als  vielmehr  der  Mangel  an  Zugängen.  In  dem  Hinterland  selbst,  das  von 
dem  Hecken  der  schönen  Provinz  Sz'-tschwan  eingenommen  wird,  vollzieht 
sich  der  Verkehr  mit  Saumtieren. 

Was  die  Küste  betrifft,  so  ist  sie  im  Norden  als  Flachküste  ohne  Be- 
deutung. Nur  die  Häfen  des  Gebirgslandes  Schantung,  insbesondere  Kiaut- 
schou,  können  mit  Hilfe  von  Eisenbahnen  von  Wichtigkeit  werden.  Im  Ge- 
biet des  Jangtsekiang  ist  die  Küste  kurz  und  ohne  eigentliche  Häfen.  Doch 
sind  immerhin  genug  Anlegeplätze  vorhanden,  und  des  Hinterlandes  wegen 
ist  die  Mündung  von  der  allergröfsten  Bedeutung,  wie  denn  auch  Shanghai 
der  erste  Hafen  von  China  geworden  ist.  Weiter  südlich  bietet  die  lange, 
buchtenreiche  Riasküste  zwar  sehr  viele  Häfen,  aber  es  münden  nur  kleine 
Küstentlttsse  in  diese  Buchten,  die  keinen  Zugang  bis  tief  ins  Innere  des 
Landes  hinein  gewähren.  Aufserdem  verringert  die  Gefahr  der  Verlandung 
den  Wert  der  Küste.  Erst  ganz  im  Süden  bildet  der  Hsikiang  wieder  eine 
grofse  Verkehrsstrafse. 

Das  ganze  Verkehrsnetz  Chinas  stellt  ein  grofses,  einheitliches  System 
dar,  durch  welches  sich,  je  nach  den  Landesteilen  mit  verschiedenen  Mitteln, 
ein  vollkommener  Austausch  der  Erzeugnisse  vorzugsweise  zwischen  dem 
Norden  und  dem  Süden  vollzieht.  Von  primitiven  Sammelpunkten  geht  es 
über  zahlreiche,  immer  gröfser  werdendo  Umladeplätze  bis  zu  den  grofsen 
Verkehrszentren  des  Landes  uud  weiterhin  zu  den  gröfsten  Ausfuhrhäfen,  vor 
allen  Shanghai,  die  aber  erst  durch  den  Weltverkehr  geschaffen  worden  sind. 

Hierauf  berichtete  Dr.  Kohl  schüt  ter  über  die  Ergebnisse  der  von  ihm 
und  Hauptmann  Glauning  in  Deutsch -Ostafrika  ausgeführten  Pendelexpe- 
dition, soweit  sie  sich  bis  jetzt  überblicken  lassen.  Die  Expedition,  die 
besser  jnit  Instrumenten  ausgerüstet  war  als  alle  früheren,  hatte  die  Lot- 
abweichungen am  Nyassa-  und  Tanganyika.sce  zu  untersuchen  und  führte 
ebensolche  Beobachtungen  auch  auf  der  Rückreise  besonders  in  der  Gegend 
des  grofsen  ostafrikanischen  Grabens  aus.  Dr.  Kohlschütter  beschrieb  den 
Umfang  und  die  Art  der  Arbeiten  der  Expedition,  wobei  er  unter  anderem 
mitteilte,  dafs  sich  zwischen  den  von  verschiedenen  Festpunkten  ausgehenden 
älteren  Aufnahmen  Unstimmigkeiten  bis  zu  1100  m  ergeben  hätten,  sodafs 


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38H  Der  XIII.  deutsche  <ieographentag  in  Breslau 


der  Kartograph  die  verschiedenen  Aufnahmen  nur  mit  grofsen  Verzerrungen 
zusammenarheiteu  könnte.  Das  Schwergewicht  lag  hei  den  Ausführungen 
Kohlschütter' s  auf  den  Beziehungen  der  Störungen  zu  den  geotektonischen 
Linien,  zwischen  denen  anscheinend  ein  ursächlicher  Zusammenhang  besteht. 
Dabei  traten  dann  auch  einzelne  bisher  wenig  oder  nicht  bekannte  Bruch- 
linien zu  Tage.  Der  Nyassagraben  setzt  sich  z.  B.  nach  dem  Tauganyika 
hin  fort  und  durchschneidet  wahrscheinlich  diesen  Grabenbruch  in  der  Mitte 
des  Sees,  sodafs  die  Rinne  des  Lukuga  ihm  ihr  Dasein  zu  verdanken  haben 
dürfte. 

Professor  A.  Schenck  sprach  über  die  wirtschaftlichen  Aussichten  von 
Deutsch-Süd westafrika.  Er  betonte,  dafs  die  Beurteilung  unserer  Kolonie 
sehr  oft  fehlerhaft  ausfiele,  weil  man  die  grofse  Verschiedenheit  unbeachtet 
Heise,  die  zwischen  Deutsch-Südwestafrika  und  dem  übrigen  Südafrika,  z.  B. 
Transvaal,  bestände.  Es  sei  kaum  Aussicht  vorhanden,  dafs  sich  in  Deutsch- 
Südwestafrika  Gold  finden  würde.  Auch  die  Hoffnung  auf  Diamanten  sei 
gering.  Dagegen  würde  sich  die  landwirtschaftliche  Ausuützung  bei  geeig- 
neter Bewässerung  wohl  lohnen. 

Zu  Beginn  der  fünften  Sitzung,  "am  Vormittag  des  30.  Mai,  hielt  Prof. 
Georg  Volkens  aus  Berlin  als  Nachtrag  zur  dritten  Sitzung  einen  Vortrag  über 
die  wissenschaftlichen  Ergebnisse  einer  Reise  nach  den  Karolinen  und  Mariannen, 
von  denen  die  ersteren  vorzugsweise  flache  Koralleninseln,  die  letzteren  durch- 
aus bergige  Inseln  vulkanischer  Natur  sind.  Das  Klima  zeichnet  sich  durch 
seine  grofse  Gleichmäfsigkeit  und  Feuchtigkeit  aas,  die  hohen  Temperaturen 
werden  in  angenehmer  Weise  durch  eine  stetig  wehende  frische  Brise  ge- 
mildert. Die  häufigen  Taifune  knüpfen  sich  an  die  Zeit  des  Einsetzens  und 
Aufhörens  des  NE. -Passats,  der  vom  November  bis  Ende  Juli  ausschliefslich 
herrscht.  Der  Boden  trägt  nirgends  eine  erstklassige  Ackerkrume;  am  frucht- 
barsten ist  der  aus  der  Zersetzung  des  vulkanischen  Gesteines  und  des  Ko- 
rallensandes hervorgegangene  Boden;  Mangrowo-Wäldcr  umsäumen  den  Strand, 
hinter  dem  sich  das  Kulturkind  der  Eingeborenen  erstreckt.  Die  Pflanzen- 
welt stellt  eine  aus  der  ganzen  Umgebung  zugewanderte  Mischtlora  dar. 

(ilctseherkundc  und  (»lazialforsehunjr. 

Besonders  interessant  gestaltete  sich  durch  die  Fülle  neuer  Probleme  der 
dritte  Beratungsgegenstand,  Gletscherkunde  und  Glazialforschung.  . 

Den  Anfang  machte  Prof.  S.  Fi nster walder  mit  einer  Erörterung  der 
Vorgange,  welche  einem  Gletschervorstofs  vorangehen.  Finstcrwalder  teilt  die 
Gletscher  in  rasch  veränderliche  dnd  langsam  veränderliche;  doch  giebt  es 
bisher  nur  Beobachtungen  über  Wachstum  und  Rückgang  von  rasch  veränder- 
lichen Gletschern,  als  deren  Typus  der  berüchtigte  Vernagtferner  angesehen 
werden  kann.  Der  Redner  illustrierte  an  der  Hand  zahlreicher  Photographien 
dieses  Gletschers  aus  den  letzten  Jahren,  wie  eine  Anschwellung  aus  dem 
Fimfeld  den  Gletscher  herabläuft  mit  einer  Geschwindigkeit,  welche  die  der 
Eisbewegung  stark  übertrifft,  gleich  der  Fortpflanzung  einer  Hochwasserwelle. 
Das  erste  Anzeichen  eines  Gletschervorstofses  ist  eine  Vermehrung  der  Ge- 
schwindigkeit der  Eisbewegung;  am  Vernagtferner  wuchs  dieselbe  von  17  m 


Der  Xm.  deutsche  Geographentag  in  Breslau.  389 

pro  Jahr  in  der  Zeit  von  1889 — 1891  auf  200  m  im  Jahre  1900;  so  liifst 
sich  aus  Geschwindigkeitsmessungen  ein  Gletschervorstofs  gleichsam  prognosti- 
zieren. Sehr  eigentümliche  Erscheinungen  treten  seit  1886  am  Suldenferner 
auf;  heim  Wachstum  des  einen  sehr  steilen  Zuflusses,  der  den  Hauptstrom 
unter  rechtem  Winkel  trifft,  entsteht  an  der  Mündung  ein  System  paralleler 
Kämme,  die  sich  trotz  der  grofsen  Absehmelzung  fast  unverändert  erhalten, 
so  dars  ein  Parallelismus  dieser  Erscheinung  mit  der  Angliederung  von 
Faltungsketten  nahe  liegt. 

Sodann  brachte  Prof.  Hans  Meyer  wichtige  Ergänzungen  zu  seinem 
auf  dem  Berliner  Geographenkongresse  von  1899  gehaltenen  Vortrag  über 
die  Vergletscherung  des  tropischen  Ostafrika.  Am  Kibo  konnte  Meyer  alte 
Gletscherspuren  bis  3800  m  herab  nachweisen ,  so  dafs  die  Gletscher  einst 
um  rund  100  m  weiter  bergab  reichten  als  heute.  Nun  liegen  durch  die 
Expedition  des  Engländers  Mackinder  auf  dem  Kenia  auch  von  diesem  Hoch- 
gipfel nähere  Beobachtungen  vor,  die  ebenfalls  eine  Depression  der  unteren 
Gletschergrenze  von  der  Zeit  der  gröfsten  Gletscherausdehnung  bis  auf  die 
Gegenwart  um  mehr  als  900  m  erweisen.  Gleiches  gilt  auch  von  den  süd- 
amerikanischen Anden,  so  dafs  die  Ansicht  von  der  Universalität  der  einst- 
mals gröfseren  Ausdehnung  der  Gletscher  auf  dem  ganzen  Erdball  iuuner 
festeren  Boden  zu  gewinnon  vermag. 

Ein  sehr  objektiv  gehaltenes  Referat  über  den  gegenwärtigen  Stand  der 
Lehre  von  der  glazialen  Erosion  brachte  Prof.  Sigmund  Günther.  Trotz 
der  noch  vorhandenen  grofsen  Meinungsdifferenzen  beurteilt  der  Redner  den 
Stand  der  Frage  dahin,  dafs  wir  uns  methodisch  dem  Zeitpunkt  der  Über- 
einstimmung erheblich  genähert  haben.  Einen  ganz  neuen  Weg  der  Unter- 
suchung haben  Finsterwalder  und  Blümcke  durch  Einführung  des  Experi- 
mentes eingeschlagen  und  gezeigt,  dafs  durch  die  in  der  Nähe  des  Gletscher- 
bodens herrschende  tiefe  Temperatur  eine  beständige  Verwitterung  stattfindet, 
wodurch  die  Widerstandsfähigkeit  des  Gesteins  gegen  die  ausräumende  Thätig- 
keit  des  Eises  erheblich  gemindert  ist.  Der  Gletscher  entwickelt  sodann  je 
nach  der  Beschaffenheit  seines  Untergrundes  eine  selektive  Erosion,  so  dafs 
bisweilen  eine  über  das  gewöhnliche  Mafs  hinausgreifende  Abnützungsthätig- 
keit  des  Gletschers  vorhanden  sein  kann.  Gleichwohl  will  der  Redner  eine 
Auspflügung  von  Seebecken  durch  Gletscher  nicht  zugeben,  da  ihm  zur  Seen- 
bildung  die  Annahme  einer  rein  fluviatilen  Erosion,  verbunden  mit  tektouischeu 
Vorgängen,  genügt,  was  namentlich  durch  Ule's  Beobachtungen  am  Starn- 
berger-See erwiesen  sei.  Allerdings  erscheinen  nach  einer  Bemerkung  Penck's 
diese  Beobachtungen  als  keineswegs  zureichend,  um  eine  tektonische  Ent- 
stehung des  Seebeckens  annehmen  zu  dürfen. 

Diesem  Vortrag  schlofs  sich  inhaltlich  sehr  passend  ein  Bericht  von 
Prof.  Penck  über  die  neueren  Ergebnisse  der  Eiszeitforschung  in  den  Alpen 
an.  Die  Verfolgung  der  alten  Thalböden  im  Alpenvorland  ergab,  dafs  die 
Krusteubeweguugeu  während  der  Eiszeit,  die  Heim  als  ein  Rücksinken  des 
Alpeukörpers  deutet,  nicht  bedeutend  waren,  dafs  vielmehr  vier  Schotterterrassen, 
also  vier  Eiszeiten  im  Vorland  erkennbar  sind.  Die  Thäler  erfuhren  durch  die 
Gletscher  eine  erhebliche  Umgestaltung;  dort  wo  die  bis  1500  m  mächtigen 


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390  Der  XIII.  deutsche  Geographentag  in  Breslau. 

Eisströme  lagen,  wurden  die  Thäler  erheblich  ausgetieft.  Neben  dieser  gla- 
zialen Erosion  besteht  aber,  z.  B.  im  Innthale,  eine  sehr  bedeutende  glaziale 
Aufschüttung ,  die  jünger  ist  als  die  letzte  grofse  Vergletscherung.  Fast 
überall  lassen  sich  zwei  recht  beträchtliche  postglaziale  Vorstöfse  der  eiszeit- 
lichen Gletscher  nachweisen  ;  wir  haben  also  neben  den  vier  Eiszeiten  noch 
Oszillationen  des  Klimas  von  nicht  unbedeutender  Gröfse,  also  zwei  inter- 
ferierende Wellenzüge  der  eiszeitlichen  Klimakurve  anzunehmen.  —  Die  Ero- 
sionsfähigkeit  des  Gletschers  sehen  wir  einerseits  bestätigt  in  den  mulden- 
Und  wanneuförmigen  Erweiterungen  aller  Thäler  am  Austritt  aus  den  Alpen, 
anderseits  in  den  Karen  des  Hochgebirges.  Neben  der  direkt  ausschleifenden 
Thütigkeit  des  Eises  war  es  wohl  wesentlich  die  durch  den  kolossalen  Druck 
des  Eises  erzeugte  Zerrüttung  des  Gesteins,  welche  die  Austiefung  von  Thäleru 
und  Decken  ermöglichte.  Der  Unterschied  der  Höhen  der  eiszeitlichen  und 
der  gegenwärtigen  Schneegrenze  beträgt  in  den  Alpen  rund  1200  m;  die 
Klimadifferenz  der  Eiszeit  gegen  heute  ist  also  nur  doppelt  so  grofs  als  die 
•  heutigen  Klimadifferenzen  zwischen  Nord-  und  Zentralalpen;  das  Phänomen 
der  Eiszeit  erscheint  also  klimatisch  als  gar  nicht  sehr  bedeutend.  Die 
Oberflächen  der  jetzigen  und  -der  eiszeitlichen  Gletscher  laufen  in  den  Firn- 
feldern  asymptotisch  zusammen;  jede  Eiszeit  äufserte  sich  also  nur  in  einem 
Wachstum  der  Zungen,  und  da  dieses  nur  von  der  Temperatur  abhängt,  so 
ist  die  Eiszeit  nur  eine  kalte  Periode,  keine  Periode  grofser  Steigerung  der 
Niederschläge;  denn  sonst  müfsten  die  Firnfelder  viel  gröfser  gewesen  sein 
als  heute. 

Danach  sprach  noch  Prof.  Wilhelm  Goetz  aus  München  über  die 
Wiederholung  der  diluvialen  Vereisung  in  Schwaben  an  der  Hand  eines  drei- 
teiligen Profils  durch  die  Gegend  zwischen  Hier  und  Lech,  den  Allgäuer 
Alpen  und  der  Donau.  Besonders  eingehend  behandelte  der  Redner  die  Um- 
gebung von  Memmingen  und  bemühte  sich,  im  Gegensatz,  zu  Penck  eine  nur 
dreimalige  Vereisung  dieses  Gebietes  nachzuweisen. 

Inhnltlich  schlofs  sich  diesen  Vorträgen  auch  noch  der  in  einer  Abend- 
sitzung gehaltene  und  durch  Lichtbilder  erläuterte  Vortrag  von  Prof.  Hassert 
über  die  Spuren  ehemaliger  Vergletscherung  in  Montenegro  an. 

Verschiedene  Themata. 

Dr.  Halbfafs  wies  in  einem  Vortrag  über  die  Bedeutung  limno- 
logischer  Landesanstalten  für  die  geographische  Wissenschaft  darauf  hin, 
dafs  Deutschland  und  im  besonderen  Preufsen  in  der  Seeuforschung  hinter 
anderen  Staaten  zurückgeblieben  wäre;  er  besprach  des  Genaueren  die  ver- 
schiedenartigen Fragen,  die  sich  au  die  Seen  knüpfen,  und  die  Richtungen, 
die  eine  systematische  Erforschung  einzuschlagen  hat,  um  zu  wissenschaftlich 
und  praktisch  wertvollen  Ergebnissen  zu  gelangen.  Der  Geographentag  nahm 
eine  Resolution  an,  die  in  einer  vou  der  ursprünglichen  abweichenden  Fassung 
den»  preufsischen  Staate  die  Inangriffnahme  der  systematischen  Erforschung 
der  Seeen  anempfahl. 

Dr.  Friedericbsen  führte  eine  Reihe  wohlgeluug»-uer  und  passend  aus- 
gewählter Bilder  aus  den  ehemaligen  Vulkangebicteu  Inner -Frankreichs'  vor 


l 

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Der  XIII.  deutsche  Geographentag  in  Breslau.  391 

und  erläuterte  den  geologischen  Aufbau  dieser  Landschaften  und  ihre  gegen- 
wärtige Gestalt,  wie  sie  sich  unter  Mitwirkung  einer  älteren  gröfseren  und 
einer  jüngeren  (Thal-)Vergletscherung  gebildet  haben.  Besonders  interessant 
waren  dem  Referenten  u.  a.  einige  Bilder  der  Puys  bei  Clermout,  einmal, 
weil  diese  berühmten  Vulkankegel  bisher  nur  nach  den  Zeichnungen  Poullet 
Seropes  in  Büchern  abgebildet  worden  sind,  und  sodann  deshalb,  weil  durch 
die  Photographien  eben  diese  Zeichnungen  im  vollsten  Mafse  gerechtfertigt 
werden.  Eines  der  Bilder  war  fast  genau  von  demselben  Standpunkte  auf- 
genommen wie  eine  der  Scrope'schen  Zeichnungen  und  liefs  auf  diese  Weise 
deutlich  erkennen,  wie  richtig  der  Haupterforscher  der  Auvergne  die  Natur 
gesehen,  mit  wie  geringer  Übertreibung  der  Böschungen  er  die  mondähnliehe 
Landschaft  wiedergegeben  hat.  Die  Abbildungen  in  dem  viel  später  er- 
schienenen fünf  bändigen  Werk  *  von  Lecoq  können  sich  mit  jenen  älteren  in 
Naturtreue  garnicht  vergleichen.  Dr.  Friederichsen  wies  übrigens  mit  Recht 
darauf  hin,  dafs  hinter  der  sehr  genauen  und  guten  geologischen  Erforschung 
die  morphologische  —  und  man  kann  hinzufügen:  überhaupt  die  geographische 
— .  Untersuchung  dieser  alten  Vulkangebiete  noch  sehr  weit  zurückgeblieben  . 
ist,  und  suchte  darum  die  physisch  -  geographische  Seite  nach  Möglichkeit 
hervorzukehren. 

Über  die  Vorträge  der  Schlufssitzuug  lälst  sich  aus  dem  Grunde  wenig 
berichten,  weil  sie  selbst  schon  mehr  oder  weniger  den  Charakter  von  Be- 
richten und  Zusammenstellungen  hat  ton.  Prof.  Kirchhoff  gab  Rechenschaft 
über  die  Thätigkeit  der  Zentralkommission  für  wissenschaftliche  Landeskunde 
von  Deutschland  und  legte  den  ersten  Band  des  neu  erschienenen  „Berichtes 
über  die  Littoratur  zur  deutschen  Landeskunde"  vor.  Der  Bericht,  der  nach 
Art  des  SiegerVhen  Jahresberichtes  von  Österreich  aufser  den  Titeln  auch  kurze 
Besprechuugen  giebt,  zeigt  trotz  mancher  Unvollkommenheiton  bereits  eine  grofse, 
stellenweise  zu  grofse  Reichhaltigkeit.  Professor  Kau  aus  Amsterdam  sprach 
über  „die  neuesten  Fortschritte  der  Kenntnis  von  Sumatra",  und  zum  Schlufs 
gab  Dr.  Sapper  eine  lehrreiche  und  fesselnde  Ubersicht  über  „die  geographische 
Forschung  in  Mittel-Amerika  im  19.  Jahrhundert".         0.  Sch.  und  F.  M. 

Die  schnlgeographischen  Verhandlungen. 

Die  schulgeographischen  Verhandlungen  des  Breslauer  Geographentages, 
die  zwei  Nachmittagssitzungen  und  drei  Fachbesprechungen  erfüllten,  werden 
in  diesem  weiten  Umfange  nur  verständlich  durch  ihre  Vorgeschichte.  Die 
in  den  Junikonfereuzen  des  preufsischen  Kultusministeriums  (6.  —  8.  Juni  1900) 
hervortretenden  Reformpläne  der  preufsischen  Unterrichts  Verwaltung,  die  Auf- 
forderung derselben  Behörde  an  Geh.  Rat  Hermann  Wagner  zu  einem 
Gutachton  über  die  Frage  „Wie  hat  sich  der  Unterricht  in  der  Erdkunde 
seit  1892  entwickelt  und  was  bleibt  für  ihn  noch  zu  thunV"  und  dessen 
inhaltsreiche  Antwort:  „Die  Lage  des  geographischen  Uutorrichts  in  den 
höheren  Schulen  Preufsens"1),  wie  auch  die  Thatsachen,  dafs  den  13.  Geo- 

1)  Hannover  u.  Leipzig,  Hahn'sche  Buchhandlung  1900.  68  8.  —  Vergl.  auch 
Verhandl.  über  Fragen  d.  hob.  Unterrichts.  Berlin  6.  bis  8.  Juni  1900.  (Halle,  Waisen- 
haus 1901).  8.  365. 


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Der  XIII.  deutsche  Cieographentag  in  Breslau. 


graphcutag  eine  mehr  als  vierjährige  Pause  von  seinem  Vorgänger  trennte, 
der  7.  Internat.  Geographenkongrefs  schulgeographischen  Fragen  wenig  ge- 
recht geworden  war1),  hatten  in  Wagner  und  dem  Schreiher  dieser  Zeilen 
den  Gedanken  reifen  lassen,  zu  versuchen  durch  zeitliche  Ausdehnung  der 
schulgeographischen  Verhandlungen  und  durch  eine  energische  Agitation 
in  den  Kreisen  der  Lehrerschaft  höherer  Uuterrichtsanstalten  dem  Erd- 
kundeunterrichte an  diesen  Schulen  aus  seiner  mifslichen  Lage  aufzuhelfen. 
Nachdem  durch  private  Werbetätigkeit  zunächst  77  Herren  (Männer 
im  Schulleben  und  Dozenten)  gewonnen  waren,  wurde  der  Ortsausschufs  in 
Breslau  veranlafst,  seinen  Einladeseudungen  eine  von  diesen  Herren  unter- 
schriebene „besondere  Einladung1'  beizulegen  und  diese  dann  noch  einmal  an 
sämtliche  „Vorstände  und  Direktionen  der  höheren  Schulen  Deutschlands" 
gelangen  zu  lassen.  In  dieser  „besonderen  Einladung"  wurden  die  Fach- 
lehrer der  Geographie  unter  Hinweis  auf  die  oben  augeführten  Punkte  zum 
Besuche  der  Tagung  aufgefordert  (Anfang  Mai).  Trotzdem  bei  der  für  West- 
und  Süddeutsche  ungünstigen  Lage  Breslaus  und  der  Notwendigkeit  eines 
Urlaubs  auf  eine  allzu  rege  Beteiligung  aus  den  Kreisen  der  Oberlehrer  nicht 
gerechnet  werden  konnte,  ist  doch  der  Zugang,  vornehmlich  natürlich  aus  dem 
Osten  Preufsens  und  dann  auch  aus  Österreich,  überraschend  stark  gewesen2). 

Aufserdem  hatte  es  Wagöer  bei  dem  Zentralausschusse  durchgesetzt,  dafs 
zwei  volle  Sitzungen  den  schulgeographischeu  Verhandlungen  zugewiesen 
werden  sollten.  Als  solche  waren  die  Nachmittagssitzungen  des  ersten  und 
zweiten  Verhaudlungstages  (28.  u.  29.  Mai),  Sitzung  2  und  4  ausersehen; 
die  Beschaffung  von  Vortragenden  war  ebenfalls  gauz  in  seine  Hand  gelegt 
worden.  Für  den  ersten  Verhandlungstag  wurden  nun  Fragen  der  Organi- 
sation in  Aussicht  genommen,  für  den  zweiten  methodologische.  Zu  den 
ersteren  beabsichtigten  Wagner  und  ich  zu  sprechen;  dazu  kam  später  als 
Referent  über  die  neuen  Lehrpläne  noch  Direktor  Dr.  Au ler- Dortmund, 
dessen  Referat  durch  ihr  gerade  noch  rechtzeitiges  Erscheinen  ermöglicht 
wurde.  Ich  selbst  wollte  unter  Hinweis  auf  die  Schwierigkeiten,  die  aus 
der  Organisation  unserer  Schulen  erwachsen,  vorschlagen,  ihre  Überwindung 
auf  dem  Wege  eines  engeren  Zusammenschlusses  der  Fachlehrer  anzubahnen. 
Für  diesen  wurde  eine  besondere  Fachbesprechnng  und  in  ihr  die  Gründung 
einer  ständigen  Kommission  in  Aussicht  genommen. 

1)  Yergl.  den  Passus  der  Krötthungsrede  des  Kongresses  (Bd.  I,  S.  83):  „Doch 
gehört  (die  Krörterung  der  unerfüllten  Wünsche  für  «Jen  Unterricht  an  den  höheren 
Lehranstalten)  mehr  in  den  Bereich  der  nationalen  geographischen  und  pädagogischen 
Tagungen." 

2)  Von  47H  Besuchern  der  beiden  ausgegebenen  Listen  gehörten  ca.  170  der 
Lehrerschaft  an  (ganz  sicher  Hilst  sich  die  Zahl  nicht  feststellen,  bei  den  öfter  un- 
genauen Personalangahen)  und  unter  diesen  nur  Behr  wenig,  kaum  20,  dem  seminar. 
Lehrerstande.  Das  macht,  abzüglich  42  Damen,  3ü%  aller  Besucher,  eine  bei  früheren 
Tagungen  auch  nicht  annähernd  erreichte  Zahl.  Sie  verteilte  sich  auf  die  einzelnen 
Landschaften  wie  folgt:  Ostpreufsen  3,  WestpreuTsen  7,  Posen  11,  Schlesien  »f>, 
Pommern  2,  Brandenburg  9,  Sachsen  5,  Hannover  1,  Westfalen  3  (Schleswig-Holstein. 
Itheinprovinz,  Hessen-Nassau  0),  ganz  Preufsen  13G,  das  übrige  Norddeutschland  14 
(davon  Königreich  Sachsen  7»,  Süddeutschland  2  (beides  Klsässer),  (Österreich- 
Ungarn  18  =  170. 


Der  XIII.  deutsche  Geographentag  in  Breslau. 


393 


Danach  stellte  sich  die  Tagesordnung  der  ersten  schulgeographischen 
Sitzung  so: 

1.  Lage  des  geographischen  Unterrichts  nach  den  neueren 
Lehrplänen  (Referenten:  Wagner,  Auler). 

2.  In  der  Organisation  unseres  höheren  Schulwesens  liegende 
Schwierigkeiten  für  einen  gedeihlichen  geographischen 
Unterricht.    (Ref.:  Fischer). 

3.  Antrag  auf  Einsetzung  einer  Zentralkommission  für  Schul- 
geographie. 

Der  erste  Referent  (Wagner)  bezog  sich  vor  allem  auf  seine  oben  ge- 
nannte Schrift,  in  der  er  dargelegt  hatte,  dafs  einerseits  der  Erdkundeunter- 
richt ohne  seine  Durchführung  bis  zum  Schulschlufs  und  ohne  dafs  er  durch 
fachmännisch  gebildete  Kräfte  gegeben  wird,  erfolglos  bleiben  mufs,  anderer- 
seits die  ^tatsächlichen  Verhältnisse  an  den  preufsischen  Schulen  eine  geradezu 
beispiellose  Zersplitterung  des  Unterrichtsfaches  unter  die  Lehrer  aufweisen. 
Von  ca.  7000  an  den  höheren  Schulen  thätigen  Lehrern  unterrichten  nicht 
weniger  als  2827  d.h.  40%  in  diesem  Fache,  von  diesen  haben  1351  nur  in 
einer  einzigen  Klasse,  797  nur  in  zwei  Klassen  und  nur  678  in  drei  oder 
mehr  Klassen  gleichzeitig  zu  thun.  Dabei  wechselt  der  Unterricht  unauf- 
hörlich, sodafs  die  Möglichkeit  sich  in  ihn  hineinzuarbeiten  für  die  weniger 
vorgebildeten  kaum  besteht1).  Ein  Fortschritt  ist  es  nun  aber,  dafs  man 
beginnt  die  Berechtigung  dieser  Klagen  anzuerkennen.  Besonders  ist  hier 
der  Passus  der  Neuen  Lehrpläne  hervorzuheben,  der  davon  spricht,  dafs  es 
wünschenswert  sei,  den  Unterricht  nach  Möglichkeit  fachmännisch  gebildeten 
Lehrern  anzuvertrauen.  Man  hat  damit  im  Prinzip  unsere  eine  Forderuug 
als  berechtigt  anerkannt,  wie  ja  auch  der  kaiserliche  Erlafs  Nov.  1900  eben- 
dasselbe als  Notwendigkeit  hervorhebt  Fachmännisch  ausgebildete  Kräfte 
sind  ja  heute  auch  reichlich  vorhanden,  seit  es  seit  längerer  Zeit  nirgends 
mehr  in  Preufsen  an  akademisch  gebildeten  Lehrern  der  Erdkunde  fehlt.  In- 
dessen mufs  man  bekennen,  dafs  die  Signatur  der  Junikonferenz,  die  nach 
menschlichem  Ermessen  für  das  nächste  Jahrzehnt  über  die  Weiterbildung  des 
preufsischen  Schulwesens  entscheidend  sein  wird,  keine  geographische  gewesen, 
nicht  dem  Zeitalter  des  Weltverkehrs  und  der  Weltstellung  unseres  Volkes  hat 
gerecht  werden  können.  Die  Mächte,  die  dort  rangen,  waren  die  des  alten 
Gymnasiums  und  die  der  Naturwissenschaften  nach  ihrer  Ausbildung  in  der 
Richtung  auf  die  Technik.  Die  Geographie  ist  in  den  Verhandlungen 
überhaupt  nicht  erwähnt.  Auch  Frage  6:  „Was  kann  auf  den  höheren 
Schulen,  ....  für  die  Hebung  des  Unterrichts  in  den  verschiedenen  Lehr- 
gegenständen geschehen  ?"')  hat  dazu  keine  Veranlassung  gegeben.  So  sind 
denn  auch  die  errungenen  Erfolge  erst  gering:  aufser  dem  erwähnten  Passus 

1)  Da  bisher  in  der  G.  Z.  diese  für  die  Entwickelung  unseres  Unterrichts- 
faches an  den  Schulen  epochemachende  Schrift  noch  nicht  besprochen  ist,  behalt« 
ich  mir  eine  eingehendere  Würdigung  ihres  Inhalts  für  eine  der  nächsten 
Nummern  vor. 

2)  Vergl.  Verhandl.  n.  s.w.  S.  XIII  u.  S.  128  ff.,  hier  als  Frage  6  bezeichnet,  infolge 
Änderung  in  der  ursprünglich  beabsichtigten  Verhandlungsordnung. 

Geographische  Zeitschrift.  7  J»hrg»ng.  1901.  7.  Hoft  27 


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394 


Der  XIII.  deutsche  Geographentag  in  Breslau. 


bestehen  sie  in  der  Durchfuhrung  der  Erdkunde  mit  einer  Wochenstunde 
im  Oberbau  der  Oberrealschulen  und  in  der  Festlegung  von  sechs  Stunden 
im  Halbjahr  für  geographische  Wiederholungen  an  Gymnasien.  Leider  ist 
gerade  hier  noch  im  letzten  Augenblicke  die  in  Aussicht  gestellte  doppelte 
Stundenzahl  (6  Stunden  im  Vierteljahr)  zurückgezogen  worden.  Immerhin 
bedeutet  besonders  die  erste  Errungenschaft  den  endlichen  Eintritt  des  Geo- 
graphielehrers in  die  Oberstufe  wenigstens  einer  neunklassigen  Schulgattung. 
Das  Referat  gipfelte  in  der  Aufforderung  an  die  anwesenden  Lehrer  zum 
Besuche  der  oben  erwähnten  Fachlehrerbesprechung,  in  der  über  Schritte  zur 
weiteren  Förderung  des  geographischen  Unterrichts  beraten  werden  könnte. 

Der  nun  folgende  Referent  Aul  er  hob  hervor,  dafs,  wiewohl  die  ganze 
Schulreform  für  die  Erdkunde  unter  dem  ungünstigen  Sterne  der  Berech- 
tigungsfrage gestanden  habe,  doch  ein  Fortschritt  gegen  früher  bereitwillig 
anerkannt  werden  müfste.  Es  besteht  auch  nach  seiner  Meinung  die  Haupt- 
sache noch  darin,  dafs  die  Oberstufe  wenigstens  der  Oberrealschule  jetzt 
einen  bis  obenhin  durchgeführten  Unterricht  erhalten  und  der  Geographie- 
lehrer zum  erstenmal  seine  Kruft  dort  bewähren  kann,  sowie  in  der  Fest- 
legung der  freilich  gar  zu  knapp  bemessenen  Wiederholungsstunden  auf  der 
Oberstufe  der  anderen  neunklassigen  Anstalten,  ferner  aber  auch  in  der  rich- 
tigeren Verteilung  des  Lehrstoffes,  besonders  der  Beseitigung  der  sonderbaren 
Vorwegnahme  der  „politischen"  Geographie  vor  der  „physischen"  in  den 
Tertien,  einer' besseren  Fassung  der  Lehraufgaben  auch  sonst  und  manchem 
andern,  vor  allem  aber  in  dem  Passus  5  der  „methodischen  Bemerkungen  für 
die  Erdkunde":  Wünschenswert  ist  es  u.  s.  w.  (s.  u.  in  der  Resolution,  in 
die  er  später  aufgenommen  wurde).  Dagegen  mufs  vor  allem  die  Wendung, 
die  von  dem  „praktischen  Nutzen  des  Faches"  spricht,  als  sehr  bedauerlich 
bezeichnet  werden,  weil  in  ihr  das  Wesen  des  Unterrichts  an  einer  höheren 
Lehranstalt,  wie  des  in  der  Erdkunde  im  besonderen,  die  lediglich  allge- 
meinen Bildungsidealen  zuzustreben  haben,  verkannt  wird.  Ein  Unterricht, 
der  nur  des  praktischen  Nutzens  wegen  gegeben  wird,  gehört  nicht  auf  eine 
höhere  Lehranstalt.  In  der  nun  folgenden  ziemlich  reichen  Diskussion  fanden 
die  einzelnen  Redner  bei  der  herrschenden  Unbekanntschaft  nüt  den  eben 
erst  veröffentlichten  Lehrplänen  meist  nur  Veranlassung,  einzelne  Mifsstände 
im  Schul  leben  hervorzuheben  und  nach  deren  Quellen  zu  suchen.  Einen 
krassen  Fall  höchst  unzweckmäfsig  verteilten  Erdkundunterrichts  hob 
Dr.  Lampe  (X.  Rs.  Berlin)  hervor.  Dr.  Henkel  aus  Pforte  suchte  den  Grund 
der  Mifsstände  im  Übelwollen  der  Direktoren,  eine  Auffassung,  .deren  AU- 
'     gemeingiltigkeit  von  Aul  er  mit  Recht  bestritten  wurde. 

Durch  den  Gang  der  Diskussion  war  dem  letzten  Referenten,  Fischer, 
ein  Teil  seiner  Ausführungen  vorweggenommen.  Er  konnte  sich  daher  für 
den  ersten  Teil  seiner  Ausführungen  darauf  beschränken,  zumal  die  Zeit 
drängte,  unter  Bezugnahme  auf  das  Vorausgegangene  seine  Auffassung  über 
den  Zustand  des  Erdkundeunterrichts  kurz  zusammen  zu  fassen,  und  wählte 
dazu  als  Devise  die  fast  einzige  Erwähnung  der  Geographie  in  den  ent- 
scheidenden Junikonferenzen,  das  Wort  des  leider  jüngst  verstorbenen 
Dr.  Schwalbe  „Die  Geographie  ist  eigentlich  an  den  höheren  Lehranstalten 


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Der  XIII.  deutsche  Geographentag  in  Breslau. 


395 


so  gut  wie  ausgeschlossen"1).  Er  sah  die  Gründe  dieser  Erscheinung  einmal 
in  der  Jugend  der  Hochschul geographie,  deren  Jünger  erst  seit  vergleichs- 
weise wenigen  Jahren  mit  ihren  Anforderungen  an  den  Schulen  praktisch 
hervortreten  können,  und  in  der  Entwickelung  unseres  höheren  Schulwesens 
im  neunzehnten  Jahrhundert  überhaupt  von  der  lebendigen  Schöpfung  der 
„grofseu  Rektoren"  zur  erstarrten  und  überkoraplizierten  Schablonenschule 
unserer  Tage,  die  keine  genügende  Gewahr  für  die  Möglichkeit  persönlichen 
freien  Wirkens  mehr  darbietet.  Staatsaufsicht,  Kampf  von  Humanismus 
und  Realismus  und  die  Konsolidationsbedürfnisse  des  Standes  wurden  als 
Ursachen  der  Entwickelung  angesprochen,  ohne  dafs  ihre  Berechtigung 
innerhalb  der  gesamten  sozialen  und  wissenschaftlichen  Entwickelung  des 
Jahrhunderts  bestritten  wurde.  Vielleicht  stehen  wir  aber  jetzt  an  einem 
Wendepunkt,  der  nach  ausreichender  Erledigung  der  obigen  Fragen  wieder 
zu  einer  der  Lehrerpersönlichkeit  gerechter  werdenden  Entwickelung  führt;  die 
Junikonferenzen  scheinen  dafür  zu  sprechen.  Unter  diesen  Verhältnissen  wäre 
der  Versuch  zu  einem  Zusammenschlufs  geographischer  Fachmänner  wohl  zu 
empfehlen,  wenn  dieser  es  als  sein  Ziel  betrachten  würde,  mit  behördlicher 
Genehmigung  zunächst  an  einzelnen  über  das  Land  verteilten  Anstalten  einen 
von  besonders  damit  betrauten  Fachmännern  erteilten  geographischen  Muster- 
unterricht einzurichten.  Um  ihn  in  die  Wege  zu  leiten,  lädt  der  Referent 
ebenfalls  zu  der  erwähnten  Fachbesprechung  ein. 

Für  die  Zeit  zu  dieser  Besprechung  entschied  man  sich  auf  12  Uhr 
des  zweiten  Sitzungstages,  da  man  annahm,  bis  dahin,  würde  die  allgemeine 
Sitzung  beendet  sein.')  Sie  war  überraschend  gut  besucht.3)  Auler  über- 
nahm den  Vorsitz.  Als  ersten  Punkt  der  Tagesordnung  legte  Wagner 
„Nächste  Aufgaben  und  Grundzüge  einer  Geschäftsgebarung"  der  zu  be- 
gründenden Kommission  vor.  Sie  sol\  den  Kernpunkt  für  dauernde  Verstän- 
digung der  geographischen  Fachlehrer  in  Deutschland  bilden  und  den  erd- 
kundlichen Unterricht  an  den  Schulen  auf  eine  den  Bedürfnissen  der  Gegen- 
wart entsprechende  Höhe  heben  helfen.  Sie  ist  Organ  des  Geographentages, 
in  der  Zahl  ihrer  Mitglieder  nicht  beschränkt,  die  nach  Möglichkeit  alle 
gröfseren  deutschen  Landschaften  vertreten  sollen,  wählt  einen  gescbäfts- 
führenden  Vorsitzenden  und  dessen  Stellvertreter;  sie  hat  als  nächste  Auf- 
gabe die  Beratungen  für  schulgeographische  Verhandlungen  der  Deutschen 
Geographentage  vorzubereiten  und  tritt  rechtzeitig  an  den  Zentralausschufs 
mit  geeigneten  Vorschlägen  heran;  etwaige  den  Schulbehörden  zu  unter- 
breitende  Beschlüsse   des   Geographentages  werden   in   der  Regel    ihr  zu 

1)  Verhandl.  u.  s.  w.  S.  112. 

2)  Thataächlich  hat  diese  (die  S.)  erheblich  länger  gedauert,  wodurch,  da  in 
ihr  nur  wenige  Zuhörer  anwesend  blieben,  während  sich  in  der  Fachbesprechung  83 
einfanden,  ein  unangenehmes  Mifsverhältnis  entstand.  Es  dürfte  sich  empfehlen, 
für  die  künftigen  Tagungen  die  vom  7.  I.  G.  K.  so  bewährte  Einrichtung  der  Sek- 
tionen einzurichten. 

8)  Ostpreufsen  1,  Westpreufsen  4,  Posen  U,  Schlesien  25,  Pommern  2,  Branden- 
burg 7,  Sachsen  5,  Hannover  4,  Westfalen  1,  ganz  Preußen  58,  das  übrige  Nord- 
deutschland »  (davon  Königreich  Sachsen  3),  Süddeutscbland  7  (davon  Bayern  4  Do- 
zenten), Österreich  8,  England  1  =  83. 

27* 


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390  Der  Xm.  deutsche  Geographentag  in  Breglau. 

weiterer  Behandlung  und  Ausfertigung  überwiesen,  im  übrigen  aber  bleibt 
es  ihr  überlassen,  in  welcher  Weise  sie  selbständig  zur  Erfüllung  ihrer  Auf- 
gaben vorzugehen  gedenkt. 

Um  den  Satzungsentwurf  vollständig  durchberaten  zu  können,  mufste 
eine  zweite  Fachberatung  auf  den  3.  Verhandlungstag  8  Uhr  morgens  ange- 
setzt werden.  Hier  wurde  der  Entwurf  von  der  Versammlung  angenommen 
und  gleichzeitig  eine  Anzahl  von  Herren  für  die  Kommission  gewählt,  wobei 
man  sich  auf  Anwesende  beschränken  zu  müssen  glaubte,  was  um  so  weniger 
bedenklich  erschien,  als  der  Kommission  das  Recht  der  Zuwahl  verliehen 
ward.  Aufserdem  wurde  besonders  auf  Wunsch  der  Herren  aus  Süddeutsch- 
land eine  Resolution  entworfen,  die  in  ihrer  endgiltigen  Fassung  folgenden 
Wortlaut  hat: 

1.  „Der  Deutsche  Geographentag  nimmt  mit  Befriedigung  Kenntnis  von 
der  sachgemäfsen  Umgestaltung  der  neuen  Lehrpläne  für  den  erdkundlichen 
Unterricht  an  den  höheren  Lehranstalten  Preufsens  und  insbesondere  von  der 
Bestimmung:  „Wünschenswert  ist,  dafs  auf  allen  Schulen  der  Unterricht  in 
der  Erdkunde  in  die  Hand  von  Lehrern  gelegt  werde,  die  für  ihn  durch  ein- 
gehendere Studien  besonders  befähigt,  sind;  auch  ist  darauf  zu  achten,  dafs 
er  von  den  einzelnen  Anstalten  nicht  unter  zu  viele  Lehrer  verteilt  werde. 

Wenn  hierdurch  die  Erfüllung  der  einen  Vorbedingung,  welche  der 
Deutsche  Geographentag  für  einen  gedeihlichen  Erdkundeunterricht  als  uner- 
läfslich  stets  bezeichnet  hat,  für  den  Norden  unseres  Vaterlandes  angebahnt 
ist,  so  spricht  er  die  zuversichtliche  Hoffnung  aus,  dafs  diese  Bestimmung 
auch  in  den  übrigen  Teilen  baldigst  Eingang  finde. 

2.  Dagegen  erscheint  die  zweite  der  unerläfslichen  Forderungen,  ein  durch 
alle  Stufen  neunklassiger  Lehranstalten  selbständig  durchgeführter  Geographie- 
unterricht, durch  dessen  Ausdehnung  auf  die  drei  Oberklassen  der  preufsischen 
Oberrealschulen  noch  nicht  erfüllt.  Vielmehr  erscheint  es  dringend  wünschens- 
wert, den  Unterricht  in  der  Geographie  an  sämtlichen  höheren  Lehranstalten 
des  deutschen  Sprachgebiets  bis  in  die  obersten  Klassen  durchzuführen." 

In  der  Schlufssitzung  des  Geographentages  wurden  dann  die  Beschlüsse 
der  Fachversammlung  von  diesem  bestätigt  und  auf  Prof.  Kirchhoff's  Vor- 
schlag der  Kommission  der  Namen  einer  „Zentralkommission  für  erd- 
kundlichen Schulunterricht"  gegeben.  Die  schon  in  Breslau  gewählten 
Mitglieder  sind:  Geh.  Rat  Wagner  und  Prof.  Kirchhoff,  Dir.  Auler  aus 
Dortmund,  Prof.  B  lud  au  aus  Pr.  Friedland,  Oberl.  H.  Fischer  aus  Berlin, 
Oberl.  Henkel  aus  Pforte,  Prof.  Hucker t  aus  Breslau,  Oberl.  Schnell  aus 
Mühlhausen  i.  Th.,  Oberl.  Wormbter  aus  Rastenburg,  sämtlich  für  Preufsen, 
Oberl.  Zemmrich  aus  Plauen  i.V.  für  Kgr.  Sachsen,  die  Professoren  Günther 
aus  München  und  Regel  aus  Würzburg  für  Bayern,  Prof.  H asser t  aus 
Tübingen  für  Württemberg,  Prof.  Neu  mann  aus  Freiburg  i.  B.  für  Baden, 
Prof.  Langenbeck  aus  Strafsburg  für  das  Reichsland,  Prof.  Richter  aus 
Graz  und  Prof.  Becker  aus  Wien  für  Österreich  (i.  g.  17  Herren).  In  einer 
kleinen  ersten  Besprechung  der  neuen  Kommission  noch  am  Abend  des 
letzten  Verhandlungstages  wurden  dann  schliefslich  Dir.  Au ler  zum  geschäfts- 
führendeu  Vorsitzenden   und  Oberl.  Fischer  aus   Berlin  zum  Stellvertreter 


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Der  XIII.  deutsche  Geotfraphcntaff  in  Brcßlau  397 


gewählt  Einen  besonderen  Arbeitsplan  zu  beraten  fehlte  es  vollkommen  an 
Zeit,  genug  dafs  es  die  Kommission  selbst  unter  Dach  und  Fach  zu  bringen 
gelang. 

Ich  habe  im  Verfolge  dieser  Entwickelung  der  Kommission  die  zweit« 
schulgeographische  Sitzung  übergangen.  Ich  hole  jetzt  ihre  Verhandlungen 
nach.  Mit  der  oben  erwähnten  vorausgegangenen  Werbearbeit  war  gleich- 
zeitig eine  Art  Abstimmung  verbunden  worden,  insofern  als  an  die  meisten 
der  zur  Unterschrift  aufgeforderten  Herren  (bei  den  zuletzt  aufgeforderten, 
deren  Adressen  man  erst  spät  erhalten  hatte,  gebrach  es  dazu  an  Zeit)  die 
Bitte  gerichtet  worden  war,  zwischen  einer  Anzahl  von  methodologischen 
Themen,  deren  Behandlung  ausreichend  lehrreich  zu  werden  vorsprechen  konnte, 
zu  wählen.  Die  endgiltige  Tagesordnung  war  dann  das  Resultat  dieser  Ab- 
stimmung, ein  wenig  beeinflufst  durch  die  aufserdem  eingelaufenen  Redner- 
angebote. Es  handelte  sich  um  vier  Beratungsgegenstände:  1.  Lehrbücher- 
frage, 2.  Verknüpfung  der  physischen  und  politischen  Landeskunde  im 
Schulunterrichte,  3.  Zahlenmaterial  im  geographischen  Unterrichte,  4.  Was 
gehört  aus  der  Projektionslehre  auf  die  Schule? 

Zu  1.  sprach  zuerst  Prof.  Becker  aus  Wien,  der  Herausgeber  der 
Zeitschrift  für  Schul geographie.  Dort  hatte  er  bekanntlich  (Z.  f.  Schulgcogr. 
XXII.  Jahrg.  I.  Heft)  30  Grundsätze  für  Lehrbücher  der  Geographie  aufge- 
stellt und  für  deren  Besprechung  eine  Art  Sprechsaal  eröffnet.  Jetzt  gab 
er  seine  Anschauungen  vermehrt  um  die  inzwischen  im  „Sprechsaal"  ge- 
.  wonnenen  Erfahrungen  in  umfangreicherer  Form,  die  insofern  sehr  geschickt 
war,  als  er  es  durchaus  vermied,  bei  dieser  heiklen  und  doch  noch  sehr 
brennenden  Frage  irgend  ein  Lehrbuch  als  Beispiel  namhaft  zu  machen. 
Vor  dem  weiten  Forum  des  Deutschen  Geographentages  diese  Angelegenheit, 
vorzüglich  auch  nach  der  noch  recht  dunklen  Seite  der  Darbietungsform, 
wieder  in  Flufs  gebracht  zu  haben,  dieses  Verdienst  gehört  ihm. 

Ebenfalls  zur  Lehrbücherfrage  sprach  Prof.  A.  Fischer  aus  Hamburg. 
Er  empfahl  seine  Lehnnethode,  bei  der  das  eingeführte  Lehrbuch  zuerst  von 
den  Schülern  Satz  für  Satz  vorgelesen  und  dann  zu  Hause  auswendig  ge- 
lernt wird.  In  der  nächsten  Stunde  fragt  der  Lehrer  bei  verschlossenen 
Atlanten  unter  möglichst  engem  Anschlufs  an  den  Wortlaut  des  Lehrbuches 
das  auswendig  Gelernte  ab.  Diese  Methode  erziele  schöne  Resultate,  be- 
wahre den  Lehrer  vor  subjektiven  Urteilen  und  erleichtere  ihm  infolge  der 
geringeren  Anforderungen  an  sein  Sprechen  das  Unterrichten,  auch  Unkun- 
dige könnten  so  den  Unterricht  ganz  gut  geben.  Nachdem  der  Redner  ge- 
schlossen, erhob  sich  eine  lebhafte  Entrüstungsbewegung  und  der  Antrag  des 
Dir.  Friebe-Posen  „Der  XIII.  Geographentag  lehnt  den  Vortrag  des  Prof. 
Fischer  ab"  wurde,  nachdem  sich  die  Mehrheit  auch  für  das  Unterbleiben 
jeder  Diskussion  entschieden  hatte,  zunächst  einstimmig  angenommen. 

Die  nun  folgenden  beiden  Vorträge  zur  „Landeskunde"  im  Schulunter- 
richt von  Kirchhoff  und  Langenbeck  standen  insofern  in  innigster  Be- 
ziehung zu  einander,  als  der  erste  mehr  das  allgemeine,  doch  durch  mannig- 
fache Beispiele  erläuterte  Prinzip  einer  „Verknüpfung  der  physischen  und 
politischen  Landeskunde"  darlegte,  Langenbeck  das  eine  Beispiel  der  Alpen 


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398  Der  XTTT.  deutsche  Geographentag  in  Breslau 


im  speziellen  darlegte.  —  Armenien,  das  nach  seiner  Aufteilung  unter  seine 
drei  Nachbaren  nicht  aufhöre  ein  geographisches  Individuum  zu  sein,  unser 
eigenes  Vaterland,  dessen  innere  politische  Grenzen,  man  denke  an  Thüringen, 
so  ganz  an  Bedeutung  zurückstehen  hinter  denen  der  grofsen  deutschen 
Landschaften,  so  sehr  auch  ein  kraftvoller  Staat  seiner  politischen  Grenze 
durch  seinen  Kultureinflufs  eine  Art  Naturcharakter  aufprägen  könne  (Bei- 
spiel: unsere  Ostgrenze),  zeigen  auf  das  deutlichste,  dafs  es  Unnatur  sei, 
nach  der  alten  Schablone  schematische  Vivisektion  zu  treiben.  Das  etwa 
führte  Kirchhoff  aus.  Langenbeck  lehnte,  nachdem  er  sich  mit  manchen  auf- 
getauchten Bedenken  und  u.  a.  auch  mit  der  glücklicherweise  jetzt  abgethanen 
Bestimmung  der  preufsischen  Lehrpläne  von  1892,  nach  denen  die  politische 
Geographie  Deutschlands  eine  Klasse  früher' als  die  physische  zu  lehren  war, 
abgefunden  hatte,  den  streng  länderkundlichen  Gesichtspunkt  für  die  Unter- 
stufo ab.  Hier  heifst  es,  entsprechend  der  geistigen  Entwicklung  der  Alters- 
klasse, Material  sammeln;  es  zusammen  zu  arbeiten  gebührt  dem  höheren 
Alter  der  Mittelstufe.  Für  die  Alpen  empfiehlt  er  für  diese  folgende  Form 
der  Besprechung:  1.  Allgemeiner  Uberblick,  a)  Aufhau,  orographische  Be- 
ziehungen, Grenzen;  b)  allgemeiner  Charakter,  Klima,  Völkergrenzen,  Pässe,  grol'se 
Längsthäler;  c)  wirtschaftliche  Verhältnisse;  d)  Einteilung  in  Gruppen;  — 
2.  Spezielle  Beschreibung  mit  Ausblicken  z.  B.  Urkantonc  (geschützte 
l*ge  und  Beherrschung  der  Gotthardstrafse.)  Bei  der  weiteren  Behandlung 
des  Vorlands  u.  s.  w.  kommt  man  dann  zur  politischen  und  wirtschaftlichen 
Einheit  der  Schweiz  u.  s.  f. 

In  der  folgenden  Diskussion  traten  Oehlmann  und  Wolkenhauer 
für  die  „alte"  Methode  ein,  Oehlmann  mit  der  besonderen  Motivierung,  dafs 
ihn  langjährige  Prüfungen  von  Schülern  aller  möglichen  Anstalten  gelehrt 
hätten,  dafs  dieselbe  beschämende  Unkenntnis  das  Resultat  aller  Methoden  bisher 
noch  sei.  Mayer  aus  Freistadt,  der  sich  als  Anhänger  der  Kirchhoff- Langen- 
beck'schen  Methode  einführte,  empfahl  das  heuristische  Verfahren  gegenüber 
dem  darbietenden,  das  er  aus  der  Darlegung  Langenbeck's  herauszuhören 
glaubte.  Aul  er  riet,  sich  mit  weniger  Ländern,  vor  allem  Deutschland  zu 
bescheiden,  Halbfafs  wollte  die  besseren  Schüler  nicht  zu  gunsten  der 
Mittelmäfsigkeit  geschädigt  wissen.  Richter  hob  hervor,  das  icqwtov  tytvdog 
sei  „der  zu  schwierige  Stoff,  den  wir  in  zu  niedrigen  Klassen  geben  müssen", 
womit  man  dann,  wie  fast  immer  bei  der  Behandlung  auch  rein  methodo- 
logischer Fragen,  auf  den  grofsen  von  uns  bekämpften  Fehler  in  der  moder- 
nen Schulorganisation,  das  Fehlen  der  Erdkundestunde  auf  der  Oberstufe, 
wjeder  gekommen  war.  Straufs  empfahl  dann  noch  die  Hefte  in  konzen- 
trischen Kreisen  und  einige  andere  Herren  sprachen  im  Sinne  der  Kirchhoff- 
schen  Länderkunde. 

Nummer  3  der  Tagesordnung,  zu  der  noch  kein  Redner  bestimmt  war, 
wurde  bei  der  sehr  drängenden  Zeit  abgesetzt,  doch  wies  Wagner,  der  den 
Vorsitz  führte,  auf  die  Wichtigkeit  der  Frage  hin  und  empfahl  sie  dem 
nächsten  Geographontage.  Zum  Schlufs  sprach  Bludau  über  das  Thema: 
„Was  gehört  aus  der  Projekt ionslehre  auf  die  Schule?"  Sein  sehr  anregender 
Vortrag  konnte  leider  nicht  mehr  ausgiebig  diskutiert  werden.   Jedenfalls  ver- 


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Kleinere  Mitteilungen.  399 

dienen  volle  Beachtung  sein  Kampf  gegen  den  MiTsbrauch  der  Mercatorkarte 
in  unsern  Schulatlanten  und  seine  Mahnung  an  den  Geographielehrer,  das 
wenige  mit  Hilfe  der  eigenen  Schulmathematik  leicht  zu  beschaffende  sich 
zu  eigen  zu  machen,  was  er  wissen  müfste,  um  die  Begriffe  der  Winkel- 
treue, Mittelabstandstreue  und  Flächentreue  zu  erläutern.  Ob  indeseen  sein 
Wunsch,  die  Mathematiker  möchten  sich  in  den  oberen  Klassaa  In  der  Wahl 
ihrer  Beispiele  etwas  der  Kartenprojektionslehre  annehmen,  bei  der  bekannten 
Hartnackigkeit  der  Mathematiker  in  Erfüllung  gehen  wird? 

Nach  Schlufs  der  Sitzung  demooetrierte  Oberl.  Ebeling  aus  Berlin  zwei 
nach  seiner  Methode  von  Kind  in  Steglitz  hergestellte  Modelle  für  Schulzwecke 
(Vesuv  und  Aletsehgletscher),  die  sich  neben  Dauerhaftigkeit  durch  Leichtig- 
keit und  billigen  Preis  (25  JC)  auszeichnen. 

Der  nächste  Geographentag  soll  Ostern  1903  in  Köln  abgehalten  werden. 

H.  F. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Die  geographischen  Ortsbestimmungen  und  unsere  grofson 

Universitäten. 

Im  Märzheft  d.  Z.  (VII,  S.  168—169)  ist  aus  „Petcrmann's  Mitteilungen", 
Gotha  1901,  S.  22,  eine  Notiz  abgedruckt,  in  der  „anscheinend  offiziös" 
darauf  hingewiesen  wird,  dafs  „jüngeren  Mathematikern,  welche  allerdings  auch 
etwas  praktischen  Sinn  haben  müssen,  sich  günstige  Aussichten  bieten,  falls 
sie  Neigung  haben,  auf  Keichskosten  als  perfekte  Astronomen  für  Längen- 
•    und  Breitenbestimmungen  sich  ausbilden  zu  lassen". 

An  dieser  Notiz  ist  allerhand  verwunderlich;  und  sie  giebt  zugleich 
Anlafs  zur  Besprechung  einer  Angelegenheit,  die  dem  Schreiber  d.  Z.  längst 
am  Herzen  liegt,  wie  dem  einen  oder  andern  Leser  wohl  aus  meinem  Be- 
richt über  die  Fortschritte  der  geographischen  Landmessung  im  Geogr.  Jahr- 
buch XXII  (Gotha  1899)  bekannt  ist 

Zunächst:  seit  wann  sind  , jüngere  Mathematiker",  also  doch  wohl 
Studierende  der  Mathematik  oder  angehende  Mathematik-Lehrer  die  geeignet- 
sten Personen  zur  Ausführung  geographischer  oder  geodätisch-„astronomischer" 
Messungen?  Würde  nicht  die  weitere  Ausbildung  junger  wissenschaftlich 
gebildeter  Geodäten,  von  denen  freilich  trotz  der  sehr  gYofsen  Zahl  von  Feld- 
messern und  Topographen  in  Deutschland  nicht  gerade  viel  bei  uns  zur 
Verfügung  stehen,  einfacher  und  ztfeckmäfsiger  zum  Ziel  führen,  weil  sie  die 
Winkelmefswerkzeuge  aus  praktischem  Gebrauch  bereits  kennen,  weil  sie 
schon  Gelegenheit  gehabt  haben,  ihren  „praktischen  Sinn"  zu  üben,  und  weil 
sie  auch  aus  Erfahrung,  im  heimischen  Klima  wenigstens,  bereits  die  gesund- 
heitlichen Anforderungen  kennen,  die  geodätische  Feldarbeiten  an  den  Beob- 
achter zu  stellen  pflegen? 

Nebenbei  möchte  ich  denn  doch  bei  dieser  Gelegenheit  auch  hier  darauf 
hinweisen,  dafs  es  sich  bei  direkter  Bestimmung  der  geographischen  Koordi- 
naten eines  Punkts  der  Erdoberfläche  oder  des  Azimuts  einer  von  einem  ge- 
gebenen Punkt  der  Erdoberfläche  ausgehenden  terrestrischen  Richtung  um 
geodätische  oder  geographische  Messungen  handelt  (vgl.  auch  den  be- 


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400 


Kleinere  Mitteilungen. 


reits  angeführten  Bericht  im  Geogr.  Jahrbuch  XXII,  S.  31—38);  wo  aber 
ist  bei  uns  der  Geograph,  der  in  diesen  Messungen  genügend  theoretisch 
und  praktisch  bewandert  ist  oder  der  gar  einen  theoretisch  genügend  be- 
gründeten und  praktisch  ausreichenden  Unterricht  in  diesen  Dingen  zu 
übernehmen  imstand  wäre? 

Nun  aber  zur  Hauptsache,  die  ich  hier  besprechen  möchte.  Solche 
„astronomisch44- geodätischen  oder  geographischen  Messungen  warten  noch  in 
grofser  Zahl  der  Ausführung  in  unsern  Kolonien.  Die  im  Eingang  zitierte 
Notiz  will  dazu  „perfekte  Astronomen"  verwenden,  ich  glaube,  man  könnte 
ebensogut  Geodäten  und  Geographen  nehmen,  deren  wissenschaftlich-praktische 
Ausbildung  nur  nach  der  Seite  der  praktischen  „Astronomie44  hin  zu  er- 
gänzen wäre. 

Eine  derartige  wissenschaftlich-praktische  Ausbildung  in  der  geodätisch- 
praktischen  „Astronomie41  (die  s.  g.  astronomische  Nautik  eingeschlossen) 
sowohl  als  auch  in  der  geodätisch  -  geographischen  Landmessung  i.  e.  S. 
kommt  auch  für  geographische  Forschungsreisende  in  Betracht,  die  nur  mit 
der  Handhabung  etwas  weniger  feiner  Instrumente,  z.  B.  eines  Nonien-Reise- 
Theodolits  statt  des  Mikroskop-Theodolits,  sich  begnügen  können. 

Auf  unsern  Universitäten  und  den  in  Verbindung  damit  stehenden 
Instituten  sowohl  als  auf  den  Technischen  Hochschulen  ist  nun  aber  die 
Gelegenheit  zu  solcher  Ausbildung  spärlich  geboten.  Die  Aufgabe  der 
Sternwarten  ist  zunächst  die  Förderung  der  Astronomie,  wozu  die  Be- 
stimmung der  Lage  von  Punkten  auf  der  Erdoberfläche  als  eine  geographische 
oder  geodätische  oder  nautische  Aufgabe  zunächst  nicht  gehört,  wenn 
man  auch  die  hierfür  in  Betracht  kommenden  Messungen  meist  zur  sphäri- 
schen Astronomie  zu  stellen  pflegt.  Und  andere  Institute  der  Universi- 
täten, besonders  die  geographischen  Institute,  scheinen  sich  wenig  um  diese 
Aufgaben  zu  kümmern.  Die  Vorlesungsverzeichnisse  der  Universitäten  führen 
denn  auch  viel  zu  selten  die  zur  Ausbildung  von  Astronomen,  Geodäten  und 
Geographen  notwendigen  Übungen  in  geographischen  Ortsbestim- 
mungen (besonders  mit  den  für  Reisende  u.  s.  f.  in  Betracht  kommenden 
transportablen  Instrumenten  und  mit  Rücksicht  auf  die  hier  in  Betracht 
kommenden  Methoden)  auf.  Die  Geodäten  an  den  Technischen  Hochschulen 
oder  an  den  preufsischen  landwirtschaftlichen  Hochschulen  ferner  sind  bei  der 
dermaligen  Frequenz  dieser  Anstalten  ohnehin  im  allgemeinen  stark  mit 
Unterricht  belastet,  so.dafs  sie  sich  den  angedeuteten  Aufgaben  nur  nebenbei 
und  nicht  in  dem  erwünschten  Umfang  widmen,  können;  und  Geodäten  an 
Universitäten  sind  bekanntlich  nur  wenige  thätig  (Helmert  in  Berlin, 
Hartl  in  Wien). 

Dafs  hier  eine  Lücke  besteht  ,  ist  %schon  oft  ausgesprochen  und  aner- 
kannt worden.  Es  ist  zwar  z.  B.  beim  Orientalischen  Seminar  in  Berlin  auf  • 
den  Unterricht  in  den  uns  hier  beschäftigenden  Gegenständen  Rücksicht  ge- 
nommen; doch  genügt  die  dort  gebotene  Unterrichtsgelegenheit  dem  Bedürf- 
nisse offenbar  nicht  ganz,  wie  wohl  schon  daraus  hervorgeht,  dafs  die  Übungen, 
der  wichtigere  Teil,  nicht  von  den  Dozenten  selbst  und  nicht  in  Berlin,  sondern 
in  Potsdam  abgehalten  werden.  Der  in  den  letzten  Jahren  aufgetauchte 
Vorschlag  von  Prof.  Ambron n  in  Göttingen,  ein  besonderes  Institut  zur 
Ausbildung  von  Forschungsreisenden  zu  gründen  (vergl.  mein  bereits  mehrfach 
angeführtes  Referat  S.  HO),  wird  nicht  so  bald  verwirklicht  werden  können. 

Ein  gangbarpr  Weg  wäre  aber  wohl  der,  dafs  eine  der  grofsen  Univer- 
sitäten, z.  B.  Berlin,  sich  entschlösse,  eine  a.  o.  Professur  für  Theorie 


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Kleinere  Mitteilungen. 


401 


und  Praxis  der  geographischen  Ortsbestimmungen  (zu  Land  und 
zur  See)  zu  gründen.  Es  sind  gewifs,  selbst  an  weniger  reich  ausgestatteten 
Universitäten,  für  minder  wichtige  und  weniger  ifnmittelbar  notwendige 
Gegenstände  aufserordentliche  Professuren  genug  vorhanden.  Und  nicht  nur 
die  grofse  Wichtigkeit,  sondern  auch  der  bedeutende  Umfang  des  Gebiets 
würde  gewifs  die  Schaffung  einer  eigenen  Stelle  rechtfertigen.  Die  geogra- 
phische Ortsbestimmung  auf  dem  festen  Land,  vom  Gebrauch  der  einfachem 
Mittel  bis  zur  Verwendung  der  feinern  Instrumente  und  Methoden,  von  der 
diese  Notiz  ausging;  die  Ortsbestimmungen  in  der  Nautik  mit  Benutzung 
der  Spiegel-  und  Prismeninstrumente;  dazu  womöglich  wenigstens  die  Grund- 
züge der  im  engern  Sinn  geodätischen  und  topographischen  Messungen,  wie 
sie  insbesondere  für  Reisende  und  für  Kolonialvermessungen  von  Wichtigkeit 
sind:  dies  alles  theoretisch  und  praktisch  zu  lehren  ist  eino  Aufgabe,  die 
einerseits  die  Kraft  eines  Mannes  vollständig  in  Anspruch  nimmt  und  "deren 
Lösung  anderseits  entschieden  als  Bedürfnis  bezeichnet  werden  mufs.  Wer 
hier  davon  spricht,  dafs  Umfang  oder  Inhalt  des  Gebiets  der  geographischen 
Ortsbestimmungen  zur  Begründung  einer  a.  o.  Professur  nicht  ausreiche,  der 
kennt  offenbar  die  grofse  und  rasch  fortschreitende  Entwicklung  nicht,  die 
Theorie  und  Praxis  dieser  Messungen  in  den  letzten  Jahren  erfahren  haben: 
um  nur  einzelne  Punkte  herauszugreifen,  sei  erinnert  an  die  Anwendung  der 
photographischen  Methoden  und  eine  grofse  Zahl  neuer  visueller  Methoden 
bei  der  Bestimmung  der  geographischen  Länge  und  Breite  auf  dem  festen 
Land,  an  die  Bestrebungen  zur  Ersetzung  der  Kimm  durch  künstliche  Hori- 
zontmarken zur  See,  an  die  vielen  neuen  methodischen  Behandlungen  der 
nautischen  Ortsb#stimmungsprobleme,  an  die  aufserordentliche  Entwicklung 
der  Chronometrie.  Nicht  nur  Geographen  und  Forschungsreisende,  Geodäten 
und  Astronomen,  künftige  Lehrer  der  Mathematik  u.  s.  f.  hätten  an  einem 
solchen  theoretisch-praktischen  Unterricht  in  geographischen  Ortsbestimmungen 
das  gröfste  Interesse,  sondern  auch  die  in  Deutschland  glücklicherweise  immer 
mehr  in  den  Vordergrund  tretenden  Bedürfnisse  der  Nautik  sind  zu  be- 
friedigen; wie  dankbar  müfsten  z.  B.  künftige  Navigationslehrer  sein,  wenn 
sie  gleich  im  Zusammenhang  mit  ihren  sonstigen  Universitätsstudien  sich 
.   speziell  für  ihre  Aufgabe  vorbereiten  könnten. 

Kurz,  der  wissenschaftlichen  Geographie  sowohl  als  den  prak- 
tischen Bedürfnissen  der  Vermessung  unserer  Kolonialgebiete  und  ähnlichen 
praktischen  geographischen  Aufgaben,  sowie  der  Nautik  würde  mit 
der  Einrichtung  einer  solchen  Professur  für  Theorie  und  Praxis  der  geogra- 
phischen Ortsbestimmungen  zweifellos  ein  wichtiger  Dienst  erwiesen  werden. 
Nach  den  Bemerkungen  im  Eingang  dieser  Notiz  würde  für  die  Stelle,  wie 
die  Dinge  in  Deutschland  liegen,  nur  ein  Astronom  mit  genügender  Praxis 
in  allen  Zweigen  dieser  Messungen  in  Betracht  kommen  können. 

Möchten  massgebende  Angehörige  der  Berliner  Universität  diese  Notiz 
nicht  als  unbefugte  Einmischung  von  aufsen  ansehen,  sie  vielmehr  als  aus 
dem  Wunsch  hervorgegangen  betrachten,  dafs  auch  bei  uns  den  so  wichtigen 
Aufgaben  der  geogra-phischen  Ortsbestimmung  zu  Land  und  zur 
See  die  Fürsorge  zu  teil  werde,  auf  die  sie  Anspruch  machen  darf  und  mufs. 

Prof.  Dr.  E.  Hammer  in  Stuttgart. 


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I 


402  Kleinere  Mitteilungen. 

Vorläufige  Ergebnisse  der  allgemeinen  dänischen  Volkszählung  vom 
L  Februar  1901  (eigentliches  Dänemark). 

Die  Landeshauptstadt  Kopenhagen  steht  unter  den  dänischen  Städten 
(Kjöbstaider)  an  absoluter  Einwohnerzahl  an  erster  Stelle  mit  378  280  E., 
d.  i.  15,46  °/0  der  Gesamtbevölkerung  des  eigentlichen  Dänemarks.  Ihre 
Bevölkerungszunahme  (1890 — 1901)  beträgt  unter  Berücksichtigung  der 
Eingemeindungen  vom  1.  Januar  1901 ')  für  die  Bevölkerungszahl  von  1890: 
17,69%.  Nimmt  man  Kopenhagen  als  topographisch-geographisches  Wesen 
und  zählt  den  Handelsplatz1)  Frederiksberg  (s.  d.  Tab.  u.  Anm.  3)  und  die 
Gemeinden  (Kirchspiele,  Sognc)  Sundbyerne  paa  Amager4),  Gentofte  und 
Ordrup  der  TTarde(Vagteit  Herred  5))  Sokkelund  des  Amtsratskreises  Kopenhagen 
hinzu6),  so  erhält  man  eine  Ansammlung  ▼ob  (1901)  491340  K..  d.  i.  inner- 
halb il  Jahren  (1890— 1901)  eine  Zunahme  von  26,27  %  und  einen  Prozent- 
anteil von  20,08  an  der  Reichsbevölkerung.  Aufser  Kopenhagen  hat  Däne- 
mark (1901)  einschliefslich  des  Handelsplatzes  Frederiksberg  nur  noch 
6  Städte  mit  über  20  000  E.  und  6  mit  zwischen  10  000  und  20  000  E., 
während  1890,  Frederiksberg  eingerechnet,  im  ganzen  nur  9  Städte  über 
10  000  E.  hatten.  Die  Reihenfolge  derselben  nach  der  Einwohnerzahl  hat 
sich  laut  untenstehender  Tabelle  bei  den  7  gröfsten  nicht  geändert,  dagegen 
hat  Veile  seit  1890  einige,  Esbjerg  viele  andere  überholt.  Letztere  Stadt 
zeigt  überhaupt  unter  den  13  Städten  mit  über  10  000  E.  die  höchste  Zu- 
nahme (225,10  °/0);  etwas  über  60  °/0  haben  Frederiksberg,  Veile  und 
Aalborg,  fast  56  %  Aarhuus,  etwa  30  %  Svendborg,  Odense,  Kolding  und 
Horsens,  etwas  über  25  %  Fredericia  und  Helsingör,  etwaS  über  20  %  hat 
Randers;  Kopenhagen  i.  e.  S.  schliefslich  hat  nur  17,69,  i.  w.  S.  jedoch 
schon  26,27  °/o,  während  das  Amt  Kopenhagen  mit  35,-17  °/0  die  höchste  Zu- 
nahme unter  allen  Amtern  zeigt  und  so  die  Anziehungskraft  der  Umgebung 
der  Grofsstadt  andeutet,  abgesehen  von  den  übrigen  verdichtenden  Einflüssen. 
Die  Zunahme  aller  Städte  mit  über  10  000  E.  beträgt  29,78  %.  Dänemark 
hatte  1890:  69  Städte  (Allinge  und  Sandvig  auf  Bornholm  einzeln  gerechnet) 
und  6  Handelsplätze,  1901:  73  Städte  und  3  Handelsplätze.  Seit  1890  kamen 
also  zu  den  Städten  4  hinzu,  nämlich  die  bisherigen  Handelsplätze  Silkeborg, 
Lögstör  und  Nörre-Sundby  seit  1.  Januar  1900  und  der  bisherige  Ladungs- 
platz (Ladeplads)  Esbjerg  (bisher  zur  Gemeinde   Jerne  der  Harde  Skads 


1)  Die  Gemeinde  Brftnshöj  (1901:  9967,  1890:  4812  E.)  und  ein  Teil  der  Ge- 
meinde Hvidovre,  nämlich  Damhussöcn,  Valbv  (1901:  6734,  1890:  3147  B.),  Vigers- 
lev  (1901:  298,  1890:  238  E.)  und  Kongens  Enghave  (1901:  442,  ,1890:  362  E  ). 

2)  Die  Handelsplätze  (Handelspladser)  haben  eine  eigene  Gemeindeverwaltung, 
ähnlich  wie  die  eigentlichen  Städte  (Kjflbstaeder),  gelten  jedoch  nicht  als  solche;  nur 
in  statistischer  Hinsicht  werden  sie  zu  den  Städten  gerechnet.  (Behm  und  Wagner, 
Die  Bevölkerung  der  Erde  VI,  S.  98.  Ergänzungsheft  62  zu  Petermann's  Mit- 
teilungen, GoÜia  1880.) 

3)  Frederiksberg  gehört  seit  1.  April  1900  nicht  mehr  als  Landsogn  zum  Amts- 
ratskreis Kopenhagen,  sondern  ist  selbständige  Kommune. 

4)  Sundbyerne  wird  vom  1.  Januar  1902  ab  der  Stadt  Kopenhagen  eingemein- 
det sein. 

5)  In  Norwegen  entspricht  der  Begriff  Herred  dem  Begriff  Kirchspiel,  Gemeinde, 
Dänemarks  Sogn;  der  Begriff  Fogderi  «dagegen  etwa  dem  Begriff  Vogtei,  Däne- 
marks Horred. 

6)  Sundbyerne  1901:  22  359,  1890:  13  310  E.,  Gentofte  1901:  7837  E.  und 
Ordrup  1901:  6627  E.,  beide  zusammen  1890:  7449  E. 


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■ 


Kleinere  Mitteilungen.  40B 

des  Amts  Rihe  gehörig)  seit  1.  Januar  1899;  Handelsplätze  bleiben  nur 
Frederiksberg1),  Frederiksvaerk  und  Marstal.  Von  den  63  Städten  und 
Handelsplätzen  mit  unter  10  000  K.  ist  Sandvig  mit  852  E.  die  kleinste. 

Die  höchste  Dichtigkeit  hat  unter  den  Am  tarn  das  Amt  Kopenhagen 
(162,4  E.  auf  1  qkin),  darauf  folgen  Odense  (84,9),  Svendborg  (77,6), 
Aarhuus  (75.1),  das  Amt  Bornholm  (70,2),  Frederiksborg  (67,4),  Sorö  (64,6), 
Pnestt  (61,2),  Maribo  (60,3),  Holbtek  (57,6).  Veile  (53,9),  Randers  (4«,0), 
Aalborg  (44,3),  Hjörring  (42,4),  Thisted  (40,8),  Viborg  (35,0),  Ribe  (31,5) 
und  zuletzt  Ringkjöbing  (24,4).  Ringkjöbing,  das  am  schwächsten  be- 
völkerte, westlichste  Amt,  hat  etwa  10  °/0  seiner  Bevölkerung  in  den  drei 
Städten  Holstebro  (4985  E.),  Lemvig  (3219  E.)  und  Ringkjöbing  (2752  E.) 
wohnen;  die  Bevölkerungszunahme  des  ganzen  Amtos  entspricht  etwa  der 
mittleren  Zunahme  der  gesamten  Reichsbevölkernng;  die  Zunahme  der  vor- 
wiegenden (etwa  90  %)  Landdistriktsbevölkerung  ist  ziemlich  hoch  (10,7 1  %). 
Das  südlich  davon  gelegene  Amt  Ribe  hat  aufser  einer  Stadt  mit  über 
10  000  E.,  Esbjerg,  noch  zwei  mit  geringeren  Ziffern,  Vardo  (4607  E.)  und 
Ribe  (4243  E.),  d.  i.  im  ganzen  23,3  %  der  Amtsbevölkerung  in  Städten. 
Die  Bevölkerungszunahme  der  Landdistrikte  (10,68)  ist  fast  gleich  der  von 
Ringkjöbing  (10,71);  die  sehr  hohe  Zunahme  von  Esbjerg  (225.10)  wird 
zum  Teil  aufgehoben  durch  die  geringe  der  beiden  andern  Städte  (6,60), 
doch  steht  das  Amt  immerhin 'an  Zunahme  der  Oesamtbevölkerung  (21,43) 
an  dritter  Stelle  unter  den  Ämtern.  Viborg  Amt,  nordöstlich  von  Ring- 
kobing  mit  den  beiden  Städten  Skive  (4589  E.)  und  Viborg  (8267  E.),  d.  i. 
etwa  12  %  der  Amtsbevölkerung,  deren  Zunahme  nur  6,26  %  beträgt,  hat 
nur  eine  halb  so  starke  Zunahme  der  Landbevölkerung  (4,84)  als  Ring- 
kjöbing und  Ribe  und  steht  an  Zunahme  der  Gesamtbevölkerung  (5,01) 
ziemlich  am  Schlufs.  Fassen  wir  diese  drei  Ämter  als  SW.-Jütland  zu- 
sammen ,  so  erhalten  wir  4,3  %  der  Bevölkerung  in  Städten  mit  über 
10  000  E,  10,5%  in  Städten  mit  unter  10  000  E.,  85,2%  in  den  Land- 
distrikten.   Die  Dichte  beträgt  29,5  E.  auf  1  qkm,  die  Zunahme  12,2  %. 

Wiederum  etwa  5  E.  mehr  auf  1  qkra  als  das  Amt  Viborg  hat  das 
nördlich  von  Ringkjöbing  liegende  Amt  Thisted.  Die  beiden  Städte  Thisted 
(6071  E.)  und  Nykjöbing  paa  Mors  (4507  E.)  betragen  etwa  15%  der 
Amtsbevölkerung;  ihre  Zunahme  (17,17  %)  steht  über  dem  Mittel  des  Reichs; 
die  Zunahme  der  Landdistriktsbevölkerung  ist  jedoch  so  schwach  (0,80), 
dafs  durch  das  Vorwiegen  derselben  auch  die  (tesamtbevölkerung  des  Amtes 
nur  2,93  %  Zunahme  zeigt.  Thisted  Amt  ist  in  der  Reihenfolge  der  Ämter 
in  Bezug  auf  den  Dichtegrad  von  der  14.  an  dio  16.  Stelle  heruntergerückt; 
die  beiden  nördlichsten  Ämter,  Hjörring  und  Aalborg,  haben  es  überholt. 
Hjörring  hat  vier  Städte  mit  unter  10  000  E.:  Sajby  (2125  B.),  Frederiks- 
havn  (6478  E.),  Skagen  (2410  E.)  und  Hjörring  (7897  E.),  d.  i.  etwa 
16  °/0  der  Amtsbevölkernng;  Aalborg  Amt  hat  aufser  dem  gröfseren  Aalborg 
noch  die  kleineren  Städte  Nibe  (1721  B.),  Nörre-Sundby  (35  46  E.)  und 
Lögstör  (2184  E.),  d.  i.  im  ganzen  etwa  30  %  der  Bevölkerung  des  Amtes. 
Während  sich  beim  Amt.  Hjörring  die  Zunahme,  abgesehen  von  den  Städten 
(26,01),  niedrig  hält  (Landdistriktsbevölkerung  5,17%,  A tntsbevölkerung  da- 
her nur  8,01  %),  steht  das  Amt  Aalborg  an  Zunahme  der  Amtsbevölkerung 
an  zweiter  Stelle  (22,66  %).  Betrachten  wir  die  drei  Ämter  N.-Jütlands, 
Thisted,  Hjörring  und  Aalborg,  zusammen,  so  beträgt  die  Bevölkerung  der« 

1)  S.  Anm.  3  auf  voriger  Seite. 


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404  Kleinere  Mitteilungen. 

Städte  mit  über  und  unter  10  000  E.  9,9%,  bezw.  11,6%»  die  Land- 
distriktsbevölkerung 78,5  %  der  Amtsbevölkerung,  die  Dichte  der  Amtsbevölke- 
rung 42,8  E.  auf  1  qkm,  die  Zunahme  derselben  12,2  %. 

Der  Osten  hat  in  den  Ämtern  Randers,  Veilo  und  besonders  Aarhuus  die 
dichtbevölkertsten  Amter  des  dänischen  Festlandes.  Das  Amt  Randers  hat 
über  24  %  seiner  Bevölkerung  in  Städten  wohnen,  aufser  in  Randers  in  den 
kleineren  Städten  iEbeltoft  (1469  E.),  Grenaa  (3257  E.),  Mariager  (917  E.) 
und  Hobro  (3161  E.),  welche  eine  Zunahme  von  20,66,  bezw.  17,06  % 
aufzuweisen  haben.  Veile  hat  3  Städte  mit  über  10  000  E.,  nämlich 
Fredericia,  Kolding  und  Veile,  zusammen  fast  32  %  der  Amtsbevölkerung 
mit  fast  39  %  Zunahme.  Beide  Amter  haben  eine  geringe  Zunahme  der 
Landdistriktsbevölkerung  (4,08  und  3,10).  An  Gesamtzunahme  übertrifft 
Veile  (12,24,  etwa  gleich  dem  Reichsdurchschnitt)  Randers  (7,46)  durch 
seine  grofsen  Städte.  Die  höchste  Dichte  zeigt  auf  der  jütischen  Halbinsel 
das  Amt  Aarhuus  (75,1).  Aufser  den  gröfseren  Städten  Aarhuus  und  Horsens 
liegen  in  ihm  die  beiden  Städte  Silkeborg  (7229  E.)  und  Skanderhorg  (2721  E  ), 
d.  i.  über  45  %  städtische  Bevölkerung,  darunter  fast  40  %  in  den  beiden 
Städten  mit  über  20  000  E.  Die  Zunahme  der  Städte  beträgt  46,54,  bezw. 
51,42  %,  die  der  etwa  55  %  betragenden  Bevölkerung  der  Landdistrikte 
jedoch  ist  sehr  gering  (2,37  %);  die  Zunahme  der  Amtsbevölkerung  beträgt 
18,63  %,  sodafs  Aarhuus  hierin  an  vierter  "Stelle  unter  den  Amtern  steht. 
In  SO.-Jütland  wohnen  in  den  3  Ämtern  Randers,  Veile  und  Aarhuus  zu- 
sammen 31,1  %  der  Bevölkerung  in  gröfseren,  4,4  %  in  kleineren  Städten, 
64,5  %  in  den  Landdistrikten.  Es  tritt  in  diesen  Zahlen,  verglichen  mit 
dem  Südwesten  und  Norden  Jütlands,  ein  starkes  Vorwiegen  gröfserer  Städte 
im  Südosten  der  Halbinsel  hervor.  Die  Zunahme  beträgtü  13,5%,  die 
Dichte  59,5  E.  auf  1  qkm.  Auf  der  jütischen  Halbinsel  ist  also  schwache 
Dichtigkeit  in  dem  Sand-  und  Heideland  des  Südwestens,  etwas  höhere  im 
Norden,  wo  Sand  und  Lehm  zusammen  auftreten,  die  stärkste  im  Südosten 
mit  seinem  vorwiegenden  Lehmboden.  Trotzdem  ist  die  Bevölkerungszunahme, 
bezw.  Verdichtungsmöglichkeit  der  Landdistriktsbevölkerung  im  SO.  im  all- 
gemeinen am  geringsten.  Aufser  diesen  und  anderen  Naturgegebenheiten 
wirkt  die  Verteilung  der  gröfseren  Städte  mitbestimmend  auf  die  Dichte. 

Die  Inselämter  (aufser  der  Stadt  und  dem  Amt  Kopenhagen)  haben 
eine  weniger  von  einander  abweichende  Dichte  als  die  festländischen  Ämter; 
sie  ist  eine  höhere  als  die  der  festländischen,  ausgenommen  Aarhuus.  Die 
Dichtezahlcn  der  festländischen  Ämter  liegen  zwischen  24,4  und  75,1, 
d.  i.  ein  Unterschied  von  über  50,  die  der  Inselämter  unter  Ausschlufs  der 
Stadt  und  des  Amts  Kopenhagen  zwischen  57,6  und  84,9,  d.  i.  ein  Unter- 
schied von  nur  27.  Die  Inselämter  Holba«k,  Maribo  und  Presto  haben 
ungefähr  60  E.  auf  1  qkm,  noch  etwas  dichter  bevölkert  ist  Sorö.  Holba^k 
hat  nur  etwa  11%  E.  in  Städten  (unter  10  000  E.)  wohnen,  nämlich  in 
Nvkjöbing  (2003  E.),  Holbirk  (4573  E.)  und  Kaiundborg  (4327  B.);  diese 
haben  eine  Zunahme  von  etwa  19%.  Maribo  Amt  beherbergt  24,6%  in 
(kleineren)  Städten,  nämlich  in  Stubbekjöbing  (1615  E.),  Nykjöbing  (7345  E.), 
Sakskjöbing  (1559  E.),  Nysted  (1412  E.),  Rödby  (1726  E.\  Maribo  (3838  E.) 
und  Nakskov  (8317  E.),  welche  ebenfalls  eine  Zunahme  von  etwa  19  % 
haben.  Das  Amt  Presto  hat  in  den  Städten  (unter  10  000  E.)  Storeheddinge 
•(1816  E.),  Na-stved  (7117  E.),  Presto  (1497  E.),  Vordingborg  (3645  E.) 
und  Stege  (2247  E.)  etwa  16  %  der  Amtsbevölkerung,  mit  einer  Zunahme 
derselben  von  etwa  18  %.    Sorö  schliefslich  hat  24,5  %  seiner  Bevölkerung 


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Kleinere  Mitteilungen. 


405 


in  (kleineren)  Städten  wohnen,  mit  einer  Zunahme  von  über  27  °/0,  nämlich 
in  Korsör  (6081  E.),  Slagelse  (8973  E.),  Skelskör  (2503  E.),  Sorö  (2241  E.) 
und  Ringsted  (3318  E  ).  Die  Zunahme  der  Landdistriktsbevölkerung  aller 
vier  Ämter  ist  sehr  schwach  (2,76,  0,38,  0,15  und  0,70%),  sodafs  trotz  der 
gröfseren  Anzahl  kleinerer  Städte  auch  die  Gesamtzunahme  der  Amter  ziem- 
lich schwach  ist  (4,31,  4,44,  2,59  und  6,16%).  Durch  Zusammenfassung 
dieser  vier  Ämter,  welche,  auf  West-Seeland,  Lolland  und  Falster  liegend,  den 
Kern  der  Inselämter  bilden,  erhalten  wir  19  %  Stadtbevölkerung  (nur  in 
Städten  mit  unter  10  000  E.)  und  81  %  Landdistriktebevölkerung.  Charakte- 
ristisch ist,  dals  in  diesem  zentralen  Teil  gröfsere  Städte  fehlen,  und  dafs  sie 
sich,  wie  auf  Jütland,  auch  bei  dem  insularen  Teile  Dänemark  hauptsächlich 
auf  der  Ostseite  befinden.  Die  Gesamtzunahme  dieser  Gruppe  beträgt  4,3  %, 
die  Dichte  61,0  auf  1  qkm. 

Tabelle  I. 


Reihen- 
folge nach 

1901  |8»0 

1 

1 

2 

2 

3 

3 

4 

4 

5 

5 

6 

6 

7 

7 

8 

11 

9 

H 

10 

11 

9 

12 

10 

13 

12 

Städte  (Kjobtta'der) 
(eintchl.  1  HandelaplaU) 


Amt 


Einwohnerzahl1;  n.  d.  Z 


1  Febr  1901     1.  Kel.r  1*90 


Kopenhagen 
FrederikBberg  Hdlspl. 
Aarhuus 
Udense  *) 
Aalborg 
HorsenB 
Handera 

Veile 
Helsingör 
Esbjerg 
Fredericia 
Kolding  . 
Svendhorg 


St.  K. 
K.  A. 
Ah  A. 
O.  A. 
Ab.  A. 


Ah 
Ha 


A 

A. 


Ve.  A. 
Fr.  A. 
Ri.  A 
Ve.  A. 
Ve.  A 
Sv.  A. 


13  Städte  (einschl.  1  Handelsplatz)  mit 
(1901)  über  10  000  E.  im  eig.  Dänemark 

63  Städte  (einschl.  2  Handelsplätze)  mit 


378  280 
76  237 
öl  909 
40  104 
31  462 
22  232 
20  060 
14  690 
in  864 
13  365 
12  714 
12  630 
11  631 


698  868 


321  418 
46  964 
33  306 
30  762 
19  603 
17  290 
16  617 

9015 
11  076 

4  111 
10  042 

9  658 

8  765 


538  507 


Zu 

1890-1901 

in  % 


17,69 
62,37 
55,85 
30,37 
61,32 
28,58 
20,66 
61,84 
25,17 
226,10 
26.60 
29,74 
31,70 


29,78 


(1901)  unter  10  000  E. 

237  24U 

196  901 

20,44 

76  Städte  (einschl.  3  Handelsplätze) 

936  117 

735  408 

27,29 

Landdistrikte 

1  611  324 

1  436  972 

5,17 

Das  eigentliche  Dänemark  (Gesamt- 
bevölkerung) 

2  447  441 

2  172  380 

12,66 

Der  Osten  der  Insel  Seeland  (Sja-Uand)  hat  im  Amt  Frederiksborg 
ein  stark  bevölkertes,  im  Amt  und  in  der  Stadt  Kopenhagen  die  stärkst 

1)  Danmarks  Statistik.  Statistiske  ineddelelser,  fjerde  ra«kke,  niende  bind,  forste 
halft*;:  Forelobig  opgorelse  af  folkemasngden  1.  Februar  1901  i  det  egentlige  Dan- 
mark. (Kopenhagen  1901.)  Die  Zahlen  für  1890  sind  denen  für  1901  im  Bezug  auf 
Eingemeindungen  u.  dergl.  administrative  Veränderungen  des  Zeitraumes  1890 — 1901 
angepafst. 

2)  Einschließlich  des  seit  1.  Januar  1901  eingemeindeten  Landdistriktes  St.  Knud 
(1890:  494,  1901:  958  E  ). 


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400 


Kleinere  Mitteilungen. 


bevölkerten  Gebiete  des  Königreichs.  Frederiksborg  hat  noch  über  75  %  Land- 
distriktsbevölkerung, jedoch  mit  nur  2,10%  Zunahme  derselben.  Das  Amt  Kopen- 
hagen hat  nur  noch  etwa  55  %  derselben  mit  22,71  %  Zunahme.  Frederiks- 
borg hat  an  Städten  aufser  Helsingör  die  kleineren  Städte  Hilleröd  (4573  E.), 
Frederikssuud  (2319  E.)  und  den  Handelsplatz  Frederiksvark  (1441  E  );  die 
Zunahme  der  städtischen  Bevölkerung  beträgt  etwas  über  25  %.  Das  Amt 
Kopenhagen  hat  aufser  dem  Handelsplatz  Frederiksberg  zwei  Städte  mit  unter 
10  000  E.,  nämlich  Kjöge  (3997  E.)  und  Roskilde  (836 1  E.).  Ost-Seeland 
zeigt  ohne  die  Stadt  Kopenhagen  ähnliche  Prozentzahlen  (31,5%,  7,3%  und 
61,2%)  wie  SO.-.Jütland;  einschließlich  der  Hauptstadt  sind  in  ihm  70,5% 
in  grofsen,  3,1  %  in  kleineren  Städten,  26,4  %  in  den  Landdistrikten  wohn- 
haft.   Die  Zunahme  einschliefslich  der  Hauptstadt  beträgt  20,7  %,  ohne  die- 


Tabelle  II. 


Kuiheiifolgo 
n.  d.  Dicht« 

• 

Bevölkerung  >) 

B«vö  lkerungsd  icht« 
«uf  1  qkm 

II  • 

Ämter 

Ami«) 

1.  Febr. 

1.  VotlT. 

Iii" 

1901 

1890 

1901 

1890 

1901 

1890 



1 

1 

Kopenhagen  Stadt 

378  880 

321  418 

22.8 

16  591,2 

14  097,0 

17,69 

2 

s 

Kopenhagen  Aint 

195  277 

144  147 

1  202,8 

162,4 

119,8 

35,47 

3 

8 

Odense  A. 

151  495 

136 117 

1  784,5 

84,9 

76,3 

11,30 

4 

4 

Svendborg  A. 

128  00(J 

120  707 

1  648,6 

77,6 

73,2 

6,06 

5 

6 

AarhuuH  A. 

186  481 

157  191 

2  483,5 

75,1 

63,3 

18,63 

6 

6 

Born  hol  in  A. 

40  877 

38  761 

682,4 

70,2 

66,6 

5,46 

7 

7 

Frederiksborg  A 

90  556 

84  684 

1  343,7 
1  463,2 

67,4 

63,0 
60,8 

6,93 

8 

8 

Sorö  A. 

94  471 

88  990 

64,6 

6,16 

9 

9 

Pnesto  A. 

103  257 

100  649 

1  669,8 

61,2 

60,3 

2,59 

10 

10 

Maribo  A. 

105  018 

100  652 

1  740,3 

60,3 

57.8 

4,44 

11 

11 

Holba*  A. 

98  301 

94  235 

1  706.3 

57,6 

65,2 

4,31 

12 

12 

Veile  A. 

126  602 

111  904 

2  328,7 

53,9 

48,1 

12.24 

13 

13 

RanderB  A. 

118  679 

110  444 

2  426,0 

49,0 

45,5 

7,46 

14 

IG 

Aalborg  A. 

128  639 

104  790 

«i  902,1 

44,3 

36,1 

22,66 

15 

In 

Hjörring  A. 
Th  Uteri  A. 

119  203 

110  361 

2  811,8 

42,4 

39,2 

8,01 

16 

14 

71  439 

69  407 

1  750,9 

40,8 

89,6 

2,93 

17 

17 

Vi  borg  A. 

105  826 

100  777 

8  024,4 

35,0 

33,3 

5,01 

18 

18 

Bibe  A. 

95  474 

78  623 

8  033,2 

31,5 

25,9 

21,43 

19 

19 

Kingkjöbing  A. 

110881 

98  623 

4  530,4 

24,4 

21,8 

12,21 

Dänemark 

■2447  441 

2  172  380 

38  455,4 

63,6 

56,5 

12,66 

selbe  24,9  %,  die  Dichte  einschlielslich  derselben  258,5,  ausschliefslich  der- 
selben 112,2  auf  1  <jkm.  Das  Amt  Hornholm  im  Osten  des  Reichs  hat  eine 
Dichte  von  70  E.  auf  1  qkm,  hat  sich  aber  seit  1890  durch  Aarhuus  über- 
flügeln lassen.  Es  hat  7  kleinere  Städte,  nämlich  Rönne  (9294  E.),  Hasle 
(1280  E.),  Allinge  (1858  E.),  Sandvig  (852  E.),  Svanike  (1304  E.),  Nexö 
(2523  E.)  und  Aakirkeby  (1176  E.),  d.i.  fast  45%  städtische  Bevölkerung, 
mit  einer  Zunahme  von  etwa  14  %.  Die  Landdistriktsbevölkerung  nimmt 
dagegen  sogar  etwas  ab  ( —  0,63),  sodafs  nur  eine  geringe  Zunahme  der  Amts- 
bevölkerung  zu  verzeichnen  ist  (5,46  %). 

1)  S.  Anui.  1  auf  voriger  Seite. 

2)  Zahlen  von  1896  nach  StatiatiHk  Aarbog  1900.  (Kopenhagen  1900).  S.  2—3 
und  28—29.  Durch  die  Eingemeindungen  der  letzten  Jahre  würden,  besonders  bei 
der  Stadt  und  dem  Amte  Kopenhagen,  einige  Änderungen  hervorgerufen  werden, 
welche  hier  nicht  berücksichtigt  werden  konnten. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


407 


Tabelle  III. 


Ämter 


ßerOlkorung 
SluüU.  uud  Han.leLj.lkUe  mit 


(1901)  Uber  100«)  Kinw.    (1901)  unter  10000  Eiuw 


1901 


i! 

N  S 


I&90 


eS  ■ 


1901 


IH90 


1901 


M  2 


Kopenhagen  A. 


195 


100 


Aalborg  A. 
128539  =  100% 

[üb.-  A 
95  474  =  100% 

Aarhnus  A 
186481  —  100  °A 
Kopenhagen  Stadt 
378  280  =  100  70 

Veile  A. 
125  602  =  100 
Hingkjohing  A 
110661  —  ioo  % 

Odense  A. 
151495=  100  7, 

Hjörring  A. 
119203  =  100  70 

Ränder«  A. 
118  679      100  % 
Frederikshorg  A. 
90  555  =  100  % 

Sorö  A. 
94  471  mm  100  % 

Svendborg  A. 
128006  =  100  % 

Hornholm  A. 
40877  =  100  % 

Viborg  A.  ' 
105826  —  ioo  % 

Maribo  A. 
105018  =  100  % 

Holbirk  A 
»8301  —  100  % 

Thisted  A. 
71439  =  100  % 

Prwito  A. 


76237 
39.1  '"„ 

31462 
24,4  7« 


74  141 

39,8  7„ 
378280 
100,0 
39  834 


62,37   46  954    12  358  10,74 

'M  %  ! 

01,32    19  503!     7451  53,50 

6,8  7. 

8  850  6,60 
9,3%  I 

9  950  51,42 


»|226,10j  4111 
46,54  50  596 
17,69i321418 
38,72  28  715 


40104 

26,5  % 


20050 

10,9  % 
13  864 

16»3  % 


11531 

9,0% 


30,37 

20,66 
25,17 

31,70 


30  762 

16617 
11076 

8  755 


5,3 


10956  27,90 
13  862  20,76 

M  7. 

18  940  26,01 
8804 


7,4  % 


17,06 
25.18 


•/ 

8333 

y.2  %  I 

23  116  27,49 

24.5  70| 
19901 

15.6  7. 
18257 

44.7  % 


10256,  106682 

54.6  % 
4854  89626 

69.8  % 

8  302  73259 

76.7  % 
6  571  102390 

64.9  % 


12,19 
14,12 
6.26 


8  566 
11479 
15030 
7  521 
6657 
18131 
1 7  738 
15  998 
12099 


22,71 
11,43 
10,68 
2.37 


12  856 

12,1  7. 

25  812119,23  21647 
24,6  °/J 

10903ll8,72:  9184 
11,1  % 

10578  17,17  9028 
14,8% 

16322  17,93    13  840 


85  768 

68.3  % 
99  705 

90,1  % 
97  529 

64.4  % 
100  263 

84.1  70 
89825 

76,5% 
68  358 

76.5  7, 
71355 

75.6  % 
96  574 

76,4  % 
22  620 

55.3  % 
92  970 

«7,9  7, 
79  206 

75.4  % 
87  3981 

88,9  7, 
60  861 
»5,2  %  | 

86  035 


3,10 
10,71 

3,89 
5,17 
4,08 
2,10 
0,70 
2,50 
-  0,63 
4,84 
0,38 
2,76 
0,80 
0.16 


1S90 


i  N  ■ 

*  K 

Ol  « 

■o  2  h: 

a,  C  vi» 

Iii 

N  ■ 


86  937 
80433 


66210  21,43 
100024  18,63 


83189 
90057 


93  876  11,30 


95  331 
86  306 
66951 
70  859 
94214 
22763 
88  678 
78  905 
85051 
60  379 
86  809 


35,47 
22,66 


17,69 


12,24 


12,21 


8,01 
7,46 
6,93 
6,16 
6,05 
5,46 
5,01 
4,44 
4,31 
2,93 
2.59 


I  Kinemark 
2447441 =  100  9/0 


698*68  29,7*  53*507  237249  20,441190901  1511324 
1 38,0  7.1  |9,7%l  •|61,7%| 


5,17  1  436  972  12.66 


An  dritter  und  vierter  Stelle  in  der  Diebtigkeitsreihenfolgo  stehen  die 
westlichen  Insellämter  Odense  und  Svendborg  auf  Fünen  (Fyen).  Svendborg  ' 
und  Odense  haben  eine  geringe  Zunahme  der  Landdistriktsbevölkerung,  sodafs 
trotz  ziemlich  starker  Zunahme  der  städtischen  die  der  Gesamtbevolkerung  bei 
Odense  (11,30)  etwas  unter  dem  Heichsmittel  bleibt,  bei  Svendborg  sogar 
gering  ist  (6,05).  Das  Amt  Svendborg  hat  aufser  der  gröfseren  gleichnamigeu 
Stadt    noch  fünf  Städte  mit  unter  10  000  E.,  nämlich  die  (eig.)  Städte 


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408  Geographische  Neuigkeiten. 

Nyborg  (7785  E.).  Rudkjöbing  (3365  E.),  jEröskjöbing  (1485  E.)  und 
Faaborg  (4215  E.)  sowie  den  Handelsplatz  Marstal  (3051  E.),*  d.  i.  fast  25% 
der  Amtsbevölkerung.  Odense  Amt  hat  aulser  der  gleichnamigen  Hauptstadt 
an  kleineren  Städten  Kerteminde  (2547  E.),  Bogense  (2173  E.),  Assens 
(4666  E.)  und  Middelfart  (4476  E.),  d.  i.  fast  36  %  der  Amtsbevölkerung. 
Ganz  Fünen  beherbergt  so  18,1  %  der  Bevölkerung  in  gröfsereu,  12,1  %  in 
kleineren  Städten,  69,4  %  in  den  Landdistrikten  und  hat  eine  Zunahme  von 
8,8  %,  eine  Dichte  von  81,4  E.  auf  1  qkm. 

Die  mittlere  Dichte  des  ganzen,  eigentlichen  Dänemark  beträgt  63,6  %, 
die  Zunahme  der  CJesamtbcvölkerung  innerhalb  11  Jahren  12,66%,  d.i.  eine 
jährliche  von  1,09%.  Städte  und  Handelsplätze  mit  über  10  000  E.  sind 
1901  mit  28,6%,  solche  mit  unter  10  000  E.  mit  9,7  %,  die  Landdistrikte 
mit  61,7  %  an  der  Reichsbevölkerung  beteiligt.  Die  Zunahmezahlen  dieser 
Gruppen  innerhalb  des  11jährigen  Zeitraumes  zwischen  den  Zählungeu  1890 
und  1901  betragen  29,78,  29,44,  bezw.  5,17%,  die  aller  Städte  27,29  %. 

Die  Inseln  haben  1901  zusammen  1385  537  (1890:  1  230  260)  E. 
Jütland  (Jjlland)  1  061  904  (942  120)  E.  Auf  den  Inseln  leben  in  4  Städten 
und  1  Handelsplatz  mit  über  10  000  E.  (Kopenhagen,  Frederiksberg,  Helsingör, 
Svendborg  und  Odense)  520  016  (418  965)  E. ,  dazu  gerechnet  auch  die 
administrativ  zu  den  Landdistrikten  gehörigen  Vorstädte  Kopenhagens,  Sund- 
byerne,  Gentofte  und  Ordrup,  556  839  (439  724)  E.;  in  39  Städten  und 
2  Handelsplätzen  mit  unter  10  000  E.:  148  864  (124  930)  E.,  in  den  Land- 
distrikten (aufser  den  oben  zu  Kopenhagen  gerechneten  Gemeinden)  679  834 
(665  606)  E.  In  Jütland  wohnen  1901  in  8  Städten  mit  über  10  000  E. 
(s.  d.  Tab.)  178  852  (119  542)  E.,  in  22  Städten  mit  unter  10  000  E. 
88  385  (71  971)  E.  und  in  den  Landdistrikten  794  667  (750  607)  E. 

Bei  der  Beurteilung  der  Bedeutung  der  kleineren  Städte  ist  übrigens  zu 
erwägen,  dafs  ihre  Einwohner  sehr  viel  Ackerbau,  Viehzucht  und  Fischfang 
treiben,  wie  die  Bevölkerung  der  Landdistrikte,  und  nicht  als  vorwiegend  der 
Industrie  angehörig  angenommen  werden  können1). 

Dr.  K.  Neukirch. 


Geographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitz  au. 


Allgemeines. 

*  Vom  11—13.  April  1901  tagte  in 
Strafsburg  die  erste  internationale 
Erdbebenkonferenz,  wozu  der  VII. 
internationale  Ueographenkongrefs  zu 
Herlin  durch  Bildung  einer  permanenten 
Kommission  für  internationale  Erdbeben- 
forechung  die  Veranlassung  gegeben  hat 
Aufser  dem  Deutschen  Reiche  und  den 
gröfseren  deutschen  Einzelstaaten  waren 
vertreten  die  Schweiz,  Rufsland,  Japan, 
Belgien,   Österreich-Ungarn,  Dänemark, 


Italien  und  die  Geschäftsführung  deB  VH. 
internationalen  Geographenkongresaea. 
I  Von  den  zwei  Hauptpunkten  der  Tages- 
ordnung fand  der  eine:  Begründung  der 
internationalen    seismologischen  Gesell- 
schaft, seine  Erledigung  dadurch,  dafs  auf 
Antrag  des  Delegierten  Japans,  dem  sich 
die  beiden  rassischen  Vertreter  anschlössen, 
eine  Association  der  Staaten  behufs 
Förderung  der  Erdbebenforachung 
begründet  wurde.   Beigetreten  sind  dieser 
:  internationalen  seismologischen  Associa- 
i  tion  bis  jetzt  Japan ,  Rufsland ,  Deutsch- 


1)  Hahn,  Das  Königreich  Dänemark  (In  Unser  Wissen  von  der  Erde  H.  1. 
Lpz.  18l»o),  S.  298. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


409 


land  und  Schweden.  Jeder  dieser  Staaten 
zahlt  einen,  nach  der  Bevölkerungsziffer 
desselben  abzumessenden  Jahresbeitrag, 
von  dem  die  Unkosten  der  Publikationen, 
der  Untersuchungen  und  der  Geschäfts- 
führung bestritten  werden.  Als  provisorische 
Zentralstelle  der  Association  wurde  die 
kaiserliche  Hauptstation  für  Krdbeben- 
forschung  in  Strafsburg  gewählt,  die  von 
den  deutschen  Mitgliedern  der  Konferenz 
auch  als  Zentralstelle  für  das  Keich  an- 
erkannt worden  war.  Der  andere  Punkt 
derTageaordungumfafste  wissenschaftliche 
Vortrage,  die  »ich  zumeist  auf  praktische 
Beobachtungen  bezogen  und  an  den  drei 
Nachmittagen  der  Sitzungstage  gehalten 
wurden. 

Europa. 

*  Seen1)  der  grofsen  Seeketteu- 
Region  in  den  schwed.  Lappmar- 
ken *).  (Ergänzung  zu  Pr  Peucker 's  Zu- 
sammenstellung im  II.  J.  1896.) 

Meere»-  Gröfate 

höhe  Tiefe 

tri  in 

Fläsjön   316  88 

Homafvan  (südl.  Teil  sehr 

seicht)   425  221 

Malgomaj   366  117 

Parkyaure   292  14 

Peuraure   443  26 

Purkijaure   272  27 

Randijaure    283  27 

Soggah   303  83 

Saskatn    258  10 

Skalkojaure   295  30 

Storafvan*)    418  10 

Stroms  Vattudal   302  7» 

Tarraure    604  29 

Tjäggelvas   453  66-70 

Tjämotisjaure   297  29 

Täsjön    276  58 

Uddjaur1)   419  10 

Vojmajön  (im  westl.  Drittel 
flach  u.  von  unbedeuten- 
der Tiefe)   420  145 

Volgrjön    360  12 

Wakijaure   258  7 


1)  Tiefe  nach  Docent  K.  Ahlenius  in 
,',Ymer"  1900.  3.  Heft,  Höhenlage  nach 
schwed.  Kartenwerken. 

2)  Ältere  präglaziale  Erosionsrinnen. 

3)  Eigentlich  nur  überschwemmte  Mo- 
ränenmarken. 

Geographisch«  Zeitschrift.  7.  J»hrfr»ng.  1901  7. 


*  Ein  Gesetzentwurf  zur  „Abschlie- 
fsung  und  Trockenlegung  des  Zui- 
dersees"  ist  der  Zweiten  Kammer  der 
Niederlande  von  der  Regierung  vorgelegt 
worden.  Der  in  der  Vorlage  in  Aussicht 
genommene  Plan  ist  folgender:  Zuerst 
wird  ein  Abschlufsdeich  angelegt,  der  von 
der  Küste  von  Nordholland  Murch  d&H 
Amsteldiep  nach  der  Insel  Wieringen  und 
von  da  nach  der  Küste  von  Frieslaud 
läuft,  die  er  bei  Piaam,  einem  Dorfe 
zwischen  Makkum  und  Workum,  erreicht. 
Dadurch  wird  der  Zuidersee  von  der  Nord- 
see abgeschnitten  und  in  einen  Binnensee 
verwandelt.  Der  Abschlufsdeich  soll  eine 
Länge  von  40  km  erhalten  und  so  breit 
angelegt  werden,  dafs  auf  ihm  eine  Eisen- 
bahn gebaut  werden  kann,  die  Nordholland 
mit  FrieBland  verbinden  und  die  Fahrt 
von  Leeuwarden  nach  Amsterdam  um 
50  km  abkürzen  soll.  Die  bei  Kampen 
in  den  Zuidersee  einmündende  Yssel  wird 
den  abgeschlossenen  See  bald  aussüfsen 
und  dadurch  für  die  während  des  Sonnners 
stetü  Wassermangel  leidende  Provinz  Fries- 
land ein  wertvolles  Süfswasserreservoir 
schaffen.  Für  die  eigentliche  Trocken- 
legung sind  zunächst  zwei  Teile  des  Sees 
in  Aussicht  genommen:  1.  ein  nordwest- 
liches Stück  zwischen  Nordholland,  dem 
Abschlufsdeich,  der  Insel  Wieringen  und 
einem  noch  zu  erbauenden  Ringdeich  von 
Wieringen  nach  Medemblik  an  der  nord- 
holländischen KüBte;  und  2.  ein  südwest- 
liches Stück  zwischen  Nordholland  und 
einem  noch  anzulegenden  Ringdeich,  der 
von  Blookerehoek  nach  dem  nördlichen 
Ufer  des  Monnikendames  Gat  läuft.  Der 
Gesamtkostenaufwand  des  Planes  beträgt 
95  Millionen  Gulden,  wovon  40,5  Millionen 
für  den  Bau  des  Abschlufsdeiches,  35,5  Mill. 
für  die  Einpolderung  der  trockenzulegenden 
Teile  und  der  Rest  für  Wasserwerke, 
Festungsanlagen  und  Fhitachädigung  der 
Fischereiberechtigten  im  Zuidersee  zu  ver- 
wenden wären.  Zur  Ausführung  des  Pro- 
jektes sind  18  Jahre  Zeit  in  Aussicht 
genommen.  Hoffentlich  gestalten  sich 
die  innerpolitischen  Zustände  des  Landes 
auch  fernerhin  günstig,  damit  das  tech- 
nisch wohl  ausführbare  Kulturwerk  nicht 
durch  den  Streit  der  Konfessionen  und 
politischen  Parteien  gestört  wird. 

+  Über  die  Vergletscherung  der 
französischen  Vogesen  giebt  Dele- 
becque  im  Bull,  des  Services  de  la  carte 
Heft  28 


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410  Geographisch 

geol.  de  la  France  No.  79,  Tome  XII, 
Paris  1901,  eine  zusammenfassende  Dar- 
stellung. Von  den  drei  in  Betracht  kom- 
menden Stromgebieten  der  Meurthe,  Mo- 
sel und  Saone  scheidet  das  der  Meurthe 
aus,  da  dort  keinerlei  sichere  Spuren 
ehemaliger  Vergletscherung  bis  jetzt  ge- 
funden wurden.  Im  Thal  der  Mosel 
seihst  liegt  die  bedeutendste  Moräne  bei 
Noir  Gueux  zwischen  Saint -Nabord  und 
Eloyes,  ihr  schliefsen  sich  unmittelbar 
unterhalb  fluvio-glaciale  Ablagerungen  an, 
die  eine  Lange  von  50  km  besitzen  und 
besonders  deutlich  in  der  Nähe  von  Arches 
entwickelt  sind,  wo  sie  im  engen  Zu- 
sammenhang stehen  mit  fluviatilen  Ter- 
rassen im  Vologne-Thal.  Diesem  Thal 
fehlt  indes  die  Endmoräne.  Von  den 
Nebenthälern  der  Mosel  haben  deutlich 
ausgeprägte  Moränen  das  Thal  der  Mose- 
lotte bei  la  Bressc,  wo  sie  den  kleinen 
See  von  Lispach  abdämmen;  das  Thal  des 
Bouehot,  eines  Zuflusses  der  Moselotte; 
besonders  aber  das  Thal  deT  Cleurie,  eines 
anderen  Zuflusses  der  Moselotte;  dort 
haben  die  Moränen  die  Bildung  des  Sees 
von  Gerard-mer  veranlafst.  Aufser  in  diesen 
Seitenthälern  der  MobpI  finden  sich  noch 
in  anderen  zahlreiche  kleinere  Spuren  ehe- 
maliger Vergletscherung.  Delebeeque  ist 
geneigt  ,  den  Ursprung  der  Moränen  und 
tluvio-glacialen  Ablagerungen  in  die  letzte 
Kiszeit  zu  setzen,  bis  auf  diejenigen  strom- 
abwärts von  Noir  (iueux,  welche  einer 
älteren  Eiszeit  anzugehören  scheinen. 

Von  den  Nebenflüssen  der  Saone,  die 
südwestlich  von  der  Moselquelle  zwischen 
Reniiremont  und  dem  Ballou  de  Servance 
entspringen,  besitzen  die  Thäler  der  Au- 
grogne,  der  Combeauttf,  des  Breuchin 
i  Zuflüsse  der  Lauterne,  die  etwas  ober- 
halb von  Port  sur- Saone  in  die  Saone  geht), 
lerner  die  des  Ognon,  eines  Nebenflusses 
der  Saone,  des  Kanin,  eines  Zuflusses  des 
Ognon,  endlich  der  Savoureuse,  eines 
Nebenflusses  des  Doubs,  Spuren  ehemali- 
ger Vergletscherung.  Besonders  deutlich 
treten  diese  im  Thal  der  Combeaute  auf, 
dem  Val  d'Ajol,  bei  Fougerolles-le-Cbä- 
teau,  das  auf  einer  grofsen  Moräne  erbaut 
ist,  und  im  Thal  des  Breuchin,  wo  sich 
eine  gutausgebildete  Moräne  zwischen 
Uaddon  und  Sainte- Marie  cn  Chanois 
findet,  an  die  sich  eine  fluvio-glaciale 
Terrasse  ansetzt,  die  bis  Luxeuil  reicht. 
Das  Thal  des  Ognon  wird  etwas  oberhalb 


e  Neuigkeiten. 

von  Melisey  durch  eine  1  km  lange  und 
3  km  breite  Moräne  geschlossen,  in  der 
die  (Öffnung  für  den  Flufs  nur  150  m  be- 
trägt; unter  den  enorm  grofsen  Blöcken 
aus  triassischem  Puddingstein  besitzt  einer 
eine  Länge  von  2'/,  und  eine  Breite  von 
1 '/,  m.  Die  sich  an  diese  Moräne  an- 
schliefsende  fluvio-glaciale  Terrasse  ist 
durch  den  Ognon  so  stark  erodiert,  dafa 
sie  nur  schwer  von  rezenten  Alluviouen 
zu  unterscheiden  ist.  Mit  Ausnahme  der 
Thäler  des  Kahin  und  der  Savoureuse 
liegt  die  Wurzel  der  zur  Saone  gehörigeu 
Thäler  so  niedrig,  dafs  es  ausgeschlossen 
erscheint,  dafs  die  Gletscher,  deren  Mo- 
ränen noch  heute  hier  sichtbar  sind,  dort 
ihren  Ursprung  genommen  haben,  vielmehr 
werden  sie  nur  Verzweigungen  des  alten 
Moselgletachers  gewesen  sein  zur  Zeit  der 
vorletzten  Vergletscherung  dieses  Gebietes. 

Aufser  den  beschriebenen  Olacial- 
erscheinungen  findet  man  auf  den  Plateaux, 
wie  weiter  unterhalb  in  den  Thälem 
Gletseherspuren,  welche  mit  den  beiden 
Vergletscherungen  ,  von  denen  bisher 
die  Rede  gewesen  ist,  nichts  zu  thun 
haben.  So  findet  sich  z.  B.  im  Saone- 
bassin  nahe  dem  Bahnhof  von  Fontaine- 
les-Luxeuil  in  einer  Höhe  von  260  m  über 
dem  Meere  ein  Einschnitt,  welcher  von 
kleinem  Geröll  gebildet  wird,  das  ohne 
Schichtung  in  eine  Art  von  aufserordent- 
lich  losem  und  im  allgemeinen  rötlichem 
Cement  eingekittet  ist.  Diese  Gerölle  be- 
stehen aus  Quarziten,  ziemlich  gut  er- 
haltenen Sandsteinen  und  aus  ganz  zer- 
setztem und  zerbröckeltem  Granit.  D.  ist 
der  Ansicht,  dafs  diese  und  andere  gla- 
ciale  Gebilde  Rcsb»  von  Moränen  siud, 
die  einer  noch  älteren  Eiszeit  angehören, 
sodafs  wir  auch  für  die  französischen 
Vogesen  drei  Eiszeiten  zu  unterscheiden 
hätten.  W.  H. 

*  Die  Bevölkerungltaliens  beträgt 
nach  der  Volkszählung  vom  6.  Februar  1901 
32  449  754  E.,  das  sind  8  990  126  Seelen 
mehr  als  hei  der  letzten  Zählung  i.  J  1881. 
Die  Volksdichte,  die  damals  99  auf  1  qkm 
betrug,  ist  seit  der  Zeit  auf  112  auf  1  qkm 
gestiegen.  Unter  den  16  Landschaften 
steht  die  Lombardei  mit  der  höchsten  Be- 
völkerungszahl von  4  '/4  Mill.  obenan ; 
dann  folgt  Sizilien  mit  3  '/f  Mill., 
Piemont  mit  3 Mill.,  Campanien ,  Ve- 
netien,  Toskana,  Euiilia  mit  mehr  als 
2  Mill.;  zwischen   2  und  1  Mill.  stehen 


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Geographische  Neuigkeiten 


411 


Apulien,  Calabrien,  Abruzzen,  Latium, 
Ligurien ,  Marken  und  unter  1  Mill. 
Sardinien,  Umbrien  und  Basilicata.  Die 
stärkste  Vermehrung  seit  1881  weist 
Latiuiu  mit  17,5%  auf,  danach  Apulien 
und  Ligurien  mit  11%  und  Sizilien  mit  10%. 
Am  geringsten  war  der  Zuwachs  in  Ca- 
labrien 4,»%,  Campanien  4,4%,  Pie- 
mont  4,4  %  und  Basilicata  3,4%.  Von 
den  Städten  des  Landes  haben  folgende 
elf  mehr  als  100000  Einw.:  Neapel  568731, 
Mailand  491460,  Korn  463  000,  Turin 
885  68t»,  Palermo  310  352,  Genua  234  800, 
Klorenz  204  950,  Bologna  152  009,  Vene- 
dig 151  841,  Messina  141)  823  und  Catania 
149  694  Einwohner.  Die  Bevölkerungs- 
zahl von  Rom  rief  im  ganzen  Lande 
eine  unangenehme  Überraschung  hervor, 
da  sich  dieselbe  nach  den  fortgeschriebenen 
Listen  des  städtischen  Mehleamtes  Ende 
1900  auf  518  411  Seelen  belaufen  nollte, 
also  um  55  000  hinter  dem  erwarteten 
Ergebnis  zunickgeblieben  ist. 

*  Die  von  der  russischen  liegierung 
geplante  Herstellung  einer  Wasser  - 
strafse  zwischen  dem  Schwarzen 
und  dem  Kaspischen  Meere  erregt 
sowohl  wegen  ihrer  wirtschaftlichen  als 
auch  wegen  ihrer  militärischen  Bedeutung 
das  besondere  Interesse  der  westeuropäi- 
schen Mächte.  Während  Rursland  bisher 
auf  «lern  Kaspischen  Meere  eine  besondere 
Flotte  zur  Wahrnehmung  und  Sicherung 
seiner  Interessen  verfügbar  halten  und  für 
Bau  und  Unterhaltung  dieser  Flotte  und 
der  den  Güterverkehr  auf  diesem  See 
vermittelnden  Schiffe  eigene  Werften, 
Reparaturwerkstätten  und  Docks  errichten 
mufste,  wird  nach  Vollendung  de9  ge- 
planten Kanals  das  Bedürfnis  derartiger 
Anlagen  in  Wegfall  kommen  und  die 
Schwarze  Meer-Flotte  wird  einerseits  selbst 
auf  dem  Kaspischen  Meere  Verwendung 
finden,  andererseits  in  kürzester  Frist 
Truppentransporte  nach  Persien  und  Zeu- 
tralasien  befördern  können.  Da  nun  Rufs- 
land  auch  schon  seit  mehreren  Jahren 
bemüht  ist  (II.  Jhrg.  S.  708),  durch  Ab- 
lenkung des  Amu-Darja  vom  Aralsee  zum 
Kaspischen  Meere  diese  grofse  Wasser- 
straße an  den  Kaspischen  See  anzu- 
schliefsen,  so  steht  nach  Vollendung  der 
beiden  hier  erwähnten  Wasserstrafsen 
eine  freie  Schitfahrtsverbindimg  zwischen 
dem  offenen  Ozean  und  den  Landschaften 
am  Fufse  des  Pamir  in  Aussicht.   In  dem 


Vordringen  Rufslands  in  Zentralasien  und 
in  der  Herabdrückung  Persiens  zu  einem 
russischen  Vasallenstaat  bedeutet  der  Bau 
eines  Kanals  zwischen  dem  Schwarzen  und 
Kaspischen  Meere  einen  folgenreichen 
Schritt.  Denn  nachdem  Persien  im  vori- 
gen Jahre  das  Eisenbahn-Monopol  in 
seinem  Lande  an  Rufsland  verkauft  hat, 
bemächtigt  Bich  Rufsland  jetzt  durch 
Monopolisierung  der  Schiffahrt  auf  dem 
Kaspischen  Meer  auch  dieses  Verkehrs- 
mittels für  den  persischen  Binnenverkehr 
und  bringt  Persien  ein  weiteres  Stück  iu 
wirtschaftliche  Abhängigkeit  von  Rufs- 
land. 

Asien. 

+  Der  Versuch,  die  noch  unbekannte 
Flufsstrecke  des  Sanpo-Brahmaputra, 
den  Dihong,  zu  erforschen  (S.  349), 
ist  wieder  ergebnislos  verlaufen;  da  die 
Passi-Minjong  die  Jahreszeit  für  zu  weit 
vorgeschritten  hielten  und  aufserdem  ein 
Streit  zwischen  zwei  Dörfern  am  Flusse 
ausgebrochen  war,  verweigerten  sie  in 
Kebang  ihre  weitere  Mithilfe,  sodafs  die 
Gurkhas  am  30.  März  umkehren  und 
wieder  nach  Sadija  zurückkehren  mufsten, 
wo  sie  am  7.  April  ankamen.  Trotz  dieses 
Mißerfolges  vermochten  die  Reisenden 
doch  durch  kartographische  Aufnahmen 
einige  Erfolge  zu  erzielen  und  den  Fluls- 
lauf  80  km  weit  zu  verfolgen.  Im  näch- 
sten November  gedenkt  Needham  den 
Versuch  wiederholen  zu  lassen. 

Afrika. 

*  Die  Schiffbarkeit  desNiger,  die 
für  die  Strecke  von  Bammako  bis  Say 
bereite  im  Jahre  1899  festgestellt  worden 
war  (VI.  Jhrg.  S.  172),  ist  nun  auch  für 
den  Unterlauf  des  Flusses,  wo  sich  eine 
Reihe  von  Stromschnellen  befinden,  durch 
französische  Offiziere  festgestellt  worden. 
Wie  ein  beim  Pariser  Kolonialamt  ein- 
getroffenes Telegramm  meldet,  ist  Haupt- 
mann Leu  taut,  der  mit  einer  Anzahl 
Stahlruderbooten  für  die  Befahrung  der 
Stromschnellen  von  Bussang  und  mit 
einigen  kleinen  Motorbooten  für  den 
Dienst  auf  dem  mittleren  Niger*  von 
Akassa  au  der  Nigermündung  stromauf- 
wärts aufgebrochen  war,  in  Gaga,  1200  km 
oberhalb  der  Mündung  zwischen  Bus- 
sung und  Say  gelegen,  angekommen.  Da 
nur  besonders  flach  gehende  Boote  die 

28* 


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Geographische  Neuigkeiten. 


412 

Stromschnellen  bei  Bussang  befahren 
können,  wird  sich  für  die  Flufsachitfahrt 
hier  immer  eine  Umladung  nötig  machen, 
aber  es  hat  sich  doch  die  Schiffbarkeit 
des  Niger  bis  2500  km  von  seiner  Mün- 
dung aufwärts  ergeben.  Damit  hören  die 
bisher  der  Entwickelung  des  Verkehrs  so 
hinderlichen  Trägerkarawanen  im  Niger- 
bogen auf  und  auch  der  landwirtschaft- 
lichen Entwickelung  der  FlujVlandschaften 
auf  der  1400  km  langen  Strecke  zwischen 
Djenne  (am  Boni,  einem  Nebenflüsse  des 
Niger)  und  Say  eröffnen  sich  günstige 
Aussichten.  Auf  dieser  Strecke  tritt  der 
Niger  regelmäfsig  aus  seinen  Ufern  und 
läfst  bei  niedrigem  Wasserstande  einen 
fruchtbaren  Schlamm  zurück,  der  ähnlich 
wie  in  Ägypten  auf  die  Baumwollenkultur 
sehr  fördernd  einwirkt. 

*  Uber  den  Fortgang  Beiner  Reise 
in  den  Galla-Ländern  (S.  1G4,  berichtet 
Frhr.  v.  Erlanger  in  den  Verh.  d.  (Jen. 
f.  Erdk.  zu  Berlin  (i»oi.  S.  240).  Am 
19.  November  1900  verliefs  der  Reisende 
in  Oeuieinschaft  mit  Oskar  Neumann  Adis 
Abeba  in  der  Richtung  zum  Abaya-See, 
von  wo  Neumann  nordwestlich  nach 
Faschoda  vordringen  wollt«.  Am  heiligen 
Berg  Sekuala  vorbei  gelangte  die  Karawane 
durch  reiche  Durrha-Felder  zum  Hawasch 
und  nach  dessen  Überschreitung  durch 
verbrannte  Grasebenen  zum  Suai-  oder 
Dembel-Scc,  dessen  Inseln  der  Reisende 
als  erster  Europäer  mit  besonderer  Er- 
laubnis Menelik's  besuchte.  Das  nächste 
Reiseziel  war  dann  die  sich  bis  zum 
Abaja-See  hin  erstreckende  Seenkette  und 
ihre  kartographische  Festlegung.  In 
Verfolgung  dieses  Zieles  gelangte  man 
der  Reihe  nach  an  die  Seen  Afschada, 
der  mit  dem  Suai-See  durch  den  Suksuki 
in  Verbindung  steht,  Langano,  dann 
durch  sehr  üppigen  und  dichten  Euphor- 
bien- und  Akazienwald  mit  an  Viehherden 
reicher,  dichter  Arrussi-Bevölkerung  zum 
Abassa-See,  deu  flachen,  sehr  salzhaltigen 
Schahala-See  westlich  liegen  lassend; 
nach  mühevoller  Umwanderung  des  rings- 
um von  hohem  Schilf  bewachsenen, 
sumpfigen  Sees  mufstc  die  Expedition 
auf  einem  Umwege  die  Residenz  Aberasch 
des  von  Menelik  über  Sidamo  und  Djamd- 
jiam  gesetzten  Dedjasmatsch  Balcha  be- 
suchen, wo  die  Reisenden  mit  echt 
abessinixelietü  Pomp  und  unter  Entfaltung 
beträchtlicher    militärischer  Streitkräfte 


empfangen  wurden.  Von  hier  aus  besuchte 
Erlanger  mit  einem  Teil  der  Expedition 
den  südwestlich  gelegenen  Abaja-See,  wo 
man  den  Anschlufs  an  die  Route  Bottego's 
fand.  Nach  Besuch  mehrerer  der  im 
See  gelegenen,  anscheinend  vulkanischen 
Inseln  zog  mau  am  Ostufer  des  Sees  nach 
Süden,  umging  den  benachbarten  Gan- 
giule-See,  der  sowohl  mit  dem  Abaja-See 
als  auch  nach  dem  Sagau  eine  unter- 
irdische Vorbindung  hat,  und  erreichte 
in  südöstlicher  Richtung  nach  steilem 
Aufstieg  auf  die  Amara-Berge  die  Stadt 
Burgi,  mit  einer  bunt  zusammen- 
gewürfelten, sefshaften  Galla-Bevölkeruug, 
die  besonders  mit  selbstgewebten,  wollenen 
Chamas  weithin  Handel  treibt.  In  der 
Nähe  der  Stadt,  iu  10  Minuten  Entfernung, 
lag  das  Grab  des  vor  einigen  Jahren  auf 
der  Elcfanteujagd  getöteten  Prinzen  Rus- 
poli.  Von  Burgi  wandte  sich  der  Reisende 
wieder  in  nordwestlicher  Richtung  zurück 
nach  AberaBch  und  von  da  nach  Ginir, 
wo  eine  von  Ilarar  dorthin  gebrachte 
Somali-  und  Kamelkarawane  den  Reisenden 
erwartete,  der  nun  seine  Route  südwestlich 
durch  das  Boranland  zum  Rudolf-See 
fortsetzen  wollte,  v.  Erlanger's  Gefährte, 
Oskar  Neumann,  ist  unterdessen  glücklich 
an  dem  Ziele  seiner  Reise  angekommen. 
Wie  der  Reisende  selbst  nach  Berlin 
gemeldet  hat,  ist  er  nach  Überwindung 
erheblicher  Schwierigkeiten  durch  Kafla 
und  Djuma  mu-h  Faschoda  gelangt  uud 
hat  auf  dieser  Reise  das  Sohatgehiet 
durchforscht  und  die  Quellen  des  Gelo, 
eines  Nebenflusses  des  Sobat,  aufgesucht. 

Polargegenden. 

*  Als  der  nördlichste  von  Nanseu 
auf  seiner  Schlittenreise  mit  Johannsen 
erreichte  Punkt  wurde  nach  Nausen's 
eigener  vorläufiger  Berechnung  bisher 
80*  14'  angegeben.  Vor  kurzem  ist  nun 
die  endgiltige  Berechnung  der  Nansen- 
sehen  Beobachtungen  von  dem  Astronomen 
lieelmuyden  veröffentlicht  worden,  aus 
der  sich  ergiebt,  dafs  die  höchste  nörd- 
liche Breite,  die  NanBen  erreichte,  nur 
86°  4'  beträgt,  also  um  18,6  km  geringer 
ist,  als  Nansen  selbst  annahm.  In  einer 
später  in  der  „Aftenpost"  veröffentlichten 
Erklärung  giebt  Geelmuyden  als  Grund 
dieser  Differenz  nicht  einen  Fehler  bei 
der  Beobachtung  oder  Berechnung,  sondern 
eine    besondere    Unregelmässigkeit  der 


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Geographische  Neuigkeiten. 


413 


Strahlenbrechung  an  und  fügt  hinzu,  dafs 
die  höchste  Hreite  von  86°  4'  nur  den  nörd- 
lichst astronomisch  bestimmten  Tunkt 
angieht,  dafs  aber  in  dem  früheren  Werte 
von  86"  14'  noch  ein  Stück  des  Weges 
inbegriffen  war, 'den  Nansen  nordwärts 
ging,  um  einen  Überblick  über  das  Eis 
zu  gewinnen,  bevor  er  den  Rückweg  an- 
trat. Weit  beträchtlicher  sind  die  Alt- 
weichungen  der  jetzt  berechneten  geo- 
graphischen Längen  von  denjenigen,  die 
Nansen  vorläufig  berochnet  hatte;  sie  bo- 
tragen bis  zu  7".  Nach  diesen  Ergebnissen, 
die  bei  der  Schwierigkeit  der  astronomi- 
schen Ortsbestimmungen  in  so  hohen  Brei- 
ten und  bei  den  so  unsicheren  Grundlagen, 
auf  denen  Nansen  seine  vorläufigen  Be- 
rechnungen ausführte,  nicht  überraschen 
können ,  wird  Nansen  nicht  umhn  können, 
die  über  die  Zuverlässigkeit  von  Payer's 
Karte  von  Franz -Josef- Land  geäufserten 
Bedenken  (VI.  Jhrg.  S.  343)  zurückzu- 
nehmen, da  der  Grund,  weshalb  Nansen 
Teile  von  Franz -Josef- Land  nicht  auf- 
finden konnte,  nicht  in  der  Ungenauigkeit 
von  Payer's  Karte  dieses  Archipels,  son- 
dern im  eigenen  Irrtum  zu  suchen  ist. 

*  Einen  ebenso  originellen,  wie 
abenteuerlichen  Plan,  den  Nordpol 
mittelst  eines  Unterseebootes  zu  errei- 
chen, entwickelte  Dr.  Hermann  An- 
sch ütz-Kä tupfe  vorden  Geographischen 
Gesellschaften  in  Wien  und  in  München 
im  Beisein  mehrerer  Mitglieder  der  re- 
gierenden Häuser.  In  glänzender  Rede 
schilderte  der  Vortragende  das  Vordringen 
seines  Bootes  im  Treibeise  bis  an  dio 
Grenze  des  Packeises  und  das  Operieren 
des  Bootes  in  und  unter  dem  Eise  durch 
Untertauchen,  unter  dem  Wasser  Schwim- 
men nnd  Wiederemportauchen  an  eisfreien 
Stellen.  Die  Schwierigkeiten,  die  der 
Ausführung  des  Plans  in  den  verschieden- 
sten Richtungen  entgegenstehen,  erkannte 
Anschütz  vollkommen  an  und  versuchto 
auch  auf  theoretischen«  Wege  die  Mög- 
lichkeit ihrer  Überwindung  und  die  Aus- 
führbarkeit des  Projektes  zu  beweisen. 
Da  aber  Anschütz  seihst  erklärte,  dafs  die 
Untersuchungen  der  berufensten  Schiffs- 
bauingenieure noch  nicht  allgeschlossen 
sind,  dafs  aber  berufene  Fachleute  bereit« 
an  dem  Konstruktiousplano  des  Fahrzeuges 
arbeiten,  so  dürfte  es  mit  der  praktischen 
Ausführung  des  Plaues  noch  gute  Wege 
haben,  abgesehen  davon,  dafs  sich  An- 


schütz über  die  pekuniäre  Sicherung  des 
ganzen  Unternehmens  vollkommen  aus- 
schwieg. 

*  Die  schwedische  Gradmes- 
sungsexpedition, welche  ihre  Arbeiten 
auf  Spitzbergen  im  vorigen  Sommer 
der  ungünstigen  EiBverhältnissc  wegen 
nicht  zum  Abschlufs  zu  bringen  vermochte, 
wird  in  diesem  Sommer  nach  dem  Felde 
ihrer  Thätigkeit  zurückkehren,  um  die 
astronomisch-geodätischen  Arbeiten  zum 
Abschlufs  zu  bringen.  Als  Chef  der 
schwedischen  Abteilung  wurde  Prof.  G.  de 
Gcer  von  der  Regierung  ernannt;  die 
geodätischen  Arbeiten  werden  von  Dr. 
P.  G.  Rosen,  Professor  beim  Kgl.  General- 
stab, geleitet  werden.  Die  Mitglieder 
der  russischen  Abteilung  sind  noch  nicht 
ernannt  werden.  Die  abschliefsenden 
Feststellungen  der  Gradmessungsexpedi- 
tion werden  sich  auf  das  gpitzberger 
Nordostland  sowie  auf  die  noch  unerledigte 
Verbindungslinie  zwischen  der  Treuren- 
berg-Bai und  dem  (Tiydeniusberge  er- 
strecken, welch  letzterer  von  der  russischen 
Abteilung  im  Vorjahre  als  vorläufiger 
Schlufspunkt  erreicht  werden  konnte. 
Da  das  Nordostland  bisher  den  vergleichs- 
weise am  wenigsten  erkundeten  Teil  des 
Spitzbergen-Archipels  ausmacht,  so  er- 
wartet man  von  den  Arbeiten  der  Expedition 
auch  in  topographischer  Hinsicht  manche 
neue  Aufschlüsse.  (Allg.  Ztg.  Wiss.  Bei- 
lage 101.) 

*  Die  Vorbereitungen  für  dio  eng- 
lische Südpolexpedition  haben  vor 
einigen  Wochen  dadurch  eine  unliebsame 
Störung  erfahren,  dafs  der  designierte 
Leiter  der  Expedition,  Prof.  Gregory  in 
Melbourne,  von  der  Leitung  des  Unter- 
nehmens zurückgetreten  ist.  Der  bereits 
vor  zwei  Jahren  mit  der  wissenschaftlichen 
Leitung  der  Expedition  betraute  Gelehrte, 
der  unterdessen  als  Professor  der  Uni- 
versität Melbourne  berufen  und  dadurch 
von  einer  persönlichen  Teilnahme  an  der 
Vorbereitung  der  Expedition  abgehalten 
wurde,  sah  sich  in  seiner  Erwartung,  als 
Leiter  des  wissenschaftlichen  Stabes  der 
Expedition  völlig  freie  Hand  zu  haben, 
dadurch  getäuscht,  dafs  die  Schiffsoffiziere, 
die  zum  Teil  mit  wissenschaftlichen  Ar- 
beiten betraut  werden  sollten,  nicht  seinem, 
sondern  dem  Befehle  des  Schiffskomman- 
danten unterstellt  werden  sollten,  wodurch 
die  Leitung  der  wissenschaftlichen  Arbeiten 


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> 


414 


Geographische  Neuigkeiten 


an  Bord  allerdings  in  eine  gewisse  Ab- 
hängigkeit vom  Kapitän  des  Schiffes 
gebracht  worden  wäre.  Da  aus  diesem 
Grunde  Prof.  Gregory  die  zu  einer  erfolg- 
reichen Durchführung  der  Expedition 
nötige  Unabhängigkeit  der  wissenschaft- 
lichen Arbeiten,  wie  sie  bei  der  deutschen 
Südpolexpedition  durch  die  völlig  unab- 
hängige Stellung  ihres  wissenschaftlichen 
Leiters  garantiert  ist,  nicht  erwarten  zu 
könneu  glaubte,  und  aufserdem  Meinungs- 
verschiedenheiten über  die  auf  Viktoria- 
land zu  errichtende  erste  Station  entstanden 
waren,  so  ist  er  von  der  Leitung  der 
Expedition  zurückgetreten.  Dafs  durch 
diesen  Zwischenfall  die  Durchführung  der 
Expedition  vielleicht  etwas  verzögert  aber 
keinesfalls  unterbrochen  werden  wird, 
erhellt  schon  aus  der  Tbatsache,  dafs 
bereits  der  Plan  gefafst  ist,  im  November 
11)02  noch  ein  zweites  englisches  Schiff 
auszuschicken,  wofür  bereits  110  000  Ji 
gezeichnet  worden  sind. 

Nach   dem   von    Prof.  Gregory  ent- 
worfenen Plane,  der  auch  nach  seinem 
Rücktritt  zur  Ausführung  kommen  wird, 
wird  sich  die  englische  Südpolexpedition 
in  erster  Linie  mit  erdmagnetischen  Be- 
obachtungen,    die     hauptsächlich  auf 
Viktorialand  zwischen  der  MacMurdo-Bai 
und  der  Wood-Bai  während  eines  ganzen 
Jahres  angestellt  werden  sollen,  V'fasson. 
Dann  sollen  die  Küstenstrecken,  die  als 
Wilkesland,  Adelieland,  Geikieland,  Ter- 
minationsland    bezeichnet    sind,  genau 
untersucht  werden,  ob  sie  Glieder  einer 
Inselgruppe  oder  Teile  eines  zusammen- 
hängenden Festlandes  sind.    Zu  diesem 
Zwecke  sind  Landreisen  von  dem  Vulkan 
Erebus  aus  nach  Westen  und  Süden  geplant. 
Eine    fernere   Aufgabe    der  Expedition 
bildet   die  Untersuchung   der  östlichen 
Fortsetzung    der    Ungeheuern  Eiswand 
über  ilie  Stelle  hinaus,  an  der  Rofs  1842 
unikehren  mufste.  Von  da  bis  Alexander- 
land in  einer  Ausdehnung  von  80  Längen- 
graden ist  jenseit  70°alles  voll  ig  unbekannt ; 
nur  Cook  ist  1774  dort  über  70'»  südlicher 
Breite  gekommen  und  glaubte  am  Horizont 
Land  mitBergen  zu  sehen.  Von  besonderer 
Wichtigkeit    werden    die  geologischen 
Untersuchungen  und  die  geophysikalischen 
Arbeiten   über  Bewegung  der  Gletscher, 
Beschaffenheit  des  Gletschereises,  Moränen 
u.  s.  w.  «ein.    Im  kommenden  Frühjahr 
sollen  grofse  Schlittenreisen  nach  Westen 


und  südwärts  ins  Binnenland  unternommen 
werden,  die  hoffentlich  Aufklärung  über 
den  Charakter  dieses  Binnenlandes  bringen 
werden. 

Geographischer  Unterricht. 

♦  Die  seit  längerer  Zeit  angekündigten, 
durch  die  Junikonferenzen  des  preufsi- 
Bchen  Unterrichtsministeriums  vorbereite- 
ten neuen  „Lehrpläne  und  L  eh  rauf- 
gaben für  die  höheren  Schulen  in 
Preufsen  1901"  sind  unmittelbar  vor 
Pfingsten  erschienen  Halle,  Waisenhaus). 
Für  die  Erdkunde  bringen  sie  Festlegung 
von  mindestens  6  Wiederholungsstunden  im 
Halbjahr  auf  den  Gymnasien  und  Real- 
gymnasien 'S.  50  und  Ausdehnung  des 
erdkundlichen  Unterrichts  mit  einer 
wöchentlichen  Stunde  bis  zum  Schulschlufii 
auf  der  Oberrealschule  (S.  5). 

Der  Lehrplan  für  Erdkunde  im  be- 
sonderen (S.  49- — 52 1  gliedert  sich  in  eine 
„Vorbemerkung",    a)    das  „allgemeine 
Lehrziel",    bi    die  „Lehraufgaben"  und 
„methodische  Bemerkungen  für  die  Erd- 
kunde",   a)   lautet   jetzt  „Verständnis- 
volles Anschauen  der  umgebenden  Natur 
und  der  Kartenbilder,  Kenntnis  der  phy- 
sischen Beschaffenheit  der  Erdoberfläche 
und  der  räumlichen  Verteilung  der  Men- 
schen auf  ihr,  sowie  Kenntnis  der  Grund- 
züge    der  mathematischen  Erdkunde", 
b)  im  wesentlichen:  VI:  Grundbegriffe  der 
allgemeinen  Erdkunde  in  Anlehnung  an 
die   nächste  Umgebung   und  erste  An- 
leitung zum  Verständnis  des  Globus  und 
der  Karten,  Anfangsgründe  der  Länder- 
kunde, beginnend  mit  der  Heimat  und 
mit  Europa  'kein  Lehrbuch);  V:  Länder- 
kunde Mitteleuropas  (Deutsches  Reich) 
(ein  Lehrbuch..    Weitere  Anleitung  zum 
Verständnis  des  Globus  und  der  Karten, 
sowie    des    Reliefs.     Umrisse    auf  der 
Wandtafel.     IV:  Länderkunde  Europas 
ohne  Deutschland,  Umrisse  auch  in  Heften 
(letzteres  bleibt  so  bis  U  II).  U  III :  Länder- 
kunde der  aufsereuropäischen  Erdteile,  die 
deutschen  Kolonien,  Vergleichung  mit  den 
Kolonialgebieten  anderer  Staaten.  Olli: 
Wiederholung  und  Ergänzung  der  Länder- 
kunde des  Deutschen  Reichs.    Uli:  Wie- 
derholung etc.  der  Länderkunde  Europas, 
Elementare  mathematische  Erdkunde;  da- 
zu  in   der  Realschule  die  bekanntesten 
Verkehrs-  und  Handelswege  der  Jetztzeit. 
OII  bis  Ol:  Zusammenfassende  Wieder- 


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Bücherbesprechungen. 


415 


holungen;  dazu  in  der  Realschule  die 
Grundzüge  der  allgemeinen  physischen 
Erdkunde,  gelegentlich  auch  einiges  aus 
der  Völkerkunde,  in  Gymnasien  und  Real- 
gymnasien das  Wesentlichste  aus  diesen 
Unterrichtsgehieten  in  zusammenfassender 
Behandlung.  Begründung  der  mathe- 
matischen Erdkunde  in  Anlehnung  an 
den  Unterricht  in  Mathematik  und  Physik. 
Vergleichende  Cl>er8icht  der  wichtigsten 
Verkehrs-  und  Handelswege  his  zur  Gegen- 
wart, in  den  Oberrealschulen  in  den  be- 
sonderen Unterrichtsstunden,  in  Gymnasien 
und  Realgymnasien  in  Anlehnung  an  den 
Geschichtsunterricht. 

Aus  den  „methodischen  Bemerkungen" 
sei  hervorgehoben:  1.  Der  erdkundliche 
Unterricht  an  höheren  Schulen  soll  vor 
allem  den  praktischen  Nutzen  des 
Faches  ins  Auge  fassen;  physisches  und 
politisches  sind  innerhalb  der  Länderkunde 
möglichst  eng  zu  verbinden.  Das  Zahlen- 
material ist  auf  einige  stark  abgerundete 
Vergleichszitfern  zu  beschranken.  2.  Bei 
Gewinnung  der  ersten  Vorstellungen  ist 
unter  Vermeidung  jeder  Künstelei  an  die 
nächste  örtliche  Umgebung  anzuknüpfen, 
dann  an  Relief  und  Globus  zu  veran- 
schaulichen, dann  ist  der  Schüler  zur 
Benutzung  der  Karte  anzuleiten,  Wand- 
karte und  Atlas  sind  Ausgangs-  und 
Mittelpunkt  des  Unterrichts,  richtige  Aus- 
sprache ist  anzustreben,  auf  die  wirt- 
schaftlichen  Hilfsquellen  geeignet  hinzu- 
weisen. 3.  In  den  unteren  und  mittleren 
Klassen  ist  darauf  zu  halten,  dafs  alle 
Schüler  denselben  Atlas  gebrauchen, 
Atlaseinheit  ist  den  einzelnen  Schulen  frei- 
gestellt  ,  untere  Klassen  dürfen  nicht  gröfsere 
Atlanten  benutzen.  Die  Wandkarten 
sollen  nach  Möglichkeit  mit  den  Karten 


I  fibereinstimmen.  4.  Handelt' vom  Zeichnen, 
das  wichtig  ist,  in  dem  aber  keine  Uber- 
spannung der  Anforderungen  Platz  greifen 
!  darf  und  im  allgemeinen  keine  häuslichen 
Arbeiten  zu  verlangen  sind.  5.  Erklärt 
es  für  wünschenswert,  dafs  der  Unterricht 
in  die  Hände  von  durch  Studien  befähig- 
ten Lehrern  gelegt  und  nicht  unter  zu 
viele  Herren  verteilt  wir«!.  Die  Auf- 
teilung der  Erdkunde  an  Mathematiker 
und  Historiker  auf  dem  Obergymnasium 
bleibt  bestehen.  Wo  der  Lehrplan  nur 
eine  Stunde  vorschreibt,  ist  diese  Zeit 
regelmäßig  und  uneingeschränkt  verfüg- 
bar zu  halten.  H.  Fischer. 

*  Die  Errichtung  einer  au  fs  erordent- 
lichen Professur  der  Geographie  an 
d e r  U n i v e rs i tä  t  U p s  a  1  a  ist  vom  schwe- 
dischen Reichstag  beschlossen  worden. 
Die  in  der  Debatte  gehaltenen  interessan- 
ten Reden,  insbesondere  von  Prof.E.  Carl- 
son  und  Prof.  Frhr.  G.  de  Geer,  die 
beide  den  naturwissenschaftlichen  Charak- 
ter der  Geographie  stark  betonten,  ver- 
öffentlichte die  Zeitschrift  „Ymer"  1901, 
S.  214—222  im  Auszug. 


Persönliches. 

*  Vor  kurzem  starb  in  Wien,  57  Jahre 
alt,  Hofrat  Dr.  Karl  Zehden,  der  sich 
als  Lehrer  sowie  später  als  Inspektor  des 
kommerzieUcn  Unterrichts  in  Österreich 
grofse  Verdienste  um  den  letzteren,  be- 
sonders inderllandelBgeographie  erworben 
hat.  Aufscr  kleineren  Aufsätzen  verfafste 
er  ein  in  viele  Sprachen  übersetztes  „Lehr- 
buch der  Handelsgeographie"  sowie  ein 
kleineres  „Lehrbuch  der  Handels-  und 
Verkehrsgeographie  für  2klassige  Handels- 
schulen", die  auf  strengwissenschaftlicher 
Grundlage  beruhen. 


Hücherbespreuhangen. 


Zondervan,  H.,  Allgemeine  Karten- 
kunde.   Ein  Abrifs  ihrer  Geschichte 
und  ihrer  Methoden.   Mit  32  Figuren 
im  Text  und  auf  6  Tafeln.    X  und 
210  S.    Leipzig,  Teubner  1901.  Geh. 
M  4.60,  geb.  \n  5.20. 
Im  5.  Bande  dieser  Zeitschrift,  S.  170 
hatte  Ref.  Gelegenheit,  die  „Proeve  eener 
algemeene  Kartografie"   desselben  Ver- 
fassers anzuzeigen.    Diese  Anzeige  gab 


den  Anlafs  zu  der  nun  vorliegenden  deut- 
schen Ausgabe,  als  welche  die  Karten- 
kunde ungeachtet  mancher  bedeutenden 
Änderungen  und  Erweiterungen  ohne  Be- 
denken bezeichnet  werden  kann.  Das 
Buch  füllt  in  unserer  gerade  nicht  kleinen 
kartographischen  Littcratur  doch  eine 
Lücke  aus.  Es  enthält  zunächst  einen 
netten  geschichtlichen  überblick  über  die 
Entwickelung  der  Kartographie  .ab  ovo 


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416 


Rücherbesprcchungen. 


bis  zur  (JegenVart.  Ks  folgt  ein  Abschnitt 
„Topographie",  in  dem  die  astronomische 
Ortsbestimmung,  Trianguliemng  und  alle 
sonstigen  Arbeiten   im  Felde,   die  das 
Material  für  die  Herstellung  von  Karten 
liefern,  unter  Berücksichtigung  der  deut- 
schen Verhältnisse  behandelt  werden.  Das 
8.  Kapitel  giebt  eine  populäre  Darstellung 
der  Kartenprojektiouslehre  unter  möglich- 
ster Ausschließung  der  Mathematik.  Daran 
schliefst  sich  ein  Abschnitt  über  Situa- 
tion*- und  Terrainzeichnung,  der  durch 
ein  Kapitel  über  die  Reproduktionsver- 
fahren  eine  wertvolle  Ergänzung  erhält. 
Auch  die  Benutzung  der  Karten  zu  Mes- 
sungen ist,  wenn  auch  kurz.,  behandelt. 
Den   Schlufs    bildet    ein    Kapitel  über 
Schulkarten.   Nach  Beiner  ganzen  Anlage 
und  Ausführung  ist  das  Buch  vornehm- 
lich für  Lehrer  der  Erdkunde  geschrieben, 
denen   es   einen  Hinblick  in  den  Ent- 
stehungsprozefs   einer   Karte  vermitteln 
will.     Darüber  dürften  selbst  bei  sonst 
gut  durchgebildeten  Lehrern  in  der  That 
vielfach  recht  unklare  Vorstellungen  herr- 
schen,   so    besonders    hinsichtlich  der 
mannigfaltigen    Keproduktions  verfahren, 
die  anderswo  kaum  behandelt-  sind.  Der 
Verf.  hat  sich  sichtlich  Mühe  gegeben, 
etwas.Brauchbares  zu  liefern;  auch  in  der 
ihm  als  Auslander  doch  etwas  fern  liegen- 
den deutschen  amtlichen  Karteulitteratur 
hat  er  sich  recht  gut  zurechtgefunden. 
Das  jedem  Kapitel  vorausgeschickte  Lite- 
raturverzeichnis, das  manchem  deutschen 
(»eographielehrer  noch  Neuigkeiten  nach- 
weisen  dürfte,    liifst   seine  Belescnheit 
sowie   sein    redliches  Streben  deutlich 
hervortreten.    Von  Ungenauigkeitcn  ist 
das    Buch    nicht    frei,    doch   thnt  das 
seinem  Werte  keinen  Abbruch,  empfeh- 
lenswert wäre  es  gewesen,  das  Manu- 
skript   einer   Durchsicht    auf  Stil  und 
Sprache  zu  unterwerfen;  denn  trotz  seiner 
Kenntnis  des  Deutschen  beherrscht  der 
Verf.  die  Sprache  doch    nicht   in  dein 
Mafsc,  dafs  die  Darstellung  völlig  ein- 
wandfrei   ist.     An  einigen  Stellen  ver- 
raten dies  unvermittelte  i'bergänge.  Aber 
alles  in  allem,  ist  das  Buch  denen,  die 
sich    für   Karten    interessieren  müssen, 
warm  zu  empfehlen.         A.  Bind  au. 

Schreiber,  Paul,  Die  Einwirkung  des 
Waldes  auf  Klima  und  Witte- 
rung.   8,-A.  aus  „Tharander  forstl. 


Jahrb."  Bd.  4t».    Dresden  1900.    S.  85 

bis  204.    3  Tfln. 
Verf.   behandelt   das  vielumstrittene 
Problem  des  Waldeinflusses  an  der  Hand 
des   sächsischen  Beobachtungsmaterials. 
In  der  Einleitung  werden  frühere  Arbeiten 
über  dieses  Thema  besprochen,  und  so- 
weit sie  dem  Wald  eine  praktisch  in  Be- 
tracht  kommende   Einwirkung  auf  die 
meteorologischen     Elemente  beimessen 
wollen,  abfällig  kritisiert.  Je  exakter  da« 
Beobachtungsmaterial  und  die  Methoden 
seiner  Verwendung  geworden  sind,  um  so 
mehr  verliert  sich  der  vermeintliche  Unter- 
schied zwischen  Wald  und  Feld  (vgl.  ins- 
bes.  Schubert 's  Untersuchungen).  Eine  Sorg- 
fältige Diskussion  der  Beobachtungsreihen, 
die  für  eine  grofse  Zahl  von  Stationen  im 
Königreich  Sachsen  bereits  mit  186  t  be- 
ginnen, bestätigen  diese  Erfahrung.  Verf. 
hat  zunächst  den  prozentischen  Waldauteil 
für  Flächenelemente  von  etwa   10  qkm 
Areal  bestimmt.  Zur  Bewertung  der  Wald- 
lage einer  Station  wird  die  prozentische 
Waldfläche  von  20  Flächenelementen  in 
«ler  Umgebung  der  Station  als  mafsgebend 
angesehen.    Vor  der  eigentlichen  Unter- 
suchung ist  die  Höhenlage  jeder  Station  in 
der  Weise  zu  berücksichtigen,  dafs  für  je 
100  m  Erhebung  eine  Erhöhung  der  Tempe-  • 
ratur  um  0°.D6  ('.,  der  Dunstspannung  um 
0.17  mm   und   eine  Verminderung  der 
Niederschlagshöhe  um  etwa  48  mm  an- 
zubringen  ist.     Diese  Keduktionszahlen 
sind  aus  den  Beobachtungen  sämtlicher 
Stationen  nach  der  Methode  der  kleinsten 
Quadrate  berechnet,    Die  vom  Einflufs 
der  Höhenlage  befreiten  Werte  zeigen  uun 
noch  systematische  Abweichungen ,  die 
zum  Teil  mit  der  spezifischen  Lage  der 
Station  (Stadtlage,  Thallage  u.  s.  w.)  zu- 
sammenhängen, zum  Teil  aber  auf  Rech- 
nung der  Bewaldung  gesetzt  werden  müssen. 
Und  /.war  deuten  die  Abweichungen  darauf 
hin ,  dafs  bei  vollem  Waldbestand  die 
Temperatur  um  0°  4  bis  0".8  niedriger  ist 
als  bei  unbewaldetem  Terrain    Die  Dunst- 
spannung zeigt  Abweichungen,  die  kaum 
0.1  mm   Pberschufs   für  Wald  ergeben. 
Am  schwierigsten  sind  die  Niederschlags- 
verhältnisse einer  systematischen  Behand- 
lung zugänglich,  auf  sie  wirken  die  lo- 
kalen orographisjchen  Besonderheiten  in 
unbekannter  Weise  ein.    Deshalb  eignet, 
sich  das  wechselnde  Relief  der  von  Kluis 
thälern  zerschnittenen  sächsischen  Platte 


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Bücherbesprechungen.  417 


sehr  wenig  zu  Untersuchungen  dieser  Art. 
Verf.  findet,  dafg,  falls  der  Waldeinflufs 
vorhanden  ist,  er  einer  Höhenzunahme  der 
Station  um  100 — 200  ni  gleichzusetzen 
wäre.  Aber  die  wahrscheinlichen  Fehler 
der  Koeffizienten,  die  Verf.  nach  der  Me- 
thode der  kleinsten  Quadrate  berechnet, 
lassen  vermuten,  dafs  andere,  insbesondere 
die  Kelicfverhältnisse  von  erheblicherem 
Einflufs  sind.  Dies  wird  an  einigen  Bei- 
spielen näher  erläutert. 

W.  Meinardu». 

»ahnschaffe,  F.,  Die  Ursachen  der 
O  b  e  r  f  1  ä  c  h  e  n  g  e  s  t  a  1 1  u  u  g  des 
norddeutschen  Flachlandes. 
2.  Aufl.   (Forsch,  z.  deutsch.  Landes- 
u.  Volkskunde  VI.  1.)    gr.  8°.   IV  u. 
258  S.   Stuttgart  1901.    M  10.— 
Die  gewaltigen  Fortschritte,,  welche 
die  Quartärgeologie  Norddeutschlands  in 
den  letzten  zehn  Jahren  gemacht  hat, 
liefsen  eine  zweite  Auflage  des  Wahn- 
sehaffe'schcn  Ruches  dringend  erwünscht 
erscheinen ,  und   wir  können  deren  Er- 
scheinen mit  lebhafter  Freude  hegrfifscn. 

Die  Anordnung  des  Stolfes  ist  dieselbe 
geblieben,  an  den  geeigneten  Stellen  sind 
die  neueren  Arbeiten  ziemlich  vollständig 
nachgetragen.  Der  Verf.  ist  hierbei  mei- 
stens referierend  vorgegangen  und  ver- 
meidet es  mehrfach,  entschieden  Partei 
zu  nehmen,  eine  Vorsicht,  die  den  objek- 
tiven Leser  nur  angenehm  berühren  wird. 
So  ist.  das  Buch  ein  wichtiges  Werk  für 
das  Studium  nicht  allein  der  (ieographie, 
sondern  auch  der  Geologie  Norddeutsch- 
lands; die  sorgfältigen  Litteraturangaben 
sind  hierbei  von  besonderem  Werte. 
Der  Inhalt  ist  folgender. 
I.  Die  Beziehungen  des  Untergrun- 
des der  Quartärbildungen  zur  Oberfläche. 

1.  Die  Grundzüge  des  Gebirgsbaues 
der  vorquartären  Ablagerungen. 

2.  Die    Lage    der    Unterkante  des 
Quartärs. 

3.  Jüngere  tektonische  Schichtenstö- 
rungen. 

II.  Die  Oberflächengest  alt  ung  in 
ihren  Beziehungen  zur  Eiszeit. 

1.  Das  Inlandeis  und  seine  Wir- 
kungen. Dies  Kapitel  hat,  den  neueren 
Forschungen  entsprechend,  eine  erhebliche 
Umgestaltung  erfahren. 

A.  Olazialschrammen  und  -schlifle.  Die 
saubere  Karte  der  Endmoränen,  Urstrom-  . 


thäler  und  Fundorte  der  Glazialschrammen 
Norddeutschlands  bringt  neben  der  Be- 
schreibung die  betr.  Verhältnisse  zum 
Überblick.  Die  bisherigen  Geschiebe- 
studien haben  gezeigt,  dafs  im  mittleren 
und  westlichen  Norddeutachlaud  eine  ost- 
wostliche  Eisbewegung  nicht  stattgefun- 
den hat  (die  jüngeren  O-W-  oder  W-O- 
Schrammen  zeigen  nur  lokale  Abweichun- 
gen von  den  radialen  Hauptstromrich- 
tungen des  Inlandeises  an),  und  dafs  sich 
zwischen  den  Bildungen  des  oberen  und 
unteren  Diluviums  in  der  Geschiebe- 
führung  kein  Unterschied  nachweisen  läfst. 
B.  Schichtenstörungen  durch  Eisschub. 

2.  Die  Ablagerungen  des  Inland- 
eises. A.  Moränen,  a.  Grundmoränen. 
Auch  hier  linden  sich  die  neuen  Beob- 
achtungen und  Ansichten  sehr  anschau- 
lich verarbeitet;  der  Transport  der  Grund- 
moränen unter  und  i  n  dem  Eise,  die  zwei 
verschiedenen  Typen  der  (Jruudmoränen- 
landschaft  (ebene  bis  flachwellig  ent- 
wickelte Hochflächen  und  stark  wellige, 
mit  zahlreichen  Einsenkungen  versehene 
Gebiet«  der  Grundmoränenlandschaft  im 
eigentlichen  Sinne);  der  obere  ungeschich- 
tete Geschiebesand,  mit  den  „Dreikantern" 
[  besser  als  „Kautcngerölle"  zu  bezeichnen  |  j 
die  „Drum! ins"  und  emilich  die  Be- 
ziehung des  baltischen  Höhenrückens  zum 
Ostseebecken.  —  b.  Endmoränen.  Auch  dies 
Kapitel  ist  bedeutend  erweitert  (vergl.  die 
Karten),  die  Durchragungen  und  Stau- 
moränen finden  eingehende  Berücksichti- 
gung, die  Auffassungen  Salisbury's  und 
(IcikiVs  werden  rektifiziert.  —  c.  Die 
Kanus  (Grandkuppen)  [vom  Ref.  als 
„Kiesmoränen"  aus  Mecklenburg  beschrie- 
ben] werden  aus  einigen  Teileu  der  Lüne- 
burger Heide  erwähnt. 

B.  Fluvioglaziale  Bildungen  Hier  sei 
besonders  auf  die  Besprechungen  des 
Deckthones  und  der  Asar  iOrandrückem 
hingewiesen,  letztere  werden  als  Riiek- 
zugsbildungen  betrachtet.  Hier  wie  bei 
den  auderen  Oberflächenformen  geht  Verf. 
speziell  auf  die  Frage  über  ihre  Bil- 
dung ein. 

3.  Die  alten  Stromthäler  und 
ihre  Versandung. 

Nach  Besprechung  der   vier  Haupt- 
thäler,  deren  südlichstes  vom  Verf.  statt 
I  Berlin- Hannoversches  als  „Breslau-Magde- 
!  burger  Thal"  bezeichnet  wird  und  welches 
;  nicht  unterhalb  Magdeburg  zur  unteren 


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418 


Büch  erb  esprechungen. 


Weser  sich  fortgesetzt  haben  soll,  wird 
das  fünfte,  pomniereche  Urstromthal  mit 
seinen  Stauseen  aufgeführt.  Die  Karte 
giebt  sehr  schön  den  Verlauf  der  Thäiler 
an  und  hat  auch  die  unwahrscheinliche 
Verbindung  zwischen  Lübeck  und  Elbe 
vermieden. 

4.  Der  Löfs  am  Rande  des  nord- 
deutschen Flachlandes  wird  als 
Wasserabsatz  betrachtet,  sein  Alter  ist 
jungglazial,  nicht  interglazial. 

6.  Die  Seen.  Auch  hier  ist  viel 
Neues  hinzugekommen.  Es  werden  fol- 
gende Typen  unterschieden:  I.  Grund- 
moriinenseen ,  2.  Stauseen,  3.  Hinnen-, 
4  Ausstrudelungs-  oder  Evorsions-,  ö.  Fal- 
ten-, ti  Eiserosions-  uud  7.  Einsturz-Seen. 
Bei  der  t'bersicht  der  Seen  fehlt  S.  209 
die  Litteraturangabe ,  insbesondere  der 
Hinweis  auf  die  Messungen  und  Isohypsen- 
karten  von  W.  Feltz,  welcher  als  erster 
solche  Untersuchungen  angestellt  hat. 

6.  Die  Gliederung  der  Glazial- 
bil düngen.  In  diesem  Kapitel,  welches 
in  der  ersten  Auflage  selbständig  über- 
haupt fehlt,  spiegelt  sich  besonders  der 
Fortschritt  der  Diluvialforsehungen  wie- 
der. Der  Verf.  führt  alles,  was  von  hierzu 
Gehörigem  bekannt  ist,  zusatniueufasseud 
auf  und  giebt  am  Schlüsse  folgenden  Ver- 
such einer  Einteilung  des  Quartärs: 

1' ostglazial  zeit  (Jungquartär): 

a.  Jüngere,  Buche-  und  Erle-  ,Mya-  Zeit. 

b.  Ältere,  Eiche-  (Litorina-jZeit.  Birke-, 
Kiefer-  (Aneylus-)Zeit. 

Die  Eiszeit  ( A 1 1  qua  rtär): 
Spätglaziale  Phase,  Dryas-  (Yoldia) 
Zeit, 

Dritte  Vereisung,  a.  Abschmelzperiode, 
b.  Inlandeisbedeckung. 

Zweite  Interglazialzeit.  Fauna  der 
grofsen  diluv.  Silugetiere,  intergl.  Torf- 
lager, Schichten  mit  Süfswasserconchylien, 
marine  Bildungen. 

Zweite  Vereisung.  Unterer  Geschiebc- 
mergel  etc. 

Erste  Interglazialzeit,  Süßwasser-  und 
marine  Schichten,  Diatomeenschichten (V). 

Erste  Vereisung. 

Präglazialzeit. 

III.  Die  Veränderungen  der  Oberfläche 
in  postglazialer  Zeit. 

1 .  Die  Niederungen  des  Binnen- 
landes Hier  ist  besonders  folgendes 
hervorzuheben:  Schönes  Beispiel  der  Ver- 


legungen des  Elbstromlaufes.  Trocken- 
thäler.  Moore. 

2.  Das  Küstengebiet.  Rezente  Sen- 
kungen nicht  erwiesen.  Verschiebung  von 
Flufsmündungen.  Dünenwanderung. 

Nur  zwei  Bemerkungen  mögen  am 
Schlüsse  noch  gestattet  sein. 

Die  Nachträge  zu  I.  hätten  noch  etwas 
ausgiebiger  sein  können,  z.  B.  wären 
Stolley's  Befunde  über  die  Mo-Formation, 
die  Kreidefestlandsgrenzen  Mecklenburgs 
zur  Tertiärzeit  zu  berücksichtigen  ge- 
wesen. Zur  Rechtfertigung  Ernst  Boll 's 
(vergl.  S.  78i  mag  erwähnt  sein,  dafs  der- 
selbe seine  früheren  Hypothesen  später 
flHf>r>,  Archiv  für  Landesk.  Meckl.)  selbst 
nicht  mehr  aufrecht  erhalten  hat.  Auf 
der  Karte  ist  die  unrichtige  Ausdehnung 
eines  Staubeckens  in  der  Oegend  westlich 
Rostocks  nach  der  Keilhack'schen  Dar- 
stellung übernommen.       E.  Heinitz. 

Dceckc,  Prof.  Dr.W.,  in  Greifswald,  Geo- 
logischer Führer  durch  Born- 
Ii  o  1  m.  ^Sammlung  geologischer  Führer 
III.)  Kl.  8°.  VHI  u.  ISIS,  mit  7  Abb. 
und  1  geologischen  Übersichtskarte. 
Berlin,  Gebr.  Borntraeger  1899, 
Seit  vor  10  Jahren  die  deutsche  geo- 
logische Gesellschaft  unter  Führung  der 
Greifswalder  und  Kopenhagener  Fach- 
genossen der  Insel  Bornholm  einen  mehr- 
tägigen Besuch  widmete,  ist  mehr  und 
mehr  das  wissenschaftliche  Interesse  an 
dieser  Insel  erwacht,  deren  hohe  land- 
schaftliche Schönheiten  jährlich  hunderte 
von  Reisenden  anlocken.  Bietet  sie 
doch  für  den  Nordostdeutflehen  die  ab- 
solut nächste  Felsenküste  und  zugleich 
den  Schlüssel  für  den  stratigraphischen 
wie  tektonischen  Verband  Deutschlands 
mit  Skandinavien:  Granit  und  Diabas, 
cambrische  und  silurische  Sandsteine  und 
Kalke,  kohlenführender  Rhät-Lias  tauchen 
dort  so  nahe  wie  nirgends  sonst  vor 
unserer  Küste  auf,  die  norddeutsche  Kreide 
kommt  als  Grimsand  und  kieseliger  Kalk 
wieder  hervor,Glazialbildungen  überziehen 
das  Innere  der  Insel,  und  Gletscher- 
schrammen findet  man  in  herrlicher 
Frische  auf  anstehendem  Gestein.  Auch 
tek tonisch  ist  Bornholm  bemerkenswert: 
es  ist  als  ein  Horst  aus  einer  eingebro- 
chenen Tafel  herausgeschnitten  und  hat 
durch  zwrti  sich  unter  spitzem  Winkel 
schneidende  Spaltensysteme  seine  rhom- 


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Bü  ch  erb  esp  rech  un  gen. 


410 


bische  Gestalt  erhalten.  Das  ältere  Spal 
tensystem,  welchem  die  Diabasgange  ent- 
sprechen, streicht  NNO  SSW  und 
entstand  in  der  Zeit  zwischen  Cambrium 
und  Lias;  einer  seiner  Brüche  liegt  in 
der  unmittelbaren  Fortsetzung  der  grolsen 
Smaländer  Spalte;  das  jüngere  Spalten- 
system läuft  NW  SO  und  hängt  mit  den 
gleichgerichteten  deutschen  Gebirgen, 
Horsten  und  Gräben,  wie  mit  denen 
Schonens  zusammen. 

Der  Verf.  des  „Führers"  hat  vielmals 
Bornholm  besucht  und  giebt  auf  Grund 
der  gesamten  Fachlitteratur  wie  eigener 
Beobachtungen  zunächst  eine  Übersicht 
der  Geologie  der  Insel.  Daran  schliefst 
sich  die  eingehende  Beschreibung  einer 
Ttägigen  Exkursion  uebst  Winken  für 
deren  Verlängerung  oder  Abkürzung. 
Neben  dem  ausführlich  behandelten  Geo- 
logischen ist  überall  auch  das  sonst  Be- 
merkenswerteste wenigstens  kurz  ange- 
deutet, ho  dafs  beim  Besuch  der  Insel 
allenfalls  ein  anderer  Führer  entbehrt 
werden  kann..  Die  Kart«  in  1  :  100  000  ist 
ein  vervollständigter  Abdruck  der  John- 
strup'schen  Sie  enthält  keine  Terrain- 
darstellung, aber  neben  dem  geologischen 
Kolorit  die  Wege.  Ortschaften  und  Wasser- 
laufe.  Der  treffliche  „Führer*4  wird  vor- 
aussichtlich der  Insel  neue  Freunde  zu- 
führen; zugleich  ist  er  ein  bequemes 
und  zuverlässiges  Nachschlagebuch.  Re- 
gister und  Literaturverzeichnis  sind  bei- 
gegeben. Jentzsch. 

Krah  in  er  (Generalmajor  z.  D),  Rufsland 
in  Asien.  Band  III.  Sibirien  und 
die  grofse  sibirische  Eisenbahn. 
Zweite  Auflage,  gr.  2HG  Seiten, 
2  Karten.  Leipzig  11100.  Zuck- 
schwerdt  &  Co. 

Hatte  der  Verfasser  in  der  ersten 
Auflage  seines  verdienstvollen  Werkes 
(1807)  die  grofsen  Züge  der  beginnenden 
Erschliefsung  Sibiriens  durch  Rufsland 
und  die  vermutlichen  Aussichten  der 
grofsen  sibirischen  Eisenbahn  geschildert, 
so  kann  er  in  der  vorliegenden  zweiten 
Auflage  bestimmte  Thatsarhen  bringen 
und  auf  die  nahe  bevorstehende  Vollen- 
dung des  Unternehmens  hinweisen,  das 
zum  Teil  wesentlich  andere  Wege  ein- 
geschlagen hat,  als  man  anfänglich  ver- 
muten durfte.  Mit  Ausnahme  der  tTm- 
gahungsbahn  um  das  Südufer  des  Baikal- 


sees,  die  wegen  der  dort  bestehenden 
Schwierigkeiten  des  Geländes  erst  nach 
einigen  Jahren  vollendet  sein  wird,  ist 
die    ganze    sibirische    Strecke    im  Be- 
trieb.    Bekanntlich   ist  nach  Abschlufs 
des  japanisch-chinesischen  Krieges  1895 
Rufsland   mit  Erfolg   bemüht  gewesen, 
sich   das  Recht   des  Bahnbaus   in  der 
Mandschurei  zu  sichern.    Die  sogenannte. 
„Chinesische  Ostbahn14  wurde  fast  aus- 
schliefslich  auf  russisches  (Seid  basiert, 
ihr  Bau  aber  ohne  Verzug  unter  russischer 
Leitung    und    unter    dem  bewaffneten 
Schutz  des  Zarenreiches  in  Angriff  ge- 
nommen.    Was  Rufsland  hierdurch  an 
Macht  und  Einflufs  gegen  China  auf  dem 
Boden   der  Mandschurei  gewonnen  hat, 
ist  durch  die  jüngsten  Vorgänge  in  Ost- 
asien mit  unwiderleglicher  Klarheit  be- 
wiesen worden.    Rufsland  hat  seine  — 
rechtlich  zweifellos  begründeten  —  An- 
sprüche in  der  Mandschurei  gegen  die 
bewaffnete  Auflehnung  der  Chinesen  zu 
verteidigen  gehabt  und  dürfte  trotz  aller 
Weiterungen,  die  von  Seiten  der  Mächte 
vorgebracht    werden ,    die  Mandschurei 
weder    politisch    noch    militärisch,  am 
wenigsten  aber  wirtschaftlich  preisgeben. 
Der  Verfasser  hat  auf  die  Grundzüge 
dieses  Verlaufs  bereits  vor  Ausbruch  der 
chinesischen  Wirren  treffend  hingewiesen 
und  gezeigt,  wie  der  wahre  Wert  der 
sibirischen  Bahn  erst  durch  die  erfolgte. 
Abkürzung  der  östlichen  Strecke  durch 
die  Mandschurei  hervorgetreten  ist,  In 
der  That    hat    man   die  ursprüngliche 
Linie  längs  des  Amur  nunmehr  aufgegeben, 
so   dafs   die   transbaikalische   Bahn  in 
Strjetensk  ihr  Ende  findet.    Statt  dessen 
zweigt  von  Kaidalowo  die  Strecke  nach 
der  Mandschurei  ab,  die  sich  inmitten 
der  letzteren  bei  Charbin  gabelt,  um  den 
östlichen  Zweig  nach  Wladiwostok,  den 
südlichen  aber  über  Mukden  nach  Port 
Arthur,  bezw.  zum  unmittelbaren  Anschlufs 
an  das  schon  bestehende  chinesische  Netz 
zu  entsenden.    Die  Vorteile  dieser  Ver- 
schiebung liegen  vor  Augen.    Auf  Grund 
des  in  den  letzten  Jahren  veröffentlichten 
reichhaltigen  russischen   Materials  über 
die  Statistik  und  über  die  wirtschaftliche 
Entfaltung  Sibiriens  kann  der  Verfasser 
neue,  recht  interessante  Aufschlüsse  über 
die  fortschreitende  Entwicklung  des  Berg- 
baus ,  der  Bodenkultur,  der  geordneten 
]  Besiedlung  Sibiriens  bringen.  Er  tritt  mit 


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Neue  Bücher  und  Karten 


420 

Recht  einem   übertriebenen  Optimismus  j 
entgegen,  erkennt  aber  die  zielbewußte  i 
Arbeit  Rufslands  an.   Da»  mit  sehr  guten  1 
Karten  ausgestattete  Buch  bringt  reiche 
Belehrung  und  wird  wann  mpfohlen. 

Immanuel. 

t.  Brandt«  M.,  Dreiunddreifsig  Jahre 
in  Ost-Asien.  Erinnerungen 
eines  deutschen  Diplomaten. 
In  drei  Bänden.  Band  I.  Leipzig. 
G.  Wigand.  1901. 

Dieser  Krwtlingshand  schildert  die 
Erinnerungen  unseres  früheren  Gesandten 
in  China  an  die  preufsische  ostasiatische 
Expedition  der  Jahre  1860  1862,  an  der 
er  als  junger  Attache  teilgenommen  hat. 
Ähnlich  wie  bei  den  jüngst  veröffent- 
lichten Privatbriefen  des  Führers  jener  I 


Nene  Rücher 

Zusammengestellt  von 

(IfMfclrfatt  der  tiMprapkit. 

Harrisse,  Hrv.  Dicouverte  et  evolution 
cartograph.  de  Terre-Neuvc  et  de*  pays 
circonvoisins  '(1497^1 501  1769)';  essais 
de  geogr.  histor.  et  document.  Carte« 
et  pl.  LXXII,  424  S.  4".  Paris,  Welter 
1900. 

Hoeherl,  Franz  Xav.  Johann  Jacob 
Scheuender,  der  Begründer  der  phys. 
Geogr.  des  Hochgebirges.  VITT ,  108*  S. 
(Münchener  geograph.  Studien.  X). 
München,  Ackermann  1901.    .41  1.80. 

MUi  im  im  phynUrhe  Oeographlr. 

Börnstein,  R.  Leitfaden  der  Wetter- 
kunde 52  Abb.,  17Taf.  183  S.  Braun- 
schweig, Vieweg  \'  S.    1901.    Jl  6. — 

König,  Fr.  Die  Verteilung  des  Wassers 
über,  auf  und  in  der  Krde  u.  die  daraus 
sich  ergebende  Entstehung  des  Grund- 
wassers und  seiner  Quellen. .  .  VIII,  159S. 
Jena,  Costenoble  1901.  .K  4  — 

Koppen,  W.  Versuch  einer  Klassifikation 
iler  Klimate,  vorzugsweise  nach  ihren 
Beziehungen  zur  Pflanzenwelt.  SA.  Fig., 
42  Karten.  45  S.  Leipzig,  Teubner  1901. 
,H.  1.60. 

AllgraiHao  Urographie-  iIm  M<  ns.  Hrn. 

Boulay,  X.  Principes  d'anthropologie 
generale.  XVI,  .'{34  S.  Paris,  Lethielleux 
1901. 


j  bedeutungsvollen  Ausfahrt  nach  Japan, 
I  China  und  Siam,  des  späteren  Ministers 
Kulenburg,  handelt  es  sich  zwar  auch 
hier  durchweg  um  rein  persönliche  Er- 
lebnisse und  Beiseeindriicke,  jedoch  die 
gemächliche  Breite  der  Erzählung  ergeht 
sich  doch  häufiger  als  das  bei  Eulenburg's 
knapperem  Briefstil  der  Fall  ist,  in  ge- 
legentlichen Schildereien  der  Landschaft 
und  des  Volkslebens,  so  besonders  hin- 
sichtlich Japans.  Und  zwar  ist  es  das 
alte  Japan  mit  seiner  von  europäischem 
Einflufs  nach  unberührten  Kultur,  das 
uns  hier  entgegentritt.  Auf  S.  125  findet 
sich  auch  eine  beachtenswerte  Bemerkung 
über  die  Ursache,  weshalb  nicht  Kana- 
gawa,  sondern  das  benachbarte  Fischer- 
dörfchen Yokohama  zur  Hafenstadt  To- 
I  kyos  geworden  ist.     A.  Kirchhoff. 


und  Karten. 

Heinrich  Brunner. 

H  a  r  1 1  e  b  e  n's  K  leines  statistische*  Taschen- 
buch über  alle  Staaten  der  Krde.  Be- 
arb.  von  F.  Umlauft,  Wien,  PeBt, 
Leipzig;  Hartleben  11*01 

Hartlebcn's  Statistisch«'  Tabelle  über 
alle  Staaten  der  Erde.  IX  Jahrg.  1901. 
Wien,  Pest,  Leipzig;  Hartleben  1901. 
U  —.50. 

Meinecke,  Gust,  und  W.  v.  Bülow, 
Seidenzucht  in  den  Kolonien.  50  S. 
Berlin,  Deutscher Kol.-Veri.  1901.  Ji  \  .20. 

Su pan ,  Alex.  Die  Bevölkerung  der  Krde. . . 
XI :  Asien  u.  Australien  samt  den  Südsee- 
Inseln.  107  S.  (Peterm.  Mitt. ;  Erg  -Heft 
135.)    Gotha,  J.  Perthes  1901.  .«6.40. 

Karopa. 

A  r  d  o  u  i  n  -  D  u  m  a  z  e  t .  Voyagc  en  France. 
Vol.  '24:  Haute  -  Bourgognc.  30  cartes. 
420  S.  Vol.  25:  Basse  -  Bourgognc  et 
Senonais  29  cartes.  400  S.  Paris, 
Berger- Levrault  C.  1901.    Zu  Fr  3.50. 

Horm  es,  K.  Die  vorpontische  Erosion 
SA.  5  Fig.,  47  S  Wien,  Gerold'*  Sohn 
Komm    1900.   M  —.90. 

Passarge,  L.  Sommerfahrten  in  Nor- 
wegen ...  3.  A  2  Bde.  VII,  288;  V,  302  S. 
Leipzig.  Klischer  1901    .fc  8.— 

Mitteleuropa. 

Ambrosius,  Krnst.  Die  Volksdichte  am 
deutschen  Niederrhein.  2  Kartenbr il.  u 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


421 


3  TextiH.  115  S.  (Forsch,  z.  deuUeh. 
Landes-  und  Volkskunde.  —  KircbhoH" 
XIII3).  Stuttg.,  Engelhorn  11K>1.  „*9.60. 
Flemniing,  C.  Neue  Kreiskarten.  Bl.  38: 
Rügen.  1:160  000.  Glogau,  Flcmming 
1901. 

Grohmann,  Dr.  Die  phiinolog.  Beobach- 
tungen der  Jahre  1864/97  u.  die  Ernte- 
erträge im  Königr.  Sachsen  in  ihrer  Ab- 
hängigkeit  von  den  Witterungsverhält- 
nissen.  III,  88  8.  (Das  Klima  des  Königr. 
Sachsen.  VI).  4°.  Chemnitz,  Kön.  süchs 
raeteorolog.  Institut.  1901.   JL  3.40. 

Oünther,  Fr.  Der  Harz.  115  Abb.  u. 
1  färb.  Karte.  128  B.  (Land  u.  Leute.  IX). 
Bielefeld,  Velh.  &  Klasing  1901.  „fc  3.-- 

Jahrbuch,  statistisches,  für  das  Deut- 
sche Reich.    XXII,  1901.    Berlin,  Butt 
kammer  u.  Mühlbrecht,  1901. 

Keil  hack,  Kd.  Einführung  in  das  Ver- 
ständnis der  geolog  -agronoin.  Special- 
karten des  norddeutschen  Flachlandes  . . . 
Fig.,  14  färb.  Karten.  IU,  79  S.  Berlin, 

Schropp  i9oi.  jl  2.  - 

Kerp,  II.  Am  Rhein;  die  Rheinlande  v. 
Frankfurt  bis  Düsseldorf  u.  die  Thäler 
des  rhein.  Schiefergebirges.  18*2  Abb., 
1  Karte.  183  S.  (Land  u.  Leute.  X;. 
Bielefeld,  Velh.  &  Klasiug  1901.  JL  4.— 

Landeskunde   Freufsens;   hrsg.  v.  A. 
Beuermann.    Abb.    Heft  1—8,  10  u.  11 
Berlin,  Spemann  1901.  .«11.30.  [Auch 
einzeln]. 

1   Kerp,H.  Die  Rheinprovinz.  33  Abb. 

V,  140  S.  Jt  1.20. 

2.  Techter,  W.  .Die  Frov.  Hessen- 
Nassau.  14  Abb.,  2  geolog.  Prof., 
1  Karte    VI,  104  S.    JC  1.— 

3.  Stephaublome,  J.  Die  Frov. West- 
falen nebst  Lippe  u.  Waldcck.  14  Abb. 

VI,  137  S.  1.20. 

4.  B e  u  e  r  m  a  n  n ,  A.  Die  Frov  Hannover. 
28  Abb.    VII,  13H  S.    JL  1.20. 

5.  Schmarje,J.  Die  Frov.  Schleswig- 
Holstein.  22 Abb.  VII,  löoS.  „«1.30. 

6.  Liersch,  H.    Die  Prov.  Sachsen 
12  Abb.   VIII,  81  S.    .H  1 .— . 

7.  Heiuze,  II.  Die  Frov.  Brandenburg. 
28  Abb.   VI,  14«  S.    .<£  1.20. 

H.  Wulle,  F.  Die  Frov.  Schlesien. 
19  Abb.    VI,  134  S.    JL  1.20. 

10.  Sommer,  0.  Die  Frov.  Pommern. 
17  Abb.   VI,  120  S.    JL  1.10. 

11.  Ziesemer,  J.  Die  Prov.  (Ist-  u. 
Westpreufsen.  17  Abb.  VI,  101  S. 
JL  1.-. 


Lechner,  R.  L's  Generalkarte  vom  Her- 
zogtum Kärnten.  1  :  300  000.  Farbdr. 
50  x  G7,5  cm.  Wien,  Lechner  1901. 
JL  2.40. 

Lechner,  R.  L's  Generalkarte  vom  Her- 
zogt. Salzburg.  1  :  300  000.  Farbdr. 
68  x  55,5  cm.  Wien,  Lechner  1901. 
JL  2  .40. 

Nest ler,  Br.  Landschaftliches  aus  dem 
Zschopau-Thale.    51  Illustrationen  u. 

1  Karte.  110  8.  Dresden,  W.  Nestler. 
[1901 J.    JL  3  — 

Sass,  C.  Die  Schwankungen  des  Grund- 
wassers in  Mecklenburg.  0  Taf.  20  S. 
(Mitt.  d.  grofsh.  Mecklenburg,  geolog. 
Landesanst.  XII;.  4°.  Rostock,  Leopold 
Komm.  1901.   JL  1.50. 

Seidl,  Armin.  Das  Regnitzthal  \von  Fürth 
bis  Bamberg)'.  Fig.  VII,  182  S.  Er- 
langen, Junge  1901.    JL  2.40. 

Stüh  m  &  n  u ,  Pet.  Holland  u  .  sein  deutsches 
Hinterland  in  ihrem  gegenseitigen 
Warenverkehr,  mit  bes.  Berücks.  der 
hol  bind.  Haupthäfen,  seit  der  Mitte  des 
19.  Jahrh.  X,  130  S.  (Abh.  des  staats- 
wiss. Seminars  zu  Jena.-  Piersdorff.  I  1). 
Jena,  Fischer  1901.    JL  2.50. 

Wittschier,  Vermessgs-lnsp.  Das  staatl. 
Besiedelungswesen  in  den  preufs.  Ost- 
provinzen. Vortr.  SA.  1  Plan,  30  S. 
Stuttg.,  Wittwer  1901.    JL  —.00. 

Vung,  Em.    Zermatt  u  das  Visperthal 
160  Zeichngn  u.  Vignetten.   107  S.  4°. 
Zürich,  Schröter  Komm  1901.  Jt  20  — 

Ziegler,  J.,  u.  W.  König.    Das  Klima 
von  Frankfurt  a.  M.  Nachtrag.  2  Tafeln 
Frankfurt,  Naumann  1901. 

Aulen. 

• 

Cttinet,  Vital.  Syrie,  Liban  et  Palestine; 

geographie   administrative  .  .  .  Carte. 

094  S.  Paris,  Leroux  1901.  Fr.  20.— 
Hosie,  Alex.    Manchuria;  ita  peoplc,  re 

sources   and   recent  hist.     Map,  III 

XII,  89SS.    Lond,  Methuen  C.  1901. 

10  s.  0  d. 

Nieuwenhaifl,  A.  W.  In  Centraal  Horneo ; 
reis  van  Pontianak  naar  Sauiarinda  .  . . 

2  v.  109  Taf.  VIII,  308;  VIII,  309  S. 
Leiden,  Brill  1900. 

Afrika. 

Hahn,  Frdr.  Afrika.  2.  A.,  nach  der  von 
Wilh.  Sievers  verf.  1.  Aufl.  umgearb.  u. 
erneuert.    XII,  681 'S.   <Allgem.  Länder- 


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422 


Zeitschriftenschau. 


künde.  —  Sievera).  Leipz.,  Bibliograph. 
Inst.  1901.    JL  17  — 

Maurer,  Hans.  Metcorolog.  Beobach- 
tungen in  Deutsch-Ost- Afrika.  Li  Auf- 
zeichnungen der  Kegiatrirapparate.  2  gra- 
phische Taf.  VI,  182  S.  (Deutsche  über- 
seeische uieteorolog.  Beub.  X;.  fu.  Haui- 
burg, FriedriehsenC.  ('omni  1901.  >V  10. 

Moisel,  Max.  Wandkarte  von  Kamerun 
1 : 1  000000.  Farbdr.  4  Bl.  zu  60,5  ^<  53  cm. 
Berlin,  I).  Keimer  1901.    M  6.  — 

Piolet,  le  R,  P.,  et  Ch.  Noufflard  Ma 
dagascar,  La  Reunion,   Mayotte,  les 
Couiores,   Djibouti.    Pref.  p  Chailley- 
Bert.  III.  21H  S.  Paris,  Firmin-Didot  C 
&  Challamel.  [1901  \.    Fr.  25 .  — 

Rouard  de  Card,  E     Lea  tcrritoires 
afric   et  les  Convention»»  franeo-angl 
(.'arten.    242  S.    (Biblioth.  internat.  et 
diploniat  88)  Paris,  Pedone  1901.  Fr.  8.50 

Australien  u.  dl*  aaatral.  Inaeln. 

Tappenbeck,  Ernst.  Deutsch-Neuguinea. 
Abb.,  1  Karte.  178  S.  (Süsserott's  Kolo- 
nial-Bibliothek.  \).  Berlin,  Süsserott 
1901.  .«3- 

Bfldf!  Amerika. 

Keane,  A  H.  Central  and  South  America; 
ed.  by  Sir  ('lern.  Markhain  Mups,  III. 
634  S.  (Stanford1«  coinpendiutn  of  geogr 
and  travel.  Vol.  Ij.  London,  Stanford 
1901.    15  s. 


>ord-  and  MlttaUmrlk*. 

Hill,  K  T.  Physical  geography  of  the 
Texas  Kegion.  Map»,  views,  sketches. 
Witfa  text.  f°.  (Topograph,  atlas  of 
the  U.  S  ).  Wash.,  ü.  S.  geolog.  survey 
1900. 

(i>OKrapM»rhrr  Unterricht. 

(Jaebler,  Ed.   Württemberg.  Volkssehul- 

Atlas  .  .  .  20  Haupt-  u.  10  Nebeukarten 

Text  von  Sem  -Oberlehrer  Lautfer.  4". 

Tübingen,  Osiander  1901.    J<  -  40. 
La n gl* s  Bilder  zur  (»esehiehte.  Nr.  69/71 : 

Jerusalem,    Bethlehem  und  Nazareth. 

Wien,    Holzel    1901  Uiiaufgespamit 

„*i  2. — .    Aufgespannt       3.  —  . 
Weigeldt,  Paul.    Aus  allen  Erdteilen; 

Kommentar  zu  Ad.  Lehmanns  geograph. 

Charakterbildern.    II:   Aus  den  Alpen. 

Abb.    113  S.    Leipz  ,  Wachsmuth  1901. 

.«  1.20. 

Peraönlichci. 

Partsch,  .1.  Heinrich  Kiepert;  ein  Bild 
s.  Lebens  u  s.  Arbeit.  SA.  40  S.  Leipz., 
Teubner  1901.    Jt,  1.— 

Vcrsammlungm. 

Festschrift  des  geograph.  Seminars  der 
Univers.  Breslau  zur  Begrüfsuug  des 
XIII.  Deutschen  Geogr.-Tages;  hrsg.  von 
J  Partsch.    Breslau  1901. 

Katalog  «1er  Ausstellung  des  XUI.  Deut- 
schen Geogr.-Tages  zu  Breslau.  Bres- 
lau 1901. 


Zeitschriftcnstbau. 


Eingeborenen  am  Kwango.  —  Winter: 
Rassische  Volksbrauche  bei  Seuc  hen.  — 


Petermami'a  Mitteilungen.  1901.  5. 
Heft.  Hjort:  Die  erste  Nordmeerfahrt 
des  „Michael  Sars"  i.  J  1900  —  Stahl: 
Beobachtungen  in  den  Kirgisensteppen 
Gerland:  Die  erste  internationale  Erd- 
bebeukonferenz  in  Strafsburg.  —  Habe- 
ii i cht:  Neue  Methode  zur  Veranschau- 
lichuug  der  Kartenmafsstäbe. 

])ass  KrgiinzungsJtefl  Nr.  135.  Sa p an : 
Bevölkerung  der  Erde,  XI.  Asien  und 
Australien. 

(ilobus.  Bd.LXXIX  Nr.  19.  v.  Buch- 
wald: Der  Ursprung  des  Rundlings.  — 
Förstern  an  n:  Der  Merkur  bei  den  Mayas. 
—  Brielmanti:  Fischfang  und  Jagd  der  1 


Träger:  Die  geologische  Erforschung  der 
Nordseewatten. 

Das«.  Nr.  20.  Seidel:  Pfandwesen 
und   Schuldhaft    in  Togo.    —  Singer: 


Woeltfel's  Keisen  im  Hintvrlande  der  Elfen- 
beinküste. —  v.  Buch  wald:  Der  Ursprung 
des  Rundlings. 

])ass.  Nr.  21.  Zemmrieh:  Die  Zu- 
stände au  der  Sprachgrenze  in  Nordost- 
böhmen. —  Wilser:  Ein  steinzeitliches 
Dorf  am  Neckar.  — -  Moeser:  Die  Nil- 
regulierung und  der  wirtschaftliche  Auf- 
schwung Ägyptens.  —  Thomas:  Die 
Schatfung  eines  internationalen  anthropo- 
ogisch  -  ethnologischen  Katalogs. 

Dam.  Nr  22.  Stenz:  Die  Handels 
aussiebten   Tsingtaus.  —  Singer:  Die 


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Zeitschriftenschau 


423 


deutschen  Schutzgebiete  in  der  Sudsee  1900. 

—  Seidel:  Kamerun  im  Jahre  11)00.  — 
Lieder  im  Ge- Dialekt.  —  Naniengebung 
und  Hochzeitsbräuche  bei  den  Togonegern. 

—  P  ö  c  h :  Geschnitzte  Figuren  aus  Deutsch- 
Neuguinea. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXIII.  Jhrg.  9.  Heft. 
Reichel t:  Ladak  oder  West- Tibet. 
Greger:  Interkontinentale  oder  pan-aine- 
rikanische  Eisenbahn.  —  Umlauft:  Die 
projektierten  WaRserstrafsen  in  Österreich- 
Ungarn.  —  Hinter:  Kreuz-  und  Quer- 
zfige  in  Deutsch  -  Südwestufrika. 

Meteorologie  che  Zeitschrift.  1901.  5.  Heft. 
Kremser:  Neunte  allgemeine  Versamm- 
lung der  deutschen  Meteorologischen  Ge- 
sellschaft in  Stuttgart.--  Hann:  Kinige 
Ergebnisse  der  Temperaturbeobaehtungeu 
auf  dem  Strafsburger  Münsterturm.  — 
H  ei  n  tz :  t'ber  Niederschlagsachwankungen 
in  den  Flufsgebieten  der  Wolga,  des  Dnjepr 
und  des  Don  1861— 1898.  —  Maurer: 
Frank  Very's  Experimentaluntersuchung 
über  die  atmosphärische  Strahlung. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  XXII. 
Jhrg.  8.  Heft.  Benes:  Japans  geogra- 
phische Lehrmittel.  —  Iniend  örffer: 
Unser  geographisches  Lehrbuch.  —  Zu 
den  Grundsätzen  für  Lehrbücher  der  Geo- 
graphie— Schlottmann:  Die  erdkund- 
lichen Leitfäden  und  die  Atlanten  an  den 
höheren  Mädchenschulen  Norddeutsch- 
lands. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkunde 
zu  Leipzig.  1900.  Wägler:  Die  geogra- 
he  Verbreitung  der  Vulkane.  —  A  r  1  d  t : 
den  Parallelismus  der  Küsten  von 
Südamerika. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  zu  Wien.  Bd.  XLIV.  Nr.  8  u.  4. 
Anschütz  -  Kämpfe:  Das  europäische 
Eismeer  und  ein  neuer  Expeditionsplan 
nach  dem  Nordpole.  —  v.  Lozinski:  Die 
ehemische  Denudation  —  ein  Chronometer 
der  geologischen  Zeitrechnung. 

Abhandlungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.  1901.  Nr.  1  u  2. 
Frhr.  v.  Hühl:  Die  topographische  Auf- 
nahme des  Karlseisfeldes  i.  d.  J.  1899  u. 
1900.  —  Cvijic:  Morphologische  und 
glaciale  Studien  aus  Bosnien  usw.  II:  Die 
Karstpoljen. 

X  VII.  Jahresbericht  der  Geographischen 
Gesellschaft  con  Hern.  Brückner:  Be- 
richt  über   den    internat.  Geographen- 


kongrefs.  —  Mann:  Die  Jubiläumsfeier 
der  Geographischen  Gesellschaft. 

The  Geographical  Journal.  Vol.  XVII. 
No.  C.  Heid:  Journeys  in  the  Linyanti 
Region.  —  Semple:  The  Anglo-Saxons 
of  the  Kentucky  Mountains.  -  Conway: 
Joris  Carolus,  Discoverer  of  Edge  Island. 

—  Robertson:  Sir  T.  Holdich  s  „The  In- 
dian  Borderland".  —  Davison:  The  Great 
Japanese  Earthquake  of  Octobre  2»,  1*91. 

Im  Geographie.  1901  Mai.  Getttil: 
Oecupation  et  Organisation  des  territoirea 
du  Tchad.  —  loa  11  and:  De  Zinder  au 
Tchad  et  conquete  du  Kanem.  —  Weiss- 
gerber: Itineraire  de  Säle  ä  Tauger.  — 
de  Flott e-Roquevaire:  Voyage  de  M. 
Theobald  Fischer  dans  le  Maroc  occi- 
dental.  —  Grenard:  Voyages  eu  Asie 
centrale  du  Capt.  Deasy.  —  Derrecagaix: 
Des  cartes  d'Europe  en  1900.  —  La  pro- 
duetiou  du  coton  dans  le  monde. 

Ytner.  1900.  Heft  2.  Nathorst:  Den 
svenska  expeditionem  tili  nordöstra  Gröu- 
land  1899.  —  Pettersson:  Um  dritisen 
i  norra  Atlanten.  —  Fürst:  Om  rekon- 
struktion  pä  kranium  och  ett  forsok  tili 
plastisk  rekoustruktion.  —  Carlheim- 
Gyllenaköld:  Uppmätning  af  en  meridiau- 
gradbage  pä  Spetsbergen  Genom  en 
svensk-rysk  expedition.  —  Düsen:  0m 
kartläggningen  af  Kejsar  Frans  Josefs 
fjord  och  Konung  Oscars  fjord. 

Dass.  1900.  Heft  3.  Theel:  Om 
„bipolaritet"  hafsorganismernas  ut  bred- 
ning.  —  Frey r ei ss:  Bidrag  tili  känne- 
domen  om  Brasiliens  urbefolkning.  — 
De  Geer:  Om  gradmätningsnätets  fram 
föraude  üfver  södra  och  mellersta  Spets- 
bergen. —  Nathorst:  De  hittills  funna 
flyt  bojarne  frän  Andree-expeditiouem.  — 
Petterssou  och  Östergen:  Vattenprof 
fr.in  1900  ärs  svenska  zoologiska  polar- 
expedition. 

Dass.  1900.  Heft  4.  Johansson: 
Om  de  nyaste  upptäcktema  i  Armenien. 

—  Singer:  Hvilka  delar  af  jordeu  äro 
outforskade  vid  detnittende  ärhuudradets 
Blut.  —  A 1  mgren:  De  nyaste forskningarna 
om  bronsaldems  horjan  i  Norden.  — 
Andersson:  Den  svenska  expeditionem 
tili  Beeren  Eiland  sommaren  1899.  — 
Nathorst:  f  Otto  Torell,  den  vetens- 
kajiliga  polarforskningens  grundläggare. 

Dass.  1901.  Heft  1.  AI  mgren:  Kt 
gratfält  frän  den  äldre  jürnaldern  vid 
Alvastra  i  Üstergötlaud.  —  Betzius:  Um 


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424 


ZeitschriftenRchau. 


trepanation  af  heifrudskälen,  säsom  folksed 
i  fonia  och  nyare  tider.  —  Kjellströin: 
Kn  Exkursion  für  uppmätning  af  Van  Mijens 
bay  ander  1898  ärs  svenska  polarexpedi- 
Uon.  —  Andersson:  Näpra  drag  af 
Heeren  Eilands  kolonisationshistoria.  — 
Lönlierg:  Oni  de  äldsta  karterna  öfver 
Sverige.  —  Andersson:  Et  bidrag  tili 
kiinnedoinen  om  höstens  förekunst  i 
Sverige  understenäldern.  —  Nat  hörst: 
Ätgürder  für  tillvaratagande  af  förcmal 
frän  Andree-expeditionem. 

77»«  National  Geographical  Magazine. 
1901.  No.  5.  Koster,  The  Latin -atnerican 
Constitution»  and  Revolution«.  Na- 
varro:  Mexico  of  Today.  —  U  an  nett: 
The  General  Geograph;  of  Alaska.  — 
George  Dawsou  +. 

The  Journal  of  Fchool  Geography.  1901. 
Nr.  ö.  Hubbard:  The  Meteorological 
Conditions  of  the  South  Polar  Kegion».  — 
K  a r  n  h a m :  Critieism  on Geograph;  Teaeh- 
ing.  —  Dudge:  A  School  Course  in  Geo- 
graph;. 

Au»  Terschiodencn  Zeitschriften. 

A  ndersson  :  Om  Vätlifvet  i  de  Arktiska 
Trakterna.  Nordisk  Tidskrift  1900  Heft  s. 

Hirkenmajer:  Marko  Heueventano,  Co- 
perniku»,  Wapowski  und  die  älteste  geo- 
graphische Karte  von  Polen.  An:  d. 
Akad.  d.  Wissensch,  in  Krakau.  1901. 
Nr.  2. 

Br;ce:  Early  Red  River  Culture.  Trans- 
action  57  of  the  Historical  and  Scientific 
Society  of  Manitoha. 

I)  ah  ins:  Iber  da«  Vorkommen  und  die 
Verwendung  des  Hernsteins.  Zeitschrift 
für  praktische  Geologie.   1901.  Juni. 

Düsen:  Beitrage  »ur  Flora  der  Insel 
.lan  Mayen.  Iiihang  tili  k.  Srenska 
Vet.-Akad.  liaudlingar  Hand  16.  Afd. 
III  No.  13. 

Finsterwalder:  Die  Gletscher  (62.  u. 
M.  Beil.  7.  Allg  Ztg.). 

Fischer,  Der  Abflufsvorgang  der  Strome 
Memel ,  Pregel  und  Weichsel.  Das 
Wetter,  1900,  XII  u.  1901 ,  I— IV. 

Futterer:  Beitrüge  zur  Geschichte  des 
Ostlichen  Centraiasien  und  Chinas 
während     der     letzten  geologischen 


Perioden.  Verh.  des  Natunciss.  Ver.  in 
Karlsruhe.    XIII.  1900. 

Grothe:  Ins  türkische  Sibirien.  Vom  Hos- 
■ 

porus  ins  armenische  Hochland.  Westcr- 
mann's  Monatshefte.  1901. 

Höck:  Getränke  liefernde  Pflanzen,  ihre 
i     einstige  und  heutige  Verbreitung  und 
ihre  Erzeugnisse    Natnririss.  Wochen- 
schrift. XVI,  1901.    18,  Mai  f,. 

Hoernes:  Die  vorpontisehe  Erosion. 
Sitzungsher.  der  k.  Akademie  der  Wissen- 
schaflen  in  Wien     CIX.  1.  1900. 

Jouasson:  The  Early  Icelandic  Settle- 
ments in  Canada.  Transaction  59  of 
the  Historical  and  Scientific  Society  of 
Manitoha. 

Maes:  Projection  spheri^ue  comparee  aux 
autres  projections.  Vnirersite  Nouvelle, 
Institut  (icoyraphique  de  Bruxelles,  Nr.  4. 

Mc  Lean:  Notes  and  Observations  of 
Travels  on  the  Atjiabasea  and  Slave 
Lake  Regions  in  1899.  Transaction  58 
of  the  Historical  and  Scientific  Society 
of  Manitoha. 

Nathorst:  Bidrag  tili  nordöstra  Grön- 
lands Geologi  Geol.  Kören.  Förhandl. 
No.  207.  Bd.  27.   Heft  4. 

Ramann:  Die  klimatischen  Bodenzonen 
Europas.    Bodenkunde.    1901,  1. 

Ree  1  us:  I/Enseignemeut  de  la  Geo- 
graphie Fniveraite  Nouvelle.  Institut 
Geographique  de  Bruxelles.  Publication 
No.  ö. 

Rudzki:  über  das  Alter  der  Erde.  An:, 
d.  Akad.  d  Wissensch,  in  Krakau.  1901. 
Nr.  2. 

Sapper:  Die  südlichsten  Vulkane  Mittel- 
amertkas.  Z.  d.  Deutach.  geolog.  Ges 
1901. 

Schulte:  über  Staatenbildung  in  der 
Alpenwult.    Iiistor.  Jahrb.  1901. 

Schwind:  Die  Hiasküsteu  und  ihr  Ver- 
hältnis zu  den  Fjord  kosten  unter  bes. 
Berücksichtigung  der  horizontalen  Glie- 
derung. Sitzber.  d.  kgl.  liöhm.  Ges.  d. 
Wiss.  zu  Prag.  1901. 

»Strömer:  Die  Auswanderung  aus  Finn- 
land. Kinuläudischc  Hundschau.  1901  II. 

Zondervan  British  Noord-Borneo  „De 
Indische  Gids'\  Maart-Atlevering  1901. 


V«r»ut»vortli.ber  Herausgeber:  Prof.  l>r  A 1  f re d  Hottner  la  Heidelberg.  . 


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Einige  Bemerknngen  über  Wirtschaftsstatistik,  Wirtschaftsgeographie 

und  kartographische  Darstellung. 

Von  Dr.  Hermann  Losch  in  Stuttgart. 

Auch  solchen  wissenschaftlich  oder  praktisch  thütigen  Personen,  welche 
der  Geographie  etwas  ferner  stehen,  ist  nicht  verhorgen  gehliehen,  welch  ge- 
waltiger Fortschritt  auf  diesem  Gehiete  im  letzten  Menschenalter  gemacht 
worden  ist.  Sogar  uoch  den  Jüngeren  ist  ja  seinerzeit  die  Geographie  zu- 
meist als  eine  mosaikartige  Aneinanderreihung  von  vielen,  den  verschiedensten 
Gebieten  ohne  hinlängliche  Einheit,  ohne  zielbewufsten  Plan  entnommenen 
Notizen  und  Thatsachen  entgegengetreten.  Heute  ist  sie  ein  Lehrgebiet  ge- 
worden, welches  von  der  Darlegung  der  geologischen  Gestaltung  der  Erd- 
rinde an  bis  zu  der  aufhellenden  Erläuterung  bestehender  Staats-  und  Volks- 
grenzen hinaus  ein  einheitliches  Bild  zu  erzielen  strebt  und  so  die  Allgemein- 
bildung in  einer  Weise  fordert,  die  vielfach  in  ihr  soliden  Tragfähigkeit  und 
Tragweite  noch  gar  nicht  richtig  gewürdigt  wird,  namentlich  nicht  dem  oft 
sehr  fragwürdigen  schöngeistigen  und  geschichtlichen  Wissensstoff  gegenüber. 
Werke  wie  „Die  Landbauzonen  der  anfsertropischen  Lander"  von  Th.  K. 
Engelbrecht  oder  „Politische  Geographie"  von  Friedrich  Ratzel  u.  s.  w. 
erschliefsen  ganz  neue  Horizonte  und  fordern  nicht  nur  das  Spezialgebiet, 
dem  sie  entspriefsen  und  in  erster  Linie  dienen  wollen,  sie  befruchten  weit 
darüber  hinaus  die  Gedankenkreise. 

Man  würde  jedoch  Unrecht  thun,  wenn  man  das  Verdienst,  diesen  Fortschritt 
erzielt  zu  haben,  lediglich  der  fach  Wissenschaft  liehen  Geographie  im  weiteren 
Sinne  zugutschreibeu  wollte,  wennschon  betont  werden  mufs,  dafs  ihr 
mit  der  ordnenden  Bewältigung  ganz  neuer  Stoffmassen  die  Hauptaufgabe 
zufiel  und  immer  mehr  zufällt.  Man  wird  vielmehr  sagen  müssen,  dafs,  wie 
das  ganze  Mediziualweseu,  die  Hygiene,  die  Physiologie,  die  Chemie,  ja  auch 
scheinbar  so  entlegene  Gebiete  wie  die  Astronomie  durch  die  zweckmäßige 
Benützung  des  Mikroskops,  durch  Einblick  in  die  Vorgänge  kleinsten  Grades 
ungeahnte  Bereicherungen  und  Vertiefungen  erfahren  haben,  so  auch  das  Ge- 
biet der  Geographie  durch  Zerlegung  in  kleinste  Teile  und  Zusammensetzen 
dieser  kleinsten  Teile  in  grofsartige  Zusammenhänge  eine  starke  Umgestaltung 
erfahren  hat.  Wie  der  1000U.  Teil  eines  Millimeters  nicht  mehr  durch 
das  unbewaffnete  Auge  des  Einzelmenschen  unterschieden,  sondern  nur  noch 
durch  den  „Bruch"  1 10000  mmi  a'so  durch  das  Hilfsmittel  der  Zahl  veran- 
schaulicht wird,  so  ist  es  auch  die  Zahl,  die  Zählung  kleiner  und  klein- 

Geograpbiwbe  Zeitschrift  7.  Jahrgang.  1901.  M.  Heft.  2'J 


426 


Hermann  Losch: 


ster  Einheiten  gewesen,  auf  deren  Grundlage  die  „Könige"  dieser  neuen 
Wissens-  und  Darstellungsgebiete  die  herrlichen  Kunstbauten  ihrer  Werke 
aufgebaut  haben. 

Bei  dieser  Betrachtungsweise  beschleicht  den  bescheidenen  Kleinarbeiter, 
welcher  in  der  Aufrollung  statistischer  Thatsachcn  seinen  Beruf  findet,  eine 
gewisse  Genugthuung.  Er  hat  die  Empfindung,  dafs  kartographische  Dar- 
stellungen wie  z.  B.  „deutsche  Inseln  im  Slovenischen"  in  dem  soeben  er- 
wähnten Werke  von  Ratzel  oder  die  genaue  Begrenzung  beispielsweise  des 
Diukel(  Spelz  jbaugebiets  in  Europa  in  dem  Werke  Engelbre  cht's  nicht 
möglich  wären  ohne  die  Unterlagen,  welche  zumeist  fast  nur  durch  die  amt- 
liche Statistik  beschaffbar  sind  und  mehr  oder  minder  wirklich  beschafft 
worden  sind. 

Damit  sind  wir  auf  den  Punkt  gekommen,  von  welchem  hier  kurz  ge- 
handelt werden  soll:  auf  die  enge  Berührung  zwischen  dem  Arbeitsfelde  der 
wissenschaftlichen  und  praktischen  Statistik  und  demjenigen  der  wissen- 
schaftlichen und  praktischen  Geographie. 

Es  liegt  nahe,  aus  dem  fast  unübersehbaren  Bereiche  derjenigen  Gegen- 
stände, welche  einer  registrierenden  Massenbeobachtung  unterworfen  werden 
können,  gerade  die  wirtschaftswissenschaftlichen  hervorzuheben.  Hierher  ge- 
hören vor  allem  die  Nachweise  über  die  Bodenbenützung  und  die  sich  an 
diese  anschließenden  gewerblichen  Verarbeitungen  der  Erzeugnisse  der  Boden- 
ober- oder  -unterflüchen. 

Stellen  wir  uns  einen  Menschen  vor,  welcher  in  einer  Höhe  von  etwa 
1000  Metern  über  die  Bodenfläche  des  Deutschen  Reiches  hinfliegt;  natürlich 
nicht  im  tiefen  Winter,  der  allo  unbewaldeten  Flächen  mit  einer  gleich- 
mäfsigen  weifsen  Decke  verhüllt,  sondern  zur  Sommerszeit.  Bim  werden  alle 
Seen,  alle  Grofs-,  Mittel-,  Kleinstädte,  Dörfer  und  Höfe,  alle  Eisenbahnlinien, 
Strafsen  und  Wege,  ja  auch  alle  Felder  und  Wiesen  in  derjenigen  Verfassung 
und  Abmessung  erscheinen,  in  welcher  sie  sich  thatsächlich  befinden.  Ge- 
wisse Umrisse  und  Linien,  welche  ihm  von  den  Kartenbildern  der  Gegenwart 
her  geläutig  sind,  wird  er  mehr  oder  minder  deutlich  erkennen,  aber  nicht 
nur  sie;  innerhalb  dieser  Linien  wird  das  Bild,  das  ihm  erscheint,  voll 
Differenzierung  und  auch  voll  Farbe  sein;  mit  einem  Worte,  er  wird  von  der 
Vogelschau  aus  das  verjüngte  Bild  des  wirklichen  Seins  erschauen,  ähnlich, 
wie  dem  Befahrer  des  Eiffelturms  das  verwickelte  und  unübersichtlich  hin- 
gestreckte Ausstellungsgelände  der  Weltausstellung  von  Paris  im  Jahre  1900 
fast  in  der  Art  seines  Taschenplancs  vors  Ango  trat.  Eines  aber  wird  un- 
serem Luftfahrer  aus  seiner  Höhe  herab  nicht  vors  Auge  treten:  die  Fülle 
der  verwickelten  Bewegungen  und  Beziehungen  desjenigen  verhältnismäfsig 
winzigen  Lebewesens,  das  dieser  Oberfläche  ihr  ganzes  Aussehen  gegeben 
hat  und  immer  noch  weiter  giebt,  eben  zu  dieser  Oberfläche:  nämlich  des 
Kulturmenschen  der  Gegenwart.  So  wird  also  trotz  der  möglichst  adäquaten 
Anschauung  des  Thatsächlichen  ein  unaufgelöster  Rest  in  dem  Beschauer 
zurückbleiben  müssen.  Dieses  Anschauen  mit  dem  leiblichen  Auge  ermöglicht 
allein  und  für  sich  noch  nicht  das  erkennende  Durchdringen  mit  dem  geistigen 
Auge,  mit  dem  Verstand. 


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Wirtschaftsstatistik,  WirtschaftBgeogr.  u.  kartogr.  Darstellung.  427 


Dieser  Gesichtspunkt  ist  meines  Erachtens  von  gröfstcr  Bedeutung  für 
die  Bestimmung  der  Grenzen,  welche  sogar  den  photographischen,  vor 
allem  aber  den  kartographischen  Darstellungen  gezogen  sind.  Sie 
werden  nie  im  Stande  sciii,  das  Bild  des  Wirklichen  zu  erschöpfen,  auch 
dann  nicht,  wenn  sie  bis  zu  der  vollkommensten  und  nach  allen  Seiten  hin 
proportionalen  Verjüngung  des  Tatsächlichen  fortgeschritten  sein  werdeu. 
Es  wird  dann  zwar  nichts  Falsches  mehr  an  jenen  Reproduktionen  sein, 
alle  Verzerrungen  und  rohen  Linien  werden  sozusagen  eingerenkt,  sehr  viele 
schiefe  Vorstellungen  und  Auffassungen  werden  vermieden  sein,  allein  sach- 
lich betrachtet  wird  der  Darbietung  doch  kein  in  sich  selbst  abgeschlossener 
Wert  zukommen,  weil  alles  fehlt,  was  nicht  unmittelbar  für  das  Auge  in 
die  Erscheinung  tritt  und  daher  auch  in  dem  Abbilde  dieser  Erscheinung 
fehlen  mufs. 

Das  Gesagte  ist  auch  auf  diejenigen  Bemühungen  anzuwenden,  welche 
in  dem  geschilderten  Rahmen  an  sich  einen  bemerkenswerten  Fortschritt  be- 
deuten, so  z.  B.  auf  den  Gedanken  des  Herausgebers  über  bevölkerungs- 
statistische  Grundkarten,  so  gut  und  zweckmässig  er  innerhalb  des  Rahmens 
gewisser  Forschungszwecke  zweifelsohne  ist.  Sehen  wir  uns  die  von  Dr.  C. 
Uhlig  entworfene,  und  zwischen  den  Seiten  192  und  193  des  Jahrganges  VI 
der  „Geographischen  Zeitschrift"  wiedergegebene  „Bevölkerungsstatistische 
Grundkarte"  an,  so  wird  gesagt  werden  müssen,  dafs  es  aussichtslos  wäre, 
auch  nur  die  wichtigeren  z.  B.  gewerbestatistischen  oder  landwirtschaftlichen 
Angaben  in  dieselbe  einzutragen,  da  hierzu  der  Raum  fehlt,  ganz  abgesehen 
davon,  dafs  die  Volksmengen  sich  derzeit  mit  solc  h  rasender  Geschwindigkeit 
verschieben,  dafs  beispielsweise  die  Vierecke  für  Mannheim-Ludwigshafen  mit 
jedem  Jahre  ganz  erheblich  anders  aussehen  müfsten. 

Welchen  Schwierigkeiten  und  Grenzen  der  Versuch  kartographischer 
Niederschläge  begegnet,  sehen  wir  recht  anschaulich  an  einem  der  hervor- 
ragendsten statistischen  Grund-  und  Verarbeitungswerke  der  Gegenwart,  an 
denjenigen  Bänden  der  Statistik  des  Deutschen  Reiches,  Neue  Folge  (111, 
112,  119),  welche  die  Ergebnisse  der  Berufs-  und  Betriebszählung  vom  14. 
Juni  1895  verwerten. 

Dort  finden  wir  (Band  111)  gleich  zu  Beginn  eine  Karte  des  Deutschen 
Reichs  im  Mafsstab  1:5000000,  welche  die  Bevölkerungsdichtigkeit  am 
14.  Juni  1895  nach  den  kleinen  Verwaltungsbezirken  (preufsischen  Kreisen 
und  so  weiter)  darstellt.  Die  Grofsstädte  sind  mit  dickeren,  die  Städte  mit 
20000 — 100000  E.  mit  dünneren  Punkten  bezeichnet  ;  dabei  sind  Grofsstädte 
ohne  Unterscheidung  ihrer  Gröfse  und  Volksdichtigkeit  eingetragen  und 
Städte  unter  100000  Einwohnern  sind  dem  umliegenden  Verwaltungsbezirke 
zugerechnet;  die  Flächen  sind  in  7  Stufen  mit  grüner  Farbe  gegliedert. 
Obschon  man  darüber  streiten  kann,  ob  die  Mittelstädte  doppelt  erscheinen 
dürfen,  so  macht  die  Karte  doch  einen  befriedigenden  Eindruck,  weil 
die  Reichsiläche  sehr  grofs  ist  und  die  kleinen  Verwaltungsbezirke  ver- 
hältnismäfsig  kleine  Einheiten  sind.  Etwas  schwieriger  lag  die  Sache  bei 
den  18  Kartogrammen  am  Schlufs  desselben  Bandes,  welche  im  Mafsstab 
von  1:3000000  die  Bevölkerung  nach  dem  verhältnismüfsigen  Vorkommen 

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428 


Hermann  Losch: 


der  zu  den  einzelnen  Hauptberufsabteilungen  und  -gruppen  gehörigen  Personen 
der  Reihe  nach  darstellen.  Hier  wurden  bei  Land-  und  Forstwirtschaft 
Städte  von  unter  20000  Einwohnern  dem  umliegenden  Verwaltungsbezirk 
zugerechnet,  alle  gröfseren  Städte  weggelassen,  während  sonst  die  gröfseren 
Städte  besonders  ausgehoben  und  dargestellt  wurden.  Noch  schwieriger 
wurde  die  Kombination  bei  Band  112,  weither  von  den  landwirtschaftlichen 
Betrieben  handelt.  Hier  wurde  in  einer  Textkarte  von  1:5000000  die 
landwirtschaftliche  Bevölkerung  in  der  Art  ins  Verhältnis  zu  der  land- 
wirtschaftlichen Fläche  gesetzt,  dafs  berechnet  wurde,  wie  viele  zur  land- 
wirtschaftlichen Bevölkerung  gehörige  Personen  auf  100  ha  landwirtschaftlich 
benutzte  Flächen  kamen  (7  Stufen);  alle  Grofsstädtc  wurden  unberücksichtigt 
gelassen,  Städte  unter  100000  Einwohnern  dem  umliegenden  Verwaltungs- 
bezirke zugerechnet,  Von  den  7  Anhangskarten  im  Mafsstabe  1:3000000 
bietet  die  erste  die  durchschnittliche  GrÖfse  eines  landwirtschaftlichen  Be- 
triebes überhaupt  nach  kleinen  Verwaltungsbezirken  in  7  Abstufungen.  Trotz- 
dem dafs  die  Unterlage  eine  durchaus  fiktive  ist,  macht  diese  Karte  einen 
sehr  belehrenden  Eindruck,  weil  sie  den  vorherrschenden  Charakter  zum 
Ausdruck  bringt;  es  folgt  eine  Karte,  welche  „die  durchschnittliche  Gröfse 
der  Betriebe  von  1  ha  und  mehr  landwirtschaftlich  benutzter  Fläche"  (7 
Stufen)  bietet,  weiter  eine  Darstellung  des  Prozentsatzes  der  gesamten  land- 
wirtschattlich  benutzten  Fläche,  welche  die  Betriebe  mit  einer  landwirt- 
schaftlich benutzten  Fläche  von  weniger  als  2  ha  einnehmen,  d.  h.  eine 
Karte  der  Verbreitung  der  Parzellen  betriebe,  desgleichen  der  kleineu 
bäuerlichen  Betriebe  von  2—  5  ha,  desgleichen  der  mittleren  bäuerlichen  Be- 
triebe von  5 — 20  ha,  desgleichen  der  gröfseren  bäuerlichen  Betriebe  von 
20—100  ha,  und  schliefslich  der  landwirtschaftlichen  Grofsbe triebe  mit  100 
und  mehr  ha.  Man  wird  dem  Bearbeiter  dieser  Karten  das  Zeugnis  nicht  ver- 
sagen können,  dafs  er  innerhalb  des  Kahmens,  der  ihm  gegeben  war,  seine 
Aufgabe  sehr  geschickt  gelöst  hat,  Von  den  14  gröfseren  Karten  im  Mafsstab 
1:3000000,  welche,  dem  Bande  110,  der  „Gewerbe  und  Handel  im  Deut- 
schen Reich"  schildert,  beigegeben  sind,  befassen  sich  die  ersten  13  der 
Reihe  nach  damit,  vorzuführen  (7  Stufen),  wie  viele  Personen  auf  je  10000 
Einwohner  überhaupt  im  Jahre  1895  im  Jahresdurchschnitt  thätig  gewesen 
sind  in  Steinbruchbetrieben,  in  den  Betrieben  der  Glasindustrie,  Maschinen- 
industrie, chemischen  Grofsindustrie,  Spinnerei,  Weberei,  Strickerei  und  Wirkerei 
und  Posamenten,  Bleicherei-Färberei,  Papierfabrikation,  Lederfabrikation ,  ira 
Bäcker-  und  Konditorgewerbe,  in  Mälzerei  und  Brauerei,  in  der  Tabakfabrikation; 
die  letzte,  14.  Karte  stellt  die  gewerbthätigen  Personen  der  industriellen 
Grofsbetriebe  (mit  mehr  als  100  Personen)  nach  dem  Prozentsatze  (in 
7  Stufen)  dar,  den  diese  Personen  von  den  in  der  Industrie  überhaupt  ( aus- 
schließlich Bergbau-  und  Hüttenwesen)  beschäftigten  Personen  einnehmen. 

Vergegenwärtigt  man  sich  den  Inhalt  der  einzelnen  —  musterhaft  aus- 
geführten —  Karten,  so  wird  man  sagen  müssen,  dafs  sie  zur  Erleichterung 
und  Unterstützung  des  geistigen  Eindringens,  in  den  reichen  Thatbestand  der 
Zahlenmengen  insofern  wesentlich  beitragen,  als  sie  dem  Auge  mit  einem 
coup  d'oeil  das  vorführen,   was  dasselbe  Auge  soust  nur  durch  langsame 


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WirtschaftBstatistik,  Wirtschaftsgeogr.  u.  kartogr.  OarHtellung.  429 


Tabollcnlektüre  und  durch  einen  etwas  umständlichen  Abstraktionsvorgang 
und  Vergleichsakt  dem  Leser  vorführen  könnte.  Sie  breiten  eine  einzige 
Thatsache  anschaulich  und  übersichtlich  auf  eine  Fläche  aus  und  eröffnen 
uns  den  Grad  ihres  Vorkommens.  Nachdem  sie  auf  diese  Weise  zum  Auf- 
fassungsprozefs  sozusagen  angereizt  und  diesen  selbst  verkürzt  haben,  ist 
ihre  Bestimmung  erfüllt;  wir  schreiten  weiter,  um  immer  aufs  neue  mit  der- 
selben Schnelligkeit  unsere  Einzelvergleichung  zu  vollziehen.  Schließlich 
werden  wir  trotz  der  weisen  und  reichen  Abwechslung  in  den  Farben  etwas 
abgestumpft;  die  Vergleichung  halt  nur  von  Bild  zu  Bild  vor,  die  Bilder 
immer  wieder  derselben  Umrisse  fliefsen  in  einander  über,  und  wir  verlieren 
die  Einheit.  Disjectn  membra  füllen  unser  Hirn,  das  einigende  Band  ist 
verloren,  das  Wirkliche  ist  zerstückt,  in  seine  Bestandteile  aufgelöst;  diese 
sind  in  Fesseln  geschlagen,  unbeweglich  starren  sie  uns  an  und  harren  des- 
jenigen, der  sie  wieder  zum  organischen  Leben  zurück  einreiht  und  so  ent- 
zaubert. 

Diese  kritische  Betrachtung  soll,  um  das  zur  Vermeidung  von  Miß- 
verständnissen sogleich  zu  betonen,  dem  relativen  Wert,  ja  der  Unvermeid- 
lichkeit solcher  anreizenden  und  reizenden  Kartogramme  keinerlei  Abbruch 
thun,  sie  soll  nur  hervorheben,  dafs  dem  kombinierenden  Verstände  ungleich 
weitere  Anschauungskraft  beiwohnt,  als  dem  anschauenden  Auge  je  wird 
unterbreitet  werden  können.  Wie  sehr  dieser  kartographische  Anschauungs- 
unterricht, durch  Verwandlung  von  Tabellen  in  Karten  niederschlage  unterstützt, 
in  neuerer  Zeit  bei  der  hohen  Entwicklung  der  graphischeu  Künste  das  Ver- 
ständnis und  das  Interesse  auch  des  Laienpublikums  für  geographische  und 
statistische  Forschungen  gefördert  hat,  beweisen  sehr  viele  Thatsachen;  so 
vor  allem  die  neuerdings  von  allen  gröfseren  Zeitungen  gegebenen  Wetter- 
karten, Kartogramme  über  Volkszahlen  u.  s.  f.,  welche  in  Form  von  zahlreich 
reproduzierten  Cliches  nicht  nur  Zeitschriften,  sondern  immer  mehr  auch 
gröfsere  Lokalzeitungen  abwechslungsreicher  machen.  Der  Verfasser  dieser 
Zeilen  hat  sich  bei  seinem  Besuche  der  Pariser  Weltausstellung  im  August 
1900  bemüht,  dieser  Seite  der  fast  unendlichen  Fülle  ausgestellter  Gegen- 
stände einige  Aufmerksamkeit  zuzuwenden;  er  ist  jedoch  leider  zu  einem  sehr 
unbefriedigenden  Ergebnis  gekommen,  denn  die  an  Planlosigkeit  streifende 
Aufnahme  von  graphischen  Darstellungen  aller  Arten  hat  zur  Folge  gehabt, 
dafs  recht  unwichtige  Dinge  manchmal  in  anspruchsvollen,  mehrere  qm 
füllenden  Kartenbildem  dem  Beschauer  sich  förmlich  aufdrängten,  während 
öfter  sehr  wichtige  derartige  Darstellungen  nicht  nur  in  bescheidenem  Format 
auftraten,  sondern  noch  dazu  so  gehängt  waren,  dafs  die  Luchsaugen  eines 
Indianers  dazu  gehört  haben,  sie  zu  entziffern.  Zu  den  besten  derartigen 
Darbietungen  —  allerdings  zumeist  nicht  speziell  kartographischer,  sondern 
graphischer  bezw.  kubischer  Art  —  gehörten,  was  hier  beiläufig  bemerkt  sein 
mag,  die  vom  Keichsversicherungsamte,  Reichsgesundheitsamte  und  Kaiser- 
lichen Statistischen  Amte  des  Deutschen  Reiches  vorgeführten  Durstellungen. 

Verweilen  wir  nunmehr  gerade  bei  den  oben  erwähnten  kartographischen 
Darbietungen  des  Kaiserlichen  Statistischen  Amtes  über  die  Verbreitung  und 
Entfaltung  des  gewerblichen  Lebens  im  Deutschen  Reiche,  um  an  diesem 


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480 


Hermann  Losch: 


verhältnismäfsig  schwierigen  Gebiete  kurz  und  andeutungsweise  zu  veran- 
schaulichen, was  in  Frage  steht. 

Ein  Kartenbild  in  dem  erwähnten  Bande  119  der  Statistik  des  Deut- 
schen Reichs  Neue  Folge  zeigt  uns  beispielsweise,  wie  viele  Bäckerei-  und 
Konditoreipersonen  auf  je  10  000  Einwohner  überhaupt  im  Deutschen  Reiche 
durch  alle  kleineren  Verwaltungsbezirke  hindurch  vorkommen.  Gut;  das  ist 
ein  Bild;  wir  müssen  dankbar  sein,  dafs  wir  es  erhalten,  und  sind  es 
auch.  Aber  wir  legen  Wert  darauf,  zu  wissen,  ob  die  Bäcker  und  Konditoren 
auf  dem  Lande  draufsen  seltener  vorkommen  als  in  den  Klein-,  Mittel- 
und  Grofsstädten ,  und  wir  möchten  ferner  wissen,  ob  die  Fleischer  eine 
ähnliche,  wenn  auch  verhältnismäfsig  weniger  dichte  Verbreitung  haben  oder 

* 

nicht.  Da  die  Städte  nur  teilweise  ausgenommen  sind,  und  da  die  Fleischer 
wegen  ihrer  verhältnismäßig  kleineren  absoluten  Zahl  keine  Aufnahme  in 
die  kartographischen  Darstellungen  finden  konnten,  so  lassen  uns  die  Karten 
darüber  im  Stich.  Wie  Bäcker  und  Fleischer,  so  sind  naturgemäfs  auch 
noch  viele  andere  Gewerbe  recht  ungleichmäfsig  verbreitet.  Sehr  viele  Ge- 
werbe und  Berufe  können  überhaupt  erst  dann  sich  als  solche  entwickeln, 
wenn  die  Menschenanhäufungen  eine  gewisse  Ziffer  erreicht  haben  und  zwar 
in  städtischer  Form.  Man  braucht  dabei  noch  nicht  einmal  nur  an  Theater 
und  Zirkus,  au  Plakatinstitute,  Droschkenkutschereien  und  Strafscnbahnen  etc. 
zu  denken.  Wer  also  hier  weiter  dringen  will,  mufs  sein  Auge  von 
dem  Kartenwerke  ab-  und  den  Tabellen  zuwenden.  Die  Statistiker  haben 
hier  den  Kreis  ihrer  Darstellungen  in  der  That  viel  weiter  gezogen,  indem 
sie  nicht  nur  die  Grofsstädte  —  im  Jahre  1895  waren  es  deren  28,  vgl. 
Statistik  des  Deutschen  Reiches,  Neue  Folge  Band  116  —  einzeln  für  sich 
herausgestellt,  sondern  auch  die  Gemeinden  in  5  Ortsgröfsenklassen  (bis  2000 
Einwohner,  2000  bis  5000,  5000  bis  20  000,  20  000  bis  100  000,  100  000 
und  mehr)  eingeteilt  haben,  wenigstens  für  die  Berufsverhältnisse  der  Per- 
sonen (Band  110).  Dadurch  ist  ein  Material  gegeben,  welches  einer  karto- 
graphischen Darstellung  gegenüber  sich  zunächst  spröde  verhält,  welches 
jedoch  zu  geographischer  Forschung  dringend  einlädt. 

Aus  solchen  Erwägungen  heraus  ist  festzustellen,  dafs  demjenigen, 
welcher  wirtschaftswissenschaftlich  halbwegs  gründliche  Einblicke 
gewinnen  will,  weder  die  letzte  Summe  für  die  Betriebe,  die  Fläche,  die  Per- 
sonen, noch  eine  einzelne  Verhältnisberechnung,  welche  kartographisch  niederge- 
schlagen ist,  genügen  können.  Was  ihm  vonnöten  ist,  das  ist  die  möglichste 
Durchsichtigkeit  der  Teile,  und  zwar  sachlich  wie  geographisch.  In  dieser 
Hinsicht  ist  die  in  erster  Linie  auf  frühere  Zeiten  sich  erstreckende  Klage 
Georg  von  Mayr's  über  die  Tabellenfurcht  der  Statistiker  berechtigt, 
denn  der  Kernpunkt  bei  jeder  Darstellung  nach  statistischen  Gesichtspunkten 
ist  der  Grad  der  sachlichen  und  der  geographischen  Ausgliede- 
rung. Dabei  ist  aber  wohl  zu  beachten,  dafs  sehr  viele  Gegenstände  dieser 
Ausgliederung  teils  gar  nicht  bedürfen,  teils  ihrer  gar  nicht  wert  sind.  Inso-  • 
fern  also  ist  die  Handhabung  des  Durchleuchtungswerkzeugs  an  gewisse 
Voraussetzungen  geknüpft,  welche  durch  den  Ideen-  und  Interessenkreis  des 
Handhabenden  bestimmt  werden.    Man  braucht  nur  statistische  Quellenwerke 


Wirtschaftsstatistik,  Wirtschaftsgeogr.  u.  kartogr.  Darstellung.  431 


exotischer  oder  halbkultivierter  Staaten  durchzublättern,  um  zu  erkennen, 
dafs  minutiöse  und  kompendiöse  Durchschnitts-  und  Prozentberechnungen 
dem  Fluche  der  Lächerlichkeit  und  gleichzeitigen  Unfruchtbarkeit  verfallen 
müssen,  wenn  die  Unterlagen  von  Hause  aus  nachgewiosenermafsen  einen 
gewissen  Grad  von  Unvollständigkeit  oder  Unzuverlässigkeit  erreichen  oder  gar 
überschreiten.  Auf  Beispiele  kann  in  diesem  Zusammenhang  verzichtet  werden. 

In  welcher  Weise  sollen  nun  aber  die  Wirtschaftsstatistik  und  die 
Wirtschaftsgeographie  Hand  in  Hand  arbeiten?  Man  wird  hierauf  zunächst 
die  Antwort  zu  geben  haben,  dafs  die  Wirtschaftsstatistik  niemals  nur  un- 
teilbare Durchschnittsziffern  bieten  darf,  wo  die  Wirtschaftsgeographie  noch 
weitere  Zerlegung  nach  Teilen  unbedingt  nötig  hat,  und  umgekehrt,  dafs 
die  Wirtschaftsgeographie  nie  soweit  zur  Alleinherrschaft  ihrer  Interessen 
hintreiben  darf,  dafs  überall  nur  Teile  sachlicher  Einteilungen  und  Gliede- 
rungen erscheinen,  während  die  organische  Zusammenfassung  der  Kleinwelten 
vernachlässigt  oder  ganz  unterlassen  wird.  So  abgegriffen  die  Begriffe  Ma- 
krokosmos und  Mikrokosmos  erscheinen  mögen,  hier  möchte  ich  sie  allen 
Ernstes  als  zwei  berechtigt«  Pole  einander  gegenüberstellen,  denn  es  ist  an 
sich  nicht  minder  wahr,  dafs  in  kleinem  Zusammenhange  sich  grofse  Wir- 
kungen zusammenfinden  und  zusammenspielen,  wie.  es  wahr  ist,  dafs  man, 
vom  ewigen  Eise  des  Nordens  kommend,  durch  alle  Zonen  hindurch  nicht 
etwa  bis  zur  heifsen  nur  durchdringt,  sondern  am  südlichen  Punkte  wieder 
beim  —  Eise  anlangt;  die  Betrachtung  eines  Gegenstandes  durch  grofse 
Räume  hindurch  ersetzt  nie  die  Betrachtung  vieler  Gegenstände  in  kleinem, 
abgemessenem  Räume! 

Von  diesen  Gesichtspunkten  aus  darf  in  diesem  Zusammenhang  darge- 
legt  werden,   in  welcher  Weise  seitens  des  Bundesstaats  und  Reichsteils 
Württemberg  gelegentlich  der  Bearbeitung  und  Veröffentlichung  der  Er- 
gebnisse der  grofsen  wirtschaftlichen  Untersuchung  der  Berufs-  und  Betriebs- 
Zählung  der  Versuch  gemacht  worden  ist,  den  Interessen  der  sachlichen  wie 
der  geographischen  Ausgliederung  gleichzeitig  zu  dienen.     Der  reiche  Stoff 
der  Berufstabellen,  der  Tabellen  der  landwirtschaftlichen  und  der  gewerb- 
lichen Betriebsstatistik  wurde  in  einem  besonderen  Bande  (  Ergänzungsband  I 
zu  den  Württembergischen  Jahrbüchern  für  Statistik  und  Landeskunde)  im 
ganzen  analog  der  Behandlung,  welche  die  Reichszahlen  erfahren  hatten, 
veröffentlicht  und  auch  textlich  besprochen.    Hier  war  es  aber  nicht  mög- 
lich, die  Schwierigkeiten  allseitig  zu  umschiffen,   welche  daraus  entstehen, 
dafs  schon  das  grofse  Reichswerk  sich  nicht  nur  auf  die  Bundesstaaten, 
sondern  bis  auf  die  einzelnen  Grofsstüdte,  ja  auch  kleinere  Verwaltungs- 
bezirke erstreckt.     Es  mufste  also  sehr  viel,  was  schon  im  Roichswerk  in 
gröfserem  Zusammenhange  versteckt  vorliegt,  nochmals  godruckt  und  geboten 
werden;  manches  kam  neu  dazu,  Einzelnes  mufste  zurückgestellt  werden,  da 
den  Bundesstaaten  seitens  des  Reiches  keinerlei  Mittel  für  Veröffentlichungs- 
zwecke zur  Verfügung  standen.     Dies  war  denn  auch  die  Ursache  davon, 
dafs  die  Veröffentlichungen  aus  den  Ergebnissen   dieses  grofsen  Zählwerks 
seitens  der  Bundesstaaten  sehr  ungleichartig  sind  und  nach  den  verschie- 
densten theoretischen  wie  praktischen  Erwägungen  erfolgten.     Das  lag  und 


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432 


Hermann  Losch: 


liegt  in  der  Natur  der  Sache,  in  der  eigentümlichen  Mischung  von  gröfseren, 
mittleren  und  kleineren  Hundesstaaten,  deren  sich  das  Deutsche  Reich  erfreut. 
Ohne  damit  irgend  einen  Vorwurf  nach  irgend  einer  Seite  hin  aussprechen 
zu  wollen,  wird  gesagt  werden  dürfen,  dafs  die  Durcharbeitung  der  Ta- 
bellen seitens  des  Kaiserlichen  Statistischen  Amtes  für  den  Zweck  der  Ver- 
öffentlichung so  vortrefflich  war,  dafs  einer  besonderen  Darstellung  für  ein- 
zelne Hundesstaaten  bezüglich  der  Auswahl  des  zu  Bietenden  allerlei  Be- 
denken schon  von  vornherein  begegneten.  Es  darf  jedoch  gerade  in  diesem 
Zusammenhange  die  Bemerkung  nicht  unterdrückt  werden,  dafs  die  grund- 
sätzliche Erörterung  über  das  Mafs  von  Ausgliedemng  und  Bearbeitung  nach 
geographischen  Gesichtspunkten  nunmehr  zu  einer  Aufgabe  der  sta- 
tistischen Zentralstellen  innerhalb  des  Deutschen  Reiches  herangereift  ist,  und 
zwar  zu  einer  Aufgabe,  welche  durch  die  Reichsstatistik  nur  in  Verbindung 
mit  der  bundesstaatlichen  und  der  städtischen  Statistik  einer  gedeihlichen 
Lösung  entgegengeführt  werden  kann;  denn  die  praktische  Bedeutung  der 
Statistik  kann  nur  hohen  Gewinn  daraus  ziehen,  dafs  durch  eine  zielbewufste 
konzentrische  Zusammenarbeit  den  immer  zahlreicher  werdenden  „Konsumen- 
ten" ihrer  Darbietungen  das  Fortschreiten  vom  Gesamtbilde  zu  den  Einzel- 
bildern so  viel  als  möglich  erleichtert  wird.  Dazu  werden  den  deutschen 
Statistikern  die  internationalen  Kongresse  in  absehbarer  Zeit  vermutlich 
weniger  verhelfen  als  die  nationalen,  denn  die  Stärke  der  deutschen  Statistik 
beruht  eben  darin,  dafs  sie  nicht  etwa  nur  aus  einem  ad  hoc  aus  dem 
Boden  gestampften  Zentralamte  besteht,  welches  seinen  Ehrgeiz  in  die  fabrik- 
mäfsige  Herstellung  von  maschinenmäfsig  kalkulierten  Tabellen  setzt,  sondern 
aus  einer  Reihe  geschichtlich  gegebener,  landeskundlich  vorgeschulter  Stellen, 
welche  eben  in  sich  schon  den  Vorzug  und  das  Bestreben  haben,  dem  lokalen 
Gesamtbilde  gegenüber  der  lokalen  Teilmasse  von  statistischen  Angaben  seine 
Berechtigung  zu  sichern. 

So  zeigte  sich  z.  B.  in  Württemberg  gerade  bei  dem  in  Rede  stehenden 
Zählwerke  schon  im  Laufe  der  Bearbeitung  das  Bedürfnis,  bis  zu  den  ein- 
zelnen Gemeinden  hinaus  vorzudringen;  dies  schien  schon  deshalb  erforder- 
lich, weil  diesen  als  selbständigen  Verwaltungskörpern  eine  mindestens  ebenso 
grofse  Bedeutung  zukommt,  wie  den  sogenannten  „kleineren  Verwaltungs- 
bezirken" (den  württembergischeu  „Oberamtsbezirken").  Es  trat  demnach 
das  Bedürfnis  hervor,  auch  für  sie  eine  übersichtliche  Darstellung  der  wich- 
tigsten Ziffern  zu  geben,  und  dabei  schien  es  angezeigt,  nicht  nur  an  den 
durch  jene  grofse  Zählungen  des  Sommers  1895  festgestellten  Merkmalen 
haften  zu  bleiben,  sondern  den  Kreis  der  wichtigen  Thatsachen  noch  zu 
erweitern  und  zwar  soweit,  dafs  die  Gesamtheit  der  vorgeführten  Merkmale 
einen  möglichst  zutreffenden  Einblick  vor  allem  in  den  wirtschaftlichen  Ge- 
samtcharakter der  Gemeinde  biete.  Auf  diese  Weise  ist  für  Württemberg 
ein  Ergänzungsband  II  zu  den  Württembergischen  Jahrbüchern  entstanden, 
welcher  den  Titel  „Grundlagen  einer  württembergischen  Gemeinde- 
statistik" erhielt,  und  welchem  eine  Markungskarte  des  Königreichs  im 
Mafsstab  von  1: 350  000  beigegeben  wurde,  welche  nicht  nur  die  Grenzen 
der  kleineren  Verwaltungsbezirke  und  das  Flufsnetz,  sondern  auch  die  Gren- 


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Wirtachaftsstatietik,  Wirtschaf  tsgeogr.  u.  kartogr.  Darstellung.  433 


zen  der  1911  Gemeinden  unter  begrenzter  typographischer  Verschiedenheit  ^ 
enthalt.    Die  70  Spalten  aber  geben  für  jede  der  1911  Gemeinden  in  der 
Reihenfolge  des  Hof-  und  Staatshandbuchs  folgende  Thatsachen: 

1.  Name  und  Art  der  Gemeinde.  2.  Einwohner  am  2.  Dezbr.  1896. 
3.  Darunter  weibliche.  4.  Haushaltungen.  5.  Einwohner  am  1.  Dezember  1871. 
6.  Einwohner  am  15.  Dezember  1834.  7.  8.  Ortsgebürtige  männliche  und  weibliche 
Personen  am  2.  Dezbr.  1895.  9.  Unter  14  Jahre  alte  Personen  am  2.  Dezember 
1895.  10.,  11.  und  12.:  Evangelische,  Katholiken,  andere  Religionsbekenner  am 
2.  Dezember  1895.  13.  bis  26.  :  Berufsbevölkerung  am  14.  Juni  1895  und  zwar  je 
„Selbständige  Erwerbstätige",  „Unselbständige  Erwerbstätige"  und  Gesamtbevöl- 
kerung nach  den  Berufsabteilungen:  A.  Landwirtschaft,  B.  Industrie,  C.  Handel, 
Verkehr  und  Gastwirtschaften,  D.  wechselnde  Lohnarbeit,  E.  Armee,  Hof-,  Staat«-, 
Gemeindedienst,  freie  Berufe  und  F.  Beruf  lose.  27.  Höhenlage,  geognostische 
Gruppe.  28.  Markungsfläche.  29.  Staatswald.  30.  Körperschaftawald.  31.  Privat- 
wald. 32.  Landwirtschaftlich  benützte  Fläche.  33.  bis  50.  Zahl  und  Flache  der 
landwirtschaftlichen  Betriebe  am  14.  Juni  1895  nach  8  Größenklassen.  51.  Pferde 
am  1.  Dezember  1895  desgl.  52.  Rindvieh  überhaupt.  53.  Rindvieh  über  zwei 
Jahre  alt.  54.  Schafe.  55.  Schweine.  5G.  Ziegen.  57.  Geflügel.  58.  Hühner. 
59.  Gewerbliche  Alleinbetriebe  ohne  Motoren.  60.  61.  ZaM  und  beschäftigte  Personen 
der  sonstigen  Gewerbebetriebe.  62.  63.  Haupt-  und  Nebengebäude  am  1.  Januar 
1897.  64.  BrandversicherungBanschlag.  65.  66.  Ortsüblicher  Tagelohn  der  über 
16  Jahre  alten  männlichen  und  weiblichen  Arbeitskräfte  am  1.  Januar  1898. 
67.    Staatssteuer.    68.  Amtsschaden.    69.  Gemeindeschaden. 

Der  Fachmann  wird  unschwer  erkennen,  dafs  in  der  Reihe  dieser  An- 
gaben manche  Einzelheiten  fehlen,  welche  ebenfalls  noch  von  Belang  wären. 
Dessen  war  man  sich  auch  vollständig  bewufst  und  eben  deshalb  sind  es 
auch  nur  „Grundlagen". 

Aber  damit  war  der  Bereich  dessen,  was  an  praktisch  wichtigen  Einzel- 
ergebnissen geboten  werden  konnte,  noch  nicht  erschöpft.  Aus  den  Spalten 
16  bis  18  und  59  bis  61  der  „Gemeindestatistik14  kann  man  zwar  ohne 
weiteres  ersehen,  ob  in  einer  Gemeinde  das  gewerbliche  Leben  eine  gewisse 
Entfaltung  erreicht  hat  oder  nicht,  allein  die  nähere  Natur  dieser  Entfaltung 
bleibt  unaufgerollt.  Hier  setzt  noch  ein  dritter  Ergänzungsband  (ÜI)  ein, 
welcher  die  Sitze  der  Gewerbebetriebe  am  14.  Juni  1895  nach  den  1911  Ge- 
meinden in  zweifacher  Gliederung  aufzeigt.  Dieser  Band,  welcher  „die 
Standorte  der  Gewerbe  Württembergs  nach  Gemeinden  am  14.  Juni  1895" 
bietet  und  den  Untertitel  „Gewerbetopographie44  führt,  giebt  zunächst 
ein  alphabetisches  und  systematisches  Verzeichnis  der  Gewerbearten,  sodann 
giebt  er  in  seinem  umfangreichsten  Teile  die  Darstellung  dieser  Gewerbe- 
arten nach  ihrer  geographischen  Verbreitung  in  den  einzelnen  Genminden, 
schliefslich  folgt  ein  alphabetisches  Gemeinderegister,  in  dem  bei  jeder  Ge- 
meinde diejenigen  Seitenzahlen  aufgeführt  sind,  auf  welchen  ein  Gewerbe 
vorkommt,  das  im  geographischen  Teile  erscheint.  Die  sachliche  Ausgliederung 
giebt  für  jede  Gemeinde  die  Zahl  der  Alleinbetriebe  und  zwar  sowohl  der 
Haupt-  als  der  Nebenbetriebe,  ferner  die  Gehilfenbetriebe,  ebenfalls  nach 
Haupt-  und  Nebenbetrieben  geschieden,  und  schliefslich  die  Gesamtzahl  der 
in  den  Hauptbetrieben  beschäftigten  Personen,  also  alle  hauptberuflich  dem 
hetrpffenden  Gewerbe  angehörigen  Personen  in  einer  Summe.  Der  ganze 
Band  umfaßt  405  Seiten. 

• 


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434     H.  Losch:  Wirtschaftsstat,  Wirtschaftstfcogr.  u.  kartofjr.  Darst. 

Damit  ist  wiederum  typisch  die  Doppelnatur  der  praktischen  Bedürfnisse 
wie  der  wissenschaftlichen  Zusammenfassung  aufgezeigt.  Man  will  wissen, 
wie  sich  dieses  oder  jenes  Gewerhe  auf  die  einzelnen  Menschenanhäufungen 
verteilt,  und  man  will  wissen,  welche  verschiedenen  Gewerbe  in  diesen  ver- 
schiedenen Menschenanhäufungen  neben  einander  vorkommen.  Das  Geo- 
graphische ist  beidemal  von  Interesse;  aber  in  der  ersten  Betrachtung  wird 
eine  besondere  Erscheinung  über  die  ganze  Flache  hin  verfolgt,  in  der  zweiten 
wird  eine  besondere  Flache  auf  alle  ihre  (gewerblichen)  Erscheinungen  hin 
verfolgt. 

Das  näher  Liegende  ist  das  letztere.  Ein  kleiner  Umkreis  verschiedener 
Dinge  auf  engem  Raum  lilfst  sich  leichter  beherrschen  als  ein  einziger 
Gegenstand  auf  weitem  Raum.  Die  Gewerbe  an  einem  Orte  alle  zusammen 
lassen  sich  leichter  kennen  lernen  als  ein  einziges  Gewerbe  im  ganzen  Lande. 
Wie  die  Stadtwirtschaft  der  Volkswirtschaft  geschichtlich  vorangeht,  so 
schreitet  die  Bezirksbeschreibung  der  Landesbeschreibung  voran,  und  dieser 
erst  kann  die  planmäfsige  Sachbeschreibung  mit  der  Fülle  der  geographischen 
Einzelheiten  folgen. 

Für  den  Ergänzungsband  III,  welcher  die  „Gewerbetopographie1'  in  dem 
oben  kurz  dargelegten  Umfang  enthält,  hat  sich  denn  auch  sofort  noch 
während  seines  Entstehens  seitens  der  Verwaltungsbehörden  ein  lebhaftes 
Interesse  gezeigt,  welches  auch  bezüglich  des  zweiten  Ergänzungsbands  zu 
beobachten  war;  beide  ergänzen  und  beleben  sich  ja  gegenseitig  in  mancher 
Hinsicht.  Insbesondere  für  die  gegenwärtig  im  Flufs  befindlichen  Fragen 
über  Organisation  und  Unterstützung  des  Handwerks  giebt  eine  Gewerbe- 
topographie, die  sich  auf  alle  Gemeinden  erstreckt,  uaturgemäfs  erschöpfendere 
Auskunft  als  Enqueten,  welchen  doch  immer  oder  wenigstens  fast  immer 
etwas  Zufälliges  und  Unvollkommenes  anhaftet, 

Es  wird  nunmehr  die  Aufgabe  der  Fachmänner  in  den  einschlägigen 
Gebieten  sein,  diese  Darbietungen  nach  ihrer  wissenschaftlichen,  wie  nach  ihrer 
praktischen  Brauchbarkeit  hin  zu  prüfen.  Freilich  wird  das  Interesse  bei  der 
verhältnismäfsigen  Kleinheit  eines  Bundesstaates  von  wenig  über  zwei  Millionen 
Einwohnern  speziell  für  den  wissenschaftlichen  Geographen  zunächst  ein 
beschränktes  sein,  zumal  wenn  man  den  ungeheuren  Wissensstoff  bedenkt, 
welcher  ihm  beinahe  von  Tag  zu  Tag  zuströmt.  Aber  wie  sich  im  Detail- 
bilde sehr  oft  grofse  und  allgemeine  Fragen  kristallisieren,  so  darf  vielleicht 
auch  gehofft  werden,  dafs  die  Wissenschaft  an  diesen  gewifs  nicht  voll- 
kommenen Versuchen  manches  findet,  was  der  Theorie  oder  den  Theorien 
Anlafs  zur  Weiterbildung  oder  zur  Weiterverfolgung  zu  bieten  vermag,  wie 
denn  auch  im  vorliegenden  Zusammenhang  die  erwähnten  Veröffentlichungen 
nicht  wegen  ihres  materiellen  Inhalts,  sondern  wegen  der  Art  ihrer  Anlage 
und  ihres  allgemeinen  Zwecks  vorgeführt  worden  sind. 


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Rob.  Gradmann:  Das  mitteleuropäische  Landschaftsbild  etc.  435 

% 

Das  mitteleuropäische.  Landschaftsbild  nach  seiner  geschichtlichen 

Entwicklung. 

Von  Ür.  Rob.  Gradmann  in  Forchtenberg  (Württemberg). 

(Schlafs.) 

IV. 

Wie  sich  auf  der  gewonnenen  Grundlage  die  Entwicklungsgeschichte 
der  mitteleuropäischen  Landschaft  etwa  aufbauen  wird,  soll  die  folgende, 
mehr  nur  andeutende  als  ausführende  Ubersicht  zeigen.    Wir  unterscheiden: 

1.  Die  vorrömische  Zeit.  Sie  ist  bezeichnet  durch  das  Fehlen  jeder 
Rodung  im  gröfseren  Stil.  Das  erste  nachweisbare  Auftreten  des  Menschen 
fällt  noch  in  eine  Interglazialzeit,  und  insofern  könnte  man  die  Umwälzungen, 
welche  die  letzte  grofse  Vergletscherung  mit  sich  gebracht  hat,  noch  in  den 
geschichtlichen  Zeitraum,  wenn  man  den  Rahmen  recht  weit  fassen  will,  ein- 
•  beziehen.  Es  wird  sich  jedoch  mehr  empfehlen,  diese  Dinge  der  Geologie 
zu  überlassen  und  erst  mit  dem  Zeitpunkt  einzusetzen,  wo  der  Mensch  be- 
gonnen hat,  seinen  Einflufs  auf  die  Landschaft  geltend  zu  machen.  Dieser 
Zeitpunkt  läfst  sich  freilich  zunächst  nur  soweit  bestimmen,  dafs  wir  sagen 
können:  er  fällt  noch  in  die  Steinzeit,  und  die  Wirkungen  des  Steppen- 
klimas können  damals  noch  nicht  ganz  verklungen  sein.  Der  paläo- 
lithische  Mensch  hat  sicher  noch  in  einer  mitteleuropäischen  Steppenlandschaft 
gelebt;  das  beweisen  neben  anderen  die  Funde  vom  Schweizersbild1)  aufs 
unwiderleglichste.  Ob  er  aber  schon  Herden  besafs  und  zahlreich  genug 
war,  um  die  alten  Steppenflächen  einer  wieder  eindringenden  Waldvegetation 
gegenüber  zu  behaupten  und  als  Kulturflächen  bereits  der  neolithischen  Zeit 
zu  hinterlassen,  ist  mindestens  zweifelhaft.  Auch  sind  die  Anzeichen  einer 
zeitlichen  Kluft  zwischen  paliiolithischer  und  neolithischer  Kultur  zwar  neuer- 
dings angezweifelt,  aber  doch  nicht  ganz  beseitigt.  Wir  müssen  daher  vor- 
läufig trotz  der  Thatsache,  dafs  in  neolithischen  Schichten  bisher  nur  Über- 
reste von  Waldtieren,  nicht  von  Steppentieren  aufgefunden  wurden,  eher  zu 
der  Annahme  neigen,  dafs  auch  der  neolithische  Mensch  noch  vor  der  vollen 
Herrschaft  des  gegenwärtigen  Waldklinias,  also  gleichsam  noch  gerade  vor 
Thorschlufs  seinen  Einzug  in  Mitteleuropa  gehalten  und  daselbst  weite  Strecken 
noch  in  natürlich  waldfreiem  oder  doch  waldarmem  Zustande  vorgefunden  hat. 
Wie  sich  das  nun  auch  herausstellen  mag,  jedenfalls  sind  die  von  der  Natur 
gezogenen  Grundlinien  für  die  spätere  Bcsiedlungs-  und  damit  auch  die  Land- 
schaftsgeschichte auf  Jahrtausende  hinaus  mafsgebend  geblieben. 

Man  hat  früher  gemeint,  die  ersten  Ansiedler  haben  sich  in  der  Wahl 
ihrer  Wohnplätze  durch  die  gröfsere  oder  geringere  Fruchtbarkeit  bestimmen 
lassen,  und  aus  diesem  Grund  seien  auch  von  späteren  Kulturen  immer 
wieder  die  alten  Bezirke  aufgesucht  worden.     Wie  wenig  sich  diese  Vor- 

1)  Jakob  Nuesch,  Des  Schweizersbild  (Neue  DenkBchr.  allg.  Schweiz.  Ges.  f. 
d.  ges.  Naturwissensch.  Bd.  35.  1896)  beB.  S.  249  ff. 


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436 


Hob.  Gradmann: 


Stellung  mit  den  wenig  entwickelten  Kulturzuständcn  einer  so  weit  zurück- 
liegenden Zeit  verträgt,  hat  Penck  bereits  gezeigt1);  sie  deckt  sich  aber  auch 
gar  nicht  mit  den  Thatsachen.  Der  Löfs,  dieser  alte  Steppenboden,  zeichnet 
sich  allerdings  durch  besondere  Fruchtbarkeit  aus,  und  dieser  Umstand  hat 
wohl  am  meisten  irregeführt  und  den  wirklichen  Thatbestand  verdunkelt. 
Aber  durchaus  nicht  alle  alten  Kulturbezirke  sind  fruchtbar;  das  schlagendste 
Beispiel  liefert  die  Schwäbische  Alb.  Dire  steinige,  wasserarme  Hochfläche 
scheint  durchaus  nicht  besonders  zur  Besiedlung  einzuladen;  thatsächlich  ist 
sie  auch  heute  nur  sehr  dünn  bevölkert.  Trotzdem  gehört  sie  zu  den  aller- 
Ultesteu  Teilen  der  mitteleuropäischen  Kulturlandschaft;  sie  war  schon  seit 
ungezählten  Jahrhunderten  bewohnt,  als  noch  z.  B.  das  Neckarthal  oberhalb 
Heidelberg,  das  Itemsthal,  die  milden  Thäler  des  Schwarzwalds  oder  die 
Umgebung  des  Vierwaldstättersees  menschenleere  Wildnisse  darstellten;  aber 
sie  war  waldfrei,  und  darum  wurde  sie  schon  in  den  frühesten  Zeiten  auf- 
gesucht. 

Das  Vorurteil,  welches  mit  dem  Worte  Steppe  ohne  weiteres  die  Vor- 
stellung einer  öden,  unwirtlichen  Landschaft  verbindet,  ist  ja  längst  wider- 
legt2). Diese  Vorstellung  trifft  auf  die  Steppen  Innerasiens  da,  wo  sie  in 
Wüste  übergehen,  allerdings  zu,  nicht  aber  auf  den  Grenzgürtel  zwischen  Steppe 
und  Waldland,  die  sogenannte  Waldsteppe,  nach  deren  Analogie  man  sich 
die  mitteleuropäische  Landschaft  zur  Zeit  der  ersten  menschlichen  Besiedlung 
zu  denken  hat  :  steppenartiges  Grasland  mit  Wäldern  abwechselnd  und  durch 
mancherlei  Übergänge  verbunden.  Hier  ist  zumal  für  niedere  Kulturstufen 
der  allerwohnlichste  Aufcuthalt,  Raum  für  freie  Bewegung,  üppige  Weide, 
reicher  Wildstand,  viel  reicher  als  in  der  Tiefe  des  Urwalds.  Gerade  der- 
artige Landschaften  haben  sich  überall  in  der  alten  wie  in  der  neuen  Welt 
am  frühesten  und  dichtesten  besiedelt3).  Ja  man  wird  Nehring  darin  ohne 
weiteres  beistiuunen  müssen,  dafs  in  einer  steppenartigen  Landschaft  die 
Wiege  der  Menschheit  gestanden  haben  muls.  Hierhin  und  nicht  in  den 
Urwald  weist  ihn  seine  ganze  Organisation;  der  Steppe  entstammen  unsere 
sämtlichen  Getreidearten,  wie  auch  einige  unsrer  wichtigsten  Haustiere,  jeden- 
falls das  Pferd  und  das  Schaf,  vielleicht  auch  das  Rind. 

Den  ihm  so  sehr  zusagenden  Landschaftscharakter  wufste  nun  der  mittel- 
europäische Mensch  auch  unter  einem  allmählich  feuchter  werdende::  Klima 
zu  erhalten,  jedenfalls  ohne  viel  Kunst  und  sicher  ohne  Bewußtsein  dessen, 
was  er  damit  vollbrachte.  Seine  Herden  sorgten  schon  von  selbst  dafür, 
dafs  auf  den  Weideplätzen  kein  Waldwuchs  aufkam;  dann  und  wann  mag 
auch  die  Axt  nachgeholfen  haben,  um  etwaigen  Waldanflug  wieder  zu  besei- 
tigen; er  diente  ja  zugleich  zur  Feuerung.  Die  alte  Ursteppe  wurde  so 
ganz  unmerklich  zur  Kultursteppe,  wie  Middendorff  das  europäische  Kultur- 
land wegen  seiner  grofsen  landschaftlichen  und  auch  fnuiistischen  Ähnlichkeit 
mit  den  Steppen  Sibiriens  genannt  hat*). 


1    Vgl.  oben  S.  371.      S\  Bes.  von  Nebring  -  Über  Tundren  u.  Steppen  1890). 

3)  Ratzel,  Antbropogeotfraphie  IHH'>  S.  388. 

4)  Reise  in  den  äußersten  Norden  und  Osten  Sibiriens  IV  S.  731. 


Das  mitteleurop.  Landschaftsbild  nach  seiner  gcsehichtl.  Entwickl.  437 


Übrigens  waren  die  alten  Steppen  nicht  der  einzige  Landschaftstypus, 
der  sich  in  neolithischer  Zeit  bevölkerte;  im  Westen  und  Norden  entlang  der 
Küste  mufs  es  ebenfalls  waldfreies  Land  gegeben  haben,  das  als  Stützpunkt 
für  die  Kultur  diente.  Das  beweisen  die  Kjökkenmöddinger  und  die  noch 
verbreiteteren  Dolmen,  dies  sich  in  West-  und  Nordfrankreich,  in  Irland, 
Westengland,  in  Dänemark  wie  auch  an  der  deutschen  Nord-  und  Ostseeküste 
bis  zur  Oder  hin  so  zahlreich  finden.  Steppen  sind  hier  im  Geestland  so 
nahe  dem  Strande  niemals  gewesen,  wohl  aber  ein  anderer  waldloser  Land- 
schaftstypus, Heide  und  Moor.  In  der  That  unterscheidet  sich  diese  Kultur 
in  manchen  Stücken  von  der  binnenländischen  und  ist  offenbar  ganz  unab- 
hängig von  dieser  letzteren  vom  Meere  her  eingedrungen. 

Rocht  bezeichnend  ist  auch  die  Thatsache,  dafs  in  den  Alpenländern 
die  hochgelegenen  Weiden  noch  vor  den  mittleren,  mit  Urwald  bedeckten 
Berggeländen  bewirtschaftet  wurden1).  Jedes  freie  Gelände,  mochte  es 
trockenes  Grasland  oder  öde  Heide  sein,  mochte  es  an  das  stürmische  Meer 
oder  an  deu  ewigen  Schnee  grenzen,  war  in  alter  Zeit  höher  begehrt  als  der 
kulturfeindliche  Wald1). 

2.  Die  römische  Periode.  Die  Zeit  Cäsar's  macht  jedenfalls  insofern 
einen  Einschnitt,  als  wir  von  jetzt  an  genauere  Nachrichten  über  Germanien 
erhalten.  Dafs  ein  Teil  der  germanischen  Völkerschaften  bisher  einer  halb- 
nomadischen Lebensweise  gehuldigt  hatte,  wie  aus  den  Schilderungen  Cäsar's 
und  Strabo's3)  immerhin  hervorzugehen  scheint,  und  erst  jetzt  unter  dem 
Drang  der  Übervölkerung  zur  Sefshaftigkeit  überging4),  ist  nicht  unmöglich. 
Im  übrigen  bestand  ein  ziemlich  entwickelter  und  demnach  auch  schon  sehr 
alter  Ackerbau  bei  den  Germanen,  wie  bereits  ausgeführt  wurde;  die  Vieh- 
zucht nahm  aber,  was  die  römischen  Schriftsteller  nachdrücklich  hervorheben, 
neben  dem  Körnerbau  einen  verhältnismäfsig  breiten  Raum  ein.  Wiesen  gab 
es  nicht  6).  Wir  werden  uns  grofse  Allmenden  als  Dauerweide  eingerichtet  zu 
denken  haben,  umgeben  von  lichten  Eichenwäldern,  die  gleichfalls  dem 
Viehtrieb,  aber  noch  mehr  der  Schweinemast  dienten;  das  Ackerfeld  nach 
Art  der  wilden  Feldgraswirtschaft,  wie  sie  jetzt  noch  da  und  dort  besteht, 
zum  gröfseren  Teil  dreesch,  d.  h.  als  Weideland  daliegend,  um  nur  in  grofsen 
Zwischenräumen  zur  Saat  auf  ein  bis  zwei  Jahre  umgebrochen  zu  werden 
und  dann  aufs  neue  liegen  zu  bleiben. 

Die  immer  wieder  sich  einstellende  Übervölkerung  suchte  sich  durch 
die  grofsen  Wanderzüge  Luft  zu  schaffen,  die  sich,  wie  man  ausgerechnet 

1)  Schlatter,  Die  Einführung  der  Kulturpflanzen  in  den  Kantonen  St.  Gallen 
uud  Appenzell  (Ber.  St.  Gall.  naiurw.  Gesellsch.  1891/92,  S.  114.  119. 

2)  Hier  kann  auch  an  Sibirien  erinnert  werden,  wo  die  Tundra  im  Norden  so 
gut  wie  die  Steppe  im  Süden  von  altersher  durch  Nomaden  ausgebeutet  werden, 
während  der  Waldgürtel  in  der  Mitte  noch  heute  von  der  Kultur  nicht  völlig 
bezwungen  ist.  In  Europa  war  dies  trotz  der  gröfseren  Breite  der  Wälderzone  viel 
leichter,  weil  hier  noch  eine  dritte,  unendlich  reich  gegliederte  Angriffslinie  von 
der  See  her  zur  Verfügung  stand. 

8)  Caes.,  Bell.  Gall.  IV  l.  VI  21.  22.    Strabo  VII  1. 

4j  Meitzen  I  S.  131  ff.  —  Hehn,  Kultuq>Ü.  u.  Haustiere.    1887.  S.  97  ff 

6)  Tacit.  -Genn.  2G.  —  Arnold,  Ansiedelungen  S.  627. 


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43* 


Rob.  Gradmann: 


hat,  ungefähr  alle  30,  genauer  35  Jahre  wiederholt  haben1).  An  das  Aus- 
kunftsmittel des  Wälderrodens  dachten  die  Germanen  trotz  des  eingetretenen 
Landhungers  noch  nicht. 

Dagegen  sind  die  Römer  nicht  davor  zurückgeschreckt,  ihre  Strafsen- 
züge,  wenn  es  sein  mufste,  auch  durch  Urwaldgebiete  zu  legen,  so  durch 
den  Schwarzwald,  das  fränkische  Waldgebiet,  Taunus  und  Eifel;  dort  ent- 
standen dann  auch  Niederlassungen,  wozu  umfangreiche  Rodungen  erforder- 
lich waren.  An  die  Aufgabe,  ganze  Urwaldgebiete  durch  Rodung  in  Kultur- 
land umzuwandeln,  sind  immerhin  auch  die  Römer  noch  nicht  gegangen.  In 
erster  Linie  nahmen  sie  wie  jeder  Eroberer  das  alte  Kulturland  in  Besitz; 
agri,  nicht  silvae  oder  gar  saltus  wurden  den  Veteranen  angewiesen. 

Das  bereits  *)  entwickelte  Landschaftsbild  Deutschlands  zur  Römerzeit 
läfst  sich  noch  durch  ein  paar  Züge  ergänzen.  Die  römischen  Strafsen  be- 
wegten sich  noch  wie  die  vorrömischen  aus  der  Keltenzeit  mit  Vorliebe  auf 
den  Höhen,  den  Wasserscheiden  entlang,  und  kreuzten  die  Thaleinschnitte  in 
rechtem  Winkel,  zum  Beweis,  dafs  die  Thalsohlen  damals  noch  ungangbar, 
mit  dichten  Auenwäldern  und  Weidengestrüpp  überwachsen,  mit  Bruch  und 
Moor,  Schilfwäldern  und  Altwassern  durchsetzt,  stellenweise  mit  wildem  Geröll 
überschüttet  zu  denken  sind  und  noch  nicht  die  ebenen  Wiesengründe  von 
heute  darstellten3). 

Auch  von  der  Zusammensetzung  der  Wälder  vormögen  wir  uns 
für  diese  Zeit  bereits  ein  Bild  zu  machen.  Auf  die  interessante  Frage  des 
Vordringens  und  Zurückweichens  einzelner  Baumarten  können  wir  freilich 
liier  nicht  eingehen;  ich  raufs  mich  auf  eine  Zusammenfassung  der  Ergebnisse 
beschränken4).    Die  Nadelhölzer  waren  viel  weniger  verbreitet  als  heut- 


1)  Meitzen  I  S.  886.  —  Man  wird  unwillkürlich  an  die  Brückner'schen 
Klimaperioden  erinnert,  die  sich  ja  in  den  Ernteerträgnissen  (Brückner,  Der  Ein- 
nuf»  der  Kliniaschwankungen  etc.  Geograph.  Zeitschr.  I  1895)  und  nach  Jul. 
Gmelin  (Deutsche  Geschichtsblätter  hsg.  v.  Armin  Tille  I  1900)  auch  in  dem  Auf- 
und  Abschwellen  der  Geburtsziffern  ausprägen. 

2)  Oben  8.  308  ff.  3)  Eine  gute  Beschreibung  de8  Operrheinthals  im  Urzustand 
giebt  Schlatter  a.  a.  O.  S.  121. 

4)  Nachweise  Ober  die  frühere  Verteilung  der  Holzarten  bei  E.  v.  Berg,  Ge- 
schichte der  deutschen  Wälder  1871.  S.  141  ff.;  Arnold,  Ansiedelungen  S.  610  ff.; 
K.  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  I  S.  508;  A.  Schwappach,  Handbuch 
der  Forst-  und  Jagdgeschichte  Deutschlands  1H86.  S.  33  ff.;  Emst  H.  L.  Krause, 
Beitr.  zur  Kenntn.  der  Verbr.  der  Kiefer  in  Norddeutschi.  (Bot.  Jb.  hsg.  v.  Eng- 
ler XI  1890);  Tscherning,  Beitr.  zur  Forstgeschichte  Württembergs  1854  (Progr.); 
R.  Gradmann,  Der  obergermanisch-rätische  Limes  und  das  fränkische  Nadelholz- 
gebiet (Peterm.  Geogr.  Mitteil.  1899);  Luise  Gerbing,  Die  frühere  Verteilung  von 
Laub-  und  Nadelwald  im  Thüringer  Wald  (Mitt.  V.  f.  Erdk.  zu  Halle  1900).  —  Man 
hat  eine  Zeit  lang  allgemein  einen  in  der  Natur  begründeten  säkularen  Wechsel 
der  Baumarten  angenommen.  Die  Vorausetzungen  dieser  Hypothese  wurden  schon 
von  0.  Sendtuer  (Veget.-Verhältn.  Südbayerns  1854  S.  473)  und  v.  Middendorf!' 
(IV  S.  646  ff)  widerlegt;  die  scheinbare  Stütze  in  den  Moorfunden  Steenstrups  ist 
dadurch  hinfällig  geworden,  dafs  der  dort  nachgewiesene  Wechsel  der  Baumarten 
jetzt  allgemein  auf  einen  Wechsel  des  Klimas  zurückgeführt  wird.  Im  Urwald  ge- 
deihen die  einzelnen  Baumarteu  am  besten  auf  den  Leichen  ihrer  Vorfahren  (nach 
Ooeppert  u.  v.  Middendorf f  a.  a.  0  ,  Richter,  Ausland  1882  S%  187).   Was  sich 


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D -Iis  mitteleurop.  Landschaftsbild  nach  seiner  geschiehtl.  Entwickl.  439 

zutage.  In  Westdeutschland  vom  Mittelrhein  an  nordwärts  gab  es  überhaupt 
keine  Nadelwälder;  in  der  norddeutschen  Tiefebene  beschränkte  sich  die  jetzt 
überall  herrschende  Kiefer  fast  ausschliefslich  auf  das  Land  östlich  der  Elbe. 
Ficht«  und  Tanne  waren  reine  Gcbirgsbäume  (abgesehen  jedenfalls  von  Ost- 
preulsen);  in  den  Alpenländern,  im  Schweizer  Jura,  im  Schwarzwald  und 
Wasgenwald,  jm  östlichen  Teil  der  fränkischen  Keuperhöhen,  im  Böhmerwald, 
Thüringer  Wald  und  Harz  bildeten  sie  schon  damals  mächtige  Wälder. 
Dagegen  stellten  Nordwestdeutschland,  das  mittelrheinische  Gebirgsystem,  das 
hessische  Bergland,  Spessart  und  Odenwald  nebst  dem  schwäbischen  Unter- 
land reine  Laubholzgebiete  dar.  Namentlich  die  Eiche  mufs  in  früherer 
Zeit  viel  häufiger  gewesen  sein  als  jetzt,  zwar  nicht  in  den  grofsen  Urwald- 
gebieten, wo  sie  dem  Wettbewerb  mit  Buche  und  Fichte  notwendig  erliegen 
mufste,  aber  um  so  mehr  in  den  zahlreichen  Feldgehölzen,  die  über  die 
Kulturflächen  zerstreut  wareu,  namentlich  aber  in  den  Stromthülern.  Die 
Römer  sprachen  ja  voll  Bewunderung  von  den  deutschen  Eichen,  die 
so  alt  seien  wie  die  Welt  selber,  und  wenn  solch  ein  Kiese,  mit  allen 
Wurzeln  vom  Ufer  losgerissen,  auf  dem  Strom  daherschwamm ,  konnte  er 
den  römischen  Schiffen,  die  im  Unterlauf  vor  Anker  lagen,  ernste  Gefahren 
bereiten  und  sie  zu  nächtlichen  Seeschlachten  zwingen1).  Den  Laubwald 
wufsten  schon  die  Römer  zur  Mast  und  Weide  zu  nutzen2);  dagegen  waren 
bei  dem  damaligen  Holzüberflufs  Nadelwälder  für  sie  ein  wertloser  Gegen- 
stand. So  erklärt  es  sich,  dafs  von  dem  grofsen  schwäbisch -fränkischen 
Urwaldgebiet  der  Keuperhöhen  zwar  der  westliche,  mit  Laubholz  bestandene 
Teil  noch  in  den  römischen  Herrschaftsbereich  einbezogen  wurde,  während 
man  den  wertlosen  und  überdies  äufserst  schwer  zugänglichen  Nadelholz- 
urwald aufsen  liegen  liefs  und  mit  dem  Grenzzug  in  scharfem  Knie  umging. 
Die  früher  rätselhafte  Einbuchtung  des  Limes  auf  der  Linie  Miltenberg-Lorch- 
Regensburg  ist  damit  verständlich  geworden3). 

Der  römischen  Periode  schliefst  sich  in  Beziehung  auf  die  Landschafts- 
geschichtc  die  Zeit  der  Völkerwanderung  noch  aufs  engste  an.  Das  Ver- 
hältnis von  Wald  und  offener  Landschaft  blieb  sich  vollkommen  gleich; 
höchstens  mochte  dadurch,  dafs  zuweilen  ein  allzu  grofser  Teil  der  Bevölkerung 
auf  die  Wanderzüge  mitgerissen  wurde,  da  und  dort  der  Waldwuchs  auch 
in  der  Ebene  an  Boden  gewinnen.  Im  Eroberungslandc  hat  man  durchweg 
von  den  vorgefundenen  Kulturflächen  Besitz  ergriffen;  darüber  hinaus  ging 
man  zunächst  nirgends.    Nur  haben  wenigstens  die  Alamannen  alle  römischen 

in  historischer  Zeit  von  einem  Wechsel  «1er  Daumarten  nachweinen  läfst,  ist  durch- 
weg durch  menschlichen  Einflufs  erklärbar  (E.  v.  Berg,  Über  das  Verdrängen  der 
Laubwälder  im  nördl.  Deutschland  durch  die  Fichte  und  Kiefer  1841,  Ernst  H.  L. 
Krause,  Die  Ursachen  des  säkularen  Baumwechsels  in  den  Wäldern  Mitteleuropas, 
Naturw.  Wochenschr.  VI  1891,  Tscherning  a.  a.  ().).  Im  übrigen  zeigen  die 
historischen  Nachrichten,  dafs  die  einzelnen  Holzarten  mit  grofser  Zähigkeit  an 
ihren  Standorten  festhalten. 

1)  Plin.  16,  6. 

2)  Planta  (DaB  alte  Rätien  1872  S.  170)  führt  an:  Hygenus,  de  limit.  con- 
Btit.  I.  .  .  silvae  glandiferae,  silvae  vulgaris  pascuae. 

3)  Grad  mann  (Peterm.  geogr.  Mitt.  1899). 


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440  Rot).  Gradmann: 

Gebäude  gründlich  zerstört  und  ihre  eigenen  Hütten  häufig  an  einer  andeien 
Stelle  der  Feldmark  aufgerichtet. 

3.  Eine  neue  Zeit,  die  Periode  der  grofsen  Rodungen,  hat  \rohl 
erst  mit  dem  Fraukenkönig  Chlodwig  um  500  n.  Chr.  begonnen;  sie  schliefst 
im  18.  Jahrh.  etwa  mit  dem  Untergang  der  Hohenstaufen.  Der  tiefere  Grund 
für  die  neue  Bewegung  war  gewifs  nichts  anderes  als  die .  Fruchtbarkeit 
der  deutschen  Ehen  mit  ihrer  unausbleiblichen  Folge,  der  Übervölkerung. 
Sie  sollte  noch  einmal  den  Anstofs  geben  zu  einem  Kulturfortschritt,  dessen 
Bedeutung  gar  nicht  hoch  genug  angeschlagen  werden  kann.  Die  Welt  war 
weggegeben;  mit  den  Raubzügen  nach  Westen  hatte  es  seit  der  Aufrichtung 
eines  starken  Frankenreichs  ein  Ende.  Jetzt  lernte  man,  woran  noch  keine 
frühere  Zeit  gedacht  hatte,  aus  dem  Urwald  Neuland  durch  Rodung  gewinnen. 

Die  eigentümliche  deutsche  Marken  Verfassung,  welche  eine  fortgehende 
Teilung  des  väterlichen  Gutes  ausschlofs,  tmg  zu  der  neuen  Bewegung  bei; 
die  jüngeren  Söhne  waren  darauf  angewiesen,  wie  früher  mit  dem  Schwert, 
so  jetzt  mit  Axt  und  Pflug  neues  Land  zu  erobern.  Zuerst  rodete  mau 
wohl  nur  innerhalb  der  Mark,  in  den  der  gemeinsamen  Weidenutzung  vor- 
behaltenen  Allmenden  und  Hardten.  Bald  aber  begann  man  auch  in  den 
Urwald  vorzudringen,  sei's  auf  eigene  Faust,  sei's  auf  besondere  Anweisung 
des  Königs,  als  dessen  Eigentum  alles  herrenlose  Land  in  Anspruch  genoipmen 
war,  oder  seiner  Grofsen,  denen  das  königliche  Recht  mit  der  Zeit  Übertragen 
wurde.  Höchst  erfolgreich  hat  namentlich  die  Kirche,  vor  allem  die  Orden 
der  Benediktiner,  Prämonstratenser  und  Cisterzienser,  die  Rodungen  be- 
günstigt; die  frühmittelalterlichen  Klöster  kann  man  geradezu  als  grofse 
Rodeanstalten  bezeichnen  *). 

Dafs  die  Bewegung  schon  in  merowingischer  Zeit  begann,  lehren  die 
zahlreichen  Ortschaften,  die  bereits  im  8.  Jahrhundert  aus  den  früheren 
Waldgebieten,  namentlich  um  den  Rhein,  urkundlich  genannt  werden, 
ebenso  die  altertümlichen  Namensformen,  die  doch  auch  hier  zuweilen  vor- 
kommen. Aber  in  den  Kern  der  grofsen  Urwälder  drang  man  doch  erst 
später  vor.  So  wurde  im  Süden  das  schwäbisch  -  fränkische  Waldgebiet  in 
der  Hauptsache  erst  seit  dem  karolingischen  Zeitalter  urbar  gemacht3'); 
frühestens  im  9.,  zum  überwiegenden  Teil  erst  im  11.  Jahrhundert  wurden 
die  mitteldeutschen  Waldgebirge,  Rhön,  Thüringer  Wald,  Frankeuwald, 
vogtländisches  Bergland  in  Angriff  genommen3);  im  1 1.  Jahrhundert  begannen 
auch  gröfsere  Rodungen  im  Schwarzwald4).  Im  12.  und  13.  Jahrhundert 
erreichte  die  Rodethätigkeit  allenthalben  ihren  Höhepunkt6):  im  östlichen 
Eroberungslande,  wo  das  Roden  im  grofsen  zu  einem  einträglichen  Geschäft 

1)  Arnold,  Ansiedelungen  S  553 

2)  Karl  Weller,  Die  Ausiedelungsgeschichte  den  wilrttember^ischeu  Franken« 
recht«  vom  Neckar.    (Württ.  Vierteljahren,  f.  Landesgesch.  N.  F.  III.  1894)  S.  73  ff. 

8)  Fr.  Regel,  ThürinKcn    II.    1896.    S.  533.    —    Meitzen   II   S.  370.  - 
Kmiotek,  Siedeluiur  und  Waldwirtschaft  im  Salzforst  Wirtschafts-  u.  Verwaltungs- 
Btudien  hag.  v.  Schanz  VIII).   1900.    Peterm.  Mitt,  40.  1900  Litt.-B.  S.  159). 

4)  Jul.  Hart  mann.  Über  die  Besiedelung  des  Württemberg.  Schwantwalds 
.Württ.  Jb.  f.  Statistik  u.  Landesk.  1893;  S.  10. 

fii  Arnold.  Ansiedelungen  S.  544  ff;  Lambrecht  I  S.  148. 


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Dasmitteleurop.  Landschaftsbild  nach  seiner  geschichtl.  Entwickl.  441 


für  den  Adel  geworden  war,  fällt  die  Resiedelung  der  alten,  von  den  Slaven 
noch  durchaus  gemiedenen  Waldgebiete,  so  des  bayrischen  und  Böhmer- 
walds,  des  Erzgebirgs,  Elbsandsteingcbirgs  und  Riesengebirgs,  vollständig  erst 
in  diesen  letzten  Zeitraum1). 

Mit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  tritt  im  ganzen  südlichen,  mittleren 
und  westlichen  Deutschland  plötzlich  ein  allgemeiner  Stillstand  ein8);  das 
Werk  war  abgeschlossen  und  damit  die  grofsartigste  Umwälzung,  welche 
das  mitteleuropäische  Landschaftsbild  seit  der  Eiszeit  je  erlebt  hat,  die 
friedliche  Eroberung  einer  Bodenfläche,  die  in  Wirklichkeit  dem  ursprünglichen 
Kulturland  fast  gleichkam,  durch  die  zähe  Beharrlichkeit  deutschen  Bauern- 
fleifses  in  einem  Zeitraum  von  acht  Jahrhunderten  durchgeführt.  Der  ur- 
sprüngliche Gegensatz  von  Urwaldgebietcn  und  offener  Landschaft  war  damit 
nahezu  aufgehoben. 

Im  Beginn  der  Periode  und  auch  in  karolingischer  Zeit  war  der  Gegen- 
satz noch  recht  fühlbar  gewesen.  Wald  gab  es  zwar  damals  überall;  aber 
es  raufs  noch  ein  recht  gründlicher  Unterschied  gewesen  sein  zwischen  dem 
wilden  geschlossenen  Forst,  dessen  Inneres  kaum  jemals  von  einem  mensch- 
lichen Fufs  betreten  wurde  und  dessen  Randgebiete  der  königlichen  Jagd 
vorbehalten  waren,  und  andrerseits  den  Markwäldern  oder  Hardtcn,  die  über 
das  Kulturland  zerstreut,  im  Besitz  der  Markgenossenschaften  standen,  einer 
rücksichtslosen  Holznutzung  unterworfen  und  während  des  ganzen  Jahres 
von  Rinder-  und  Schweineherden  bevölkert  waren.  Die  grofsen  Grundbesitzer 
fanden  es  später  einträglicher,  ihre  Forste  als  Rodland  auf  Zins  auszuthun; 
in  der  Umgebung  der  neuen  Siedelungen  wurde  der  Wald  ebenfalls  für 
Holznutzung  und  Weide  geöffnet.  So  mufste  auch  hier  der  Urwaldcharakter 
mit  der  Zeit  schwinden. 

Vollkommen  ebenbürtig  stellt  sich  dieser  umfassenden  Rodethätigkeit  die 
Eindeichung  des  Marschlandes  an  der.  Nord-  und  Ostsee,  der  Weser 
und  Elbe  zur  Seite3),  ein  Vorgang,  der  von  ebenso  tief  einschneidender 
Wirkung  auf  das  Landschaftsbild  als  bewundernswert  durch  die  darin  sich 
aussprechende  Thatkraft  ist.  Er  wurde  ebenfalls  in  dieser  frühen  Periode 
im  wesentlichen  abgeschlossen. 

Die  kleineren  Veränderungen,  die  sich  gleichzeitig  in  der  Kulturlandschaft 
vollzogen  haben,  kommen  daneben  kaum  in  Betracht.  In  deu  Flufsthälern 
begann  man  allmählich,  wenn  auch  nur  sehr  langsam  und  in  etwas  gröfserem 
Mafsstab  erst  seit  dem  12.  Jahrhundert  Wiesen  auzulegen4).    Der  Wein- 

1)  Ad.  Hauffen,  Einführung  in  die  deutsch  -  böhmische  Volkskunde.  1896 
S. '21  ff.  —  Kol).  Wuttke,  .Sächsische  Volkskunde.  1900.  S.  71  ff.  —  Meitzen 
II  8.  418. 

2;  Arnold  S.  696.  —  Lainprecht  I  S.  101.  —  Richter  S.  210.  —  J.  Wimmer, 
Die  historische  Kulturlandschaft  1882  (Progr.j  S.  29.  —  A.  B Ohler,  Die  geschicht- 
liche Entwicklung  der  Waldwirtschaft  (Litter.  Beil.  /..  Staatsanz.  f.  Württ.  1897; 
S.  107.  —  Ed.  Brückner   Die  Bchweizer.  Landsch.  S.  23. 

3)  Meitzen  U  S.  1  ff.  343  ff. 

4)  v.  Inama-Sternegg,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte  I  S.  406  ff.  — 
Lamprecht  I  S.  528  ff.  —  Ernst  H.  L.  Krause  (Bot.  Jb.  hsg.  v.  Engler  XV  1893) 
S.  293  ff. 

Geographische  Zeitschrift.  7  Jahrgang.  1901.  8  lieft.  30 


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442 


Rob.  Gradmann: 


bau,  im  Moselland  wohl  schon  vor  der  römischen  Besetzung  heimisch,  hat 
sich  noch  unter  den  Merowingern  an  den  Khein  und  besonders  seit  karolingischer 
Zeit  auch  über  die  rechtsrheinischen  Länder  ausgebreitet,  unter  mächtiger 
Förderung  durch  die  geistlichen  Grundherrschaften.  Die  Steilhänge  mit 
Terrassenbau  und  damit  die  vornehmsten  Lagen  wurden  jedoch  erst  unter 
den  Saliern  und  Stauten  angelegt1). 

4.  Eine  Periode  des  Stillstands  trat  mit  dem  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts ein  und  erstreckte  sich  bis  gegen  die  Mitte  des  achtzehnten.  Ab- 
gesehen von  vereinzelten  gewerblichen  Anlagen,  wie  Glashütten  u.  dergl., 
die  inmitten  gröfserer  Waldungen  zu  deren  besserer  Ausnutzung  begründet 
wurden,  scheinen  die  Alpenländer,  das  Deutschordensland2)  im  Nordosten 
und  dann  die  Moor-  und  Marschländer  Nord  Westdeutschlands  die  einzigen 
Punkte  zu  sein,  an  denen  sich  das  Kulturland  auch  jetzt  noch,  wenn  auch 
langsam,  auf  Kosten  der  Wildnis  ausdehnte. 

Es  ist  schwer,  für  diesen  plötzlichen  Stillstand  eine  befriedigende  Er- 
klärung zu  finden.  In  der  Wertschätzung  des  Waldes  hatte  sich  allerdings 
ein  Umschwung  vollzogen.  Was  man  im  frühen  Mittelalter  einzig  und  allein 
am  Wald  geschätzt  hatte,  das  war  die  Gelegenheit  zur  Schweinemast3). 
Es  ist  unglaublich,  welcher  Wert  daraufgelegt  wurde.  Blättert  man  Sammlungen 
von  frühmittelalterlichen  Urkunden  durch,  so  findet  man  kaum  einmal  einen 
\^  Wald  genannt,  ohne  dafs  das  Schwein  mit  genannt  wäre.  Der  Wert  einer 
Waldfläche  wird  nach  der  Zahl  der  Schweine,  die  man  darin  mästen  kann, 
geschätzt;  der  gleiche  Mafsstab  gilt  für  die  Wertschätzung  der  einzelnen 
Baumarten.  Der  Unterschied  von  Laub-  und  Nadelholz  wird  in  dieser  frühen 
Zeit  kaum  je  gemacht,  ebensowenig  von  Hart-  und  Weichhölzern,  Brenn- 
und  Bauholz;  wohl  aber  wird  streng  unterschieden  zwischen  arbores  fructiferae 
(berende  bäume,  schedlich  holz)  d.  h.  Eichen,  Buchen,  Wildobstbäumc ,  die 
alle  der  Schweinemast  dienten,  und  andrerseits  arbores  non  fructiferae  (un- 
schedlich  holz,  Taubholz,  Urholz),  wozu  alles  andere  gehörte.  Erstere  wurden 
gehegt,  letztere  waren  fast  vogelfrei;  der  Holzvorrat  schien  unerschöpflich. 

Das  wurde  jetzt  immerhin  anders.  Die  Wertschätzung  der  Eckerich- 
nutzung blieb  noch  jahrhundertelang  bestehen,  aber  daneben  lernte  man 
doch  auch  den  Holzertrag  besser  anschlagen.  Bald  nach  dem  Jahr  1200 
begegnen  wir  dem  ersten  Zeugnis  von  höherer  Wertung  des  Waldes4);  um 
dieselbe  Zeit  ergehen  die   ersten  Rodeverbote5).     Im  14.  Jahrhundert  hört 

1)  Lamprecht  I  S.  122.  666  fl.  —  V.  Hehn  8.  3.  117  ff.  —  Buschan, 
Zur  Gesch.  des  Weinbaus  in  Deutscht.  (Ausland  lH'JOj.  —  v.  Inama-Sternegg  I 
S.  413. 

2)  L.  Weber,  Preufsen  vor  600  Jahren.  1878. 

3)  Diese  Thatsache  steht  im  denkbar  schärfsten  Gegensatz  zu  dem  sentimen- 
talen Empfinden,  das  man  unBern  Vorfahren  dem  Wald  gegenüber  gern  bei- 
legen möchte.  Eine  Widerlegung  letzterer  Auffassung  findet  man  bei  0.  Lauffer, 
Das  Landschaftsbild  Deutschlands  im  Zeitalter  der  Karolinger.   1896.  S.  77  tf. 

4)  Cesarius  1222:  silva  .  .  fere  ita  utilis  esse  potest  nobis  sicut  tota  curia. 
Nach  Lamprecht  a.  a.  0.  I  S.  139. 

6)  Aug.  Bernhardt,  Geschichte  des  Waldeigentums  etc.  1872—75  I  S.  108; 
Schwuppach,  Handh.  der  Forst-  und  Jagdgesch.  S.  154;  Meitzen  II  S.  620  f. 


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Das  mitteleurop.Landachaftsbild  nach  seiner  geschichtl. Entwickl.  443 


man  bereits  über  Holzmangel  klagen1).  Wenn  die  kalten  deutschen  Winter 
nicht  wären,  wer  weifs,  ob  nicht  auch  bei  uns  die  Waldverwüstung  eben- 
soweit fortgeschritten  wäre  wie  in  den  Ländern  romanischer  Zunge? 

Indes  vermag  die  Furcht  vor  dem  drohenden  Holzmangel  keineswegs 
für  sich  allein  schon  den  plötzlichen  Stillstand  der  Kodethätigkeit  verständlich 
zu  machen.  Dals  die  überschüssige  Bevölkerung  etwa  durch  die  aufblühenden 
Städte,  durch  die  fortgesetzte  Kolonisation  des  Ostens  oder  sonstwie  einen 
neuen  Abflufs  gefunden  hätte,  welcher  der  bisherigen  Aufnahmefähigkeit 
der  Waldkolonien  einigermafsen  entsprach,  läfst  sich  ebenso  wenig  behaupten. 
Sollte  der  schwarze  Tod  geholfen  haben,  den  deutschen  Wald  zu  retten? 

Davon  ist  kaum  die  Rede,  dafs  etwa  die  bisherigen  landwirtschaftlichen 
Flächen  durch  verfeinerten  Ausbau  eine  gröfeere  Menschenmasse  hätten  er- 
nähren können.  Denn  in  der  Entwicklung  des  landwirtschaftlichen  Betriebes 
herrschte  derselbe  auffallende  Stillstand;  kein  einziger  nennenswerter  Fort- 
schritt ist  bis  zum  18.  Jahrhundert  zu  verzeichnen*). 

Das  gleiche  gilt  von  dem  Zustand  der  Wälder.  Es  begann  wohl  eine 
gewisse  Pflege  des  Waldes;  Saat  und  Pflanzung  von  Waldbäumen  kam  seit 
dem  14.  Jahrhundert  vor5),  doch  nur  vereinzelt  und  ohne  Wirkung  ins 
grofse.  Die  einzige  Entwicklung  bestand  darin,  dafs  durch  die  rücksichts- 
lose Ausbeutung,  durch  unverständige  Holz-  und  Streunutzung  und  ganz 
besonders  durch  das  beständige  Hineintreiben  von  Weidevieh  und  Schweinen 
die  Wälder  immer  mehr  herunter  kamen,  sodafs  sie  sich  im  18.  Jahrhundert 
gröfstenteils  in  einem  ganz  trostlosen  Zustande  befunden  haben  müssen. 

5.  Erst  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  begann  eine  neue  Zeit. 
Die  Zeit  der  Aufklärung  wandte  sich  mit  ihrem  eifrigen  Streben,  das  Ver- 
altete zu  beseitigen  und  neue  Fortschritte  anzubahnen,  ganz  besonders  der 
materiellen  Kultur  des  platten  Landes  zu,  so  sehr,  dafs  landwirtschaftliche 
Fragen  und  Interessen  eine  Zeit  lang  geradezu  zur  Modesache  wurden. 

Die  Entwässerung  und  Besiedlung  grofser  Moorflächen  im  norddeutschen 
Tieflande  sowie  im  Alpenvorland  gehört  dieser  neuen  Zeit  an.  Bekannt  sind 
die  Bruch-  und  Moorkolonien  Friedrich's  des  Grofsen.  Man  begann  auch 
wieder  in  gröfserem  Mafsstabe  zu  roden.  So  liefs  Friedrich  Wilhelm  I.  von 
Preulsen  auf  der  Frischen  Nehrung  den  Wald  niederschlagen  und  um  200000 
Thaler  verkaufen.  Auch  Friedrich  der  Grofse  fand,  dafs  ihm  „Menschen 
lieber  seien  als  Holz"1).  Es  war  bekanntlich  nicht  immer  zum  Vorteil  des 
Landes.  Die  Frische  Nehrung  wurde  zur  Wüste,  das  Haff"  ist  teilweise  ver- 
sandet.  Schlimmer  wurde  in  Frankreich  und  in  den  Alpenländern  gehaust5). 

Aber  im  ganzen  steht  die  neue  Zeit  doch  unter  einem  andern  Zeichen: 
Der  Wald  kommt  zu  Ehren  wie  nie  zuvor.   Die  grofse  Holznot  des  18.  Jahr- 


1)  Lamprecht  I  S.  517. 

2)  G.  Haussen,   Zur  Geschichte  der  Feldsysteme  in   Deutschland  (Agrar 
histor.  Abh.  1880;  S.  163. 

3)  A.  Bernhardt,  Gesch.  des  Waldeigentums  etc.  I  1872  S.  169;  Sehwap- 
pach  S.  186. 

4)  Schwappach  8.  351  ff. 

5)  Beispiele  bei  Ed.  Brückner,  Schweizer.  Landseh.  S.  27. 

30* 


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444  Roh.  Gradmann: 

hunderts  hatte  dor  besseren  Erkenntnis  vorgearbeitet,  und  durch  die  unermüd- 
liche Thätigkeit  einiger  edler  Männer,  denen  die  Erhaltung  und  Kräftigung 
des  deutscheu  Waldes  eine  wahre  Herzenssache  gewesen  ist,  kam  sie  zum 
Durchbruch.  Jetzt  hat  allgemein  die  Wald  weide  aufgehört,  die  Strounutzung 
wurde  möglichst  beseitigt,  bessere  Wirtschaftseinrichtungen,  wie  der  Hoch- 
wald- und  verfeinerte  Femelschlagbetrieb,  wurden  eingeführt,  und  so  sind 
in  unseren  Tagen  durch  das  Verdienst  unsrer  Forstmänner  die  deutschen 
Wälder  wieder  zu  einer  Kraft  und  Schönheit  emporgediehen,  welche  deu 
Naturfreunden  zum  Entzücken,  den  Finanzministeru  zu  süfsem  Trost  gereicht. 
Freilich,  durch  den  gesteigerten  Betrieb  sind  die  Waldbilder  nicht  blofs  ver- 
vollkommnet, sie  sind  vielfach  auch  sehr  gründlich  umgestaltet  worden. 
Namentlich  sind  riesige  Bestände  von  Nadelholz  mitten  in  den  alten  Laub- 
holzgebieten zur  Aufzucht  gekommen,  sodafs  der  früher  so  scharfe  Gegen- 
satz von  Laub-  und  Nadelwaldlandschaften  jetzt  nahezu  verwischt  und  ver- 
gessen ist.  Besonders  ist  die  Eiche  in  ihrer  Verbreitung  zurückgegangen; 
die  neueren  Wirtschaftsmethoden  haben,  indem  sie  für  einen  guten  Bestandes- 
schlufs  sorgten,  die  schattenliebenden  Haupt- Waldbäume,  Buche  und  Fichte, 
wieder  in  ihre  Rechte  eingesetzt  und  damit  die  lichtbedürftige  Eiche  zu  der 
Bedeutungslosigkeit  verdammt,  die  ihr  —  entgegen  der  herrschenden  An- 
schauung —  im  geschlossenen  Urwald  ohne  Zweifel  von  jeher  zukam. 

Dagegen  lebt  der  alte  Gegensatz  zwischen  Urwaldgebieten  und  offener 
Landschaft  auch  heute  noch  fort  ,  meist  schon  in  der  verschiedenen  Bewal- 
dungsziffer erkennbar,  deutlicher  in  den  Namen.  Wir  reden  noch  heute  vom 
Thüringerwald,  Schwarzwald,  Odenwald.  Freilich  meinen  wir  damit  keine 
Wälder  mehr,  sondern  Gebirge,  ein  Sprachgebrauch,  der  Fremden  und  Kindern 
immer  schwer  eingehen  will.  Es  ist  ja  auch  widersinnig,  ein  ganzes  Gebirge 
als  Wald  zu  bezeichnen,  nur  deshalb  weil  seine  Waldbedeckung  um  wenige 
Prozent  stärker  ist  als  in  den  benachbarten  Landschaften.  Natürlich  stammen 
alle  diese  Benennungen  noch  aus  der  Zeit,  da  sie  wirklich  zutrafen;  die 
Schöpfer  der  Namen  wollten  damit  keine  Berge  bezeichnen,  sondern  wirkliche, 
geschlossene  Urwälder.  Die  Bodenerhebung  war  Nebensache,  genau  wie  zur 
Römerzeit1).  Inzwischen  hat  sich  die  Sache  gründlich  geändert,  die  Namen 
aber  sind  geblieben.  Die  benachbarten  alten  Kulturflächen  heifsen  zum 
Unterschied  noch  heute  Gau,  Gäu,  Feld,  Filder;  wenn  es  sich  um  hoch- 
gelegene Weideplätze  handelt:  Alb,  Alpen. 

Auch  in  den  Namen  der  Siedlungen  hat  sich  der  Gegensatz  verewigt, 
am  deutlichsten  im  Franken-  und  Alamannenlande.  Im  alten  Kulturland, 
auf  dem  früheren  Steppenboden  herrschen  die  Namen  auf  -ingen  und  -heim, 
selbst  keltische  und  römische  Formen  sind  erhalten  geblieben.  Auf  dem 
Rodeland  inmitten  der  alten  Waldgebiete  verraten  die  -wald  und  -strut,  die 
-rode  und  -reute,  die  -brand  und  -sang  und  -schwand  und  wie  sie  alle 
heifseu,  noch  deutlich  genug  die  Art  der  Entstehung. 

Hand  in  Hand  damit  gehen  tiefgreifende  Unterschiede  in  der  Form  der 
Siedlungen2).     Im   alten  Kulturland   haben    wir   die   urdeutschen  Haufeu- 

1)  Vgl.  oben  S.  871. 

2)  Hingehend  dargelegt  in  dem  oft  angeführten  grofseu  Werke  von  Aug.  Meitzen. 


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Das  mittclcurop.  Landschaftsbild  nach  seiner  geschieht!.  Entwickl.  445 

dörfer  mit  Gewanncinteilung  und  schmalen,  streifenförmigen  Ackern  in  Ge- 
menglage,  im  Osten  slawische  Rundlinge  und  Strafsendörfer.  Im  früheren 
Waldland  dagegen  herrschen  die  Weiler,  stets  mit  kleineren  Markungen  und 
meist  unregelmäfsig  blockförmiger  Gestalt  der  Grundstücke,  oder  die  seit 
karolingischcr  Zeit  entstandenen  Waldhufendörfer  mit  weit  auseinandergerückten, 
längs  der  Strafse  im  Thal  reihenweise  angeordneten  Gehöften,  an  die  sich 
je  der  gesamte  Grundbesitz  in  schmalen  Streifen  rückwärts  anschliefst,  so  im 
Schwarzwald,  Odenwald  und  Spessart  oder  in  den  böhmischen  Randgebirgen. 

In  der  Landwirtschaft  wurden  seit  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
zahlreiche  Neuerungen  eingeführt,  die  in  ihrer  Gesamtwirkung  eine  recht 
gründliche  Umgestaltung  der  Kulturlandschaft  hervorgerufen  haben,  so  die 
bedeutende  Einschränkung  der  Viehweide  unter  gleichzeitigem  Anbau  von 
Futtergewüchsen,  während  in  den  Alpenläudern,  in  Holland,  Schleswig-Holstein, 
Westpreufsen  die  Wiesenkultur  auf  Kosten  des  Getreidebaus  immer  mehr 
überhandgenommen  hat1);  ferner  der  Anbau  von  Kartoffeln  und  Zuckerrüben 
in  gröfstem  Mafsstab,  die  Einführung  von  rationellem  Fruchtwechsel  an 
Stelle  der  hergebrachten  Dreifelderwirtschaft  unter  gleichzeitiger  Zusammen- 
legung der  Güter. 

Nimmt  man  dazu  die  bereits  erwähnte  Umgestaltung  der  Waldbilder, 
die  ausgedehnten  Moorkulturen  und  sonstigen  Entwässerungsanlagen,  die  um- 
fassenden Stromregulierungen,  die  Kanal-  und  Hafenbauten,  ferner  die  plötz- 
liche Ausdehnimg  der  Grofsstädte,  die  Strafsen-  und  Eisenbahnanlagen,  die 
zum  Teil  unter  beträchtlicher  Umschaffung  des  Geländes  entstanden  sind,  so 
ergiebt  sich,  dafs  die  letzten  anderthalb  Jahrhunderte  eine  Umwälzung  im 
Landschaftsbild  hervorgebracht  haben,  welche  derjenigen  des  frühen  Mittel- 
alters nahezu  gleichkommt  und  alle  übrigen  Perioden  der  Landschafts- 
entwicklung an  Bedeutung  weit  überragt.  Dabei  hat  gerade  diejenige  Kraft, 
welche  früher  immer  vorwärtsgetrieben  hatte,  ihren  Einflufs  auf  die  heimische 
Landschaftsgeschichte  fast  verloren.  Noch  heute  wie  zur  Römerzeit  wird  den 
Nachbarn  bange  vor  der  unheimlichen  Macht  des  deutschen  Bevölkerungs- 
zuwachses: aber  er  hat  in  der  neuen  Zeit  einen  neuen  Abflufs  gefunden.  In 
überseeischen  Ländern  hat  der  Deutsche  seine  hervorragende  Befähigung  zum 
Roden  und  Urbarmachen  der  Wildnis  aufs  neue  erwiesen;  geht  die  Entwick- 
lung ihren  natürlichen  Gang,  so  wird  der  überschufs  an  deutscher  Kraft 
künftig  der  Nation  nicht  mehr  verloren  gehen. 

Das  Problem  der  Landschaftsgeschichte  ist  keineswegs  neu.  Namen  wie 
Karl  Ritter  und  Elisee  Reclus  sind  mit  ihm  verknüpft2).  Es  fehlt  aber 
selbst  für  die  besterforschten  Gebiete  noch  an  dem  nötigen  topographischen 
Ausbau,  der  es  erlauben  würde,  die  wichtigeren  Punkte  der  Entwicklung 
kartographisch     festzulegen.      Solche     historischen  Landschaftskarten3) 

1)  Ed.  Brückner,  Schweizerische  Landschaft  S.  29 ff. 

2)  Eine  vollständige  Zusammenstellung  der  älteren  Litteratiir  hat  J.  Wimmer 
(Histor.  Landschaftskunde  1886)  gegeben. 

Ii)  An  Landschaftskarten  fehlt  es  freilich  vorläufig  auch  noch  für  die  (Jegen- 
wart.    Ich  glaube,  es  sollten  vor  allem  die  Seh  ulkarten  dem  Ideal  der  Laud- 


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44G    Roh.  Gradmann:  Da»  mitteleuropäische  Landschaftsbild  etc. 

könnten  grofsen  Nutzen  stiften,  zunächst  in  rein  geographischer  Hinsicht, 
sofern  zu  einem  tieferen  Verständnis  der  gegenwärtigen  Landschaft  der  Ein- 
blick in  deren  Entwicklungsgeschichte  unerläfslich  ist;  aber  auch  geschicht- 
liche Vorgänge  erscheinen  auf  Grund  berichtigter  Vorstellungen  von  der 
gleichzeitigen  Landesbeschaffenheit  häufig  in  einer  ganz  neuen  Beleuchtung. 
Die  politischen  Karten,  aus  denen  bisher  unsre  historischen  Atlanten  aus- 
schliefslich  bestanden  haben,  werden  zum  Teil  ein  anderes  Gesicht  bekommen 
und  weniger  schematisch  ausfallen,  wenn  wir  einmal  auch  historisch- 
physikalische, namentlich  auch  die  ehemalige  Waldbedeckung  berücksich- 
tigende Karten  haben,  welche  den  ersteren  zu  Grunde  gelegt  werden 
können1).  Für  derartige  Arbeiten  bieten  sich  jetzt  eine  Menge  neuer  Hilfs- 
mittel in  den  grofsen  Urkundensammlungen,  den  Ortsnamenbüchern,  den 
archäologischen  Landesaufnahmen,  den  Bearbeitungen  der  Wirtschafts-  und 
Besiedlungsgeschichte,  mit  welch  letzterer  sich  unser  Forschungsgebiet  so 
vielfach  und  doch  keineswegs  auf  allen  Punkten  deckt. 

Für  eine  der  Hauptfragen,  das  Problem  der  Urvegetation,  ist  freilich 
der  Weg,  der  wohl  am  sichersten  zum  Ziel  führen  müfste,  bis  jetzt  noch 
kaum  zugänglich,  nämlich  der  Weg  des  Versuchs.  Es  ist  neuerdings  von 
verschiedenen  Seiten*)  fast  gleichzeitig  der  Gedanke  angeregt  und  auch  mit 
Beifall  aufgenommen  worden,  nach  dem  freilich  unerreichbaren  Vorbild  der 
amerikanischen  Nationalparks,  nur  in  sehr  verkleinertem  Mafsstabe,  gewisse 
Stücke  des  heimischen  Bodens,  sofern  sie  noch  Beispiele  von  urwüchsigen 
Landschaftsformen  darstellen,  in  ihrem  Zustand  dauernd  zu  erhalten.  Es 

schaftskartc  viel  entschiedener  zustreben.  Die  Kartenwerke  früherer  Jahrhunderte 
haben  an  malerischer  Charakteristik  eigentlich  mehr  geboten.  Die  klare  Anschau- 
ung und  Übersicht,  wie  sie  die  geognostische  Karte  gewährt,  mag,  wer  sich  einmal 
daran  gewöhnt  hat,  nicht  mehr  missen.  Wann  werden  wir  endlich  dieBe  Wohlthat 
—  selbstverständlich  unter  Weglassung  aller  für  die  Landschaft  nicht  in  Betracht 
kommenden  Einzelheiten  —  auch  unser u  Schülern  zukommen  lassen?  Wie  viel 
wichtiger  sind  in  den  Tropenländern  z.  B.  die  Gegensätze  von  Wald,  Ssvanne, 
Steppe  im  Vergleich  mit  dem  Verlauf  einzelner  Ströme,  mit  den  Namen  und  Höhen 
einzelner  Berge!  Die  Verbreitung  der  einzelnen  Landschaftselemente  ist  wohl  in 
zahlreichen  Karten  dargestellt;  aber  der  allerdings  nicht  leichte  Versuch,  sie  auf 
einer  Karte  übersichtlich  zu  vereinigen,  ist  überhaupt  noch  nicht  gemacht.  Eine 
neue  Belastung  der  Schule  braucht  man  dabei  nicht  zu  fürchten;  nichts  ist 
schwerer  zu  behalten  als  ein  trockenes  Schema  und  nichts  unterstützt  das  Gedächtnis 
so  sehr  wie  die  lebendige  Anschauung.  Die  gesunde  Richtung,  die  jetzt  in  der 
Einführung  geographischer  Charakterbilder  zu  Tage  tritt,  darf  ihren  Einflufs  wohl 
auch  auf  die  Karte  geltend  machen. 

1)  Das  neue,  so  verdienstvolle  Kartenwerk  von  Ii.  v.  Erckert  (Wanderungen 
und  Siedelungen  der  germanischen  Stämme  in  Mitteleuropa  1901)  deutet  die  un- 
bewohnten Urwaldgebietc  zum  Teil  an;  dieselben  sind  aber  durchweg  zu  klein 
gezeichnet.  Als  unbewohnt  erscheint  auch,  ganz  im  Widerspruch  mit  den  That- 
sachen,  die  schwäbische  Alb;  wohl  nur  wegen  ihrer  Höhe! 

2)  Zuerst,  so  viel  ich  sehe,  von  0.  Drude,  Deutschi.  Pflanzengeogr.  I  1890 
S.  410;  dann  von  dem  Abgeordneten  Wetekamp  im  preufs.  Abgeordnetenhause  im 
März  1898  (Globus  74.  [189*]  S.  330 ff.).  —  Conwentz,  Forstbotan.  Merkbuch  1900. 

Gründung  den  Vereins  zum  Schutz  und  zur  Pflege  der  Alpenpflanzen.  —  R.  Grad- 
raann,  Zur  Erhaltung  der  vaterländ.  Naturdenkmäler  (Ii.  Schwäb.  Albver.  12  [1900] 
S.  409  ff.). 


Alfred  Hettner:  Über  die  Oberflachenformen  der  Hochalpen.  447 

wäre  überaus  dankenswert,  wenn  sich  dieser  glückliche  Gedanke  noch  dahin 
erweitern  liefse,  dafs  auch  solche  Typen,  die  bereits  eine  mehr  oder  weniger 
bedeutende  Veränderung  durch  die  Kultur  erlitten  haben,  in  einzelnen  aus- 
gewählten Fällen  und  mit  Beschränkung  auf  kleinere  und  an  sich  schon 
weniger  ertragfähige  Grundstücke  dem  Naturzustände,  so  gut  es  geht,  wieder 
zurückgegeben  werden.  Erst  wenn  durch  solche  systematische  Verwilde- 
rungsversuche unwiderleglich  festgestellt  ist,  was  aus  den  einzelnen  Wald- 
formen, aus  unsern  Wiesen,  Weiden  und  Heiden  nach  Beseitigung  alles 
menschlichen  Einflusses  zuletzt  wird,  kann  man  auch  mit  grösserer  Bestimmt- 
heit angeben,  was  die  gesamte  mitteleuropäische  Landschaft  wäre  ohne  den 
Menschen,  und  Avas  er  durch  seine  Arbeit  hinzugethan  und  weggenommen 
hat.  Und  damit  wäre  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Pflanzengeographie 
und  der  Kulturgeographie  zugleich  gelöst. 


Über  die  Oberflächenfornien  der  Hochalpen. 

Nach  den  Untersuchungen  Eduard  Richter's. 
Von  Alfred  Hettner. 

Wenn  wir  auch  in  den  letzten  Jahrzehnten  angefangen  haben,  ein 
wissenschaftliches  Verständnis  der  Formen  der  Erdoberfläche  zu  gewinnen,  so 
dürfen  wir  uns  doch  nicht  verhehlen,  dafs  wir  eigentlich  noch  am  Anfange 
der  Erkenntnis  stehen,  dafs  wir  wohl  über  die  Ursachen  der  meisten  Formen- 
gattungen Vermutungen  haben,  die  im  allgemeinen  richtig  sein  mögen,  dafs 
aber  eine  wirkliche  kausale  Analyse  der  Oberflächenformen  erst  für  wenige 
Gebirge  oder  Gebirgsgruppen  gegeben  worden  ist  Darum  müssen  wir  eine 
so  eindringende  Untersuchung  der  Formen  der  Hochalpen,  wie  sie  uns 
Richter  in  dem  vorliegenden  Buche1)  giebt,  mit  Freude  begrüfsen,  und  es 
scheint  sich  mir  zu  lohnen,  den  Lesern  der  Geographischen  Zeitschrift  davon 
etwas  ausführlicher  zu  berichten.  Der  notwendigen  Kürze  wegen  empfiehlt 
es  sich,  dabei  die  analytische  Form  der  Untersuchung  zu  opfern  und  ihre 
wichtigsten  Ergebnisse  in  mehr  synthetischer  Form  und  darum  auch  in  ver- 
änderter Reihenfolge  darzulegen. 

Das  Leitmotiv  seiner  Untersuchungen  hat  Richter  in  folgenden  Sätzen 
(S.  70 f.)  ausgesprochen:  „Das  auffallendste  Resultat  sehr  genauer  geolo- 
gischer Durchforschung  einer  Alpengruppo  pflegt  die  Anerkennung  der  Un- 
abhängigkeit der  Skulpturformen  ....  vom  geologischen  Bau  zu  sein."  „Für 
die  Gobirgsformen  sind  die  zerstörenden  Kräfte  viel  wichtiger  als  die 
Zusammensetzung  des  Gebirgskörpers."  Die  Formen  der  Abtragung  („der 
Stil  der  Formen")  werden  zwar  im  einzelnen  von  der  Gesteinsbeschaffenheit 
stark  beeinflufst,  und  besonders  ihr  Auftreten  dadurch  lokal  bestimmt,  die 
Fonuen  selbst  sind  aber  der  Hauptsache  nach  überall  die  gleichen.  Thäler, 

1)  Richter,  Ed.  (ieouiorphologische  Untersuchungen  in  den  Hochalpen  (Pet 
Mitt.  Ergänzungsheft  132)  103  S.  u.  C  T.   (iotha.  J.  Perthes,  1900.  M.  6.40. 


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44S 


Alfred  Hcttner: 


Kare,  Gipfel,  Regentrichter  sind  überall  dieselben;  sie  kommen  in  allen  oder 
fast  allen  Gesteinen  vor,  die  überhaupt  Gebirge  aufbauen;  die  Ausnahmen, 
wie  /..  B.  die  Karsterscheinungen,  sind  bekannt  und  können  leicht  ausge- 
schieden werden. 

Es  handelt  sich  also,  wenn  wir  die  Formen  der  Alpen  studieren  wollen, 
in  erster  Linie  darum,  die  klimatischen  Bedingungen  aufzufassen,  unter  denen 
die  Ausgestaltung  der  Alpen  erfolgt  ist;  die  Thatsachen  des  inneren  Baues 
kommen  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht 

Die  Alpen  haben  während  ihrer  Entstehung  und  in  einer  langen  darauf 
folgenden  Zeit,  wahrscheinlich  bLs  an  den  ScMuXs  der  Tertiärzeit,  unter  der 
Einwirkung  eines  milden,  feuchten  Klimas  gestanden,  das  nur  allmählich 
kühler  wurde.  In  dieser  Zeit  beherrscht*  das  fiiefsende  Wasser  die  Gestal- 
tung des  Gebirges.  Die  Alpen  wurden  wahrscheinlich  bis  in  die  gröfsten 
Höhen  hinauf,  vielleicht  mit  Ausnahme  der  allerhöchsten  Gipfel,  von  den 
Gewässern  zerschnitten,  durchthalt;  es  entstand  ein  verwickeltes  System  von 
Längs-  und  Querthälern,  dessen  Anordnung  noch  keineswegs  erklärt  ist  und 
von  uns  hier  einfach  als  gegeben  angenommen  werden  mufs.  Die  Eiszeit 
mit  ihrem  kühleren  Klima,  der  tieferen  Lage  der  Schneegrenze  und  der  grofsen 
Ausdehnung  von  Schnee  und  Gletschern  faud  die  Thäler  und  Schluchten  vor, 
stellte  also  nicht  ganz  neue,  glaziale  Formen  in  das  Gebirge  hinein,  sondern 
bildete  die  präglazialen,  vom  Wasser  gebildeten  Formen  um.  Nur  die  nie- 
drigen Ketten  bis  zu  einer  je  nach  dem  Klima  und  der  Lage  der  Schneegrenze 
verschiedenen  Höhe,  besonders  die  niedrigeren  Ketten  der  Ostalpen,  bewahrten 
sich  die  Formen  fluviatiler  Gestaltung:  gerundete,  häufig  langhinstreichende 
Rücken,  meist  schmale  Thäler.  In  den  höheren  Teilen  der  Alpen  dagegen 
und  zwar  nicht  nur  an  den  über  die  Schneegrenze  aufragenden  Kämmen, 
sondern  auch  in  den  dazwischen  liegenden  Thälern,  in  welche  sich  die 
Gletscher  hinabsenkten,  prägte  das  Vorhandensein  und  die  Einwirkung  von 
Schnee  und  Eis  der  Landschaft  andere  Formen  auf,  die  man  zum  Unter- 
schiede von  den  Huviatilen  Formen  als  glaziale  Formen  bezeichnet.  Der 
Auffassung  dieser  glazialen  Formen  sind  die  Riehter'schen  Untersuchungen 
gewidmet,  allerdings  nicht  in  gleichmäßiger  Durchführung,  sondern  so,  dafs 
Bekanntes  nur  kurz  berührt,  Neues  ausführlich  erörtert  wird.  Während  man 
bisher  vorzugsweise  die  grofsen  Eisströme  der  Thäler  beachtet  hat,  stehen 
hier  gerade  die  kleineren  Erscheinungen  der  Lokal vergletscherung,  die  den 
Kämmen  eingesenkten  Kare  und  was  damit  zusammenhängt,  im  Vordergrunde 
des  Interesses. 

In  diesem  Auszuge  wollen  wir  aber  zuerst  die  grofsen  Eisströme  der 
Thäler  ins  Auge  fassen,  weil  sich  die  Verteilung  der  Kare  und  die  Aus- 
gestaltung der  Kämme  nur  unter  der  Voraussetzung  der  Eisströme  verstehen 
lassen.  Wir  beschränken  uns  dabei  natürlich  auf  die  Thatsachen,  die  Richter 
anführt,  weil  sie  ihm  für  das  Verständnis  der  Kare  und  der  damit  ver- 
wandten Erscheinungen  von  Belaug  erscheinen. 

Namentlich  kommt  es  darauf  an,  die  Höhe  der  alten  Eisströme  fest- 
zustellen und  zu  erklären.  Man  kann  sie  teils  aus  der  Höhenlage  der  erra- 
tischen Geschiebe,  teils  aus  der  Rundung  und  Abschleifung  der  Thalhänge 


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Über  die  Oberflächenformen  der  Hochalpen. 


449 


erkennen,  durch  die  sich  die  unteren  Teile  der  Gehänge  wenigstens  in  den 
krystallinischen  Alpen  auffallend  von  den  gezackten,  scharfkantigen,  weil  vom 
Eise  nicht  bearbeiteten  oberen  Teilen  der  (Jehänge  abheben,  während  der 
Gegensatz  in  den  steilwandigen  Thälern  der  Kalkalpen,  wohl  infolge  von 
nachträglicher  Zerstörung  der  Gletschorspuren ,  nicht  so  zum  Ausdrucke 
kommt.  Die  erratischen  Geschiebe  reichen  gewöhnlich  nicht  ganz  so  hoch 
wie  die  Rundung  und  Schleifung  hinauf.  Für  den  Verlauf  der  alten  Eis- 
grenze, die  übrigens  thalabwärts  meist  nur  mit  einiger  Schwierigkeit  zu  ver- 
folgen ist,  ergiebt  sich  nun  mit  grofser  Regelmäfsigkeit  Folgendes:  über  den 
heutigen  Firnfeldern  steigen  ausnahmslos  scharfkantige,  nicht  geschliffene  Grate 
und  Rippen  auf,  die  Firnfelder  der  Eiszeit  können  demnach  nicht  wesent- 
lich gröfser  und  mächtiger  als  die  der  Gegenwart  gewesen  sein.  Je  weiter 
abwärts  wir  aber  kommen,  um  so  mehr  entfernt  sich  die  Oberfläche  des  alten 
Eisstromes,  die  nur  ein  geringes  Gefäll  hat,  vom  Thalboden,  zu  um  so 
gröfserer  Mächtigkeit  wächst  jener  also  an. 

Wir  können  dies  Anwachsen  der  Gletscher  und  die  geringe  Neigung 
ihrer  Oberfläche  thalabwärts  nur  aus  einer  Aufstauung  des  Gletschers  und 
dieses  wieder  aus  dem  Bau  der  Alpen  erklären.  Die  grönländischen 
Gletscher  können  sich  darum  so  schnell  bewegen,  weil  sie  am  unteren  Ende 
ins  Meer  abbrechen,  also  von  unten  her  gar  nicht  gestaut  werden,  viel- 
mehr ihrer  Bewegungsfähigkeit  entsprechend  frei  nachrücken  können.  Wenn 
dagegen  Gletscher  auf  dem  Festland  durch  Abschmelzen  endigen,  also 
an  ihrem  unteren  Ende  eine  Gletscherzunge  von  geringer  Mächtigkeit  und 
demzufolge  geringer  Beweglichkeit  haben,  mufs  dieses  untere  Ende  auf  den 
ganzen  oberen  Teil  stauend  wirken.  Beim  Vorrücken  wird  sich  der  Gletscher 
über  diese  tote  Partie  des  unteren  Endes  vorschieben,  so  dafs  die  Schwellung 
der  Eismasse  nach  vorn  schneller  erfolgt,  als  es  der  Geschwindigkeit  der  Gletscher 
bewegung  entspricht;  aber  verzögert  wird  der  Vorstofs  doch  auch  in  diesem 
Falle.  Eine  weitere  Stauung  kann  durch  die  Anordnung  der  Thäler  und 
damit  auch  der  Gletscher  hervorgerufen  werden.  In  Gebirgen,  die  nur  Quer- 
thäler  haben,  wie  in  den  Pyrenäen  oder  in  der  Tatra,  konnte  in  der  Eiszeit 
jeder  Gletscher  ohne  Berührung  mit  seinen  Nachbarn  frei  in  die  Ebene  aus- 
strömen und  darum  verhältnismäfsig  rasch  und  ungestört,  abfliefsen.  In  den 
Alpen  dagegen  mit  ihren  grofsen  Längsthälern,  in  welche  zahllose  Querthäler 
einmünden,  flössen  zahlreiche  Gletscher  zusammen,  deren  gemeinsames  Bett 
viel  zu  eng  für  die  Eismasse  war,  so  dafs  diese  immer  mehr  in  die  Höhe 
wachsen  raufste.  In  Folge  davon  hatten  die  grofsen  Eisströme  an  ihrer  Ober- 
fläche nur  ein  ganz  geringes  Gefälle;  beispielsweise  schätzt  Penck  die  Ober- 
fläche des  Inngletschers  am  Ötzthal  auf  2000,  an  der  Hohen  Salve  noch  auf  über 
1800  m  Meereshöhe.  In  Folge  davon  reichten  die  gröfsten  Gletscher  innerhalb 
der  Alpen  auch  noch  überall  über  die  Schneegrenze  hinauf,  gehörten  also 
noch  dem  Nährgebiet  au,  während  das  Abschmelzungsgebiet  ganz  aufserhalb 
der  Alpen  lag.  Aus  der  Zusammenpressung  der  Gletscher  in  engem  Bett 
ergab  sich  ferner,  dafs  sie  aus  einer  Anzahl  steil  gestellter  Lamellen  bestanden, 
von  denen  jede  dem  Eisstrom  eines  Seitenthaies  entsprach.  An  den  Schweiß- 
stellen  wurde   Gruudmoränenmaterial   an   die   Oberfläche  geführt,   das  nun 


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450 


Alfred  Hcttner: 


wesentlich  zur  Zusammensetzung  der  Mittelmoränen  beitrug.  Umgekehrt  blieb 
das  oberflächlich  auffallende  Material,  da  sich  die  Gletscheroberfläche  ja  noch  im 
Nährgebiet  befand,  nicht  auf  der  Oberfläche  biegen,  sondern  gelangte  allmäh- 
lich ins  Innere  des  Gletschers  und  wurde  verarbeitet.  Aus  beiden  Umständen 
zusammen  erklärt,  sich,  dafs  wir  in  der  Moräne  des  Vorlandes  so  wenig 
scharfkantiges,  unabgenutztos  Material  finden.  Die  geringen  Höhenunterschiede 
im  ganzen  Verlauf  des  Gletschers  lassen  uns  endlich  auch  verstehen,  warum 
ein  Rückgang  der  Schneegrenze  den  ganzen  Gletscher  ziemlich  gleichmäfsig 
botreffen,  seine  ganze  Oberfläche  sich  fast  mit  einem  Ruck  aus  einer  den  Firn 
aufspeichernden  in  eine  Firn  verzehrende  Fläche  verwandeln  und  die  Eis- 
ausfüllung der  Thäler  min  verhfiltnismäfsig  rasch  verschwinden  mufste. 

In  den  oberen  Teilen  der  Thäler  sind  die  abgerundeten  und  geschliffenen 
Formen  der  alten  Gletscherbetten  meist  mit  voller  Deutlichkeit  zu  erkennen; 
„je  weiter  man  sich  aber  von  den  Ursprungsgebieten  der  Gletscher  entfernt 
und  den  Thälern  nach  abwärts  folgt,  desto  weniger  deutlich  wird  die  alte 
Eisgrenze."  Was  wir  hier  finden,  sind  gewisse  runde  Formen,  welche  an  den 
Thalgehängen  auftreten.  Am  grofsartigsten ,  förmliche  Mittelgebirge  bildend, 
sind  sie  in  den  grofsen  Lttngsthälern  ausgeprägt;  „diese  werden  auf  beiden 
Seiten  zunächst  von  einer  Zone  abgerundeter  Berge  mittlerer  Höhe  begleitet, 
hinter  denen  erst  die  höheren  Berge  mit  scharfen  Formen  einsetzen.  Diese 
abgerundeten  Berge  sind  meistens  Sporne,  die  von  den  höheren  Ketten  gegen 
das  Thal  hin  auslaufen,  oder  hohe  Terrassen,  die  ihnen  angelagert  sind;  es 
sind  aber  stellenweise  auch  ganze  Ketten  oder  Rücken  vorhanden,  die  mit 
dem  Thal  parallel  hinziehen."  Die  Höhe  dieser  Berge  beträgt  im  oberen 
Rhonethal  20(K)  bis  2500  m. 

Man  wird  zuerst  geneigt  sein,  diese  Gebilde  zu  den  Terrassen- 
bildungen  zu  rechnen,  welche  Rütimeyer  und  Heim  als  die  Reste  alter 
Thalböden  aufgefafst  haben,  die  sich  während  der  Ruhepausen  bei  der  Hebung 
des  Gebirges  gebildet  hätten.  Für  die  untersten  Längsterrassen  der  Thäler 
ist  diese  Erklärung  zweifellos  richtig;  oft  hat  man  hier  ja  den  alten  Thalboden 
noch  in  voller  Deutlichkeit  vor  sich,  in  den  der  Flufs  nachträglich  nur  eine 
enge  Klamm  eingegraben  hat.  Die  höheren  Terrassen  dagegen  sind  meist  nur 
schmale  Leisten  am  Gehänge,  deren  Zusammengehörigkeit  zu  einem  Niveau  nicht 
mehr  unmittelbar  zu  sehen  ist,  sondern  im  Geiste  rekonstruiert  werden  mufs, 
wobei  leicht  Täuschungen  unterlaufen  können;  gegen  ihre  Auffassung  als 
alte  Thalböden  sind  daher  Zweifel  erlaubt.  Wir  können  uns  auch  schwer 
vorstellen,  dafs  die  alten  Thalböden  jemals  eine  so  grofse  Breite  gehabt  haben 
sollten,  wie  sie  sich  bei  den  höheren  Terrassen  aus  dem  Abstand  der  gegen- 
überliegenden Thalleisten  ergiebt.  Richter  verleiht  damit  einem  Bedenken  Aus- 
druck, das  schon  manchem  aufgestiegen  sein  wird,  und  ich  möchte  dazu  noch 
das  weitere  Bedenken  fügen,  dafs  wir  für  eine  so  grofse  senkrechte  Hebung 
der  ganzen  Gebirgsmasse,  wie  sie  die  hohe  Lage  solcher  ebener  Thalböden 
voraussetzt,  doch  gar  keinen  Anhalt  haben. 

Allerdings  stoßen  auch  andere  Erklärungen  dieser  Mittelgebirge  auf 
Schwierigkeiten.  Für  die  Möglichkeit  einer  so  umfangreichen  Abhobelung 
durch   den   alten  Gletscher   fehlt  uns  jeder  Beweis.     Richter  meint,  dafs 


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über  die  Oberflächenformen  der  Hochalpcn. 


451 


zuerst  eine  Erniedrigung  der  den  Längsthälern  benachbarten  Berge  durch  die 
Erosion  der  Flüsse  und  die  Wirkung  des  spülenden  Wassers  stattgefunden 
habe,  und  dafs  dieso  erniedrigten  Berge  dann  vom  Gletscher  abgerundet 
worden  seien,  so  dafs  die  Mittelgebirge  jedenfalls  als  Anzeichen  für  die  Höhe 
der  alten  Eisströme  gelten  dürften. 

Einen  Zusammenhang  mit  der  alten  Vereisung  haben  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  auch  die  Thal  stufen,  die  wir  im  Längsprofil  fast  aller  einst 
vergletscherten  Thäler  finden,  und  die,  wie  wir  sehen  werden,  mit  den  Kar- 
treppen durch  allmähliche  Übergänge  verbunden  sind.  Nur  in  einzelnen  Fällen 
lassen  sie  sich  durch  Härteunterschiede  oder  verschiedene  Grade  der  Ver- 
witterbarkeit  des  Gesteines  erklären.  Leichte  Unterschiede  von  Strecken 
gröfseren  und  geringeren  Gefälles  sind  zwar  auch  in  Thälern  ohne  alte  Ver- 
gletscherung vorhanden,  aber  in  Thälern,  die  einmal  vergletschert  waren,  ist 
die  Stufenbildnng  viel  ausgeprägter.  Wir  können  diese  Wirkung  der  alten 
Gletscher  noch  nicht  erklären,  aber  wir  müssen  es  als  eine  Erfahrungsthat- 
sache  hinnehmen,  dafs  sie  aus  dem  anstehenden  Gestein  überall  Gruben  und 
Riegel  herausarbeiten  und  durch  die  Art  ihrer  Bewegung  und  Arbeit  einmal 
vorhandene  Unterschiede  des  Gefälles  verstärken  und  in  förmliche  Stufen 
umwandeln.  Man  hat  diese  Stufenbildung  mit  dem  allmählichen,  jedoch  nicht 
gleichmäfsigeu  Rückzug  der  Gletscher  in  Verbindung  gebracht;  aber  es  wird 
kaum  angängig  sein,  jede  Thalstufe  als  eine  Marke  in  dieser  Rückzugs- 
bewegung anzusehen,  weil  die  Gletscherenden  überhaupt  nie  so  lange  an 
einer  Stelle  stehen  bleiben,  sondern  unruhig  hin-  und  horschwanken. 

Zu  den  charakteristischen  Ansbildungsweisen  ehemals  vergletscherter 
Thäler  gehören  auch  die  U-förmigen  Thäler  oder  Thaltröge1).  „In  sehr 
vielen  Querthälern  des  kry  stall  inisehen  Gebirges  sieht  man  in  die  Thalfurchen, 
wenn  man  den  Gehängen  von  oben  herab  folgt,  plötzlich  eine  Art  trog- 
förmiger  Vertiefung  eingesenkt"  Der  Trogrand,  der  etwa  2  —  300  m  über 
der  Thalsohle  liegt,  „läuft  dieser  im  allgemeinen  parallel,  ohne  gerade  jede 
Stufe  genau  abzubilden.  Er  ist  durch  die  herabströroenden  Bäche  in  ein- 
zelne bastionsartige  Stücke  zerschnitten,  wodurch  aber  der  Charakter  des 
zusammenhängenden  Randes  nicht  verwischt  wird."  Im  Hintergrunde  der 
Thäler  schliefsen  sich  die  Trogwände  häufig  zusammen,  so  dafs  Thalzirken 
oder  Sack  thäler  entstehen.  Man  hat  die  Trogform  meistens  der  Wirkung 
des  dem  Thale  eingelagerten  Gletschers  zugeschrieben.  „Dieser  greift  bei 
seiner  Bewegung  Vorsprünge  und  Unregelmäfsigkeiten  des  Thalweges  stärker 
an  als  die  zurücktretenden  Partien  seines  Bettes,  sucht  dieses  also  einer  halb- 
i'ylindrischen  Rinne  ähnlich  zu  machen,"  unterschneidet  auch  in  Folge  der 
schnelleren  Bewegung  seiner  tieferen  Partien  häufig  die  Gehänge  und  trägt 
dadurch  zur  Herstellung  steilerer  Gehänge  bei.  Der  obere  Rand  der  Thal- 
tröge  wird  also  immer  über  den  oberen  Rand  der  Eisströme  aufragen  müssen. 
Thatsächlich  sehen  wir  ihn  aber  bedeutend  tiefer  liegen,  als  die  Eisstromhöhe 
war,  wie  sio  durch  die  Lage  des  Erratikums  und  auch  durch  Schliffspuren 

1)  Es  ist  zu  beuchten,  dafs  Penck  (Morphologie  Bd.  II,  S.  65)  diesen  Aus- 
druck in  anderem  Sinne  gebraucht. 


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Alfred  Hettner: 


unzweifelhaft  bestimmt  ist.  Diesen  Widerspruch  können  wir  uns  nicht  anders 
als  durch  die  Annahme  erklären,  dafs  die  Tröge  nicht  das  Werk  der  Gletscher 
zur  Zeit  ihrer  gröfsten  Ausdehnung  gewesen  sind,  sondern  aus  einer  Zeit 
stammen,  in  der  das  Eis  nicht  mehr  aufgestaut  war,  und  nur  Oletscherzungen 
nach  Art  der  heutigen  Gletscher  in  den  Thälern  lagen.  Die  Thaltröge 
stammen  also  wahrscheinlich  erst  aus  dem  Schlaft  der  Eiszeit,  wofür  auch 
ihre  frische  und  energische  Ausbildung  spricht.  Aber  auch  bei  dieser  Auf- 
fassung bleiben  doch  noch  Schwierigkeiten  bestehen.  Namentlich  läfst  sich 
der  zirkusförmige  Abschlufs  nicht  mit  dem  Herabsteigen  eines  Gletschers  von 
oben  her  in  Einklang  bringen,  der  vielmehr  den  Trogrand  allmählich 
niederschleifen  müfste,  wie  wir  es  thatsächlich  in  manchen  Füllen  sehen1). 

Nun  wollen  wir  aber  die  Thäler  verlassen  und  uns  zu  den  grofsen 
Firnfeldern  am  oberen  Rande  der  Eisströme  begeben.  Ein  ganz  anderer 
Formencharakter  tritt  uns  hier  entgegen:  statt  der  ausgesprochen  linearen 
Hohlformen  der  Thäler  ausgedehnte,  meist  muldenförmige  Hochflächen,  die 
gewöhnlich  von  steilen,  mit  Karen  besetzten  Felswänden  umgeben  sind.  Ihre 
Entstehung  ist  noch  keineswegs  genügend  erklärt.  Jedenfalls  sind  sie  nicht 
unmittelbar  tektonischer  Entstehung,  sondern  Skulpturformen.  Ihre  Anlage 
stammt  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aus  der  der  Eiszeit  vorangehenden  Zeit 
eines  milden  Klimas,  in  welcher  Wasserwirkung  die  Gestaltung  des  Gebirges 
beherrschte;  es  sind  die  oberen,  nur  wenig  eingeschnittenen  Stücke  jener  alten 
Thäler.  Aber  die  weitere  Ausbildung  zu  ihrer  heutigen  Form  ist  dann  gerade 
dadurch  bedingt,  dafs  sich  eine  Firndecke  bildete,  und  dafs  damit  der  Arbeit 
des  Wassers  Einhalt  gethan  wurde,  die  Thalbildung  zum  Stillstand  kam. 
Wahrscheinlich  ist,  wie  wir  aus  der  Geringfügigkeit  der  Durchthalung 
schliefsen  können,  die  Firnbedeckung  schon  ziemlich  früh  eingetreten  und 
auch,  wenn  auch  natürlich  verkleinert,  in  den  Interglazialzeiten  erhalten  ge- 
blieben; am  Rande  dieser  verkleinerten  Firnmulden  der  Interglazialzeiten 
bildeten  sich  grofse  Thalstufen  aus,  über  die  dann  in  den  Glazialzeiten  und 
auch  in  der  Gegenwart,  in  der  die  Vergletscherung  doch  wohl  etwas  gröfser 
als  in  den  Interglazialzeiten  ist,  die  Gletscher  in  Kaskaden  herabstürzen.  Die 
Firneinlagerungen  und  damit  der  Stillstand  der  Erosion  waren  zunächst 
natürlich  auf  die  Thalböden  und  die  unteren  Teile  der  Gehänge  beschränkt; 
an  den  umfassenden,  über  den  Firn  aufragenden  Hängen  nagte  dagegen  die 
Verwitterung,  nach  Mafsgabe  der  Gesetze,  die  wir  gleich  näher  studieren 
werden,  und  legte  sie  allmählich  immer  weiter  zurück,  wobei  sich  ein  flach 
geneigter  Fufskegel  bildete,  von  dem  nun  auch  der  Firn  Besitz  ergreifen 
konnte.  Schließlich  wandelten  sich  die  Hänge  vollständig  in  flache  Böschungen, 
die  dazwischen  liegenden  Grate  in  gerundete  Rücken  um,  über  die  der  Firn 
hinauswuchs.  Die  Firnfelder  frafseu  gleichsam  ihre  Ränder,  benachbarte  Firn- 
felder verschmolzen  mit  einander,  und  so  bildeten  sich  allmählich  die  heute 
vorhandenen  Hochmulden  heraus. 

Man  hat  sich  früher  vorgestellt,  dafs  in  der  Eiszeit  die  Alpen,  ähnlich 


1)  Vergl.  die  Abbildung  in  Schjcrning,  Der  Pinzgan.    Forsch.  /..  d.  L  u. 
V.  Bd.  X  Heft  2,  S.  17G 


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Über  die  Obcrflächenforraen  der  Hochalpen. 


453 


wie  heute  Grönland,  ganz  mit  Firn  und  Eis  überdeckt  gewesen  seien.  Wir 
haben  ja  aber  schon  gesehen,  dafs  die  Spuren  der  Eisströme  deutlich  eine 
obere  Grenze  zeigen,  und  dafs  die  darüber  aufragenden  Kämme  und  Gipfel 
gezackte,  scharfkantige  Formen  besitzen,  weil  sie  auch  in  der  Eiszeit  frei 
von  Firn  und  Eis  waren  oder  wenigstens  keine  zusammenhangende  Eisdecke 
trugen,  dafs  sie  also  „Inseln  im  alpinen  Eismeere"  darstellten.  „Her 
Anblick,  den  man  im  Herbst  geniefst,  wenn  Nebel  bis  2000  oder  2.r>00  m 
Höhe  die  Thäler  erfüllt,  während  die  Kämme  und  Gipfel  frei  darüber  auf- 
ragen, dürfte  daher  dem  Aussehen  der  Alpen  zur  Eiszeit  ziemlich  genau  ent- 
sprechen." Freilich  waren  diese  Kämme  und  Gipfel  damals  stark  verfirnt, 
und  zahllose  kleinere  und  gröfsere  Gletscher  zogen  sich  von  ihnen  in  die 
eiserfüllten  Thäler  hinab. 

Zu  den  wichtigsten  und  charakteristischsten  Formgebilden  der  Kämme 
gehören  die  Kare1),  mit  deren  Entstehung  sich  Richter  schon  früher  in 
seinen  gcomorphologischen  Studien  aus  Norwegen  beschäftigt  hatte,  und  die  den 
Ausgangspunkt  und  wichtigsten  Gegenstand  auch  dieser  geomorphologLschen 
Untersuchungen  aus  den  Hochalpen  bilden.  Die  Kare  sind  kesseiförmige, 
im  Grundrifs  bald  mehr  halbkreisförmige,  bald  mehr  länglich  gestreckte 
Nischen  in  den  Gebirgskämmen,  welche  nach  rückwärts  und  nach  den  Seiten 
hin  bogenförmig  durch  steile  Wände  geschlossen  sind,  während  der  flache 
Boden  nach  vorn  geöffnet  ist  und  dort  in  der  Regel  ziemlich  unvermittelt 
in  einen  Steilabsatz  übergeht.  Sie  liegen  mitten  im  Gebirgsgehänge,  meist 
nahe  am  Kamme,  hoch  über  der  Sohle  des  benachbarten  Thaies,  zu  welchem 
sich  von  ihnen  nur  unbedeutende  Wasserrisse  herabzuziehen  pflegen.  Mitunter 
treten  sie  vereinzelt  auf,  häufig  aber  liegen  sie  reihenweise  neben  einander 
und  bestimmen  dann  die  Gestaltung  des  ganzen  Kammes.  Während  ihre 
Wände  scharfkantige  Verwitterungsformen  zeigen,  beherbergt  ihr  Boden  ent- 
weder, in  den  sog.  aktiven  Karen,  noch  jetzt  Firn  bez.  einen  kleinen  Gletscher 
oder  zeigt  doch  charakteristische  Rundhöckerlandschaft  und  Schliffspuren,  die 
mit  Bestimmtheit  auf  frühere  Gletschereinlageruug  hinweisen.  Den  niedrigeren 
Kämmen  der  Ostalpen  sowie  anderen  Gebirgen,  die  nie  vereist  waren,  fehlen 
sie  ganz.  Es  kann  also  keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs  ihre  Entstehung 
mit  der  Eiszeit  in  Zusammenhang  steht.  Man  hat  sie  wohl  der  Auskolkung 
durch  Eisströme  zugeschrieben,  die  von  oben  hereintraten;  dagegen  sprechen 
aber  die  Häufigkeit  der  Lage  dicht  am  Gebirgskamme,  das  häufige  Fehlen 
von  Fimspuren  oberhalb  der  Kare,  die  Scharfkantigkeit  der  Karränder  und 
die  Seltenheit  von  Gletscherscbliffen  an  den  Karwänden. 

Den  Anlafs  zur  Bildung  der  Kare  mufs  wohl  das  Vorhandensein  irgend 
einer  Nische  im  Berggehänge  gegeben  haben,  die  in  den  meisten  Fällen  wohl 
durch  die  präglazialen  Wasserrisse,  gelegentlich  wohl  auch  durch  kleine  Berg- 
stürze geschaffen  worden  war.  Wenn  sich  dann  in  der  Eiszeit  die  Sehnee- 
grenze  herabsenkte,  konnten   sich  gerade  in  solchen  Nischen  leicht  Firn- 

1)  Die  von  Richter  bevorzugte  Schreibung  .,Kahra  scheint  mir  unnötig  zu 
sein,  da  das  Wort  auch  ohne  das  Dehnung« -h  lang  gesprochen  werden  mufti  und 
die  unnötige  Anwendung  von  Dehnungszeichen  dem  Geist  der  neueren  Rechtschreibung 
widerspricht. 


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454 


Alfred  Hettner: 


ansaminlungen  und  kleine  Gletscher  bilden,  die  nun  den  Boden  vor  weiterem 
Einschneiden  schützten  und  den  von  den  Wänden  herabfallenden  Schutt  an 
ihrer  Oberfläche  abgleiten  liefseu  oder  durch  ihre  Bewegung  hinausschafften 
und  dabei  auch  den  Boden  im  einzelnen  bearbeiteten.  An  den  Wänden  arbeitet«, 
da  die  Temperatur  oft  um  den  Gefrierpunkt  herumschwankte,  die  Frost- 
verwitterung mit  voller  Kraft,  ohne  dabei  von  spülendem  Wasser  wesentlich 
beeinträchtigt  zu  werdeu,  und  diese  Verwitterung  und  Absplitterung  ist  auch 
heute,  nachdem  die  Schneegrenze  wieder  höher  hinauf  gerückt  ist,  noch  in 
vollem  Gange,  wie  die  Häufigkeit  von  Lawinenschlägen  und  einzelnen  Stein- 
stürzen beweist.    Daher  die  scharfen,  frischen  Formen. 

Die  Steilheit  und  Gestalt  der  Wände  ist  je  nach  der  Härte  und  Festigkeit 
des  Gesteins  sehr  verschieden;  bei  weichen  Gesteinen  kann  man  überhaupt 
nicht  mehr  von  Karwänden,  sondern  nur  von  Karhängen  oder  Karböschungen 
reden,  dagegen  besteht  bei  grofser  Härte  des  Gesteins  oder  bei  Vorhanden- 
sein senkrechter  Absonderung  und  ebenso  bei  sehr  kräftiger  Verwitterung  die 
Neigung  zu  grofser  Steilheit.  Im  Laufe  der  Zeit  wurden  die  Wände  wenigstens 
im  oberen  Teil  immer  weiter  zurückgedrängt,  die  Nische  erweiterte  sich, 
während  sich  am  Fufse  ein  aus  Schutt  und  stehengebliebenem  Fels  bestehender 
flacher  geneigter  Kegel  bildete,  über  den  sich  nun,  solange  die  Schneegrenze 
tief  genug  lag,  der  Firn  ausbreiten  und  dem  er  die  eigentlichen  Formen  des 
Firnbodens  aufdrücken  konnte. 

Der  grofse  Fortschritt  in  Richter's  Auffassung  der  Kare1)  gegenüber  den 
älteren  Auffassungen  scheint  mir  darin  zu  bestehen,  dafs  ihre  Verwandtschaft 
mit  anderen  kesseiförmigen  Gebilden  erklärlich  wird,  wie  sie  aus  dem  Cauon- 
gebiet  des  Colorado,  aus  der  sächsichen  Schweiz,  aus  der  afrikanisch-arabischen 
Wüste  u.  a.  beschrieben  worden  sind.  Die  Kare  sind  also  keineswegs 
wofür  man  sie  oft  gehalten  hat,  eine  ganz  isolierte  Erscheinung,  sondern  nur 
ein  Glied  in  einer  Reihe  verwandter  Formen.  Die  gemeinsamen  Entstehuugs- 
bedingungen  aller  dieser  Bergkessel  oder  Amphitheater  sind  nach  Kichter 
das  Vorhandensein  fester  widerstandsfähiger  Schichten,  und  zwar  am  besten 
in  schwebender  Lagerung,  sowie  das  Fehlen  der  Abspülung.  Sie  können  sich 
also  ebensogut  wie  in  den  Hochregionen  oberhalb  der  Schneegrenze  auch  in 
Trockengebieten  oder  auch  in  solchen  regenreichen  Gebieten  ausbilden,  wo 
der  Niederschlag  nicht  oberflächlich  abfliefst,  sondern  im  Boden  einsickert. 
Die  Verschiedenheiten  lassen  sich  hauptsächlich  darauf  zurückführen,  welche 
Kraft  den  von  den  Wänden  gelieferten  Schutt  wegführt,  und  machen  sich 
daher  hauptsächlich  am  Boden  geltend;  die  spezifischen  Merkmale  der  Kare 
sind  iu  der  Einlagerung  von  Firn  und  kleinen  Gletschern  begründet  nud  äufsern 
sich  in  Abrundung  und  Schleifung  des  Bodens  und  häufig  auch  in  dessen 
Ausgestaltung  zu  einem  Becken. 

1)  Zu  dem  gleichen  Ergebnis  über  die  Bildung  der  Cirkcn  oder  Kare  ist  neuer- 
ding« auch  K.  de  Martonue  auf  Grund  seiner  Studien  in  den  südlichen  Kurpaten 
gekommen.  (Annales  de  Geographie  X,  1901,  S  10  ff.,  vgl.  «las  Referat  Richter's 
in  l'et.  Mitt.  1901  L.  B.  300.)  Es  inufs  darauf  hingewiesen  werden,  dafs  seine 
Ausführungen  in  der  Hauptsache  auf  dasselbe  hinauslaufen  wie  Richters  frühere 
Untersuchungen,  die  M.  nicht  genügend  gewürdigt  hat. 


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über  die  Oberflachenformen  der  Hochalpen. 


455 


Auch  das  häufige  Auftreten  von  Seen,  dio  teilweise  Felsbecken  sind, 
am  Boden  der  Kare  gehört  zu  den  glazialen  Merkmalen,  wenn  wir  uns  auch 
über  die  Art  ihrer  Bildung  noch  keine  klare  Vorstellung  machon  können. 
Richter  meint,  dafs  eigentliche  Glazialerosion  hier  kaum  möglich  sei,  möchte  viel- 
mehr eher  an  chemische  Zersetzung  und  damit  Gesteinsauflösung  am  feuchteu 
und  relativ  warmen  Gletschergrunde  und  Ausräumung  durch  das  Eis  denken. 

Obgleich  die  Kare  charakteristische  Merkmale  alter  Vergletscherung  bilden 
und  man  aus  dem  Auftreten  von  Karen  mit  Sicherheit  auf  alte  Vergletscherung 
schliefsen  kann,  kann  man  in  den  Alpen  daraus  doch  nicht  ohne  weiteres  die 
Höhe  der  alten  Schneegrenze  bestimmen.  Die  Bestimmung  der  sog. 
klimatischen  Schneegrenze  bietet  wenigstens  bei  gröfseren  Karen  schon  inso- 
fern Schwierigkeiten  dar,  als  diese  immer  eine  orographische  Begünstigung 
darstellen,  sie  also  unterhalb  der  klimatischen  Schneegrenze  liegen  können. 
Bei  Karen  mittlerer  Gröfse  darf  man  jedoch  annehmen,  dafs  wenigstens  die 
oberen  Teile  des  Karbodens  oberhalb  der  Schneegrenze  gelegen  haben. 
Besondere  Schwierigkeiten  bietet  das  Studium  der  Kare  in  den  Kalkalpen  dar. 
Während  die  Kare  in  den  krystallinischen  Alpen  raeist  einer  Höhenzone 
angehören,  so  dafs  man  eine  Kar-Isohypse  zeichnen  kann,  sind  sie  in  den  Kalk- 
alpen ganz  unregelmäfsig  verteilt,  und  dazu  kommt  noch,  dafs  sie  hier  von 
ähnlichen  Formen,  nämlich  von  den  Zirken,  welche  sich  an  den  die  Kalkstöcke 
umgebenden  Kliffen  bilden,  den  Einbiegungen  der  Kalkwände  und  den  Dohnen 
oft  schwer  zu  unterscheiden  sind.  Es  scheint,  dafs  die  Kare  in  den  Kalk- 
alpen in  Folge  von  deren  Randlage  und  in  Folge  der  hier  häutig  gebotenen 
orographischen  Begünstigung  teilweise  sehr  tief  gelegen  haben,  worauf  Richter 
jedoch  nicht  näher  eingeht,  um  den  Veröffentlichungen  Pen ck 's  und  Brückner's 
nicht  vorzugreifen.  Auch  in  den  inneren  Teilen  der  Alpen  treten  uns  die 
Kare  in  den  verschiedenen  Gegenden  in  sehr  verschiedener  Zahl  und  in  sehr 
verschiedener  Meereshöhe  entgegen.  Sie  liegen  hier,  wie  uns  schon  ein  flüch- 
tiger Überblick  lehrt,  oft  viel  höher,  als  die  Schneegrenze  in  der  Eiszeit  ge- 
legen haben  kann.  Das  erklärt  sich  teilweise  aus  der  Höhe  der  Kämme; 
denn  echte  oder  Ursprungskare  können  sich  immer  nur  nahe  dem  Kamme 
bilden,  weil  tiefer  unten  am  Gehänge  die  aus  den  oberen  Karen  herab- 
kommenden Eisströme  die  eigentlichen  Kare  zerstören  und  es  nur,  je  nach 
der  Steilheit  des  Gehänges,  zur  Bildung  von  Kartreppen  oder  von  flachen  aus- 
gescheuerten Rinnen  oder  von  Gletscherabbrüchen  kommen  lassen;  die  Ursprungs- 
kare steigen  also  mit  der  Höhe  der  Kämme  in  die  Höhe.  Ferner  ist  die 
Ausbildung  von  Karen  nur  möglich,  wenn  der  Gebirgskörper  in  der  Höhe, 
in  der  die  Kare  ansetzen,  breit  und  massig  genug  ist,  um  die  Einschiebung 
eines  Stückes  mit  stark  vermindertem  Neigungswinkel  zu  gestatten.  Die  Breite 
des  Gebirgskammes  hängt  aber  wieder  von  dem  Abstand  der  Thäler,  zwischen 
denen  er  aufsteigt,  und  seiner  relativen  Höhe  über  dem  Thalboden  ab.  Im 
allgemeinen  mufs,  wie  Richter  an  der  Hand  einer  gröfseren  Zahl  von  Aus- 
messungen feststellt,  dio  Breite  der  Kämme  dreimal  gröfser  als  die  Höhe 
sein  und  darf  der  Neigungswinkel  nicht  mehr  als  31°  betragen,  damit  die  Kar- 
bildung möglich  sein  soll.  Während  z.  B.  in  den  ötzthaler  Alpen  die  Thäler 
verhältnismäfsig  weit  auseinander  liegen  und  die  Kämme  breit  und  deshalb 


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456 


Alfred  Hettner: 


auch  reich  an  Karen  sind,  finden  wir  in  den  Zillerthaler  Alpen  nahe  zusammen- 
gerückte schmale  Kämme  ohne  Kare.  Die  mittleren  Stücke  der  Querkamme, 
die  sich  gewöhnlich  am  höchsten  über  die  Thalsohle  erheben  und  am  steil- 
wandigsten sind,  sind  der  Karbildung  am  wenigsten  günstig;  die  Kare  ziehen 
sich  hier  in  die  Seitenthäler  zurück.  Drittens  können  sich  Kare  immer  nur 
au  den  über  die  grofsen  Eisströme  aufragenden  Teilen  der  Gehänge,  folglich, 
da  die  Eisströme  über  die  Schneegrenze  aufragten,  oft  erst  in  beträchtlicher 
Höhe  über  der  Schneegrenze  gebildet  haben.  Nur  die  Kartreppen  oder  Stufen- 
kare reichten  öfters  unter  das  Niveau  des  Eisstromes  herab. 

Überblicken  wir  nun  die  Verbreitung  der  Kare  in  den  verschiedenen 
Teilen  der  Alpen,  um  daraus  Schlüsse  auf  die  Höhe  der  alten  Schneegrenze 
zu  ziehen,  so  tritt  uns  die  auffallende  Thatsache  entgegen,  dafs  sie  in  vielen 
Ketten  der  Ostalpen  ganz  fehlen,  dafs  diese  also  gar  nicht  oder  nur  wenig 
in  die  Region  des  ewigen  Schnees  hineingeragt  haben  können.  Gut  entwickelte 
Kare  kommen  in  den  steirischen  Alpen  nur  an  Gipfeln  vor,  die  21<K>  m  wesent- 
lich übersteigen,  und  liegen  selbst  nirgends  unter  1600  ni,  meist  etwas  höher. 
Die  Schneegrenze  lag  hier  also,  offenbar  unter  dem  Einflufs  eines  kontinen- 
talen Klimas,  sehr  hoch,  etwa  in  1600  bis  1800  m  Meereshöhe,  also  viel  höher 
als  in  den  deutschen  Mittelgebirgen,  in  denen  es  ja  eine  ganze  Anzahl  von 
Karen  giebt.  In  grofser  Zahl  und  in  geselligem  Auftreten  finden  wir  die  Kare 
zuerst  in  den  Niedereu  Tauern,  die  man  geradezu  als  den  Typus  eines 
gegenwärtig  unvergletscherten  Kargebirges  ansehen  kann.  Weiter  westwärts 
werden  die  Kare  in  gröfsere  Höhe  hinaufgedrängt,  weil  die  grofsen  Eisströme 
die  Thäler  erfüllen;  sie  können  deshalb  hier  nicht  zur  Ermittelung  der  eigent- 
lichen Schneegrenze  benutzt  werden.  „Hingegen  giebt  es  sowohl  in  den  nörd- 
lichen als  in  den  südlichen  Randgebieten  der  Alpen  viele  Vorketten  und 
Einzelgruppen,  welche  zwischen  den  grofsen  Eisströmen  so  gelagert  waren, 
dafs  sie  eine  selbständige  Lokalvergletscherung  trugen,  und  darum  Spuren 
aufweisen,  die  zur  Bestimmung  der  eiszeitlichen  Schneegrenze  verwendet  werden 
können."  Diese  Spuren  reichen  in  den  nördlichen  Alpen  bis  auf  1000 — 1200  m 
herab  und  liegon  auch  in  der  Nähe  des  Mittelländischen  Meeres  ziemlich  tief, 
während  sie  sich  in  den  piemontesLscheu  Alpen  iu  betrüchtliche  Höhen  zurück- 
ziehen. „Eine  genauere  Untersuchung  dieser  Spuren  der  lokalen  Vergletsche- 
rung besonders  am  französischen  und  italienischen  Alpenabhange  verheifst 
noch  reiche  Erfolge." 

Mit  dem  Auftreten  der  Kare,  also  oberhalb  des  Niveaus  der  alten  Schnee- 
grenze oder,  wo  die  Eisströme  über  diese  emporragten,  über  dem  oberen  Rande 
der  Eisströme,  ändert  sich  die  ganze  Physiognomie  des  Gebirges.  Dar- 
unter finden  wir  die  vom  Wasser  geschaffenen  und  teilweise  von  den  Eis- 
strömen umgestalteten  „Mittelgebirgsformen".  Einzelne  Kare,  wie  wir  sie 
z.  B.  in  den  deutschen  Mittelgebirgen  finden,  heben  diesen  „Mittelgebirgs- 
charaktcr"  noch  nicht  auf.  Aber  wo  die  Kare  reihenweise,  gewissennafseu 
gesellig,  längs  der  Kämme  hin  neben  einander  liegen,  also  an  Kämmen,  die 
wenigstens  2 — 300  m  über  die  eigentliche  Schneegrenze  aufragten,  beginnen 
andere  Formen.  In  den  Kalkalpen,  die  auch  schon  in  tieferen  Regionen 
Neigung  zur  Wandbildung  haben,  geht  der  Gegensatz  allerdings  oft  verloren; 


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Über  die  Oberflachenformen  der  Hochalpen.  457 

in  den  krystallinischen  Gebirgen  ist  er  aber  überall  mit  grofser  Deutlichkeit 
ausgesprochen.  An  die  Stelle  der  breiten  Rücken  der  mittleren  Höhen  treten 
hier  zugeschärftc,  daehähnliche  Grate  mit  steilen,  schart  kantigen  Wänden: 
die  bekannten  charakteristischen  Formen  der  Hochalpen.  Diese  sind  also, 
nach  dem,  was  wir  über  die  Entstehung  der  Kare  gehört  haben,  ein  Er- 
zeugnis der  Eiszeit;  nicht  das  heutige  Klima  und  die  heutige  Schneegrenze, 
sondern  Klima  und  Schneegrenze  der  Eiszeit  sind  also  für  die  Physiognomie 
der  einst  vergletscherten,  jetzt  eisfreien  Hochalpen  in  erster  Linie  bestimmend. 
Wo  eine  zusammenhängende  Pflanzendecke  in  die  Karregion  hinaufreicht  und 
sich  in  Folge  davon  das  Wasser  zu  gröfseren  Adern  sammeln  kann,  haben 
allerdings  chemische  Zersetzung  und  Erosion  die  alten  Formen  angegriffen 
und  verwischt;  aber  oberhalb  des  zusammenhängenden  Pflanzenkleides,  das  ja 
nur  den  untersten  Teil  der  hochalpinen  Region  verhüllt,  sind  die  alten 
glazialen  Formen,  nicht  nur  die  Kare  selbst,  sondern  auch  die  gröfseren 
Karseen,  oft  in  erstaunlicher  Frische  erhalten.  Am  auffallendsten  tritt  uns 
dieser  glaziale  Charakter  der  Hodengestaltung  an  solchen  Ketten  wie  den 
Niederen  Tauern  oder  den  Nebenketten  der  Hohen  Tauern  entgegen,  die 
heute  überhaupt  nicht  mehr  in  die  Firnregion  aufragen. 

Der  Übergang  von  dem  Mittelgebirge  in  die  hochalpinen  oder,  wie  wir 
ja  auch  sagen  können,  von  den  durch  das  Wasser  gebildeten  (hydatogenen) 
zu  den  glazialen  Formen  ist  immer  mit  einem  auffallenden  Terrai uabsatz 
oder  Gefällsbruch  verbunden.  Die  Mittelgebirgsformen  schliefsen  am  oberen 
Rande  mit  einer  Fläche  ab,  die  mit  einer  Rundhöckerlandschaft  besetzt  ist, 
und  erst  etwas  nach  hinten  gerückt  steigen  die  schroffen  hochalpinen  Formen  auf. 
Dieser  Gefällsbruch  ist  die  Wirkung  eines  Abtragungsvorganges,  der  sich  aus 
der  Entstehung  der  Kare  leicht  erklären  läfst.  Wir  haben  ja  gesehen,  dafs 
diese  auf  einer  Wand  Verwitterung  und  auf  der  Uberdeckung  des  Fufsgestelles 
mit  Firn  und  Eis  beruht.  Diese  Wandverwitterung  gehört  der  Region  ober- 
halb der  Schneegrenze  au,  wo  das  Gestein  beständig  Temperaturwechseln 
um  den  Gefrierpunkt  herum  ausgesetzt  ist,  und  kann  daher  mit  gröfserer 
Geschwindigkeit  als  die  Zerstörung  in  der  darunter  liegenden  Zone  fortschreiten, 
in  der  die  Pflanzendecke  den  Boden  schützt.  Die  Folge  dieser  plötzlich  ein- 
tretenden Verschiedenheit  in  der  Stärke  der  Abtragung  ist  die  Ausbildung 
jenes  Absatzes.  Wo  die  Kare  an  den  beiden  Seiten  schmaler  Kämme  nahe 
an  einander  liegen,  hat  die  allmähliche  Rückverlegung  ihrer  Wände  zu  vollstän- 
diger Zerstörung  der  zwischenliegcnden  Grate  und  Herstellung  einer  Deuu- 
dationsplatte  führen  können,  ganz  ähnlich  wie  ich  es  von  den  Felskesseln  der 
sächsischen  Schweiz  beschrieben  habe.  Mitunter  kann  man  zwei  solche 
Denudationsllächeu  über  einander  unterscheiden,  von  denen  die  untere  durch 
die  Höhe  der  alten,  heute  gletscherfreien  Kare,  die  obere  durch  die  Höhe  der 
heutigen,  von  Gletschern  besetzten,  aktiven  Kare  gegeben  ist,  diese  also  der 
Höhe  der  heutigen,  jene  der  Höhe  der  eiszeitlichen  Schneegrenze  oder,  wo  die 
Kisströme  darüber  aufragten,  dem  oberen  Rande  der  alten  Eisströme  ent- 
spricht. 

Man  kann  es  wohl  als  ein  allgemein  gütiges  Gesetz  aussprechen,  dafs 
die  Anordnung  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  die  Formen  der  Gipfel 

OMglSphiMha  ZeiUi'hrift.  7.  Jahrgang.  r.HH.  S  Heft.  Sl 


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458    Alfred  Hettner:  fvber  «1  i o  Oberflächen  formen  der  Hochalpen. 

durch  die  Anordnung  der  Erosionsformen  bestimmt  werden,  und  dafs  die  Harte 
und  Widerstandsfähigkeit  des  Gesteins,  auf  die  man  früher  den  Hauptwert 
gelegt  hat,  nur  sekundär  in  Betracht  kommen.  In  den  Hochalpen,  besonders 
an  den  Ketten  mittlerer  Höhe,  sind  die  Kare  die  herrschende  Hohlform:  darum 
sind  auch  die  Gipfel  von  ihnen  abhängig.  Wo  die  die  Kare  von  einander 
trennenden  Rippen  den  Kamm  treffen,  stehen  Gipfel.  Je  nachdem  drei  oder 
vier  Grate  zusammentreffen,  sind  die  Gipfel  regelmäfsige  Dreikanter,  wie  der 
Glockner,  oder  Vierkanter,  wie  der  Grofs- Venediger,  gelegentlich  auch  Zwei- 
kanter, wie  das  Finsteraarhorn.  In  den  höchsten  Gebirgsmassen ,  die  durch 
ganzliche  Verfirnung  vor  den  Insulten  der  gröfseren  Temperaturwechsel  ge- 
schützt sind,  die  auch  schon  früh  verfirnt  waren  und  die  Verfirnung  auch 
während  der  Interglazialzeiten  bewahrten  und  darum  nicht  vom  Wasser  an- 
geschnitten und  zerschnitten  werdeu  konnten,  finden  wir  statt  der  einzelnen 
Gipfel  gewöhnlich  umfangreichere  und  verwickelt  gebaute  Massive,  wie  etwa 
den  Mont  Blanc  und  deu  Monte  Rosa,  die  oft  in  mehreren  Stockwerken  auf- 
gebaut sind.  Diese  grofsen  verfirnten  Massive  unterliegen  geringerer  Zer- 
störung als  die  tieferen  Gebirgsteile  und  werden  sich  daher  im  Laufe  der 
Zeit  immer  mehr  herausheben.  „Es  mufs  eine  Tendenz  zur  steigenden  Differen- 
zierung zwischen  den  ganz  hohen  und  den  etwas  niederen  Teilen  eines  uud 
desselben  vergletscherten  Gebirges  bestehen."  Aber  von  den  Seiten  her  arbeitet 
die  Zerstörung  doch  auch  an  diesen  Massiven.  Ihre  Wände  werden  allmählich 
zurückgeschoben,  die  Masse  des  Herges  wird  immer  diinnleibiger  und  schliefslich, 
wie  z.  H.  das  Matterhorn,  so  schlank,  dafs  sich  keine  Firnhaube  auf  seinem 
Scheitel  halten  kann.  Dann  ist  seine  Abtragung  nur  noch  eine  Frage  kurzer  Zeit. 

So  hat  Richter  eine  Anzahl  alpiner  Gehirgsformen  einer  eingehenden 
Analyse  unterworfen,  die  wir  hier  natürlich  nur  in  den  Hauptzügen  haben 
wiedergeben  können.  Als  das  Hauptergebnis  läfst  sich  wohl  Folgendes  be- 
zeichnen: die  Formen  der  niederen  Teile  der  Alpen  sind,  ähnlich  wie  die  Formen 
der  deutschen  Mittelgebirge,  Formen  der  Wasserwirkung,  die  nur  in  den  grofsen 
Thälern  durch  die  Wirkung  der  Eisströme  modifiziert  sind.  Dagegen  haben 
die  Formen  der  Hochalpen  bis  zur  eiszeitlichen  Schneegrenze  bez.  bis  zum 
oberen  Rande  der  alten  Eisströme  herab  in  den  klimatischen  Verhältnissen 
und  in  der  Firn-  und  Eisbedeckung  der  Eiszeit  ihren  Ursprung.  Es  sind 
dieselben  Formen,  die  wir  auch  im  skandinavischen  Hochland  und  iu  anderen 
ehemals  vergletscherten  Gebirgen  antreffen.  Die  Unterscheidung  zwischen 
Mittelgebirgs-  und  Hochgebirgsformen ,  die  man  bisher  oft  gemacht  hat,  löst 
sich  damit  in  eine  Unterscheidung  zwischen  fluviatilen  oder  hydatogenen  und 
glazialen  Formen  auf.  Das  Auftreten  der  einen  oder  der  anderen  Formen* 
reihe  erscheint  nicht  mehr  als  eine  Funktion  der  Höhe  des  Gebirges,  sondern 
der  heutigen  oder  ehemaligen  Vergletscherung,  die  aufser  von  der  Höhe  doch 
auch  von  dem  Klimagürtel  anhängig  ist.  Während  die  sog.  Hochgebirgs- 
formen z.  B.  an  den  Lofoten  in  ziemlich  geringe  Meereshöhe  hinabsteigen, 
fehlen  sie  vielen  Hochgebirgen  der  Tropen,  die  nur  „Mittelgobirgsforoien" 
haben.  Und  die  Steppen-  und  Wüstenformen,  auf  die  Richter  gelegentlich 
hinweist,  fügen  sich  dem  Schema  überhaupt  nicht  ein.  Die  Bezeichnungen:  „Hoch- 
gebirgsformen" und  „Mittelgebirgsformeu"  erweisen  sich  also  in  diesem  Sinne 


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Kleinere  Mitteilungen. 


459 


als  unrichtig  und  sollten  deshalb  —  Richter  hat  diese  Konsequenz  leider  nicht 
gezogen  —  in  diesem  Sinne  lieber  ganz  fallen  gelassen  und  durch  Bezeich- 
nungen ersetzt  werden,  welche  die  Entstehung  der  Formen  richtig  zum  Aus- 
druck bringen,  wie  es  etwa  dio  Unterscheidung  tluviatilcr  (oder  hydatogener) 
und  glazialer  Gebirgslbnnen  thun  würde.  Den  Ausdruck  „hochalpine  Formen" 
kann  man  natürlich  innerhalb  der  Alpen  ruhig  anwenden  und  gelegentlich 
wohl  auch  auf  andere  Gebirge  übertragen,  obgleich  man  sich  in  dem  Gebrauche 
des  Begriffes  „nlpin"  als  eines  Gattungsbegriffes  etwas  mehr  Zurückhaltung  auf- 
erlegen sollte,  als  es  oft  geschieht.  Gewisse  audere.  Formunterschiede,  die 
man  in  die  Begriffe  Hoch-  und  Mittelgebirgsformeu  einbefafst  hat,  dürften 
sich  übrigens  auf  die  Unterscheidung  zwischen  Falten-  oder  Kettengebirgs- 
und  Schollengebirgsfonnen  zurückführen  lassen,  wahrend  wieder  andere  Formen- 
unterschiede wirklich  auf  den  Höhenverhiiltnissen  beruhen  und  mit  Recht  als 
Hoch-  und  Miltelgebirgsformen  gekennzeichnet  werden  können. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Der  Gletschersturz  von  Simpeln  am  19.  Marz  1901. 

Der  verdienstvolle  Nestor  der  Schweizer  Naturforscher,  Dr.  Coaz,  berichtet 
im  Berner  „Bund"  vom  21.  Juni  und  folg.  über  einen  Gletschersturz,  der  am 
Ii).  Marz  d.  .1.  vom  Fletschhorn  ab  am  jenseitigen  Abhang  der  Simplonstrafse 
stattgefunden  hat.  Wenn  auch  seine  Dimensionen  und  die  Verheerungen,  die 
er  angerichtet,  hinter  dem  Sturz  von  der  Altels  am  17.  September  1895 
wesentlich  zurückblieben,  so  ist  doch  auch  er  ein  Vorgang  von  nicht  geringen 
Malsen  gewesen,  und  auch  hier  waren  zwei  Menschenleben  und  eine  stattliche 
Herde  Vieh  (18  Rinder  und  40  Stück  Kleinvieh),  viele  Scheuern  mit  Heu- 
vorräten, ein  Lürchenwald  und  eine  lange  Absperrung  der  Strafsc  auf  die 
Verlustrechnung  zu  setzen. 

Die  Lage  der  Örtlichkeiten  wird  aus  Bl.  501  des  topographischen  Atlas 
der  Schweiz  1  :  50  000,  und  der  Vorgang  aus  Coaz'  Beschreibung  vollkommen 
verstündlich.  Wenn  man  die  Pafshöhe  des  Simplou  überschritten  hat,  senkt 
sich  die  Strafse  rasch  in  das  Thal  des  Krummbachcs,  das  von  hier  ab  auf 
8  Kilometer  Dünge  als  ziemlich  breites  und  nicht  sehr  stark  geneigtes  Hoch- 
thal mit  Alpeuhütten  sich  hinzieht  bis  zum  Dorfe  Simpeln.  Erst  von  hier 
abwärts  schneidet  der  Bach  tiefer  ein,  das  Thal  senkt  sich  rasch  und  wird  zu 
einer  felsigen  Engschlucht.  Der  Schauplatz  des  Gletschersturzes  ist  das 
Thalstück  unmittelbar  oberhalb  Simpeln.  Hier  mündet  von  rechts,  das  ist 
Südwest,  ein  kurzes,  aber  weites,  und  von  gewaltigen  Bergriesen  umstandenes 
Hochthal,  ein  Zirkus,  in  das  Krummbachthal  ein.  Auf  eine  Strecke  von 
6  Kilometern  halt  sich  die  Umrandung  dieses  Zirkus  höher  als  3000  m,  und 
der  höchste  Funkt,  das  Fletschhorn  mifst  sogar  4001  m.  Acht  sehr  steile  Kahre 
sind  in  die  Zirkuswanduug  eingelassen.  Sie  entsenden  zwei  gröfsere  Gletscher, 
den  Griefseren-  und  den  Rofsbodengletscher,  und  zahlreiche  Lawinenzüge, 
wofür  der  Name  der  rechten,  schattenseitigen  Zirkuswand  —  Breitlaub  — 
bezeichnend  ist, 

n* 


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Kleinere  Mitteilungen. 


Der  Rofsbodengletschcr  reicht  bis  auf  den  Grund  des  Zirkus,  und  hat 
hier  sehr  bedeutende  Moränen  aufgehäuft.  Er  ist  angeblich  seit  der  Mitte 
des  19,  Jahrhunderts  fortwährend  im  Rückgang;  Beobachtungen  liegen  nur 
aus  den  letzten  5  .Jahren  vor.  Während  dieser  betrug  der  Rückzug  allerdings 
nur  Ii — 8  m.  Aufser  den  Moränen  dieser  letzten  Bewegungen  liegt  aber 
ungefähr  1  Kilometer  weiter  thalabwürts,  schon  ganz  im  Krummbachthal,  ein 
älterer,  wahrscheinlich  prähistorischer  Moräuenriug,  den  die  Simplonstrafse 
anschneidet.  Er  ist  für  die  Geschichte  der  Gletscherforschung  von  Bedeutung 
geworden,  indem  1818  der  Walliser  Ingenieur  M.  Venetz  (f  1859)  hier  zuerst 
auf  die  in  den  Alpen  verbreiteten  Spuren  einer  einstigen  gröfsereu  Gletscher- 
ausdehnung  aufmerksam  wurde.  Venetz  verdanken  wir  aber  die  ältesten 
sicheren  Beobachtungen  in  dieser  Richtung.  Ereilich  denken  wir  jetzt  nicht 
mehr  an  die  grofsen,  eigentlichen  Eiszeiten,  wenn  wir  einige  Kilometer  von 
deu  gegenwärtigen  Gletschern  entfernt  einen  Moränenring  antreffen,  sondern 
sprechen  von  „postglazialen  Stadien". 

Der  grofse  Gletscherzirkus,  dessen  unterer  Teil,  soweit  er  von  Matten 
und  Lärchenhainen  eingenommen  wird,  in  der  Seng  heifst,  und  insbesondere 


Stuwlwhn  d.-»  {JlKuchors.tur/.-s  >»ei  Simpeln  «m  19  Marz  1901. 

der  postglaziale  Moränenring  war  nun  der  Schauplatz  der  Katastrophe  vom 
19.  März.  Noch  Ende  Mai  lag  in  dem  Moränenring  und  über  diesen  hinaus 
ein  Lawinenrest  aus  Gletschereis  und  Schutt,  der  67  ha  Eläche  bedeckte.  Er 
war  in  dieser  Zeit  —  9  Wochen  nach  dem  Absturz  —  bereits  vollkommen 
mit  ausgeschmolzenem  Schutt  bedeckt,  und  nur  in  dem  Einschnitt,  den  man 
für  die  Strafse  hergestellt  hatte,  sah  man,  wie  er  aus  Gletschereis,  Eirn  und 
wenigen  Steinen  zusammengebacken  war.  Die  Dicke  der  in  unregelmäfsigen 
Haufen  und  Strömen  augeordneten  Massen  wird  auf  4  — 15  m  angegeben.  Es 
sind  Eelsblocke  bis  zu  10OO  cbm  Gröfse  mitgerissen  worden,  darunter  auch  ein 
Block,  von  dem  ab  in  den  Jahren  1897  bis  189!)  der  Gletscherrückgang 
gemessen  wurde,  und  in  welchen  daher  Zahlen  eingemeifselt  sind.  Er  stammt 
aus  der  jungen  Moräne  und  ist  2  km  weit  transportiert  worden. 

Der  Absturz  erfolgte  am  19.  März  morgens  Y4  vor  6  Uhr,  also  ähnlich 
wie  der  an  der  Altels,  vor  Sonnenaufgang,  im  Morgengrauen.  Auch  ihn 
hat  niemand  beobachtet,  obwohl  bewohnte  Häuser  in  Simpeln  und  in  Eggen 
nur  wenige  100  m  entfernt  sind.  Die  Verheerungen  sind  schon  erwähnt; 
das  ganze  Gebiet  sieht  gegenwärtig  aus,  wie  eine  eben  durch  Gletscher- 
rückzug   eisfrei   gewordene,    das   heifst   also   vegetationslose,  gerollbedeckte 


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Kleinero  Mitteilungen. 


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Landschaft  in  grüner  Umgebung.  Die  Strafse  führt  in  einem  3 — 4  m  tiefen 
Einschnitt  durch  das  Eis.  Rings  um  den  verschütteten  Bezirk  sind  die 
Lärehenwälder  geworfen;  oh  auch  die  heim  Altelssturz  so  auffallend  hervor- 
getretene Schälung  der  Hölzer  durch  den  fliegenden  Eisstaub  zu  beobachten 
ist,  wird  nicht  berichtet. 

Über  den  Ursprung  der  gestürzten  Massen  kann  kein  Zweifel  sein.  Ganz 
oben  am  Fletschhorn,  in  3800  m  Höhe  sieht  man  die  halbmondförmigen, 
konkaven  Abbruchstellen  des  Firnes,  wie  man  sie  an  der  Altels  sah  (und 
wohl  noch  jetzt  erkennt'?).  Da  der  Firn  dort  immer  stufenförmige  Abbrüche 
zeigt,  80  erfolgen  auch  regelmäfsig  Abstürze,  deren  Getrümmer  aher  sonst 
auf  einer  weniger  steil  geneigten  Stufe  des  Rofsbodengletschers  in  etwa 
3200 — 3000  m  Höhe  liegen  bleibt.  Diesmal  raufe  nun  die  Masse  des  ab- 
gebrochenen Firnes  so  grofs  gewesen  sein,  dafs  die  lebendige  Kraft  des  Falles 
sie  über  einen  kritischen  Punkt.,  der  ungefähr  bei  2900  m  liegt,  hinaustrieb. 
Hier  verstärkt  sich  nämlich  die  Neigung  des  Gletschers  auf  etwa  36  °, 
um  sich  erst  gegen  das  Gletscherende  allmählich  zu  vermindern.  Wenn  die 
von  oben  herabgleitende  Firnmasse  diese  Stelle  erreichte,  bekam  sie  neuen 
Bewegungsantrieb,  vermehrte  sich  durch  mitgerissene  Trümmer  des  dort  stark 
zersehründeten  Gletschers  und  konnte  nicht  früher  als  im  Seng-  und  Krumm- 
bachthal, also  im  alten  Moränengebiet  in  einer  Meereshöhe  von  1460 — 1550  m 
zur  Ruhe  kommen. 

Die  Länge  der  Bahn  beträgt  über  5  km,  der  Höhenunterschied  etwa 
2340  m,  der  durchschnittliche  Neigungswinkel  der  Bahn  20°. 

Die  gefallene  Masse  hat  sich  genau  wie  ein  Bergsturz  verhalten.  Gegen- 
über dem  Altelssturz  besteht  ein  tiefgehender  Unterschied  darin,  dafs  bei  der 
Alteis  im  unteren  Teil  der  Bahn  eine  Steigerung  des  Neigungswinkels  vor- 
handen ist,  weshalb  die  Sturzraasse  schliefslich  nur  fliegen  oder  frei  fallen 
kann,  wodurch  ihre  lebendige  Kraft  und  besonders  die  Erscheinungen  des 
Luftstofses  ungemein  verstärkt  wurden.  Daher  das  Autbranden  des  Eises  an 
der  gegenüberliegenden  Thalwand  bis  zu  300  m  Höhe,  und  die  grofse  Aus- 
dehnung der  sog.  Spritzzone  mit  Eisstaub,  geschälten  Bäumen,  bergauf 
geworfenen  Tierleichen  und  dergleichen  unerhörten  Erscheinungen.  Im  Ver- 
gleich dazu  scheint  sich  der  Eissturz  von  Simpeln  mehr  wie  ein  gleitender, 
abradirender  Bergschlipf  von  dem  Typus  des  Goldauer  Sturzes  von  1806 
verhalten  zu  haben. 

In  meiner  Geschichte  der  Schwankungen  der  Alpengletscher  wurden  die 
Nachrichten  über  Eisstürze  in  früheren  Jahrhunderten  als  Dokumente  für 
einen  Hochstand  der  Gletscher  verwertet.  Das  hier  besprochene  Ereignis 
wird  man  jedenfalls  nur  als  einen  Beleg  für  eine  stärkere  Füllung  des 
Firnfeldes  betrachten  dürfen.  Auch  dieser  Auffassung  steht  die  von  Lugeon 
im  Jahrbuch  des  Schweizer  Alpenklubs  von  1901  mitgeteilte  Beobachtung 
entgegen,  dafs  die  Einschneiung  der  Schweizer  Alpen  im  Jahre  IVOQ  sehr 
gering  gewesen  sei;  dafs  also,  um  einen  im  ganzen  deutschen  Sprachgebiet 
der  Alpen  üblichen  Ausdruck  zu  gebrauchen,  die  Gletscher  im  vorigen  Jahre 
sehr  früh  „ausgeapert"  seien.  Dies  ist  nach  der  grofsen  Hitze  des  Juli  nicht 
zu  verwundern,  würde  aber  andererseits  einer  etwa  aus  einigen  früheren 
Jahren  stammenden  gröfseren  Füllung  der  Firne  nicht  unbedingt  widersprechen. 

E.  Richter. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


Die  geographische  Ausstellung  des  XIII.  Deutschen  Goographentages 

zu  Breslau. 

Mit  der  XIII.  Tagung  des  Deutschen  Geographentages  zu  Breslau 
in  der  Ptingstwochc  dieses  Jahres  war  eine  bemerkenswerte  geographische 
Ausstellung  verbunden.  Prof.  Dr.  J.  Partseh,  welcher  als  die  Seele  des 
Breslaucr  Lokalkomites  zu  betrachten  ist,  darf  auch  als  der  geistige  Vater 
dieser  Ausstellung  gelten.  Sie  bezweckte  nach  deu  Ausführungen  im  Vorwort 
des  Ausstelluugskataloges:  „eine  Vorstellung  zu  bieten  von  der  Bedeutung 
Breslaus  als  Kulturcent rum  auf  dem  Felde  der  Erforschung,  Ausbeutung  und 
möglichsten  Beherrschung  der  Landesnatur,  aber  auch  von  dem  wissenschaft- 
lichen Leben,  das  in  Schlesien  schon  im  16.  Jahrhundert  zu  selbständigen 
kartographischen  Leistungen  schritt  und  seither  immer  beeifert  gewesen  ist, 
die  Kenntnis  und  die  Darstellung  der  Oberfläche  dieses  Landes  nicht  zunick- 
stehen zu  lassen  hinter  dem  Staudpunkt  der  übrigen  Teile  des  Vaterlandes." 
Ks  war  also  eine  sc h lesische  Landesausstellung  lokalen  Charakters;  und 
das  gerade  war  ihr  Vorteil!  In  dieser  Beschränkung  lag  die  Möglichkeit, 
etwas  in  engem  Rahmen  Abgeschlossenes  und,  wie  der  Erfolg  lehrte,  nach 
Kräften  Vollkommenes  zu  leisten. 

Die  ganze  Ausstellung  zerfiel  in  sechs  Abteilungen: 

L  Staatliche  Aufnahmen  Preufsisch-Schlesiens. 
II.  Ktd.  Oberbergamt. 

III.  Kgl.  Oderstrom-Bauverwaltung. 

IV.  Historische  Ausstellung  der  Kartographie  Schlesiens  bis  zum  Ende  des 
18.  Jahrhunderts. 

V.  Historische  Ausstellung  der  Pläne  von  Breslau. 
VI.  Karten  zu  Vorträgen  des  Geographentages. 

Besuch  und  Studium  der  Ausstellung  wurde  in  bester  Weise  durch  einen 
ausführlichen  Katalog  erleichtert.,  welcher  in  der  Hauptsache  aus  der  Feder 
des  als  Sekretär  des  Ortsausschusses  unermüdlich  thätig  gewesenen  Privat- 
dozenten der  Geographie  an  der  Universität  Breslau  Dr.  R.  Leonhard  stammt. 
Dieser  Katalog  ist,  speziell  in  seinem  historischen  Teil,  durch  die  aus- 
führlichen kritischen  Erläuterungen  der  ausgestellten  Karten  als  ein  dauernd 
wertvoller  wissenschaftlicher  Führer  durch  die  Kartographie  Schlesiens  aufzu- 
fassen, da  es  bei  der  Sorgfalt,  mit  welcher  die  Ausstellungsleitung  die  Schätze 
der  schlesischen  Landesbibliotheken,  die  Archive  des  hohen  Adels  der  Provinz 
und  die  Sammlungen  Privater  durchforscht  hat,  gelungen  war,  die  Denkmale 
schlesischer  Kartographie  in  einer  Vollständigkeit  zusammenzubringen,  wie 
dies  bisher  noch  nicht  der  Fall  gewesen  war. 

Diesen  Charakter  einer  hist  orisch  -  geographischen  Ausstellung 
Schlesiens  tragen  vor  allem  die  Abteil ungen  I,  IV  und  V. 

In  Abteilung  I  wurde  dem  Besucher  durch  eine  lange  Serie  von  Karten- 
blättern aus  der  Zeit  Friedriclrs  des  Grofsen  bis  zu  den  Freiheitskriegen,  und 
weiter  von  1816  bis  zur  Gegenwart  ein  überblick  über  die  allmähliche  Ent- 
wicklung der  staatlichen  Aufnahmen  Preufsisch-Schlesiens  vermittelt.  Darunter 
waren  von  ganz  besonderem  Interesse  die  von  1748  — 1753  von  dem  Ingenieur- 
Major  Fr.  Chr.  von  Wrede  gezeichneten  fünf  Manuskript- Folianten  der  Kriegs- 
karte Schlesiens,  welche  Friedrich  der  Grofse  für  die  Führung  seiner  Schlesischen 
Kriege  hatte  anfertigen  lassen,  und  welche  nur  in  diesem  einen  Exemplar 
gezeichnet,  lediglich  vom  König  uud  seiner  obersten  Kriegsleitung  benutzt, 


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Kleinere  Mitteilungen. 


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im  übrigen  aber  sorgfältig  vor  der'  Öffentlichkeit  bewahrt  geblieben  waren. 
Die  Ausstellung  verdankte  die  leihweise  Überlassung  dieses  wertvollen  historisch- 
kartographischen  Denkmals  dem  Chef  des  Grofsen  ( Jeueralstabes ,  Grafen 
Schließen. 

Dieser  ersten  staatlichen  Aufnahme  Schlesiens  durch  die  preufsisebe 
Heeresleitung  standen  die  modernen  Generalstabskarten  und  Mefstischblätter 
in  den  verschiedensten  und  lehrreichsten  Stadien  ihrer  ^allmählichen  Vervoll» 
kommnung  gegenüber.  Sie  erschienen  seit  der-.. Zeit1  Friedrieh 's  des  Grofsen; 
durch  eine  ununterbrochene  Reihe  überleitender  und  successive  zu  dem  Jieu- 
tigen  Stande  der  Aufhahmearbeiten  hinüberführender  Kartenblätter  genetisch 
verbunden. 

Räumlich  wie  systematisch  getrennt  von  diesen  staatlichen  Aufnahmen 
waren  die  in  Abt.  IV  vereinigten  Kartenblätter,  welche  die  private  Karto- 
graphie im  Laufe  der  letzten  Jahrhunderte  über  Schlesien  veröffentlicht  hatte. 
Sie  bewiesen,  dafs  auch  in  Schlesien  bereits  seit  dem  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts selbständige  kartographische  Werke  entstanden  waren,  und  lehrten 
als  älteste  die  1561  von  Martin  Helwig  gezeichnete  Karte  von  Schlesieu 
kenneu.  Nicht  allein  Schlesien  darstellend,  aber  nach,  der  Entstehungszeit 
noch  älter  ist  das  Bild  der  Provinz  auf  der  aus  dem  Jahre  1554  stammenden 
Karte  Europas  von  Gerhard  Mercator.  Dieses  1889  von  Prof.  Dr.  Mark- 
graf auf  dem  Boden  der  Breslauer  Stadtbibliothek  entdeckte  Unikum  war  ein 
besonders  ehrwürdiges  Ausstellungsobjekt,  wenngleich  die  ^Zeichnung  der  Karte 
bereits  weiteren  Kreisen  durch  die  genaue  Reproduktion,  welche  die  Berliner 
Gesellschaft  für  Erdkunde  1891  veranlafste,  bekannt  geworden  ist.  Weitere 
interessante  Karten,  welche  in  der  Abt.  IV  der  Breslauer  Ausstellung  zum 
erstenmal  an  die  Öffentlichkeit  gelangten,  bezogen  sich  auf  Darstellungen 
freier  schlesischer  Standesherrschaften.  Unter  ihnen  war  das  grofse  Blatt 
der  Standesherrschaft  Plefs  von  Andreas  Hindenberg  aus  dem  Jahre  1636 
bei  weitem  das  interessanteste.  Infolge  der  eigenartigen  Terraindarstellung 
erregte  neben  ihm  die  älteste  Karte  des  Ricsengebirges  in  1:60000 
die  Aufmerksamkeit.  Gezeichnet  um  1685  von  einem  Breslauer  Juristen 
Job.  Chr.  de  Volffsburg  zeigte  sie  das  unbeholfene,  aber  ehrliche  Be- 
streben nach  möglichst  plastischer  und  der  Natur  entsprechender  Terrain  - 
darstellung. 

Eine  grofse  Zahl  von  Forstkarten  und  Gutsaufnahmen  bewiesen  des 
weiteren,  wie  seit  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  die  private  Kartographie  für 
die  Erweiterung  der  topographischen  Kenntnis  Schlesiens  bis  in  unsere  Tage 
hinein  von  gröfstem  Werte  gewesen  ist. 

Den  Schlufs  des  rein  historisch -geographischen  Teils  der  Ausstellung 
bildete  in  Abt.  V  eine  reichhaltige,  mit  dem  Jahre  1562  beginnende  Sammlung 
von  Breslauer  Stadtplänen,  welche  bei  vergleichender  Betrachtung  interessante 
Aufschlüsse  über  Art  und  Richtung  des  allmählichen  Wachstums  der  Stadt 
Breslau  ermöglichte. 

In  das  Gebiet  der  physikalischen  Geographie  und  der  Kulturgeographie 
Schlesiens  führten  Abt.  II  und  III,  welche  die  Kollektivausstellungen  des 
Kgl.  Oberbergamtes  und  der  Kgl.  Oderstrorn-Bauverwaltung  um- 
schlossen. Beide  Ämter  haben  in  Breslau  ihren  Sitz  und  hatten  in  bereit- 
willigster Weise  ihre  reichen  kartographischen  Materialien  zur  Verfügung 
gestellt, 

Jeder,  welcher  einmal  das  imposante,  1896  publizierte  amtliche  Oder- 
werk in  der  Hand  gehabt  hat,  weifs,  was  die  Oderstrorn-Bauverwaltung  für 


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Kleinere  Mitteilungen. 


die  geographische  Kenntnis  des  sehlesischen  Landesstromes  geleistet  hat. 
Was  fernerhin  die  ThJltigkeit  dieser  Behörde  durch  ihren  ausgedehnten  Hoch- 
wasserwarnungsdienst für  die  Sicherung  von  Gut  und  Lehen  in  den  Über- 
schwemmungen so  sehr  ausgesetzten  Niederungen  Schlesiens  bedeutet,  könnt« 
man  würdigen  lernen  durch  Betrachtung  der  ausgestellten,  auf  sorgfältigen 
wissenschaftlichen  Beobachtungen  beruhenden  Niederschlagskarten  Schlesiens, 
der  Spezialkarten  der  Deichsysteme,  der  graphischen  Darstellung  von  Hoch- 
fluterscheinungen etc.  etc.  Auch  die  mannigfaltigen  Stromregulierungsbauten 
kamen  in  Karten,  Profilen  und  Modellen  zur  Anschanung. 

Die  zweite  amtliche  Ausstellung  füllte  die  Abteilung  II.  Es  war  die- 
jenige des  Koni  gl.  Oberbergamtes.  Sie  galt  naturgemllfs  iu  erster  Linie 
den  Verhältnissen  Oberschlesiens,  dessen  Bergbaudistrikte  auf  der  grofsen 
offiziellen  Karte  in  1  :  50000  den  Besuchern  des  Geographentages  vorgeführt 
werden.  Die  interessanten  Verhältnisse  des  tiefsten  Bohrloches  der  Erde, 
welches  bei  Paruschowitz  unweit  Rybnik  bis  2<>0.'J  m  tief  niedergeführt 
worden  ist,  veranschaulichte  ein  detailliertes  Profil  und  über  die  Lagerungs- 
verhaltnisse der  Kohlenflötze  Oberschlesiens  gaben  zahlreiche  Grubenrisse 
lehrreichen  Aufschlufs. 

Diesen  in  sich  abgeschlossenen  Ausstellungssektionen  reihte  sich  in  Ab- 
teilung VI  einp  Sammlung  von  Demonstrationskarten  zu  Vortrügen  des  Geo- 
graphentages an.  Hier  hatte  Prof.  Dr.  C.  M.  Kan  (Amsterdam)  seine  Karten 
von  Sumatra,  Dr.  Carl  Sapper  (Leipzig)  seine  höchst  wertvollen  Original- 
aufnahmen von  Mittelamerika  und  Prof.  Dr.  Kurt  Hassert  seine  topo- 
graphischen Aufnahmen  aus  Montenegro  ausgestellt  während  eine  Kollektiv- 
ausstellung des  Geographischen  Seminars  der  Universität  Leipzig, 
sowie  eine  solche  der  kartographischen  Anstalt  von  Carl  Flemming  in 
Glogau  den  Beschlufs  machten. 

Dafs  speziell  letzterer  Anstalt  die  Gelegenheit  gegeben  war,  ihre  karto- 
graphischen Erzeugnisse  den  Besuchern  des  Geographentages  vorzuführen, 
hatte  volle  Berechtigung,  da  es  sich  um  eine  sch lesische  Anstalt  handelte. 
Eine  dem  Ausstellungskatalog  angefügte  kurze  Geschichte  des  Institutes  hatte 
der  Kartograph  A.  Herrich  verfafst.  Sie  bewies,  wie  die  Kollektivausstellung 
selber,  dafs  die  Flemming'sche  Anstalt  während  ihres  seit  1833  datierenden 
Bestehens  einen  bedeutenderen  Anteil  an  der  Entwicklung  deutscher  Karten- 
kunst genommen  hat,  als  dies  vielleicht  in  weiteren  Kreisen  bekannt  sein 
wird.  Die  Ausstellung  der  weit  verbreiteten  Reise-,  Eisenbahn-  und  Schul- 
wandkarten, der  Hand-,  Provinzial-  und  Kriegskarten,  der  Schul-  und  Hand- 
atlanten der  Anstalten  gaben  ein  Zeugnis  ihres  Könnens. 

War  somit  den  Besuchern  des  XI U.  Deutschen  Geographentages  bereits 
während  der  Tagung  durch  Veranstaltung  dieser  Ausstellung  die  dankbar 
wahrgenommene  Gelegenheit  zum  Studium  schlesischer  Landeskunde  geboten, 
80  hatten  die  Teilnehmer  nach  Schlufs  des  Congresses  durch  Teilnahme  au 
zwei  wissenschaftlichen  Exkursionen  in  die  geographisch  interessantesten 
Laudesteile  der  Provinz  Gelegenheit,  ihre  Studien  auch  im  freien  Felde  fort- 
zusetzen. 

Die  eine  dieser  Exkursionen  galt  unter  Führung  Prof.  Dr.  F.  Frech's 
Oberschlesien.  Nachdem  iu  Oppeln  die  Brüche  und  Cementwerke  von  Schott- 
laender  und  Giesel,  welche  die  Kalkniergel  des  Turon  erschliefsen,  besichtigt 
waren,  wurden  von  Gleiwitz  als  Standquartier  zwei  Exkursionen  nach  Zabrze 
gemacht.  Es  wurde  die  Königin  Luise-Grube  befahren  und  die  Donnersmarck- 
hütte  und  das  Borsigwerk  besichtigt. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


465 


Die  zweite  Exkursion  galt  unter  Führung  Prof.  Dr.  J.  Partsch's  dem 
Studium  der  Glazialablagerungen  des  Riesengebirges.  Über  dieselbe  wird  an 
spaterer  Stelle  noch  ausführlicher  berichtet  werden. 

Dr.  Max  Friederichs  e  n  in  Hamburg. 


Berichtigung. 

In  dem  Referat  über  den  XIII.  Deutschen  Geographentag  findet  sich  auf 
Seite  394  der  Satz:  „Henkel  aus  Pforte  suchte  den  Grund  der  Mifsstände  im 
Übelwollen  der  Direktoren,  eine  Auffassung,  deren  Allgemeingiltigkeit  von 
Auler  mit  Recht  bestritten  wurde."  Dieser  Satz  ist  in  keiner  Weise  richtig 
und  mufs  auf  einer  Verwechselung  meiner  Ausführungen  mit  denen  eines 
andern  Redners  beruhen.  Ich  habe  von  etwas  ganz  anderem  gesprochen, 
nämlich  davon,  dafs  die  in  den  Lehrplanen  vorgeschriebenen  Wiederholungen 
in  den  oberen  Klassen,  weil  nicht  in  die  Hand  eines  Fachlehrers,  sondern  des 
Geschichtslehrers  gelegt,  eher  schädlich  als  nützlich  sein  würden.  Bei  dieser 
Gelegenheit  habe  ich  auf  das  notorische  Übelwollen  vieler  älterer  Historiker 
der  moderneu  Erdkunde  gegenüber  hingewiesen1).  Von  den  Direktoren 
habe  ich  überhaupt  nicht  gesprochen.  Henkel. 


Geographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitzau. 


Allgemeine  Geographie. 

*  Die  internationale  Konferenz 
für  Meeresforschungen,  die  kürzlich! 
in  Christiania  abgehalten  wurde  (S.  346) 
und  von  Vertretern  aus  Deutschland, 
Schweden,  Norwegen,  Dänemark,  Ruß- 
land. Finland,  England,  Holland  und 
Helgieii  beschickt  war,  hat  den  vor  zwei 
Jahren  in  Stockholm  aufgestellten  Plan 
lü'r  die  beginnenden  internationalen 
•Meeresforschungen  weiter  ausgebuut  und 
über  den  Sitz  de«  Zentral  -  Instituts  be- 
raten, «las  zur  Förderuug  der  Forschungen 
errichtet  werden  soll.  Dieses  Institut 
kommt  auf  deutschen  Vorschlag  nach 
Kopenhagen,  doch  wurde  die  endgiltige 
Bestimmung  den  Regierungen  überlassen. 
Zum  Piäsidenten  des  Zcntralausschusscs, 
der  das  Zentral -Institut  zu  verwalten 
hat,  wurde  Wirkl.  Geh.  Oberregierungs- 
rat Herwig  in  Hannover,  zum  Stellver- 
treter Professor  Petterson  in  Stockholm 


]  gewählt.  Zum  Generalsekretär  des  Zentral- 
instituts ist  Dr.  Hoek,  der  Leiter  der 
biologischen  Station  in  Helder,  Holland, 
!  ausersehen  worden.  Er  wird  seinen  Sitz 
in  Kopenhagen  nehmen.  Aufser  dem 
Zentral  Institut  wird  in  Christiania  ein 
Laboratorium  für  hydrographische  Arbeiten 
errichtet,  zu  dessen  Leiter  Professor 
l  Nansen  vorgeschlagen  wurde.  In  Ver- 
bindung mit  dem  Zentral -Institut  in 
Kopenhagen  plant  man  ein  Laboratorium 
hauptsächlich  für  biologische  Arbeiten 
zu  errichten.  Ein  genauer  Zeitpunkt, 
wann  die  Meeresforschungen  beginnen 
sollen,  konnte  noch  nicht  festgesetzt 
werden ,  da  erst  einzelne  Staaten ,  wie 
Norwegen  und  Rufsland,  mit  besondern 
Schiffen  für  Mecresforschungen  versehen 
sind,  während  andere  Staaten  erst  jetzt 
an  die  Vorbereitungen  gehen.  Indessen 
werden  die  Meeresforschungen  spätestens 
im  Februar  nächsten  Jahres  beginnen 
können. 


1)  Man  vergleiche  hierzu  übrigens  den  Ausspruch  v.  Sjbel's,  der  die  heutige 
Geographie  als  „Agglomerat  aus  allen  Zweigen  der  Naturwissenschaft"  zu  bezeichnen 
für  gut  fand. 


4«>0 


Geographische  Neuigkeiten 


*  Die  Handelsflotten  der  Welt 
haben  seit  vorigem  Sommer  abermals 
einen  erheblichen  Zuwachs  erfahren.  Sehr 
bemerkenswert  ist  eine  Übersicht  über 
das  Verhalten  der  Handelsflotten  der 
wichtigsten  Schitfahrtländer: 

in  1000  Br  Reg.-T.  Zun. 

1898  1901  (;  Alm.) 

Grofsbrit.o.Kol.)  12  5H7  13  656  1069 

Deutschland  2  113  2  90»  792 

Vereinigte  Staaten  2  448  3  077  629 

Norwegen  1  643  1  627  ;  16 

Frankreich  1  179  1  406  227 

Italien  865  1  117  262 

Rußland  694  789  195 

Spanien  621  7*6  165 

Schweden  552  676  124 

Japan  472  644  172 

Holland  444  578  134 

Dänemark  422  508  86 

Österreich  349  4*6  137 

Deutschland  behauptet  die  zweite 
Stelle  mit  nahezu  1 4  der  englischen 
Handelsflotte,  da  bei  der  Flotte  der  Ver- 
einigten Staaten  die  Schiffe  der  grofsen 
Süfswasserseen  mit  845  000  Tonnen  ein- 
gerechnet sind,  die  aber  kaum  als  See- 
schiffe angesehen  werden  können.  Wie 
sich  aufserdem  aus  vorstehender  Tabelle 
ergiebt,  vollzieht  sich  die  Zunahme  der 
deutschen  Flotte  verhältnisinäfsig  schneller 
und  ist  gröfser  als  die  der  englischen. 

Europa. 

*  Die  vom  Deutschen  Geographentag 
eingesetzte  Zentralkommission  für  wissen- 
schaftliche Landeskunde  von  Deutschland 
hat  gelegentlich  der  Breslauer  Tagung 
des  letzteren  einen  Preis  von  minde- 
stens 600  Alk.  bestimmt  für  die  beste, 
nicht  blofs  auf  gedrucktem  Quellenstoff 
fufsende  Beantwortung  der  Frage:  „Welche 
Stromlaufveränderungen  hat  der 
Niederrhein  zwischen  Bonn  und  Kleve 
in  geschichtlichen  Zeiten  erfahren,  und 
wie  haben  dieselben  auf  die  Siedelungen 
eingewirkt?"  Die  Bearbeitungen  sind  bis 
spätestens  Ausgang  des  Jahres  1902  au 
den  derzeitigen  Vorsitzenden  der  Kom- 
mission, Prof.  Kirchhoff  in  Halle  a.  8., 
einzusenden. 

*  Die  Kiuwohnerzahl  des  Ver- 
einigten Königreichs  Grofsbri- 
tannien  und  Irland  beträgt  nach  der 
letzten   Volkszählung  41  454  219  Seelen; 


[  davon  kommen  auf  Kngland  und  Wales 
32  625  716  E.,  auf  Sehottland  4  471  957  E. 
und  auf  Irland  4  456  546  E.  Die  Be- 
völkerungszunahme im  letzten  Jahrzehnt 
beträgt  hiernach  für  England  und  Wales 
12.15%  gegen  11.65%  im  Jahrzehnt 
1*81  91  und  für  Schottland  10,*  %,  während 
Irland  eine  Bevölkerungsabnahme  von 
5,3  %  aufweist,  die  allerdings  nur  wenig 
mehr  als  die  Hälfte  von  derjenigen  des 
vorangehenden  Jahrzehnts  beträgt.  Die 
Bevölkerung  von  London  zählte  4  536  034 
Seelen  gegen  4  228  317  im  Jahre  1891, 
d.  i.  eine  Zunahme  von  7,3  % ,  während 
die  Zunahme  im  vergangenen  Jahrzehnt 
10,3  %  betragen  hatte.  Von  den  29  Ge- 
meinden, Boroughs,  aus  denen  sich  die 
Grafschaft  London  zusammensetzt,  war 
die  „City"  mit  27  000  E.  die  volksärmste; 
sie  hat  in  den  letzten  zehn  Jahren  wiederum 
10  800  Einwohner  verloren.  Nach  London 
weisen  die  Grafschaft  Lancaster,  der  Sitz 
der  Textilindustrie  und  der  Alittelpunkt 
der  Industrie  des  Nordens  mit  den  Haupt- 
städten Manchester  und  Liverpool,  und 
die  Grafschaften  Essex  und  Middlesex  die 
stärkste  Zunahme  auf,  während  Notting- 
hanishire  und  die  landwirtschaftlichen 
Grafschaften  Oxfordshire,  Devonshire,  Nor- 
folk, West  Suffolk  und  Montgoniery  eine 
Almahme  der  Bevölkerung  erlitten  haben. 
Aufser  London  zählt  England  noch  26 
Städte  mit  mehr  als  looooo  E.;  die  zweit- 
gröfste englische  ist  Liverpool  mit  685  276E., 
die  aber  von  der  schottischen  Grofsstadt 
Glasgow  mit  fast  800  000  E.  übertroffen 
wird  Dann  folgen  Birmingham  mit 
622  182  K.,  Manchester  mit  503  930  E., 
Leeds  mit  428  953  E.,  Sheffield  mit 
380  717  E.  und  Bristol  mit  328  836  E. 
Über  200  000  E.  haben  der  Reihe  nach 
die  Städte  Bradford,  Westham,  Notting- 
ham, Hull,  Salford,  Newcastle  und  Lei- 
cester.  Zwischen  100  000  und  200  000  E 
wohnen  in  den  Städten  Portsmouth.  Bidton, 
Cardiff,  Blackburn,  Brighton,  Preston, 
Norwich,  Birkenhead,  Gateshead,  Ply- 
raouth,  Derby.  Halifax  und  Southampton, 
von  denen  die  sechs  letzten  erst  im  letzten 
Jahrzehnt  in  die  Reihe  der  Grofsstädte 
eingetreten  sind. 

*  Eisenbahnen  in  Rufsland.  Mit 
Rücksicht  darauf,  dafs  der  einzige  Ausgang 
der  sibirischen  Eisenbahn  nach  dem  euro- 
päischen Rufsland,  die  Strecke  Samara. — 
Slatoust,  mit  Frachten  überbürdet  ist,  hat 


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Geographische  Neuigkeiten.  .  467 


die  russische  Regierung  beschlossen, 
diesem  Obclstande  durch  Schaffung  zweier 
neuer  AnBchlufsstrecken  abzuhelfen.  Diese 
Strecken  sind  die  sog.  Nordbahn,  welche 
von  Perm  über  Wjätka  und  Wologda 
nach  Petersburg  führen  wird,  und  die  Eisen- 
bahnlinie Moskau  —  Kazan  -  Kyschtymsk. 
Die  Vergebung  der  Hauarbeiten  für  die 
Nordbahn  ist  bereits  eingeleitet  worden, 
während  das  Projekt  des  zweiten  An- 
schlusses derzeit  von  der  Regierung  ge- 
prüft wird.  A.  R. 

*  Kabel  nach  Island.  Die  Grofse 
nordische  Telegraphengesellschaft  hat  be- 
schlossen, Island  an  das  Weltkabelnetz 
anzuBchliefsen.  Das  Kabel  soll  von  den 
Shetland -Inseln,  welche  mit  Nordschott- 
land  und  England  bereits  verbunden  sind, 
über  die  Fär  -  Oer  nach  Island  führen. 
Dieses  Kabel  hätte  nicht  nur  eine  volks- 
wirtschaftliche, sondern  auch  eine  wissen- 
schaftliche Bedeutung,  weil  Island  für 
die  Meteorologie  ein  ungemein  wichtiges 
Gebiet  ist.  Ans  diesem  Grunde  beteiligen 
sich  auch  die  skandinavischen  Staaten, 
Hursland  und  Deutschland,  letzteres  mit 
10  000  Kronen,  an  diesem  Unternehmen. 

A  R, 

Asien. 

*  Seiden-  und  Baumwollproduk- 
tion in  Russisch-Asien.  Aus  russi- 
schen Berichten  kann  man  ersehen,  welch 
bedeutende  Fortschritte  die  Seidenpro- 
duktion in  Russisch-Zentralasien, 
wo  Bie  während  der  Herrschaft  der  tur- 
kestanischen  Willkürhcrrscher  arg  dar- 
nieder lag,  in  jüngster  Zeit  gemacht  hat. 
Die  von  Rufsland  in  den  siebziger  Jahren 
zur  Hebung  der  Produktion  getroffenen 
Mafsregeln  versagten  vollständig,  da  man 
gewissen,  den  Seidenraupen  gefährlichen 
Krankheiten,  die  allgemeine  Verbreitung 
gefunden,  Einhalt  zu  bieten  nicht  mehr 
im  Stande  war.  Man  entschlofs  sich  des- 
halb, aus  fremden  Seidenproduktions- 
gebieten,  wie  China,  Japan,  Italien  und 
Korsika,  gesunde  Eier  im  grofsen  ein- 
zuführen und  an  die  Bevölkerung  unent- 
geltlich zu  verteilen.  Auch  ausländische, 
meist  italienische  und  schweizerische 
Geschäftshäuser  haben  der  russischerseits 
an  sie  ergangenen  und  für  sie  vorteil- 
haften Aufforderung,  Stationen  in  Russisch- 
Zentralasien  zu  errichten,  an  diesen  Eier 
zu  verteilen  und  die  Cocons  einzusammeln. 


Folge  geleistet.  Die  hervorragendsten 
Produktionsgebiete  sind  die  Umgebungen 
von  Samarkand  und  Taschkent,  und  die 
bandschaften  Ferghana  und  Buchara.  In 
Samarkand  werden  jährlich  im  Durch- 
schnitte 1,228  Millionen  kg  Cocons  im 
Werte  von  600  000  Rubel  gesammelt; 
in  Ferghana,  das  zugleich  Hauptgebiet 
des  Baumwollanbaues  ist,  984  000  kg 
im  Werte  von  480  000  Rubel,  im  Syr- 
Darja  Gebiet  (Taschkents  82  000  kg  im 
Werte  von  40  000  Rubel.  In  Buchara 
sind  die  Produktionsverhältnisse  ebenso 
wie  in  Ferghana.  —  Das  zweite  Haupt- 
gebiet für  Seidenproduktion  ist  Kau- 
kasien.  Diese  hat  in  jeder  Beziehung 
eine  viel  höhere  Stufe  erreicht  als  die 
zentralasiatiRche.  Die  kaukasische  Seide 
vermag  mit  der  italienischen,  welche 
vorzugsweise  nach  Rufsland  eingeführt 
wird,  den  Wettbewerb  aufzunehmen.  Mittel- 
punkt der  Seidenerzeugung  ist  Nucha 
im  Gouvernement  Jelisawetpol.  Die* 
Coconserzeuguug  betrug  1900  11,(544  Mi]], 
kg  im  Werte  von  7  Millionen  Rubel.  (Lcipz. 
Monatschrift  f.'  Textilind.  9.)  —  Auch 
die  Berichte  über  die  Baumwollernte  in 
Russisch  -  Zentralasien  vom  Jahre  1900 
zeigen,  dafs  sich  Rufsland  planmäfsig  und 
zielbewufst  in  den  wichtigsten  Bedarfs- 
artikeln von  dem  Auslande  unabhängig 
macht.  Durch  Vennehrung  der  Riesel- 
felder und  Umwandlung  bisheriger  Ge- 
treidefelder in  Baumwollpflanzungen  hat 
die-  Baumwollkultur  eine  Vergrößerung 
ihres  Areals  um  34  °/0  gegen  das  Vorjahr 
erfahren.  Dem  entsprechend  ist  die  Ge- 
samternte an  Baumwolle  von  175,2  Mill.kg 
im  Jahre  1899  auf  408,24  Mill.  kg  im 
Jahre  1900  gestiegen.  Rufsland  gehört 
zu  den  wenigen  Staaten,  welche  auf 
Baumwolle  Einfuhrzoll  erheben,  und  zwar 
in  der  Höhe  von  */,  des  Wertes.  Infolge- 
dessen ist  auch  die  Einfuhr  an  Baumwolle 
vom  Jahre  1898  auf  1899  um  17  %  zu- 
rückgegangen. A.  R. 

*  Das  indische  Eisenbahnnetz  ist 
nach  einem  amtlichen  Bericht  vom  1.  Jan. 
1898  bis  1.  Mai  1901  durch  6496  km 
neue  Eisenbahnstrecken  vermehrt  worden, 
sodafM  das  Gesamtuetz  gegenwärtig 
40  426  km  lang  ist.  Von  dem  Netz  sind 
etwa  23  500  km  mit  der  Nornialspur  von 
1,67  m,  16  713  km  mit  der  Meterspur  und 
1190  mit  kleineren  Spuren  für  Bergbahnen 
und  Bahnen  in  dünn  bevölkerten  Gegenden 


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46« 


Geographische  Neuigkeiten 


angelegt.  In  den  beiden  letzten  Jahren 
wind  mehr  Bahnstrecken  eröffnet  worden 
als  in  irgend  einem  gleichen  Zeitraum 
seit  1889.  Im  Jahre  1900  wurden  nahezu 
175  Millionen  Reisende  befördert,  d.  i. 
13'£  Millionen  mehr,  und  43*£  Millionen 
Tounengüter,  d.  i.  3  Millionen  mehr  als 
im  Vorjahr.  Diese  Verkehrszunahme  an 
Personen  und  Gütern  ist  allerdings  zum 
Teil  der  Eröffnung  neuer  Strecken  zu- 
zuschreiben, aber  auch  die  Hungersnot 
förderte  den  Verkehr  mit  Brotgetreide, 
indem  von  den  verschonten  oder  wenig 
betroffenen  Gegenden  grofse  Mengen  davon 
auf  weite  Entfernungen  nach  den  heim- 
gesuchten Gegenden  befördert  wurden. 
In  manchen  Fällen  wiire  jede  Hilfe  un- 
möglich gewesen,  wenn  der  Balinbnu  in 
den  letzten  Jahren  nicht  so  rührig  be- 
trieben worden  wäre.  Der  Vermehrung 
des  Güterverkehrs  ist  ferner  die  Ent- 
wicklung des  Kohlenbergbaues  in  Bengalen 
zu  verdanken,  da  die  Förderung  unter 
dem  Einflufs  der  hohen  Preise  für  eng- 
lische Kohle  wesentlich  gesteigert  worden 
ist,  Seit  1896  ist  die  Einfuhr  ausländi- 
scher Kohle  in  Indien  von  397  000  auf 
83  000  Tonnen  gesunken,  während  der 
Verbrauch  im  Lande  und  die  Ausfuhr  be- 
deutend zugenommen  haben.  Die  finanzi- 
ellen Ergebnisse  «1er  indischen  Staat*- 
bahnen  drücken  sich  für  das  vergangene 
Jahr  zum  ersten  Male  durch  einen  »er- 
schuft aus  (11,7  Millionen  Mark),  obwohl 
noch  erhebliehe  Ausgaben  kraft  der  Ver- 
träge mit  den  gewährleisteten  Linien  zu 
bestreiten  sind. 

Afrika. 

♦  Der  zuerst  von  Speke  1861,  dann 
von  Stanley  1 876  von  Karague  aus  gesehene 
hohe  Berg,  den  die  Eingeborenen  als 
Mfumbiro  bezeichneten  und  der  als 
solcher  auch  auf  unseren  älteren  Karten 
zwischen  Kiwu  und  Albert  Edward  Nyauza 
eingezeichnet  ist,  war  in  den  deutsch- 
englischen Grenzverträgen  den  Engländern 
überlassen  worden  als  Entschädigung  für 
ihren  Verzicht  auf  den  Kilimandscharo. 
In  den  letzten  Jahren  nun  ist  durch 
mehrere  Reisende (Bethe,  Kandt,  v.  Beringe, 
Sharp,  Grogan  und  Moore),  welche  das 
zuerst  von  Graf  Götzen  besuchte  Vulkan- 
gebiet zwischen  jenen  beiden  Seen  durch- 
zogen haben,  festgestellt  worden,  dafs  es 
unter  den  dortigen  zahlreichen  Vulkan- 


gipfeln  einen  Berg  Mfumbiro  nicht  giebt, 
dafs  vielmehr  Mfumbiro  „eine  Stelle,  an 
der  Feuer  ist",  also  einen  Vulkan  über- 
haupt bedeutet,  <lafs  aber  eine  Landschaft 
ähnlichen  Namens  Ufumbiro  genau  dort 
verzeichnet  wird,  wo  der  angebliche 
Mfumbiro  lag.  Da  nun  der  einzige,  heute 
noch  thätige  Vulkan  in  jener  Gegend  der 
von  Götzen  entdeckte  Kirunga  am  Nordende 
des  Kiwusees  ist,  so  folgert  Grogan,  dafs 
der  Mfumbiro  Stanley 's  mit  diesem  Kirunga 
identisch  ist,  und  stellt  in  einer  Zuschrift 
an  die  Times  (25.  Mai  d.  J.)  die  Forderung 
auf,  dafs  das  englische  Gebiet  bis  zum 
Kirunga  ausgedehnt  werde,  falls  bei  der 
bevorstehenden  Grenzregulierung  zwischen 
Deutschland  und  dem  Kongo-Staat  der 
Kirunga  nicht  an  letzteren  fallen  sollte. 
Da  es  sich  dabei  um  sehr  fruchtbares 
Land  handle,  solle  die  englische  Regierung 
unter  allen  I'mständen  auf  ihrer  Forderung 
bestehen.  Wir  dagegen  hoffen,  dafs  die 
deutsche  Regierung  solche  Ansprüche,  falls 
sie  wirklich  erhoben  werden  sollten ,  ab- 
weist. Da  es  keinen  Berg  Mfumbiro  giebt, 
können  ihn  eben  die  Engländer  auch  nicht 
bekommen.  (Nach  Globus  Bd.  LXXX 
S.  17.) 

*  Bevölkeruug  Madagaskars. 
Nach  der  letzten,  von  der  französischen 
Regierung  veröffentlichten  amtlichen 
Statistik  zählte  die  Insel  Madagaskar  im 
Dezember  1900  1941  europäische  Ein- 
wohner, davon  1193  Franzosen,  374  Eng- 
länder, 33  Deutsche  und  341  anderen 
Nationalitäten  angehörende  Personen. 
Von  diesen  1941  Europäern  waren  383 
Landwirte,  1558  Kauflcute  und  Industrielle. 
Die  eingeborene  Bevölkerung  betrug  zu 
derselben  Zeit  2  242  443  Seelen  und  außer- 
dem 404  Asiaten  und  84  Afrikaner;  die 
Asiaten  und  Afrikaner  waren  ausschliefs- 
lich  Kaufleute,  während  von  den  Ein- 
geborenen 3945  Handel  treiben. 

Die  zugleich  vorgenommene  Vieh- 
zählung ergab  einen  Bestand  von  978000 
Stieren  und  Ochsen,  173000  Kühen, 
94COO  Schafen,  230000  Schweinen,  440 
Pferden,  52  Maultieren  und  148022  Stück 
Geflügel.    Der  Kultur  unterworfen  waren ; 

Tausend  ha  Tausend  t 

307  mit       Hei»       mit  einem  KM  rage  von  3S9 
57    „       Maniok       „      „  „  304 

2«    „     Kartoffeln      „      „  „         ,.  SH 

St    „   vertch  I'rod.   „     „  „         „  69 

8»  41S  190 

B. 


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Geographische 


Neuigkeiten. 


460 


Australien  und  die  australischen  Inseln. 

*  Ozeanien.  Der  Kapitän  Saxegaard 
entdeckte  auf  einer  Fahrt  von  Sydney 
nach  Manila  eine  neue,  auf  den  hydro- 
graphischen Karten  nicht  verzeichnete 
Insel.  Er  bestimmte  sofort  deren  Lage 
und  kehrte  nach  Sydney  zurück,  um  von 
seiner  Entdeckung  Mitteilung  zu  machen. 
Ein  amerikanisches  Kanonenboot  wird 
Besitz  von  der  Insel  ergreifen,  die  fortan 
den  Namen  ihres  Entdeckers  führen  wird. 
Sie  liegt  unter  2°  4'  nördl.  Br.  und 
13:->°  35'  6SÜ.  L.  Gr.,  d.  h.  zwischen  den 
Philippinen  und  der  Karolinen -Gruppe. 
Wenige  Tage  nach  der  Verkündigung 
dieser  interessanten  Entdeckung  konnte 
ein  japanisches  Kriegsschiff,  der  Kreuzer 
„Kongo",  als  er  bei  günstigem  Wetter 
die  den  Sebastian  Lobos-(Grampus-)Inseln 
zugewiesenen  Stellen  passierte,  keine  Spur 
von  diesen  kleinen  Inseln  entdecken,  und 
da  diese  Beobachtung  mit  früher  ge- 
machten Beobachtungen  übereinstimmt, 
so  ward  die  Streichung  dieser  Inseln  auf 
den  Seekarten  jener  Kegion  beschlossen. 
Die  Lage  der  Inseln  war '25°  10'  nördl.  Br 
und  146°  40'  östl.  L.  Gr.  B. 

Polarregionen. 

*  Die  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Petersburg  erhielt  von  Baron  Toll, 
dem  Führer  der  russischen  Polar- 
Expedition,  folgendes  in  Jenisseisk  auf- 
gegebenes Telegramm  vom  16.  April : 
„Ich  bin  glücklich  bis  zum  Taimyr-Busen 
gekommen,  wo  ich  überwintere.  In  der 
Nähe  des  Hafens  Archer  haben  wir  eine 
Station  für  meteorologische  Beobachtungen 
errichtet.  Matthiessen  hat  die  Gruppe 
der  Nordenskjöld'schen  Inseln  erforscht. 
Er  reiste  mit  einem  Schlitten.  Kolomcizew 
habe  ich  an  die  Jeuissei  -  Mündung  mit 
dem  Auftrage  gesandt,  dort  Kohleustationen 
anzulegen.  Ich  selbst  werde  mit  Kolt- 
schak  die  Halbinsel  Tscheljuskin  durch- 
queren. Zum  Kommandanten  der  „Sarja" 
habe  ich  Matthiessen  ernannt.  Wir  sind 
alle  gesund.'1 

Aufserdem  erhielt  die  Akademie  der 
Wissenschaften  von  dem  Leiter  der  Ex- 
pedition, die  das  kürzlich  in  Sibirien  auf- 
gefundene Mammut  nach  Petersburg 
bringen  soU,  ein  Telegramm  aus  Jakutak, 
daf«  die  Expedition  dort  am  14.  Juni 
eingetroffen   sei.     Sie   wird   auf  einem 


Dampfer  den  Aldan-FluTs  aufwärt«  fahren 
und  dann  über  Land  nach  dem  3000  Werst 
entfernten  Kolymsk  reisen,  wo  sie  in 
2'/,  Monaten  einzutreffen  gedenkt.  Das 
Mammut,  um  das  es  sich  bei  der  Ex- 
pedition handelt,  ist  einzig  in  seiuer  Art; 
die  Haare,  das  Fell  und  das  Fleisch  sind 
erhalten.  In  dem  Magen  des  Tieres  be- 
finden sich  noch  unverdaute  Futterreste. 

*  Gleichzeitig  mit  der  schwedischen 
Gradmessungsexpedition  (vergl.  S.  413)  sind 
am  5.  Juni  auch  die  Schiffe  der  russi- 
schen Gradmessungsexpedition  in 
Spitzbergen  eingetroffen.  Die  russische  Ex- 
pedition steht  unter  Leitung  des  Geologen 
T schern yschew  und  des  Astronomen 
Backlund  und  verfügt  über  drei  Schiffe, 
denen  der  bekannt«  Eisbrecher  „Jermak" 
zur  Erreichung  des  Storfjordes  an  der 
Ostküstc  von  Spitzbergen  behilflich  sein 
wird.  „Jermak"  will  hierauf  die  Fahrt 
nach  Nowaja  Semlja  antreten,  um  dort 
Untersuchungen  anzustellei  ,  ob  die  Um- 
fahrung der  NordinBel  nicht  einen 
günstigeren  Seeweg  nach  Sibirien  für 
Handelsschiffe  bietet  als  die  Durchfahrt 
durch  die  engen  Strafsen  im  S.  Aufserdein 
soll  in  Dickson-Hafen  nach  Nachrichten 
von  der  Toll'schen  Expedition  geforscht 
werden. 

*  Für  die  internationale  Koope- 
ration während  der  jetzt  beginnenden 
S  üdpolarforschungi8t ein  erd magne- 
tisches und  ein  meteorologisches 
Programm  von  einem  deutsch- engli scheu 
Komitee  auf  Grund  der  Beschlüsse  des 
internationalen  Geographenkongresses  zu 
Berlin  aufgestellt  worden.  Diese  Pro- 
gramme sollen  die  Grundlage  für  die  von 
den  fremden  Staaten  auszuführenden  be- 
züglichen Arbeiten  bieten  und  sind  dem- 
gemäfs  den  Staaten  auf  diplomatischem 
Wege  mit  dem  Ersuchen  übermittelt 
worden,  auf  den  in  Betracht  kommenden 
Stationen  die  wünschenswerten  Beobach- 
tungen vornehmen  zu  lassen,  durch  welche 
die  Arbeiten  der  verschiedenen  auszu- 
sendenden Südpolarexpeditionen  wesent- 
lich ergänzt  werden  würden.  Zweck  der- 
selben ist  die  Konstruktion  von  synoptischen 
Wetterkarten  deB  noch  wenig  bekannten 
Gebietes  der  Antarktis  für  jeden  Tag  des 
Zeitabschnittes  vom  l.Okt.  1Ü01  bis31.März 
1903,  was  sowohl  für  die  Theorie  wie  für 
die  Praxis  von  hervorragender  Bedeutung 
sein  wird.   Alle  kooperierenden  Stationen 


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470 


Geographische  Neuigkeiten 


südlich  von  30°  s.  IL,  alle  Staaten  mit 
ständigen  oder  temporären  mcteorolo- 
gischcn  Beobachtungsstabionen  sfldi  von 
30°  s.  Hr.,  alle  Staaten  und  Reedereien, 
deren  Schiffe  in  den  Gewässern  südl.  von 
30°  h.  Hr.  während  der  Dauer  der  Termin- 
zeit fahren,  werden  gebeten,  zu  ver- 
anlassen, dafs  in  der  genannten  Zeit  mög- 
lichst jeden  Tag  um  0  Uhr  p.  m.  mittlerer 
(Jreenwicher  Zeit  meteorologische  Bc- 
obachtungen  über  den  Luftdruck,  die 
Lufttemperatur,  Stärke  und  Richtung  des 
Windes,  Bewölkung  nach  Art,  Stärke  und 
Richtung  unter  genauer  Angabe  der  Be- 
obachtungszeit  (Ortszeit;  und  des  He- 
obachtungsortes  angestellt  werden. 
Deutschland  will  für  das  Jahr  IW2  bis 
1903  zwei  Stationen  errichten,  eine  Haupt- 
station im  antarktischen  Gebiet  (Beobachter 
|)r.  Hidlingmaier)  und  eine  Zweigstation 
auf  Kerguelen  (Beobachter  Dr.  Luyken  i. 
Die  Sehitlsbeobachtungen  bei  der  Aus- 
und  Heimreise  werden  in  der  auch  sonst 
an  Hord  üblichen  Weise  mit  Berück- 
sichtigung aller  Kleinente  zu  jeder  Wache 
einmal  angestellt.  Aufserdem  werden 
Luftdruck,  Temperatur  und  Feuchtigkeit 
fortlaufend  registriert.  Zur  Erforschung 
der  höheren  atmosphärischen  Schichten 
über  dem  Meere  sollen  Dracheuaufstiege 
mit  den  hierfür  üblichen  Registrierappara- 
ten von  Hord  aus  versucht  werden.  Die 
Beobachtungen  an  Land  werden  auch  noch 
die  Wolkenhöhenmessungeu  umfassen. 
Aufserdem  sollen  in  Verbindung  mit  den 
meteorologischen  Arbeiten  nach  Möglich- 
keit noch  verfolgt  werden  die  luft- 
elektrischen Erscheinungen  und  die  Polar- 
lichter. Auf  Grund  dieses  von  einheitlichen 
Gesichtspunkten  ausgehenden  Programms 
wird  es  gewifs  ermöglicht  werden,  ein 
reiches  und  erschöpfendes  wissenschaft- 
liches Material  zusammenzubringen.  (Allg. 
Ztg.  Wissensch.  Heil.  156.) 

*  Da  es  nach  dem  Rücktritt 
Prof.  Gregory 's  von  der  wissenschaft- 
lichen Leitung  der  englischen  Südpol- 
expedition |  vergl.S.  413)  wegen  der  Kürze 
der  Zeit  nicht  mehr  möglich  war,  einen 
Krsatz  zu  schaffen .  so  ist  von  der  Er- 
nennung eines  wissenschaftlichen  Leiters 
überhaupt  Abstand  genommen  worden 
uud  nur  ein  Fachmann,  George  Murray 
vom  Naturhistorischen  Museum,  welcher 
durch  ozeanographische  Untersuchungen 
auf  dem  Schiff  „Oceana"  18H8  sich  be- 


kannt gemacht  hat,  als  Herausgeber  der 
wissenschaftlichen  Arbeiten  der  Expedition 
bestimmt  worden.  Er  wird  an  der  Fahrt 
der  „Discovery"  nur  bis  Melbourne  teil- 
nehmen. Die  wissenschaftlichen  Begleiter, 
der  Biolog  Hodgson,  der  Botaniker 
Koettlitz,  der  Physiker  und  Astronom 
Shackleton,  der  Zoolog  und  Arzt 
Wilson  —  die  Ernennung  eines  Geo- 
logen soll  noch  erfolgen;  ob  aber  ein 
tüchtiger  Glazialgeolog  noch  gefunden 
werden  kann,  ist  mindestens  zweifelhaft 
—  sind  dem  Befehl  des  Commanders 
Scott  unterstellt  worden,  dessen  Ermessen 
es  auch  uusschliclslich  anheimgestellt 
ist,  ob  eine  Überwinterung,  ja  überhaupt 
eine  Landung  erfolgen  darf.  Durch 
diese  Veränderung  in  der  Organisation 
der  Expedition  haben  sich  die  Aussichten 
für  eine  erfolgreiche  wissenschaftliche 
Thätigkeit  der  Expedition  erheblich  ver- 
schlechtert ,  wenn  auch  der  Erfolg  der 
geographischen  Forschung  durch  den 
schon  mitgeteilten  Expeditionsplan  ge- 
sichert erscheint.  (Peterui.  Mittl.  IWOl 
S.  144.) 

Vereine  nnd  Versammlungen. 

*  Für  die  diesjährige,  73  Ver- 
sa m  m  I  u  n  g  d  e  u  t  s  c  h  e  r  N  a  t  u  r  f  o  r  s  c  h  e  r 
und  Ä  rzte,  die  vom  22.  bis  2».  September 
in  Hamburg  abgehalten  werden  wird, 
sind  im  Gegensatz  zu  frühereu  Tagungen 
zahlreiche  geographische  Vorträge  au- 
gemeldet worden,  sodafs  die  Versamm- 
lung auch  für  Geographen  von  Interesse 
sein  wird.  Es  sind  Iiis  jetzt  folgende 
Vorträge  augemeldet  worden:  „Über  den 
augenblicklichen  Stand  unserer  Gebirgs- 
kenntnis  der  russisch  -  asiatischen  Grenz- 
länder" von  Friedrichsen  (Hamburg); 
„Die  Nyassa- Länder"  von  Fülleborn 
(Berlin);  „Die  internationale  Untersuchung 
der  europäischen  Meere"  von  Krümmel 
(Kielj;  „Mitteilung  über  seinen  in  Aus- 
führung begriffenen  geographischen 
Säkularkatalog"  von  Michow  (Hamburg); 
„Die  kartographische  und  geologische 
Aufnahrae  des  Kaiser  Franz  Joseph-Fjords 
und  des  König  Oskar-Fjords  in  Nordost- 
Grönland  181>S"  von  Na t hörst  (Stock- 
holm); „Beiträge  zur  Topographie  und 
Vegetation  Samoas"  von  Reinecke 
(Breslauj;  „Geographische  Beobachtungen 
auf  dem  Kriegsschauplätze  in  China"  von 
W egener   (Berlin);   „Ober   die  neuere 


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Bii  cherLesprechungen. 


471 


Entwicklung  und  ein  neues  photogra-  i  von  van  der  Stok  (De  Hill);  „Ober  die 
pbisches  Universaliustrument  der  geogra-  J  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Pflanzen- 
phischen  Ortsbestimmung"  von  Mar cuse  '  geographie"  von  Engler  (Berlin)  und 
(Berlin);  „Die  Polarlichtbeobachtungen  „Über  die  Entwicklung  und  Zukunft  der 
der  belgiHchen  antarktischen  Expedition"  angewandten  Botanik  unter  spezieller 
vou  Arktowski  (Brüssel);  „Die  Beo-  j  Berücksichtigung  produktionswirtschaft- 
bachtung  und  Bearbeitung  der  Gezeiten-  j  lieber  und  kommerzieller  Fragen'1  vou 
Erscheinungen  an  derholländisehen Küste"  |  Warburg  (Berlin). 


Hüclierbesprecliungen. 


Alpine  Majestäten  und  ihrGefolge. 
Die  Gebirgswelt  der  Erde  in  Bildern. 
Monatlich  ein  Heft  mit  etwa  V2  Tafeln 
in  Grofsfolio.  München,  Vereinigte 
Kunstanstalten.  Preis  des  Heftes  jl  1. 
Dies  Bilderwerk  verdient  die  wärmste 
Empfehlung.  Es  ist  staunenswert,  dafs 
ea  möglich  gewesen  ist,  zu  so  billigem 
Preise  (die  Tafel  kommt  kaum  auf  10  Pf. 
zu  stehen!)  Bilder  von  so  schöner  Aus- 
führung zu  bieten,  bei  denen  in  der  That 
die  Milsstände  der  gewöhnlichen  Autotypie 
(das  starke  Hervortreten  des  Netzes)  ganz 
vermieden  erscheinen.  Das  Werk  ist 
natürlich,  da  ja  nur  ein  Massenabsatz  den 
billigen  Preis  möglich  macht,  in  erster 
Linie  für  den  Naturfreund  und  Alpinisten 
bestimmt,  dürfte  aber  auch  für  Lehr- 
zwecke gute  Dienste  leisten,  da  sich  viele 
charakteristische  Erscheinungen  der  Alpen- 
natur deutlich  erkennen  lassen.  Eine 
volle  Ausnützung  in  dieser  Richtung 
würde  freilich  den  meisten  Lehrern  nur 
möglich  sein,  wenn  ihnen  in  einem  er- 
läuternden Texte,  dessen  Abfassung  einem 
erfahrenen  Didaktiker  anvertraut  werden 
müfste,  die  Anleitung  dazu  geboten  würde. 
Vielleicht  könnten  auchdie  unscheinbareren 
Formen  neben  den  kühnen  Formen  der 
Hochregionen  und  der  Kalkalpen  etwas 
mehr  bedacht  werden.  Dem  Geographen 
wäre  es  natürlich  auch  erwünscht,  wenn 
in  den  späteren  Heften  neben  den  Alpen 
auch  die  anderen  Hochgebirge  ausführ- 
licher berücksichtigt  würden;  in  den  bis- 
her erschienenen  5  Heften  finden  wir  nur 
vier  Tafeln  mit  Ansichten  aus  Norwegen, 
den  Pyrenäen  und  dem  Karst. 

A.  Hcttner. 

Weltgeschichte,  herausgegeben  von 
H.  Helmolt.  Siebenter  Band:  West- 
europa.   Erster  Teil.    Mit  6  Karten, 


6 Farbendrucktafeln  und  10  schwarzen 
Beilagen.   Leipzig  und  Wien,  Biblio- 
graphisches Institut,  1900. 
Unter  Westeuropa  wird  hier  Europa 
mit  Ausschlufs   von  Rufsland  und  der 
Kalkanhalbinsel  verstanden;  und  da  Ita- 
lien samt  der  iberischen  Halbinsel  schon 
im  Reigen  der  Mittelmeerländer  Gegen- 
stand eines  früheren  Bandes  des  Gesamt- 
werks gewesen,  so  handelt  es  sich  diesmal 
wesentlich  um  die  atlantischen  Staatsge- 
biete unseres  Erdteils  und  ganz  Mittel- 
europa, wobei  jedoch  Hinblicke  auf  Italien, 
Sjmnien  und  Portugal  nicht  ausgeschlossen 
sind. 

Ein  den  Geographen  besonders  an- 
ziehender Überblick  „Die  wirtschaftliche 
Ausdehnung  Westeuropas  seit  den  Kreuz- 
zügen" (von  Richard  Mayer)  leitet  das 
Ganze  ein.  Er  führt  uns  in  grofsen  Zügen 
vor:  den  Kampf  um  die  Vorherrschaft  im 
Levantehandel,  die  Ausbildung  des  mittel- 
und  nordeuropäischen  Handelsgebiets, 
vornehmlich  die  Entfaltung  der  Thätigkeit 
der  Hanse,  sodann  Westeuropa  im  Zeit- 
alter der  Entdeckungen,  des  Merkantil- 
systems und  des  Ausbaues  der  modernen 
Weltwirtschaft. 

Der  politischen  Geschichte  wenden 
sich  zu  der  2.  und  6.  Hauptabschnitt: 
„Renaissance,  Reformation  und  Gegen- 
reformation" (von  Armin  Tille)  und 
„Die  Entstehung  der  Großmächte"  (von 
Hans  v.  Zwiedineck  -  Südenhorst), 
d.  h.  die  politischen  Wandlungen,  wie  sie 
in  dem  Zeitraum  von  1650  bis  1780  zur 
Machtstellung  Frankreichs,  Englands,  der 
Niederlande,  des  sinkenden  Deutschen 
Reichs,  der  habsburgischen  und  der  preu- 
fsischen  Monarchie  beigetragen  haben. 

Zwischen  diese  beiden,  enger  an  ein- 
anderschliefsenden  Kapitel,  die  den  grö- 
fseren  Teil  des  Bandes  füllen,  finden  sich 


472 


Bücherbesprechungen. 


noch  zwei  eigenartige,  rein  kulturge- 
schichtliche Abschnitte  eingefügt,  die  den 
ganzen  Zeitraum  der  letzten  vier  Jahr- 
hunderte umspannen:  „Das  abendländische 
Christentum  und  seine  Missiou.sthätigkeit 
seit  der  Reformation"  (von  Wilhelm 
Walther)  und  „Die  soziale  Frage"  (von 
Georg  Adler),  eine  vorzüglich  klare, 
dabei  durchaus  sachlich  gehaltene  Dar- 
legung der  neueren  sozialistischen  Be- 
wegung vor  allem  in  Frankreich,  England, 
Deutschland  nebst  einem  kurzen  Schlufs- 
wort  über  den  Sozialismus  in  den  übrigen 
eu  ropiiischen  Staatsgebieten. 

Unter  den  beigefügten  Karten,  die, 
wie  immer,  in  sauberem  Farbendruck  aus- 
geführt sind,  verdienen  Hervorhebung 
diejenige  der  Ausdehnung  der  Hanse  um 
1400  und  die  Religions-  und  Missionskarte 
der  Erde  für  die  Gegenwart. 

Kirchhoff. 

Der  Weltverkehr  und  seine  Mittel. 
Mit  einer  Übersicht  über  Welthandel 
und  Weltwirtschaft.  9.  Aufl.  bearb. 
von  Merckel,  Münch,  Nestler,  Riedl, 
Schmücker,  Schwarz,  Steche  u.  Troske.- 
Lex8°.  981  S.  .«16.—.  84G  Abbild  , 
14  Tafeln  u.  1  K.  Leipzig,  0.  Spamer. 
1901. 

Das  bekannte  Buch,  das  einen  Bestand- 
teil des  Buches  der  Erfindungen  bildet, 
kann  auch  dem  Geographen  gute  Dienste 
leisten.  Nach  einer  kurzen  übersieht 
über  die  geschichtliche  Entwicklung  des 
Verkehrswesens  werden  nach  einander 
die  Laudstrafseii ,  die  Eisenbahnen,  die 
Brücken  und  Viadukte,  die  Binnenwasser- 
strafsen  und  Seehäfen,  der  Schiffsbau, 
Posten  und  Postwesen,  Telegraph  und 
Telephon  besprochen,  und  zum  Schlufs 
wird  noch  eine  Darstellung  des  Ent- 
wicklungsganges und  des  heutigen  Standes 
der  Weltwirtschaft  gegeben.  Die  eigent- 
lich geographischen  Angaben  wird  der 
Geograph  ja  auch  anderen  Hilfsmitteln 
entnehmen  können,  obwohl  es  an  einer 
befriedigenden  Darstellung  der  Verkehrs- 
geographie immer  noch  fehlt  und  manche 
Bücher,  die  sich  dafür  ausgeben,  kaum 
mehr  geographischen  Charakter  haben. 
Aber  die  technischen  Kenntnisse,  die  der 
(ieograph  sich  aneignen  mufs,  wenn  er 
die  geographische  Verteilung  und  die 
verschiedene  AusbildungBweise  der  Ver- 
kebr.ieinrichtungen      in  verschiedenen 


Landern  verstehen  will,  wird  er  kaum 
in  einem  anderen  Werke  so  bequem  zu- 
sammengestellt finden.  War  das  schon 
bei  den  früheren  Auflagen  der  Fall,  so 
ist  doch  die  vorliegende  neunte  Auflage 
wieder  wesentlich  vervollkommnet  und 
der  gegenwärtigen  Ausbildung  des  Ver- 
kehrswesens angepafHt.  Die  Ausstattung 
mit  Abbildungen  ist  vorzüglich;  sie  sind 
nicht  nur,  wie  in  so  vielen  neueren  Bilder- 
werken, ein  „Schmuck"  des  Bu«hes,  der 
mit  dem  Text  kaum  etwas  zu  thun  hat, 
sondern  gehören  mit  dem  Text  zusammen 
und  ermöglichen  erst  dessen  volles  Ver- 
ständnis. A.  Hettner. 

Fitzner,  Dr.  Rudolf,  Deutsches  Kolo- 
nial -  Handbuch,  nach  amtliche» 
Quellen  bearbeitet.  Bd.  I  der  zweiten 
Auflage.  8.  412  S.  mit  4  Karten. 
Berlin  1901,  Verlag  von  H.  Paetel. 
Das  bereits  rühmlichst  bekannte  Ko- 
lonialhandbuch von  R.  Fitzner  liegt  nicht 
nur  in  zweiter  Auflage  vor,  sondern  es 
ist,  entsprechend  der  Natur  dos  behan- 
delten Gegenstandes,  so  stark  gewachsen, 
dafs  Beine  Teilung  in  mehrere  Bände  schon 
im  Interesse  der  Handlichkeit  notwendig 
geworden  ist.  So  enthält  denn  der  vor- 
liegende erste  Band  nur  die  vier  afrika- 
nischen Schutzgebiete.  Die  einzelneu  Ab- 
schnitte, die,  wie  in  der  ersten  Auflage, 
der  Besprechung  eines  jeden  Gebiets  eine 
lesenswerte  geographische  Übersicht  voran- 
stellen, lassen  deutlich  einen  Fortschritt 
erkennen.  Interessenten  seien  besonders  auf 
die  übersichtlichen  Zusammenstelluugeu 
über  die  Plantagen  unserer  tropischen 
Schutzgebiete  aufmerksam  gemacht,  deren 
Vergleich  mit  den  gleichen  Tabellen  der 
früheren  Ausgabe  doch  manches  Erfreu- 
liche bietet.  Auch  die  Bevölkerungs- 
statistik, die  ja  namentlich  in  Südwest- 
afrika zu  immer  wichtigeren  Erwägungen 
Anlafs  giebt,  ist  bis  in  die  neueste  Zeit 
fortgeführt,  so  dafs  auch  auf  diese  Zu- 
sammenstellung aufmerksam  gemacht  wer- 
den kann.  Weniger  einverstanden  erklärt 
sich  Ref.  mit  der  Art  der  Angabe  der 
Preisverhältnisse  im  einzelnen.  Hier 
müfsten  besser  die  Preise  nur  in  einer, 
verschiedene  Perioden  berücksichtigenden 
Tabelle  gegeben  werden,  da  sie  sich  sehr 
häufig  ändern.  Sehr  praktisch  ist  die 
Neuerung,  dafs  die  Personalien,  deren 
Anführung  in  einem  solchen  Handbuch 


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Bü  eher  besp  rechungen. 


473 


ja  unerlüfslich  ist,  diesmal  am  Schlüsse 
in  einer  besonderen  Zusammenstellung  ge- 
bracht werden,  da  sie,  die  selbstverständlich 
den  raschesten  Änderungen  unterworfen 
sind,  auf  diese  Weise  als  Sonderheft  öfters 
neu  ersclfcincn  können. 

Alles  in  allem  ist  das  Kolonialhand- 
buch auch  in  seiner  neuen  Gestalt  ein 
unentbehrliches  Nachschlagebuch  nicht 
nur  für  den  unmittelbar  an  unseren  Schutz- 
gebieten Interessierten,  sondern  fast  noch 
mehr  fiir  jeden  Freund  derselben,  der  sich 
schnell  und  doch  eingehend  über  eines 
derselben  unterrichten  will.    K.  Dove. 

Smiljunic',  M.  \ .,  Beiträge  zur  Siede- 
luugskunde   Südserbiens.  Ab- 
handlungen der  K.  K.  Geogr.  Ges. 
Wien  Bd.  II  (1000)  Nr.  2.  71  Seiten 
mit   3  Textabbildungen   und  einer 
Karte.    Wien,  R.  Lechner  1000. 
In  einer  fleifsigen  Studie,  der  Frucht 
saurer  rechnerischer  Arbeit,  eingehender 
Litteraturkenntnis  (die  benutzten  Quellen 
sind,  nicht  ohne  einige  Druckfehler  z.  B. 
Paläographie  statt  Poleographie  der  Cim- 
brischen  Halbinsel,  am  Schlüsse  zusam- 
mengestellt) und  eigener  Anschauung  an 
Ort  und  Stelle,  untersucht  der  Verfasser 
die  Volksdichte-  und  Siedelungsverhält- 
nissc  Südserbiens  in  ihrer  Abhängigkeit 
von   Bodcngestaltung   und  geologischem 
Bau,  Klima  (Sonnenbestrahlung;  und  Be- 
wässerung, Wald-  und  Kulturland,  Verkehr 
und  Industrie. 

Nach  einer  allgemeinen  anthropo- 
geographischen  Einleitung  bringt  der  erste 
Hauptteil  (Die  Lage,  der  Raum,  die 
Grenzen  und  die  orographisch-hydrogra- 
phischen  Verhältnisse)  eine  gedrängte 
geographische  Übersicht  Südserbiens 
zwischen  der  türkischen  Grenze,  der  west- 
lichen und  südlichen  Morava.  Der  zweite 
Hauptteil  (Die  Bevölkerungsdichtigkeit 
Südserbiens)  behandelt  zunächst  rein 
methodisch,  zwar  ohne  neue  Gesichts- 
punkte, aber  in  kurzer  treffender  Kritik 
der  einschlägigen  Arbeiten  das  viel  er- 
örterte Problem  der  kartographischen 
Darstellung  der  Volksdichte.  Dann  spricht 
sich  der  Verfasser  über  sein  Verfahren 
und  die  Herstellung  seiner  Karte  aus, 
die  im  Mafsstabe  1  :  400  000  das  Flufs- 
netz,  den  Wald,  das  Gelände  in  200  m- 
Schichtlinien  mit  Hervorhebung  der  800  ra- 
Isohypsc ,    die   Verkehrswege    und ,  in 

0  oograph  i»c  n«  ZeKachrfft.  7.  Jahrgang  1001.  8 


schwarzen,  roten  und  blauen  Punkten 
und  Kreisen  verschiedener  Gröfse,  die 
Sicdelungen  enthält.  Die  Karte  giebt 
trotz  ihrer  Bezeichnung  nicht  die  Volks- 
dichte, sondern  die  Siedelnng8verhältnisse 
wieder  und  gestattet  nur  durch  die  Ver- 
teilung der  Wohnplätze  einen  Rückschlufs 
auf  erstere.  Sehr  klar  kommt  zur  Ver- 
anschaulichung, wie  dem  dünn  oder  gar 
nicht  bewohnten  Walde  das  dicht  l«e- 
siedelte  Tiefland  gegenübersteht,  wie  der 
Menschen  zusammenführende  Verkehr  in 
den  Hauptthälern  gröfsere  geschlossene 
Siedelungen  geschaffen  hat,  die  nach 
dem  Gebirge  zu  immer  kleiner  und  zer- 
streuter werden,  und  wie  im  Osten  vor- 
wiegend Dörfer,  im  Westen  Eiuzelhöfe 
zu  finden  sind.  Leider  enthält  die  sonst 
so  übersichtliche  Karte  zu  wenig  Namen, 
sodafs  man  der  Beschreibung  nicht  immer 
folgen  kann.  Auch  die  verschiedenfarbige 
Hervorhebung  der  Höhenschichtlinien, 
namentlich  der  für  die  Untersuchung 
mafsgebenden  400  m-Isohypsen,  hätte  viel- 
leicht die  Deutlichkeit  des  Karteubildes 
erhöht.  < 
Im  Folgenden  behandelt  der  Verfasser 
an  der  Hand  der  oben  angedeuteten  Ur- 
sachen Volksdichte  und  Siedelungsver- 
breitung,  wobei  er  im  Einklänge  mit 
dem  Gebirgscharakter  des  Landes  den 
Höhenzonen  besondere  Aufmerksamkeit 
schenkt.  Der  Übersicht  halber  zerlegt 
er  das  ganze  Gebiet  in  acht  natürliche 
Abschnitte,  denen  er  nach  Ratzel'8  Vor- 
schlag die  Flufsthäler  zugrunde  legt,  um 
so  mehr,  als  an  sie  alle  Siedelungen 
Südserbiens  gebunden  sind.  Als  Haupt- 
ergebnisse, die  in  einer  Reihe  von  Tabellen 
übersichtlich  zusammengefafst  werden, 
sind  hervorzuheben:  Mit  34  Einwohnern 
auf  1  qkm  steht  die  Volksdichte  Süd- 
serbiens um  14  hinter  derjenigen  ganz 
Serbiens  zurück.  Die  unten«  Siedelungs- 
zonc  (bis  400  m)  ist  mit  26,8  %  räumlich 
die  kleinste,  umschliefst  aber  als  dichtest 
bevölkerte  66,5  "/0,  also  über  die  Hälfte 
der  Bewohner.  Die  zweite  Zone  (400 — 
800  m)  nimmt  mit  48,8%  räumlich  die 
erste  Stelle  ein,  beherbergt  aber  blofs 
35,1%,  also  etwas  mehr  als  ein  Drittel 
der  Bevölkerung.  Auf  die  drei  übrigen 
Zonen  («00— 2000  in,  davon  1600-  2000  in 
überhaupt  menschenleer)  entfallen  bei 
27  %  Landnuehe  nur  noch  0,4  %  der 
Bewohner.  11,5%  der  gesamten  Seclen- 
lloft  32 


474 


Bücherbesprechungen. 


/uliI  entfallen  auf  die  städtische  Be- 
völkerung, und  davon  gehören  8,6% 
ersten,  3",,  der  zweiten  Zone  an.  Die 
übrigen  Zonen  sind  städtelos,  indem  jen- 
seits KM)  ni  keine  Stadt  von  1600  .auf 
der  Karte  steht  versehentlich  lOOOi  Ein- 
wohnern mehr  vorkommt.  hie  HOO  m- 
Linie  ist  auch  dadurch  wichtig,  data 
oberhalb  derselben  da»  (ietreide  nur  noch 
spärlich  oder  gar  nicht  mehr  gedeiht, 
sodaß  in  den  höheren  Regionen  die  Vieh- 
zucht zur  Hauptbeschäftigung  wird. 

Der  dritte  Hauptteil  behandelt  die 
Sietielungen  mit  besonderer  Berücksich- 
tigung der  im  Osten  und  Westen  Süd- 
serbiens  bestehenden  Unterschiede.  Die 
wirtschaftlichen  und  sozialen  Verhält- 
nisse des  alten  Serbenreiches,  die  gesetz- 
miifsige  Zwangsauswanderung,  ständiger 
Wechsel  der  Sennereidörfer  Katuns  . 
die  lange  Türkenherrschaft,  die  jetzt 
immer  mehr  verfallenden  Zadrugas  i  Haus- 
und Familiengemeinschaften'  und  andere 
Erscheinungen  sind  auf  die  Herausbildung 
der  Siedclungsartcn  von  maßgebendem 
9  Einflüsse  gewesen.  Von  letzteren  kommen 
in  Betracht:  Einzelhöfe,  Übergangsformen 
zwischen  Einzelhöfen  und  gehäuften 
Siedelungen,  Strafsendörfer,  geblendeter 
Straßentypus  (die  Häuser,  stehen  nicht 
unmittelbar  an  der  Strafse,  sondern  sind 
durch  Zaune  oder  Hecken  von  ihr  getrennt  i, 
t%bergang8fonuen  zwischen  Straßen-  und 
Haufendörfern,  Haufendörfer. 

Interessant  sind  die  Bemerkungen  über 
die  anthropogeographische  und  politische 
Bedeutung  der  sorbisch-türkischen  Natur- 
grenze (S.  10),  über  die  periodische  Ein- 
waiulerungbulgarischerHandwerkeriS.43>, 
den  mittelalterlichen  Bergbau  in  Serbien 
und  die  deutsch-siebeubürgischen  Berg- 
arbeiter <S.  4(ii,  sowie  über  die  Arnauti- 
sierung  Altserhiens  und  die  gespannten 
Beziehungen  zwischen  Serben  und  AJba- 
nesen  (8.  40—41,  44,  02,  G3). 

K.  Hassert, 

Wieden  feld,  Dr.  Kurt.,  Die  sibirische 
Bahn  in  ihrer  wirtschaftlichen 
Bedeutung.     SOS  Seiten,     gr.  8n. 
1  Karte.    Berlin  11)00,  Julius  Springer. 
Es  ist  in  den  letzten  Jahren  in  und 
außerhalb  Hußlands,  auch  von  deutscher 
Seite,  sehr  viel  über  die  politische  und 
wirtschaftliche  Ausbreitung  Rußlands  in 
Asien,  namentlich  über  «He  Zwecke  und 


Aussichten  der  grofsen  sibirischen  Bahn 
geschrieben  worden.  Der  Verfasser  des 
vorliegenden  Buches  unterzieht  sich  der 
dankenswerten  Aufgabe,  eine  kritische 
Sichhing  des  gesamten  (juellenmaterials 
vorzunehmen,  um  den  wirt8«<fcaftlichen 
Teil  der  Frage  eingehend  zu  behandeln 
und  auf  diese  Weise  dem  Gegenstand 
eine  neue,  wohl  noch  nicht  genügend 
gewürdigte  Seite  abzugewinnen.  Die  po- 
litische und  militärische  Bedeutung  stehen 
unzweifelhaft  zur  Zeit  im  Vordergrund, 
da  Hufsland  zur  Durchführung  seiner 
Ziele  in  Dstasien  und  zur  Bekämpfung 
des  fremden  Einflusses  in  der  Mandschurei 
einer  schnellen  und  gesicherten  Verbindung 
mit  dem  Mutterlande  dringeud  bedarf 
Demnächst  prüft  der  Verf.  die  wirtschaft- 
liche Bedeutung  de«  gewaltigen  Unter- 
nehmens nach  drei  (Gesichtspunkten :  1.  auf 
Besiedelung  und  Erschließung  des  weiten 
menschenarmen  Gebietes  in  Südsibirien  und 
am  Amur,  wohin  die  überflüssige  Volks- 
masse ,  die  schon  jetzt  auf  heimatlichem 
Boden  durch  agrar  -  soziale  Mißstände 
schwer  leidet  und  kaum  noch  Brot  tindet, 
planmäßig   abgeschoben   werden  kann; 

2.  auf  die  Stellung,  die  Sibirien  aß 
Gebiet  für  das  Hervorbringen  wie  für  den 
Verbrauch  von  Natur-  und  Industrie - 
erzeugnissen   im  Weltmarkte   einnimmt ; 

3.  auf  den  Einfluß,  den  die  Bahn  nach 
Fertigstellung  als  Weltverkehrsstraße  vor- 
aussichtlich gewinuen  wird. 

Das  mit  erschöpfender  Gründlichkeit 
und  beherrschender  Kenntnis  aller  eisen- 
bahn  technischen  und  wirtschaftlichen 
Fragen  geschriebene  Buch  prüft  maßvoll 
und  unter  Ausnutzung  aller  verfügbaren 
Quellen  «He  verschiedenen  Seiten,  nach 
denen  die  künftige  asiatische  Bacitic- 
bahu  sich  im  Weltverkehr  fühlbar  machen 
wird.  Die  Fahrzeit  wird  z.  B.  von  Mos- 
kau nach  Dalni  (Port  Arthur)  auf  18%  bis 
20  Tage,  die  Kosten  der  Heise  für  die 
Strecke  London-Dalni  in  der  I.  Klasse  auf 
420  Mk.  (dazu  noch  300  Mk.  Verpflegung, 
veranschlagt,  währond  jetzt  die  Kosten 
der  Seefahrt  von  den  großen  europäischen 
nach  den  großen  chinesischen  oder  japa- 
nischen Häfen  über  1300  Mk.  betragen. 
Rußland  muß,  um  die  große  Bahn 
leistungsfähig  zu  machen,  noch  manche 
Übereilung  in  der  ersten  Anlage,  nament- 
lich die  Ausstattung  mit  brauchbarerem 
rollenden  Material  und  schwereren  Seine- 


BücherbeBprechungen. 


475 


nen  verbessern.  Man  hat  diese  Mängel 
erkannt  und  ist  entschlossen,  sie  zu  be- 
seitigen. Das  Unternehmen  wird  nach 
des  Verf.  Ansicht  im  Weltverkehr  da- 
durch eine  Jiolle  spielen,  dafs  es  die  Be- 
förderung der  wertvollen  Güter,  der  Post 
und  der  Personen  übernehmen  wird, 
wahrend  die  Stapelartikel  der  billigeren 
Frachten  wegen  nach  wie  vor  dem  See- 
wege vorbehalten  bleiben  dürften.  Be- 
deutsamer erscheint  die  Stellung,  die 
der  Bahn  in  der  wirtschaftlichen  Ent- 
wickelung  Sibiriens  angewiesen  werden 
mnfs.  Sie  hat  die  Aufgabe,  die  Produk- 
tionBkraft  des  Landes  dadurch  zu  heben, 
dafs  sie  in  die  menschlicher  Arbeitskräfte 
dringend  bedürfenden  Gebiete  Ansiedler 
hineinführt.  Die  Wirkungen  werden  sich 
aher  erst  sehr  allmählich  zeigen,  so  dafs 
alle  Erwartungen  auf  eine  sprungweise, 
schnelle  Entwicklung  Sibiriens  trotz  der 
Bahn  als  nicht  begründet  anzusehen  sind. 
Wir  halten  das  treffliche  Buch  für  einon 
wichtigen  Beitrag  zur  Klärung  des  Urteils 
über  die  Gegenwart  und  Zukunft  Sibiriens 
und  die  Stellung  Rufslands  im  Welthandel. 

Immanuel. 

Gruner,  Dr.  Christi«»,  Die  Entwick- 
lung der  geographischen  Lehr- 
methoden im  XVIII.  und  XIX. 
Jahrhundert.  Rückblicke  und  Aus- 
blicke. Mit  2  Kärtchen  und  8  Skizzen. 
München  und  Leipzig,  R.  Oldenbourg. 
Vorwort  datiert  Juli  1900.  M.  3.60. 
Der  Verfasser  begiebt  sich  mit  den 

beiden  ersten  Teilen  seines  Buchs:  Das 

XVIII.  Jahrhundert  S.  1  —  147  und  das 

XIX.  Jahrhundert  8.  1  öl —211  auf  ein 
.    noch  ziemlich  wenig  beackertes  Feld  und 

kann  des  lebhaftesten  Dankes  derer,  die 
die  Schulmethodik  der  Geographie  mit 
historischen  Augen  ansehen  möchten,  ge- 
wifs  sein.  Ob  freilich  der  Titel  „Die  Ent- 
wicklung" nicht  etwas  zu  hoch  gegriffen 
ist,  möchte  ich  dahin  gestellt  sein  lassen. 
Einerseits  hal»en  wir  doch  wohl  an  Stelle 
einer  wirklichen  Entwicklung  bis  in  junge 
Tage  mehr  ein  unruhiges  Hinundher,  ein 
vielfach  unverbundenes  Nebeneinander, 
häutig  ein  Aufnehmeu  von  scheinbar 
Neuem  und  doch  Uraltem.  Erst  in  den 
letzten  Jahrzehnten  des  verwichenen  Jahr- 
hunderts bahnt  sich  ein  gröfserer  Zu- 
sammenschlufs  an.  Das  verrät  Gruber' s 
„dritter   Teil"-.   Ausblicke   S.  215  254 


doch  noch  deutlich  genug.  —  Andererseits  ' 
ist  das  Material  Gruber's  zwar  dankens- 
wert reichlich,  für  altbayrische  Verhält- 
nisse L  T.  7.  Ab.  sogar  recht  ausgiebig; 
aber  es  liegt  doch  wohl  noch  viel  Stoff 
ungehoben.  Sehr  dankenswert  ist  es  z.  B., 
dafs  Gruber  auf  Gedike's  „Gedanken  über 
Methode  beim  geographischen  Unterricht", 
die   fast   unbekannt  geworden   zu  sein 
schienen,  so  nachdrücklich  hinweist.  Aber 
Gedike  kommt  wohl  noch  Öfter  als  au  den 
angezogenen  Stellen  auf  Geographie  im 
Unterricht  zu  sprechen.  Eine  Zusammen- 
stellung aller  dieser  Daten  wäre  recht 
nützlich.  Ich  führe  u.  a.  „Neue  Nachricht 
von  der  Einrichtung  des  Fr.  Werderschen 
Gymnasiums1«  1788  S.  36  und  41  und  „Einige 
Gedanken  über  die  Ordnung  und  Folge 
der  Gegenstände  des  jugendlichen  Unter- 
richt«" 1791  S.  24,  „Kurze  Nachricht  von 
der  gegenwärtigen  Einrichtung  des  Berlin- 
Köln.  Gymnasiums"  1796  bes.  S.  21  u.  26, 
vor  allem  aber  „Einige  Gedanken  über 
Schulbücher  und  Kinderschriften"  1787  an; 
denn  man  geht  wohl  nicht  fehl,  dafs  der 
25jährige  Direktor,  der  aus  den  „Ge- 
danken über  Methode"  zu  uns  spricht, 
wäre    er    in    seinem  arbeitaüberreichen 
Leben  zur  Abfassung  eines  geographischen 
Lehrbuchs    gekommen,    die    dort  ent- 
wickelten   noch   heute  beachtenswerten 
Grundsätze   befolgt   hätte.     Erst  einen 
Abschnitt  später  (5.)  treffen  wir  auf  Bü- 
sching.    Das  scheint  mir  unzweckmäßig, 
Büsch ing  war  der  unmittelbare  Amtsvor- 
gänger Gedike's,  der  sogar  einige  Jahre 
als  sein  Gehilfe  thätig  war.    Ferner  ist 
wohl  Büsching  als  Geograph  bekannter 
denn  als  Methodiker,  dafs  aber  so  wenig 
über  diesen  zu  sagen  wäre,  wie  Gruber 
S.  69   thut,   kann   ich  nicht  zugeben. 
Büsching    war   nicht   nur  „geistesstark 
und  originell  genug,  um  auf  die  nnter- 
richtliche  Behandlung  der  Erdkunde  Ein- 
flufs  zu  gewinnen",  sondern  er  lebte  als 
praktischer  Schulmann,   der  nach  ganz 
eigenartigen  Prinzipien  den  Bau  seiner 
Schule    (Graues    Kloster,    Berlin)  um- 
gemodelt hatte,  mitten  in  der  Schulwelt, 
vgl.  u.  a.  Gedike  „Erinnerung  an  Büsching's 
Verdienste  etc.*4  1 795.  Ferner  ist  Büsching's 
„Vorbereitung  zur  gründlichen  und  nütz- 
lichen Kenntnis  der  geographischen  Be- 
schaffenheit etc.",  1.  Aufl.,  Göttingen  1761 ; 
4.  Aufl.,  Berlin  1768,  schon  der  Vorreden 
halber,  aber  auch  hinsichtlich  des  Inhalts 

32* 


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47G 


H  (ich  erbe  s  prechungen. 


durchaus  methodologisch  zu  verwerten,  i 
auch  (Jedike  führt  da«  buch  (1,  c.  S.  11) 
direkt  als  von  Büsching  als  Schulbuch  für 
die  höheren  Klassen  verfallt  an.  Ahnliches 
läfst  sich  von  dem  Abschnitt  „Unterricht 
in  der  Geographie  und  Unterricht  in  der 
Geschichte"  seines  „Unterrichts  für  Infor- 
matoren und  Hofmeister',  Hamburg  1773, 
§§137-131»  die  Seitenzahl  ist  verdruckt) 
sagen.  —  Doch  ich  kann  hier  nicht  aus- 
führlicher werden,  ich  wollte  nur  zeigen, 
dafr  hier  trotz  Gruber  noch  ein  reicheB  Feld 
zu  bebauen  ist.  Unter  allen  Umständen 
müssen  wir  aber  dem  Verfasser  danken 
für  die  auch  so  schon  recht  grofse  Mühe, 
der  er  sich  für  die  Zusanimenhringung 
und  Verarbeitung  seines  Stoffes  hat  unter- 
ziehen müssen.  Ich  versage  es  mir  auch 
auf  seine  „Ausblicke"  näher  einzugehen. 
In  den  beiden  ersten  Abschnitten  ist  er 
Historiker,  hier  wird  er  Polemiker.  Alle 
die  iu  den  letzten  zwanzig  Jahren  in  Be- 
wegung geratenen  und  erst  nach  Klärung 
ringenden  Fragen  werden  hier  aufgeworfen 
und  zu  ihnen  Stellung  geuounuen.  Es 
wäre  ein  Buch  nötig,  sich  mit  ihnen  in 
Gruber' s  Fassung  abzufinden.  —  Jedenfalls 
wünsche  ich  dem  Buche  viele  Leser  und 
den  beiden  ersten  Abschnitten  tüchtige 
Weiterbauer.  Heinr.  Fischer. 

Laiigcnueck ,  Prof.  Dr.   R.,  Leitfaden 
der     Geographie    für  höhere 
Lehranstalten  im  Anschlufs  an 
die  preufsischen  Unterrichts- 
pläne von  1H92,   Erster  Teil,  Lehr- 
stoff der  unteren  Klassen  mit  7  Fi- 
guren im  Text.  3.  umgearbeitete  Aufl. 
Leipzig,  Wilhelm  Engelmann  1900. 
X.  u.  13*  S.,  geb.  M.  1.60. 
Die  Langenbeck'schen  Lehrbücher  der 
Geographie  haben  sich   gut  eingeführt, 
seit  1H'.(3  liegt  jetzt  vom  Leitfaden  die 
3.  Auflage  vor.    Der  Verfasser  verdient 
darnach  eine  ernsthafte  Würdigung  und 
Prüfuug  seines  Werkes.    Worin  es  sich 
von  Anfang  au  vorteilhaft  bemerkbar  ge- 
maent  hat,  ist  sein  Streben  nach  wissen- 
schaftlicher   Zuverlässigkeit    und  nach 
Zusammenhang   in    der  Darstellung  im 
Sinne  einer  auf  die  natürlichen  Verhält- 
nisse   gegründeten  Landsehaftengeogra- 
pliie.  Wenn  dieser  zweite  Punkt  in  Teil  I 
noch    nicht   mit    derselben  Deutlichkeit 
hervortritt  wie  in  Teil  II,  so  ist  das  kein 
Wunder  und  nichts  darüber  zu  sagen. 


Überhaupt  ist  ein  Leitfaden  für  die  Unter- 
klassen ein  weit  schwierigeres  Ding  als 
das  folgende  Lehrbuch,  das  sich  an  mitt- 
lere Knabenintelligenz  mit  schon  allerlei 
ziemlich  ausgebildeten  Fähigkeiten  und 
Kenntnissen  wendet.  Am  deutlichsten 
tritt  das  für  mich  an  der  Krux  aller 
unserer  Schulgeographien,  den  mathema- 
tischen Abschnitten,  hervor.  L.  hat  sich 
hier  um  eine  „leicht  fafsliche  und  dem 
Verständnis  der  Schüler"  „angepafste 
Darstellungsweise14  bemüht.  AVier  erreicht 
hat  er  sie  doch  noch  nicht.  Es  liegt  das 
daran,  dafs  auch  er  Dinge  zum  „Aller- 
not wendigsten"  rechnet,  die  schlechter- 
dings noch  über  Sextaner-  oder  Quintaner- 
verständuis  hinausgehen.  Eine  Art  Ein- 
geständnis macht  er  selbst,  indem  erS.  III 
„Parallelkreise  und  Meridiane"  direkt  als 
für  den  ersten  Kursus  nicht  bestimmt  be- 
zeichnet, im  §  4  S.  ü  des  Sextanerbuches 
sich  aher  doch  mit  ihnen  abquält.  „Jedes 
Alter  bat  eine  eigene  Geographie  nötig .  .  . 
von  den  Begriffen  der  mathematischen 
Geographie  gehört  in  die  Kinder-  und 
Knabengeographie  noch  schlechterdings 
gar  nichts.  Und  doch  fängt  man  gemeinig- 
lich an,  dem  aufhorchenden  Knaben  zu 
erklären,  was  Äquator  und  Pole,  und 
Achse  und  Meridian  sei.  Was  denkt  sich 
der  Lehrling  bei  diesen  Begriffen?  Immer 
noch  gut,  wenn  er  nichts  dabei  denkt .  . ." 
so  warnte  Gedike  schon  vor  120  Jahren; 
uud  hat  er  nicht  Wort  für  Wort  Recht? 
Darum  fort  mit  diesen  Dingen  aus  unsern 
Leitfäden  Für  Quarta  getraut  sich  L. 
den  Begriff  eines  Winkels  infolge  gleich- 
zeitigen Mathematikuuterrichts  allenfalls 
gebrauchen  zu  können,  und  doch  bietet 
er  schon  Sextanern  Zeichnungen  wie  Fig.  2 
Tangenten  an  eine  Figur  mit  ungleicher 
Krümmung,  Fig.  4  mehr  und  weniger 
schräger  Einfall  eines  Lichtbündels.  An- 
dererseits würde  ich  manches  aus  der 
ersten  Hälfte  von  §.  45,  Darstellung  der 
Keliefverhältnisse,  nicht  nach  Quarta 
nehmen,  sondern  viel  früher.  Sollen  denn 
die  Schüler  über  zwei  Jahre  und  bei 
aller  fortdauernden  Belehrung  ül>er  Ge- 
birge und  Flachland  nie  erfahren,  was 
sie  so  leicht  von  ihren  Karten  ablesen, 
dafs  die  Höhe  eines  Landes  durch 
Farben,  Gebirgdand  durch  Schratten  etc. 
dargestellt  wird?  Ja  wie  haben  sie  dann 
diese  Dinge  bis  dahin  auf  ihren  Karten 
'erkennen  sollen?  —  Ich  lasse  den  einen 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


477 


Einwund  z.  T.  gelten,  dafs  viele  Lehrer  j  Überzeugung  ist,  dato  wir  in  den  Büchern 
nicht  wissen  wilrden,  was  sie  nun  als  des  von  mir  hochgeschätzten  Verfassers 
geographische  Grundbegriffe  auswendig  |  neben  manchen  ähnlichen  schon  immer- 
lernen zu  lassen  haben  würden.  Aber  hin  einen  bedeutenden  Fortschritt  sehen 
ist  es  wirklich  ein  Vorzug  für  ein  Buch,  müssen.  Aber  auf  dem  Gebiete  des 
brauchbar  für  ungeeignete  Lehrer  zu  sein?  Anfangsunterrichts  liegt  eben  leider  über- 
Zum  SchfuTs  aber  möchte  ich  nicht  ver-  |  haupt  noch  beinahe  alles  im  argen, 
schweigen,  dafs  es  bei   alledem  meine  Heinr.  Fischer. 


Nene  Bücher  ond  Karten. 


Zusammengestellt,  von  Heinrich  Brunner. 


Ge«ehlrhte  u.  Methodik  der  Urographie. 

Szab6  von  Särö,  Ludw.  Die  Militär- 
karten der  Öst<?rr.-ungar.  Monarchie  .  . . 
Aus  dem  Ungar.  2  Taf.  78  S.  Pest, 
Grill  1901.  M  2  — 

Allgemeine  phjriWelie  Geographie. 

M  i  1 1  o  t ,  C.  Notions  de  meleorologie  utiles 
ä  la  geogr.  phys.  74  Fig.  VI,  2X7  S. 
Paris.  Berger- Levrault  C.  1901.  Fr.  8.— 

Neuber,  A.  Wissenschaft!  Charakte- 
ristik u.  Terminologie  der  Bodeugestalten 
der  Erdoberfläche.  Xfl,  647  S.  Wien, 
Braumüller  1901.    .«10  — 

Richthofen,  F.  v  Führer  für  Forschungs- 
reisende .  .  .  Neudruck  der  Aufl.  von 
1886.  XO,  734  S.  Hannover,  Jänecke 
1901.    JC  12.— 

Schmöger,  Frdr.  Leibniz  in  seiner 
Stellung  zur  tcllur.  Physik  ...  VI,  83  S. 
( Münchener geograph.  Studien  1  I.Stück.) 
München,  Ackermann  1901.  M  1.40. 

Allgemeine  Geographie  des  Heimchen. 

Supan,  Alex.  Die  Bevölkerung  der  Erde... 
XI:  Asien  u.  Australien,  samt  den  Süd- 
see-Inseln.   IV,  107  S.    (Pcterm.  Mitt. 
Erg.-Hea  136).  Gotha,  J.  Perthes  1901 
X  6.40. 

Zimmermann,  Alfr.  Die  europ.  Kolonien; 
Schilderung  ihrer  Entstehung  .  . .  Bd.  4: 
Die  Kolonialpolitik  Frankreichs.  XIV 
438  S.  Berlin,  Mittler  &  S.  1901.  .#9.50. 

Grölaere  Erdräame. 

Lehmann,  F.W.  P.  Länder- und  Völker- 
kunde. Bd.  II:  Aufsereuropa.  V,  854  S. 
(Hausschatz  d.  Wissens  Bd.  11.)  Neu- 
damm, Neumann.    M  7.50. 

Wachs,  Otto.  Schlaglichter  auf  Ostasien 
u.  den  Pacific.  38  S.  (Sammlung  mi- 
litärwiss.  Einzelschritten.  Heft  8).  Ber- 
lin, Schröder  1901.    JC  1  — 


Karopa. 

Cvijic,  Jovan.  Bibliographie  geograph. 
de  la  Peninsule  Balkanique.  I  V,l  898/1 900. 
124  S.    Belgrad  1901. 

Diercks,  Gust.  Spanien;  kulturgeechichtl. 
u.  wirtschaftspolit.  Betrachtungen.  V, 
123  S.  (Schriften  der  Oentralstelle  f. 
Vorbereitung  v.  Handelsvertr.  Heft  16). 
Berlin,  Guttentag  1901.    Jt  2.50. 

Kühtreiber,  A.  Geograph.  Skizzen... 
Heft  2:  Der  Südosten  der  Österr.-Ungar. 
Monarchie  mit  dem  Küsten-  und  Occu- 
pationsgebiet,  ferner  die  Balkanländer. 
13  Skizzen.  IV,  74  S.  Wien,  Seidel  &  S. 
1901.    JC  2  .40. 

Lechner.  L.'s  Generalkarte  vom  Küsten- 
land. 1  :  800  000.  Farbdr.  87  x  54  cm. 
Wien,  Lechner  1901.    M  3  — 

Lechner.  L.'s  Generalkarte  von  Krain. 
1  :  300  000.  Farbdr.  54  x  63  cm.  Wien, 
Lechner  1901.  2.40. 

Sayn  - Wittgenstein  - Berleburg,  Frdr. 
Graf  zu.  lteisebilder  aus  Sizilien  u. 
Korfu.  55  S.  Wiesbaden,  Lützenkirchen 
&  Bröcking  1901.  JC  1  .— 

/erkchrsatlas  von  Europa  unter  Be- 
nutzung von  W.  Koch  u.  C.  Opitz:  Eisen- 
bahn- und  Verkehrs- Atlas  . . .  Farbdr. 
66  Sektionen.  VIII,  72  S.  4°.  Leipzig, 
Arnd  1901/02.    JC  20  — 

Mlttelearopa. 

Gränzer,  Jos.  DaB  sudetische  Erdbeben 
vom  10.  I.  1901.  1  Karte,  77  S.  SA. 
Reichenberg,  Sollors  Komm.  1901..«  1 .25. 

Hübler,  J.  M.  Bayerisch  Schwaben  u. 
Neuburg  u.  seine  Nachbargebiete;  eine 
Landes-  und  Volkskunde.  1  Karte,  Abb. 
6  Tie.  (Deutsches  Land  und  Leben). 
Stuttg.,  Hobbing  &  Büchle.  1901.  JC  1 .  — 

Jasmund,  R.  Die  Arbeiten  der  Rhein- 
strom-Bauverwaltung 1851-1900.  Denk- 


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47* 


ZeitBchriltenschau. 


schritt  ...  A»>b  XI,  242  8.  4*.  Ber- 
lin, Mittler  A:  S.  UM)!.    M  12.60. 

Kirchhoff,  Alfr.,  u.  Knrt  Hassert.  Be- 
richt über  Hie  neuere  Litt,  zur  deutschen 
Landeskunde  Bd.  1,  1896/99.  VI,  253  S. 
4".  Berlin,  Schall  1901.    M  5.50. 

T  r  i  n  i  u  s ,  A .  Dureh's  Saalethal  VII,  247  S. 
Minden,  Brunn  1901.    M  3. 26. 


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Leipzig,  Wigand  1901.    Jt  6.50 

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von  den  ältesten  Zeiten  Ins  zur  Gegen- 
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Afrika. 

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in  1899  1900.  866  S.  London,  Hurst  1901. 

21  8. 


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pedition zum  Nyassa-See  VHT,  435  S. 
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Jt  4  - 

Wellby,  M.  S.  Twixt  Sirdar  and  Me- 
nelik;  aecount  of  a  year's  expedition 
from  Zeila  to  Cairo  through  Unknown 
Ahyssinia  III.  436  S.  London,  Harper 
1901.    16  s. 


Conway,  Sir  M.  Bolivian  Andes;  record 
of  climhing  and  exploration  in  the  Cor- 
dillera  Ecal  in  11*98  and  1900.  414  S. 
London,  Harper  1901.    12  8.  6  d. 

Grograph Ufaer  rnterrkht. 

Geistbeck,  A.,  u.  F.  Engleder.  Geo- 
graph. Typenbilder.  VII:  Der  Harz  als 
Typus  eines  Massengebirges.  Farbdr. 
2  8.  Text.  76.5  x  109  cm.  Neue  Ausg. 
Dresden,  Muller  1901.  5.— 

Graf,  M  ,  u.V.  Loessl.  Leitfaden  forden 
geograph.  Unterricht  an  Mittelschulen. 
IT:  Die  aufsereurop.  Erdteile.  25  S. 
Abb.  VT,  124  S.  München,  Oldenbourg 
1901.  JL  1.15. 

Hupfer,  Ernst.  Methodik  des  geograph. 
Unterrichts  in  der  Volksschule  . . .  IIT, 
99  S.    Leipzig,  Dürr  1901.  .¥1.35 

Kuhnert,  M  Erdkarte,  östl.  HillRe.  In 
Verbindung  mit  G.  Ijeipoldt  gezeichnet. 
1 : 12000000.  Farbdr.  6  Bl.  zu  81  x  52  cm 
Dresden,  Müller  1901.  12.— 

Oertel,  Otto.  Amerika;  Betrachtungen 
für  den  geograph.  Unterricht:  Topo- 
graphie, physikal.  u.  polit.  Oeogr.,  Land- 
schaftBechildenmg.  80  S.  Leipzig,  Merse- 
burger  1901.    .tt  1.20. 

Oertel,  Otto.  Amerika;  Schilderungen 
für  den  geograph.  Unterricht.  Ein 
Quellenbuch  ...  III,  75  S.  Leipzig, 
Merseburger.    M  1.20. 


Zeitschriftensdian. 

Pttrnnann's  Mitteilungen.  1901.  6.  Heft  Uber  Gestalt  und  Gliederung  einer  Grund- 

Tippenhauer:    Beiträge   zur  Geologie  linie  in  der  Morphologie  Ostasiens,  nach 

Haitis.  —  Su pa n :  Das  antarktische  Klima.  F.  t.  Richthofen 

-Schaffer:  Zur Geotektonik  d,  s  südöst-        (ilobus.  Bd  LXXIX.  Nr.  23.  v.  Nege- 

lichen  Anatolien  — Wirhmann:  Der  XIII.  lein:  Seele  als  Vogel.  —  Karutz:  Zur 

Deutsche  Geographeutag.  —  Futterer:  westafrikanischen  Maskenkunde.  —  Pal- 


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Zeitschriften  seh  au. 


479 


leske:  Das  Vorkommen  dea  Pferdes  in 
der  schwedischen  Steinzeit  und  der  Fund 
von  Ingelstad.  —  Singer:  Die  Neuord- 
nimg der  politischen  Verhältnisse  in  den 
Tschadseeländern. 

Dass.  Nr.  24.  Hauthal:  Ein  Profil 
der  argentinisch  -  chilenischen  Kordillere. 

—  Abseits  vom  Wege  in  Ägypten.  — 
Förster:  Die  neuesten  Forschungen  im 
Sobatgehiete.  —  v.  Negerlein:  Seele 
als  Vogel. 

Das*.  Bd.  LXXX.  Nr.  1.  Rzehak: 
Kine  Fahrt  durch  das  Becken  von  Guadix. 

—  v.  Lusc h an:  Eine  neue  Art  von  Masken 
aus  Neu-Britannien.  —  Kobelt:  Die 
geographische  Stellung  von  Celebes.  — 
Krämer:  Der  Steinnagel  von  Samoa.  — 
Preufs:  Phantasien  über  die  Grund- 
lagen der  Kultur.  —  Lehmann-Filhes : 
Isländisches  Grab  aus  dem  10.  Jahrhundert. 

—  Einige  weitere  Ergebnisse  von  Boreh- 
grevink's  Nordpolarexpedition.  —  Rüti- 
meyer:  Über  westafrikanische  Steinidole. 

Das*.  Nr.  2.  Reinke:  Die  Pflanzen- 
welt der  deutschen  Meere.  —  Greim: 
Merzbacher's  Forschungen  in  den  Hoch- 
gebirgen des  Kaukasus.  —  Karutz:  Kine 
Hokfigur  der  Sakalaven.  —  Goldziher: 
Über  Zahlenaberglauben  im  Islam. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1901  6.  Heft: 
Bergholz:  Luftdruckverhältnisse  und 
Windbewegungen  im  „Fernen  Osten"-.  — 
Mack:  Iber  Wirbelbewegungen  in  vul- 
kanischen Rauchwolken.  —  Valentin: 
Die  österreichischen  Ballonfahrten  am 
10.  Jan.  1901.  —  v.  Obermayer:  Ältere 
Versuche  zum  Schutze  gegen  Hagelschläge. 

Deutsche  Butulschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXin.  Jhrg.  10.  Heft: 
Schulz  -  Baumgärtner:  kfahan  ,  die 
persische  Kunstniet ropole.  —  Schoener: 
Die  Färöer.  —  Jüttner:  Fortschritte  der 
geographischen  Forschungen  uud  Reisen 

1.  J.  14)00.  1.  Asien. 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde.  1901. 

2.  Heft.  Meythaler:  Der  Gamshurst  — 
FreistetterFlofsgraben.  —  Oppokow:  Das 
Verhalten  des  Grundwassers  in  der  Stadt 
Neshin  im  Zusammenhange  mit  den  me- 
teorologischen Elementen.  —  Gravelius: 
Die  jährliche  Periode  der  Regenmenge  zu 
Marburg  a.  L.  —  Gravelius:  Die  Eis- 
verhältnisse des  Dniepr.  —  Gravelius: 
Limnologische  Übersichten. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  XXII. 
Jhrg.  9.  Heft.    Kerp:  Abgrenzung  und 


Benennung  erdkundlicher  Lehreinheiten. 

—  Benes:  Japans  geographische  Lehr- 
mittel. —  Schmeger:  Über  neuere  Polar- 
forschungen. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde zu  Berlin.  1901.  Nr.  1.  Deckert: 
Die  Hochketten  des  nordamerikanisehen 
Felsengebirges  und  der  Sierra  Nevada.  — 
Pas  sarge:  Beitrag  zur  Kenntnis  der 
Geologie  von  Britisch  Betschuanaland. 

Dass.  Nr.  2.  v.  Oppenheim:  Bericht 
über  eine  i.J.  1899  ausgeführte  Forschungs- 
reise in  der  Asiatischen  Türkei.  —  Bren- 
necke: Ergebnisse  der  Höhenmessungen 
Prof.  Philippson'a  in  der  Umgebung  von 
Pergamon. 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für 
Erdkunde  zu  Berlin.  1901.  Nr.  4  u.  5. 
Link:  Bericht  über  seine  Reise  nach 
Kordofan.  —  Schott:  Die  Wärmever- 
teiluug  in  der  Tiefsee.  —  Halbfafs:  Er- 
gebnisse seiner  Seenforachung  in  Pommern. 

—  v.  Erlanger:  Über  seine  Reise  in  den 
Galla- Ländern. 

Dass.  Nr.  6.  Rohrbach:  Vergangene 
und  zukünftige  Kultur  am  Euphrat  und 
Tigris.  —  K  oll  tu:  Der  XIII.  Deutsche 
Geographentag.  —  über  die  Reisen  von 
Oskar  Neumann  in  Nordost-Afrika. 

Geographisches  Jahrbuch.  XXIII.  1900. 
2.  Hälfte.  Gotha,  Perthes  1901.  S.  Rüge: 
Die  Litteratur  zur  Geschichte  der  Erd- 
kunde vom  Mittelalter  an.  1897— 1900; 
T  o  u  1  a :  Der  geognostische  Aufbau  der  Erd- 
oberfläche (VIII.  1898—1900.)  —  Länder- 
kunde von  Europa:  Fischer,  Südeuropa; 
Camena  d'Almeida,  Frankreich;  Früh, 
Schweiz  ;  Blink,  Niederlande  ;  N  e  u  - 
manu,  Deutsches  Reich;  Löffle r,  Däne- 
mark ;  A  h  1  e  n  i  u  s ,  Schweden  u.  Norwegen ; 
Sieger,  Österreich-Ungarn. 

Beiträge  zur  Kolouialpolitik  und  Kolo- 
nialwirtechuft.  II.  1900/1901.  Heft  16: 
Lemke:  Die  Gummi-Kultur  in  Mexiko.  — 
Gallus:  Die  französ.  Kolonialarmee.  I.  — 
Mohr:  Dahoine. 

Ver.  d.  Geographen  an  der  Unirers. 
Wien.  Bericht  über  das  XXVI.  Vereins- 
jahr 1899/1900.  Hassinger:  Die  Ex- 
kursion der  Mitglieder  des  geogr.  Insti- 
tutes nach  Ungarn  (1900). 

The  Geographical  Journal.  Vol.  XVIII. 
No.  1.  Mark h am:  Address  to  the  Royal 
Geographical  Society.  —  Mark  harn:  C'on- 
siderations  respecting  Routes  for  an  Ant- 
aretie  Expedition.  —  Bell:  A  Survey  in 


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480 


ZeitBchriftenachau. 


Haftinland,  with  a  »hört  Description  of 
the  Country.  —  Croaby:  Notes  on  a 
Journoy  from  Zoila  to  Khurtum.  —  Grey: 
The  Kafue  River  and  its  Headwaters  — 


tternational  Oceanic  Research 


Kant's 


Kosmogony.  —  Adiniralty  Surveya  during 
the  year  1900. 

The  Scottish  Geographica!  Magazine. 
l'jol.  Nr.  6.  Medley:  India  to  England 
via  Central  ÄBia  and  Siheria.  —  CypniB 
of  Today.  —  Riehardson:  Britain'e 
Suecess  in  Egypt. —  Rosa:  Trade  Routes 
in  Manchuria.  —  Capt.  Dcasy  and  the 
Hoof  of  the  World. 

La  Geograj>hie.  1901.  Nr.  6.  Lalle- 
niand:  La  refection  du  Catastre  et  la 
carte  de  France.  —  Glangeaud:  Les 
volcans  du  Latium  et  de  la  Cainpagne 
Romaine.  —  Lecomte:  La  culture  du 
cafe  dann  le  monde.  —  de  Barthclemy: 
ReconnaiBsance  ehez  lea  Mois  StiengB  et 
aux  environs  du  mont  Djambra.  -  Hulot: 
Tue  mission  francaise  dans  le  nord  du 
Costa  Rica.  -  Derrecageaise:  Des 
carte«  d'Europe. 

Annales  de  Geographie.  1901.  Nr.  61. 
Woeikof:  De  1'inHuence  de  riionune 
sur  la  terre.  —  Chantriot:  Le  Thierache. 
-Mori:  La  Carte  de  l'Italie.  -  Gallois: 
Le«  Andes  de  Patagonie.  —  Flahault: 
La  nomenclaturc  de  la  geographie  bota- 
nique.  —  La  Coiumis»ion  internationale 
des  glaciers.  —  Girardin:  Les  dunes 
de  France.  —  Auerbach:  Les  dunes  d'Alle- 
niagne.  —  Brisse:  Le  reccnBemcnt  de 
l'Empire  allemand  en  1900.  ~  Les  cartes 
de  Chine  du  .Service  geographique  de 
l'armee.  —  de  Savoye:  Un  villagc  cana- 
dien-francais. 

Mr.  Geogr.  Ital.  VIII.  Mai  -  Juniheft. 
11  (juarto  CongrcsBo  Geografico  Italiano. 

l'orro:  I  problemi  insoluti  della  geo- 
gratia  d'  Italia.  —  Gribaudi:  II  primo 
sverno  nelle  regioni  polari  antarctiche.  — 


Oberti:  Le  regioni  interne  dell'  Africa 
Orientale  aecondo  le  ultimo  spedizioni.  — 
Ricchieri:  Toponomaatica  e  nomoncla- 
tura  topografia  dialettale.  —  De  Magia- 
bris:  L' altezza  della  cascata  dell1  Anieue 
in  Tivoli.  —  Vecchioni:  Storia  geolo- 
gica  dell"  Arno.  —  Alfani:  Osaervatorio 
Ximeniano  di  Firenzc.  —  I  riBultati  del 
nuovo  censitnento  e  il  movimento  della 
popolazione  in  Italia  nell'  ultimo  decennio. 

Ymer.  l'JOl.  Heft  2.  Lönborg:  Geo- 
grahaka  och  kartogratiska  arbeten  i  Svo- 
rige  ander  1600 — tatet  —  Hamberg: 
Sarjekfällen,  en  geografisk  undcrsökning. 

17ie  National  Geographie  Magazine 
1901.  No.  6.  Barrett:  China,  her  History 
and  Development.  —  Matthe«:  The  Dikes 
of  Holland.  —  Navarro:  Mexico  of  Today. 

—  Sir  John  Murray. 

The  Journal  of  Sclwol  Geography.  1901. 
Nr.  6.  Wright:  Nashville,  its  History, 
Growth  and  I'roRperity.  —  Emerson: 
The  Sheuandvah  Valley  and  the  Civil  War 

—  Dodge:  A  Secondary  Courae  in  Geo- 
graphy. 

Alis  verschiedenen  /.  v  i  t  M  Ii  i  i  fteil. 

Ahlen  ins,  Beitrüge  zur  Kenntni«  der 
Seenketteuregion  in  Sehwedisch-Lapp- 
laud.  Hüll.  Geol.  Jmt.  Upmla.  Vol.  V. 
P.  I.  1900. 

Birkenmajer,  Marco  Beneventano,  Co- 
pernicus,  WapowBki  u  die  älteste  geo- 
graph.  Karte  von  Polen.  Anzeiger  d. 
Ak.  d  \\  ix*,  in  Krakau.  Math.-Naturw. 
Cl.  1901.  11. 

Duhms,  Über  das  Vorkommen  u.  die  Ver- 
wendung des  Bernsteins.  '/..  f.  prakt. 
Geol.   1901.  Juni. 

Koch,  Relative  Sohweremeasungen.  I. 
Messungen  auf  10  Stationen  des  Tü- 
binger Meridians.  Jahreshtfte  d.  Yer. 
f.  vaterl.  Xaturkde.  in  Würit.  1901. 


Von»iUwortlich«r  Horautgebor:  Prof  Dr.  Alfred  Hctlner  tu  Heidelberg. 


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Geographische  Charakterbilder  ans  Pinland. 

Von  Dr.  J.  E.  Rösberg  in  Helsingfors. 

Um  die  Oberflächenformen  Finlands  verständlich  machen  zu  können, 
will  ich  etwas  über  die  erdgeschichtliche  Entwicklung  des  Landes 
vorrausschicken. 

Wie  bekannt,  giebt  es  in  Finland  eine  grofse  Lücke  in  der  Aufeinander- 
folge der  geologischen  Bildungen.  Wir  haben  bei  uns  eigentlich  nur  die 
ältesten  und  jüngsten  Formationen,  die  präcambrischen  und  quartären.  Die  da- 
zwischen befindlichen  Formationen  fehlen.  Die  Gesamtheit  der  präcambrischen 
Bildungen  wird  in  Finland  in  zwei  Abteilungen  zergliedert,  für  welche  die  ameri- 
kanischen Bezeichnungen  archaisch  und  algonkisch  angewandt,  werden.  Die 
ältesten  archaischen  Gebilde  sind  die  grauitischen  Gneise  des  östlichen  Fin- 
lands, uralte  Gesteine,  die  möglicherweise  Teile  der  ursprünglichen  Erstarrungs- 
kruste der  Erde  sein  können.  Jedenfalls  sind  sie  viel  älter  als  unsere  Sehiefer- 
gebirge.  Auf  ihnen  ruhen  mächtige  Formationen  von  sicher  sedimentären 
Schiefern,  u.  a.  die  ladogischen  Schiefer  des  östlichen  Finlands,  welche 
ihren  Namen  vom  Ladogasee  bekommen  haben.  Diese  Schiefer  sind  stark 
gefaltet  und  mit  später  hervorgedrungenen  Graniten  gemischt.  Von  jüngerem 
Alter  sind  wahrscheinlich  die  hottnischen  Schiefer  des  westlichen  Finlands, 
welche  ihren  Namen  nach  «lern  Bosnischen  Meerbusen  erhalten  haben. 
Nach  der  Zeit  ihrer  Ablagerung  sind  noch  neue  Granitmassen  hervor- 
gedrungen. 

Später  folgte  die  algonkische  Zeit.  Damals  bildeten  sich  zuerst  die 
jatulischen  Quarzite,  Thonschiefer  und  Dolomite,  welche  hauptsächlich  im 
östlichen  Finland  ausstehen.  Der  Name  jatulisch  stammt,  wie  die  übrigen 
dieser  neuen  Bezeichnungen,  von  Sederholm  her.  Auch  die  jatulischen 
Schichten  sind  stark  gefaltet  und  gestört  worden.  Die  damals  hervor- 
gedrungenen Eruptivmassen  waren  alle  basisch  (hauptsächlich  Diabase). 
Dies  war  die  letzte  Faltungsperiode  in  Finland.  Nachher  sind  keine 
Gebirgsketten  mehr  in  unserem  Lande  entstanden,  wohl  aber  fanden  vertikale 
Dislokationen  sowie  Hebungen  und  Senkungen  statt.  —  Noch  einmal  taucht 
das  Land  unter  den  Meeresspiegel.  Nun  lagerten  sich  die  jotnischen 
Sandsteine  ab.  Während  der  spätesten  präcambrischen  Zeit  sind  grofs- 
artigf  Eruptionen  vor  sich  gegangen.  Dies  sind  nur  die  groben  Züge  der 
sehr  komplizierten  Entwickelung  während  der  präcambrischen  Zeit.  Die 
für  Finland  typischen  Rapakivigesteine  (meistens  porphyrartige  Granite), 
Diabase  uud  Gabbros  stammen  aus  dieser  Zeit.    Im  nördlichen  Finland  finden 

Geogr.i.hUchc  Zeil.clirift.  7.  J»hrg«nB.  1901.  9.  Heft.  33 


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482 


J.  B.  Ronberff: 


wir  noch  jüngere  Eruptivgesteine,  nämlich  Nephelinsy enite,  welche  wahr- 
scheinlich devonischen  oder  carhonischen  Alters  sind. 

In  dem  ungeheuren  Zeiträume  von  hier  bis  ins  Quartär  weifs  man 
von  den  geologischen  Veränderungen  Finlands  nichts.  Man  nimmt  gewöhn- 
lich an,  dafs  das  Land  die  ganze  Zeit  über  Festland  war  und  die  zerstörenden 
Kräfte  die  (iebirge,  auf  deren  Vorhandensein  die  Faltung  und  Störung  der 
älteren  Sedimentgesteine  hinweisen,  fast  ganz  und  gar  eingeebnet  hätten. 
Früher  hat  man  eine  Abrasionsthätigkeit  im  Zusammenhang  mit  einer  späteren 
Transgression  als  Ursache  dieser  Einebnung  angenommen.  Alles  ist  natürlich 
nur  Hypothese.  Doch  kann  man  so  viel  sicher  behaupten,  dafs  eine  un- 
geheuere Zerstörung  während  dieses  Zeitraums  stattgefunden  haben  mufs. 
Unsere  jetzigen  Gebirge  sind  nur  der  Kern  der  früheren  Gebirgsketten. 
Nicht  unwahrscheinlich  scheint  auch  die  Vermutung,  dafs  Finland  sowohl 
cambrische  als  auch  silurische  Ablagerungen  gehabt  habe,  die  aber 
später  völlig  vernichtet  worden  sind.  Die  paläozoischen  Schichten  an  der 
estländischen  Küste  sind  schroff  abgebrochen  und  rufen  so  zu  sagen  nach 
ihrer  Fortsetzung  in  Finland.  Also  eine  ausgeprägte  Kliffküste.  Auf  den 
Gestaden  Alands  findet  man  oft  von  den  Wellen  oder  dem  Eise  hcrauf- 
geworfene  Blöcke  von  Silurkalk,  die  aus  dem  südlichen  Teile  des  Bottnischen 
Meerbusens  stammen  müssen. 

Vor  Beginn  der  Eiszeit  haben  wir  uns  das  Land  als  eine  bucklige  mit 
Verwitterungsgrus  bedeckte  Landschaft  vorzustellen.  Wie  bekannt,  kam  das 
Inlandeis  von  Nordwesten  her  und  hat  das  Land  fächerförmig  überflutet, 
wie  man  aus  der  Richtung  der  Schrammen  erkennen  kann.  Dabei  muCs 
man  aber  beachten,  dafs  die  heutigen  Schrammen  gröfstenteils  aus  den 
letzten  Stadien  der  letzten  Eiszeit  herrühren,  aus  einer  Zeit  also,  wo  das 
Inlandeis  stark  im  Abschmelzen  begriffen  war  und  die  Schrammenrichtungen 
von  den  Unebenheiten  des  Terrains  beeinflufst  wurden.  Man  glaubt,  dafs 
die  sogenannten  „Kreuzschrammen"  ein  Zeichen  von  verschiedenen  Bewegungs- 
richtungen des  Eises  in  verschiedenen  Eiszeiten  sind.  Der  gröfste  Teil  der 
älteren  Schrammen  ist  aber  von  dem  letzten  Inlandeis  abgeschliffen  worden; 
„Kreuzschrammen"  deuten  also  oft  nur  auf  die  Abhängigkeit  der  Bewegungen 
des  späteren  dünnen  Inlandeises  von  den  Terrainunebenheiten.  Auch  aus 
einer  Anzahl  lokaler  Endmoränen  sieht  man,  dafs  das  letzte  Inlandeis  in 
einzelne  Eislappen  verteilt  war. 

Die  Glacialspuren  sind  in  Finland,  wie  man  ja  erwarten  kann,  äufserst 
deutlich  und  viel  weniger  kompliziert  als  in  den  Alpen.  Doch  ist  es  fast 
unmöglich,  verschiedene  Glacialstufen  zu  erkennen.  Das  grofse  Inlandeis 
konnte  sehr  leicht  Finland  überschreiten.  Dabei  hat  natürlich  ein  riesiger 
Blocktransport  und  eine  Wegführung  des  Verwitterungsgruses  stattgefunden. 
Die  glaciale  Erosion  war  auch  sicher  bedeutend,  nach  den  überall  typischen 
Rundhöckerlandschaften  zu  urteilen.  Dagegen  scheinen  die  meisten  See- 
becken mehr  präglaciale  Verwitterungs-  und  Verwerfungswannen  zu  sein  als 
Erosionsmulden.    Das  Eis  hat  hauptsächlich  eine  ausräumende  Rolle  gespielt. 

Von  der  grofsen  Eiszeit  kann  man  aber  nicht  mehr  sagen,  als  dafs  sie 
eine  ungeheure  Wegführung  und  Umlagerung  des  lockeren  Materials  hervor- 


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Geographische  Charakterbilder  aus  Finland. 


483 


gebracht  hat.  Aber  dabei  kann  man  nicht  leugnen,  dafs  das  Eis  eine 
mächtige  erodierende  Wirkung,  weniger  die  Mulden  vertiefend,  aber  desto 
mehr  die  emporragenden  Gebirge  abschleifend,  gehabt  hat.  Noch  deutlicher 
als  in  den  Binnenseelandschaften  kann  man  dies  in  den  genetisch  gleich- 
stehenden Scharenlandschaften  wahrnehmen.  Die  letzteren  sind  später  aus  den 
Fluten  des  Meeres  aufgetaucht  und  haben  infolgedessen  ihre  ursprüngliche 
Form  so  gut  bewahrt  wie  ein  anatomisches  Präparat  in  Spiritus. 

A  priori  mufs  man  ja  voraussetzen,  dafs  Finland  dieselben  Klima- 
schwankungen während  der  Eiszeit  durchgemacht  hat  wie  die  Nachbarländer. 
Also  dürfte  man  mindestens  eine  Interglacialzeit  annehmen  müssen.  Aber 
sichere  Beweise  dafür  fehlen.  In  Süd -Schweden  kann  man  zwei  Moränen- 
decken sehen,  eine  ältere  und  eine  jüngere.  In  Finland  kann  man  nur 
eine  Moränenbedeckung  nachweisen,  obwohl  man  stellenweise  Lager  von 
geschichtetem  Sand  und  Thon  zwischen  zwei  Moränen  gefunden  hat.  Diese 
können  nämlich  ebensogut  bei  den  Oscillationen  des  Eisrandes  eingeschaltet 
worden  sein.  Aus  Finland  haben  wir  auch  drei  Mammuthfunde.  Der  letzte 
Fund,  welcher  näher  untersucht  worden  ist,  lag  zwischen  zwei  Moränen  in 
einer  Endmoräne.  Man  hat  diesen  Fund  als  einen  ziemlich  sicheren  Beweis 
für  eine  Interglacialzeit  angenommen.  Ich  möchte  annehmen,  dafs  der  Mammuth- 
knochen  wahrscheinlich  in  sekundärer  Lagerstätte  sich  befand.  Unsere  übrigen 
Beweise  für  eine  Interglacialzeit  sind  ebenso  zweifelhaft. 

Es  ist  also  hauptsächlich  nur  die  allerletzte  Vergletscherung,  die  wir 
in  Finland  genau  studieren  können,  und  zwar  ihre  Wirkungen  beim  Ab- 
schmelzen des  Eises.  Bei  diesem  Abschmelzen  ist  nämlich  eine  Ruhepause 
eingetreten,  in  der  unsere  grofsen  Endmoränen,  die  bekannten  Salpausselkäs, 
gebildet  worden  sind.  Es  giebt  auch  Forscher,  die  diese  Endmoränen  als 
ein  Zeichen  eines  neuen  Vorstofses  des  Inlandeises  deuten.  Für  die  Er- 
scheinungen der  Eiszeit  können  wir  folgendes  Schema  aufstellen: 
Die    grosse     EiBzeit ,    be-  / 

ziehungsweise  die  grofsen     Wegführung  des  präglacialen  Verwitterungsmaterials. 

Eiszeiten 

Bildung  der  Rundhöckerlandschaften.  Ausräumung 
der  Seebecken  und  der  Becken  zwischen  den  Schären 
(Schärenhof).  Glaciale  Erosion.  Anhäufung  des 
Moränengruses. 

Die   letzte  Vergletscherung  (    Jjjj^  der  DrumUn8  und  der  Land- 

|  Anhäufung  des  Moränengruses. 

(Bildung  der  Endmoränen,  der  Asar,  der  Kames 
und  Heidelandschaften.  Anhäufung  der  erratischen 
Blöcke.    Bildung  der  Riesentöpfe. 

Überall  in  Finland  liegt  der  Moränengrus  unmittelbar  auf  dem 
festen  Grund.  Wie  schon  erwähnt,  kann  man  im  allgemeinen  nicht 
Moränen  zweier  verschiedener  Eiszeiten  unterscheiden.  Der  Moränengrus  ist 
gewöhnlich  nicht  oder  nur  undeutlich  geschichtet.  Die  Bodenmoräne  ist  oft 
thonig  und  mit  Blöcken  erfüllt  („Blocklehm").  Oft  ist  sie  sehr  fest,  was 
im  höchsten  Grade  die  Erdarbeiten  erschwert.  Der  „Krossstensgrus"  ist 
gewöhnlich  etwas  sandig  und  versetzt  mit  ungeheuren  Massen  von  Steinen 

83* 


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4H4 


J.  K.  Rosborg: 


aller  Gröfsen.  Der  Moränengrus  bildet  au  mehreren  Stelleu  Drumlins,  die 
fast  überall  eine  nordwest -südöstliche  Richtung  besitzen.  In  den  östlichen  Teilen 
der  finnischen  Seeplatte  bildet  der  Moränengrus  die  eigentümliche  Landschafts- 
form, welche  man  als  „streifige14  Landschaft  bezeichnet  hat.  Sie  verdankt 
ihren  Charakter  zwei  neben  einander  wirkenden  Ursachen,  erstens  dem  tek- 
tonischen  Hau  des  archaischen  Untergrundes,  zweitens  der  Richtung  der  Eis- 
bewegung. Alles  in  allem  entsteht  dadurch  eine  Landschaft,  welche  wie 
mit  einer  Riesenegge  oder  einem  Ricsenpflug  gepflügt  zu  sein  scheint.  Die 
Revölkerung  dieser  Gegenden  orientiert  sich  durch  die  Bodenverhältnisse. 
Sie  bezeichnet  darum  Nordwesten  als  Norden,  Südosten  als  Süden  oder  sie 
sagen  auch  entlang  der  Landschaft,  wogegen  Nordosten  und  Südwesten  quer 
über  die  Landschaft  heifsen. 

Endmoränen,  Asar  und  Heideflache  bestehen  meist  aus  losem  Geröll. 
Die  Eudmoränen  treten  uns  entgegen  teils  als  ungestörte  Ablagerungen  aus 
eckigem  Material  am  Gletscherrand,  teils  ist  dies  aufgeprefst  durch  einen 
Vorstofs  des  Eisrandes,  teils  sind  sie  Deltaablagerungen,  bestehend  am?  Geröll 
und  Sand  („Randterrasse"). 

Es  giebt  im  südlichen  Einfand  eine  der  längsten  und  schönsten  End- 
moränen dor  Welt,  den  s.  g.  Salpausselkä.  Sederholm  nennt  ihn  eine 
Randmoräne,  wegen  seines  Charakters  sowohl  in  geologischer  als  auch  in 
geographischer  Beziehung.  Eigentlich  giebt  es  zwei  in  einer  Entfernung  von 
20  bis  30  km  parallel  neben  einander  laufende  Endmoränen.  Sie  erstrecken 
sich  ohne  Unterbrechung  in  zwei  grofsen  Bogen  von  Hangö  bis  Lahtis  und 
von  Lahtis  bis  Joensuu.  Hier  lösen  sie  sich  auf  und  entfernen  sich  von 
einander.  Die  mutmaßliche  äufsere  Moräne  geht  durch  das  Weifse  Meer 
hindurch  bis  zur  Kolahalbinsel.  De  Geer  hat  den  Salpausselkä  für  eine 
Grenze  der  letzten  Vergletscherung  oder  der  baltischen  Eiszeit  gohalten. 
Auf  seiner  Karte  sieht  man  übrigens,  wie  De  Geer  die  Grenzen  sich  dachte. 
Sederholm  ist  der  Ansicht,  dafs  der  Salpausselkä  nur  einen  Ruhepunkt  des 
Absehmelzens  bezeichnet.  Salpausselkä  bedeutet  den  Rücken  der  Umsäumung. 
Er  umsäumt  gewissennafsen  die  südlichen  Seen  des  grofsen  Seenplateaus  und 
wirkt  landschaftlich  als  Scheidewand  zwischen  dem  seenreichen  Moränengrus- 
plateau,  das  ausgebildeter  Flüsse  entbehrt,  und  der  thonbedeckteu  Küstenebene, 
welche  eine  Fülle  von  kurzen,  aber  ausgeprägten  Flüssen  hat.  Übrigens 
wird  er  viel  als  Verkehrsstrafse  benutzt.  Das  Meer  hat  frei  gegen  den  Eis- 
rand bei  Salpausselkä  gewogt.  W.  Ramsay  hat  später  gezeigt,  dafs  die 
Grenze  der  zweiten  Vergletscherung  viel  weiter  südöstlich  als  eine  Fortsetzung 
der  norddeutschen  Endmoräne  verläuft. 

An  den  Stellen,  wo  ein  As  den  Salpausselkä  kreuzt,  ist  die  Endmoräne 
gewöhnlieh  verbreitert  worden.  Beide  bestehen  dort  aus  demselben  Material, 
und  es  geht  daraus  hervor,  dafs  die  Endmoräne  an  solchen  Orten  nur  eine 
Deltabildung  des  Asfiusses  ist.  Während  auf  dem  Seenplateau  Drumlins 
vorherrschen,  finden  wir  Aslandschaften  häufiger  an  seinem  Rand.  Oft  findet 
man,  dafs  die  Asar  knieförraig  umbiegen,  um  in  eine  Endmoräne  überzugehen. 
Die  Äsar  sind  stellenweise  hoch  aufgeschüttet,  stellenweise  wieder  fast  unter- 
brochen.   Zuweilen  sind  sie  so  schmal,  dafs  nur  ein  Pfad  auf  ihnen  Raun» 


Geographische  Charakterbilder  aus  Pinland. 


48» 


findet  ,  ein  ander  Mal  besitzen  sie  eine  grofse  Breit«.  Manche  haben  Neben- 
äsar,  manche  sind  auch  in  eine  „bucklige"  oder  eine  Kames- Landschaft 
umgestaltet  worden.  Unser  höchster  Äs  ist  der  Kangasalas  mit  80  m  relativer 
Höhe.  Viele  sind  bis  über  hundert  Kilometer  lang.  Der  schönste  Äs  ist 
Punkaharju,  welcher  in  einer  Länge  von  7  km  durch  einen  See  läuft.  Die 
Äsar  folgen  meist  den  tiefsten  Rinnen  des  betreffenden  Terrains.  Sie 
sind  oft  von  langen  nnd  schmalen  Äs-Seeu  begleitet.  Dir  Material  ist  der 
Gröfse  nach  sehr  verschieden.  Man  sieht  stellenweise  kolossale  Anhäufungen  von 
mehr  als  kopfgrofsen  vollkommen  gerundeten  Blöcken,  stellenweise  feinen  Sand. 
Zu  oberst  liegt  meistens  ein  Mantel  von  ausgewaschenem  Sand.  Die  Äsar 
sind  gewöhnlich  von  Heideflächen  umgeben.  Diese  Heideflächen  bestehen  aus 
einem  herabgeschwemmten  feinen  Saud.  Sie  sind  nicht  zu  verwechseln  mit 
den  Moränengrusheiden,  welche  teils  mit,  teils  ohne  drumlinartige  Erhebungen 
grofse  Areale  Finlands  einnehmen.  Bei  den  Asar  beobachtet  man  manchmal  die 
buckligen  Landschaften,  die  aus  Ässtummeln  mit  zwischenliegenden  Äsgruben 
bestehen.  Unsere  finnischen  Äsar  geben  überhaupt  der  De  Geer'seheu  Ent- 
stehungstheorie gute  Stütze.  Dieser  Forscher  hat  auch,  bevor  er  seine 
Theorie  aufstellte,  gründliche  Studien  über  mehrere  finische  Asar  gemacht. 
Die  De  Geer'sche  Theorie,  oder  man  möchte  auch  sagen,  die  Holst-Strand- 
mark-De  Geer'sche  Theorie  lehrt,  dafs  die  Äsar  als  Sedimentbildungen 
vor  oder  in  Tunneln  des  Inlandeises  unter  hydrostatischem  Druck  entstanden 
sind.  Während  Holst  und  Strandmark  eine  gleichzeitige  Sedimentbildung  in  dein 
ganzen  Bett  sich  denken,  stellt  sie  sich  De  Geer  als  eine  rückwärts  schreitende 
Deltabildung  vor.  Die  Äsar  besitzen  im  grofsen  und  ganzen  ziemlich  genau 
die  Richtung  der  Schrammen.  Unter  den  erratischen  Blöcken  unterscheiden 
wir  solche,  die  von  dem  Inlandeise  transportiert  worden  sind,  und  solche,  die 
von  Treibeis  in  späteren  Zeiten  abgeladen  wurden.  Die  Riesen  topfe  sind 
auch  von  zweierlei  Entstehung:  a)  glaciale  Töpfe,  die  oft  auch  an  Berggipfeln 
sich  befinden,  wo  das  Eis  natürlich  leichter  gebrochen  wurde;  b)  postglaciale, 
oft  ganz  moderne  Stromschnellentöpfe,  die  man  z.  B.  in  dem  alten  Bette  des 
Imatras  findet.    Zu  ihnen  kann  man  auch  die  Brandungsgruben  rechnen. 

Eine  Übersicht  unserer  quartären  Bildungen  hat  W.  Ramsay  gegeben 
(s.  die  Tabelle  auf  S.  486). 

In  Finlaud  haben  wir  vorwiegend  folgende  Reihe: 

1.  Torf,  Schlamm,  Schwemmsand. 

2.  Litorina-  und  Ancylusthon,  stellenweise  mit  Saud  wechscllagernd. 

3.  Bäuderthon. 

4.  Moräne    (obere  lockere,  vielleicht   interglaciale  Thon-  und  Sandlager, 

Bodenmorftne). 
"  5.  Grundgebirge. 

Während  der  Meeresspiegel  nur  in  der  Mitte  der  letzten  Verglet$ch<irung 
nach  der  Ansicht  einiger  Forscher  tiefer  als  jetzt  lag  —  wir  habeu  nämlich 
Riesentöpfe  fast  im  jetzigen  Meeresniveau  — ,  stieg  er  später  bedeutend. 
In  der  spätglaeialen  Zeit  überflutete  das  kalte  Meer  beinahe  ganz  Finland. 
In  diesem  Meer  lagerte  sich  der  Bändel  t  hon  ab.  Er  zeigt  Jahresschicht en, 
welche  natürlich  daehziegelförmig  über  einander  liegen.     Danach  kann  mau 


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48« 


J.  E.  Rösberg: 


Die  Quartär«)  «U*mo 

phitche  Zuitand 

,     dt>*  Land«« 

Dir  QuartariM'riodn 

Recente  Alluvial-  und 
Deltabildungen 

Landerhebung 

Historische 
Zeit 

Oberer  Heideland 

Mittel- 

warmes 
Meer 

Oberer  grauer  Thon 

Min.  2. 

Litorina 
meinzeu 

Post- 
glaciale 
Epoche 

Muli,  tieiuesaiia 

Landsenkung 

Unterer  grauer  Thon 

Süßwasser 

Mai 

Ancylus- 
Zeit 

Unterer  Heidesand 

Landerhebung 

Oberer  Eismeersand 

Bänderthon 

Eismeer 

Min.  1. 

Yoldia-Zeit 

Spätglaciale 
Epoche 

Unterer  Eismeersand 

Laua^enKung 

Moräne 

Inlandeis 

Letzte  Ver- 
Rletscherung 

Glaciale 

Thon  und  Sand 

Eisfrei? 

Interglacial- 
Zeit 

und  inter- 
glaciale 
Epochen. 

Bodenmoräne 

Inlandeis 

Grofse  Ver- 
glct  scherung 

die  Dauer  der  Abschmelzungszeit  nach  Tausenden  von  Jahren  berechnen.  Eine 
Meeresstrafse  führte  das  kalte  Eismeerwasser  in  den  finnischen  Busen 
hinein.  Dafs  das  Wasser  von  Osten  nach  Westen  strömte,  kann  man  aus 
erratischen  Blöcken  im  Bänderthon  beurteilen.  Das  spätglaciale  Eismeer 
nennt  man  gewöhnlich  das  Yoldia-Meer  nach  einer  Muschel,  Yoldia  arctica 
einem  Leitfossil.  Die  Ufer  des  Yoldia- Meeres  sind  in  Terrassen,  Ufer- 
wüllen, Blockreihen  oder  Blockhaufen  zu  erkennen.  Manchmal  sieht  man 
mehrere  Uferlinien  über  einander.  Wo  keine  Uferlinien  zu  finden  sind,  kann 
man  aus  dem  ausgewaschenen  oder  unausgewaschenen  Grus  urteilen,  wie 
hoch  die  marine  Grenze  liegt.  Die  Grenze  liegt  ungleich  hoch  auf  ver- 
schiedenen Stellen.  Beim  karelischen  Isthmus  ist  sie  60 — 80  m,  im  mitt- 
leren Finland  ca.  200  m  über  dem  jetzigen  Meeresniveau,  d.  h.  das  Land 
ist  ungleich  aus  den  Wellen  des  Yoldia -Meeres  emporgestiegen.  De  Geer 
hat  Isobasen  konstruiert,  welche  ziemlich  genau  mit  den  von  Siegor  für 
die  säkulare  Landeserhebung  konstruierten  übereinstimmen.  Auf  De  Geer's 
Karte  sieht  man  deutlich,  wie  die  Mitte  der  Fenno- Scandia,  nach  Rarasay's 
Bezeichnung,  am  meisten  niedergedrückt  war. 


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Geographische  Charakterbilder  aus  Finland.  487 


Von  der  spätglacialen  Meeresfauna  sind  viele  Arten  bis  jetzt  zurück- 
geblieben als  Relicte.  Unter  solchen  bemerken  wir  vor  allen  den  Seehund,  Phoca 
foctida,  den  Kaulkopf,  Cottus  quadricomis,  und  eine  Asselart,  Idolen  cntomon. 
In  unseren  tiefsten  Binnenseen  lebt  ausserdem  eine  ziemlich  reiche  Rclicten- 
fauna  von  kleineren  Crustaceen.  Auf  den  Yoldia-Inseln  hat  man  Salix 
polaris  und  den  T)ryas  octopetala  gefunden.  —  Der  Bänderthon  ist  nur 
auf  den  Aland-Inseln  kalkig-mergelig.  Im  allgemeinen  entbehrt  er  in  Finland  der 
Fossilien.  Stollenweise  hat  man  doch  Spuren  von  Mückenraupen  gefunden; 
aufserdcra  trifft  man  in  ihm  Mergelkonkretionen,  d.  h.  Imatrasteinc.  Den 
Thon,  namentlich  den  Bänderthon  macht  man  sich  zu  Nutze  in  zahlreichen 
Ziegeleien  und  Töpfereien. 

Am  Endo  der  spätglacialen  Zeit  folgte  nach  der  grofsen  Landsenkung 
eine  allmähliche  Erhehung,  so  dafs  einzelne  Gegenden  der  Fenno-Scandia 
höher  als  jetzt  lagen,  und  zwar  waren  die  Ränder  des  früheren  Senkungs- 
gebietes höher  als  die  Mitte,  die  fortwährend  etwas  gesunken  war.  Infolge 
dessen  wurden  die  Meeresstrafsen  zum  Weifsen  Meere  und  zu  der  Nordsee 
abgesperrt.  So  entstand  der  vielleicht  gröfste  Süfswassersoe  der  Welt. 
Dieser  See  wurde  durch  Flüsse  entleert.  Es  war  der  Ancylus-See,  so  genannt 
nach  der  Süfswasserschneeke  Anajlus  flurialilis,  einem  Leitfossil.  Die  Küsten 
Finlands  waren  meilenweit  vom  Ancylus-See  überflutet.  Später  erhob  sich 
die  südöstliche  Küste  höher  als  jetzt,  so  dafs  man  dort  eine  Torrasse  untor 
Wasser  wahrnehmen  kann.  Im  Ancylus-See  lagorte  sich  der  untere  Hcidc- 
sand  und  der  untere  graue  Thon  ab.  In  Finland  bestimmt  man  den 
Ancylusthon  hauptsächlich  nach  Diatomeen  und  Pflanzenfossilien,  weil  er  der 
Mollusken  entbehrt.  Der  Ancylusthon  kommt  niemals  in  so  mächtigen  Lagorn 
vor,  wie  der  Yoldiathon.  Folglich  war  die  Dauer  der  Ancylus-Zeit  kürzer 
und  die  Erosion  schwächer.  Er  entbehrt  auch  der  Bänderung  und  ist  über-' 
haupt  sehr  schwer  zu  bestimmen. 

Wieder  folgte  eine  Landsenkung,  wodurch  das  salzige  Wasser  der  Nord- 
see durch  den  öresund  und  durch  die  Bälte  in  die  Ostsee  hineinkam.  Es 
folgte  nach  dem  Ancylus-See  das  Litorina-Meer.  Damals  waren  auch 
die  Ufer  Finlands  überflutet,  und  der  Ladogasee  war  in  offener  Verbindung 
mit  dem  finnischen  Meerbusen.  Während  die  Strandlinien  dos  Ancylus-Sees 
wenig  bekannt  sind,  sind  die  Isobasen  des  Litorina-Meores  durch  die  Thätig- 
keit  Ramsay's,  Hackman's,  Berghell's  u.  a.  ziemlich  genau  bestimmt.  Von 
Null  Meter  bei  Petersburg  steigen  sio  bis  auf  90  Meter  an  der  Bosnischen 
Küste  an.  Das  hauptsächlichste  Ablagerungsprodukt  des  Litorina- Meeres  ist  ' 
der  obere  Grauthon  (auch  Ackerthon  genannt).  Er  ist  Finlands  bester 
Ackerboden  und  großenteils  urbar  gemacht.  Natürlich  bedeckt  der  Litorina- 
thon  grofse  Flächen  des  Ancylus-  und  auch  des  Yoldiathones.  Litorina 
litorea  und  L.  rudis  sind  Leitfossilicn.  Das  Litorinawasser  war  viel  salziger 
als  das  jetzige  Ostsee wasser.  Munt  he  schätzt  den  Salzgehalt  des  Litorina- 
Meeres  zum  0,8  °/0  in  den  innersten  Teilen  des  Bottnischen-  und  Finnischen 
Meerbusens,  wo  er  jetzt  0,3%  ist.  —  Es  giebt,  wie  gesagt,  aus  allen 
diesen  Zeiten  auch  Sandablagerungen.  Als  fossilfrei  sind  sie  jedoch  schwer 
chronologisch  bestimmbar.    Der  Litorinasand  oder  mittlere  und  obere  Heide- 


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J.  K.  Rösberg: 


sand  bildete  früher  Dünen,  die  jetzt  längst  durch  Vegetation  befestigt 
worden  sind. 

In  der  späteren  Litorinazeit  begann  die  Landeserhebung  oder  die  negative 
Strandverschiebung,  die  noch  fortdauert.  Die  dänischen  Sunde  wurden  seichter 
und  das  Ostseewasser  infolge  dessen  süfser.  Naeh  der  Sandmuschel  Mya 
arenaria,  die  nicht  in  den  Ablagerungen  der  Litorinazeit  gefunden  wird, 
nennt  man  die  Jetztzeit  auch  die  Myazeit. 

Unsere  finnischen  Flufsläufe  sind,  wie  man  sich  leicht  vorstellen 
kann,  überwiegend  postglacialen  Alters,  obwohl  ihre  grofsen  Züge  durch  die 
*  Unebenheiten  in  dem  archaischen  Untergrunde,  durch  präglaciale  Flufsthäler 
und  besonders  durch  die  glacialen  Anhäufungen  beziehungsweise  Ausräumungen 
vorgezeichnet  sind.  Ein  Beispiel  der  Arbeit  der  Flüsse  seit  der  Litorinazeit 
liefert  der  Imatra,  die  bekannte  Stromschnelle  des  Vuoxentiusses.  Sederholm  hat 
gezeigt,  dafs  der  Flufs  früher  ein  viel  weiteres  Bett  hatte.  Jetzt  ist  die 
Kinne  ziemlich  tief  in  den  CJneifsgranit  eingeschnitten,  und  in  dem  verlassenen 
Bett  sieht  man  Riesentöpfe.  Ca.  200  000  cbm  Gneifsgranit  sind  vom  Imatra 
wegerodiert  worden.  —  De  Geer  hat  auseinandergesetzt,  welche  Veränderungen 
die  ungleiche  Erhebung  in  grüfseren  Seebecken  bewirkt  haben  mufs.  In 
dem  Vanajavesisee  z.  B.  habe  ich  folgendes  bemerkt:  Der  See  hat  eine 
Richtung  von  NW  nach  SO.  Sein  Abflufs  ist  im  NW,  wo  die  verhältnis- 
mäfsig  gröfste  Erhebung  stattgefunden  hat.  Infolge  dessen  wird  die  Mündung 
immer  seichter,  wodurch  das  Wasser,  trotz  der  Erosion,  steigt,  was  man 
an  unterseeischen  Torfmooren  sehen  kann.  Der  Saimasee  hatte  früher  seinen 
Abflufs  gegen  SW,  jetzt  gegen  SO;  der  Ladoga  hat  sich  auch  einmal  in  den 
Viburgschen  Busen  ausgeleert.  Und  schliefslich  hat  man  einen  trüheren  Ab- 
flufs des  Päijännesees  entdeckt.  Die  drei  Seen  Päijänne,  Saima  und  Ladoga 
«scheinen  alle  ihre  Abflüsse  gegen  Osten  verschoben  zu  haben. 

Alle  diese  Verhältnisse  sind  aber  nicht  definitiv  erforscht.  Man  hat  darüber 
nur  vorläufige  Mitteilungen.  Mit  der  heutigen  Strandverschiebung  verhält 
es  sich  nach  Bonsdorff  in  der  Weise,  dafs  das  Land  in  den  letzten  hundert 
Jahren  bei  Quarken  sich  um  1  m  erhobeu  hat,  bei  Uleaborg  im  nördlichen 
Teile  des  Bottnischen  Busens  etwas  weniger,  bei  Helsingfors  ca.  50  m  und 
bei  Petersburg  0  m.  De  Geer  glaubt  ,  dafs  diese  Hebixng  nicht  fortdauert, 
sondern  nur  eine  letzte  Äufserung  der  grofsen  prähistorischen  Schwankungen  ist. 

Von  recenten  Bildungen  springen  am  meisten  in  die  Augen  folgende: 
Eisenerz,  s.  g.  Seeerz,  entstanden  durch  Oxydation  des  Eisenoxydulsalzes 
des  Quellenwassers  zum  Eisenoxydsalz;  die  Deltas,  welche  aus  verschiedenen 
morphologischen  und  genetischen  Typen  bestehen,  was  zu  erörtern  uns  hier 
zu  weit  führen  würde;  Dünen;  Schneckenmergel  (auch  in  der  Litorinazeit); 
Schwemmsand,  Schwemmthon,  Schlamm  und  Torf. 

Unsere  ganze  Fauna  und  Flora  ist  selbstverständlich  nachträglich  ein- 
gewandert. Die  Yoldiazeit  hatte  eine  rein  arktische  Flora,  während  der 
Aneyluszeit  wanderten  die  Espe  und  die  Birke  ein,  später  die  Kiefer.  In  der 
späteren  Aneyluszeit  und  ersten  Hälfte  der  Litorinazeit  war  das  Klima  wahr- 
scheinlich etwas  wärmer  als  jetzt.  Damals  reichte  die  Eiche  viel  nördlicher 
als  heute,  der  Ahorn,  die  Esche,  die  Linde,  die  Ulme,  die  Erle  und  der 


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Geograpbinche  Charakterbilder  ans  Finlaml. 


489 


Haselstrauch  traten  auf.  Die  mittel-  und  südeuropäische  SeenuTs  Trapa 
naians  wuchs  im  südlichen  Finland.  In  der  späteren  Litorinazeit  wurde  das 
Klima  wieder  etwas  kälter,  ungefähr  wie  heute.  Nun  kam,  nach  ü.  Andersson, 
die  Fichte  ins  Land.  Schon  früher  als  die  Fichte  ist  der  neolithische  Mensch 
in  unser  Land  eingedrungen. 

Eine  finnische  Landschaft  im  Sommersehmuck  mit  den  verschiedenen 
Farbentönen  in  Grün  und  den  vielen  Seen,  die  überall  emporglänzen  und 
das  Blau  des  Himmels  reflektieren,  hat  ihre  grofsen  Reize.  Und  doch  wird 
man  beim  längeren  Aufenthalt  im  Lande  Huden,  dafs  eine  gewisse  Eintönig- 
keit in  den  Landschaftsbildern  sich  geltend  macht.  Die  Seen  können  in 
lausenden  von  Formen  wechseln.  Hier  giebt  es  Seen  grofB  und  klein,  tief 
und  seicht,  mit  den  mannigfaltigsten  Umrandungen.  Die  Vegetation  wech- 
selt auch,  aber  doch  bleibt  das  Bild  im  grofsen  und  ganzen  auf  hunderten 
von  Quadratkilometern  dasselbe.  Und  noch  eins.  Wir  finden  ähnliche  Land- 
schaftsformen nicht  nur  in  Finland,  sondern  auch  in  Russisch-Karelien  bis 
zum  Weifsen  Meere,  ja  auch  in  Nordschweden.  Indefs  mufs  ich  sofort 
hervorheben,  dafs  die  Einförmigkeit  mehr  dem  Touristen  und  dem  gewöhn- 
lichen Reisenden  auffällt,  als  dem  Geographen.  Der  Geograph  findet  stets 
neue  Beweise  für  die  grofsartigen  Wirkungen  der  Naturkräfte ,  welche  hier 
freien  Spielraum  gehabt  haben,  deren  Spuren  der  Mensch  mit  seinem  Pfluge 
nur  auf  wenigen  Stellen  auszulöschen  vermocht  hat. 

Der  Werkzeuge,  mit  welchen  die  Natur  die  finnische  Landschaft  heraus- 
modelliert hat,  sind  freilich  nicht  viele,  aber,  wie  schon  erwähnt,  um  so 
kräftigere. 

Geographisch  sind  die  landschaftlichen  Verschiedenheiten  grofs  genug, 
um  einen  nördlichen  Teil  von  einem  südlichen  abzusondern.  Den  süd- 
lichen Teil  zerlegt  man  gewöhnlich  in  die  Seenplatte  und  die  Küsten- 
landschaften. 

Finland  ist  „das  Land  der  tausend  Seen".  Der  Ausdruck  ist  doch 
nicht  zutreffend.  Schon  auf  einer  Karte  in  ziemlich  kleinem  Mafsstabe 
(etwa  1:1000  000)  kann  man  leicht  tausend  Seen  zählen,  wenn  man  sich 
die  Mühe  geben  wollte.  Kein  Mensch  hat  es  unternommen,  die  Seen  Fin- 
lands  zu  zählen.  Roh  geschätzt  kann  man  sie  bis  zu  \, ,  Million  annehmen. 
Aber  in  Finland  ist  es  nicht  so  leicht,  die  Seen  von  einander  zu  trennen. 
Und  was  ist  überhaupt  dort  ein  See?  Soll  man  den  stark  lappigen  grofsen 
See  im  südöstlichen  Finland  mit  dem  Kollektivnamen  Saima  bezeichnen, 
oder  soll  man  die  zahlreichen  Lokalnamen  der  einzelnen  Teile  gebrauchen? 

Die  finnische  Seenplatte  umfafst  den  gröfsten  Teil  des  südlichen 
Rumpfes  der  finnischen  Halbinsel.  Sie  berührt,  den  bottnischen  Meerbusen 
in  einer  kurzen  Küstenstrecke  und  erweitert  sich  mehr  und  mehr  gegen 
Osten  hin.  An  der  russisch-finnischen  Grenze  gehen  dieselben  Landschafts- 
typen unmerklich  über  in  die  russisch-karelische  Seenlandschaft,  welche  bis 
zum  Gestade  des  Weifsen  Meeres  sich  erstreckt.  Die  Seenplatte  hat  folgende 
Grenzen:  den  bottnischen  Meerbusen  zwischen  dem  61.  und  62.  Parallel  im  W, 
den  61.  Parallel  bis  zum  Städtchen  Lahtis  und  die  gro&e  Endmoräne 
Salpausselkä   im  S,  das  Weifse  Meer  im  O  und  die  teilweise  gut  ausge- 


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490 


J.  E.  Rosberg: 


prägt«  Wasserscheide  vom  innersten  Teil  des  Meerbusens  Kantalahti  gegen  SW 
zur  Küste  beim  62.  Parallel  im  NW. 

Diese  ungefähr  zweihunderttausend  Quadratkilometer  weite  Fläehe  ist 
nun  in  der  Vogelperspektive  eine  Platte.  Auch  wenn  man  ein  Profil  durch 
das  Land  von  SW  gegen  NO  zeichnet,  wobei  man  auch  die  höchsten  Er- 
hebungen überschreitet,  findet  man  z.  B.  in  einem  Mafsstab  von  etwa 
1:50  000  fast  gar  keine  Krümmungen  in  der  Profillinie.  Im  Detail 
macht  dagegen  die  ganze  Seenplatte  einen  höchst  hügeligen  Eindruck  und 
die  Landstrafsen  stehen  in  schlechtem  Rufe  wegen  der  Steigungen.  Fahrt 
man  dagen  von  NW  nach  SO,  oder  von  N  nach  S  in  dem  westlichen  Teile 
der  Seenplatte,  so  hat  man  nichts  von  Steigungen  zu  fürchten,  man  fährt 
nämlich  der  orographischen  Streich  -  Richtung  entlang. 

Die  Mittelhöhe  der  Platte  ist  100 — 150  m.  Nur  im  südlichsten  Teile, 
nördlich  von  Salpausselkä  liegen  die  Seeufer  nur  50—100  m  über  dem 
Meere.  Die  Wasserscheide  zwischen  der  Seenplatte  und  der  ostbottnischen 
Ebene  ist  im  allgemeinen  150 — 200  m  hoch.  Nördlich  vom  Ladogasee 
fängt  eine  andere  Wasserscheide  an,  die  gegen  NW  zum  Polarkreise  sich 
erstreckt.  Sie  scheidet  im  grofsen  und  ganzen  die  Gewässer  des  Weifsen 
Meeres  von  den  der  Ostsee  tributären.  Auf  dieser  Wasserscheide,  welche 
durch  unwirtliches  Land  führt,  das  mit  unberührten  Urwäldern  bedeckt  ist, 
bemerkt  man  die  gröfsten  Erhebungen.  Die  mittlere  Höhe  ist  etwa  200  bis 
300  m  und  nimmt  allmählich  gegen  das  Weifse  Meer  ab.  Diese  öde  wasser- 
scheidende Gegend  ist  zur  politischen  Grenze  geeignet  gewesen. 

Eigentlicher  Gipfel  entbehrt  die  Seenplatte.  Hier  und  da  sieht  man 
isolierte  domförmige  Kuppen,  welche  nur  wenig  über  die  Umgebung  empor- 
ragen. Die  höchste  Erhebung,  in  der  Nähe  des  Polarkreises,  dürfte  eine 
Höhe  von  550  m  haben.  Alle  früheren  Gebirgsketten  sind,  wie  gesagt, 
gänzlich  zerstört  worden,  nur  in  den  am  höchsten  liegenden  Gegenden  finden 
wir  einige  widerstandsfähige  Überreste  der  algonkischen  Schieferketten, 
namentlich  aus  Quarzit  bestehend. 

Kann  man  also  sagen,  dafs  der  Vulkanismus  keine  besondere  Rolle  in 
der  heutigen  Gestaltung  des  Reliefs  der  Seenplatte  gespielt  hat,  so  mufs 
man  doch  die  Ursache  vieler  Terrainunebenheiten  von  tektonischen  Be- 
wegungen ableiten.  Die  ersten  Kartographen  zeichneten  in  Finland,  wie 
auch  in  Mitteleuropa,  die  Wasserscheiden  als  lange  Kettengebirge.  In  Fin- 
land giebt  es  aber  eine  Menge  von  Bifurkationen ,  und  die  Wasserscheiden 
liegen  oft  in  einem  Sumpf  oder  einem  Moor.  Bei  späteren  Zimmerkarto- 
graphen wuchsen  die  bescheidenen  und  niedrigen  Wasserscheiden  schliefslich 
zu  langen  wurmförmigen,  ununterbrochenen  Höhenrücken  mit  steilen  Bösch- 
ungen. Hult  und  Scderholm  haben  diese  kartographischen  Mifsgeburten  aus- 
gerottet, 

Die  Verworfungen,  die  man  an  mehreren  Orten  auf  der  Seenplatte  wahr- 
nimmt und  die  den  Seen-  und  Thalgehängen  Charakter  geben,  können  kaum  9 
so  alt  sein,  dafs  sie  von  der  letzten  Faltungsepoche  in  Finland,  d.  h.  von 
der  vorjatulischen  Zeit  (nach  Sederholm's  Bezeichnung)  stammen.    Man  mufs 
mit  der  Möglichkeit  rechnen,  dafs  auch  unter  dem  hohen  Drucke  des  In- 


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Geographische  Charakterbilder  aus  Finland. 


491 


landeises  vertikale  Krustrtlbewegungen  vor  sich  gehen  konnten.  Die  meisten 
Thaler  scheinen  indessen  erosiven  Ursprunges  zu  sein.  Bei  der  Anlage  der 
Erosionsthäler  waren  natürlich  die  tektonischen  Richtungslinien  mafsgebend. 
Infolgedessen  finden  wir,  dafs  die  Thäler  in  grofsem  Mafsstabe  den  Schicht- 
strichen folgen. 

Die  Seenmulden  scheinen  weiter  hauptsächlich  praglacialen  Alters  zu 
sein.  Denkt  man  sich  alles  glaciale  und  postglacialc  Ablagerungsmaterial 
fortgeführt,  so  würden  viele  Se^n  entleert  werden.  Sie  bieten  regelinilfsige 
Flufsthäler  dar.  Aber  nicht  alle  Seenbecken  sind  gänzlich  durch  diluviale 
Ablagerungen  abgedämmt  worden.  Viele  haben  auch  einen  sperrenden  Fels- 
riegel und  setzen  dieselbe  Genesis  wie  die  Fjordthäler  voraus.  Die  ge- 
ringeren Höhenunterschiede  erklären  die  gröfsere  Breite  und  die  geringere 
Tiefe  der  Thäler. 

Während  der  Eiszeit  hat  gewifs  eine  nicht  unbedeutende  Erosion  und 
eine  grofsartige  Ausräumung  stattgefunden.  Diese  Ausräumung  ist  um  so 
leichter  vor  sich  gegangen,  als  die  Thäler  zufälligerweise  oder  durch  die 
frühere  erdgeschichtlichc  Entwickelung  dieselben  Längsrichtungen  hatten, 
die  das  Landeis  später  einschlug.  In  den  Abschmelzungsperioden  des 
Eises  haben  so  die  gewaltigen  Ablagerungen  stattgefunden,  so  dafs  das 
Tagwasser  überall  stagnierte.  Die  ganze  Seenplatte  war  ein  ungeheurer 
Sumpf,  aus  dem  die  Gebirgshügel  oder  die  diluvialen  Anhöhen  emporragten. 
Während  der  Yoldiazeit  wurden  die  Seenbecken  zum  Teil  durch  Bänderthon 
gefüllt;  während  der  Ancyluszeit  waren  sie  wieder  Buchten  oder  Fjorde,  in 
welchen  sieb  der  Ancylusthon  ablagerte.    Dadurch  wurden  sie  viel  seichter. 

Hand  in  Hand  mit  dem  Seichterwerden  sanken  die  Niveaus  der  Seen 
beträchtlich  durch  die  Erosionsarbeit  in  den  Riegeln,  besonders  wo  diese  aus 
lockerem  Material  bestanden.  Dabei  arbeitet  die  Sedimentierung  und  noch 
mehr  die  Vermoorung  an  der  Vernichtung  der  Seen.  Jetzt  ist  schätzungs- 
weise die  Hälfte  des  früheren  Binnengewässerareals  vermoort,.  Die  Moore, 
Sümpfe  und  Moräste  sind  für  die  Seenplatte  durchaus  charakteristisch.  Sie 
sind  gefürchtet  als  die  Heimat  der  Nachtfröste,  bergen  aber  andererseits  in 
ihrem  Schofse  grofse  Reichtümer  für  das  Land.  Neulich  hat  man  begonnen, 
den  Torf  im  grofsen  Mafsstabe  technisch  auszubeuten  und  die  reichen  Humus- 
lager der  Moore  urbar  zu  raachen. 

Die  Seen  der  Seenplatte  bieten  jetzt  in  Entwickelung  begriffene  Flufs- 
thäler dar.  Die  Seebecken  sind  mächtig  zerlappt,  und  die  einzelnen  Seen 
stehen  in  Reihen  hinter  einander  in  den  Thälern.  Manchmal  sieht  man  sie 
von  einer  Höhe  wie  glänzende  Perlen  an  einer  Schnur.  Eine  solche  Seen- 
reihe benennt  man  eine  „Seenstrafse".  Mehrere  Strafsen  vereinigen  sich  in 
einem  „Zentralsee",  aus  welchem  ein  Flufs  („Elf")  ins  Meer  strömt.  Die 
Seenstral'sen  mit  ihrem  Zentralsee  bilden  ein  sogenanntes  Secnsystem.  Die 
gröfsten  Seensysteme  der  Seenplatte  sind  folgende,  von  W.  nach  0.:  das 
Pyhäjärvisystem,  entwässert  durch  den  Kumoflufs,  welcher  105  m3  in  der 
Sekunde  bei  Niedrigwasser,  420  ms  bei  Hochwasser  führt;  das  Päijänne- 
system,  entwässert  durch  den  Kvmmenerlui's,  welcher  300  m3  bei  Niodrig- 
wasser  führt;  das    Saimasystem,  entwässert  durch   den   Vuoksen,  der  bei 


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492 


J.  E.  Rösberg: 


Niedrigwasser  475  m3  und  bei  Hochwasser  790  ms  in  der  Sekunde  führt;  das 
Vygjärvisystem,  entwässert  durch  den  Vygflufs,  der  ungefähr  dieselbe  Wasser- 
inenge  wie  der  Kumoflufs  zu  haben  scheint;  und  nördlicher  das  Ulesystem,  durch 
den  Uleflufs  entwässert,  mit  180  m8  beziehungsweise  920  m 3  in  der  Sekunde; 
das  Kuittijärvisystem,  welches  sich  durch  den  Kemiflufs,  etwa  vom  Wasser- 
reichtum des  Kymmenes,  in  das  Weifse  Meer  ergiel'st,  und  schliefslich  das 
ebenso  wasserreiche  Koutajärvisytem,  das  durch  den  Koutaflufs  entwässert  wird. 

Unter  den  die  Seenstrafsen  in  Flüsse  umgestaltenden  Faktoren  spielt 
der  Mensch  keine  geringe  Rolle.  Überall  streben  die  Grundbesitzer  ihre 
Wiesen  durch  Entwässerung  der  Seen  zu  erweitern.  Der  Staat  tritt  teils 
unterstützend,  teils  hindernd  dazwischen.  Manchmal  haben  die  Bauern  durch 
ungeschicktes  Durchstofsen  der  aus  lockerem  Material  bestehenden  Schwellen 
plötzliche  Überschwemmungen  verursacht 

Es  ist  selbstverständlich,  dafs  das  Klima  durch  diesen  grofsen  Reichtum 
an  Seen  wie  an  Sümpfen  becinflufst  werden  mufs.  Überhaupt  zeigt  auch  das 
Klima  auf  der  finnischen  Seite  der  Seenplatte  und  an  den  Küsten  des  finnischen 
und  bottnischen  Busens  keine  gröfsere  Verschiedenheit.  Dagegen  wird  das 
Klima  jenseits  der  Wasserscheide  gegen  das  Weifse  Meer  hin  ziemlich  rasch 
kontinental.  Wenn  man  die  Karten  des  „Atlas  de  Finlande"  studiert,  sieht 
man  die  Saimagewässer  und  ihre  Umgebung  eine  Insel  ozeanischen  Klimas 
bilden,  freilich  nicht  so  deutlich  wie  die  klimatische  Insel  über  dem  Ladoga, 
aber  doch  erkennbar  genug. 

Wir  wollen  in  Gedanken  irgend  eine  Höhe  besteigen,  um  einige  Bilder 
der  schönen,  aber  melancholischen  Landschaften  der  Seenplatte  zu  sehen. 
Lassen  Sie  uns  zuerst  den  Kangasalaäs  im  westlichen  Teile  dieses  Gebietes  be- 
steigen. Man  erreicht  freilich  nur  80  m  relative  Höhe,  sieht  aber  doch 
ein  gut  Stück  Land.  Der  As  schlängelt  sich  wie  ein  Riesenwurm  durch 
die  Landschaft  hindurch.  Stellenweise  ist  er  unterbrochen,  stellenweise  erhebt 
er  sich  rasch  mit  steilen  Böschungen  (etwa  bis  35  Grad).  Überall  ist  er 
mit  Kiefernwald  bedeckt.  Auf  den  Seiten  des  Äses  erstrecken  sich  breite 
Sandflächen,  die  aus  dem  Äs  herausgewaschen  sind.  Äcker  nehmen  die 
Ebene  weit  und  breit  ein.  An  den  Seeufern  sieht  man  Wiesen,  und  der 
Horizont  ist  ringsum  durch  waldige  Hügel  weithin  begrenzt.  Die  gröfste  Schön- 
heit der  Landschaft  bieten  doch  die  Seen.  Man  sieht  den  grofsen,  tiefen 
Längelmevesi,  den  mit  hundert  Liseln  überstreuten  Vesijärvi,  den  seichten 
Roine  und  in  der  Ferne  noch  andere. 

Diese  Gegend  ist  die  Urheimat  der  Tavasten,  eines  finnischen  Stamms,  der 
ca.  700  Jahre  nach  Chr.  ins  Land  einwanderte.  Die  Tavasten  sind  viel  mit 
Germanen  gemischt,  ihr  Haar  ist  aschblond,  ihre  Augen  blaugrau.  Sie  sind 
tr&g  und  rauh,  aber  zäh  und  fleifsig.  Von  ihnen  sagt  das  Sprichwort: 
„Ehrlich  wie  ein  Finne",  aber  auch  „Halsstarrig  wie  ein  Finne".  Die 
Tavasten  sind  ein  Kernvolk  und  die  materielle  Stärke  des  finnischen  Volkes. 
Ihr  Dialekt  ist  jetzt  als  hochfiuniseh  ausgebildet,  Sie  haben  von  iher  Heimat 
aus  das  Land  bis  zum  64.  Parallelkreise  kolonisiert.  Mit  ihren  leichten 
Booten,  welche  Erbsenschalen  gleichen,  gehen  sie  von  See  zu  See,  zuerst  als 
Fischer  und  Jäger,  später  als  Ansiedler. 


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Geographische  Charakterbilder  au«  Fiuland. 


493 


Jetzt  mengen  sich  Dampfboote  unter  die  Ruderkähne,  und  an  den 
Stromschwollcu  sind  Finlands  gröfste  Fabrikbezirke  entstanden. 

Der  vielbesuchte  Hügel  Puijo  liegt  mitten  in  dem  Kallavesisee  auf  einem 
Vorgebirge  und  /.war  151  m  über  dem  Seespiegel. 

Der  geringen  Höhe  ungeachtet  hat  man  von  dort  eine  herrliche  Aus- 
sicht Man  sieht  zu  seinen  Füfsen  ein  ganzes  Labyrinth  von  grofsen  Inseln. 
Man  nimmt  auch  die  ausgeprägte  orographische  Streichrichtung  von  NW 
nach  SO  wahr.  Das  Ganze  bietet  ein  Bild,  das  man  sonst  nirgends  in  der 
Welt,  möglicherweise  in  Canada,  findet  Auf  einer  Alluvialebene  am  See- 
ufer liegt  die  anmutige  Stadt  Kuopio;  am  Horizonte  ragen  Anhöhen  empor, 
auf  deren  Gipfeln  man  Bauernhöfe  sieht  Zwischen  den  Hügeln  sieht  man 
finstere  Nadelwälder,  in  ihnen  ausgerodete  Lichtungen.  Die  kleinen  Äste 
werden  verbrannt,  um  Asche  zu  bekommen.  Es  sind  die  Spuren  ehemaligen 
Schwendens,  welches  die  Natur  mit  lichtgrünen  Laubgebüschen  beforstet  hat. 
Hier  und  da  steigt  Rauch  empor  aus  dem  Walde,  ein  Zeichen,  dafs  man 
das  verderbliche  Schwenden  noch  nicht  aufgegeben  hat. 

Die  Bewohner  sind  Savolaksen.  Im  späteren  Mittelalter  drangen  Ta- 
vasten  aus  SW  und  Karelier  aus  SO  in  diese  damals  menschenleeren 
Einöden.  Es  entstand  ein  Mischvolk,  die  Savolaksen.  Sie  sind  als  schlaue 
und  intelligente,  aber  faule  Arbeiter  bekannt.  Sie  haben  eine  Menge  schöner 
Volkslieder,  die  uns  von  Wald  und  See  entgegenklingen.  Sic  sind  vorzüg- 
liche Redner,  und  aus  ihrer  Mitte  sind  viele  Novellisten  hervorgegangen. 

Wir  gehen  noch  weiter  nach  0,  bis  nach  der  Grenze  gegen  Rufsland. 

Die  domfönnigen  oder  in  NW-SÖ  lieber  Richtung  streichenden  Hügel- 
reihen erheben  sich  meistens  50 — 150  m  über  die  Thäler.  Das  ist  nach 
finnischer  Terminologie  eine  „Waaralandschaft"  (Waara  bedeutet  eine  wald- 
bedeckte Felsenkuppo).  Die  Thalsohlen  bedecken  ausgedehnte  Sümpfe  oder 
Wiesen.  Durch  die  schlechte  Drainierung  sind  sie  eine  wahre  Heimat  des 
Nachtfrostes.  Auf  den  dem  Froste  nicht  so  sehr  ausgesetzten  Höhen  liegen 
die  Bauernhöfe  und  die  kümmerlichen  Äcker.  Alle  Böschungen  sind  mit 
Nadelholz  bewachsen.  In  den  Thälern  kommt  auch  Nadelholz  vor  auf  den 
glacialen  Ablagerungen  und  zwar  auf  den  zahlreichen  Heideflächen,  End- 
moränen, Drumlins  und  Äsar.  Hier  sieht  man  auch  mehrere  Seeerz 
führende  Seen. 

Die  spärliche  karelische  Bevölkerung  (3 — 4  auf  den  km2)  hat  das  Land 
mit  Einzelhöfen  besiedelt;  nur  an  gröfseren  Seen  nimmt  man  gröfsere  Dörfer 
wahr,  teilweise  nach  rassischer  Art  geplant  und  gebaut.  Besonders  auf  der 
russischen  Seite  der  politischen  Grenze  giebtes  noch  heute  vollkommen  unberührte 
Urwälder  mit  Bären,  Elentieren,  wilden  Renntieren,  Auerhähnen  u.  dergl.- 
Diese  Gegend  war  die  letzte  Zufluchtsstätte  der  Lappen  und  wird  noch  heute 
von  einzelnen  nomadisierenden  Lappenfnmilicn  besucht. 

Hat  man  die  Wasserscheide  überschritten  und  ist  durch  die  Urwälder, 
deren  Boden  mit  vermoderten  Baumstämmen  bedeckt  ist,  glücklich  vor- 
gedrungen, so  findet  man  eine  ganz  russische  Siedelungsart.  Die  Dörfer 
liegen  am  Seeufer.  Manchmal  bestehen  sie  aus  hundert  Höfen,  aber  zwischen 
den  Dörfern  ist  eine  50  bis  100  km  breite  Wildnis.   Je  mehr  wir  uns  dem 


494 


J  E.  Ro«herg: 


Gestade  des  Weifsen  Meeres  nähern,  um  so  gröfser  werden  mit  zunehmender 
Ebenheit  des  Terrains  die  Moräste.  Schließlich  findet  man  Sümpfe,  welche 
man  nicht  in  einem  Tagemarsch  durchwandern  kann.  Sie  sind  dahei  eine 
Heimat  für  unzählige  Massen  von  Bremsen  und  Moskitos. 

Dieses  ganze  Gebiet  ist  von  den  Kareliern  bewohnt.  Ihre  Sprache  ist 
weicher  als  hochfinnisch.  Sie  sind  auch  dunkler  als  die  Tavasteu.  Ihr  Haar 
ist  hraun,  ihre  Augen  bräunlich;  sie  sind  fröhlichen  Gemüts.  Sie  haben 
wenig  Lust  zum  Ackerbau,  sind  dagegen  begeisterte  Hausierer  und  Fuhrleute. 
Ihre  Volksbildung  ist  gering,  sie  sind  abergläubisch  und  konservativ  und 
haben  unter  sich  die  heidnischen  mythologischen  Kalevalalieder  am  längsten 
bewahrt.  Am  Küstensaume  des  Weifsen  Meeres  sind  sie  schon  gänzlich 
russinziert  worden. 

Die  Küstenlandschaften  haben  fast  in  ganz  Finland  denselben  Cha- 
rakter. Sie  bestehen  aus  einem  50 — 100  km  breiten  Saume,  der  sich  nur 
an  einzelnen  Stellen  mehr  als  100  m  über  das  Meer  erhebt.  Der  Boden 
dieses  Saumes  besteht  überwiegend  aus  Thon,  zu  unterst  Bänderthon,  darauf 
Ancylus  und  zu  oberst  Litorinathon.  Stellenweise,  namentlich  am  bott- 
nischen  Gestade  sehen  wir  weite  Ebenen,  die  überall  in  Wiesen  und  Äcker 
verwandelt  sind.  Das  Küstenland  ist  der  beste  Ackerboden  Finlands,  uud 
die  Bevölkerungsdichte  ist  im  allgemeinen  über  20  auf  den  km*.  Auf  einer 
Karte  von  Neovius  über  die  Verteilung  der  Bevölkerung  kann  man  deutlich 
sehen,  wie  die  Grenzen  der  dichtesten  Bevölkerung  und  die  der  Thone  bei- 
nahe vollständig  zusammenfallen. 

Das  Küstenland  zerfällt  in  mehrere  Abschnitte.  Am  bottnischen  Meer- 
husen haben  wir  Ostbottnien,  ein  vollständiges  Flachland.  Südlich  davon 
ragt  die  Seenplatt«,  wie  gesagt.,  bis  ans  Meer  hinaus.  Dann  folgt  das 
südfinnische  Küstenland,  welches  sich  über  den  Viburgschen  Busen  bis  zum 
Ladoga  erstreckt  und  den  nördlichen  Teil  dieses  Sees  umfafst.  Während 
der  Litorinazeit,  war  hier  eine  offene  Verbindung,  und  die  Ladogische  Küste 
hat  durchaus  den  Schärentypus,  wobei  die  am  Isthmus  liegenden  Seen  als 
abgedämmte  Schärenbusen  anzusehen  sind.  Ja,  man  könnt«  dieses  geo- 
graphische Gebiet  noch  länger  gegen  NO  ausdehnen,  weil  sich  hier  in  der 
Yoldiazeit  eine  Meeresstrafse  nach  dem  Weifsen  Meer  erstreckte  und  das  Nord- 
ufer des  Onegasees  noch  stärker  als  das  des  Ladogas  zersplittert  ist 

Wir  wollen  zuerst  unsern  Blick  auf  die  Schären  oder  den  Schärenhof 
lenken,  jene  eigentümliche  Bildung,  die  die  Küste  auf  so  weite  Strecken 
begleitet 

Die  finnischen  Schären  waren  während  der  grofsen  Eiszeit  etwas  über 
das  jetzige  Meeresniveau  erhoben.  Während  der  letzten  Eiszeit  waren  sie 
dagegen  unter  die  Meeresfläche  gesunken.  Jetzt  steigen  die  Inseln  und 
Klippen  der  Schären  aus  den  Fluten  empor  und  haben  treu  unter  dem 
Meeresschutz  ihre  Kundhöckerformen  und  ihre  frischen  Schrammen  bewahrt. 
Die  Tiefen  zwischen  den  Schäreninseln  sind  immer  gering.  Sie  wechseln  von 
ein  paar  bis  zu  10  m  und  übersteigen  nur  ausnahmsweise  20  m.  Die  Schären 
sind  also  als  einmal  untergetauchter,  aber  langsam  emporsteigender  Teil  des 
finnischen  Rumpfes  zu  betrachten.    Hier  und  da  ordnen  sich  die  Inseln  in 


Geographische  Charakterbilder  aus  Finland.  495 


Reihen,  und  dazwischen  sind  lange  und  etwas  tiefere  Rinnen  zu  sehen,  die 
gewöhnlich  als  Fahrwasser  benutzt  werden  und  durch  die  Lotsen  sorgfältig 
markiert  worden  sind.  Sie  sind  niutmafsliche  präglaciale  Längsthäler.  Man 
trifft  sie  von  26°  0  von  Greenwich  bis  Aland.  Sie  erstrecken  sich  in  NO- 
SVVlicher  Richtung.  Dadurch  und  durch  die  Richtung  des  Salpausselkä 
bei  Hangö  wird  die  orographische  Streichungsrichtung  in  den  Schären  vertikal 
gegen  die  Richtung  des  Binnenlandes,  überall  sieht  man  auch  sogenannte 
„Fjärdaru.  Diese  entsprechen  den  Ebenen  in  einer  Kuppenlandschaft.  Die 
„Fjärdar"  sind  von  einem  mehr  oder  weniger  geschlossenen  Kreise  von 
Inseln  umgeben.  Der  Durchmesser  eines  Fjärdas  wechselt  beträchtlich,  meist 
von  wenigen  km  bis  zu  50. 

Die  Schären  sind  wenig  von  der  petrogruphischen  Zusammensetzung  der 
Felsen  abhängig.  Im  grofsen  und  ganzen  kann  man  doch  eine  Verschieden- 
heit zwischen  den  schön  gerundeten  „Rapakivi"-  und  Granitklippen  und  den 
mehr  in  scharfen,  bizarren  Formen  zerklüfteten  Gneifsfelsen  erkennen. 
Pflanzengeographisch  kann  man  zwischen  Helsingfors  und  Äbo  mindestens 
drei  verschiedene  Zonen  unterscheiden.  Die  äufsersten  Klippen  sind  nicht 
oder  nur  mit  spärlichen  Strandpflanzen  bedeckt;  die  in  der  Mitte  liegenden 
Schäreninseln  sind  mit  Nadelholz  bewachsen,  das  vielfach  von  den  Winden 
niedergebogen  ist;  die  gröfseren  inneren  Inseln  dagegen,  die  durch  die 
Landeserhebung  landfest  zu  werden  beginnen,  wie  auch  die  Vorgebirge  des 
Festlandes  haben  eine  im  übrigen  Finland  unbekannte  Fülle  der  Vegetation. 
Wir  zählen  an  Gefäfspflanzen  in  den  südwestlichen  Schären  ungefähr  750  Arten 
gegen  ca.  420  im  Innern  des  Landes.  Die  langen  seichten  Meerbusen  sind 
natürlich  sehr  empfindlich  gegen  die  Strandverschiebung.  Sie  gehen  gewöhn- 
lich durch  ein  sumpfiges  Gebiet,  das  infoge  der  wechselnden  Winde  sehr  be- 
trächtlichen Schwankungen  des  Meeresniveaus  ausgesetzt  ist,  in  lange  Thäler 
über,  welche  genetisch  identisch  zu  sein  scheinen  mit  den  obenerwähnten 
Schärenrinnen. 

Der  Schärenhof  fängt  von  dem  Wiborgschen  Busen  an  mit  einer  anfangs 
ganz  dünnen  Inselschar,  so  dafs  die  Wellen  des  finnischen  Busens  stellenweise 
ungebrochen  die  Küste  erreichen.  Nördlich  vom  Hochland  (Hogland)  nimmt  die 
Anzahl  der  Schären  beträchtlich  zu.    Am  reichsten  sind  jedoch  die  Schären 

■ 

zwischen  den  Alandinseln  und  der  gegenüberliegenden  Festlandsküste  aus- 
gebildet. Der  bottnische  Busen  hat  überhaupt  nur  spärliche  Schären,  und 
man  kann  eigentlich  von  einem  Schärenhof  nur  in  dem  Quarken  sprechen. 

Die  Bewohner  der  Schären  sind  fast  ausschliefslich  Schweden.  Sie  sind 
größtenteils  Fischer  und  Seeleute.  Sie  sind  eine  brave,  geschickte  und  be- 
gabte Bevölkerung,  welche  sich  durch  grofse  Beweglichkeit  auszeichnet. 
Man  trifft  sie  überall  in  der  Welt,  nicht  nur  auf  finnischen  Schiffen,  sondern 
auch  auf  amerikanischen  und  englischen,  ebenso  als  Kolonisten  in  Amerika. 
Die  Schärenbewohner  am  bottnischen  Meerbusen  sind  verhältnismäfsig  spät 
ins  Land  hereingekommen,  die  der  südfinnischen  Küste  dagegen  schon  in  vor- 
geschichtlicher Zeit. 

Die  Ladogaschären  sind  beträchtlich  höher  als  die  des  finnischen  Busens. 
Die  Tiefen  zwischen  den  Schären  sind  auch  gröfser.    Man  kann  hier  viel- 


490 


J.  K.  Ronberg: 


leicht  eher  von  einer  Riasküste  als  von  einer  Schärenküste  sprechen.  Die 
Busen  haben  ziemlich  hohe  Felswände  und  sind  stellenweise  von  fjordähn- 
lichem  Aussehen.  Noch  länger  und  schmäler  sind  die  Busen  des  nördlichen 
Ufers  des  Onegasees.  Dies  hängt  allerdings  mit  dem  tektonLschen  Bau 
zusammen,  da  hier  ausgesprochene  Längsthäler  auftreten.  Die  Südufer  der 
beiden  Seen  sind  flach  und  sumpfig;  die  des  Ladogasee  sind  seit  der  neo- 
lithischen  Zeit  vom  Wasser  überflutet. 

Die  karelische  Bevölkerung  des  Nordufers  der  Seen  und  die  russische 
der  Südufer  sind  nicht  im  Stande  gewesen,  eine  bedeutendere  Seefahrt  auf 
den  leicht  bewegten  Seen  zu  entwickeln.  Die  Schifte  sind  von  primitiven 
Typen,  und  das  Fischen  steht  auf  einer  niedrigen  Stufe.  Erzvorkoramnisse 
haben  an  beiden  Seen  kleine  industrielle  Bezirke  hervorgerufen. 

Die  Flachküste  umsäumt  den  Kronstadtschen  Meerbusen  und  umfafst 
den  nördlichen  Teil  des  bottnischen  Busens  (a.  g.  der  bottnische  Wiek)  von 
der  Stadt  Alt  Karleby  bis  nach  Torneä.  Das  erstere  Gestade  befindet  sich 
in  Ruhe,  das  letztere  in  ziemlich  rascher  Erhebung.  Beido  zeigen  sich  als 
typische  Dünenküste.  Die  Dünen  sind  freilich  nicht  hoch  (höchstens  20  m), 
wandern  aber  ziemlich  schnell.  Etliche  hundert  Kilometer  vom  Strande  siud 
sie  durch  Vegetation  befestigt.  Die  Flachküste  mit  negativer  Uferbewegung 
hat  rasch  wachsende  Deltas  von  verschiedenen  Typen.  Die  Deltas  bestehen 
teils  aus  zerschnittenen  Küstenpartien,  teils  aus  über  dem  Wasserspiegel 
emporgehobenen  Schären,  teils  aus  Alluvionen.  Die  Tome-  und  Ijo-Flüsse 
haben  an  ihren  Mündungen  ein  Wirrwarr  von  Deltainseln,  die  Kyrö-  und 
Kuraoflüsse  verzweigen  sich  in  ihren  Alluvionen,  die  Siikajuki  und  Kalajoki 
haben  submarine  Deltas  und  der  Ulefluss  bildet  ein  Haff  mit  Nehrungen. 
Die  Flachküste  des  Kronstadtschen  Busens  und  die  des  Ladogas  entbehren 
Deltas.  Ihr  Hinterland  besteht  aus  quartärem  Sande,  der  überhaupt  nicht 
den  postglacialen  Überflutungen  unterworfen  war. 

Das  festländische  Küstenland  im  Süden  ist  von  fleifsigen  Ackerbauern 
bewohnt.  Sie  sind  Karelier  vom  Ladoga  bis  etwa  zum  27°  ö.  v.  Gr.  Im 
Westen  wohnen  Tavasten  in  dem  nördlichen,  Schweden  in  dem  südlichen 
Teile  des  Landes. 

Das  flache  Küstenland  am  bottnischen  Busen,  nämlich  die  alte  Graf- 
schaft Ostbottnien  eignet  sich  nur  im  südlichen  Teile  für  Ackerbau.  Von 
da  exportiert  man  Getreide,  während  das  übrige  Finland  Getreide  importiert. 
Nördlicher  wird  Getreidebau  unsicher  wegen  des  Nachtfrostes.  Statt  dessen 
beschäftigt  man  sich  mit  Viehzucht  und  versendet  grosse  Quantitäten  Butter 
nach  England. 

Die  Bevölkerung  ist  gröfsteuteils  finnisch,  nur  an  der  Küste  im  Süden 
schwedisch.  Sie  ist  eine  Mischbevölkerung  von  Kolonisten.  Sie  sind  als 
die  intelligentesten  und  tüchtigsten  Bewohner  Finlands  bekannt.  Sie  sind 
äufserst  freiheitsliebend  und  selbsthewufst.  Leider  wandern  sie  jetzt,  einen 
Militärdienst  in  Rufsland  scheuend,  scharenweise  aus,  und  die  Lücken  werden 
mit  trägen  Savolaksen  gefüllt. 

Nordfinland  wird  am  besten  durch  eine  Linie  von  dem  innersten  Teile 
des  bottnischen  Busens  zu  dem  des  Kantalahti- Busens  begrenzt.    Man  kann 


Geographische  Charakterbilder  aus  Finland. 


497 


auch  den  Polarkreis  als  Grenze  annehmen.  Gewöhnlich  geht  dieser  Teil  des 
Landes  unter  dem  Namen  Lappland,  und  wir  wollen  auch  diesen  Namen 
hier  brauchen.  Eine  Landschaft  von  finnisch-lappländischem  Charakter  streckt 
sich  über  die  ganze  Kolahalbinsel,  die  ja,  wie  bekannt,  Rufsland  gehört.  Im 
nordwestlichsten  Teile  Finlands  hat  die  Landschaft  dagegen  einen  norwegisch- 
lappländischen  Charakter. 

Lappland,  wie  auch  die  Kolahalbinsel  bestehen  aus  wellenförmigen  Rücken 
oder  domförmigen  Kuppen.  Die  Anhöhen  sind  grofsenteils  Denudationsreste. 
Man  sieht  auch  archaische  Schiefer,  und  durch  ganz  Lappland  streckt  sich 
ein  60  km  breites  Band  aus  Granulit.  Mitten  in  der  Kolahalbinsel  liegt  ein 
grofses  Massiv  aus  Nephelinsyenit. 

Die  mittlere  Höhe  liegt  zwischen  200  und  300  m.  Die  Gebirge  ragen 
an  mehreren  Stellen  über  500  m  hinaus. 

Lappland  hat  eine  Fülle  grofser,  wasserreicher  Flüsse.  Sie  haben  ihre 
Quellen  etwas  nördlich  von  dem  68ten  Parallel,  wo  die  grofse  Wasser- 
scheide, Maanselkä  genannt,  liegt.  Die  wichtigsten  sind:  Muoniojoki,  der 
mit  dem  Torneflufs  sich  beim  67ten  Parallel  vereinigt  und  die  politische 
Grenze  gegen  Schweden  bildet,  Kemijoki,  der  durch  ausgedehnte  Moraste  und 
Wälder  fliefst,  der  Tanaflufs,  der  an  einer  Strecke  die  Grenze  gegen  Norwegen 
bildet,  der  Pasvigflufs,  der  unter  dem  Namen  Ivalojoki  in  den  grofsen  Enare- 
see  hineinströmt,  und  Tulomjoki,  der  gröfstenteils  auf  der  Kolahalbinsel  fliefst. 
Die  zwei  ersten  fliefsen  in  den  bottnischen  Meerbusen,  die  drei  letztgenannten 
ins  Eismeer.  Sie  bilden  Stromschnelle  auf  Stromschnelle,  aber  nur  ausnahms- 
weise eigentliche  Wasserfälle.  Trotz  wiederholten  Unglücksfällen  benützen  die 
Bewohner  fleifsig  die  Flüsse  als  Verkehrswege.  Es  giebt  ja  in  diesen  öden 
Gebiete  keine  anderen.  Bergab  geht  es  mit  riesiger  Schnelligkeit.  Aus  der 
Bewegung  des  Wassers  kann  man  bei  einiger  Übung  sehen,  wo  es  tief  ist 
und  wo  gefährliche  Steine  liegen.  Es  giebt  wohl  kaum  einen  spannenderen 
Sport  als  eine  Fahrt  durch  die  schäumenden  Wogen.  Die  Flüsse  Lapplands 
sind  noch  sehr  reich  an  Lachs  und  Forellen. 

Lappland  ist  das  Land  der  Tundren.  Tundra  bedeutet  im  allgemeinen 
baumloses  Lund.  Der  Boden  der  Tundren  ist  mit  Flechten,  namentlich  Renn- 
thierflechten bedeckt,  wodurch  die  Landschaft  einen  weifsgrauen  Farbenton 
bekommt.  Allerlei  Alpenkrauter  bilden  grüne  Flecke  darin.  Wo  das  Reisig 
überwiegt,  ist  die  Farbe  olivenbraun.  In  Felsklüften,  welche  gegen  Norden 
gerichtet  sind,  liegt  der  Schnee  den  ganzen  Sommer  hindurch.  An  geschützten 
Orten  gegen  Süden  dagegen  sieht  man  die  kümmerlichsten  Vorposten  des 
WTaldes  als  krummes  zu  Boden  gedrücktes  Gebüsch,  ähnlich  dem  Krumm- 
holz in  den  Alpen.  Hier  oben  in  den  Tundren  leben  die  Renntiere  im 
Sommer,  wenn  die  Mücken  allherrschend  sind  unten  in  den  Sümpfen,  und 
dem  Renntier  folgen  die  Lappen. 

In  der  Tundrenregion  entspringen  kleine  Bäche  mit  moosigen  Ufern.  Die 
Bäche  werden  gröfser  und  sind  dann  von  Weidedickicht  begleitet.  Wo 
der  Boden  eben  ist,  bilden  sich  weite  Sümpfe,  in  welchen  kümmerliche  Bäume 
hier  und  da  stehen.  Wird  der  Boden  trockener,  so  wachsen  hier  niedrige 
Birken  und  etwas  südlicher  Nadelholz.    Wie  die  Flora  ist  auch  die  Fauna 

Geographische  ZeiUohrift.  7.  Jahrgang  1001.  9.  Heft  34 


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Alfred  Hettner: 


ganz  polar.  Das  Renntier  kommt  sowohl  wild  als  auch  zahm  vor.  Der 
Landbär,  der  Vielfrafs  und  der  Polarfuchs  streichen  herum.  Der  Polarhasc 
und  das  graue  Schneehuhn  fressen  die  harten  Pflanzen  und  die  Beeren.  Der 
Lemming  gräbt  unter  dem  Boden  seine  Gänge.  Die  Plage  Lapplands,  Milli- 
arden und  wieder  Milliarden  von  Mücken  und  Bremsen  quälen  sowohl  Menschen 
als  Tiere. 

Die  Lappen  sind  noch  gröfstenteils  Nomaden.  Eine  Familie  braucht 
200  Renntiere  um  leben  zu  können.  Reiche  Lappen  haben  mehrere  tausend 
Renntiere.  Die  Periode,  innerhalb  welcher  sich  die  Flechten  wieder  erholen, 
nachdem  sie  von  den  Renntieren  abgegrafst  sind,  dauert  etwa  zehn  Jahre. 
Daher  kann  man  verstehen,  welch  ungeheure  Areale  Weidemark  jede  Familie 
braucht.  Die  Wohnungen  sind  aufgeschlagene  Zelte  konischer  Form.  Die 
Zeltwände  sind  aus  Filz  gearbeitet,  in  der  Mitte  des  Zeltraumes  steht  der 
offene  Herd,  die  Leute  schlafen  auf  Renntierfellen  unter  Moskitosnetzen. 
Der  Lappe  verfertigt  seine  Kleider  aus  Renntierpelzon,  seine  Löffel  und  Werk- 
zeuge aus  Renntierhorn,  seine  Fäden  aus  Renntiersehnen.  Seine  Speise  ist 
fast  ausschliefslich  Renntier-Fleisch  und  -Milch  nebst  Kaffee.  Er  trinkt  näm- 
lich Kaffee  so  oft  er  nur  kann. 

Wird  der  Lappe  durch  Raubtiere  oder  Schnaps  seiner  Herde  beraubt, 
so  läfst  er  sich  nieder  als  Fischer.  Die  Fischerlappen  mischen  sich,  weil  sie 
sefshaft  sind,  leichter  mit  den  Nachbarvölkern  als  die  Nomaden. 

Alle  Lappen  sind  gutherzig  und  meist  auch  ehrlich.  Dire  Heimat 
lieben  sie  vor  allem.  Sie  sind  aber  wehmütiger  Natur,  als  wüfsten  sie,  dafs 
sie  ein  sterbendes  Volk  sind. 

Geographische  Literatur  über  Finland 

Atlas  de  Finlande.    Helsingfors  1899. 
Finland  im  19.  Jahrhundert.  Helsingfors. 
Notice  sur  la  Finlande.    Helsingfors  1900. 

W.  Karasay,  Finland«  geologiska  utveckling,  trän   istiderna   intill  vara 

dagar.    Heliiingfora  1900. 
Bulletin  de  la  CoinmisHion  Geologique  de  la  Finlande.  Helsingfors. 
Fennia,  Bulletin  de  la  Socn-te"  de  Geographie  de  Finlande.  Helsingfors. 
Meddelanden  af  Oeografiska  föreningen  i  Finland.  Helsingfors. 
Geografiska  föreningen 8  tidskrift.    Ked.  Dr.  J.  K.  Kosberg.  Helsingfors. 


Über  die  Uiitersnchnng  nnd  Darstellung  der  Beviilkernngsdiehte. 

Von  Alfred  Hettner. 

Dafs  die  Verteilung  der  Bevölkerung  nach  ihren  Zahlenverhältnissen, 
auch  ganz  abgesehen  von  ihrer  Veränderung,  von  ihrer  Gliederung  nach 
Alter  und  Geschlecht,  nach  Nationalität  und  Religion,  nach  sozialen  Klassen, 
Berufs-  uud  Erwerbsverhültnissen,  einen  der  wichtigsten  Gegenstände  der 
geographischen  Betrachtung  des  Menschen  bildet,  ist  allgemein  anerkannt,  und  es 
herrscht  heute  auch,  wenigstens  in  geographischen  Kreisen,  allgemeine  Überoin- 


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Ober  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  499 

Stimmung  darüber,  dafs  eine  entsprechende  Darstellung  der  Bevölkerungsverteilung 
weder  durch  statistische  Tabellen  noch  durch  die  sogenannten  Kartogramme, 
welche  einen  Flächenton  über  ganze  Provinzen  und  Staaten  ausbreiten,  sondern 
nur  durch  wirkliche  Karten  gegeben  werden  kann,  die  sich  von  den  politischen 
Einteilungen  freimachen  und  auch  in  die  Einzelheiten  eindringen.  In  allen 
Atlanten,  die  sich  nicht  auf  topographische  Karten  beschränken,  finden  wir 
Karten  der  Bevölkerungsdichte,  und  für  viele  Länder  und  Landschaften  sind 
in  den  letzten  Jahrzehnten  Bevölkerungskarten  gröfseren  Mafsstabes  gezeichnet 
worden.  Aber  über  die  Methode  dieser  Bevölkerungskarten,  besonders  der 
Bevölkerungskarten  gröfseren  Mafstabes,  gehen  die  Meinungen  noch  vielfach 
aus  einander,  und  eine  vergleichende  Betrachtung  läfst  bald  erkennen,  dafs 
die  Methode  fast  jeder  Karte  eine  andere  ist.  Eine  kritische  Prüfung  der 
bisher  angewandten  und  der  überhaupt  möglichen  Methoden  ist  mir  daher 
seit  Jahren  als  eine  lohnende  Aufgabe  erschienen,  der  ich  mich  immer  von 
neuem  zugewandt  habe;  und  gerade  die  seitdem  erschienenen  Karten  haben 
mich  in  diesem  Gedanken  noch  bestärkt,  da  sie  zwar  die  Methode  in  einer 
bestimmten  Richtung  immer  mehr  vervollkommnet  haben,  da  aber  gerade 
dadurch  die  Gefahr  nahe  gelegt  ist,  dafs  der  von  ihnen  begangene  Weg  nun 
für  den  einzig  gangbaren  gehalten  werde.  Meine  Absicht  ist  aber  nicht, 
eine  Übersicht  der  vorhandenen  Untersuchungen  und  Darstellungen  zu  geben, 
wofür  ich  auf  die  wertvollen  Zusammenstellungen  und  Besprechungen  von 
Küster  und  Neukirch1)  verweisen  kann,  sondern  vielmehr  die  Grundsätze 
in  allgemeiner  Weise  zu  erörtern.  Wenn  ich  mich  dabei  manchen  Bestrebungen 
gegenüber  kritisch  verhalte,  so  möchte  ich  die  Kritik  nicht  als  Tadel  auf- 
gefaßt wissen;  jeder  Nachfolger  lernt  nicht,  nur  von  den  positiven  Leistungen, 
sondern  auch  von  den  Fehlern  seiner  Vorgänger;  diese  haben  vielleicht  schon 
während  der  Arbeit  selbst  erkannt,  dafs  ihr  Verfahren  in  mancher  Beziehung 
unzweckmäfsig  war,  und  waren  nur  in  der  Arbeit  schon  zu  weit  fortgeschritten, 
als  dafs  sie  es  noch  hätteu  ändern  können;  sie  wissen  jetzt  ebensogut  wie 
ein  fremder  Beurteiler,  wie  sie  die  Darstellung  besser  angelegt  hätten.  Es 
kommt  mir  hier  ganz  und  gar  nicht  auf  eine  Kritik  der  einzelnen  Arbeiten, 
sondern  nur  auf  eine  Beurteilung  der  verschiedenen  möglichen  Methoden  an. 
Mein  Wunsch  ist  dabei,  vor  der  Wiederholung  gewisser  Fehler  zu  warnen 
und  auf  einzelne  Gesichtspunkte  hinzuweisen,  die  meines  Wissens  bisher  noch 
nicht  berücksichtigt  worden  sind. 

I.  Die  Begriffe. 

Die  Aufgabe  besteht  darin,  die  Verteilung  der  Menschen  auf  der  Erd- 
oberfläche oder  vielmehr  - —  das  scheint  mir  wenigstens  die  geographischere 
Wendung  der  Aufgabe  zu  sein  —  die  Ausstattung  der  verschiedenen  Stücke 
der  Erdoberfläche  mit  Menschen  kennen  zu  lernen,  zu  erklären  und  auf  der 


1)  Küster,  Zur  Methodik  der  Volksdichtedarstellungen.  Ausland  Bd.  64  (1891) 
Nr.  8  u.  9.  —  Neukirch,  Studien  über  die  Darstellbarkeit  der  Volksdichte.  iFrei- 
burger  Difs.)  Braunschweig  1897.  Ich  bin  Herrn  Dr.  Neukirch  auch  für  ver- 
schiedene briefliche  Hinweisungen  zu  grofsem  Dank  verpflichtet. 

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500 


Alfred  Hettner: 


Kart«  darzustellen.  Der  geschichtliche  Gang  der  Forschung  ist  der  gewesen, 
dafs  man  zuerst  gröfsere  Landnachen  fibersichtlich  dargestellt  hat  und  dann 
allmählich  zur  genaueren  Betrachtung  kleinerer  Gebiete  fortgeschritten  ist. 
Dieser  Gang  ergab  sich  aus  der  Natur  der  Sache,  da  es  am  wichtigsten  war, 
zuerst  die  grolsen  Unterschiede  der  Bevölkerungsverteilung  aufzufassen,  da  man 
hier  auch  bei  der  Darstellung  auf  keine  Schwierigkeiten  stiefs,  und  da  man 
dabei  leicht  zu  greifbaren  Ergebnissen  gelangte.  Aber  wenn  wir  uns  vor- 
stellen, dafs  wir  heute  die  ganze  Aufgabe  in  vollkommener  Weise  zu  lösen 
versuchten,  so  dürften  wir  doch  nicht  den  Weg  fortschreitender  Zergliederung 
betreten,  der  uns  zum  Schlufs  zu  den  Einzelthatsachen  führt,  sondern  müfsten 
vielmehr,  nach  den  Gesetzen  der  induktiven  Methode,  von  den  Einzelthat- 
sachen, wie  sie  durch  die  unmittelbare  Beobachtung  festgestellt  worden  sind, 
und  möglichst  getreuen,  in  grofsem  Malsstabe  gehaltenen  Abbildungen  der 
Wirklichkeit  ausgehen  und  von  da  erst  in  allmählicher  Genoralisierung  zur 
übersichtlichen  Auffassung  und  zu  Abbildungen  in  kleinerem  Mafsstabe  fort- 

Diesem  Grundsatze  gemäfs  müssen  wir  mit  Ratzel1)  davon  ausgehen,  dafs 
die  Menschen  nicht  gleichmäfsig  über  die  Fläche  verteilt  sind,  wie  es  der  Begriff 
der  Bevölkerungsdichte  voraussetzt,  sondern  in  einzelnen  Anhäufungen  leben. 
Streng  genommen  müfsten  wir  für  joden  einzelnen  Menschen  die  Stelle  an  der 
Erdoberfläche  feststellen,  an  der  er  sieb  im  Augenblicke  der  Zählung  befindet. 
Selbstverständliche  praktische  Rücksichten  lassen  uns  vom  einzelnen  Menschen 
sofort  zum  Wohnplatz  übergehen;  aber  der  Wohnplatz  darf  für  uns  dabei 
nicht  der  Häuserkomplex,  womit  Ratzel  und  Buschik  etwas  Fremdes  in 
die  Bevölkerung9karte  hineingebracht  haben,  sondern,  wie  Gloy  richtig  er- 
kannt hat,  nur  der  Inbegriff  einer  bestimmten  Zahl  von  Menschen  sein  und 
ist  als  solcher  auf  der  Karte  einzutragen2).  Die  Karte  der  Bevölkerungs- 
verteilung ist  also,  wie  ich  schon  in  einem  früheren  Aufsatz  näher  aus- 
geführt habe3),  zunächst  eine  Karte  der  einzelnen  Menschenanhiiufungen 
oder  Wohnplätze.  Nur  sie  entspricht  allen  Anforderungen  der  Wissenschaft 
und  auch  der  Praxis,  denn  nur  sie  ist  im  Stande,  alle  Beziehungen  des 
Menschen  im  Raum  zu  klarer  Auffassung  zu  bringen;  ich  habe  sie  deshalb 
als  bevölkerungsstatistische  Grundkarte  bezeichnet.  Im  einzelnen 
können  allerdings  über  die  Auffassung  des  Begriffes  Menschenanhäufung  oder 
Wohnplatz  Zweifel  entstehen;  als  allgemeine  Richtschnur  gilt,  dafs  man  lieber 
in  der  Trennung  als  in  der  Zusammenfassung  zu  weit  gehen  soll,  ja  man 
wird  von  vornherein  eine  Zerlegung  gröfserer  Städte  in  Stadtteile  ins  Auge 
fassen  dürfen;  denn  diese  zeigen  oft  sehr  verschiedene  Wohnverhältnisse,  die 
für  ihr  ganzes  Wesen  bezeichnend  sind,  und  es  erscheint  mir  als  unnütze 


1)  A.  Ratzel,  Anthropogeographie.   II.  Bd.   Stuttgart  1891  S.  186  ff. 

2)  Wenn  man  auf  die  Darstellung  der  Einwohnerzahl  der  Wohnplätze  verziehtet, 
so  wird  aus  der  Bevölkerungskartc  eine  Siedelungakarte,  der  aber  neben  der 
gewöhnlichen  topographischen  Karte  kaum  ein  selbständiger  Wert,  zukommen  durfte. 
Au«  dem  VerhältniH  der  Anzahl  der  Siedelungen  zur  Grölse  dei  Fläche  ergiebt  »ich 
der  Begriff  der  Siedclungsdichte,  vgl.  Wagner,  Lehrbuch  I  S.  774  f. 

3)  Uber  bevölkerungsstatistische  Grundkarten.    G.  Z.  VI  (1900)  S.  185  ff. 


Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  501 


methodische  Pedanterie,  eine  solche  Spezialbetrachtung  der  Städte  aus  der 
geographischen  Betrachtung  auszuschliefsen. 

Bei  dieser  Darstellung  der  einzelnen  Menschenanhäufungen  oder  Wohn- 
plätze kann  natürlich  auch  auf  die  Gliederung  der  Bevölkerung  nach  Nationalität, 
Religion  und  namentlich  auch,  was  für  spatere  Betrachtungen  wichtig  ist,  nach 
Berufs-  und  Erwerbsverhältnisson  Rücksicht  genommen  werden.  Es  kann 
durch  die  verschiedene  Färbung  oder  Zeichnung  der  die  Wohnplätze  be- 
zeichnenden Rechtecke  oder  Kreise,  oder  der  Stücke,  in  welche  man  sie 
zerlegen  kann,  zum  Ausdrucke  gebracht  werden,  welcher  Nationalität  oder 
Religion  oder  Berufe-  und  Erwerbsklassen  die  Bevölkerung  angehört,  und 
es  können  so,  besonders  durch  die  letzte  Unterscheidung,  die  Beziehungen  znm 
Boden  und  anderen  natürlichen  Hilfsquellen  oder  zur  Lage  des  Platze«  oder 
auch  umgekehrt  seine  Bedeutung  für  Verkehrs-  und  andere  gemeinnützige 
Anlagen  oder  auch  seine  politische  Bedeutung  viel  deutlicher  erkannt  werden1). 
Ich  bin  überzeugt,  dafe  eine  Durchführung  dieser  Darstellungsweise  in  den 
verschiedensten  Richtungen  gute  Ergebnisse  zeitigen  würde,  und  wenn  man 
dem  gegenüber  auf  den  grofsen  Zeit-  und  Kostenaufwand  solcher  Arbeiten 
hinweist,  so  brauchen  wir  uns  doch  blofs  daran  zu  erinnern,  dafs  die  Auf- 
nahme genauer  topographischer  und  geologischer  Karten  mit  noch  unendlich 
viel  gröfserem  Arbeits-  und  Kostenaufwand  verknüpft  ist  und  trotzdem  durch- 
geführt wird.  Ehe  wir  uns  nicht  daran  gewöhnen,  die  Ergebnisse  der 
statistischen  Aufnahmen  statt  in  Tabellen  mehr  und  mehr  in  der  doch  allein 
der  Wirklichkeit  entsprechenden  Form  von  Spezialkarten  niederzulegen,  werden 
wir  zu  keiner  klaren  Einsicht  in  die  Einzelheiten  der  Bevölkerungsverteilung 
gelangen  können. 

Wenn  verschiedene  Kritiker  den  bevölkerungsstatistischen  Grundkarten 
Mangel  an  Übersichtlichkeit  vorwerfen,  so  vergessen  sie  eben,  dafs  dieser 
Mangel  an  Übersichtlichkeit  in  der  Natur  liegt,  und  dafs  Übersichtlichkeit 
überhaupt  meist  erst  durch  die  wissenschaftliche  Generalisation  herbeigeführt 
wird.  Die  genannten  Karten  sollen  ein  möglichst  getreues  Abbild  der  Natur 
sein  oder  vielmehr  eine  Abstraktion  von  der  Natur,  insofern  sie  sich  auf  die 
Zahlenverhältnisse  der  Bevölkerung  beschränken  und  alles  andere  bei  Seite 
lassen.  Aber  sie  bilden  die  beste,  fast  möchte  ich  sagen,  die  einzigo 
sichere  Grundlage  aller  möglichen  Generalisationen,  die  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  schon  der  tiberschauende  Blick  vornimmt,  deren  strengere  Durchführung 
aber  die  Aufgabe  besonderer  Karten  ist.  Schon  die  Notwendigkeit,  die 
Bevölkerungsverb ältnisse  gröfserer  Erdräume  in  kleinerem  Mafsstabe  darzu- 
stellen, macht  eine  Generalisation  nötig,  denn  die  Darstellung  der  einzelnen 
Wohnplätze  läfst  sich  natürlich  nur  in  größerem  Mafsstabe,  in  den  Kultur- 
ländern wohl  selten  in  kleinerem  Mafsstabe  als  etwa  1:300000,  durchführen. 
Die  generalisierten  Karten  sind  mit  allen  Vorteilen  und  Nachteilen  der 
Generalisation  behaftet;  sie  lassen  viele  allgemeine  Vorhältnisse  viel  rascher 
und  klarer  erkennen,  versagen  aber,  wenn  es  auf  die  Erkenntnis  der  Einzel- 


1)  Nilher  werde  ich  dienen  Oednnken  demnlichst  in  einem  Aufsätze  Aber  die 
wirtschaftlichen  Typen  der  Ansiedelungen  ausführen. 


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o02 


Alfred  Hettner: 


heiten  ankommt  Es  ist  ein  grofses  Verdienst  Ratzels,  dafs  er  den 
üblichen  generalisierten  Karten  gegenüber  energisch  auf  die  Karten  der  Wohn- 
plätze  hingewiesen  hat;  jedoch  ist  er,  in  einer  gewissen  Verkennung  des  Wesens 
der  Generalisation  und  einer  Unterschätzung  ihrer  Bedeutung,  den  generali- 
sierten Karten  nicht  gerecht  geworden,  wenn  er  sie  als  statistische  Karten 
den  eigentlich  geographischen  Karten  der  Wohnplätze  gegenüberstellt. 

Man  kann  bei  der  Generalisation  verschiedene  Wege  einschlagen. 

Mitunter  hat  man  die  Vereinfachung  in  der  Weise  zu  erreichen  gesucht, 
dafs  man  die  kleineren  Wohnplätze  einfach  weggelassen  und  sich  auf  die 
Darstellung  der  gröfseren  beschränkt  hat.  Dies  Verfahren  ist  auf  den  ge- 
wöhnlichen topographischen  Karten  ganz  am  Platze,  dagegen  würde  es  für 
Bevölkerungskarten  nur  dann  berechtigt  sein,  wenn  die  Zahl  der  gröfseren 
Ortschaften  der  Gesamtzahl  der  Bevölkerung  proportional  wäre,  was  bekannt- 
lich nicht  der  Fall  ist 

Wohl  aber  kann  man  die  Bevölkerungszahlen  gröfserer  Einheiten  au- 
geben. Solche  Angaben  sind  besonders  für  gröfsere  politische  Einheiten 
üblich,  weil  sich  der  Mechanismus  der  Zählung  an  die  politischen  Einheiten 
anschliefst,  und  weil  deren  Bevölkerungszahlen  für  Verwaltungszwecke  und 
teilweise  auch  unter  höheren  politischen  Gesichtspunkten  wichtig  sind.  Einen 
wissenschaftlichen  Wert  haben  einerseits  die  Bevölkerungszahlen  der  kleinsten 
Einheiten,  der  Gemeinden,  weil  sie  meist  geschichtlich  gegebene  Lebens- 
einheiten sind  und  sich  auch  verhältnismäfsig  wenig  von  den  Wohnplätzen 
unterscheiden,  ja  oft  mit  ihnen  zasammenfallen ,  andererseits  die  Bevöl- 
kerungszahlen der  selbständigen  Staatsgebilde,  weil  sie  zur  Beurteilung  von 
deren  Machtverhältnissen  wichtig  sind;  dagegen  dürfte  den  Bevölkerungs- 
zahlen der  Provinzen,  Regierungsbezirke,  Kreise  u.  s.  w.  ein  selbständiger 
wissenschaftlicher  Wert  nur  in  geringem  Mafse  innewohnen.  Die  Bevöl- 
kerungszahlen anderer  als  der  staatlichen  Gebictscinheiten  werden  seltener 
ausgerechnet,  dürften  aber  uuter  Umständen  auch  Beachtung  verdienen:  so 
die  Bevölkerungszahlen  zusammenhängender  Nationalitäts-  oder  Religions- 
gebiete, auch  wenn  sie  staatlich  aufgeteilt  sind,  oder  die  Bevölkerungszahlen 
gewisser  Industrie-  oder  anderer  Wirtschaftsgebiete,  deren  Kenntnis  z.  B.  zur 
Beurteilung  der  Rentabilität  von  Kanal-  oder  Eisenbahnbauten  wichtig  ist, 
oder  auch  die  Bevölkerungszahlen  orographischer,  klimatischer  und  anderer 
natürlicher  und  kultureller  Gebiete,  weil  sie  zeigen,  wieviel  Menschen  unter 
gewissen  Lebensbedingungen  leben  und  damit  bestimmte  wirtschaftliche  und 
kulturelle  Interessen  haben.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  man  diese 
absoluten  Bevölkerungszahlen  nicht  auf  eigentlichen  Karten,  sondern  nur  in 
Diagrammen  darstellen  kann,  die  man  aber  unter  Umständen  in  eine  Karte 
hineinlegen  und  dadurch  der  geographischen  Vergleichung  zugänglicher  machen 

Ich  glaube,  dafs  die  absoluten  Bevölkerungszahlen  natürlicher  und  kultu- 
reller Einheiten  mitunter  zu  wenig  gewürdigt  worden  sind  und  bei  manchen 
Untersuchungen,  bei  denen  man  von  der  Bevölkerungs dichte  ausgegangen  ist, 
eine  bequemere  Grundlage  als  diese  bieten.  Aber  meistens  sind  sie  unge- 
nügend, weil  sie  die  Beziehungen  des  Menschen  zur  Gröfse  des  Raumes,  der 


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Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevöl kerungsdichte.  503 


ihm  zur  Verfügung  steht,  auf  dem  er  lebt,  den  er  bearbeitet,  von  dem  er 
sich  nährt,  nicht  erkennen  lassen,  und  weil  sie  daher  auch  keine  Vergleichung 
der  Bevölkerung  verschiedener  Gebiete  nach  ihren  Raumverhältnissen  erlauben. 
Hierzu  brauchen  wir  relative  Bevölkerungszahlen,  d.  h.  die  Angabe 
der  Bevölkerung  im  Verhältnis  zur  Gröfse  der  Fläche;  erst  durch  sie  erhält 
man  bestimmte,  auf  die  Flächeneinheit  bezogene  und  dadurch  vergleichbare 
Zahlenwerte. 

Man  kann  die  relative  Bevölkerung  auf  drei  verschiedene  Weisen 
ausdrücken1):  man  berechnet  entweder  die  Zahl  der  Flächeneinheiten,  z.  B. 
der  Hektare,  welche  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  kommen  (Fläch en- 
ausstattung),  oder  die  mittlere  Entfernung,  welche  sich  bei  der  Annahme 
einer  gleichmäfsigen  Verteilung  der  Menschen  über  die  Fläche  je  zwischen 
zwei  Menschen  ergiebt  (mittleres  Abstandsverhältnis)  oder  die  Zahl  der 
Menschen  auf  der  Flächeneinheit  (Bevölkerungsdichte*)).  Von  diesen  drei 
Ausdrucksweisen  wird  die  Bevölkerungsdichte  am  meisten  angewandt  und  ist 
auch  die  geographischste,  weil  sie  nicht  vom  Menschen,  sondern  vom  Räume 
und  seiner  Ausstattung  ausgeht. 

Aber  es  erhebt  sich  nun  sofort  die  Frage:  mit  welchem  Rechte  und  in 
welcher  Weise  kann  man  die  Bevölkerung  überhaupt  auf  eine  bestimmte 
Fläche  beziehen?  Solange  man  die  Verteilung  der  Bevölkerung  nur  tiber- 
sichtlich behandelte  und  auf  Karten  kleinen  Mafsstabes  darstellte,  stiefs  man 
auf  keine  Schwierigkeiten.  Man  betrachtete  das  Land  und  seine  Bevölkerung 
gleichsam  aus  grofser  Entfernung,  so  dafs  der  Unterschied  zwischen  den 
eigentlichen  Wohnstätten,  Feld  und  Wald  ganz  verschwand,  die  verschiedenen 
Wohnplätze  an  einander  rückten  und  eine  zusammenhängende  Fläche  bildeten, 
die  nur  noch  Intensitätsabstufungen  zeigte.  Mit  Ausnahme  der  Grofsstädte, 
die  sich  als  Punkte  besonderer  Intensität  heraushoben  und  die  man  bald 
ausscheiden  lernte,  konnte  man  die  ganze  Bevölkerung  arglos  auf  die  von 
ihr  bedeckte  Fläche  beziehen.  Als  man  jedoch  zu  eingehenderer  Behandlung 
überging,  den  Standpunkt  der  Betrachtung  in  geringerer  Entfernung  nahm, 
schieden  sich  die  Wohnplätze  und  die  unbewohnten  Flächen  von  einander 
ab,  und  immer  mehr  Ortschaften  hoben  sich  gleichsam  als  Fremdkörper  aus 
ihrer  Umgebung  heraus  und  mufsten  ausgeschieden  werden.  Der  Begriff 
der  Bevölkerungsdichte  wurde  immer  schwerer  falsbar  und  nahm  allmählich 
eine  andere  Form  an.  Man  fing  an,  die  Zahl  der  Menschen  nicht  auf  das 
ganze  Land,  sondern  auf  dasjenige  Land  zu  beziehen,  auf  dem  sie  sich 
dauernd  bewegen,  auf  dem  sie  ihren  Erwerb  finden,  aus  dem  sie  ihre  Nahrung 
schöpfen.  Man  begann  also,  den  Wald  und  das  Ödland  auszuscheiden  und 
die  Zahl  der  Menschen,  mit  einem  gewissen  Abzug  für  die  Bewohner  des 
Waldes,  nur  noch  auf  das  Kulturland  zu  verrechnen.  Bei  dieser  Ausscheidung 
verfuhr  man  jedoch  auf  die  verschiedenste  Weise,  so  dafs  der  Begriff  „Kultur- 

1)  Vergl.  \.  Mayr,  Theoretische  Statistik.   Freiburg  i.  B.  189ft,  S.  37. 

2)  Man  hat  die  relative  Bedeutung  des  Begriffes  Bevölkerungsdichte  zu  oft 
aus  dem  Auge  verloren  und  ihn  fälschlich  für  Bevölkerung  schlechthin  angewandt ; 
es  ist  ein  Widerspruch,  von  einer  absoluten  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte 
zu  reden. 


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504 


Alfred  Hettner: 


land44  kaum  in  zwei  Arbeiten  die  gleiche  Bedeutung  hat  und  von  einer  Ver- 
gleichbarkeit der  dadurch  gewonnenen  Werte  der  Bevölkerungsdichte  nicht 
die  Rede  ist.  Erst  später  nahm  man  auch  eine  Gliederung  der  Bevölkerung 
vor:  man  schied  die  Bergbau,  Gewerbe  und  Handel  treibende  Bevölkerung, 
die  ja  von  der  Fläche  des  Kulturlandes  unabhängig  ist,  aus  der  Betrachtung 
aus,  betrachtete  sie  für  sich,  und  bezog  auf  die  Fläche  nur  noch  die  land- 
uud  forstwirtschaftliche  Bevölkerung,  für  die  man  den  nicht  sehr  glücklichen 
Ausdruck  „bodenständige  Bevölkerung11  einführte. 

So  ist  man  allmählich  zu  zwei  verschiedenen  Auffassungen  und  An- 
wendungen des  Begriffes  „Bevölkerungsdichte"  gelangt;  aber  man  ist  sich 
dessen  leider  nicht  immer  bewufst  gewesen  und  hat  deshalb  manchmal  die 
jeder  der  beiden  Auffassungen  eigentümlichen  Methoden  in  unzweckmäfsiger 
oder  geradezu  unzulässiger  Weise  mit  einander  vermengt. 

Die  ältere  und  eigentliche  Auffassung  der  Bevölkerungsdichte  bezieht 
die  Bevölkerung,  vielleicht  mit  einzelnen  Ausscheidungen,  aber  ohne  grund- 
sätzliche Unterscheidung  der  Erwerbsweisen,  auf  die  ganze  Fläche,  auf  der 
sie  wohnt.  Die  Karten,  die  auf  Grund  dieser  Auffassung  gezeichnet  werden, 
zeigen  also  die  Dichte  des  Wohnens  an,  und  man  kann  sie  deshalb  als  Karten 
der  eigentlichen  Bevölkerungsdichte  oder  Wohndichte1)  bezeichnen. 
Sie  beruhen  auf  einer  Generalisation ,  indem  man  von  dem  Unterschiede  der 
Wohnplätze  und  des  dazwischen  liegenden  unbewohnten  Landes  absieht.  Sie 
sind  daher  nur  in  kleinerem  Mafsstabe  möglich,  in  welchem  diese  Abstraktion 
nicht  unnatürlich  ist  In  gröfserem  Mafsstabe,  in  dem  Wohnplätze  und  un- 
bewohntes Land  deutlich  aus  einander  treten,  kann  man  die  Zahl  der  Bewohner 
nicht  mehr  relativ,  sondern  nur  absolut  darstellen,  mufs  man  also  bei  den 
Karten  der  einzelnen  Wohnplätze,  den  bevölkerungsstatistischen  Grundkarten, 
stehen  bleiben. 

Die  andere  Auffassung  der  Bevölkerungsdichte  geht  sofort  über  den 
Begriff  des  Wohnens  hinaus  und  fafst  die  Frage  ins  Auge,  wieviele  Menschen 
aus  einer  gegebenen  Fläche  ihren  Erwerb  ziehen,  auf  ihr  direkt  oder  indirekt 
ihren  Lebensunterhalt  finden.  Ich  will  dieses  Verhältnis  als  Krwerbsdich te 
bezeichnen,  da  ich  eine  bessere  Bezeichnung  leider  nicht  gefunden  habe. 
Karten  der  Erwerbsdichte  sind  bisher  nur  in  gröfserem  Mafsatab,  am  voll- 
kommensten von  Sand ler8),  gezeichnet  worden  und  werden  sich  wohl  auch 
nur  in  gröfserem  Mafsstabe  ausführen  lassen.  Sie  erfordern,  wenn  sie  ihren 
Zweck  erfüllen  sollen,  eine  eindringende  Zergliederung  sowohl  der  Bevölkerung 
nach  ihren  Berufs-  und  Erwerbsverhältnissen  wie  des  Bodens  nach  seiner 
Kultur.  Eine  Anzahl  von  Arbeiten  haben  freilich,  wie  wir  gesehen  haben, 
von  einer  Gliederung  der  Bevölkerung  nach  Erwerbsarten  Abstand  genommen, 


1)  Die  Wohndichte  bezeichnet  die  Zahl  der  Menschen,  die  auf  der  Flächen- 
einheit wohnen.  Ett  liegt  daher  wohl  kein  Grund  vor,  diesen  Begriff  mit  H.  Wagner 
(Lehrbuch  S.  771)  auf  das  Wohnen  innerhalb  des  Weichbildes  der  Städte  zu  be- 
schränken. Indessen  kommt  es  auf  den  Ausdruck,  den  ich  vor  dem  Erscheinen 
von  Wagner*»  Buch  gebildet  hatte,  nicht  an. 

t)  Sundler,  Chr.,  Volkskarten.  München,  Oldenbourg,  1899.  Vergl.  meine 
Besprechung  G.  Z.  V  (1899)  S.  660. 


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Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  505 

weil  sie  zu  umständlich  erschien,  und  die  ganze  Bevölkerung  mit  Ausnahme 
der  gröfseren  Ortschaften  auf  das  Kulturland  bezogen;  aber  dies  Verfahren 
ist,  wenn  es  auch  bei  rein  landwirtschaftlicher  Bevölkerung  unschädlich  ist  — 
Sprecher  v.  Bernegg  ist  darum  auf  die  Bevölkerung  des  Jahres  1820 
zurückgegangen,  in  dem  Gewerbe  und  Handel  noch  unbedeutend  waren  — , 
doch  theoretisch  irrationell  und  in  Gegenden  mit  gemischten  wirtschaftlichen 
Verhältnissen,  wie  mir  scheint,  durchaus  zu  verwerfen;  denn  was  haben  die 
bergbauliche  und  die  industrielle  Bevölkerung  mit  der  Fläche  des  Kultur- 
landes zu  thun? 

Die  Auffassung  der  Erwerbsdichte  wird  bei  einer  in  die  Einzelheiten 
eindringenden  und  bei  einer  mehr  übersichtlichen  Untersuchung  etwas  ver- 
schieden sein  müssen.  Bei  speziellerer  Betrachtung,  also  in  Karten  großen 
Mafsstabes,  wie  sie  besonders  Küster  gefordert  und  Sand ler  ausgeführt 
hat,  darf  man  nur  den  Teil  der  Bevölkerung,  der  unmittelbar  die  Pflanzen- 
und  Tierwelt  des  Landes  ausbeutet,  unter  unseren  Kulturverhältnissen  also 
die  land-  und  forstwirtschaftliche  Bevölkerung,  auf  dio  Fläche  beziehen. 
Man  hat  diesen  Teil  der  Bevölkerung  als  „bodenständige"  Bevölkerung  be- 
zeichnet, aber  diese  Bezeichnung  ist  wohl  nicht  sehr  glücklich  gewählt,  da 
man  bei  dem  Worte  „bodenständig"  sonst  den  Gegensatz  zu  „bodenvag"  im 
Auge  hat;  man  vergegenwärtige  sieh  nur,  dafs  aufser  den  Ackerbauern  auch 
die  nomadisierenden  Hirten  und  schweifenden  Jäger  unter  den  hier  beliebten 
neuen  Begriff  der  Bodenständigkeit  fallen  würden.  Eher  würde  mir  der  Ausdruck 
„flächenständig"  geeignet  erscheinen,  denn  er  bezeichnet  gut  den  Gegensatz 
zur  orts-  oder  punkt-  oder  auch  linienständigen  Bevölkerung,  welche  mit  der 
Fläche  nichts  zu  thun  hat,  sondern  nur  von  dem  Auftreten  von  Mineral- 
vorkommen, von  Wasser-  und  anderen  Triebkräften  oder  von  Lagevorteilen 
abhängig  ist.  Man  mufs  aber  weiter  beachten,  dafs  sich  der  Gegensatz  von 
flächen-  und  ortsständiger  Bevölkerung  bei  der  entwickelten  Arbeitsteilung 
unserer  Kulturländer  nicht  mehr  mit  dem  Gegensatz  der  Berufs-  und  Erwerbs- 
arten deckt,  dafs  in  ihnen  vielmehr  zur  flächenständigen  Bevölkerung  auch 
eine  Anzahl  von  Hilfsberufen,  wie  Krämer  und  Handwerker,  Lehrer  und 
Geistliche,  gehören,  die  wir  in  jedem  Dorf,  auch  in  rein  landwirtschaftlichen 
Gegenden,  finden1).  Sandler  hat  mit  Recht,  wenn  auch  ohne  diese  theoretische 
Begründung,  die  nicht  landwirtschaftliche  Bevölkerung,  wenn  sie  einen  ge- 
wissen Betrag  nicht  übersteigt,  einfach  dieser  zugerechnet.  Eine  scharfe  Unter- 
scheidung zwischen  selbständigen  oder  primären  Erwerbsarten  und  den  Hilfs- 
erwerben läfst  sich  allerdings  nicht  ziehen,  und  die  Unterscheidung  ändert 
sich  auch,  wenn  wir  zur  übersichtlichen  Auffassung  in  Karten  kleineren  Mafs- 
stabes übergehen.  Auf  solchen  können  wir  auch  die  Bevölkerung  der  Land- 
städte und  dann  auch  gröfscrer  Stadt«  nur  noch  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der 
Landwirtschaft  treibenden  Bevölkerung  und  damit  von  der  Fläche  auffassen, 
müssen  wir  sie  also  zu  den  Hilfsberufen  und  damit  zu  der  flächenständigen 
Bevölkerung  rechneu.  Die  bergbauliche  und  industrielle  Bevölkerung  behält 
zwar  ihre  Selbständigkeit,  aber  es  ist  nicht  mehr  möglich,  ihre  Ortsständigkeit 


1)  Diener  Gesichtspunkt  wird  in  dem  angegebenen  Aufsatz  näher  erörtert  werden. 


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50G 


Alfred  Hettner: 


auszudrucken;  wir  werden  sie  also  entweder  von  einer  gewissen  Kleinheit 
des  Mafsstabes  an  mit  der  flach enständigen  Bevölkerung  zusammenfassen 
und  damit  das  ganze  Prinzip  aufgeben  oder  auch  für  sich  in  generalisierender 
Weise  behandeln  müssen.  Karten  der  Erwerbsdichte  sind  also,  wenigstens 
nach  der  bisher  ausgebildeten  Methode,  Uberhaupt  nur  in  gröfserem  Mafsstalx? 
(etwa  bis  1  :  1  Million)  möglich.  Solche  Karten  haben  sicher  einen  grofsen 
wissenschaftlichen  Wert;  aber  ihre  Herstellung  ist  leider  so  mühsam  und 
so  kostspielig,  dafs  sie  wohl  nie  über  gröfsere  Gebiete  werden  durchgeführt 
werden  können.  Man  wird  sich  auf  ausgewählte  kleine  Gebiete  beschränken 
müssen  und  sollte  dazu  Gebiete  wählen,  deren  Erwerbsverhältnisse  möglichst 
typisch  sind,  damit  die  Ergebnisse  allgemeinere  Bedeutung  haben.  Bis  zu 
einem  gewissen  Grade  wird  derselbe  Zweck  auch  durch  Karten  der  wirt- 
schaftlichen Typen  der  Ansiedelungen  erreicht,  wenn  sie  zugleich  die  Ein- 
wohnerzahlen enthalten.  Bei  kleinerem  Mafsstabe  müssen  wir  entweder  zur 
Darstellung  der  eigentlichen  Bevölkerungs-  oder  Wohndichte  oder  zu  einer 
generalisierenden  Darstellung  der  Erwerbsarten  übergehen,  wie  sie  bisher 
schon  üblich  war. 

Fassen  wir  diese  Erörterungen  kurz  zusammen,  so  ergiebt  sich  uns,  dafs 
wir  zwischen  mehreren  Begriffen  unterscheiden  müssen,  deren  jeder  eine 
besondere  Darstell ungs weise  erfordert: 

1.  Die  einzelnen  Menschenanhäufungen  oder  Wohnplätze  nach  ihrer 
Einwohnerzahl;  ihrer  Darstellung  dienen  die  bevölkerungsstatistischen  Grund- 
karten; sie  sind  nur  in  gröfserem  Mafsstabe  möglich. 

2.  Die  absolute  Bevölkerung  gröfserer  natürlicher,  kultureller  oder 
politischer  Gebiete. 

3.  Die  eigentliche  Bevölkerungs-  oder  Wohndichte,  welche  das  Verhältnis 
der  Bevölkerung,  ohne  Unterscheidung  der  Erwerbsklassen,  zum  ganzen 
bewohnten  Lande  angiebt;  sie  beruht  auf  einer  generalisierenden  Betrachtung 
der  Bevölkerungsverteilung  und  kann  daher  überhaupt  nur  auf  Karten 
kleineren  Mafsstabes  dargestellt  werden. 

4.  Die  Erwerbsdichte,  hei  der  die  Beziehung  des  Menschen  auf  die 
Fläche  eine  reale  Bedeutung  hat,  aber  nur  für  einen  Teil  der  Bevölkerung, 
die  man  deshalb  als  boden-  oder  flächenständige  Bevölkerung  bezeichnet, 
giltig  ist;  sie  erfordert  auch  eine  Zerlegung  der  Fläche  nach  Kulturarealen 
und  läfst  sich  daher  nur  in  gröfserem  Mafsstabe  in  einiger  Vollkommenheit, 
aber  nur  mit  grofsem  Aufwand  von  Mühe  und  Kosten  darstellen. 

Die  öfters  vorgenommene  Beziehung  der  gesamten  Bevölkerung  auf  das 
Kulturland  mufs  als  irrationell  bezeichnet  werden. 

Die  Karten  der  Menschenanhäufungen  oder  Wohnplätze,  also  die  bevölke- 
rungsstatistischen Grundkarten,  habe  ich  in  einem  früheren  Aufsatze  behan- 
delt Die  Diagramme  der  Bevölkerungszahl  gröfserer  Gebiete  bedürfen  kaum 
der  Erläuterung.  Für  Karten  der  Erwerbsdichte  kann  ich  auf  Sand ler 
verweisen.  In  diesem  Aufsatz  ( Abschnitt  III  )  sollen  der  Hauptsache  nach 
die    Karten    der    eigentlichen    Bevölkerungs-    oder    Wohndichte  besprochen 

1)  G.  Z.  VI  <1900)  S.  196  ff. 


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Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  507 

werden,  die  ja  auch  für  die  geographische  Betrachtung  grfiTserer  Gebiete  im 
Vordergrunde  stehen.  Zuvörderst  soll  jedoch  die  von  der  objektiven  Dar- 
stellung wohl  zu  unterscheidende  analytische  Untersuchung  der  Bevölkerungs- 
verhältnisse behandelt  werden. 

II.  Untersuchungen  über  die  Ursachen  der  Bevölkerung. 

Die  geographische  Betrachtung  bleibt  längst  nicht  mehr  bei  der  blofsen 
Beschreibung  stehen,  sondern  ist  auf  die  Erkenntnis  der  Ursachen  der  geo- 
graphischen Erscheinungen  gerichtet.  Wenn  sie  sich  dabei  nicht  mit  allgemein 
gehaltenen,  deduktiv  abgeleiteten  Bemerkungen  begnügen  will,  die  nur  zu  oft 
Trugschlüsse  enthalten,  so  ist  sie,  da  ihr  das  Experiment  nur  in  geringem 
Umfange  zur  Verfügung  steht,  auf  die  vergleichende  Methode  angewiesen, 
die  bei  ihr,  ihrem  Wesen  gemäfs,  iu  der  vergleichenden  Betrachtung  der 
Verteilung  der  geographischen  Erscheinungen  besteht.  Es  ist  eigentlich 
selbstverständlich,  aber  man  hat  es  öfters  verkannt,  dafs  die  Vergleichung 
nicht  immer  gleich  über  die  ganze  Erde  vorgenommen  zu  werden  braucht, 
sondern  sich  zunächst  auf  kleine  abgegrenzte  Gebiete  beschränken  kann. 
Wenn  man  also  auf  Grund  vorläufiger  Beobachtung  oder  Überlegung  annimmt, 
dafs  die  Bevölkerungsdicht«  von  einer  bestimmten  Erscheinung  der  Natur 
oder  Kultur  abhängig  sei,  wenn  man  beispielsweise  denkt,  dafs  sie  sich  mit 
der  Meereshöhe  vermindere,  so  kann  man  doch  diese  Annahmo  nicht  eher 
als  bewiesen  gelten  lassen,  ehe  man  nicht  die  Bevölkerung  der  einzelnen 
Höhenstufen  zahlenmäfsig  berechnet  und  durch  den  Vergleich  der  Bevölke- 
rungszahlen der  verschiedenen  Höhenstufen  die  allgemeine  oder  doch  vor- 
herrschende Giltigkeit  der  angenommenen  Regel  festgestellt  und  im  letzteren 
Falle  die  Ausnahmen  scharf  bestimmt  und  womöglich  in  ihren  Ursachen  er- 
klärt hat.  Nur  indem  man  die  verschiedenen  vermuteten  Ursachen  der 
Bevölkerung  nach  einander  auf  diese  Weise  untersucht,  kann  man  zu  ein- 
wandfreier wissenschaftlicher  Erkenntnis  gelangen.  Hier  liegt  noch  ein 
reiches  Feld  wissenschaftlicher  Thätigkeit  vor  uns.  Bisher  sind  nur  wenige 
Ansätze  einer  solchen  vergleichenden  bevölkerungsgeographischen  Betrachtung 
vorhanden,  wie  etwa  Ratze  Ts  übersichtliche  Aufstellung  der  Bevölkerungs- 
dichte der  grofsen  Natur-  und  Kulturgebiete  oder  die  Untersuchungen  über 
die  Höhengliederung  der  Bevölkerung  in  den  deutschen  Mittelgebirgen. 

Die  Untersuchung  kann  sich  der  Reihe  nach  auf  alle  geographischen 
Faktoren  erstrecken,  denn  es  dürfte  kaum  einen  geben,  der  nicht  in  ursäch- 
lichem Zusammenhange  mit  der  Bevölkerungsdichte  stände l).  Ähnlich  wie  der 
Physiker  bei  seinen  Experimenten  mitunter  aufs  Geratewohl  vorgehen  und 
dabei  zur  Aufdeckung  ungeahnter  Zusammenhänge  kommen  kann,  kann  auch 
der  Geograph  seine  Vergleichungen  aufs  Geratewohl  vornehmen  und  wird 
dabei  auch  gelegentlich  zu  interessanten  Ergebnissen  kommen  können.  Im 
allgemeinen  empfiehlt  es  sich  aber,  erst  zu  denken  und  dann  zu  rechnen, 
d.  h.  zuerst  durch  Überlegung  und  vorläufige  Vergleichung  den  Zusammen- 
hang qualitativ  festzustellen  und  dann  erst  zur  Berechnung  der  quantitativen 

1)  Vergl.  Ratzel,  Anthropogeographie  II  S.  187  u.  193. 


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508 


Alfred  Hettner: 


Werte  zu  schreiten.  Man  wird  dann  die  Untersuchung  von  vornherein  zweck- 
mäßiger anlegen  und  dadurch  nicht  nur  Zeit  sparen,  sondern  auch  zu 
klareren  schärferen  Ergebnissen  gelangen.  Man  wird  dann  namentlich  eine 
sohr  wichtige  Forschungsregel  beachten,  die  man  bei  anthropogeographi- 
schen  Untersuchungen  jeder  Art  bisher  vielfach  zu  sehr  vernachlässigt  hat, 
nämlich  nicht  gleich  die  Beziehungen  zu  entfernter  liegenden,  nur  mittelbar 
wirkenden  Ursachen  aufzusuchen,  sondern  vorerst  nur  auf  die  nächstliegenden 
Ursachen  zurückzugehen.  Beispielsweise  besteht  zweifellos  eine  Abhängigkeit 
der  Bevölkerungsdichte  von  der  Verteilung  der  Temperatur  und  der  Nieder- 
schläge; aber  ein  Vergleich  der  Bevölkerungskarten  mit  den  Temperatur- 
und  Niederschlagskarten  wird  doch  vielleicht  fast  ebensoviel  Ausnahmen 
wie  Bestätigungen  der  vorausgesetzten  Regeln  erkennen  lassen,  weil  sowohl 
Temperatur  wie  Niederschläge  je  nach  den  Umständen  verschieden  wirken. 
Es  kommt  sehr  auf  die  Verbindung  von  Temperatur  und  Feuchtigkeit  an; 
deshalb  wird  man  schon  viel  bessere  Ergebnisse  erhalten,  wenn  man  Karten 
der  Klimaprovinzen  zu  Grunde  legt,  wie  sie  früher  Supan  oder  neuerdings 
in  vollkommenerer  Weise  Koppen1)  unter  Berücksichtigung  aller  klimatischen 
Faktoren  entworfen  haben.  Der  Einflufs  des  Klimas  liegt  teilweise  in  seiner 
Einwirkung  auf  die  Gesundheitsverhältnisse  und  auch  auf  die  geistige  Spann- 
kraft des  Menschen  und  wird  darum  auch  in  dieser  Richtung  untersucht 
werden  müssen,  es  kommen  auch  noch  verschiedene  andere  nebensächliche 
Wirkungen  in  Betracht,  die  Hauptsache  aber  ist  die  klimatische  Bedingtheit 
der  Vegetation  und  damit  der  Landwirtschaft.  Man  wird  zunächst  also, 
wenn  man  die  Zwischenstufe  der  Wirtschaftsformen  einmal  überspringen  will, 
am  besten  thun,  eine  gute  Karte  der  natürlichen  Pflanzendecke  zu  Grunde 
zu  legen  und  die  Bevölkerungsdichte  der  verschiedenen  Vegetationstypen  und 
Vegetationsprovinzen  zu  berechnen.  Es  würde  sich  dabei  zweifellos  eine 
weitgehende  Abhängigkeit  der  Bevölkerung  von  der  natürlichen  Pflanzendecke 
ergeben;  aber  es  würden  sich  auch  viele  Ausnahmen  erkennen  lassen,  von 
denen  die  kleineren  auf  Einflüssen  des  Bodens  u.  s.  w.,  die  gröfseren  auf  dem 
geschichtlichen  Gang  der  Ausbreitung  der  Kultur  über  die  Erde  beruhen. 
Wir  würden  daraus  also  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  Möglichkeit  einer 
weiteren  Verdichtung  der  Bevölkerung  in  den  noch  unvollkommen  besiedelten 
Gegenden  erkennen. 

Es  kann  nicht  meine  Absicht  sein,  die  verschiedenen  Richtungen,  in 
welchen  die  Untersuchung  möglich  ist,  im  einzelnen  anzugeben;  ich  möchte 
nur  darauf  hinweisen,  dafs  man  dabei  bisher  mit  einer  gewissen  Einseitigkeit 
verfahren  ist  und  noch  keineswegs  alle  gangbaren  Wege  betreten  hat. 

Einen  gewissen  Einflufs  auf  die  Verdichtung  der  Bevölkerung  mufs  die 
Küstennähe  haben,  und  Mar  ine  Iii  hat  deshalb  bei  einer  Untersuchung 
Siziliens  die  Linien  gleichen  Küstenabstandes  zur  Berechnung  von  Zonen  der 
Bevölkerungsdichte  verwendet.  Noch  aussichtsreicher  wäre  es  wohl,  die  Küsten- 
gliederung in  dem  Sinne  von  F.  v.  Richthofen  und  F.  Hahn  morphologisch  zu 
—  m  „  -- 

1)  Köppen,  W.,  Versuch  einer  Klassifikation  der  Klimate.  G  Z.  VI  (190O) 
S.  593  ff.  u.  657  ff.    M  T.  VI  u.  VII. 


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Cber  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Be völkerungsdichtc.  509 

erfassen  und  die  Bevölkerungsdichte  jedes  solchen  Küstentypus  zu  berechnen ; 
der  aufschliefsende  oder  absperrende  Charakter  der  verschiedenen  Küsten 
würde  dann  wahrscheinlich  mit  grofser  Deutlichkeit  zu  Tage  treten.  Der 
Einflufs  der  Meereshöhe,  die  teils  durch  die  Veränderung  des  Klimas  und 
der  Pflanzenwelt  mit  der  Höhe,  vielfach  auch  durch  die  zunehmende  Schroff- 
heit der  Bodenformen  wirkt,  ist  für  eine  Anzahl  von  Gebieten  untersucht 
und  von  F.  v.  Andrian  und  von  Seitmann  in  einem  Überblick  über  die 
Erde  behandelt  worden;  mir  scheint,  dafs  eine  unter  diesem  Gesichtspunkte 
vorgenommene  eingehendere  Vergleichung  der  verschiedenen  deutschen  Mittel- 
gebirge oder  der  verschiedenen  Teile  der  Alpen  oder  verschiedener  Hoch- 
gebirge lohnende  Themata  böten.  Einzelne  Forschor  haben  den  Einflufs  des 
geologischen  Untergrundes  auf  die  Bevölkerungsdichte  zum  Gegenstand  der 
Untersuchung  gemacht;  sie  haben  aber  dabei  nicht  immer  beachtet,  dafs  sich 
dieser  Einflufs  in  verschiedenen  Richtungen  bewegt.  Die  Landwirtschaft 
hangt  hauptsächlich  von  der  oberflächlichen  Bodenbesch affenheit  ab;  man  darf 
sich  daher,  um  diesen  Einflufs  zu  erkennen,  nicht,  wie  Käsemacher  bei 
seiner  Untersuchung  der  Thüringer  Triasmulde,  sogenannter  abgedeckter 
Karten  bedienen,  welche  nur  das  unterliegende  Gestein  zeigen,  sondern  mufs 
gerade  die  diluviale  Decke,  wo  sie  vorhanden  ist,  besonders  berücksichtigen. 
Unter  Umständen  kann  man,  wie  es  Zimmermann  für  Braunschweig  gethan 
hat,  sofort  die  Bodenklassen  der  landwirtschaftlichen  Statistik  benutzen. 
Das  unterliegende  Gestein  kommt  für  Bergbau  und  Steinbruchbetrieb  in 
Betracht.  Mittelbar  wirkt  es  auch  durch  Oberflächenfonnen  und  Bewässerungs- 
verhältnisse auf  den  Menschen  ein.  In  dieser  Hinsicht  wird  ein  Vergleich 
der  Bevölkerung  verschiedener  Gesteinsarten  von  grofsem  Interesse  sein,  wenn- 
gleich deren  Einflufs  wohl  gröfser  auf  die  Ansiedlungsweise  als  auf  die  Zahl 
der  Menschen  ist.  Da  die  Oberflächenformen  nur  zum  Teil  von  der  Gesteins- 
beschaffenheit abhängen,  wird  man  der  Untersuchung  ihres  Einflusses  auf  die 
Bevölkerung  besser  die  morphologischen  Typen  zu  Grunde  legen,  wie  sie 
v.  Richthofen,  Penck  u.  a  aufgestellt  haben.  Man  wird  aber  gut  thun, 
solche  Untersuchungen  nicht  gleich  über  die  ganze  Erde  zu  erstrecken,  sondern 
auf  kleidere  Gebiete  zu  beschränken,  welche  klimatisch  im  grofsen  und 
ganzen  als  gleichartig  gelten  dürfen.  Beispielsweise  würde  ein  Vergleich  der 
verschiedenen  Alpengruppen,  für  die  Ostalpen  etwa  auf  Grund  der  Ein- 
teilungen von  Böhm  oder  Supan,  oder  ein  Vergleich  der  verschiedenen 
Typen  deutscher  Mittelgebirge  von  Interesse  sein.  Eine  Untersuchung  der 
Einwirkung  der  Flüsse  auf  die  Bevölkerimg  würde  einerseits  die  anziehende 
Kraft  gröfserer  schiffbarer  Flüsse,  anderseits  die  Verödung  vieler  sumpfiger 
Flufsniederungen  erkennen  lassen.  Von  der  Untersuchung  der  Abhängigkeit 
der  Bevölkerung  von  Klima  und  Pflanzendecke  habe  ich  bereits  gesprochen; 
innerhalb  der  Gebiete  von  gleichartigem  Klimatypus  würde  natürlich  auch 
die  quantitative  Abstufung  von  Temperatur  und  Niederschlägen  zu  beachten 
sein.  Einen  brauchbaren  Mafsstab  der  klimatischen  Gunst  scheinen  mir  auch 
die  phänologischen  Verhältnisse  darzubieten.  Auch  die  Grenzen  einzelner 
Pflanzenareale,  z.  B.  des  Weinstockes,  können  als  Grenzen  verschiedener 
Bevölkerungsverhältnisse  aufgefafst  werden. 


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510 


Alfred  Hettner: 


In  ähnlicher  Weise  ist  auch  die  Abhängigkeit  der  Bevölkerung  von 
anderen  menschlichen  Verhältnissen  zu  untersuchen.  Der  oft  behauptete 
Einflufs  der  Hasse  und  Nationalität  auf  die  Kulturentwicklung  legt  es  nahe, 
einmal  die  Völkerkarte  zum  Gegenstand  von  Untersuchungen  über  Bevölkerungs- 
dichte zu  machen,  und  auch  eine  vergleichende  bevölkerungsgeographische  Be- 
trachtung der  Religionsgebiete  durfte  des  Interesses  nicht  entbehren.  Besonders 
wichtig  ist  die  Abhängigkeit  von  den  Kultur-  und  Wirtschaftsformen,  die 
einmal  noch  eingehender  untersucht  werden  sollte,  als  es  bisher  z.  B.  von 
Katze  1  geschehen  ist;  man  würde  dabei  teilweise  Ed.  Hahn's  Karte  der 
Wirtschaftsformen ,  die  aber  mannigfacher  Berichtigung  und  der  Ergänzung 
durch  Berücksichtigung  der  Industrie  und  des  Handels  bedürfte,  oder  auch 
Vierkandt's  Karte  der  Kulturformen  zu  Grunde  legen  können.  Auch  für 
kleinere  Gebiete,  z.  B.  Deutschland,  würde  eine  schärfere  Hcrausarbeitung  der 
Bevölkerungsvorhältnisse  der  verschiedenen  Wirtschaftsgebiete,  wie  der  Gebiete 
der  Grofsindustrie,  der  Hausindustrie,  der  reinen  Landwirtschaft  u.  s.  w.  sehr 
erwünscht  sein.  Lehrreich  wäre  auch  eine  Betrachtung  der  Besitz  Verhältnisse. 
Um  den  Einflufs  des  Verkehrs  zu  zeigen,  müfste  man  neben  der  Verdichtung 
der  Bevölkerung  an  den  Küsten  und  Flüssen  namentlich  uueh  die  anziehende 
Kraft  der  Eisenbahnen  feststellen,  wobei  es  allerdings  manchmal  nicht  leicht 
wäre,  zwischen  Ursache  und  Wirkung  zu  unterscheiden. 

Es  ist  mir  nicht  unbekannt,  dafs  in  der  geographischen,  statistischen, 
natioualökonomischen  Litteratur  viele  Ansätze  in  den  bezeichneten  Richtungen 
vorhanden  sind,  und  dafs  aufser  den  genannten  auch  noch  andere  Gesichtspunkte 
der  Untersuchung  zu  Grunde  gelegt  werden  können.  Es  kam  mir  hier  nur 
darauf  an,  einmal  die  hauptsächlichen  Probleme  zusammenzustellen  und  zu 
ihrer  weiteren  Bearbeitung  von  geographischer  Seite  anzuregen;  denn  es  ist 
die  Sache  der  Geographen,  die  Methoden  der  Untersuchung  von  Verbreitungs- 
erscheinungen auszubilden  und  zu  handhaben.  Wenn  auch  einzelne  hervor- 
ragende Statistiker  die  geographischen  Methoden  in  sich  aufgenommen  und 
weitergebildet  haben,  so  ist  die  grofse  Mehrzahl  doch  in  dieser  Beziehung 
noch  zu  sehr  in  der  alten  unwissenschaftlichen  Routine  stecken  geblieben. 

Selbstverständlich  können  oder  müssen  diese  Untersuchungen  unter  Um- 
ständen statt  für  die  ganze  Bevölkerung  für  bestimmte  Klassen  der  Be- 
völkerung, namentlich  für  die  verschiedenen  Berufs-  und  Erwerbsklassen, 
gesondert  ausgeführt.,  und  ebenso  können  oder  müssen  unter  Umständen  statt 
der  ganzen  Fläche  bestimmte  Teile  der  Fläche,  etwa  das  Kulturland  unter 
Ausschlufs  des  Waldes  und  Ödlandes,  in  Betracht  gezogen  werden.  Es 
liegt  ganz  in  der  Hand  des  Untersuchenden,  wie  er  die  Frage  stellen  will; 
er  mufs  nur  darauf  achten,  dafs  er  nicht  während  der  Beantwortung  die 
ursprüngliche  Fragestellung  vergifst.  Zum  Beispiel  werden  die  Untersuchungen 
über  die  Abhängigkeit  der  Bevölkerung  von  der  Beschaffenheit  des  Bodens 
zweckmäfsigerweise  auf  die  landwirtschaftliche  Bevölkeruug  beschränkt  werden 
können,  da  die  Bergbau,  Gewerbe  und  Handel  treibende  Bevölkerung,  soweit 
sie  selbständig  ist  und  nicht  nur  der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung 
Hilfsdienste  leistet,  mit  der  Beschaffenheit  des  Bodens  nichts  oder  wenig  zu 
thun  hat.    Man  kann  die  Untersuchung  unter  Beschränkung  auf  das  Kultur- 


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Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  511 


land  ausführen,  um  die  verschiedene  Fruchtbarkeit  der  verschiedenen  Boden- 
arten zu  zeigen,  aber  man  mufs  diese  Untersuchung  jedenfalls  durch  eine 
Untersuchung  der  ganzen  Fläche  ergänzen  und  wird,  wenn  man  nur  eine 
von  beiden  Untersuchungen  anstellen  will,  besser  thun,  die  Gesamtfläche  zu 
wählen,  weil  der  Einflufs  des  Bodens  in  erster  Linie  gerade  in  dem  Prozent- 
anteil von  Wald  und  Kulturland  zur  Geltung  kommt.  Auch  bei  der  Unter- 
suchung der  Bevölkerungsdichte  verschiedener  Hubenstufen  sowie  der  Klima- 
zonen ist  die  Unterscheidung  der  landwirtschaftlichen  und  der  bergbaulichen 
und  industriellen  Bevölkerung  von  Interesse;  jene  wird  im  allgemeinen  mit 
der  Meereshöhe  abnehmen,  während  die  stellenweise  stattfindende  Zunahme 
der  Gesamtbevölkerung  mit  der  Höhe  wenigstens  in  unseren  Breiten  —  anders 
in  manchen  tropischen  Gebirgen  —  der  Hauptsache  nach  auf  die  berg- 
bauliche und  industrielle  Bevölkerung  zurückzuführen  ist.  Durch  solche 
Zergliederung  öffnet  sich  ein  weites  Feld  für  lehrreiche  Untersuchungen. 

In  welcher  Weise  diese  kausale  Analyse  der  bevölkerungsgeographischen 
Thatsachen  auszuführen  ist,  hängt  von  dem  engeren  oder  weiteren  Kähmen  der 
Untersuchung  und  auch  von  der  Beschaffenheit  des  vorhandenen  Materials  ab. 

Auf  der  einen  Seite  stehen  Untersuchungen  räumlich  beschränkter  Ge- 
biete. Hier  kommt  es  darauf  an,  die  Abhängigkeit  der  Bevölkerungszahl 
von  den  verschiedenen  örtlichen  Faktoren:  Meereshöhe,  Gestein,  Exposition  u.  s.  w. 
festzustellen  Wo  Meereshöhe  oder  Gestein  oder  Exposition  u.  s.  w.  auf 
gröfsere  Erstreckung  gleich  bleiben,  bieten  sich  geringe  grundsätzliche  Schwierig- 
keiten dar,  da  über  die  Zuteilung  der  Bevölkerung  zu  der  einen  oder  der 
anderen  Abteilung  nur  an  den  Grenzen  Zweifel  bestehen.  Anders  dagegen, 
wo  Erhebung  und  Gestein  rasch  wechseln  und  die  Wohnplätze  oft  auf 
anderen  Höhenstufen  oder  Gesteinen  liegen  als  die  dazu  gehörigen  Äcker, 
Wiesen  und  Wälder.  Hier  wird  der  Ansatz  der  Berechnung,  wie  mir  scheint, 
je  nach  der  Richtung  der  Untersuchung  verschieden  gemacht  werden  müssen. 
Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dafs  die  Wohnplätze  aus  Rücksicht  auf  Klima 
oder  Terrain  bestimmte  Höhenlagen,  aus  Rücksicht  auf  Baugrund  und 
Wasser  bestimmte  Gesteine  bevorzugen;  um  die  dafür  giltigen  Regeln  zu 
beurteilen,  mufs  man  also  die  Bevölkerung  auf  die  Höhenlage  und  das  Ge- 
stein der  eigentlichen  Wohnplätze  beziehen;  man  erkennt  auf  diese  Weise, 
wie  viele  Menschen  unter  bestimmten  topographischen  und  hygienischen  Be- 
dingungen wohnen.  Andererseits  lebt  die  Bevölkerung  von  den  Nahrungs- 
quellen des  umgebenden  Landes,  und  zwar  teilweise  von  einzelnen  Vor- 
kommen nutzbarer  Mineralien,  Wasserkräften,  Lagevorteilen,  teilweise  von 
der  Fruchtbarkeit  des  ganzen  Bodens.  Eine  genaue  Untersuchung  läfst  sich 
also  in  dieser  Richtung  nur  bei  Unterscheidung  der  orts-  und  der  flächen- 
ständigen Bevölkerung  führen,  von  der  man  wohl  nur  absehen  darf,  wenn 
die  ortsständige  Bevölkerung  wenig  ins  Gewicht  fällt.  Die  ortsständige  Be- 
völkerung mufs  man  in  Hinsicht  auf  die  Erwerbsverhältnisse  natürlich  auf 
den  Ort  des  Erwerbs  (z.  B.  das  Bergwerk,  den  Steinbruch,  die  Fabrik,  die 
Eisenbahn)  beziehen,  die  flächenständige  Bevölkerung  über  die  Fläche  ver- 
teilen, wobei  für  die  Unterscheidung  von  Kulturland,  Wald  und  Ödland  die 
oben  entwickelten  Gesichtspunkte  gelten. 


512 


Alfred  Hettner: 


Man  kann  diesen  Untersuchungen  die  Bevölkerungs-  und  Flächenzahlen 
der  Gemeinden  zu  Grunde  legen  und,  indem  man  die  Gemeindeflächen  in  die 
Höhenschichten-  oder  die  geologische  Karte  einzeichnet,  die  Bevölkerung 
oder  vielmehr  die  flächenständige  Bevölkerung  der  Gemeinden  proportional 
dem  Flächenanteil  der  einzelnen  Höheuschichtcu  oder  GesteinRarten  auf  diese 
verteilen.  Diese  Berechnungsweise  setzt  natürlich  die  Kenntnis  der  Ge- 
meindegebiete (Gemarkungen)  und  zu  diesem  Behufe  die  Benutzung  genauer 
Pläne  voraus  und  ist  so  umständlich  und  zeitraubend,  dafs  man  sie  wohl 
nur  ausnahmsweise  anwenden  wird. 

Im  allgemeinen  wird  es  einfacher  sein,  von  den  absoluten  Bevölkerungs- 
zahlen auszugehen.  Man  mufs  hierzu  möglichst  kleine  Bevölkerungseinheiten  neh- 
men. Wirkliche  Genauigkeit  kann  nur  bei  Begründung  der  Untersuchung  auf  die 
Wohnplätze  erreicht  werden.  Wer  solche  Untersuchungen  ausführen  will, 
sollte  daher,  solange  keine  bevölkerungsstatistischen  Grundkarten  von  Staats- 
wegen hergestellt  sind,  sich  selbst  welche  anfertigen,  wie  es  ja  auch  Neu- 
mann  u.  a.  gethan  haben,  und  sollte  lieber  den  Umfang  des  zu  untersuchen- 
den Gebietes  etwas  einschränken,  statt  unvollkommenere  Methoden  anzuwenden 
Hat  man  einmal  eine  solche  Grundkarte,  so  wird  man  von  selbst  dazu  ge- 
trieben werden,  sie  in  den  verschiedensten  Richtungen  auszunutzen,  d.  h. 
nach  einander  die  Abhängigkeit  der  Bevölkerung  von  den  verschiedensten 
Faktoren  zu  untersuchen,  und  man  wird  diese  Untersuchungen,  sofern  nur 
die  als  Ursache  vorausgesetzten  Faktoren  selbst  genügend  bekannt  sind,  mit 
ziemlicher  Leichtigkeit  ausführen  können.  Man  mifst  einfach  die  Fläche  der 
Höhenstufen,  Gesteinsfortnationen  oder  was  es  sonst  sei,  mit  dem  Planimeter 
aus,  addiert  die  Einwohnerzahlen  der  auf  dieser  Fläche  gelegenen  Wohn- 
plätze und  berechnet  aus  den  beiden  Zahlen  die  Bevölkerungsdichte.  Ob 
man  dabei  zweckmäfsiger  die  Bevölkerungskarte  auf  durchsichtiges  Papier 
zeichnet  und  über  die  anderen  Karten  legt  oder  umgekehrt,  wird  von  den 
Umständen  abhängen. 

Wenn  di§  Einwohnerzahlen  der  Wohnplätze  nicht  zur  Verfügung  stehen, 
weil  sie  nicht  veröffentlicht  werden  und  auch  die  Einsicht  des  Urmaterials 
nicht  möglich  ist,  mufs  man  sich  mit  den  Gemeinden  begnügen  und  sich 
deren  Bovölkerung  in  dem  Hauptorte  konzentriert  denken.  Wo  die  Be- 
völkerung in  geschlossenen  Ortschaften  wohnt,  ist  der  Fehler  dabei  ja  auch 
nur  gering,  dagegen  wird  die  Genauigkeit  merklich  beeinträchtigt,  wenn 
sich  die  Gemeinde  aus  mehreren  Ortschaften  oder  aus  vielen  Einzelhöfen 
zusammensetzt.  Diese  geringere  Genauigkeit  mufs  natürlich  in  der  Dar- 
stellung der  Ergebnisse,  also  bei  kartographischer  Darstellung  in  dem 
kleineren  Mafsstabe,  zum  Ausdruck  kommen. 

Wenn  es  sich  nicht  um  die  Untersuchung  lokaler,  sondern  regionaler 
Gegensätze  handelt,  wofür  ja  oben  eine  Anzahl  von  Beispielen  genannt  sind, 
so  kommen  bei  Zurückgehen  auf  die  Wohnplätze  oder  die  Gemeinden  bez. 
auf  die  danach  entworfenen  Spezialkarten  der  Bevölkerungsverteilung  die 
Schwierigkeiten,  die  sich  ans  dem  Wechsel  im  Kleinen  ergeben,  kaum  mehr 
zur  Geltung,  und  die  Ergebnisse  werden  freier  von  Willkür  sein.  Aber  in 
vielen,  wohl  in  den  meisten  Fällen  wird  man  sich  bei  diesen  Untersuchungen 


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über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  513 


vorlaufig  mit  den  Bevölkerungszahlen  gröfserer  Flächeneinheiten,  d.  h.  meistens 
der  gröfseren  staatlichen  Bezirke,  begnügen  müssen,  so  dafs  sich  wieder 
entsprechende  Schwierigkeiten  ergeben.  In  der  Hegel  beobachtet  man  dabei 
folgendes  Verfahren:  man  verteilt  die  als  Einheiten  dienenden  Bezirke  auf 
die  natürlichen  oder  kulturellen  Regionen,  deren  Bevölkerungsverhältnisse 
man  untersuchen  will,  und  kann  dabei,  da  die  Grenzen  selten  zusammen- 
fallen, entweder  die  Flüeheuräume  und  Bevölkerungszahlen  der  Gebiete,  die 
in  verschiedene  Itegionen  fallen,  proportional  verteilen  oder  auch,  wenn  es 
auf  Genauigkeit  weniger  ankommt,  einfach  der  einen  oder  anderen  Region 
zuteilen.  Dann  addiert  man  einerseits  die  Flächen,  andererseits  die  Ein- 
wohnerzahlen und  berechnet  daraus  die  durchschnittliche  Bevölkerungsdichte. 
Beispielsweise  haben  Wagner  und  Supan  in  ihren  Veröffentlichungen  über 
die  Bevölkerung  der  Erde  eine  Anzahl  solcher  Berechnungen  ausgeführt. 

Für  die  Darstellung  der  Ergebnisse  solcher  Berechnungen  über  die 
Bevölkerungsdichte  verschiedener  Natur-  oder  Kulturtypen  genügen  in  vielen 
Fällen  Tabellen.  In  komplizierteren  Fällen  werden  sich  zu  gröfserer  Über- 
sichtlichkeit graphische  Darstellungen  empfehlen,  aber  es  ist  keineswegs  ge- 
sagt, dafs  das  immer  Karten  sein  müssen  und  nicht  auch  Diagramme  und 
Profile  sein  können.  Ja  die  Darstellung  auf  einer  Karte  kann  geradezu 
fehlerhaft  sein. 

Ich  will  das  au  dem  Beispiel  der  Abstufung  der  Bevölkerung  mit  der 
Höhe  erläutern,  wie  sie  z.  B.  Burgkhardt  für  das  Erzgebirge,  Leinhose  für 
das  Schwarzagebiet,  Klinger  für  den  Thüringerwald  und  Wolff  für  den  Harz 
untersucht  haben.  Sie  haben  für  ihr  ganzes  Gebiet  oder  doch  für  grofse  Ab- 
teilungen  die  durchschnittliche  Bevölkerungsdichte  jeder  Höhenschicht  berechnet 
und  hal>en  dann  auf  einer  Höhenschichtenkarte  die  verschiedenen  Höheusehichten 
mit  dem  Farbenton  der  entsprechenden  Durchschnittswerte  der  Bevölkerung 
bedeckt.  Burgkhardt  hat  dabei  nicht  nur  die  Bevölkerung  eines  Thaies 
ohne  weiteres  mit  der  des  anderen  zusammengeworfen,  sondern  hat  sogar  die 
Bevölkeruug  des  Chemuitz-Zwickauer  Beckens  mit  auf  die  erzgebirgischeu 
Thäler,  soweit  sie  noch  der  gleichen  Höhenschicht  angehören,  verteilt.  Man 
glaubt,  auf  der  Karte  die  Bevölkerungsverhältnisse  jedes  einzelnen  Thaies  zu 
finden  und  merkt  bald  zu  seinem  Befremden,  dafs  es  schematische  Durch- 
schnittswerte sind.  Das  ist  eine  vollkommene  Verkennung  des  Wesens  der 
Karte,  das  doch  in  der  Individualisierung  der  Landschaften  besteht.  Die  Dar- 
stellung auf  einer  Karte  wäre  nur  dann  berechtigt  gewesen,  wenn  Burgkhardt 
die  Zahlenwerte  jedes  Thaies,  ja  jedes  Thalstückes  gesondert  zum  Ausdruck 
hätte  bringen  wollen.  Die  Durchschnittswerte  des  ganzen  Gebirges  liefsen 
sich  viel  einfacher  und  richtiger  auf  einem  Profil  zur  Darstellung  bringen, 
auf  dem  die  verschiedenen  flächentreu  gezeichneten  Höhenschichten  mit  den 
ihrer  Bevölkerungsdichte  entsprechenden  Farbentönen  bedeckt  worden  wären; 
die  beiden  Abhänge  des  Gebirges  konnten  auch  auf  einem  solchen  Profil  aus 
einander  gehalten  werden.  Wenn  man  die  Flächengröfse  der  Höhenschichten 
nicht  berücksichtigen  zu  müssen  glaubt,  kann  man  sich  sogar  mit  einer  ein- 
fachen Kurve  begnügen,  die  mit  den  Meereshöhen  als  Abscissen  und  den 
durchschnittlichen  Bevölkerungsdichten  als  Ordinaten  gezeichnet  ist. 

Ueographi.chc  Zeitschrift.  7.  Jahrgang  1SKH.  0  Heft.  liö 


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Ö14  Kleinere  Mitteilungen. 

Ähnlich  steht  es  mit  der  Darstellung  des  Einflusses  anderer  Faktoren. 
Auch  hier  werden  einfache  Figuren  oft  bessere  Dienste  leisten  als  die  Karte. 
Mau  raufs  sich  doch  eben  bewirfst  bleiben,  dafs  es  sich  hier  um  die  Ergeb- 
nisse analytischer  Untersuchungen  handelt,  die  mit  Absicht  einseitig  sind, 
und  dufs  man  deshalb  diese  Ergebnisse  möglichst  einfach  darstellen  soll. 
Die  Karte  ist  uur  dann  am  Platze,  wenn  man  in  der  Analyse  nicht  bis 
zum  Ende  gegangen  ist,  sondern  synthetisch  verschiedene  Einflüsse  zugleich 
zur  Darstellung  bringen,  ein  möglichst  getreues  Abbild  der  Wirklichkeit 
geben  will.  Von  den  Karten  der  Bevölkerungsdichte  soll  im  nächsten  Ab- 
schnitt die  Rede  sein.  (Schluß  folgt.) 


Kleinere  Mitteilungen. 

Die  Bevölkerung  Norwegens  nach  der  Zählung  vom  3.  Dezember  1900. 

Die  norwegischen  Städte  (Byer)  werden  in  Kaufstädte  (Kjöpsta^der)  und 
Ladestellen  (Ladcsteder)  unterschieden;  in  letzteren  dürfen  Schiffe  anlaufen, 
alter  nicht  löschen.1)  Norwegen  hat  in  diesem  Sinne  (1900)  im  ganzen  öl  Städte 
(22  Ladestelleu),  von  deuen  1891:  10,  1900s  12  über  10000  Einwohner 
zählten,  deren  kleinste,  Hvitsten,  (1900)  107  Einwohuer  hat.  In  der  Reihen- 
folge der  gröfseren  Städte  (nach  der  Einwohnerzahl),  welche  Tabelle  I.  zeigt, 
ist  in  dem  Zeitraum  1891-1900  die  grölstc  Veränderung  bei  Larvik  ein- 
getreten, welches  5,30  %  Abnahme  hatte  und  dadurch  von  der  8.  an  die 
12.  Stelle  herabrückte;  es  wurde  von  den  Städten  Christiansund,  Frederikshaid, 
Aalesund  und  Skien  überholt;  im  übrigen  hat  nur  Frederikstad  Christiausand, 
Christiansund  Frederikshaid  und  schliefslich  Aalesuud  Skien  überflügelt.  Die 
durchschnittliche  Zunahme  (1891-1900)  der  sämtlichen  Städte  beträgt 
30,09%,  die  der  49  Städte  mit  unter  10000  E.  uur  19,37%,  die  der  12 
Städte  mit  über  10000  E.  jedoch  31,52%,  wogegen  die  Landbevölkerung 
nur  5,53%,  die  (Jesamtbevölkerung  des  Landes  11,52%  Zunahme  aufweist. 
Unter  den  12  grölst  en  Städten  steht  Christiania  mit  einer  Zunahme  von 
über  19%  obenan;  ihm  folgen  mit  fast  39%  Zunahme  Aalesund,  mit  etwas 
über  31%,  d.  i.  mit  etwa  der  mittleren  Zunahme  der  12  gröfsten  Städte, 
Bergen  (34,45%);  hierauf  folgen  Drontheim  (30,S4%),  Stavanger  (27,79%) 
und  Skien  (26,38%);  sodann  Frederikstad  (17,04%)  und  Christiausund 
(16,01%),  Christiansand  (13,68%")  und  Drammen  f  11,62%1;  Frederikshaid  hat 
nur  6,41  %  Zuuahme,  Larvik  schliefslich  gar  5,30%  Abnahme.  1801  hatte 
Norwegen  erst  42  Städte")  mit  etwa  nur  10%  der  Keichsbevölkerung,  1900 
wohnten  in  61  norwegischen  Städten  28%  derselben.  Die  fast  durchgehends 
steigende  Anziehungskraft  der  Städte,  bezw.  ihre  steigende  Bevölkerungs- 
zunahme im   Laufe  des  19.  Jahrhunderts  zeigt  sich  in  folgender  Tabelle3): 


1)  Nupau,  Die  Bevölkerung  der  Erde  X..  S.  38  (Ergünzungsheft  130  zu  Peter- 
manns  Mitteilungen;  (Jotha  1899). 

2)  Norway.  Otfuial  publieation  for  the  Paris  exhibition  1900  (Christiania  1900). 
8.90  91.  Mit  vielen  statistischen  Angaben  und  bibliographischen  Nachweisen  unter 
den  einzelnen  Abschnitten.) 

:\  Norway  S.  loj  und  Forelobige  Resultater  af  Folketadlingen  i  Norge  3.  De- 
cember  1900.    L'.lgivne  af  det  Stutistiske  Centrallmreau  (Christiania  1901).    S.  III. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


515 


Zeitraum 


Ende  182»— Ende  1835 

„  1836—     „  1845 

„  1845—     „  1855 

„  1855—     „  1865 

„  1865—     „  1875 

1876— Anfang  1801 

Anfang  18'J1— Ende  1900 


Jährliche  Zunahme  in  % 
der  mittleren  Me^ftlkernng 


Keich 


1,29 
1,06 
1,16 
1,34 
0,64 
0,66 
1,10 


Stadto 


1,28 
0,93 
0,99 
1,02 
0,27 
0,33 
0,64 


1,28 
1,99 
2,22 
3,11 
2,29 
1,86 
2,73 


Die  Reihenfolge  der  Ämter  hezüglich  ihrer  Bevölkerungsdichte  (auf 
das  Gesamtareal  der  Ämter  bezogen)  ist  1900  fast  dieselbe  wie  1891;  nur 
die  drei  Amter  Nedenes,  Komsdal  und  Söudre  Bergenhus  zeigen  jetzt  die 
veränderte  Reihenfolge  Romsdal,  Söndre  Bergenhus,  Nedenes.  Sehen  wir  von 
den  beiden  Stadtbezirken  Christiania  und  Bergen  ab,  so  sind  1900  die  drei 
östlichen  Ämter  in  Süd-Norwegen,  die  Küstenäniter  Jarlsberg  og  Larvik,  Sinaar 
lenene  und  Akershus  mit  14,7,  32,9  und  21,6  E.  auf  1  qkm  die  dichtes- 
bevölkerUm  des  Königreichs.  Würde  man  zu  dem  Amte  Akershus  die  Stadt 
Christiania  hinzurechnen, -so  würde  es  hierdurch  die  höchste  Dichte  aufweisen 

Tabelle  I. 

Städte  Norwegens  mit  über  10  000  Einwohnern. 


n.  d  Zahlung 


im 


1*91 


Stfdte  (Hyer) 


1 

2 

3 
4 
5 
6 
7 
s 

9 
10 
11 
12 


1 

•_> 
:i 
4 
6 
7 
6 
10 
9 
12 
11 
8 


I 


Christiania.  . . 

Hergen  

Drontheiin  *)  . 
Stavanger 
Drammen  .  .  . 
Frederikstad  . 
Christiansand 
Christiansund 
Frederikshaid 
Aalesund  .... 

Skien  

Larvik  


Chr. 

He 
S.  Tr. 
St. 
Hu. 
Sm. 
L.  og  M. 
R. 
Sm. 
R. 
Hr. 
J.  og  L. 


12  Städte  Norwegens  mit (1900)  über  10000  Eiuw. 
4'->     „   unter  „ 

ITlj  450 
148  081 

354  179 
124  047 

34,52 
19,37 

624  531 
1  606  864 

17^  226 
1  522  691 

30,59 
5,53 

Bevölkerung') 


3.  IS   1900      1   1.  1H1M 


Zunahme 

<l  Her. 
IHJl  l'JOO 
in  % 


225  686 
72  179 
38  156 
30  541 
23  091 
14  573 
14  566 
12  043 
1 1  936 
11  672 
11  343 
10  664 


151  239 
53  684 
29  162 
23  899 
20  0X7 
12  451 
12  «13 

10  381 

11  217 
8  406 
8  979 

11  261 


49,22 
34,45 
30,84 
27,79 
11,62 
17,04 
13,68 
16,01 

6,41 
38,85 
26,33 

5,30 


Norwegen  (Gesamt  bevölkerung)   |  2  231  395  j  2  000  917  |  11.52 


Die  Trennung  von  Stadt  und  Land  auch  der  früheren  Zählungen  ist  berechnet  auf 
die  Verhältnisse  vom  Jahre  1890.  („Hjcmtnehorende  Folkema-ngde",  d.  i.  rechtliche, 
domizilierte  Hevölkerung,  population  de  droit,  doniiriliee.) 

1)  Forclobige  Kesultater  S.  19—21.  Die  Zahlen  der  Tabellen  für  1891  ent- 
sprechen den  administrativen  Grenzen  von  1900. 

2)  1893  wurden  einige  Vorstädte  eingemeindet;  die  Zahl  tür  1891  nimmt  Rück- 
sicht auf  diese  Eingemeindung.    Norway  S.  105. 

35* 


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516 


Kleinero  Mitteilungen. 


(1891:  46,9,  1900:  63,8  E.  auf  1  qkm).  Es  folgen  dann  die  beiden  west- 
lichen Ämter  Südnorwegens,  die  Küsteniimter  Stavanger  und  Lister  og  Mandal,  • 
mit  13,9  und  11,2  E.  auf  1  qkm.  Eine  bedeutend  schwächere  Volksdichte 
haben  die  beiden  anderen  .südnorwegischen  Amter,  die  zwischen  den  vorigen 
beiden  Gruppen  liegenden  mittleren  Küsteniimter,  Nedenes  (8,5  E.  auf  1  qkm) 
und  Bratsberg  (6,5  K.  auf  1  qkm».  Dichter  bevölkert  als  das  erstere  von 
beiden  sind  die  mittelnorwegischen  Küstenämter  Romsdal  i  9,1  E.  auf  1  qkm) 
und  Söndre  Bergenhus  (8,7  E.).  Würde  man  den  Stadtbezirk  Bergen  dem  Amt 
Söndre  Bergenhus  zurechnen ,  so  würde  dieses  südlichere  Amt  mit  einer 
Dichte  von  1900:  13,3,  1891:  11,6  E.  auf  1  qkm  in  der  Reihenfolge  vor 
dem  nördlicheren  Romsdal  stehen,  ebenso  das  Amt  Lister  og  Mandal  an  Dichte 
übertreffen  und  dem  Amt  Stavanger  fast  gleich  kommen.  Zwischen  den  Dichte- 
zahlen der  süd-norwegischen  Ämter  Nedenes  und  Bratsberg  halten  sich  die  beiden 
luittel-norwegischen  Ämter,  das  Binnenamt  Buskerud  (7,5  E.)  und  das  Küsteuamt 
Söndre  Trondhjem  (7,3  E.  auf  1  qkm).  Unter  der  Dichte  von  Bratsberg  halten 
sich  die  übrigen  mittel-norwegischen  Ämter,  das  Küstenamt  Nordre  Bergenhus 
(4,8  E.)  und  die  sich  östlich  an  dasselbe  anschliefsenden  Binnenümter  Christiaus 
(4,6  E.)  und  Hedemarken  (4,6  E.).  Den  Schlufs  bilden  die  vier  Ämter  des 
Nordens  in  südnördlicher  Reihenfolge,  Nordre  Trondhjem  (3,7  E.),  Nord- 
land (3,7  E.),  Tromsö  (2,8  E.)  und  Finmarken  (0,7  E.  auf  1  qkm  des  Ge- 
samtareals).  Die  Mitteldichte  des  ganzen  Königreichs  betragt  (1900)  6,9; 
es  liegen  also,  abgesehen  von  den  beiden  Stadtämtern  Christiania  und  Bergen, 
zehn  Ämter  über  und  acht  unter  dem  Reichsinittel.  Welche  höheren  Werte 
der  Volksdichte  sich  für  die  Ämter  für  das  Jahr  1900  ergeben,  wenn 
man  die  Süfswassertlächen l)  derselben  von  ihrem  Gesamtareal  in  Abzug 
bringt  und  die  Bevölkerung  nur  auf  das  Landareal  verrechnet,  zeigt  die 
letzte  Rubrik  in  Tabelle  IL  Um  diese  Durchschnittswerte  für  die  Gesamt- 
areale der  Ämter  lokalisieren  zu  können,  empfiehlt  sich  die  Hinzuziehung 
einiger  neuerer  authropogcograpbischer  Karten,  so  z.  B.  der  Karte  „Norge"1 
am  Schlufs  des  Werkes  Norway  (s.  Anm.  2  auf  S.  514 )  im  Maßstab  1 : 3600000, 
welche  in  roter  Strichelung  die  bewohnten  Gegenden  bezeichnet;  in  dem- 
selben Werke  die  Dichtekarte  bei  Seite  I;  und  schliefslich  die  „Kartenskizze 
der  Verbreitung  der  Siedelungen  im  südlichen  Norwegen"  von  H.  Magnus2) 
im  Mafsstabe  1  :  2000000,  welche  aufser  den  Siedelungen  durch  Signaturen 
zugleich  in  rotem  Flachenkolorit  die  Ausdehnung  des  besiedelten  Gebietes 
angiebt.  Dafs  die  Berücksichtigung  solcher  Karten  bei  Norwegen  be- 
sonders augebracht  ist,  zeigt  das  ProzentverhiUtnis3)  der  Kulturart on.  Auf 
die  Stadtareale  Christiania  und  Bergen  kommen  0,1%;  auf  die  bebaute 
Bodentlüche,  Äcker  und  Wiesen,  nur  2,9°/0  (Äcker  <>,7%,  künstliche  Wiesen 
1,2%,  natürliche  Wiesen  1,0%)*),  während5)  bei  Dänemark  76%,  bei  Frank- 

1)  Supan  S.37.  Nord-Norwegen  4146  qkm  Nordre  Trondhjem  1397,  Nordland  1233, 
Tromsö  53«,  Finmarken  980  qkuij;  Mittel-Norwegen  5520  qkm  Hederaarken  1238, 
Christians  1142,  Buskerud  793,  Söndre  BergenhuB  506,  Bergen  1,  Nordre  Bergeuhus  655, 
Romsdal  393,  Söndre  Trondhjem  793  qkm);  Süd-Norwegen  31G4  qkm  (Smaalenene  274, 
Akershus  342,  Christiania  0,  Jarlsherg  og  Larvik  75,  Bratsberg  1040,  Nedenes  f»77, 
Lister  og  Mandal  380,  Stavanger  476  qkm). 

2}  II.  Magnus,  Zur  Siedelungskunde  von  Norwegen;  in  Z.  d.  (»es.  f.  Erdkd.  zu 
Berlin  Bd.  XXXIII.  Jhrg.  18K8  (Berlin  1898)  S.  367—391;  auf  Grund  von  desselben 
Verf.  Studier  over  den  Norske  Behvggelse.  Tl.  I.  (Christiania  18;»8t. 

3i  Norway  S.  307  und  Magnus  S.  385  nach  A.  Heiland,  .lordlninden  i  Norge 
(Christiania  1893,  in  Norges  geologiske  l'ndersogelsc  N.  9),  S.  451. 

4)  Nach  Norway  S.  8«  zwischen  3  und  4%.       5)  Norway  S.  88. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


517 


Tabelle  II. 


nach  ilor  He- 
v.i!k<Turi|{s- 
dichte 


I 

l'.NM)  1891 


3 
4 
5 
0 
7 
8 
«J 
10 

11 

12 

13 
14 
15 
16 
17 
18 
19 
20 


1 

•» 

3 
4 
5 
6 
7 
9 
10 
8 
11 
12 
13 
14 
15 
16 
17 
18 
10 
20 


Ämter 


(  hristiania  (Stadt) . 
Bergen  (Stadt)  . . . 
Jarlsberg  og  Larvik 

Smaalenene   

Akerahus  

Stavanger   

Lister  og  Mandal  . 

Homsdal  

Söndro  Bergenhus  . 

Nedenes   

Buskerud  

Sflndre  Trondhjeiu. 

Bratsberg.   

Xordre  Bergenhus. 

Hedemarken  

Christians  

Nordre  Trondhjeiu 

Nordhind  

Tromsö   

Finmarken  


lU-v.ilkcniiiR 


a  Uff  190H   1  Jun  1891 


225  6x6 
72  170 
103  772 
136  208 
115  113 
127  192 
81  454 
135  899 
135  337 
7'J  605 
112  608 
135  133 
lJ8  788 
88  048 
125  856 
115  615 
83  344 
151  537 
74  206 
32  735 


151  239 
53  684 

100  057 

120  360 
99  111 

117  008 
78  738 

127  806 

128  213 
81  043 

104  769 
123  817 
92  034 
87  552 
119  129 
108  076 
81  236 
131  850 
65  125 
29  17» 


Arpul') 


Itevnlkorungidirhte 
auf  1  <|km 


i:»do 


17 
14 

2  321 

4  143 

5  321 
9  147 
7  264 

14  900 

15  607 
9  348 

14  097 
18  606 

15  180 
18  472 
27  508 

25  362 
22  768 
40  724 

26  -_'46 
47  3X5 


13  275,7 
6  155,6 
44,7 
32,0 
21,6 
13,0 
11,2 
9,1 
*,7 
8,5 
7,5 

7,3 
6,5 
4,8 
4,6 
4,6 
3,7 
3,7 
2.8 
«>,7 


1801 


8  806,4 
3  834,6 
43,5 
29,1 
18,6 
12,8 
10,8 
8,5 
8,2 
8,7 
7,0 
6,7 

6,1 
4,7 
4,3 
4,3 
3,6 
3,2 
2.5 
0.6 


Ms 

t  a 

>   N  & 


49,22 
34,45 
2,70 
13,24 
16,15 
8,70 
3,45 
6,33 
5,56 
r  1,77 
7,40  I 
0,14 
7,34 
1,59 
5,65 
6,08 
2,50 
14,03 
14,08 
12,22 


e  t< 


Zt  0  ZT* 


46,2 
35,2 
23,1 
14,7 
11,8 
9,3 

y,o 

9,1 

7,0 
7,6 
7,0 
5,0 
4,8 
4,8 
3,0 
3,8 
2,0 
0,7 


Norwegen 


2  231  305 


2  000  917 


325  420 


6,0 


6,1      11,52 1|  7,1 


reich  70%,  bei  Europa  im  ganzen  40%  auf  die  bebaute  Fläche  kommen; 
der  Wald  nimmt  21,1%  ein;  die  Binnengewässer  3,8%  (vergl.  S.  .r>l(»  Anm.  l); 
Schnee  und  Eis  1,6%;  70,6%  endlich  kommen  zusammen  auf  Snaufjold 
(öi),2%>),  das  sind  die  kahlen  oder  nur  tlechtenbedeckten,  steinigen,  weiten 
Hochflächen  Norwegens8),  auf  Moore  (3,7%)  und  den  ^dmark  (7,6%s)). 
H.  Magnus  teilt  die  Siedelungen  Norwegens  nach  ihrem  Verhältnis  zur  Volks- 
verdiehtuug  u.  s.  w.  in  folgende  Klassen  ein:  1.  Die  Küstensiedelungeu  und  die 
Siedelungeu  in  den  breiten,  offenen  Landschaften  im  S.-O.  um  den  Christiania- 
Fjord,  die  grofsen  Seen  Rands- Fjord,  Mjösen  und  Tyri-Fjord,  sowie  um  den 
Trondhjems-Fjord  herum,  2.  die  Fjordsiedelungeu,  3.  die  Thalsiedelungeu.  Zur 
Erklärung  ihrer  Eigentümlichkeiten  giebt  er  einige  Skizzen  dieser  Typen  im 
Mafsstabc  1  :  2000O0.')  In  den  folgenden  kurzen  Zusammenstellungen  über 
die  Bevölkerungs  zunahme  und  -Verteilung  der  norwegischen  Amter  1801  bis 
1 900  werden  die  zur  Erklärung  der  Bevölkerungsverhältnisse  hintragenden  älteren 
Prozentzahlen  nach  A.  Holland,  bezw.  H.  Magnus  (s.  S.  516  Anm.  2  u.  3)  in 
Ermangelung  neuerer  augeführt  werden.  Die  Zahlen  für  die  Industrie  und 
Bergbau  treibende  Bevölkerung  werden  meistens  bei  Erwähnung  der  städtischen 
Bevölkerung,  für  die  Fischerei  und  Seefahrt  treibende  bei  den  Handelshäfen, 
für  die  Ackerbau  und  Viehzucht  treibende  bei  den  Arealzahleu  der  Acker  und 
Wiesen   angeführt,  obgleich   natürlich  der  Begriff  Stadt   sich  in  Norwegen 


1   Supan  S.  37.       2)  Vergl.  Magnus  S.  383. 

3i  l'dmark  oder  Havnegang,  entsprechend  dein  lyrischen  Xierierleger;  vergl. 
Magnus  S.  381:  einschl.  Fjetdbeiter,  Säter,  Almen.  Hochleger;  vergl.  Magnus  S.  383 
— 3x4  und  Xorwav  S.  307. 

4,i  Magnus  S.  3x0  und  am  Schilds  des  betr.  Aufsatzes  die  Skizzen 


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518 


Kleinere  Mitteilungen. 


nicht  immer  mit  dem  Begriff  des  Industriellen  verbindet  und  für  die  Vieh- 
zucht z.  B.  auch  der  Udmark  von  Wichtigkeit  ist  u.  s.  w.  Interessant  ist 
bei  der  Verteilung  der  Bevölkerung  von  ganz  Skandinavien  das  deutliche 
Auftreten  eines  unbewohnten,  bezw.  schwachbewohnten  Bandes  zwischen  Nor- 
wegen und  Schweden,  welches  nur  nach  dem  Süden  zu  immer  mehr  ver- 
schwindet; es  ist  dieses  Band  gewissermafsen  eine  wirklich  anthropogeogra- 
phische,  d.  h.  eine  vornehmlich  physikalisch  begründete  Völkergrenze1),  zu- 
sammenfallend mit  einer  geschichtlich  entstandenen  politischen  Staatengrenze. 

Das  die  Landeshauptstadt  umgebende  Amt  Akershus  hat,  wenn  wir 
von  den  beiden  Stadtbezirken  Christiania  und  Bergen  absehen,  die  höchste 
Zunahme  der  Bevölkerung  (16,15%)  unter  den  Ämtern.     Das  Amt  selbst 
hat  nur  2,'.)%  städtische  Bevölkerung  und  zwar  in  den  Städten  (unter  10000  E.) 
Dröbak  (Kjöbstad;  1900  :  2334  E.),  Son  (Ladested;  1900  :  749  E.),  Holen 
(Ladested;  166  E.)  und  Hvitsten  (Ladested;  107  E.)  mit  nur    1,02%  Zu- 
nahme.   Die  ländliche  Bevölkerung  (97,1%)  nihm  um  16,67%  zu.  Infolge 
seines  geringen  Prozentsatzes  höheren  (lebirgs  hat  Akershus  das  drittgröfste 
Areal  an  Äckern  und  Wiesen  (16,2%);  vom  Ackerbau  und  von  der  Vieh- 
zucht leben  34,8%.    Das  Waldareal  beträgt  63,9%  und  beschäftigt  1,4% 
der  Amtsbevölkerung.     Auf  Binnengewässer  entfallen   7%,  auf  Snaufjcld, 
Moore  und  Udmark   nur  13,8%.     An  Menge   der   Fabriks-  und  Bergbau- 
bevölkerung steht  es  mit  11,6%  an  zweiter  Stelle  unter  den  industriellen 
Ämtern,  eine  Wirkung  der  von  dem  Amte  umschlossenen  Stadt  Christiania. 
Würden  wir  diese  Stadt  zu  dem  Amte  Akershus  hinzuschlagen,  so  würde  sich 
für  beide  zusammen  eine  Zunahme  (1891  —  1900)  von  36,13%  ergeben, 
während  Christiania  für  sich  49,22%  Zunahme  hat.    Die  Hauptstadt  und  ein- 
zige (irofsstadt  (über  100000  E.)  Norwegens  zählte  auf  dem  jetzigen  Areale 
im  .Jahre  1801:  12423  E.8),  d.  i.  eine  Zunahme   von  1716,68%  in  dem 
Zeiträume  (von  fast  100  Jahren)  1801 — 1900.    Christiania  ist  der  wichtigste 
Industriemittelpunkt    (bes.    Maschinen-    und    Textilindustrie)    des  Landes 
(1895:  352  Betriebe  mit  19048  Arbeitern  und  5197  300  Arbeitstagen3)).  Auf 
Christiania  entfielen  vom  Aufsenhandel  in  den  Jahren  1866 — 70  etwa  24%, 
1881—85  etwa  36%,  1891-95  etwa  42%,  1898  etwa  40%,  von  der  Ein- 
fuhr für  sich  betrachtet  1898:  52%,  von  der  Ausfuhr  18%4).  Christiauias 
Handelsflotte  steht  im  Bezug  auf  Tragfähigkeit   (1  Dampfer-Tonne  =  3,6 
Segler-Tonnen •'))  an  zweiter  Stelle  unter  denen  der  norwegischen  Hafenstädte 
(1898:  168  Dampfer  von  76  600  Tonnen,  176  Segler  von  117  400  Tonnen 
Gehalt  mit  zusammen  393  300  Tonnen  Tragfähigkeit "'')). 

Auch  ziemlich  stark  (13,24%)  ist  die  Bevölkerungszunahme  des  zweiten 
südöstlichen  Amtes,  von  Smaalenene.  Dieses  hat  über  31%  städtische 
Bevölkerung,  welche  12,00,  bezw.  44,49%  Zunahme  hat,  während  die 
68,9  %  betragende  ländliche  Bevölkerung  9,59  %  zunimmt.  Die  Städte 
(Kjöbst»dor)  Frederikshaid  (6,41%  Zunahme)  und  Frederikstad  (17,04%  Zu- 
nahme) übersteigen  die  10  000  Einwohner-Grenze,  Sarpsborg  (1891:  2904, 
1900:  6888  E.)  und  Mofs  (1900:  8941  E.)  halten  sich  noch  unter  der- 
selben. An  industrieller  imd  Bergbau-Bevölkerung  erreicht  Smaalenene  unter 
den  Ämtern  mit  12,5%  den  höchsten  Satz.  Die  Industriemittelpunkte 
Frederikstad  und  Sarpsborg  hatten  1895  zusammen  61  Betriebe  mit  5409 


i)  Norwav  8.  6.  2)  Norway  S.  104—106.  3)  Norway  S.  391*. 
4)  Norway  S.  432.       5)  Norway  S.  433. 


Kleinere  Mitteilungen. 


519 


Tabelle  ÜL 


- 

gl 

x 

9  * 

—  — 

•c  a 

• — 

V  in  f  •*  r 

j\  im  K  r 

i  Amtcrl 

B«T0lkernng 

dir  Stadt.-  (Hyer)  mit 

der  L&nddiitrikU  (Bjrgdar) 

f 

J  SS 

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1-7 

3  1  r* 
2  ~* 

(1900)  Ober  10 IX 

S  —      1    GS  2  ~o 
ö   .        -  -  ■ 
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7,34 

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4.32 

104828 

0.98 

13 

23716 

20,23 

18  787 

1078 

3,01 

1  029 

110606 

2.90 

107  390 

0,33 

14 

Hedeniaiken  ...... 

7  527 

37,35 

6480 

118  329 

4,12 

113  649 

5,05 

15 

Sr.mlit-  l'in'gi'iiliu^ 

135  337 

5,56 

128  213 

5,56 

16 

hister  og  Mandat 

1 1  :.oo 

13,68 

12813 

7  803 

11,16 

7020 

69086 

0,81 

58  906 

3,45 

17 

Jarldberg  og  Larrik 

10664 

6,30 

11261 

36088 

10.39 

22416 

67  020 

0,39 

07  2S1 

2,79 

IM 

N ordre  Trondhjein 

5  Sf,l 

20,52 

4  035 

77480 

1,15 

76601 

2,59 

lü 

Nordre  Bergcuhus 

937 

40,06 

009 

88011 

1.30 

86883 

1,59 

30 

Nedenes  

13967 

1,48 

14166 

05  018 

1.84 

OOS77 

-1,77 

Norwegen   476450   34,52  354  179  148  081    19,37  124  047  1 0O6804|    5,53    1522091:  11,52 


Arbeitern  und  1  300  700  Arbeitstagen1);  Frederikshaid:  35  Betriebe  mit 
1790  Arbeitern  und  451  300  Arbeitstagen1).  In  diesem  Amte  ist  wohl  wie 
in  Akershus  die  industrielle  Entwicklung  im  Aufschwünge  begriffen.  Auf 
die  bebaute  BodentlUehe  kommen  bei  Smaalenene  20,4%  (zweithöchster  Be- 
trag) mit  34,1  %  Ackerbau  und  Viehzucht  betreibender  Bevölkerung.  Das 
Waldareal  beträgt  60,0%,  die  Binnengewässer  6%,  das  Snaufjeld  u.  s.  w. 
nur  12,7°0;  der  Prozentsatz  an  höherem  Gebirge  ist  auch  hier  noch  ziem- 
lich gering.  Fischerei  betreiben  1,5  °  0,  der  Seefahrt  u.  s.  w.  obliegen  3,6  °/0 
der  Bevölkerung.  Frederikstads  Handelsflotte  hatte  1808:  50  500  Tonnen 
Tragfähigkeit2);  aulser  dieser  Stadt  ist  im  Amte  auch  Frederikshaid  noch 
bedeutend  beteiligt  am  Holzhandel3). 

Aus  dem  dichtestbevölkerteu  Süden,  bezw.  Südosten,  führt  uns  unsere 
Tabelle  der  Bevölkerungszunahme  (Tab.  III)  in  den  schwächstbevölkerten 
Norden.  Die  drei  nördlichen  Ämter  Nordland  (Amt  14,03%,  Land 
14,30%  Zunahme),  Tromsö  (14,08,  bezw.  13,00%)  und  Finmarken 
(12,22,  bezw.  12,65%)  zeigen  ebenfalls  sämtlich  eine  üher  dem  Heichsmittel 
liegende,  nach  Norden  zu  geringer  werdende  starke  Zunahme.  Nordland  hat 
nur  zwei  Städte,  die  Kjöbstad  Bodo  (1000:  4827  E.)  und  die  Ladested 
Mosjöen  (1303  E.  l,  d.  i.  nur  etwa  4%  der  Amtsbevülkerung,  mit  20,26  % 
Zunahme;  Tromsö  Amt  hat  nur  die  Stadt  Tromsö  (1000:  (5055  E.),  d.  i. 
0,4%  der  Amtsbevölkerung  mit  15,02%  Zunahme;   Finmarken  schliefslich 


1,  Norway  S.  399.       2)  Norway  S.  433.       3)  Norway  S.  432. 


520 


Kleinere  Mitteilungen. 


hat  20,8%  der  Bevölkerung  mit  10,61%  Zunahme  in  den  drei  Städten 
(KjÖbstjßder)  VardÖ  (1900:  2579  E.),  Hammerfest  (2298  E.)  und  Vadsö 
(1931  E.)  wohnhaft.  Hei  einem  Areal  an  Äckern  und  Wiesen  von  1,0%, 
0,7%  und  0,1%  beherbergen  die  drei  Ämter  27,4%,  27,6%,  bezw.  15,1% 
Ackerbau  und  Viehzucht  treibender  Bevölkerung,  wahrend  34,0,  39,1  und 
52  %  sich  mit  Fischerei  beschäftigen.  An  letzterer  Gruppe  übertreffen  sie 
die  übrigen  Ämter  sehr  bedeutend;  der  nächst  niedrigere  Prozentsatz  ist  9,8. 
Der  Wald  erfüllt  9,3,  7,8  und  5,8%,  die  Binnengewässer  3,  und  je  2%, 
Snaufjeld,  Moore  und  Udmark  83,7,  88,5  und  92,1  %;  Nordland  hat  außer- 
dem noch  3%,  Tromsö  1%  Schnee  und  Eis.  Magnus1)  erklärt  die  starke 
Zunahme  der  vorwiegend  ländlichen  Bevölkerung  folgendennafsen :  „Die  ver- 
besserten VerkehrsverhUltnis.se,  der  reger  gewordene  Handel,  die  gesteigerte 
Ausnützung  der  unterirdischen  Schätze  haben  zu  diesem  Aufschwung  der 
nördlichen  Landesteile  Anlafs  gegeben.  Man  kann  sie  (mit  Keusch)  fast  als 
.«junge  Gebiete»  bezeichnen,  deren  materielle  Hilfsquellen  erst  aufgeschlossen 
sind,  und  wo  noch  viel  Raum  übrig  ist.u 

Etwa  9%  Zunahme  hüben  Söndre  Troudhjem,  das  nördlichste  Amt 
von  Mittel-Norwegen,  und  Stavanger  in  Süd-Norwegen.  Bei  beiden  entfällt 
die  Zunahme  hauptsächlich  auf  die  städtische  Bevölkerung;  das  südlichere 
Amt  von  beiden  ist  dabei  etwa  doppelt  so  dicht  bevölkert  als  das  nördlichere. 
Die  ländliche  Bevölkerung,  welche  allerdings  71,8%  und  63,1  %  der  Amts- 
bevölkerung beträgt,  zeigt  nur  2,45,  bezw.  0,002%  Zunahme.  Zu  Söndre 
Troudhjem  gehört  die  günstig  gelegene  Stadt  Drontheim  (30,84%  Zunahme8)); 
zu  Stavanger  aufser  der  Stadt  Stavanger  (27,79  %  Zunahme)  noch  die 
Städte  Haugesund  (Kjöbstad;  7935  E.),  Egersund  (Ladested;  3237  E.),  Sand- 
ncs  (Ladested;  2670  E.),  Skudeneshavn  (Ladested;  1188  E.),  Kopervik 
(Ladested;  1000  E.)  und  Sogndal  (Ladested;  425  E.).  Söndre  Trondhjem 
hat  3,3  %  Industrie-  und  Bergbaubevölkerung.  Am  Außenhandel  war 
Drontheim  1866  —  70  mit  6%,  1881  —  85  mit  5%%,  1891—95  mit  7%, 
1898  mit  6%%  beteiligt;  1898  hatte  es  an  der  Einfuhr  für  sich  betrachtet 
einen  Anteil  von  6,6%,  au  der  Ausfuhr  von  6,7  %3).  Drontheims  Handels- 
flotte (an  15.  Stelle)  hatte  1898:  42  600  Tonnen  Tragfähigkeit4);  die  In- 
dustrie zeigt  1895  folgende  Zahlen:  57  Betriebe  mit  1794  Arbeitern  und 
489  700  Arbeitstagen,  davon  (von  den  Arbeitstagen)  in  der  Maschinenindustrie 
40 %•'').  Das  Amt  Söndre  Trondhjem  hat  auf  3,6%  Äcker  und  Wiesen 
41,6  %  Ackerbau  und  Viehzucht  treibende  Bevölkerung;  9,8%  betreiben 
Fischerei.  30,6%  des  Areals  erfüllen  Wälder,  4%  Binnengewässer,  62,8% 
Snaufjeld  u.  s.  w.  Stavanger  Amt  hat  3,1  %  Industrie-  und  Hergbanbevölkerung; 
es  hatte  1895  in  der  Stadt  Stavanger  70  Betriebe  mit  1412  Arbeitern  und 
310  600  Arbeitstagen  aufzuweisen'5).  Bezüglich  der  Einfuhr  ist  Stavanger 
nächst  Drontheim  der  wichtigste  Ort  (1898:  3,6%*)).  Die  Handelsflotte 
zählt  1898:  69  Dampfer  von  27  100  Tonuen,  366  Segler  von  64  500 
Tonnen  Gehalt,  zusammen  162  200  Touueu  Tragfähigkeit  (an  vierter  Stelle 
unter  den  norwegischen  Häfen)4).  Haugesund  steht  mit  86  900  Tonnen  Trag- 
fähigkeit au  6.  Stelle.    Stavanger  Amt  hat  5,2%  Äcker  und  Wiesen;  darauf 


1)  O.  Z.  Bd.  IV,  lsits,  B.  411. 

*2)  1*93  wurden  t>  in  ige  Vorstädte  eingemeindet;  die  Zahl  für  1>"J1  nimmt  Hück- 
sicht  auf  diese  Eingemeindung.    Norway  S.  105. 

Norway  S.  432.        Ii  Norway  8.  483.       5)  Norway  S.  3«J9— 400. 
6)  Norway  8.  899. 


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Kleinere  Mitteilungen.  521 

50,4  %  Ackerbau  und  Viehzucht  betreibende  Bevölkerung.  Im  Bezug  auf 
Ackerbau  und  Viehzucht  steht  das  Amt  an  dritter,  im  Bezug  auf  Viehzucht 
allein  an  zweiter  Stelle  im  Königreich.  Fischerei  betreiben  3,3%,  See- 
fahrt u.  s.  w.  3,0%.  Auf  den  Wald  kommen  12,0%,  auf  Binnengewässer  5%, 
auf  Snaufjeld,  Moore  u.  s.  w.  77,8  °;0. 

Etwa  7%  Zunahme  haben  die  drei  nordsüdlich  zu  einander  liegenden 
Ämter,  das  süd-norwegische  Küstenamt  Bratsberg  (7,34%)  und  die  mittel- 
norwegischen Binnenämter  Buskerud  (7,49%)  und  Christians  (6,98%). 
Buskerud  hat  27,0%,  Bratsberg  2«i%,  Christians  jedoch  nur  5,4%  städtische 
llevölkerung,  deren  Zunahmezahlen  11,62,  bezw.  10,79%,  26,33,  bezw. 
7,05%,  und  92,58%  betragen.  Im  Amte  Buskerud  liegen  die  Städte 
Brammen  (11,62  %  Zunahme),  Kongsberg  (1900:  5585  E.),  Höuefofs  (1984  E.) 
und  Holmsbu  (107  E.),  letzteres  Ladested.  Von  der  Amtsbevölkerung  ge- 
hören 9,4%  der  Gruppe  Industrie  und  Bergbau  an.  Drammen  zählte  1895: 
109  Betriebe  mit  3140  Arbeitern  und  746  400  Arbeitstagen  und  steht  mit 
der  Zahl  der  Arbeitstage  an  vierter  Stelle  unter  den  norwegischen  Städten1);  » 
seine  Handelsflotte  hatte  1898:  77  000  Tonnen  Tragfähigkeit  und  stand  an 
siebenter  Stelle.  72.5%  der  Amtsbevölkeruug  ist  ländliche  Bevölkerung 
und  zeigt  6,06%  Zunahme.  Auf  4,1%  Äcker  und  Wiesen  kommen  41,7%, 
Ackerbau  und  Viehzucht  treibende.  Der  Wald  bedeckt  33,5  %  des  Areals 
und  beschäftigt  2,7  %  der  Bevölkerung.  5  %  des  Areals  kommen  auf  Binnen- 
gewässer, 1%  auf  Schnee  und  Eis,  56,4%  auf  Snaufjeld,  Moore  und 
Udmark. 

Das  Amt  Bratsberg  zählt  die  Städte  Skien  (20,33%  Zunahme), 
Knigerö  (1891:  5753,  1900:  5223  E.),  Porsgrund  (1900:  4938  E.),  Brevik 
(2302  E.),  Laugesund  (1410  E.)  und  Stathelle  (500  E.),  letztere  beiden 
Ladestelleu.  Skien  und  Porsgrund  hatten  1895  40  industrielle  Betriebe  mit 
2004  Arbeitern  und  542  900  Arbeitstagen1).  Die  Handelsflotte  von  Pors- 
grund (an  8.  Stelle)  hatte  1898:  57  500  Tonneu  Tragfähigkeit,  die  von 
Kragerö  (an  13.  Stelle)  47  300  Tonnen  Tragfähigkeit8).  8,9%  der  Bevöl- 
kerung des  Amtes  gehören  der  Industrie  und  dem  Bergbau  an.  Die  Be- 
•  völkerung  der  Landdistrikte,  74,0%  der  Amtsbevölkerung,  etwas  mehr  als 
beim  Amt  Buskerud,  hat  4,95%  Zunahme.  Auf  2,5%  Äcker  und  Wiesen 
entfallen  39,0  %  der  Aintsbevölkeruug  als  zur  Gruppe  Ackerbau  und  Vieh- 
zucht gehörig.  37,3  %  Waldareal  beschäftigen  4,0  %  ih?r  Bevölkerung.  Auf 
Hinnengewässer  entfallen  7%  auf  Snaufjeld  u.s.w.  53,2%.  Das  Amt  Christians 
schließlich  hat  die  Städte '  ( Kjöbsta-der)  Gjövik  (1900:  3147  E.)  und  Lille- 
hammer (3108  E.).  2,4%  der  Bevölkerung  entfallen  auf  Industrie  und 
Bergbau.  Die  ländliche  Bevölkerung  beträgt  94,0  %  und  hat.  eine  Zunahme 
von  4,32  %,  sodal's  die  hohe  Zunahme  des  geringen  Prozentsatzes  städtischer 
Bevölkerung  auf  die  Zunahme  der  Amtsbevölkerung  nicht  so  sehr  erhöhend 
wirkt,  3,0%  Äcker  und  Wiesen  ernähren  51,1%  Ackerbau-  und  Viehzucht 
Treibende.  In  Ackerbau  und  Viehzucht  zusammengenommen  steht  Christians 
an  2.  Stelle,  an  letzterer  Erwerbsgruppe  für  sich  genommen  steht  das  Amt 
an  5.  Stelle.  21,3%  Waldareal  beschäftigt  1,8%  der  Amtsbevölkemug. 
Binnengewässer  nehmen  4%,  Schnee  und  Eis  3%,  Snaufjeld,  Moore  und 
Udmark  08,1%  des  Areals  ein.  Dem  über  dem  Iteiehsmittel  stehenden 
Prozentsatz  an  Äckern  und  Wiesen  entspricht  die  Volksdichte  nicht,  wohl  mit 


11  Norway  S.  3W.      -1)  Norway  B.  433. 


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522 


Kleinere  Mitteilungen 


infolge  des  geringen  Prozentsatzes  an  städtischer  Bevölkerung  (5,4  %)  und 
infolge  der  Eigentümlichkeiten  des  Binnenamtes. 

Kine  weitere  («nippe  von  drei  Ämtern  hat  etwa  6%  Zunahme  der 
Aiutsbcvölkerung,  nämlich  die  mittelnorwegischen  Küstenämter  Söndro 
Hergen  hus  (5,56%)  und  Romsdal  (6,33%)  so«'ie  das  Binnenamt  Hede- 
marken (5,05%).  Romsdal  hat  18,7%  städtische  Bevölkerung  mit  zu- 
sammen 20,23,  bezw.  3,01%  Zunahme  und  zwar  in  den  Städten  Aalesund 
(38,85%  Zunahme}.  Hunstiansund(  16,01° „Zunahme)  und  Molde(1900:  1678E.). 
Aalesund  hatte  1898  (an  3.  Stelle)  einen  Fischexport  von  etwa  5  Mill.  Kr., 
Christiansund  (an  2.  Stelle)  von  etwa  8  Mill.  Kr.').  Der  wichtige,  aber  im 
Ertrage  sehr  wechselnde  Heringsfang  zeigte  beim  Amte  Romsdal  folgende 
Zahlen:  1886:  191  834  Kr.,  1888:  872  146  Kr.,  1H91:  2755  Kr.,  1897 
fan  5.  Stelle):  102  787  Kr.2).  Der  Fischerei  obliegen  6,6%  der  Amts- 
bevölkerung (an  5.  Stelle).  Ackerbau  und  Viehzucht  treiben  50,2%  (in 
Bezug  auf  beide,  wie  in  Bezug  auf  Viehzucht  für  sich  an  4.  Stelle  im  Reich 
stehend)  auf  4,4%  (Äckern  und  Wiesen)  des  Amtsareals.  16,6%  Areal  ge- 
hören dem  Walde,  2%  den  Binnengewässern,  2%  dem  Schnee  und  Eis,  75% 
tiein  Suaufjeld,  Mooren  und  IM  mark  an.  Die  Küsteuherreder3)  des  Amtes 
haben  nach  A.  Heiland1)  eine  dreimal  dichtere  Bevölkerung  als  die  Fjord - 
herreder.  Das  Amt  Hede  marken  hat  in  den  beiden  Städten  (Kjöbstseder) 
Hamar  (1904):  6003 E.)  und  KongS  vinger  (1524  E.l  nur  6%  der  Bevölkerung 
in  Städten  wohnhaft,  mit  einer  Zunahme  von  37,35%.  Die  industrielle  und 
bergbautreibende  Bevölkerung  beträgt  2,3%.  Die  Landbevölkerung  (94,0%) 
zeigt  4,12%  Zunahme.  47,2%  der  Bevölkerung  (der  fünfthöchste  Betrag) 
«liliegen  dem  Ackerbau  und  der  Viehzucht  auf  3,0%  des  Amtsareals  an 
Äckern  und  Wiesen.  40.2%  Waldareal  beschäftigen  4,7  %  der  Bevölkerung 
(höchster  Prozentsatz).  4%  des  Areals  kommen  auf  Binnengewässer,  46,8  % 
auf  Suaufjeld.  Moore  und  Fdinark.  Auch  bei  Hedemarken  entspricht  die 
Volksdichte  (4,6  E.  auf  1  qkm)  nicht  dem  Prozentsatz  des  Acker-  und 
Wiesenlandes,  aus  ähnlichen  («runden  wie  beim  Amte  Christians. 

Sün. Ire  Bergenhus  sehliefslich ,  das  die  Stadt  Bergen  iimschlielsende 
Amt,  hat  für  sich  genommen  gar  keine  städtische  Bevölkerung:  dabei 
6,1%,  Industrie  und  Bergbau  treibende  Bevölkerung.  Die  ländliche,  d.  i. 
hier  also  zugleich  Amtsbevölkerung  hat  5,06  %  Zunahme.  Mit  der  Stadt 
Heigen  würde  die  (iesimtzunahme  14,08  %  betragen.  Söndre  Hergenhus  mit 
Hergen  würde  dann,  au  Zunahme  dem  Amte  Tromsö  gleich,  au  dritter  Stelle 
unter  den  Ämtern  (abgesehen  von  Christiania  und  Bergen)  stehen.  Die  an 
der  Küste  liegenden  Vogteien  Söndhordland  und  Nordhordland  haben  eine 
fast  Imal,  bezw.  über  5 mal  so  grofse  Bevölkerungsdichte  als  die  Vogtei 
Han lauger  og  Vofs,  welche  dem  Fjord-  und  Biunculandtypus  zugehört4). 
Die  Bevölkerungsbewegung  1891  —  1900  der  ersteren  beiden  Vogteien  beträgt: 
:-l,43%,  bezw.  +  8,92%,  die  der  letzteren  -f  6,15%.  Auf  3,1%,  des 
Areals  entfallen  Äcker  und  Wiesen  mit  einer  Ackerbau  und  Viehzucht 
treibenden  Bevölkerung  von  46,8  %  (  an  Viehzucht  an  3.,  an  Ackerbau  und 
Viehzucht  an  6.  Stelle  unter  den  Ämtern).  3,7%  der  Bevölkerung  obliegen 
der  Fischerei.  12,9%  Areal  nimmt  der  Wald,  3%  Hinnengewässer,  5%  Schnee 
und  Eis,  76%,  Snaufjehl,  Moore  und  Udmark  ein. 

1.  Nnrwav  S.  432.       2)  Norway  S.  367. 

A  Pas  norwegische  Hcrrcd  etwa  entsprechend  «lein  dänischen  Sogn  (Gemeinde). 
4)  Zitiert  nach  Magnus  S.  375. 


Kleinere  Mitteilungen. 


523 


Die  Stadt  Bergen  (34,45%  Zunahme)  zählte  1801:  18  127  E.1), 
d.  i.  eine  Zunahme  1801  — 1900  von  298,19%.  Es  nimmt  als  Industriestadt 
(bes.  Maschinen-  und  Textilindustrie)  den  2.  Rang  ein  (1895:  115  Betriehe 
mit  4924  Arbeitern  und  1  347  700  Arbeitstagen2));  seine  Handelsflotte  steht 
an  Tragfähigkeit  an  1.  Stelle  unter  denen  der  norwegischen  Städte  (1898: 
235  Dampfer  von  151  600  Tonnen  Gehalt,  108  Segler  von  7800  Tonnen 
Gehalt,  zusammen  553  700  Tonnen  Tragfähigkeit  3)).  Von  Norwegens  Aufsen- 
handel  entfielen  auf  Bergen  1866—70:  19%,  1881—85:  16%,  1891—95: 
17%  1898:  15%;  1898  fielen  16,3%  der  Einfuhr  des  Reichs,  13,2%  der 
Ausfuhr  auf  dasselbe.  An  Fischexport  steht  es  an  erster  Stelle  mit  1898: 
16  Mill.  Kr.4). 

Nur  etwa  3%  Zunahme  haben  die  beiden  südnorwegischeu  Küstenämter, 
das  gutbevölkerte  List  er  og  Man  dal  (3,45  %)5)  und  das  bereits  dichtest- 
bevölkerte  Jarlsberg  og  Larvik  (2,79%).  Im  Amte  Lister  og  Mandal 
kommen  auf  Ackerbau  uud  Viehzucht  (au  7.  Stelle)  46,5%,  auf  Fischerei 
2,7  %,  auf  Seefahrt  (an  3.  Stelle)  6,K  %  der  Bevölkerung.  Äcker  und  Wiesen 
nehmen  nur  2,9%  des  Areals  ein,  Waldungen  25,7%,  Binnengewässer  6%, 
Snaufjeld  u.  s.  w.  65,1  %.  Neben  72,5  %  ländlicher  Bevölkerung  wohnen  17,9  % 
in  gröberen,  9,6  %  in  kleineren  Städten.  Industrie  und  Bergbau  betreiben  3,1  °/0 
der  Bevölkerung.  Die  Zunahme  der  Landbevölkerung  betrügt  nur  0,31%,  die 
der  städtischen  13,68  und  11,16%.  Die  letztere  wohnt  in  den  beiden  Kjüb- 
sta'dern  Christiansand  (13,68%  Zunahme;  1898  mit  einer  Handelsflotte  von 
48  100  Tonnen  Tragfähigkeit  an  12.  Stelle)3}  und  Flckkefjord  (1900: 
2073  E.)  und  den  beiden  Ladcstedern  Mandal  (1900:3983  E.;  1898  mit  einer 
Handelsflotte  von  16  000  Tonnen  Tragfähigkeit  an  14.  Stelle)3)  und  Far- 
sund  (1900:  1717  E.).  Die  verhältnismälsig  recht  hohe  Dichteziffer  des 
Amtes  (11,2  E.  auf  1  qkm)  hat  bei  dem  dagegen  geringen  Prozentsatz  an  be- 
bauter Fläche  (2,9  %)  wohl  in  den  seemännischen  Berufen  hauptsächlich  mit 
ihre  Begründung.  Jarlsberg  og  Larvik  hat  35,1%  seiner  Bevölkerung 
in  Städten  wohnhaft,  nämlich  in  Larvik  (5,30%  Abnahme),  Tönsberg 
(1900:  8620  E.),  Horten  (Ladested;  8160  E),  Sandefjord  (4817  E.),  Hol- 
mestrand (2538  E.),  Svelviken  (Ladested;  12o3  E.)  und  Aasgaardstrand  (Lade- 
sted; 120  E.).  Von  ihnen  steht  Tönsberg  mit  seiner  Handelsflotte  (1898: 
69  Dampfer  von  «>3  400  Tonnen  (Sehalt,  <6  Segler  von  31  300  Tonnen  Ge- 
halt, zusammen  223  700  Tonnen  Tragfähigkeit3»)  an  3.  Stelle  unter  den 
Häfen  Norwegens;  Sandefjords  Flotte  (an  10.  Stelle)  hatte  1898:  53  800 
Tonnen  Tragfähigkeit3).  Jarlsberg  og  Larvik  ist  eines  der  wenigen  Amter, 
welche  einen  geringeren  Prozentsatz  höheren  Gebirges  haben.  23,1  %  des 
Areals  (der  höchste  Prozentsatz)  bedecken  Äcker  und  Wiesen,  58,8%  Wal- 
dungen, 3%  Binnengewässer  und  nur  11,8%  Snaufjeld,  Moore  und  Udmark. 
Die  Ackerbau  und  Viehzucht  treibende  Bevölkerung  beträgt  32,2%;  mit 
Fischerei  beschäftigen  sich  2,7%,  mit  Seefahrt  13,2%  (höchster  Prozentsatz); 
der  Industrie  uud  dem  Bergbau  obliegen  5,7  %.  Abgesehen  von  der  Stadt 
Larvik,  welche  5,30%  Abnahme  zeigt,  haben  die  kleineren  Städte  16,39% 
Zunahme,  die  Landbevölkerung  (64,6%)  jedoch  0,39%  Abnahme. 

Der  Reihenfolge  nach  kommt  hierauf  das  Amt  Nordre  Trondhjein  als 
südlichstes  der  Ämter  Nord-Norwegens   mit   2,59  %  Zunahme   der  Gesamt- 

1)  Norway  8.  lO.V     2}  Norway  S.  390.     3i  Norway  S.  433      4)  Norway  S.  432. 
6)  Vergleiche  bei  Magnus  (S.  37"),  nach  A.  Heiland t  das  Beispiel  der  Vogtei 
Lister  für  die  verschiedene  Dichte  der  Küsten-,  Fjord-  und  Binncn-Ucrrcdcr. 


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ä^4 


Kleinere  Mitteilungen 


bevölkerung.  Die  nur  7  %  betragende  städtische  Bevölkerung  bat  26,52  % 
Zunahme,  die  ländliche  (93%)  nur  1,15%.  Auf  2,7%  Äcker  und  Wiesen 
sind  4ö,4  %  Ackerbau  und  Viehzucht  treibende  Bevölkerung  beschilftigt. 
Beide  Erwerbsgruppen  nehmen  die  8.,  die  Viehzucht  Nordre  Trondhjems  für* 
sich  nimmt  die  t».  Stelle  den  entsprechenden  Gruppen  der  andern  Amter 
gegenüber  ein.  22,7%  des  Areals  bedecken  Waldungen,  welche  1,3%  der 
Bevölkerung  Beschäftigung  geben.  Der  Fischerei  obliegen  4,4%,  1,3%  der 
Seefahrt,  2,(5%  der  Industrie  und  dem  Bergbau.  Auf  Binnengewässer  ent- 
fallen 6%  auf  Snaufjeld  u.  s.  w.  (i8.G  %.  Im  Amte  Nordre  Trondhjem  liegen 
die  Städte  Namsos  (Ludested;  1900:  2287  E.),  Stenkjier  (Ladested;  2039  E.) 
und  Lcvanger  (Kjöbstad;  1538  E.). 


Tabelle  IV. 


Ii 

?i 

BCTdllwnag  (a 

m  3  Desembei  isoo) 

ls 

Ämter 

der  Städte  mit  (1900) 

11 

de«  Amtes 

der  Landdi.trikte 

<=  100  "„) 

Uber  10000  Ktnw 

unter  lOOOOKinw. 

in  % 

%  § 

X  N 

in  • 

ia  ", 

I 

1 

Christiania  (Stadt)  .. 

225  cm 

225  686 

100 

2 

72171» 

72179 

100 

s 

116118 

3356 

2,9 

111757 

97,1 

4 

151537 

6220 

4.1 

145317 

95,9 

5 

74  2% 

6955 

9,4 

67  341 

90,6 

«5 

130298 

20  509 

1Q,5 

15829 

11,6 

939G0 

68,9 

7 

Finmarken  

32735 

680« 

20,8 

25927 

79,2 

8 

Söndre  Trondhjem  .  . 

135133 

38156 

28  2 

96977 

71.8 

0 

1271112 

30541 

24,0 

16  455 

12,9 

801 '.»6 

63,1 

10 

111608 

88091 

20,5 

7  976 

7,0 

81541 

72,5 

1 1 

«18  788 

11343 

11,5 

14373 

14,5 

73072 

74,0 

12 

115G15 

6  255 

5,4 

109  360 

94,6 

1» 

Homsilal  .   

135  899 

23  715 

17,5 

167H 

1,2 

110  506 

«1,3 

14 

125856 

7  527 

6,0 

11«  329 

94,0 

15 

Söndre  Bergenhus  .  . 

135  337 

135337 

100 

16 

Linter  og  .Maiulal  .  .  . 

Hl  454 

14506 

17,9 

7  «03 

9.6 

59085 

72,5 

17 

Jarlsbcrg  og  Larvik  . 

103  772 

10664 

10,3 

26088 

25,1 

67  020 

64,6 

18 

Nordre  Trondhjem  .  . 

83  34  4 

5  «64 

7,0 

77  4SO 

93,0 

l'.l 

Nordre  Bergenhus  .  . 

hg  048 

937 

14 

«son 

9«, 9 

20 

Ncdenea   

79605 

13  957 

17.5 

65  64« 

82,5 

Norwegen   

2  2313«»:) 

176450 

8 1,4 

14.HOS1 

6,6 

1  606  864 

72,0 

Das  Amt  Nordre  Bergenhus,  sowohl  an  Dichte  als  auch  an  Be- 
völkerungszunahme hinter  den  nördlich  und  südlich  von  ihm  liegenden  beiden 
Ämtern  zurückstehend,  hat  nur  1,5',»%  Zunahme  der  Amtsbevölkerung,  1,30% 
Zunahme  der  98,'.»  %  betragenden  ländlichen  Bevölkerung,  40,06  %  Zunahme 
der  jedoch  nur  1,1  %  der  Bevölkerung  erreichenden  städtischen  Bevölkerung, 
welche  sieh  in  der  Ladested  Florö  (1900:  937  E.)  konzentriert.  Es  kommen 
auf  Snautjeld,  Moore  und  Udmark  74,0%  und  auf  Schnee  und  Eis  9% 
(Jostedalsbne,  Aalfoteubne,  Jotunheim),  auf  Binnengewässer  3  %,  auf  Wald 
11,9%,  sodal's  nur  2,1  %  des  Areals  für  Acker  und  Wiesen  bleiben.  Die 
Bevölkerung  betreibt  zu  54,7  %  Ackerbau  und  Viehzucht  (  höchster  Prozent- 
satz); die  Viehzucht,  ist  in  Nordre  Bergenhus  so  stark  entwickelt,  dafs  das 


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Kleinere  Mitteilungen.  525 

Amt  hierin  an  erster  Stelle  im  Reich  steht  (daher  die  hohe  Prozentzahl  für 
die  (trappe  Ackerhau  und  Viehzucht  trotz  des  geringen  Acker-  und  Wiesen- 
Areals).  Der  Fischerei  ohliegen  4,0  %.  Auch  im  Amte  Nordre  Bergeuhus 
verteilt  sich  die  Bevölkerung  hauptsächlich  auf  die  Küstenvogtei  (Sönd-og 
Nordfjord),  weniger  auf  die  Fjordvogtei  (Sogn),  welche  eine  etwa  hall)  so 
dichte  Bevölkeraug  hat  als  erstere1). 

Das  letzte  an  Zunahme  iu  der  Reihe  der  Ämter  ist  das  süd -norwegische 
gehirgige  Küstenamt  Nedenes  mit  1,77  %  Abnahme  der  Amtshevölkerung. 
Ländliche  sowohl  als  städtische  Bevölkerung  nehmen  ah.  Letztere  ist  mit 
17,5%  in  Städten  mit  unter  10  000  E.  vertreten.  Es  sind  dieses  die  Städte 
Arendal  (1900:  4370  E.;  vom  1.  Jan.  1902  ah  durch  die  Gemeinde  Barhu  mit 
1900:  0785  E.  vcrgröfsert2)),  Österrisör  (1900:  3195  E.;  seit  1.  Jan.  1901 
durch  eineu  Teil  der  Gemeinde  Söndeled  vergrößert1)),  Grimstad  (3036  E.), 
Tvedestraud  (Ladested;  1706  E.)  und  Lillesand  (Ladested;  1350  E.).  Arendal 
nimmt  die  5.  Stelle  an  Tragfähigkeit  seiner  Handelsflotte  ein  (1898: 
23  Dampfer  von  8100  Tonnen  Gehalt,  180  Segler  von  88  300  Tonnen 
Gehalt,  zusammen  117  400  Tonnen  Tragfähigkeit)3).  Grirastads  Handelsflotte 
sieht  an  9.  Stelle  mit  56  200  Tonnen  Tragfähigkeit  3).  In  Nedenes  Amt  ist 
die  Küstenvogtei  Nedenes  etwa  9  mal  so  stark  bevölkert  als  die  Binnenvogtei 
Sa-tersdalen 1).  Acker  und  Wiesen  sind  nur  1,4  %  mit  26,6  °/0  Ackerbau 
und  Viehzucht "  treibender  Bevölkerung  da.  37,0  °/0  des  Areals  bedecken 
Wälder,  6  %  Binnengewässer,  55,6  %  Snaufjeld  u.  s.  w.  Die  Waldungen 
beschäftigen  3,5%  der  Bevölkerung  (dritthöchster  Prozentsatz),  Fischerei  1,2%, 
Seefahrt  (an  2.  Stelle)  11,7%,  Industrie  und  Bergbau  (an  5.  Stelle)  8,3%. 
Die  starke  Abnahme  der  südwestlichen  Ämter  schreibt  Magnus4)  dem  Rück- 
gang der  Segclsehiflahrt  und  des  HolzschitTbaues  zu.  Dafs  diese  Erwerbs- 
zweige von  grofser  Wichtigkeit  z.  B.  für  das  Amt  Nedenes  sind,  geht  ans  dem 
Verhältnis  der  ziemlich  hohen  Volksdichte  (8,5  E.  auf  1  qkm)  zu  den  ge- 
ringen Zahlen  der  Acker  und  Wiesen  (1,4  %),  der  Ackerbau  und  Viehzucht 
treibenden  Bevölkerung  (  26,6  %)  u.  s.  w.  deutlich  hervor. 

Zum  Schlufs  seien  noch  die  Zählungsergebnisse  des  19.  Jahrhunderts  für 
ganz  Norwegen  zusammengestellt  (rechtliche  Bevölkeraug)"): 


15.  Aug.    1769  727  600  E. 

1.  Febr.  1801  883  038  „ 

30.  April  1815«)  885  431  „ 
27.  Nov.  1825  1051  318  „ 
29.  Nov.    1835  1  191  827  „ 

31.  Dez.    1845  1  328  471  „ 


31.  Dez.  1855  1  490  047  E. 

31.  Dez.  1865  1  701  75(5  „ 

31.  Dez.  1875  1  813  424  „ 

1.  Jan.  1891  2  000  917  „ 

3.  Dez.  1900  2  231  395  „ 


Die  Zuuahme  der  Reichsbevölkerung  1801  —  1900  beträgt  152,69  % 
Für  die  natürliche  Volksvermehrung  in  Norwegen  wären  noch  die  Zahlen  für 
die  Auswanderung  hinzuzuziehen.  Dr.  Karl  Neukircb. 

1)  Zitiert  nach  Magnus  S.  375.         2i  Forel0bige  Resultater  S.  20. 

3)  Norway  S.  433.        4)  G.  Z.  Bd.  IV,  1*J8,  S.  411. 

:>)  Norway  S.  86—87;  vergl.  auch  S.  lOSff. 

6)  Wahrscheinlich  zu  niedrig;  Norway  S.  KG. 


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526 


Geographische  Neuigkeiten. 


Geographische 

Zusammengestellt  von 

Allgemeines. 

*  Die  höchste  jemals  auf  einer 
Luftballon  fahrt  erreichte  Höhe  von 
über  10  300  m  erreichten  die  beiden  Luft- 
achitfer  vom  kgl.  meteorologischen  Institut 
zu  Berlin  Prof.  Berson  und  Dr.  Süring 
bei  einem  Aufstieg  am  81.  Juli  mit  einem 
«4<>o  cbm  Gas  fassenden  Ballon,  wodurch 
die  von  Berson  am  5.  Dezember  1894 
bisher  im  bemannten  Ballon  erreichte 
höchste  Höhe  von  9156  m  beträchtlich 
übertreffen  wurde.  Die  Fahrt  begann  am 
81,  Juli  vormittags  1»  Uhr  f>0  Min.  bei 
schwachem  Winde,  so  dafs  der  Ballon 
wenig  abgetrieben  wurde  und  gegen 
C'/4Uhr  abends  bei  Briesen  unweit  Kott- 
bus  landen  konnte.  Bis  zu  9000  m  war 
«las  Befinden  der  Leiden  Forscher  durchaus 
normal,  und  Iiis  zu  10  250  m  Höhe  Helsen 
sich  regelmiifsige  Beobachtungsreihen, 
welche  alle  meteorologischen  Instrumente 
umfal'sten,  durchführen,  obgleich  sich 
schnell  vorübergehende  Bewufstseinsatö- 
rungen  zeigten  Als  bald  darauf  der  eine 
der  Teilnehmer  wiederum  einschlummerte, 
ohne  sofort  wieder  erweckt  werden  zu 
können,  gelang  es  dem  anderen,  den 
Ballon  durch  Ventilziehen  zum  Abstieg 
zu  veranlassen;  dabei  wurde  noch  ein 
Barometerstand  von  202  mm  abgelesen, 
was  einer  Höhe  von  10  300  m  entspricht 
Da  der  Ballon  sich  noch  im  Anstieg  be- 
fand, dürfte  er  diese  Höhe  noch  um  einige 
hundert  Meter  überschritten  haben.  Bei 
«ler  Anstrengung  des  Ventil/.iehens  wurde 
auch  der  zweite  Teilnehmer  ohnmächtig. 
Aus  diesen  schweren  Ohnmachtaanfällcu 
erwachten  beide  Korscher  ziemlich  gleich- 
zeitig erst  nach  drei  Viertel  bis  einer 
Stunde,  als  der  Ballon  sich  etwa  5000  m 
hoch  befand.  Unter  gesteigerter  Sttuer- 
stotfatmung  kehrte  das  Bcwul'stscin  bald 
völlig  zurück,  aber  ein  Gefühl  grol'ser 
Schlaffheit,  das  bis  nach  der  Landung 
andauerte,  erschwerte  die  Thätigkeit  sehr;  | 
trotzdem  wurde  der  Abstieg  langsam  und 
stufenweise  durchgeführt  und  der  Ballon 
glatt  gelandet.  Bei  3800  m  zeigte  das 
Thermometer  den  Gefrierpunkt  an,  bei 
10-250  m  wurde  eine  Temperatur  von 
—  40*  C.  abgelesen.  Für  die  Erforschung 


Neuigkeiten. 

Dr.  August  Fitzau. 

des  Luftmeeres  werden  die  auf  dieser 
denkwürdigen  Ballonfahrt  in  bisher  noch 
unerreichten  Höhen  gemachten  Beobach- 
tungen gewifa  von  gröfstem  Nutzen  sein. 

Europa. 

*  Zur  Anstellung  von  Seiches- 
beobachtungen am  Madüsee  hat  die 
kgl.  preufs  Akad.  der  Wissenschaften 
zu  Berlin  in  ihrer  Sitzung  am  13.  Juni 
dem  Oberlehrer  Dr.  W.  Halbfafs  in  Neu- 
haldensleben  1000  JC  bewilligt. 

*  Gletscherforschung  in  Frank- 
reich. In  Ergänzung  eines  früheren 
Berichtes  in  diesen  Blättern  kann  ich 
mitteilen ,  dafs  die  am  internationalen 
alpinen  Kongrefs  in  Paria  im  Vorjahr 
angeregte  Gründung  einer  französischen 
Gletscherkommission  zur  Thatsache  ge- 
worden ist.  Unter  dem  Vorsitze  des 
Prinzen  Roland  Bonaparte,  mit  Joseph 
Vallot  als  Vizepräsident  und  Charles 
Kaimt  als  Sekretär,  hat  sich  eine  solche 
Kommission  unter  Patronat  des  franzö- 
sischen Alpenklubs  gegründet. 

Ihr  Zweck  soll  sein: 

1)  Die  Beobachtungen  über  die 
Gletscherschwankungen  in  Frankreich  zu 
sammeln  und  darüber  an  die  internationale 
Gletscherkommission  zu  berichten. 

2)  Studien  an  den  französischen 
Gletschern  anzuregen. 

3)  Die  Kenntnisse  von  den  Gletschern 
zu  verallgemeinern  und  das  grofse  Pub- 
likum dafür  zu  interessieren. 

Ferner  ist  eine  Preisauaschreibung  be- 
absichtigt. Es  sind  zwei  Themen  in  Aus- 
sicht genommen: 

1)  Studie  über  einen  Gletscher 
des  französischen  Gebietes;  Lage, 
geologische  Beschaffenheit  der  Umgebung, 
Klima,  Einzugsgebiet,  Moqdiomctrie, 
Schneegrenze;  jetziges  und  früheres  Ver- 
halten. Ferner  Abschmelzungen,  alte 
und  neue  Moränen,  Natur  ihres  Materials, 
Abflufsmengeu  des  Baches.  Die  Arbeit 
mufs  mit  Plänen ,  Profilen  und  neuen 
Photographien  ausgestattet  sein. 

2)  Studie  über  die  Lage  der 
Schneegrenze  in  einem  Gebirg«- 
stock  Frankreichs.    Diese  Studie  soll 


Geographische  Neuigkeiten. 


527 


sich  auf  neue  Höhenmessungen  stützen 
und  soll  nicht  auf  Kompilation,  sondern 
auf  Beobachtungen  beruhen.  Der  Treis 
beträgt  300  Fr.;  Ablieferung  bis  31.  De- 
zember 1«J03. 

Eb  ist  sehr  erfreulich,  dal»  wir  uun 
aus  Frankreich,  das  so  grofse  und  inter- 
essante Gletschergebiete  besitzt,  aufregel- 
miifsige  Berichte  über  die  Glctacher- 
sch wankungen  hoffen  dürfen.  Denn  Be- 
obachtungen, welche  nur  in  so  langen 
Terminen  gesicherte  Resultate  versprechen, 
benötigen  einer  Organisation,  Welche  sie 
fiher  die  Lebensdauer  oder  Arbeitslust 
einzelner  Forscher  hinaus  sicherstellen. 

E.  Richter. 

Asien. 

*  Von  Sven  Hedin  sind  wiederum 
Nachrichten  eingegangen,  die  einen  sehr 
günstigen  Verlauf  seiner  größten  zentral- 
asiatischen  Forschungsreise  erkennen 
lassen.  Der  von  Tjarkhlik,  den  27.  April 
datierte  Bericht  lautet:  „Meine  letzte 
Exkursion,  die  vier  Monate  dauerte,  war 
die  günstigste,  die  ich  bisher  ausgeführt 
habe.  Ich  habe  eine  Menge  neuer  wich- 
tiger Entdeckungen  gemacht  und  unge- 
fähr 170  schwedische  Meilen  durch  völlig 
unbekannte  Gegenden  Asiens  zurückgelegt, 
ao  dafs  fast  jeder  Tag  Neues  brachte. 
Mit  einer  Karawane  von  11  Kamelen, 
10  Pferden  und  1)  Mann  verliefs  ich  das 
Hauptlager  bei  Tjimentag.  Nach  einem 
kurzen  Besuche  beim  See  Ghas  über- 
sehritten wir  die  mächtige  Gebirgskette 
Astintag  und  begaben  uns  dann  nach 
dem  Distrikt  Sisting,  der  von  Mongolen 
bewohnt  wird.  Dann  ging  die  Reise 
durch  die  grofse  Gobi -Wüst*;,  wo  wir 
zwölf  Tage  hindurch  keinen  Tropfen 
Wasser  fanden,  bis  wir  emilich  die  Quelle 
Altimisch  erreichten.  Hier  fanden  wir 
drei  Dörfer  mit  Ruinen  von  Häusern, 
Tempeln  und  hohen  Türmen,  nebst  meh- 
reren chinesischen  Manuskripten,  die,  wie 
ein  Chinese,  dem  ich  sie  zeigte,  erklärte, 
800  Jahre  alt  sind.  (In  einem  Briefe  an 
seinen  Verleger  F.  A.  Brockhaus  be- 
merkt Hedin  hierzu  noch:  Besonders 
interessant  ist  die  l'ntersuchung  der  alten 
chinesischen  und  mongolisch -buddhisti- 
schen Ruinenstätteu  gewesen,  die  ich  am 
nördlichen  Ufer  des  alten  ausgetrockneten 
Sees  Lop-uor  entdeckte  und  wo  ich  jetzt 
sogar  mehrere  Manuskripte  und  andere  j 


Inskriptionen  fand.)  Dann  folgte  eine 
wichtige  Arbeit:  das  Nivellement  des  Sees 
Kara-Koschun.  Die  Strecke  ist  NO  km 
lang  und  führt  durch  eine  ganz  öde  Wüste. 
Doch  verlief  alles  günstig,  und  das  Re- 
sultat bestätigt  meine  früheren  Behaup- 
tungen von  dem  „wandernden"  See  und 
seiner  Hydrographie.  In  der  kleinen  Stadt 
Tjarkhlik  fand  ich  die  Hauptabteilung 
der  Karawane  wieder.  Wahrend  der 
letzten  neun  Monate  war  kein  Echo  von 
der  äufseren  Welt  in  diese  einsamen 
Gegenden  eingedrungen.  Selbst  von  der 
Boxerbewegung  hatte  ich  keine  Ahnung. 
Es  war  mir  eine  grofse  Freude,  meine 
zwei  alten  Kaschgarkosakeu ,  die  auf 
Befehl  des  Zaren  zu  meiner  Verfügung 
gestellt  wnrden,  wieder  zu  treffen.  Ich 
habe  nun  eine  Eskorte  von  vier  Kosaken, 
eine  in  diesen  Gegenden  bedeutende 
Stärke.  Sie  sind  ausgezeichnet  diszi- 
pliniert, tüchtig  und  zuverlässig.  Auch 
sind  sie  gewaltige  Jäger,  so  dafs  es  uns 
an  Wild  nie  mangelt.  In  Tjarkhlik  haben 
wir  die  gröfste  Karawane,  die  ich  je 
gehabt,  ausgenistet,  sie  besteht  aus  3*  Ka- 
melen, 24  Pferden,  7  Mauleseln,  70  Eseln, 
20  Musulmaneu,  4  Kosaken  und  2  Lamas, 
die  in  Tibet  als  Dolmetscher  fungieren 
sollen.  Das  wird  ein  stattliches  Gefolge 
sein.  Wir  reisen  in  acht  Tagen  und  gehen 
quer  durch  das  Hochland  Tibets,  bis  wir 
die  Quellen  des  Indus  erreichen,  wo  ich 
wahrscheinlich  überwintern  werde.  Viel- 
leicht besuche  ich  erst  Indien.  Weun  der 
Schnee  geschmolzen  sein  wird,  gehen  wir 
nach  Kaschgar,  wo  die  Karawaue  aufge- 
löst wird  und  von  wo  aus  ich  die  Heim- 
reise antrete.  Diese  Reise  durch  Tibet 
wird  nicht  leicht  sein.  Ich  mufs  darauf 
vorbereitet  sein,  dafs  die  Hälfte  der  Kara- 
wane verloren  geht,  ich  kann  aber  sagen, 
dafs  eine  so  gut  ausgerüstete  Karawane 
nie  in  dieses  Land  eingedrungen  ist.  In 
geographischer  Beziehung  wird  es  ein 
schöner  Abschlufs  dieser  Reise  sein,  diu 
bereits  so  glänzende  Resultate  ergeben 
hat.  Das  wissenschaftliche  Material  wird 
grofse  Arbeit  erfordern.  Ich  habe  schon 
730  Karten  ausgearbeitet." 

Afrika. 

*   Die  Grenzen   Erythrüas.  Der 
französische  Botschafter  in  Rom  Barrere 
Qnd   der  italienische  Minister  der  aus- 
|  wärtigen  Angelegenheiten  Prinetti  haben 


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f>28 


Geographische  Neuigkeiten. 


das  Protokoll  unterzeichnet,  welches  in 
Ausführung  des  Grenzbestimmungsver- 
trages  vom  24.  Januar  1900  endgütig 
die  faUMÖMBch-itulienisehe  Grenzlinie  in 
der  Küstenregion  des  Koten  Meeres  fest- 
setzt. Somit  ist  endlich  der  sogenannte 
Zwischenfall  von  Kaheita,  der  vor  drei 
.Jahren  so  viel  Staub  aufwirbelte,  aus  der 
Welt  geschafft.  Nach  diesem  französisch- 
italienischen Abkommen  reicht  das 
italienische  (Jehiet  vom  Koten  Meere  mit 
seiner  südlichen  Grenze  bis  Kau  Dumcira, 
so  dafs  den  Italienern  Raheita  verbleibt. 

Zugleich  wird  im  Auftrage  desMinisters 
«ler  auswärtigen  Angelegenheiten  in  Kürze 
die  Societä  geograhca  italiana  eine  neue 
Karte  der  italienischen  Besitzungen  in 
Afrika  nach  den  neuesten  übereinkommen 
mit  England  und  Äthiopien  veröffent- 
lichen. Die  Kegiemng  ist  zu  diesem  Ent- 
schlüsse gekommen,  um  alle  irrtümlichen, 
die  Wissenschaft  und  den  Handel  schä- 
digenden (irenzbestimmungen  fremder 
Kartographen  zu  verhüten.  Die  neue  Karte 
wird  den  Abgrenzungen  gegen  den  Sudan 
und  gegen  Tigre  Rechnung  tragen  um! 
die  durch  das  Protokoll  Rudini-Dutferin. 
durch  welches  18'J1  die  KinHufszonen 
Italiens  und  Englands  in  Ostafrika  ver- 
teilt, wurden,  festgesetzte  Demarkations- 
linie angeben.  B. 

+  Zur  Ausbeutung  der  reichen  Gold- 
minen  in  den  westlichen  Galla- 
ländern ist  in  Antwerpen  unter  dem 
Namen  Wallega  -  Goldminen  -  Gesellschaft 
ein  neues  Unternehmen  gegründet  worden 
König  Menelik  hatte  die  Konzession  dem 
Ingenieur  Alfred  Ilg  verliehen,  und  es 
sind  zumeist  italienische  Kapitalien,  welche 
in  diese  nunmehr  von  Ilg  ins  Leben  ge- 
rufene Wallega  -  Goldmiuen  -  Gesellschaft 
eingelegt  wurden.  Für  die  Gewinnung 
von  Gold-,  Silber-  und  anderen  Erzen  hat 
die  Gesellschaft  auf  fünfzig  Jahre  ein 
ausschliefsliches  Vorrecht,  es  ist  ihr  auch 
anheim  gegeben,  Eisenbahnen  zu  bauen, 
Kanäle  anzulegen,  Strafsen  und  Telegra- 
phen herzustellen,  und  sie  geniefst  für 
das  hierzu  erforderliche  Material,  sowie 
für  Pulver  und  Dynamit  volle  Zollfreiheit. 
Dem  König  Menelik  hat  sie  acht  Prozent 
der  Er/ausbeute  abzustatten.  Die  Dauer 
der  in  Antwerpen  gegründeten  Gesellschaft 
ist  auf  dreifsig  Jahre  festgesetzt.  Sie 
wird  auch  industrielle,  kommerzielle  und 
landwirtschaftliche    Aufgaben  betreiben 


und  sich  die  Begünstigung  von  Unter- 
nehmungen angelegeen  sein  lassen,  die 
sich  in  den  bezeichneten  Gebieten  mit 
Strafsenbau  und  Warentransporten  be- 
fassen. Für  die  kulturelle  Erschliefsung 
Abessiniens  verspricht  also  die  neuee- 
gründetet«  Gesellschaft  von  besonderer 
Wichtigkeit  zu  wer.len. 

Polarregionen. 

*  Von  dem  Nordpol fahrer  Bauen- 
dahl, der  im  vorigen  Jahre  mit  nur  fünf 
Begleitern  auf  dem  kleinen  Segelschiff 
„Matador"  nach  Norden  aufbrach,  um  den 
Nordpol  zu  erreichen,  sind  jetzt  durch 
den  Hamburger  Schnelldampfer  ..Auguste 
Viktoria"  die  ersten  Nachrichten  zu  uns 
gelangt.  Dieser  eine  Vergnügungstour 
nach  Spitzbergen  ausführende  Dampfer 
erhielt  in  der  Adventbai  am  14.  Juli 
durch  «las  norwegische  Fangschiff,.  Marth" 
einen  Brief  Baueridahl's,  worin  dieser 
mitteilt,  dals  er  auf  der  Dänen -Insel  in 
Pike's  Haus,  welches  bereits  auch  Andree 
bewohnt  hat,  überwintert  habe,  und  nuu 
um  Proviant  und  sonstige  Ausrüstungs- 
gegenstände bittet.  Die  „Auguste  Vik- 
toria" gab  diesem  Ersuchen  Folge  und 
übernahm  auch  noch  die  Post,  sowie 
verschiedene  Jagd-  und  wissenschaftliche 
Geräte  der  Expedition.  Wie  aus  dem 
Briefe  des  weiteren  hervorgeht,  gedachte 
Bauenduhl  zunächst  die  Ostküste  Grön- 
lands zu  erreichen  zu  suchen  und  von 
hier  aus  mit  nur  einem  norwegischen  Be- 
gleiter nordwärts  vorzudringen.  —  In  der 
Adventbai  nahm  die  „Auguste  Viktoria" 
den  Professor  Rosen  von  der  schwedischen 
Gradmessungsexpedition,  sowie  fünf  nor- 
wegische Fischer,  die  im  Eisfjord  über- 
wintert hatten  und  reiche  Jagdbeute  mit- 
brachten, au  Bord  und  brachte  sie  nach 
nur  dreitägiger  Fahrt  nach  Digennulen. 

*  Die  Nordpolarhilfsexpcdition 
des  Kapitäns  Stökken  (s.  S.  228), 
welche  nach  den  drei  Verschollenen  der 
Expedition  des  Herzogs  der  Abruzzen 
forschen  wollte,  ist  nach  Untersuchung 
der  Südküste  von  Franz  Josefs -Land 
wieder  in  Norwegen  eingetroffen.  Von 
den  tlrei  Verunglückten  wurde  keine  Spur 
gefunden.  Pas  vom  Herzog  zum  Andenken 
an  seine  drei  verschollenen  Gefährten 
gestiftete  Denkmal  wurde  auf  Kap  Klora 
errichtet. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


529 


*  Von  den  beiden  geplanten  nord-j 
amerikanischen  Nordpolexpedi- 
tionen     ».  S.  350)    kommt    die  von 
Wellmann   geplante,   in  diesem  Jahre 
wegen  Krankheit  des  Leiter»  nicht  zur 
Ausführung.    Da«  Programm  der  anderen, 
die  vom  amerikanischen  Mäcen  Ziegler 
ausgerüstet   worden   ist   und   von  Prof. 
.Haldwin  geleitet  wird,  hat  gegen  früher, 
wo  nur  die  Erreichung  des  Nordpols  als 
einziges   Ziel  der  Expedition  ins  Auge 
gefafBt  war,  eine  wesentliche  Erweiterung 
erfahren,   sodafs   hei   der  reichen  Aus- 
rüstung der  Expedition  auf  eine  bedeutende 
wissenschaftliche   Ausbeute    zu  rechnen 
ist,  zumal  Baldwin,  welcher  selbst  Mete- 
orolog  ist,  von  einer  Reihe  von  Fach- 
leuten  auf  dem  Gebiete  der  Geologie, 
des  Erdmagnetismus  und  der  beschreiben- 
den   Naturwissenschaften    begleitet  ist. 
Diese  Expedition  verfügt  über  drei  Schiffe, 
über   das   Hauptschiff  „Amerika",  das 
am    '24.  Juli   von   Archangcl,    wo  400 
Schlittenhunde  und   15  Ponies  an  Bord 
genommen  wurden,  nach  Norden  in  See 
gegangen  ist;  in  seiner  Begleitung  be- 
findet rieh  der  Dampfwaler  „Frithjof", 
welcher  die  Vorräte  und  Ausrüstungen 
nach    Franz   Josefs -Land    bringen  und 
dann  im  dortigen  Gewässer  durch  Robben- 
und  Walrofsjagd  Futter  für  die  grofse 
Hundeschar  beschaffen  soll.    Das  dritte 
Schiff,   das   ehemalige  Expeditionsschiff 
der  belgischen  Südpolexpedition  „Belgien", 
soll  an  der  Ostküstc  von  Grönland  zwei 
grofse  Depots  errichten,  da  es  in  der  Ab- 
sicht  Baldwin's  liegt,   nach   der  Über- 
winterung  auf  Franz  Josefs -Land  eine 
Schlittenexpedition   mit   30   Mann,  300 
Hunden   und    den  Ponies  nach  Norden 
anzutreten  und  die  Expeditionsmitglieder 
in  einzelnen  Abteilungen  allmählich  zu- 
rückzusenden, um  zuletzt  mit  nur  drei 
bis  sechs  Begleitern  den  letzten  Vorstofs 
zum  Pole  zu  unternehmen  und  sich  dann 
nach    der    Oatküste    von    Grünland  zu 
wenden,  wohin  ihn  die  durch  das  Polar- 
becken führende  Strömung  wahrscheinlich 
treiben  wird. 

*  Die  deutsche  Südpolexpedition 
hat  an  Bord  der  ,,Gaufs"  am  11.  August 
vormittags  von  Kiel  aus  die  Ausreise  an- 
getreten. Die  amtliche  Entlassung  der 
Expedition  erfolgte  durch  den  Unterstaats- 
sekretär  Rothe  und  Geh.  Regierungs- 
rat Lewald    im  Beisein   eines  kleinen 


Kreises  Geladener.  Nach  einer  längeren 
Ansprache  des  rnterstaatssekretürs,  in 
der  er  die  besten  Wünsche  für  das  Ge- 
lingen der  Expedition  zum  Ausdruck 
brachte,  erwiderte  der  Leiter  der  Expedi- 
tion, Prof.  v.  Drygal  sk  i .  dafs  die  Expedi- 
tion in  der  sicheren  Zuversicht  auf  wissen- 
schaftlichen Erfolg  und  in  der  Hoffnung 
auf  frohes  Wiedersehen  scheide,  und 
brachte  ein  dreifaches  Hurrah  auf  den 
Kaiser  aus.  Darauf  fuhr  die  „Gaufs" 
langsam  der  Kanalmündung  zu,  um  durch 
den  Kanal  zunächst  bis  nach  Brunshausen 
auf  der  Unterelbe  zu  dampfen,  woselbst 
das  Seefeststauen  der  zuletzt  in  Kiel  an 
Bord  genommenen  Instrumente  und  Vor- 
räte, tingehindert  von  Besuchern,  ge- 
schehen soll.  Dann  erst  soll  auf  St.  Vin- 
cent (Cap  Verde- Inseln)  der  erste  Aufent- 
halt genommen  werden,  was  auf  Ascension 
und  St,  Helena  wiederholt  werden  soll. 
Ein  kaiserlicher  Erlafs  aus  Gudwangen 
an  Bord  der  „HohenzoUern"  vom  18.  Juli, 
der  den  Prof.  Erich  v.  Drygalski  zum 
Leiter  der  Expedition  bestimmt,  besagt 
aufserdem:  Die  Expedition  hat  im  August 
Kiel  zu  verlassen  und  sich  nach  Kerguelen 
zu  begeben.  Dort  hrt  eine  magnetisch- 
meteorologische Station  zu  errichten. 
Alsdann  ist  die  Fahrt  nach  Süden  hin 
fortzusetzen.  Als  Forschungsfeld  gilt  die 
indisch -atlantische  Seite  des  Südpolar- 
gebietes. Falls  die  Erreichung  eines 
Südpolarlandcs  gelingt,  ist,  wenn  an- 
gängig, auf  demselben  eine  wissenschaft- 
liche Station  zu  gründen  und  thunlichst 
während  eines  Jahres  zu  unterhalten. 
Die  Rückkehr  ist  nach  Bestimmung  des 
Expeditionsleiters  im  Frühjahr  1003  oder 
spätestens  im  Frühjahr  1904  anzustreben. 

*  Die  englische  S  üdporalexpe- 
dition  hat  fast  gleichzeitig  mit  der 
deutschen  die  Heimat  verlassen.  Nach- 
dem die  ,, Discovery"  am  30.  Juli  die 
Themse  verlassen  hatte,  ging  sie  mch 
Spithead,  wo  die  Ausrüstung  vollendet 
wurde.  Am  5.  August  wurde  das  Schiff 
vom  britischen  Königspaar  in  Begleitung 
des  Kommandanten  der  früheren  „Dis- 
covery", Vizeadmiral  Sir  Henry  Stephenson, 
besichtigt  und  am  f».  August  trat  das 
Schiff  unter  Robert  F.  Scott's  Führung 
die  Ausreise  an.  Nach  den  bisher  be- 
stehenden Anordnungen  wird  dieExpedition 
zunächst  Melbourne  anlaufen  und  nach 
Ergänzung  der  Vorräte  diesen  Hafen  am 


Geographische  Zeitschrift.  7.  Jahrgang.  l»01.  J).  Heft. 


30 


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530 


Geographische  Neuigkeiten. 


15.  November  wieder  verlausen,  um  die 
Reise  in  das  eigentliche  Forschungs- 
gebiet anzutreten,  wo  man  etwa  Mitte 
Januar  li)02  mit  den  Untersuchungen  zu 
beginnen  gedenkt.  Die  Gesamtzahl  der 
am  Bord  befindlichen  Personen  betragt 
48,  die  sich  aus  einem  wissenschaftlichen 
Stab  von  Ärzten,  Zoologen,  Botanikern, 
Geologen  ,  einem  Chemiker  und  einem 
Astronomen ,  und  einer  ausgesucht 
tüchtigen,  mit  den  Südpolarverhältnissen 
vertrauten  Besatzung  zusammensetzt,  Die 
Expedition  führt  Proviant  für  eiuen  Zeit- 
raum von  drei  Jahren  mit  sich;  aufser- 
deni  ist  noch  ein  Ersatz  der  vorhandenen 
Vorräte  durch  ein  besonderes  Verprovian- 
tiemngsschiff  in  Aussicht  genommen,  das 
im  Jahre  1903  der  „Discovery"  folgen  soll. 

*  Der  Stand  der  geplanten  Süd- 
polarexpeditionen ist  in  dem  Augen- 
blicke, wo  die  deutsche  und  die  englische 
die  Ausreise  antreten,  folgender:  In  Kürze 
geht  eine  argentinische  Expedition 
unter  dem  argentinischen  Sehitfsleutnant 
Horacio  Balve  nach  Staten  Island,  um 
dort  eine  Station  zu  errichten,  die  nach 
dem  schon  mitgeteilten  magnetisch  - 
meteorologischen  Programm  dort  Beob- 
achtungen vornehmen  wird.  Die  schwe- 
dische Expedition  unter  Leitung  von 
Dr.  O.  Nordenskjold  wird  Ende  Sep- 
tember die  Ausreise  auf  der  „Antarktic" 
antreten:  wissenschaftliche  Teilnehmer 
der  Expedition  sind:  Dr.  A.  Ohlin  und 
Dr.  Andersson  für  Zoologie,  Dr.  Bod- 
man für  Hydrographie  und  Meteorologie, 
Dr.  Ekelöf  als  Schiffsarzt,  während 
Dr.  Nordenskjold  die  tojiographischen  und 
geologischen  Aufnahmen  selbst  über- 
nommen hat.  Auf  die  Mitwirkung  dieser 
schwedischen  Expedition  wird  besonderes 
Gewicht  gelegt,  da  sie  namentlich  in  geo- 
graphischer Beziehung  die  Arbeiten  der 
deutschen  Unternehmung  ergänzen  und 
unterstützen  könnte;  denn  das  Arbeitsfeld 
der  schwedischen  Expedition,  das  Gebiet 
östlich  vom  Grahamland,  das  Weddellmeer, 
gehört  eigentlich  noch  zum  Arbeitsfelde 
der  deutscheu  Expedition,  doch  wird  sie 
sich  ihm  erst  i.  J.  1U03,  kurz  vor  der 
Heimkehr  und  jedenfalls  nur  wenige 
Wochen  widmen  können.  Nordenskjold 
beabsichtigt,  entweder  auf  Grahamland 
zu  überwintern  und  das  Schiff  zurück zu- 
senden,  oder  mit  dem  Schiffe  möglichst 
weit  südwärts  vorzudringen  und  dann  erst. 


weitere  Entscheidungen  zu  treffen.  Die 
schottische  Expedition,  die  ebenfalls 
für  dieses  Jahr  geplant  war,  ist  noch  weit 
zurück,  da  die  Kosten  der  Unternehmung 
(700  000  M)  noch  längst  nicht  gedeckt  sind. 
Zum  Führer  war  Bruce  bestimmt,  das  Ziel 
ebenfalls  das  Weddellmeer,  vielleicht  wird 
diese  Expedition  überhaupt  so  lauge  ver- 
schoben, bis  die  Erfolge  der  jetzigen  Expe- 
ditionen sich  übersehen  lassen,  um  dann 
an  geeigneter  Stelle  einzusetzen  und  die 
gemachten  Erfahrungen  auszunützen. 

Geographischer  Unterricht. 

Geographische  Vorlesungen 

an  den  J.mtschsprachigt'ii  Universitäten  und  tech- 
nischen lluchschuleii  im  Wintersemester  1001 /o2. 

Deutsches  Beich. 

Berlin :  o .  Prof.  v.  R  i  c  h  t  h  o  f e  n :  Geo - 
graphie  von  Ostasien,  3 st,  —  Kolloquium, 
2st.  —  o.  Prof.  Sieglin:  Erklärung  von 
Avien's  Ora  Maritima  (Geographie  von 
Spanien  und  Gallien),  2 st.  —  Übungen, 
2  st.  —  Pd.  Kretschmer:  Geographie  von 
Frankreich,  Ist,  —  Pd.  Meinardus:  All- 
gemeine Meereskunde,  2 st, 

Bonn:  o.  Prof.  Rein:  Geographie 
Asiens,  4  st.  —  Seminar,  2  st.  —  Pd.  Prof. 
Philippson:  Ozeanographie,  2  st.  — 
o.  Prof.  Elter:  Geschichte  der  antiken 
Geographie  bis  zur  Entdeckung  Amerikas, 
2  st. 

Breslau:  o.  Prof.  Partsch :  Allgemeine 
Klimatologie,  3  st,  —  Geographie  der 
Mittelmeerländer,  3 st.  —  Übungen,  2 st, 
—  Pd.  Leonhard:  Geographie  von  Süd- 
amerika, 2  st. 

Erlangen:  a.  o.  Prof.  Pechuel- 
Lösche:  Physische  Geographie,  4 st.  — 
Übungen,  2 st. 

Freiburg  i.  Br.:  o.  Hon. -Prof.  Neu- 
mann: Allgemeine  Erdkunde  1,4  st. —  Geo- 
graphie des  Weltverkehrs  und  der  Welt- 
wirtschaft, 2  st.  —  Die  deutschen  Kolonien, 
lBt.  —  Übungen,  l'/f  st.  —  Kolloquium.  — 
Anleitung  zu  selbständigen  Arbeiten. 

Giefsen:  a.  o.  Prof.  Sievers:  Ein- 
leitung in  das  Studium  der  Geographie, 
1  st.  —  Übungen  über  Hilfsmittel  und 
Methoden  der  geographischen  Wissen- 
schaft. 2  st.  —  Geographie  von  Südamerika. 
4  st.  —  Geographie  des  Weltverkehrs  und 
Welthandels,  Ist, 

Göttingen:  o.  Prof.  Wagner:  Geo- 
graphie von  Asien,  4 st.  -  Kartographi- 


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I 


Geographische  Neuigkeiten. 


scher  Kur«  für  Anfanger,  2st.  —  Übungen' 
für  Fortgeschrittene,  2 st.  —  Repetito- j 
rium,  Ist. 

Greifswald:  o.  Prof.  Crodner:  All- 
gemeine Morphologie  der  Erdoberfläche, 
3 st.  —  Übungen,  Ist.  —  Demonstratio- 
nen, Ist. 

Halle:  o  Prof.  Kirchhoff:  Europa 
(auiscr  Mitteleuropa),  4  st.  —  Neuere  Er- 
gebnisse der  Erd-  und  Völkerkunde,  Ist. 

—  Kepetitorium  über  Länderkunde,  Ist. 

—  Übungen,  Ist.  —  Pd.  Prof.  Ule:  Landes- 
kunde von  Deutschland,  2 st.  —  Über 
Kartenzeichnen  und  Mittel  zum  geogra- 
phischen Unterricht,  Ist.  —  Pd.  Prof. 
Schenck:  Wirtschaftsgeographie,  2 st. 

Heidelberg:  a.  o.  Prof.  Hettner: 
Allgemeine  Geographie,  I.  Teil,  4 st.  — 
Wanderungen  auf  der  Erdoberfläche,  Ist. 

—  Üt  Hingen,  2 st. 
Jena:  a.  o.  Prof.  Hove:  Geographie 

von  Afrika,  3  st.  —  Die  Vereinigten  Staaten, 
IbI.  —  Übungen,  2 st. 

Kiel:  o.  Prof.  Krümmel:  Allgemeine 
Geophysik,  Meteorologie  und  Ozeanogra- 
phie, 4  st.  —  Geographie  der  deutschen 
Schategebiete,  2 st.  —  Kolloquium,  Ist. 

—  Arbeiten  im  Institut. 
Königsberg:  o.  Prof.  Hahn:  Ge- 
schichte der  Entdeckung  und  Eroberung 
Amerikas,  Ist.  —  Allgemeine  Stuateukundu 
und  politische  Geographie,  mit  Einschiufa 
der  Elemente  der  Verkehrsgeographie  und 
der  Siedelungskunde,  3  st.  —  Übungen, 
1'/,  "t. 

Leipzig:  o.  Prof.  Ratzel:  Meeres- 
und Gewässerkunde,  2 st.  —  Verkehrs- 
geographie, 3  st.  —  über  die  wissen- 
schaftlichen Grundlagen  der  Beurteilung 
der  Völker,  Ist,  —  Übungen  und  Bespre- 
chungen über  ozeanographische  Karten 
und  Litteratur,  Ist.  —  In  dessen  Auftrag 
Assistent  Dr.  Friedrich:  Aufgaben  aus 
dem  Gebiet  der  Verkehrsgeographie,  2 st. 

—  Übungen  im  Lesen  geographischer 
Fremdnameu.  —  a.  o.  Prof.  Berger:  Die 
Erdkunde  in  der  römischen  Zeit  und  im 
Mittelalter,  2 st.  —  Ciceronia  Somnium 
Scipionis,  l'/jst.  —  Pd.  Sapper:  Tropi- 
sche Agrikultur  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  deutschen  Kolonien,  2 st. 

—  Das  amerikanische  Mittelmeer  und 
seine  Inselwelt,  Ist, 

Marburg:  o.  Prof.  Fischer:  Geo- 
graphie von  Asien,  4  st,  —  Übungen,  2  st. 

—  Leitung  wissenschaftlicher  Arbeiten. 


581 

München:  a.  o.  Prof.  Übe  rhu  in  in  er: 
Geographie  von  Afrika,  2 st.  —  Geschichte 
des  Zeitalters  der  Entdeckungen  und  der 
neueren  Erdkunde,  2 st.  —  Methodik  und 
Hilfsmittel  des  geographischen  Unterrichts, 
Ist.  —  Mathematische  Geographie,  in  Ver- 
bindung mit  Lektüre  von  Humboldt«  Kos- 
mos, III.  Bd.  —  Anleitung  zu  wissenschaft- 
lichen Arbeiten,  3 st. 

Münster:  o.  Prof.  Lehmann:  Geo- 
graphie von  Südeuropa,  3  st.  —  Geographie 
von  Afrika,  3  st.  —  Allgemeine  physische 
Erdkunde  III,  Ist.  —  Übungen  in  Ver- 
bindung mit  Kartenzeichnen,  2 st, 

Rostock:  Pd.  Fitzner:  Ozeanogra- 
phie, 2  st.  —  Geographie  von  Deutsch- 
Ostafrika,  Ist.  —  Übungen,  Ist. 

Strafsburg:  o.  Prof.  Gerland:  Phy- 
sische Erdkunde:  Wasser-  und  Lufthülle 
der  Erde,  4 st,  —  Die  Vogcsen,  Ist.  — 
Übungen,  2 st, 

Tübingen :  a.o.  Prof.  H  a  s  s  e  r  t :  Landes- 
kunde  von  Deutschland,  3 st.  —  Geographie 
und  Kolonisation  der  deutschen  Schutz- 
gebiete in  Afrika,  Ist.  —  Übungen  über 
Kartenkunde,  besonders  Schulkarten  und 
Schulatlanten. 

Würzburg:  a.  o.  Prof.  Regel:  Länder- 
kunde von  Nord-  und  Nordwesteuropa, 
Ist.  —  Übungen |  2 st.  —  Anleitung  zu 
Arbeiten  im  Institut.      (Schlufs  folgt.) 

*  Beschieferto  Karten.  Wie  der 
Erfinder  der  neuen  Schieferungsmethode 
für  Wandkarten,  Herr  von  Tomauw  in 
St.  Petersburg,  der  Redaktion  mitteilt, 
mufs  die  weitere  Herstellung  solcher 
Karten  nach  seinem  Patent  bis  auf  weiteres 
eingestellt  werden,  da  er  mit  der  damit 
beauftragten  Leipziger  Firma  wegen  nicht 
vorschrifts-  und  patentmäfsiger  Schie- 
ferung in  Prozefs  gekommen  ist.  Diese 
Unterbrechung  in  der  Herstellung  eines 
sich  in  der  Praxis  sehr  gut  bewährenden 
Unterrichtsmittels  ist  um  so  mehr  zu  be- 
dauern, als  auf  dem  Breslauer  Geographen- 
tag viele  Fachgenossen  diese  Karte  kenneu 
lernten  und  sich  infolgedessen  eine  Nach- 
frage nach  ihr  ergeben  hat.       F.  Th. 

Persönliches. 

*  Der  älteste  deutsche  Afrikaforscher 
ist  mit  dem  in  Stuttgart  gestorbenen 
Missionar  J.  Erhardt  ins  Grab  gesunken. 
Erhardt  war  ein  jüngerer  Mitarbeiter  der 
bekannteren  deutschen  Missionare  Krapf 
und  Bebmann  und  wirkte  mit  ihnen  im 

30* 


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632 


Geographische  Neuigkeiten. 


Auftrage  der  Londoner  „Kirehenmission" 
seit  Ende  der  40er  Jahre  auf  der  Missions- 
station  Rabai  bei  Mombassa.  Während 
Keitmann  und  Krapf  gröfsere  Reisen  ins 
Innere  unternahmen  und  dabei  die  Sehnee- 
berge Kilimandscharo  und  Kenia  ent- 
deckten, blieb  Erhardt  auf  der  Statiou 
und  zog  unermüdlich  bei  den  Karawanen- 
leuten über  das  tiefere  Hinterland  Er- 
kundigungen ein.  1855  trat  er  in  einem 
Bericht  und  einer  Karte  in  der  Zeitschrift 
jener  Missionsgesellschaft  mit  dem  Er- 
gebnis seiner  Erkundigungen  hervor,  die 
von  einem  gewaltig  grofsen  See  im  Innern 
westlich  von  Zanzibar,  dem  „See  von 
Uniamwesi"  zum  ersten  Male  Kunde  gaben. 
Petermann  in  Gotha  und  der  englische 
Geograph  Cooley  griffen  diese  Nachrichten 
auf  und  machten  sie  der  geographischen 
Welt  in  kritischer  Fassung  bekannt  in 
einem  Aufsatz  und  einer  Karte  im  ersten 
Heft  von  „Petermann's  Mitteilungen"  für 
1856  und  gleichzeitig  in  der  Zeitschrift 
der  Londoner  Geographischen  Gesellschaft. 
Diese  Veröffentlichung  gab  den  Anstois 
zu  der  glänzenden  Burton-Speke'schen 
Reise  von  1*57  bis  1868,  die  zu  der  Ent- 
deckung des  Tanganjika  durch  Burton 
und  des  Vkerewe  (Viktoria  Nyansa)  durch 
Speke  führte.  Man  erkannte  nun  zwar, 
dafs  Erhardt  auf  Grund  der  ungenauen 
und  verworrenen  Angaben  der  Karawanen- 
leute drei  getrennte  Seen,  den  Tanganjika, 
Viktoria  Nyansa  und  Nyassa,  in  einen 
einzigen  zusammcngefafst  hatte,  doch 
thut  dieses  Mifsverständnis  seinem  Ver- 
dienst keinen  Abbruch.  Die  Lage,  die 
auf  Erhardt's  Karte  der  vielgenannte  Ort 
IdBchidschi  hatte,  unterschied  sich  von 
der  wirklichen  Lage  nur  um  einen  Längen- 
grad. Auch  von  dem  fernen  Lande  Urua 
im  Kongobecken,  das  später  Cameron  ab 
erster  durchzog,  hatte  Erhardt  bereits 
Kunde,  denn  er  verzeichnet  es  am  West- 
rande seines  grofsen  Sees,  während  der 
Name  des  Nyassas  in  dem  angegebenen 
Volksnamen  Waniassa  zu  erkennen  ist. 
Hinter  den  Persönlichkeiten  Krapf's  und 
Rcbiuann's,  die  auch  mehr  geschrieben 
haben  als  er,  ist  Erhardt  stark  zurückge- 
treten, und  er  war  in  vollige  Vergessenheit 
geraten.  Rebmann  ist  bereits  1876,  Krapf 
1881  gestorben.  tK.Ztg.) 

*  Josef  Luksch  f.  Am  99,  Juli 
starb  nach  längerer  Krankheit  im  66.  Jahre 
der  verdienstvolle  Ozcanograph  der  öster- 


reichischen Expedition  in  das  Mittelmeer 
und  Rote  Meer.  Luksch  war  in  seiner 
Jugend  Seeoffizier  gewesen ,  war  dann 
Professor  an  der  Marine  -  Akademie  in 
Fiume  geworden  und  hat  eine  lange 
Reihe  ozeanographischer  Expeditionen 
gröfseren  und  kleineren  Umfangs  mit- 
gemacht. Wir  verdanken  ihm  die  wert- 
vollsten Daten  über  Tiefe,  Salzgehalt, 
Temperatur,  Durchsichtigkeit  etc.  der 
von  ihm  untersuchten  Meere.  Die  Er- 
gebnisse seiner  Beobachtungen  und 
Rechnungen  finden  sich  in  den  Schriften 
der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in 
Wien. 

*  Am  12.  August  starb  zu  Stockholm 
Frhr.  Adolf  Erik  v.  Nordenskjöld, 
einer  der  erfolgreichsten  Nordpolforseher, 
im  Alter  von  69  Jahren.  Nach  Beendigung 
seiner  geologischen  Studien  begleitete 
Nordenskjöld  bereits  1858  und  1861  Torell 
nach  Spitzbergen,  welches  er  in  späteren 
Jahren  noch  wiederholt  besuchte,  befuhr 
1870  die  Westküste  von  Grönland  und 
drang  1875  mit  der  Segelyacht  „Pröven" 
durch  das  kurische  Meer  zur  Jenessei- 
mündung  vor,  die  er  im  folgenden  Jahre 
mit  dem  Dampfer  „Ymer"  aufwärt*  bis 
71°  n.  Br.  befuhr.  Am  4.  Juli  1878  trat 
er  mit  den  Schiffen  „Vega"  und  „Lena"' 
die  denkwürdige  Reise  zur  Ausführung 
der  nordöstlichen  Durchfahrt  an,  auf  der 
er  mit  der  „Vega"  kurz  vor  Erreichung 
der  Behringstrarse  in  der  Nähe  der  Ko- 
liutschinbai  einfror,  so  dafs  er  erst  im 
folgenden  Jahre  die  Umsegelung  von  Asien 
vollenden  und  das  Problem  der  nordöst- 
lichen Durchfahrt  lösen  konnte.  über 
diese  Reise  veröffentlichte  er  die  beiden 
Werke:  „Die  l'msegelung  Asiens  und 
Europas  auf  der  'Vega'",  2  Bde.  1882; 
„Die  wissenschaftlichen  Ergebnisse  der 
'Vega'- Expedition",  1883.  Im  Jahre  1*83 
unternahm  der  inzwischen  in  den  Frei- 
herrnstand erhobene  Nordenskjöld  auf 
Kosten  von  Oskar  Dickson,  der  auch 
die  früheren  Reisen  Nordenskjöld'«  aus- 
giebig unterstützt  hatte,  eine  zweite  Heise 
nach  Grönland,  auf  welcher  er  selbst 
130  km,  die  ihn  begleitenden  Lappen  sogar 
230  km  weit  landeinwärts  auf  dem  Binnen- 
eise  vordrangen,  ohne  jedoch  das  vermutete 
eisfreie  Land  zu  finden.  Vergl.  „Grönland, 
seine  Eiswüsten  im  Innern  und  seine  Ost- 
küste",  1886.  In  den  letzten  Jahren  be- 
schäftigte sich  Nordenskjöld  hauptsächlich 


B  B  C  h  e  r  bc  s  p  r  e  c  h  u  n  g  e  n. 


533 


mit  historisch -kartographischen  Studien, 
deren  hauptsächlichste  Ergebnisse  in  dem 
„Facsiinile  Atlas  tili  Kartografiens  äldsta 
historia"  (Stockholm  1*89,  zugleich  eng- 
lisch) mit  Reproduktionen  der  wichtigsten 
vor  1600  veröffentlichten  Karten  und  im 
„Peripluh  (Stockholm  1897,  schwedisch 
und  englisch)  niedergelegt  sind. 


Berichtigung. 

In  dem  Berichte  über  den  XIII.  D.G.-T. 
in  Breslau  ist  in  dem  Verzeichnis  der 
Mitglieder  der  Zentralkoiumission  für 
erdkundlichen  Schulunterrricht  leider 
„Prof.  Wolkenhauer  aus  Bremen  für 
die  Hansastädte"  ausgelassen  worden, 
ferner  mufs  es  Wermbter  statt  Wormbter 
heifsen. 


Bttcherbesprechungen. 


de  Mortlllet,  G.  et  A.,  Le  Pr«?histo- 
rique.  Origine  et  antiquite  de  l'hom- 
me.   121  figures  dans  le  texte.  Troi- 
sieme  edition,  entierement  refondue 
et  mise  au  courant  des  dernieres  decou- 
vertes.  Paris,  Schleicher  freres,  1900. 
Ein  709  Seiten    starker  Kleinoktav- 
band bietet  hier  in  übersichtlicher  Glie- 
derung und  klarer  Systematik  eine  Cber- 
schau  unseres  derzeitigen  Wissens  über 
den  vor  der  Geschichtsüberlieferung  lie- 
genden Hauptteil  des  Quartäralters,  und 
zwar  nicht  blofs,  wie  der  Titel  vermuten 
läfst,    der    menschlichen  Entwicklung 
wahrend  dieses  Zeitraums,  sondern  auch 
der  geologischen   und  kliraatologischen 
Vorgange,  der  Wandlungen  in  der  Pflanzen- 
und  Tierwelt. 

Die  erste  und  zweite  Auflage  des 
Werkes  sind  1883  und  1885  von  der  Hand 
seines  Urhebers  Gabriel  de  Mortillet  er- 
schienen; über  der  Vorbereitung  der  vor- 
liegenden dritten  Auflage  starb  der  Autor, 
sodafs  diese  von  seinem  Sohn,  Adrien  de 
Mortillet,  besorgt  wurde.  Man  wird  letz- 
terem die  Anerkennung  nicht  versagen 
dürfen ,  dem  Buch  seinen  eigenartigen 
Wert  pietätvoll  erhalten  und  gleichwohl 
seinen  Inhalt  durch  Verarbeiten  der  neu- 
eren Fortschritte  der  mehrfachen  hier  in 
Betracht  kommenden  Wissenschaften 
wesentlich  erneuert  zu  haben 

Zwar  fehlen  alle  Belegstellen  aus  der 
Litt  erat  ur,  aber  man  merkt  deren  sorg- 
fältige Verwertung  auf  Schritt  und  Tritt. 
Denn  ein  Vorzug  dieses  Werkes  besteht 
eben  darin,  dafs  es  auf  die  einzelnen 
prähistorischen  Thatsachen  detaillierend 
eingeht,  die  Funde  in  knapper  Form,  aber, 
soweit  sie  Bedeutung  haben,  im  einzelnen 
vorführend  Dabei  ist  die  Darstellungs- 
weise  durchaus  gemeinverständlich,  ohne 


der  Gründlichkeit  etwas  zu  vergeben. 
Das  Buch  pafst  daher  in  die  Hand  des 
Laien  wie  des  Fachmanns;  zum  Nach- 
schlagen ist  es  noch  durch  ein  ausführ- 
liches alphabetisches  Register  gut  ausge- 
stattet worden. 

Hervorgehoben  sei  an  dieser  Stelle  nur 
die  folgerichtig  von  darwinistischem  Stand- 
punkt aus  entwickelte  und  durch  Fund- 
beweise gestützte  Darlegung,  wie  die 
eigentliche  Menschwerdung  in  die  paläoli- 
thische  Ära  fiel:  in  deren  früherem  Ab- 
schnitt noch  affenhaft  behaarte  Menschen, 
hauptsächlich  vou  Früchten  lebend ,  auf 
Bäumen  Zuflucht  suchend,  blofs  in  ein- 
zelnen Familien  lebend,  —  später  zu 
stärkeren  Verbänden  sich  scharende,  nackt- 
häutige Menschen,  die  sich  zur  Jagd  auch 
auf  gröfseres  Wild  emporschwingen, 
mannigfaltigeres  Gerät  ersinnen,  Kleidung 
anlegen. 

In  den  geographischen  Abschnitten 
finden  sich  hie  und  da  Anstöfse.  Dem 
Renntier  wird  nur  polares  Klima  für  seine 
Verbreitung  zugetraut  (8.  660),  obwohl  es 
doch  noch  zu  l'äsar's  Zeit  in  der  Kheiu- 
gegend  lebte.  „Löfs"  und  „Lehm"  gelten 
als  synonym  (S.  502).  Die  oberitalie- 
nischen Seen  sollen  von  Gletschern  ans- 
gefureht  sein  (8.  515).  Schwer  würde  es 
«lern  Verfasser  auch  wohl  fallen,  seine 
Behauptung  (8,  66a >  streng  zu  erhärten, 
dafs  „die  Ausdehnung  und  der  Rückzug 
des  Gletschereises  samt  der  Fortbewegung 
der  Moränenblöcke  die  Dauer  der  Eiszeit 
auf  mindestens  100  000  Jahre  bestimmen 
lasse".  Kirchhoff. 

Janiiasch,  Dr.  II.,  Telegraphenkarte 
für  den  Weltverkehr  1  :  47000000. 
Nach  den  neuesten  Quellen  bearbeitet. 
Berlin  1900.    Preis  1  Jl 


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Büc  herbe  Sprech  tingen. 


534 

Der  wohlbekannte  Leiter  der  handels- 
geographischen  Zeitschrift  „Esport-1  wollte 
mit  dieser  Karte  vor  allein  praktischen 
Zwecken  dienen.  Sie  soll  den  Kaufmann 
über  die  Möglichkeit  raschester  Ver- 
ständigung mit  den  an  den  eingezeichneten 
Linien  liegenden  Punkten  und  Gebieten 
orientieren.  Natürlich  werden  solche 
Verbindungen,  welche  den  Eisenbahnen 
folgen,  nicht  angeführt.  Es  ißt  jedoch 
die  Karte  auch  als  höchst  willkommenes 
billiges  Hilfsmittel  des  geographischen 
Unterrichts  zu  begrüfsen,  das  freilich 
wegen  der  nur  in  einer  Farbe  gehaltenen 
feinen  Linienführung  für  die  Fernwirkung 
nicht  geeignet  ist  und  den  Schülern 
wenigstens  zeitweilig  in  die  Hand  ge- 
geben  werden  mufs.  Ich  wüfste  es  durch 
kein  anderes  von  derselben  Art  zu  er- 
setzen; denn  auch  die  grölst cn  Welt- 
verkehrskarten  verzeichnen  nur  die  Kabel 
und  Pberlandtelegraphenlinien,  gewähren 
aber  keinen  Überblick  über  die  Ver- 
breitung des  Telegraphenuetzes  auf  der 
ganzen  Erde.  Welche  lehrreichen  That- 
saehen  und  Schlüsse  einem  solchen  Karten- 
bilde entnommen  werden  können,  das 
bedarf  hier  keiner  weiteren  Auseinander- 
setzung. Dr.  Alois  Kraus. 

Schul«,  A.,  Über  die  Entwicklungs- 
geschichte der  gegenwärtigen 
phanerogamen  Flora  und  Pflan- 
zendecke der  skandinavischen 
Halbinsel  und  der  benachbarten 
s  C  h  w  e  d  i  s  c  h  e  n  u  n  d  n  o  r  w  e  g  i  s  c  h  e  n 
Inseln.  (8.  A.a.d.  Abh.d.  naturforsch. 
Ges.  zu  Halle.    Bd  XXII.  [Stuttgart 
1900.}  316  S.  8°.) 
Der  durch  seine  Untersuchungen  über 
die  Entwicklungsgeschichte  der  Pflanzen- 
welt  unseres   Vaterlandes  wohlbekannte 
Verf.,  über  dessen  ..Entwicklungsgeschichte 
der  phanerogamen  Pflanzendecke  Mittel- 
europas nördlich  der  Alpen'*  Unterzeich- 
neter in   dieser  Zeitschr.    (1899.   S.  (»44 
bis  649)  ausführlich  berichtete,  hat  jetzt 
Bein  Untersuchungsgebiet  nach  N.  hin  er- 
weitert.   In  einem  einleitenden  Abschnitt 
berichtet  er  über  die  bereits  vorliegenden 
Untersuchungen  über  die  Entwicklungs- 
geschichte der  norwegischen  Pflanzenwelt 
und  erklärt,  dafs  er  im  wesentlichen  zu 
ähnlichen  Ansichten  wie  Blytt  gelangt 
sei,  dagegen  sehr  von  den  neueren  A  nders- 
son's  abweiche.    Dann  untersucht  er  ge- 


trennt die  Einwanderungsgeschichte  der 
4  Gruppen  von  Pflanzen,  zu  deren  Trennung 
er  durch  seine  Prüfung  der  deutschen 
Pflanzengeschichte  gelangt  war. 

Die  erste  Gruppe,  deren  Heimat  in 
Gegenden  zu  suchen  ist,  deren  Soromer- 
und  Winterklima  kühler  als  das  der 
niederen  Gegenden  des  mittleren  Elbe- 
gebiets ist,  die  daher  meist  als  arktisch 
oder  arktisch-alpin  bezeichnet  werden,  ist 
die  zuerst  dauernd  in  Skandinavien  an- 
gesiedelte Gesellschaft  von  Samenpflanzen. 
Ihre  Einwanderung  versetzt  Verf.  in  die 
dritte  Eiszeit.  Ihre  Haupteinwanderung 
nimmt  er  vom  W.  der  eimbrischen  Halbinsel 
an,  doch  kann  auch  eine  Einwanderung 
über  Finland  stattgehabt  haben,  obwohl 
dies  damals  wohl  noch  durch  einen  Meeres- 
arm, der  das  Weifse  Meer  mit  dem  bos- 
nischen Husen  verband,  von  Skandinavien 
getrennt  war.  Als  erste  Ansiedler  be- 
trachtet Schulz  Salix  polaris,  Oxyria 
digyna  und  Diyas  octopetala. 

Nicht  scharf  getrennt  hält  Verf.  die 
Einwauderungsgeschichte  der  zweiten  und 
dritten  Gruppe.  Dafs  kein  scharfer  Gegen- 
satz zwischen  diesen  vorhanden  ist,  geht 
schon  aus  ihrer  Kennzeichnung  hervor, 
denn  die  Glieder  der  zweiten  Gruppe 
sollen  ihre  Heimat  haben  in  Gegenden, 
deren  Sommer  wenigstens  teilweise  heifser 
und  trockener,  deren  Winter  zeitweise 
kälter  und  trockener  sind  als  im  mittleren 
Elbgebiet;  die  Heimat  der  Glieder  der 
dritten  Gruppe  zeigt,  dagegen  Winter,  die 
z.  T.  viel  gemilfsigter  sind  als  in  jenen 
Gegenden,  während  die  Sommer  ebenso 
.warm,  aber  kauni  trockener  sind  als  an 
der  mittleren  Elbe.  Man  erkennt  in  der 
zweiten  Gruppe  Pflanzen,  die  heute  ost- 
europäischem Klima  angepafst  sind,  wäh- 
rend die  Pflanzen  der  dritten  Gruppe 
im  südlichen  Mitteleuropa  ihren  Haupt- 
sitz haben.  Heide  Gruppen  konnten  sich 
während  der  kalten  Zeit  wohl  kaum  im 
südlichen  Mitteleuropa  halten.  In  Skan- 
dinavien sind  sie  wahrscheinlich  in  der 
ersten  hei  Isen  Periode  eingewandert, 
z.  T.  wieder  eingedrungen,  z.  T.  überhaupt 
zuerst  dahin  gelangt.  So  glaubt  Verf. 
annehmen  zu  können,  dafs  Buche  und 
Fichte  zuerst  damals  dort  einwanderten, 
während  bei  der  Kiefer  eine  Neueinwan- 
derung stattfand.  Bei  der  Besprechung 
'  die*cr  beiden  Gruppen  geht  er  auf  die  ver- 
'  schiedenen  einstigen  Landbrücken  Skandi- 


Bücherbesprechungen. 


535 


•  naviens  mit  Großbritannien,  der  cirabri- 
scheu  Halbinsel  und  Hinterpomniern  ein, 
indem  er  teils  au«  »ler  Pflanzenverbreitung 
Beweise  für  sie  vorbringt,  teil«  die  schon 
von  andern  Forschern  als  wahrscheinlich 
erkannten  als  Stützen  für  seine  An- 
nahmen über  die  Kiuwanderungsgeschichte 
benutzt,  Dafs  sehr  viele  der  aufgestellten 
Wahrscheinlichkeiten  noch  weiterer  Prü- 
fung bedürfen,  ist  selbstverständlich:  den- 
noch wird  die  vorliegende  Arbeit  gerade 
in  diesem  Teil  dem  Vertreter  der  Erd- 
kunde, dem  die  Pflanzengeschichte  sonst 
ferner  liegt,  am  meisten  Beachtenswertes 
bieten. 

Der  letzte,  wesentlich  küi-zere  Teil  be- 
schäftigt sich  mit  der  Einwanderungs- 
geschichte der  vierten  Gruppe,  also  mit 
Pflanzen,  deren  Heimat  in  Gegenden  ist, 
deren  Winter  gemiifsigter,  deren  Sommer 
aber  kühler  und  feuchter  sind  als  an  der 
mittlem  Elbe,  also  den  atlantisch->ub- 
atlantischen  Pflanzen.  .Sie  scheinen  Skan- 
dinavien in  den  kühlen»  Abschnitten 
der  heifsen  Periode  und  vorzüglich  in  den 
kühlen  Perioden  mit  Ausnahme  derkühlsten 
Abschnitte  erreicht  zu  haben  und  zwar 
meist  wohl  durch  Vermittlung  von  Tieren, 
bes.  von  Vögeln. 

Leider  ist  die  Aufeinanderfolge  der 
verseil iedenen  Zeiteu  seit  dem  Tertiär  bis 
zur  Gegenwart  noch  nicht  überall  klar 
erwiesen ,  so  dafs  durch  neue  Unter- 
suchungen noch  manche  Änderung  in 
«ler  Auffassung  der  Zeitenfolge  und  daher 
auch  wohl  in  der  Geschichte  der  einzelnen 
PHan/.engruppen  zu  erwarten  ist.  Da  ea 
sich  aber  im  ganzen  um  sicher  zusammen- 
gehörige Gruppen  handelt  ,  müssen  wir 
Verf.  trotzdem  für  seine  Untersuchungen 
sehr  dankbar  sein.  Die  Arbeit  ist  sieber 
ein  schätzenswerter  Beitrag  zur  Fest- 
stellung der  Entwicklungsgeschichte  der 
Pflanzenwelt  Skandinaviens,  «leren  reichen 
Inhalt  wir  hier  nur  kurz  andeuten  konnten. 
Da  eine  Weiterarbcit  von  skandinavischen 
Forschern  zu  erwarten  ist,  mufs  alter  be- 
dauert werden,  dafs  die  Arbeit  schwer 
lesbar  ist,  also  Ausländern,  die  deutsch 
wohl  verstehen,  aber  nicht  beherrschen, 
Schwierigkeiten  machen  kann.  Auch  ist 
zu  bedauern,  dafs  so  viel  Stoff  in  Au- 
merkuiigen  sbM'kt,  «lie  oft  seitenlang  sind 
und  am  Ende  des  Muchs  stehen.  Sehr 
erschwerend  wirkt  dazu  «lie  Länge  «ler 
Sätze,  die  ein  Deutscher  schon  öfter  lesen 


mufs,  will  er  sie  verstehen.  Hieran  können 
die  Skandinavier  sehen,  welchen  Stil  die 
deutsche  Gymnasialbihlung  zu  erzielen 
vermag. 

Gröfsere  Übersichtlichkeit  und  Klarheit 
der  Darstellung  sei  daher  dem  Verf. 
dringend  empfohlen.  Bei  Arbeiten,  die 
reich  au  Vermutungen  sind,  sonst  aber 
sehr  «lie  Beachtung  der  Fuchgenossen  ver- 
dienen, ist  klare  Ausdrueksweise  doppelt 
wünschenswert.  F. Höck- Luckenwalde. 

Deecke,  W.,   Geologischer  Führer 
durch  Pommern  (Sammlung  geo- 
logischer Führer  IV).   Kl.  8".    131  S. 
mit  7  Abbild.    Berlin,  Gebr.  Born-  • 
traeger  1881». 
Das  Bändchen  ist  gleich  dem  Geinitz- 
schen  Führer  durch  Mecklenburg  ein  er- 
freulich«^ Zeichen  dafür,  dafs  «las  so  lange 
mit  Unrecht  vernachlässigte  Interesse  für 
die  Geologie  des  nonldeutschen  Flach- 
landes sich  auch  in  weiteren  Kreisen  zu 
beleben  beginnt,    Während  «ler  Gesamt- 
aufbau   der  Geologie  Pommerns,  insbe- 
sondere seiner  mächtigen  Diluvialmassen, 
von  den  Geologen  der  preufsischen  geo- 
logischen Landesanstalt  studiert  und  am 
besten    in   den   neuesten  Darst«-llungen 
Wahnschaffe  s  und  Keilhack's  zusammen- 
gefaßt ist,  verdanken  wir  Deecke  Beob- 
achtungen über  mesozoische  Vorkommen. 
Bei  dem  Versuche,  einen  Führer  durch 
dies  teilweise  fast  unbekannte,  in  ein- 
zelnen Lamlstrichen  dagegen  höchst  genau 
und    eingehend    untersuchte   Gebiet  zu 
schreiben,  bot  die  Auswahl  der  Gegenden 
Schwierigkeiten.    Deecke  hat  die  besuch- 
teren Küstenlandschaften,  die  Aufschlüsse 
vordiluvialer   Schichten    und    den  End- 
moränenzug  heran  «gegriffen.     Die  rein 
geographischen  und  allgemeinen  geologi- 
schen Momente  finden  wenig  Berücksich- 
tigung; «lagegen  ist  eine  Fülle  von  Ein- 
zelnotizen so  an  einander  gereiht,  wie  sie 
der  Verlauf  der  Exkursionen  gerade  bot. 
In  dh'ser  Anordnung  erblicken  wir  den 
Hauptreiz  und  Hauptwert  des  Schriftehens. 
Während    Geologen    und  Geographen, 
welche  Pommern    zu  wissenschaftlichen 
Zwecken  aufsuchen,  mehr  die  eigentliche 
Fachliteratur  benutzen  werden,  dürfte 
unter  den   vielen  Tausenden   von  Batle- 
gästen, welche  die  Ostseebäiler  von  Bügen 
und  der  mecklenburgischen  Grenze  bis 
hin1  zum  lieblichen  Zoppot  besuchen,  ge- 


530 


R  u  c  h  c  r  1>c  k  p  r  e  c  h  u  u  ge  n. 


wifa  viele  durch  den  „Führer"  zu  einer  1 
geologischen  Betrachtungsweise  der  von 
ihnen  durchwunderten  Küsten  veranlagt 
und  damit  auch  zum  genlogischen  Ver- 
ständnis des  deutschen  Flachlandes  über- 
haupt angeregt  werden.  So  mag  dies 
sorgfältig  bearbeitete,  dankenswerte 
Schriftchen  dazu  helfen,  die  mühsamen 
Ergebnisse  langjähriger  Forschungen  in 
weitere  Kreise  zu  tragen.  Jentzsch. 

Zweck,  Albert,  Masuren.  Eine  Laudes- 
und  Volkskunde.  (Deutsches  Land 
und  Leben  in  Einzelschilderungen.) 
Mit  69  Abbild,  u.  3  statist.  Karten. 
Stuttgart,  1900. 

Das  mit  zahlreichen  Abbildungen  ver- 
sehene Buch  stellt  eine  treffliche  Landes- 
kunde der  Masuren  Ostpreußens  dar.  Es 
behandelt  iu  ausführlicher  Weise  die 
verschiedeneu  Erscheinungen  der  Landes- 
natur und  des  Volkslebens.  Der  Ver- 
fasser hat  bei  der  Darstellung  die  vor- 
handene Litterat ur  in  ausgiebigem  Mafse 
benutzt,  eodafs  der  Text  durchaus  auf 
der  Höhe  der  Zeit  steht.  Der  erste  Teil 
ist  der  Geologie,  der  Oberfliiehengestal- 
tung,  dem  Klima,  der  Tier-  und  Pflanzen- 
welt gewidmet.  Während  die  Erörterung 
der  geologischen  Verhältnisse  in  der  ziem- 
lich einförmigen  Moränenlandschaft  natur- 
gemäfs  auf  wenigen  Seiten  abgethan 
werden  konnte,  nimmt  die  Schilderung 
der  Oberflächengestalt  der  seen-  und 
hügelreichen  Landschalt,  die  ihrer  mannig- 
fachen Hodenform  wegen  zum  Teil  als 
„bucklige  Welt"  bezeichnet  wird,  einen 
weit  grölsereu  Raum  ein.  Diesen  Ab- 
schnitt des  Buches  konnte  der  Referent 
auf  Grund  eigener  Anschauung  genauer 
prüfen.  Die  Darstellung  hat  ihn  sehr  an- 
gemutet, sie  ist  klar  und  anschaulich. 
Am  schwächsten  erscheint  uns  der  Ab- 
schnitt „Die  Tierwelt"  ausgefallen  zu 
sein,  er  ist  auch  sehr  wenig  geographisch. 
Die  Pflanzenwelt  ist  dagegen  weit  befrie- 
digender behandelt.  Diese  ist  nicht  vom 
Verfasser,  sondern  von  J.  Abromeit  bear- 
beitet worden  In  dem  zweiten  Teile  des 
Ruches,  der  die  „Bewohner"  zum  Gegen- 
stand hat,  werden  die  ethnographischen, 
geschichtlichen  und  kulturellen  Verhält- 
nisse erörtert.  Das  nahe  der  russischen 
Grenze  gelegene  Land  bietet  in  anthropo- 
geographi sehet  Hinsicht  viel  Interessantes. 
Der  Verfasser  erweist  sich   in  diesem 


Teile  als  ein  ausgezeichneter  Kenner  des 
masurischen  Volkes.  Seine  Landes-  und 
Volkskunde  Masurens  verdient  dämm 
auch  alle  Anerkennung,  und  es  ist  im  In- 
teresse der  deutschen  Landeskunde  nur 
zu  wünschen,  dafs  wir  ähnliche  Dar- 
stellungen auch  von  andereu  deutschen 
Landschaften  bekommen,  denen  die  der 
Masuren  recht  gut  als  Muster  zu  Grunde 
gelegt  werden  könnte.  Ule. 

Fischer,    Theobald,  Wissenschaft- 
liche   Ergebnisse    einer  Reise 
im  Atlas- Vorlandevon  Marokko. 
Pet.  Mitt.  Erghft.  133.   Gotha,  Justus 
Perthes  1900.    165  S.    3  Karten  in 
1  :  300  000. 
In  diesem  Werke  giebt  der  Verfasser 
einen  eingehenden  Herich t  über  den  Ver- 
lauf einer  Reise,  die  er  vom  Februar  bis 
Mai    18"J9   in  den  dem   Westfnfse  der 
marokkanischen    Gebirge  vorgelagerten 
Hochebenen  unternommen  hat.    Der  zu- 
rückgelegte Weg  beträgt  1500  Kilometer 
und  verläuft  fast  ' ganz  in  Gebieten,  die 
zwar  schon   vielfach   von  europäischen 
Reisenden   durchquert   und  beschrieben 
worden   sind,   aber   noch   niemals  zum 
Gegenstande   solch   eingehender  Durch- 
forschung gemacht  wurden,  wie  es  von 
seiten   Fischers    geschehen     ist.  Der 
Wert  seiner  Arbeit  liegt  nicht  so  sehr 
in  der  Erschliefsung  bisher  von  geogra- 
phischen Forschern  unberührter  Gebiete, 
obgleich  auch  dazu  2  sehr  wertvolle  Rei- 
träge  geliefert  werden,  als  in  der  Viel- 
seitigkeit systematisch  angestellter  Reob- 
achtungen  und  ihrer  wissenschaftlichen 
Verarbeitung     mit    den  einschlägigen 
Resultaten  früherer  Reisen  zu  abgerun- 
deten Darstellungen,  die  in  erster  Linie 
Oberflächengestalt    und    Rebauung  des 
Rodens   und   deren  Erklärung  aus  den 
geologischen  Verhältnissen,  der  Art  des 
Rodens  und  der  Rewässerung  behandeln, 
Das  Studium  dieser  Fragen  wird  durch 
das  sorgfältig  aufgenommeue,  mit  zahl- 
reichem Detail  ausgestattete  uud  karto- 
graphisch mufttergiltig  ausgeführte  Itinerar 
wirksam  unterstützt.   Alle  diese  Vorzüge 
weisen  «lein  Werke  einen  hervorragenden 
Plate  in  der  geographischen  Litteratur 
Marokkos  an,  die  in  der  That  kein  gleich- 
artiges R»>isewerk  ihm  an  die  Seite  zu 
stellen  vermag. 

F.  betrat  das  Sultanat  in  Tanger,  von 


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Bii  ch  erbe  »prech  u  Ilgen. 


537 


wo  aus  er  zahlreiche  AuBflüge  unternahm, 
die  einer  eingehenden  Untersuchung  der 
Küste  zwischen  Kap  Malabata  und  Asila 
gewidmet  waren.  Von  Tanger  fuhr  er 
zu  Schiff  der  atlantischen  Küste  entlang, 
die  in  dem  Berichte  im  allgemeinen  eine 
summarische  Behandlung  erfuhrt,  während 
die  an  ihr  Hegenden  Hafenorte  und  deren 
nächste  Umgehung  ausführlicher  be- 
schrieben werden. 

In  Mogador  begann  die  Reise  ins 
Innere,  die  am  untern  Ued  Tensift  auf- 
wärts nach  Marrakesch  führte  und  in 
Demnat  den  Fufs  des  Gebirges  erreichte. 
Die  wichtigsten  Resultate  allgemeiner 
Natur,  die  auf  dieser  ersten  Durch- 
<iuerung  des  Atlasvorlandes  gewonnen 
wurden,  sind  die  Erkenntnis  derGlicderung 
der  Hochebenen  Mittelmarokkos  in  drei 
annähernd  parallel  verlaufende  Land- 
gürtel, ihre  Abgrenzung  gegen  einander  , 
und  die  Charakterisierung  derselben  in 
Bezug  auf  Klima.  Bewässerung,  Vegetation 
und  Besiedelung.  Die  Krgehnisse  wurden 
durch  die  zweite,  zwischen  Demnat  und 
Casablanca  vollzogene  Durchquerung  voll- 
auf bestätigt, 

Von  Casablanca  bis  zum  Knde  seiner 
Reise  folgte  F.  von  Europäern  wiederholt 
begangenen  Wegen,  deren  kartographische 
Darstellung  aber  durch  dio  zahlreichen 
Einzelheiten  seines  Itinerars  nicht  un- 
wesentlich bereichert  wird.  Fischer's 
Reisebeschreibung  und  Karte  brechen  bei 
Sidi  Geddar  ab.  Die  auf  dem  18f>  Kilo- 
meter betragenden  letzten  Teile  seines 
Weges  gemachten  Beobachtungen  werden 
nur  zu  einer  manches  Neue  bietenden 
Charakteristik  der  dem  uordmarokka- 
uischen  Küstengebirge  westlich  vor- 
gelagerten Hochebenen  verwandt. 

Schnell. 

Bryce,  James,  Bilder  aus  Südafrika 
Autorisierte  deutsche  Ausgabe  nach 
der  dritten  englischen  Ausgabe  von 
Max  Kleinschmidt.    Mit  einem  Vor- 
wort von  Theodor  Barth  und  einer 
Kart«  von  Südafrika.    XXII  u.  464  S. 
Hannover,  Gebr.  Jänecke  1900. 
Unter  den  zahlreichen  Büchern  und 
Schriften,  die  aus  Anlafs  des  südafrika- 
nischen Krieges  erschienen  sind,  können 
wir  das  vorliegende  Werk   als  eins  der 
besten  bezeichnen.  Freilich  hatte  es  bereits 
vor  dem  Kriege  in  England  zwei  Aullagen 


erlebt,  und  bei  dem  regen  Interesse,  das 
sich  in  der  ganzen  zivilisierten  Welt  bei 
dem  Ausbruch  des  Krieges  für  Südafrika 
geltend  machte,  erschien  eine  Übertragung 
der  dritten  Auflage  ins  Deutsche  wünschens- 
wert. Verfasser  hat  im  Jahre  1895,  also 
kurz  vor  dem  Einfall  Dr.  Jameson's,  die 
verschiedensten  Teile  Südafrikas  kennen 
gelernt.  Er  reiste  von  Kapstadt  über 
Kimberley  und  Mafeking  nach  Bulawayo 
und  von  dort  über  Fort  Salißbury  nach 
Beira.  Dann  besuchte  er  noch  Natal, 
Transvaal,  den  Oranje- Freistaat  und  Ba- 
sutoland.  Seine  Hauptaufmerksamkeit 
wandte  er  dem  Studium  der  politischen 
und  sozialen  Verhältnisse  Südafrikas  zu. 
und  da  er  als  Parlamentsmitglied  und 
bekannter  Schriftsteller  bei  den  mals- 
gebenden Persönlichkeiten  überall  Zutritt 
hatte,  so  war  er  in  der  Lage,  zuverlässige 
Informationen  zu  erhalten.  Dazu  kam 
aber  noch,  dafs  er  über  ein  gediegenes 
Wissen,  eine  ausgezeichnete  Beobachtungs- 
gabe und  schriftstellerisches  Talent  ver- 
fügt. Alle  diese  Eigenschaften  sind  dem 
vorliegenden  Buche  zu  gute  gekommen. 
In  den  ersten  Kapiteln  giebt  der  Verfasser 
einen  Uberblick  über  die  Natur  Südafrikas, 
erörtert  deren  Einflufs  auf  die  Bevölkerung 
des  Landes  und  schildert  den  Charakter 
der  südafrikanischen  Landschaft,  welcher 
einerseits  die  warmen  und  satten  Farben- 
töne und  andrerseits  die  Einsamkeit  und 
Ruhe  einen  besonderen  Reiz  verleihen. 
Dann  erhalten  wir  einen  Abrifs  der  Ge- 
schichte Südafrikas,  wobei  hauptsächlich 
die  Beziehungen  der  Europäer  zu  den 
Buschmännern,  Hottentotten  und  Kaffern 
und  diejenigen  der  holländischen  Bevöl- 
kerung zu  der  englischen  Regierung  dar- 
gelegt werden.  In  dem  dritten  Teile  er- 
zählt der  Verfasser  seine  Reiseerlebnisse 
in  den  verschiedensten  Gegenden  Süd- 
afrikas und  hebt  dabei  das  Charakteri- 
stische der  einzelnen  Länder  hervor;  von 
Interesse  sind  namentlich  seine  Mittei- 
lungen über  Maschonaland  und  Basuto- 
laud.  Schließlich  bespricht  er  noch  einige 
südafrikanische  Probleme  wesentlich  so- 
zialer und  politischer  Natur,  wie  z.  B.  daa 
Verhältnis  der  Neger  zu  den  Weifsen,  die 
Missionen,  die  sozialen  Verhältnisse  und 
das  ]K>litische  Leben  in  der  Kapkolonie 
und  in  Natal,  die  Lage  in  Transvaal  vor 
dem  Jahre  lH'.tö  und  die  wirtschaftliche 
Zukunft  Südafrikas.  Diese  Betrachtungen 


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538 


Büch  erb  csprechungen. 


geben  ihm  Veranlassung,  zum  Schlüte 
noch  einmal  auf  «las  Verhältnis  Englands 
zu  den  Boereu  zurückzukommen  und  in 
der  spiiter  geschriebenen  Einleitung  zu 
den  '  Ereignissen  Stellung  zu  nehmen, 
welche  im  Jahre  1*1)9  zum  Kriege  führten. 
Nicht  genug  anerkennen  können  wir  es, 
dal's  er  sich  hierbei  einer  Objektivität 
befleifsigt,  wie  sie  in  England  jetzt  nicht 
so  leicht  zu  finden  ist.  Wenn  er  auch 
keineswegs  die  Mafsnahmen  der  Trans- 
vaalregierung gut  heilten  kann  und  den 
Klagen  der  l  itlander  eine  gewisse  Be- 
rechtigung zuerkennt,  so  verurteilt  er  doch 
schonungslos  die  Uhambcrlain'sche  Politik, 
welche  den  Krieg  provozierte  und  dadurch 
Südafrika  einerseits  in  seiner  wirtschaft- 
lichen Entwickelung  aufs  empfindlichste 
schädigte,  andrerseits  die  Versöhnung  der 
holländischen  und  englischen  Bevölkerung 
Südafrikas  auf  unabsehbare  Zeit  hinaus- 
schob. A.  Schenck. 

Franz  Uoflein,  Von  den  Antillen 
zum  fernen  Westen.  Jena  1900. 
Der  Verfasser  hat  im  Jahre  1S9X  zwecks 
zoologischer  Untersuchungen  eine  Heise 
nach  Westindien  und  weiter  durch  Mexiko 
nach  der  kalifornischen  Küste  unter- 
nommen und  dabei  allerwärts  ein  offenes 
Auge  und  lebhaftes  Interesse  für  die 
allgemeinen  Naturverhält nisse  sowie  für 
das  Thun  und  Treiben  der  Menschen  ge- 
habt, und  die  Eindrücke,  welche  er  in 
letzterer  Beziehung  gewonnen  hat,  sind  es 
vor  allem,  die  er  zu  dem  bunten  Mosaik- 
werke seines  kleinen  Buches  verarbeitet 
hat.  Die  Hauptaufenthalte  hat  er  auf 
Martinique  und  St.  Thomas  sowie  bei 
Monterev  in  Kalifornien  genommen,  und 
die  Schilderungen  von  da  her  sind  daher 
auch  die  eingehendsten  und  zutreffendsten. 
An  den  meisten  anderen  Dingen  ging  es 
mit  dem  Dampfer  oder  dem  Kisenbahu- 
zuge  im  Kluge  vorüber,  mit  gelegentlichen 
Aufenthalten  von  wenigen  Stunden  oder 
Tagen,  und  was  davon  berichtet  wird, 
berührt  daher  mehr  nur  die  Oberfläche, 
gleichviel  ob  es  sich  dabei  um  die  west- 
indische  Rassenfrage,  um  die  dortige 
Zuckerindustrie,  um  mexikanische  Alter- 
tümer, um  die  südkalifornische  Wüsten- 
natur oder  um  das  Aroina  der  kaliforni- 
schen Früchte  handelt  Von  unter- 
gelaufenen Flüchtigkeiten  und  Irrtümern 
heben  wir  hervor:  den  hutförmigen  Vulkan 


von  Sombrero  (S.  46),  der  in  Wirklichkeit 
der  Rest  eines  gehobenen  Korallenriffes 
ist;  die  Gleichsetzung  von  „Tornado" 
und  „Hurricane";  den  alten  Aberglauben 
von  dem  „durch  die  gütige  Wunne  des 
Golfstromes'4  gemilderten  Klima  Europas 
Den  von  der  „heiteen  Fläche  des  Ozeans" 
her  wehenden  Passatwind  (S.  4.  u.  S.  14) 
empfanden  wir  auf  Martinique  immer  als 
den  angenehmen  Kühlebringer,  und  was 
den  herüchtigte  Lanzenschlange  von 
Martinique  und  Santa  Lucia  angeht,  so 
glaubten  wir  an  der  barfute  einhergehen- 
den Bevölkerung  eher  eine  unbegreifliche 
Sorglosigkeit  als  eine  panikartige  Furcht 
zu  beobachten.  E.  Deckert. 

Wollensack,  A.,  Lehrbuch  der  Geo- 
graphie f.  österr.  Lehrer-  und 
Lehrerinn enbild  u  ngs ans t  alten. 
Herausgegeben    von   Gustav  Rusch. 
I.  Teil:  Mit  95  Abbildungen.  Wien 
1901.     A.  Pichlers  Witwe  &  Sohn. 
Geb.  3  K.  60. 
Im  ersten,  sachlich   und  methodisch 
sehr    sorgfältig   ausgeführten  Abschnitt 
S   1—22)  werden  mit  Festhaltung  des 
geozentrischen    Standpunktes    jene  Er- 
scheinungen  und  Vorgänge  am  Himmel 
dargestellt,  welche,  wie  es  der  Autor  in 
den   Begleit worten  ausspricht,  zu  einer 
verständigen,  durch  selbständiges  Denken 
gewonnenen    Auffassung    zunächst  der 
Kugelgestalt    der   Erde    und    dann  des 
Liniennetzes    auf  ihr   unerläfslich  sind. 
Doch   verhehlt   sich   der  Verfasser  dank 
seiner  vieljährigen  Erfahrung  nicht,  dal's 
es  zur  Erreichung  dieses  Zieles  auch  noch 
einer  steten  Anleitung  zur  Beobachtung 
am  Himmel  und  wiederholten  Eingehens 
auf  «las  Thema  im  Laufe  des  länderkund- 
lichen  Unterrichtes  bedarf.    Der  zweite 
Abschnitt  8.  23—38  bietet   die  Grund- 
begriffe der  physischen  Geographie.  Die 
grundlegenden  Definitionen  sind  nach  der 
eigenen  Angabe  des  Verfassers  «1er  Mor- 
phologie von  Penck,  der  allgemeinen  Eni 
künde  von  Brückner  und  dem  Gmndrifs 
der  allg«'meinen  Erdkunde  von  —  Sydow 
z.  T.  wörtlich  entnommen.    Viele  hierher 
gehörige  Erscheinungen,  namentlich  jene 
aus  dem  Bereiche  der  Klimatologie,  finden 
an  passender  Stelle  im  länderkundlichen 
Teile  ihre  Erklärung.    Dieser  hat  den  re- 
spektablen Umfang  von  275  Seiten.  Denn 
in  die  Hand  künftiger  Lehrer  gehört  nach 


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Bücherb  csprcchungcn. 


539 


Ansicht  des  Autors,  dem  wir  hier  voll- 
ständig beitreten,  ein  anschaulich  aus- 
führliche» Lehrbuch.  Der  methodischen 
Anforderung  wird  bei  der  länderkundlichen 
Darstellung  mit  Geschick  Rechnung  ge- 
tragen. Die  Erdteile  werden  in  natürliche 
Landschaften  zerlegt  und  innerhalb  jeder 
einzelnen  der  Zusammenhang  der  physi- 
kalischen Verhältnisse  mit  den  kultur- 
geographischeu  beleuchtet.  Wo  es  an- 
gängig ist,  werden  die  politisch  zusammen- 
gehörigen (ilieder  zusammengefaßt  und 
das  Staatsgebiet  als  solches  nach  l'mrifs 
und  Grenzen,  Gröfse  und  Bevölkerung,! 
nach  seiner  politischen  Gliederung  und 
seinem  wirtschaftlichen  Gesamtcharaktcr 
behandelt.  Die  Zahlenangaben  sind  in 
passender  Weise  abgerundet.  Die  Über- 
führung der  Flächenmaße  auf  Quadrat- 
myriameter  dürfte  jedoch  die  Gedächtnis- 
arbeit nur  erschweren.  Auffällig  und 
keineswegs  nachahmenswert  erscheint  mir 
der  Vorgang  des  Autors,  der  Schilderung 
der  einzelnen  Landschaften  des  Krdteils 
nur  die  Angabe  der  äußersten  Punkte 
und  der  Grenzen  desselben  vorangehen 
zu  lassen.  Dagegen  enthält  der  Rückblick 
auf  die  Kniteile  Ausführungen,  die  doch 
notwendigerweise  vor  dem  Eingehen  auf 
die  natürlichen  Gebiete  geboten,  richtiger 
zum  gröfsten  Teil  von  den  Schülern  selbst 
der  Karte  entnommen  werden  müssen, 
z.  B.  Lage,  horizontale  Gliederung,  Ge- 
stalt, vertikale  Gliederung  u.  s.  w.  Hin-  j 
sichtlich  des  am  Schlüsse  beigefügten 
Literaturverzeichnisses  möchte  ich  für 
eine  eventuelle  zweite  Auflage  dem 
Wunsehe  Ausdruck  geben  zunächst  nach 
einer  kritischeren  Auslese,  sodann  nach 
bestimmter  Angabe  der  für  jüngere  Lehrer 
zur  weiteren  Ausbildung  empfehlens- 
werten Werke.  Kine  wertvolle  Beigabe 
des  Lehrbuches  bilden  die  überaus  zahl- 
reichen, vortrefflichen  Abbildungen,  welche 
z.T.  nach  Lichtbildern  und  Gemälden  des 
k.  k.  naturhistorischen  Hofmuseums,  z.  T. 
nach  A.  Lehmauu's  Völkertypen  ausge- 
führt sind.  Dr.  Alois  Kraus. 

Lüddecke,  Dr.,  Deutscher  Schulatlas, 
bearbeitet  und  herausgegeben  von 
Dr.  II.  Haack.  88  Karten  und  7 
Bilder  auf  51  Seiten.  3.  berichtigte 
und  erweiterte  Auflage.  Gotha. 
Justus  Berthes  l'.KH.  30x25  cm. 
geb.  3.— 


Der  Atlas  hat  seinen  Namen  verändert, 
indem  der  Ausdruck  „Mittelstufe"  gefallen 
ist.  Dr.  Haack  hat  sich  ausführlich  über 
diese  und  die  sonstigen  Änderungen,  die 
er  vorgenommen,  ausgesprochen  (Geogr. 
Aug.  1901  S.  5  ff.  u.  S.  21  ff.).  Man  kann 
mit  ihm  im  allgemeinen  einverstanden 
sein.  Nur  Blatt  6/7  und  Blatt  8  und  0 
geben  nirgends,  was  wenigstens  wir 
Norddeutsche  durchaus  brauchen ,  ein 
zusammenhängendes  Bild  des  norddeut- 
schen Tieflands,  seiner  Stromentwicklung 
und  Küstengliederung.  Hier  hat  unbe- 
dingt eine  Erweiterung  zu  erfolgen.  Die 
Übereinstimmung  derMafsstäbe.  die  glück- 
lich gewählten  Projektionen,  der  anspre- 
chende, an  Wagner's  Schulatlas,  dessen 
Vorstufe  er  ja  auch  bleiben  soll,  erinnernde 
Eindruck  des  Kartenbildes  sind  als  alte 
Vorzüge  geblieben.  Hinsichtlich  der  Pro- 
jektionswahl  ist  nur  eine  Einschränkung 
(die  übrigens  auch  für  Richter  wie  für 
Diercke  gilt  zu  machen.  Der  Weltverkehr 
(Blatt  46  4  7  »  verträgt  wohl  recht  gut  die 
Mercatoqirojektion,  für  die  Kolonien  ist  sie 
aber  die  denkbar  ungeeignetste;  es  wird 
Zeit,  dafs  endlich  einmal  mit  der  leider 
noch  weit  verbreiteten  Einrichtung,  beide 
auf  einer  Mercatorkarte  zu  vereinigen, 
energisch  gebrochen  wird.  Meines  Wissens 
war  es  Bludau.  der  zuerst  gerade  auch 
auf  diesen  Spezialfall  verkehrter  Projek- 
tionsanwendung aufmerksam  gemacht  hat. 
—  Doch  ich  habe  mich  auf  einer  Einzel- 
heit verloren,  in  der  fast  alle  Atlanten 
heute  noch  sündigen;  das  soll  den  Lüd- 
decke-Haack  nicht  benachteiligen,  der, 
wenn  er  erst  eine  brauchbare  Karte  von 
Niederdeutschland  in  sich  aufgenommen 
hat,  aber  freilich  auch  erst  dann,  vielleicht 
der  beste  unserer  kleineren  Schulatlanten 
ist.  Ich  möchte  seine  Anschaffung  besonders 
für  sechsklassige  Anstalten  empfehlen, 
wohingegen  ich  einen  noch  elementareren 
auf  der  l'uterstut'e  und  einen  gröfseren  von 
Tertia  an  für  die  ncunklassigen  für  rich- 
tiger halte.  Ein  solcher  ist  u.  a. : 
Diercke,  Schulatlas  für  höhere 
Lehranstalten,  bearbeitet  und  her- 
ausgegeben von  ('.  IMerckc  und 
I  .  Gaehler.  37.  Auflage.  Revision 
von  l'.»00.  151»  Haupt- und  1öG  Neben- 
karten. Braunschweig,  George  We- 
stermann IU01. 
Der  Atlas  ist  so  bekannt,  dafs  eine 
eingehendere  Besprechung  bei  ihm  noch 


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r>4o 


• 

Neue  Bücher  und  Karten. 


weniger  nötig  erscheint,  als  bei  Lüddecke- 
Haack,  der  docli  immerhin  einem  recht 
starken  Uinwandlungsprozefs  unterlegen 
ist.  Das  gilt  dies  Mal  von  der  Neu- 
auflage des  Diereke  nicht;  wohl  aber 
vollzieht  sich  in  ihm  ein  allmählicher 
Vervollkonunnungsvorgang,  der  uns  am 
lebhaftesten  sin  einer  Reihe  erheblich  ge- 
besserter, (»der  in  neuer  Form  erscheinen- 
der Blätter  entgegentritt.  Ich  führe  an 
die  verschiedenen  Meereskarten,  Europa, 
Österreich- Ungarn.  Möchten  doch  nun  bald 
Blatt  10  und  11,  das  seine  Krdbilder  in 
sk-reographisehe Projektion  verlieren  mufs, 
Blatt  1«  und  10,  in  dem  der  Kolonialbe- 
sitz auf  einer  Mercatorkarte  dargestellt 
ist,  sowie  die  meisten  dazwischen  liegen- 
den Mercatorblätter  nachfolgen.  Zu  be- 
dauern ist  ferner,  dafa  der  Atlas  nicht  eine 
geeignete  Unterstufe  für  die  drei  ersten 
Gymnasialklassen  besitzt,  deren  Schaffung, 
besonders  nach  dem  Passus  der  neuern 
preußischen  Lehrpläne,  der  einen  grofsen 
Atlas  für  die  Unterklassen  verbietet,  für 
die  Verlagsanstalt,  will  sie  die  Verbreitung 
ihres  Atlas  auf  seiner  jetzigen  Höhe 
halten,  mir  als  ein  unabweisliches  Be- 
dürfnis erscheint.  Hr.  Fischer. 

Richter,  <J„  Wandkarte  von  Klaafs- 
Lo t  h  r  i  n  g e  n  u  n  d  d  e  r  B  a y  8  r  is  c  h  e  n 
Pfalz.  Verlag  von  G.  Baedeker  in 
Essen.  1900. 


Die  Karte  ist  im  Mafsstabc  1  :  175  000 
entworfen  und  ebensowohl  physische  wie 
politische  Karte.  Die  Höhenlage  ist  durch 
fünf  Farbtöne  bezeichnet:  0—100  m: 
dunkelgrün,  100—200  m:  hellgrün,  200 
bis  600  m:  weifa,  500— 10'.»0  m:  hell- 
braun, über  1000  m:  dunkelbraun.  Die 
Gelände- Verhältnisse  sind  durch  Schum- 
merung unter  Anwendung  der  schiefen 
Beleuchtung  dargestellt  und  zwar  mit 
grofsem  Geschick,  sodafs  die  Karte  aufaer- 
ordentlich  plastisch  wirkt.  Insbesondere 
treten  die  Haupt-  und  Nebenzüge  der 
Vogesen  aufscrordentlich  scharf  hervor, 
ebenso  der  plateauartige  Charakter  der 
Nord -Vogesen  und  der  Haardt  mit  dem 
Steilabfall  gegen  die  Ebene,  der  allmäh- 
lichen Senkung  nach  W.  zu.  Auch  die 
Vorhügel  der  Vogesen,  insbesondere  in 
der  Zaberner  Bucht ,  heben  sich  als  ein 
selbständiges  orographiachea  Element 
deutlich  ab,  dagegeu  tritt  die  Senke  von 
Kaiserslautern  nicht  genügend  klar  hervor. 

Die  Grenzen  der  einzelnen  Länder  sind 
mit  verschiedenen  Farben  angegeben,  die 
Grenzen  der  Bezirke  und  Kreise  durch 
dickere  und  dünnere  blafsgelbe  Linien. 

Die  ganze  Zeichnung  ist  sehr  kräftig 
gehalten,  sodafs  sie  noch  auf  ziemlich 
weite  Entfernung  wirksam  ist.  Die  Karte 
ist  daher  als  Wandkarte  für  den  Schul- 
gebrauch sehr  zu  empfehlen. 

Dr.  Ii.  Langenbeck. 


Nene  Bücher  und  Karten. 

Zusammengestellt  von  Heinrich  Brunn  er. 


(iexrhlrhlr  und  Methodik  der  Urographie. 

Claparedc,  Arth.  de.  Coup  d'ceil  sur  la 
geographie  et  ses  divisions  en  general 
et  s.  la  geogr.  econom.  et  sociale  en 
particulier.  Lecon  d'onvert.  ä  .  .  .  l'univ. 
de  Geueve.    30  S.    Geneve,  1001. 

Allgemeine  ph)«l*ch»'  Urographie. 

Guigon,  C.  A.   Le  The  ^histoire.  cultures. 

preparations,   pays  produeteurs  .  .  .)'. 

Avec  graphique.     VI,   251   S.  Paris, 

Challamel  1001. 
Hildebrandt,  M.   Untersuchungen  über 

die  Eiszeit  der  Erde,  ihre  Dauer  and 

ihre  Ursachen.    I  Tafel.    XVI,   128  S 

Berlin.  Kuntze  1001. 
Schwind,    Frdr.,    Die  Uiasküsteu  und 


ihr  Verhältnis  zu  den  Fjordküsten; 
unter  bes.  Berück»,  der  horizontalen 
Gliederung.  HO  S.  SA.  Prag,  Rivnäc 
Komm.  1001.  1.30. 

Allgemeine  Urographie  des  Mennrhen. 

Frey  t  ag,  G.  Export- Atlas  für  Welt- 
handel und  Industrie  ...  28  Tat*.  U. 
Karten  ...  7  S.  Text,  quer-f".  Wien, 
Frey  tag  k  Berndt  1001.    .H.  17.— 


Baedeker,  K.    Hufsland;  Handbuch  für 
Keisende.     5.  Autl      L,  478  S.  Mit 
10  Karten,  25  Plänen  u.  7  Grundrissen 
Leipzig,  Karl  Baedeker  1001. 

Liebenow,    W.     Verkehrs -Karte  von 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


541 


Osterr.-Ungarn,  nebst  den  angrenzenden 
Landern  des  Deutsch.  Reiches,  v.  Rufs- 
land  n.  der  europ.  Türkei.  1  :  *2.r)00(K)0. 
Farbdr.  '(Ausg.  1901)'.  1*25  x  134  cm. 
Berlin,  Berliner  lithograph.  Inst.  1901. 
.fc  12.— 

Segel -Hand  buch  für  die  Ostsee;  hrsg. 
vom  Reichs-Marine-Amt.  Abt.  II:  Das 
Kattegat  und  die  Zugänge  zur  Ostsee. 
33  Ilolzschn.,  5  Tat".  XXXIV,  393  S. 
3.  A.  Berlin,  D.  Keimer  Komm.  1901. 
*  3.50. 

Mitteleuropa. 

Handbuch  der  Wirtschallskunde 
Deutschlands ;  hrsg.  im  Auftr.  des 
deutschen  Verbandes  f.  das  kaufmünu. 
Unterrichtswesen.  Abb.,  Tab.  u.  Karten. 
Bd.  I.  VII,  331  S.  Leipzig,  Teubuer 
1901.    JL  10.— 

Hörmann,  Ludw.  v.  Wanderungen  in 
Tirol  u.  Vorarlberg.  I:  Wanderungen 
in  Vorarlb.  1  Kärtchen.  XI,  222  S. 
2.  A.    Innsbr.,  Wagner  1901.    JL  3.— 

Hörne,  Ant.  Ueber  geograph.  Benen- 
nungen aus  der  .  .  .  Umgebung  von 
Frankfurt  a.  M. ...  VIII,  111  S.  Frankf., 
Kesselring  1901.    Ji.  2.— 

H  üb  le  r ,  .1.  M.,  Bayerisch  Schwaben  und 
Neuburg  u.  seine  Nachbargebiete  i  Deut- 
sches Land  u.  Leben).  8".  325  S.  Mit 
63  Abi),  u.  1  Karte.  Stuttgart,  Hobbing 
&  Büchlc  1901. 

Jensen,  Wilh.  Der  Schwarzwald.  III.  u. 
10  Vollbilder.  Vlü,  374  S.  3.  A.  4°. 
Leipzig,  Amelang  1901.    .V  20  — 

Kienitz,  Otto,  u.  Karl  W  a  g u  e  r,  Litterat ur 
der  Landes-  und  Volkskunde  des  Grofs- 
herzogt.  Baden.  '(Abgeschlossen  am  1. 1. 
1900)'.  X,  715  S.  (Badische  Biblio- 
thek, n).  Karlsruhe,  Bielefeld  1901. 
JL  2  4  — 

Machacek,  F.  Neuere  Oletscherstudien 
in  den  Ost-Alpen.  Wien,  Selbstverlag 
1901. 

Palmgren,  Korv.-Kapit.  a.  D.  Emden; 

Deutschlands  neues  Seethor  im  Westen 

.  .  .  Abb.,  2  Karten.  V,  140  S.  Emden, 

Haynel  1901.    Jt  3.— 
Reinhard,  IL,  Topographisch-historische 

Studien  über  die  Pässe  u.  Strafsen  in 

den  Walliser,  Tessiner  u.  Bündner  Alpen. 

Jahresber.  höhere  Lehranstalt  in  Luzem. 

1901. 

Stein,  Barthel.  B.  St's  Beschreibung 
vou  Schlesien  u.  seiner  Hauptstadt 
Breslau.  —  Descriptio  tocius  |!|  Silesie 


et  civitatis  regie  Vratislaviensis  per 
M.  Barthol.  Stenum.  Hrsg.  v.  H.  Mark- 
graf. XVI,  108  S.  (Scriptores  rem  in 
Silesiacar.17).  Breslau,  Wohlfahrth  1902. 
JL  4  — 

Was sn er,  Ludw.  Das  Donauthal  Plein- 
ting-Passau-Aschbach  ...  2  Taf.  33  S. 
SA.    Passau,  Waldbauer  1901.  JL    1  — 

Ziegler,  Jul.,  u.  Walter  König.  Das 
Klima  von  Frankfurt  a.  M.  .  .  . ;  im 
Auftr.  des  phvsikal.  Ver.  bcarb.  Nach- 
trag. 2  Taf.  IV,  XXH,  GH  S.  Frankf.  n.M., 
Reitz  &  Koehler  1901.    JK  4  — 

Alles. 

Bartheleiny,  M<i»i»  de.  En  Indo-Chinc 
'(1896/97/:  Tonquin,  Haut  Laos,  Annan» 
septentr.  Grav.,  5  cartes,  portr.  379  S. 
Paris,  Plon-Xourrit  C.  1901.    Fr.  4  — 

Bei  c  k ,  Waldemar.  Beitrüge  zur  alten  Geo- 
graphie u.  Geschichte  Vorder-Asiens,  I. 
V,  56  S.    Leipzig,  Pfeiffer  1901.    JL  3 .  — 

Ditmar,  K.  v.  Reisen  u.  Aufenthalt  in 
Kamtschatka  1851  55.  2.  Teil,  Abt.  1. 
VUI,  275  S.  (Beitr.  z.  Kenntnis  des 
russ.  Reiches.  3.  F.  VUI).  St.  Petersbg; 
Leipzig  Voss  Sort.  1900.    Ji  6.— 

Rinne,  F.  Zwischen  Filipinos  u.  Ameri- 
kanern auf  Luzon.  Skizzen.  Abb.  III, 
81  S.  Hannover,  Jänecke  1901.  JL  1.50 

Afrika. 

Besitzstandskarte  von  Deutsch-Süd- 
West-Afrika;  zur  Darst.  der  Land-  u. 
Minenrechte...  1:2000000.  Farbdr. 
68,5  x  75,5  cm.   Berlin,  D.  Reimer  1901. 

JL  2  — 

Donnet,  Gaston,  En  Sahara;  ä  travers 
le  pays  des  Maures  nomades.  III.  309  S. 
4°.  Paris,  Soc.  franv.  d'editions  dart 
[19U1J. 

Randall-Maciver ,    Dav.,    and  Antli. 
"Wilkau.  Libyan  Notes.  III.  VIII,  114  S. 
London,  Macmillan  C.  1901    20  s. 

Strecker,  Carl  Chrph.  Auf  den  Dia- 
manten- u.  Goldfeldern  Südafr. ;  Schil- 
derungen v.  Land  u.  Leuten  .  .  .  Titel- 
bild, loo  Abb.,  1  Karte.  XVI,  689  S 
Freiburg  i.  B.,  Herder  1901.  JL  10.— 
Nordamerika. 

Lucas,  C.  P.  Historical  geography  of 
British  colonies.  V  1:  Canada  'i.  New 
France)'.  370  S.  London,  Frowde 
1901.    6  ». 

Südamerika. 

Gernhard,  Hob.  Die  Rio  Grands  Nord- 
west-Bahn .  ..;  kolonialwirtschaftl. 


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f)42 


Neu  erschienene  offizielle  Kartcu 


Studie  ...    2  Abi»,  u.  2  Kartensk.  V, 
07  S.     Breslau,  Sehles.  Buchdr.  11*01 
.(C  1.60. 

Pn  I  ii  r  i  <  'g  lonrn. 

Dittmer,  H.  Das  Nord- Polarmeer;  nach 
Tagebüchern  u.  Aufnahmen  ...  7  Kar- 
ten. 101  Abb  XVI.  361  S  Hamms,!-. 
Hahn  1901.    M.  6.— 

tieograiihUrher  l  iitrrrirht. 

Attensperger ,     Alb.       Lehrbuch  «1er 

inut hctnat .  u,  phyttkal.  Geographie  f. 
höhere  Schulen.  *  Fig.  VIII  ,  Iis  S. 
Zweibrücken,  Lehmann  1901.    JL  1.60. 


Heiderich,  Franz.  österreichische Schnl- 
geographic  .  .  .  '(im  Anschlufs  auKozenni 
geograph.  Atlas  .  .  .  bearb.)'.    4'.»  Abb.. 
35  Taf.    VI,  303  S.    Wien,  Holzel  1901 
.iL  3.— 

Tronin  au,  Ad.  Der  Unterricht  in  der 
Heimatskunde  .  .  .  Neu  hrsg.  u.  bearb. 
v.  F.  Wulle.  V,  11-2  S.  Halle,  Schroedel 
1901.    JL  8.— 

Zcehe,  Andr.,  u.  Wilh.  Schmidt.  Öster- 
reichische   VatcrlamUkunde    für  die 
8.  Gymnusinlkl.    1  Tab.    IV,  VII,  261  S. 
Laibach,  Kleinmavr  ii  Hamberg  1901 
JL  2.70. 


Neu  erschienene 

1.  Deutsches  Reich. 

Seekarte  der  Kais.  Deutschen  Admiraliüt 
Nr.  155:  Barcnts-See  (Nördliches  Eis- 
meer) l:2000ooo.  Mit  den  Plänen: 
Südhafen  >  Hären  Insel)  1  :  20O00,  Her- 
wig-Hafen (Bären-Insel)  I :750O.  .H.  3  20. 
-  Nr.  66:  Englischer  Kanal.  1  :  500000. 
Mit  Plänen  von  Scilly-Inseln  1  :  260 00t», 
Hüten  von  Falmouth  1  :  75  000,  Hafen 
von  Plymouth  1  :  75  000,  Einsegelung 
nach    Portsmouth    und  Southamptou 

1  :  175  000,  Rhede  und  Hafen  von  Brest 
1 :  75  000.  Hafen  von  Cherbourg  1:50000, 

Seine-Mündung  1  :  75  000.    JL  7.  

Nr.  22:  Ostsee,  Deutsche  Küste,  Frisches 
Hsitf,  Westlicher  Teil.  1  :  75  000. 
.V.  1.40  —  Nr.  63:  Nordsee.  Skagerrak, 

2  Hl..  1  :  300  0O0.  .V  3.20.  —  Nr.  6»: 
Nordsee,  Deutsche  Küste,  Inneu-Jude. 
1  :  25  000.  .>Y  2  —  Nr.  16«:  Ost- I 
asien.  Schantung  Deutsches  Schutz- 
gebiet. Kiautschou-Bucht.  1:50  00  ».  ' 
.»Y.  2.4t»,  —  Nr.  14*:  Kaiser  Wilhclms- 
Land  von  der  Westgreuze  bis  Herlin- 
Hafen     1  :  150  000.    .V.  2.20. 

Karte  des  Deutschen  Reiches, 
1:100  000.    Nr.  236:  Verden.  .€1.60. 

Mefstischblätter  des  Preufsischen 
Staates.  1:25  000.  Nr.  129*.  Garls- 
torf Nr.  1889:  Dahlenburg.  — 
Nr.  1531:  Soltau.  —  Nr.  1533:  Munster. 

Nr.  1602:  Heigen  b.  Celle.  — 
Nr.  1674:  Eschede.  — Nr  2095: Schöppen- 
stedt —  Nr.  2162:  Hessen.  —  Nr.  2257: 
König.  —  Nr.  2269:  Liebthal.  —  Nr. 
2330:  Göhren  —  Nr  2331 :  Hennswalde.  1 


offizielle  Karten. 

—  Nr.  2332:   Naumburg  a./Bober.  — 
Nr.  24*0:    llirschfcldau.  —  Nr.  24*1: 
Hartau.    -    Nr.    2553:  Mallmitz. 
Nr.  3037:  Eitorf.  -     Nr.  30311:  Wissen 

Nr.   3100:   Altenkirchen  i.  Wester- 
wald,   ä  .V.  1 .— 
!  Topographische  Übersichtskarte 
des  D  e  u  t  s  c  h  e  n  R  e  i  c  h  e  s.    1  :  200  OOO. 
Nr.    107:    Krotoschin.    —    Nr.  133: 
Schweidnitz,    i  Jl  1.60. 
Karte  des  Deutschen  Reiches.  Abt. 
Königr.    Bayern.     1  :  1 00  000,  Nr. 
674  :  Steinernes  Meer.    29,5  x  3'J  cm. 
Kpfrst.  u.  kolor.  .<£  1.50. 
Dasselbe,  Nr.  661:  Kempten.  —  Nr.  671: 

Hinterstein,  ä  1.50. 
Geologische  Karte  des  Grofsher- 
zogt.  Hessen.  1:25  000.  6.  Lief. 
5  HI.  ii  47.5x50,5  cm.  Farbdr.  Mit 
Erläuterungen.  Inhalt:  6.  Beerfehlen 
v.  G.  Klemm.  24  S.  —  Kelsterbach 
u.  Neu-Isenburg  v.  G.  Klemm.  76  S.  — 
Lindenfels  v.  (.'.  Chelius.  41  S.  —  Neun- 
kirchen v.  C.  Chelius.  41  S.  .*t  10  — 
Höhenkurvenkarte  vom  Königr. 
Württemberg.  1:25  000,  a  47,5 
x  62  cm.  Kpfrst.  u.  Farbdr.:  Nr.  65: 
Loffenau.  —  Nr.  0*:  Weil  der  Stadt, 

—  Nr.  112:  Böhringen.  —  Nr.  96: 
Herreuberg.      Nr.  94  :  Nagold   ä  M.  2. — 

Geognos  tische  Specialkarte  von 
Württemberg.  l  :  60  000.  Nr.  86: 
(iöj)pingen.  ,H.  2. — 
G  e  n  e  r  a  1  k  a  r  t  e  der  schwäbischen 
Alb.  1  :  150  000.  Bl.  Pforzheim. 
.  H,  -  -  .  80. 


Zeitach  riftcnschau. 


543 


2.  Osterreich- U  ugarn. 

Geologische  Spezi  al  karte  der  im 
Reichsrate  vertretenen  Königreiche  und 
Länder  der  österr.-ungar  Monarchie. 
1  :  75  000.  Zone  19,  Colonne  8:  Ober- 
drauburg-Mauthen.  JL  7 . 50.  —  Zone  30, 
Col.  14:  Kistanje  und  Dernio.   JL  4.60. 

3.  Frankreich. 
Carte  de  la  France.  1:50000.  40  :  Plou- 
guernean,  S.-E.  —  41  :  Lannion,  N.-E., 
S.-E.  —  42  :  Treguier,  N.-O.,  S.-O.  — 
45  :  Falaise,  N.-O.,  S.  O.,  S.-E.  — 
5G  :  Ile  d'Ouessant,  N.-E.  —  öS  :  Mor- 
laix,  N.-E.,  B.-B.  —  57  :  Brest,  N.-O., 
N.-E.,  S.-O.,  S.-E.  —  59  :  Saint- Brieuc, 
N.-E.  —  60  :  Dinan,  S.-O.,  S.-E.  - 

72  :  Ouiinper,  N.-E.,  S.-O.,  S.-E.  — 

73  :  Chäteaulin,  N.-O.,  N.-E.,  S.-O., 
S.-E.  75  :  Renncs,  N.-O.,  N.-E.,  S.-O., 
S.-E.  —  88  :  Lorient,  N.-O.,  N.-E.  - 
89  :  Vannes,  N.-E.,  S.-E.  —  103  :  Qui- 
heron,  N.-O.  —  108  :  Blois,  N.-E.  — 
117  :  Nantes,  N.-E.,  S.-O.,  S.-E.  — 
12«  :  Ile  d'Yeu,  N.-E.,  S.-E.  —  189  :  Pal- 
luau,  N.-E.,  S.  O.,  tS.-E.  -  132  :  Chä- 
tellerault,  N.-O.  —  141  :  Fontenav, 
S.-E.   —   155  :  Gueret,  S.-O.  —  172  : 

Perigueux,    S.-O.  —  182  :  Bergerac, 
S.  O.,  S.-E.  —  1H3  :  Brive,  N.-O.,  S.-O., 
S.-E.    a  Bl.  50cent. 
Carte    de    la   France.      1  :  100000 
IX— 12:  Coutances.   —   XI— 34  :  Aire 


(mise  ii  jour  en  janvier  1901).  — 
Feuille  XIX-24:  Lapalisse  (mise  a 
jour  en  mar»  1901).  —  Feuille  XXI— 24  : 
Beaujeu  (mise  ä  jour  en  oetobre  1900). 

—  Feuille  XXII— 14:  Saint-Dizier  (mise 
ä  jour  en  janvier  1901). 

Carte  topographio,ue  de  l'etat 
major.  Carte  geologique  dctaillee. 
1  :  80  000.   Nr.  162:  Angouleine.    Ö  Fr. 

—  Nr.  209:  Alais.  6  Fr.  —  Nr.  189: 
Briaucon,  6  Fr.  —  Nr.  232:  Bedarrieux. 
ti  Fr.  —  Nr   194:  Gourdon.    6  Fr. 

4.  Schweiz. 

Topographische  Karte  der  Schwei». 
l:100OOJ.  Sekt,  Zürich-Luzern-Alt- 
dorf-Glarus.  2.20. 

5.  Afrika. 

Carte  de  l'Algerie.  1:50000.  Feuille 
n"  113:  Oued  Okris  (departement 
d'Algerj.  —  Feuille  u°  114:  Mansourali 
(departement  de  CoiiHtantine).  —  Feuille 
n"  119:  Saint- Donat  (departement  de 
Constantiue).    ä  1  Fr.  60. 

6.  Asien. 

Karte  von  Ost-China,  1:1  000  000. 
Herausgegeben  von  der  Kartographischen 
Abt,  d.  Kgl.  Landesaufnahme.  Blatt: 
Peking,  Tsingtau,  Mukden,  Tsiuanfu. 
ä  .tt  1.50. 

Dr.  Max  Friederichsen. 


Zeitecliriftenscliau. 


Petermann  s  Mitteilungen.  1901.  7.  Heft. 
Meinardus:  Der  klimatologische  Atlas 
des  russischen  Reiches.  —  Bidlingmaier: 
Hie  erdniagnctisch-meteorologi*chen  Ar- 
beiten und  Ausriistnngsk'egenstünde  <Ier 
deutscheu  Südpolar-Expedition.—G  azert : 
Bakteriologische  Aufgaben  der  deutschen 
Südpolarforscbung.  —  Radde:  Gott- 
fried Merzbachers  Kaukasus-Werk.  — 
K  rahm  er:  Nachrichten  von  der  Ex- 
pedition Koslow's.  —  Halbfafs:  Der 
IV.  italienische  Geographentag  zu  Mailand. 
—  Hammer:  Läugenunterschied zwischen 
Green  wich  und  Paris.  —  Hück:  Zur 
Pthinzengeographie  der  Alpen. 

(ilobus.  Bd.  LXXX.  Nr.  3.  Thomas. 
Eine  internationale  anthropologisch-ethno- 
graphische   Bibliographie.    —  Reinke: 


|  Die  Pflanzenwelt  der  deutschen  Meere.  — 
]  Steffens:  Mit  «1er  Harriman  Expedition 
in  den  Gewässern  von  Alaska.  —  Richter: 
Ein    neuer   Atlas    der    Philipjiinen.  — 
Hansen:  Zur  Betonung  deutscher  Orts- 
namen. 

Dans.  Nr.  4.  Samoa  unter  deutscher 
Herrschaft.  —  Der  Yangtsekiang,  «lie 
deutscheu  Interessen  und  die  Bedeutung 
des  Stromes  für  die  Erschliefsuiig  China!«. 
—  Leue:  Ein  Marsch  durch  l'winsa 
(Dcutsch-Ostafrikai.  —  Seidel:  Der  Kropf 
in  Togo  und  Hinterland. 

Duss.  Nr.  5.  Zur  Ausreise  der  Süd- 
polarexpeditionen. —  Neger:  Welche 
Eigentümlichkeiten  in  der  heutigen  Ver- 
teilung der  Pflanzen  lassen  auf  eine 
ehemalige  Bewohnbarkeit    der  Antarktis 


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I 


544 


Zeitschriftenschau. 


Hehliefsen?  —  Cook's  Beobachtungen  Ober 
die  A  urora  austrat  ts  während  der  „Belgica"- 
Expedition.  —  Mo  euer:  Ein  Blick  auf 
Marokko. 

Das*.  Nr.  ß.  v.  Adelung:  (vber 
den  jüngsten  Kund  einer  Mammutleiche 
in  Ostsibirien.  —  Oppert:  I>ic  Felsen- 
tempel  von  Mamallapuram  oder  Seven 
Pagodas.  —  Höfler:  Das  Spendebrot  bei 
Sterbefallen. 

Deutsche  Rundschau  für  Geograjthie 
und  Statistik.  XXIII  Jhrg.  11.  Heft. 
Werner:  Die  Vogesen  und  ihre  Thäler 
Im  Ober-Elsafs.  Kine  Heise  nach  dem 
Nordkap.  -—  .Kittner:  Fortschritte  der 
geographischen  Forschungen  und  Reisen 

1900.  2.  Amerika.  —  Mohr:  Französisch- 
Guiuea. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1901.  Juli. 
Ebert:  Die  Erscheinungen  der  atmo- 
sphärischen Elektrizität  vom  Standpunkte 
der  lonentheorie  aus  betrachtet.  — 
Pockels:  Über  die  Kondensation  an 
Gebirgen. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie  XXII. 
.Ihrg.  10.  Heft.  Sch  warzleit  nor:  Die 
grolse  Kienzle'sche  Erhabenkarte  und 
deren    Lehrwert.    —  Russisch-Ostasien. 

George:  Zur  Behandlung  der  Geo- 
graphie der  pyrenäischen  Halbinsel. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wie».  Hd.  XLIV.  Nr.  ß 
u.  6.  l'uchleitner:  Die  Eiszeit  in  den 
Südkarpaten.  —  Hassert:  Reise  durch 
Montenegro  im  Sommer  1900. 

Abhandlungen  der  K.  K  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.  III.  Hd.  Nr.  ». 
Coellcn:  Der  Gegensatz  in  den  aufser- 
tropischen  Klimateu  der  kontinentalen 
West-  und  Ostkilsten  auf  der  Nordhemi- 
sphäre. 

The  Geographical  Journal.  Vol.  XVIII. 
Nr.  '2.  Mau n Hell:  Central  Kurdistau. 
—  Chnroh:  Northern  Holivia  and  Pre- 
sident Pandbs  New  Map  —  The  National 
Antarctic  Expedition.  —  Reviews. 
Cornish:  On  Sand-waves  in  Tidal  Cur- 
rents.  —  Some  Recent  Census  Reports. 

The  Scott ish   Geographical  Magazine. 

1901.  Nr  7.  Markham:  Address  to 
the  Hoyal  Geographical  Society.  — 
Lagden:   Basutoland  and  the  Basutos. 


—  Capenny:  Railway  Scheines  in  Re- 
lation to  British  Central- Africa. 

AnnuU s  de  Geographie.  1001 .  Xr.  .Vi. 
de  Martonne:  Fjords,  eirques,  vallees 
alpines  et  lacs  subalpins.  —  Lugeon: 
Kecherches  sur  l'origine  des  vallees  des 
Alpes  ( »ccidentales.  —  Privat- Des- 
chanel:  Le  relief  du  Beaujolais.  — 
Flotte-Roquevaire:  Essai  d'une  carte 
hypsonietriqiie  du  Maroe.  —  Mönch  i- 
court:  Lc  Massif  de  Mactar,  Tuuisie 
centrale.  —  Brisse:  Djibouti  et  le 
cbetnin  de  fer  du  Harar.  —  A'itoff:  Re- 
sultats  scientitiques  des  explorations  de 
Sven  Hedin  eu  Asie  centrale  181)4 —  1897. 

La  Geographie.  1901.  Juillet.  Cligny 
et  Rambau d:  Le  sol  du  Senegal.  — 
Dcniker:  Recentes  explonitions  russes 
en  Asie.  Priem:  La  position  et  la 
forme  des  regions  biogeographiques.  — 
Martel:  Treizieme  campague  souterraine. 

Rir.  Geogr.  Hai  1901.  Juliheft.  II 
U^iarto  Congresso  Geogratico  Italiano.  — 
Baldacci:  A  Note  statistiche  sul  „vila- 
yet"  di  Scutari  e  la  legge  della  montagna 
albanese.  —  Biasutti:  La  base  econo- 
mica  delle  conguiste  geograhehe.  — 
Gribaudi:  II  primo  sverno  nelle  regioni 
polari  antarktiche.  —  II  Congresso  Geo- 
gratico tedeseo  di  Breslavia.  —  Melzi: 
Indicazioni  dei  tromometri  fotogralici. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1901.  Nr.  7.  Williams:  The  Link- 
Relations  of  Southwestem  Asia.  — 
Barrett:  China,  Her  History  and  Deve- 
lopment. -  -  The  Indien  Village  of  Baum. 

—  The  Geography  of  Abyssinia.  —  Oil 
Fields  of  Texas  and  California.  —  The 
Seri  Indians. 

Au»  verschiedenen  Zeitschriften. 

Engler:  Vegetationsverhältnisse  des 
Ulugurugebirges  in  Deutsch-Ostafrika. 
Sitzunf/sher.  d.  Ak.  d.  Wiss.  Berlin. 
190O,  XVI. 

v.  Richthofen:  Gcomorphologische  Stu- 
dien aus  Ostasien.  Sitzungsbtr.  d.  Ak. 
d.  Wiss.  Berlin,  1901,  XXXVI. 

Zondervan:  Studiereisen  van  Lurar.'ii 
in  de  Aardrijkskunde.  Tijdschrifl  ran 
het  Kon.  Nederlandsch  Aardrijkskundig 
Genootschap. 


Verantwortlicher  HoMn.tfel.er    Prof.  Dr  Alfred  Hettner  in  Heidelberg 


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Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreieh- Ungarn. 


Von  Dr.  R.  Sieger. 
L 

In  der  Geographischen  Zeitschrift  1901  S.  292  findet  sich  die  Nach- 
richt, dafs  die  ungarische  Regierung  einen  Kanal  von  Oderberg  über  den 
Jablunkapafs,  durch  Waag-,  Donau-,  Save-  und  Kulpathal  und  nach  Fiume 
zu  bauen  plane,  dem  als  Schiffahrtsweg  von  Stettin  nach  Fiume  erhöhte 
Wichtigkeit  zukSlme.  In  der  That  hat  man  in  Österreich  viel  von  der  Mög- 
lichkeit gesprochen,  dafs  die  Ungarn  einen  Waag -Oder -Kanal  über  den  Ja- 
bluuka-  oder  auch  den  Vlarapafs  bauen  würden,  wenn  Österreich  ihnen  nicht 
durch  den  Bau  des  Donau-Oder-Kanals  zuvorkomme.  Auf  der  anderen  Seite 
taucht  seit  einiger  Zeit  das  Projekt  eines  Kanals  von  Wien  nach  Triest 
wieder  auf,  das  mit  dem  Zeitalter  der  Eisenbahnen  endgiltig  begraben  schien, 
und  insbesondere  in  Triest  scheint  die  Angst  vor  dem  Fiumaner  Konkurrenz- 
kanal auch  sonst  recht  ernste  Kreise  zu  Anhängern  des  erwähnten  Projektes 
zu  machen.  Nicht  von  diesen  Projekten  soll  im  folgenden  vornehmlich  die 
Rede  sein1).  Ein  paar  Höhenziffern  genügen,  um  sie  als  Phantasicgebildc  zu 
erweisen  oder  doch  als  Gradmesser  für  die  lebhafte  Kanalbegeisterung,  die 
nunmehr  in  Österreich  nach  langem  Stillstande  die  weitesten  Kreise  ergriffen 
hat.  Gewifs,  die  moderne  Technik  würde  schliefslich  auch  diese  Kanäle 
bauen  können,  und  wenn  sie  —  wie  man  vom  Fiumaner  Projekt  hört  — 
auf  weite  Strecken  in  geneigten  Tunnels  geführt  werden  müfsten!  Ihre 
wirtschaftliche  Möglichkeit  aber  erscheint  zunächst  durch  die  geographischen 
Verhältnisse  ausgeschlossen. 

Triest  und  Fiume  liegen  an  der  Meeresküste,  unmittelbar  hinter  ihnen 
erheben  sich  die  Steilabfälle  des  Karstes.  Bahn  und  Strafse  müssen  sich  daher 
mit  weiten  Umwegen  und  vielen  Windungen  helfen.  Die  Stralsen,  die  von 
Fiume  und  Umgebung  nach  Karlstadt  an  der  Kulpa  in  112  m  Mecreshöhe 
und  rund  90  km  direktem  Abstände  führen,  erheben  sich  in  Küstenabständen 
von  9 — 15  km  auf  800—900  m  Meereshöhe;  die  Alföld-Fiumaner  Bahn 
legt  bis  Karlstadt  177  km  Buhnstrecke  zurück  und  der  Sleme-Pafs,  die 
höchste  Stelle  der  Via  Carolina,  den  sie  durch  einen  Tunnel  unterfahrt,  liegt 
879  m  hoch.  Am  gröfsten  sind  die  Umwege  in  der  Nähe  der  Küste:  die 
Steigung  beträgt  bis  Station  Buccari  in  12  km  Bahn-  und  8  km  Luftlinie 

1)  Beide  sind  in  dem  Berichte  des  österr.  WasserstrafBenausschusses  (Nr.  886 
der  Beilagen  z.  stenogr.  Protokoll  des  Abgeordnetenhauses,  XVII.  Session)  S.  30  f. 
vom  Spezialberichterstatter  Abg.  Sileny  ernsthaft  besprochen. 

GeogTaphiwhc  ZciUchrift.  7.  Jahrgang  1901.  10.  Heft  37 


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546 


It.  Sieger: 


circa  250  m,  von  da  8  km  weiter  liegt  Station  Meja  in  5  km  direktem 
Abstand  und  etwa  194  m  höher  u.  s.  w.  Dabei  benutzt  diese  Bahn  ver- 
schiedene Tunnels.  Wenn  man  sich  die  Steigung  von  440  m  auf  die  20  km 
Bahnstrecke  bis  Meja,  das  kaum  3  km  von  der  nächsten  Küste  entfernt  ist, 
vergegenwärtigt,  so  erscheint  verständlich,  warum  das  Projekt  des  Generals 
Türr  in  den  70  er  Jahren  für  die  Kanal -Verbindung  Ungarns  mit  der  Adria 
die  Linie  der  heutigen  bosnischen  Hauptbahn,  das  will  sagen  die  Benutzung 
der  Flüsse  Save,  Bosna  und  Narenta  vorzog.  Nicht  minder  rasch  ist  der 
Aufstieg  auf  den  küstenländisch -krainischen  Karst.  Auf  die  15  km  Bahn- 
länge von  Fiume  nach  Mattuglie-Abbazia  entfällt  eine  Steigung  von  208  m; 
der  Bahnhof  von  St.  Peter,  579  m  hoch,  ist  von  Fiume  63  Bahnkilometer 
entfernt,  auf  die  sich  eine  Höhendifferenz  von  575  m  verteilt  Hier  trifft 
die  Fiumaner  Südbahnlinie  mit  derjenigen  von  Triest  zusammen,  die  nicht 
ohne  kleine  Gegengefällc  die  gleiche  Höhendifferenz  in  77  km  bewältigt.  In 
den  ersten  16  Kilometern  bis  Nabresina  steigt  diese  Linie  ohne  grofse  Um- 
wege vom  Triester  Südbahnhof  (4  m  ü.  d.  M.)  um  163  m.  Von  da  ab 
wendet  sie  sich  wieder  gegen  Südosten;  Prosccco,  23  km  Bahnfahrt  von  Triest, 
liegt  254  m  über  dem  dortigen  Bahnhof,  aber  nur  6  xji  km  in  der  Luftlinie 
von  ihm  entfernt,  Opcina,  das  man  nach  27  km  Bahnfahrt  erreicht  und  das 
etwa  300  m  hoch  liegt,  ist  gar  nur  5  km  in  der  Luftlinie  von  der  Stadt 
entfernt.  Die  Staatsbahn  vollends  hat  von  Triest-St.  Andrea  auf  13  Bahn- 
kilometern bis  Station  Borst  215  m  zu  steigen  und  mufs  auf  den  folgenden 
14  km  "bis  Herpolje  sich  um  weitere  273  m  erheben,  um  dann  zur  Süd- 
bahnstation Divaca  herabzusteigen.  In  der  Luftlinie  liegt  aber  Borst  vom 
Bahnhof  St.  Andrea  nur  8  km  entfernt. 

Diese  Beispiele,  die  durchschnittliche  Steigungen  von  10  bis  20 
Metern  auf  den  Kilometer  für  längere  Strecken  des  gewundeneu  Bahnwegs 
ergeben,  gewinnen  dadurch  noch  an  Gewicht,  dafs  die  Bahnlinien  auf  grofse 
Strecken  in  künstlichen  Einschnitten  geführt  sind.  Dazu  kommt  die  Not- 
wendigkeit, Dolinen  zu  umgehen  oder  auf  Dämmen  zu  überwinden.  Für 
einen  Kanal  wäre  vollends  der  Umstand,  dafs  man  es  mit  durchlässigem 
Karstboden  zu  thun  hat,  von  Belang,  und  auch  die  Wasserbeschaffung  an 
sich  wäre  sehr  schwierig. 

Es  charakterisiert  die  Kühnheit  der  Karstkanalprojekte,  dafs1)  der 
Fiumaner  Kanal  von  der  Kulpa  bei  Karlstadt  oder  Brod  in  der  Länge  von 
53 — 60  km  (also  kürzer  als  die  Luftlinie!!)  nach  Fiume,  der  Wien-Triester 
aber  „um  64  km  kürzer  als  die  Stidbahntrace"  nach  Triest  führen  soll.  Im 
ganzen  würde  er  der  Südbahn  über  den  Semmering,  Graz,  Marburg,  Cilli, 
Laibach,  Opcina  etc.  folgen  und  nicht  weniger  als  11  Hebewerke,  127  Kammer- 
schleusen und  22  Durchstiche  (Tunnels)  erfordern!  So  ist  es  nicht  ver- 
wunderlich, wenn  „dieses  Zukunftsprojekt  derzeit  nicht  im  Vordergrunde  steht". 

Von  dem  „ungarischen  Donau-Oderkanal"  erfahren  wir  nach  Zei- 
tungsnotizen über  eine  Ministerrede  im  November  1900,  dafs  er  von  Oderberg 
der  Olsa  folgen  uud  über  deu  Jablunkapafs  durch  das  Thal  der  Czernanka,  Ki- 


1)  nach  Silenv  a.  a.  0. 


Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn.  547 


suca  und  Waag  in  der  Länge  von  266  kin  nach  Neumarkt  gehen  soll.  Von 
da  ab  ist  die  Kanalisierung  der  Waag  (93  km)  leicht  möglich  und  wird 
wohl  bald  durchgeführt  werden.  Der  Jablunkapafs  aber,  den  die  Kaschau- 
Odcrberger  Bahn  im  Tunnel  durchschreitet,  ist  551  m  hoch,  und  die 
Steigung  beiderseits  desselben  in  den  obersten  Teilen  recht  erheblich.  Über- 
dies müfste  hier  der  Kanal  neben  Bahn  und  Strafse  sich  in  Engthälern 
durchwinden.  Wichtiger  als  alle  technischen  Bedenken  ist  aber  der  Umstand, 
dafs  vom  Jablunkapafs  bis  Oderberg  der  Kanal  auf  österreichischem  Boden 
verlaufen  müfste.  Der  ungarische  Minister  weifs  ganz  genau,  dafs  dieser  ohne 
Mitwirkung  oder  doch  Zustimmung  Österreichs  nicht  gebaut  werden  kann. 
•  Wenn  er  trotzdem  so  uferlose  Pläne,  wie  den  Oderberg  -  Fiumaner  -  Kanal  er- 
örtert, so  mufs  dies  taktische  Gründe  haben.  Der  Erfolg,  d.  h.  der  tiefe 
Eindruck,  den  diese  angebliche  ungarische  Drohung  in  Österreich  erzielt  hat, 
läfst  dies  deutlich  genug  erkennen  *). 

Aber  auch,  wenn  wir  von  Triester,  Fiumaner  und  Jablunka  -  Kanälen 
absehen,  ereignen  sich  in  Österreich  -  Ungarn  auf  dem  Gebiete  des  Wasser- 
strafsenwesens  wichtige  Dinge.  Wie  bedeutend  die  Ausgestaltung  des 
Wasserverkehrs  ist,  die  beiderseits  der  Leitha  in  Angriff  genommen  wird, 
ergiebt  sich  aus  einer  Übersicht  der  bestehenden  und  der  geplanten 
Kanäle. 

IL 

Die  bisherigen  Kanalbauten  in  Osterreich  besitzen  nur  geringe 
Ausdehnung.  Am  Anfang  des  19.  Jahrh.  wurde  der  Wiener  Neustädter 
Kanal2)  von  Wien  nach  Wr.  Neustadt  und  an  die  ungarische  Grenze  erbaut 
und  besafs  eine  Zeit  lang  eine  gewisse  Bedeutung.  Bei  seinen  geringen  Di- 
mensionen war  er  aber  nicht  geeignet,  die  Konkurrenz  des  Eisenbahnverkehrs 
zu  ertragen,  und  spielt  heutzutage  als  Schiffahrtskanal  gar  keine  Rolle  mehr. 
Ein  Antrag  des  Abgeordneten  der  Stadt  Wiener  Neustadt,  diesen  Kanal  zu 
einer  modernen  Wasserstrafse  auszugestalten,  hat  denn  auch  bis  jetzt  keinen 
Erfolg  erzielt.  Der  Lendkanal,  der  Klagenfurt  mit  dem  Wörthersee  ver- 
bindet, kommt  bei  seiner  geringen  Länge  von  4,1  km  kaum  in  Betracht3). 
Ebenso  unerheblich  sind  einige  kleine  dalmatinische  Kanäle. 

Wichtiger  sind  die  350,7  km  künstlichen  Wasserstraßen,  die  Ungarn  in 
seinem  Tieflande  besitzt4).  Der  seichte  Begakanal  (116  km)  ersetzt  den 
durch  seine  vielen  Windungen  und  Sümpfe  ungeeigneten  Begaflufs  als  Schiff- 

1)  Immer  wieder  kehrt  schon  seit  dem  WasserstrafBentag  (1900)  der  Gedanke: 
„Wenn  wir  nicht  den  Donau-Oderkanal  bauen,  so  wird  uns  Ungarn  zuvorkommen!" 
Oer  ungarische  Staatsmann  Hieronymi  erklärt  dagegen,  dafs  der  Waag-Jablunka- 
Kanal  für  Ungarn  nur  von  untergeordneter  Bedeutung  sei  (N.  Fr.  Presse  16.  Mai). 
Er  spricht  sich  auch  gegen  den  Fiumaner  Kanal  aus. 

2)  F.  Umlauft,  Oer  Wiener  Neustädter  Kanal.  Mitt.  d.  k.  k.  geogr.  Ges.  Wien 
1894,  384  ff. 

3)  Der  Ausschufsbericht  über  das  Wasserstrafsengesetz  S.  62  (Kaftan)  erwähnt 
ferner  den  1753  für  Holzschwemmo  und  Schiffahrt  erbauten  Neuwalder  Kanal  bei 
Mariazell  (1053  m)  und  den  1788  erbauten  Holzschwemrakanal  am  Plöekenstein  im 
Böhmerwalde  1^900  m),  beide  sind  aber  nur  für  das  Holzschwemmen  von  Belang. 

4)  B.  v.  Gonda,  Die  ungarische  Schiffahrt.    Ofen-Pest  1899.  S.  46,  9  9  ff. 

37* 


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548 


R.  Sieger: 


fahrtsweg.  Der  Franzens-  und  der  Franz  Josefs-Kanal  hingegen  stellen 
eine  Verbindung  zwischen  der  Donau  und  Theifs  in  jener  Strecke  ihres  Laufs 
dar,  in  welcher  beide  Flüsse  parallel  verlaufen.  In  seiner  heutigen  Gestalt 
geht  der  1795 — 1802  angelegte,  später  umgebaute  Franzens-Kanal  von  der 
Donau  bei  Bezdau  oder  genauer  von  einer  Stelle  gegenüber  von  Kis-Köszeg 
(Battina)  122  km  weit  nach  der  Gegend  von  Ö-  Heese  an  der  Theifs,  wo- 
selbst ein  Winterhafen  ist.  Der  Franz  Josefs -Kanal  geht  in  einer  Länge 
von  68,3  km  vom  westlichen  Teil  des  Franzens -Kanals  bei  Kis  Sztapar  ab 
und  mündet  bei  Neusatz  (Ujvidek)  in  die  Donau.  Hierzu  kommt  noch  der 
Baja-Bezdan- Kanal,  der  zur  Speisung  der  beiden  vorgenannten  das  Wasser 
von  der  Donau  bei  Baja  zuführt,  wo  sie  3  m  höher  liegt,  als  an  der  Ab- 
zweigung des  Franzens-Kanals.  Von  diesem  Speisekanal  sind  44,4  km  mit 
Dampfschiffen  befahrbar.  Der  Franzens-Kanal  selbst,  ein  Schleusenkanal, 
weist  von  der  Eingangs-  zur  Mündungsschleuse  ein  Gefälle  von  11,07  in, 
die  Niederwasserstände  der  Donau  und  Theifs  an  seinen  Endpunkten  nur 
eine  Differenz  von  9,70  m  auf,  der  Franz  Josefs -Kanal  sinkt  in  4  Stufen 
um  13,67  m.  Die  Wassertiefe  des  letzteren  beträgt  in  einzelneu  Abschnitten 
1,7,  1,55  und  1,40  m,  während  der  Franzens-Kanal  zumeist  2,00  m  Wasser- 
tiefe besitzt.  Für  einen  Teil  eines  Grofsschiffahrtswegs  wäre  also  nur  dar 
letztere  geeignet. 

Die  besprochenen  ungarischen  Kanäle  dienen  zugleich  als  Entwässerungs- 
uud  Bewässerungskanäle,  sie  treiben  an  den  Schleusen  Turbinenmühlen  und 
andere  Aulagen.  Bir  Verkehr  beträgt  in  der  Thalfahrt  etwa  34  bis  1  Million 
Tonnen,  in  der  Bergfahrt  ungefähr  das  Doppelte  und  die  Franzens -Kanal- 
Schiffahrts-Aktiengesellschaft  arbeitet  mit  Verlust1). 

Die  durch  diese  Wasserstrafsen  erzielte  Abkürzung  erscheint  für  viele 
Zwecke  nicht  ausreichend.  So  mufs  z.  B.  das  Getreide  aus  der  reichen 
Landschaft  bei  Szolnok,  dem  Endpunkt  der  Grofsschiffahrt  auf  der  Theifs,  noch 
einen  sehr  grofseu  Umweg  beschreiben,  um  nach  Ofen-Pest  und  weiter  nach 
dem  Westen  zu  gelangen.  Man  erwägt  daher  schon  seit  geraumer  Zeit  die 
Anlage  einer  Wasserstrafse  von  einem  Punkte  der  mittleren  Theifs 
an  die  Donau  bis  Ofen-Pest,  deren  Herstellung  keine  grofsen  Schwierig- 
keiten gewährt  und  die  iu  kurzem  ausgeführt  werden  dürfte.  Derartige  Pro- 
jekte bestanden  schon  im  IS.  Jahrb.,  ja  sogar  zur  Zeit  des  Matthias  Corvinus*). 
Das  gegenwärtig  (seit  1894)  in  Diskussion  stehende  Koltorsche  Projekt 
nimmt  Rücksicht  auf  den  Wunsch,  die  beiden  gröfsten  Städte  Ungarns,  Ofen- 
Pest  und  Szegedin,  mit  einander  zu  verbinden,  und  läfst  deshalb  von  zwei 
Punkten  der  Theifs,  Szegedin  (S/.eged)  und  Csongrud,  Kanalarme  ausgehen;  beide 
sollen  2%  m  Minimaltiefe  aufweisen  und  somit  für  1000  Tonnen-Schlepper, 
die  gröfste  im  Donauverkehr  vorkommende  Abmessung,  ausreichen.  Von  Ofen- 
Pest  aus  wird  zunächst  der  linke  (Soroksarer)  Donauarm  45  km  weit  benutzt. 

1)  Dan  Ung.  Htat.  Jahrb.  181)9  giebt  für  dieses  relativ  günstige  Jahr:  Thal- 
fahrt 1,05  Mill.  t,  IVrgfahrt  1,68  IfilL  t.  Hinnahmen  469  000  Kronen,  davon 
861000  aus  dem  Trauert,  Ausgaben  i>60  U00  Kronen,  davon  Hetriebsauslagen 
:»53OO0  Kronen. 

2)  Vgl.  Gonda  8.  111  ff. 


Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich- Ungarn. 


54D 


Bei  Döinsöd  nahe  seinem  Südende  soll  er  abgedämmt  und  sein  Wasser  für 
den  künstlichen  Kanal  verwendet  werden,  der  sich  von  hier  gegen  Südosten 
95  km  bis  Szent-Laszlö  (etwa  S.  von  Felegyhiiza)  hinzieht.  Von  hier  aus 
behält  der  südliche,  45  km  lange  Arm  die  gleiche  Richtung  bei  und  erreicht 
die  Thcifs  unweit  Szegedin,  wo  sie  22  m  tiefer  liegt  als  sein  Ausgangspunkt. 
Der  nördliche  Hauptarm  aber  wendet  sich  nordostwärts  nach  Csongräd 
(30  km),  wo  die  Theifs  19  m  tiefer  liegt,  als  die  Donau  bei  Dömsöd.  Es 
handelt  sich  also  im  ganzen  um  215  km  Kanallänge  mit  geringen  Höhen- 
differenzen. Die  Anlagekosten  werden  auf  35  —  40  MilL  Kronen  veranschlagt. 
Dieser  Kanal  würde  den  Wasserweg  erheblich  abkürzen.  Derzeit  mufs  man 
von  Ofen-Pest  nach  Szegedin  auf  den  Flüssen  637,  durch  den  Franzenskanal 
465  km  zurücklegen,  während  die  geplant«  neue  Verbindung  nur  185  km 
ausmacht,  Noch  günstiger  stellt  sich  dieses  Verhältnis  für  Csongräd,  und 
auch  die  Gegend  bei  Szolnok  würde  eine  erheblich  raschere  Wasserverbindung 
gewinnon,  wenn  auch  der  Kanal  gegenüber  der  Eisenbahn  noch  einen  Um- 
weg darstellt1).  Der  Kanal  würde  nach  Gonda's  Ansicht  vor  allem  der 
Landwirtschaft  und  der  Verproviantierung  der  Hauptstadt  Ofen-Pest  zugute 
kommen. 

Ein  Vortrag  des  gewesenen  ungarischen  Ministers  Hieronyrai')  erörtert 
weitere  Projekte  von  Alföld-Kanälen,  die  sich  dem  besprochenen  im  Osten 
anschliefsen.  Einerseits  einen  Kanal  von  Szatmar-Nemeti  an  der  Szamos, 
die  das  Speisewasser  liefern  soll,  in  die  Gegend  von  Debreczin  und  mit  Be- 
nützung der  Bcrettyo  und  Körös  nach  Csongräd,  anderseits  einen  solchen  von 
Temesvar  nach  Perjamos  an  der  Maros  und  mit  Hilfe  der  Maros,  die  von 
Arad  an  schiffbar  gemacht  werden  soll,  zur  Theifs  bis  Szegedin.  Dadurch 
würden  die  Zentren  des  östlichen  Tieflandes,  Szegedin,  Arad,  Teinesvar  und 
Debreczin  an  das  Wasserstral'sennetz  fest  angegliedert.  Hieronymi  teilt  mit, 
dafs  die  Pläne  für  die  Schiffbarmachung  der  Körös  bereits  angefertigt  wurden. 

Noch  ein  wichtiges  ungarisches  Projekt  ist  zu  besprechen,  das  seit  dem 
18.  Jahrhundert  immer  wieder  auftaucht  und  auch  in  die  eingangs  erwähnten 
Phantasien  eines  Fiumaner  Kanals  mit  einbezogen  wird.  Der  Vukovar- 
Samac-Kanal  in  Kroatien  würde  die  Donau  mit  der  Save  verbinden. 
Vukovar  liegt  an  der  Umbiegung  der  Donau  zu  östlicher  Laufrichtung,  Samac 
etwas  unterhalb  Brod.  Eine  Lücke  zwischen  den  Bodenerhebungen  im  Westen 
der  Fruska  gora  ermöglicht  der  Eisenbahn  hier  ein  leichtes  Eindringen  in  das 
slavonische  Flachland,  wo  sich  bei  Vinkovce  ein  lokaler  Eisenbahnknoten- 
punkt befindet.  Der  Kanal,  der  diese  Lücke  benutzen  soll,  würde  als  Ver- 
bindungsglied zwischen  Donau  und  Save  eine  ähnliche  Holle  spielen,  wie  der 
vorhin  besprochene  Kanal  zwischen  Donau  und  Theifs.  Die  Schiffahrtsstrecke 
zwischen  seinen  beiden  Endpunkten  würde  von  479  km  auf  blos  57,5  km 


1)  Verbindung  mit  der  Bahu  und  durch  den  projektierten  Kanal  in  km: 
Ofen-Pest  — Szolnok       101  250 

„      —  Csongräd     153  170 

„      — Szeged»    190  185      Gonda  S.  115  f. 

2)  N.  Fr.  Presse  15.  Mai  1901. 


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550 


H.  Sieger: 


abgekürzt1).  Diese  Kürzung  aber  käme  besonders  dem  Verkehr  mit  Fiume 
zugute3).  Die  Save  ist  bis  Sissek  schiffbar,  dort  ist  jetzt  ein  wichtiger  Um- 
schlagplatz für  Ungarn  und  Bosnien.  Früher  befuhr  man  aueb  die  bei  dieser 
Stadt  mündende  Kulpa  bis  Karlstadt.  Die  Proponenten  des  Vukovar-Samac- 
Kanals  befürworten  nun  auch  die  Verbesserung  der  Save  und  die  SchifFbar- 
machung  der  Kulpa  bis  Karlstadt;  erstere  ist  288,4,  letztere  135,4  km  lang. 
Alle  drei  Arbeiten  zusammen  dürften  nacb  Gonda  18  Mill.  Kronen  kosten; 
man  wundert  sich  angesichts  dieser  niedrigen  Ziffer,  dafs  sie  nicht  schon 
lllngst  ausgeführt  sind. 

Denn  in  der  That  würde  die  Herstellung  dieses  Kanals  und  der  anschliefsenden 
Kegulierungen  den  Verkehr  mit  Fiume  wesentlich  verbilligen  und  erleichtern. 
Der  Umschlag  auf  die  Bahn  ist  wohl  auch  nach  ihrer  Erbauung  nicht  zu 
umgehen  —  er  würde  nur  in  gröfsere  Nühe  des  Meeres  verlegt  —  aber 
auch  mit  ihm  stellt  sich  der  Transport  auf  der  994  km  langen  Strecke  von 
Ofen-Pest  bis  Fiume  gewifs  billiger,  als  auf  den  601  km  der  Bahnstrecke. 
Ein  wesentlicher  Vorteil  für  den  ungarischen  Transit  wäre  zu  erwarten,  wenn 
die  Benutzung  des  Wasserweges  auch  oberhalb  Ofen-Pest  auf  grofsen  Strecken 
ermöglicht  würde.  Dies  ist  aber  der  Fall,  wenn  die  österreichischen  Kanal- 
projekte verwirklicht  werden.  Viel  wichtiger,  als  der  chimärische  Jablunka- 
Kanal,  dessen  Fortsetzung  zu  fördern  nicht  im  Interesse  Österreichs  gelegen 
wäre,  und  der  schon  deshalb  kaum  zustande  kommen  wird ,  sind  für  Ungarn  der 
Donau-Oder-Kanal  und  der  Donau-Elbe-Kanal,  die  nunmehr  mit  österreichischem 
Golde  gebaut  werden  sollen.  Durch  sie  kann  auch  —  den  noch  keineswegs 
sichergestellten  Anschlufs  an  die  preufsische  Oder  vorausgesetzt  —  ein  er- 
heblicher Teil  des  angestrebten  „Grofsschiffahrtswegs  von  der  Oder  (und  Elbe) 
zur  Adria"  zur  Wirklichkeit  werden. 

Wir  wollen  nun  die  österreichischen  Kanalprojekte  besprechen,  die 
während  der  Niederschrift  dieser  Zeilen  Gesetz  geworden  sind.  Im  Gegen- 
satz zu  den  ungarischen  Projekten  handelt  es  sich  hier  nicht  um  Weg- 
kürzungen innerhalb  ein  und  desselben  Flufsgebiets,  sondern  um  Ver- 
bindungswege zwischen  verschiedenen  Systemen.  Das  ergiebt  sich  aus 
der  natürlichen  Verschiedenheit  der  grofsen  durchgängigen  Ebene  und  des  nur 
von  wenigen  Naturwegen  durchzogenen  Berg-  und  Hügellandes.  Daraus  folgt 
aber  auch  ein  verschiedenes  Verhältnis  zwischen  Land-  und  Wasserwegen 
hier  und  dort.  Bahn-  und  Strafsenbau  können  im  zentralen  Ungarn  ohne 
viel  Umstände  kurze,  geradlinige  Wege  einschlagen.  Nur  verwilderte  und 
versumpfte  Stromstrecken  bilden  für  sie  ein  Hindernis,  wie  die  Unterbrechung 
des  sonst  so  regelmäfsigen  Eisenbahnnetzes  durch  die  Donau  zwischen  Ofen- 
Pest  und  der  Erdöder  Fähre  als  durchaus  nicht  einziges  Beispiel  zeigt.  Wir 
sehen  hier,  wie  auch  in  anderen  Tiefländern,  dafs  Wasser-  und  Landstrafsen  ihre 

• 

1)  Oonda  8.  118.  Die  von  Sileny  und  G.  Z.  VI,  292  benutzte  Quelle  giebt  für 
den  Kanal  62,  für  die  Saveregulierung  285,  für  die  Kulpa  bis  „Karlstadt  oder  Brod" 
fsic!),  offenbar  falsch,  250  km  an. 

2)  Die  etwa  1Ü04  zur  Vollendung  gelangende  Bahn  Öamae-Doboj,  die  den  Weg 
von  Ofen-Pest  nach  Sarajevo  abkürzt,  wird  ebenfalls  dazu  beitragen,  dem  Kanal 
höheren  Wert  zu  verleihen. 


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Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn.  551 


Wege  voneinander  unabhängig  verfolgen,  sich  vielfach  schneiden,  aber  sich  auch 
gegenseitig  alimentieren.  Bald  führen  Kanäle  an  wichtige  Bahnstationen, 
bald  Bahnflügel  an  die  Hauptströme.  In  Österreich  aber  bilden  die  Strom- 
thäler,  Pässe  und  Thalwasserscheiden  diejenigen  Linien  und  „Pforten",  denen 
auch  der  Landverkehr  im  grofsen  Ganzen  folgt  Die  geplanten  Kanäle  müssen 
dieselben  leicht  gangbaren  Übergänge  von  einem  Flufsthal  ins  andere  auf- 
suchen, welche  schon  vorher  die  Eisenbahnen  gesucht  und  gefunden  haben. 
Sie  laufen  jenen  parallel  und  das  gegenseitige  Verhältnis  kann  nicht  das  der 
Speisung,  sondern  je  nach  Umfang  und  Art  des  Verkehrs  jenes  der  gegen- 
seitigen Konkurrenz,  Ergänzung  oder  Entlastung  sein.  Die  erwarteten  Vor- 
teile und  Nachteile  der  Kanäle,  die  in  den  Erörterungen  der  letzten  Jahre 
vorgeführt  wurden,  beruhen  daher  auf  der  Voraussetzung,  dafs  diesen  die 
schweren  Massengüter  zufallen  werden,  welche  den  Eisenbahntransport 
nicht  oder  schlecht  lohnen.  Solchen  Massengütern  verdankt  der  bedeutende 
Verkehr  der  österreichischen  Elbe  wesentlich  seinen  Umfang,  während  der 
Donauverkehr  eher  ab-  als  zunimmt,  nicht  blofs,  weil  es  an  solchen  Massen- 
gütern fehlen  würde,  sondern  zum  Teil  auch,  weil  man  für  sie  den  Bahn- 
verkehr, selbst  mit  Opfern  vorzieht 1).  Eine  weitere  Eigentümlichkeit  der 
projektierten  österreichischen  Kanäle  hängt  mit  der  besprochenen  auf  das 
engste  zusammen:  sie  führen  nicht,  wie  die  ungarischen,  einfach  von  einem 
höheren  Teile  des  Stromsystems  zu  einem  niedriger  gelegenen,  sondern  haben 
Wasserscheiden,  zum  Teil  von  nennenswerter  Erhebung,  zu  über- 
winden2), bedürfen  also  einer  nicht  immer  leichten  Wasserzufuhr  zu  den 
Scheitelstrecken.  Die  vorhandenen  Höhendifferenzen  sind  erheblich,  die  Zahl 
der  erforderlichen .  Schleusen  oder  Hebewerke  (schiefen  Ebenen)  eine  be- 
deutende und  daher  auch  die  Kosten  des  Baus  und  Betriebs  entsprechend 
gröfser,  als  bei  Tieflandskanälen.  Dem  hat  man  allerdings  den  Gewinn  an 
Wasserkraft  entgegengehalten,  der  sich  gerade  bei  Kanälen  mit  gröfserem 
Gefälle  ergiebt  und  von  dem  man  hofft,  dafs  er  industrielle  Anlagen  an  den 
künftigen  Wasserstrafsen  ins  Leben  rufen  werde. 

Gemeinsam  ist  den  österreichischen  Kanälen  und  Flüssen  mit  der  unga- 
rischen Donau  die  relativ  lange  Dauer  der  Eisdecko,  ein  Moment,  auf  das 
Penck  hingewiesen  hat.  Es  dürfte  sich  aber  hier  mehr  fühlbar  machen  als 
dort.  Auf  ungarischen  Wasserstrafsen  ist  Getreide  die  Hauptfracht  und  die 
Schiffahrtssaison  fällt  mit  der  Zeit  des  lebhaftesten  Getreideverkehrs  zusammen. 
Für  Kohlen-  und  Industriekanäle  dagegen,  wie  es  die  österreichischen  zum 
grofsen  Teile  sein  sollen,  ergiebt  sich  eine  unangenehme  Unterbrechung  des 
Wasserverkehrs  gerade  in  der  Zeit  des  lebhaftesten  Verkehrsbedürfnisses. 
Man  hat  auch  hierauf  schon  sein  Augenmerk  gerichtet  und  will  Versuche  mit 
Eisbrechern  anstellen. 


1)  En  kommt  hierbei  auch  in  Betracht,  dafs  Staatsbahnen  in  ihren  Tarifen 
weniger  auf  den  finanziellen  Ertrag  Rücksicht  zu  nehmen  haben,  als  Privatbahnen. 

2)  Vgl.  hierzu  Penck,  Die  Zeit,  Nr.  845,  S.  84,  Wion  1901,  der  interessante 
Parallelen  bringt.  Der  Abgeordnete  Peschka  betont  (sten.  Protokoll  S.  4472),  dafs 
hier  „nicht  Flüsse  im  Mittel-  oder  Unterlauf,  sondern  in  ihren  Quellgebieten  ver- 
bunden werden  sollen". 


552 


K.  Siegor: 


Erschwert  wird  endlich  der  Hau  der  Kanüle,  wie  von  verschiedenen  Seiten 
hervorgehohen  wurde,  durch  die  Schwierigkeiten,  welche  namentlich  im  Herhstc 
der  Wasserbeschaffung  gegenüberstehen;  man  wird  zur  Anlage  von  Stau- 
becken gezwungeu  sein  und  falls  auch  diese  nicht  ausreichen  sollten,  zur  gröfsten 
Sparsamkeit  mit  dem  Wasser,  somit  zur  Anlage  von  Hebewerken  genötigt  werden. 
Von  agrarischer  Seite  wurde  auch  die  Besorgnis  ausgesprochen,  dafs  der  Wasser- 
bedarf der  Kanäle  der  Landwirtschaft  entzogen  werde,  und  es  mufs  jedenfalls 
Fürsorge  getroffen  werden,  eine  Schädigung  der  letzteren  zu  vermeiden. 

Aus  den  angeführten  Momenten  ergiebt  sich,  dafs  in  den  österreichischen 
Alpenländern,  wo  die  ungünstigen  Momente  am  meisten  zur  Geltung  kommen, 
von  gröfseren  Kanalbauten  keine  Uede  sein  kann.  Es  handelt  sich  vielmehr 
wesentlich  um  die  Herstellung  von  Verbindungen  in  den  sogenannten  Sudeten- 
ländern, im  Mittelgebirgsterrain  und  den  spärlichen  Ebenen,  die  es  durch- 
setzen. In  erster  Linie  um  die  Ausnützung  der  Tiefeulinien,  die  sich  zwischen 
Alpen,  Sudeten  und  Karpathen  einschieben  und  bei  Wien  konvergieren,  dann 
um  die  Überschreitung  der  verschiedenen  Zugänge  in  das  böhmische  Massiv, 
die  in1  die  Gegend  von  Prag  führen,  und  diese  beiden  Städte  hoffen  auch 
in  erster  Linie  durch  Kanalbauten  zu  Zentren  des  Wasserverkehrs  zu  werden. 

Zunächst  drängte  sich  der  Gedanke  auf,  die  natürliche  Strafse,  die 
zwischen  Sudeten  und  Karpathen  hindurchführt,  durch  die  Verbindung  der 
March  mit  der  Oder  auch  für  die  Schiffahrt  praktikabel  zu  machen.  Er  Ist 
zuerst  1652  vom  Kurfürsten  Friedrich  Wilhelm  von  Brandenburg  ausgesprochen 
worden.  Die  Becva-Odersenke,  wie  man  früher,  die  mährische  Pforte,  wie 
man  jetzt  zu  sagen  pflegt,  hat  ihren  höchsten  Punkt  an  der  Wasserscheide 
zwischen  dem  Marchnebenflufs  Becva  und  der  noch  nicht  schiffbaren  Oder 
bei  Mährisch-Weifskirchen.  Die  geringe  Wassermenge  dieser  Flüsse  liefs  den 
Gedanken  an  eine  einfache  Verbindung  zwischen  ihnen  ohne  Kanalisierung 
nicht  zu.  Aber  auch  die  Beschaffenheit  der  March  selbst,  deren  Regulierung 
kostspielig  und  nur  im  gegenseitigen  Einvernehmen  der  beiden  Staatsgebiete 
durchführbar  ist,  deren  Grenzflufs  die  March  im  Unterlaufe  bildet,  führte 
dazu,  nicht  eine  Regulierung  des  Flusses,  sondern  einen  künstlichen  Wasser- 
weg längs  desselben  —  ähnlich  wie  am  deutschen  Oberrhein  —  ins  Auge  zu 
lassen.  So  entstand  der  Gedanke  eines  Donau-Oder-Kanals,  als  dessen  südliche 
Endpunkte  zunächst  Prefsburg  in  Ungarn  als  Nachbarstadt  der  Marchmündung 
und  Wien  in  Betracht  kamen.  Er  steht  schon  lange  in  Diskussion  und  ein 
Projekt  lag  bereits  im  Anfang  der  70er  Jahre  vor.  Eine  Regierungsvorlage, 
die  im  Jahre  1873  Gesetz  wurde,  blieb  infolge  der  wirtschaftlichen  Kriso 
dieses  Jahres  wirkungslos,  ebenso  ein  in  den  80  er  Jahren  vom  Lande  Mähren 
aufgestelltes  Projekt,  und  erst  in  den  90  er  Jahren  wurde  wieder  ernstlich 
mit  einem  Konsortium  verhandelt,  das  einen  Donau-Oder-Kanal  ins  Auge 
gefafst  hatte.  Der  unermüdlichste  Vorkämpfer  dieser  Wasserstrafse  ist  der 
greise  E.  v.  Proskowetz,  dessen  Buch  „Der  Donau-Oder- Kanal4',  Wien  1806, 
sowie  seine  Reden  auf  verschiedenen  Kongressen  schliefslich  das  Projekt 
populär  gemacht  haben1). 

lj  Geschichtliche  Daten  über  die  älteren  Projekte  8.  in  dem  Ausschufsbericht. 


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Kanüle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn. 


553 


Die  Idee  eines  Donau-Moldau-Elbe -Kanals  ist  aus  den  seit  einigen 
Jahren  im  Gang  befindlichen  Arbeiten  zur  Regulierung  der  Elbe  und  Moldau 
erwachsen.  Diese  Wasserstrafse  ist  für  kleinere  Fahrzeuge  bis  Budweis  hinauf 
schiffbar,  aber  bei  Prag  durch  Wehre  unterbrochen,  an  deren  Umbau  man 
arbeitet1).  Es  lag  nun  der  Gedanke  einer  Verbindung  von  Budweis  mit  der 
Donau  um  so  näher,  als  ein  Kanal  zum  Herabschwemmen  von  Holz  aus  dem 
Moldauquellgebiet  in  den  Donaunebenflufs  Mühl,  der  Schwarzenberg-Kanal, 
bereits  die  Wasserscheide  überwindet.  Neben  dem  Vorschlag  der  Ausgestal- 
tung dieses  Schwemmkanals  zu  einem  Wasserwege,  die  einer  Neuanlage  gleich- 
kommt, fanden  aber  die  Projekte  einer  Verbindung  von  Budweis  mit  wich- 
tigen Donaustädten  mehr  Anklang.  Der  älteste  Schienenweg  Österreichs, 
ursprünglich  Pferdebahn,  die  Linz-Budweiser  Bahn,  weist  hier  einen,  die  ehe- 
malige Franz- Josefs- Bahn,  Staatsbahnstreckc  Wien -Gmünd -Budweis,  den. 
anderen  Weg.  Auch  diese  Projekte  wurden  auf  Binnenschiffahrtskongressen 
wiederholt  erörtert.  In  Galizien  endlich  wird  seit  längerem  die  Verbindung 
der  beiden  Hauptströme  des  Landes,  Weichsel  und  D  niest  er,  ventiliert, 
deren  isolierte  Schiffahrt  in  Stagnation  geraten  ist. 

Als  nun  die  Regierung  im  abgelaufenen  Herbst  eine  grofse  Gesetz- 
vorlage über  Eisenbahnbauten,  insbesondere  die  Herstellung  der  Tauernbahn, 
einbrachte,  erhoben  sich  in  den  nördlichen  Kronländern  Stimmen,  welche  als 
Bedingung  für  die  Zustimmung  zu  dieser  wesentlich  den  Alpenländern  zu- 
gute kommenden  „Investitionsvorlage"  eine  den  Sudetenländern  unmittelbar 
zuzuwendende  Förderung  des  Verkehrs  und  zwar  auf  dem  Gebiete  der  Wasser- 
strafsen  verlangten.  Da  der  Donau-Oder-Kanal,  von  dem  man  eine  Vcr- 
billigung  der  Kohlenzufuhr  erhofft,  auch  .in  Wien  und  einem  Teile  der  Alpen- 
länder immer  populärer  wurde ,  fanden  sie  ein  lebhaftes  Echo ,  und ,  die 
Regierung  wurde  durch  einen  Initiativantrag  zahlreicher  Abgeordneter  vom 
4.  März  d.  J.  veranlafst,  selbst  schon  am  26.  April  ein  umfassendes  Wasser- 
strafsenprogramm  einzubringen,  dem  man  bald  noch  eine  Erweiterung  in  der 
Richtung  geben  mufste,  dafs  eine  Anzahl  von  Flufsregulierungen,  vornehm- 
lieh solche,  die  das  Land  Böhmen  in  Angriff  genommen  oder  projektiert  hat, 
dem  geplanten  staatlichen  Wasserstraf sen netz  angegliedert  werden.  Mit  dieser 
Erweiterung  wurde  das  Gesetz  dann  im  Mai  angenommen. 

Diesen  Gesetzentwurf3)  und  den  Ausschufsbcricht  des  Abgeordneten- 
hauses8) wollen  wir  im  folgenden  vornehmlich  besprechen,  uns  aber  dabei 
auf  streng  geographischem  Boden  halten.  Die  Frage  der  finanziellen 
und  nationalökonomischen  Rentabilität  der  geplanten  Wasserstrafse n  soll 
dabei  aufser  Betracht  bleiben.    Es  sei  lediglich  bemerkt,  dafs  Landwirte  und 

In  den  Schriften  der  Binnenschiffahrts- Verbände  und  -Kongresse  ist  viel  Material 
enthalten;  ich  kann  sie  hier  nicht  sämtlich  aufzählen. 

1)  Zugleich  mit  der  Anlage  eine»  Hafens  bei  Prag  'Holleschowitz'). 

2)  Nr.  792  der  Beilagen  zum  sten.  Protokoll  des  Abgeordnetenhauses,  XVü.  Session, 
1901.    Mit  Kartenskizze  und  Profiltafel.    Enthält  auch  eine  kurze  „Begründung'4. 

3)  Nr.  886  derselben  Beilagen  (enthält  auch  das  Gesetz  in  der  schliefslich  an- 
genommenen Form),  über  die  Verhandlungen  im  Ausschüsse  ist  man  auf  Zeitungs- 
berichte angewiesen,  da  da«  stenogr.  Protokoll  des  Abgeordnetenhauses  nur  die 
Verhandlungen  im  Plenum  umfafst. 


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554 


U.  Sieger: 


Industrielle  mit  gleicher  Begeisterung  sich  für  die  Projekte  ausgesprochen 
hahen  und  nur  vereinzelte,  allerdings  zum  Teil  gewichtige  Stimmen  vor 
allzugrofsen  Hoffnungen  warnten.  Hierzu  gehören  die  deutsche  und  die 
cechische  Sektion  des  böhmischen  Landeskulturrates,  aber  auch  einzelne 
Grofskaufleute.  Anderseits  hat  ein  hervorragender  ungarischer  Staatsmann, 
Hieronymi1),  die  Vorteile,  welche  Ungarn  aus  den  Kanalbauten  erwachsen 
werden,  sehr  hoch  bewertet.  Vom  geographischen  Standpunkte  aus  hat  Prof. 
A.  Penck  die  Kanalprojekte  in  einem  sehr  lesenswerten  Aufsätze8)  besprochen, 
worin  er  zu  dem  Schlüsse  gelangt,  dafs  nur  der  Donau-Oder-Kanal  erheblichen 
Wert  besitzen  werde.  Dagegen  enthalten  die  Diskussionen  im  Parlament 
und  in  der  Presse  wenig  neue  Gesichtspunkte. 

Der  Gesetzentwurf  umfafste  folgende  Wasserstrafsen3):  a)  einen 
. Schiffahrtskanal  von  der  Donau  zur  Oder,  b)  einen  solchen  von  der  Donau 
zur  Moldau  nächst  Budweis  nebst  der  Kanalisierung  der  Moldau  von  Bud- 
weis  bis  Prag,  c)  einen  solchen  vom  Donau-Oder-Kanal  zur  oberen  Elbe 
nebst  der  Kanalisierung  dieser  Elbstrecke  bis  Melnik  (Moldaumündnng) , 
d)  eine  schiffbare  Verbindung  vom  Donau -Oder-Kanal  zum  Stromgebiete 
der  Weichsel  und  bis  zu  einer  schiffbaren  Strecke  des  D  niest  er  (§  1). 
Der  Bau  dieser  Strecken  soll  spätestens  1904  beginnen  und  längstens  binnen 
20  Jahren  vollendet  werden  (§  5)4).  Die  Regierung  wird  ermächtigt,  die 
Trace  und  die  technische  Anlage  dieser  Wasserstrafsen  endgiltig  festzu- 
setzen (§  8)5).  Der  Ent  wurf  ist  also  ganz  allgemein  gehalten  und  läfst 
selbst  die  Entscheidung  offen,  von  welchem  Teile  der  Donau  der  Kanal  nach 
Budweis  ausgehen  soll.  Demgemäfs  wird  in  dem  knappen  Motivenbericht 
auch  die  Länge  der  Kanäle,  und  Flufskanalisierungen  nur  rund  mit  etwa 
1600 — 1700  km  und  die  Baukosten  bei  der  in  Aussicht  genommenen 
Tragfähigkeit  der  Kanalschiffe  von  600  t  ebenso  rund  mit  750  Mill. 
Kronen  veranschlagt G).  Diese  Unbestimmtheit  beruht  auf  der  unzureichenden 
Beschaffenheit  der  technischen  Vorarbeiten  für  gröfsere  Strecken.  Trotzdem 
kommen  nur  einige  wenige  Tracen  in  Frage. 

m. 

Der  •  Donau-Oder-Kanal  soll  bei  Floridsdorf  nächst  Wien  be- 
ginnen, wo  ein  grofser  Hafen  projektiert  ist,  sich  am  FuTse  der  Hügelland- 
schaft des  Viertels  unter  dem  ManharLsberg  zur  March  etwas  oberhalb 
Angern  ziehen,  der  March  und  Becva  folgen,  die  Wasserscheide  übersetzen, 
dann  der  Oder  folgen.    Er  „endigt  bei  Oderberg  an  der  Abzweigung  der 

1)  Neue  Freie  Presse  15.  Mai  1901. 

2)  Die  Zeit,  Nr.  345.  Wien  1901;  vgl.  denselben  über  Flufsregulierungen  eben- 
dort  Nr.  347. 

3)  Der  ursprüngliche  Antrag  einer  Anzahl  Abgeordneter  (Beilage  475  des  sten. 
Prot,  1901)  hatte  an  Stelle  der  Punkte  b)  u.  c)  einfach  einen  „Donau-Moldau- 
Elbe-Kanal"  vorgeschlagen. 

4)  =  §  6  des  beschlossenen  Gesetzes. 

5)  Etwas  erweitert  §  10  des  beschlossenen  Gesetzes. 

6)  Ein  Teil  derselben  ist  von  den  Ländern  zu  tragen. 


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Kanille  und  Kanalprojekte  in  Österreich- Ungarn. 


555 


Kasehau  -  Oderberger  Bahn  und  der  oberschlesischen  Bahn  in  einen  grofsen 
Hafen'11).  Es  wird  ausdrücklich  hervorgehoben,  dafs  eine  direkte  Einmün- 
dung des  Kanals  in  die  Oder  „in  diesem  Kalkül  noch  nicht  enthalten"  sei, 
da  inbezug  auf  die  Weiterführung  bis  Cosel,  wo  die  Kanalisierung  in 
Preufsen  beginnt,  eine  Vereinbarung  der  Regierungen  notwendig  sei.  Da 
nun2)  überdies  für  die  ostdeutschen  Kanalprojekte  nur  die  Abmessungen  für 
400  Tonnen- Schiffe  in  Aussicht  genommen  sind,  tritt  für  den  Verfasser  des 
Entwurfs  die  internationale  Aufgabe  des  Kanals,  von  der  wir  sonst  so 
viel  vernehmen,  ganz  in  den  Hintergrund.  Er  bezeichnet  als  seine  „primäre 
Funktion44  die  Bewältigung  der  Kohlenfracht  „aus  dem  dort  gelegenen 
grofsen  Kohlenbecken'4,  der  auch  durch  einen  Stichkanal  von  Hruschau  nach 
Rcichwaldau  gedient  werden  soll.  In  Reichwaldau  plant  man  ebenfalls 
einen  grofsen  Hafen.  Die  Übernahme  der  bisher  von  der  Nordbahn  beför- 
derten Kohlenfracht  aus  dem  Ostrauer  Becken  und  aus  Preufsisch-Schlesien 
nach  den  Industrieorten  Mährens  und  des  östlichen  Niederösterreich  und  ganz 
besonders  nach  Wien  ist  aber  nicht  die  einzige  Aufgabe,  welche  man  in 
weiteren  Kreisen  diesem  Kanal  zuweist.  Er  soll  auch  dem  internen  Ver- 
kehr in  Mähren,  sowohl  dem  landwirtschaftlichen,  wie  dem  industriellen, 
dienen,  und  sowohl  für  diesen  Zweck,  als  mit  Rücksicht  auf  die  Kohlonzufuhr 
befürwortet  das  Abgeordnetenhaus3)  Stichkanäle  nach  Troppau  und  nach 
Brünn.  Der  letztere  wird  wahrscheinlich  der  Nordbahnlinie  Lundenburg- 
Brünn  folgen4).  Man  erwartet  von  dem  Donau-Oder-Kanal5)  eine  Belebung 
des  mährischen  Zucker-,  namentlich  aber  des  Gersten-  und  Malzexportes,  eine 
Erleichterung  des  Transportes  von  Ziegeln,  Bausteinen,  Kalk,  Zement  u.  dgl., 
von  Dünger  und  Abfällen,  galizischem  und  oberösterreichischem  Salz,  von 
Zuckerrüben,  Rübenschnitten  etc.,  Fettwolle,  brennbaren  oder  explosiven  Ar- 
tikeln, frischem  und  getrocknetem  Obst,  Holz,  Eisen  u.  s.  w.,  eine  Erleichte- 
rung des  für  die  mährische  Eisenindustrie  so  wichtigen  Imports  von  steiri- 
schem  Erz,  ferner  der  Einfuhr  von  textilen  Rohstoffen.  Die  letztere  wird  aller- 
dings nur  eintreten,  wenn  der  Kanal  mit  den  übrigen  geplanten  Kanälen  in  Zu- 
sammenhang tritt.  Noch  viel  mehr  an  den  Ausbau  des  gesamten  Kanalnetzes 
und  namentlich  auch  an  den  Ausbau  der  preufsischen  Oder  gebunden  erscheint 
die  Verwirklichung  der  Hoffnungen,  die  man  für  den  Export  von  ungari- 
schem Holz  und  Getreide  hegt.  Der  Abgeordnete  Prima vesi  (Handels- 
kammer Olniütz)  erwartet,  dafs  österreichisch-ungarisches  Getreide  in  Stettin 
mit  dem  russischen  erfolgreich  konkurrieren  könne  und  dafs  der  Export 
mährischer  Kohle  nach  Ungarn,  ja  bis  Galatz,  Braila,  Sulina  möglich  werde. 
Dadurch  würdo  allerdings  die  beim  Bau  des  Kanals  vor  allem  angestrebte 
Verbilligung  der  Kohle  in  Mähren  und  in  Wien  zweifelhaft.  Wenn  man 
sich  jedoch   vergegenwärtigt,   dafs  während  der  Strikes  des  Jahres  1900 

1)  Aufzählung  der  an  ihm  liegenden  Ort«  im  AuBschufsbericht  S.  41. 

2)  Vgl.  (i.  '/..  1901,  S.  180.        3)  Resolutionen  12  und  13. 

4)  Die  im  ursprünglichen  Text  enthaltenen  Worte  „von  Lundenburg"  wurden 
bei  der  Beschlußfassung  gestrichen. 
•  6)  Spezialberichte  von  Primavesi  und  Sileny,  Beilage  zum  AuNschufsbericht. 

Auch  Bier  wurde  als  Objekt  des  Kanaltransportes  genannt,  wohl  mit  weniger  Recht. 


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556 


K,  Sieker: 


Brünn  mit  ungarischer  Kohle  versorgt  wurde,  so  erscheint  es  nicht  wahr- 
scheinlich, dafs  die  mährische  Kohle  dem  heutigen  Hauptgehiet  ihres  Konsunis 
entzogen  werde.  Schon  heute  spielt  in  Wien  neben,  ja  vor  ihr  die  ober- 
sehlosisehe  Kohle  eine  grofse  Rolle  und  man  erwartet,  wie  erwähnt,  dafs  der 
Kanal  auch  ihren  Import  begünstigen  werde.  Die  gröfste  Besorgnis,  welche 
die  Agrarier  hegen,  ist  jene  vor  der  massenhaften  Einfuhr  russischen,  über- 
seeischen und  ungarischen  Getreides.  Was  amerikanisches  Getreide  be- 
trifft, so  ist  nach  schlechten  Ernten  in  Österreich-Ungarn  der  Versuch  unter- 
nommen worden,  es  auf  dem  Elbwege  nach  Böhmen  zu  bringen.  Der  Oderweg 
aber  dürfte  für  seine  Einfuhr  kaum  in  Betracht  kommen.  Russisches  Getreide 
müfste  die  langen  galizischen  Wasserwege  passieren1)  oder  den  Umweg 
über  Stettin  machen.  Ungarisches  wird  nach  Österreich  und  spezioll  nach 
Mahren  bereits  vielfach  eingeführt  und  in  sehr  grofsen  Mengen  durch- 
geführt. Die  Besorgnis  vor  der  Konkurrenz  im  Inland  und  im  Export  ist 
also  für  gute  Erntejahre  gewifs  berechtigt,  in  schlechten  Erntejahren  ist  man 
aber  auf  die  besprochene  Zufuhr  angewiesen2).  Der  Kanal  wird  den  Ge- 
freideverkehr  vermutlich  in  beiden  Richtungen  steigern,  wohl  überwiegend 
zum  Vorteil  Ungarns.  Auch  dürfte,  wie  Abgeordneter  Dr.  Licht3)  hervor- 
hob, durch  die  erleichterte  Zufuhr  von  Brotgetreide  und  von  Futtermitteln 
die  Tendenz  der  mährischen  Landwirtschaft,  vom  Bau  der  Brotfrüchte  zu 
dem  der  Gerste  und  des  Hafers,  sowie  zur  Viehzucht  überzugehen,  eine 
Verstärkung  erfahren.  Sileny4)  erwartet  eine  ähnliche  Wirkung  auf  den 
Anbau  von  Obst  und  Gartenpflanzen,  für  den  Mähren  sehr  geeignet  ist, 
während  das  preufsische  Odergebiet  seinen  eigenen  Bedarf  an  Obst  kaum 
decken  kann5).  Somit  dürfte  es,  auch  abgesehen  von  der  Kohle,  dem  Donau- 
Oder-Kanal  nicht  an  Fracht  fehlen,  selbst  wenn  er  vorläufig  blofs  Mähren  mit 
Wien  und  Ungarn  verbindet. 

Im  Falle  der  Herstellung  des  Anschlusses  an  die  kanalisierte  preufsische 
Oder6)  dürfte  der  Bau  des  D  onau- Oder-Kanals  namentlich  mit  den  An- 
schlüssen an  Elbe  und  Weichsel  auch  einen  Teil  desjenigen  Verkehrs,  der  heute 

1)  Vgl.  unten  das  filier  die  galizischen  Kanäle  Gesagte. 

2)  Wohl  nur  in  solchen  kommt  auch  der  gleichfalls  in  Erörterung  gezogene 
Getreideimport  aus  den  sogenannten  ..Balkanländern"  in  Betracht;  die  gegen- 
wärtigen schlechten  Ernteverhältnisse  in  diesen  Ländern  selbst  haben  seine  Be- 
deutung gegenüber  vorangegangenen  Jahren  verringert. 

3)  N.  Fr.  Presse  27.  April.         4)  a.  a.  0. 

'>)  Erwähnt  sei  die  von  den  Abg.  Feschka  und  Schreiner  ausgesprochene  Be- 
sorgnis, dafs  die  Vervollkommnung  der  Flfisse  als  Srhiffahrtswege  den  Holztransport 
und  Holzexport  verteuern  und  erschweren  werde.  Abg.  Kaftau  dagegen  ist  der 
Ansicht,  dafs  der  Fbergang  von  der  wilden  Flöfserei  zu  der  Anwendung  von 
Hemorqueureu  nur  vorteilhaft  sei. 

6)  Die  allerdings  infolge  schwankender  Wasserstände  nicht  immer  gut  prakti- 
kabel ist,  So  herrschte  nach  dem  Jahresberichte  des  k.  u.  k.  öst.-ung.  Konsulats 
Breslau  für  1900  ß.  13  in  diesem  Jahre  von  Mitte  August  bis  Ende  Oktober  Wasser- 
mangel, nachdem  schon  Mai  bis  Juli  ungfinstige  Verhältnisse  aufgewiesen  hatten. 
Im  September  und  Oktober  kam  es  dahin,  dafs  „die  Schiffahrt  auf  der  oberen  Oder 
fast  vollständig  ruhen  mufste  und  auch  unterhalb  Breslau  nur  mit  grofser  Mühe 
aufrecht  erhalten  werden  konnte". 


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> 


Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn.  557 

mit  den  Eisenbahnen  zur  Elbe  und  mittels  der  letzteren  zur  Nordsee  geht, 
an  sich  ziehen  und  entweder  durch  die  Oder  nach  Stettin  oder  auf  den 
deutschen  Kanälen  nach  Hamburg  leiten.  Diese  Eventualität,  die  für  Breslau 
bedeutungsvoll  wäre,  hat  J.  Partsch  mit  scharfem  Blick  erkannt1). 

Für  Ungarn  bedeutet  der  Donau-Oder-Kanal  aufser  der  wichtigen  Er- 
leichterung des  Verkehrs  mit  Mähren,  selbst  ohne  Fortsetzung  über  Oderberg 
hinaus  eine  direkte  Verbindung  mit  der  Grenze  Deutschlands.  Eine  solche 
bestand  bisher  trotz  der  in  ungarischen  Händen  befindlichen  Kaschau-Oder- 
berger  Bahn  nicht,  da  der  letzte  Teil  des  Anschlusses  nicht  ihr  gehört, 
Hieronymi  betont  auch,  dafs  Ungarn  durch  den  Kanal  die  schlesische  Kohle 
billiger  erhalten  werde.  Von  Bedeutung  würde  er  jedoch  für  dieses  Land, 
das  lassen  Hieronyini's  Ausführungen  erkennen,  erst  durch  die  Zweiglinie 
nach  Nordwestmähren  und  Nordböhmen.  Erwähnt  sei  schlielslich  auch  die 
Wichtigkeit,  die  der  Kanal  nach  Ausbau  der  preufsischen  ,Oder  als  Transit- 
weg von  Deutschland  nach  dem  Orient  erlangen  kann,  die  aber  jene  des 
Donau-Elb-Kanals  nicht  erreicht. 

Die  Herstellung  dieses  Kanals  bereitet  keine  allzugrofsen  Schwierig- 
keiten, ist  jedoch  viel  schwieriger,  als  die  eines  Tieflandkanales.  Er  soll 
nach  dem  offiziellen  Projekt  275  km  lang  sein  und  Höhendifferenzen  von 
rund  125  m  im  Aufstieg,  rund  HO  m  im  Abstieg  überwinden8).  Die  Ver- 
teilung dieser  Steigungen  ist  jedoch  ungünstig8).  Die  Wasserscheide  bei 
Weifskirchen  liegt  rund  320  m  hoch,  die  Luha  im  Norden  derselben 
280,  die  Becva  240  m  hoch.  Die  Zahlen  der  Regierungsvorlage  lassen  ver- 
muten, dafs  man  zur  Überwindung  dieser  auf  3  Kilometer  verteilten  Diffe- 
renzen einen  Tunnel  zu  bauen  plant,  allein  selbst  in  diesem  Falle  bleibt  im 
Süden  ein  Anstieg  von  rund  40  m  zu  überwinden.  Daher  sind  gröfsere 
Kunstbauten  unumgänglich.  Das  Projekt  Ölwein  und  Pontzen  1873,  das 
für  Schiffe  von  240  t  berechnet  war,  brachte  84  Schleusen,  das  Projekt 
Peslin  1892  7  schiefe  Ebenen  und  3  Schleusen  in  Vorschlag.  Es  ist 
bereits  für  Schiffe  von  600  t  berechnet.  Gegenwärtig  sind  45  Schleusen 
oder  7  schiefe  Ebenen  projektiert.  Eine  Entscheidung  zwischen  Schleusen 
und  schiefen  Ebenen  ist  für  diesen  Kanal  sowie  für  die  übrigen  noch  nicht 
getroffen.  Sie  ist  hier  von  um  so  gröfserer  Bedeutung,  als  man  auf  der 
Scheitelhöhe  des  Kanals  keinen  t  berflufs  an  Wasser  besitzt,  Die  Wsetiner 
Becva,  die  das  erste  Projekt  durch  Thalsperren  aufstauen  wollte,  soll  nach 
ihm  12  —  15  Hill,  cbm  liefern.  Gegenwärtig  hofft  man  17  Mill.  cbm  von 
ihr  zu  erlangen  und  will  noch  zwei  kleinere  Bäche  aufstauen.  Für  die 
unteren  Teile  soll  die  Donau,  March,  Oder  und  Ostrawitza  (bei  Mährisch- 
Ostrau)  das  Wasser  liefern.    Das  Projekt  Ölwein -Pontzen  will  für  den  süd- 


1)  Breslau.  Festgabe  zum  13.  deutschen  (Jeographentag  S.  IS.  Vgl.  auch  die 
weiter  unten  angeführte  Schrift  von  Sic  wert  S.  20  tf.  In  dieser  wird  S.  19  die 
grofse  Bedeutung  des  oberschlesischen  Kohlenhandels  nach  Österreich  auch  im 
Bahnverkehr  ziffernmäfsig  dargethan. 

2)  Wien  lCü.O  m,  Wasserscheide  28G.1  in,  Oderberg  202,1  m  nach  den  der 
Regierungsvorlage  beigegebenen  Profilen. 

3)  Hierauf  weist  l'enck  a.  a.  0.  S.  85  nachdrücklich  hin. 


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558 


R.  Sieger: 


lichsten  Teil  die  Benutzung  des  Donauwassers  mit  der  von  den  Landwirten 
längst  geforderten  Bewässerung  des  Marchfeldes  in  Verbindung  bringen, 
dessen  Fruchtbarkeit  in  den  gut  bewässerten  Partien  sehr  bedeutend  ist, 
während  anderen  Teilen  durch  den  Wassermangel  Steppencharakter  aufge- 
prägt wird.  Nach  den  Berechnungen  Penck's1)  und  seiner  Schüler  be- 
trägt die  jährliche  Abflufshöhe  für  das  Marchgebiet  nur  118  mm  gegenüber 
200  für  die  böhmische  Elbe  und  600  für  die  Donau  bei  Wien.  Allein  die 
obere  March  hat  bei  Napajedl  eine  Abflufshöhe  von  227,  die  Oder  bei  Cosel 
von  268  mm,  so  dafs  sich  nach  Penck's  Ansicht  nicht  geradezu  Wassermangel 
einstellen  dürfte. 

Unangenehmer  ist  gerade  für  einen  Kohlenkanal  die  lange  Dauer  der 
Eisdecke.  Nach  Penck  ist  die  Temperatur  bei  Wien  durchschnittlich  65 
Tage,  vom  0.  Dezember  bis  11.  Februar,  unter  Null  Grad,  an  der  Becva 
aber  95  Tage,  vom  27.  November  bis  1.  März.  Die  Schiffahrt  ist  also  drei 
Mouate  oder  länger  unterbrochen  und  dies  gerade  zur  Zeit  gesteigerten 
Kohlenbedarfes. 

Die  Baukosten  veranschlagen  die  Techniker  der  Regierung  auf  etwa 
140  Millionen  Kronen*).  Dieser  Betrag  erscheint  im  Vergleich  zu  dem 
mannigfaltigen  Nutzen,  den  man  von  diesem  Kanal  für  Binnen-  und  Aus- 
landsverkehr erwartet,  nicht  eben  zu  hoch,  und  es  ist  wahrscheinlich,  dafs 
der  Donau-Oder-Kanal  zuerst  fertiggestellt  werden  wird.  Ist  er  doch  auch 
diejenige  unter  den  projektierten  Wasserstrafsen,  die  am  meisten  Zustimmung 
und  am  wenigsten  Widerspruch  gefunden  hat. 

IV. 

Von  der  Verbindung  der  beiden  wichtigsten  Schiffahrtströme  Österreichs, 
Elbe  uud  Donau3),  erhofft  man  mindestens  eine  teilweise  Ausdehnung  des 
regen  Verkehrs  der  ersteren  auf  den  „toten  Strom",  der  Wien  bespült. 
Es  ist  bekannt,  dafs  im  Aufsenhandel  der  österreichische  Elbverkehr  an  Umfang 
(Tonuenzahl)  den  sämtlicher  Seehäfen  Österreichs  übertrifft  und  selbst  nach 
Abrechnung  des  für  Aufsig  maßgebenden  Braunkohleuverkehrs  ist  der  Aufsen- 
handel der  wenigen  Elbhäfeu  (Aufsig-Schönpriesen,  Tetschen-Laube,  Rosawitz- 
Bodenbaeh)  dem  von  Triest  nahezu  ebenbürtig.  Dagegen  ist  der  Donau- 
verkehr oberhalb  Wien  gering.  Die  ehedem  bestandeue  Kette  wurde  wegen 
Versehot  terung  wieder  aufgelassen,  und  eine  Regulierung  der  Strecke 
Korneuburg-Passau  ist  dringend  nötig4).  Sie  wird  auch  insbesondere  von  den 
Verfechtern    der  Wasserstrafse   Linz-Budweis    gefordert.     Unterhalb  Wiens 


1)  a.  a.  0.  S.  84  f.    Vgl.  aber  auch  oben  S.  5'»6  Aum.  6. 

2)  Eine  ZusammenKtellung  der  Längen  und  der  Kosten  für  die  projektierten 
Kanäle  nach  dem  hydrotechnischen  Bureau  des  Handelsministeriums  iHofrat 
Hill  i  nger)  gielit  der  AusBchulsbericht  S.  40. 

3)  Vgl.  die  dem  Ausschulsbericht  heigegebenen  Spezialgeräte  der  Abg. 
Kaftan  uud  Schreiner,  deren  craterer  für  die  Korneuburger.  letzterer  für  die 
Linzer  Traee  eintritt. 

4)  Penck  a.  a.  0.  (S.  84)  hebt  hervor,  dafs  die  Donau  von  Passau  nach  Wien 
auf  800  km  um  134  Meter  falle  und  80  Kilometer  Umweg  mache. 


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Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn.  559 


liegen  die  Verhältnisse  mit  Ausnahme  der  schlechten  und  seichten  Strecke  in 
der  kleinen  ungarischen  Tiefebene  wesentlich  günstiger. 

Die  Vorteile,  die  ein  Donau-Elbe-Kanal  als  internationale  Verkehrs  - 
strafse  vor  einein  Donau-Oder-Kanal  voraus  hat,  sind  in  einer  gründlichen 
Studie  von  F.  Siewert1)  klar  dargelegt  worden.  Er  hat  aus  einer  eingehenden 
Vergleichung  des  Verkehrs  zu  Wasser  und  zu  Land  und  der  Konkurrenz- 
kämpfe zwischen  der  Oder-  und  der  Elblinie  die  derzeitige  Überlegenheit  der 
letzteren  nachgewiesen8),  obwohl  er  die  Bedeutung  der  ersteren  nicht  unter- 
schätzt. Während  aber  der  österreichische  Donau-Oder-Kanal  einen  Anschlufs 
an  die  schiffbare  Oder  erst  suchen  mufs  und  es  dazu  Vereinbarungen  mit 
Deutschland  bedarf,  kann  der  Elbkanal  ganz  in  Österreich  gebaut  werden. 
Sofort  nach  seiner  Herstellung  ist  ein  Wasserweg  quer  durch  Mittel- 
europa8) zur  Verfügung,  auf  den  ein  grofser  Teil  der  Bahnfracht  alsbald 
übergehen  kann.  Es  ist  auch  wichtig,  dals  etwa  die  Hälfte  des  überseeischen 
Verkehrs  der  österreichisch -ungarischen  Monarchie,  wenn  wir  den  Levante- 
handel ausnehmen,  über  Hamburg  und  Bremen  geht  und  auch  nicht  leicht 
nach  der  Adria  sich  ablenken  läfst,  da  es  in  Triest  und  Fiume  an  Rück- 
fracht fehlt*).  Der  Bau  der  Tauernbahu  wird  diese  Sachlage  allerdings 
etwas  ändern,  allein  für  einen  grofseu  Teil  Böhmens,  ja  sogar  Mährens,  ist 
die  Verbindung  mit  der  Nordsee  unter  allen  Umständen  vorteilhafter  und 
eine  Verbesserung  und  Verbilligung  derselben  durch  Ausdehnung  des  Wasser- 
strafsennetzes  erwünscht.  Ahnlich  verhält  es  sich  in  Bezug  auf  Ungarn. 
Hieronymi0)  hebt  hervor,  dafs  der'  Donau-Elbe-Kanal  für  dieses  weit 
gröfsere  Bedeutung  besitzen  werde  als  der  Donau-Oder-Kanal,  da  er  gerade 
jene  Gebiete  Österreichs  durchschneidet,  nach  denen  sich  die  ungarische 
Ausfuhr  zumeist  bewegt.  Durch  ihn  würden  für  den  imgarischen  Getreide- 
export nach  Nordböhmen  günstigere  Verhältnisse  geschaffen,  dieser  würde 
gewissermafsen  gleichgestellt  mit  dem  überseeischen  Import,  der  in  kurzem 
den  Wasserweg  von  Hamburg  bis  Prag  wird  benutzen  können.  Kaftan6) 
geht  einen  Schritt  weiter;  er  erhofft,  dafs  das  ungarische  Getreide  bis  nach 
Hamburg  konkurrenzfähig  werden  und  dieses  neue  Absatzgebiet  dem  böhmischen 
vorziehen  möge,  während  die  Bodenprodukte  Böhmens,  durch  die  Kanäle 
gleichmiifsiger  verteilt,  dem  eigenen  Konsum  des  dichtbevölkerten  Landes 
dienen  könnten.  Ein  Donau-Elbkanal  ist  somit  sowohl  für  den  inneren 
österreichischen,  wie  für  den  internationalen  Verkehr  und  Handel  in  mannig- 
faltigen Beziehungen  von  Wert.  Er  darf  aus  dem  heute  schon  bestehenden 
Elbverkehr  reichliche  Alimcntierung  erwarten. 

In  Bezug  auf  den  Weg,  den  der  Donau-Elbe-Kanal  nehmen  kann,  bieten 
sich  mehrere  Möglichkeiten.    Die  lebhafte  Agitation  zu  seinen  Gunsten,  die 


1)  Der  Elbe-Moldau-Donau-Kanal  als  Transitstrafse  des  wesentlichen  Handels. 
Berlin,  Siemenroth  u.  Troschel  1899. 

2)  S.  20-27,  171  f. 

8)  Sulina-Hamburg  via  Korneuburg  3221  Kilonieter. 

4)  S.  37,  40.  Anders  für  Mittelmeer  und  Levante  (vgl.  Schreiner.  Ausschufs- 
bericht  S.  79). 

6)  N.  Fr.  Presse  16.  Mai.         6)  Ausschulsbericht  B,  74. 


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560  R.  Sieker: 

besonders  von  Prag  ausgeht  und  in  enger  Verbindung  mit  den  Regulierungs- 
arbeiten an  Elbe  und  Moldau  erwachsen  ist,  hat  sich  fast  ausschliefslich  für 
einen  Donau -Moldau -Elbe-Kanal  bethätigt,  und  wenn  man  von  Donau- Elb  - 
kanal  spricht,  denkt  man  meist  nur  an  den  letzteren.  Er  steht  daher  auch 
im  Bauprogramme  der  österreichischen  Wasserstrafsen  weitaus  im  Vorder- 
grund vor  der  zweiten  möglichen  Variante,  dem  Donau-March- Elb-Kanal, 
der,  wie  wir  sahen,  in  jenem  nur  als  Verbindung  des  Donau-Oder-Kanals  mit 
der  Elbe,  also  als  etwas  Sekundäres,  erseheint. 

Betrachten  wir  zunächst  den  Donau-Moldau-Kanal,  mit  dem  die  Mol- 
daurogulierung  zusammenhängt.  Die  drei  möglichen  Tracen  wurden  bereits 
erwähnt1).  Der  Korneuburger  Kanal  soll  die  Donau  bei  Korneuburg  ober- 
halb Wien  verlassen,  das  Tullnerfeld  bis  Absdorf  durchziehen,  dann  im  Schmida- 
thale  längs  der  Franz  Josefs-Bahn  bis  Eggenburg,  im  Lateinthal  bis  Stockem 
gehen,  die  Wasserscheide  durchstechen,  hierauf  im  Kampthale  die  Stadt  Horn 
in  einem  Bogen  umgehen,  um  langsam  zur  Scheitelhaltung  bei  Taures  anzu- 
steigen. Die  Wasserscheide  zur  Thaya  durchsticht  er,  geht  dann  an  den 
Lehnen  des  Thauabachs  und  der  Thaya  nach  Gmünd  hinab,  übersetzt  die 
Lainsitz,  gelaugt  ins  Schweinitzthal  und  durch  das  Maltschthal  in  die  Moldau 
bei  Budweis2).  Die  Gesteinsbeschaffenheit  ist  durchaus  günstig.  Die  Linzer 
Knute  (Projekt  Urbanitzky)  stöfst  dagegen  nach  G.  A.  Koch  auf  Hindernisse 
wegen  des  rutschigen  Terrains3).  Sie  soll  von  Linz  durch  das  „Mühlviertel" 
nach  Rosenberg  in  Böhmen  geführt  werden,  dann  die  obere  Moldau,  die 
kanalisiert  werden  müfste,  bis  Budweis  benutzen.  Der  Gedanke,  von  Unter- 
mühl  35  km  oberhalb  Linz  den  Kanal  zu  bauen  (Projekt  Pöschl),  scheint 
jetzt  verlassen.  Denn  Resolution  1  des  Abgeordnetenhauses  empfiehlt  der 
Regierung  blofs,  „beide  Linien  zu  studieren",  und  auch  in  der  Debatte  wurde 
des  dritten  Vorschlages  kaum  gedacht. 

Nach  der  dem  Gesetzentwurf  beigegebenen  Profilskizze  würden  sich  für 
die  drei  Projekte  folgende  Höhenverhältnisse  ergeben  (in  Metern) 


Steigung  im 


Donau 

höchste 
Stelle 

Moldau 

Anstieg 

Abstieg  nach 
Budweis 

I.  bei  Korneuburg  161,6 

529,0 

bei  Budweis 

384,0 

367,4 

145,0 

II.  bei  Linz  250,6 

700,0 

bei  Hohenf'urth 

564,0 

449,5 

816,0 

III.  bei  CntermfihJ  265,0 

760,0 

bei  Budweis 

384,0 

495.0 

376,0 

Die  geringsten  Höhendifferenzen  entfallen  also  auch  absolut  auf  die  der 
Franz  Josefs-Bahn  folgende  Linie  (Waldviertellinie),  die  zugleich  die  Hingste 
ist.  Denn  Linie  1  wäre  »ingefähr  205  Kilometer  lang,  Linie  II  90  km4), 
wovon  40  auf  die  zu  kanalisierende  Moldau  oberhalb  Budweis  kämen,  endlich 
Linie  III  93  km,  auf  die  also  871  m  Steigung  kommen  sollten!5) 


1)  Oben  S.  553. 

2)  Kaftan,  Aussehufsberieht  S.  62.    3)  ebd.  S.  69. 
4)  Nach  Schreiner  nur  75  km,  Bericht  8.  77. 

6)  Die  Zahlen  nach  dem  Ausschul>il»erit'lit  'bes.  S.  69  ff.).    Die  Lunge  der  zu 
kanalisierenden  Moldau  bis  Prag  ist  179  km  (man  plant  39  Schleusen). 


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Kanüle  und  Kanalprojekte  In  Österreich-Ungarn.  561 


Aber  auch  die  geringst«  unter  den  angeführten  Steigungen  ist  noch 
sehr  bedeutend1).  Penck2)  hebt  ferner  die  ungünstigen  Gefäll s-  und 
Was serführuugs Verhältnisse  der  Moldau  hervor,  die  deren  Regulierung 
erschweren.  Während  sie  im  Juli  bei  Prag  weniger  Wasser  führt,  als  die 
Traun  bei  Wels,  ist  sie  dort  im  Winter  69  Tage  mit  Eis  bedeckt.  In 
550  Meter  Meereshöhe  aber  hält  sich  nach  Augustin  im  böhmisch -öster- 
reichischen Grenzgebirge  die  Temperatur  105,  in  600  m  111  Tage  unter 
Null  Grad.  Die  Schiffahrt  wäre  also  durchschnittlich  mehr  als  ein  Drittel 
des  Jahres  unterbrochen3).  Obwohl  man  durch  künstliche  Magazinierung  an 
der  Wasserscheide  30  bis  40  Millionen  cbm  Wasser  zu  erlangen  hofft4),  also  er- 
heblich mehr,  als  bei  Weifskirchen  für  den  Oder-Kanal  zu  Gebot«  stehen,  wird 
doch  auch  hier  an  die  Verwendung  von  Schiffshebewerken  gedacht.  Das 
Lanna-Vering'sche  Projekt  nimmt  53  oder  54  Schleusen  mit  durchschnittlich 
etwa  10  m  Höhe  in  Aussicht.  Das  Schönbach'sche  Projekt  hingegen  will 
451  m  Steigung  mit  vier  schiefen  Ebenen  überwinden,  deren  eine  350  Promille 
Steigung  aufweisen  soll6).  In  jedem  Falle  gehört  der  Kanal  zu  den  kost- 
spieligen Bauwerken.  Nach  den  bisherigen  approximativen  Annahmen  würde  der 
Korneuburger  Kanal  etwa  140  Mill.  Kronen  kosten,  nach  Kaftan  sogar  149  Mill., 
wozu  noch  die  grofsen  Kosten  und  Schwierigkeiten  der  Moldauregulierung  kommen. 
Nahezu  ebensoviel  würde  der  kurze  Untermühler  Kanal  erfordern;  der  Linzer 
Kanal  mit  gegen  100  Mill.  Baukosten  wäre  der  kürzeste  und  billigste. 

Allen  drei  Tracen  des  Donau- Moldau-Kanals  ist  gemeinsam,  dafs  sie 
dünn  bevölkerte  Landstriche  durchziehen.  Die  Gegend  von  Prag  und 
jene  von  Budweis  haben  wohl  eine  bedeutende  Industrie  und  grofsen  Verkehr, 
allein  „von  Budweis  bis  Prag",  das  führt  der  cechische  Abgeordnete  »Silcny 
zutreffend  an6),  „giebt  es  keine  einzige  wirtschaftlich  oder  anderweitig  be- 
deutende Ortschaft4'  im  Moldauthal.  Das  „Waldviertel"  in  Niederösterreich, 
das  der  Wiener,  das  „Mülilviertel"  Oberösterreichs,  das  der  Linzer  Kanal 
durchziehen  würde,  sind  abgesehen  von  einigen  wenigen  industriellen  Orten 
arm  an  Bevölkerung,  Produktion   und  Verkehr7).    Gewifs  wird  der  Kanal 


1)  Penck  a.  a.  0.  S.  85:  „Das  sind  Aufgaben  für  eine  Gebirgsbahn,  nur  ein 
Kanal  hat  sie  bisher  zu  lösen  versucht,  nämlich  die  .  .  .  Portage  Road  in  Pennsyl- 
vanien.  Wiewohl  sie  von  einem  der  reichsten,  vielleicht  dem  reichsten  Kohlen- 
Gebiete  der  Krde  zum  Meere  fuhrt,  hat  niemand  daran  gedacht,  sie  gesteigerten 
Verkehrsbedürfnissen  anzupassen.  Sie  ist  verfallen,  neben  ihr  fährt  Lastenzug  auf 
Lastenzug"  u.  8.  w. 

2)  a.  a.  0.  S.  86. 

3)  Weniger  exakt  berechnet  Kaftan  (S.  63)  270  Schiffahrtstage  aus  den  297 
Schiffahrtstagen  der  Donau  und  den  285  der  Moldau  und  Elbe. 

i)  Erstere  Zahl  stammt  von  Schönbach,  letztere  von  Kaftan.  „Allerdings  mufs 
in  dem  trockensten  Jahre  mehr  als  60  Prozent  der  ablaufenden  Wassermenge  für 
die  Kanalspeisung  verwendet  werden"  (Kaftan  a.  a.  0.  S.  65). 

6)  Schönbach,N.  Fr.  Pr.  28.  März.  Vgl.  Kaltaus  Bericht.  Für  die  Linzer 
Koute  sind  60  Schleusen,  für  die  Untermühler  Variante  11  Hebewerke  geplant. 

6)  Ausschufsbericht  S.  40.  Vgl.  auch  Penck  a.  a.  O.  S.  85  u.  86. 

7)  Die  Linzer  Trace  berührt  relativ  mehr  volkreiche  und  produktive  Gebiete, 
als  die  Korneuburger  Linie.    An  ihr  liegt  z.  B.  die  Gegend  von  Krimiau  mit  ihrer 

•    bedeutenden  Industrie. 

GeojraphUcho  Zeitschrift.  7.  Jahrgang.  1901.  10.  Heft.  38 


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562 


K!  Sieger: 


auch  hierauf  einen  günstigen  Einflufs  nehmen  kennen.  Allein  in  keinem 
Falle  hält  er  einen  Vergleich  mit  dem  Elbe-March-Kanal  aus,  der  fast  durch- 
aus durch  volkreiche,  industriell  und  landwirtschaftlich  hoch  entwickelte 
liegenden  führt.  Wir  werden  sehen,  dafs  die  Aufgaben  einer  Verbindung 
zwischen  Elbe  und  Donau  von  dem  letzteren  vollauf  geleistet  werden  können. 
Dem  Donau -Moldau -Kanal  verbleibt  also  als  eigentliche  Aufgabe  die  Ver- 
bindung Südböhmens  und  Prags  mit  den  Gebieten  der  oberen  Donau, 
mit  Wien  und  mit  den  Alpenländern.  Die  ersteren  köunten  durch 
den  Umbau  des  Donau-Main-Kanals l)  Bedeutung  im  Weltverkehr  erlangen. 
Heutzutage  ist  der  Verkehr  der  oberen  Donau  jedoch,  wie  bereits  erwähnt, 
noch  minimal.  Der  Zugang  zu  den  Alpenl ändern  wird  durch  eine  Wasser- 
strafse,  die  an  ihren  Rand  führt,  zweifellos  erleichtert  —  und  zwar  nicht 
nur  von  Süd-,  sondern  auch  von  Nordböhraen  und  von  Hamburg  aus.  Doch 
kann  der  Wasserweg  nur  au  den  Rand  der  Alpen  führen  und  es  würde  ge- 
rade für  weite  Transporte,  z.  B.  im  Agrumen-  und  im  sächsischen  Baum  woll- 
verkehr Triests  oder  im  Transit  Deutschlands  mit  Italien  die  relativ  geringe 
Kürzung  der  teuren  Bahnstrecke  nicht  sehr  erheblich  in  die  Wagschale 
fallen *).  Im  Nahverkehr  dagegen,  das  will  sagen  in  dem  nicht  sehr  be- 
deutenden Waren-Austausch  der  eigentlichen  Alpenländer  mit  Südböhmen, 
der  nur  wenige  Massenartikel  aufweist3),  wäre  ein  gewisser  Aufschwung  am 
ehesten  von  dem  Linzer  Kanal  zu  erwarten,  da  Linz  und  Umgebung  die 
Ausgangspunkte  einer  Anzahl  von  Bahnen  ins  Gebirge  bilden  und  als  solche 
namentlich  nach  Ausbau  der  Pyrn-  und  Tauernbabn  an  Wichtigkeit  gewinnen 
werden.  Es  ist  aber  zweifelhaft,  ob  für  die  südböhmische  Industrie  diese  Ver- 
bindung gröfseren  Wert  besäfse,  als  die  Wasserverbindung  mit  Wien, 
die  auch  die  bessere  Ausnützuug  südböhmischer  Naturprodukte,  wie  z.  B.  der 
Lehmlager  oder  der  Fischteiche  (Donaukarpfen!)  ermöglichen  würde.  Dieser 
Verkehr  aber  erfolgt  auf  dem  Korueuburger  Wege  vorteilhafter,  ja  für  ihn 
wäre  der  Transport  auf  dem  Wege  über  Linz  oder  Untermühl  kaum  mit  dem 
direkten  Bahnwege  konkurrenzfähig.  Namentlich  gilt  dies  von  der  Bergfahrt, 
die  allerdings  im  Verkehre  Böhmens  mit  Wien  weniger  in  Betracht  käme, 
deren  Kostspieligkeit  aber  einen  internationalen  Transitverkehr  unangenehm 
erschweren    müfste4).     Die   Verbindung   Süd-   und   auch   Nordböhmens  mit 

1)  Wie  weit  die  Projekte  gediehen  sind,  den  Donau -Main -Kanal,  der  über 
WeifHenburg-DoIlnstein- Steppberg  zu  führen  ist,  durch  Kanalisierung  des  Lech,  der 
Donau  von  Ulm  bis  Kehlheim  und  einen  Kanal  Mflnchen-l'üttmes-Donau  zu  ergänzen 
(HandelsmuHOuiu  1901,  S.  323  f.),  ist  mir  nicht  bekannt.  Jedenfalls  steht  die 
„brauchbare  Wasserstrafse  Rotterdam -Wien"  des  Abg.  Schreiner  (Bericht  S.  79) 
noch  nicht  in  naher  Zukunft  bevor. 

2)  Kaftan  S.  07:  Bahn  Budweis  -  Triest  jetzt  709,  nach  Ausbau  der  Alpen- 
bahnen 059  km.  Kanal  Budweis-Wieu  219,  Bahn  Wien-Triest  ü£9  km.  Ähnliches 
ergiebt  sich  via  Linz;  die  Kanalstrccke  ist  zwar  noch  kleiner,  aber  es  entfällt  der 
grofse  l'mweg  der  Eisenbahn,  vollends  nach  Ausbau  der  Tauernbahn.  Durch  den 
Kaualbau  nach  Linz  hofft  man  121  Tarif  kilometer  Eisenbahnfracht  zu  ersparen. 

3)  Schreiner  S.  79  nennt  Kohle,  Erz,  Holz,  Salz.  Kalk,  Zement,  Kiseu. 

4)  Schreiner  (Aussehufsbericht  S.  78)  sieht  in  der  „teuren  Bergfahrtsfracht" 
gleichsam  einen  „inneren  Schutzzoll"  gegen  das  ungarische  Getreide.  Damit  ist 
wohl  die  Auffassung  des  Kanals  als  Lokal -Kanal  schlagend  dokumentiert. 


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Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn.  563 

Triest1),  die  für  manche  Artikel  nicht  unwichtig  ist,  würde  dagegen  durch 
den  Linz-Bud weiser  Kanal  viel  erheblicher  gefördert,  als  durch  den  Korneu- 
burger.  Allerdings  fallt  für  diese  Relation  wohl  mehr  die  Wegkürzung  durch 
die  Tauernbahn  und  eventuell  selbst  die  Moldauregulierung  ins  Gewicht,  als 
die  Ersetzung  von  90  km  der  Bahn  durch  eine  —  nicht  einmal  sehr  billige  — 
Kaualfahrt.  Das  wurde  schon  hervorgehoben2).  Beim  Vergleich  beider  Tracen 
untereinander  aber  mufs  für  diese  Relation  der  Vorzug  der  Linzer  Route  an- 
erkannt werden. 

In  dem  Spezialbericht  des  Abg.  Schreiner  und  in  der  Kommission  des 
Herrenhauses  wurde  namentlich  auch  zu  Gunsten  der  Linzer  Variante  vorgebracht, 
dafs  dieselbe  den  bereits  bestehenden  Braunkohlen-  Export  nach  den  Alpen - 
hindern  sehr  stark  steigern  könnte,  wahrend  dieser  auf  dem  Korneuburger 
Wege  in  das  Absatzgebiet  der  mährischen  Steinkohle  geleitet  würde,  gegen 
welche  die  böhmische  Braunkohle  nicht  konkurrieren  kanu.  Trotz  der  grofseu 
eigenen  Braunkohleuproduktion  der  Alpenländer,  speziell  Oberösterreichs,  ist 
dieser  Gesichtspunkt  zwar  nicht  von  sehr  grofsem,  aber  doch  von  einigem 
Belang3).  Ebenso  könnte  der  Erzimport  aus  den  Alpenländern  nach  Böhmen 
durch  diese  Trace  gewinnen,  doch  möchte  ich  auch  diese  Möglichkeit  ange- 
sichts der  Erzproduktion  des  Prag-Pilsener  Beckens  nicht  überschätzen.  Für 
den  Holzhandel  wären  beide  Tracen  nicht  unwichtig,  doch  käme  der  Vorteil 
nicht  den  gleichen  Gebieten  zu  gute.  Wohl  aber  könnte  der  Linzer  Kanal 
für  den  Zuckerhandel  und  —  im  Anschlufs  an  die  heute  nur  von  Gnaden  der 
Staatsbahuen  vegetierende  Salzschiffahrt  der  oberösterreichischen  Traun  —  für 
den  Salztransport,  wichtig  werden. 

Man  sieht  aus  diesen  Beispielen,  dafs  der  Donau-Moldau-Elb-Kanal,  wie 
die  Begründung  der  Regierungsvorlage  zutreffend  hervorhebt,  nicht  gleich 
dem  Donau-Oder-Kanal  wesentlich  der  Beförderung  eines  Massenartikels  dienen 
soll.  Sie  sieht  vielmehr  „seine  charakteristische  Bedeutung  in  dem  grofsen 
internationalen  Zuge"  (S.  10),  was  aber  bezweifelt  werden  mufs.  Der  Kanal 
dient  lokalen  Interessen  in  hervorragendem  Mafse;  daher  die  Heftigkeit  des 
Gegensatzes  zwischen  den  Verfechtern  der  einzelnen  Tracen.  Wer  von  ihm 
internationale  Bedeutung  als  Bindeglied  zwischen  West  und  Ost  erwartet, 
mufs  sich  wohl  für  die  Wiener  Trace  aussprechen.  Von  lokalen  Gesichts- 
punkten der  Alpenländer  und  Südböhmens  aus  hätte  dagegen  die  Linzer  Trace 

1)  Ebd.  S.  79. 

2)  Vergl.  oben  8.  f>G2.  Der  Abgeordnete  Vukovic  berechnete  (sten.  Prot,  4569), 
dafs  die  Grenze  der  Attraktiousgebiete  von  Triest  und  Hamburg  durch  die 
Tauernbahn  allein  bis  Strakonitz,  durch  Tauernbahn  und  Kanal  bis  Prag  nordwärts 
verschoben  würde.  Das  mag  in  rein  tarifarischem  Sinne  richtig  sein.  Es  ist  aber 
eine  so  bedeutende  Verschiebung  nicht  zu  erwarten,  da  einerseits  der  Elbweg  be- 
quemer ist,  als  ein  hochgelegener  Kanal  mit  Umschlag  auf  die  Bahn,  andererseits 
die  Attraktion  des  gröl'seron  Handels-  und  Schiffahrtsplatzes  sich  geltend  macht. 

3)  Es  ist  zu  bemerken,  dafs  man  iz.  B.  Spczialreferent  Abg.  Kaltau,  Bericht 
S.  Gl.  N.  Kr.  Presse  IG.  Mai)  eine  Schädiguug  des  böhmischen  Braunkohlenexports 
durch  den  Bau  des  deutschen  Mittellandkanals  besorgt  und  daher  demselben  einen 
billigen  Weg  nach  Südböhmen,  Wien,  der  Donau  und  den  Alpenbahuen  sichern 
will.  Kaftan  meint,  man  werde  wenigstens  die  Hälfte  der  gegenwärtig  exportierten 
Kohle,  also  4—6  Mill.  t,  auf  dem  Wasserweg  nach  Süden  befördern. 

8b* 


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5Ü4 


R.  Sieger: 


manches  für  sich,  auch  den  Vorteil  der  relativ  billigen  Herstellung.  Allein 
es  entsteht  die  Frage,  ob  man  überhaupt  einen  so  kostspieligen  Kanal  bauen 
soll,  lediglich  um  lokalen  Interessen  zu  dienen.  Der  Donau  -  Moldau  -  Kanal 
fallt  in  dem  Augenblicke  aufser  Betracht,  in  dem  man  sich  überzeugt,  dafs 
der  Donau-March-Elbe-Kanal  die  Aufgaben  des  Fernverkehrs  ebensogut 
oder  besser  lösen  kann.  Mau  hat  aber  die  Gesichtspunkte  verschoben.  Ver- 
anlafst  durch  das  Schlagwort  der  „kürzesten  Verbindung"  hat  man  von 
vornherein  die  Verknüpfung  der  Elbe  und  Donau  nur  durch  die  Moldau  be- 
werkstelligen wollen  und  den  Elbe-March-Kanal  lediglich  als  Verbindungsglied 
der  beiden  parallelen  Haupt  Wasserwege  für  die  sekundäre  Ausgestaltung  des 
Verkehrsuetzes  in  Aussicht  genommen. 

V. 

Dieser  Verbindungskanal  zwischen  beiden  besprochenen  Linien  wurde 
vom  Ausschufs  näher  festgelegt,  indem  als  oberer  Endpunkt  der  Elbregulie- 
mug  Jaromef  bei  Josefstadt  bezeichnet  wurde.  Ferner  soll  die  Teilstrecke  vom 
Donau- Oder-Kanal  nach  Olmfitz  möglichst  bald  hergestellt  werden1).  Mau 
zieht  die  Trace  von  Prerau  an  der  March,  dem  bekannten  Eisenbahnknoten- 
punkt, über  Olmütz  nach  Pardubitz  an  der  Elbe.  Von  dieser  Linie  aus  be- 
fürwortet eine  Resolution  (Nr.  1 5)  einen  jedenfalls  nur  kurzen  Stichkaual 
nach  Profsnitz,  der  aufstrebenden  tschechischen  Industriestadt.  Die  drei  rivali- 
sierenden Städte  Prerau,  Olmütz  und  Profsnitz  hätten  also  von  dem  Kanal 
gleiche  Vorteile;  sie  und  mit  ihnen  ein  grofser  Teil  Mührens  würden  Roh- 
materialien und  Kohle  für  ihre  Industrie  leichter  und  billiger  beziehen.  Es 
ist  möglich,  aber  zunächst  nicht  sehr  walirscheinlich,  dafs  neben  der  Ostrauer 
Steinkohle  auch  die  böhmische  Braunkohle  auf  diesem  Weg  Ostböhmen  und 
Mähren  zugeführt  werden  wird.  Für  den  Fall  einer  Unterbindung  des  inter- 
nationalen Kohlenverkehrs,  der  ja  nicht  mehr  völlig  ausgeschlossen  erscheint, 
wäre  diese  Möglichkeit  dagegen  von  hervorragender  Bedeutung.  Die  Be- 
gründung der .  Regierungsvorlage  hebt  nur  folgendes  hervor:  „Ihr  verkehrs- 
politisches Relief  erhält  diese  Wasserstrafse  dadurch,  dafs  sie  die  westliche 
Fortsetzung  der  östlichen  galizischen  Kanalgruppe  bildet."  Man 
scheint  also  daran  zu  denken,  dafs  böhmische  und  nordmährische  Industrie- 
produkte und  galizische  Rohstoffe  auf  diesem  Wege  ausgetauscht  werden 
können.  Als  Beispiel  denke  ich  etwa  an  die  Versorgung  böhmischer  Raffi- 
nerien mit  galizischem  Petroleum.  Wichtiger  kann  diese  Verbindung  aber 
werden,  indem  sie  Theile  Nordostböhmens  mit  Oder  und  Donau  ver- 
bindet. Für  die  Orte  an  der  unteren  böhmischen  Elbe  wäre  dieser  Weg 
nach  Wien  und  Ungarn  zwar  etwas  weiter,  aber  in  Anbetracht  der  geringeren 
Steigungen  kaum  unvorteilhafter  als  der  über  Korneuburg.  In  ihrem 
Interesse  hätte  dieser  Kanal  auch  als  Donau- Elbe -Kanal  genügt,  da  es 
sich  nicht  wie  bei  einer  modernen  Bahn  um  den  direktesten  Weg  handelt. 
Der  Budweiser  Kanal  liegt  nur  im  Interesse  von  Mittel-  und  Südböhmen. 
Die  heutigen   Zentren    des   böhmischen    Elbhuudels,    Aufsig  und  Tetschen- 

I)  Resolution  11  spricht  diesen  Wunsch  aus. 


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Kanüle  und  Kanalprojekte  in  Österreich -Ungarn. •  565 


Bodenbach,  würden  durch  ihn  mit  der  Gefahr  bedroht,  dafs  —  abgesehen  vom 
Kohlenexport  —  Prag  an  ihre  Stelle  träte.  Das  wurde  von  nationalen 
Politikern  richtig  erkannt  und  wohl  deshalb  forderte  die  alldeutsche  Partei, 
dafs  zuerst  der  Wasserweg  Prerau-Melm'k  hergestellt  werde.  Eine  teilweise 
Führung  des  Verkehrs  über  letzteren  auch  neben  dem  Budweis-Wicner  Kanal 
könnte  die  Position  der  nördlichen  Städte  minder  ungünstig  gestalten.  Be- 
günstigt durch  den  Kanal  wird  auch  die  Gegend,  wo  Moldau  und  Elbe 
zusammentreffen,  und  es  steht  zu  hoffen,  dafs  dieser  Vorteil  der  deutschen 
Stadt  Lobositz  zufalle,  die  sich  schon  lange  um  die  Herstellung  eines 
gröfseren  Hafens  und  Umschlagplatzes  bemüht. 

Es  wurde  schon  anläfslich  des  Donau-Oder-Kanals  hervorgehoben,  dafs 
die  in  Rede  stehende  Verbindung  manche  Güter,  die  heute  mit  der  Bahn  zur 
Elbe  gehen,  nach  der  Oder  abzulenken  vermag,  sobald  der  Donau-Oder- 
Kanal  mit  der  preufsischen  Oder  in  Verbindung  tritt.  Dies  gilt  insbesondere 
für  Nordwest -Mähren,  doch  ist  das  Gebiet,  für  welches  eine  solche  Ablenkung 
zu  erwarten  ist,  nicht  allzu  grofs.  Umgekehrt  aber  würde  die  billige  Ein- 
fuhr von  Rohmaterialien  auf  dem  Elbwege  durch  diesen  Kanal  gerade  den 
industriellsten  Teilen  Böhmens  und  Mährens  zugewendet.  -Die  angeführten 
internen  und  Anschlufsverbindungen  allein  vermögen  schon  den  Elbe-March- 
Kanal  zu  einer  belebten  Wasserstrafse  zu  machen;  deren  wachsender  Ver- 
kehr mag  dann  auch  den  Beweis  erbringen,  dafs  sie  auch  die  internatio- 
nalen Aufgaben  eines  Donau-Elbe-Kanals  zu  lösen  vermag. 

Die  Artikel,  welche  heute  im  Elbverkehr  die  österreichische  Grenze 
überschreiten,  eignen  sich  meist  auch  für  einen  Wassertransport  tiefer  ins 
Land.  Aus  einer  Zusammenstellung  Siewert's1)  ergiebt  sich,  dafs  sie  über- 
wiegend von  Hamburg  importierte,  d.  h.  über  das  Meer  kommende  Artikel 
umfassen:  Eisen,  Baumwolle,  Salpeter  und  andere  Düngemittel,  fette  Öle  und 
Fette,  Ölsaat,  Erze,  Theer,  Pech,  Harz,  Petroleum  etc.,  Reis,  Tabak  u.  s.  w. 
Ebenso  gehen  die  meisten  aus  Österreich  per  Elbe  ausgeführten  Artikel  über 
See:  Glaswaren,  Zucker  etc.,  nur  die  Braunkohle  geht  überwiegend  in  die 
nächsten  Nachbargebiete.  Da  die  mährische  Industrie  verwandte  Produktion 
und  verwandten  Bedarf  hat,  wie  die  böhmische,  so  ist  eine  Erweiterung  dieses 
überseeischen  Verkehrs  durch  den  Kanal  so  gut  wie  sicher.2) 

Aber  auch  das,  was  Siewert  speziell  betont,  die  Erweiterung  des 
böhmisch  -  deutschen  Verkehrsgebietes  nach  Süden3)  und  den  Transit,  den 
er  vom  Korneuburger  Kanal  erhofft,  darf  man  gröfstenteils  auch  vom  Prerauer 
erwarten.  Nur  der  Transit  nach  Italien  und  der  Schweiz,  soweit  er  über- 
haupt in  Betracht  kommen  kann,  mufs  westlichere  Wege  einschlagen*).  Aber 
für  jene  Verkehrsbewegungen,  die  Siewert  so  eingehend  studiert  hat,  den 
Transit  West-  und  Nordeuropas  und  der  überseeischen  Länder  durch  Deutsch- 
land mit  Österreich-Ungarn5)  und  der  unteren  Donau,  ebensowohl  wie  jenen 
Ungarns  und  des  Orients  mit  Deutschland  durch  Österreich6),  kommt  es 
wesentlich  nur  darauf  an,  dafs  eine  gute  Verbindung  der  Elbe  mit  der 


1)  a.  a.  0.  15.       2)  Über  amerikanisches  Getreide  vgl.  oben  S.  556. 

3)  Ebd.  8.  16.      4)  Ebd.  S.  16,  Anm.       5)  Ebd.  S.  31-37.       6)  S.  14-30. 


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566 


It.  Sieger: 


Donau  bei  und  unterhalb  Wien  besteht.  Abgesehen  von  den  technischen 
Verhältnissen  ist  aber  jene  Linie  für  diesen  „westöstlichen  Transitverkehr" 
die  beste,  die  durch  die  volkreichsten  und  industriellsten  Gebiete  führt. 
Daher  trifft  alles,  was  Sie  wert1)  in  seinem  Buche  über  die  „Gegenstände 
des  westöstlichen  Handels  und  deren  Sammlung  im  Elbe -Moldau -Donau- 
Kanal"  sagt,  in  gesteigertem  Mafse  für  den  Elbe- March -Donau-Kanal  zu. 
Holz,  Zucker,  Getreide  und  Mahlprodukte,  Gerbstoffe,  Malz,  Hülsenfrüchte,  Obst, 
Kleesaat,  Eier,  Wein,  russisches  und  rumänisches  Petroleum  etc.  auf  der  einen, 
die  oben  erwähnten  Artikel  des  Hamburger  Imports  auf  der  anderen  Seite  wür- 
den auch  hier  in  erster  Linie  in  Betracht  kommen.  Die  Holz-,  Zucker-,  Glas-, 
Papierproduktion  Mittel-  und  Südböhmeus  könnte  durch  die  bereits  im  Gange 
befindliche  Moldauregulierung  in  Anschlufs  an  diese  Hauptlinie  gebracht 
werden.  Die  Produkte  des  mittleren  Elbgebiet«  aber  fänden  längs  des  Prerauer 
Kanals  besseren  Absatz  als  längs  der  Budweiser  Wasserstrafse. 

Der  Prerau -Meln/ker  Kanal  stellt  also  eine  Reihe  von  internationalen 
Wasserverbindungen  für  die  gewerbtteifsigen ,  industriell  hoch  entwickelten 
Gebiete  des  Keichenberger  und  Olmützer  Handelskammerbezirkes  her,  auch 
wenn  der  Anschlufs  des  Donau-Oder-Kanals  an  Galizien  und  an  Preufsen 
unterbleiben  sollte.  Er  ist  in  Verbindung  mit  dem  letztgenannten  weitaus 
die  wichtigste  der  geplanten  Wasserstrafsen  und  kann  wohl  als  „öster- 
reichischer Mittellandkanal*)"  bezeichnet  werden.  Es  mag  hervorgehoben 
werden,  dafs  nach  Penck3)  diese  Linie,  welche  die  niederste  Stelle  der  Um- 
wallung  Böhmens  durchzieht,  auch  die  „durch  die  Natur  klar  vorgezeich- 
nete" Linie  des  Donau-Elbe-Kanals  ist,  so  wie  ihr  auch  die  ältesten  Schienen- 
wege von  Wien  nach  Prag  folgten.  Und  wie  diese  noch  heute  im  Weltverkehr 
keine  geringere  Bedeutung  besitzen,  als  der  später  hergestellte  Schienenweg 
über  Gmünd,  so  ist  auch  kein  Anlafs  zu  befürchten,  dafs  ein  Wasserweg 
Wien-Hamburg  über  Prerau-Pardubitz  jenem  über  Korneuburg  oder  gar  über 
Linz  nachstehen  werde.  Man  kann  vom  Gesichtspunkte  des  Fernverkehrs 
geradezu  auf  den  Bau  des  letzteren  verzichten,  umsomehr,  als  die  Führung 
des  Elbe-Kanals  über  Prerau  auch  der  südlichen  Strecke  des  Oder-Kanals  einen 
lebhaften  Verkehr  sichert.  Auch  aus  einem  anderen  Grunde  hätte  der  March- 
Elbe-Kanal  dem  Moldau-Elbe-Kanal  vorausgestellt  werden  sollen.  Er  ist 
wesentlich  leichter  zu  bauen,  wenn  er  auch  dem  Donau-Oder-Kanal  gegen- 
über schwierig  erscheinen  mag.  Auf  etwa  180  km4)  soll  er  rund  400  m 
überwinden,  d.  h.  von  Prerau  (216,5)  und  Pardubitz  (217,5)  hat  er  fast  die 
gleiche  Höhe  zum  Scheitel  bei  Triebitz  (417,5)  anzusteigen,  auf  der  mäh- 
rischen Seite  allerdings  allmählicher.  Ein  Tunnel  von  4,3  km  bei  Böhmisch- 
Trübau  könnte  in  380  m  Höhe  geführt  werden,  wodurch  auch  die  winter- 
liche Kisbedeckung  auf  weniger  als  100  Tage  verringert  würde5).  Die 
Wasserbeschaffung  ist  bei  der  geringen  Wasserführung  der  oberen  Elbe 
ebenfalls  nicht  leicht6).  Somit  stellen  sich  die  Baukosten  immerhin  auf 
130  Mill.  Kronen.    Die  natürliche  Begünstigung  gegenüber  der  Moldauroute 


1)  8.  44—53.         2)  Licht,  N.  Fr.  Presse,  27.  April.         3)  a.  a.  0.  8.  85. 
4)  Nach  Hillinger  188  km.        6)  Penck  a.  a.  0.  S.  86.       6)  S.  oben  S.  568. 


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Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich- Ungarn. 


667 


tritt  aber  dennoch  deutlich  in  der  geringeren  Höhe  und  Steilheit,  sowie  in 
der  kürzeren  Dauer  der  Frostperiode  zutage.  So  wirken  alle  Gesichtspunkte 
zusammen,  diese  Linie  vor  der  konkurrierenden  zu  empfehlen.  Auch  ihre 
Herstellung  erfordert  Opfer.  Aber  die  Möglichkeit,  ein  grofses,  lebensfähiges 
Werk  zu  schaffen,  rechtfertigt  hier  selbst  erhebliche  Aufwendungen,  die  an 
anderer  Stelle  vergeblich  gemacht  zu  werden  drohen. 

VI. 

Am  wenigsten  geklärt  ist  die  künftige  Trace  der  galizischen  Wasser- 
strafsen.  Die  Begründung  der  Regierungsvorlage  spricht  davon,  dafs  sie  „in 
verschiedenen  Varianten"  an  den  Abstieg  des  Donau-Oder-Kanals  ins  Oder- 
thal anknüpfen,  als  Kanal  oberhalb  Krakau  ins  Weichselthal  führen  und  von 
dort  entweder  mit  Benützung  der  Weichsel  und  des  San  oder  von  Anfang 
an  uls  künstlicher  Kanal  zum  Dniester  verlaufen  solle.  Die  zweite,  kost- 
spieligere Variante  hat  den  Vorzug,  dafs  es  zu  ihrer  Ausführung  keines 
Einvernehmens  mit  der  russischen  Regierung  bedarf,  und  sie  tritt  daher  auch 
immer  bestimmter  in  den  Vordergrund.  Alle  Details,  auch  die  Frage,  ob 
Lemberg  berührt  werden  kann,  sind  offen  gelassen.  Doch  spricht  eine 
Resolution  (14)  den  Wunsch  aus,  dafs  Lemberg  mindestens  durch  einen  Stich- 
kanal angeschlossen  werde,  während  ein  Antrag  auf  Führuug  eines  Kauais 
nach  der  ostgalizischen  Grenzhandelsstadt  Brody  nicht  durchdrang1).  Im 
Ganzen  wird  der  Kanal  nur  eine  Parallellinie  zur  Karl-Ludwigs-Bahn  und 
galizischen  Transversalbahn  darstellen,  deren  Vorteile  fast  ausschliefslich  dem 
an  das  übrige  österreichische  Staatsgebiet  nur  durch  wenige  gemeinsame 
Interessen  geknüpften  Lande  Galizien  selbst  zukommen.  Dessen  Verkehr 
mit  dem  Westen  dürfte  mehr  gewinnen,  als  der  mit  Rufsland,  da  die  Land- 
schaften am  Dniester  wenig  bevölkert  sind,  überdies  besorgte  man  von  dem 
Kanal,  dafs  er  die  Einfuhr  und  den  Transit  russischen  Getreides  in  un- 
erwünschtem Mafsc  erleichtern  könnte,  und  hat  eben  deshalb  den  für  den 
Aufsenhandel  an  sich  vorteilhaften  Arm  über  Lemberg  nach  Brody  zu  Falle 
gebracht.  Vertreter  Galiziens  halten  dem  gegenüber,  dafs  die  bevorstehende 
Verkehrserleichterung  vor  allem  der  eigenen  grofsen  Getreideproduktion 
Galiziens  zugute  komme.  Gewifs  wäre  die  Wasserverbinduug  auch  für  die 
wenigen  anderen  Massenprodukte  dieses  Landes,  Holz,  Salz,  Petroleum,  Bau- 
materialien, von  Wichtigkeit.  Galizische  Abgeordnete  erhoffen  aber  auch,  dafs 
die  Möglichkeit  billiger  Kohleneinfuhr  in  dem  dicht,  für  ein  Agrikulturland 
schon  fast " zu  dicht  bevölkerten  Lande  das  Entstehen  industrieller  Anlagen 
begünstigen  werde.  Der  Abgeordnete  Rapoport  hat  hierbei  auf  noch  un- 
veröffentlichte Untersuchungen  von  Bartouec  hingewiesen,  nach  welchen  in 
Westgalizien  sehr  reiche  Steinkohlenfelder  der  Erschliefsung  harren  sollen. 

1)  Ausschufsbericht  S.  10  und  S.  83.  Die  Regierungsvorlage  S.  7  erwähnt  einen 
laut  gewordenen  Wunsch,  eine  Abzweigung  nach  Teschen  zu  führen.  Dem  ist 
wohl  durch  die  Absicht  einer  Regulierung  der  Olsa  (s.  unten  S.  570)  entsprochen 
worden.  Der  Spezialberichterstatter  Meruno  wiez  (Ausschufsbericht  S.  81  ff.)  hat  sich 
kunt  gefafst.  —  Das  erste  Projekt  eines  Kanals  quer  durch  Galizien  wurde  1812 
ausgearbeitet. 


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»68 


K.  Sieger: 


In  jedem  Fall  eröffnet  die  neue  Wasserstrafse  der  westgalizisehen  und  mähriseh- 
sehlesischen  Kohle  einen  billigen  Weg  nach  dem  Osten.  Eine  gewisse,  wenn 
auch  beschränkte,  internationale  Bedeutung  würde  aber  auch  sie  erst  durch 
den  Anschlufs  an  die  preußische  Oder  gewinnen  und  in  diesem  Falle  auch 
ein  neues  Verbindungsglied  zwischen  deutschem  und  russischem  Kanalnetze 
bilden.  In  der  Bukowina  besorgt  man,  dafs  diesem  abgelegenen,  nur  durch 
Eisenbahnen  mit  dem  Westen  verbundenen  Land,  namentlich  seinem  Holz- 
handel, aus  der  Erleichterung  der  galizischen  Ausfuhr  erhebliche  Nachteile, 
ja  eine  förmliche  Abschneidung  vom  Verkehr  erwachsen  würden,  und  befürchtet 
insbesondere  auch  eine  Ablenkung  des  deutschen  Levante  Verkehrs  von 
der  Strecke  Lemberg-Czernowitz-Jassy  auf  den  Wasserweg.  Als  Entschädigung 
dafür  fordert  man  auch  für  dieses  Land  eine  Wasserstrafse,  nämlich  die 
Kanalisierung  des  Pruth  in  Osterreich1).  Dieser  Flufs  ist  im  gröfsten 
Teil  seines  Laufs  durch  die  gemischte  Kommission  in  (Jalatz  bereits  reguliert 
worden,  und  man  erwartet  für  1906  den  Abschlufs  der  Schiff barmachung  auf 
der  Strecke  von  Reni,  wo  er  in  die  Donau  mündet,  bis  zum  Austritt  aus 
der  Bukowina  bei  Nowosielica,  604  km.  Der  Wunsch,  dafs  auch  innerhalb 
des  österreichischen  Staatsgebiets  diese  Regulierung  oder  vielmehr  Kanalisie- 
rung bis  nach  Czernowitz  hinauf  fortgesetzt  werde,  ist  wohl  um  so  berech- 
tigter, als  es  sich  hierbei  nur  um  26  km  handelt.  Die  Bukowina  käme 
dadurch  mit  Bessarabien,  Rumänien  und  dem  schwarzen  Meere  in  be- 
queme Verbindung.  Holz,  Bausteine,  Ziegel,  Mineralien,  Zement,  Gips,  Kalk 
kämen  als  Hauptmassenartikel  für  die  Ausfuhr*),  Getreide,  Wein,  Obst,  Ge- 
müse, Südfrüchte,  Fische,  Felle  für  die  Einfuhr  in  Betracht.  Fuchsberger 
meint,  dafs  die  Bukowina  Metalle  und  andere  industrielle  Rohmaterialien 
auf  dem  Wasserwege  beziehen  und  dafs  dadurch  eine  Industrie  in  diesem 
Kronland  erwachsen  könnte.  Auch  dieser  Kanal  hätte  also  wohl  für  das 
Kronland,  dem  er  zugute  kommt,  nicht  aber  für  die  Gesamtmonarchie  eine 
gröfsere  Bedeutung. 

In  technischer  Beziehung  unterscheiden  sich  die  galizischen  Kanäle  und 
ebenso  die  Pruth-Kanalisierung  wesentlich  von  den  früher  besprochenen3).  Es 
sind  Flachlandskanäle,  deren  Herstellung  leicht  ist.  Die  Wasserscheiden 
liegen  niedriger  als  300  Meter.  Anderseits  aber  ist  das  durchzogene  Gebiet 
schon  ein  recht  kontinentales  und  eine  längere  Unterbrechung  der  Schiffahrt 
zu  erwarten.  Und  auch  gewisse  bauliche  Schwierigkeiten  wären  zu  überwinden. 
Nach  Merunowicz4)  ist  die  billigste  Variante5)  der  Kanal  Krakau — Zabierzow — 
Sa/lowa  Wisznia—  Rudki  {Wasserscheide  des  Dnicsters)  — Czajkowk-e  und  mit 
Kanalisierung  des  Dniester  nach  Petrylow,  zusammen  etwa  180  km,  wozu  noch 
die  154  km  Hruschau — Drahomischl—  Oswiecim — Krakau  (mit  Benutzung  der 


1)  C.  A.  H.  Fuchsberger,  Studien  über  das  Pruth-Projekt.  Berlin.  Siemenroth  k 
Troschel,  1901. 

2)  Der  Holzexport  von  Czernowitz  nach  Galatz,  früher  recht  bedeutend,  wird, 
vrie  der  Bericht  de«  k.  u.  k.  Konsulats  Galatz  f.  1900  hervorhebt,  immer  mehr  über 
Nowosielica  nach  Odessa  abgelenkt. 

3)  Vgl.  Penck  a.  a.  0.  S.  86.        4)  Ausschufsbericht  S.  8-2. 
5)  Abgesehen  von  der  Benutzung  der  Weichsel  und  des  San. 


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Kanäle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn.  569 

Weichsel  von  Oswiecim  an)  kommen.  An  dem  erforderlichen  Wasser  fehlt 
es  nicht.  Aber  gerade  die  wasserreichen  Gebirgsflüsse,  die  es  liefern,  ver- 
laufen senkrecht  gegen  den  Kanal;  er  müfste  zwischen  Zabierzow  und  Satlowa- 
Wisznia,  wo  er  ins  Thal  des  Wiszniabachs  eintritt,  auf  gemauerten  Aquä- 
dueten  die  Kaba,  Uszwica,  den  Dunajec,  die  Wisloka,  den  heg  und  den  San 
quer  übersehreiten.  Nur  auf  dem  natürlichen  Wege  durch  Weichsel  und  San 
wäre  man  imstande,  diese  Umstände  zu  vermeiden.  Allein  wir  kennen  bereits 
die  politischen  und  handelspolitischen  Argumente,  die  gegen  seine  Benutzung 
mafsgebend  waren. 

Der  vorerwähnte  Kanal  würde  auf  der  Wasserscheide  auf  265,4  m  über 
das  Meer  ansteigen1),  aber  im  Osten  Krakaus  volle  227  km  als  Nivcau- 
kanal  geführt  werden  können.  Demgemäfs  sind  die  Baukosten  gering.  Eine 
Summe  liegt  nicht  vor;  die  Ziffern  Hillingers' 2)  für  einige  Projektteile 
lassen  aber  weit  niedrigere  Ansätze  erkennen,  als  die  Voranschläge  der  früher 
besprochenen  Wasserwege.  Nach  Merunowicz'  Zusammenstellung3)  kostet 
der  Kilometer  der  Strecke  bis  zum  San  etwas  weniger  als  jener  des  Donau- 
Oder-Kanals,  jener  der  Strecke  östlich  vom  San  aber  nur  etwa  die  Hälfte  davon. 

VII. 

Die  zugleich  mit  den  Kanalbauten  erforderlichen  Flu fs regulier ungen 
sind  nur  ganz  allgemein  bezeichnet.  Der  vom  Ausschufs  dem  Gesetz  eingefügte 
§  5  besagt,  dafs  die  Regulierung  derjenigen  Flüsse  in  Böhmen,  Mähren, 
Schlesien,  Galizien,  Nieder-  und  Oberösterreich,  welche  mit  den  Kanälen  ein 
einheitliches  Gewässernetz  bilden  und,  sei  es  wegen  der  Zufuhr  von  Wasser, 
sei  es  mit  Rücksicht  auf  die  Geschiebebewegung,  für  die  ersteren  besondere 
Bedeutung  besitzen,  sofort  durch  Verhandlungen  mit  den  Ländern  gesichert 
werden  solle,  und  die  Regierung  erklärte,  dafs  die  Arbeit  mit  ihnen  begonnen 
werden  wird.  Aber  auch  für  alle  übrigen  Wasserläufe,  „hinsichtlich  welcher 
sich  eine  Regulierung  als  notwendig  darstellt",  ist  eine  solche  in  diesem 
Paragraphen  versprochen  und  soll  „thunlichst  rasch  vorbereitet"  werden.  Der 
Ausschufsbericht  und  die  beschlossenen  Resolutionen  müssen  einigermafsen 
für  die  fehlende  Aufzählung  dieser  Flüsse  entschädigen.  Ersterer  bemerkt  zu 
§  5,  dafs  die  in  erster  Linie  geplanten  Regulierungen,  für  die  das  Gesetz 
(  abgesehen  von  dem  schon  im  Budget  Vorgesehenen  und  von  den  Landes- 
beiträgen) 75  Mill.  Kronen  im  Maximum  vorsieht,  die  Eger,  die  Beraun  und 

1)  Deshalb  soll  der  Kanal  nicht  von  Oderberg  hinauf,  sondern  von  Hruschau 
herab  geführt  werden.  Nach  den  Profilen  der  Regierungsvorlage  wäre  die  lange 
niederste  Strecke  194  m  ü.  d.  M.  Die  Steigung  wäre  also  71  m,  der  Abstieg  zu  und 
am  Dniester  bis  Petrylow  aber  nur  62  m. 

2)  Ausschufsbericht  S.  40:  Donau-Oder- Weichsel-Kanal  165  km,  81  Mill.  Kronen, 
Verbindung  Hruschau- Weichsel  130  km,  60  Mill.  Kronen,  Verbindung  San-Dniester 
131,5  km,  36,6  Mill.  Kronen. 

3)  S.  82.  Donau-Oder-Kanal  507  614,  Donau -Moldau -Kanal  (Korneuburger 
Variante)  682  926,  Donau-March-Kanal  691  489,  westliche  galizische  Strecke  490  909, 
östlich  galizische  Strecke  280  000  Kronen.  Doch  ist  die  Ziffer  für  den  Korneuburger 
Kanal  niedriger,  als  Kaftan's  Berechnung  (724000  Kronen)  und  daher  nur  des  be- 
quemen Vergleichs  halber  hierhergesetzt. 


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570  K.  Sieger: 

Wotawa,  die  Aupa,  die  oberste  Moldau  und  Elbe  iu  Böhmen1),  March,  Thaya 
und  Ostrowitza  in  Mähren,  die  Olsa  in  Sohlesien,  endlich  in  Galizien  „die 
elf  Gebirgsflüsse  nebst  zahlreichen  anderen  Gewässern"  umfassen  sollen.  Sie 
sind  also  hauptsächlich  nicht  im  unmittelbaren  Interesse  der  Schiffahrt,  für  die 
nur  wenige  dieser  Flüsse  in  Betracht  kämen,  sondern  wesentlich  zum  Schutz 
vor  Überschwemmungen,  wie  sie  die  Jahre  1897  und  1899  brachten,  und  vor 
Versumpfungen,  sowie  zur  Speisung  der  Kanäle  bestimmt.  Die  vom  Aus- 
schurs vorgeschlagenen  und  vom  Hause  angenommenen  Resolutionen  befür- 
worten ferner  die  Pruth-Regulierung  (Res.  9)  und  die  Einbeziehung  der  Oppa 
in  das  Donau-Oderkanalnetz  (Res.  7).  Zugleich  soll  aber  auch  ein  Stichkanal 
nach  Troppau  in  Erwägung  gezogen  werden  (Res.  13),  wohl  für  den  Fall, 
dafs  die  Regulierung  des  Grenzflusses  Oppa  auf  Schwierigkeiten  stofsen  sollte. 
Dagegen  wurden  die  Antrüge  alpenländischer  Abgeordneter,  die  sich  auf  die 
Regulierung  der  niederösterreichischen  Krems,  der  Mur  und  der  Sülm  bezogen, 
im  Ausschufse  abgelehnt  und  im  Hause  diese  und  andere  Anträge  von  der 
Tagesordnung  abgesetzt. 

Es  wird  sich  also  erst  im  Verfolg  der  Kanalbautcn  zeigen,  wie  weit 
die  Regulierung  der  Flüsse  durchgeführt  werden  soll.  Aber  auch  die  Not- 
wendigkeit solcher  Arbeiten  aufserhalb  der  Kanalgebiete  ist  nun  laut  ausge- 
sprochen worden  und  man  darf  eine  umfassende  und  systematische  Thätigkeit 
auf  dem  Gebiete  der  Wasserwirtschaft  in  Österreich  erhoffen*).  Das  wäre 
gewifs  nicht  das  mindest  wichtige  Ergebnis  der  „Kanalbewegung". 

VIII. 

Überblicken  wir  die  im  einzelnen  besprochenen  Wasseret rafsen,  so  stellt 
sich  ein  grofses  einheitliches  System  dar,  welches  die  gesamten  österreichischen 
Gebiete  im  Norden  der  Donau  umfafst  und  das  in  die  einheitliche  Verwaltung 
dos  Staates  gelangt.  Von  der  Donau  bis  nach  Nordböhmen  und  Ostgalizien, 
sowie  zwischen  diesen  Ländern  untereinander,  werden  Verbindungen  geschaffen, 
die  /war  -  -  wie  die  Regierung  selbst  nicht  tibersah 3 )  —  infolge  der  grofsen 
technischen  Schwierigkeiten  keine  bedeutende  Rentabilität  erwarten  lassen, 
aber  eine  wesentliche  Bereicherung  des  Verkehrsnetzes  darstellen.  Sie  treten 
durch  die  Donau,  deren  Strecke  oberhalb  Linz  allerdings  einer  Verbesserung 
bedürftig  ist,  nach  oben  hin  in  Zusammenhang  mit  dem  süddeutschen  oberen 
Doriaugebiet  und,  sobald  der  Donau -Main- Kanal  den  erwarteten  Umbau  er- 
fahren hat,  auch  mit  dem  Rhein  und  den  Flüssen  Frankreichs,  nach  unten 

1  Spezialberichterstatter  Kaftan  (S.  74)  denkt  auch  an  Adler  und  Litavka. 
Die  verschiedenen  in  der  Debatte  geäufoerten  Wünsche  muf«  ich  ebenso  übergehen, 
wie  in  Bezug  auf  die  Stichkanäle  nach  einzelnen  wichtigen  Orten;  die  Vertreter 
der  einzelnen  Gegenden  sprachen  in  beiden  Beziehungen  recht  mannigfache  Wünsche 
aus,  von  denen  manche  wohl  im  Verlauf  der  Kanalbauten  wieder  auf  die  Tages- 
ordnung kommen  werden.  Dadurch,  dafs  die  von  einzelnen  Abgeordneten  bean- 
tragten Resolutionen  „der  geschäftsordnungmäfsigen  Behandlung"  durch  den  Aua- 
schufs  überwiesen  wurden,  ist  ihr  Schicksal  von  dem  des  Gesetzentwurfes  getrennt 
worden. 

2  Vergl.  die  Anregungen  von  Fenck,  Die  Zeit  Nr.  347  Wien.  26.  Mai  19U1. 
3i  Begründung  zum  Gesetzentwurf  S.  6. 


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Kanüle  und  Kanalprojekte  in  Österreich-Ungarn. 


571 


hin  mit  den  ungarischen  Wasserstrafsen;  durch  die  Elhe  hängen  sie  mit  dem 
norddeutschen  und  russischen  Wasserstrafsensystem  und  durch  den  Dniester 
mit  Südrufsland  und  dem  Pontus  zusammen. 

So  würden  sie  —  nach  Herstellung  des  Donau  -  Main  -  Canals  —  ein  Ver- 
bindungsglied zwischen  dem  Wasserstrafsennetz  des  westlichen  und  jenem  des 
östlichen  Mitteleuropa  bilden,  wie  es  der  deutsche  Mittellandkanal  werden 
sollte!  Durch  den  Anschlufs  an  die  kanalisierte  Oder  würde  dann  ein  fünfter 
Zugang  in  das  Ausland  gewonnen  und  die  Stellung  der  österreichischen 
Wasserstrafsen  in  dem  europäischen  Binnenschiffahrtsnetz  noch  bedeutungs- 
voller. Es  könnten  hier  wichtige  internationale  Transitwege  entstehen,  die 
der  Produktion  und  dem  Handel  der  von  ihnen  durchzogenen  Gegenden  einer- 
seits anregende  Belebung,  anderseits  drohende  Konkurrenz  bringen  würden. 
Diese  Entwicklung  ist  aber  abhängig  von  dem  Verhalten  der  Nachbarländer1). 
Ohne  die  vorerwähnten  Wasserbauten  in  Deutschland  beschränkt  sich  die 
internationale  Bedeutung  der  Kanalprojekte  auf  die  Verbindung  zwischen 
Donau,  Elbe  und  Dniester,  eventuell  auch  Weichsel.  Ihre  Bedeutung  für 
Österreich  und  seine  einzelnen  Teile  steht  also  wohl  noch  im  Vordergrund 
der  Erörterung.  Diese  aber  dürfte  sich  zunächst  weniger  in  der  Einbeziehung 
gröfserer  Mengen  schwerster  Massengüter  in  den  Fernverkehr  äufsern,  als  in 
der  mit  grofsen  finanziellen  Opfern  des  Staates  erkauften  Konkurrenzierung 
gewisser  Bahnlinien  und  einer  Herabsetzung  ihrer  Tarife  bis  hart  an  die 
Grenze  des  Möglichen*).  Es  bedarf  einer  sehr  beträchtlichen  Steigerung  des 
Verkehrs,  damit  beide  Arten  von  Verkehrsmitteln  reichliche  Fracht  erhalten. 
Diese  Steigerung  wird  sicherlich  eintreten,  doch  ist  sie  erst  nach  geraumer 
Zeit,  und  insbesondere  erst  von  der  Belebung  des  internationalen  Verkehrs,  zu 
erwarten.  Die  Kanäle  sind  aber  nicht  nur  als  Verkehrsstrafsen  von  Belang, 
sondern  man  erwartet  von  ihnen  auch  wasserwirtschaftliche  Vorteile.  Inwie- 
weit sie  sich  mit  Bodenmeliorationen  im  Interesse  der  Landwirtschaft  ver- 
binden lassen,  wird  sich  erst  bei  der  endgiltigen  Gestaltung  der  Einzel- 
projekte ergeben.  Der  Industrie  sichern  sie  wertvolle  Wasserkräfte,  wenn 
auch  nicht  für  die  ganze  Dauer  des  Jahres,  und  man  erwartet,  dafs  dieser 
Umstand  Gebiete,  die  bisher  industriearm  waren,  um  so  mehr  beeinflussen 
werde,  als  die  Wasserkraft  den  neuen  Betrieben  gleichzeitig  mit  der  Wasser- 

1)  Der  alldeutsche  Abgeordnete  Wolf  hob  (Sten.  Prot.  S.  4442)  hervor,  dafs 
durch  die  Kanäle  „die  handelspolitische  Fläche  Deutschösterreichs  im  Süden  ge- 
hoben und  im  Norden  gesenkt  wird",  und  sieht  daher  in  den  Kanälen  eine  Vor- 
bereitung für  die  Zollunion  mit  Deutschland.  Die  von  ihm  bekämpften  galizischen 
Kanäle  und  die  Herstellung  einer  Verbindung  vom  Rhein  zur  Donau  würden  aber 
auch  nach  einer  anderen  Richtung,  nämlich  nach  Ost  und  Westen  engere  Be- 
ziehungen herstellen  und  man  darf  auch  nicht  übersehen,  dafs  die  Tauernbahu  in 
dem  Wettkampf  zwischen  Hamburg  und  Triest  in  gegenteiligem  Sinne  wirkt,  wie 
die  Kanäle. 

2)  Von  den  vielen,  weit  auseinandergehenden  Schätzungen  der  Tarife,  die  in 
der  Litteratur  Bich  finden,  sei  nur  auf  Sie  wert  S.  164  ff. ,  auf  die  Angaben  der  Aus- 
schufsberichte  und  auf  R.  v.  Gunesch  N.  Fr.  Presse  10.  Mai,  S.  0  verwiesen,  wo 
auch  die  Frage,  ob  der  Import  durch  tarifarische  Mafsregeln  sich  beeinflussen 
lasse,  erörtert  ist.  Bemerkenswert  sind  auch  die  Äufserungen  des  ehemaligen 
Ministers  Kaizl  (X.  Fr.  Presse  18.  Mai). 


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572    K.  Sieger:  Kanüle  und  Kanalprojekte  in  (Österreich- Ungarn. 

straTse  zu  Gebote  gestellt  wird.  Man  erhofft  daher  insbesondere  für  das 
zentrale  und  südliche  Böhmen  und  für  Galizien  einen  lebhaften  industriellen 
Aufschwung. 

Für  Ungarn  schreibt  Hieronyini  den  Kanälen  in  Österreich  ebenfalls 
grofse  Bedeutung  zu1).  Er  nimmt  an,  dafs  nach  ihrer  Vollendung  10  Mil- 
lionen q  ungarischer  Rohprodukte  nach  Osterreich,  Ü  Millionen  q  nach 
Deutschland  auf  dem  Wasserwege  werden  verfrachtet  werden.  Und  aus  seinen 
Ausführungen  geht  hervor,  dafs  der  Bau  der  österreichischen  Kanüle  einen  mäch- 
tigen Impuls  für  den  Ausbau  der  Kanäle  des  ungarischen  Tieflandes  geben 
wird,  an  den  man  mit  allem  Nachdruck  heranzutreten  scheint.  Erst  durch 
ihre  Ausgestaltuug  kann  jenes  grofse  Binnenschiffahrtsnet/,  wirklich  zu  stände 
kommen,  dessen  Ideal  den  österreichischen  und  auswärtigen  Verfechtern  der 
besprochenen  Kanäle  vorschwebt. 

Verweilen  wir  noch  einen  Augenblick  bei  diesem  Bilde,  so  begegnet  uns 
eine  interessante  verkehrsgeographische  Frage:  Welche  bestehenden  Verkehrs- 
linien werden  durch  die  neuen  Wasserwege  gefördert  oder  beeinträchtigt? 
Welchen  Hüfen  bringen  sie  vor  allem  Vor-  und  Nachteile?  —  Zunächst  be- 
günstigt erscheinen  der  Verkehr  der  mittleren  und  unteren  Donau  und  jener  der 
Nordseehäfen.  Es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dafs  der  Ausbau  der  österreichischen 
Kanäle  die  Grenzen  des  Verkehrsgebietes  von  Hamburg  auf  Kosten  desjenigen 
von  Triest  ausdehnt.  Die  Herstellung  einer  schiffbaren  Verbindung  Oderberg- 
Cosel  mufs  sich  als  Förderung  Stettins,  die  Ausführung  der  ungarischen 
Kanalprojekte,  insbesondere  des  Vukovär-Samac -Kanals  als  solche  Fiumes  er- 
weisen. Unter  diesen  Umständen  begreift  man,  dafs  in  Triest,  dessen  schlechte 
Zugiinglichkeit  vom  Binnenlande  her  durch  die  drohende  Erleichterung  der 
Verbindungen  mit  den  Seehäfen  des  Nordens  und  Südostens,  ja  auch  mit 
Fiume  zu  einem  doppelten  Nachteil  wird,  der  verzweifelte  Gedanke  eines 
Triest- Wiener  Kanals  laut  wurde.  Triest  kann  aber  eine  Besserung  seiner 
Verkehrslage  in  Wirklichkeit  nicht  von  unmöglichen  Kanälen,  sondern  nur  von 
Bahnbauten  erhoffen.  Die  Tauernbahn  mit  Wocheiner-  und  Karawankenbahn 
wird  gewifs  segensreichen  Eintiufs  auf  dies  Emporium  äufsern,  namentlich  da 
die  Pymbahn  die  Verbindung  mit  Böhmen  erleichtern  wird.  Anderseits  ver- 
möchte auch  der  Linz -Bud weiser  Kanal  die  Tauernbahn  wohl  etwas  zu  ali- 
mentieren;  allein  wesentlich  dürfte  diese  Förderung  nicht  erscheinen.  Die 
Wahl  der  Moldaulinie  für  den  Donau-Elbe-Kanal  kann  also  durch  die  Rück- 
sicht auf  Triest  nicht  in  entscheidender  Weise  begründet  werden. 

Sehen  wir  aber  von  diesem  Moment  ab,  und  betrachten  wir  die  Zweck- 
mäl'sigkeit  und  Notwendigkeit  der  einzelnen  Kanäle,  so  scheint  es,  als  ob 
einzelne  davon  aus  dem  Gesamtbild  verschwinden  könnten,  ohne  es 
wesentlich  umzugestalten.  Als  der  Kern,  gleichsam  der  Hauptflufs  des 
Systems,  dessen  Nebenflüsse  die  anderen  darstellen,  erscheint  mir  —  das 
habe  ich  im  Vorstehenden  begründet  —  die  Linie  Wien-Prerau-Pardubitz- 
Melm'k  mit  der  Abzweigung  nach  Oderberg.  Und  wenn,  wie  nicht  zu 
zweifeln  ist,  im  Verlauf  der  Durchführung  des  beschlossenen  Gesetzes  die 


1)  N.  Fr.  Presse  15.  Mai. 


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Hettner:  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  573 

zahlreichen  Schwierigkeiten  sich  fühlbar  machen,  wenn  man  Welleicht  die 
minder  wertvollen  aber  kostspieligen  Teile  des  Ganzen  der  besseren  Durch- 
führung des  Hauptzwecks  wird  opfern  müssen,  dann  werden  gewifs  jene 
geographischen  Momente  sich  siegreich  geltend  machen,  welche  in  der  Lage 
Wiens  ihren  Ausdruck  finden,  und  man  wird  Donau-Elbe-  und  Donau- 
Oder-Kanal  zu  einem  grofsen  Strang  vereinigt  durch  das  Thal  der 
March  führen. 

Wien,  Sommer  1901. 


Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte. 

Von  Alfred  Hettner. 

(Schlufs.) 

III.  Die  Karten  der  Bevölkerungsdichte. 

Neben  den  analytischen  Untersuchungen  und  Darstellungen  der  Bevöl- 
kerung, wie  wir  sie  im  vorigen  Abschnitt  kennen  gelernt  haben,  und  in  einem 
gewissen  Gegensatz  zu  ihnen  stehen  die  objektiven  oder  synthetischen  Dar- 
stellungen, welche  nicht  einseitig  die  Beziehungen  der  Bevölkerung  zu  einer 
bestimmten  Ursache  zu  erfassen,  sondern  ohne  jede  Vorausnahme  über  die 
Ursachen  eine  vollständige  Vorstellung  von  Zahl  und  Dichte  der  Bevölkerung 
zu  erwecken  suchen.  Man  hat  den  Gegensatz  der  beiden  Auffussungs-  und 
Darstellungsweisen  häufig  verkannt  und  sie  mit  einander  vermischt;  wir  haben 
am  Schlüsse  des  vorigen  Abschnittes  gesehen,  wie  man  dadurch  zu  einer 
ganz  unverständigen  Darstellung  der  analytischen  Ergebnisse  gekommen  ist, 
und  werden  weiterhin  erkennen,  wie  sich  in  manche  Bevölkeruugskarten  die 
Analyse  eingeschlichen  hat  und  die  Naturtreue  der  Darstellung  beeinträchtigt. 

Die  synthetische  Darstellung  der  Bevölkerung  kann  einfach  darin  be- 
stehen, dafs  man  für  jedes  Gebiet  die  Zahl  und  durchschnittliche  Dichte 
seiner  Bevölkerung  oder  auch,  wenn  die  Dichte  sehr  wechselt,  die  Dichte 
seiner  Teilgebiete  angiebt.  Diese  Angaben  finden  sich  in  der  Litteratur 
namentlich  für  die  politischen  Gebiete:  Staaten,  Provinzen  u.  8.  w.  Die  ab- 
soluten Bevölkerungszahlen  dieser  Gebiete  haben  ja  auch  zweifellos  einen 
praktischen  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  einen  wissenschaftlichen  Wert 
(vgl.  S.  502);  ob  aber  deren  Bevölkerungsdichte,  soweit  sie  nicht,  wie 
die  selbständigen  Staatsgebiete,  sozusagen  Produktiv-  und  Konsumgenossen- 
schaften bilden  oder  zufällig  mit  Naturgebieten  zusammenfallen,  irgend  ein 
Wert  beizumessen  sei,  möchte  ich  bezweifeln;  ich  möchte  fast  glauben,  dafs 
diese  Dichteangaben  zu  den  Zahlenwerten  gehören,  die  gedankenlos  immer  von 
neuem  berechnet  und  gar  noch  für  einen  Ausdruck  wissenschaftlicher  Ver- 
tiefung gehalten  werden.  Für  die  wissenschaftliche  Geographie  haben  namentlich 
die  Bevölkerungsangaben  derjenigen  Naturgebiete  Wert,  welche  der  wissenschaft- 
lichen Beschreibung  zu  Grunde  gelegt  werden.  Wenn  ich  vom  Schwarzwald 
oder  dem  Pariser  Becken  oder  den  Pampas  oder  irgend  einer  ozeanischen  Insel 
ein  vollständiges  Bild  entwerfen  will,  so  mufs  ich  auch  angeben,  wieviele 


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Alfred  Hettner: 


Menschen  diese  Gebiete  im  ganzen  beherbergen  und  wie  viele  durchschnitt- 
lich auf  der  Flächeneinheit  leben  oder,  falls  die  Verschiedenheiten  der  Teile 
sehr  grofs  sein  sollten,  wieviele  Menschen  in  jedem  Teile  auf  die  Flächen- 
einheit kommen,  oder  wie  das  Gebiet  in  häufiger  Wiederholung  den  Gegen- 
sat/, verschiedener  Bevölkerungstypen ,  z.  B.  dicht  bevölkerter  Thäler  uud 
dünn  bevölkerter  Kämme,  zeigt.  Es  braucht  kaum  erst  erwähnt  zu  worden, 
dafs  bei  diesen  Naturgebieten  der  Bevölkerungsdichte  ein  ganz  anderer  Wert 
zukommt  als  bei  den  politischen  Gebietcu,  da  die  Naturgebiete,  bei  mancher 
Verschiedenheit  im  einzelnen,  doch  immer  Gebiete  ähnlicher  Lebensbedin- 
gungen sind. 

Je  gröfser  und  je  mannigfaltiger  das  Gebiet  ist,  das  wir  der  Betrach- 
tung unterwerfen,  oder  je  mehr  es  uns  darauf  ankommt,  auch  die  Einzel- 
heiten aufzufassen,  um  so  weniger  ist  das  Wort  oder  sind  auch  einfache 
graphische  Darstellungen  im  Stande,  der  Aufgabe  zu  genügen,  um  so  mehr 
mufs  die  Karte  an  ihre  Stelle  treten. 

Man  hat  nur  oft  den  Fehler  gemacht,  dafs  man  sofort  Karten  der 
relativen  Bevölkerung,  d.  h.  Bevölkerungsdichte  gezeichnet  hat.  Da  die 
Menschen  nicht  gleichmäfsig  über  die  Fläche  verteilt,  sondern  an  einzelnen 
Punkten,  ihren  Wohnptätzen,  angehäuft  sind,  mufs  eine  objektive  Karte  der 
Bevölkerungsverteilung  in  gröfserem  Mafsstab  eine  Karte  der  absoluten 
Bevölkerung,  d.  h.  der  Wohnplätze  nach  ihren  Einwohnerzahlen  sein,  falls 
man  nicht  eine  Karte  der  Erwerbsdichte  zu  zeichneu  beabsichtigt  (vergl.  S.  504). 
Karten  der  eigentlichen  Bevölkerungs -  oder  Wohndichte,  die  die  Zahl 
der  Menschen  auf  der  Flächeneinheit  ohne  Rücksicht  auf  Erwerb  und  Beruf 
der  Bevölkerung  und  auf  Kulturbeschaffenheit  des  Landes  darstellen,  können 
überhaupt  nur  in  kleinerem  Mafsstab  (etwa  von  1  :  1  Million  an)  gezeichnet 
werden,  bei  dem  der  Gegensatz  der  Wohnplätze  und  der  dazwischen  liegenden 
unbewohnten  Flächen  verschwindet.  Von  welchem  Mafsstab  an  das  der  Fall 
ist,  hängt  natürlich  von  der  Art  der  Besiedeluug  und  auch  von  der  Technik 
der  Kartenzeichnung  ab.  Es  braucht  auch  gar  nicht  mit  einem  Male  die 
ganze  Bevölkerung  relativ  dargestellt  zu  werden,  vielmehr  kann,  wie  wir  es 
ja  auch  auf  vielen  Karten  sehen,  eine  Verbindung  absoluter  und  relativer 
Darstellung  stattfinden1).  Gefordert  mufs  nur  werden,  einerseits  dafs  die 
ganze  Bevölkerung  zur  Darstellung  kommt,  d.  h.  kein  Teil  weggelassen  wird, 
andererseits  dafs  auch  kein  Teil  der  Bevölkerung  doppelt  dargestellt  wird, 
wie  es  geschieht,  wenn  man  die  Städte  als  Punkte  einträgt  und  doch  gleich- 
zeitig in  die  Bevölkerungsdichte  verrechnet. 

Man  bat  seit  langem  erkannt,  dafs  man  die  gröfseren  Städte  bis  zu 
einer  je  nach  dem  Mafsstabe  verschiedeneu  Gröfse  herab  nicht  in  die  Be- 
völkerungsdichte verrechnen  und  über  die  Fläche  verteilen  dürfe,  ohne  ganz 
unnatürliche  Bilder  zu  erhalteu.  Man  hat  das  mitunter  damit  begründet, 
dafs  die  Bevölkerung  dieser  Städte  ihre  Nahrung  nicht  aus  der  Fläche,  son- 
dern aus  dem  Orte  ziehe,  also  nicht  flächen-  sondern  ortsständig  sei;  aber 

1;  Ratzel'»  Hinwürfe  hiergegen  (Anthropogeographie  II  1*J6)  kann  ich  nicht 
für  begründet  aunehen. 


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Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  575 


diese  Begründung  dürfte  nur  bedingt  anzuerkennen  sein,  denn  da  die  orts- 
ständige Bevölkerung  nicht  auf  diese  gröfseren  Städte  beschränkt  ist,  sondern 
vielfach  auch  in  kleineren  Ortschaften  lebt,  die  sich  an  Bergwerke  oder 
Fabriken  anschliefsen  oder  Sitze  der  Hausindustrie  sind,  so  müfsten  aus  dem 
genannten  Gesichtspunkte  diese  kleineren  Ortschaften  gleichfalls  ausgeschieden 
werden.  Die  Ausscheidung  der  gröfseren  Städte  ist  vielmehr  aus  dem  Wesen 
der  Generalisierung  zu  rechtfertigen.  Ähnlich  wie  bei  einer  generalisierenden 
Darstellung  eines  welligen  Hügellandes  die  meisten  Hügel  verschwinden  und 
verschwimmon,  einzelne  höhere  Berge  aber  noch  dargestellt,  werden,  so  heben 
sich  auch  die  Bevölkerungsanhäufungen  der  gröfseren  Städte,  die  wir  ja  als 
insulare  Gebiete  besonders  grofser  Bevölkerungsdichte  auffassen  können,  aus 
der  sonst  mehr  gleichmäfsigen  Bevölkerungsverteilung  heraus.  Je  kleiner  der 
Mafsstab  wird,  um  so  mehr  verschwinden  auch  sie  in  der  Fläche.  Allgemeine 
Regeln  darüber,  welche  Gröfsenklasse  man  noch  ausscheiden  solle,  welche 
nicht,  lassen  sich  nicht  angeben,  darüber  mufs  vielmehr  der  Takt  des  Karten- 
zeichners entscheiden.  Es  seheint  mir  auch  gar  nicht  nötig,  dabei  schema- 
tisch zu  verfahren  und  in  allen  Teilen  der  Karte  bei  derselben  Gröfsenklasse 
stehen  zu  bleiben;  wie  man  auf  einer  Höhenschichtenkarte  einen  inselförmigen 
Berg  des  Vorlandes  als  solchen  zeichnen  wird,  während  man  gleich  hohe 
Berge  des  Gebirges  nicht  als  solche  hervorhebt,  wird  man  in  rein  landwirt- 
schaftlichen Gegenden  Mittelstädte  ausscheiden  und  Städte  derselben  Gröfse 
in  industriellen  Gegenden,  wo  sie  sich  dicht  an  einander  drängen,  in  die  Be- 
völkerungsdichte verrechnen  können.  Die  auszuscheidenden  Städte  wird  man 
bei  kleinerem  Mafsstab  der  Karte  einfach  absolut  durch  willkürlich  gewählte 
Gröfsezeichen,  bei  gröfserem  Mafsstab  dagegen  besser  als  kleine  inselhafte 
Gebiete  besonders  grofser  Verdichtung  darstellen;  dafs  man  dabei  nicht  die 
ganze  Gemarkung,  sondern  nur  die  mit  Häusern  bebaute  und  bewohnte  Fläche 
der  Dichteberechnung  zu  Grunde  legen  und  in  die  Karte  einzeichnen  darf, 
sollte  selbstverständlich  sein.  Bei  absoluter  Darstellung  wird  man  um  der 
Vergleichbarkeit  willen  gut  thun,  sich  an  die  eingebürgerten  Gröfsenklassen 
der  Statistiker  zu  halten,  anstatt  dafs  willkürlich  auf  jeder  Karte  eine  andere 
Unterscheidung  der  Gröfsenklassen  gewählt  wird. 

Man  hat  gewöhnlich  nur  geschlossene  Städte  aus  der  übrigen  Bevölke- 
rung herausgehoben.  Ich  meine  aber,  dafs  man  auf  Karten  mittleren  Mafs- 
stabes  mit  den  langgestreckten  Ortschaften,  die  wir  so  häufig  in  den  Thälern 
unserer  (iebirge  finden  —  es  ist  dabei  ganz  gleichgiltig,  ob  sie  eine  oder 
mehrere  Gemeinden  bilden  — ,  in  derselben  Weise  verfahren  sollte.  Die 
Beziehung  auf  einen  mehr  oder  weniger  breiten  Thalstreifen  wird  immer 
willkürlich  sein.  Besonders  gilt  das  von  den  Ortschafteu,  die  aus  einer  Kette 
industrieller  Anlagen  bestehen,  und  deren  Bewohner  mit  dem  umgebenden 
Land,  auch  mit  den  Ackern  des  Thaies,  wenig  zu  thun  haben.  Es  giebt  ein 
ganz  unnatürliches  Bild,  wenn  man  sie  auf  die  Fläche  verrechnet.  Mau 
sollte  solche  Ortschaften  vielmehr  durch  Linien  darstellen,  deren  Dicke  zu- 
sammen mit  der  Länge  die  Einwohnerzahl  ergiebt.  Ich  glaube,  dafs  z.  B.  die 
Bevölkerungskarten  unserer  Mittelgebirge  dadurch  ein  viel  natürlicheres  Aus- 
sehen bekommen  würden.    Erst  beim  Obergang  zu  kleinerem  Mafsstab,  wenn 


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57G 


Alfred  Hettner: 


die  Thaler  mit  den  dazwischen  liegenden  Kämmen  oder  Plateaus  zu  einem 
unnnterscheidbaren  Ganzen  verschmelzen,  kann  man  den  Begriff  der  Bevöl- 
kerungsdichte auf  diese  langgestreckten  Thalsiedelungen  mit  Recht  anwenden. 

Der  Übergang  von  der  Darstellung  der  absoluten  Bevölkerung  zur  Dar- 
stellung der  Bevölkerungsdichte  erfolgt  also  nur  allmählich;  zuerst  werden 
nur  die  Bewohner  der  kleineren,  erst  später  auch  die  der  gröfseren  Ort- 
schaften auf  die  Fläche  verrechnet,  und  nur  auf  Karten  sehr  kleinen  Mafs- 
stabes  kommt  der  Begriff  der  Bevölkerungsdichte,  unter  völligem  Ausschlufs 
der  absoluten  Darstellung,  zu  durchgängiger  Anwendung. 

Der  Begriff  der  Bevölkerungsdichte  bedeutet  ,  dafs  die  auf  einer  Fläche 
wohneuden  Menschen  auf  die  Gröfse  der  Fläche  verrechnet  werden.  Aber 
nach  welchen  Grundsätzen  sollen  wir  die  der  Berechnung  zu  Grunde  gelegten 
Flächen  gegen  einander  abgrenzen? 

Wenn  die  Karten  der  Bevölkerungsdichte  wirklich  objektiv  sein  sollen, 
so  dürfen  sie  nichts  Fremdes  hineintragen,  sondern  müssen  lediglich  auf 
Grund  von  Angaben  über  die  Bevölkerungsverhältnisse  gezeichnet  werden. 
Wo  nur  mangelhafte  Aufnahmen  oder  gar  nur  Schätzungen  der  Bevölkerung 
vorliegen,  wird  man  ein  Bild  der  Bevölkerungsverteilung  allerdings  nur  unter 
Berücksichtigung  der  im  Boden,  im  Klima,  in  den  Wirtschaftsformen  u.  s.  w. 
liegenden  Lebensbedingungen  zeichnen  können.  Ebenso  wird  man  auf  diese 
Lebensbedingungen  Rücksicht  nehmen  müssen,  wenn  man  nur  eine  vorläufige 
Bevölkerungskarte  zu  zeichnen  beabsichtigt  und  ihr  nur  gröfsere  politische 
Einheiten  zu  Grunde  legt,  wo  man  dann  die  offenbar  vorhandenen  Unrichtig- 
keiten durch  Erwägungen  über  die  Lebensbedingungen  beseitigen,  z.  B.  die 
Grenze  von  Gebirge  und  Ebene,  die  "bei  mechanischem  Verfahren  ver- 
schwindet, auf  der  Karte  zum  Ausdruck  bringen  kann.  Aber  an  sieh 
ist  dies  Verfahren,  das  ursächliche  Zusammenhänge  vorausnimmt,  welche 
doch  eigentlich  erst  durch  die  Karte  bewiesen  werden  sollen,  methodisch 
falsch,  und  bei  Karten,  welche  auf  Grund  guter  Bevölkerungszählungen  unter 
Berücksichtigung  alles  vorhandenen  Materials  gezeichnet  werden,  dürfte  es 
nicht  angewendet  werden.  Man  wird  doch  auch  nicht  auf  den  Gedauken 
kommen,  Regenkarteu  auf  Grund  der  geographischen  Breite,  der  Lage  zum 
Ozean  und  der  Bodengestaltung  zu  zeichnen,  sondern  wird  nur  im  Nottalle, 
wenn  keine  direkten  Niederschlagsbeobachtungen  vorhanden  sind,  die  oro- 
graphische  Karte  zur  Ergänzung  benutzen.  Alle  die  Bevölkerungskarten,  welche, 
wie  Neukirch  sich  ausdrückt,  „mit  Vorausnahme  topographischer  und  kultureller 
Keuntnisse'*  gezeichnet  sind,  dürfen  keinen  Anspruch  auf  objektive  Richtigkeit 
erheben.  Das  tritt  um  so  mehr  zu  Tage,  je  einseitiger  ein  bestimmter  Gesichts- 
punkt, wie  z.  B.  der  Einttufs  der  Meereshöhe  oder  des  Gesteins,  zu  Grunde 
gelegt,  wird;  aber  auch  Karten,  die  so  sorgsam  und  umsichtig  gezeichnet  sind 
wie  Neumann's  Bevölkerungskarte  von  Baden,  würden  ein  naturgetreueres 
Bild  geben,  wenn  die  Abteilung  der  Bevölkerung  nach  Höheuzonen  nicht 
vorgenommen  worden  wäre. 

Die  Konstruktion  der  Bevölkerungskarten  mufs,  wie  man  längst  erkannt 
hat,  nach  ähnlicher  Methode  wie  die  der  Höhenschichten-  oder  Tiefenkarten 
erfolgen,  bei  denen  die  Höhen-   und  Tiefenlinien   zwischen   die  gemessenen 


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Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  577 


Höhen-  und  Tiefenpuukte  eingepafst  werden,  sodafs  sie  die  verschiedenen 
Höhen-  und  Tiefeuschich ten  wenigstens  annilhernd  richtig  abgrenzen.  Aber 
die  Höhen  uud  Tiefen  sind  etwas  unmittelbar  in  der  Natur  gegebenes,  die 
Bevölkerungsdichte  dagegen  ist  eine  reine  Abstraktion,  und  die  hauptsäch- 
liche Schwierigkeit  besteht  gerade  darin,  von  der  absoluten  Bevölkerung, 
d.  h.  den  Wohnplätzen,  zu  der  relativen  Bevölkerung  oder  Bevölkerungsdichte 
(Iberzugehen. 

Man  kann  dabei  auf  verschiedene  Weise  verfahren. 

Am  häufigsten  ist  man  begreiflicherweise  von  den  in  den  offiziellen 
statistischen  Veröffentlichungen  unmittelbar  angegebenen  oder  doch  leicht  daraus 
zu  berechnenden  Zahlen  der  Bevölkerungsdichte  der  politischen  Einheiten,  je 
nach  dem  Mafsstabe  der  Gemeinden,  Kreise  oder  Provinzen,  ausgegangen. 
In  früherer  Zeit  ist  man  bei  diesen  Zahlen  einfach  stehen  geblieben  und  hat 
jeden  Bezirk  mit  dem  seiner  Bevölkerungsdichte  entsprechenden  Farbentone 
bedeckt,  und  viele  Statistiker  haben  auch  heute  noch  keine  Empfindung  für 
die  Unnatürlichkeit  solcher  Karten,  die  um  so  unnatürlicher  ausfallen,  je  gröfser 
die  Bezirke  im  Verhältnis  zum  Maßstab  der  Karte  sind.  Eine  anerkannt 
naturgetreue  Darstellung  Hilst  sich  auf  diese  Weise  nur  erreichen,  wenn  man, 
wie  es  zuerst  v.  Mayr  gefordert  und  z.  B.  Turquan  auf  seiner  Bevölkern  ngs- 
karte  Frankreichs  durchgeführt  hat,  bei  einer  Karte  mittleren  Mafsstabes  bis 
auf  die  Gemeinden,  oder  bei  einer  Karte  kleinen  Mafsstabes  bis  auf  die 
Kreise  (Bezirksämter,  Arrondisseraeuts,  Counties  und  dergl.)  zurückgeht,  sodafs 
die  Unnatürlichkeiten  der  Abgrenzung  kaum  noch  zum  Ausdruck  kommen. 
Solange  die  Grenzen  der  der  Karte  zu  Grunde  gelegten  Bezirke  auf  ihr  noch 
deutlich  hervortreten,  wird  man  die  Zahlen  der  Bevölkerungsdichte  nach  dem 
Vorgange  Ravn's,  dem  Behm,  Kettler  und  viele  andere  gefolgt  sind,  nur 
als  den  Ausgangspunkt  einer  Konstruktion  verwenden  dürfen,  die  der  Kon- 
struktion der  Höhen-  und  Tiefeuliuien  auf  Grund  der  gemessenen  Höhen-  und 
Tiefenzahlen  oder  der  Konstruktion  der  Isothermen  u.  s.  w.  ganz  analog  ist. 
Man  wird  dabei,  je  nach  der  Art  der  Bevölkerungsverteilung  und  der  Be- 
schaffenheit des  Materials,  entweder  ganz  mechanisch  verfahren  oder  auf  die 
Verteilung  der  Wohnplätze,  wie  man  sie  von  der  topographischen  Karte 
abliest,  oder  bei  geringerer  Genauigkeit  statt  dessen  auf  die  Lebensbedingungen 
Rücksicht  nehmen.  Es  ist  klar  und  z.  B.  an  einem  Vergleich  der  Bevöl- 
kerungskarten des  Deutschen  Reiches  von  Behm  und  von  Kettler  gezeigt 
worden,  dafs  bei  dieser  Konstruktionsweise  die  individuelle  Willkür  eine 
ziemliche  Holle  spielt. 

Um  sich  von  den  politischen  Bezirken,  die  ja  an  sich  mit  der  Bevölke- 
rungsdichte gar  nichts  zu  thun  haben,  freizumachen  und  zu  präzisen,  von 
Willkür  freien  Ergebnissen  zu  gelangen,  hat  man  sich  mehrfach  einer  rein 
geometrischen  Methode  bedient.  Man  hat  nämlich  die  Fläche  in  bestimmte 
einfache  geometrische  Figuren  zerlegt,  und  zwar  haben  Steinhauser,  der 
diesen  Weg  wohl  zuerst  eingeschlagen  hat,  die  Quadratminute,  Kettler 
(dieser  nur  nebenbei,  zur  Kontrole  der  nach  der  vorigen  Methode  gezeichneten 
Karte)  und  später  Träger  eingezeichnete  Quadrate,  Gelbke  eingezeichnete 
regelmäfsige  Sechsecke  genommen.    Man  hat  dann  die  Einwohnerzahlen  der 

Gcofc-rupLiiclie  Zuil«clirift  7.  Jahrgang  ll>01   10.  Heft.  39 


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Alfred  Hettner: 


in  jeder  Figur  gelegenen  Wohnplätze  oder  Gemeinden  zusammengezählt  und 
daraus  die  Bevölkerungsdichte  jeder  Figur  berechnet.  Auf  Grund  der  so  ge- 
wonnenen Dichtezahlen  hat  man  dann  ebenso  wie  bei  der  vorigen  Methode 
die  Dichtekurven  konstruiert  und  die  Gebiete  verschiedener  Bevölkerungs- 
dichte abgegrenzt.  Diese  Methode,  die  ein  Zurückgehen  auf  die  Wohnplätze 
oder  wenigstens  auf  die  Gemeinden  orfordert,  wird  sich  am  leichtesten  dann 
durchführen  lassen,  wenn  bevölkerungsstatistische  Grundkarten  vorhanden  sind. 
Sie  teilt  mit  der  vorigen  Methode  den  grofsen  Vorzug,  dafs  sie  planimetrisohe 
Ausmessungen  unnötig  macht;  die  Berechnungen  der  Dichte  können,  bei  der 
gleichbleibenden  Gröfse  der  Fläche,  mit  verhältnismäfsig  geringer  Mühe  durch- 
geführt werden,  und  auch  die  Reduktion  auf  kleineren  Mafsstab  ist,  wie  wir 
sehen  werden,  ziemlich  einfach.  Aber  die  Karten,  die  nach  dieser  Methode 
gezeichnet  werden,  können,  was  man  leider  oft  verkanut  hat,  vernünftiger- 
weise nur  in  ziemlich  kleinem  Mafsstabe  gezeichnet  werden.  Die  Figuren 
müssen  ziemlich  grofs  sein,  denn  wenn  sip  zu  klein  genommen  werden,  so 
kommen  in  eine  Figur,  je  nachdem  der  Zufall  es  fügt,  bald  nur  ganz  wenige 
oder  gar  keine,  bald  eine  ganze  Anzahl  von  Wohnplätzen  zu  liegen,  und 
die  daraus  berechneten  Werte  der  Bevölkerungsdichte  geben  ein  buntes  Mosaik, 
welches  der  Natur  widerspricht;  von  welcher  Gröfse  der  Figuren  an  der  Zu- 
fall verschwindet,  hängt  natürlich  von  der  Art  der  Besiedelung  ab.  Ander- 
seits dürfen  sich  die  Umrisse  der  Figuren  auf  der  Karte  selbst  gar  nicht  mehr 
bemerkbar  macheu;  wenn  Gelbke  sich  regelmäfsiger  Sechsecke  statt  der 
Quadrate  bedient  hat,  weil  sie  ein  natürlicheres  Bild  gäben,  und  seine  Karte 
im  Malsstabe  1:125000  gezeichnet  hat,  auf  der  nur  die  Umrisse  der  Sechs- 
ecke etwas  abgerundet  sind,  so  bekundet  er  damit,  dafs  er  das  Wesen  der 
angewandten  Methode  völlig  verkannt  hat.  Die  Figuren  sind  doch  nur  Hilfs- 
konstruktionen, die  auf  der  fertigen  Karte  ganz  verschwinden  müssen;  des- 
halb ist  es  auch  ganz  gleichgiltig,  welche  Figuren  man  wählt,  und  man 
kann  sich  dabei  ganz  von  der  Bequemlichkeit  der  Konstruktion  leiten  lassen. 
Aber  nur  bei  sehr  starker  Reduktion  dürfte  man  rein  mechanisch  zum  Ziele 
kommen;  in  den  meisten  Füllen  wird  man,  ebenso  wie  bei  der  Zugrunde- 
legung der  politischen  Bezirke,  die  Dichtekurven  durch  Berücksichtigung  der 
thatsäehlichen  Verhältnisse  der  Natur  anpassen  müssen. 

Einer  scheinbar  viel  weniger  exakten,  thatsächlich  vielleicht  zu  ebenso 
richtigen  Ergebnissen  führende  Methode  haben  sich  Sprecher  v.  Bernegg 
u.  a.  bedient.  Man  geht  von  der  einfachen  Betrachtimg  der  Karte  der  Wohn- 
plätze aus  und  unterscheidet,  auf  Grund  der  grölseren  oder  geringeren  An- 
häufung und  Gröfse  der  Wohnplätze  Gebiete  verschiedener  Bevölkerungs- 
dichte, mifst  dann  die  Fläche  dieser  Gebiete  mittels  des  Planimeters  aus, 
zählt  ihre  Bewohuerzahl  und  berechnet  aus  den  beiden  Werten  die  Bevöl- 
kerungsdichte, die  man  dann  natürlich  für  die  Kolorierung  der  Karte  nur  ab- 
gerundet benutzt.  Es  braucht  bei  dieser  Konstruktionsweise  nichts  Fremd- 
artiges in  die  Karte  hineingetragen  zu  werden,  wie  ein  ungenauer  Ausdruck 
Sprecher'»  vermuten  lassen  könnte;  sie  unterscheidet  sich  von  den  beiden 
anderen  Methoden  hauptsächlich  dadurch,  dafs  sie  eine  plaumäfsige,  aber 
natürlich  nur  ungefähre  Sehätzung  au  die  Stelle  genauer,  aber  mechanischer 


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Dber  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  579 

Berechnung  setzt.  Ich  möchte  mir  namentlich  dann  gute  Ergebnisse  von 
dieser  Methode  versprechen,  wenn  man  die  vergleichende  Abschätzung  der 
Dichte  nicht  auf  Grund  der  gewöhnlichen  topographischen  Karte,  sondern 
einer  bevölkerungsstatistischen  Grundkarte  ausführt,  da  man  sich  dann  nicht 
durch  die  räumliche  Gröfse  der  Ortschaften  täuschen  läfst,  sondern  direkt 
ihre  Einwohnerzahl  vor  Augen  hat.  Wenn  die  Ortszeichen  auf  der  Grund- 
karte farbig  ausgefüllt  sind,  würde  vielleicht  schon  eine  verkleinerte  photo- 
graphische Reproduktion  eine  Übersicht  der  Bevölkerungsdichte  geben,  durch 
die  die  Unterscheidung  der  Dichtestufen  erleichtert  würde.  Deutliche  Ab- 
sätze der  Bevölkerungsdichte,  wie  sie  z.  B.  am  Rande  von  Ebene  und  Ge- 
birge meist  vorhanden  sind,  werden  jedenfalls  bei  dieser  Methode  sofort 
klar  heraustreten,  während  sie  bei  den  beiden  anderen  Methoden  zunächst 
leicht  verschwinden  würden  und  erst  durch  nachträgliche  Korrektur  heraus- 
gestellt werden  müfsten. 

So  wird  man  keiner  der  drei  Methoden  unbedingt  den  Vorzug  vor  den 
anderen  gebeu  können,  vielmehr  wird  man  sich  je  nach  dem  vorliegenden 
Material,  der  Art  der  Volksverteilung,  dem  beabsichtigten  Mafsstab  der 
einen  oder  der  anderen  bedienen.  Es  sind  ja  auch  nur  Hilfsverfahren,  die 
zu  dem  gleichen  Ziele  führen;  das  Ergebnis,  d.  h.  das  fertige  Kartenbild, 
mul's  das  gleiche  sein;  wenn  Verschiedenheiten  vorhanden  sind,  so  beruht 
das  auf  Mangelhaftigkeit  des  Materials  oder  auf  falscher  Handhabung  der 
Methode. 

Das  Ergebnis  wird  durch  Flächen  gleicher  Bevölkerungsdichte,  die  durch 
Linien  gegen  einander  abgegrenzt  sind,  dargestellt.  Die  Darstellungsweise 
ist  also  ähnlich  wie  auf  den  Karten  der  Höhen-  und  Tiefenschichten  oder 
der  Isothermen.  Aber  es  besteht  doch  ein  Unterschied.  Während  die  Höhen- 
und  Tiefenlinien  und  die  Isothermen  eine  reale  Bedeutung  haben  und,  so- 
weit sie  richtig  gezeichnet  sind,  Punkte  gleicher  Höhe  oder  Tiefe  oder 
Temperatur  mit  einander  verbinden,  sind  Punkte  gleicher  Bevölkerungsdichte 
und  demzufolge  auch  die  sie  verbindenden  Linien  eine  reine  Abstraktion. 
Das  Wesentliche  sind  die  Flächen  gleicher  Bevölkerungsdichte;  die  Linien 
sind  nur  ein  äufserliches  Hilfsmittel  der  Darstellung.  Aus  diesem  Grunde 
ist  der  Tadel  berechtigt,  den  man  gegen  die  Handhabung  der  Linien  auf 
manchen  Karten  gerichtet  hat.  Es  ist  ganz  verfehlt,  alle  Linien  auszuziehen 
und  dadurch  den  Anschein  eines  allmählichen  Überganges  der  Bevölkerungs- 
dichte zu  erwecken,  während  thatsächlich,  wie  so  oft  am  Rande  von  Ebene 
und  Gebirge,  dichte  und  dünne  Bevölkerung  unvermittelt  an  einander  stofsen. 

Für  die  Bezeichnung  der  Flächen  gleicher  Bevölkerungsdichte  hat 
Hutzel  die  früher*  von  Petermaun  angewendete  Methode  einer  gedrängteren 
oder  lockereren  Punktierung  empfohlen,  weil  man  daraus  sofort  sähe,  dafs 
die  Menschen  nicht  die  ganze  Fläche  gleichmäfsig  bedeckten,  sondern  zer- 
streut wohnten.  So  sehr  ich  Ratzel  darin  beistimme,  dafs  eine  Bevölkerungs- 
karte grofsen  Mafsstabes,  welche  noch  eine  Auseinanderhaltung  der  einzelnen 
Wohnplätze  erlaubt,  nur  als  Karte  der  Wohnplätze  gezeichnet  werden  dürfe, 
so  halte  ich  es  doch  für  unnötig,  die  Art  des  Wohuens  symbolisch  noch  an- 
zudeuten, wenn  der  Mafsstab  der  Karte  eine  Einzeichnung  der  einzelneu 

3ü* 


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580 


Alfred  Hettner: 


Wohnplatze  nicht  mehr  erlaubt.  Die  Darstellung  durch  Punktierung  hat 
aber,  wie  Behm  bereits  hervorgehoben  bat,  den  Nachteil,  dafs  ein  einfaches 
Ablesen  der  Bevölkerungsdichte  nicht  möglich  ist.  Am  zweckmäfsigsten  bleibt 
immer  die  Darstellung  durch  Fluchenfarben  oder  Schraffierung.  Bei  der 
Wahl  der  Skala  sollt*?  nicht  jeder  Verfasser  auf  eigene  Faust  vorgehen,  da 
dadurch  die  Vergleichbarkeit  der  Karten  sehr  erschwert  wird.  Ganz  verkehrt 
erscheint  es,  wie  Mayr  mit  Recht  bemerkt,  der  durchschnittlichen  Dichte  des 
Gesamtgebietes  einen  Einflufs  darauf  einzuräumen;  man  sollte  die  Dichtestufen 
vielmehr  immer  durch  die  runden  Zahlen  des  Dezimalsystems  (1,  5,  10,  25, 
50,  75,  100  u.  s.  w.)  gegen  einander  abgrenzen.  Auch  in  Bezug  auf  die 
Wahl  der  Farben  ist  viel  gesündigt  worden,  da  man  oft  die  Farben  ohne 
jedes  Prinzip  gewählt  hat,  so  dafs  die  Karte  nur  durch  immerwährende 
Benutzung  der  Legende  entziffert  werden  kann;  die  Farben  müssen  vielmehr, 
wie  z.  B.  auf  den  Behm' scheu  Karten,  eine  fortlaufende  Reihe  etwa  von 
Weifs  über  helleres  und  dunkleres  Gelb,  helleres  und  dunkleres  Brauu  zu 
Rot  bilden  und  so  auf  einen  Blick  die  Abstufungen  der  Verdichtung  erkennen 
lassen.  Dieser  selbe  Grundsatz  der  Abstufung  ist  zu  beachten,  wenn  man 
aus  Sparsamkeitsrücksichten  statt  der  Farben  Schraffierung  anwendet.  Man 
kann  in  diesem  Falle  auch,  wie  es  Reclus  in  seinem  grofsen  Werke  mit 
Vorliehe  gethan  hat,  die  Bevölkerung  durch  quadratische  Maschen  darstellen, 
deren  Weite  dem  auf  einen  Menschen  entfallenden  Raum  (der  Flächen- 
ausstattung) entspricht;  aber  dies  Verfahren  wird  sich,  wie  mir  scheint,  schlecht 
anwenden  lassen,  wo  die  Bevölkerungsdichte  rasch  wechselt. 

Es  ist  der  historische  Gang  aller  Wissenschaft,  dafs  sie  zuerst  einen 
Uberblick  im  grofsen  anstrebt,  dafs  sie  dann  hie  und  da  und  im  Laufe  der 
Zeit  an  immer  mehr  Stellen  in  die  Einzelheiten  einzudringen  sucht,  und 
dafs  sie  schliefslich  die  vertiefte  Kenntnis  der  Einzelheiten  benutzt,  um 
den  ganzen  Bau  neu  aufzufuhren.  Diesen  Gang  hat  auch  die  Kartographie 
genommen;  aber  mit  den  Bevölkornngskartcu  stehen  wir  noch  auf  der 
zweiten  Stufe.  Wir  besitzen  eine  Anzahl  Spezialkartcn  der  Bevölkerung, 
aber  doch  erst  eine  beschränkte  Anzahl,  nach  sehr  verschiedenen,  teilweise 
recht  verfehlten  Methoden  gezeichnet.  Für  die  Zeichnung  von  Übersichts- 
karten sind  sie  bisher  nur  wenig  benutzt  worden  und  können  sie  auch  nur  wenig 
benutzt  werden,  weil  sie  nach  zu  verschiedenen  Methoden  gezeichnet  sind,  und  weil 
sich  die  Art  der  Zeichnung  meist  der  Generalisierung  wenig  darbietet.  Eine 
topographische  Karte,  eine  Isothermenkarte  u.  s.  w.  kann  man  ohne  weiteres 
generalisieren,  indem  man  bei  den  Umrissen  der  Figuren  auf  die  Einzelheiten 
verzichtet,  Vorsprünge  und  Einsprünge  ausgleicht,  und  indem  man  ferner 
immer  mehrere  Höhenstufen,  Temperaturstufen  u.  s.  v#.  zusammenfalst. 
Streng  genommen  ist  diese  Art  der  Generalisation  freilich  nicht  genügend, 
weil  die  Flächen  ihre  Größe  nur  ungefähr  bewahren;  aber  es  kommt  hier 
auf  die  genaue  Richtigkeit  der  Flächen  nicht  so  sehr  an.  Eine  nach  den- 
selben Grundsätzen  vorgenommene  Reduktion  der  Bevölkerungskarte  dagegen 
wird  strengeren  Ansprüchen  kaum  mehr  genügen.  Wir  finden  auf  der  Karte  z.  B. 
eine  Fläche  von  n  qkm  mit  der  Bevölkerungsstufe  75 — 100  Einw.,  da- 
zwischen einige  Tnseln  dichterer  Bevölkerung  (über  100  Einw.  auf  1  qkm) 


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Über  die  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte.  581 


und  eine  Anzahl  gröfserer  Ortschaften,  die  absolut  dargestellt  sind.  Bei 
der  Reduktion  der  Karte  auf  kleineren  Maßstab  müssen  wir  diese  Inseln 
und  Ortschaften  einziehen;  dadurch  erhöht  sich  die  mittlere  Bevölkerung 
der  Fläche,  aber  ob  sie  über  100  steigt  oder  noch  unter  100  bleibt,  können 
wir  aus  der  Karte  allein  nicht  entnehmen;  dazu  müfsten  wir  aufser  der 
Gröfse  der  Flächen,  die  wir  allenfalls  ausmessen  könnten,  auch  den  genauen 
Betrag  der  Dichtezahlen  kennen,  die  zwar  für  die  Zeichnung  der  Karten  be- 
rechnet, aber  der  Klarheit  der  Zeichnung  wegen  gewöhnlich  nicht  eingetragen 
und  auch  nur  manchmal  in  einem  Texte  mitgeteilt  werden.  Die  Generalisierung 
kann  also  mit  genügender  Genauigkeit  nicht  auf  Grund  der  Karte,  sondern 
nur  auf  Grund  der  Rechnungsergebnisse  vorgenommen  werden. 

Diese,  mögen  sie  sich  nun  auf  die  Gemeinden  oder  andere  politische 
Einheiten  oder  auf  geometrische  Figuren  oder  auf  die  durch  die  Betrachtung 
der  Karte  gewonnenen  Flächeneinheiten  beziehen,  sollten  deshalb  immer  mit 
der  Karte  zugleich  veröffentlicht  werden.  Aber  die  tabellarische  Form,  in 
der  man  sie  öfters  niedergelegt  hat,  wird  nur  selten  wirklich  genügen,  weil 
es  sehr  umständlich  ist,  die  zahllosen  einzelnen  Gebiete,  deren  Dichte 
berechnet  ist,  auf  der  Karte  zu  identifizieren.  Es  würde  dann  wenigstens 
erwünscht  sein,  dafs  durch  Ziffern  in  der  Karte  auf  die  Tabelle  verwiesen 
würde.  Bequemer  ist  es,  wenn  die  Grenzen  der  ausgemessenen  Flächen  nebst 
den  Flächen-  und  Dichtezahlen  kartographisch  niedergelegt  werden.  Wenn 
man  die  Karte  selbst  nicht  mit  Ziffern  überladen,  sondern  ihr  Übersichtlich- 
keit und  ein  gefälliges  Aussehen  bewahren  will,  kann  man  die  Grenzlinien 
und  Ziffern  auf  einem  besonderen  Blatte,  am  besten  auf  durchsichtigem 
Papier,  beigeben.  Oder  man  kann  sich  auch,  wenn  man  weniger  die  un- 
mittelbare Wirkung  der  Karte  als  ihre  weitere  Verwertung  im  Auge  hat, 
mi$  dieser  das  Rohmaterial  enthaltenden  Karte  begnügen.  Vielleicht  thäten 
die  Bearbeiter  speziellerer  Bevölkemngskarten  auch  gut,  selbst  gleich  die 
Reduktion  auf  kleinere  Mafsstäbe  vorzunehmen  und  diese  reduzierten  Karten, 
sei  es  als  Rohmaterial,  sei  es  in  ausgeführter  Zeichnung,  mit  zu  veröffent- 
lichen. Jedenfalls  stehen  sie  sich  selbst  im  Lichte,  wenn  sie  auf  alle  diese 
Hilfsmittel,  ihre  Karten  für  die  Generalisierung  geeignet  zu  machen,  ver- 
zichten; ohne  das  kann  ihre  Karte  eben  nur  für  das  Spezialstudium  der 
betreffenden  Gegend  oder  für  das  Studium  gewisser  typischer  Erscheinungen 
dienen,  aber  kein  Baustein  für  eine  gröfsere  Bevölkerungskarte  sein. 

Auch  Untersuchungen  über  die  Ursachen  der  Bevölkerungsdichte,  wenn 
die  Gröfse  des  Gebietes  ein  Zurückgehen  auf  die  Wohnplätze  unthunlich 
macht,  werden  auf  Grund  des  Rohmaterials  mit  viel  gröfserer  Leichtigkeit 
als  auf  Grund  der  ausgeführten  Bevölkerungskarte  vorgenommen.  Wir 
müssen,  wie  wir  gesehen  haben,  zu  diesem  Behufe  einerseits  die  Fläche,  über 
die  sich  die  in  Betracht  gezogenen  Natur-  oder  Kulturerscheinungen  erstrecken, 
anderseits  die  Zahl  der  auf  diesen  Flächen  lebenden  Menschen  ermitteln. 
Wenn  wir  das  Originalmaterial  einer  spezielleren  Dichtekarte  zur  Verfügung 
haben,  so  brauchen  wir  nur  die  berechneten  Flächen  auf  die  zu  untersuchenden 
Natur-  oder  Kulturerscheinungen  zu  verteilen,  um  sofort  die  Flächen-  sowie  die 
Einwohnerzahlen  addieren  und  aus  den  Summen  die  Dichte  berechnen  zu  können. 


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582    Hettner:  Unterttucbung  und  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte. 


Ebenso  läfst  sich  eine  das  Rohmaterial  enthaltende  Karte  nach  einer 
neuen  Volkszählung  verhältnismäfsig  leicht  erneuern;  denn  man  kann  im  all- 
gemeinen ja  die  Flachen  beibehalten  und  braucht  nur  neue  Bevölkerungs- 
zahlen einzusetzen,  wobei  man  sofort  sieht,  ob  die  Dichte  ungefähr  dieselbe 
geblieben  ist  oder  sich  so  verändert  hat,  dafs  sie  neu  berechnet  werden  mufs. 
Dadurch  gewinnt  man  ja  auch  gleich  einen  Überblick  über  die  Bevölkerungs- 
bewegung. 

Von  verständigen  Leuten  können,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  brauchbare 
Übersichtskarten  der  Bevölkerungsdichte  auf  Grund  der  Bevölkerungs-  und 
Flächenzahlen  gröfserer  politischer  Einheiten  gezeichnet  werden,  und  ver- 
mutlich werden  wir  uns  noch  auf  lange  hinaus  für  die  meisten  Länder  mit 
solchen  Karten  begnügen  müssen.  Aber  dieso  Karten  müssen,  wie  wir 
gesehen  haben,  in  ziemlich  hohem  Grade  willkürlich  und  ungenau  sein. 
Gröfsere  Genauigkeit  und  Freiheit  von  individueller  Willkür  ist  nur  bei 
einem  Zurückgehen  auf  die  Wohnplätze  oder  wenigstens  auf  die  Gemeinden 
möglich.  Bisher  sind  erst  verhältnismäfsig  wenige  Karten  dieser  Art  gezeichnet 
worden,  und  der  damit  verbundene  Arbeitsaufwand  ist  auch  so  grofs,  dafs 
solche  Karten  vom  Einzelnen  nur  für  kleinere  Gebiete  gezeichnet  werden 
können.  Die  so  wünschenswerte  Herstellung  guter,  nach  gleicher  Methode 
bearbeiteter  Bevölkerungskarten  ganzer  Länder,  wie  etwa  einer  Karte  des 
Deutschen  Reiches  im  Mafsstab  1 : 1  Million,  ist  wohl  nur  durch  organisierte 
Arbeit,  womöglich  unter  Mitwirkung  der  statistischen  Ämter,  möglich.  Solche 
Karten  müssen  auf  bevölkerungsstatistischen  Grundkarten,  d.  h.  Karten  der 
Wohnplätze  nach  ihrer  Einwohnerzahl,  aufbauen,  mögen  diese  nun  veröffent- 
licht sein  oder  nur  handschriftlich  aufbewahrt  werden.  Ebenso  wie  die  Auf- 
nahme geologischer  Karten  zuerst  nur  Sache  einzelner  Gelehrter  war,  später 
aber  von  den  staatlichen  Behörden  in  ihrer  Wichtigkeit  erkannt  und  in  die 
Hand  genommen  wurde,  so  wird  auch  eine  Zeit  kommen,  in  der  die  Staaten 
die  Anfertigung  guter  Bevölkerungskarten,  die  nach  jeder  Zählung  oder 
immer  nach  mehreren  Zählungen  erneuert  werden,  als  ihre  Aufgabe  erkennen. 
Die  Voraussetzung  dafür  ist  freilich,  dafs  unsere  Statistiker  sich  erst  mehr 
mit  geographischer  Bildung  durchdringen,  als  es  heute  vielfach  noch  der  Fall 
ist,  dafs  sie  sich  von  der  Unwissenschaftlichkeit  der  alten  statistischen  Karto- 
gramme, auf  die  einzelne  hervorragende  Statistiker  ja  schon  längst  hin- 
gewiesen haben,  mehr  und  mehr  überzeugen,  dafs  sie  mehr  und  mehr 
erkennen ,  wie  eine  klare  wissenschaftliche  Erkenntnis  und  darum  auch  rich- 
tige praktische  Beurteilung  nur  bei  einer  von  allen  Voraussetzungen  freien  und 
in  die  geographischen  Einzelheiten  eindringenden  Darstellung  möglich  ist. 


» 


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Max  Friederichscn:  RieBengebirgs-Exkursion.  583 

Die  Riesengebirgs- Exkursion  des  XIII.  Deutschen  Geographentages 

(31.  Mai  bis  2.  Juni  1901). 

Von  Dr.  Max  Priederiohsen,  Hamburg. 
Mit  6  Abbildungen  nach  Originalaufnahmen  des  Verfassers  (Tafel  3  und  4). 

Dein  seit  langem  üblichen  Brauch  der  Geologentage,  wissenschaftliche 
Exkursionen  den  Kongrefs -Verhandlungen  anzuschliefsen,  sind  letzthin  auch 
die  Geographentage  gefolgt.  Dementsprechend  war  in  das  Programm  des  in 
der  Pfingstwoche  d.  J.  in  Breslau  versammelt  gewesenen  XIH.  Deutschen 
Geographentages  ein  Ausflug  in  das  dem  Kongrefsort  unmittelbar  benachbarte 
Riesengebirge  aufgenommen  worden,  um  den  Geographen  Gelegenheit  zu 
geben,  mit  diesem  morphologisch  eigenartigen  und  lehrreichen  Gebirge  aus 
eigener  Anschauung  bekannt  zu  werden.  Vor  allem  galt  es  den  Spuren 
diluvialer  Vereisung  dieses  Gebirgslandes  durch  Untersuchung  der  als 
Moränen  oder  Schott erterrassen  hinterlassenen  Glacialablagerungen  nachzugehen 
und  die  morphologische  Umgestaltung  der  OberflUchenformen  des  Riesen- 
gebirges unter  dem  Einflufs  dieser  ehemaligen  Vereisung  zu  studieren. 

Niemand  kann  heutzutage  über  genannte  Probleme  sprechen,  ohne  sich 
auf  Schritt  und  Tritt  auf  die  grundlegenden  Arbeiten  des  Breslauer  Geo- 
graphen Prof.  Dr.  J.  Partsch1)  beziehen  zu  müssen.  Das  weitaus  meiste, 
was  daher  den  Teilnehmern  der  Exkursion  über  diese  Fragen  mitgeteilt  oder 
in  der  Nutur  gezeigt  wurde,  und  worüber  im  Folgenden  kurz  berichtet  werden 
soll,  beruht  auf  den  Forschungsergebnissen  ernster,  mühevoller  und  lang- 
jähriger Arbeit  dieses  Forschers.  Prof.  Partsch  persönlich  zum  sachkundigen 
Führer  zu  haben,  war  daher  für  die  Exkursionsteilnehmer  eine  unmittelbare 
Bürgschaft  für  lehrreichen  Erfolg.  Dafs  letzterer  nicht  ausgeblieben  ist,  wird 
jeder  bezeugen,  welcher  Gelegenheit  gehabt  hat,  jene  drei  sonnigen  Frühlings- 
tage im  Riesengebirge  unter  Prof.  Parts ch's  Führung  und  unter  Fürsorge 
seines  unermüdlichen  Helfers,  Privatdocenten  Dr.  Leonhard,  mitzumachen. 

Geologisch  betrachtet  ist  das  Riesengebirge  kein  selbständiges  Gebirge, 
vielmehr  der  vorwiegend  aus  Granit  und  krystallinen  Schiefern  bestehende 
G  rundstock  der  westlichen  Sudeten.  Morphologisch  ist  es  dagegen  infolge 
seiner  die  Umgebung  weit  überragenden  Erhebungsverhilltnisse  und  seines 
eigenartig  alpinen  Charakters  eine  aus  andersartiger  Umgebung  gut  und 
deutlich  zu  isolierende  Gebirgsmasse. 

Eine  natürliche  Gliederung  des  Riesengebirges  im  Sinne  der  Längsachse 
und  quer  zu  derselben  ist  unschwer  erkennbar.  Zwei  mit  einander  parallele, 
vom  Thale  der  Elbe  und  des  Weifswassers  getrennte  Gebirgsrücken  bilden 
einen  Doppelkamm,  dessen  nördlicher  aus  Granit,  dessen  südlicher  aus 
Glimmerschiefer  besteht.    Da  wo  die  vereinigten  Wasser  beider  Flüsse  den 

1)  Die  Gletscher  der  Vorzeit  in  den  Karpathen  und  den  Mittelgebirgen  Deutsch- 
lands von  J.  Partsch.  Hreslau  1882.  —  Die  Verglctscherung  des  Ricsengebirges  zur 
Eiszeit  von  J.  Partseh.  Stuttgart  1894.  Aus:  Forschungen  zur  Deutschen  Landes- 
und Volkskunde,  ßd.  8,  8.  99-194. 


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I 


584  Max  Friederichsen: 

südlichen  Glimmerschiefer- Kamm  durchbrechen,  liegt  im  nördlichen  Grauitkamm 
in  der  Mädehviese  eine  tiefe  Einsattelung.  Heide  Scharten,  durch  eine  Linie 
verbunden  gedacht,  teilen  das  Rieseugebirge  quer  zur  Längsachse  in  einen 
Ost-  und  einen  Westflügel.  Die  höchsten  Erhebungen,  darunter  der  Gipfel- 
punkt des  ganzen  Gebirges,  die  Schneekoppe  (1605  m),  liegen  im  OstÜügel. 

Den  Glacialablagerungen  des  letzteren  Gebirgstiügels  galt  der  erste  und 
ein  Teil  des  zweiten  Exkursionstages,  während  welcher  die  Teilnehmer  von 
der  böhmischen  Gebirgsseite  das  Aupathal  aufwärts  über  den  Kamm  hinüber 
und  an  den  Teichen  vorbei  nach  Krummhübel  am  schlesischen  Nordfufs  mar- 
schierten. Zu  den  Glacialerscheinungen  des  Westflügels,  speziell  an  seiner 
Nordseite  im  Gebiet  der  Schneegruben,  führte  die  Wanderung  des  dritten  Tages, 
welche  von  Agnetendorf  aus  angetreten  wurde. 

Nachdem  die  Exkursionsteilnehmer  am  31.  Mai  nach  kurzem  Aufenthalt 
in  dem  malerisch  am  Südfufs  des  Gebirges  gelegenen  Trautenau  die  Station 
Freiheit  im  Aupathal  erreicht  hatten,  begann  der  Eintritt  in  das  eigentliche 
Studiengebiet  mit  Erreichung  des  kleinen  Fleckens  Petzer  im  oberen  Aupa- 
thal. Von  hier  aus  liefsen  sich  zwei  typische  Glacialgebiete  bequem  und 
leicht  begehen,  über  welche  Partsch  eingebende  Forschungen  angestellt  hat: 

1)  Die  Endmoräne  des  alten  Braunkesselgletschers. 

2)  Die  Moräuenzüge  und  Schotterterrassen  des  Riesengrundes. 

Wenn  Partsch  von  der  Braunkessel -Endmoräne  behauptet,  sie  sei  wohl 
die  schönste  des  Riesengebirges,  so  wird  niemand,  welcher  sich  durch  Augen- 
schein hat  überzeugen  können,  daran  zweifeln.  In  prächtiger  Erhaltung  sehen 
wir  zwei  ca.  30  m  über  dem  im  Thal  fliefsenden  Bach  erhobene  Seiten- 
moränen den  Thalhang  begleiten  und  beiderseits  zur  Bildung  eines  hohen 
bogenförmigen  Eudmoränenwalles  konvergieren.  Der  Gletscher,  welcher  einst 
diese  Trümmermassen  transportierte,  wird  zweifellos  seine  Firnmassen  in  jener 
von  dem  Steilabfall  des  „Krauzcs"  umgebenen  Felswanne  gelagert  gehabt 
haben,  welche  man  heute  gen  NW  in  der  Richtung  auf  den  Fuchsberg  er- 
blickt, sobald  man  auf  der  Seitenmoräue  ansteigend  einen  die  Aussicht  ver- 
sperrenden Vorsprung  der  linken  Thal  wand  umgangen  hat. 

Waren  bereits  hier  am  Braunkessel,  beim  ersten  Zusammentreffen  der 
Exkursionsteilnehmer  mit  den  Spuren  der  Eiszeit  im  Riesengebirge,  die  grofseu 
Dimensionen  des  besichtigten  Eudmoränenwalles  auffallend,  so  wuchs  das 
Erstaunen  über  Umfang,  Klarheit  und  Grofsartigkeit  der  glacialen  Erschei- 
nungen, als  man  von  hier  über  eine  mit  erratischem  Grauitmaterial  über- 
schüttete Hügelzunge  in  das  eigentliche  Aupathal  zurückkehrte  und  in  der 
Höhe  von  ca.  810  m  dem  Ende  der  äufsersten  grofsen  Seitenmoräue  des 
Aupathalgletsehers,  welcher  einst  das  heute  als  „Riesengrund1'  bezeichnete 
obere  Thal.stück  bedeckte,  gegenüberstand.  Gleichzeitig  wies  an  dieser  Stelle 
Prof.  Partsch  auf  die  besonders  in  dem  von  links  in  das  Aupathal  ein- 
mündenden Stumpegrund  deutlich  sichtbaren  Schotterterrassen  fluvioglacialen 
Ursprunges  bin,  welche  als  Produkt  der  Ablagerung  der  Schmelzwässer  des 
Gletschereises  einen  deutlichen  und  unverkennbaren  Einflufs  auf  das  Aussehen 
des  Thalbodens  gewonnen  hatten. 

Um  Höhe  und  Charakter  des  mächtigen  Seitenmoränen  walles  im  Riesen - 


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Riesengebirgs-Exkursion  de»  XIII.  Deutschen  Geographentages.  585 


grund  näher  kennen  zu  lernen,  wurde  nahe  dem  Arbeitsplatz  eines  das  erra- 
tische Blockmateria]  verwertenden  Steinmetzen  der  Weg  zu  dem  sogenannten 
„Blaugrundki  eingeschlagen,  welcher  Pfad  auf  der  Höhe  des  Seitenmoränen  - 
zuges  mit  seinem  gigantischen  Hlockgewirr  in  60  bis  100  m  Höhe  über  dem 
Thalboden  hinführte  und  deutlich  beobachten  liefs,  wie  scharf  die  Trümtner- 
massen  des  Moränenwalles  von  dem  eigentlichen  Thalgehänge  durch  eine  tiefe 
Kinne  geschieden  wurden. 

Im  Blaugrund  selber  steht  Porphyr  au,  welcher  sich  beim  Näherkommen 
im  Moränenmaterial  der  Seiteumoräne  des  Aupagletscbers  immer  deutlicher 
und  häufiger  nachweisen  liefs,  um  von  der  Schauerhütte  an  völlig  gegenüber 
dem  bisher  vorhanden  geweseneu  Granit  zu  dominieren  und  einen  sicheren 
Beweis  dafür  zu  liefern,  dafs  hier  einst  vom  Blaugrund  her  ein  selbständiger 
Gletscher  in  den  Kieseugrund  eintrat.  „Der  Beginn  der  Granitbeimengung 
an  der  Moränenobertläche  bezeichnet  den  Punkt,  wo  die  Granit  führende 
Mittelmoräne,  welche  sich  zwischen  den  Eisströmen  des  Riesengrundes  und 
des  Blaugrundes  entwickelte,  «strandete»  und  sich  der  rechten  Uferwand 
auschlofs.*4 

Beim  Abstieg  aus  dem  unwegsamen  Moränenterrain  des  Blaugrundes 
wurde  in  60  m  Höhe  eine  zweite  jüngere,  „der  älteren  aufhockende"  Seiten- 
moräne überschritten  und  dann  im  Thalgrund,  der  einbrechenden  Dunkelheit 
weichend,  der  Heimweg  nach  Petzer  angetreten. 

Die  Besichtigung  der  innersten  Moräne,  durch  deren  deutlich  erhaltenen 
Wallring  der  Weg  zur  Schneekoppe  hindurchführt,  verschob  man  auf  den 
nächsten  Tag,  welcher  gleichfalls  wolkenlos  heraufzog  und  die  Exkursions- 
teilnehmer zu  den  verschiedensten  Morgenstunden  in  zwanglos  aufgelöster 
Marschkolonne  im  herrlichen  Riesengrund  und  über  die  idyllische  Bergschmiede 
aufwärts  zur  Schneekoppe  emporwandern  sah. 

Es  müfste  merkwürdig  zugehen,  wenn  ein  Marsch  an  einem  solchen 
Tage,  empor  an  den  steilen  Wänden  dieser  alten  Gletscherwanne  des  Ein- 
drucks auf  Jünger  der  Erdkunde  verfehlen  sollte!  Fast  modellartig  stellt  das 
Gesamtbild  dieses  Riesengrundes  in  schöner  Übersichtlichkeit  den  Typus  einer 
ehemaligen  Gletscherlandschaft  dar.  Dort  unten  zu  unseren  Füfsen  die 
letzten  Andeutungen  der  innersten  Endmoräne,  dort  drüben  am  jenseitigen 
Thalgehäuge  dio  gestern  in  mühsamer  Kletterei  überwundenen  Seitenmoränen, 
dort  vor  uns  im  Thalgrund  die  deutliche,  von  der  Aupa  in  rauschendem  Fall 
überwundene  Bodenstufc  jenes  mächtigen  ..Kahres",  dessen  steinernes  Halb- 
kreisrund  einst  die  Fimeismassen  beherbergte,  welche  die  heutige  typisch 
steilrandige  U-Form  des  von  ihm  abgeschlossenen  Wannenthaies  langsam  aus- 
arbeiteten, auf  dessen  breitem  und  flachem  Boden  aber  heute  au  Stelle  des 
Eisstromes  als  schmales  Silberfädchen  die  Aupa  zu  Thai  Hiefst.  Entzückt 
gleitet  der  Blick  immer  wieder  zurück!  Man  achtet  kaum  darauf,  dafs  bei 
weiterem  Steigen  die  Baumvegetation  zurückbleibt,  Anemonen  und  Priraelu 
der  Alpenflora  sich  einstellen  und  man  endlich  den  Rand  der  großen  Felsen- 
wanne des  Rieseugrundes  erklommen  hat,  um  nunmehr  auf  den  weiten  kahlen 
Hochflächen  des  Kammes  mit  seinen  dürftigen  Knieholzinseln  zu  stehen. 
(Abb.  1  und  2.) 


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586 


M  iix  Friederichien: 


Von  neuem  wird  man  angesichts  dieser  Hochflächen  daran  erinnert,  dafs 
die  Eiszeit  es  war,  welche  dorn  Gebirge  ihren  unverlöschlichen  Stempel 
aufgepriigt  hat.  Denn  diese  weiten  Höhen  bedeckte  einst  das  Firneis,  welches 
die  Gletscher  zu  Thal  sandte,  deren  Spuren  wir,  beispielsweise  im  Riesen- 
grund, kennen  lernten.  Das  Eis  schaffte  die  gewaltigen  Gesteinstrümmer- 
massen  zu  Thal,  deren  Material  heute  in  den  Moränen  steckt,  welche  aber 
einst  als  auf  den  Hochflächen  des  Kammes  lagernd  angenommen  werden 
müssen.  Das  diluviale  Eis  ist  also  als  ein  Hauptgrund  dieser  auffallenden 
heutigen  Schuttfreiheit  zu  betrachten  und  die  Rundung  und  sanfte  Linien- 
führung der  Hochflüchen  des  Kammes  zu  nicht  geringem  Teile  ein  Resultat 
der  hobelnden  und  schleifenden  Arbeit  des  einst  aufgelagert  gewesenen  und 
thalwärts  gleitenden  Eises  anzusehen. 

Desto  gröfser  wirkt  der  Kontrast  der  wenigen  Hochgipfel,  welche  diese 
Hochflächen  des  Kammes  überragen,  vor  allem  der  Schneekoppe,  deren  steil- 
wandiger Kegel  einem  gewaltigen  Trümmerhaufen  aus  Granit  und  Glimmer- 
schiefer gleicht,  dabei  aber  als  Aussichtswarte  einen  selten  schönen  Stand- 
punkt gewahrt. 

Mit  Interesse  erkennt  man  hier  von  der  Koppe  (Abb.  l)  aus,  dafs  dem 
tiefen  Wannenthal  des  Riesengrundes  auf  der  böhmischen  Seite  ein  ahnlich 
steil  abfallendes  Hochthal  auf  dem  schlesischen  Hange,  der  Melzergrund, 
entspricht.  Schon  seine  morphologische  Trogform  deutet  auf  glaciale  Ver- 
gangenheit hin,  wie  solche  auch  auf  Basis  der  durch  Partseh 's  sorgfältige 
Studien  aufgefundenen  Seitenmoränen  hinlänglich  bewiesen  ist.  Scharf  sicht- 
bar, deutlich  wie  in  einem  Modell  liegt  zwischen  beiden  Gründen  ein 
schmaler  Wasserscheiderücken,  über  welchen  der  Weg  von  der  Riesenbaude 
zur  Schneekoppe  führt,  und  welcher  die  Einzugsgebiete  der  Aupa  (Elbe)  von 
denen  der  Lomnitz  (Oder)  trennt. 

Noch  etwas  weiteres  lehrt  der  Blick  von  der  Koppe,  die  Erkenntnis  des 
starken  Kontrastes  zwischen  dem  Steilabbruch  des  Gebirges  gen  N,  gegen 
das  Einbruchsbecken  des  Hirechberger  Kessels  auf  der  schlesischen  Seite  und 
des  weit  sanfteren  Abfalles  nach  Böhmen.  Diese  Konfiguration  des  Gebirges 
hat  auch  auf  die  Thalbildung  und  die  der  Thalbildung  folgende  Ver- 
gletscherung ihren  ausschlaggebenden  morphologischen  Einfluls  ausgeübt, 
indem  grofse  wohlentwickelte  und  später  bis  weit  herab  vergletschert  ge- 
wesene Thäler  vorwiegend  am  sanfteren,  böhmischen  Südabfall  auftreten,  die 
schlesischen  Thäler  des  Nordhanges  dagegen  einzeln,  ohne  grofse,  kompliziertere 
Thalzüge  zu  veranlassen,  der  steileren  Neigung  des  Gehänges  in  direkter  Süd- 
Nordrichtung  folgen.  Daher  zeigen  letztere  niemals  derartig  weit  verzweigte 
und  tief  ausgearbeitete  glaciale  Wannen,  wie  das  Aupa-Thal,  wohl  aber  an 
ihren  Enden  analoge  Felskesselbildungen,  aus  deren  Halbrund  einst  kurze, 
aber  mächtige  Hängegletscher  herabhingen. 

Für  diese  im  Riesengebirge  als  „Gruben"  bezeichneten  alten  Firnmulden 
lernten  die  Exkursionsteilnehmer  bei  der  Kamrawanderung  am  Morgen  des 
I.  .luui  zwischen  Koppe  und  Prinz  Heinrich -Baude  in  den  beiden  Teichen 
treffliche  Beispiele  kennen,  deren  grofsartige  Scenerie  besonders  von  der  Höhe 
des  Kammes  aus  instruktiv  und  landschaftlich  reizvoll  erschien.    Sofort  unter- 


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RietengebirgH-Kxkursion  des  XIII.  Deutschen  Geographentages.  Ö87 


schied  das  Auge  heim  Niederhlick  vom  Kahrraude  oberhalb  der  Teiche  eine 
Reihe  von  Morilnenzügen ,  deren  Walle  als  deutliche  Seiten-  oder  Mittel  - 
morilnen  der  einst  die  Teichkessel  erfüllenden  Gletscher  erkannt  zu  werden 
vermochten.  Die  wirren,  knieholzbewachsenen  Blockmassen  dieser  Moränen 
gaben  der  Landschaft  im  Vorterrain  der  Teiche  ihr  von  den  benachbarten 
sanften  Vorhügeln  des  Riesengebirges  stark  kontrastierendes  Gepräge.  Von 
ihrer  Unwegsamkeit  bekamen  freilich  an  dieser  Stelle  die  Exkursionsteilnehmer 
infolge  der  das  Moränenterrain  nur  an  den  Grenzen  schneidenden  Führung 
keinen  Begriff. 

Am  Grunde  der  beiden  Felsenkessel  liegen  die  stillen  Spiegel  der 
Teiche,  welche  von  zwei  mächtigen  Blockwällen  gegen  Norden  abgedämmt 
sind  und  von  Bartsch  als  Endmoränenstauseen  aufgefafst  werden.  Bei  der 
geringen  Entfernung  des  Walles  von  dem  Kahrhintergrund  der  Felswände, 
in  welchen  einst  der  alte  Gletscher  ruhte,  scheint  es  freilich  bedenklich,  hier 
an  eine  echte  Endmoräne  zu  denken.  Prof.  G.  Gürich1)  hält  denn  auch 
die  Dämme  beider  Teiche  für  das  Produkt  wiederholter  Steinlawinen,  welche 
sich  unter  der  Einwirkung  denudierender  Kräfte  vom  Kesselhintergrund  ab- 
lösten und  zur  Zeit  bereits  sehr  bedeutenden  Rückganges  des  Gletschers  auf 
diesem  abwärts  gleitend  den  Wall  auftürmten.  Verfasser  hat  sich  bei  seiner 
geringen  Ortskenntnis  selbstredend  jedes  vorschnellen  Urteils  zu  enthalten, 
glaubt  aber  der  Gürich'schen  Ansicht  auf  Grund  seiner  Autopsie  zuneigen  zu 
dürfen  und  hält  es  nicht  für  ausgeschlossen,  dafs  Steinschlag  in  Lawineuform 
den  Abschlufswall  aufgetürmt  haben  könnte.  Ein  Zweifel  an  der  Thatsache 
ehemaliger  Vergletscherung  der  Teichkessel  wird  natürlich  dadurch  keineswegs 
ausgesprochen,  denn  diese  wird  zur  Genüge  durch  die  Moränen  im  Vorterrain 
bewiesen. 

Der  Abstieg  von  der  Kammhöhe  oberhalb  der  Teiche  führte  die  Ex- 
klusion an  der  Schlingelbaude  in  die  Nähe  des  sog.  „Katzenschlosses'4  (Abb.  3), 
einer  jener  für  das  Riesengebirge  charakteristischen,  phantastisch  verwitterten 
granitischen  Gangpartien.  Der  Besuch  dieses  „Katzenschlosses"  war  für  Ver- 
fasser insofern  lohnend,  als  dasselbe  besonders  schön  alle  jene  Charakteristika 
erkennen  liefs,  welche  man  vielen  ähnlichen  auf  den  Hängen  des  Riesengebirges 
ausgewitterten  Granitklötzen  nachrühmt.  Die  für  die  typischen  Verwitterungs- 
formen des  Granites  bedingende  zweifache  Zerklüftung  in  vertikalem  und 
horizontalem  Sinne  erkannte  man  in  vollendeter  Weise  sowohl  in  ihrer  ersten 
Anlage,  als  auch  in  der  originellen  „Wollsackform"  ihres  Endproduktes.  Dazu 
kam  die  Möglichkeit,  auf  der  Oberfläche  der  Granitplatten  jene  vielbesprochenen, 
im  Volksmunde  „Opferkessel"  benannten  Witterlöcher  zu  studieren,  deren  eins 
auch  in  der  Höhe  der  Granitmauer  sich  armsesselartig,  halb  aufgeschnitten 
zeigte  (Abb.  3).  Speziell  letztere  Beobachtung  war  von  Interesse,  weil  schon 
sie  zu  zeigen  vermochte,  wie  willkürlich  diese  Vertiefungen  angeordnet  sein 
können  und  wie  sehr  sie  den  ausgesprochenen  Charakter  von  Verwitterungs- 
löchern zeigen. 

Dies  war  von  Wert,  da  es  in  dem  weiteren  Programm  der  Exkursion 
1)  Geologischer  Führer  in  da«  Riesengebirge,  Berlin  1900,  S.  189. 


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58« 


Max  Friederichsen: 


vorgesehen  war,  den  Unterschied  zwischen  einem  echten  Strudelloch  und 
solchen  fälschlich  als  ,.glaciale  Gletschertöpfe'*  von  Behrendt  angesprochenen 
und  zum  Beweise  einer  ausgedehnten  Vereisung  des  gesamten  Nordhanges  des 
Riesengehirges  verwerteten  Verwitterungslöchern  in  Granit  zu  demonstrieren. 

Das  Strudelloch,  welches  diese  Strukturunterschiede  zeigen  sollte,  war 
das  von  Kramsta  1892  in  der  Lomnitz  gefundene,  über  welches  im  weiteren 
Verlauf  der  Exkursion  am  frühen  Nachmittag  des  1.  Juni  der  Abstieg  aus 
dem  Vorland  der  Teiche  genommen  wurde.  Prof.  Partsch  hatte  vorsorglich 
dieses  mannstiefe  Strudelloch  ausschöpfen  lassen  und  es  durch  Hineinsetzen 
einer  kleinen  Leiter  ermöglicht,  dafs  die  Teilnehmer  der  Exkursion  sich  von 
den  spiralig  gedrehten,  von  den  Scheuersteinen  völlig  glatt  polierten  Wan- 
dungen dieses  Strudelloches  durch  eigenen  Augenschein  und  aus  nächster 
Nähe  zu  überzeugen  vermochten.  Später,  am  Nachmittag  des  nächsten 
Tages,  konnte  sich  jeder  au  dem  sog.  „Opferstein''  bei  Agnetendorf  durch 
Vergleich  seiner  Erfahrungen  über  die  Struktur  eines  solchen  Strudelloches 
(welches  im  Flufsbett  bekanntlich  genau  wie  die  „Gletschertöpfe"  auf  dem 
Grunde  eines  Gletschers  entsteht)  überzeugen,  dafs  von  einer  weitgehenden 
Formenähnlichkeit  der  Witterlöcher  des  Riesengebirgsgranites  mit  Gletscher- 
töpfen, und  demnach  von  einer  Berechtigung  der  Behrendt'schen  Annahme 
einer  alten  Vergletscherung  des  ganzen  Nordhanges  des  Riesen gebirges  auf 
Grund  dieser  Witterlöcher  absolut  keine  Rede  sein  kann.  Wie  schon  der  im 
Vorstehenden  oft  benutzte  Name  „Witterlöcher"  andeuten  soll,  wird  man  es 
vielmehr  mit  durch  Verwitterungsvorgänge  hinlänglich  erklärbaren  Vertiefungen 
zu  thun  haben. 

Mit  Demonstration  des  Lomnitzstrudelloches  schlofs  für  einen  grofsen 
Teil  der  Exkursionsteilnehmer  der  wissenschaftliche  Teil  dieser  Riesengebirgs- 
wauderung,  denn  von  Krummhübel  aus  beabsichtigte  das  Gros  die  Heimfahrt 
anzutreten.  Nur  eine  kleine  Schar  wollte  sich  um  keinen  Preis  die  viel- 
leicht nie  wiederkehrende  Gelegenheit  entgehen  lassen,  unter  Prof.  Partsch 's 
Führung  einen  Blick  in  das  bei  Cunersdorf  und  Hennsdorf  von  Norden  in 
den  Hirschberger  Kessel  eindringende  nordische  Diluvium  zu  thun  und  vor 
allem  an  der  für  den  nächsten  Tag  von  Agnetendorf  geplanten  Begehung  der 
Schueegruben  teil  zu  nehmen. 

Auch  dieser  letzte  Tag  war  wolkenlos  und  aussichtsklar,  und  als  man 
von  Agnetendorf  über  die  Korallensteine  wandernd  den  Hochwald  des  Gebirgs- 
huuges  durchschritten  und  plötzlich  vor  dem  Einblick  in  die  sonnenbestrahlte 
grofse  Schneegrube  (Abb.  4)  stand,  da  schwelgte  das  Auge  in  dem  Anblick 
eines  für  deutsche  Mittelgebirge  unerwartet  romantisch- wilden  Landschaftsbildes. 

Halbkreisförmig  geschlossen,  wie  bei  den  beiden  Teichen,  lag  wiederum 
ein  typisches  Kahr  vor  dem  Wanderer,  abgesperrt  durch  einen  hohen  Block- 
wall (Abb.  1),  welcher  auch  hier  infolge  der  Nähe  der  Wände  des  Kahrs 
als  eigentliche  Endmoräne  von  Prof.  Gürich  angezweifelt  wird,  über  doch 
unter  Berücksichtigung  seiner  Form  und  der  völligen  Blockfreiheit  des  dahinter 
gelegenen  Kahrbodeus  gar  manche  Anzeichen  einer  solchen  Bildung  trägt. 
Davor  liegen  von  einer  deutlich  erkennbaren  zweiten,  weiter  ausgerückten 
bogenförmigen  Moräne  gen  Norden  abgedämmt  die  Kochelteiche  (Abb.  5)  als 


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Ricsengebirgs-Exkursion  des  XIII.  Deutschen  Geographentages.  589 


echte  Moränenstauseen,  deren  Wasser  in  dem  gigantischen  Blockgewirre  des 
Vorterrains  der  Grofsen  Schneegrube  einen  unterirdischen,  dem  Auge  unsicht- 
baren Abflufs  finden.  Überall,  wohin  der  Fufs  schreitet,  liegt  er  im  Kampf 
mit  diesem  Trümmermeer  und  dem  die  Blöcke  üppig  überwuchernden  Knie- 
holzdickicht  Es  ist  für  die  Teilnehmer  der  Exkursion  eine  harte  Arbeit, 
sich  durch  dieses  Terrain  hindurchzukämpfen,  um  über  den  blockübcrsäten 
Riegel  der  westlichen  Schneegrubenflanke  in  das  Moränenterrain  der  benach- 
barten Kleinen  Schneegrube  (Abb.  6)  vorzudringen.  Weniger  grofsartig  aber 
morphologisch  in  den  gleichen  Formen  des  typischen  Kahrs  wiederholt  sich 
hier  das  gleiche  Bild,  nur  fehlen  die  zwei  inneren  deutlichen  Wälle  der  Grofsen 
Schneegrube.  Vielmehr  gelangt  der  Wanderer  über  ein  unwegsames  Block- 
feld direkt  zu  der  das  Vorterrain  beider  Schneegruben  gemeinsam  absperrenden 
Stirnmoräne  und  jenseits  derselben  auf  die  im  Terrainbild  ungemein  deutliche 
Seitenmoräne  einer  einst  weit  vorgeschoben  gewesenen  Gletscherzunge,  welcher 
im  Vorland  der  Grofsen  Grube  in  den  sog.  Bärlöchern  ein  analoger  Gletseher- 
vorstofs  entsprochen  haben  mufs.  Prof.  Partsch,  welcher  bereits  1880  und 
später  1893  unter  grofsen,  bewundernswert  erfolgreich  überwundenen  Schwierig- 
keiten die  genaue  Kartierung  dieses  schwierigen  Moränenterrains  der  Schnee- 
gruben in  1  :  10  000  unternommen  hat,  gründete  speziell  auf  die  Thatsache 
des  Aussendens  dieser  beiden  getrennten  Moränenzungen  einen  Hauptbeweis 
für  die  Annahme  zweier  durch  einen  Gletscherrückgang  getrennter  Eiszeiten 
des  Gebirges.  Er  nahm  an,  dafs  zur  Zeit  der  ersten  grofsen  Vereisung  die 
beiden  Schneegruben  noch  durch  einen  trennenden  Felsriegel  völlig  von  einander 
geschieden  gewesen  seien  und  ihre  Gletscher  getrennt  in  der  heute  noch  in 
der  Zungenform  ihrer  Moränen  sich  wiederspiegelnden  Form  zu  Thal  gingen. 
Dafür  spricht,  dafs  Partsch  Basaltgeröll  aus  dem  nur  in  der  Kleinen  Grube 
vorhandenen  Basaltgang  nur  in  der  Moränenzunge  der  Kleinen  Grube  gefunden 
hatte,  also  eine  Kommunikation  der  Gletscher  beider  Gruben  in  dieser  ältesten 
Periode  nicht  bestand.  „Eine  neue  Vergletscherung  fand  den  scheidenden 
Grat  zwischen  beiden  Gruben  so  weit  abgetragen,  dafs  er  keine  nachhaltige 
Schranke  mehr  zwischen  ihren  Gletschern  zu  bilden  vermochte,  vielmehr  beide 
zusammenflössen  in  eine  breite  Eismasse,  vor  deren  Front  ein  einheitlicher 
Moränenwall  sich  auftürmte." 1 )  Dabei  hielt  Partsch  ganz  ausdrücklich  an 
zwei  zeitlich  auseinanderfallenden  Gletscherperioden,  nicht  an  verschiedenen 
Stadien  einer  Vergletscherung  fest. 

Die  ganze  Frage  wurde  naturgeraäfs  auch  von  den  Exkursionsteilnehmern 
an  Ort  und  Stelle  eingehend  diskutiert,  und  es  war  bemerkenswert,  dafs  die 
alpin  so  erfahrenen  Professoren  Finsterwalder  und  Crammer  sehr  nachdrück- 
lich darauf  hinwiesen,  „dafs  auch  der  Gletscher,  welcher  die  untere  Moränen- 
landschaft aufbaute,  im  gröfsteu  Teil  seiner  Erstreckung  ein  mächtiger,  ein- 
heitlicher Körper  gewesen  sein  könne,  der  sich  erst  an  seinem  Ende  unter 
Einwirkung  irgend  einer  leisen  Divergenz  der  Böschungsrichtung  des  Ge- 
hänges in  zwei  Zungen  gespalten  habe.  Solche  Teilungen  eines  Gletscherendes 
in  auseinandergehende  Lappen  seien  nicht  allzu  selten".     Dann  würde  das 


1)  Partsch.  Vergletscherung  des  Riesengebirges,  S.  131. 


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590 


Max  Friederiehscn:  RiesengebirgH-Exkursion. 


Vorhandensein  zweier  Gruben  und  zweier  Gletscherzungen  nur  zufällig  sein 
und  nieht  in  innerem  ursächlichen  Zusammenhang  stehen.  Besonders  bemerkens- 
wert erschien  Verfasser  eine  Bemerkung  Prof.  Gürich's,  welcher  den  Basalt 
der  Kleinen  Schneegrube  einmal  auch  im  Moränenterrain  der  sog.  „Bärlöcher", 
d.  h.  also  im  ältesten  Moränenwall  der  Grofsen  Schneegrube  beobachtet  hatte. 

Es  dürfte  die  Diskussion  dieser  strittigen  Fragen  mit  gewiegten  Kennern 
an  Ort  und  Stelle  vielleicht  zu  einer  erneuten  Revision  der  bisherigen  An- 
sichten Prof.  Partsch's  über  die  Anzeichen  einer  zweimaligen  zeitlich  unter- 
schiedenen Vergletscherung  der  Schneegruben  führen.  Jedenfalls  schien  es  bei 
dem  augenblicklichen  Stand  unserer  Kenntnis  auch  Prof.  Partsch  „sehr  wohl 
möglich,  wenn  auch  noch  nicht  bewiesen1',  dafs  wir  es  im  Kiesengebirge  nur 
mit  verschiedenen  Stadien  einer  Eiszeit  zu  thun  haben.  Welcher?  ist  eine 
offene  Frage. 

War  an  den  Schneegruben  der  Meinungsaustausch  mit  den  Kollegen  aus 
den  Alpen  von  dauerndem  Wert  für  die  wissenschaftlichen  Probleme  der 
Vergletscheruug  des  Riesengebirges,  so  war  an  anderen  Stellen  das  Urteil  des 
gleichfalls  an  der  Exkursion  teilnehmenden  Prof.  Wahnschaffe,  des  Chefs  der 
geologischen  Flachlandsaufnalunen  in  Norddeutschland,  von  dauernder  Be- 
deutuug  für  die  Forschung.  So  wurde  durch  diesen  erfahrenen  Kenner  der 
(ilacialablagerungen  Prof.  Partsch's  bereits  1898  gebildetes  abfälliges  Urteil 
über  die  angeblichen  (Ilacialablagerungen  bei  Liebau  auf  der  böhmischen 
Gebirgsseite  bestätigt,  und  der  Abstecher,  welcher  von  einigen  Mitgliedern  zu 
der  fraglichen  Stelle  gemacht  wurde,  hatte  den  Erfolg,  dafs  der  von  dem 
Geh.  Bergrat  Althaus1)  angenommene  12%  km  lange  diluviale  Bobergletscher 
bei  Liebau  definitiv  aus  der  Litteratur  wird  verschwinden  müssen.  Der  hier 
von  Althaus  begangene  Irrtum  schien  so  frappierend,  dafs  Prof.  Wahnschaffe 
die  Aufnahme  und  spätere  Veröffentlichung  eines  Protokolls  des  Thatbestandes 
veranlafste. 

Auch  zu  dem  Nachweis  der  Anfechtbarkeit  der  gerade  bei  Eröffnung  des 
Breslauer  Geographentages  publizierten8)  Untersuchungen  Dr.  Emil  Werth's 
über  vermeintliche  (ilacialablagerungen  im  Hintergrund  der  Eglitz,  des  Flüfs- 
chens  von  Schmiedeberg,  gab  die  Exkursion  Aulafs.  Zwar  nahmen  die  Ex- 
kursionisten  an  diesem  Ausflüge  nicht  mehr  teil,  aber  Prof.  Partsch  allein 
besuchte  die  Stellt«.  Die  „mächtigen  Schotter"  Werth's  waren  Gehängeschutt 
und  die  angebliche  hohe  Endmoräne  des  sog.  „Hirschgrabens"  stellte  sich  als 
der  künstliche  Staudamm  eines  alten  Teiches  heraus. 

So  hat  denn  die  Riesengebirgsexkursiou  des  XIII.  Deutschen  Geographen* 
tages  nach  jeder  Richtung  einen  günstigen  und  lehrreichen  Verlauf  genommen 
und  durch  den  lebhaften  Meinungsaustausch  über  strittige  Punkte  durch  be- 
rufene Männer  auch  der  direkten  Förderung  und  Aufklärung  der  interessanten 
Eiszeit probleme  des  Rieseugebirges  gedient,  sowie  Austofs  zu  erneuten  Unter- 
suchungen gegeben. 

I)  ZeitHchr.  d   I>.  (Vol.  <Je*.  1K1IG. 

II)  Neues  Jahrbuch  f.  Mineralogie. 


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nitt 


„Melxerifrtiml"  dp»  Leu  Ii  Thal«*« 


Tafel  3. 


Pbvl.  Dr.  M    I    i.    .,!■!,-.  ,, 


»iniin'ii. 


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Geographische  Zeitschrift.    Jahrgang  VLL 


Tafel  4. 


IMi.  l.  l'r  M.  t  rii  ili  rli  U.i  i>. 

5.  Die  Kochelteiche  im  Morünenterrain  tler  ftroften  Schneegrube. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


591 


Geographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fit?. au. 


Allgemeines. 

*  Die  Erforschung  der  Temperatur 
in  den  höchsten  Luftschichten  hat 
Teisserenc  de  Bort,  der  Leiter  der 
Wetterwarte  in  Trappes,  seit  drei  Jahren 
planmäfsig  betrieben,  indem  er  in  regel- 
mäfsigen  kurzen  Zeitabständen  kleine  un- 
bemannte Ballons  absendet,  die  mit 
selbstregistrierenden  meteorologischen  In- 
strumenten ausgestattet  sind.  Im  ganzen 
Kind  bisher  240  solcher  Ballons  erfolg- 
reich aufgelassen  worden,  und  de  Bort 
hat  jetzt  über  die  Ergebnisse  seiner  Be- 
obachtungen an  die  Pariser  Akademie 
der  Wissenschaften  berichtet.  Es  haben 
sich  daraus  einige  wichtige  Schlüsse  auf 
den  Zustand  der  höheren  Luftschichten 
ergeben,  die  eine  wesentliche  Berichtigung 
der  bisherigen  Annahmen  herbeiführen 
werden.  Zunächst  ist  die  Thateacho  zu 
erwähnen,  dafs  bis  zu  einer  Höhe  von 
mindestens  10  km  über  der  Erde  der 
Wechsel  der  Jahreszeiten  in  beträchtlichen 
Schwankungen  der  Temperatur  zum  Aus- 
druck kommt.  Diese  jahreszeitliche 
Temperaturschwankung  nimmt  allerdings 
mit  steigender  Höhe  ab.  Am  Erdboden 
beträgt  sie  im  Mittel  17°  für  jenen  Be- 
obachtungsort, in  5  km  Höhe  etwa  14'/,° 
und  in  10  km  12°.  Im  Januar,  wenn  in 
Trappes  eine  mittlere  Monatstemperatur 
von  0,9°  herrscht,  hat  die  Luft  in  ö  km 
Höhe  eine  Temperatur  von  —  19°  und 
10  km  hoch  eine  solche  von  —  52°.  In 
den  Monaten  März  und  April  ist  in 
diesen  Höhen  die  Kälte  noch  etwas  gröfser. 
Eine  bedeutende  Erwärmung  der  oberen 
Luftschichten  macht  sich  erst  im  Juli  be- 
merkbar; während  im  Juni  in  5  km  Höhe 
noch   fast  —  17"  und  in  10  km  über 

—  61°  verzeichnet  wurden,  steigt  die 
Temperatur  im  Juli  in  :>  km  Höhe  auf 

—  9°.  Am  wärmsten  ist  «He  Luft  dieser 
Schicht  im  September  mit  —  7,2°. 
Niemals  steigt  die  Temperatur  in  diesem 
Abstand  von  der  Erdoberfläche  über  den 
(iefrierpunkt,  sondern  sie  schwankt 
zwischen  —  7,2°  und  —  21, x"  im  Monats- 
mittel. In  10  km  Höhe  findet  sich  die 
höchste  Temperatur  ebenfalls  im  Sep- 


tember, sie  beträgt  aber  —  41,8°,  kommt 
aber  in  ihrem  Maximum  schon  der 
gröfsteu  Kälte  gleich,  die  auf  der  Erd- 
oberfläche überhaupt  zu  beobachten  ist, 
die  niedrigste  Temperatur  ist  —  63,7°  im 
April.  Im  Sommer  mufs  man  etwa 
3600  m  emporsteigen,  um  die  Temperatur 
des  Gefrierpunktes  zu  erreichen,  im  Winter 
nur  100  m.    (A.  Zt.  Wschl.  Beil.  Nr.  199.) 

*  Die  Frage  nach  der  atmosphä- 
rischen Wärmestrahlung  ist  durch 
die  Untersuchungen,  die  Frank  Very 
in  Nordamerika  ausgeführt  hat,  zu  einem 
vorläufigen  Abschlufs  gebracht  worden. 
Bekanntlich  gelangen  die  leuchtenden 
Strahlen  der  Sonne  mit  nur  geringer 
Schwächung  beim  Durchgang  durch  die 
Luft  auf  den  Erdboden.  Hier  werden  sie 
absorbiert,  der  Boden  erwärmt  sich  da- 
durch und  strahlt  seinerseits  Wärme  in 
die  Atmosphäre  zurück.  Diese  dunkeln 
Wärmestrahlen  läfst  die  Luft  aber  nicht 
so  leicht  wieder  durch  wie  die  leuchten- 
den Strahlen,  sie  absorbiert  sie  vielmehr 
und  wird  dadurch  erwärmt.  Die  Atmo- 
sphäre wird  also  nicht  sowohl  von  oben 
als  vielmehr  von  unten,  vom  Boden  her, 
erwärmt,  weshalb  auch  die  Temperatur 
mit  der  Höhe  abnimmt.  Die  Absorptions- 
fähigkeit der  Luft  hängt  nach  den  Unter- 
suchungen Very's  hauptsächlich  von  ihrem 
Gehalt  an  Wasserdampf  und  Kohlensäure 
ab;  wäre  die  Luft  völlig  trocken  und 
rein,  bestände  sie  lediglich  aus  Sauer- 
stoff und  Stickstoff,  so  würde  die  Boden- 
wärme rasch  und  zum  gröfsten  Teil  bei 
Nacht  in  den  Weltraum  entweichen  und 
selbst  zur  heifsesten  Sommerszeit  müfste 
bald  nach  Sonnenuntergang  Frost  ein- 
treten. Das  Wüstenklima  der  Sahara  mit 
ihrer  reinen  und  trockenen  Luft  zeigt 
analoge  Vorgänge.  Durch  den  Wasser- 
dampf und  die  Kohlensäure  der  Atmo- 
sphäre wird  also  die  nächtliche  Aus- 
strahlung und  damit  die  Erkaltung  des 
Bodens  vermindert,  ihr  Vorhandensein 
wirkt  allgemein  temperaturausgleicheud. 
Wo  der  Boden  feucht  ist,  sind  die  Ände- 
rungen der  Temperatur  geringer  al»  da, 
wo  er  trocken  ist,  da  über  feuchtem 
Boden  auch  die  Luft  viel  Feuchtigkeit 


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592 


Geographische  Neuigkeiten. 


enthält.  Auf  hohen  Bergen  ist  die  direkte 
Wärmewirkung  der  Bonne  zwar  gröfser 
als  in  der  Tiefe,  aber  weit  erheblicher 
ist  dort  die  Wärmeaustrahlung  und  daher 
dio  niedrige  Temperator  der  Hochgipfel. 
Die  hohen  Temperaturen  in  der  hei  Tuen 
Zone  oder  am  Meeresspiegel  sind  weniger 
eine  direkte  Wirkung  der  Sonnenbe- 
strahlung als  vielmehr  der  feuchten 
Atmosphäre,  die  eine  Wärmeausstrahlung 
des  erwärmten  Hodens  verhindert,  und 
die  niedrigen  Wiutertemperaturen  ver- 
danken wir  hauptsächlich  dem  tiefen 
Stande  der  Sonne,  die  dann  den  Boden 
nur  wenig  zu  erwärmen  vermag.  Die 
Frage,  ob  bei  dem  stetigen  Gehalt  der 
atmosphärischen  Luft  an  Wasserdampf  und 
Kohlensäure  überhaupt  Wärme  mittelst 
direkter  Ausstrahlung  durch  die  Atmo- 
sphäre in  den  Weltraum  hinaus  ent- 
weichen kann,  ist  durch  Very's  Unter- 
suchungen dahin  entschieden  worden, 
dafs  mindestens  '20  Prozent  der  Wärme, 
welche  die  Erdoberfläche  durch  die  Sonne 
empfängt,  durch  Ausstrahlung  in  den 
Weltraum  verloren  gehen.         iK.  Zt.) 

*  Der  Staubfall  vom  11.  März  ist 
für  «Ii«'  (i  1  et  scher  forsch  ung  von  prak- 
tischer Bedeutung  geworden,  wie  K. 
Richter  im  Globus,  Bd.  LXXX.  S.  145 
mitteilt  Dieser  Gletscherforscher  schreibt : 
Die  Schneelage  des  Winters  11100/15)01  in 
den  Ostalpen  ist  also  durch  eine  rötliche 
Schicht  gekennzeichnet.  Damit  haben  wir 
aber  eiu  ausgezeichnetes  Hilfsmittel  für 
die  (iletscherforschung  gewonnen.  Schon 
lange  ist  es  ein  Trogrammpunkt  der  (Jlet- 
seheruntersuchungen,  eine  gröfsere  Fläche 
eines  Firufeldes  zu  färben,  um  den  Weg, 
den  gerade  diese  Jahrcsschicht  in  »lern 
bewegten  Gletscher  zurücklegt,  verfolgen 
zu  können,  die  Deformationen  und  Ver- 
legungen zu  beobachten,  welche  sie 
durchmacht,  und  die  Schicksale  zu  ver- 
stehen, die  sie  beim  Passieren  von  Glet- 
scherbrüchen,  Sjuiltensyst einen  u.  s.  w.  er- 
lebt. Die  Natur  hat  uns  nun  den  grol'sen 
Gefallen  gethan,  eine  solche  Färbung  der 
Firnfelder  mit  freigebiger  Hand  imgrölsten 
Stile  vorzunehmen.  An  uns  ist  es,  in  den 
nächsten  Jahren  und  Jahrzehnten  an 
Spaltenwänden  und  nuf  den  aperen  Glet- 
schern nachzusehen,  wo  das  Ausgehende 
der  roten  Schicht  sich  findet,  und  beson- 
ders wie  es  sich  zur  blauen  Minderung 
verhält.    Auf  diese  Weise  kann  eine  der 


schwierigsten  Fragen  der  Gletscherkunde 
gelöst  werden. 

Europa. 

*  (  her  die  abnorm  zunehmende  Vcr- 
landung  der  Seen  der  französischen 
Vo ge  s e  n  macht  Werner  im  <  J lobus  Bd .  HO, 
Nr.  8  interessante  Mitteilungen.  Der  See 
von  (ü'rardmer  besafs  l«60  über  40mTiefe, 

1899  nur  noch  35. Um,  der  See  von  Longenier 
18(10:  35  m,  18XH:  29,4  m  und  1897  nur 
noch  28  in.  Der  See  von  Hetournemer 
1877:  19  m,  1889:  11,0  m,  1894:  10,2  m. 
Zahlreiche  andere  kleine  Seen  und  etangs 
bei  la  Bresse  und  Hemiremont  sind  im 
Austrocknen  begriffen.  Die  Ursache  dieser 
interessanten  Erscheinung,  die  in  so  ekla- 
tanter Weise  bei  anderen  (Jcbirgsseen  bin 
jetzt  noch  nicht  konstatiert  werden  konnte, 
ist  durch  «icröllablagerung  «1er  hinein- 
niefsenden  Gewässer  und  allmähliche  Ver- 
torfung allein  noch  nicht  genügend  auf- 
geklärt und  bedarf  jedenfalls  noch  weiterer 
l'ntersuchungen.  W.  H. 

*  Die  Höhe  des  Ätna,  die  wie  bei 
allen  Vulkanen  wegen  der  bei  Eruptionen 
möglichen  Aufschüttungen  des  Eruptions- 
kegels  im  Laufe  der  Zeit  veränderlich  ist, 
ist  bisher  zu  3313  m  angegeben  worden. 
Gelegentlich  der  im  Jahre  1900  stattge- 
habten geodätischen  Vermessungen  zwi- 
schen Sizilien  und  Malta  stellten  die  Teil- 
nehmer an  dieser  Arbeit  jjenaue  Höhen- 
messungen  am  Ätna  an,  aus  denen  sich 
ergab,  dafs  der  höchste  Punkt  des 
Tüpfels  sich  3279  m  über  den  Spiegel  des 
Mittelmeeres  erhebt;  der  Kraterrand  be- 
safs eine  gröfste  Breit«'  von  527  in.  seine 
Tiefe  war  252  m  und  seiu  Boden  war 
1328,'»  m  vom  Observntoriiini  Bellini  ent- 
fernt. 

Asien. 

*  ("her  den  Fortgang  von  Kozlov's 
Erforschung  Zentralasiens  im  Quell- 
gebiet des  Hoangho  und  Jangtsekiang 
berichten  Briefe  Kozlov's,  die  bis  zum 
September  v.  J.  reichen  und  über  lVking 
nach  Petersburg  gelangt  sind.  Danach 
brach  «lie  Expedition  nach  ihrer  Vereini- 
gung in  Liang-Tschou  .'s.  S.  294)  im  März 

1900  über  den  Kuku-Nor  nach  West- 
Tsaidam  auf,  errichtete  bei  Barun-Tsassak 
eine  meteorologische  Station  und  wandte 
sich  «lann  südwärts  zum  oberen  Hoangho 
nach  den  Zwillingsseen  Tbaring-Nor  un«l 


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Geographische  Neuigkeiten. 


593 


Oring-Nor,  die  der  Hoangho  durchfliegst. 
Beide  Seen  wurden  genau  erforscht,  der 
Oring-Nor  sogar  völlig  umwandert;  sie 
liegen  in  4100  m  Meereshöhe,  hahen  jeder 
ungefähr  140  km  Umfang  und  scheinen 
nicht  allzu  tief  zu  sein;  beide  Seen  trennt 
ein  10  km  breiter  Isthmus,  der  aber  vom 
Hoangho  in  seiner  südlichen  Hälfte  durch- 
brochen wird.  Die  nahe  Hoanghoquelle 
konnte  wegen  der  Feindseligkeit  der 
Tanguten  nicht  erreicht  werden,  deshalb 
wandte  sich  Kozlov  nach  Südwesten  zum 
Murussu,  dem  Oberlauf  des  Jangtsekiang, 
wo  er  in  Tscherku,  einem  belebten  Kara- 
wanenort an  der  Strafse  von  Lhassa  nach 
Szetschuan,  seinen  letzten  Bericht  schrieb. 
Von  hier  aus  gedachte  Bich  der  Reisende 
ostwärts  zum  Knie  des  Hoangho  zu  wen- 
den und  den  Oberlauf  des  Flusses  bis  zur 
Quelle  zu  erforschen.  Jedoch  scheint 
nicht  alles  so  glatt  verlaufen  zu  sein; 
denn  einmal  soll  die  Expedition  noch 
Ende  September  am  Murussu  gewesen 
sein  und  dann  meldet  ein  sibirisches  Blatt, 
dafB  die  Expedition  Ende  Juli  1901  bei 
Kobdo,  dem  Ausgangspunkte  der  Expedi- 
tion an  der  sibirischen  Grenze,  von  Tan- 
guten angegriffen  worden  sei,  wobei  20 
Mann  der  Expedition  getötet  worden 
wären.  Wahrscheinlich  wird  es  sich  hier- 
bei aber  um  ein  früheres  Ereignis  gc- 
handelthaben,  dessen  aufgebauschte  Kunde 
jetzt  erst  nach  Kobdo  gelangt  ist;  bei  der 
ungeheuren  Entfernung  vom  Murussu  nach 
Kobdo  ist  die  Anwesenheit  Kozlov's  in 
der  Nähe  Kobdos  sehr  unwahrscheinlich. 

*  Prof.  A.  Philipps  t:  aus  Bonn  hat 
eine  fünfmonatliche  Forschungsreise  ins 
Vilajet  Aidin-Smyrna  im  Norden  des 
Mäanderflusses  zu  glücklichem  Abschluß 
gebracht  und  ist  in  die  Heimat  zurück- 
gekehrt. 

Afrika. 

*  Italienisches  Afrika.  Der  Cava- 
liere  Pestalozza,  königlich  italienischer 
Generalkonsul  in  Zanzibar,  ist  nach  Er- 
füllung seiner  Mission  an  der  Somaliküste 
in  Aden  eingetroffen.  Der  Sultan  der 
Migiurtiner  hat  seine  Unterwerfung  unter 
die  königlich  italienische  Regierung  er- 
klärt und  einen  Vertrag  geschlossen,  in 
welchem  er  ausdrücklich  das  Protektorat 
und  die  Flagge  Italiens  auf  dem  ganzen 
Gebiete  des  Sultanats  anerkennt  und  sich 
verpflichtet,  mit  allen  ihm  zu  Gebote 

Geographische  ZeiUchrift  7.  Jahrgang  1901.  10. 


stehenden  Mitteln  die  Besatzungen  und 
die  Ladung  der  Schiffe,  welche  an  den 
migiurtinischen  Küsten  scheitern  sollten, 
zu  schützen,  den  Handel  mit  Waffen  und 
Munition  in  bedingungsloser  Weise  zu 
hindern,  wenn  er  sich  nicht  schweren 
Bufsen  aussetzen  will,  und  in  die  Kr- 
richtung  und  den  Betrieb  von  Leucht- 
türmen an  der  Küste  zu  willigen.  B. 

Australien  und  Polynesien. 

*  Prof.  Albert  Heim  in  Zürich  tritt 
Mitte  Oktober  eine  auf  die  Dauer  von 
etwa  9  Monaten  berechnete  Forschungs- 
reise nach  Neuseeland  an,  um  die 
von  ihm  im  Bau  der  Schweizer  Alpen 
erkannten  Gesetze  am  Faltengebirge  der 
neuseeländischen  Alpen  zu  prüfen. 

H.  Br. 

Nordamerika. 

*  Der  höchste  Berg  Nordamerikas 
soll  nach  einer  Mitteilung  von  Robert 
Muldrow  im  National  Geographie  Maga- 
zine (1901,  S.  112)  der  Mt.  Mc  Kinley 
mit  einer  Höhe  von  20464  Fufs  =  6241  m 
sein.  Der  Berg  ist  die  höchste  Erhebung 
eines  mächtigen  Gebirgsstocks  in  den 
Cordilleren  von  Alaska  unter  63°  6'  n.  Br. 
und  161°  w.  L.  im  Qucllgcbiete  des  Shu- 
shitna  und  Kuskokvim  nördlich  von  Cook- 
Inlet.  Er  war  schon  vor  100  Jahren  den 
russischen  Ansiedlern  als  „Bulschaja",  d.  i. 
„der  Grofse",  bekannt;  der  erste  Ameri- 
kaner, der  ihn  sah  und  ihm  auch  seinen 
Namen  gab,  war  ein  Prospektor  Dikey, 
der  in  der  New  York  Sun  1897  darüber 
eine  Mitteilung  machte.  Muldrow  stellte 
1898  die  ersten  und  bis  jetzt  einzigen 
Vermessungen  am  Berge  an  bei  Gelegen- 
heit der  Shushitna-Erforschung  durch  eine 
Expedition  der  ü.  S.  Geologieal  Survey. 
Es  wurde  eine  Grundlinie  am  Shushitna 
gemessen  und  von  dieser  aus  an  sechs 
verschiedenen  Punkten  die  Höhe  des  Ber- 
ges trigonometrisch  berechnet;  als  das 
Mittel  dieser  Rechnung  ergab  sich  eine 
Höhe  von  20  464  Fufs. 

*  AlaBka-Eisenbahn.  In  Amerika 
ist  man  gegenwärtig  mit  dem  riesenhaften 
Projekt  einer  Eisenbahn  durch  Alaska 
beschäftigt,  für  welche  sich  amerikanische, 
russische  und  französische  Kapitalisten 
interessieren.  Die  Pläne  sind  von  dem 
französischen  Ingenieur  Lehel,  der  sich 
bereits  nach  Klondike  begeben  hat,  ent- 
lieft 40 


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Geographische  Neuigkeiten. 


594 

wortVn.  Diese  Eisenbahn  hat  den  Zweck, 
die  transsibirische  Bahn  mit  dem  kana- 
dischen und  amerikanischen  Eisenbahn- 
netz durch  eine  Linie  zu  verbinden,  die 
von  Circle  City  ausgehen  und  am  Behrings- 
meer  enden  soll;  Gesamtlänge  3000  km. 
Vom  Behringsmeer  würde  die  Verbindung 
mit  Wladiwostok,  dem  Endpunkt  der 
transsibirischen  Bahn,  mittelst  ungeheurer 
Dampffahren,  auf  die  die  Züge  verladen 
werden,  hergestellt  werden.  Die  Aus- 
führung dieses  Projektes  würde  gegen 
800  Millionen  Mark  kosten  und  mit  der 
Bahn  von  Paris  bis  New -York  zu  fahren 
gestatten.  B. 

*  Die  kanadische  Volkszählung 
dieses  Jahres  ergab  eine  Gesamtbevölke- 
rung von  5  338  883  Seelen,  d.  i.  seit  1891 
eine  Zunahme  um  505  644.  Die  Provinz 
Ontario  ist  natürlich  am  dichtesten  be- 
siedelt (2167  978),  darnach  kommt  Quebec 
(1620974),  Neu-Schottland  (459116),  Neu- 
Braunschweig(331 093),  Manitoba  (246464), 
Britisch-Kolumbien  (190000),  Prinz  Ed- 
ward-Insel (103258),  die  Territorien  zu- 
sammen (145000)  und  schlicfslich  75000 
in  den  unorganisierten  Gebieten.  Die 
gröfsten  Städte  sind  Montreal  mit  266826 
Einwohnern  gegen  216650  vor  zehn  Jahren, 
Toronto  207  971  gegen  181220,  Quebec 
68834  gegen  63090,  Ottawa  59  902  gegen 
44154,  Hamilton  52550  gegen  48  980, 
Winnipeg  42  336  gegen  25  642,  Halifax 
40787  gegen  38556,  St.  John  40711  (39 179), 
London  37  983  (31  977),  Victoria  20  821 
(16  841),  Vancouver  26  196  (13  685)  und 
sieben  andere  über  10000,  aus  denen  seines 
schnellen  Wachstums  wegen  Calgary  im 
Territorium  Alberta  mit  12142  hervorzu- 
heben ist.  Das  Gesamtergebnis  ist  für 
Kanada  höchst  unerfreulich,  da  es  weit 
hinter  den  erhofften  6  Mill.  zurückgeblieben 
ist;  die  Bevölkerungszunahme  im  letzten 
Jahrzehnt  ist  relativ  wie  absolut  die  ge- 
ringste seit  Gründung  der  Dominion  ge- 
wesen. Ganz  besonders  macht  sich  dies 
bei  den  Städten  bemerkbar.  Halifax  und 
St.  John  sind  allerdings  schon  länger 
stehen  geblieben,  und  dasselbe  gilt  noch 
mehr  von  Quebec,  das  bereits  bei  der 
Zählung  von  1871  59  699  Einwohner  be- 
aafs.  Dafs  aber  auch  die  grofsen  Han- 
dels- und  Fabrikplätze  am  Ontariosee 
keinen  nennenswerten  Aufschwung  er- 
fuhren, weder  Toronto  noch  Hamilton 
Kingston  ist  gar  um  1000  zurückgegangen 


—  und  dafs  sogar  Montreal,  das  kana- 
dische Neu- York,  seinen  Fortschritt  gegen 
frühere  Jahrzehnte  ganz  beträchtlich  ver- 
langsamt hat,  mufs  zu  denken  geben. 
Ottawa  ist  in  mäfsigem  Fortschritt  be- 
griffen, wahrend  Winnipeg,  dag  St.  Paul 
des  kanadischen  Westens,  unter  allen 
Städten  die  einzige  einigennafsen  „ame- 
rikanische" Entwicklung  gehabt  hat.  Er- 
staunlich ist,  dafs  Victoria  nur  wenig  zu- 
genommen hat,  was  natürlich  dem  unver- 
hältnismäfsig  schnelleren  Wachstum  von 
Vancouver  zuzuschreiben  ist.  Unter  den 
verschiedenen  Regierungseinheiten  haben 
Britisch-Kolumbien,  Manitoba  und  die 
Territorien  nebst  unorganisierten  Gebieten 
je  um  rund  100000  Seelen  zugenommen, 
die  drei  östlichen  See-Provinzen  gingen 
zusammen  um  etwa  5000  zurück,  Ontario, 
die  „Premier  Provincc1',  nahm  nur  um 
43000  zu,  während  Quebec  mit  seiner 
fruchtbaren  französischen  Bevölkerung  die 
gröfste  Vermehrung,  nämlich  um  132000, 
sah.  Diese  Verschiebung  überträgt  sich 
natürlich  auch  auf  das  Parlament,  daher 
die  eDglisch  sprechenden  Provinzen  des 
Ostens  in  ihrer  Presse  das  Ergebnis  als 
gefälscht  angreifen.  Wer  aber  die  rührige 
Kolonisierung  der  französischen  Kanadier 
im  letzten  Jahrzehnt  verfolgt  hat,  findet 
das  Ergebnis  der  Zählung  wohl  glaubhaft. 

*  Umbau  des  Erie-Kanals.  Der 
im  Jahre  1825  eröffnete  und  seitdem  öfters 
umgebaute  Erie-Kanal  hat  den  Nachteil, 
dafs  seino  Schleusen,  72  an  Zahl,  eine 
zu  geringe  Längen-  und  Breitenabmessung 
haben,  weshalb  ihn  Boote  mit  einer  Lade- 
fähigkeit von  nur  240  t  befahren  können. 
Seiner  Zeit  hat  die  Erie-Hudson -Wasser- 
strafse,  deren  Gesamtlänge  von  Buffalo- 
lAlbany)- Neu -York  797  km  beträgt,  be- 
wirkt, dafs  Neu-York  dererste  Handelshafen 
an  der  nordamerikanischen  Küste  ge- 
worden ist,  denn  auf  diesem  Schiffahrts- 
wege konnten  die  Erzeugnisse  des  Innern 
zu  den  billigsten  Frachtsätzen  an  die 
atlantische  Küste  gelangen.  Seitdem  haben 
sich  aber  die  Eisenbahnen  aufserordent- 
lich  vervollkommnet;  die  Nachbarhäfen 
Neu -Yorks  sind  durch  Eisenbahnen  zu 
dem  Innern  bereits  in  eine  viel  geringere 
Entfernung  gekommen,  als  Neu-York 
durch  seine  Wasserstrafse.  Durch  Herab- 
setzung ihrer  Frachtsätze  haben  die  Eisen- 
bahnverwaltungen den  Wettbewerb  mit 
dem  Erie-Kanal  erfolgreich  begonnen,  so 


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Geographische  Neuigkeiten. 


595 


dafs  Neu-York  vor  der  Gefahr  steht,  Beine 
bisherige  Stellung  zu  verlieren;  und  dies 
um  so  wahrscheinlicher,  als  noch  eine 
zweite,  viel  gröfsere  Gefahr  näherrückt, 
nämlich  die  Vollendung  des  ununter- 
brochenen Schiffahrtsweges  von  den  Seen 
nach  der  Lorenzbucht,  auf  welchem  Wege 
die  Waren  und  Roherzeugnisse  etwa  von 
Chicago  ohne  Umladung  auf  den  Welt- 
markt gebracht  werden  können.  Der 
Landtag  des  Staates  Neu-York  hat  des- 
halb beschlossen,  den  Erie -Kanal  umzu- 
bauen. Von  den  eingelaufenen  Entwürfen 
kommen  folgende  in  Betracht:  1.  Umbau 
des  Erie -Kanals  in  der  alten  Linie  für 
Schiffe  mit  einer  Ladefähigkeit  von  1000 1. 

2.  Beibehaltung  des  alten  Kanalbettes, 
jedoch  mit  Einbeziehung  des  Oneida-Sces 
und  des  Seneca-Flusses  in  die  alte  Linie. 

3.  Verlegung  des  Kanals  nach  dem  Ontario- 
See  und  zwar:  alte  Linie  von  Troy  am 
Hudson  bis  Oneida-See,  Oswego-Kanal  und 
Flufs,  Ontario-Sce  bis  O'leott,  dann  Empor- 
stieg bis  Lockport  zum  alten  Kanal  und 
dann  diesen  bis  Buffalo.  4.  Dieselbe  Linie 
wie  die  vorher  erwähnte,  jedoch  Aus- 
nützung des  Ontario-Sees  bis  Lewiston, 
dann  unterhalb  der  Niagarafälle  und  mit 
Umgehung  derselben  ein  künstlicher  Kanal 
bis  La  Salle  vor  Buffalo,  dann  das  alte 
Kanalbett  Iiis  Buffalo.  Buffalo  ist  überall 
als  Endpunkt  des  zu  schaffenden  Wasser- 
weges aufzufassen;  die  Ladefähigkeit  der 
Boote  soll  durchweg  1000  t  betragen.  Die 
meiste  Aussicht  zur  Ausführung  haben  die 
letzten  zwei  Entwürfe,  weil  durch  die  Aus- 
nützung des  Üutario-Sees  die  Kosten  um 
wesentliches  herabgesetzt  werden.  A.  R. 

Südamerika. 

*  Kanalprojekt  in  Südamerika. 
Der  lateinisch -amerikanische  Kongrefs, 
der  kürzlich  in  Montevideo  abgehalten 
worden  ist,  hat  sich  unter  anderen  mit 
dem  Plane  einer  Verbindung  der  drei 
grofsen  Flufsläufe  Südamerikas  beschäftigt. 
Mit  Rücksicht  auf  die  geringe  Höhe  der 
Wasserscheide  und  die  geringe  Entfernung 
von  60  km,  welche  die  Ströme  und  ihre 
Nebenflüsse  trennt,  soll  es  bedeutender 
Kosten  nicht  bedürfen.  Der  Kongrefs  hat 
beschlossen,  die  bereits  angestellten  Studien 
und  Untersuchungen  den  beteiligten  Re- 
gierungen vorzulegen.  Die  Kosten  des 
Unternehmens  werden  auf  500  Mill.  Francs 
geschätzt.  A.  R. 


Polarregionen. 

*  Die  kurze  Mitteilung,  die  Baron 
v.  Toll  über  den  Verlauf  seiner  Polar- 
expedition nach  Petersburg  hat  ge- 
langen lassen  (S.  469),  findet  jetzt  in 
russischen  Blättern  weitere  Ergänzung. 
Danach  ist  es  dem  Expeditionsschiff 
„Sarja"  im  Sommer  1900  infolge  ungün- 
stiger Eisverhältnisse  nicht  gelungen,  die 
Chatanga- Bucht  an  der  Ostküste  der  Tai- 
myr-Halhinsel  zu  erreichen,  sodafs  die 
Expedition  an  der  Westküste  im  Hafen 
Archer  überwintern  mufste.  Während  des 
Winters  wurden  Schlittenreisen  unter- 
nommen, Leutnant  Mattiessen  erforschte 
die  von  Nansen  entdeckten  Nordcnskjöld- 
Inseln  und  Baron  v.  Toll  machte  mit  dem 
Leutnant  Koltschak  eine  Reise  epaer 
durch  die  Halbinsel  Tscheljuskin;  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Winters  hatte  die  Ex- 
pedition unter  Kälte  zu  leiden,  weil  zeit- 
weilig Mangel  an  Treibholz  eintrat  und 
mit  deu  Kohlen  gespart  werden  murste. 
Dies  war  umsomehr  nötig,  als  v.  Toll 
seine  Kohlenvorräte  nicht,  wie  beabsich- 
tigt war,  vor  der  Einfahrt  ins  Karische 
Meer  ergänzt  hatte,  sondern,  ohne  dort 
den  Kohlendampfer  abzuwarten,  durch  die 
Jugor-Strafse  weitergefahren  war.  Infolge- 
dessen waren  die  Kohlenvorräte  soweit 
zusammengeschrumpft,  dafs  v.  Toll  am  • 
Ende  des  Winters  an  ihre  Ergänzung 
denken  mufste.  Er  schickte  deshalb  den 
Leutnant  Kolomeizow  den  Jenessei  auf- 
wärts nach  KrasnojarBk,  von  wo  aus  gegen- 
wärtig Kolomeizow  mit  Kohlen  wieder 
nach  dem  Norden  unterwegs  ist,  um  in 
Dickson-Hafen  eine  Kohlennicderlage  ein- 
zurichten. Die  Errichtung  eines  Kohlen- 
depots im  Westen  scheint  darauf  hinzu- 
deuten, dafs  v.  Toll  seinen  Plan,  nach 
Erforschung  von  Sannikow  -  Land  nach 
Osten  durch  die  Beringsstrafse  heimzu- 
kehren, aufgegeben  und  eine  Rückkehr  in 
westlicher  Richtung  ins  Auge  gefafst  hat. 
Nach  dem  ursprünglichen  Plane  wollte 
v.  Toll  in  diesem  Sommer  nach  Sannikow- 
Land  vordringen,  dort  den  Winter  1 901  1  ü()'2 
verbringen  und  im  Herbst  1902  heimkehren; 
ob  eine  Durchführung  dieses  Planes  bei 
der  schon  eingetretenen  Verzögerung  in 
dem  Vordringen  der  Expedition  noch  mög- 
lich ist,  ist  fraglich.  Unterdessen  ist  die 
Hilfsexpedition  unter  Wollossowitsch  (s. 
VI.  Jahrg.  S.  289)  von  Ustjansk  nach  der 

40* 


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59G  Geographisch 

Insel  Kotelnyj  aufgebrochen,  wo  sie  Vor- 
bereitungen zur  Aufuabtne  v.  Toll'»  treffen 
soll. 

*  Von  der  Nordpolarexpedition 
Peary's  (•.  VI.  Jhrg.  S.  701»;  sind  nun 
endlich  wieder  zuverlässige  Nachrichten 
zu  uns  gelangt.  Zur  Verproviantierung 
dieser  im  Winter  1899  190«  an  der  Ost- 
kiiste  de»  Smith- Sunde«  überwinternden 
Expedition  sandte  im  Sommer  1900  der 
Peary-  Arktic-Club  das  Expeditionsschiff 
„Windward",  das  im  vorhergehenden 
Herbst  aus  dem  Smith-Sunde  zurückge- 
kehrt war,  von  neuem  aus.  Da  aber  bis 
zum  Schlufs  der  arktischen  Schiffahrt 
keinerlei  Nachrichten  zu  uns  gelangt 
waren,  ob  die  „Windward"  Peary  auch 
wirklich  erreicht  habe,  und  deshalb  die 
Lage  der  Expedition  gefährdet  erschien, 
entsandte  der  Peary- Arktic-Club  im 
Sommer  1901  den  Dampfer  „Eric"  nach 
dem  Smith -Sund,  um  nach  Peary  und 
der  „Windward"  Nachforschungen  anzu- 
stellen. Aus  Halifax  trifft  nun  die  Nach- 
richt ein,  dafs  die  Gemahlin  Peary's, 
welche  im  vorigen  Jahre  mit  der  „Wind- 
ward" ausgesegelt  war,  an  Bord  der  „Eric" 
dorthin  zurückgekehrt  sei,  dafs  Peary 
bei  ausgezeichneter  Gesundheit  am  Kap 
Sabine  überwintert  und  dann  mit  seinem 
Schiff  die  Nordküste  Grönlands  umfahren 
und  dabei  eine  Breit«  von  83°  50'  er- 
reicht habe.  Im  nächsten  Frühjahr  be- 
absichtige Peary  den  Versuch  zu  machen, 
den  Nordpol  zu  erreichen.  Wenn  auch 
in  dieser  kurzen  Nachricht  noch  vieles 
unklar  ist  und  wir  aus  ihr  herzlich  wenig 
über  den  Verlauf  und  den  jetzigen  Aufent- 
haltsort der  Expedition  erfahren,  so  geht 
doch  soviel  daraus  hervor,  dafs  die  über 
das  Schicksal  Peary's  und  seiner  Gefährten 
gehegten  Befürchtungen  grundlos  waren 
und  Peary  den  ersten  Teil  seiner  Aufgabe, 
die  Erforschung  der  NordküRte  Grönlands, 
glücklich  gelöst  hat. 

*  Von  der  deutscheu  Südpolar- 
expedition sind  die  ersten  Nachrichten 
aus  St.  Vicent  (Kap  Verdische  Inseln)  in 
der  Heimat  eingetroffen.  Von  dort  mel- 
dete der  Leiter  der  Expedition  der  Be- 
hörde in  Berlin  am  11.  September:  „Ex- 
pedition planmäl'sig  Vicente  angekommen, 
alle  wohl,  Abreise  Montag."  Hoffentlich 
gestaltet  sich  auch  die  weitere  Fahrt  durch 
den  südatlantischen  Ozean  günstig.  Zur 
Organisation  der  Expedition  möchten  wir 


c  Neuigkeiten. 

noch  nachtragen,  dafs  voraussichtlich  am 
11.  Oktober  d.  J.  ein  Dampfer  des  Nord- 
deutschen Lloyd  von  Sydney  abgehen 
wird,  um  der  Expedition  nach  den  Ker- 
guelen,  wo  die  „Gaufs"  Ende  November 
eintreffen  wird,  Kohlen,  Proviant  und  di« 
Polarhunde  zuzuführen.  Dieser  Dampfer 
stellt  die  letzte  Verbindung  mit  der  Ex- 
pedition her  und  wird  auch  die  letzten 
Briefsendungeu  aus  der  Heimat,  die  dort 
bis  spätestens  am  6.  September  aufgegeben 
worden  sind,  an  die  Teilnehmer  der  Ex- 
pedition mitnehmen.  Nach  der  Abreise 
von  deu  Kerguelen  können  wir  die  nächsten 
Nachrichten  von  der  Expedition  frühestens 
im  Mörz  oder  April  1902,  wahrscheinlich 
aber  erst  im  Dezember  1902  erhalten,  wo 
es  der  Expedition  nach  Aufbruch  aus  dem 
Winterquartier  und  vor  der  Weiterreise 
nach  Westen  vielleicht  möglich  sein  wird, 
Nachrichten  nach  den  Kerguelen  gelangen 
zu  lassen,  von  wo  wir  sie  dann  allerdings 
durch  ein  Schiff  abholen  lassen  müfsten. 

Meere. 

*  Eine  deutsche  Expedition  für 
Meeresforschung  und  Versuchs- 
fischerei in  der  Ostsee,  ausgerüstet 
vom  Deutschen  Seefischerei -Vereiu,  hat 
am  27.  August  an  Bord  des  Kieler 
Dampfers  „Holsatia"  unter  Leitung  des 
Obertischnieisters  Hcidrich  in  Memel  die 
Ausreise  angetreten.  Das  Schiff,  ein 
eiserner  Schraubendampfer  von  181  Tonnen 
Kaumgehalt,  ist  mit  Instrumenten  für 
hydrographische  und  biologische  Unter- 
suchungen ausgestattet,  als  wissenschaft- 
liche Mitglieder  beteiligen  sich  an  der 
zweimonatigen  Forschungsreise  Dr.  Scbie- 
menz-Berlin,  Dr.  Ueibisch  und  Dr.  Apstein- 
Kiel.  Aufser  der  „Holsatia"  besteht  die 
Expedition  aus  einem  Kutter  von  der 
Nordsee  und  etwa  fünf  Kuttern  von  der 
Ostsee,  die  in  den  noch  wenig  bekannten 
Gebieten  der  hohen  Ostsee  eine  Versuchs- 
fischerei ausführen  und  die  Ostseefischer 
mit  jenen  Gebieten  in  der  Art  bekannt 
machen  sollen,  dafs  sie  selbst  fischen, 
dabei  aber  einen  Rückhalt  an  dem  sie 
begleitenden  Dampfer  haben,  der  seiner- 
seits gleichfalls  Fischereiversuche  anstellt. 
In  Verbindung  mit  diesen  werden  von 
Bord  des  Dampfers  aus  eine  Reihe  damit 
in  Zusammenhang  stehender  Versuche 
wissenschaftlicher  Art  stattfinden.  Nach 
Befahrung  der  Ostsee  geht  die  „Holsatia" 


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Geographische  Neuigkeiten. 


597 


durch  den  Sund  nach  Island  und  Spitz- 
bergen. Die  Expedition  kann  als  Vorarbeit 
für  die  im  nächsten  Jahre  beginnende 
internationale  Meeresforschung  betrachtet 
werden,  die  auf  Grund  internationaler 
Konferenzen  —  1899  in  Stockholm  und 
Mai  1901  in  Kristiania  —  beschlossen 
wurde  und  die  gleichzeitige  Untersuchung 
der  nordeuropäischen  Meeresteile  durch 
Deutschland,  Dänemark,  Schweden,  Nor- 
wegen, Rufsland,  Finland,  England, 
Holland  und  Belgien  zum  Ziele  hat.  An 
diesen  internationalen  Meeresforschungen 
beteiligt  eich  Deutschland ,  dem  als 
Arbeitsfeld  die  Nord-  und  Ostsee  zufällt, 
mit  zwei  Dampfern,  wovon  der  eine  eigens 
für  diese  Zwecke  gebaut  wird.  Letzteres 
Schiff  soll  demnächst  in  Auftrag  gegeben 
werden  und  wahrscheinlich  49  m  Länge, 
9,1  m  Breite  und  eine  Geschwindigkeit 
von  etwa  zehn  Seemeilen  die  Stunde  er- 
halten Seine  Kosten  werden  ungefähr 
300  000  JL  betragen.  Der  zweite  Dampfer, 
der  noch  bei  den  sogenannten  Termin- 
fahrten, die  viermal  jährlich,  zunächst 
für  den  Zeitraum  von  fünf  Jahren,  statt- 
finden, zur  Verwendung  kommt,  wird 
gechartert. 

Geograpbi§cher  Unterricht. 

Geographische  Vorlesungen 

nn  den  deutschsprachigen  Universitäten  und  tech- 
nischen Hochschulen  imWintersemester  1900/1901. 

Österreich- Ungarn. 

Wien:  o.  Prof.  Penck:  Allgemeine 
Erdkunde,  II,  6st.  —  Seminar,  2st.  — 
Übungen.  —  Pd.  Prof.  Sieger:  Abrifs  der 
Geographie  von  Süd-  und  Mittclamerika. 

Czernowitz:  o.  Prof.  Löwl:  Geologie 
für  Geographen,  T,  6st.  —  Übungen  im 
Anschlufs  an  das  Kolleg,  2at, 

Graz:  o.  Prof.  Richter:  Klimatologie, 
3st.  —  Geographie  von  Amerika,  2st.  — 
Übungen,  "ist. 

Innsbruck:  o.  Prof.  Wieser:  Ethno- 
gra  hie  von  Europa,  8st.  —  Geographie 
der  altorientalischen  Kulturländer.  2st.  — 
Übungen,  Ist, 

Prag:  o.  Prof.  Lenz:  Geographie  von 
Asien,  .Ist.  —  Die  skandinavischen  Länder 
und  das  europäische  Kufsland,  2st.  — 
t'bungen,  2st. 

Schweix. 

Basel: 

Bern:  o.  Prof.  Brückner:  Physika- 


I  Iische  (ieographie,  II,  Sit.  —  Geographie 
der  Schweiz,  2st.  —  Anthropogeographie, 
2st.  —  Ausgewählte  Kapitel  aus  dem  Ge- 
biete der  Völkerkunde,  Ist.  —  Repetito- 
rium,  2st.  —  Kolloquium,  2at.  —  Anlei- 
tungen zu  selbständigen  Arbeiten,  3— 6st. 

Zürich:  o.  Prof.  St  oll:  Physikalische 
Geographie,  II,  2st.  —  Länder-  und  Völker- 
kunde Amerikas,  3st.  —  Geographie  von 
Nord-  und  Westaeien,  2st.  —  Geschichte 
der  Erdkunde  vom  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts bis  zur  Neuzeit,  Ist. 

Technische  Hochschulen. 

Dresden :  o.  Prof.  Rüge:  Das  russische 
Reich  in  Europa  und  Asien.  —  Entdeck- 
ung und  Kolonisation  von  Nordamerika. 

München:  o.  Prof.  Günther:  Erd- 
bildungslehre  und  allgemeine  Morphologie 
der  Erdoberfläche  I.  —  Mugnetisch-elek- 
trische  Erdkräfte.  —  Handels-  und  Wirt- 
schaftsgeographie, II.  —  Seminar.  —  o. 
Hon-Prof.  Götz:  Länderkunde  von  Europa 
und  Asien. 

Stuttgart:  Rektor  Schumann:  Län- 
derkunde von  Mitteleuropa. 

Wien:  Pd.  v.  Böhm:  Physische  Geo- 
graphie von  Österreich-Ungarn. 

*  Stellung  der  Erdkunde  inner- 
halb der  Neuordnung  des  semi- 
uarischen  U  n  t  e  r  r i  c  h  ts  w e  se n  s  in 
Preufsen.  Unter  dem  Datum  1.  Juli  1901 
veröffentlicht  das  preufsische  Kultusmini- 
sterium, Zentralblatt  f.  d.  ges.  Unterrichts- 
Verwaltung  i.  P.  118  S.  600—641  die  aus 
langer  beratender  Vorarbeit  erwachsenen 
neuen  „Lehrpläne  für  Präparandcn- 
anstaltenund  Lehrersem inare,sowie 
methodische  Anweisungen  zu  bei- 
den Lehrplänen";  ihnen  folgen  119—121 
S.  641 — 665  die  entsprechend  veränderten 
Prüfungsordnungen.  Hiermit  ist,  ähn- 
lich wie  durch  die  neuen  Lehrpläne  für 
die  höheren  Schulen  aus  dem  Mai  d.  J. 
an  diesen,  eine  Reorganisation  des  semi- 
naristischen Unterrichtswesens  ins  Werk 
gesetzt,  eine  tiefer  einschneidende 
übrigens  als  jene  andere. 

In  dem  jetzt  als  „organisches  Ganzes" 
(601)  auftretenden  Lehrplan  von  6  Jahres- 
kursen (3  Präparandenanstalt,  3  Seminar  i 
schliefst  der  Unterricht  in  Erdkunde  mit  der 
2.  Sem.-Kl.  (5.  Jahreskursus)  ab  (602).  Zu- 
gewiesen sind  ihm  2,  2,  2,  3,  2  Stunden, 
wozu,  nach  erfolgtem  Abschlufs,  in  der 


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598 


Geographische  Neuigkeiten. 


1.  Sem.-Klasse  eine  Wochenstunde  „Me- 
thodik-'  tritt  (vergl.  Stundentafel  621). 

Wie  in  den  andern  Gegenständen  auch 
«oll  die  Präparandenanstalt  „auf  der 
Grundlage  des  in  der  Volksschule  ver- 
mittelten Wissen«  die  allgem.  Bildung 
d.  Zugl.  weiterführen",  das  Semiuar  sie 
„/.um  Abschlüsse  bringen  und  für  die 
erforderliche  Fachausbildung"  sorgen 
(601). 

Zu  diesem  Zweck  wird  in  der  Prä- 
parandenanstalt 3.  Kl.  mathem.  Geogr., 
allgem.  Übersicht  über  die  Erdoberfläche  — 
Heimatprovinz  und  Deutschland  („phys. 
und  pol  ")  gelehrt;  in  der  2.  Kl.  Europa 
und  Amerika;  in  der  1.  Kl.  aufser  Gesamt- 
wiederholungen, Asien,  Australien,  Afrika, 
deutsche  Kolonien.  In  allen  Klassen 
werden  Kartenskizzen  entworfen  <60$i.  In 
der  Aufnahmeprüfung  fürs  Seminar  kann 
an  Stelle  der  Beantwortung  einzelner 
Fragen  eine,  kleine  Ausarbeitung  über 
ein  begrenztes  Gebiet  treten  (641). 

Im  ersten  Seminarjahr  (3  St.)  wird 
wieder  physische  Erdkunde  unter  den 
Titeln:  Erdkürper  als  Ganzes,  Gesteins- 
hülle, Wasserhülle,  Lufthülle,  Pflanzen, 
Tiere,  Menschen  behandelt.  Parin  folgt 
eine  Länderkunde  der  Erdteile  (Karten- 
skizzen!. Im  zweiten  Jahr  (2  St.)  werden 
die  Länderkunde  von  Deutschland,  Handels- 
geographie und  Weltverkehr,  mathema- 
tische Erdkunde  und  Kartographie  be- 
handelt (Kartenskizzen)  (617). 

Aus  den  „methodischen  Anweisungen 
etc."  622  £F.,  8.  Erdkunde  637  f.  ist  hervor- 
zuheben: ßtarke  Betonung  der  LJind er- 
kunde überhaupt  und  die  Kenntnis  des 
Vaterlandsim  besondern,  das  Verlangen, 
auf  der  Priiparandenanstalt  den  „unent- 
behrlichen Gedächtnisstoff  zu  sichern",  auf 
dem  Seminar  „unter  Betrachtung  die 
inneren  Beziehungen  und  die  ursächlichen 
Zusammenhänge  .  .  .  zum  Verständnisse 
zu  bringen".  Ausführlich  wird  auf  Deutsch- 
lands Anteil  am  Welthandel  und  verkehr 
hingewiesen,  der  zu  „volkswirtschaftlichen 
Belehningen"  Anlafs  giebt.  Kartenskizzen 
werden  für  alle  Unterrichtsstufen  für 
wichtig  erklärt,  doch  vor  „Überspannung 
der  Anforderungen"  wird  gewarnt.  In  der 
Methodik  der  1.  Sem. -Kl.  soll  mit  guten 
Lehrmitteln  möglichst  umfangreich  be- 
kannt gemacht  werden.  Die  Lektüre  ge- 
eigneter Schriften  ist  zu  unterstützen. 

Bei  der  ersten  Lehrerprüfung  (Ab- 


gang vom  Seminar/  wird  der  Zögling  auf 
die  Methodik  in  sämtlichen  1  >  hrgegen- 
ständen  geprüft  und  hat  sich,  wenn  er 
ohne  genügende  Leistungen  in  Erdkunde 
in  die  1.  Sem.-Kl.  versetzt  worden,  auch 
auf  seine  positiven  Kenntnisse  prüfen  zu 
lassen  (613),  im  übrigen  bekommen  die 
Prüflinge  die  Urteile  ihrer  Zeugnisse  vom 
Jahr  vorher  in  ihr  Prüfungszeugnis  (644  i. 

Von  der  zweiten,  2 — 5  Jahre  später 
abzulegenden  Prüfung  ist  nur  hervor- 
zuheben, dafs  unter  den  Gegenständen,  in 
deren  Methodik  sich  der  Prüfling  vor 
allem  auszuweisen  hat,  Erdkunde  sich 
nicht  befindet  (647). 

Die  Mittelschullehrerprüfung  er- 
folgt aufser  in  Pädagogik  in  zwei  Fächern ; 
unter  diesen  werden  als  günstige  Kombi- 
nationen empfohlen  Geschichte  und  Erdk. — 
Mathem.  und  Erdk.  —  Phys.  Chemie  (Min.) 
und  Erdk.  —  Bot.,  Zool.  und  Erdk.  (651  j. 
Aus  einem  der  beiden  Fächer  wird  eine 
schriftliche  häusliche  Arbeit  verlangt  iH — 12 
Wochen)  (652).  Die  Anforderungen  für  die 
mündliche  Prüfung  in  Erdkunde  (666)  sind 
sehr  ähnlich  einer  Zusammenziehung  der 
entsprechenden  in  der  Prüfungsordnung 
für  das  Lehramt  an  höheren  Schulen 
(vergl.  d.  Z.  IV.  S.  658).  An  Abweichungen 
ist  besonders  eine  stärkere  Betonung  der 
Länderkunde  Deutschlands,  eine  geringere 
der  mathematischen  Grundlagen  der  mathe- 
matischen Erdkunde  hervorzuheben. 

In  der  Prüfung  für  Rektoren  tritt 
schliefslich  Methodik  der  Erdkunde  wie 
jedes  anderen  Lehrfachs  nur  nebenbei  in 
der  mündlichen  Prüfung  auf  (661). 

Heinrich  Fischer. 

Zeitschriften. 

*  Eine  neue  geographische  Zeitschrift 
wird  vom  1.  Oktober  l«J01  ab  bei  Ed.  Hölzel 
in  Wien  unter  dem  Titel  „Viertel- 
jahrshefte für  den  geographischen 
Unterricht"  erscheinen.  Herausgeber 
ist  Dr.  Franz  Heiderich.  Die  Haupt- 
aufgabe der  Zeitschrift  soll  sein:  Die 
Vertiefung  und  methodische  Ausgestaltung 
des  geographischen  Unterrichts  an  den 
mittleren  und  niederen  Schulen  und  die 
Herstellung  einer  innigen  Verbindung 
zwischen  wissenschaftlicher  und  Schul- 
geographic.  Der  Preis  der  Zeitschrift, 
die   in   vierteljährlichen  Heften   ä  fünf 

I  Druckbogen  erscheinen  wird,  soll  12  Kr. 

I  =  10  .<£  betragen. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


599 


Persönliches. 

*  Am  29.  Juni  starb  zu  Paris  im  Alter 
von  41  Jahren  der  französische  Af'rika- 
reisende  Eduard  Foa,  der  von  1880  bis 
1890  Französisch- Guinea  bereiste  und  in 
den  Jahren  1894  bis  1897  vom  Zambesi 
aus  den  afrikanischen  Kontinent  von  Ost 
nach  West  durchquerte  und  dabei  das 
Nya88a-Tanganjika-Plateau  und  den  Ober- 
lauf des  Kongo  eingehend  durchforschte. 
Über  seine  Reisen  veröffentlichte  er:  Le 
Dahomey  (1895),  Du  Cap  au  Lac  Nyassa 
(1897)  und  La  Travereee  de  l'Afriquc 
(1900). 

*  Am  9.  August  starb  in  Saigon  im 
Alter  von  34  Jahren  Prinz  Heinrich 
von  Orleans,  ein  Sohn  des  Herzogs  von 
Chartres,  der  sich  durch  zahlreiche  For- 
schungsreisen um  die  Geographie  verdient 
gemacht  hat.  Bereits  1899  unternahm  er 
unter  Leitung  des  französischen  Reisenden 
Bonvalot  eine  Durchquerung  Asiens  von 
Russisch  -Turkestan  durch  Tibet  nach 
Tongking,  auf  der  Tibot  zum  ersten  Mal 
von  Norden  nach  Süden  durchquert  wurde. 
Spätere  Reisen  führten  den  Prinzen  1891 
nach  Harrar,  1892  nach  Annam  und 
Madagaskar,  1895  nach  Tongking,  wobei 
er  die  Quellen  des  Irawaddi  entdeckte 
und  bis  zum  Golf  von  Bengalen  vordrang, 
1897  nach  Abessinien  und  1901  nach 
Kambodscha,  wo  er  an  einem  Leberleiden 
erkrankte,  dem  er  auch  erlegen  ist.  Über 
alle  diese  Reisen  veröffentlichte  der  Prinz 
ausführliche  Reisebeschreibungen  und 
zahlreiche  Beiträge  in  politischen  Zei- 
tungen. 

*  Am  9.  September  starb  plötzlich  in 
Wien  Prof.  Wi  1  h  e  1  m  T  o  m  a  s  c  h  e  k.  1841 
geboren,  wendete  er  sich  dem  Studium 
der  klassischen  Philologie  zu,  behandelte 
aVier  in  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten 
mit  Vorliebe  Probleme  der  historischen 
Topographie  und  Ethnographie.  Nach 
längerer  Thätigkeit  als  Gymnasiallehrer 
wurde  er  1877  auf  Kiepert's  Rat  als  Pro- 
fessor der  Geographie  an  die  Universität 
Graz  berufen,  von  wo  er  1880  bei  der 
Teilung  der  Wiener  Lehrkauzel  alB  ordent- 
licher Professor  der  historischen  Geo- 
graphie nach  Wien  kam.  Tomaschek's 
Vorlesungen  umfafsten  auch  Gegenstände 
der  Länderkunde  und  seine  „Übungen  für 
Lehramtskandidaten"'  zielten  insbesondere 
dahin,  die  Fertigkeit  des  Kartenzeichnens 


zu  fördern,  in  dem  er  selbst  Meisterschaft 
besafB.  Das  Arbeitsgebiet,  auf  dem  ihm 
seine  aufserordentlichen  historischen  und 
linguistischen  Detailkenntnissc  die  be- 
deutendsten Leistungen  ermöglichten,  war 
die  historische  Geographie  des  Orients. 
Von  seinen  Arbeiten,  die  zumeist  in  den 
Schriften  der  Wiener  Akademie  erschienen, 
sind  hervorzuheben:  Üher  Brumalia  und 
Rosalia  (1869).  —  Die  vorslavische  Topo- 
graphie der  Bosna  und  Hercegovina  (1880). 
—  Zur  Kunde  der  Hämushalbinsel :  L  topo- 
graphische, archäologische  und  ethno- 
logische Miscellen  (1882);  II.  Die  Handels- 
wege im  12.  Jahrh.  nach  Edrisi  (1887).  — 
Lea  restes  de  la  langue  Dace  (1883).  — 
Die  heutigen  Bewohner  Makedoniens  (Geo- 
graphentag 1891).  —  Die  alten  Thraker 
(1893).  —  Die  Gothen  in  Taurien  (1881).  — 
Die  ältesten  Nachrichten  über  den  sky- 
thischen  Norden  (1889).  —  Untersuchungen 
zur  historischen  Topographie  Klcinasiens 
im  Mittelalter:  I.  Die  Küstengebiete  und 
die  Wege  der  Kreuzfahrer  (1891);  II.  Sasun 
und  das  Quellgebiet  des  Tigris  (18951; 
III.  Historisch-Topographisches  vom  oberen 
Euphratund  aus  Ost-Kappadokien  (Kiepert- 
Festschrift).  —  Znr  historischen  Topo- 
graphie Persiens:  I.  Die  Strafsenzügo  der 
Tabula  Peutiugeriana  (1883);  II.  Die  Wege 
durch  die  persische  Wüste  (1885).  — 
Zentralasiatische  Studien :  I.  Sogdiana 
(1877);  II.  Die  Pamir-Dialekte  (1880).  — 
Nearch's  Küstenfahrt  (1890).  —  Südost- 
asiatische  Miscellen.  —  Die  geographischen 
Kapitel  des  Seespiegels  Mohit  (Featschr. 
d.  k.  k.  geogr.  Ges.  Wien  1897)  u.  a. 

Diese  Artikel  ebensowohl  wie  Toraa- 
schek's  Beiträge  zu  Pauly  -  Wissowa's 
Realencyklopädie  und  seine  zahlreichen 
kleineren  Notizen  zeichnen  sich  aus  durch 
einen  überaus  grofsen  Reichtum  des  In- 
halts bei  knappster  Form.  In  den  be- 
deutendsten Streitfragen  der  alten  Völker- 
kunde hat  er  Stellung  genommen.  Bekannt 
ist  sein  Eintreten  für  den  bereits  ver- 
lassenen Röslcr'schen  Standpunkt  in  der 
Rumänenfrage  und  seine  Krweiterung  der 
Rösler'schen  Beweisführung  durch  die 
Aufstellung  der  Reihe:  eranische  Thraker, 
Bessoi,  Romanen.  In  der  makedonischen 
Frage  war  er  einer  der  ersten,  die  sich 
entschieden  für  die  Selbständigkeit  der 
makedonischen  Slaven  gegenüber  Serben 
und  Bulgaren  aussprachen.  Originell  ist 
auch  seine  Stellungnahme  zur  Skythen- 


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600 


Geographische  Neuigkeiten. 


und  Magyarenfrage.  Von  seinen  Unter- 
suchungen zur  alten  und  mittelalterlichen 
Topographie  siud  dem  Geographen  die- 
jenigen besonders  wertvoll,  durch  welche 
er  mit  eingehender  Kritik  den  Verlaut  alter 
Verkehrs-  und  Handelswege  festgelegt  hat. 

Tomaschek  war  ein  stiller,  ebenso  be- 
scheidener als  zurückgezogener  Gelehrter, 
dem  nur  wenige  näher  treten  konnten. 
Kr  war  aber  auch  ein  Mann  von  einer 
wahrhaft  seltenen  Herzensgute  und  Selbst- 
losigkeit. R.  S. 

*  Der  in  Basel  erfolgte  allzu  frühe  Tod 
des  Botanikers  F.  A.Wilhelm  Schimper 
bedeutet  auch  für  die  Geographie  einen 
grofsen  Verlust.  Dem  1856  in  Strafsburg 
geborenen  Sohn  des  dortigen  Professors 
der  Geologie  und  Paläontologie  Wilhelm 
Philipp  Schimper  (1808 — HO)  und  Ver- 
wandten des  genialen  Botanikers  Karl 
und  des  durch  seinen  Aufenthalt  in 
Abessinien  bekannten  Botanikers  und 
Forschungsreisenden  Wilhelm  Schimper 
wies  schon  die  Familienüberlieferung  den 
Weg  zu  seinem  späteren  Wirken.  Ein 
Erbstück  der  Vorfahren  war  auch  die  in 
F.  A.  W.  Schimper  immer  rege  Reiselust, 
die  ihn  vor  und  nach  seiner  Habilitation 
an  der  Universität  Bonn  weit  in  der  Welt 
herumführte  (Nordamerika,  Westindien, 
Venezuela,  Brasilien,  Südasien  mit  seiner 
Inselwelt  etc.).  Im  Jahre  1898  kam  die 
Wahl  des  damaligen  Bonner  Extraordi- 
narius zum  Ordinarius  der  Bot  anik  und  Vor- 
steher des  botanischen  Instituts  der 
Universität  Basel,  welchem  Ruf  er  um  so 
freudiger  Folge  leistete,  als  seine  Mutter 
eine  Schweizerin  gewesen  war.  Noch  vor 
Antritt  des  neuen  Amtes  war  es  Schimper 
vergönnt,  als  Botaniker  der  unter  Chun's 
Leitung  stehenden  deutschen  Tiefsee- 
Expedition  auf  der  „Valdivia"  1898  99 
seinen  sonst  schon  reichen  auf  Selbstsehen 
beruhenden  Kenntnissen  neue  Erfahrungen 
anzufügen,  so  dafs  er  seine  Wirksamkeit  in 
Basel  als  einer  der  weitestgereisten  Bota- 
niker unserer  Zeit  beginnen  konnte.  Kurz 
an  Zeit  nur  aber  sollte  diese  sein.  Beim 
Dredschen  im  Mündungsgebiet  des 
Kameruntlusses  anlüfslich  der  genannten 
Expedition  hatte  ihn  eine  bösartige  Ma- 
laria befallen,  deren  durch  keine  Willens- 
stärke   zu    überwindenden  Nathweheu 


Schimper  im  Alter  von  erst  45  Jahren  am 
9.  September  1901  erlegen  ist.  Schimper 
entfaltete  auf  allen  Gebieten  der  Botanik 
eine  rege  Thätigkeit;  hier  müssen  wir 
uns  auf  eine  kurze  Besprechung  seiner 
Bedeutung  als  Pflanzengeograph  beschrän- 
ken. Mau  darf  ihn  den  ersten  Vertreter 
der  seit  etwa  Mitte  der  80  er  Jahre  des 
vorigen  Jahrhunderts  mächtig  in  den 
Vordergrund  getretenen  biologisch-physio- 
logischen Richtung  in  der  Pflanzengeo- 
graphie nennen.  Nachdem  er,  wie  so 
viele  der  neueren  Pflanzenbiologen,  auf 
der  botanischen  Tropenstation  zu  Buiten- 
zorg  sich  gründlich  in  die  neue  Wissen- 
schaft eingearbeitet  hatte,  veröffentlichte 
er  neben  einer  Reihe  anderer  pflanzen- 
geographischen Untersuchungen  („Die  epi- 
phy  tische  Vegetation  Amerikas."  Jena  1888. 
—  „Die  indo-malayischc  Strandflora."  Jena 
1891)  im  Jahre  1898  seine  grofse  und 
bahnbrechende  „Pflanzengeographie  auf 
physiologischer  Grundlage",  die  in  dieser 
Zeitschrift  (V,  1899;  S.  14'.»  ff.)  von  Prof. 
Karsten  eingehend  gewürdigt  worden  ist. 
Der  Tod  hat  ihn  mitten  aus  der  Bear- 
beitung einer  neuen  Auflage  dieses  Werkes 
herausgerissen.  Die  Geographische  Zeit- 
schrift verliert  in  Schimper  einen  sehr 
geschätzten  Mitarbeiter.  Zweimal  hat  er 
an  dieser  Stelle  das  Wort  ergriffen,  um 
über  „die  gegenwärtigen  Aufgaben  der 
Pflanzengeographie"  (II,  189G;  S.  90  ff.) 
und  „die  Fortschritte  der  Pflanzengeo- 
graphic in  den  Jahren  189G— 98"  i  VI,  1900; 
S.  312  ff.)  zu  berichten.  Auch  diese  Über- 
sichten sind  nun  verwaist.  Zum  Schlüsse 
möge  noch  das  Urteil  eines  einstigen 
Schülers  über  Schimper  als  Lehrer  hier 
Platz  linden:  „Schimper  ...  bot  körperlich 
ein  Bild  des  Jammers;  wenn  er  die  Stiege 
hinauf-  und  hinabschritt,  mufste  er  sich 
oft  mit  beideu  Händen  an  den  Wänden 
halten,  so  sehr  fühlte  er  sich  gepeinigt 
von  den  Fiebern.  Wenn  er  dann  aber 
zu  sprechen  begann,  da  war  an  ihm  alles 
Feuer,  Begeisterung,  Beredsamkeit.  Das 
Fach  der  Botanik  beherrschte  er  wie 
Keiner,  und  da  war  alles  Leben,  Ent- 
wicklung, Vergleich.  Es  wird  wenige 
Lehrer  geben,  die  so  wie  Schimper  die 
I  Zuhörer  hinrissen,  bezauberten  und  für 
I  die  Botanik  bestimmten  . . H.  Br. 


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Bücherbesprechungen. 


601 


Büclierbesprechungen. 


Gunther,  Prof.  Dr.  S.,  Geschichte  der 
anorganischen  Naturwissen- 
schaften im  neunzehnten  Jahr- 
hundert. (Zugleich  Band  V.  von 
„Das  neunzehnte  Jahrhundert  in 
Deutschlands  Entwicklung".)  8°. 
XIX.,  984  S.  Berlin,  Bondi,  1901. 
10.— 

Die  grofsen  Fortschritte,  welche  im 
letzten  Jahrhundert  auf  allen  Gebieten 
de«  menschlichen  Wissens  und  Könnens 
gemacht  worden  sind,  beruhen  haupt- 
sachlich auf  dem  Ausbau  und  der  An- 
wendung der  Naturwissenschaften.  Eb 
ist  daher  eine  dankbare  Aufgabe,  eine 
Geschichte  ihres  Werdens,  Emporblühens 
und  Wachsens  wahrend  dieses  Zeitraumes 
zu  bringen.  Freilich  kann  nicht  geleugnet 
werden,  dafs  bei  dem  Umfange,  welchen 
die  einzelnen  Disziplinen  jetzt  angenommen 
haben,  ein  vollständiges  und  gleichmäßiges 
Beherrschen  aller  durch  einen  einzigen 
Gelehrten  nicht  mehr,  wie  früher,  mög- 
lich ist,  weshalb  meist  bei  der  Ab- 
fassung solcher  Werke  sich  mehrere  Fach- 
männer zusammenfinden.  Im  allgemeinen 
leidet  aber  durch  ein  solches  Zusammen- 
arbeiten die  Gleichmäfsigkeit  des  Ganzen, 
was  gerade  bei  einem  Rückblick  am 
meisten  empfunden  wird;  andererseits  ist 
bei  einem  Verfasser  wieder  die  Gefahr 
vorhanden,  dafs  sich  leicht  l/ngenauigkeiten 
und  Irrtümer  bei  denjenigen  Materien 
einschleichen,  welche  von  dem  Speziul- 
fache  des  Betreffenden  etwas  entfernter 
liegen.  Diese  Vorzüge  und  Nachteile  finden 
sich  auch  bei  dem  vorliegenden  Buche; 
doch  überwiegen  die  ersteren  so  sehr  die 
letzteren ,  dafs  man  dem  bekannten  Ver- 
fasser seine  Anerkennung  nicht  vor- 
enthalten wird,  ein  so  umfangreiches 
Material  in  so  kurzer  Zeit  und  in  so 
übersichtlicher  Weise  geboten  zu  haben. 

Unter  anorganischen  Naturwissen- 
schaften versteht  der  Verfasser  Astronomie, 
Physik,  Chemie,  Mineralogie,  Geologie  und 
endlich  die  Geophysik.  Das  Buch  zerfällt 
in  24  Kapitel,  von  welchen  das  6.  „Erd- 
messung  und  Erdphysik  in  der  ersten 
Hälfte  des  Jahrhunderts"  (S.  103  bis  131); 
das  21.  „Der  Eintritt  der  wissenschaftlichen 
Erdkunde  in  die  Naturwissenschaften" 
und  das  23.  „Erdmessung  und  Erdphysik 


!  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts" 
die  geographisch  wichtigen  Teile  ent- 
halten. Einige  andere  Kapitel  wie  be- 
sonders das  4.  „Alexander  v.  Humboldt" 
und  diejenigen  über  Mineralogie,  Petro- 
graphie  und  Geologie  (7.,  10.,  20.,  22. 
Kapitel)  berühren  ebenfalls  gewisse 
Zweige  der  Geographie. 

Ende  des  18.  Jahrhunderts  war  die 
Astronomie  allen  naturwissenschaftlichen 
Disziplinen  voraus,  wovon  auch  die 
mathematische  Geographie  grofsen  Nutzen 
zog.  Die  Ortsbestimmungen  zu  Land  und 
zu  Meer  wurden  vervollkommnet,  die 
Kartographie  wurde  auf  eine  feste  Grund- 
lage gebracht  und  endlich  kamen  die 
Gradmessungen,  zunächst  zur  Bestimmung 
eines  neuen  Normalmafses,  in  Aufschwung. 
Die  Meteorologie  war  in  jener  Zeit  nur 
wenig  entwickelt,  doch  waren  schon  einige 
Ansätze  der  Klimatologie  vorhanden. 
Die  Grundlinien  der  physikalischen  Erd- 
kunde lagen  auch  bereits  vor,  die  ersten 
systematischen  Schwerebestimmuugen  fan- 
den statt,  der  Erdmagnetismus  nebst 
den  Polarlichtern  wurde  eifrig  studiert 
und  auch  die  Ozeanographie  war  bereits 
im  Entstehen.  Um  diese  Zeit  beginnt 
das  Wirken  A.  v.  Humboldt'»,  dessen 
grofsen  Leistungen  mit  Recht  ein  eigenes 
Kapitel  gewidmet  ist.  Das  G.  Kapitel 
bringt  besonders  die  Gradmessungsarbeiten 
von  Gauls,  Bessel  und  Baeyer,  welche  der 
modernen  Geodäsie  ihr  heutiges  Gepräge 
verliehen  haben. 

Im  21.  Kapitel  wird  ausgehend  von 
den  Arbeiten  Kant's,  Herder's  und  Ratzel's 
das  Auftreten  von  Karl  Ritter  und 
O.  Peschel  geschildert.  Daran  schliefsen 
sich  die  Abschnitte  über  die  arktischen 
Entdeckungen  bis  in  die  Neuzeit  und  die 
Forschungen  über  die  Vulkane,  Steppen, 
Wüsten  und  Gletscher.  Diese  sind  zum 
Teil  auch  noch  im  folgenden  Kapitel, 
welches  die  Geologie  der  neuesten  Zeit 
behandelt,  berücksichtigt,  wozu  noch  die 
Geschichte  der  Gcbirgsbildung,  Geo- 
morphologie u.  s.  w.  kommt. 

Das  23.  Kapitel  giebt  zunächst  eine 
Schilderung  der  Erdmessungsarbeiten  in 
der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts, 
wobei  besonders  die  Arbeiten  von  W.  Stru  ve, 
J.  F.  Baeyer  und  R.  Helmert  zu  nennen 


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602 


Blicherbesprechungen. 


sind.  Diesen  folgen  die  Fortschritte  über 
Erdmagnetismus  und  Polarlichter,  Mete- 
orologie, Klimaänderung,  Ozeanographie, 
Seenkunde,  Gletscherkunde  u.  dgl.  Das 
Schlufskapitel  bildet  noch  einen  lesens- 
werten Rückblick  und  Ausblick  des  be- 
handelten Gegenstandes. 

Es  it- 1  nicht  möglich,  hier  im  einzelnen 
auf  die  Darstellung  des  Verfassers  ein- 
zugehen, da  die  Fülle  des  Stoffes  den 
Verfasser  häufig  selbst  zwingt,  nur  durch 
kurze  Angaben  der  wichtigsten  litte- 
rarischen Erscheinungen  den  Fortschritt 
aller  dieser  Wissenszweige  zu  charakte- 
risieren. 

Es  ist  nicht  zu  zweifeln,  dafs  das 
Huch  den  beabsichtigten  Zweck  erfüllt 
und  dafs  eine  weite  Vorbereitung  desselben, 
welche  bei  dem  mäfsigen  Preise  und  der 
reichen  Ausstattung  (es  sind  16  wohl- 
gelungene Abbildungen  hervorragender 
Naturforscher  beigegeben)  nicht  ausbleiben 
wird,  auch  dem  Studium  der  Natur- 
wissenschaften und  besonders  der  Geo- 
physik zu  Gute  kommen  wird. 

J.  B.  Messerschmitt. 

Huhnes,  Luigi,  Oceanografia.  Torino, 
Fratelli  Hocea  1901.    kl.  8°.    274  ff. 

Der  Verfasser,  Professor  der  Geographie 
an  der  Universität  in  Turin,  behandelt 
in  diesem  Werke  in  allgemein  verständ- 
licher und  ansprechender  Form  diejenigen 
Probleme  der  Meereskunde,  die  man 
unter  dem  Namen  der  „statischen 
O  zeanographie"  zusammenfassen  kann, 
d.  h.  also  die  Verteilung  von  Wasser 
und  Land,  die  Einteilungen  der  Meere, 
das  Meeresniveau,  die  Tiefe  der  Meere 
(einschliefslich  der  Berechnungen  mittlerer 
Tiefenwerte),  die  Bodenbeschaffenheit,  die 
Chemie  des  Meerwassers,  die  Wärme- 
verhältnisse und  endlich  die  Eisverhält- 
nisse des  Meeres.  Der  Umfang  des  Inhalts 
entspricht  somit  recht  genau  dem,  was 
Thoulet  in  seiner  „Oeeanograph  ie 
statique"  oder  was  v.  Bogu sl awski  im 
erst  en  Bande  des  „Handbuches  der  Ozeano- 
graphie" bespricht.  Für  ein  späteres 
Werk  wird  von  Hugues  auch  die  Dar- 
stellung der  dynamischen  Ozeanographie, 
d.  h.  der  Bewegungsformen  des  Meeres 
in  Aussicht  gestellt. 

Eb  darf  rühmend  die  grofse  Belesen- 
heit des  Autors  hervorgehoben  werden; 
wennschon  eine  vollkommene  Erschöpfung 


der  Faehlitteratur  wohl  nicht  beabsichtigt 
und  auch  bei  dem  Umfange  des  Buches 
nicht  möglich  war,  so  merkt  man  do<h 
auf  jeder  Seite,  dafs  alle  wesentlichen 
Forschungsergebnisse  Hugues  zur  Hand 
sind,  und  speziell  die  deutschen  Geo- 
graphen —  ich  nenne  u.  a.  nur  die 
von  ihm  vielzitierteu  Krümmel ,  Supan, 
Wagner  —  dürfen  auf  die  ungemein 
grofse  Anerkennung  stolz  sein,  die  alle 
ihre  Schriften  und  überhaupt  die  deutsche 
Behandlung  der  Probleme  der  Meeres- 
kunde bei  dem  Autor  gefunden  hat. 

Die  einzelneu  Themata  Bind  fast  durch- 
weg bis  auf  den  neuesten  Stand  der 
Forschung  hin  bearbeitet,  z.  B.  ist  schon 
die  von  dem  V.  St.  S.  „Nero",  Kapt.  Hodges, 
in  der  Nähe  der  Guam  Insel  mit  9636  m 
gelotete  gröfste  Meerestiefe  aufgeführt. 
Auf  Seite  6H  ist  die  Zahl  6705  'Seite  74 
steht  richtig  6205  m)  und  das  Jahr  1898 
(statt  1*88  >  nicht  richtig,  wenn  die  bis 
jetzt  bekannte  gröfste  Tiefe  des  Indischen 
Ozeans  genannt  werden  soll. 

Was  die  Namengebung  für  unter- 
meerische  Bodenformen  anlangt,  so  zeigt 
Hugues' Text,  der  mehrfach  noch  wieder 
ganz  neue  Bezeichnungen  bringt,  wie  z.  B. 
FoBsa  di  Patterson,  della  Gazzella,  bacino 
Moser  und  viele  andere,  dafs  eine  inter- 
nationale Regelung  der  Angelegenheit 
nicht  länger  aufschiebbar  ist. 

Hecht  ausführlich  sind  die  nordpolaren 
Tiefseetemperaturen  untor  Benutzung  der 
Arbeiten  von  Weyprecht,  Nansen  u.  s.  w. 
dargestellt;  über  die  südpolaren  hätte 
sich,  schon  um  des  Vergleiches  willen, 
gewifs  etwas  mehr  sagen  lassen,  da  neuere 
Beobachtungen,  wie  diejenigen  der  „Bel- 
gica",  der  „Valdivia",  vorliegen.  Persön- 
lich würde  der  Referent  es  gern  gesehen 
haben,  wenn  auf  S.  193  mit  einigen 
wenigen  Wort  en  an  der  Hand  des  deutschen 
Textes  auch  die  Aufklärung  über  seine 
zwei  an  sich  entgegengesetzten  Äufse- 
rungen  zu  der  Brauchbarkeit  der  Negretti- 
Zambra'schen  Tiefseethennometer  hinzu- 
gefügt worden  wäre.  — 

Das  gebildete  italienische  Publikum 
darf  sicher  sein,  bei  der  Lektüre  dieses 
Buches  der  Bocca'schen  Verlagsbuch- 
handlung einen  zuverlässigen,  mit  Unisicht 
geschriebenen  Führer  auf  dem  Gebiete 
der  Meereskunde  zu  haben,  wennschon 
wissenschaftlich  Neues  kaum  gegeben  ist. 

Gerhard  Schott. 


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Bilch  erb  c&prechungen. 


603 


Polls,  P.,  Die  Niederschlag hvlt- 
h 31 1 1 n i *»»e  der  mittleren  Rhein- 
provinz  und  der  Nachbarge- 
biete. Forsch,  z.  Deutschen  Landes- 
u.  Volksk.  XII.  Heft  1.  Stuttgart, 
Engelhorn.  1899.  8°.  96  S.  9  Karten. 
Ende  der  80  er  Jahre  wurde  be- 
kanntlich auf  Veranlassung  und  unter 
Leitung  von  G.  Heitmann  seitens  des  kgl. 
preufsischen  meteorologischen  Instituts 
damit  begonnen,  in  Norddeut. schland  ein 
dichtes  Netz  von  Regenstationen  einzu- 
richten. In  der  Rheinprovinz  fand  im 
Jahre  1892  die  Ausgestaltung  dieses 
Netzes  im  wesentlichen  ihren  Abschlufs. 
Während  bis  dahin  im  mittleren  Rhein- 
gebiet nur  einige  60  Stationen  und  auch 
diese  zum  gröfsten  Teil  erst  kurze  Zeit 
bestanden,  stieg  ihre  Zahl  nun  auf  fast  '250. 
Verf.  hat  durch  eine  bekannte  Reduktions- 
methode die  kurzen  Reihen  der  neuen 
Stationen  mit  Hilfe  der  älteren  auf  die 
Periode  18*6 — 95  reduziert  und  die  so 
gewonnenen  Niedcrsehlagswerte  zu  karto- 
graphischen Darstellungen  verwendet  und 
nach  vielen  Richtungen  hin  diskutiert 
Wenn  auch  eine  spätere  Bearbeitung,  die 
nach  einem  langjährigen  Bestand  des 
verdichteten  Stationsnetzes  notwendig 
sein  wird,  im  einzelnen  an  der  Linien- 
führung der  Isohyeten  und  an  den  daraus 
gezogenen  Schlußfolgerungen  Verbesse- 
rungen anbringen  wird,  so  ist  doch  das 
Verdienst  dieser  frühen  Arbeit  keineswegs 
zu  unterschätzen,  da  sie  zum  ersten  Mal 
eine  genauere  Anschauung  von  der  Nieder- 
schlagsverteilung  des  besagten  (iebietes 
ermöglicht.  Das  vielgestaltige  Relief  des 
von  tiefgehenden  Thälern  zerschnittenen 
rheinischen  Schiefergebirges  bedingt  eine 
gleich  wechselvolle  Gestaltung  der  Nieder- 
schlagsverteilung, die  auf  den  beige- 
gebenen Jahres-  und  Jahreszeitenkarten 
in  grofsen  Zügen  zum  Ausdruck  kommt. 
Der  die  Regenverteilung  differenziierende 
Einnufs  der  Erhebungen,  der  Gegensatz 
zwischen  Luv-  und  Leeseite  ruft  hier  um 
so  erheblichere  Unterschiede  in  der  Menge 
der  Niederschläge  hervor,  als  in  diesem 
am  weitesten  nach  Westen  vorgeschobenen 
Gebiet  Deutschlands  die  vorherrschenden 
westlichen  Winde  auf  dem  kurzen  Wege 
vom  Meer  ihren  Feuchtigkeitsgehalt  noch 
nicht  an  gröfseren  Bodenanschwellungen 
verloren  haben.  In  den  höheren  Lagen 
des  Venn  und  der  Ardennen  übersteigt 


die  jährliche  Niederschlagshöhe  1000  mm, 
gleich  hohe  Werte  erreicht  sie  jenseits 
des  Rheins  an  der  Luvseite  des  Sauer- 
landes, während  dazwischen  im  Rheinthal 
Höhen  von  weniger  als  500  mm  verbreitet 
sind.  Der  Gegensatz  zwischen  den  höheren 
Landesteilen  und  den  Thalgründen  ist  be- 
sonders im  Winter  ausgeprägt,  wenn  die 
Winde  stärker  und  konstanter  aus  derselben 
Richtung  wehen  und  die  Kondensations- 
bedingungen auf  den  Höhen  günstigere 
sind  als  im  Sommer,  wenn  bei  variableren 
Luftströmungen  Luv- und  Leeseiten  häutiger 
wechseln  und  die  Neigung  zu  aufsteigenden 
Luftbewegungen  eine  allgemeine  ist.  In 
der  jährlichen  Periode  kommt  dieser 
Unterschied  zwischen  Berg  und  Thal 
stark  genug  zum  Ausdruck,  um  eine  Vor- 
herrschaft von  Winterregen  in  den  mitt- 
leren und  höheren  Teilen  des  Rheinlandes 
hervorzurufen,  während  die  kontinentalen 
Sommerregen  sich  auf  die  Niederungen 
beschränken.  Diese  Verhältnisse  und  ihre 
meteorologische  und  geographische  Be- 
gründung werden  vom  Verfasser  ein- 
gehender dargestellt.  Der  Mangel  an  einer 
genügenden  Zahl  von  längeren  Beobach- 
tungsreihen gestattete  indesseu  nicht, 
eine  ebenso  eingehende  Untersuchung 
der  anderen  Niederschlagsolcmente,  wie 
der  grofsen  Niederschläge  in  kurzer  Zeit, 
der  Schneeverhältnisse  vorzunehmen.  Hier 
konnten  nur  nach  den  vorhandenen  älteren 
Reihen,  insbesondere  der  von  Aachen, 
Andeutungen  gemacht  werden,  die  zu 
verallgemeinern,  nach  der  Natur  dieser 
Niederschlagscharaktere,  nicht  am  Platz 
gewesen  wäre.  W.  Meinardus. 

Holtheuer,  Prof.  Richard,  Das  Thal- 
gebiet   der   Freiberger  Mulde. 
Geologische  Wanderskizzen  und  Land- 
schaftsbilder. Leisnig,  H.  Ulrich.  1901. 
Das  Werkchen   ist  im  wesentlichen 
eine  Verarbeitung  der  Resultate  der  geo- 
logischen Landesuntersuchung  zu  einem 
monographischen  Gesamtbild.    Im  engen 
Anschluss    an    die    Erläuterungen  der 
Sektionsblätter,  sowie  an  Credner's  Zu- 
sammenfasseudes    Büchlein     über  das 
GranulitgcbirjEfe  giebt  der  Verfasser  zu- 
nächst eine  Ibersicht  über  die  von  der 
Mulde  berührten  geologischen  Einheiten: 
die  beiden  sächsischen  Sättel,  die  dazu- 
gehörigen Mulden  und  die  eingesunkene 
Scholle  des  Marbach  -Nosseuer  Schiefer- 


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604 


Bücherbcsprcchungen. 


gebirgs.  Dann  führt  er  uns,  gestützt 
auf  t»eine  eigene  gründliche  Kenntnis  des 
Gebiets,  in  zahlreichen  Wanderungen  von 
der  Quelle  der  Freiberger  bis  in  die 
Auen  der  vereinigten  Mulde,  zeigt  uns 
dabei  geeignete  geologische  Aufschlüsse 
und  gute  Übersichtspunkte.  Vor  allem 
aber  betont  er  auf  Schritt  und  Tritt  die 
Beziehungen  zwischen  der  verschiedenen 
Vcrwitterbarkeit  der  Gesteine  und  dem 
jeweiligen  Landschaftscharakter:  der 
Gehängeneigung,  der  Flufskrümmung,  der 
Vegetation  und  Bodenkultur.  Es  ist  das 
eine  Betrachtungsweise,  die  dem  Feld- 
geologen geläufig  ist,  die  'aber  in  geo- 
graphischen Werken  noch  bei  weitem 
nicht  immer  die  verdiente  Würdigung 
findet.  Freilich  dürfen  wir  auch  nicht 
vergessen,  dafs  es  sich  hierbei  um  ein 
ziemlich  zusammengesetztes  Problem  han- 
delt, das  eingehende  Untersuchungen  der 
chemischen,  physikalischen  und  mine- 
ralogischen Gesteinsnatur  erfordert.  Es 
ist  leicht,  zu  behaupten:  „Dieses  Gestein 
bildet  Klippen,  Hervorragungen  im  Ge- 
lände; ergo  ist  es  schwer  verwitterbar." 
Aber  schwierig  bleibt  der  Beweis,  worin 
die  Widerstandskraft  des  Gesteins  seinen 
Sitz  hat.  Und  indem  man  diesen  Beweis 
unterschlägt,  begiebt  man  sich  in  die 
Gefahr,  sich  im  Kreise  zu  drehen.  Femer 
wird  nicht  immer  genügend  beachtet, 
dafs  ein  und  dasselbe  Gestein  landschaft- 
lich verschieden  wirken  kann,  je  nach 
der  wechselnden  Natur  der  Nachbar- 
gesteine. An  diesen  Klippen  ist  auch 
der  Verfasser,  trotz  seiner  gründlichen 
Verarbeitung  des  Materials,  nicht  ganz 
unversehrt  vorüber  gekommen.  So  erklärt 
er  S.  59  die  steilen  Formen  des  Nossener 
Kirschbergs  durch  „den  schwer  verwittern- 
den DiabastutP'  und  berichtet  S.  61  dafs 
die  Mulde  einen  breiten  Thalkessel  im 
., wenig  widerstandsfähigen  Diabastutf" 
ausgewaschen  habe.  (Es  handelt  sich 
allerdings  um  cambrische  und  silurische 
Tuffe;  doch  ist  ihre  chemische  Natur 
sehr  verwandt.  )  S.  2k  wird  das  steil  an- 
steigende Gehänge  an  einer  Granat- 
glimmerfelseinlagerung  im  Biotitgneis  er- 
wähnt ;  einige  Zeilen  vorher  wird  berichtet, 
dafs  das  rechte  Gehänge  im  Biotitgneis 
steil  ansteigt,  während  das  linke  flach 
ist.  Dabei  ist  verschwiegen,  dafs  an  dieser 
Stelle  Granitglimmerfels  ansteht,  (Hier 
wirkt  oflenbar  ein  andrer  Faktor:  rechts 


'ist  die  Prallstellc,  links  die  Innenseite 
einer  starken  Flufskrümmung.)  Auf  S.  88 
wäre  eine  nähere  Begründung  erwünscht, 
warum  ein  Quarzporphyrgang  leicht  ver- 

I  wittert  und  sanfte  Gehänge  bildet,  während 
in  unmittelbarer  Nähe  der  Leisniger 
Quarzporphyr  in  schroffen  Felsen  ansteht. 

Im  übrigen  hat  sich  der  Verfasser  einer 
höchst  dankenswerten  Arbeit  unterzogen, 
und  wir  können  nur  wünschen,  dafs  die 
reichen  Schätze  geographisch  wertvollen 
Materials,  die  noch  in  den  Erläuterungs- 
heften der  sächsischen  Landesuntersuchung 
verborgen  liegen,  recht  bald  in  ähnlicher 
Weise  gehoben  und  selbstthätig  weiter- 
verarbeitet werden.      Paul  Wagner 

Meyer's  Reisebücher.  Rom  und  die 
Campagna  von  Th.  Ijuell-Fels.  5.  Aufl. 
mit  6  Karten,  53  Plänen  und  Grund- 
rissen, 61  Ansichten.  Leipzig  und 
Wien,  Bibliographisches  Institut.  1901. 
XP7,  1256  S.  (Dazu  72  S.  Sonder- 
anzeiger.) >K.  13. — 
Es  wird  als  ein  Ereignis  in  der  Ge- 
schichte moderner  Periegese  in  Erinnerung 
bleiben,  wie  vor  etwa  30  Jahren  Gsell-Fels 
hervortrat  mit  seinen  gehaltreichen,  auf 
Vertiefung  des  Reisegenusses  der  Ge- 
bildeten gerichteten  Italien-Führern.  Der 
universal  interessierte,  fein  gebildete  Arzt 
war  für  diese  Aufgabe  in  ungemeiner 
Weise  befähigt  und  er  hat  an  ihr  uner- 
müdlich weiter  gearbeitet,  bis  1898  ihm 
der  Tod  die  Feder  aus  der  Hand  nahm. 
Die  Fortführung  seiner  Arbeit  für  die 
Ewige  Stadt  lag  in  der  Hand  eines  vor- 
züglichen Kenners  Italiens  und  seiner 
Kunstschätze:  Prof.  Dr.  Ryssel  (Zürich ); 
auch  der  Archäologe  derselben  Universität, 
H.  Blümner.  hat  die  Ergebnisse  der  neuesten 
Ausgrabungen  für  das  Buch  verwertet. 
Die  sechs  Jahre,  welche  seit  der  4.  Aufl. 
verflossen,  sind  durch  den  Fortschritt  der 
bewährten  Werke  Burckhardt's  (Cicerone) 
und  Helbig's  zu  neuen  Auflagen,  durch 
die  Weiterentwickelung  von  Fr.  X.  Kraus' 
Geschichte  der  christlichen  Kunst,  durch 
H.  Kiepert's  und  Hülsen's  Forma  Urbis 
Romae  und  eine  Fülle  von  Spezialarbeiten 
so  ergebnisreich  für  Roms  Kenntnis  ge- 
wesen, dafs  ein  auf  gründliche  Belehrung 
angelegtes  Reisehandbuch  wesentliche  Be- 
reicherung erfahren  mufste,  der  doch 
wieder  die  Rücksicht  auf  das  schon  recht 
ansehnliche  Volumen  Grenzen  zog.  Den 


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BücherbeBprechungen. 


606 


Geographen  freut  an  dem  Werke  neben 
den  vortrefflichen  Planen  der  Stadt  am 
meisten  die  der  Überfülle  der  Kunstschätze 
in  gesundester  Weise  das  Gleichgewicht 
haltende  Weite  und  Gründlichkeit  des 
Umblicks  über  das  Land,  der  nicht  an 
den  Grenzen  der  Campagna  Halt  macht, 
Bondern  Albaner-,  Sabiner-,  Volskergebirge 
und  Süd-Etrurien  mit  einbegreift.  Hei 
der  Fülle  der  kartographischen  und  bild- 
lichen Beigaben  ist  der  Preis  des  Werken 
überraschend  niäfsig. 

Breslau.  J.  Partsch. 

Baedeker,  K.,  Rursland.  Handhuch 
für  Reisende.  6.  Auflage.  Leipzig 
1901.  478  S.  kl.  8°,  19  Karten, 
SS  Pläne,  7  Grundrisse. 

Der  Vergleich  mit  der  vierten,  1897 
erschienenen  Auflage  zeigt  überall,  wie 
unermüdlich  an  der  weiteren  Verbesserung 
dieser  vortrefflichen  Handbücher  gearbeitet 
wird  und  wie  rasch  die  Zugänglichkeit 
der  ungeheuren  Gebiete  des  russischen 
Reiches  wächst.  In  der  vorliegenden 
Auflage  ist  nicht  nur  der  Kaukasus  viel 
eingehender  als  bisher  behandelt,  sondern 
sogar  Turkcstan  und  Sibirien,  wenn  auch 
nur  längs  der  Eisenbahn,  in  den  Bereich 
der  Darstellung  gezogen.  Ks  macht  einen 
merkwürdigen  Eindruck,  beispielsweise 
von  Samarkand,  das  vor  37  Jahren  Vani- 
bery  nur  verkleidet  unter  grofsen  Gefahren 
besuchen  konnte,  zu  lesen:  „das  Minaret  1. 
kann  bestiegen  werden,  .  .  .  für  Damen 
sehr  unbequem"  u.  s.  w. 

An  Kurten  sind  hinzugekommen: 
Saimakanal,  Umgebung  von  Jalta,  Zentral- 
kaukasuB  (in  2  Blatt),  eine  kleine  Eisen- 
bahnkarte und  eine  Übersichtskarte  von 
Hufsland  (in  2  Blatt).  Ferner  erscheint 
eine  ganze  Reihe  von  Nebenkärtchen  neu. 
Trotz  dieser  Bereicherung  in  Text  und 
Beilagen  ist  es  gelungen,  teils  durch 
Kürzung  von  minder  Wichtigem,  teils 
durch  dünneres  Papier  Umfang  und  Gewicht 
des  Buches  noch  etwas  zu  verringern, 
obwohl  die  Seitenzahl  um  20,  die  Zahl 
der  Karten  um  ö,  der  Pläne  um  7,  der 
Grundrisse  um  8  gewachsen  ist. 

Als  Mitarbeiter  sind  im  Vorwort  die 
Herren  Ferd.  Moll,  Dr.  C.  v.  Hahn  (Tiflia) 
und  Dr.  P.  Kohrbach  (Berlin)  angegeben. 
Natürlich  haben  an  der  Sammlung  der 
unendlichen  Menge  von  Detail -Angaben 
zahlreiche  Personen  mitgewirkt. 


Wenngleich  das  Buch  durchaus  auf 
den  praktischen  Reisegebrauch  zuge- 
schnitten ist,  bietet  es  auch  dem  Geo- 
graphen als  bequemes  Nachschlagcbuch 
sehr  viel.  Freilich  kann  man  weder 
Vollständigkeit  irgend  einer  Art  noch 
Fehlerlosigkeit  von  ihm  verlangen;  genug, 
dal's  in  ersterer  Hinsicht  das  dem  Zweck 
Entsprechende  und  in  letzterer  das 
Menschenmögliche  geleistet  ist. 

W.  Koppen. 

Nicolaidex,  Dr.  (leanthen,  Macedonien. 
Die  geschichtliche  Entwickelung  der 
macedonischen  Frage  im  Altertum, 
im  Mittelalter  und  in  der  neueren 
Zeit.  Mit  1  Karte  in  Farbendruck. 
Berlin,  J.  Räde  1899.  267  S.  8°. 
Wenn  das  vorliegende  Buch  auch 
seiner  äufseren  Anlage  nach  als  eine 
historisch-politische  Darstellung  erscheint, 
so  wird  der  Geograph  doch  jede  sachlich 
vorgehende  Unterweisung  über  die 
Nationalitätsverhältnisse  Macedoniens  als 
einen  unmittelbar  verwertbaren  Beitrag 
zur  Länderkunde  der  Balkanhalbinsel 
begriifsen.  Ist  ja  in  genannter  Hinsicht 
kein  grölseres  Gebiet  jenes  Südostens 
ähnlich  unsicher  und  widerspruchsreirh 
in  der  Litteratur  behandelt!  Unsere 
Auffassung,  dafs  die  Slaven  Macedoniens 
von  einer  früheren  slavischen  Einwande- 
rung herrühren,  als  von  jener  »1er  Serben 
und  der  slavisierten  Bulgaren,  lindet  in 
Nicolaides  keinen  Vertreter.  Er  befafst 
sich  mit  dieser  Frage  überhaupt  nicht, 
sondern  schliefst  sich  der  von  Durnovo 
(Moskau)  bereits  ausgesprochenen  An- 
schauung an,  dafB  die  Slaven  des  Vardar- 
gebietes  serbischer  Abkunft  sein  werden, 
eine  Ansicht,  welche  wir  unter  allen 
Umständen  gegenüber  den  Ansprüchen 
der  Bulgaren,  als  seien  diese  Bewohner 
im  Anschlufs  an  das  wertlose  suffrage 
univcrsel  von  1872  bulgarischer  Nationa- 
lität, für  naturgemäfs  erachten,  wenn  eine  % 
ältere  slavische  Grundlage  verneint  bleiben 
soll  Es  wird  allerdings  von  unserem 
Verfasser  wesentlich  das  Ziel  verfolgt, 
Macedonien  als  ein  vom  Altertum  her 
griechisches  Land  aufzuzeigen,  dessen 
gröfserer  Südteil  auch  heute  (nördlich 
bis  zur  geogr.  Breite  von  Demir  Kapu 
am  Vardar)  vorherrschend  griechisch  sei, 
und  es  dient  als  (Jrundlage  eine  „vou 
Konsuln"  kontrollierte  türkische  Zählung 


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606 


Neue  Bucher  und  Karten. 


von  IM6C?).  Allein  bei  all  «einer  sonstigen  j 
Sachlichkeit  und  konkreten  Behandlung 
der  Dinge  wird  doch  wohl  auch  dieser 
patriotische  Autor  hierbei  nicht  verlässig 
genug  bedient  worden  sein.  Denn  i.  H. 
ist  es  doch  ausgeschlossen ,  dafs  eine 
Krhebung  der  Bewohnerzahl  nach  Natio-  I 
nalitäten,  welche  im  ganzen  Sandschak 
Salonik  Serben  überhaupt  nicht  kennt, 
auch  keinen  einzigen  Sorben  im  Bezirk 
von  Kac-anik,  auf  volle  Glaubwürdigkeit 
rechnen  darf.  Und  wo  sollten  umge- 
kehrt fast  100  IHM)  Bulgaren  im  Sand- 
schak Salonik  wohnen?   In  allem  übrigeu 


aber,  auch  in  der  Zurückweisung  jener 
Agitation,  welche  die  Aromunen  oder 
Kutzovlachen  für  die  linksdanubischen 
Rumänen  reklamieren  will,  desgleichen 
hinsichtlich  der  Katschläge  an  die  ser- 
bische Propaganda  in  Macedonien,  sehen 
wir  die  Auseinandersetzungen  von  Nico- 
laides  als  den  Thatsachen  entsprechend 
und  vollster  Beachtung  würdig  an.  Audi 
sein  Widerspruch  gegen  einige  Aussagen 
Mach's  (Peterm.  Mitt.  1899  ist  nur  formell ; 
denn  die  Behauptungen  beider  lassen  sich 
sehr  wohl  vereinigen.  W.  Götz. 


Nene  Bücher  und  Karten. 


Zusammengestellt  von  Heinrich  Brunn  er. 


Uenehlrhte  and  Methodik  der  Urographie. 

Mi  11,  Bob.  H.   On  research  in  Geograph. 

Science.     Address    to  the  geograph. 

sectiou  |of  the]  British  Assoc,  for  the 

advancem.  of  Science.  Glasgow  1901. 
Wilson,  Herbert  M.    Topographie  sur- 

veying;  including  geographic  .  .  .  rnap- 

ping  .  .  .  Map«  and  OL    XXX,  910  8. 

N.  York,  Wiley  k  Sons;  London,  Chap- 

man  &  Hall  1901. 

Allgemeine  phjuUrhe  Urographie. 

Antze,  G.  Revision  der  Oberrläehen- 
strömungen  des  nordatlantischen \3zeaus 
auf  Grund  der  Triftphänomene.  Diss. 
3  Tafeln.  43  S.    Minden,  Bruns  1901. 

Assmann,  Rieh.  Die  modernen  Metho- 
den zur  Erforschung  der  Atmosphäre 
mittels  deB  Luftballons  und  Drachens. 
III.  36  S.  (Sammig  populärer  Schriften; 
hrsg.  v.  der  Ges.  Urania.  57 ).  Berlin, 
Paetel  1901.    JC  1  SO. 

Habenicht,  H.  Justus  Perthes'  See-Atlas. 
24  kol.  Karten  in  Kupferstich  mit  127 
Hafenplänen.  Nautische  Notizen  u.  Tab. 
v.  B.  Knipping.  5  A.  Gotha,  .1.  Perthes 
1901.    JC  2.40. 

Hammer.  E.  Der  Hammer -Fennel'sche 
Tachyuieter-Theodolith  und  die  Tachy- 
meterkippregel.  16  Kig.  u.  2  Taf.,  52  S. 
Stuttgart,  Witt  wer  1901. 

Herbert* on,  A.  J.  Outlines  of  phjsie* 
graphy;  an  introd.  to  the  study  of 
the  earth.  III  VIII,  312  S.  London, 
Arnold  1901.    4  s.  6  d. 


AUireaelne  Geographie  dea  Neaachrn. 

Hassack,  Karl.    Der  Kautschuk  u.  seine 

Industrie.  4  Taf.  41  8.   (Sehr.  d.  Ver. 

z.  Verbr.  naturwiss.  Kenntn.  in  Wien. 

41.  Jahrg.,  Heft  4).    Wien,  Braumüller 

1901.    JC  1.20. 

Grfilaere  Erdriimc. 
Beck,  Chrn.   Als  Walfischfahrer  um  die 

Erde;  Reisen  u.   Erlebnisse.     1  Abb. 

83  S.    Dresden,  Reuter  1902.    JC  l.— 

Karopa. 

Martel,  E.  A.  Le  goutfre  et  la  ri viere 
eouterraine  de  Padirac  '(Lot)'  . .  .  Grav., 
plans.   180  S.   Paris,  Delagrave  1 1901]. 

Mitteleuropa. 

Breslau;  Lage,  Natur  u.  Entwicklung. 
Eine  Festgabe,  dem  XIII.  deutschen 
Geogr. -Tage  dargeboten  vom  Ortsaus- 
schusse. 4  Lichtdr. -Taf.,  2  Karten, 
1  Zinkogr.  III,  122  S.  Breslau,  Hirt 
Komm.  1901.    JC  2  — 

G  a  ebler,  Ed,  Wandkarte  des  Vogtlandes. 

1  :  4U  000.  Ausg.  A  :  Hervorhehung  des 
phys.  Bildes;  Ausg.  B:  Hervorhebung 
des  polit.  Bildes.  Farbdr.  4  Bl.  zu 
98,6x74  cm.  Plauen,  Neupert  1901. 
.«  1H.— 

Hühl,  Arth.  Freih.  v.  Karlseisfeldfor- 
schungen  ...  I:  Die  topograph.  Auf- 
nahme des  Karlseisfeldes  1*99  u.  1900. 

2  Karten,  2  Taf,  2  Abb.  25  S.  (Abb. 
der  k.  k  geograph  Ges.  HI  1).  Wien, 
Lechner  1901.    Jt  3  — 

Kürschner,  Jos.,  u.C'hrn  Peip.  Deutsches 


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Zeit8chriftenschau. 


607 


Kartenwerk :  Atlas  v.  Buden ;  mit  einem 
geograph.  Lex.  Mit  einer  Gesamteini. 
v.  Dr.  Lange.  35  Karten  in  Farbdr 
VIII,  658  Sp.  4°.   Herlin,  Hillger  1901. 

.fC  7.50. 

Lange,  H.  Atlas  des  Deutschen  Reichs. 
Neueste  Bearbeitung  in  SO  Karten. 
Brauuschweig,  Westcrmann  4. — 

Laspeyres,  Hugo.  Das  Siebengebirgc 
am  Rhein.  Mit  einer  geolog.  Karte  u. 
23  Skizzen.  V,  V,  471  S.  SA.  Bonn, 
Cohen  Komm.  1901.    JL  10  — 

Petzold,  E.  H.  Städte -Lexikon  des 
Deutschen  Reichs  .  .  . ;  auf  Grund  amtl. 
Materialien bearb.  XXIV,  129S.  Bischofs- 
werda,  Petzold  1901.    Ji  2.— 

Schreiber,  Paul.  Die  Niederschlags-  u. 
Abflursverhaltn.  im  Gebiet  derWeifseritz 
1866/1900  ...  IV,  46  S.  4°.  (Abh.  des 
k.  sächs.  meteorolog.  Inst  VI).  Leipzig, 
Felix  Komm.  1901.    J(.  3  — 

Wentzel,  Jos.  Ein  Beitrag  zur  Bildungs- 
geschichte des  Thaies  der  Neumarktlcr 
Feistritz.  1  Tafel.  13  S.  SA.  Laibach 
1901. 

Aalen. 

Götz,  Herrn.  Eine  Orientreise;  geschildert 
u.  ill.  Taf.  u.  Abb.  IV,  294  S.  Leipzig, 
Seemann  1901.    M.  8.— 

M'Crindle,  J.  W.  Ancient  India  as  de- 
scribed  in  classical  lit.;  being  a  collec- 
tion  of  Greek  and  Latin  texts  relating 
to  India  .  .  .  Transl.  and  annotated. 
XXU.226S.  London,  Constable  C.  1901. 
7  s.  6  d. 

Ncubaur,  Paul.  Die  Stellung  Chinas  im 
Welthandel  im  J.  1900.  56  S.  Berlin, 
Süsserott  1901.    JL  1.50. 

Afrika. 

Bleloch,  W.  The  New  South  Africa; 
its  value  and  development.  Maps  and 
diagrams.  XVI,  436  S.  London,  Heine- 
mann 1901.    10  b. 

Füller,  Fred.  Walt.  Egypt  and  the 
Hinterland.  XV,  333  S.  London,  Long- 
mans  1901. 


Heudebert,  Lucien.  Au  pays  des  Soma- 
lis et  des  Comoriens.  281  S.  Pari«, 
Libr.  Orient.  1901. 

Wylde,  Aug.  B.  Modern  Abyssinia. 
506  S.    London,  Methuen  C.  1901. 

Polarregionen. 

Neumayer,  Geo.  v.  Auf  zum  Südj)ol! 
45  Jahre  Wirkens  zur  Förderung  der 
Erforschung  der  Siidpolar- Region  1855 
bis  1900.  5  geograph.  Karten,  2  Bilder 
des  Verf.  XV,  485  S.  Berlin,  Vita  (1901). 
JC  18.— 

Stanford,  E.  South  Polar  Chart;  with 
contours  showing  depth  in  fathoms. 
Farbdr.  London,  Stanford  1901.  3  s.  6  d. 


G all ois,  L.  Les  Andes  de  Patagonie. 
1  Karte,  19  Tafeln,  Abb.  28  S.  SA. 
Paris,  Colin  1901. 

Einzelne  Meere. 

Sieger,  Roh.  Die  Adria  u.  ihre  geograph. 

Beziehungen.    48  S.    (Sehr.  d.  Ver.  z. 

Verbr.    naturwiss.   Kenntn.   in  Wien. 

41.  Jahrg.,  Hft  10).   Wien ,  Braumüller 

1901.    JL  1.— 
Toula,  Franz.  Die  geologische  Geschichte 

des  Schwarzen  Meeres.   51  S.  (Sehr.  d. 

Ver.  z.  Verbr.  naturwiss.  Kenntn.  in  Wien. 

41.  Jahrg.,  Hft  1;.   Wien,  Braumüller 

1901.    JL  1.— 

(ieoeraphiieher  Untorricht. 

Blind,  Aug.  Moderne  Handels-  u.  Ver- 
kehrsgeographie ...  XVI,  144  S.  (Dr. 
L.  Huberti's  mod.  kaufmänn.  Bibliothek). 
Leipzig,  Huberti  1901.    M  2.76. 

Lehmann,  Ad.  Geograph.  Charakter- 
bilder: Stubbenkammer  auf  Rügen. 
Farbdr.  82  x  60  cm.  Leipzig,  Wachs- 
muth  1901.    JL  1.40. 

Schjerning,  W.  Was  mufs  der  Kauf 
mann  von  der  Geogr.  des  Deutschen 
Reiches  wissen?  VI,  170  S.  (Dr.  L.  Hu- 
berti's mod.  kaufmänn.  Bibliothek). 
Leipzig,  Huberti  1901.    JL  2.76. 


Zeitschrifteiischan. 

Pttermmm'*  Mitteilungen.  1901.  8. Heft.  dolus.    Bd.  LXXX.    Nr.  7.  Adler: 

Tippenhauer:    Beiträge   zur  Geologie  Die  neuesten  russischen  Seenforschungen 

Haitis.    —    Bretsehneider:    Rufsland  in  Westsibirien. —  Oppert:  I >ie  Felsen« 

und  Korea.  -    Krah nie r:  Nachrichten  von  tempel   von   Mamullapuran   oder  Seven 

der  Expedition  Koslov's.  —  Zondervan:  Pugodas.   —   Lasch:   Die  Verbleibsorte 

Steinkohlen  in  Niederländisch -Limburg  der   Seeleu    der    im   Wochenbette  Ge- 


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608 


Zeit  schriften  sc  hau. 


gtorbenen.  —  Weis:  Die  Insel  Man  und  i 
deren  altnordische  Verfassung. 

Dass.  Nr.  8.  Werner:  Die  Seen 
der  Westvogesen.  —  Francke:  Die 
Dhyanibuddhas  und  Manushibuddha«  im 
Lichte  der  vorbuddhistischen  Religion 
Ladakhs.  —  Sapper:  Ein  Bilderkatechis- 
lnus  der  Mazuhua  in  Mexiko.  —  Bau- 
mann:  Die  Töpferei  der  SansibarerNeger- 
bevölkerung.  —  Perrig:  Aus  den  Be- 
kenntnissen eines  Dakota-Medizinmannes. 

J)us8.  Nr.  9.  Kaindl:  Die  Juden 
in  der  Bukowina.  —  In  Benares  zur  Zeit 
der  Wasserfeste.  —  Marcuse:  Das  Brio,ue- 
tagegebict  von  Vic,  Deutsch-Lothringen. 

—  Voigt:  Wann  erfolgte  der  Untergang 
der  Andree'schen  Polarexpedition? 

Deutsche  Rundschau  für  Geograpltie 
und  Statistik.  XXIII.  Jhrg.  12.  Hett. 
Struck:  Philippi.  —  Fortschritte  der 
geogr.  Forschungen  u.  Reisen  i.  J.  1900. 

—  Lenz:  Afrika.  —  Jung:  Australien 
uud  die  Sfidsee.  —  Marek:  Der  XIII. 
Deutsche  Geographentag  zu  Breslau. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1901.  H.Heft. 
Kbert:  Die  Erscheinungen  der  atmosphä- 
rischen Elektrizität  vom  Standpunkte  der 
Ionentheorie  aus  betrachtet.  —  Lockyer: 
Änderungen  der  Sonnentemperatur  und 
Variationen  des  Regen falles  in  den  Landern 
rings  um  den  Indischen  Ozean. 

Zeitschrift  für  Schul geographie.  XXII. 
Jhrg.  11.  Heft.  Hödl:  Die  XIII.  Tagung 
des  Deutschen  Geographentages  in  Breslau. 
I.  Allgemeines  und  wissenschaftliche  Er- 
gebnisse. —  Kraitschek:  über  physi- 
kalische Geographie  im  Gymnasial  unter- 
richte. 

Mitteilungen  des  K.  K.  Militär- Geo- 
graphischen Jnstitutes  (in  Wien).  XX.  Bd. 
1900.  Leistungen  des  Institutes  i.  J.  1900. 

—  N  etil  Schill:  Die  astronomischen 
Gradiucssungsarbeiten  des  Instituts.  — 
Weixler:  Bearbeitung  des  trigonometri- 
schen GradmessungBnetzes  für  Zwecke  der 
Landesvermessung.  —  Die  Fortsetzung  des 
Präzisions -Nivellements,  ausgeführt  i.  J. 
1900.  —  v.  Steeb:  Die  Kriegskarten.  — 
Bielawski  und  v.  Haardt:  Die  topo- 
graphischen Arbeiten  im  westruss.  Grenz- 
gebiete. Pich ler:  Die  Thätigkeit  der 
Photographie-Abteilung  in  den  letzten 
Jahren.  —  v.  Hühl:  Beiträge  zur  Technik 
der  Karteuerzeugung.  IV.  Die  Aluminium- 

•  Druckplatte.  —  Huri  an:  Kombinierter 


Umdruck  einer  Farbenkarte.  —  Heim- 
bach  und  Hödlmoser:  Die  Militär- 
Kartographie  auf  der  Weltausstellung  in 
Paris  1900. 

XVII.,  XVIII.  m.  XIX.  Jahresbericht 
(1808, 18  9  u.  1900)  des  W'ürttembergischen 
Vereins  für  llandelsgeographie  und  Förde- 
rung deutscher  Interessen  im  Auslände. 
Die  Thätigkeit  des  Vereins  vom  1.  Jan. 
1898  bis  81.  Dez.  1900.  —  v.  Eyth:  Die 
Sprengung  des  Eisernen  Thores  und  die 
freie  Douauschitfahrt,  —  v.  Landesen: 
Reiseskizzen  aus  Transkaukasien.  — 
Schulz:  Syriens  Rolle  im  Welthandel.  — 
v.  Luschan:  Die  Karl  Knorr'sche  Samm- 
lung von  Benin-Altertümern.  —  Bericht 
über  die  gehaltenen  Vorträge. 

The  Geographical  Journal.  Vol.  XV1IL 
Nr.  8.  Bell:  Exploration  in  the  (ireat 
Bear  Lake  Region.  —  Harrison: 
A  Journey  from  Zeila  to  Lake  Rudolf.  — 
The  National  Antarctic  Expedition.  — 
The  German  Antarctic  Expedition. 
The  Italian  Arctic  Expedition  1899/1900. 

—  Dr.  Nansen*«  Scientific  Results,  — 
Dr.  Sven  Hedin  in  the  Lob  Nor  Region. 

—  Ship  Uanals  in  AuBtria.  —  Stiffe: 
Ancient  Trading  Centres  of  the  Persian 
Gulf.  —  Molyneux's  Map  of  the  Sebungu 
Distric  t.  —  Central  Borneo. 

The  Scottish  Geographical  Magazine. 
1901.  Nr.  8  Reclus:  The  Teaching  of 
Geography.  —  Cash:  The  First  Topo- 
graphical  Survev  of  Scotland.  —  France 
and  the  Penetration  of  the  Central  Sudan. 

Ans  verschiedenen  Zeitschriften. 

Ahlen  ius,  K.:  Zur  Kenntnis  der  Geo- 
graphie u.  Kartographie  Skandinaviens 
in  der  letzten  Hälfte  des  10.  Jahr- 
hunderts i schwedisch,  mit  deutschem 
Resume).  SkrifUn  utgifna  af  K.  Huma- 
nist ika  Vetenskap-  Sam fandet  i  f'psala. 
VI.  5. 

Ebert,  H  :  Sarasin's  neues  selbstregistrie- 
rendes  Limnimeter.  Z.  f.  Instrumenten- 
kunde.   1901 ,  Juli. 

E  b  e  r  t ,  II. :  Periodische  Seespiegelschwaii- 
kungen  f  Seiches),  beobachtet  am  Starn- 
berger See.  Sitzungsher.  d.  math  -jthys. 
Kl.  d.  kgl.  bayer.  Ak.  d.  U'iss.  XXX. 
1900,  3. 

Schwabe,  G.:  Die  Schiffahrtsverhiiltnisse 
der  deutschen  Schutzgebiete.  Z.  f. 
Binnenschiffahrt.    1901,  16. 


Verantwortlicher  Henm»jrcber :  Prof,  Dr.  Alfred  Hettner  ia  Heidelberg. 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel -Asien, 

Persien  und  Afghanistan. 

Von  Oberleutnant  a.  D.  Kürchhoff. 

Den  Staaten  Europas  sind  schon  seit  langem  die  ihnen  in  der  Heimat 
gesteckten  Grenzen  zu  eng  geworden.  Besonders  in  den  letzten  Jahren  hat 
sich  mehr  und  mehr  das  Bestreben  geltend  gemacht,  das  überflüssige  Kapital, 
die  im  eigenen  Land  nicht  verwendbaren  Kulturerzeugnisse  und,  wenn  irgend 
möglich,  auch  das  im  Mutterland  überschiefsende  Menschenmaterial  in  unter 
eigener  Oberhoheit  oder  wenigstens  mehr  oder  minder  grofsem  eigenem  Ein- 
flufs  stehenden  aufsereuropäischen  Gebieten  unteraubringen.  Richten  wir 
unseren  Blick  im  Rücksicht  auf  das  Gesagte  auf  Asien,  so  hat  im  Osten 
dieses  Erdteiles  die  Aufteilung  schon  in  mehr  oder  minder  grofsem  Umfang 
hegonnen  und  auch  im  Westen  des  genannten  Kontinents  fangen  die  euro- 
päischen Nationen  an,  sich  allmählich  immer  mehr  Einflufs  zu  verschaffen. 
Während  im  Osten  die  Aufteilung  durch  Pachtungen  und  Gebietsabtretungen 
ähnlicher  Art  sich  geltend  macht,  äufsert  sich  im  Westen  das  Vorgehen 
zunächst  durch  Erlangung  von  Eisenbabnkonzessionen,  durch  welche  immer- 
hin die  Gewinnung  des  Einflusses  in  bestimmten  Grenzen  möglich  ist,  und 
so  kann  man  auch  in  diesen  Gegendon  schon  auf  Grund  der  verschiedenen 
Kouzessiouserteilungen  in  gewissem  Sinn  von  Interessensphären  sprechen. 

Betrachtet  man  zunächst  Türkisch- Asien,  so  bildet,  was  die  Eisen- 
bahnen betrifft,  der  Nordsaum  Anatoliens  eine  russische,  der  Rest  des 
Landes  eine  deutsche  und  deutsch  -  französische,  Syrien  eine  französische 
Interessensphäre.  England,  welches  schon  frühzeitig  versucht  hat,  in  Kleiu- 
asien  festen  Fui's  zu  fassen,  dürfte,  wie  die  Verhältnisse  augenblicklich  in  diesen 
Gegenden  liegen,  nicht  mehr  in  Betracht  kommen. 

Bekanntlich  ist  der  Eisenbahnbau  in  der  asiatischen  Türkei  sehr  wenig 
entwickelt.  Zwar  sind  schon  seit  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  verschiedene 
Linien  in  Betrieb  genommen,  jedoch  erfolgte  die  Herstellung  dieser  von 
von  einander  unabhängigen  Gesellschaften  verschiedener  Nationen  erbauten 
Bahnen,  ohne  dafs  die  türkische  Regierung  an  diesem  neuen  Verkehrsmittel 
besonderes  Interesse  genommen  hätte,  und  es  fehlte  daher  bei  der  Konzessions- 
erteilung zunächst  der  einheitliche  Grundplan.  Hieraus  ergab  sich,  dafs  zwar 
gegenwärtig  eine  gewisse  Anzahl  Linien  von  den  grofsen  Häfen  des  Mittel- 
meeres ausgehen,  dafs  dieselben  aber,  da  sie  nicht  mit  einander  verbunden 
sind,  dem  Staat  bezw.  der  Volkswirtschaft  nicht  die  Dienste  leisten,  die  man 
von  ihnen  erwarten  kann. 

OeogriphUche  ZelUchrift.  7.  Jahrgang.  l'JOl.  11.  Hefl.  41 


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010 


Kürehhoff: 


Die  türkische  Regierung  liefs  den  ersten  Plan  für  den  Ausbau  des 
Bahnnetzes  in  Kleinasien  im  Jahre  1872  von  dem  österreichischen  Ingenieur 
Pressel  ausarbeiten,  aber  erst  im  Jahre  1879  wurde  der  erste  Schritt  zur 
Ausführung  desselben  durch  den  Bau  der  92  km  langen  Eisenbahn  Haidar- 
Pascha  — Ismid  gethau.  Die  Weiterführung  dieser  Linie  mufste  infolge  des 
bei  der  Regierung  sich  fühlbar  machenden  Geldmangels,  und  da  sieh  zunächst 
keine  kapitalkräftige  Gesellschaft  zur  Übernahme  des  Betriebes  und  zum 
Weiterbau  fand,  vorläufig  unterbleiben. 

In  d«n  folgenden  Jahren  richtete,  sich  das .  JBestrebeu  der  türkischen 
Regierung  besonders  auf  eine  Verbindung  mit  Persien  und  wurde,  durch  den 
zwischen  beiden  Ländern  herrschenden  lebhaften  Handelsverkehr  veraulafst, 
im  Jahr  188  t  eine  von  Erzerum  nach  der  persischen  Grenze  führende  Post- 
verbindung hergestellt. 

In  demselben  Jahr  wurden,  ohne  dafs  sie  zur  Ausführung  gekommen 
wären,  folgende  Eisenbahnprojekte  in  Erwägung  gezogen:  1.  Trapezunt  — 
Erzerum  —  Bagdad.  2.  Vom  Mittelländischen  Meer  nach  Mosul,  im  Auschlufs 
an  die  im  gleichen  Jahr  fertig  gestellte  Bahn  Mersina — Adana. 

Nachdem  bei  der  Herstellung  der  Bahn  Haidar- Pascha  — Ismid  die  tür- 
kische Regierung  ihre  Unfähigkeit  dargethau  hatte,  den  beabsichtigten  Aus- 
bau des  kleinasiatischen  Eisenbahnnetzes  auf  eigene  Rechnung  auszuführen, 
herrschte  zwischen  englischen,  französischen  und  deutschen  Bewerbern  ein 
heftiger  Wettstreit,  welchen  der  Sultan  im  Jahre  1888  zu  Gunsten  der 
letzteren  entschied,  indem  einer  „Gesellschaft  der  anatolischen  Eisenbahnen", 
an  deren  Spitze  die  Deutsche  Bank  in  Berlin  stand,  die  Konzession  zum  Bau 
der  490  km  langen  Bahn  Ismid  — Angora  über  Eski-Schehr  erteilt  wurde. 

Im  genannten  Jahre  hat  die  türkische  Regierung  eigentlich  erst  damit 
begonnen,  sich  lebhafter  für  den  Ausbau  dieses  wichtigsten  aller  Verkehrs- 
mittel zu  interessieren,  und  zwar  gab  hierzu  den  Anstois  der  im  Jahre  1876 
zur  Regierung  gekommene  Sultan  Abdul -Hamid,  der,  als  er  seine  Herrschaft 
antrat,  in  Kleinasien  nur  zusammen  512  km  Eisenbahnen  im  Betrieb  vorfand, 
jedoch  von  jeher  ein  reges  Augenmerk  auf  die  Erweiterung  der  Bahnen  in  diesem 
Teile  seines  Reiches  gerichtet  hatte.  Dieses  Interesse  hatte  allerdings  zunächst 
seinen  Ursprung  in  iunerpolitischen  und  militärischen  Gründen:  die  Regierungs- 
gewalt auszudehnen,  die  Provinzen  fester  an  die  Hauptstadt  zu  knüpfen,  und 
der  Wunsch,  die  Truppen  möglichst  schnell  zusammenziehen  zu  können,  ein- 
mal zur  Sicherung  gegen  feindliche  Angritfe  und  zweitens  zur  Niederwerfung 
aufrührerischer  Volksstämme,  war  der  hauptsächlichste  Zweck  der  Eisenbahn- 
baupläne der  Regierung.  Wenn  somit  die  Förderung  der  Volkswirtschaft  durch 
die  neuen  Verbindungen  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht  kam,  so  mufste 
doch  die  neu  einsetzende  Entwicklung  des  Bahnbaues,  bei  welchem  die  Ge- 
samtlänge der  in  Betrieb  befindlichen  Strecken  etwa  auf  das  vierfache  — 
wovon  etwa  die  Hälfte  deutsche  Bahnen  —  stieg,  doch  auch  wesentlichen 
handelspolitischen  Eintlufs  haben. 

Betrachten  wir  zunächst  kurz  die  schon  von  früher  hier  bestehenden  Linien: 

1.  Die  Eisenbahn  Smyrna  —  Al'din.  Dieselbe  wurde  mit  englischem  Kapital 
im   Jahr  1Ö66  normalspurig  in  Bau   genommen    und  als   erste  Eisenbahn 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  et«.  OH 

Kleinasiens  im  Jahr  1866  eröffnet.  Die  Verlängerung  bis  Dineir  konnte  im 
Jahr  1888  dem  Betrieb  übergeben  werden,  sodafs  nunmehr  die  Gesamtlange 
dieser  Bahn  521  km  beträgt.  Im  Lauf  der  Jahre  erfolgte  die  Inbetrieb- 
nähme  der  kleinen  Abzweigungen  Torbali  —  Bafnder — -Odemisch  und  Bulatly — 
Tsehivril.  Die  besonders  in  der  letzten  Zeit  sich  bemerkbar  machenden  Be- 
mühungen der  englischen  Gesellschaft,  die  Balm  von  DineYr  aus  östlich  an 
die  später  erbaute  Linie  nach  Konia,  die  sich  der  Atdin-Bahn  an  ihrem 
genannten  Endpunkt  bis  auf  100  km  nähert,  verlängern  zu  dürfen,  wahrschein- 
lich in  der  Hoffnung,  die  Waren  dadurch  auf  die  eigene  Strecke  ablenken 
zu  können,  sind  bisher  gescheitert  und  dürfte  diese  Verbindung  nunmehr  aus 
Gründen,  welche  aus  dem  Späteren  hervorgehen,  nicht  mehr  zur  Ausführung 
gelangen. 

2.  Die  Linie  Smyrna  —  Kassaba  wurde  ebenfalls  im  Jahr  18G6  normal- 
spurig  dem  Verkehr  übergeben,  machte  aber  schlechte  Geschäfte  und  ging 
zunächst  in  die  Hände  der  türkischen  Regierung,  die  die  Bahn  bis  Ala-Schehr 
verlängerte,  dann  wieder  an  englisches  Kapital  und  im  Jahr  1878  in  deu 
Besitz  der  sie  noch  heute  betreibenden  französisch  -  belgischen  Gesellschaft 
über.  Im  Jahr  1890  bewilligt«  die  Pforte  die  Verlängerung  der  Eisenbalm 
bis  nach  Kara  Hissar,  bis  zu  welchem  Ort  der  Betrieb  im  Jahr  1898  bei 
einer  Gesamtlänge  der  Linie  von  517  km  aufgenommen  werden  konnte.  Ein 
Anschlufs  an  die  den  Endpunkt  ebenfalls  berührende  anatolische  Bahn  fand, 
da  beide  in  Frage  kommenden  Gesellschaften  sich  nicht  einigen  konnten, 
nicht  statt,  jedoch  dürfte  sich  dieser  Zustand  jetzt  ändern,  da  sich  beide 
Gesellschaften  zu  einem  gemeinsamen  Vorgehen  bei  dem  Bahnbau  in  Klein- 
asien geeinigt  haben. 

Im  Jahr  1890  wurde  von  der  gleichen  Gesellschaft  die  90  km  lange 
Zweiglinie  Maghnesia  —  Sorna  und  die  kurze  Bahn  Smyrna — Burnabad 
erbaut. 

3.  Die  42  km  lange  Linie  Mudania —  Brussa,  welche  im  Jahr  1881 
als  Teil  eines  gröfseren  österreichischen  Planes,  der  infolge  Geldmangels  nicht 
zur  Ausführung  kommen  konnte,  schmalspurig  eröffnet  wurde,  und  die  bald 
in  die  Hände  der  die  unter  2  angegebene  Bahn  betreibenden  Gesellschaft 
überging.  Im  Jahr  1892  erfolgte  der  Umbau  in  eine  Normalspurbahn  und 
gleichzeitig  die  Verlängerung  nach  Inegiöl  und  Jenischehr,  sodars  die  Gesamt- 
länge jetzt  80  km  beträgt.  Eine  Verlängerung  bis  zu  dem  48  km  entfernten 
Tschili  au  der  anatoliseheu  Bahn  ist  geplant. 

Wie  schon  oben  kurz  erwähnt,  wurde  im  Anschlufs  an  die  bestehende 
Bahn  Haidar-  Pascha  —  Ismid  im  Jahre  1888  durch  einen  Firman  der  Bau 
einer  485  km  langen  Eisenbahn  Ismid  —  Angora,  die  im  Jahr  1892  eröffnet 
wurde,  nebst  einer  Zweigbahn  Hamidje — Adabasar  und  im  Jahr  1893  die- 
jenige der  445  km  laugen  Anschlufslinie  Eski-Schehr — Konia,  ferner  die 
Verlängerung  der  ersteren  Strecke  von  Angora  nach  Kaisarie  (425  km)  der 
Gesellschaft  der  anatolischen  Bahnen  gestattet,  Nach  Fertigstellung  der 
letzteren  Linie,  die  allerdings  überhaupt  noch  nicht  in  Bau  genommen  ist, 
hat  die  genannte  Gesellschaft  1447  km  in  Betrieb. 

Die  türkische  Regierung  garantierte  für  die  Strecke  Haidar- Pascha  — 

41* 


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Kürchhoff: 


Isniid  pro  Jahr  und  Kilometer  18  300  Fr.,  für  die  Strecke  Isniid  —  Angora 
eine  Bruttoeinnahme  von  15  000  Fr.  und  verpflichtete  sich,  für  die  Strecke 
Eski-Schehr — Konia  einen  jährlichen  Zuschufs  von  höchstens  6741  Fr.  pro 
Jahr  und  Kilometer  zu  zahlen.  Zur  Sicherstellung  dieser  Garantien  sind  der 
Gesellschaft  für  die  Strecke  Haidar- Pascha — Isniid  —  Angora  die  Einnahmen 
aus  dem  Zehnten  der  Bezirke  Ismid,  Ertogrul,  Kutahia  und  für  die  Strecke 
Eski-Schehr — Konia  die  Einnahmen  aus  dem  Zehnten  der  Bezirke  Trapezunt 
und  Gumuschhane  verpfändet  worden.  Die  Konzessionen  sind  der  Gesellschaft 
auf  91»  Jahre  erteilt  und  gehen  die  Bahnen  nach  Ahlauf  derselben  kostenlos 
in  den  Besitz  der  türkischen  Regierung  über;  der  Wert  der  Betriebsmittel 
insbesondere  des  rollenden  Materials  und  der  Vorräte  ist  jedoch  auf  Grund 
einer  vorzunehmenden  Taxe  zu  vergüten.  Letzteres  gilt  auch  für  die  Bau- 
anlagen für  den  Fall,  dafs  die  Regierung  von  dem  ihr  ab  Februar  1923 
zustehenden  Recht  der  Erwerbung  der  Bahn  Gebrauch  machen  sollte.  Der 
Preis  der  Erwerbung  besteht  in  der  jährlich  zu  entrichtenden  Zahlung  von  50  0  0 
der  durchschnittlichen  Bruttoeinnahme  der  letzten  fünf  Jahre,  aber  mindestens 
10  000  Fr.  pro  Kilometer.  Diese  Summen  sind  eintretendenfalls  durch  die 
türkische  Regierung  sicher  zu  stellen. 

Diese  angeführten  anatolischen,  normalspurigen,  zunächst  cingeleisigen 
Bahnen  stellen  vor  allem  im  Hinblick  auf  die  Verbindung  des  Inneren  Klein- 
asiens  mit  der  Hauptstadt  die  weitaus  wichtigsten  der  jetzt  bestehenden 
kleinasiatischen  Eisenbahnlinien  dar.  Dieselben  haben  wirtschaftlich  sehr  be- 
deutsame Gebiete  erschlossen,  den  Wert  der  durchzogenen  Gegenden  ungemein 
gesteigert  und  auch  sonst  der  türkischen  Regierung  sehr  grofse  Vorteile 
gebracht.  Der  Zehnte  hat  sich  in  wenigen  Jahren  verdoppelt,  die  Land- 
wirtschaft nahm  einen  grofsen  Aufschwung,  das  Räuberunwesen  hörte  auf, 
die  Verwaltung  wurde  gefestigt,  die  Rekrutierung  und  Mobilmachung  er- 
leichtert, der  Rassen-  ünd  Religionshafs  wurde  beseitigt  und  der  Europäer 
kann  heute  in  vollständiger  Sicherheit  Städte,  welche  früher  durch  den  Fana- 
tismus ihrer  Bewohner  gefürchtet  waren,  durchschreiten. 

Was  nun  die  inneren  Verhältnisse  der  anatolischen  Bahnen  betrifft,  so 
wird  in  dem  letzten  Bericht  hervorgehoben,  dafs  die  Stellung  derselben  sich 
gefestigt  habe1).  Im  Jahr  1899  betrug  die  Einnahme  5  192  941  Fr.  Jedoch 
war  dieser  Zeitabschnitt  durch  eine  fast  völlige  Mifsernte  und  niedrige  Ge- 
treidepreise äufserst  ungünstig  beeinflufst.  Die  Einnahmen  des  Jahres  1900 
bis  zum  21.  Oktober  betrugen  5  067  209  Fr.  und  überstiegen  diejenigen  der 
entsprechenden  Zeit  des  Vorjahres  um  1  090  608  Fr.  Bei  öfterer  Wiederkehr 
guter  Ernten  erscheint  die  Rentabilität  dieser  Bahnen  aufser  Frage  gestellt 
zu  sein,  und  es  ist  auch  im  Interesse  des  ganzen  Landes  zu  wünschen,  dafs 
dieses  Unternehmen  gedeihen  möge,  weil  von  der  ferneren  Rentabilität  der 
Ausbau  des  kleinasiatischen  Bahnsystems  nach  Syrien  und  den  Euphratländern 
abhängig  sein  wird.  Dafs  die  anatolischen  Bahnen  auch  grofse  militärische 
Bedeutung  haben,  hat  der  türkisch -griechische  Krieg,  bei  welchem  sie  zu 
grofseu  Truppentransporten  berufen  waren,  zur  Genüge  bewiesen. 


1)  Geschäftsbericht  der  anatolischen  Bahnen  laOO. 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  613 

Die  Franzosen  haben  sich  die  Küste  an  der  Nordostecke  des  Mittel- 
meeres und  Syrien  zunächst  zum  Schauplatz  ihrer  Thätigkeit  ausersehen. 
Vom  nördlichen  Teil  des  Busens  von  Alexandrette  zieht  nach  Osten,  der  oben 
genannten  Smyrna  —  Atdin- Bahngesellschaft  gehörig,  die  71  km  lange  im 
Jahr  1886  dem  Verkehr  übergebene  Strecke  Mersina  —  Adana.  Dieselbe  war 
ursprünglich  mit  englischem  und  französischem  Kapital  erbaut,  hatte  jedoch, 
da  keine  Zinsgarantie  von  der  türkischen  Regierung  übernonmien  war,  mit 
sovielen  pekuniären  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  dafs  sich  die  englischen  Ge- 
sellschafter zurückzogen.  Der  Sitz  der  Gesellschaft  wurde  nun  von  London 
nach  Konstantinopel  verlegt,  worauf  sich  die  Einnahmen  so  hoben,  dafs  die 
Gesellschaft  wiederholt  um  die  Erlaubnis  eingekommen  ist,  über  Osmanieh 
nach  Biardschik  am  Euphrat  weiterbauen  zu  dürfen,  um  so  den  Anschlufs 
an  die  grofse  Karawanenstrafse  zu  erlangen.  Bisher  wurde  diesem  Wunsch 
von  der  Pforte  noch  nicht  entsprochen.  Neuerdings  ist  die  Verlängerung  der 
Bahn  von  Adana  aus  derart  in  Aussicht  genommen,  dafs  die  Fortsetzung  in 
grofsem  Bogen  über  Osmanieh  und  M arasch  nach  Aleppo  und  Haina  zu  führt, 
um  so  den  Anschlufs  an  die  von  Damaskus  kommende  Bahn  zu  erreichen. 

Von  Aleppo  ist  der  Bau  einer  Zweigbahn  nach  Antakije  am  Nahr  el  Aci 
(Orontes)  geplant. 

In  Syrien  und  Palästina  dienen  die  grofsen  Häfen  den  Eisenbahnen  als 
Kopfpunkte.  Obgleich  diese  Strecken  nur  als  Beginn  grofser  Schienenwege 
gedacht  sind,  so  wird  vorläufig  und  wahrscheinlich  noch  sehr  lange,  teils 
infolge  mangelnder  Mittel,  teils  infolge  Unlust  der  türkischen  Regierung,  mit 
dem  jetzigen  Zustand  gerechnet  werden  müssen. 

Im  Jahr  1858  wurde  von  einer  französischen  Gesellschaft  eine  gute  Fahr- 
strafse  von  Beirut  nach  Damaskus  erbaut.  Dieselbe  brachte  so  zufriedenstellende 
Verdienste,  dafs  die  Engländer,  neidisch  auf  den  wachsenden  Einflufs  der  Fran- 
zosen in  Syrien,  von  der  türkischen  Regierung  die  Konzession  zu  einer  Eisen- 
bahn Haifa  —  Akka  —  Damaskus  erwarben.  Der  Bau  dieser  Linie  wurde  zwar 
begonnen,  mufste  aber  infolge  mangelnder  Fonds  trotz  der  darauf  verwendeten 
Summen  aufgegeben  werden. 

An  Stelle  dieses  verunglückten  Unternehmens  erhielt  eine  französische 
Gesellschaft  durch  einen  Ferman  im  Anfang  des  Jahres  1891  die  Erlaubnis 
zur  Herstellung  einer  Linie,  die  in  Beirut,  einer  wiederauf blühenden  Hafen- 
stadt, die  sich  innerhalb  dreifsig  Jahren  von  21000  E.  auf  120  000  E.  ver- 
gröfsert  hat,  beginnt  und  durch  den  Libanon  und  Antilibauon  ziehend  nach 
der  „Perle  des  Orients",  dem  in  der  fruchtbaren  syrischen  Ebene  gelegenen 
Damaskus,  führt.  Die  Bahn  ist  schmalspurig  (1,05  m)  und  hat  eine  Länge 
von  147  km.  Zu  derselben  Zeit  erhielt  eine  belgische  Gesellschaft  die  Er- 
laubnis zum  Bau  einer  Eisenbahn  von  Damaskus  nach  dem  südlich  gelegenen 
El  Muserib.  Beide  Unternehmen  vereinigten  sich  im  Dezember  des  Jahres 
1891  zu  einer  „Compagnie  ottomane  des  chemins  de  fer  economique  en  Syrie". 
Die  Eröffnung  der  103  km  langen  Strecke  Damaskus — El  Muserib  erfolgte 
im  Jahr  1894,  diejenige  der  147  km  langen  Linie  Beirut  —  Damaskus  ein 
Jahr  später.  Grofse  Bedeutung  in  handelspolitischer  Beziehung  konnten  beide 
Linien  bis  jetzt  noch  nicht  erlangen,  besonders  da  die  Gesellschaft  durch 


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614 


Kürchhoff: 


fibermäfsig  hohe  Tarife  den  Handel  schädigt.  Eine  Verlängerung  der  Bahn 
von  Damaskus  aus  nach  Norden  ist  schon  seit  längerer  Zeit  geplant  und 
bereits  im  Jahr  1893  die  Konzession  zur  Weiterführung  dieser  Linie  erteilt, 
aber  die  türkische  Regierung  schob  trotzdem  immer  wieder  ohne  besondere 
Gründe  die  Erteilung  der  Erlaubnis  zum  Beginn  des  Baues  hinaus.  Im 
Anfang  dieses  Jahres  endlich  gelang  es  eine  Irade  zu  erwirken,  nach  welcher 
der  genannten  Gesellschaft  der  sofortige  Bau  der  über  200  km  langen  Teil- 
strecke Rayah — Haina  als  Anfang  einer  AnschluTslinie  der  geplanten  Bahn 
nach  Bagdad  gestattet  und  eine  Kilometergarantie  von  12  500  Pr.  bewilligt 
wurde.  Diese  Bahn,  die  die  Bezeichnung  Beirut — Damaskus  —  Rayah — Haina- 
Bahn  (die  Bezeichnung  syrische  Bahn  hat  die  Pforte  im  Text  fortgelassen) 
führt,  soll  von  Horns  aus  eine  Abzweigung  nach  Tarabulus  erhalten  und  ist 
eine  spätere  Weiterführung  nach  Haleb  (Aleppo)  und  Biredschik  beabsichtigt. 
Sehr  wesentlich  ist  die  vom  Sultan  geforderte  Bestimmung,  dafs  der  türki- 
schen Regierung  jederzeit  das  Ankaufsrecht  der  erwähnten  Linie  freistehe. 
Die  Bedingungen,  zu  denen  der  Kauf  erfolgen  kann,  sollen  die  gleichen  sein, 
wie  sie  in  dem  endgiltigen  Vertrag  für  die  Bagdadbahn  in  Bezug  auf  letztere 
festgesetzt  worden  sind. 

Die  zweite  Linie,  die  normalspurig  ausgebaut  wird,  zum  gröfsten  Teil 
aber  erst  im  Plan  besteht,  beginnt  in  Haifa,  durchzieht  die  Ebene  Isreel, 
führt  zum  Jordan,  diesen  Flufs  entlang  bis  zum  See  Tiberias,  wendet  sich 
nach  Osten  und  erreicht  über  Schech  Sad  die  Bahn  Damaskus — El  Muserib 
bei  Ae*re.    Von  Haifa  ist  weiter  der  Anschlufs  nach  Akka  geplant. 

Bis  Herbst  1898  waren  von  dieser  Eisenbahn  nur  8  km  vollendet  und 
wurden  um  diese  Zeit  die  schon  länger  ruhenden  Arbeiten  wieder  aufgenommen. 
Dieselben  schreiten  seitdem  stetig  fort,  es  scheint  aber  fraglich,  ob  die  nötigen 
Mittel  zur  Beendigung  der  ganzen  Strecke  aufgebracht  werden  können.  Die 
Erdbauten  und  Brücken  sind  jetzt  bis  km  57,  d.  h.  bis  in  die  Nähe  von  Besan 
im  Jordanthal,  beendet.  Ausgenommen  ist  nur  eine  Strecke  von  5  km  Länge 
bei  Solem  (km  40 — 45),  welche  jetzt  im  Bau  ist.  Jenseits  km  57  ist  zu- 
nächst eine  Weiterführung  gänzlich  unmöglich,  da  den  Unternehmern  ver- 
weigert worden  ist,  ihre  Thätigkeit  in  den  rings  um  Besan  liegenden  Gütern 
des  Sultans  zu  beginnen.  Die  Differenzen  konnten  noch  nicht  beigelegt 
werden  und  es  ist  anzunehmen,  dafs  der  Verzögerungsgrand  der  Regierung 
darin  zu  suchen  ist  ,  date  sie  wenig  Neigung  zu  haben  scheint,  ihren  beiden 
Häfen  Beirut  und  Jafa  in  Haifa  eine  Konkurrenz  entstehen  zu  lassen,  die  in 
kurzer  Zeit  den  gesamten  Handel  von  Syrien  und  Palästina  an  sich  ziehen 
und  die  kostspieligen  Anlagen  in  den  alten  Häfen  brach  legen  würde.  Bis- 
her sind,  wohl  aus  demselben  Grund,  alle  Pläne,  Haifa  einen  besseren  Hafen, 
für  den  alle  Vorbedingungen  vorhanden  sind,  zu  geben,  gescheitert. 

Die  dritte  Eisenbahn  ist  die  87  km  lange,  von  einer  französischen  Gesell- 
schaft betriebene,  eingeleisige  Schmalspurbahn  Jafa — Jerusalem,  zu  der  im 
Jahre  1888  die  Konzession  erteilt  und  die  1892  eröffnet  wurde.  Es  besteht 
die  Absicht,  diese  Bahnlinie  nach  Süden  nach  Betlehem  zu  verlängern. 

Hiermit  ist  das  Netz  der  in  der  asiatischen  Türkei  in  Betrieb  befindlichen 
Bahnen  erschöpft. 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnplane  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  615 

Fassen  wir  zunächst  die  weiteren  Eisenbahnbaupläne  in  Syrien  ins  Auge, 
so  ist  die  Verlängerung  der  Linie  Damaskus — El  Muserib  nach  Süden  parallel 
der  Küste  geplant.  Diese  Verlängerung  soll,  mehrere  Seitenlinien  ins  Innere 
entsendend,  das  Tote  Meer  im  Osten  umgehen  und  dann  entweder  sich  nach 
Westen  wendend  in  Ghezze  (Geza)  am  Mittelmeer  enden,  oder,  nach  genanntem 
Ort  nur  eine  Zweigbahn  entsendend,  bis  Suez  oder  Ismail  weitergeführt  werden. 
Ein  Anschlufs  an  die  jetzt  im  Betrieb  befindliche  Bahn  Jafa — Jerusalem  ist 
nicht  vorgesehen.  Die  türkische  Regierung  beabsichtigt  den  Bau  einer  Eisen- 
bahn von  El  Muserib  nach  Medina  und  Mekka.  Die  Vorarbeiten  haben  am 
31.  "August,  dem  Jahrestage  der  Thronbesteigung  des  Sultans,  begonnen,  und 
wird  die  Trace  möglichst  genau  der  von  den  Karawanen  eingeschlagenen 
Strafse  folgen.  Um  den  Ausgangspunkt  von  dem  jetzigen  Ort  nach  Damaskus 
verlegen  zu  können,  unterhandelt  die  Pforte  wegen  Ankaufs  der  Bahn  Damaskus — 
El  Muserib  und  zwar  für  den  Preis  von  6  Mill.  Fr.  Es  ist  anzunehmen, 
dafs  eine  Einigung  erzielt  wird,  denn  die  Gesellschaft  ist  von  ihrer  ursprüng- 
lichen Forderung  von  10  Mill.  Fr.  schon  auf  7  600  000  Fr.  heruntergegangen. 
Die  Stimmung  der  Mohammedaner  ist  sehr  zu  Gunsten  dieser  Bahn,  denn 
sie  haben  darin  ein  Mittel  erkannt,  welches  die  Pilgerfahrten  nach  den  ver- 
schiedenen heiligen  Plätzen  Arabiens  sehr  erleichtert;  wie  weite  Kreise  dieses 
Interesse  zieht,  geht  daraus  hervor,  dafs  der  Emir  von  Buchara  kürzlich 
160  000  Rubel  zum  Bahnbau  beigesteuert  hat. 

Selbst  nach  Ausführung  aller  bisher  angegebenen  Pläne  kann  aber,  wie 
leicht  ersichtlich,  das  vorhandene  Bahnnetz  nicht  den  berechtigten  Ansprüchen 
genügen,  um  eine  wirkliche  Hebung  von  Handel  und  Wandel  zu  veran- 
lassen. 

Sehr  vorteilhaft  für  die  Türkei  war  es  deshalb,  dafs  im  Jahr  1899  die 
Gesellschaft  der  anatolischen  Bahnen,  an  deren  Spitze  die  Deutsche  Bank  in 
Berlin  steht,  die  Initiative  zur  weiteren  Ausdehnung  des  Bahnnetzes  in  Klein- 
Asien  ergriff.  Am  23.  Dezember  1899  wurde  zwischen  der  genannten  Ge- 
sellschaft und  der  türkischen  Regierung  ein  Vertrag  abgeschlossen,  nach 
welchem  eine  vorläufige  Konzession  bewilligt,  wurde,  für  eine  Linie,  ausgehend 
von  Konia  in  südöstlicher  Richtung  über  Adana  —  Marasch — ATfntab  nach 
Bagdad.  Die  Spurweite  mufs  1,44  betragen,  der  Bau,  eingeleisig,  jedoch 
unter  Rücksichtnahme  auf  einen  zweigeleisigen  Ausbau,  innerhalb  acht  Jahren 
vollendet  sein;  auch  ist  die  Übertragung  der  Konzession  an  eine  andere  Gesell- 
schaft ausgeschlossen.  Die  Garantiefrage  bleibt  Gegenstand  späterer  Ver- 
handlungen. Die  Konzession  gestattet  ferner  die  eventuelle  Verlängerung  nach 
Basra.  Zur  Verbindung  mit  dem  jetzt  bestehenden  nördlichen  Zweig  der 
anatolischen  Eisenbahnen  ist  eine  Verbindungslinie  von  Marasch  nach  Kaisarie  — 
Josgad — Angora  geplant. 

Bei  der  Feststellung  der  allgemeinen  Trace  standen  sich  anfangs  zwei 
Ansichten  gegenüber,  indem  zunächst  noch  eine  nördliche  Linie  in  Betracht 
gezogen  wurde,  und  zwar  sollte  dieselbe  von  Angora  über  Kaisarie  oder  Siwas 
nach  Frfa  bezw.  Diarbekr  und  weiter  nach  Mosul  u.  s.  w.  führen. 

Diese  letztere  Linie  wurde,  weil  sie  so  recht  die  ganze  Mitte  des  türkischen 
Asiens  erschliefst  und  somit  der  Rekrutierung  und  Mobilmachung  am  nütz- 


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616 


Kürchhoff: 


lichsten  gewesen  wäre,  vom  türkischen  Generalstab  und  dem  Kriegsministerium 
als  Vollbahn  befürwortet,  während  das  Arbeitsministerium,  welches  den  Aus- 
schlag zu  geben  scheint,  diese  Linie  der  Schmalspur  überläfst  und  für  die 
pinem  etwaigen  Angriff  Rufslands  weit  weniger  ausgeselzte  südliche  Linie  ein- 
trat, da  sie  durch  die  wirtschaftlich  aussichtsvolleren  Gebiete  führt.  Was 
die  technischen  Verhältnisse  anbetrifft,  so  sei  darauf  hingewiesen,  dafs  es 
sich  bei  der  Durch quvrung  Anatoliens  und  Mesopotamiens  um  Gebiete  handelt, 
die  schon  seit  uralter  Zeit  die  Völkerbrücke  zwischen  Ost  und  West  waren, 
nur  dafs  sich  jetzt  die  Bewegung  in  umgekehrter  Richtung  vollzieht  wie  ehemals. 
Es  handelt  sich  also  bei  der  zu  errichtenden  Verkehrsstrafse  nur  darum,  den 
alten  Spuren  lang  geschwundener  früherer  Gebieter  zu  folgen. 

Die  Hochebene  Vorder -Kleinasiens  ist  gegen  Süden  durch  gewaltige 
Ketten  abgeschlossen.  Von  Westen  nach  Osten  ziehen  der  Taurus  und  der 
Antitanrus  zum  armenischen  Hochland  hin.  Besonders  das  erstgenannte 
Gebirge  zeichnet  sich  durch  Unzugänglichkeit  aus.  Vermittelst  welches  Passes 
der  Übergang  der  von  Konia  ausgehenden  Linie  bewerkstelligt  werden  wird, 
steht  noch  nicht  fest.  Der  wichtigste  Pafs  ist  der  Gulak-Boghar-Pafs,  die 
Cilicischen  Thore  der  Alten,  durch  welchen  die  grofse  Heer-  und  Karawanen- 
strafse  von  Kleinasien  nach  Syrien  führt.  Westlich  dieses  wahrscheinlichen 
Übergangspunktes  machen  noch  die  Flufsdurchbrüche  das  Überwinden  des  Ge- 
birges möglich: 

1 )  von  Eregli  durch  das  Thal  des  Bogantisu  oder  Tschakutsu  (Pässe  1 400  m), 

2)  von  Karaman  durch  das  Thal  des  Lamasflusses  (Pässe  1700  m), 

3)  durch  das  Thal  des  Busaktsche,  vermittelst  dessen  man  in  das  Thal 
des  Gök-su,  des  Kalykadnos  der  Alten,  gelangt. 

Es  handelt  sich,  wie  schon  gesagt,  bei  dieser  Konzession  zunächst  nur 
um  eine  vorläufige,  von  einer  endgilt  igen  Übertragung  ist  noch  nicht  die  Rede, 
wie  auch  noch  kein  definitiver  Entscheid  getroffen  ist,  ob  thatsächlich  auch 
die  südliche  und  nicht  die  nördliche  Linie  ausgebaut  werden  soll.  Die  Schlufs- 
verhandlungen  finden  jetzt  erst  statt,  nachdem  die  zur  genaueren  Festsetzung 
der  Linie  entsandte  Kommission  zurückgekehrt  ist. 

Wollte  die  Gesellschaft  der  anatolischen  Bahnen  von  der  erhaltenen  Kon- 
zession den  Vorteil  haben,  welchen  sie  erzielen  kann,  so  war  es  nötig,  Anschlufs 
an  Smyrna,  den  grofsen  und  wichtigsten  Hafen  von  Türkisch- Asien,  zu  ge- 
winnen, und  um  dieses  zu  erreichen,  fanden  zunächst  mit  der  englischen  Smyrna — 
Ai'din-Bahngesellschaft  Verhandlungen  in  dem  Sinne  statt,  dafs  die  genannte 
Bahn  von  der  Gesellschaft  der  anatolischen  Bahnen  übernommen  werden  sollte. 
Die  Forderungen  der  Engländer  waren  jedoch  derartig  hoch  geschraubt,  dafs 
sich  die  Verhandlungen  zerschlugen.  Infolgedessen  wurde  mit  der  französischen 
Gesellschaft  der  Smyrna — Kassaba-Bahn  ein  Vertrag  abgeschlossen,  nach  welchem 
die  anatolische  Bahn  die  genannte  Bahn  benutzen  darf.  Beide  Kontrahenten 
einigten  sich  dahin,  dafs  beide  die  Linie  nach  Bagdad  bauen.  Von  dem 
Kapital  entfallen  auf  sie  je  40%,  die  übrigen  20%  verteilen  sich  auf  Schweizer, 
Österreicher  und  Belgier. 

Dieser  oben  angegebene  Bahnbau  ist  für  alle  Beteiligten  von  aufser- 
ordentlich  hoher  Bedeutung. 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  ete.  617 

Zunächst  die  Urheber  des  Projektes:  die  Deutschen.  Standen  dieselben 
mit  den  anatolischen  Bahnen  schon  jetzt  weitaus  im  Vordergrund  der  Eisen- 
bahn-Interessenten in  Türkisch- Asien,  so  wird  doch  ihr  wirtschaftlicher  Einflufs 
mit  der  Vollendung  der  Bagdad-Bahn  noch  wesentlich  vormehrt.  Durch  dieses 
Unternehmen  ist  auf  Jahre  hinaus  der  deutschen  Industrie  eine  grofsartige 
Aussicht  eröffnet  und  ihr  sind  während  der  Zeit  des  auf  acht  Jahre  berech- 
neten Baues  grofse  und  lohnende  Aufgaben  gestellt,  ganz  abgesehen  davon, 
dafs  die  Bahn  grofse  Strecken  bebauungsfähigen  Landes  öffnet  und  den  Weg 
für  deutsche  Handelsübermacht  in  Kleinasien  und  Mesopotamien  ebnet.  Deutsch- 
land mit  Vorzugspreisen  für  Güter  auf  den  deutschen  Linien  wird  fähig  sein, 
die  Hauptmärkte  von  Kleinasien  zu  beeinflussen,  denn  schon  sind  die  grofsen 
verteilenden  Punkte,  Konstantin opel  und  Smyrna,  in  handelspolitischer  Beziehung 
unter  die  Kontrolle  der  Deutschen  gekommen,  seit  die  anatolische  Bahn  von 
Eski  Schehr  nach  Konstantinopel  verlängert  worden  ist. 

Frankreich  zieht  zweifellos  infolge  des  oben  erwähnten  Vertrages  aus  dem 
Unternehmen  sehr  grofse  Vorteile,  besonders  da  es  bei  Nichtbeteiligung  leicht 
hätte  von  jedem  weiteren  Wettbewerb  in  Kleinasien  ausgeschlossen  werden 
können.  Erstens  erhält  die  französische  Eisenbahn  Smyrna — Kassaba  eine 
Frachtvermehrung  und  zweitens  hat  die  französische  Gesellschaft  den  gleichen 
Gewinnanteil  wie  die  deutsche  mit  allen  finanziellen,  industriellen  und 
moralischen  Vorteilen,  welche  von  dieser  Unternehmung  herrühren.  Dieser 
Vertrag  sichert  der  französischen  Industrie  und  dem  französischen  Kapital 
ein  auf  Gleichheit  beruhendes  Vorgehen  mit  der  deutschen  Industrie  und 
dem  deutschen  Kapital  in  dem  zukünftigen  Bau  der  Eisenbahnen  in 
Türkisch  -  Asien. 

Den  gröfsten  Vorteil  zieht  aber  durch  diesen  Bahnbau  unzweifelhaft  die 
Türkei.  Wohl  besonders  auch  aus  diesem  Grunde  hat  die  Gesellschaft,  die, 
da  die  Eisenbahn  zumeist  durch  zwar  früher  reich  bevölkerte,  jetzt  aber 
kulturell  sehr  zurückgebliebene  Gebiete  führt,  die  Linie  wenigstens  zunächst 
nicht  überall  zweifellos  für  rentabel  hält,  so  entschieden  darauf  bestanden, 
dafs  der  Staat  die  Einnahmen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  sicher  stellt. 

Wie  die  Verhältnisse  augenblicklich  liegen,  kann  nur  bei  einigen  kleinen 
Teilen  die  Sicherheit  eines  ausreichenden  Lokal-  und  Handelsverkehrs  geboten 
werden  und  ohne  staatliche  Zinsgewähr  ist  daher  der  Bahnbau  unmöglich. 
Dafs  die  Bahn  später,  wenn  es  ihr  gelungen  ist,  die  jetzt  toten  Länder  zu 
neuem  Leben  zu  erwecken,  reiche  Erträgnisse  abwerfen  wird,  dürfte  aufser 
jedem  Zweifel  stehen,  und  rechnet  man  die  noch  weiter  unten  zu  erwähnenden 
an  die  Bagdad-Bahn  sich  anschliefsenden  Eisenbahnprojekte  hinzu,  so  gewinnt 
die  Türkei  beträchtliche  Kulturflächen,  welche  von  einer  thatkräftigen  Ein- 
wanderung mit  Erfolg  besiedelt  werden  können;  denn  Mesopotamien  ist  eines 
der  fruchtbarsten  Länder  der  Erde,  das  sich  mit  Hilfe  der  geplanten  Bahnen 
in  ungeahnter  Weise  entwickeln  wird  und  die  erste  Kornkammer  Europas 
werden  kann.  In  letzterer  Hinsicht  ist  es  klar,  dafs  die  Erbauung  dieses 
Verbindungsweges  Rufsland  sehr  unangenehm  ist,  denn  dieses  hoffte  durch  die 
mit  der  Erbauung  der  transsibirischen  Bahn  geschaffene  gute  Verbindung  mit 
den  sibirischen  Getreidefeldern  die  entscheidende  Rolle  auf  dem  Getreide- 


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Kürchhoff: 


markt  spielen  7.«  können.  Diese  Traume  werden  mit  dem  Ban  der  meso- 
potamischen  Bahn  zerstört. 

Auch  darf  die  Wichtigkeit  der  Bahn  in  innerpolitischer  Beziehung  nicht 
vergessen  werden,  denn  mit  ihrer  Hilfe  kann  der  thatsilchliche  Machtbereich 
der  Regierung  in  Konstantinopel  erweitert  werden,  ja  durch  diese  Bahn  wird 
erst  die  Herrschaft  über  eine  grofse  Zahl  von  Stämmen  turanischer  und 
arabischer  Abkunft,  denen  die  Oberherrschaft  des  Sultans  bisher  nur  dem 
Namen  nach  bekannt  war,  gewonnen.  Diese  letzteren  haben  sich,  gestützt 
auf  die  ünzugängliehkeit  der  von  ihnen  bewohnten  Gegenden,  bis  jetzt  mit 
Erfolg  der  türkischen  Herrschaft  widersetzt.  Nachdem  aber  der  Ausbau  der 
anatolischen  Bahnen  vollendet  sein  wird,  wird  es  der  Regierung  in  Stambul 
möglich  sein,  sowohl  militärisch  wie  wirtschaftlich  gleichzeitig  von  Osten  und 
Westen  gegen  diese  unbotmafsigen  Stämme  vorzugehen. 

Die  strategische  Bedeutung  der  Bahn  darf  ebenfalls  nicht  unterschätzt 
werden,  denn  gestützt  auf  diese  vermag  die  Türkei  sowohl  auf  dem  Hochland 
von  Erzerum,  wie  an  der  persischen  Grenze  einem  etwaigen  Vordringen  der 
Russen  entgegenzutreten.  Ohne  weiteres  leuchtet  ferner  ein,  dafs  durch  den 
Ausbau  der  gedachten  Bahnen  die  Stellung  der  Türkei  in  allen  wichtigen 
zentralasiatischen  Fragen  eine  wesentlich  andere  wird  als  bisher.  Deutsch- 
land kann  hiermit  nur  zufrieden  sein,  wenn  auf  diese  Weise  die  Teilung  der 
asiatischen  Welt  zwischen  Rufsland  und  England  verhindert  wird  und  ein 
Dritter  auf  dem  Platz  erscheint,  durch  dessen  Vermittelung  Deutschlands  wirt- 
schaftliche Interessen  in  West-  und  Zentralasien  dauernd  gemehrt  nnd  ge- 
fördert werden. 

Beiläufig  sei  bemerkt,  dafs  sich  in  einem  östlichen  Seitenthal  des  Tigris, 
am  Schabur  bei  Scheramisrh.  Steinkohlenlager  finden,  die  dadurch  besondere 
Wichtigkeit  gewinnen,  dafs  sie  neben  einigen  kleinen  Minen  am  oberen 
Euphrat  und  bei  Eregli  am  Schwarzen  Meer  die  einzigen  in  der  asiatischen 
Türkei  sind. 

Die  aufserordentliche  Tragweite,  welche  die  Bahn  für  die  Länder  der 
unteren  Donau  hat,  für  Österreich-Ungarn,  auch  für  Deutschland,  man  kann 
sagen  für  das  gesamte  mitteleuropäische  Festland,  ergiebt  sich  schon  aus 
der  Thatsache,  dafs  englisches  Geld  bereits  seit  Mitte  der  sechziger  Jahre 
daran  arbeitet,  Tnner-Kleinasien  durch  einen  Schienenstrang  zu  erschliefsen, 
indem  die  Smyrna — A'idin-Bahn,  wie  schon  gesagt,  wünschte,  die  Konzession 
zur  Verlängerung  bis  nach  Konia,  dem  Hauptplatz  des  südwestlichen  Klein- 
asiens, zu  erlangen.  Wäre  es  den  Engländern  geglückt,  ihren  Wunsch  noch 
vor  den  Deutschen  in  Erfüllung  gehen  zu  sehen,  so  wäre  es  ihnen  sicher  ein 
Leichtes  gewesen  den  gesamten  Handel  nach  dem  von  ihnen  beherrschten 
agäischen  Meer  abzulenken.  Durch  die  der  anatolischen  Gesellschaft  erteilte 
Konzession  dagegen  wird  der  Verkehr  in  die  nordwestliche  Ecke  der  klein- 
asiatischen Halbinsel  geleitet  und  bildet  die  Bagdad-Bahn  auf  diese  Weis« 
gewissermafsen  die  direkte  Fortsetzung  der  sogenannten  Orientbahnen,  und 
wenn  erst  die  Brücke  über  den  Bosporus,  was  allerdings  noch  eine  Zeitlang 
dauern  kann,  fertig  ist,  werden  die  Güterwagen  von  Deutschland  bis  an  den 
persischen  Golf  laufen  können. 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnplane  in  Klein-  und  Mittel- Asien  etc.  619 

Die  Bagdad-Hahn  ist  aber  auch  von  hoher  internationaler  Bedeutung, 
denn  wie  aus  der  Karte  leicht  zu  ersehen  ist,  hat  sie  die  gleiche  und  fast 
noch  gröfsere  Bedeutung  als  der  Kanal  von  Suez,  für  den  Verkehr  zwischen 
Europa  und  Indien,  denn  sie  ist  mit  oder  ohne  Ausdehnung  durch  Persien  die 
kürzeste  Linie  von  Europa  nach  dem  Osten.  Mit  der  augenblicklichen  Ge- 
schwindigkeit der  Dampfer  braucht  man  gegenwärtig  von  London  nach  Bombay 
über  Gibraltar  und  Suez  36  Tage,  über  Brindisi  und  Stiez  25  Tage;  ist  die 
anatolisehe  Bahn  erst  bis  Bagdad  fertig  gestellt,  so  braucht  man  zu  dieser 
Reise  11  Tage,  nämlich  vier  von  London  nach  Konstantinopel,  vier  von 
Skutari  nach  Bagdad,  drei  von  letzterem  Ort  nach  Bombay.  Der  ganze 
Reiseverkehr  wird  also  wahrscheinlich  über  Konstantinopel  gehen,  wobei 
es  auch  von  vielen  als  Vorteil  empfunden  werden  wird,  dafs  die  Seefahrt 
von  Basra  nach  Karrachi  nur  höchstens  zwei  bis  drei  Tage  dauert,  und 
schon  deshalb  wird  ein  grofser  Teil  der  Reisenden  den  Landweg  vorziehen, 
umsomehr  als  die  Schiffahrtspreise  der  jetzt  benutzten  Linien  ungewöhnlich 
hoch  sind. 

Soweit  die  Beförderung  von  Massengütern  in  Betracht  kommt,  ist  die 
Eisenbahn  wohl  nicht  im  Stande,  erfolgreich  den  Kampf  mit  den  Dampfern 
aufzunehmen,  aber  der  Post-  und  Eilgutverkehr  drangt  nach  weiteren  Ab- 
kürzungen, besonders  seitdem  die  Mächte  des  Westens  ein  gesteigertes  Inter- 
esse an  der  Gestaltung  der  Dingo  im  Bereich  des  Stillen  Ozeans  nehmen. 
Die  schwerwiegenden  Waren  werden  somit  nach  wie  vor  den  Seeweg  wählen, 
während  der  neuen  Bahn  der  Eilgut-  und  Postverkehr  zufallen  wird. 

Es  ist  klar,  dafs  unter  den  letzterwähnten  Gesichtspunkten  die  neue  Ver- 
bindung dem  englischen  Verkehr  nach  Indien  mit  am  meisten  dient,  denn 
mit  der  Erlaubnis  zur  Verlängerung  des  Schienenweges  der  anatolischen 
Gesellschaft  bis  nach  Bagdad  und  dem  persischen  Golf  ist  der  erste  Schritt 
zur  Verwirklichung  eines  Gedankens  geschehen,  der  in  verschiedener  Gestalt 
seit  Jahrzehnten  englische  Staatsmänner  und  Techniker  beschäftigt  hat.  Eine 
möglichst  schnelle  Verbindung  mit  Indien  und  Ostasien  zu  schaffen,  war  das 
Streben  Englands  schon  zu  einer  Zeit,  als  der  Suezkanal  noch  nicht  eröffnet 
worden  war,  und  die  Absicht,  den  persischen  Golf  mit  dem  Mittelmeer  zu  ver- 
binden, tauchte  schon  kurz  nach  Eröffnung  des  Suezkanals,  besonders  wiederum 
von  englischer  Seite  genährt,  auf.  Die  Pläne  gelangten  zu  keinem  Abschlufs, 
aber  es  ist  erklärlich,  dafs  sofort  nach  der  Erteilung  der  vorläufigen  Konzession 
an  eine  deutsche  Gesellschaft,  da  die  hohe  Bedeutung  der  politischen  und 
wirtschaftlichen  Seiten  allseitig  erkannt  wurde,  sich  andere  Bewerber  zur  Aus- 
führung meldeten,  die  zum  teil  durch  Unterbietung  der  Garantien,  zum  teil 
durch  vollständigen  Verzicht  auf  solche,  die  deutsche  Gesellschaft  zu  ver- 
drängen suchten.  Einzelne  dieser  Projekte  sollten  von  der  Westküste  Klein- 
asiens, einzelne  von  dem  Busen  von  Alexandrien  ausgehen,  im  allgemeinen 
folgen  alle  diese  Pläne  der  gleichen  Trace  wie  die  deutsche  Bahn,  und  lohnt 
es  sich  nicht,  genauer  auf  dieselben  einzugehen.  Bei  einigen  dieser  vor- 
geschlagenen Unternehmungen  hat  es  den  Anschein,  als  ob  dieselben  nur  an- 
geregt worden  seien,  nicht,  um  die  Bahn  thatsächlich  zu  bauen,  sondern 
lediglich  um  die  Konzession  zu  erlangen  in  der  Absicht,  den  Eisenbahnbau 


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620 


Kilrchhoff: 


überhaupt  zu  hintertreiben;  dies  war  besonders  bei  russischen  Unternehmern 
der  Fall,  wie  ja  überhaupt  Rufsland  seine  Abneigung  gegen  diese  von 
Deutschen  zu  erbauende  Bagdad-Bahn  nie  verhehlt  hat.  Denn  abgesehen 
von  dem  schon  oben  angeführten  Grund  wird  die  mesopotamische  Bahn  auch 
in  anderer  Beziehung  ein  gefährlicher  Konkurrent  der  sibirischen  werden 
Für  die  Erbauung  der  letzteren  waren  zwar  raeist  militärische  Gesichtspunkte 
raafsgebend,  doch  hofften  die  Russen  wohl  auch,  dafs  sie  sowohl  für  den 
Personen-  wie  für  den  Güterverkehr  den  Hauptweg  zwischen  Europa  und  Ost- 
asien  bilden  werde.  Die  militärische  Bedeutung  bleibt  uneingeschränkt  bestehen, 
aber  die  Reisenden  und  ein  Teil  der  ausführenden  Kaufleute  werden  sicherlich 
in  grofser  Mehrzahl  die  das  Mittelmeer  mit  dem  persischen  Meerbusen  ver- 
bindende mesopotamische  Bahn  vorziehen. 

Es  ist  klar,  dafs  Rufsland  als  Grenznachbar  von  Türkisch  -  Asien  sich 
die  Gelegenheit  nicht  entgehen  lassen  wollte,  in  dem  Augenblick,  in  welchem 
Deutschland  und  Frankreich  in  diesen  Gebieten  die  weitestgehenden  Kon- 
zessionen erhielten,  auch  seinerseits  Vorteile  herauszuschlagen. 

Rufslands  Stellung  zu  den  Eisenbahnplänen  für  die  asiatische  Türkei 
ist  durch  mehrere  von  denen  der  anderen  Staaten  wesentlich  abweichende 
Gesichtspunkte  bestimmt.  Einmal  will  es  den  persischen  Golf  erreichen  und 
dort  festen  Fufs  fassen,  und  zweitens  erscheint  es  nicht  ausgeschlossen,  dafs 
Rufsland,  da  ein  Vorgehen  auf  Konstantinopel  von  Norden  her  über  die  Balkan- 
halbinsel das  Mifsfallen,  vielleicht  sogar  das  Eingreifen  verschiedener  Mächte 
hervorrufen  würde,  sich  die  Möglichkeit  schaffen  will,  vom  Kaukasus  gegen 
die  türkische  Hauptstadt  vorzudringen.  So  angenehm  also  Rufsland  in  den 
nördlichen  türkisch  -  asiatischen  Gebieten  der  von  ihm  selbst  ausgeführte  Eisen- 
bahnbau sein  mufs,  so  kann  es  doch  andererseits  keine  Verkehrsgelegenheitcn 
wünschen,  die  das  ottomanische  Reich  in  seinem  Kern  wirtschaftlich  oder 
militärisch  starken  können. 

Da  für  Rufsland  der  Ausgangspunkt  zum  Bau  von  Eisenbahnen  in  den 
vorgenannten  Gebieten  des  Kaukasus  liegt,  so  erscheint  es  angebracht,  zunächst 
kurz  auf  die  dortselbst  befindlichen  Strecken  einzugehen. 

Rufsland  hat  sich  während  des  vorletzten  Dezenniums  nach  einer  300  Jahre 
lang  unentwegt  verfolgten,  zielbewufsten  Politik  vermöge  diplomatischer  Künste 
und  kriegerischen  Geschickes  endgiltig  in  den  Besitz  Süd-  und  Transkaukasiens 
gesetzt.  Der  Besitz  des  Landes,  dessen  Bevölkerung  auch  nach  der  Unter- 
werfung leicht  zu  Unruhen  neigt,  bedeutet  für  Rufsland  nur  eine  Etappe 
auf  dem  Weg  nach  Süden,  Südwesten  und  Osten,  auf  welchem  es  eine  unver- 
gleichliche, ausgedehnte  Ausfallsposition  bildet.  Der  Kaukasus  bedeutet  eine 
feste,  breite  Basis,  zu  deren  Fufs  sich  Kleinasien  und  Persien  weithin  aus- 
breiten, und  Rufsland  scheut  keine  Mühen  und  Kosten,  dieses  zum  weiteren 
Vorgehen  so  wichtige  Gebiet  auszubauen. 

Seine  gesamten  Eisenbahnpläne  in  Türkisch  -  Asien  und  in  Persien  kann 
das  Zarenreich  sehr  bequem  an  die  transkaukasische  Bahnlinie  ansetzen; 
diese  durchzieht  die  ganze,  das  Schwarze  und  das  Kaspische  Meer  trennende 
Landenge  von  Osten  nach  Westen,  verbindet  Baku  mit  Batum  und  ent- 
sendet einen  Zweig  nach  Toti. 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  621 

Die  genannte  Balm  ist  durch  eine  Verbindung  von  Baku  nach  Petrowsk 
an  die  Eisenbahn  Petrowsk  —  Rostoff  und  somit  an  das  europäische  Eisen- 
bahnnetz angeschlossen.  Aufserdem  stehen  noch  andere  Verbindungen  in 
Aussicht  und  da  dieselben  für  die  weitere  Entwicklung  des  südlichen  Eisen- 
bahnnetzes von  Interesse  sein  dürften,  so  erscheint  es  angebracht,  genauer 
auch  auf  diese  einzugehen.  Erstens  soll  eine  Bahn  von  der  Linie  Rostoff  — 
Wladikawkas  direkt  nach  Süden,  quer  durch  die  Hauptkette  des  Kaukasus 
führend,  erbaut  werden.  Der  Ausgangspunkt  würde  Newinnomizskaja  am 
Kubanflufs  sein;  die  Linie  folgt  anfangs  dem  letzteren  aufwärts  an  den 
Städten  Bjelonetschetskaja  und  Bekatzaschinskaja  vorüber,  gelangt  dann  in 
das  Thal  des  kleineren  Nebenflusses  Teberda  und  führt  in  diesem  aufwärts, 
bis  die  Steilgehänge  der  Hauptgebirgskette  erreicht  werden.  Auf  die  süd- 
liche Seite  der  letzteren  gelangt  die  Bahn  vermittelst  eines  8  km  langen, 
1585  m  über  dem  Meeresspiegel  durch  den  Elbrus,  den  höchsten  Berg  des 
Kaukasus,  zu  sprengenden  Tunnels  und  erreicht  bei  der  alten  Festung  Tze- 
faldinsk  das  Flufsthal  der  Tschalla.  Hier  teilt  sich  die  Eisenbahn  in  zwei 
Arme,  von  denen  der  eine  bei  dem  Hafen  Suchum-Kale  das  Schwarze  Meer 
erreicht,  während  der  andere  bei  der  Station  Nowo-Sekani  an  die  trans- 
kaukasische Eisenbahnlinie  unter  Benutzung  der  von  letzterer  nach  Kutais 
schon  fertiggestellten  Zweigstrecke  anschliefst.  Ein  zweites  Projekt  verläfst 
die  Bahn  Rostoff — Nowossisk  zwischen  den  Stationen  Dinskaja  und  Stenitehe- 
naja  und  führt  über  Bjedukchersk  nach  Tuapse  an  der  Küste  des  Schwarzen 
Meeres,  von  welchem  Ort  aus  sie  der  letzteren  folgend  Suchum-Kale  und  so 
mit  dem  obigen  Projekt  zusammen  die  transkaukasische  Linie  erreicht. 

Besonders  das  erstbezeichnete  Projekt  würde  von  grofser  Bedeutung  sein, 
da  mit  demselben  auch  der  Westrand  des  Gebirges  von  einer  Eisenbahn  um- 
zogen würde,  während  über  letzteres  sonst  nur  Kunststraisen,  allerdings  von 
sehr  guter  Beschaffenheit,  führen. 

Zwischen  der  Pforte  und  Rufsland  ist  nun  ein  Vertrag  zustande  gekom- 
men, nach  welchem  letzteres  unter  dem  Titel  Kompensationen  für  die  deutschen 
Konzessionen  zum  Bau  der  Eisenbahnen  nach  Basra  bei  gleichen  Bedingungen, 
soweit  die  Türkei  nicht  selbst  Linien  baut,  das  Vorrecht  vor  allen  Bewerbern 
um  Eisenbahnkonzessionen  in  Kleinasien  nördlich  der  deutschen  Linie  erhält. 
Die  Zustimmung  der  Pforte  zu  diesen  Abmachungen  ist  um  so  bemerkens- 
werter, als  die  türkische  Regierung  einem  früheren  russischen  Plan  einer 
Eisenbahn  Jallissawetpol  an  der  transkaukasischen  Linie  nach  Bagdad  nicht 
zugestimmt  hat.  An  diese  Strecke  sollte  sich  eine  Linie  nach  Fao  am  per- 
sischen Meerbusen  anschliefsen ,  ferner  eine  solche  nach  Tarabulus  am  Mittel- 
meer und  eine  Bahn  nach  Täbris. 

Die  erwähnte  Vertragszone  umfafst  fast  das  ganze  Küstengebiet  des 
Schwarzen  Meeres,  nämlich  die  Vilajets  Kastamoni  und  Trapezunt,  ferner 
die  Vilajets  Siwas,  Karput  und  Bitlis  mit  einer  genauen  Abgrenzung 
im  Süden  durch  die  Linie  Angora  —  Siwas,  für  welche  die  amitotischen 
Bahnen  bereits  das  Vorrecht  haben,  und  Siwas — Van,  ferner  im  Westen 
fast  bis  an  Heraklea  heran,  wo  die  älteren  Vorrechte  der  anatolischen 
Bahnen  für  den  Bau  einer  Bahn  Adabazar —  Heraklea  ebenfalls  respektiert 


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Kürchhoff: 


werden.  Innerhalb  dieses  Vertragsgebietes  sollen  etwaige  neue  Strecken 
entweder  seiteus  der  Türkei  selbst  hergestellt  und  betrieben  werden,  oder 
sofern  letztere  hierzu  nicht  geneigt  oder  imstande  ist,  sollen  diese  Gegenden 
unbedingt  dem  russischen  Kapital  gewahrt  bleiben.  Wenn  diese  Abmachungen 
für  die  Allgemeinheit  auch  nicht  allzuviel  Bedeutung  haben,  so  bietet  eiue 
solche  Abgrenzung  der  Interessensphären  doch  insofern  wesentliche  Vorteile, 
als  Streitereien  von  vornherein  vermieden  werden. 

Nach  dem  auf  Grund  der  erwähnten  Abmachungen  zunächst  getroffenen 
genaueren  russisch  -  türkischen  Abkommen  erhält  Ru  Island  das  Vorzugsrecht 
auf  die  Erbauung  einer  Eisenbahn  Kars — Erzeruin,  zu  welcher  der  russi- 
schen Regierung  schon  am  1.  Februar  1900  die  Konzession  erteilt  wurde, 
und  die  von  Kars  über  Sarykamysch  bei  Kara- Surgen  die  türkische  Grenze 
und  dann  über  Hassankaie  und  durch  die  Pasiu- Ebene  mit  einer  Gesamt- 
länge  von  260  km  Erzerum  erreichen  soll.  Diese  Strecke  bildet  die  Fort- 
Setzung  der  erst  kürzlich  eröö'neten  Linie  Tiflis  -—  Kars,  welche  ebenso  wie 
für  die  russischen  Bahnbauten  in  der  Türkei  auch  für  diejenigen  in  Persien 
als  Aufangsstrecke  gelten  kann.  Von  Erzerum  aus  soll  die  oben  bezeichnet* 
Bahn  nach  Trapezunt  verlängert  werden,  wozu  ebenfalls  schon  die  Konzession 
erteilt  ist  ;  von  hier  soll  ein  Zweig  nach  Siwas,  ein  anderer  nach  Samsun 
am  Schwarzen  Meer  weitergeführt  werden. 

Die  Wichtigkeit  der  Strecke  Kars  —  Erzerum  liegt  mehr  auf  politischem 

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als  auf  kommerziellem  oder  ökonomischem  Gebiet,  denn  nur  ein  Riegel  ver- 
schliefst heute  noch  Rufslaud  den  Weg  nach  Konstantinopel.  Es  ist  dieses 
die  isolierte  Kuppe,  der  wichtige  strategische  Punkt,  auf  dem  sich  seit  sechs 
Jahrhunderten  das  feste  Erzerum  erhebt.  Dieses  sperrt  allein  noch  das  breite 
Ausfallsthor,  dessen  Flügel  Batum  und  Kars  sich  schon  in  russischen  Händen 
befinden.  Allerdings  kann  die  bezeichnete  Linie,  ohne  aber  deshalb  die  Pro- 
duktion zu  vermehren,  den  Austausch  des  Bakupetroleums  gegen  landwirt- 
schaftliche Produkte  erleichtern,  aber  sie  wird  aller  Wahrscheinlichkeit,  nach 
nicht  eine  beträchtliche  Entwicklung  des  russischen  Handels  mit  dieser 
Region  verursachen.  Die  Linie  Erzerum  —  Trapezunt  dagegen  würde  für  das 
Land  von  unzweifelhaftem  handelspolitischem  Wert  sein.  Die  Entfernuug 
zwischen  beiden  Plätzen  beträgt  in  der  bestehenden  Karawanenroute  unge- 
fähr 120  km.  Die  Eisenbahn  würde  nun  nicht  nur  die  Zeit,  die  die  Waren 
im  Durchgangsverkehr  zwischen  der  Küste  und  Erzerum  brauchen,  von  11 
bis  12  Tagen  auf  ebensoviel  Stunden  herabmindern,  sondern  die  Fracht  würde 
sich  auf  5  Pfund  St.  pro  Tonne  erniedrigen.  Besondere  Bedeutung  würde 
aber  die  Eisenbahn  unzweifelhaft  dann  erhalten,  wenn  es  ihr,  was  sehr  wahr- 
scheinlich ist,  gelänge,  die  noch  im  Boden  ruhende  Mineralindustrie  zur  Ent- 
wicklung zu  bringen. 

Besonders  viel  scheint  man  sich  aber  von  einer  Eisenbahn  Samsun  — 
Siwas  zu  versprechen.  Dieselbe  wird  ein  Land  öffnen,  das  durch  seine  Land- 
wirtschaft berühmt  ist,  und  es  würde  sich  daher  ein  verhältuisinäfsig  grofscr 
Lokalhandel  entwickeln.  Die  Russen  hoffen  durch  diese  Strecke  eiue  Basis 
für  eine  friedliche  Eroberung  des  örtlichen  Handels  und  der  Industrie  zu 
erhalten,  eiue  Basis,  die  um  so  günstiger  ist,   als  die  geplante  Bahn  nach 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnplaue  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  623 

jeder  Richtung  hin  verlängert  werden  kann,  sie  würde  in  das  recht  bevölkerte 
Gebiet  Leben  bringen  und  in  Zukunft  einen  wahrscheinlich  nicht  unbeträcht- 
lichen Gewinn  abwerfen. 

Diese  Linie  Sainsun  —  Siwas  war  schon  früher  einer  französischen  Gruppe 
auf  8  Jahre  iu  Konzession  gegeben.  Diese  Gesellschaft  hatte  die  Absicht, 
eine  Bahn  von  Samsun  über  Siwas  und  Kaisarie  nach  Yummurtalik  am  Busen 
vou  Alexandrette  zu  bauen,  eine  jährliche  Kilometergarantie  in  Höhe  von 
13  .r>00  Fr.  war  schon  bewilligt,  eine  Kaution  eingezahlt,  doch  kamen  schliefs- 
lich  nicht  die  nötigen  Geldmittel  zusammen. 

Es  wird  ferner  schon  der  Bau  einer  Linie  Siwas — Malatiya  —  Mardiu 
als  Verlängerung  der  erwähnten  Strecke  Samsun  —  Siwas  erwogen. 

Das  bisher  Angeführte  sind  die  russischen  Pläne,  soweit  solche  schon 
bis  zu  einem  gewissen  Stadium  der  Entwicklung  gediehen  sind,  aber  schon 
ein  Blick  auf  die  Karte  zeigt,  dal's  noch  ungeheuere  Flächen  der  Erschliefsung 
harren. 

Das  türkische  Arbeitsministerium  hat  nun  im  Anschlufs  an  die  schon 
jetzt  betriebenen  Strecken  und  die  geplanten  Linien  ein  Eisenbahnnetz  aus- 
gearbeitet, das,  ausgenommen  die  schon  seit  langem  konzessionierte  Bahn 
Angora  —  Kaisarie  und  die  beabsichtigte  Verbindung  der  Bagdadbahn  über 
Aleppo  nach  Damaskus,  aus  schmalspurigen  Linien  besteht.  Von  Konia  soll 
eine  Bahn  südwestwärts  nach  Adalia  am  gleichnamigen  Golf,  nordostwärts 
über  Ncwschehr  nach  Kaisarie  führen.  Von  der  Linie  Haidar-Pascha  — 
Ismid — -Angora  soll  bei  Adabazar  eine  Schmalspurbahn  über  Boli  (dort  Ab- 
zweigung nach  Eregli  am  Schwarzen  Meer),  Tofia,  Tschorum  und  Amafia 
nach  Siwas  gehen.  Bei  Amafia  soll  sich  eine  Strecke  nordwärts  nach  Samsun 
abzweigen,  von  welch  letzterem  Ort  eine  Linie  über  Vesterkopon  nach  Sinope, 
eine  zweite  südwestwärts  nach  Yosgat  geplant  ist  Von  Losjuk  an  der 
anatolischen  Bahn  nördlich  Eski- Sehehr  soll  eine  Bahn  nach  Pondrema  ge- 
baut und  letzteres  mit  der  Station  Sorna  der  Zweigbahn  Sruyrna  —  Kassaba 
verbunden  werden. 

Von  der  Al'dinbahn  ist  von  deren  Endpunkt  Dinair  der  Bau  einer 
Bahn  nach  Süden  nach  Buldur,  nordostwärts  eine  solche  zur  Linie  Karahissar 
—  Konia  beabsichtigt. 

Der  türkische  Generalstab,  der  ebenfalls  an  die  bestehenden  bezw.  nahe 
vor  der  Bauausführung  stehenden  Strecken  die  Herstellung  von  Anschlufs- 
bahnen  wünscht,  tritt  mit  einigen  Vollbahuplänen  hervor.  Er  befürwortet 
besonders  nonualspurig  folgende  Bahnen: 

L  Angora — Kaisarie  —  Kyrschir  —  Siwas  —  Zara — Erzinghian — Erzeruni; 

2.  Konia  —  Osmanieh  —  Aintab  —  Aleppo ; 

3.  Kyrschir  —  Maden  —  Diarbekr  —  Mossul  —  Charput  —  Bagdad. 
Ferner  schlägt  er  noch  mehrere  Schmalspurbahnen  vor. 

Der  Grund  für  die  letztbezeichneten  Forderungen  liegt  in  dem  Wunsch, 
die  kleinasiatischen  Truppenteile  möglichst  schnell  an  der  russischen  Grenze 
versammeln  zu  können. 

Die  Erschliefsung  des  Landes  und  Erleichterungen  im  wirtschaftlichen 
Verkehr  kommen  bei  den  letztgenannten  Plänen  erst  in  zweiter  Linie. 


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t)24  Kü roh b off:  Eisenbahnen  u.Eitf  cnbahnpl »ine  in  Klein  -  u. Mittel- Asien. 

Auch  von  privator  Seite  sind  schon  neuerdings  die  Absichten  zum  weiteren 
Ausbau  der  bestehenden  Strecken  laut  geworden. 

Für  die  Verlängerung  der  Angoralinie  bis  Kaisarie  hat,  wie  schon  gesagt, 
die  anatolische  Bahn  bereits  181)3  die  Konzession  erhalten,  doch  konnte  die- 
selbe bisher  noch  nicht  ausgenutzt  werden.  Ferner  hat  die  genannte  Gesell- 
schaft schon  das  Vorrecht  für  die  Linien  Angora — Siwas  und  Siwas — Van 
und  endlich  für  eine  Bahn  Adabazar — Heraklea. 

Eine  Eisenbahn  Angora  —  Siwas  würde  die  reichsten  Gegenden  des  inneren 
Anatoliens  erschließen.  Allerdings  darf  nicht  übersehen  werden,  dafs  für 
Massengüter  die  Beförderung  bis  nach  dem  Marmarameer  zunächst  sehr  kost- 
spielig werden  würde,  besonders  da  das  Land  für  europäische  Erzeugnisse 
noch  nicht  aufnahmefähig  ist  und  die  Wagen  somit  leer  zurücklaufen  müssen. 
Samsun  am  Schwarzen  Meer,  das  durch  verhältnismäfsig  gute  Strafsen  mit 
der  Hochebene  verbunden  ist,  wird  immer  seine  natürliche  Anzieh ungskraft 
auf  die  Ausfuhr  ausüben  und  es  fehlt  nicht  an  Stimmen,  welche  der  Siwas- 
linie  nur  dann  Lebens-  und  Ertragsfähigkeit  zusprechen,  wenn  sie  zugleich 
eine  Abzweigung  nach  Norden  erhielte,  die  naturgemäfs  sich  in  der  gleichen 
Hand-  befinden  müfste.  Endlich  soll  die  Gesellschaft  der  anatolischen  Bahnen 
die  Erlaubnis  zum  Bau  einer  Eisenbahn  Bagdad — Hankin  an  der  persischen 
Grenze  erhalten  haben.  Den  Hauptverkehr  würden  die  zahlreichen  —  bis 
zu  13OOÜ0  jährlich  —  Pilger  liefern. 

Die  Besitzer  der  Kassababahn  möchten  gern  die  Zweiglinie  nach  Sorna 
über  diesen  Ort  hinaus  verlängern,  um  durch  die  wohlangebautc  Nordostecke 
Kleinasiens  das  Marmarameer  bei  Pandara  zu  erreichen,  trotz  wiederholter 
Bemühungen  ist  aber  die  Konzession  noch  nicht  erteilt. 

Die  Aidinbahn  strebt  nach  einem  zweiten  Zugang  zur  Küste,  die  sie  an 
dem  am  Ende  der  Ephesusebene  gelegenen  Hafen  Skala -Nora  erreichen  will. 

Zum  Schlufs  sei  noch  eines  englischen  südasiatischen  Eisenbahnprojektes 
Erwähnung  gethan,  das  aus  dem  Gedanken  heraus  entstanden  ist,  dafs  das 
südliche  Asien  unter  allen  Umständen  in  die  Einflufssphäfe  Grofsbritanniens 
fallen  und  von  ihm  gesichert  werden  müsse.  Die  Empfindlichkeit  des  jetzigen 
Hauptweges  nach  Indien  durch  den  Suezkanal  hat  die  Engländer  schon  zu 
allerlei  Plänen  einer  Landverbindung  des  Mittelmeeres  mit  Indien  geführt, 
aber  die  einzelneu  Vorschläge  konnten  teils  wegen  der  zu  hohen  Kosten  und 
der  technischen  Schwierigkeiten,  teils  in  Hinsicht  auf  die  leichte  Lahmlegung 
durch  etwaige  Gegner  nicht  zur  Ausführung  gelangen.  Anders  verhält  es 
sich  mit  dem  neuen  Vorschlag.  Nach  diesem  soll  als  westlicher  Ausgangs- 
punkt unter  gleichzeitigem  Anschlufs  au  die  geplante  transafrikanische  Bahn 
Alexandrien  oder  Port -Said  in  Aussicht  genommen  werden,  und  führt  die 
Bahn  von  Unterägypten  auf  dem  kürzesten  und  direktesten  Weg  über  den  Sinai - 
Isthmus  durch  Nordarabieu,  Südpersieu  und  Beludschistan  nach  Indien.  Die 
politischen  Hindernisse  bis  au  die  persische  Grenze  sind  nicht  als  allzu  erheb- 
lich zu  veranschlagen,  und  technische  Schwierigkeiten  dürften  so  gut  wie  gar 
nicht  vorhanden  sein.  Die  ägyptische  Regierung  wird  das  Unternehmen 
freundlich  aufnehmen.  Das  Wüstenland  von  Arabia  Petra  ist,  nach  den  vor- 
liegenden topographischen  Aufnahmen  zu  urteilen,  ohne  besondere  technische 


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Hausrath:  Verbreitung  der  wichtigsten  einheimischen  Waldbiiume.  025 

Schwierigkeiten,  wenn  auch,  bevor  das  arabische  Plateau  erreicht  wird,  die 
steinige  Senke  am  El  Arabah  und  der  etwas  schroffe  Anstieg  zu  überwinden 
sind.  Die  Erlaubnis  zur  Überschreitung  des  schmalen  Streifens  türkischen 
Gebiets  am  Roten  Meer  und  am  persischen  Golf  würde  wohl  von  der  türki- 
schen Regierung  zu  erlangen  sein.  Der  Emir  von  Jebel  Schomer,  der  Souverain 
Innerarabiens,  hat  erst  vor  kurzem  seine  freudige  Zustimmung  zu  einer  Bahn 
durch  sein  Gebiet  kundgegeben,  als  eine  amtliche  Gesandtschaft  dieserhalb  ihn 
aufsuchte.  Die  Tracc  quer  durch  Arabien  bietet  keine  wesentlichen  Schwierig- 
keiten dar.  Eine  kurze  Zweiglinie  würde  nach  dem  Hafen  Koweit  entsandt 
werden,  während  der  Hauptstrang  über  Basra  und  um  die  Ostküste  des  Golfes 
herum  durch  Südpersien  nach  Indien  führt.  Bevor  das  persische  Gebiet  er- 
reicht wird,  mufs  die  Eisenbahn  das  Schat-cl- Arab  und  den  die  persisch- 
türkische Grenze  bildenden  Kanin  Hufs  überschreiten  und  wären  an  beiden 
Stellen  erhebliche  Brückenbauten  erforderlich.  Was  die  technische  Seite  auf 
persischem  Gebiet  betrifft,  so  zieht  sich  längs  des  persischen  Meerbusens  ein 
für  den  Eisenbahnbau  geradezu  idealer  flacher,  verschieden  breiter  Landstrich 
hin.  Für  den  Teil  Bender -Abbas  —  Karrachi  bedarf  es  weiterer  Vermessungen, 
jedoch  liegen  schon  ziemlich  eingehende  Vorarbeiten  vor,  die  von  der  indischen 
Regierung  hergestellt  worden  sind.  Es  fragt  sich  aber,  ob  Rufsland  die 
Erlaubnis  zum  Bau  dieser  Bahn  in  Persien  geben  wird,  umsomehr  als  dieses 
Verkehrsmittel  wahrscheinlich  den  in  diesen  Gegenden  schon  sinkenden  Ein- 
flufs  Englands  aufs  neue  beleben  würde.  Aber  auch  schon  der  Ausbau  dieser 
projektierten  Linie  bis  zum  persischen  Meerbusen,  der  durchaus  nicht  in  das 
Gebiet  der  Unmöglichkeit  gehört,  dürfte  England  grofse  Vorteile  bringen. 
In  diesem  Fall  würde  sich  Koweit,  gegenüber  dem  persischen  Haupthafen  Buschir 
gelegen,  vorzüglich  als  Endstation  eignen;  von  hier  aus  kann  das  Mündungs- 
gebiet des  Euphrat  und  Tigris  beherrscht  werden.  Es  hat  den  Anschein, 
als  ob  Grofsbritannien  schon  mit  dem  den  wichtigen  Hafen  sein  Eigentum 
nennenden  Sultan  in  nähere  Beziehungen  getreten  ist.  (Schlufs  folgt.) 


Die  Verbreitung  der  wichtigsten  einheimischen  Waldhänmc 

in  Deutschland.1) 

Von  Professor  Dr.  Hans  Hausrath  in  Karlsruhe. 

Wenn  ich  einer  Aufforderung  des  Herausgebers  dieser  Zeitschrift  folgend 
hier  den  Versuch  mache,  die  Verteilung  der  Holzarten  in  den  deutschen 
Waldungen  zu  schildern  und  die  Veränderungen  zu  besprechen,  welche  diese 
im  Laufe  der  Zeiten  erfahren  hat,  so  mufs  ich  vorausschicken,  dafs  unsere 
Kenntnis  von  der  Verbreitung  der  einzelnen  Holzarten  innerhalb  des  Deutschen 


1)  Dieser  Aufsatz  ist  ziemlich  gleichzeitig  mit  dem  Aufsatz  von  Dr.  Grad- 
mann  über  das  mitteleuropäische  Landschaftsbild  eingelaufen;  daraus  erklären  sich 
einige  Wiederholungen.  D.  Red. 

UeotfrtpbUcl.«  Zeiuchrift.  7  Jahr^inr  UWL  11  Heft.  42 


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626 


Hann  Hausrath: 


Reiches  noch  viele  Lücken  aufweist,  dafs  also  nur  ein  Bild  in  groben  Um- 
rissen entworfen  werden  kann. 

Die  natürlichen  Faktoren,  welche  die  Verbreitung  der  Holzarten  zu  be- 
stimmen vermögen,  sind  Boden  und  Klima.  Das  letztere  ist  im  all- 
gemeinen in  ganz  Deutschland  dem  Gedeihen  aller  unserer  Waldbliume  günstig, 
insbesondere  reicht  im  Flachlande  und  den  niedrigeren  Teilen  der  Gebirge 
die  Wärme  für  den  Vegetationsprozefs  und  die  Bildung  keimkräftiger  Samen 
unserer  einheimischen  Holzarten  völlig  aus,  in  den  höheren  Lagen  der  Ge- 
birge bestimmt  sie  freilich  die  obere  Grenze  des  Vorkommens  einer  Holzart, 
die,  wie  die  folgende  Übersicht  zeigt,  im  Süden  bedeutend  höher  liegt  als 
im  Norden. 


Obere  Grenie  de»  Vorkomment  nach  Willkomm  u  Heft ') 

im 


Har« 

Th dring.  Wald 

.Schwanwald 

Bayr.  Alpen 

580 

580 

970 

920 

660 

800 

1300 

1500 

812 

1300 

1500 

1000 

1000 

1600 

1800 

GÖO 

780 

1200 

1600 

Queren»  sessiliflora 
Kagns  frilcatica  .  .  . 
Abies  pectinata  . . . 

Picea  excelsa  

ISnus  silvestris  .  . . 


Die  Luftfeuchtigkeit,  die  Niederschlagsmenge,  speziell  die  Schneemenge, 
die  Häufigkeit  der  Spät-  und  Frühfröste  können  dafür  entscheidend  sein,  ob 
in  einem  kleineren  Gebiete  eine  Holzart  sich  zu  erhalten  vermag;  bei  den 
verschiedenen  Ansprüchen  und  der  ungleichen  Empfindlichkeit  unserer  Bäume 
bestimmen  sie  ferner  in  den  sich  selbst  überlassenen  Wäldern  oft,  welche 
Holzart  die  Herrschaft  erlangt  und  andere  verdrängt,  aber  ein  absolutes 
Hindernis  für  das  Gedeihen  einer  Art  stellen  sie  nicht  dar.  Auch  der  Wind 
ist  kein  solches,  wennschon  er  an  der  Seeküste  vielfach  den  Baum  wuchs 
hemmt,  hin  und  wieder  im  Hochgebirge  bizarre  Wuchsformen  veranlagst  und 
in  den  gleichförmigen  Kulturwaldungen,  welche  im  Laufe  des  19.  Jahr- 
hunderts vielfach  an  die  Stelle  naturgemäfserer  Waldformen  getreten  sind, 
furchtbare  Verheerungen  anrichtet. 

Die  Bodenverhältnisse  vermögen  ausschliersend  zu  wirken,  insofern  auf 
den  ärmsten  trockenen  Sandboden  nur  Kiefer  und  Birke  gedeihen,  die  Laub- 
hölzer im  allgemeinen  anspruchsvoller  sind  als  die  Nadelhölzer,  hohe  Bodennässe 
nur  von  einigen  Holzarten  —  Weiden,  Erlen,  Pappeln,  weniger  schon  Fichte 
und  Esche  —  gut  ertragen  wird.  Sie  verursachen  daher  das  Fehlen  mancher 
Holzart  in  einzelnen  Örtlichkeiten  und  auch  ganzen  Landstrichen.  Fafst  man 
aber  gröfsere  Gebiete  ins  Auge,  so  ist  die  Bodenbeschaffenheit  wohl  nirgends 
so  gleichartig,  dafs  nicht  für  jeden  unserer  Waldbäume  an  der  einen  oder 
anderen  Stelle  die  Möglichkeit  des  Gedeihens  geboten  wäre;  ein  absolutes 
Hindernis  bildet  die  Bodenbeschaffenheit  in  Deutschland  für  die  horizontale 
Verbreitung  der  Holzarten  nicht.    Wenn  diese  trotzdem  sehr  ungleichförmig 


1)  Willkomm:    Förmliche  Flora  von  Deutschland  und  Österreich.  Hefs: 
Das  forstliche  Verhalten  etc. 


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Verbreitung  d.  wichtigsten  einheimischen  Waldbäume  in  Deutsehl.  027 

ist,  wenn  in  einzelnen  Gebieten  die  Waldungen  überwiegend  oder  gar  lediglich 
von  einer  Baumspezies  gebildet  werden,  so  liegt  das  eben  daran,  dafs 
in  den  Beständen  fortgesetzter  Kampf  zwischen  den  einzelnen  Bäumen 
herrscht,  aus  dem,  falls  der  Mensch  nicht  eingreift,  die  als  Sieger  hervor- 
gehen, denen  Boden  und  Klima  am  meisten  entsprechen.  Nicht  zu  leugnen 
ist  aber,  wie  wir  noch  sehen  werden,  dafs  der  Mensch  auch  einen  wesent- 
lichen Einflufs  auf  die  Verteilung  der  Holzarten  ausgeübt  hat  und  immer 
mehr  ausübt. 

Die  beiden  deutschen  Eichen  arten  (Q.  scssiliflora  u.  Q.  pedunculata)  fehlen 
innerhalb  der  Grenzen  ihrer  horizontalen  Verbreitung  keinem  Gebiete  des 
Deutschen  Reiches  ganz,  aber  in  dem  gröfsten  Teile  des  deutschen  Ostens  sind 
noch  nicht  einmal  5%  der  Waldfläche  mit  Eichen  bestockt;  reich  an  Eichen 
sind  dagegen  die  Waldungen  der  rheinischen  Gebirge,  Unterfrank ens,  West- 
falens und  Oldenburgs. 

Die  Rotbuche  (Fagus  silvatica)  fehlt  gänzlich  nur  dem  nördlichen  Teile 
der  Provinz  Ostpreufsen,  die  sonstige  Verteilung  ist  sehr  ungleichmäfsig,  in 
Oberhessen,  Nassau,  Waldeck  und  Lippe  besteht  noch  über  die  Hälfte 
der  Waldungen  aus  Buchen,  reich  vertreten  ist  sie  in  allen  Forsten  Süd- 
und  West -Deutschlands,  aber  auch  mitten  in  dem  grofsen  Kieferngebiet 
des  Nordostens  liegen  wie  Inseln  eingesprengt  grofse  und  fast  reine  Buchen- 
bestände. 

Die  Kiefer  (Pinus  silvcshis)  ist  heute  über  ganz  Deutschland  verbreitet, 
sie  ist  der  herrschende  Baum  des  deutschen  Ostens,  wo  sie  zum  Teil  mehr 
als  7(>°/0  der  Bestückung  bildet,  relativ  selten  ist  sie  im  Harze  und  den  süd- 
deutschen Gebirgen,  während  sie  in  der  Rheinebene  ziemlich  häufig  —  aller- 
dings in  Form  künstlichen  Anbaues  —  vorkommt.  Dabei  zeigt  die  Kiefer 
in  Süddeutschland  im  Gebirge  und  Hügelland  ein  viel  besseres  Gedeihen  als 
in  der  Ebene,  sie  hat  hier  den  Charakter  eines  Gebirgsbaumes,  während  sie 
im  Norden  entschieden  im  Flaehlande  heimisch  ist  und  dort  die  besten  Lebens- 
bedingungen findet. 

Die  Fichte  (Picea  exerha)  wird  in  der  Reichsstatistik1)  leider  nicht 
von  der  Weifstanne  (Abies  pectituita)  unterschieden,  obwohl  die  Verbreitung 
beider  durchaus  nicht  übereinstimmt.  Die  Fichte  ist  die  herrschende  Holzart 
der  deutschen  Alpen,  der  schwäbisch-bayrischen  Hochebene,  des  bayrischen 
und  Böhmerwaldes,  des  Erzgebirges,  der  Sudeten,  des  Fichtelgebirges,  Thü- 
ringerwaldes und  des  Harzes,  sie  nimmt  starken  Anteil  an  der  Bestückung 
des  Schwarzwaldes,  bildet  zu  einem  Drittel  die  Wildungen  Ostpreufsens, 
während  sie  im  übrigen  norddeutschen  Flachlande  und  im  Rheingebiete  ziem- 
lich selten  ist,  dem  Nordwesten  Deutschlands  von  Natur  wohl  ganz  fehlt. 
Für  keine  Holzart  hat  die  Forstkultur  mehr  hinsichtlich  der  Verbreitung 
gethau  als  für  die  Fichte. 

Die  Tanne  ist  in  ihrer  Verbreitung  beschränkt  auf  die  deutschen  Mittel- 
gebirge, das  nördlichste  natürliche  Vorkommen  findet  sich  bei  Sorau  unter 
51°  41'  n.  Br.    Dafs  ihr  Gedeihen  aber  auch  im  norddeutschen  Flachlande 

1)  Anbau-,  For«t-  und  Erntestatistik  für  daj  Jahr  1893. 

42* 


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628 


Hans  Hausrath: 


möglich  wäre,  zeigen  die  schönen  Tannenalthölzer  bei  Kiel  und  Aurich,  die 
aus  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  stammen  und  sich  jetzt  z.  T.  von  selbst 
verjüngen. 

Trennen  wir  nur  nach  Laub-  und  Nadelholz,  so  können  wir  9agen,  das 
erstere  wiegt  vor  in  Schleswig-Holstein,  dem  rheinischen  Schiefergebirge,  dem 
Hunsrück,  der  Pfälzer  Hardt,  den  Vogesen  und  der  lothringischen  Hoch- 
ebene, in  der  schwäbischen  Alb,  den  Fildern  und  dem  Hügellande  zwischen 
Neckar  und  Main,  im  Odenwald  und  Welzheimor  Wald,  ferner  im  Steiger- 
wald, Spessart,  in  der  Rhön,  dem  Vogelsberg,  dem  Taunus,  der  Thüringer 
Mulde,  dem  Solling,  Süntel  und  Deister.  Im  ganzen  übrigen  Deutschland 
herrscht  das  Nadelholz  vor,  in  der  Ebene  die  Kiefer,  in  den  Gebirgen  Fichte 
und  Tanne. 

Über  die  Bewaldung  Deutschlands  in  früheren  Zeiten  sind  uns  nur  spär- 
liche Nachrichten  überliefert,  die  jedoch  im  Verein  mit  Zeugnissen  mancherlei 
Art  einige  wichtige  Thatsachen  festzustellen  erlauben.  Für  die  ältesten  Zeiten 
kommen  dabei  hauptsächlich  in  Betracht  die  Funde,  welche  man  in  Torf- 
mooren gemacht  hat,  die  in  Holzstücken,  Blatt-  und  Bltitenresten  bestehen. 
Es  gehen  diese  Funde  zurück  bis  zur  Eiszeit,  eine  genaue  Bestimmung  aber, 
aus  welcher  Zeit,  etwa  welchem  Jahrhundert,  sie  stammen,  ist  in  der  Regel 
ganz  unmöglich.  Pfahlbaureste,  Gräberinhalte  und  ähnliche  Funde  haben 
ebenfalls  schon  manchen  Aufschlufs  über  die  frühere  Bewaldung  gegeben. 
Für  das  Mittelalter  können  die  Orts-  und  Flurnamen  zu  Rate  gezogen  werden, 
in  ihnen,  die  vielfach  von  dem  früheren  Zustande  der  betreffenden  örtlichkeit 
hergeleitet  sind,  sind  vielfach  Baumnamen  enthalten,  und  dann  beweisen  sie 
dafs  die  fragliche  Holzart  in  jener  Gegend  früher  vorgekommen  sein  mufs 
auch  wenn  sie  heute  fehlt.  Für  die  zweite  Hälfte  des  Mittelalters  und  für 
die  neuere  Zeit  bringen  manchen  Aufschlufs  die  Aufzeichnungen  der  alten 
Rechte,  die  Weistümer,  Dingrotel  etc.,  die  Forst-  und  Waldordnungen  der 
Landesherren,  die  Verwaltungsakten  und  ähnliche  Dinge,  ein  Material,  das  in 
dieser  Beziehung  wie  überhaupt  für  die  Geschichte  unserer  Waldungen  noch 
viel  zu  wenig  ausgenutzt  ist. 

Aus  den  in  Torfmooren,  Pfahlbauten  und  Gräbern  gemachten  Funden 
geht  hervor,  dafs  abgesehen  von  den  erst  in  historischer  Zeit  eingeführten 
Holzarten,  wie  Edelkastanie,  Weymutskiefer,  falscher  Akazie,  alle  heute  in 
Deutschland  wachsenden  Waldbäume  auch  schon  in  der  Diluvialperiode  hier 
einheimisch  waren  und  damals  oft  eine  gröfsere  Verbreitung  besafsen  als  heute. 
So  stellte  C.  A.  Weber  in  dem  Torflager  zu  Honerdingen  in  der  Lüneburger 
Heide  ein  so  massenhaftes  Auftreten  von  Weifstannenresten  fest,  dafs  er  sie 
direkt  als  Leitfossil  benutzen  konnte,  während  sie  heute  der  Gegend  ganz 
fehlt. 

Vielfach  hat  man  in  Torfmooren  die  Beobachtung  gemacht,  dafs  in  den 
unteren  Schichten  ganz  andere  Arten  vertreten  sind  als  in  den  oberen,  dafs 
eine  Art  erst  spärlich  auftritt,  dann  ein  Maximum  erreicht  und  darauf  wieder 
seltener  wird  oder  ganz  fehlt,  während  allmählich  eine  andere  an  ihre  Stelle 
tritt.  Man  kann  danach  Horizonte  unterscheiden,  und  mehrfach  sind  diese 
benutzt  worden,  um  Schlüsse  zu  ziehen  auf  die  frühere  Vegetation  und  ihre 


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Verbreitung  d.  wichtigsten  einheimischen  Waldbäume  in  Deutsch  1.  629 


allmählichen  Veränderungen.  So  giebt  Blytt1)  auf  Grund  der  Funde  in 
skandinavischen  Mooren  folgende  Darstellung  des  Klimas  und  der  Vegetation 
in  Norwegen: 

I.  Postglaciale  Periode   (Dryaslehm   mit  Resten  von 

Salix  polaris,  Betula  nana). 
IL  Subglaciale  Periode.    Klima  feucht.     Betula  odorata ,  Populus  tre- 
mula. 

III.  Subarktische  Periode.    Klima  trocken,  die  Kiefer  wandert  ein. 

IV.  Infraboreale  Periode.    Klima  feucht,  die  Kiefer  herrscht,  gegen  Kälte 
empfindliche  Holzarten  fehlen. 

V.  Boreale  Periode.    Klima  warm  und  trocken,  Eiche  und  Haselnufs 
treten  häufig  auf. 

VT.  Atlantische  Periode.  Klima  feucht  und  mild,  die  Traubeneiche  herrscht. 
VII.  Subborealc  Periode.  Klima  trocken,  Eiche  und  Haselnufs  häufig. 
VIII.  Subatlantische  Periode.  Klima  feucht,  moderne  Torfbildung  tritt  ein. 
Gründen  sich  solche  Schlufsfolgerungen  auf  die  Untersuchung  einer 
ganzen  Reihe  von  Torflagern  der  betreffenden  Gegend,  so  können  sie  einen 
hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  beanspruchen,  zu  warnen  ist  aber  vor 
einer  Verallgemeinerung  der  an  einer  einzelnen  Fundstelle  gemachten  Beob- 
achtungen. Denn  erhalten  blieben  im  Torfe  in  erster  Linie  und  sind  daher 
am  häufigsten  darin  vertreten  Reste  der  Pflanzen,  die  auf  und  in  der  nächsten 
Umgebung  seines  Bildungsortes  wuchsen,  zweitens  solche,  die  aus  der  weiteren 
Umgebung  durch  den  Wind  und  Wasserläufe  herbeigefühlt  wurden.  Dabei 
spielt  aber  das  Gewicht  eine  erhebliche  Rolle,  und  darum  ist  denkbar,  dafs 
von  einer  Holzart,  z.  B.  Eichen  oder  Buchen,  die  nur  einige  hundert  Meter 
vom  Rande  des  Moores  etwa  durch  eine  nur  wenige  Meter  hohe  Boden- 
schwelle getrennt  standen,  sich  keine  Reste  erhielten.  Das  Fehlen  von  solchen 
berechtigt  nicht  an  und  für  sich  zu  dem  Schlüsse;  dafs  diese  Holzarton  über- 
haupt damals  in  der  Gegend  fehlten.  Die  Vertretung  der  einzelnen  Holz- 
arten in  den  gefundenen  Resten  braucht  daher  auch  durchaus  kein  getreues 
Spiegelbild  zu  sein  von  der  Häufigkeit  ihres  einstigen  Vorkommens,  und 
ebenso  wird  umgekehrt  dort,  wo  die  Verhältnisse  die  Einschwemmung  von 
Pflanzenresten  aus  gröfseren  Entfernungen  möglich  erscheinen  lassen,  aus  dem 
Funde  vereinzelter  Teile  einer  Pflanze  nicht  geschlossen  werden  dürfen,  dafs 
die  Art  in  der  Gegend  heimisch  gewesen  sei. 

Unter  diesem  Vorbehalte  betrachtet  liefern  uns  die  Funde  in  den  Torf- 
mooren einmal  den  Beweis  für  die  oben  aufgestellte  Behauptung,  dal's  unsere 
einheimischen  Holzarten  bereits  in  der  Diluvialperiode  in  Deutschland  vor- 
kamen und  teilweise  eine  gröfsere  Verbreitung  besafsen  als  heute;  zweitens 
berechtigen  sie  uns  $u  der  Annahme,  dafs  Kiefern,  Birken,  Weiden,  Erlen  und 
Fichten  die  ersten  Holzarten  waren,  welche  nach  dem  Ende  der  Eisbedeckungen 
von  dem  wieder  frei  gewordenen  Boden  Besitz  ergriffen.  Es  erklärt  sich  das 
zunächst  aus  dem  geringeren  Wärraebedürfnisse  dieser  Holzarten,  weiter  auch 


1)  Kngler's  Botan.  Jahrbuch  1893,  Beiblatt:  Blytt  Zur  Geschichte  der  nord- 
europäischen Flora. 


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Ü30 


Hans  Hauarath: 


aus  der  Thatsaehe,  dafs  sie  durch  den  Wind  verbreitet  werden,  der  ihre 
leichten,  noch  dazu  geflügelten  Samen  über  weite  Strecken  fortzutragen  ver- 
mag. Nur  sehr  viel  langsamer  vermochten  die  schwerfrüchtigen  Eichen  und 
Buchen  ihnen  zu  folgen,  deren  Samen  meist  im  Schirmbereiche  des  Mutter- 
baumes liegen  bleibt,  an  Berghängen  wohl  auch  durch  Rollen  und  Springen 
bis  etwa  30  m  nach  abwärts  zu  gelangen  vermag,  gelegentlich  auch  von 
Wasserläufen  fortgetragen  wird,  dabei  aber  leicht  seine  Keimkraft  verliert. 
Die  Verbreitung  wird  meist  durch  Tiere  bewirkt^  die  den  Samen  verschleppen, 
verstecken  und  dann  vergessen.  Ganz  besonders  thätig  sind  dabei  die 
Häherarten. 

Für  die  weiteren  Verschiebungen  im  Holzartenbestande  unserer  Waldungen 
ist  es  nicht  erforderlieh ,  eine  Änderung  des  Klimas  seit  dem  Ende  der  Di- 
luvialzeit anzunehmen.    Gewifs   würde  eine  solche  auch  grofse  Änderungen 
in  der  Vegetation  hervorgerufen  haben,  und  wäre  sie  erwiesen,  so  würden 
wir  in  ihr  die  Hauptursache  des  Wechsels  der  Holzarten  sehen  müssen,  aber 
m.  E.  genügen  die  andern  heute  noch  wirkenden  Faktoren  völlig,  um  diesen 
zu   erklären.     Bleibt  heute  ein   abgeholzter  Schlag  sich   selbst  überlassen, 
wird  ein  Acker,  ein  Stück  Wiesenland  aufgegeben,  so  sehen  wir  nach  kurzer 
Frist  Birken,  Aspen,  Kiefern  und  Fichten  sich  darauf  ansiedeln,  wenn  in  der 
Nähe  einige  ältere  Stämme  dieser  Arten  stehen.     Zunächst  überwiegen  die 
Birken,   sie   eilen    den  Nadelhölzern   weit  voraus,    wenn  aber  der  Boden 
diesen  entspricht,  so  ändert  sich  vom  10.  bis  20.  Jahr  ab  das  Bild:  Kiefern 
und  Fichten  wachsen  in   den  Kronenraum  der  Birken  hinein,  beengen  sie 
immer  mehr,  überwachsen  sie  und  schliefslich  sterben  die  Birken  aus  Licht- 
mangel ab.    Aber  auch  die  Kiefer  und  Fichte  behalten  nicht  überall  auf  die 
Dauer  die  Herrschaft;  wo  Boden  und  Klima  ihnen  zusagt,  finden  sich,  wenn 
die  erste  Baumgeneration  infolge  höheren  Alters  sich  lichter  stellt,  Buchen 
und  Eichen  ein  und  verdrängen  vielfach  den  Nachwuchs  jener.    So  berichtet 
Sernander1)  aus  Norwegen,  dafs  dort  die  Buche  ohne  Zuthun  des  Menschen 
eindringe  in  die  Fichtenwaldungen  und  diese  vielfach  verdränge;  in  den  Vor- 
bergen des  badischen  Schwarzwaldes  stellt  sich  auf  kräftigem  Boden  auch 
die  viel  lichtbedürftigere  Eiche  in  Tannenwaldungen  ein  und  vermag  sich  zu 
erhalten,  auf  den  Molasseböden  der  Bodenseegegend  macht  die  Esche  der  Fichte 
vielfach  den  Platz  streitig.   In  diesem  Kampfe  haben  die  Laubhölzer  den  Vorteil, 
dafs  sie  viel  weniger  durch  Insekten  und  Pilze  gefährdet  sind  als  die  Nadel- 
hölzer und  nach  eingetretenen  Beschädigungen  sich  viel  leichter  erholen  als 
jene,  die  vielfach  daran  eingehen.   Schliefslich  darf  nicht  übersehen  werden,  dafs 
der  Mensch  seit  seinem  Auftreten,  zumal  aber,  nachdem  er  zur  Weidewirt- 
schaft übergegangen,  die  Entwickelung  der  Vegetation  wesentlich  beeinflufst 
hat.    Das  von  den  Hirtenvölkern  geübte  Abbrennen  der  Weideflächen  soll  die 
Holzgewächse  beseitigen,  den  Graswuchs  verbessern;  es  begünstigt  indirekt 
die  Laubhölzer,  welche  vom  Wurzelstock  auszuschlagen  vermögen,  während 
die  Nadelhölzer  sich  nicht  wieder  erholen  können.    Kehren  diese  Feuer  in 


1)  Sernander:   Die  Einwanderung  der  Fichte  in  Skandinavien.  Engler's 
Botan.  Jahrbuch  XV. 


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Verbreitung  d.  wichtigsten  einheimischen  Waldbäume  in  Deutschi.  631 

kurzen  Perioden  wieder,  so  wird  der  Nadelholznachwuchs  vernichtet.  Be- 
sonders gefährdet  ist  in  dieser  Beziehung  die  dtinnrindige  Fichte,  und  es  ist 
vollkommen  glaubhaft,  wenn  Sernander  behauptet,  der  Weidebetrieb  der 
Lappen  mit  seineu  jährlich  wiederkehrenden  Weidebräudeu  sei  es,  welcher 
dem  Vordringen  dieser  Holzart  nach  dem  Norden  Skandinaviens  ein  Hinder- 
nis bereite,  nicht  das  Klima.  Ähnliche  Vorgänge  müssen  sich  in  Deutschland 
vollzogen  haben;  zum  Beleg  erinnere  ich  daran,  dafs  die  ersten  Schriftsteller, 
welche  die  Germanen  erwähnen,  sie  als  ein  Viehzucht  treibendes  Noraaden- 
volk schildern,  dafs  ihre  ältesten  innerpolitischen  Organisationen,  die  Hundert- 
schaften, wie  Meitzen1)  nachgewiesen  hat,  hervorgegangen  und  angepafst  sind 
den  Bedürfnissen  eines  Hirtenvolkes,  und  weiter,  dafs  die  Ernährung  solcher 
Menschenmengen,  wie  wir  sie  nach  den  Schilderungen  der  römischen  Schrift- 
steller annehmen  müssen,  durch  die  Viehzucht  nur  möglich  war,  wenn  der 
geschlossene  Urwald  auf  weiten  Flächen  räumigen  Weidebeständen  gewichen 
war,  unter  deren  lichtem  Schirme  die  Futtergewächse  zu  gedeihen  ver- 
mochten. Das  bekannte  „silvis  et  paludibus  horrida"  des  Tacitus  darf  nicht 
wörtlich  ausgelegt  werden.  Wie  sich  unter  dem  Einflüsse  dieser  verschiedenen 
Faktoren  der  Kampf  zwischen  den  Holzarten  im  einzelnen  gestaltet  hat,  läfst 
sich  natürlich  nicht  mehr  feststellen,  es  möge  genügen,  die  Verteilung  des 
Laub-  und  Nadelholzes  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters  —  etwa  um 
das  Jahr  1300  —  zu  schildern,  um  deren  Erforschung  sich  besonders 
E.  Krause  und  F.  Höck  in  Norddeutschland,  Tscherning  und  Gradmann  in 
Süddeutschland  verdient  gemacht  haben ").  Aus  der  Betrachtung  der  deutschen 
Ortsnamen  hat  v.  Berg  1871  in  seiner  Geschichte  der  deutschen  Wälder  den 
Schlufs  abgeleitet,  dafs  das  Laubholz  früher  eine  viel  gröfsere  Verbreitung 
besessen  haben  müsse  als  heute.  Von  6905  mit  Holzartennamen  gebildeten 
Ortsbezeichnungen  weisen  nur  790  auf  Nadelholz  hin,  6115  auf  Laubholz, 
ja  auch  in  Gebieten,  in  denen  heute  das  Laubholz  fast  ganz  fehlt  oder  doch 
sehr  hinter  dem  Nadelholz  zurücktritt,  sind  in  den  Ortsnamen  die  Laubhölzer 
viel  stärker  vertreten  als  die  Nadelhölzer,  im  Königreich  Sachsen  93  gegen 
22,  in  der  Mark  Brandenburg  139  gegen  4.  Dieser  Schlufs  wird  bestätigt 
durch  die  urkundlichen  Nachrichten  über  die  Waldnutzungen  in  jenen  Zeiten 
und  über  die  Versuche,  das  Nadelholz  an  Orten  einzubürgern,  wo  es  bisher 
fehlte.  Wir  dürfen  danach  annehmen,  dafs  folgende  Gebiete  um  1300  nur 
Laubwald  trugen,  dafs  in  ihnen  die  Nadelhölzer  ganz  fehlten  oder  höchstens 
an  einzelnen  Stellen  in  Gestalt  von  Reliktenhorsten  sich  erhalten  hatten: 


1)  Meitzen:  Siedelung  und  Agrarwesen  der  Westgermanen  und  Ostgennaiien 
etc.  B.  140  ff. 

2)  E.  Krause:  Beiträge  zur  Verbreitung  der  Kiefer  in  Norddeutschland  in 
Kngler's  Botan.  Jahrbm-h  XI;  Historisch-geographische  Bedeutung  der  Begleitpflanzen 
der  Kiefer  in  Botan.  Berichte  XI  und  die  Florenkarte  von  Norddeutschland  in 
Petermann's  Mitteilungen  1802,  Heft  10.  —  F.  Höck:  Nadelwaldflora  Norddeutseh- 
lands  in  Kirchhoff,  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde  VII.  4  — 
Tscherning:  Beiträge  zur  Forstgeschichte  Württembergs.  Stuttgart  1854.  — 
Gradmann:  Pflanzenleben  der  schwäbischen  Alb,  Stuttgart  18<jh,  und  Der  ober- 
germanisch-rhätische  LiniPS  und  das  fränkische  Nadelholzgebiet,  in  Peterinann's 
Mitteilungen  189«,  IH. 


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(332 


Hans  HauBrath: 


1.  Nordhannover,  Schleswig-Holstein,  Oldenburg  und  das  nördliche  West- 
falen. Die  Lüneburger  Heide  trug  im  13.  Jahrhundert  Eich  waldun  gen, 
von  denen  heute  nur  noch  spärliche  Reste  erhalten  sind ,  die  Nadel- 
waldungen, welche  heute  hier  vorwiegen,  sind  meist  erst  im  Laufe  des 
19.  Jahrhunderts  entstanden. 

2.  Die  rauhe  Alb  und  die  Fildern. 

3.  Das  obere  rechte  Rheinthal  von  Karlsruhe  bis  Mainz,  der  westliche 
Odenwald  und  die  Gegend  um  Frankfurt  a.  M.  Weitere  Untersuchungen 
werden  vielleicht  noch  für  andere  Gebiete  die  gleiche  Thatsachc  fest- 
stellen. Jedenfalls  überwog  das  Laubholz  im  gröfsten  Teile  Deutsch- 
lands, ein  Vorherrschen  des  Nadelholzes  haben  wir  nur  anzunehmen  für 
den  Osten  des  deutschen  Flachlandes  —  Ost-  und  Westpreufsen,  einen 
Teil  der  Mark,  Schlesien  östlich  der  Oder,  ferner  für  die  Böhmen  um- 
rahmenden Gebirge,  für  den  Thüringer  Wald  und  Harz,  die  fränkische 
Hochebene,  die  Alpen  und  den  höheren  Schwarzwald,  aber  auch  in 
allen  diesen  Gebieten  war  das  Laubholz  damals  viel  reichlicher  ver- 
treten als  heute,  das  Erzgebirge  z.  B.,  in  dem  heute  der  Laubwald  nur 
3,5%  der  Waldfläche  einnimmt,  hat  noch  im  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts ausgedehnte  reine  Buchenbestände  gehabt1).  Und  ähnliche 
Wandlungen  können  wir  an  vielen  Orten  feststellen,  sie  haben  den 
früher  geschilderten  heutigen  Zustand  herbeigeführt,  dafs  %  der  Wald- 
fläche dem  Nadelholz,  nur  1/s  dem  Laubholz  gehören,  dafs  die  Gebiete 
mit  reiner  Laubholzbestockung  verschwunden  sind. 

Die  Ursachen  dieser  Verschiebung  sind  mannigfacher  Natur.  Zunächst 
kommt  in  Betracht,  dafs  die  Laubwaldungeu  im  allgemeinen  den  fruchtbareren 
lehm-  und  thonreichen  Boden  bestocken,  von  diesen  Böden  ist  aber  ein  be- 
trächtlicher Teil  im  Laufe  der  Zeit  zur  landwirtschaftlichen  Nutzung  heran- 
gezogen worden,  die  Waldungen  wurden  gerodet,  wobei  das  Laubholz  relativ 
viel  gröfsere  Einbulsen  erlitt  als  das  Nadelholz.  Dieser  Vorgang  hat  sich 
im  Süden  und  Westen  Deutschlands  in  der  Hauptsache  erst  im  Laufe  des 
19.  Jahrhunderts  vollzogen,  denn  hier  ging  vom  14.  bis  zum  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  das  Streben  der  Regierungen  in  der  Regel  dahin,  die  vor- 
handenen Waldungen  zu  erhalten.  Nur  im  Innern  der  menschenarmen  Wald- 
gebirge sind  wie  im  Osten  der  Elbe  die  Rodungen  bis  in  das  17.  Jahrhundert 
hinein  begünstigt  worden.  Der  Wunsch,  die  Waldfläche  ungeschmälert  ?.u 
erhalten,  war  ursprünglich  wohl  der  Jagdliebe  der  Landesherren  entsprungen, 
schon  seit  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  aber  trat  in  den  dicht  bevölkerten 
Gegenden  des  Südens  und  Westens  die  Sorge  für  die  Befriedigung  des 
wachsenden  Holzbedarfes,  für  die  Erhaltung  und  Steigerung  der  recht  an- 
sehnlichen Einnahmen  hinzu,  welche  Eichen-  und  Buchenwälder  durch  die 
Möglichkeit  lieferten,  in  ihnen  Schweine  zu  mästen8).  Das  Streben,  die 
Eichen  zu  schonen,  ist  nun  aber  wohl  auch  die  Ursache  gewesen,  dafs  die 

1)  Beck:  Ergebnisse  der  Erhebungen  bezüglich  der  Verbreitung  ete.  Aus  dem 
Walde  1898,  S.  269  ff 

2)  Der  Bischof  von  Speyer  bezog  aus  der  ca.  8000  ha  grofsen  Lufshard  1645 
10000  fl.  EckerichBgeld. 


Di 


Verbreitung  d.  wichtigsten  einheimischen  Waldbäu nie  in  Deutschl.  (533 

ersten  Versuche  gemacht  wurden,  Nadelholz  anzubauen  in  Gegenden,  in  denen 
es  bisher  fehlte,  um  so  für  Bauten  einen  Ersatz  für  das  Eichenholz  zu 
schaffen.  So  wandte  sich  1420  der  Rat  der  Stadt  Frankfurt  an  den  von 
Nürnberg  mit  der  Bitte  um  Zusendung  von  Kiefernsamen  und  eines  mit  der 
Aussaat  vertrauten  Mannes,  und  eine  Notiz  in  der  Stadtrechnung  besagt  aus- 
drücklich, man  habe  einen  Versuch  machen  wollen,  ob  Nadelholz  in  der 
Gegend  gedeihe1).  Das  gleiche  Ersuchen  richtete  1498  der  Markgraf  Christoph 
von  Baden  an  den  Nürnberger  Rat;  für  die  Pfalzer  Waldungen  bei  Sehwetzingen 
und  Worms  schlägt  ein  Gutachten  aus  dem  Jahre  1576  den  Bezug  von 
Tannensamen  aus  der  Oberpfalz  vor  mit  der  Begründung:  da  er  nit  des 
Landes  art. 

Wesentlich  begünstigt  wurde  die  Verbreitung  des  Nadelholzes  in  Ge- 
bieten, in  denen  es  bereits  vorkam,  dann  durch  die  Verwüstungen,  welche 
der  dreifsigjährige  und  die  Kriege  Ludwig's  XIV.  hervorriefen.  Es  ist  ja  be- 
kannt, dafs  damals  zahlreiche  Orte  ganz  eingingen,  dafs  ganze  Gemarkungen 
öde  liegen  blieben  und  sich  im  Laufe  der  Jahre  mit  Hecken  oder  Wald  über- 
zogen. Dabei  hatte  aber  die  Kiefer,  wie  früher  erörtert,  einengrofsen  Vor- 
sprung vor  den  Laubhölzern  und  thatsäehlich  sind  ihr  damals  ausgedehnte 
Landstrecken  zugefallen,  was  unter  anderm  durch  die  Verhandlungen  bestätigt 
wird,  die  später  über  ihre  Wiederurbarmachung  geführt  wurden. 

Der  Hauptgrund  aber  für  das  Vordringen  der  Nadelhölzer  liegt  in  der 
Ent Wickelung,  die  die  Waldwirtschaft  in  den  beiden  letzten  Jahrhunderten 
genommen  hat.  Zwar  hat  schon  das  ausgehende  Mittelalter  eine  geordnete 
Waldwirtschaft  entstehen  sehen,  schon  im  14.  Jahrhundert  wurden  Saaten 
von  Laub-  und  Nadelhölzern  ausgeführt  und  in  vielen  Gegenden  herrschte 
ein  Mittelwaldbetrieb,  der  trotz  mancher  Mängel  geeignet  war,  die  Erhaltung 
des  Waldes  sicher  zu  stellen,  im  16.  Jahrhundert  wurden  in  vielen  Staaten 
energische  und  vielfach  von  Erfolg  begleitete  Versuche  gemacht,  nicht  nur 
die  Nutzungen  am  Walde  zu  regeln,  sondern  auch  dessen  Zustand  zu  ver- 
bessern. Aber  der  dreifsigjährige  Krieg  vernichtete  diese  Ansätze,  und  in 
den  darauf  folgenden  Jahrzehnten  war  angesichts  der  verminderten  Bevölkerung 
Deutschlands  kein  Anlafs  vorhanden,  darum  zu  sorgen,  die  Waldungen  möchten 
zur  Befriedigung  des  Holzbedarfes  nicht  ausreichen,  vielmehr  wurden  sie  ohne 
Rücksicht  auf  die  Zukunft  herangezogen  zur  Füllung  der  landesherrlichen 
Kassen  und  zur  Unterstützung  der  Landwirtschaft  durch  Waldweide,  ins- 
besondere auch  mit  Schafen,  und  Streuabgabe.  Die  letztere,  für  den  Wald 
besonders  gefährliche  Nutzung  hat  in  vielen  Gegenden  sicher  erst  nach  dem 
dreifsigjährigen  Kriege  Eingang  gefunden.  Die  Folge  dieser  Vorgänge  war, 
dafs  in  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  die  Waldungen  in  einem  grofsen 
Teile  Deutschlands  in  einem  sehr  schlechten  Zustande  waren,  grofse  Blöfsen 
und  viele  verhauene  Bestände  aufzuweisen  hatten,  so  dafs  bei  den  damaligen 
Transportverhältnissen,  die  einen  Holzbezug  nur  auf  dem  Wasserweg  erlaubten, 
die  Furcht  vor  einem  Holzmangel  nicht  unbegründet  war,  wie  er  denn  am 
Ende  des  Jahrhunderts  an  einzelnen  Orten  auch  thatsäehlich  eingetreten  ist. 

1)  Fei  In  er:  Geschichte  des  Stadtwaldes  von  Frankfurt  a.  M.  Frankfurt  1896. 


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Hans  Hausrath: 


Die  Erkenntnis  dieser  Zustände  führte  einerseits  zu  einer  energischen  Kultur- 
thätigkeit,  bei  der  die  rascher  wachsenden  und  anspruchsloseren  Nadelhölzer, 
die  darum  auch  auf  verengertem  Boden  nicht  so  leicht  versagten  als  die 
Laubhölzer,  speziell  als  Eiche  und  Rotbuche,  bevorzugt  wurden,  andererseits 
zur  Ausbildung  derjenigen  Art  der  Waldverjüngung,  welche  bis  in  die  Mitte 
des  19.  Jahrhunderts  in  Deutschland  die  gröfste  Verbreitung  gehabt,  der 
Schirmschlagform.  Diese  ist  wohl  geeignet,  auf  nicht  gerade  armen  Böden 
geschlossene  Buchenjungwüehse  mit  Hilfe  des  Samenabfalles  der  alten  Stämme 
zu  erzielen;  und  da  die  Rotbuche  das  beste  Brennholz  liefert,  war  dies  fftr 
die  Forstwirte  einer  Zeit,  in  der  die  Steinkohlenfeuerung  in  vielen  Gegenden 
noch  unbekannt  war  und  die  Bestrebungen  der  Regierungen,  sie  einzufahren, 
vielfach  bei  der  Bevölkerung  auf  Widerstand  stielsen,  ein  erstrebenswertes 
Ziel.  Aber  es  konnte  nur  erreicht  werden  unter  Verzicht  auf  die  Beimischung 
anderer  Holzarten,  diese  werden  in  den  meisten  Fällen  von  der  Buche  über- 
wachsen und  scheiden  dann  aus  dem  Bestände  aus.  Dafs  unsere  Waldungen 
heute  so  viel  ärmer  an  Eichen  sind  als  vor  hundert  Jahren,  ist  in  erster 
Linie  hierauf  zurückzuführen.  Die  Versuche  aber,  auch  andere  Holzarten  aut 
diese  Weise  zu  verjüngen,  haben  in  vielen  Fällen  keinen  guten  Erfolg  gehabt 
und  dazu  beigetragen,  dafs  die  Forstwirte  in  vielen  Gebenden  sich  immer 
mehr  der  künstlichen  Kultur  zuwandten,  zumal  ihre  Methoden  in  der  ersten 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  zu  einer  hohen  Vollendung  gediehen  waren. 
Die  Veranlassung  hierzu  lag  in  der  Notwendigkeit,  die  grofsen  Blöfsen 
aufzuforsten,  herabgekommene  Bestände  künstlich  zu  verjüngen,  die  in  den 
Kriegszeiten  von  1792  bis  1815  entstanden  waren.  Bei  all  diesen  Auf- 
forstungen überwog  das  Nadelholz.  Seine  Verwendung  war  gewifs  viel- 
fach notwendig,  weil  die  Laubhölzer  auf  dem  heruntergekommenen,  durch 
Verengerung  oder  Streunutzung  verarmten  Boden  versagt  hätten;  an  manchen 
Orten  mag  auch  das  Sinken  des  Grundwasserspiegels  infolge  von  Drainagen 
und  Entwässerungen  des  benachbarten  Geländes  den  Übergang  zur  Kiefer  er- 
zwungen haben,  zu  leugnen  ist  aber  auch  nicht,  dafs  man  hie  und  da  zu 
weit  gegangen  ist,  zum  Anbau  von  Fichte  oder  Kiefer  schritt,  nur  weil  dieser 
sich  leicht  und  sicher  vollzieht ,  obwohl  der  alte  Laubholzbestand  ganz  gut 
auf  natürlichem  wie  künstlichem  Wege  hätte  verjüngt  werden  können. 

Die  Umgestaltung  der  Verkehrsverhältnisse  in  Deutschland  durch  die 
Eisenbahnen,  die  dadurch  ermöglichte  Ausbreitung  der  Steinkohlenfeuernng 
und  die  so  bewirkte  Entwertung  des  Brennholzes  sind  dann  in  der  zweiten 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  ein  weiterer  und  sehr  gewichtiger  Anlafs  ge- 
wesen, den  Anbau  des  Nadelholzes  auf  Kosten  der  Buche  zu  begünstigen. 
Denn  nicht  ist  zu  leugnen,  dafs  die  Kiefer  bei  ungefähr  gleichen  Massen 
mehr  Nutzholz,  also  höhere  Werte  liefert,  als  die  Buche,  dafs  die  Fichte  aber 
sowohl  gröfsere  als  wertvollere  Holzmengen  erzeugt  als  jene.  Das  Streben, 
durch  Anbau  der  Fichte  und  Kiefer  die  Walderträge  zu  steigern,  ist  heute 
wohl  der  ausschlaggebende  Grund  für  die  Zurückdrängung  des  Laubholzes  in 
vielen  Waldungen.  Nur  freilich  erhebt  sich  die  Frage,  oh  die  Umwandlung 
nicht  bereits  zu  weit  gegangen  sei,  ob  den  reinen  Nadelholzbeständen  nicht 
beträchtliche  Gefahren  drohen,  die  in  dem  gemischten  Walde  hinwegfallen. 


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Verbreitung  d.  wichtigsten  einbeimischen  Waldbäuine  in  Deutschi.  635 

Und  leider  mufs  diese  Frage  entschieden  bejaht  werden.  Die  reinen  Bestände 
leiden  viel  mehr  durch  Schnee  und  Windbruch,  die  Insekten  treten  in  ihnen 
viel  häufiger  in  gefahrbringenden,  ja  vernichtenden  Mengen  auf.  Auch  dem 
Laien  wird  wohl  noch  in  Erinnerung  sein,  dafs  in  Oberbayern  1890  bis  1892 
ausgedehnte  Fichtenwaldungen  zum  Einschlag  gebracht  werden  mufsten,  weil 
sie  von  der  Nonne  kahl  gefressen  worden  waren.  Der  gröfste  Schade  geschah 
im  Ebersberger  Park  bei  München,  in  dem  über  1000  ha  kahl  abgetrieben 
werden  mufsten.  Der  Wald  bestand  aus  Fichten  mit  einzelnen  Buchen. 
Noch  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  war  es  dagegen  ein  aus  Eichen  und 
Buchen  gemischter  Wald,  in  dem  nur  einzelne  Fichten  vorkamen1).  Wohl 
durch  Fehler  in  der  Wirtschaft  begünstigt,  hat  die  Fichte  dort  allmählich  die 
Eiche  und  Buche  ganz  verdrängt,  ein  reiner  Fichtenwald  entstand,  der  auch 
dem  Standort  ganz  angemessen  erschien,  bis  jene  Kalamität  eintrat. 

Die  moderne  Forstwissenschaft  vertritt  nun  freilich  schon  seit  Jahr- 
zehnten den  Standpunkt,  dafs  eine  Rückkehr  zu  den  gemischten  Waldungen 
notwendig  sei,  dafs  dem  Laubholz  wieder  mehr  Anteil  an  der  Bestandes- 
bildung gewährt  werden  müsse,  und  viele  Forstverwaltungen  haben  dieses 
Programm  zu  dem  ihren  gemacht.  Trotzdem  zeigt  die  Statistik,  dafs  von 
1883  bis  1893  die  Fläche  des  Nadelholzes  noch  um  ca.  1%  zu-,  jene  des 
Laubholzes  um  diesen  Betrag  abgenommen  habe.  Dieser  Widerspruch  erklärt 
sich  wohl  zum  gröfsten  Teile  daraus,  dafs  wir  heute  an  vielen  Orten  reine 
Buchenbestände  abnutzen  und  an  ihre  Stelle  —  mit  vollem  Rechte  —  Jung- 
wüchse setzen,  in  denen  die  Nadelhölzer  in  erheblicher  Menge  vertreten  sind. 
Dadurch  wird  natürlich  eine  weitere  Verminderung  der  Laubholzfläche  herbei- 
geführt. Zu  wünschen  ist  aber,  dafs  in  der  Beimengung  des  Nadelholzes 
nicht  zu  weit  gegangen  und  umgekehrt  auch  für  die  Einbürgerung  von  Laub- 
holz in  jene  Waldungen  gesorgt  werde,  die  jetzt  nur  aus  Nadelholz  bestehen. 
Es  empfiehlt  sich  das  nicht  nur  wegen  der  Verminderung  der  Gefahren  und 
weil  im  Mischwuchse  erfahrungsgemäfs  wertvollere  Stämme  erwachsen  als  im 
reinen  Bestände,  sondern  auch  darum,  weil  wir  nicht  wissen  können,  welche 
Holzarten  am  meisten  begehrt  und  am  besten  bezahlt  werden,  wenn  die  heute 
begründeten  Bestünde  in  100  oder  120  Jahren  zum  Hiebe  kommen.  Wie 
das  Buchenholz  durch  die  Steinkohlenfeuerung  entwertet  wurde ,  kann  es 
auch  durch  eine  neue  Erfindung  wieder  zu  einer  gesuchten  Ware  werden, 
und  ebensowenig  besteht  eine  Sicherheit ,  dafs  das  Fichtenholz  in  hundert 
Jahren  noch  ebenso  begehrt  ist  wie  heute.  Die  Forstwirtschaft  ist  nicht  in 
der  Lage,  dem  Wechsel  der  Nachfrage  rasch  zu  folgen,  darum  mufs  sie  eine 
möglichst  mannigfaltige  Produktion  anstreben.  Und  daher  ist  auch  zu  er- 
warten, dafs  das  Vordringen  des  Nadelholzes  bald  sein  Ende  erreichen  und 
das  Laubholz  künftig  in  unseren  Waldungen  wieder  stärker  vertreten  sein 
werde  als  heute. 

1)  Sendtner:  Vegetationsverhältnisse  Bayerns.    München  1854. 


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636 


Kleinere  Mitteilungen. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Der  Geographieunterricht  an  den  preufsiachen  höheren  Schulen  und 

die  Junikonferenz. 

Die  Pfingstwoche  dieses  Jahres  hat  uns  in  Preufsen  eine  Reform  des 
höheren  Schulwesens  gebracht,  keine  umstürzende  oder  in  ehedem  verlassene 
Hahnen  stark  zurück  lenkende,  aher  immerhin  eine,  deren  Einflufs  auf  die 
Entwicklung  des  Unterrichtes  an  den  höheren  Lehranstalten  nicht  unerheb- 
lich bleihen  wird. 

Äufserlich  erkennbar  tritt  sie  uns  in  den  „Lehrplänen  und  Lehraufgaben 
für  die  höheren  Schulen  in  Preufsen.  1901"  Halle  a/S.,  Waisenhaus,  ent- 
gegen, über  deren  Inhalt,  soweit  er  den  Erdkuudeunterricht  betrifft,  in  dieser 
Zeitschrift  S.  4141".  berichtet  worden  ist.  Es  ist  leicht  erkennbar,  dafs,  isoliert 
betrachtet,  losgelöst  aus  dem  Ganzen  der  „Lehrpläne",  unsere  Disziplin  einen 
kleinen  Erfolg  zu  verzeichnen  hat.  Sinngemäfsere  Fassung  der  Lehraufgaben 
im  einzelnen,  Berichtigung  des  groben  pädagogischen  Fehlers  aus  dem  alten 
Tertianeqiensum ,  Festlegung  einer  Minimalzahl  von  Wiederholungsstunden  im 
Obergymnasium,  Ausdehnung  des  Unterrichts  mit  einer  Wochenstunde  auf  die 
Oberklassen  der  Oberrealschulen,  sehliefslich  der  ausgesprochene  Wunsch,  den 
Unterricht  in  geeigneten  Händen  zu  sehen  und  ihn  überhaupt  nicht  unter 
gar  zu  viele  Herren  zersplittern  zu  lassen,  das  ist  es  etwa,  was  man  rühmend 
hervorheben  kann.  Bei  näherem  Hinsehen  zerrinnen  freilich  manche  dieser 
schönen  Dinge,  Gleich  die  letzte  und  scheinbar  allerwichtigste  Anordnung 
wird  angesichts  der  Organisation  unserer  Schulen  mit  Notwendigkeit  unaus- 
geführt bleiben,  und  unser  ganzer  Vorteil  wird  darin  bestehen,  dafs  wir  zur 
weiteren  Agitation  diese  Bestimmung  der  höchsten  preufsischen  Schulbehörde 
zur  Verfügung  behalten.  Wie  wenig  selbst  aber  damit  gewonnen  ist,  lehrt 
ein  Vergleich  dieser  Stelle  der  „Lehrpläne"  S.  öl,  5  mit  der  anderen  „All- 
gemeine Bemerkungen"  5e,  S.  74,  und  7,  Abs.  5,  S.  75,  wo  vor  Zersplitterung 
des  Klassenunterrichtes  unter  zuviele  Lehrer  gewarnt  und  die  „Stärkung  des 
Einflusses  und  der  gesamten  Wirksamkeit  des  Klassenlehrers  gegenüber  dem 
Fachlehrer"  aus  pädagogischen  Gründen  gefordert  wird.  Da  diese  Mahnung 
nun  noch  ausdrücklich  für  die  Verhältnisse  in  unteren  und  mittleren  Klassen 
gegeben  wird,  in  diesen  aber  nur  geographische  Fachlehrer  überhaupt  Stunden 
geben  können  (jetzt  von  der  Oberrealschule  abgesehen),  so  macht  sie  als  die 
allgemein  giltige  die  uns  günstige  andere  hinfällig. 

Doch  ich  möchte  mich  hier  in  keine  ausführliche  Besprechung  der  „Lehr- 
pläne" einlassen.  Sie  ist  von  Auler- Dortmund  auf  dem  XIII.  Geographen  tage 
in  Breslau  gegeben  worden,  vgl.  den  Bericht,  diese  Zeitschrift  S.  394;  wenn 
sie  gedruckt  vorliegt,  ist  vielleicht  noch  einmal  auf  sie  zurückzukommen. 
Auf  ihre  Vorgeschichte  möchte  ich  vielmehr  einen  Blick  werfen.  Es  ist  dies 
möglich  infolge  der  Veröffentlichung  der  „Verhandlungen  über'  Fragen 
des  höheren  Unterrichts.  Berlin,  6. — 8.  Juni  1900.  Nebst  einem  Anhange 
von  Gutachten".  Halle  a/S.  1901,  die  im  Auftrage  des  preufsischen  Kultus- 
ministeriums bald  nach  Ostern  erfolgt  ist.  Diese  Verhandlungen  nebst  den 
dazu  gehörigen  Gutachten  geben  uns  ein  lebendiges  Bild  von  den  pädago- 
gischen Strömungen  und  ihrer  relativen  Stärke,  deren  Folge  dann  die  neue 
G estalt  der  „Lehrpläne"  geworden  ist.  Man  kann  dem  preufsischen  Kultus- 
ministerium die  Anerkennung  nicht  versagen,  weitausschauend  und  umsichtig 


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Kleinere  Mitteilungen. 


637 


zu  Werke  gegangen  zu  sein.  Schon  im  März  1900  war  eine  erhebliche  An- 
zahl Gutachten  eingefordert  worden,  später  hatte  man  dann  34  Herren  zu 
den  Verhandlungen  der  Schulkonferenz  eingeladen,  sodafs  die  Versammlung 
mit  dem  den  Vorsitz  führenden  Minister  und  8  Regierungskommissarien 
43  Köpfe  stark  war,  und  schliefslich  hatte  man  der  Versammlung  zehn  Fragen 
über  die  Organisation  des  höheren  Schulwesens  zur  Begutachtung  vorgelegt. 
Die  Veröffentlichung  giebt  nun  erstens  einleitende  Aktenstücke,  Verzeichnis 
der  Teilnehmer,  Rednerliste  u.  a.  S.  I — XVI.  Zweitens:  Stenographische  Be- 
richte über  die  Verhandlungen  S.  1 — 199.  Drittens:  Anlagen,  hier  besonders 
unter  b.  die  zusammengestellten  Gutachten  S.  218 — 408,  daran  schließen 
sich  dann  noch  einige  Erläuterungen  zu  den  der  Schulkonferenz  vorgelegten 
Fragen  S.  409—414. 

Dies  ist  der  äufsere  Rahmen,  in  dem  wir  die  Stellung  der  Geographie 
zum  Gesamtunterrichte  und  zu  ihren  Nachbardisziplinen,  so  wie  sie  Redner 
und  Gutachter  sich  gedacht  haben,  näher  untersuchen  müssen.  Gehen  wir 
zunächst  die  Liste  der  zur  Konferenz  eingeladenen  Herren  durch,  so  mufs 
leider  festgestellt  werden,  dafs  ein  eigentlicher  Geograph  nicht  mit  einberufen 
war.  Prof.  Kropats check  wird  sich  heute  wohl  selbst  nicht  mehr  zu  denen 
rechneu,  deren  Bestrebungen  nicht  mehr  die  seinen  sind,  und  Geh.  Rat  Schwalbe, 
dessen  Tod  wir  inzwischen  zu  bedauern  haben,  war  doch  eigentlich  aus- 
schliefslich  Physiker.  Immerbin  haben  jene  beiden  Herren  das  Wort  „Geo- 
graphie" in  den  Sitzungen  wenigstens  gebraucht;  soweit  ich  beim  Durchlesen 
habe  finden  können,  sind  sie  die  einzigen.  Prof.  Kropatscheck  lehnte  den 
„Antrag  Diels",  das  Englische  für  das  humanistische  Obergymnasium  obli- 
gatorisch zu  machen,  mit  der  Motivierung  ab,  auch  die  Zeichenlehrer  ver- 
langten Gleiches  für  ihr  Fach,  und  fuhr  S.  139  fort:  „Aber  noch  weiter,  m.  H., 
gestern  wies  —  ich  glaube  es  war  Herr  Prof.  Schwalbe  —  auf  die  grofse 
Bedeutung  des  geographischen  Unterrichtes  ein.  Ganz  mit  Recht!  ra.  H. 
Auch  die  Geographen  werden  kommen  und  Ihnen  mit  den  'schlagendsten 
Gründen*  nachweisen,  dafs  ein  zwei-  bis  dreistündiger  Unterricht  wöchentlich 
in  Prima  dringend  notwendig  ist1).  Und,  m.  H.,  wissen  Sie  nicht,  dafs  andere 
Ihnen  mit  den  schlagendsten  Beweisgründen  darlegen,  dafs  Stenographie, 
Hygiene,  Bürgerkunde  ...  in  den  Unterricht  der  höheren  Lehranstalten  ein- 
gefügt werden  müssen?  Alle  diese  Ansprüche  können  mit  den  'besten  Grün- 
den' belegt  werden.  Wenn  wir  erst  einmal  auf  diesen  schiefen  Boden  treten, 
dann  beginnt  die  Auktion  auf  Abbruch  des  Gymnasiums  an  den  Mindest- 
fordernden; das  geht  wirklich  nicht!" 

Dies  ist  die  eine  Stelle;  ein  besonderes  Wohlwollen  des  Redners  für 
unser  Fach  läfst  sich  wohl  kaum  aus  ihr  konstruieren. 

Anders  Schwalbe;  es  ist  die  von  Kropatscheck  erwähnte  Aufserung 
vom  Tage  vorher,  S.  112.  Im  Kampfe  gegen  Kürzungsversuche  am  natur- 
wissenschaftlichen Unterrichte  sagt  er:  „Mir  persönlich  wurde  einmal  gesagt: 
'Was  schadet  das,  wenn  drei  Stunden  abgestrichen  werden?'  Dann  erwidere 
ich  allen  denen:  'Was  schadet  das,  wenn  sie  im  Griechischen  abgestrichen 
werden?  Was  schadet  das,  wenn  sie  in  der  Geographie  abgestrichen  werden?' 
—  M.  H.,  auch  das  ist  noch  ein  grofser  Schade,  dafs  unsere  Schüler  keine 


1)  Eb  ist  mir  nicht  bewufst,  dafs  die  „Geographen"  jemals  für  einen  zwei-  bis 
dreistündigen  Unterricht  eingetreten  wären;  ein-  bis  zweistündig  hätte  die  Sachlage 
richtig  bezeichnet,  während  bei  dieser  Übertreibung  der  Eindruck  der  Unbescbeiden- 
heit  seitens  der  „Geographen"  erweckt  werden  mufstc. 


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»;3* 


Kleinere  Mitteilungen. 


Geographie  lerneu.  Die  Geographie  ist  eigentlich  an  den  höheren  Lehr- 
anstalten so  gut  wie  ausgeschlossen;  und  wenn  ich  persönlich  den  Versuch 
gemacht  habe,  die  Geographie  mit  den  Naturwissenschaften  in  einem  Plane 
zusammenzuziehen,  den  ich  dem  hohen  Ministerium  eingereicht  habe,  so  ist 
das  ein  Versuch  gewesen;  ob  er  durchführbar  ist,  weifs  ich  nicht." 

Das  ist  ein  überaus  schwerer  Vorwurf,  der  hier  erhoben  wird;  ein  Lehr- 
gegenstand, der  mit  einer  doch  nicht  ganz  untergeordneten  Anzahl  Stunden 
auf  den  Planen  verzeichnet  steht,  ist  „eigentlich  so  gut  wie  ausgeschlossen". 
Trifft  dieser  Vorwurf  die  Wahrheit,  so  hätte  man  diese  Stunden  längst  be- 
seitigen müssen,  sie  waren  Verschwendung,  wenn  sich  eine  bessere  Regelung 
des  Unterrichts  als  unmöglich  erwies.  Um  so  wunderbarer  berührt  es,  dafs 
auf  diesen  Vorwurf  keinerlei  Erwiderung,  Berichtigung,  Einschränkung  oder 
Zustimmung,  weder  gleich  noch  später,  erfolgt  ist,  denn  KropatschecVs  oben 
mitgeteilte  Worte  enthalten  nichts  derartiges.  Stimmte  man  Schwalbe 
schweigend  zu  oder  liefs  man  seine  Worte  unter  den  Tisch  fallen?  In  beiden 
Fällen  stände  es  um  die  Sache  des  Erdkundeunterrichtes  gleich  schlimm. 

Aufser  diesen  beiden  Erwähnungen  der  Erdkunde  ist  eine  Nichterwähnung 
zu  verzeichnen.  Die  Frage  5,  S.  128 ff.,  lautete:  „Was  kann  auf  den  höheren 
Schulen,  abgesehen  von  der  durch  4  erledigten  Frage  der  Stundenzahl,  für 
die  Hebung  des  Unterrichtes  in  den  verschiedenen  Lehrgegenständen  geschehen  V" 
Hier  bot  sich,  wie  man  sieht,  die  Möglichkeit,  über  Lage  und  Besserung  des 
Erdkundeunterrichtes  zu  beraten.  Das  ist  nicht  geschehen;  auch  Kropatscheck's 
Worte  stehen  fast  wie  zufällig  bei  der  Besprechung  des  Englischen.  Übrigens 
trifft  diese  Unterlassung  am  wenigsten  die  Mitglieder  des  Ministeriums,  das 
in  den  Konferenzen  eben  vor  allem  Anregungen  von  aufserhalb  empfangen 
wollte  und  das  hinterher  doch  das  immerhin  günstige,  ja  bei  solcher  Sach- 
lage überraschend  gute  Endergebnis  der  Lehrpläne  veranlafst  hat.  — 

Hinter  den  Lehrplänen  finden  sich  die  Gutachten  aus  dem  März.  Unter 
ihnen  lautet  das  auf  Frage  7  (S.  365):  Wie  hat  sich  der  Unterricht  in 
der  Erdkunde  seit  1892  entwickelt  und  was  bleibt  für  ihn  noch  zu  thun? 
von  Geh.  Rat  Hermann  Wagner  in  Göttingen  eingegangene:  „Die  Lage 
des  geographischen  Unterrichtes  in  den  höheren  Schulen  Preufsens  (um  die 
.Fahrhundertwende)."  Es  war  bei  Zusammenstellung  der  Verhandlungen  usw. 
schon  im  Druck  erschienen  (Hannover  und  Leipzig,  Hahn,  1900.  68  S.);  man 
hat  daher  Abstand  genommen,  einen  Abdruck  aufzunehmen,  und  findet  nun 
unter  Frage  7  nichts  weiter  als  diese  selbst,  den  Titel  des  Gutachtens 
und  die  Bemerkung  über  den  anderweitigen  Druck.  Dem  gröfseren  Vorteil, 
dafs  die  Wagner'sche  Denkschrift  als  Hroschüre  eine  weite  Verbreitung 
tindeu  konnte  und  nun  wohl  an  nicht  wenigen  Orten  aufrüttelnd  gewirkt 
haben  mag,  steht  der  Nachteil  gegenüber,  dafs  nun  die  „Verhandlungen  uftw." 
nichts  von  unseren  Wünschen  bringen.  Es  entzieht  sich  meiner  Wissenschaft, 
ob  es  möglich  gewesen  wäre,  wenigstens  die  Hauptforderungen  Wagners  kurz 
formuliert  an  Stelle  der  einfachen  Notiz  über  ihren  Druck  aufzunehmen;  dafs 
diese  hier  zu  rinden  höchst  wünschenswert  gewesen  wäre,  das  ist  doch  wohl 
sicher.  Ich  komme  weiter  unten  auf  den  Inhalt  der  Waguer'scheu  Denk- 
schrift zurück  und  schicke  ihr  hier  diejenigen  Bemerkungen  voraus,  zu  denen 
mir  die  anderen  Gutachten  im  Hinblick  auf  die  Lage  der  Erdkunde  Ver- 
anlassung gegeben  haben. 

Zu  Frage  2,  die  sich  mit  Verschiebungen  des  Lateinischen  und  Ersatz  „ 
des  Griechischen  durch  das  Englische  am  Gymnasium  beschäftigt,  ist  aus  den 
von  Reinhardt  (vom  Goethe-Gytnn.  Frankfurt)  autgestellten  Plänen  zu  er- 


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Kleinere  Mitteilungen. 


639 


sehen,  dafs  er  eine  Vermehrung  der  Erdkuudestunden  in  den  Mittelklassen 
vorschlägt:  Plan  A  S.  262  U  III  Geschichte  und  Erdkunde  4  st.  —  B  S.  264 
auch  noch  0  III.  —  C,  8.  266  sogar  noch  in  ü  II,  C2  S.  267  nur  wieder  bis 
U  III.  Dafs  aber  von  den  4  Stunden  Geschichte  und  Erdkunde  die  vierte 
der  Erdkunde  zu  Gute  kommen  soll,  folgt  aus  S.  263:  „Für  die  Erdkunde 
wird  eine  Verstärkung  der  Stundenzahl  in  der  Tertia  wohlthätig  wirken." 

Frage  5  wünscht  Äufserungen  über  die  Entwicklung  des  neusprachlichen 
Unterrichtes  seit  1890  und  Vorschläge  zur  weiteren  Hebung.  Aus  dem  Gut- 
achten von  Geh.  Rat  MQnch  hebe  ich  einige  seiner  Vorschläge  heraus,  die 
fast  wörtlich  auch  für  Erdkundelehrer  empfohlen  werden  können  und  bei 
denen  uns  ein  Vergleich  mit  den  Wagner'schen  (s.  u.)  empfehlenswert  erscheint. 
Unter  „die  wünschenswerten  weiteren  Mafsnahmen"  S.  310  ff.  rechnet  er  auch 
b  „Freiheit  der  Bewegung"  und  fordert  sie  für  „diejenigen  Fachlehrer,  welche, 
von  Eifer  für  ihre  Sache  erfüllt,  auf  neuen  Wegen  unter  grofser  Selbstauf- 
opferung vollere  Ergebnisse  erstreben".  „Durch  blofsen  Meinungskampf  werde 
kein  Ergebnis  gewonnen  und  durch  Zurückdrängen  und  Unterdrücken  freierer 
Versuche  kein  gesundes."  Die  Forderung  d  lautet  in  der  Hauptsache:  „Der 
Ersatz  der  noch  vorhandenen  nicht  fachlich  ausgebildeten  Lehrer  .  .  .  durch 
Fachleute  mufs  mit  allem  Ernst  durchgeführt  werden  .  .  .";  sie  pafst  genau 
auch  für  den  Erdkundeunterricht,  nur  in  dem  „noch  vorhandenen"  liegt  für 
uns  ein  unmöglicher  Euphemismus.  In  seinen  „Schlufsbemerkungen"  S.  316  f. 
fafst  er  seine  vorher  ausgeführten  Forderungen  zusammen  in  die  beiden  „Haupt- 
mittel: „Auslandsstipendien  und  neusprachliches  Zentralinstitut  (nebst  Filialen)". 

Von  gröfster  Bedeutung  für  die  Stellung  im  Unterrichte  ist  die  Art 
der  Behandlung,  die  Frage  6  gefunden  hat.  „Wie  hat  sich  der  Geschichts- 
unterricht seit  18M 2  entwickelt  und  was  bleibt  für  ihn  zu  thun?"  lautet  hier 
die  Hauptfrage,  deren  beide  Gutachter  Geh.  Rat  Jäger- Köln  und  Geh.  Rat 
Schultz  (College  in  Berlin)  sind.  (Prof.  Harnack's  Gutachten  betrifft  nur  einen 
für  uns  unwichtigen  Nebenpunkt.)  Unabhängig  von  einander  finden  beide 
(Jäger  S.  348—354,  Schultz  S.  355—364)  auch  nicht  die  geringste  Ver- 
anlassung, sich  über  etwa  vorhandene  Beziehungen  zwischen  Erd- 
kunde und  Geschichtsunterricht  zu  äulsera,  während  solche  zwischen 
Geschichte  und  Deutsch  und  ebenso  zwischen  ihr  und  den  fremden  Sprachen 
reichlich  angegeben  werden.  Unter  anderem  schlägt  Jäger  vor,  ein  „Missus 
Dominicus  ad  hoc"  sollte  eine  gröfsere  Anzahl  preufsischer  Lehranstalten  zur 
Feststellung  des  Thatbestandes  auf  dem  Gebiete  des  Geschichtsunterrichtes 
besuchen  (S.  349),  und  giebt  für  diese  eine  grofse  Anzahl  von  Punkten  an, 
auf  die  er  seine  Aufmerksamkeit  zu  richten  hätte  (S.  354),  darunter  durch- 
aus solche,  die  von  engen  Beziehungen  des  Geschichtsunterrichtes  zu  anderen 
Gegenständen  sprechen.  Erdkunde  ist  nicht  darunter.  Daraus  folgt  doch 
wohl  klipp  und  klar,  dafs  solche  Beziehungen  dem  berühmten  Historiker  und 
Pädagogen  nicht  bekannt  oder,  wenn  vorhanden,  doch  seiner  Meinung  nach 
wertlos  sind.  Ich  möchte  dies  möglichst  deutlich  festgestellt  haben,  weitere 
Schlufsfolgerungeu  sind  leicht  daraus  zu  ziehen.  Auch  bei  den  Bemerkungen 
über  die  „Betonung  der  gesellschaftlichen  und  wirtschaftlichen  Entwicklung 
Preufsens  und  Deutschlands",  (Punkt  7  der  Neuerungen  für  den  Geschichts- 
unterricht aus  dem  Jahre  1891  in  Jäger'scher  Anordnung  S.  348)  findet 
weder  Jäger  (S.  351  unter  ad  6)  noch  Schultz  (S.  361  f.)  irgend  welche 
Beziehungen  zum  Erdkundeunterricht  zu  erwähnen.  Übrigens  ist  der  Vor- 
schlag Jägers  eines  M.  D.  ad  hoc  auch  zur  Prüfung  der  Lage  des  Erdkunde- 
unterrichtes sehr  zu  empfehlen.    Aber  es  müfste  freilich  eine  Persönlichkeit 


640 


Kleinere  Mitteilungen. 


sein,  die  sowohl  von  Seiten  der  wissenschaftlichen  Geographie  wie  von  Seiten 
der  Schule  als  Fachmann  gelten  könnte. 

Mit  dem  anderen  Nachbar  der  Erdkunde,  den  Naturwissenschaften,  be- 
schäftigen sich  eine  gröfsere  Anzahl  von  Gutachten  auf  Frage  8,  8.  366. 
Unter  ihnen  sei  das  von  Schwalbe  erwähnt,  doch  ist  angesichts  des  oben 
Mitgeteilten  darauf  zurückzukommen  nicht  mehr  unbedingt  nötig.  Hervor- 
zuheben ist  das  von  Geh.  Rat  Lexis  S.  383 — 385,  der  es  „für  fragenswert" 
halt,  ob  nicht  von  den  11  Stunden,  die  an  den  Oberrealschulen  der  „Chemie 
nebst  Mineralogie"  gewidmet  sind,  eine  oder  selbst  zwei  Stunden  im  Interesse 
geologischer  Unterweisung  abgezweigt  werden  könnten.  „Es  handelt  sich 
dabei,"  meint  er,  „um  die  positive  Wissenschaft  von  dem  Bau  der  Erdrinde, 
die  zugleich  die  notwendige  Grundlage  der  physikalischen  Geographie  bildet." 
Und  so  beklagt  er  dann  überhaupt  die  Lage  der  Erdkunde  in  den  Ober- 
klassen, indem  er  wenigstens  für  Oberprima  eine  Stunde  geographischen  Unter- 
richts auf  naturwissenschaftlicher  Grundlage  erhofft.  Diese  klare  Erkenntnis 
dessen,  was  an  den  Schulen  uns  not  thut,  sollte  sie  vielleicht  damit  zusammen- 
hängen, dafs  Lexis  in  Göttingen  lebt? 

Die  9.  Frage  wünscht  die  Fortschritte  zu  erfahren,  die  die  körperliche 
Übung  der  Schüler  seit  1890  gemacht  hat,  und  Vorschläge  zu  ihrer  Erwei- 
terung. Dem  Wunsche  nach  Vermehrung  der  Ausflüge  stehe  ich  sehr  sym- 
pathisch gegenüber,  ihre  allzu  militärische  oder  sportliche  Ausgestaltung,  wie 
sie  gefordert  worden  ist,  kann  ich  nicht  für  wünschenswert  halten.  Der 
alleinige  Hinblick  auf  bedeutende,  gewollte  oder  erreichte,  Körperleistungen 
ist  für  unser  bestes  Schülermaterial  doch  zu  dürftig.  Man  versuche  es  mit 
Ausflügen  in  heimat-  und  landeskundlichem  Sinne,  freilich  unter  Wahrung 
freier  und  froher  Formen  —  denn  diese  erhalten  auf  Wanderungen  allein  die 
Aufnahmefähigkeit  frisch,  und  man  bekommt  von  selbst  tüchtige  Wanderer. 
Wer  wüfste  nicht  von  geographischen  Exkursionen  her,  wie  viele  berüchtigte 
Schnellläufer  sich  unter  den  Fachmännern  befinden;  das  bringt  der  Gegen- 
stand ganz  von  selbst  mit  sich. 

Jetzt  zurück  zu  Frage  7  und  ihrer  Beantwortung  durch  Hermann 
Wagner.  Wagner  gliedert  seinen  Stoff  in  Einleitung  S.  5 — 8,  I.  Der  geo- 
graphische Fachlehrer  S.  8 — 20,  II.  Der  Studienkreis  der  geographischen  Fach- 
lehrer und  die  Prüfungsordnungen  S.  20 — 38,  in.  Neue  Mafsnahmen  für  die 
Lehrerbildung  S.  38 — 42,  IV.  Die  Lehrpläne  und  Lehraufgaben  S.  42 — 60, 
V.  Die  Lehrmittel  S.  60 — 67,  und  einen  Anhang  S.  68,  der  eine  Übersicht 
über  die  Zahl  der  Winter  1898/99  an  525  höheren  Lehranstalten  Preufsens  im 
geographischen  Unterricht  beschäftigt  gewesenen  Lehrer  bringt. 

In  der  Einleitung  stellt  Wagner  zunächst  die  bekannto  Thatsache  fest, 
dafs  die  grofse  Menge  der  gebildeten  Stäude  ohne  nennenswerte  geographische 
Kenntnisse  unsere  Lehranstalten  verläfst.  Er  sieht  die  Gründe  zu  dieser  Er- 
scheinung in  3,  in  der  Organisation  des  Unterrichtes  gelegenen  Punkten: 
in  mangelnder  Verwendung  fachmännisch  vorgebildeter  Männer  im  Unterricht, 
in  mangelnder  erprobter  Methodik  aus  diesem  Grunde  und  im  Fehlen  selb- 
ständiger geographischer  Lehrstühlen  in  den  Oberklasseu.  Ein  Wandel  hierin 
sei  aber  um  so  weniger  aufzuschieben,  als  die  Kluft  zwischen  Schulgeographie 
und  wissenschaftlicher  Geographie  immer  gröfser  und  die  Bedürfnisse  für  eine 
gediegene  geographische  Bildung  im  deutschen  Volke  bei  seiner  jetzigen 
Weltstellung  immer  dringender  würden. 

In  Abschnitt  I  wird  dann  gezeigt,  in  wie  beispielloser  Weise  der  Unter- 
richt unter  eine  Unzahl  von  Lehrern  zersplittert  ist,  und  damit  bewieseu, 


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Kleinere  Mitteilungen. 


641 


dafs  dieser  Fundamentalübelstand,  ohne  dessen  Beseitigung  alle  Besserungs- 
vorsehläge  nahezu  unwirksam  bleiben  müssen,  nicht  nur  in  Berlin  besteht, 
wie  ich  es  in  Jena  gezeigt  hatte,  sondern  allgemein  herrscht.  Nach  den 
Osterprograimnen  1X99  unterrichteten  an  523  höheren  Lehranstalten  (  280  Gym., 
90  RGym.  n.  ÜReals.,  47  Progymn.,  106  RProgymn.  u.  RS.  )  im  Winter  98/99 
ca.  7000  Lehrer;  von  diesen  gaben  2827,  also  rund  40  %,  geographischen 
Unterricht.  Von  diesen  2827  Lehrern  unterrichteten  1351  nur  in  einer 
Klasse,  797  nur  in  zwei,  noch  nicht  '/,  in  drei  und  mehr  Klassen.  Nimmt 
man  nun  als  bescheidene  Norm  3  (auf  einander  folgende)  Klassen  an ,  in 
denen  ein  Lehrer  geographischen  Unterricht  geben  sollte,  so  brauchte  man 
1800  Lehrer,  also  rund  1000  weniger.  Ferner  werden  diese  Lehrer  meist 
nur  sprungweise  und  ganz  vorübergehend  mit  Geographieunterricht  betraut, 
sodafs  eine  Masse  von  Herren  diesen  Unterricht  geben,  die  weder  Zeit  noch 
Neigung  haben  können,  sich  in  ihn  oft  nur  für  ein  Semester  wissenschaft- 
lich einzuarbeiten.  Übrigens  läfst  sich  dem  (  bei  durch  eine  Herabminderung 
der  Pflichtstundenzahl,  wie  das  Wagner  glaubt,  kaum  beikommen.  Die  schwer- 
fallige Maschinerie  unseres  ganzen  Stundenplanwesens  ist  es  vielmehr,  die 
auch  bei  wohlwollenden  Absichten  eine  sinngemäfse  Berücksichtigung  der 
Bedürfnisse  der  Nebenfächer  kaum  erlaubt.  Richtig  aber  ist  die  Beobachtung, 
dafs  „die  strengere  Durchführung  des  hohen  Mafses  von  Pflichtstunden  für 
den  Einzellehreru  (S.  13)  die  Anzahl  der  versprengt  gegebenen  Stunden  aufser- 
ordentlich  hat  in  die  Höhe  gehen  lassen.  Der  Abschnitt  schliefst  mit  der 
Empfehlung  folgender  Mafsnahmen :  Verlegung  des  Erdkundeunter- 
richtes in  die  Hände  weniger  Fachlehrer  (1  u.  2),  probeweise  Über- 
tragung des  gesamten  Erdkundeunterrichtes  einzelner  Anstalten 
an  geeignete  vorhandene  Kräfte,  um  überhaupt  erst  ein  Mals  des  zu 
Leistenden  zu  gewinnen  (3). 

Der  Abschnitt  II  ist  durch  Wagners  eigenen  Breslauer  Vortrag  und 
die  neuen  Lehrplane  in  wesentlichen  Punkten  überholt,  doch  verdient  einiges 
besonders  Wichtige  hier  noch  hervorgehoben  zu  werden,  so  der  Hinweis,  dafs 
die  mathematisch -naturwissenschaftlichen  Geographielehrer  noch  nicht  eben 
zahlreich  sind.     Wagner  giebt  folgende  Tabelle: 


Aaateltea 

Ueugraphii'lehrer. 

Davon  Mathematiki-r  und 
NnturwiMeuictiuftler 

Pro* 

1416 

9U 

7,0 

Progymn.  .  .  . 

160 

24 

14,5 

RCiymn.  u.  OK«. 

546 

67 

12,3 

Kh  

437 

74 

16,9 

•2565  ') 

264 

10,3  ( 

Ferner  sei  auf  den  höchst  beachtenswerten  Unterabschnitt  6  (S.  33 ff.) 
hingewiesen,  der  von  der  weiteren  Ausbildung  der  heute  bereit«  bestehenden 
Universitätssemiuarien  handelt. 

Abschnitt  III  spinnt  dann  im  Grunde  genommen  diese  Gedankenfolgeu 
noch  weiter  aus.  Bessere  Ausstattung  der  geographischen  Lehrapparate,  Bei- 
hilfe für  geographische  Exkursiouen,  Vermehrung  der  akademischen  Lehr- 
kräfte, etwa  in  der  Weise,  dafs  außerordentliche  Professoren  „nach  Art  der 

1)  Es  sin«!  die  Lehrer  der  überklasseu  neuiik lässiger  Lehranstalten  liier  nicht 
mitgezählt. 

U«uBrophi.cbu  Zeitschrift.  T  Jahrguu«  IMt.tl.Btll.  43 


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642 


Kleinere  Mitteilungen. 


Lektoren  oder  anderer  Dozenten  in  Prosenrinarien  sich  speziell  an  der  Aus- 
bildung der  Fachlehrer  zu  beteiligen44  hätten  (S.  40),  ein  Zentral institut  für 
Fachlehrer,  Ferienkurse,  regelmäfsige  Reisestipendien  an  einzelne  tüchtige 
Fachlehrer,  Erleichterung  des  Eintritts  von  Schulmännern  in  die  akademische 
Laufbahn,  das  sind  die  hauptsächlichsten  Wünsche,  die  Wagner  äufsert,  ein 
reicher  Wunschzettel,  den  man  aber  gewifs  gern  mit  unterschreibt,  übrigens 
vergleiche  man  die  oben  kurz  berührten  Wünsche  anderer  Lehrgegenstände, 
überall  liegen  ähnliche  Bedürfnisse  vor;  vielleicht  verleiht  das  den  Bestrebungen 
innerhalb  jedes  einzelnen  Faches  vermehrte  Stärke. 

Auch  aus  Abschnitt  IV  führe  ich  nicht  alles  an,  da  inzwischen  auch 
hier  wieder  die  neuen  Lehrpläne  das  Bild  etwas  verwischt  haben.  Wagner 
stellt  gewissermafsen  themata  probanda  auf;  unser  Volk  hat  den  Charakter 
eines  reinen  Kontinentalstaates  abgestreift  und  bedarf  für  seinen  erweiterten 
Horizont,  gemäfs  der  völlig  veränderten  Zeit,  innerhalb  seiner  Jugenderziehung 
eines  geographischen  Unterrichts,  der  über  den  althergebrachten  Rahmen  weit 
hinausgeht  (S.  43,  44).  Für  die  Unterklassen  hat  eine  weitgehende  Stoff- 
beschränkung einzutreten  (S.  48),  was  nur  unter  verständiger  fachmännischer 
Leitung  geschehen  könnte.  Die  Art  der  Stoff behandlung  (S.  49 — 52)  denkt 
sich  Wagner  etwa  so:  der  zweite  Kursus,  also  Ulli  bis  Uli  mufs  „einen  wirk- 
lich neuen  Aufbau,  nicht  nur  eine  um  Namen  und  Zahlen  vermehrte  Wieder- 
holung des  früheren  Lehrganges44  bringen;  das  wird  vermutlich  solange  an 
den  Gymnasien  unmöglich  sein,  als  diese  auf  der  zweiten  Stufe  nur  eine 
Wochenstunde  Geographieunterricht  besitzen.  Auf  den  neunklassigen  Anstalten 
müfste  sich  dann  auf  der  Oberstufe  ein  dritter  Kursus  ansetzen,  für  den 
vielleicht  eine  Wochenstunde  ausreicht.  Diese  bekannte  ewige  Forderung, 
die  auch  der  XIII.  deutsche  Geographentag  wieder  in  seine  Resolution  auf- 
genommen hat,  unterläfst  Wagner  nicht  laut  auszusprechen  und  deutlich  zu 
formulieren  (S.  57,  58  u.  60). 

Abschnitt  V  weist  auf  den  hohen  Stand  der  Schulkartographie  in 
Deutschland  hin  und  den  gewaltigen  Abstand,  in  dem  dieser  die  Lehrbücher 
folgen.  Eine  staatliche  Kommission  von  unbeteiligten  Fachlehrern  (S.  65)  ist 
es,  von  der  er  sich  Besserung  verspricht,  nicht  um  ein  Lehrbuchmonopol  zu 
schaffen,  sondern  um  zu  gemeinsamen  Gesichtspunkten  auf  diesem  Gebiete  durch- 
zudringen. Heinrich  Fischer. 


Neue  Beiträge  zur  Morphologie  von  Norwegen. 

Da  neuerdings  auf  einem  Gebiete,  auf  dem  ich  vor  mehreren  Jahren 
selbst  Forschungen  zu  unternehmen  Gelegenheit  hatte1),  einige  wichtige  neue 
Beobachtungen  gemacht  worden  sind,  sei  es  mir  gestattet,  darüber  einen 
kurzen  Bericht  zu  erstatten.  Herr  Prof.  Job..  Vogt  in  Kristiania  veröffent- 
licht im  21».  Heft  von  „Norges  Geologiske  Undersögelse44  die  Ergebnisse  seiner 
fortgesetzten  Arbeiten  in  Helgeland,  d.  i.  dem  norwegischen  Küstenstreif  von 
65°  N.  B.  bis  zum  Polarkreis.  Es  ist  das  jenes  Gebiet,  welches  dem  Nord- 
landsreisenden als  der  Vorhof  und  die  Einleitung  zu  den  großartigen  Natur- 
schauspielen erscheint,  die  seiner  weiter  nordwärts,  in  den  Lofoten  und  am 
Lyngenfjord  harren. 


1  j  Vergl.  Sitzungsber.  der  k.  Akad.  d.  Wisa.  in  Wien,  naturw.  Claaae  18ÜG.  Vgl. 
O.  Z  B.  III  ^lH'jT)  S.  46  ff. 


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Kleinere  Mitteilungen. 


643 


Ich  sehe  ab  von  den  rein  geologischen  Erörterungen  und  will  daraus 
nur  hervorheben,  dafs  nach  des  Verfassers  Ansicht  die  Eruptivgesteine,  Granit 
und  Gabbro  jünger  sind  als  die  Schiefer,  zwischen  denen  sie  stecken;  die 
Eruption  erfolgte  wohl  in  der  Mitte  der  paläozoischen  Ära  gleichzeitig  mit 
der  Gebirgsfaltung.  Auffallend  ist  der  vollständige  Parallelismus  zwischen 
der  allgemeinen  Richtung  des  ganzen  Gebirges,  der  Richtung  der  Faltungs- 
achscn,  der  Küstenlinie  und  dem  Steilabfall  gegen  die  Ozeantiefe,  der  wohl 
gleichzeitig  mit  der  Gebirgsfaltung  entstanden  ist. 

Vogt  hat  aus  den  sehr  konstanten  Gipfelhöhen  die  ursprüngliche  Höhe 
des  Landes  und  dessen  allgemeine  Neigung  zu  ermitteln  gesucht  und  gefunden, 
dafs  der  norwegische  Küstenstreif  eine  schiefe  Ebene  darstellt,  die  sich  mit 
einer  Neigung  von  ca.  40  Bogenminuten  gegen  den  Ozean  senkt;  davon 
kommen  2%  Minuten  auf  die  später  zu  besprechende  postglaziale  Hebung. 
Auf  serhalb  des  Schärenhofes  vermindert  sich  die  Neigung  auf  16  Minuten, 
dann  folgt  eine  fast  horizontale  Fläche,  die  150 — 260  Faden  (282 — 376  m) 
unter  dem  Wasser  liegt,  und  hier  140  km  breit  ist.  Dann  folgt  der  Steil- 
abfall des  Kontinentalsockels  gegen  die  Ozeantiefe,  dessen  Böschung  zwischen 
1°  und  25°  schwankt.  Der  steilste  Abfall  findet  sich,  wie  zu  erwarten, 
aufserhalb  der  Lofoten. 

Die  Berggipfel  entsprechen  fast  überall  den  härteren  Gesteinen,  es  sind 
herauspräparierte  Denudationsreste.  Die  Längsthäler  folgen  ebenso  den  leichter 
zerstörbaren  Kalksteinen,  die  zwischen  den  Granitbergen  eingefaltet  sind; 
diese  Längsthäler  sind  daher  meist  offen  und  nur  durch  niedere  Thalwasser- 
schciden  von  weniger  als  200  m  Höhe  unterbrochen.  Die  Querthäler  sind 
echte  Erosionsrinnen;  das  ganze  Thalsystem  offenbar  präglazial.  Dazu  stimmt, 
dafs  auch  der  geologische  Befund  darauf  hindeutet,  das  Land  sei  lange  geo- 
logische Zeiträume  hindurch  im  Trockenen  gewesen  und  habe  eine  starke 
Abtragung  —  von  etwa  1000  m  —  erfahren.  Die  Erosion  des  Eises  hat 
dann  die  Thäler  in  die  U-Form  gebracht  und  die  Fjorde  übertieft,  die  bis 
zu  600  m  tief  und  am  Ausgang  seichter  (durch  Riegel  abgeschlossen)  sind. 
Am  Laude  ist  nicht  selten  postglaziale  Flufserosion  wahrzunehmen.  Auch  die 
Fjorde  können  in  Längen-  oder  Streichfjorde  und  Querfjorde  unterschieden 
werden;  Vogt  sieht  darin,  wie  der  Referent,  einen  Beweis  für  den  präglazialen 
Ursprung  des  Thal-  und  Fjordsystetns. 

Die  berühmte  von  Reusch  1894  zuerst  beschriebene  und  vom  Referenten 
im  Globus  (69.  Bd.  S.  20)  besprochene  Strandebene  ist  in  Helgeland  nicht 
weniger  als  45  km  breit.  Sie  liegt  hier  in  ihrem  inneren  Teile  20  bis  60  m 
über  dem  Meere,  im  äufseren  20  bis  30  m  unterhalb  des  Meeresspiegels. 
Hier  anfsen  finden  sich  nur  einzelne  Sehären,  näher  der  Küste  ragen  tausende 
oder  zehntausende  von  kleinen  Felseilanden  aus  dem  seichten  Wasser  empor. 
Die  postglaziale  Hebung  betraf  den  inneren  Teil  der  Strandehene  mehr  als 
den  äufseren. 

Die  Kalksteine  und  Glimmerschiefer  sind  durch  die  Brandung,  der  man 
die  Entstehung  der  Strandebeue  ohne  Zweifel  zuschreiben  mufs,  gänzlich  ab- 
radiert worden;  die  gröfseren  Granit-,  Gabbro-,  Serpentin-Einschlüsse  konnten 
aber  nicht  ganz  beseitigt  werden,  sondern  ragen  als  Inseln  mit  hoheu  Bergen 
aus  der  Strandebene  auf. 

Da  der  Felsboden  an  der  Küste  sich  unmittelbar  zu  500  m  Höhe 
erhebt,  so  kann  man  den  Betrag  der  Abrasion  auf  mindestens  400  m  schätzen. 
Bei  einer  Breite  von  45  km  ergiebt  sich  eine  wahrhaft  unglaubliche  Masse 

*»• 


044 


Kleinere  Mitteilungen. 


von  beseitigtem  Material.  (Der  abradierte  Felskörper  hat  nicht  einen  recht- 
eckigen, sondern  einen  dreieckigen  Querschnitt,  die  Rechnung  lautet 
Masse  =  45000  m  X  f  m  X  Länge  des  Küstenstriches.) 

Die  Straudebene  ist  präglazial,  das  ergiebt  sich  daraus,  dafs  alle  Formen 
auf  ihr  die  „Eisschrüme"  -/eigen,  d.  h.  gerundet  und  gekürzt  sind.  Da  der 
Jura  von  Andö  mit  abradiert  ist,  so  mufs  ihre  Bildung  zwischen  Jura- 
faltung  und  Diluvium  ■ —  also  wohl  hauptsächlich  im  Tertiär  —  erfolgt  sein. 
Gegen  die  Annahme  einer  interglazialen  Entstehung  spricht  sich  Vogt  deshalb 
aus,  weil  einmal  die  Interglazialzeiten  zu  kurz  seien,  um  eine  so  grofsartige 
Wirkung  zu  gestatten,  und  zweitens  beweise  das  Fehlen  der  Strandebene  in 
den  innern  Fjorden,  dafs  diese  jünger  seien  als  die  Abrasion. 

In  Schottland  giebt  es  ebenfalls  eine  Strandebene  (nach  Davis,  Physieal 
geography),  in  Grönland  fehlt  sie,  woraus  Vogt  den  Schlufs  zieht,  dafs  Ver- 
eisung und  Strandebene  nichts  miteinander  zu  thun  haben. 

Die  jetzige  Oberflächenform  der  Strandebene,  insbesondere  der  Schärenbof, 
ist  im  einzelnen  der  Eiswirkung  zuzuschreiben,  welche  das  weichere  Material 
ausgescheuert  hat. 

Die  Strand liuien  haben  mit  der  Strandebene  nichts  gemein.  Diese  Be- 
hauptung Vogt 's  steht  im  Widerspruch  mit  einigen  Beobachtungen,  die  ich 
am  Moldetjord  gemacht  habe.  Dort  glaubte  ich  wahrzunehmen,  dafs  die 
Straudebene  sich  im  Innern  der  Fjorde  zu  Strandlinien  verschmälere.  Vogt 
ist  der  Meinung,  die  Strandlinien  stammen  aus  viel  späterer  Zeit,  sie  seien 
auch  nicht  durch  die  Wellen,  sondern  durch  den  sogenannten  „Eisfufs"  erzeugt. 
Der  Eisfufs  ist  eine  aus  der  Geschichte  der  Polarrcisen  (besonders  in  der 
Richtung  Davisstrafse)  wohlbekannte  Erscheinung.  Die  Eisdecke  des  Meeres 
friert  an  das  Ufer  an;  durch  die  Gezeiten  und  den  Seegang  wird  sie  gehoben 
und  gesenkt,  sie  bricht  also  nahe  dem  Ufer  wieder  ab;  ein  mehrere  Meter 
breiter  Streifen  bleibt  aber  am  Ufer  fest;  das  ist  der  Eisfufs.  Dieser  wird 
erst  im  Sommer,  wenn  die  See  im  allgemeinen  eisfrei  geworden  ist,  beseitigt; 
er  greift  das  Küstengestein  sehr  stark  an,  da  viele  Steine  fest  ins  Eis  ein- 
frieren. Besonders  dort,  wo  starke  Strömungen  sind,  findet  eine  starke  Ab- 
seheuerung  durch  die  vorbeitreibenden  Schollen  statt. 

Die  Straudlinien  liegen  in  Helgeland  bis  1G8  m  über  dem  Meeresspiegel; 
dieses  Maximum  wird  im  Innern  des  Ranenfjords  erreicht;  auf  der  Insel 
Tränen,  die  am  weitesten  im  Meere  liegt,  finden  sich  die  Strandlinien  noch 
65  m  hoch. 

Seit  den  Forschungen  de  Geers  ist  nicht  mehr  daran  zu  zweifeln,  dafs 
die  Strandlinien  ein  Beweis  für  die  Hebung  des  skandinavischen  Festlandes 
sind;  eine  Isanabasen- Karte  zeigt,  wie  die  Hebung  je  weiter  landeinwärts 
desto  stärker  war.  Die  „Isobasen",  wie  Vogt  schreibt,  laufen  parallel  der 
Küste,  die  Isobase  0  lallt  zusammen  mit  dem  Steilabfall  des  Kontinental- 
blockes. Nur  dieser,  ohne  die  Ozeautiefen,  hat  sich  also  gewissermafsen  auf- 
gebläht oder  aufgewölbt.  Auf  einer  Terrasse  von  82  m  fand  sich  arktische 
Fauna  (Yoldia  üTCtica  u.  s.  w.),  diese  stammt  also  aus  einer  der  kalten  post- 
glazialen Perioden,  auf  den  niedrigsten  Terrassen  findet  mau  die  jetzige  Fauna. 

Ein  interessanter  Abschnitt  behandelt  die  Entstehung  der  mariuen  Höhleu 
vom  Typus  des  oft  beschriebenen  Torghattentunnels.  Es  ist  kein  Zweifel  an 
seinem  marinen  Ursprung  gestattet,  er  liegt  genau  im  Niveau  der  obersten 
Strandlinie. 

Gesteine  aus  dem  Kristianiagebiet,  besonders  der  jedem  naturwissenschaft- 
lichen Besucher  dieser  Stadt  bekannte  Rhombenporphyr,  finden  sich  in  einzelnen 


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Kleinere  Mitteilungen. 


645 


Stücken  verschleppt  bis  Tränen  (66°  30y  Sie  können  nur  durch  schwimmendes 
Eis  vertragen  worden  sein.  Da  auch  jetzt  der  Strom  an  der  norwegischen  Küste 
nach  N.  geht,  so  scheint  das  gegenwärtige  Stroinsy stein  schon  am  Ende  der 
Eiszeit  bestanden  zu  haben.  E.  Richter. 


Der  13.  Schweizerische  Geographentag. 

Eines  aufserordentlich  glücklichen  Verlaufes  darf  sich  der  vom  22. — 24. 
September  1901  in  der  Tonhalle  zu  Zürich  abgehaltene  „13.  Kongrefs  der 
Schweizerischen  geographischen  Gesellschaften"  rühmen.  Reichte 
auch  die  Zahl  der  eingeschriebenen  Teilnehmer  —  circa  80,  denen  sich  aber 
noch  eine  Reihe  von  nur  den  Verhandlungen  beiwohnenden  Vertretern  der 
verschiedensten  Berufszweige  anschlössen  —  an  die  für  die  Deutschen  Geo- 
graphentage üblichen  Frequenzziffern  nicht  heran,  so  bot  dafür  einerseits  das 
vom  Vorort  Zürich  sorgfältig  zusammengestellte  Programm  für  die  wissen- 
schaftlichen Sitzungen  eine  Fülle  von  Belehrung,  während  die  von  der  Geo- 
graphisch-Ethnographischen Gesellschaft  Zürich  anderseits  in  ausgedehntem 
Mafse  gewährte  Gastfreundschaft  den  bei  wissenschaftlichen  Zusammenkünften 
so  wertvollen  engern  persönlichen  Verkehr  der  Teilnehmer  wesentlich  förderte. 

Gehaltvoll  war  schon  die  Eröffnungsrede,  in  der  der  Vororts-  und  Kon- 
grefspräsident,  Nationalrat  Oberst  U.  Meister,  die  vielfache  intensive  und 
extensive  Pflege  betonte,  deren  sich  die  geographische  Wissenschaft  in  der 
Schweiz,  und  im  besonderen  in  Zürich  seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
bis  heute  zu  erfreuen  das  Glück  hatte.  In  unserer  Zeit  namentlich  ist  Zürich 
zum  Sitz  einer  regen  geographischen  Thätigkeit  auf  allen  ihren  verschiedenen 
Gebieten  geworden,  wras  nicht  zum  wenigsten  einer  ganzen  Anzahl  von  hier 
lebenden  weitgereisten  Gelehrten  zu  verdanken  ist.  Von  solchen  safsen  unter 
uns  (neben  den  beiden  Baslern  Fritz  und  Paul  Sarasin)  Conrad  Keller  (Ost- 
afrika und  Madagaskar"),  Rudolf  Martin  (Hinterindien),  Hans  Schinz  (Deutsch- 
Südwestafrika),  Carl  Schröter  (pflanzengeograph.  Reise  um  die  Welt), 
Otto  Stoll  (Zentralamerika),  Leo  Wehrli  (argentinische  und  chilenische  Cor- 
dilleren)  u.  a. 

Die  wissenschaftlichen  Vorträge  wollen  wir  nach  ihrem  Inhalt  zu  grup- 
pieren versuchen,  müssen  uns  aber  des  beschränkten  Raumes  wegen  auf 
einige  kurze  Bemerkungen  darüber  beschränken.  An  Stelle  des  leider  er- 
krankten ehemaligen  Direktors  des  kaiserlich  Russischen  Physikalischen 
Zentralobservatoriums  zu  Pawlowsk,  Staatsrates  Heinrich  v.  Wild,  las 
Prof.  C.  Keller  dessen  Mitteilung  „Zur  Föhnfrage".  Wild  ist  an  Hand  des 
Experimentes  und  eingehenden  Studiums  einer  Reihe  von  typischen  Föhnfällen 
in  seiner  Auffassung  des  Phänomens,  wie  er  sie  schon  1867  veröffentlicht  hatte, 
bestärkt  worden.  Darnach  wäre  die  Definition  des  typischen  Föhns  die,  „dafe 
er  in  den  Thälern  hinter  einem  Gebirgszug,  und  zwar  besonders  in  den  nahe 
senkrecht  zu  ihm  verlaufenden,  einen  aus  der  Höhe  herabsteigenden  stür- 
mischen, vom  Thalende  nach  dessen  Öffnung  hin  wehenden  warmen  und 
trockenen  Wind  darstellt,  welcher  durch  einen  das  Gebirge  von  jenseits  quer 
überwehenden  heftigen  Luftstrom  erzeugt  ist.  Da  stürmische  Winde  resp. 
starke  Druckgradienten  durchweg  im  Gefolge  von  Cyklonen  auftreten,  so 
ist  meistenteils  die  Entstehung  des  Föhns  an  Druckminima  gebunden,  die 
auf  der  einen  oder  andern  Seite  eines  Gebirges  dahin  ziehen.  Geht  also  eine 
Cy klone  statt  auf  der  Nordseite  der  Alpen  auf  deren  Südseite  vorbei,  so 


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Kleinere  Mitteilungen. 


kann  in  den  südlichen  Alpenthälern  auch  ein  Föhn  entstehen,  den  ich  zum 
Unterschied  Nordföhn  genannt  und  auch  zuerst  als  Schlufsfolgerung  der 
Theorie  thatsächlich  nachgewiesen  habe  .  .  .  Der  Föhn  ist  eine  so  eigentüm- 
liche Erscheinung  von  Gebirgsthälern,  dafs  ich  den  Meteorologen  vorschlagen 
möchte,  diese  Bezeichnung  wieder  auf  den  typischen  Föhn  unserer  obigen 
Definition  desselben  gemäfs  zu  beschränken  und  sogar  den  Ausdruck  föhn- 
artig zur  Verhütung  von  Verwechslungen  und  falschen  Deutungen  zu  ver- 
meiden." Dem  gegenüber  hielt  in  der  Diskussion  Direktor  Dr.  Bill  will  er  von 
der  Schweizerischen  Meteorologischen  Zentralanstalt  im  Einklang  mit  Hanu 
daran  fest,  dafs  diese  engere  Fassung  des  Begriffes  „Föhn"  nicht  zulässig 
sei  und  dafs  als  Föhn  überhaupt  jeder  warme,  trockene  und  fallende  (also 
auch  ein  aus  einer  Anticyklone  herauswehender)  Wind  bezeichnet  werden 
dürfe.  (Vgl.  die  soeben  erschienene  grofse  Arbeit:  Wild,  H.  „Iber  den  Föhn 
und  Vorschlag  zur  Beschränkung  des  Begriffs"  in  den  Denkschr.  der  Schweiz, 
naturforsch.  Gesellschaft.    Bd.  38,  2.  Hälfte.    Zürich  1901). 

„Das  Problem  der  Antarktis"  behandelte  der  Basler  Zoologe  Prof. 
Rud.  Burckhardt  vom  Standpunkte  der  vergleichenden  Ornithologie  aus 
mit  Bezug  auf  die  Frage  nach  einem  einstigen  antarktischen  Schöpfungs- 
zentrum. Die  mit  reichem  Anschauungsmaterial  belegten  Ausführungen  des 
Redners  führten  zu  dem  Ergebnis,  dafs  die  Vogelwelt  und  im  besonderen  die 
Riesenvögel  nicht  mehr  als  Zeugen  für  eine  ehemalige  antarktische  Land- 
brücke, einen  Kontinent,  angerufen  werden  dürfen,  ebensowenig  wie  nach 
Schiraper  auch  in  Hinsicht  auf  die  Flora  ein  Anhalt  zur  Annahme  eines 
solchen  Schöpfungszentrums  gegeben  sei.  Die  Reihe  der  physisch-geographischen 
Vorträge  beschlofs,  da  Prof.  Eberh.  Fraas  aus  Stuttgart  seine  angekündigte 
Mitteilung  „über  die  Badlands  und  Prairien  von  Nordamerika"  zu  geben 
verhindert  war,  Prof.  Otto  Stoll  in  Zürich  mit  sehr  interessanten  Aus- 
führungen über  die  „medizinische  Geographie  von  Guatemala".  Nach  einer 
kurzen  Darlegung  der  geographischen  Gliederung  des  Landes  in  drei  land- 
schaftlich und  klimatisch  verschiedene  Höhenzonen  entrollte  der  Vortragende 
in  rascher  Folge  ein  klares  Bild  von  den  jeder  dieser  Zonen  eigentümlichen 
Krankheitserscheinungen  und  den  den  europäischen  Ansiedern  sich  hier  bietenden 
Vor-  oder  Nachteilen. 

Nur  dem  Titel  nach  nennen  können  wir  hier  die  beiden  Vorträge  von 
Prof.  Rud.  Martin  in  Zürich  „Über  den  neolithischen  Menschen  der  Schwei«*1 
und  von  Prof.  Ed.  Naville  in  Genf  über  „Les  relations  des  aneiens  Egyptiens 
avec  1  etranger,  surtout  avec  l'Asie  oceidentale".  Einer  sehr  zeitgemäßen 
Frage  trat  Prof.  Ed.  Brückner  in  Bern  nahe  mit  seinen  Ausführungen 
„Über  die  Volksdichte,  besonders  in  der  Schweiz".  Redner  verwirft  die 
statistischen  Karten  gewöhnlicher  Art,  die  sogenannten  „Kartogramme"  der 
Statistiker,  die  die  Bevölkerung  auf  die  ganze  Fläche  gleichmäfsig  verteilen 
und  daher  kein  geographisches  Bild  von  deren  wirklicher  Verteilung  geben. 
Ebensowenig  läfst  sich  den  von  Petermann  eingeführten  Karten  der  Siedelungs- 
dichte  mit  ihrem  System  von  Punkten  und  Kreuzen  direktes  Zahlenmaterial 
entnehmen.  Das  Bestreben  der  Geographen  ist  daher  darauf  gerichtet,  eigent- 
liche Volksdichtekarten  zu  entwerfen,  auf  welchem  Weg  Prof.  Hettner  mit 
seiner  Befürwortung  von  statistischen  Grundkarten  vorangegangen  ist.  Brückner 
erläutert  seine  Ansichten  an  Hand  der  ausgehängten  Skizze  einer  Volksdithte- 
karte  einer  schweizerischen  Thalschaft,  die  nur  das  dauernd  bewohnbare  und 
bewohnte  Gebiet  berücksichtigt.  In  der  Diskussion  verteidigte  der  zürcherische 
Kantonsstatistiker  E.  Kollbrunner  mit  guten  Gründen  die  Darstellungsweise 


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Kleinere  Mitteilungen. 


647 


der  Statistiker  und  wünscht  —  im  Einverständnis  mit  Prof.  Brückner  — 
die  Vornahme  einer  allgemeinen  Volkszählung  im  Sommer,  d.  h.  in  der  Zeit 
des  Erwerbes,  wo  die  Verteilung  der  Bevölkerung  in  der  Schweiz  eine  ganz 
andere  ist  als  im  Winter,  der  Zeit  der  Ruhe.  An  Hand  der  soeben  fertig- 
gestellten neuen  „Schulwandkarte  der  Schweiz"  in  1:250  000  besprach  end- 
lich der  Chef  des  Eidg.  topographischen  Bureaus  in  Bern,  Major  Held,  deren 
grofse  Bedeutung  für  die  Landeskunde.  Er  hob  besonders  hervor,  dafs  das 
lang  und  sorgfältig  vorbereitete  Unternehmen  nicht  nur  als  eine  zeichnerische 
und  technische  Leistung  aufzufassen,  sondern  als  ein  unschätzbares  Hilfs- 
mittel zur  Popularisierung  der  geographischen  Wissenschaft  in  der  Schule 
zu  betrachten  sei.  In  der  That  lassen  sich  der  neuen  Karte  bei  ihrer  vor- 
züglichen Ausführung  eine  grofse  Zahl  von  geographischen  Thatsachen  ohne 
weiteres  entnehmen. 

Einige  von  der  vorzüglichen  Kongrefsleitung  in  den  Kranz  der  streug 
wissenschaftlichen  Vorträge  eingeschobene  Mitteilungen  mehr  unterhaltender 
Art  brachten  erwünschte  Erholung.  So  entwarf  Arth,  de  Claparedo  aus 
Genf  ein  ansprechendes  Charakterbild  des  kürzlich  verstorbenen  Genfer  Geo- 
graphen Paul  Chaix,  eines  Vermittlers  zwischen  der  alten  und  neuen  Schule, 
und  derselbe  Rodner  führte  uns  weiterhin  das  Bild  der  durch  den  Bau  des 
Suez-Kanales  umgewandelten  maritimen  Handels-  und  Verkehrsverhältnisse 
vor.  Endlich  besprach  der  Sekretär  der  „Societe  de  geographie  commerciale" 
in  Paris,  Charl.  Gauthiot,  die  neue  französische  Kolonie  Madagaskar  in  Bezug 
auf  ihre  wirtschaftliche  Entwickelung  und  Bedeutung  in  der  Gegenwart  und 
Zukunft. 

Nicht  vergessen  wollen  wir,  dafs  Prof.  Martin  einige  Proben  seiner  beim 
Artistischen  Institut  Orell  Füssli  in  Zürich  in  vollendet  schöner  Technik  er- 
scheinenden „Wandtafeln  für  den  Unterricht  in  Anthropologie,  Ethnographie 
und  Geographie"  ausgehängt,  und  dafs  Prof.  Heim  im  Polytechnikum  eine 
Ausstellung  der  zahlreichen  von  ihm  und  seinen  Schülern  modellierten  geo- 
logischen Reliefs  (worunter  ein  neues,  noch  in  Arbeit  befindliches  Relief  der 
Säntis  Gruppe)  veranstaltet  hatte.  Der  Direktor  des  Concilium  Bibliographi- 
cum  in  Zürich,  Dr.  Field,  erklärte  dem  Kongrefs  seinen  analytischen  Zettel- 
katalog der  laufenden  Weltliteratur  aus  den  Gebieten  der  zoologischen 
Wissenschaften,  dessen  Ausdehnung  auch  auf  andere  Fächer,  z.  B.  die  Geo- 
graphie, nur  eine  Frage  finanzieller  Art  ist.  Es  soll  an  dieser  Stelle  auch 
erwähnt  werden,  dafs  bei  dem  durch  manche  treffende  Rede  gewürzten  Bankett 
durch  den  Dekan  der  mathemat.-naturwissenschaftl.  Fakultät  der  Universität 
Zürich  die  Verleihung  des  Doktortitels  honoris  causa  an  den  um  die  Prähistorie 
und  damit  auch  die  Geographie  der  Schweiz  verdienten  Forscher,  Privat- 
doconten  Jak.  Heierli,  den  Verfasser  der  „Urgeschichte  der  Schweiz",  unter 
allgemeinem  Beifall  bekannt  gegeben  wurde. 

Den  Teilnehmern  am  Kongrefs  war  eine  reichhaltige  „Festschrift  der 
Geographisch  -  Ethnographischen  Gesellschaft"  dargeboten  worden. 

Neuer  Vorort  und  Sitz  des  nächsten  Kongresses  des  Verbandes  der 
schweizerischen  geographischen  Gesellschaften  ist  Neuen  bürg. 

Zürich.  Heinrich  Brunner. 


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64* 


Geographische  Neuigkeiten. 


(ieographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitzau. 


Allgemeines. 

*  Schwankungen  der  momen- 
tanen Drehungsachse  der  Erde.  — 
Zwei  Jahre  sind  verflossen,  seit  auf  den 
sechs  Stationen  des  internationalen  Breiten- 
dienstes mit  den  Beobachtungen  zur  Er- 
mittelung des  Betrages  jener  kleinen 
Schwankungen  begonnen  wurde,  welche 
die  momentane  Drehungsachse  des  Erd- 
körpers  und  dessen  Haupttragheitsachse 
erleidet.  Die  ersten  Ergebnisse  dieses 
Unternehmens  sind  vor  kurzem  von  Prof. 
Albrecht  (Potsdam)  in  den  „Astro- 
nomischen Nachrichten"  veröffentlicht 
worden.  Aus  dieser  Veröffentlichung  ist 
zunächst  zu  entnehmen,  dafs  die  Beob- 
achtungen, die  nach  einem  vom  Zentral  - 
bureau  der  internationalen  Erdmessung 
in  Potsdam  aufgestellten  Programm  und 
mit  völlig  gleichartig  gebauten  Instru- 
menten ausgeführt  werden,  seit  dem  Herbst 

1899  auf  allen  sechs  Stationen,  nämlich 
Carloforte  /Sardinien),  Cincinnati,  Gaithers- 
burg  (Nordamerika),  Mizusawa  (Japan), 
Tschardschui  (Turkestan),  Ukiah  (C'ali- 
fornien  ,  ohne  wesentliche  Störung,  also  un- 
unterbrochen fortgeführt  werden  konnten. 
Für  den  Zeitraum  vom  Herbst  1899  bis 
zum  Anfang  des  gegenwärtigen  Jahres  hat 
Albrecht  auch  schon  vorläufige  Resultate 
ableiten  können.  Der  Momentanpol  der 
Erde  hat  hiernach  in  diesem  Zeitraum 
sehr  nahe  eine  Ellipse  beschrieben,  «leren 
grofse  Achse  0,24  und  deren  kleine  Achse 
0,14  Bogensekunden  beträgt.  Die  Rich- 
tung der  grofsen  Achse  dieser  Ellipse, 
also  des  gröfsten  Ausschlages,  fällt  mit 
dem  Meridian  zusammen,  der  120°  östlich 
und  60°  westlich  von  Greenwich  verläuft, 
der  also  einerseits  durch  Ostasien,  andrer- 
seits durch  Südamerika  geht.  Die  Ab- 
weichung des  Momentanpoles  von  seiner 
Mittellage  ist  somit  im  Laufe  des  Jahres 

1900  verhältuismäfsig  gering  gewesen,  in 
absolutem  Längenmafse  ausgedrückt,  be- 
trug sie  im  Maximum  nur  .1,7  m.  (W.  Beil. 
Nr.  219  d.  „A.  Z.") 

*  Im  Monat  September  hat,  wie  die 
„N.  Fr.  Pru  aus  Interlaken  erfährt,  eine 


Gelehrten  unter  Führung  des  Physio- 
logen Prof.  Zuntz  und  mit  Unterstützung 
der  Berliner  Akademie  auf  dem  Brienzer 
Rothorn  die  Einflüsse  des  alpinen 
Klimas  und  der  Bergbesteigungen 
auf  den  menschlichen  Organismus 
untersucht.  Die  Einflüsse  der  Witterung, 
des  Trainings,  überhaupt  aller  äufseren 
Faktoren  auf  die  Leistungsfähigkeit  des 
Körpers  und  auf  den  Stoffwechsel  in  ver- 
schiedenen Berghöhen  sollten  mit  physio- 
logischen und  meteorologischen  Registrier- 
Apparaten  erforscht  werden.  Diese  Be- 
obachtungen sollten  dann  auf  dem  Monte 
Rosa,  bei  der  Schutzhütte  der  Königin 
Margherita,  längere  Zeit  fortgesetzt  wer- 
den, um  das  vielumstritteue  Problem  der 
Bergkrankheit  seiner  LöBimg  näher  zu 
führen.  F.  Th. 

*  Projekt  eines  französischen 
Weltkabel  netzes.  —  In  Frankreich 
beschäftigt  man  sich  gegenwärtig  mit 
dem  Plane,  eigene  staatliche  Kabellinien 
zu  errichten.  Die  Kammer  hat  zu  diesem 
Zwecke  eine  eigene  Kommission  ins  Leben 
gerufen.  Die  Kabel  sollen  von  ver- 
schiedenen befestigten  Küsteuplätzen  aus- 
gehen und  in  den  französischen  Kolonien 
und  neutralen  Gebieten  in  der  Nähe  be- 
festigter Orte  enden.  Die  Küstenstationen 
sollen  wiederum  unter  einander  durch 
eigene ,  vom  übrigen  Telegraphennetze 
unabhängige  Telegraphenlinien  verbunden 
werden.  Die  oben  angeführte  Kommission 
hat  das  Projekt  eines  ausgedehnten  Kabel- 
netzes ausgearbeitet,  in  das  aufser  den 
französischen  Kolonien  auch  Griechen- 
land, Rufsland,  Palästina.  Südamerika, 
Nied. -Indien,  die  Philippinen,  China  und 
die  Mandschurei  einbezogen  erscheinen. 
Die  ganze  Anlage  zerfällt  in  vier  Netze. 
1.  Das  südatlantische  Netz  mit  den 
Linien  Rochefort— Dakar  (Cap  Verde\ 
Dakar  —  Cotenou  ,  Coteuou  —  Libreville, 
Libreville— Mossamedes  ,  Mossamedes — 
Fort  Dauphin  Südruadagnskari,  Fort  Dau- 
phin— Lourer>eo-Manjuez.  sodann  Dakar — - 
Buenos- Ay  res  und  Dakar— Cayenne.  2.  Das 
Netz  des  indischen  Ozeans  mit  den 
Linien  Tamatave— Saint  Denis  (Re"union), 


Expedition   Berliner   und    W i ener  St.  Denis— Batavia  und  mit  der  im  Jahre 


Geographisch 


e  Neuigkeiten. 


649 


1895  hergestellten  Verbindung  Mocam- 
bique—Majunga  und  der  Cberlaudtelc- 
graphenlinie  Majunga  —  Fort  Dauphin. 
3.  Das  Netz  deschinesischenMeeres, 
umfassend  die  Linien  Saigon — Pulo  Kondor 
i  Insel  vor  Saigon),  Saigon — Pontianak 
(Ost  -  Borueo}— Batavia  ,  Saigon— Macao. 
die  überlandverbindung  Macao— Kanton, 
dann  die  Linien  Macao — Amoy,  Amoy — 
Schanghai,  Schanghai— P.  Arthur,  P.  Ar- 
thur Taku  und  die  Telegraphenlinien 
T.iku  —  Tientsin,  Tientsin  —  Kussische 
Grenze,  endlich  die  Kabellinie  Saigon — 
Manila.  4.  Das  Netz  des  östlichen 
Mittelländischen  Meeres  mit  den 
Linien  Bizerta— Ergasteria  (Laurion  in 
Griechenland) ,  Ergasteria— Sebastopol, 
Ergasteria -Beirut,  Oron  -Marseille, Oron  - 
Port  Veudres  und  mit  der  Telegraphen- 
linie Bizerta-Oron.  A.  R 

Europa. 

*  Die  Ergebnisse  der  seit  1874  durch 
den  Schweizer  Alpenklub  und  die  hchwei- 
zerische  Naturforschende  Gesellschaft  sy- 
stematisch betriebenen  Beobachtungen 
am  B  honegletscher  (III.  Jhrg.  S.  477} 
werden  nächstens  vom  Schweizer  Alpen- 
klub veröffentlicht  werden.  Durch  die 
Veränderungen  der  vier  auf  dem  Gletscher 
angelegten  Steinprotile  hat  sich  feststellen 
lassen,  dafs  ein  Stein  aus  der  obersten 
Keihe  in  den  25  Jahren  in  horizontaler 
Richtung  einen  Weg  von  2U40  m  zurück- 
gelegt hat  und  dabei  um  6x6  m  gesunken 
ist.  Die  Abschmelzung  des  Eises  betrug 
am  unteren  Teile  des  Gletschers  in  1800  m 
Meereshöhe  jahrlich  im  Durchschnitte 
etwa  12  m,  600  bis  700  m  weiter  oben 
aber  nur  noch  3—4  m.  Im  eigentlichen 
Firngebict,  in  einer  Höhe  von  2700  m, 
zeigte  sich  an  den  eingesteckten  Mefs- 
stangen  nicht  eine  Abnahme,  sondern  eine 
Zunahme,  die  an  einigen  Orten  jährlich 
mehr  als  4  m  betrug.  Zusammengenommen 
ergeben  die  Beobachtungen  einen  fort- 
währenden Rückgang  des  Bhouegletschers 
in  den  letzten  25  Jahren,  der  am  unteren 
Gletscherrand  nahezu  H00  m  betrug,  wo- 
durch 35  ha  Boden  blofsgelcgt  worden  sind. 

*  Chor  die  Färöer  veröffentlicht 
Knudsen  im  Globus  Bd.  LXXX,  S.  227, 
auf  Grund  der  vom  dänischen  General- 
stabe in  den  Jahren  1*1)5  1899  gemach- 
ten Aufnahmen  und  einiger  damit  im 
Zusammenhange   stehenden   neuen  Ver- 


öffentlichungen ausführliche  Mitteilungen, 
denen  wir  folgendes  entnehmen:  Die 
Färöergruppe  besteht  aua  etwa  24  Inseln 
und  Holmen,  die  eine  Gesamtoberfläche 
von  1326  qkm  haben,  von  denen  aber  nur 
17  bewohnt  sind.  Die  Zahl  der  Bewohner 
beträgt  ungefähr  14000;  auf  der  gröfsten 
Insel,  Ströinö  (373  qkm),  liegt  die  Haupt- 
stadt Thorshavn  mit  etwa  1400  Einwoh- 
nern. Die  Inseln  sind  steile  Felseninscln 
vulkanischen  Ursprungs,  die  aus  tiefem 
Meere  steil  emporragen.  Durch  das  Innere 
ziehen  weite  flache  Hochebenen  von  einer 
Durchschnittshöhe  von  315  ni,  welche 
gegen  die  Küsten  besonders  nach  Nord 
und  West  schroff  abfallen.  Auf  der  Hoch- 
ebene erheben  sich  viele  Gipfel,  die  auf 
den  Nordinselu,  wo  der  Porphyr  vorherrscht, 
eine  spitze  Form  haben,  während  sie  auf 
den  südlicheu  Inseln,  wo  Basalt  häutiger 
ist,  oben  etwas  flacher  gestaltet  Bind.  Die 
höchsten  Gipfel  liegen  im  Norden  und 
Westen  der  Gruppe,  wo  der  „Slättera- 
tinde"  auf  östero  882  m  und  der  „Vil- 
lingcdalsfjäld"  auf  Viderö  884  m  Höhe 
erreichen.  Die  Oberfläche  der  Inseln  ist 
mit  einer  Schicht  fruchtbarer  Erde  be- 
deckt, deren  Tiefe  bis  1  m  beträgt,  häutig 
aber  weit  geringer  ist.  Sic  reicht  nur 
selten  zu  den  höchsten  Teilen  der  Berge 
hinauf,  weshalb  die  Felsengipfel,  wenig- 
stens auf  den  Nordinseln,  gewöhnlich 
kahl  und  schwarz,  ohne  Pflanzendecke 
sind.  Nur  ein  sehr  kleiner  Teil  des 
Landes  is,t  angebaut,  ein  Stücklein  um 
jeden  der  80  bis  DO  Flecken  herum,  der 
Rest  liegt  noch  unberührt  da. 

Aalen« 

*  Die  vor  kurzem  am  Aralsee  und 
einigen  andern  zentralasiatischen  Seen 
konstatierten  Niveauschwankungen 
haben  Woeikow  veranlagt,  die  Periode 
dieser  Schwankungen  zu  berechnen  und 
die  gefundenen  Werte  mit  denen  der 
Brückner'schen  Hypothese  zu  ver- 
gleichen (Petermaun's  Mitt.  1U01,  S.  100). 
Aua  direkten  Beobachtungen  Berg's  am 
Aralsee  (S.  292)  und  Ignatow's  an 
mehreren  Seen  der  Barabinskischen  Steppe 
und  aus  älteren  Reiseberichten  und  Er- 
kundigungen bei  den  Eingeborenen  er- 
giebt  sich  unzweifelhaft  eine  Wasserab- 
nahme der  Seen  von  den  vierziger  Jahren 
bis  zum  Ende  der  siebziger  Jahre  und 
eine  dann  eintretende  Zunahme,  die  gcr.cn- 


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650 


Geographische  Neuigkeiten. 


wärtig  nuch  andauert,  Andererseits  lassen 
die  in  Barnaul  Heit  1838  ununterbrochen 
angestellten  meteorologischen  Beobach- 
tungen eine  regelmäfsige  und  deutlich 
erkennbare  Schwankung  der  Niederschlage 
in  der  Nachbarschaft  der  erwähnten  Seen 
erkennen  derart,  dafs  die  Niederschlags- 
menge vom  Anfang  der  Beobachtungs- 
periode  bis  zur  Mitte  der  60er  Jahre  ab- 
nimmt, dann  wieder  bis  Knde  der  80  er 
Jahre  steigt  und  dann  mit  kleinen  Schwan- 
kungen ungefähr  gleich  hoch  bleibt  bis 
zu  Eude  der  Beobachtungsperiode.  Beide 
Beobachtungen  ergeben  also  das  Vor- 
handensein einer  trockenen  Periode,  deren 
Mitte  auf  die  Jahre  1861. 06  fällt,  und 
einer  nassen  Periode,  die  1893  ihren 
Höhepunkt  erreicht  hat.  Die  ganze  Pe- 
riode dauert  also  55  Jahre,  nafs  bis 
trocken  26  V,  Jahre,  trocken  zu  nafs 
28  Vj  Jahre.  Mit  der  Brückner'schen  Hy- 
pothese, die  eine  36jährige  Periode  an- 
nimmt, lassen  sich  diese  Werte  und  Pe- 
rioden kaum  in  Einklang  bringen.  Die 
erste  nasse  Zeit  fällt  etwa  12  Jahre  früher 
als  die  von  Brückner  angenommene  nasse 
Zeit  (18ö0j  und  8  Jahre  nach  seiner 
trockenen  (1830  s,  die  trockene  etwa  4—5 
Jahre  später  als  seine  trockene  (1860), 
die.  zweite  und  viel  bedeutendere  nasse 
Zeit  etwa  13  Jahre  später  als  seine  nasse 
und  zu  einer  Zeit,  welche  er  zu  einer 
trockenen  rechnet.  Also  nur  die  troekene 
Zeit  der  60er  Jahre  lallt  mit  einer  Brück- 
ner'sehen  trockenen  Zeit  ungefähr  zu- 
sammen, die  nassen  Zeiten  fallen  auf 
Jahre,  welche  Brückner  zu  den  trockenen 
rechnet.  Ein  Zusammenhang  zwischen 
periodischen  Schwankungen  der  Lufttem- 
peratur und  der  Regenmenge  lieft  sich 
aus  den  BeobaehtungBreihen  von  Barnaul 
nicht,  nachweisen,  das  Maximum  der  Tem- 
peratur fällt  nicht  auf  die  trockenen 
Jahre  1863-64,  ebenso  auch  nicht  das 
Minimum  auf  die  nassen  Jahre  um  und 
nach  1890. 

Afrika. 

»  Über  den  Et  in  de- Vulkan  in  Ka- 
merun veröffentlicht  Dr.  Esch  Berlin)  in 
den  Sitzgsber.  d.  preufs.  Ak  d.  Wiss.  (1901, 
Xn)  als  Ergebnis  Beiner  Untersuchungen 
folgende  Einzelheiten :  Der  Gipfel  des  vom 
Kanierunberge  ganz  unabhängigen  Vul- 
kane* liegt  fast  genau  auf  der  Linie  vul- 
kanischer Thatigkcit,  die  vom  Kamerun- 


berg über  den  Clarence-Peak  auf  Fer- 
nando Po  nach  den  Vulkanen  auf  den 
Inseln  Principe,  Säo  Thome  und  Annobon 
verläuft,  und  erhebt  sich  in  5,5  km  Ent- 
fernung vom  Meere  zu  1774  m  Meeres- 
höhe. Seine  Abhänge,  welche  ziemlich 
steil  zum  Meere  hin  abfallen,  sind  frei 
von  Lawen,  Aschen  und  Tuffen,  von  denen 
der  Fufs  des  Kamerunberges  bedeckt  ist, 
und  während  dieser  nur  wenige  Spuren 
von  Erosionsthatigkeit  an  seinen  Ab- 
hängen zeigt  ,  ist  der  Etinde  durch  tiefe 
Schluchten  zerrissen,  zwischen  de*HMi 
steile  Berggrate  stehen  blieben,  die  mit 
dichter  Buschvegetation  bedeckt  sind. 
Aus  diesem  Grunde  setzte  der  Berg  seiner 
Ersteigung  grofse  Hindernisse  entgegen. 
Dr.  Esch  war  der  erste,  der  sie  aus- 
zuführen vermochte.  Obgleich  das  geo- 
logische Alter  des  Berges  mit  Sicherheit 
noch  nicht  hat  bestimmt  werden  können, 
so  kann  doch  darüber  kein  Zweifel  be- 
stehen, dafs  er  seinen  Ursprung  einer 
der  frühesten  Eruptionen  des  Gebietes 
verdankt,  Er  unterscheidet  sich  auch 
in  der  Gesteinszusatnmensetzung  vom  Ka- 
merunberg; denn  während  dieser  nur  aus 
Basalten  und  Andesiten  aufgebaut  ist, 
besteht  der  Etinde  nur  aus  Leucit  und 
anderen  feldspatfreien  Gesteinen.  (Gcogr. 
Journ.  1901,  S.  444.) 

Nordamerika. 

♦  0.  C.  Farrington  liefert  in  den 
Veröffentlichungen  des  „Field  Columbian 
Museum"  ^Geol.  Serics  I,  S)  einen  dankens- 
werten Beitrag  zur  nordamerikaniachen 
Höhlenkunde,  indem  er  die  grofsen 
Höhlen  von  Indiana  einer  vergleichen  - 
den  Betrachtung  unterwirft.  Bei  derWyan- 
dotte-Höhle,  die  unsere  Adelsberger  Höhle 
an  Ausdehnung  ungefähr  doppelt  über- 
trifft, erscheint  danach  als  die  bemerkens- 
werteste Bildung  der  unter  dem  Namen 
des  „Biliar  of  the  Constitution1'  („Ver- 
fassungs-Säule" i  bekannte  Riesenstalaktit, 
der  bei  einer  Höhe  von  9  m  einen  Umfang 
von  21  m  hat,  und  in  streng  cylindrischer 
Form  aus  Aragonit  gebildet  ist.  Es  stehen 
mit  ihm  in  derselben  Höhle  die  zahl- 
reichen dünnen  und  langen  Wurm-Stalak- 
titen in  seltsamem  Gegensatze.  Im  scharf 
ausgesprochenen  Gegensatze  zu  seiner  ein- 
heitlichen Bildung  steht  auch  in  der  Ma- 
rengo  Höhle  das  eigentümliche  St alaktiten- 
Compositum  des  sogenannten  Washington- 


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Geographische  Neuigkeiten. 


651 


Monuments;  diese  Höhle  zeigt  zugleich 
einen  «ehr  regelmäßig  terrassierten  Boden 
und  deutet  dadurch  verschiedene  Perioden 
in  ihrer  Bildungsgeschichte  an.  Die  Shiloh- 
Höhle  andrerseits  ist  durch  einen  außer- 
ordentlichen Reichtum  an  Blattstalaktiten 
ausgezeichnet.  Bei  der  Coans-Höhle  end- 
lich ist  der  Eingang  brunnenartig,  so  dals 
er  an  die  bekannten  „Cenotes"  von  Yukatan 
erinnert;  seine  Entstehung  mufs  also  eine 
ganz  andere,  sein,  als  bei  der  Wyan- 
dotte-  und  Mammuth-Höhle,  wo  einfache 
Höhlcndacheinstürze  vorliegen.     E.  D. 

*  Die  KulturverhältniBse  der 
französischen  Antillen  lagen  nach 
den  neuesten  amtlichen  Angaben  in 
den  Jahren  1898  99  wie  folgt:  Es  waren 
auf  Martinique  im  ganzen  angebaut 
HO  202  ha  oder  nahezu  30  Prozent  der 
Inselfläche,  und  zwar  15067  ha  mit  tro- 
pischen Nährfrüchten.  10116ha  mitZucker- 
rohr,  1784  ha  mit  Kakao,  349  ha  mit 
Katfee,  18  ha  mit  Baumwolle  und  2369  ha 
mit  Tabak  und  anderen  Nutzpflanzen. 
Auf  Guadeloupe  dagegen  betrug  die  ge- 
samte Anbauflache  48  «51  ha  oder  30,5  Pro- 
zent der  Inselfläehe,  und  mit  Zuckerrohr 
bepflanzt  waren  2285H  ha,  mit  Kaffee 
3605  ha,  mit  Kakao  2274  ha,  mit  Baum- 
wolle 485  ha,  mit  Südfrüchten  359  ha. 
mit  lloueou  298  ha,  mit  Vanille  und  Ge- 
würzen 47  ha,  mit  Tabak  17  ha  und  mit 
tropischen  Nährfrüchten  16240  ha.  Auf 
Martinique  schädigte  im  Jahre  18U'J  eine 
anhaltende  Dürre  vor  allem  die  Viehzucht, 
während  auf  Guadeloupe  im  Jahre  1897 
ein  verheerendes  Erdbeben,  im  Jahre  189U 
aber  ein  furchtbarer  Orkan  eine  schwere 
Beeinträchtigung  des  Wirtschaftslebens 
mit  sich  brachten.  Die  Zuckerausfuhr  von 
Martinique  betrug  im  Jahre  1899:  31,4  Mill. 
kg,  die  Kakaobohnenausfuhr  635  254  kg 
und  die  Rumausfuhr  14.9  Mill  1;  dieZucker- 
ausfuhr  von  Guadeloupe  1898 :  44,8  Mill.  kg, 
die  Kaffeeausfuhr  1899:  792000  kg  und 
die  Kakaobohnenausfuhr  416148  kg.  Der 
besonders  auf  Guadeloupe  wildwachsenden 
Gespinstpflanze  Fourcroya  gif/oute«  wurde 
bisher  nicht  die  Beachtung  geschenkt, 
welche  sie  verdient,  E.  D. 

Südamerika. 

♦  Nach  dem  Schiedssprüche  des  fran- 
zösischen Präsidenten  Loubet  wird  die 
Grenzlinie  zwischen  den  Staaten 
Costarica  und  Columbien  (Panama") 


sich  von  der  auf  den  europäischen  Karten 
herkömmlich  angenommenen  abweichend 
gestalten.  Von  der  Monkey-  oder  Carreta- 
Spitze  am  Karibischen  Meere  ausgehend, 
zieht  sie  sich  auf  dem  Gebirgskamme, 
der  das  Tarire-fSixola-^Becken  südlich 
begrenzt,  und  weiterhin  auf  der  Wasser- 
scheide zwischen  dem  Atlantischen  und 
Pazifischen  Ozeane  bis  gegen  den  9.  nördl. 
Breitenkreis,  um  dann  der  Wasserscheide 
zwischen  dem  Rio  Chiriqui  Viejo  und  den 
Zuflüssen  des  Golfo  Dulce  zu  folgen  und 
an  der  Burica-Spitze  den  Pazifischen  Ozeau 
zu  erreichen.  Die  bisher  von  Costarica 
beanspruchten  Inseln  vor  der  Chiriqui- 
Lagune  (Kolumbus,  Mangle  Grande,  San 
Andres  u.  a.1)  sowie  die  Burica  -  Inseln 
fallen  derogemäfs  an  Kolumbien. 

E  D. 

Polargegenden. 

*  Die  schwedischen  Mitglieder  der 
Gradmessungsex  peditionaufS  pitz- 
bergen sind  am  23.  September  wieder 
in  Stockholm  eingetroffen,  ohne  dafs  es 
ihnen  gelungen  wäre,  die  schon  im  vorigen 
Jahre  unvollendet  gebliebenen  Arbeiten 
zum  Abschlufs  zu  bringen.  Die  Expedition 
hatte  im  letzten  Sommer  mit  viel  schwie- 
rigeren Eisverhältnissen  zu  kämpfen  als 
in  den  beiden  vorhergehenden  Jahren, 
da  sich  infolge  anhaltender  Südwinde  im 
Juli  und  August  das  Treibeis  an  der 
Nordostküste  zu  einer  undurchdringlichen 
Mauer  aufgetürmt  hat  Ii  .  wodurch  eine 
Vermessung  der  nördlichsten  Triangu- 
lationspunkte bei  den  Sieben-Inseln  un- 
möglich gemacht  wurde.  Nur  im  süd- 
lichen Spitzbergen  konnten  Vermessungen 
von  Thumb-Point  durch  den  Hinlopen- 
sund  zum  Celsiusberge  ausgeführt  werden. 
Eine  im  nächsten  Jahre  abzusendende 
vierte  Expedition  soll  nun  hoffentlich  die 
Gradmessungsarbeiten  zum  Abschlufs 
bringen.  Die  russischen  Mitglieder  der 
Expedition  sind  am  14.  Oktober  nach 
Petersburg  zurückgekehrt  und  haben  sich 
über  den  Erfolg  der  Arbeiten  der  Expe- 
dition sehr  befriedigt  geäufsert.  Wenn 
sie  auch  durch  häufige  und  starke  Stürme 
zu  leiden  hatten,  so  forderte  andrerseits 
die  grofse  Sommerhitze  die  Arbeiten  so 
sehr,  dafs  sie  zum  Abschlufs  gebracht 
werden  konnten. 

*  Über  den  Verlauf  von  Peary's 
Nordpolarexpedition  (8.  696)  liegen 


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652 


Geog raph ische  Neuigkeiten. 


jetzt  nähere  Nachrichten  vor.  Danach  ] 
ist  Peary  am  15.  April  1900  aus  seinem 
Winterquartiere  bei  Etah  im  Smith-Sund 
mit  seinem  schwarzen  Diener  Henson  und 
fünf  Eskimos  nach  Norden  aufgebrochen 
und  hat  am  8  Mai  den  nördlichsten  vom 
Leutenant  Lockwood  während  der  fireely- 
Expedition  erreichten  Punkt,  der  aber  nicht 
wie  bisher  angenommen  unter  83°  24', 
sondern  unter  83°  30'  26"  n.  Hr.  liegt, 
erreicht.  Indem  er  dem  nordöstlichen 
Verlaufe  der  Küste  weiter  folgte,  gelangte 
Peary  bis  83°  85)',  wo  die  Küste  plötz- 
lich nach  Osten  umbiegt,  weshalb  er 
sich  zu  einem  Vorstofs  nach  dem  Pol 
direkt  nordwärts  wandte;  bei  83°  60'  n.  Br. 
machte  jedoch  ein  offener  Wasserstreifeu 
dem  nördlichen  Kurs  ein  Ende  und  zwang 
den  Reisenden  zur  Umkehr  nach  der  grön- 
ländischen Küste,  der  er  nun  weiter  in 
östlicher  Richtung  folgte,  bis  er  in  83° 
n.  Br.  und  25°  w.  L.  an  die  Indcpendence- 
Bai  gelangte,  die  er  1891  auf  einer 
Schlittenreise  über  das  Inlandeis  bereits 
entdeckt  hatte.  Längs  der  Nordküste 
Grönlands  wanderte  dann  Peary  wieder 
zurück  zum  Kennedy-Kanal,  wo  er  unter 
82°  n.  Br.  beim  Fort  Conger  sein  Winter- 
quartier aufschlug.  Im  Frühjahr  1901 
wurde  abermals  eine  Schlittenreise  zum 
Nordpol  versucht;  aber  Menschen  und 
Hunde  waren  den  Anstrengungen  nicht 
mehr  gewachsen,  weshalb  sich  Peary 
wieder  südwärts  wandte,  wo  er  beim 
Cap  Sabine  die  ,. Windward"  antraf,  die. 
im  Sommer  1900  zu  seiner  Unterstützung 
entsandt,  hier  eingefroren  war  und  über- 
wintert hatte.  Da  sich  Peary  entschlossen 
hatte,  noch  ein  viertes  Mal  im  Norden 
zu  überwintern  und  im  nächsten  Jahre 
einen  abermaligen  Vorstofs  nach  Norden 
zu  unternehmen,  kehrten  seine  Frau  und 
Tochter  mit  dem  „Erik",  der  in  diesem 
Sommer  die  „Windward"  neu  verprovian- 
tiert hat,  nach  Amerika  zurück.  Die 
geographischen  Ergebnisse  der  bisherigen 
Reise  Peary's  sind  betrachtlich ;  die  bisher 
noch  unbekannten  Küstenstrecken  Nord 
grönlands  sind  vermessen  und  aufge- 
zeichnet und  von  der  ganzen  Küste  Grön- 
lands bleibt  nur  noch  das  Stück  zwischen 
Independence-Bai  und  Cap  Bismarck  im 
Nordosten  zu  erforschen. 

*  Vom  Leiter  der  deutschen  Süd- 
pol arexpedition  ist  in  Berlin  der  erste 
ausführliche  Bericht   aus   Porto  Grande 


auf  Sao  Vicente  vom  15  Sept.  einge- 
gangen, dem  zu  entnehmen  ist,  dafs  sich 
das  Schiff  und  seine  Einrichtung  bisher 
sehr  gut  bewährt  hat  und  die  Expedition 
bis  dahin  günstig  verlaufen  ist.  Am 
16.  August  hat  die  „Gaufs"  die  Elbmün- 
dung verlassen,  ist  bis  zum  20.  Abends 
unter  Dampf  gefahren  und  dann  mit 
Ausnahme  einer  kleinen  Strecke  bei  Ma- 
deira gesegelt,  bis  am  Abend  des  11.  Sep- 
tember in  Porto  Grande  vor  Anker  ge- 
gangen wurde.  Die  wissenschaftlichen 
Arbeiten  hatten  begonnen  und  die  Er- 
probung und  Bereitstellung  der  verschie- 
denen Maschinen  und  Instrumente  waren 
bereits  weit  gediehen.  Am  16.  September 
gedachte  man  Porto  Grande  zu  verlassen ; 
der  nächste  Aufenthalt  sollte  in  Ascension 
genommen  werden  und  gegen  den  20.  Ok- 
tober gedachte  man  in  Kapstadt  ein- 
zutreffen. 

Geographischer  Unterricht. 

*  An  der  Universität  Frei  bürg  i.  B. 
hat  das  geographische  Institut,  das  bisher 
ziemlich  mangelhaft  untergebracht  war. 
in  einem  Neubau,  der  aufserdem  der 
Geologie  und  der  Mathematik  dient,  neue 
bequeme  Räumlichkeiten  erhalten. 

Persönliche». 

*  Am  6.  Juli  d.  J.  starb  in  seinem 
,,Camp"  inmitten  des  kalifornischen  Yo- 
semitc -Thaies  Joseph  Leconte,  der 
unermüdliche  Erforscher  der  nordamerika- 
nischen Sierra  Nevada,  im  Alter  von 
78  Jahren.  Am  26.  Febr.  1823  in  Georgia 
geboren,  studierte  er  zuerst  auf  der  dor- 
tigen Staatsuniversität  sowie  in  New  York 
Medizin,  später  aber  in  Cambridge  bei 
Boston  allgemeine  Naturwissenschaften 
und  Geologie.  Seine  ersten  Forschungen 
im  Felde  galten  dann  dem  oberen  Mis- 
sissippigebiete und  dem  Gebiete  des  Oberen 
Sees.  Seit  1869  Professor  der  Geologie 
an  der  Universität  zu  Berkeley  in  Kali- 
fornien, wandte  er  seine  Aufmerksamkeit 
aber  vor  allen  Dingen  den  kalifornischen 
Küstenketten  und  der  Sierra  Nevada  zu, 
in  der  letzteren  insbesondere  den  Tahce- 
See  und  seine  Umgebung,  sowie  die  Ge- 
gend am  oberen  Tuolumne  und  Merced 
River  in  mustergiltigerWeise  untersuchend. 
Allgemein  bekannt  ist  Joseph  Leconte  als 
der  Verfasser  eines  weit  verbreiteten  Lehr- 
buchs der  Geologie.  E.  D. 


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Bücherbesprechungen. 


663 


ßficherbesprechnngen. 


Lehmann,  Panl,  Länder-  und  Völker- 
kunde. Bund  II:  Aufsereuropa.  V, 
H54  S.  (Hausachatz  des  Wissens, 
Bd.  11.)  Ncudamin,  J.  Neumaun  1901. 
JH.  7.60. 

Der  aufopfernden  Arbeit  des  Verfassers 
haben  wir  es  zu  danken,  dafs  in  verhält- 
uisniäfsig  so  kurzer  Zeit  dem  Band  über 
Europa  der  vorliegende  nachgefolgt  ist, 
so  dafs  wir  nun  bereits  das  abgeschlossene 
Werk  vor  uns  sehen.  Wir  begrüfseu  in 
ihm  eine  geschmackvoll  und  sachkundig 
auf  gründlicher  Studienunterlage  durch- 
geführte Erdbeschreibung  für  einen  wei- 
teren Leserkreis.  Im  Titel  stehen  die 
Worte  Länder-  und  Völkerkunde  wie 
gleichwertig  nebeneinander,  indessen  das 
geographische  Element  wiegt  doch  stark 
vor.  Gleichwie  im  ersten  Band  bei  Europa 
wird  auch  hier  bei  den  aufsereuropäischen 
Erdteilen  vornehmlich  die  Natur  der 
Länder  samt  ihren  Städten  und  ihren 
wirtschaftlichen  Leistungen  dargestellt; 
die  Völker  werden  zwar  wiederum  stets 
eingehend  gekennzeichnet  und  zur  Ver- 
anschaulichung  ihres  Aussehens,  ihrer 
Tracht  in  den  Illustrationen  reich  be- 
dacht, aber  es  wird  keine  allseitig  aus- 
gebaute Völkerkunde  dargeboten ,  viel- 
mehr ordnet  sich  das  ethnographische 
Element  dem  länderkundlichen  unter,  wie 
es  von  einer  rechtschaffenen  Erdbeschrei- 
bung zu  verlangen  ist. 

An  ein  „Schema"  hat  sich  der  Verfasser, 
wie  er  selbst  es  ausspricht,  auch  diesmal 
bei  der  Stoffanordnung  nicht  gehalten. 
Das  thutdem  Werk,  das  ja  kein  Lehrbuch 
sein  will,  aber  auch  keinen  Abbruch.  Es 
schildert  die  Länder  nicht  pedantisch 
lehrhaft,  sondern  zwanglos  wie  zur  blofsen 
Unterhaltung,  jedoch  so  glücklich  in  der 
Auswahl  des  wirklich  Wissenswerten,  so 
anschaulich  und  klar,  mit  so  trefflicher 
Auswahl  der  illustrativen  Unterstützung, 
dafs  man  kein  Buch  in  deutscher  Sprache 
zu  nennen  würste,  das  auf  rund  800  Seiten 
die  gauze  aufBereuropäische  Welt  nach 
ihren  wesentlichen  (inindzügen  in  so  an- 
ziehender Weise  dem  Verständnis  der 
Gebildeten  nahe  brächte  wie  dieses.  Das 
erklärende  Moment  ist  keineswegs  ver- 
nachlässigt ;  aber  nie  gehen  klimatologische 
oder  geologische  Erörterungen  über  die 


Fassungskraft  des  gebildeten  Laien.  Die 
eingedruckten  Kärtchen  des  zweiten  Bandes 
leiden  auch  niemals  (wie  einige  des  ersten 
zufolge  photographischer  Verkleinerung 
des  Originals)  an  schwieriger  Lesbarkeit. 
Bei  einer  Neuauflage  müfste  nur  das 
Ubersiebtskärtchen  von  Kiautschou  ver- 
bessert werden  (besonders  der  Lauschan, 
der  kein  einheitliches  Kettengebirge  ist 
mit  Streichung  von  SW.  nach  NO.).  Die 
japanischen  Namen  schreibt  der  Verfasser 
nach  deutschem,  nicht  nach  dem  von  den 
Japanern  angenommenen  englischen  Laut- 
wert der  Buchstaben;  dann  sollte  indessen 
auch  statt  „Fudjijania"  Kuschijama  stehen 
(„Fudschi"  hört  man  die  Japaner  nie  aus- 
sprechen). 

Das  vor  allem  auch  sehr  preiswerte  Buch 
mit  seinem  gediegenen  Inhalt,  seiner  an- 
mutig schlichten  Form  verdient  weiteste 
Verbreitung.  Kirchhoff. 

Schurtz,  H.,Urge  schichte  der  Kultur. 
Lex.- 8.    XIV  u.  658  S.  mit  434  Ab- 
bildungen im  Text,  8  Tafeln  in  Farben- 
druck, lö  Tafeln  in  Holzschnitt  und 
Tonätzuug     und     1  Kartenbeilage. 
Leipzig  und  Wien,  Bibliographisches 
Institut  1U00.    J£  17.— 
Auf    umfassender,    streng  quellen- 
mäfsiger  Unterlage  beschert  uns  der  sach- 
kundige Verfasser  in  diesem  starken  Band 
mit  der  trefflichen  Ausstattung,  wie  mau 
sie  vom  Bibliographischen  Institut  gewohnt 
ist,  eine  gediegene,  auch  in  der  stilisti- 
schen Ausführung  geschmackvolle  Dar- 
stellung  des  Entwickelungsgauges  der 
menschlichen  Gesittung. 

Das  Werk  enthält  sich  zwar,  da  es 
dem  weiten  Leserkreis  der  Gebildeten 
dienen  will,  zumeist  der  Anführung  von 
Belegstellen.  Indessen  man  merkt  es  auf 
Schritt  und  Tritt,  wie  der  Verfasser  ganz 
auf  der  Höhe  der  Forschung  steht.  Ein 
ungeheurer  Wissensstoff  liegt  hier  gründ- 
lich und  vorurteilsfrei  verwertet  vor  zum 
Aufbau  einer  Kulturgeschichte  ximfasscnd- 
ster  Art,  die  alle  Völker,  alle  Zeiten  um- 
spannt, nicht  um  zu  erzählen  und  zu 
beschreiben ,  sondern  um  generell  den 
Werdegang  der  Gesittung  auf  allen  ihren 
Hauptgebieten  aufzuspüren.  In  diesem 
erfolgreich    und    ohne  Hypothesensucht 


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654 


Bücherbesp  rech  un  gen. 


durchgeführten  Streben  darf  man  den 
eigentlichen  Adelszug  des  Werkes  er- 
blicken. Das  Ganze  gliedert  sich  un- 
gezwungen und  harmonisch  in  5  grofse 
Abschnitte ,  deren  Inhalt  durch  ihre 
Überschriften  »ich  genügend  ausspricht: 
l.  Grundlagen  der  Kultur,  2.  Die  Gesell- 
schaft,  3.  Die  Wirtschaft  (Wirtschafts- 
formen ,  Kulturpflanzen  und  Haustiere), 
4.  Die  materielle  Kultur,  5.  Die  geistige 
Kultur  (Sprache,  Kunst,  Keligion,  Rechts- 
pflege, Anfänge  der  Wissenschaft). 

Wo  noch  strittige  Ansichten  über  ein 
Problem  obwalten,  da  erfreut  regelmufsig 
die  in  leidenschaftsloser  Huhe  sachlich 
abwägende  Art  des  Verfassers,  so  bei  dem 
Widerstreit  der  Meinungen  Ober  Ur- 
erzeugung  oder  Übertragung  bei  auffällig 
analogem  Knlturbesitz  innerhalb  getrenn- 
ter, oft  weit  von  einander  abgelegener 
Völkerkreise.  Hierbei  kommt  natürlich 
Bastian's  geflügeltes  Wort  vom  „Völker- 
gedanken" zur  Sprache,  das  hier  endlich 
einmal  klar  definiert  wird.  Nach  S.  62 
soll  Bastian,  „soweit  das  aus  seinen  neueren 
Veröffentlichungen  zu  entnehmen  ist", 
unterscheiden  zwischen  einer  „unteren 
gemeinsamen  Schicht"  allen  Völkern 
gleichartig  zukommender  „Elementar- 
gedanken" und  „dem  Völkergedankeu", 
als  der  Summe  alles  dessen,  was  die 
Menschheit  unter  dem  örtlichen  Kinflufs 
der  „geographischen  Provinz"  an  Erkennt- 
nis und  Besitz  gewonnen  hat.  Man  wird 
dem  Verfasser  zugeben,  dafs  das  Wort 
„Völkergedanke"  (auch  schon  seine  Sin- 
gularform gegenüber  den  „Elementar- 
gedankeu")  wenig  glücklich  gewählt  ist. 
Man  thäte  eben  demnach  wohl  besser, 
den  Ausdruck  ganz  zu  vermeiden,  geradeso 
wie  den  auch  gar  zu  unklaren,  daher  viel- 
deutigen und  dehnsamen  „geographische 
Provinz".  Kirchhoff. 

Beuermann,  A.,  Landeskunde  Preu- 
fsens.  11  Helte.  Heft  1:  Rhein- 
provinz von  H.  Kerp.  H.  2:  Hessen- 
Nassau  von  W.  T  e c  h  t  e  r.  H.  3 :  West- 
falen von  Stephau  biomo.  H.  4: 
Hannover  von  A.  Heuermann.  H.  ö: 
Schleswig- Holstein  v.  .T.  Schmarje. 
H.  6:  Sachsen  von  H.  Li  er  seh.  H.  7: 
Brandenburg  von  H.  Hei  uze.  H.  «: 
Schlesien  von  F.  Wulle.  H.  0:  Posen 
von  Dr.  Kremmer  (noch  nicht  er- 
schienen}.     H.   10:     Pommern  von 


().  Sommer.  H.  11:  Ost-  u.  West- 
preufsen  von  Z  i  e  s  e  m  e  r.  —  Ausgabe  A 
mit  Karte.  Berlin  und  Stuttgart, 
W.  Spemann  1901.  Geb.  je  Jt  1.— 
bis  Jt,  1.20,  zus.  J£  11  30. 
Das  Äufsero  dieser  80—150  Seiten 
starken,  gut  kartonnierten  Hefte  ist  sehr 
ansprechend,  auch  die  innere  Ausstattung 
ist  recht  nett.  Die  fast  durchgängig  nach 
Photographievorlagen  hergestellten  Bilder 
bedeuten  im  allgemeinen  einen  Fortschritt, 
wenn  auch  die  auf  diesem  Gebiete  herr- 
schende Svstemlosigkeit  in  der  Auswahl 
der  Abbildungen  noch  nicht  hat  über- 
wunden werden  können.  Lose  beigelegt 
sind  Provinzialkarten,  zumeist  die  Debes- 
scheu;  bedauerlicherweise  ist  es  für  Bran- 
denburg eine  freilich  an  sich  gute  andere, 
die  rhun'sehe,  für  Schleswig-Holstein  aber 
die  wenig  brauchbare  und  unpädagogische 
von  Harras.  —  Die  Verfasser  erwarten  natür- 
lich hauptsächlich  Absatz  in  ihren  Heimat- 
provinzeu,  trotzdem  sollten  sie  doch  in- 
sofern auf  Gesamtanschaffungen  Rücksicht 
nehmen,  dafs  sie  die  am  Rücken  gauz 
gleichen  Bücher  dort  mit  unterscheidenden 
Nummern  versehen  Helsen;  ohne  dies  ist 
ihr  gemeinsamer  Gebrauch  recht  umständ- 
lich. —  Die  innere  Anlage  ist  überein- 
stimmend geplant,  ein  gleichlautendes 
Vorwort  in  allen  giebt  darüber  Auskunft; 
aus  erklärlichen  Gründen,  sachlichen  wie 
persönlichen,  finden  aber  doch  bedeutende 
Verschiedenheiten  statt.  Der  verabredete 
Plan,  nach  dem  gearbeitet  werden  sollte, 
geht  von  der  Idee  aus,  dafs  „die  Kenntnis 
der  Heimat  der  wichtigste  und  wesent- 
lichste Bestandteil  des  geographischen 
Wissens"  sei,  und  dafs  eine  Landeskunde 
vor  allem  neben  der  Entstehungsgeschichte 
des  Heimatbodens  die  Abhängigkeit  seiner 
Bewohner  von  ihm  in  Verbindung  mit  den 
übrigen  natürlichen  Verhältnissen  darzu- 
stellen habe.  Die  Darstellung  sucht  den 
Ton  zu  treffen,  der  das  Buch  für  die 
Hände  fortgeschrittener  Schüler  mittleren 
Alters,  sagen  wir  im  Alter  von  13  -18  Jah- 
ren, oder  die  der  Lehrer  einfacher  Schulen 
brauchbar  macht.  Hieraus  erklärt  sich 
auch  wohl  die  angestrebte  Gliederung  in 
1.  Betrachtung  der  einzelnen  Landschaften 
und  2.  Betrachtung  des  Gesamtbildes  der 
Provinz  auf  Grund  der  so  gewonneneu 
Anschauungen.  So  führt  uns  der  Heraus- 
geber in  dem  von  ihm  verfafsten  Hannover 
zuerst  in  den  Harz,  dann  ins  westliche 


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Bücherbesprechungen. 


655 


Hügelland,  darauf  in  die  Heiden  und 
Moore  dea  Nordens,  schliefshch  ins  Gebiet 
der  Marschen.  Jeder  einzelne  Abschnitt 
gliedert  sich  aber  wieder  in  eine  gewisse 
Anzahl  kleinerer  Bilder.  Nachdem  wir 
so  das  ganze  Land  durchzogen  haben, 
führt  er  es  um  dann  noch  einmal  in 
seinen  allgemeinen  Zügen  vor  Augen, 
indem  er  mit  der  Geologie  de»  Landes 
anhebt  und  mit  statistischen  Nachweisen 
schliefst.  Ähnlich  macht  Kerp  zuerst 
eine  Rheinfahrt,  dann  Ausflüge  nach 
Westen  und  Osten  und  giebt  an  zweiter 
Stelle  eine  analog  angeordnete  allge- 
meine Behandlung  der  Provinz;  so  steht 
es  auch  mit  iStephanblome's  „West- 
falen", Techter's  „Hessen-Nassau"  u.a. 
Schmarje's  „Schleswig- Holstein"  will 
sich  iudes  unter  diesen  Plan  durchaus 
nicht  unterbringen  lassen,  sodafs  sich  Vor- 
wort und  Inhalt  in  etwas  auffälliger  Weise 
widersprechen.  Vielleicht  entschliefst  sich 
der  Verfasser  zu  einer  Umarbeitung,  die 
sich  besser  in  den  Rahmen  des  Unter- 
nehmens fügt.  Um  hier  gleich  einen 
zweiten  Wunsch  auszusprechen:  Ich  halte 
es  nach  Gröfse  und  Kulturbedeutung  Ost- 
und  Westpreufsens  für  unrichtig,  beide 
recht  erheblich  verschiedene  Provinzen  in 
einem  schmalen  Bündchen  zu  vereinigen. 
Ziesemer's  Arbeit  ist  gewifs  recht 
hübsch;  aber  er  hat  sich  doch  im  Gegen- 
satz zu  seinen  Mitarbeitern  gar  zu  kurz 
fassen  müssen;  besonders  Ostpreufsen  ver- 
diente eine  weit  eingehendere  Würdigung. 
Ausgezeichnet  ist  die  Heimatkunde  von 
„Pommern",  O.  Sommer' s  Werk;  ein 
schwieriges  Unternehmen  bot  sich  für 
Li  er  sc  h  in  der  „Provinz  Sachsen",  die 
in  ihrer  politischen  Zerrissenheit  und  in 
ihrer  teilweisen  Ausdehnung  auf  gar  zu 
verschiedene  Gebiete  sich  am  wenigsten 
für  eine  einheitliche  Behandlung  eignet. 
Er  hat  sich  nicht  ohne  Geschick  aus  dieser 
Schwierigkeit  gezogen.  Nicht  übel  ist 
Wulle's  „Schlesien";  dem  Verfasser  bot 
sich  auch  in  Partsch's  klassischem  Werke 
ein  prächtiges  Hilfsmittel.  In  dem  sonst 
recht  wohlgelungenen  „Brandenburg"  von 
Heinze  vermisse  ich  den  bei  den  anderen 
gebotenen  Abschnitt  über  das  Klima. 

Alles  in  nllem  bedeutet  das  Beuer- 
mann'sclie  Unternehmen  einen  sehr  er- 
freulichen Schritt  vorwärts  zur  Entwick- 
lung eines  erspriefslichen  Heiinatkunde- 
unterricht*  an  unseren  Schulen,  und  ich 


wünsche  ihm  von  Herzen  das  schönste 
Gedeihen.  Hr.  Fischer. 

Thüringen  in  Wort  und  Bild.  Heraus- 
gegeben von  den  Thüringer  Peatalozzi- 
vereinen.  8°.  476  S.  Mit  etwa  150  Ab- 
bildungen.   Berlin,  Julius  Klinkhardt 
l'JOO.    Geb.  JC  0.— 
Die  Provinz  Sachsen  in  Wort  und 
Bild.  Herausgegeben  von  dem  Pesta- 
lozzivereine der  Provinz  Sachsen.  8°. 
476  S.    Mit  etwa  200  Abbildungen. 
Ebenda  lltOü.    Geb.  6.— 
Die  Pestalozzivereine  in  Thüriugeu  und 
derjenige  der  Provinz  Sachsen  haben  ein 
für  weitere  Kreise  bestimmtes  Werk  zu 
liefern  unternommen*),  welches  die  be- 
sondere Eigenart  und  reizvolle  Schönheit 
Mitteldeutschlands,  sowie  das  Leben  und 
Treiben,  die  Sitten  und  Gebräuche  seiner 
Bewohner  in  s-chlichter,  volkstümlicher 
Weise  darstellen  soll,  einesteils,  um  da- 
durch   dem    Kinheimischen    selbst  sein 
engeres  Vaterland  nur  noch  lieber  und 
werter  zu  machen,  andrenteils  aber  auch, 
um  den  Fremden,  die  hier  Erholung  oder 
Genesung  gefunden  haben,  ein  Erinne- 
rungszeichen zu  bieten,  das  ihnen  lebhaft 
vor  die  Seele  stellt,  was  sie  hier  erfreut 
und  erquickt  hat.  Dieser  doppelte  Zweck, 
den  das  Vorwort  zu  dem  Bande  Thüringen 
als  Veranlassung  zur  Ausgabe  dieser  bei- 
den im  besten  Sinne  volkstümlichen  Bücher 
bezeichnet,  dflrfte  sicherlich  erreicht  wer- 
den.   Wir  haben  es  fast  durchweg  mit 
Beiträgen  aus  den  Kreisen  der  Lehrer 
und  Geistlichen  zu  thuu,  für  Thüringen 
gingen  die  Materialien  so  reichlich  ein, 
dafs  ein  Teil  derfelbeu  für  einen  zweiten 
Teil  zurückgestellt  werden  mufste.  Bil- 
liger Preis  bei  tadelloser  Ausstattung  und 
reichem  Schmuck  an  charakteristischen 
und  guten  Abbildungen  dürften  den  beiden 
vorstehend  genannten  Bänden  eine  weite 
Verbreitung  sichern. 

Die  einzelnen  Beiträge  erscheinen  teils 
in  mehr  wissenschaftlicher  Form  als  Früchte 
eingehender  Quellenstudien,  teils  in  Form 
und  Inhalt  mehr  der  Auffassungskraft  des 
schlichten  Mannes  angepafst  und  sind 
naturgemäß  bei  der  sehr  grolsen  Zahl 
der  Beitragenden  von  verschiedenem  Wert; 
aber  im  allgemeinen  ist  trotz  des  volks- 

—  

*)  Auch  für  das  Königreich  Sachsen 
und  für  Schlesien  bestehen  derartige  Bände. 


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666 


Bü  cherbesprech  unpen. 


tümlichen  Tones  doch  die  wissenschaft- 
liche Grundlage  nicht  verlassen,  ihre  Ge- 
samtheit wird  in  Schule  und  Haus  seine 
anregende  und  belehrende  Wirkung  aus- 
üben und  die  Leser  durch  hübsche  Kinzel- 
schilderungen  in  die  Natur,  das  Volks- 
leben und  die  Geschichte  näher  einführen. 

Uei  dem  Hände  Thüringen  vermiJ'st 
man  zu  Beginn  einige  solche  zusammen- 
fassende Aufsätze  wie  sie  für  die  Pro- 
vinz Sachsen  A.  Kirchhoff  über  Natur 
und  Volk  vom  Standpunkt  der  heutigen 
Länderkunde,  G.  Hertzberg  über  die 
Geschichte  und  die  Bedeutung  »1er  Klbe 
und  der  Saale  für  die  Provinz  Sachsen, 
und  P.  Hoefer  über  die  erste  Besie- 
delung  der  Provinz  Sachsen  geschrieben 
haben;  der  Band  Thüringen  beginnt  viel- 
mehr nach  einer  poetischen  Einführung 
sofort  mit  der  Einzelschilderung  der  reiz- 
vollen thüringischen  Landesteile,  die  mit 
Darstellungen  sprachlichen,  geschicht- 
lichen, kulturgeschichtlichen  Inhalts  wech- 
selt neben  einzelnen  Aufsätzen  über  die 
Flora  und  Fauna  Thüringens.  Letzteres 
wird  in  dem  weiteren  Sinne  genommen, 
wie  es  der  Ref.  in  seinen  Monographien 
umgrenzt  hat,  so  dafs  neben  dem  Thü- 
ringerwald auch  das  beiderseitige  Vorland 
und  das  Vogtland  zur  Geltung  kommen. 
Aus  der  reichen  Fülle  seien  hervorgehoben 
zunächst  einige  über  die  Tier-  und 
Pflanzenwelt  handelnde  Aufsätze  von  C. 
Wiefel  (Der  Auerhahn),  F.  Ludwig 
i  Die  Pflanzen-  und  Tierwelt  der  Kalk- 
inseln vom  Ida-Waldhaus  bei  Greiz  in 
ihren  biologischen  Wechselbeziehungen), 
G.  Hahn  (Die  Flora  des  mittleren  Elster- 
gcbietes),  Dr.  Amm  'Die  insektenfressen- 
den Pflanzen  Thüringens),  ferner  der  ge- 
haltvolle Aufsatz  über  Waldwirtschaft 
und  Forstkultur  im  Thüringerwald  von 
Krau  L.  Gerbing,  die  auch  sonst  mehrere 
sehr  ansprechende  kulturgeschichtliche 
Schilderungen  |  EiuTabarzerVogelschiefsen 
vor  0(>  Jahren,  Wie  sich  unsere  Bäue- 
rinnen vor  1U0  Jahren  kleideten,  Von 
Erfurt  bis  Suhl  im  Jahre  1522)  geliefert 
hat;  genannt  sei  auch  L.  Hertel's  Henn- 
steig, sowie  eine  Reihe  industrieller 
Einzelbilder  aus  Ruhla,  Lauscha,  Sonne- 
berg, Hasenthal,  Pöfsneck,  Greiz,  Zeulen- 
roda, Gera  und  Nordthüringen,  t.  B  das 
Kaliwerk  der  Gewerkschaft  „Glückauf" 
bei  Sondershausen  vom  Bergrat  G roch- 
ier, sowie  die  hübschen  mundartlichen 


Proben  aus  verschiedenen  Gegenden  Thü- 
ringens u.  a.  m. 

Auch  in  dem  Bande  über  die  Provinz 
Sachsen  werden  wir  in  den  Bodenbau, 
die  Flora  und  Fauna  mehrfach  einge- 
führt, durchwandern  die  ansprechendsten 
Landschaften  dieser  ausgedehnten  Provinz, 
ihre  einzelnen  hervorragenderen  Orte  und 
lernen  besonders  bedeutende  industrielle 
Betriebe,  wie  die  Kaliindustrie  von  Stafs- 
furt- Aschersleben,  näher  kennen.  Einen 
sonderbaren  Eindruck  erweckt  allerdings 
«ler  von  dem  kritischen  Stifte  der  unge- 
nannten Herausgeber  leider  nicht  ausge- 
merzte Aufsatz  „Das  preul'sisehe  Sachsen- 
land"  von  Pastor  einer.  Schwen  in  Be- 
senlaubingen, der  zu  den  klaren  Aus- 
führungenKirchhotFs  über  dieEntstehungs- 
geschiehte  der  Provinz  Sachsen  in  einem 
grellen  Gegensatz  steht. 

Würzburg.  Fr.  Regel. 

Hü  hier,  H.  M.,  Bayerisch  Schwaben 
und  Neuburg  und  seine  Nach- 
bargebiete; eine  Landes-  und  Volks- 
kunde. 325  S.  63  Abb.  u.  1  Karte. 
Stuttgart,  Hobbing  und  Büchle  1001. 
Die  von  Hübler  verfafste  Landes-  und 
Volkskunde  von  Bayerisch  Schwaben  und 
seinen  Nachbargebieten,  die  den  6.  Band 
der  unter  dem  Titel  „Deutsches  Land  und 
Leben  in  Einzelschilderungen"  erscheinen- 
den Sammlung  illustrierter  Landschafts- 
kunden bildet,  gliedert  sich  in  vier  nahezu 
gleichgrofse  Abschnitte,  nämlich  1.  phy- 
sische Verhältnisse  (S.  1—97),  2.  Mund- 
art, Tracht,  Wohn-  und  Lebensweise  nebst 
Sitten  und  Sagen  der  Bewohner  (S.  97 
bis  1H4),  3.  Erwerbsleben  der  Bewohner 
(S.  184—242),  4.  Siedelungen  (S.  242—319). 
Bei  der  Darstellung  der  Oberflächengestalt 
treten  die  besonderen  Merkmale  der  vier 
natürlichen  Landschaften  (Ries,  Donauthal 
und  Hügelrückengebiet,  Alpenvorland  mit 
Moränenzone,  Allgäuer  Alpen),  an  denen 
Bayerisch  Schwabeu  Auteil  hat,  im  ganzen 
mit  wünschenswerter  Deutlichkeit  hervor. 
Für  eine  raschere  Orientierung  über  die 
ganz  von  dem  geologischen  Bau  des 
Gebirges  abhängige  Gliederung  der  All- 
gäuer Alpen  würde  die  Beigabe  einer  geo- 
guostischen  Skizze  oder  einiger  geolo- 
gischer Profile  sehr  forderlich  gewesen 
sein;  denn  die  beigegebene  Karte  gewährt, 
obwohl  sie  einen  ziemlich  grofsen  Maß- 
stab hat,  infolge  der  Anwenduug  allzu 


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Bücherb  es  prechungen. 


657 


feiner  Vertikalschraffen  die  zum  Verstand-  ' 
nid   des   Textes   erforderliche  Übersicht 
über  die  Gliederung  des  Gebirge«  nicht.  | 

Erhält  man  beim  Durchlesen  der  Ka- 
pitel über  das  Klima,  die  Pflanzen-  und 
die  Tierwelt  den  Kindruck,  dafe  sich  diese 
Matrum  hie  und  da  eine  allzu  statistische 
Behandlungsweise  haben  gefallen  hissen 
müssen,  so  zeugen  dagegen  die  Abschnitte 
über  Mundart,  Volkstracht,  Wohn-  und 
Lebensweise  samt  Sitte  und  Sage  von 
einer  erfreulichen  Beherrschung  und  zweck- 
entsprechenden Verarbeitung  der  hier  ein- 
schlägigen weiUchichtigen  Litteratur  sei- 
tens des  Verfassers.  Auch  die  Darstellung 
des  Erwerbslebens  der  Bewohner  und  die 
Siedelungskunde  können,  wenn  man  von 
kleineren  Schwachen,  wie  der  Neigung 
des  Verfassers,  schwäbische  Lokalgröfsen 
2.  und  3.  Ordnung  dem  Meere  der  Ver- 
gessenheit zu  entreifsen,  absieht,  als  recht 
gelungen  bezeichnet  werden. 

Eine  nochmalige  genaue  Durchsicht 
des  Buches  nach  seiner  sprachlichen  Form 
hätte  wohl  zur  Außmerzung  mehrfach  vor- 
kommender stilistischer  Eigentümlichkei- 
ten geführt.  Dem  Ref.  ist  z.  B.  nicht 
recht  klar  geworden,  was  folgende  Aus- 
drücke bezw.  sprachliche  Wendungen  be- 
sagen wollen:  Wohnungen,  die  sorgfältig 
auf  fachmännische  Art  hergestellt  waren 
(S.  106),  Augsburg  ist  der  Wechselplatz, 
der  den  achtbarsten  gesicherten  Umsatz 
des  Geldes  in  Süddeutschland  vermittelt 
(S.  930),  die  Stadt  Augsburg  schützte  mit 
äufserster  Sorgfalt  die  bedeutendsten  Er- 
findungen des  zu  Ende  gehenden  Mittel- 
alters (S.  248)  u.  s.  w.Auch  sachliche  Un- 
richtigkeiten, wie  die,  dafs  in  Augsburg  ein 
Markusbrunnen  (soll  jedenfalls  Merkur- 
brunnen heifsen!)  existiert  (S.  844),  oder 
dafs  der  h.  Ulrich  sich  aU  tapferer  Streiter  | 
in  der  Ungarnschlacht  auf  dem  Lechfeld 
ausgezeichnet  (S.  24«),  oder  dafs  Kaiser 
Ferdinand  II.  am  ü.  Sept.  1634  in  Nörd- 
lingen  eingezogen  sei,  um  in  der  dortigen 
Kirche  durch  ein  Tedeum  Gott  für  den 
Sieg  zu  danken  (S.  864  Anmerkung),  soll- 
ten in  einem  sonst  so  sorgfältig  ausge- 
arbeiteten Buche  nicht  vorkommen. 

Johannes  Müller. 

Sieger,    R.,    Die    Alpen  (Sammlung 
Göschen  Nr.  129).   kl.  H°.   170  S.  Mit 
19  Bildern  u.  1  Karte.  Leipzig,  Göschen 
1900.    ,tC  —  80. 
0«Offr»phlMb<  Xi'iuchrift.  7.  Jahrgang  1901  11. 


In  der  Sammlung  Göschen,  die  uns 
I  schon  mehrere  hübsche  geographische 
|  Werkchen  gebracht  hat,  hat  Prof.  Sieger 
in  Wien  neuerdings  die  Alpen  behandelt. 
Trotz  der  ungeheueren  alpinistischen 
Litteratur  fehlt  uns  bisher  noch  eine  mit 
voller  Beherrschung  des  Stoffes,  in  wissen- 
schaftlichem Geist  und  doch  gemein- 
verständlich geschriebene  Alpeukunde; 
darum  werden  die  Freunde  der  Alpen  das 
vorliegende  Büchlein,  dessen  Verf.  gründ- 
liche Kenntnis  der  Alpen  mit  voller  Be- 
herrschung der  geographischen  Methode 
vereint,  mit  herzlichen  Dank  annehmen. 
Schade,  dafs  es  dem  Zwecke  der  Samm- 
lung gemäfs  so  kurz  sein  mufste!  Man 
merkt  es  dem  Verf.  an  vielen  Stellen  an, 
dafs  er  gern  mehr  gesagt  hätte,  und  es 
scheint  mir,  dafs  er  öfters  schon  zu  viel 
wissenschaftlichen  Stoff  gegeben  hat,  statt 
lieber  die  Hauptsachen  noch  mehr  her- 
auszuarbeiten und  die  Darstellung  mehr 
abzurunden.  A.  Hettner. 

Merzbacher,  Gottfried,  Aus  den  Hoch- 
regionen des  Kaukasus.  Wande- 
rungen,  Erlebnisse,  Beobach- 
tungen.   2  Bände  zu  957  uud  963 
Seiten.     Mit  246  Abbildungen  und 
einer  dreiblättrigen  Karte  im  Malse 
1:140  000.    8°.    Leipzig,  Dunker  & 
Humblot  1901.    JK  40.— 
Es  ist  nicht  möglich,  von  dem  Inhalt 
eines  Werkes  von  nahezu  8000  Seiten 
in  einer  Anzeige  eine  halbwegs  genügende 
Vorstellung  zu  geben,  selbst  wenn  sie 
über  das  gewöhnliche  Mals  des  Umfangca 
hinausgreift.   Ich  mufs  mich  daher  darauf 
beschränken,  Art  und  Anlage  des  Buches 
kurz  zu  charakterisieren,  und  will  ein 
paar,  meinem  Interessenkreis  näher  liegende 
I  Gebiete  in  eiuem  eigenen  Aufsatz  etwas 
ausführlicher  besprechen. 

Merzbacher  ist  als  kühner  und  erfolg- 
reicher Ersteiger  schwieriger  Berggipfel 
in  den  Alpen  seit  langer  Zeit  bekannt. 
Er  ist  also  in  erster  Linie  ein  „Alpinist", 
kein  Naturforscher  von  Beruf.  Doch  ist 
wissenschaftlichen  Interessen  ein  breiter 
Kaum  in  dem  Buche  zugestanden;  ein 
viel  breiterer  als  das  z.  B.  in  den  Büchern 
der  bekannten  englischen  Bergsteiger  der 
Fall  zu  sein  pflegt,  die  so  bewunderungs- 
würdige Reisen  in  allen  Hochgebirgen  der 
Erde  beschreiben  und  aus  denen  wir  doch 
so  wenig  erfahren.  M.  hat  zwei  Sommer 
Heft  44 


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658 


Büch  erbe  sprech  ungen. 


hindurch,  1X01  und  18i>2,  den  Kaukasus 
hereist,  das  erstemal  in  Gesellschaft  des 
leider  so  früh  verstorbenen  L.  Purtseheller. 
beidemal  von  je  zwei  Tiroler  Führern 
begleitet. 

Wenn  von  der  Ausführung  der  R^isc 
bis  zum  Krseheinen  des  Buches  der  un- 
gewöhnlich lange  Zeitraum  von  mehr  als 
8  Jahren  verstrichen  ist,  so  liegt  der 
firund  gewifs  in  dem  Streben  des  Verf., 
durch  eingehende  Studien  und  erschöpfende 
Litteraturbenützung  sich  zu  einer  einwand- 
freien Kenntnis  seines  Forschungsgebietes 
emporzuschwingen  und  seineu  Lesern 
die  Früchte  dieser  Studien  mitzuteilen. 
Infolge  dieser  Verbindung  von  grofser 
Bucharbeit,  aber  doch  nur  geringer 
Schulung  für  selbständige  Beobachtung, 
überwiegt  das  von  anderen  Herüber- 
genommene bedeutend  die  eigenen  For- 
schungsergebnisse. Trotzdem  stehe  ich 
nicht  an,  das  Buch  auch  in  wissenschaft- 
lichem Sinne  als  eine  wertvolle  Bereiche- 
rung unserer  Kaukasuslitteratur  zu  be- 
zeichnen, da  es  eine  fleifsige  Verarbeitung 
der  älteren  Litteratur  darbietet.  Ich 
spreche  hiermit  vom  wissenschaftlichen 
Teil  des  Textes;  in  einen  ganz  anderen 
Bereich  gehören  die  Beschreibungen  der 
Bergreisen.  Diese  nehmen  etwa  drei 
Viertel  des  ersten  Bandes  und  ebensoviel 
vom  zweiten  Bande  ein.  Sie  sind  in  der 
gewohnten  Weise  abgefafst;  das  Reisen 
mit  seinen  Schwierigkeiten,  der  Verkehr 
mit  den  Bewohnern,  alle  die  bekannten 
Widerwärtigkeiten  mit  den  Eingeborenen, 
mit  Wetter  und  Trägem,  dann  die  tie- 
fahren und  Beschwerden  dieser  gewaltigen 
Besteigungen  und  Übergänge  treten  uns  leb- 
haft und  anschaulich  vor  Augen;  nicht 
blofs  für  den  „Alpinisten"  sondern  auch 
den  tieographen,  der  sich  ein  genaues 
Bild  von  dem  (iebirge  verschaffen  will, 
eine  lehrreiche  Lektüre. 

Die  reiche  Ausstattung  unterscheidet 
sich  von  der  anderer  neuester  Iteisewerke 
—  z.  B.  dem  des  Prinzen  von  Savoyen 
über  den  Eliasberg  —  durch  das  über- 
wiegen der  Zeichnungen  gegenüber  den 
unmittelbar  wiedergegebeuen  Photogra- 
phien. Obwohl  die  drei  geschicktesten 
Alpenmaler  Compton,  Dimmer  und  Platz 
mitgearbeitet  haben,  mufs  ich  doch  der 
anderen  Manier  ganz  entschieden  den  Vor- 
zug geben.  Und  zwar  nicht  blofs  vom 
wissenschaftlichen  Standpunkt  aus.  Auch 


liildmäfsig  schöner  sind  die  meist  ruhigeren 
und  mit  den  bewunderungswürdigsten 
Einzelheiten  des  Schnees,  der  Felsen  und 
der  Vegetation  ausgestatteten  Photogra- 
phien, an  denen  man  sich  ehensowenig 
satt  sieht,  wie  an  der  Natur  selbst  Auch 
die  glänzendste  Technik  kann  das  nicht 
ersetzen. 

Das  Hauptstück  unter  den  Beigaben 
ist  eine  grofse  Karte  des  mittleren  Gebirgs- 
teiles  im  Mafsstab  1  :  140  000  in  drei 
grofsen  Blättern;  in  mehrfarbigem  Farben- 
druck mit  Schummerung  im  bayerischen 
topographischen  Bureau  hergestellt  auf 
Grund  der  sog.  „ein  Werst  Karte"  1 :  42000. 
Sie  umfafst  das  HochgebirgBgebiet  von 
59°  52'  ö.  L.  (Elbrus)  bis  64°;  also  fast 
ebensoviel  östlich  wie  westlich  von  der 
grusinischen  Heerstrafse,  wodurch  sie  sich 
von  der  Freshfield'schen  Karte  wesentlich 
unterscheidet.  Schummerung  ohne  Schich- 
tenlinien eingiebt  stets  etwas  weiches  ver- 
schwommenes Bild,  doch  besitzen  wir  hier 
die  ausgedehnteste  Kaukasuskarte  mit 
lateinischer  Schrift,  und  insofern  müssen 
wir  dafür  dankbar  sein. 

Den  Schlafs  des  Buches  bildet  eine 
Bestimmung  der  mitgebrachten  tiesteine 
durch  Herrn  Ammon  in  München. 

E.  Richter. 

v.  Brandt,  M.,  Dreiunddreifsig  Jahre 
in  Ost-Asien.    Erinnerungen  eines 
deutschen  Diplomaten.  B.  II.  1  Bildn. 
XV,  386  S.  Leipzig,  G.  Wigand,  1001. 
Dieser  zweite  Band  erzählt  die  Lebeus- 
erinnerungen  unseres  früheren  diplomati- 
schen Vertreters  in  Japan  aus  der  Zeit  von 
1*63  bis  1*75.    Abgesehen  von  der  Heim- 
fahrt des  Verfassers  im  Jahre  1866  und 
seiner  Beteiligung  an  der  Schlufsphase 
des  preufsischen  Krieges  gegen  Österreich, 
sowie  einer  anderen  Heimfahrt  (1871  zu 
1872)  durch  die  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika,  sind  es  die  damaligeu  politischen 
Ereignisse   in   Japan ,    nebenbei  einige 
Reisen  in  Japan  (mit  gelegentlicher  Lan- 
dung in  Fußan  in  Korea),  die  beschrieben 
werden. 

Von  Wert  erscheinen  die  Berichte 
über  den  so  folgenreich  gewesenen  Sturz 
des  Schogunats,  der  zur  Einrichtung  des 
modernen  Staatswesens  in  Japan  führte. 
Die  Vorgänge  von  1868,  die  der  Verfasser 
aus  nächster  Nähe  beobachtet«,  in  die  er 
teilweise   persönlich   mit  hineingezogen 


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Bücherb  es  prechungen. 


659 


wurde,  erhalten  wir  hier  dramatisch  vor- 
geführt; wir  lernen  die  leitenden  Per- 
sönlichkeiten näher  kennen,  dazu  die 
Vorrangsstellung  der  südwestlichen  Teil- 
fürstentümer ,  besonders  Satsumas  und 
Tosas ,  beim  Kampf  gegen  den  letzten, 
charakterschwachen  Schogun,  auch  das 
Hineinspielen  der  Rivalität  zwischen 
Frankreich  und  Kngland  in  die  Katastrophe, 
die  so  unerwartet  rasch  zur  Gründung 
der  alleinigen  Mikadomacht,  zur  Beseiti- 
gung der  Daimioherrschaft  und  der 
Privilegien  der  Samurai  den  Grundstein 
legte. 

Interessant  ist  auch  noch  die  Einlage 
(S.  140  ff.)  über  die  kolonisatorischen  Ab- 
sichten, die  vorübergehend  die  preufsischc 
Regierung  auf  Formosa  gerichtet  hat. 
Sie  knüpften  an  an  den  unbedeutenden 
Zusammenstoß)  eines  von  der  „Elbe"  aus- 
gesetzten Bootes  1860  mit  den  malaiischen 
Eingeborenen  an  der  Südspitze  Formosas. 
M.  v.  Brandt  hielt  im  Januar  1867  über 
die  Frage  dem  Prinzen  Adalbert,  da- 
maligem Chef  der  preufsischen  Marine, 
Vortrag  und  zwar  mit  Recht  in  abratendem 
Sinne. 

Die  Reiseskizzen  sind  blofB  touristi- 
scher Natur.  Geographisch  fesseln  höch- 
stens bei  der  Skizze  über  Wanderzüge 
durch  das  südliche  Yezo  einige  Bemer- 
kungen über  die  Aino  neben  denjenigen 
über  die  Wirkungen  kurz  vorher  erfolgter 
Ausbrüche  des  Komagatake  -  Vulkans 
(S.  227  ff.)  und  des  Esan  (S.  239  ff  ). 

Kirchhoff. 

Fllippo  de  Filippl,  Die  Forschungs- 
reiseS.K.  H.  des  Prinzen  Ludwig 
Amadeus  von  Savoyen,  Herzogs 
der  Abruzzen,  nach  dem  Elias- 
berge in  Alaska  im  Jahre  1897. 
Aus  dem  Italienischen  übersetzt  von 
Professor  Baron  G.  Locol la.  XXI. 
257  S.    M.  34  Tafeln  usw.  Leipzig, 
J.  J.  Weber.   1900.    X  80.— 
Fast  wie  ein  Heldengedicht  liest  Bich 
der   Bericht    über   die   Expedition  des 
jugendlichen  Abruzzenherzogs  nach  dem 
Eliasberge.    Trotz   all   der  furchtbaren 
Schwierigkeiten,   die   das  Unternehmen 
bot,  gab  es  auf  dem  ganzen  Wege  von 
der  Yakutat-Bai  bis  zu  dem  Gipfel  des 
Riesenberges    nirgends    ein  wirkliches 
Zurückweichen     oder  Zurückschrecken, 
sondern  nur  kühnes,  sicheres  Vordringen,  I 


bis  das  Ziel  erreicht  war,  und  wenn  man 
würdigt,  mit  welchem  Mafse  von  Energie 
und  Umsicht  der  Leiter  der  Expedition 
dabei  persönlich  aufgetreten  ist,  so  freut 
man  sich,  dals  dergleichen  Siegfried- 
natureu  unter  deg  europäischen  Fürsten- 
söhnen noch  nicht  ausgestorben  sind. 

Freilich  wird  in  dem  Vorworte  zu 
dem  Werke  ausdrücklich  hervorgehoben, 
dafs  die  Expedition  ausschliefslich  alpi- 
nistisch war,  und  dals  es  dabei  einzig 
und  allein  auf  die  Überwindung  des  bis 
dahin  unerstiegen  gebliebenen  Hoch- 
gipfelfl  abgesehen  war.  Wenig  fehlte,  so 
wäre  die  Kraftprobe  des  prinzlichen 
Bergsteigers  statt  an  dem  Mount  Elias  an 
einem  Himalajagipfel  angestellt  worden. 
Man  mufs  auch  gestehen,  dafs  die  Be- 
schränkung, welche  man  sich  solcher- 
gestalt auferlegte,  in  zwiefacher  Weise 
geboten  war.  Einmal  hatte  der  Verlauf 
fiüherer  Expeditionen  klar  genug  gezeigt, 
dar»  unter  den  gegebenen  Verhältnissen 
nicht  wohl  zwei  Herren  zugleich  zu 
dienen  war,  und  das  Erreichen  des 
Gipfels  war  bei  der  dazu  erforderlichen 
sechswöchentlichen  Wanderung  auf  dem 
Eise  an  und  für  sich  ein  gewaltiges 
Problem;  und  sodann  hatte  der  Abruzzen- 
herzog  in  J.  C.  Russell  einen  Vorläufer 
gehabt,  der  in  wissenschaftlicher  Beziehung 
alle  Hauptsachen  vorweggenommen  und 
sowohl  ein  sorgsam  ausgeführtes  Karten- 
bild von  der  Gegend  als  auch  eine  reiche 
geologisch -geographische  Ausbeute  heim- 
getragen hatte.  Hatte  der  letztere  doch 
sogar  die  Gesteinsnatur  des  Eliasgipfels 
bereit*  ganz  richtig  erkannt,  und  war  er 
doch  diesem  Gipfel  bis  auf  eine  einzige 
Tagesleistung,  die  Filippo  de  Filippi  für 
leicht  erklärt,  nahe  gekommen  —  an 
Heldcnhaftigkeit  und  Scharfblick  dem 
Abruzzenherzog  in  keiner  Weise  nach- 
stehend, an  wissenschaftlicher  Schulung 
diesem  und  seinen  Begleitern  überlegen, 
und  im  Grunde  genommen  nur  von 
geringerem  Wetterglück  begünstigt,  so 
dafs  er  in  4600  m  Höhe  von  weiterem 
Vordringen  abstehen  mufste. 

Immerhin  ist  die  Füllo  der  Brosamen, 
die  bei  der  italienischen  Expedition  für 
die  Wissenschaft  abgefallen  siud,  eine 
grofse.  Durch  die  Gesteinsproben,  die 
von  der  die  Bergmasse  krönenden  End- 
pyramide  herabgebracht  worden  sind, 
haben    die    vorsichtig  ausgesprochenen 

44* 


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660 


B  ü  c  h  e  r  b  e  s  p  r  e  c  h  u  n  g  e  n . 


Russell'schen  Auffassungen  iu  jedem  Falle  sie  »einer  Zeit  in  deu  europäischen  Alpen, 
erst  einen  festeren  Halt  gewonnen.  Hin-  in  der  nordamerikanischen  Sierra  Nevada 
sichtlich  der  Topographie  der  Bcrgziige  i  und  in  zahlreichen  anderen  Hochgebirgen 
und  Hochalpengletscher  in  der  Umgehung '  geherrscht  hahen  müssen, 
des  EliaBberges  konnten  verschiedene 
Ergänzungen    und    Berichtigungen  der 


Die  Übersetzung  des  italienischen 
Textes  in  das  Deutsche  wäre  vielleicht 
zweckmäßiger  einem  erfahrenen  Alpi- 
nisten, dessen  Muttersprache  das  Deutsche 
ist  ,  anvertraut  wordeu.  Die  Darstellung 
Baron  Locella's  ist  zwar  im  allgemeinen 
anerkennenswert  fliefsend,  wo  e«  sich 
aber  um  scharf  präzisierte  technische 
Ausdrücke  handelt,  befindet  er  sich  viel- 
fach in  sichtlicher  Verlegenheit,  und  der 
deutschen  Sprache  thut  er  dabei  gelegent- 
lich einfach  Gewalt  an.  So  redet  er  nicht 
blos  von  „Einiuülleu",  wo  es  „Gletacher- 
inühlen"  heifsen  mufs,  sondern  er  wendet 
auch  die  Begriffe  „Hochebene",  „Niede- 
rung", „Hügel"  des  öfteren  in  durchaus 
unerlaubter  Weise  an,  und  die  Bereiche- 
rung ihres  Wortschatzes  durch  „morä- 
nische  Bildungen",  „moränische  Küste", 
„eisige  Kehlen",  „knorrige  Gletscher- 
flächen" wird  sich  die  deutsche  Sprache 
schwerlich  gefallen  lassen. 

Entstehen  auf  solche  Weise  gerade 
an  sachlich  bedeutsamen  Stellen  in  dem 
Buche  verschiedenfache  Unklarheiten  und 
Unebenheiten,  so  wird  dies  durch  die 
herrliche  Bilderausstattung  des  Werkes 
reichlich  wieder  gut  gemacht.  Da  hat 
ein  Meister  alpiner  Landschaftsphoto- 
graphie,  Vittorio  Sella,  an  der  Seite  des 
Abruzzenherzoges  inmitten  der  Kiewelt 
des  Eliasberges  eine  reiche  Ernte  ge- 
halten, und  die  Wiedergabe  der  Bilder 
im  Lichtdruck  ist  so  vorzüglich,  dafs  für 
den  Mannder  Wissenschaft  daraus  noch 
ungleich  mehrzu  lesen  ist,  als  aus  dem 
Texte.  E.  Deckert. 


Russell'schen  Beobachtungen  bewirkt 
werden.  Es  wurde  eine  Anzahl  hoch- 
interessanter zoologischer  Spezies  ge- 
sammelt um!  nach  der  Rückkehr  strenger 
wissenschafÜicher  Prüfung  unterbreitet. 
The  lückenlose  Reihe  meteorologischer 
Beobachtungen  aber,  welche  angestellt 
wurden,  erhält  dadurch  einen  ganz  beson- 
deren Wert,  dafs  ihr  auf  Veranlassung 
des  Herzogs  eine  ebensolche  Reihe  von 
Beobachtungen  an  der  Meeresküste 
parallel  ging. 

Höher  als  alles  dies  schlagen  wir 
es  aber  an,  dafs  die  italienische  Expeditiou 
unsere  Vorstellung  von  dem  Leben,  das 
den  von  den  Eliasalpen  abfließenden 
Gletschereißmassen  innewohnt .  ganz 
wesentlich  vertieft  und  vervollständigt 
hat.  Darauf  hatten  die  Mitglieder  der 
Expedition  eben  der  Natur  der  Sache 
nach  ihr  Hauptaugenmerk  zu  richten,  und 
da  dieselben  durchgängig  gewiegte 
Gletscher-  und  Alpenwanderer  waren,  so 
war  von  ihnen  ein  sachverständiges  und 
scharfes  Urteil  über  die  einschlägigen 
Erscheinungen  von  vornherein  zu  er- 
warten, ganz  besonders  wo  Verhältnisse 
in  Frage  stehen,  die  von  denjenigen  in 
den  europäischen  Alpen  abweichen.  Wir 
weisen  in  dieser  Beziehung  namentlich 
auf  die  Ausführungen  über  die  eigentüm- 
lichen Zerklüftungserscheinungen  des 
riesigen  Seward- Gletschers  (S.  121  ff.) 
hin,  auf  diejenigen  über  die  trichter- 
förmigen Einsenkungen  in  der  Gletscher- 
oberfliiehe,  die  man  als  „Eisdollinen" 
bezeichnen  könnte  (S.  186),  über  die  Be- 
ziehungen der  Karbildung  zur  Sonnen- 
bestrahlung am  Gletscherraude  (S.  107), 
über  die  von  der  alpinen  verschiedene 
Farbe  des  alaskischen  Gletschereises 
(S.  14*2)  und  über  daB  Wachstum  der 
alaskischen  Hochgebirgsglotseher  in  der 
Region  des  ewigen  Schneefalles 
1400  m  über  dem  Meeresspiegel ).  Ein 
besonders  reicher  Gewinn  dürfte  der 
Quartärgeologie  aus  dem  Studium  des 
Berichtes  erwachsen,  da  derselben  darin 
gewissermarsen  ein  getreues  Abbild  jener 

Verhältnisse  \or  Augen  gestellt  wird,  wie  zur  Verwendung  im  geographischen  Unter- 


Lang  l's  Bilder  zur  Geschichte. 
Ol».  Jerusalem;    70.  Bethlehem; 
71.  Nazareth.    Wien,  Hölzel,  1901. 
Uuaufgezogen  je  2  ,<d 
In  dem  Verlag  von  E.  Hölzel,  Wien, 
sind   dem  Cyklus   der  Langl'schen  Ge- 
schichtsbilder 3  weitere  Blätter  beigefügt 
über  |  worden ,   welche   palästinensische  Land- 
schaften darstellen:  Jerusalem,  Bethlehem 
und  Nazareth.    Wie  der  Prospekt  sagt, 
hofft  man  dabei  besonders  den  Historikern 
und   Religionslehrern    einen    Dienst  zu 
thun.    Hier  gilt  es  zu  prüfen,  ob  sie  auch 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


661 


rieht  empfohlen  werden  können.  Bei  einem, 
Bethlehem ,  herrscht  in  der  That  der 
religiöse  Zweck  ho  vor,  dafs  man  ein 
Nachthild  wählte,  um  den  Stem  iiher  der 
Geburbdrirche  im  O.  der  Stadt  und  die 
Weisen  aus  dem  Morgenlande  im  Vorder- 
grunde anbringen  zu  können.  Kiu  Nacht- 
bild aber  giebt  schwerlich  einen  richtigen 
Kindruck  von  einer  Landschaft;  von  dem 
freundlich  gelegenen  Bethlehem  bekommt 
man  ein  falsches  düsteres  Bild.  Auch 
der  terrassenförmige  Aufbau ,  der  für 
palästinensische  Ortschaften  so  charak- 
teristisch ist,  wird  dabei  nicht  einmal 
genügend  zur  Anschauung  gebracht. 
Das  Bild  gehört  darum  mehr  in  den 
Religions-Unterricht  und  noch  besser  in 
eine  Erbauungsstunde  zur  Weihnachtszeit, 
als  in  dengeopraphischenl'nterrieht.  Besser 
steht  es  in  dieser  Hinsicht  mit  „Jerusalem4'. 
Man  bekommt  ein  gutes  Bild  von  der 
Lage  der  Stadt;  die  Landschaft  rings  um 
die  Mauern  ist  allerdings  nicht  fahl  genug, 
sie  leuchtet  zu  matt,  die  Dürftigkeit  des 
Pflanzenkleides  tritt  dadurch  nicht  ein- 
drucksvoll genug  hervor.    Weniger  gut 


ist  die  Lage  von  Nazareth  getroffen; 
'  inufs  aber  dabei  dem  Maler  zu  gute 
j  halten,  dafs  die  ganze  Lage  der  Stadt 
in  einem  Amphitheater  überhaupt  nicht 
leicht  bildlich  zu  reproduzieren  ist,  be- 
sonders da  die  Stadt  sehr  zerstreut  liegt 
und  einen  etwas  verwirrenden  Eindruck 
macht  gegenüber  der  Geschlossenheit  der 
meisten  orientalischen  Siedeluugen.  Wer 
auf  den  Höhen  über  der  Stadt  stand  und 
die  schöne  Aussicht  auf  sich  wirken  liefs 
bis  hinüber  an  den  Karnielabsturz  und 
den  glänzenden  Spiegel  des  Busens  von 
Akka,  wird  durch  uuser  Bild  etwas  ent- 
täuscht sein;  die  Schönheit  der  Lage 
kommt  durch  diese  Aufnahme  nicht  zur 
Geltung  Im  übrigen  aber  läfst  sich  an 
diesem  wie  an  dem  vorgenannten  Bild  im 
allgemeinen  ein  richtiger  Totaleindruck 
der  Palästinn-Landschaft  wohl  gewinnen, 
wobei  ich  allerdings  die  Bemerkung  nicht 
unterdrücken  kann,  dafs  ich  den  Himmel 
in  Palästina  fast  täglich  in  schönerem 
Blau  erglänzen  sah,  als  es  diese  Bilder 
vermuten  lassen.  V.  Schwöbel. 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Zusammengestellt  von  Heinrich  Brunner. 

«enchlrhte  n.  Methodik  der  Oeographl--. 

Errera,C.  Lepoca  delle  grandi  scoperte 


geografiche.  21  Karten.  XVI,  432  « 
Mailand,  U.  Hoepli  1902. 
Hohmann,  Ludw.  Methodik  des  erd- 
kundl.  Unterrichts  in  zeitgeinäfser  Ge- 
staltung. VII,  138  S.  (Hilfsbücher  f. 
den  erdkundl.  Unterr.  III  .  Leipz, Lang 
1901.    .«  1.50. 

Allgemeine  phyitl»che  Urographie. 

Beck  v.  Mannagetta.  G.  Die  Vege- 
tationsverhältnisee  der  illyrischen  Länder 
(Engler  u.  Drude:  Die.  Vegetatiou  der 
Erde.  IV).  XVI,  536  S.  G  Vollbilder, 
18  Testfig.  u.  2  Karten.  Leipz.,  Engel- 
mann 1901. 

Prinz,  W.  L'hypothese  de  la  defor- 
mation  te'traedrique  de  la  terre  de 
W.  Lowthian  Green  et  de  ses  successeurs. 
Bruxelle«,  Hayerz  1U01. 

Kiechieri,  G.  Piccolo  annuario  geo- 
grutico  e  statistico.  Supplemento.  llfiS. 


Bergamo,  Istituto  Italiano  d'arti  gra- 
fiche  1901. 
Suefs,Ed.  Das  Antlitz  der  Erde.  Bd.  Hl, 
1.  Hälfte.  23  Text-Abb.,  6  Taf.  u.  1 
Karte.  IV,  508  S.  Wien,  Tempsky  1901. 
25.- 

Allfemelne  Geographie  den  Men»rhen. 

Jose,  A.  W.  Growth  of  the  empire; 
handbook  to  history  of  Greater  Britain. 
31  maps.  438  S.  London,  Murray  1901. 
6  s. 

Kirchhoff,  Alfr.  Mensch  u.  Erde;  Skizzen 
von  den  Wechselbeziehungen  zwischen 
beiden.  VII,  127  S.  (Aus  Natur  u. 
Geisteswelt.  äi).  Leipz.,  TeubnerlOOl. 
X  1  26. 

Weltgeschichte;  hrsg.  v.  HanB  F.  Hel- 
molt.  Bd.  III:  Westasien  u.  Afrika;  v. 
Hugo  Winckler,  Hch.  Schurtz  u.  Carl 
Niebuhr.  7  Karten,  7  Farbendr.-Taf.  u. 
22  schwarze  Beilagen.  X1V.735S.  Leipz  . 
Bibliograph.  Inst.  1901.  10.— 


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662 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Wirth,  Albr.  Die  Entwicklung  Ruß- 
lands. 34  8.  Berl  ,  GoBe  &  Tetzlaff 
1901.    Jt  I.— 

Uröfaere  L'rdriuMe. 

Vizetelly,  E.  From  Cyprus  to  Zanzibar 
by  the  Egyptian  Delta  . . .  III.  600  S. 
London.  Pearson  1901.    15  s. 

Kampa. 

Fischer,  P  D.  Italien  und  die  Italiener; 

Betrachtungen   und   Studien   über  die 

politischen,  wirtschaftlichen  und  sozialen 

Zustände  Italiens.  2.  Aufl    VHI,  456  S. 

Berl.,  Springer  1901.    M,  7.— 
Matthieu,  Dr.    A  travers  l'Italie,  l'Au- 

triche,  la  Suisse  et  l'Alsace.    429  S. 

Paris,  Fischbacher  1901. 
Paulin,  Alph.  Beiträge  zur  Kenntnis  der 

Vegetationsverhältnisse  Krains.   Heft  I. 

VIII,  104  S.    Laibach,  Fischer  1901. 

Jt  4  - 

Mittele  aropa. 

G  aebler,  Ed  Schulwandkarte  der  Provinz 
Westfalen.  1:150000.  4  Bl  zu  74,6x79,5 
cm.  Farbdr.  Leipzig,  Lang  1901.  .K12  — 

Walter,  Hch.  Über  die  Stromschnellen 
von  Laufenburg.  III.,  Karten,  Pläne. 
Lichtdrucke.  34  S  Diss.  Zür.  Zürich, 
Zürcher  &  Furrer  1901. 

Aales. 

Karte  von  Ost-China;  hrsg.  von  der  karto- 
graph.  Abt.  der  kön.  preufs.  Landes- 
Aufnahme  1:1  000  000.  Blatt  Hankau 
u.  Nanking.  Kupferst.,  kolor.  17x58  cm. 
Berl.,  EiseriBchmidt  1901.  .#1.50. 

Rohrbach,  Paul.  Im  vorderen  Asien; 
polit,  u.  andere  Fahrten.  Abb.,  1  Karte. 
142  S.    Berlin -Schöneberg,  Verlag  der 


»V 


Hilfe"  1901.    M.  4  — 


Wild»,  Joh.  Von  Hongkong  nach  Mos- 
kau; ostasiat.  Reisen.  1  Karte,  ö.'i  III., 
1  faesim.  Brief.  XI,  312  S  Altenburg, 
Geibel  1902.    X  4.50. 

Afrika. 

Chatelain,  C.  L'Afrique  et  l'expansion 
coloniale.  Carte.  296  S.  Paris,  Charles- 
Lavauzelle  [1901].    Fr.  5.— 

AuatralUrke  limela. 

Troost,  E.  Samoanische  Eindrücke  u. 
Beobachtgn.  . .  .  Abb.  75  S.  Berlin, 
Hayns  Erben  1901.    Jt  1  20. 

Nordamerika. 

Bulletin  of  the  U.S.  Goological  Survey. 
Washington.  104:  Vaughan,  Thom. 
Wayland.    Reconnaissance  in  the  Rio 


(irande  coal  fteldt»  of  Texas.  9  fig , 
11  pl.  95S.  1900.  —  165:  Williams, 
Hry.  S.,  and  Herb.  E.  Gregory.  Coutri- 
butions  to  the  geol.  of  Maine.  11  fig., 
14  pl.  212  S.  1900.  —  166:  Gannett, 
Hry.  A  gazetteer  of  Utah.  1  fig.,  1  pl 
43  S.  1900.  —  169:  Gannett,  Hry. 
Altitudes  in  Alaska.  13  S.  1900.  — 
170:  Goode.  Rieh.  Urquhart  Survey 
of  the  boundary  line  between  Idaho 
and  Montana  .  .  1  fig.,  14  pl.  65  S. 
1900.  —  171:  Gannett,  Hry.  Boun- 
daries  of  the  U.  S.  and  of  the  several 

states  and  territ  ' (Second  ed.)'.  53  pl. 

142  S.  1900.  172:  Weeks,  Fred 
Boughton.  Bibliogr.  and  index  of 
N.  Amer  geology .  .  .  1899.  141  S.  1900. 
-  174:  Baker,  Marcus.  Survey  of 
the  Northwestern  boundary  of  the  U.  S. 
1857—61.  1  pl  78  S.  1900. 
G  aebler,  Ed.  Schulwandkarte  von  Nord- 
Amerika.  1 : 4  600000.  Polit.  u.  physikal. 
Ausg.  Je  6  Bl.  zu  70,5x103  cm 
Farbdr.    Leipz.,  Lang  1901.  16.— 


Bernardez.  Manuel.  De  Buenos  Aires 
al  Ignazü;  crönicas  de  un  viaje  perio- 
distico  ä  Corrientcs  y  Misiones.  Karte, 
III.    XII,  128  S.    Buenos  Aires  1901. 

PreuTs,  Paul.  Expedition  nach  Central- 
u.  Süd-Amerika.  7«  Abb.  20  Taf., 
1  Plan  XII,  452  S.  i'Kolonial-Wirt- 
schafll.  Komitee.)  Berlin,  Mittler  k  Sohn 
1901.  ,*:.20. 

Wright,  Marie  Robinson.  The  new  Bra- 
zil ;  its  resources  and  attraetions.  400  ill. 
450  S.  4°.  London,  John  Samson  1901. 
42  s 

Polarreplonea. 

Bernacchi,  Luigi.    To  the  South  Folar 
Regions:  expedition  of  1898—1900.  111 
364  S.    London,  Hurst  1901.    12  s. 

fieoprapkUeker  l  ateriirht. 

Hanncke,  Rud.   Erdkundl.  Aufsätze  für 
die  oberen  Klassen  höherer  Lehranst. 
NF. :  Die  uichtdeutschenStaaten  Europas. 
VII,  182  S.    Glogau,  Flemming  1901. 
1.80. 

Hansen,  Ad.    Pfianzengeograph.  Tafeln. 

2.  Lief. :  6  Taf.  zu  73x97,6  cm.  Lichtdr. 

u.  lackiert.  Nebst  Erliiutergu.  S.  17—28. 

Steglitz-Berlin,  Neue  photograph.  Ge- 

sellsch.  1901.  40.— 
Kirchhoff,  A.   Erdkunde  für  Schulen. 


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Zeitschriftenschau. 


(36H 


II:  Mittel-  und  Oberstufe.  8.  A.  Hu 
Textfig.  u.  1  Anhangstafel.  VIII,  350  S. 
Halle.  Waisenhaus  1001. 
Kozenn,  B.  B.  Ks  geograph.  Atlas; 
nach  der  Neubearbeitung  ilt'8  Mittel- 
schul-Atlasses  f.  ilen  Gebrauch  an  österr. 
Lehrer-  u.  Lehrerinnen-Bildgsanst.  ein- 
gerichtet v.  A.  E.  Seibert.   IV  S.  Text, 


61  Karten  auf  39  Taf.  4°.  Wien,  Hölzel 
1902.  JL  ö.— 
Rusch,  G.  Lehrbuch  d.  Geographie  für 
Österreich.  Lehrer-  u.  Lehrerinnen-Bil- 
dungsanstalten. II.  Tl.:  Die  Österreich .- 
ungar.  Monarchie,  gr.  8°.  II  u.  198  S. 
mit 41  Abbildgii.  Wien,  Pichlers  Witwe 
&  Sohn  1001.    geb.  2  K.  50  h. 


Zeitschriftenschau. 


Petermann's  Mitteilungen.  1901.  Nr.  9. 
Tippenhauer:  Beiträge  zur  Geologie 
Haitis.  —  Woeikow:  Die  Seespiegel- 
schwankung zwischen  Aralsee  und  Baraba 
und  die  Brückner'sche  Hypothese.  —  Der 
geographische  Unterricht  an  den  deutschen 
Hochschulen  im  W.-8.  1901/1902.  — 
Krahmer:  Nachrichten  von  der  Expedition 
von  P.  K.  KobIow.  —  Part  sc h:  Memel-, 
Pregel-  und  Weichselstrom 

Globus.  Bd.LXXX.  Nr.  10.  Wolken- 
haue r :  A .  E.  v.  Nordenskjöld.  —  v.  S  t  e  n  i  n : 
Die  neuen  Forschungen  über  die  Basch- 
kiren. —  Kaindl:  Die  Juden  in  der 
Bukowina. 

Dans.  Nr.  11.  Singer:  Die  Garua- 
Expedition.  —  Thilenius:  Die  Fahrzeuge 
der  Samoaner.  —  Hutter:  Westafrika- 
nische  Felddienstordnung  für  den  For- 
schungsreisenden. 

Dass.  Nr.  12.  Schuchardt:  Sichel 
und  Säge ;  Sichel  und  Dolch.  —  N  e  h  - 
ring:  Ein  fossiles  Kamel  aus  Südrufsland. 

—  Förstern ann:  Der  Mayagott  des 
Jahresschlusses.  —  Der  Transport  und  die 
Aufrichtung  schwerer  Körper  in  vorge- 
schichtlicher Zeit.  —  Das  bolivianische 
Territorium  Acre  und  seine  Revolution. 

Das».  Nr.  13.  v.  Negelein:  Das 
Pferd  in  der  Volksmedizin.  —  Schu- 
chardt: Sichel  und  Säge;  Sichel  und 
Dolch.  —  Die  Küsteninselu  Ober-Kali- 
forniens. —  Gebhardt:  Der  Name  der 
weifsen  Frau. 

Dass.  Nr.  14.  Schmidt  :-Die  Neander- 
thalrasse.  —  Sei  er:  Zwei  hervorragende 
Stücke  der  altmexikanischen  Sammlung 
der  Christy  Collection  in  London.  — 
Wardle:  Die  Eskimos  und  die  Schraube. 

—  Knudsen:  Neue  Arbeiten  über  die 
Färöer.  —  Krebs:  Wan-Gra-Yü-Pu,  ein 
moderner  chinesischer  Schulatlas. 

Dtutsche  Rundschau   für  Geographie 


und  Statistik.  XXIV.  Jhrg.  1.  Heft. 
Müller:  Die  Schrumpfungstheorie  im 
Lichte  der  Kritik.  —  Meinhard:  Bahnen 
in  Türkisch- Asien.  —  Lemckc:  Die  In- 
dianer Mexikos.  —  Syrkin:  Afghanistan. 

Meteorologische  Zeitschrift.  l'JOl.  Sep- 
tember. Draenert:  Das  Höhenklima  von 
Uberaba ,  Zentralbrasilien.  —  Martin: 
Der  Regen  in  Südchile. 

Zeitschr.f.  Schulgeograjdiie.  XXII. .Ihrg. 
12.  Heft.  Becker:  Der  XHI.  Deutsche 
Geographeutag  U :  Die  schulgeograpischen 
Verhandlungen.  —  Kewitsch:  Die  astro- 
nomische Era  und  das  Jahrhundert  19. 

Geographischen  Jahrbuch.  XXIV.  Bd., 
1901.  Hammer:  Fortschritte  der  Karten - 
projektionslehre ,  Kartenzeichnuug  und 
Kartenmessung.  —  Meinardus:  Fort- 
schritte der  geographischen  Meteorologie. 
—  Krümmel:  Fortschritte  der  Ozeano- 
graphie 1k99  und  1900.  —  Gerland  u. 
Gähtgens:  Die  ethnologische  Forschung 
1800—1000. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.  Bd.  XLIV.  Nr.  7 
u.8.  v.Brosch:  Die  Wellman'sche  Polar- 
expedition 1898/99.  —  Fuchs:  über  das 
im  Gefolge  heftiger  Stürme  beobachtet« 
Auftreten  pelagischer  Tiefseetiere  an  der 
Oberfläche  des  Meeres.  —  Fuchs: 
J.  Luksch's  Untersuchungen  über  die 
Transparenz  und  Farbe  des  Meerwassers. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkunde 
zu  Halle  a.  d.  S.  1901.  Wüst:  Beiträge 
zur  Kenntnis  des  Flufsnetzes  Thüringens 
vor  der  ersten  Vereisung  des  Landes.  — 
Berg:  Georg  Torquatus  als  ältester  Halber- 
städter Topograph.  —  Maenfs:  Bewegung 
des  Elbwasserstandes  bei  Magdeburg 
1W91  —  l'JOO.  —  Danneil:  Zur  Ehre  des 
magdeburgischen  Bauernstandes.  —  Lan- 
ger: Die  Angeln  und  der  Tanger.  — 
Gerbing:  Die  Eiben  des  Ringgaues  und 


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664 


Zeitschriftenschau 


des  Eichsfeldes.  —  Töpfer:  Philologische 
Beobachtungen  in  Thüringen  1900. 

Festschrift  der  Geogr- Ethnogr.  (Gesell- 
schaft in  Zürich  bei  AnlaTs  der  Versamm- 
lung des  Verbandes  der  schweizer.  Geogr. 
Gesellschuften  in  Zürich  im  Jahr  19ol 
(nebst  Jahresber.  für  da«  Gesellschafts- 
jahr  1900/1901).  Zürich  1901.  Früh:  Die 
Exkursion  an  den  projektirten  Sihlsee 
bei  Einsiedeln,  1.  Juli  1900,  —  Stoll: 
Die  ethnische  Stellung  der  Tz'utujil- 
Indianer  von  Guatemala.  —  Fe  Iber:  Die 
Allmenden  des  alten  Landes  Schwyz;  mit 
Karte.  —  Meister:  Kufsland  in  Asien;  mit 
Übersichtskarte  der  sibirischen  Hahn.  — 
Keller:  Die  landwirtschaftlichen  Zustande 
im  afrikanischen  Osthorn.  —  Stoll:  Uber 
xcrothermische  Relikten  in  der  Schweizer 
Fauna  der  Wirbellosen. 

The  Geagraphical  Journal.  Vol.  X\  III 
Nr.  4.  Arctowsky:  The  Antarctic  Voy- 
age  of  the  „Bellica"  during  the  Years 
1897—1809.  —  Hill:  With  the  „Dis- 
covery" to  Madeira.  —  Ravenstein:  Sir 
William  Garstin' s  Report  as  to  Irrigation 
Projecta  on  the  Up]>er  Nile.  —  Raven- 
stein: The  Lakelevel  of  the  Victoria- 
Nyanza.  —  Mi  11:  On  Research  in  Geo- 
graphica! Science.  —  Chisholm:  Geo- 
graphica! Conditions  affecting  British 
Trades. 

La  Geographie.  1901.  Nr.  8.  Demaru: 
Le  plateau  central  du  Congo  frauc^is.  — 
ReYentes  explorations  francaises  en  Afri- 
que.  —  Tissandicr:  Le  Cambodge, 
d'apres  M.  E.  Aymonier.  —  Rabot: 
Revue  de  Limnologie. 

Vau.  Nr.  H.  d'Orleans:  De  Kratie" 
a  Nha-Trang.  —  Deherain:  La  topo- 
nomie  de  la  colonie  du  Cap  de  Bonue- 
Esptrance  au  XVIII.  siede.  Gasnier: 
riiermometres  eleetriques  de  profondeur. 
—  Rabot:  Revue  de  Limnologie. 

Annales  de  Geographie.  1901.  Nr.  f>3 
X.  Bibliographie  Geographique  Annuelle 
1900. 

Sarges  geologiske  undtrsogehe.  Nr.  32. 
Aarborg  for  1900.  Kristiania  1901. 
Ii  Afthandlinger  af  H.  Keusch:  Nogle 
optegnclser  fra  Vaerdalen.  —  Jordfaldet 
ved  Mi  rset  i  Stjordalen.  —  Hmfjeldet 
mellem  Vangsmj.ison  og  Tisleia  iValdresi 


Listerlandet. 


En  notis  om  istids- 


gruset  red  Lysefjordens  munding.  —  En 
forekomst  af  kaolin  og  ildfast  1er  red 
Dydland  naer  Flekkefjord.  —  Skjaer- 
gaarden  ved  Bergen.  —  Oplysninger  til 
Blakstads  jordbundskart  over  Trondhjems 
omegn.  ~  Nogle  bidrag  til  foorstaaelsen 
af  hoorledes  Norges  dale  og  fjelde  er 
blevne  til.  I)  English  Summary  zu  1). 
Viele  Skizzen  und  Karten. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1901.  Nr.  8.  Mc  Gee:  Asia,  the  Cradle 
of  Humanity.  —  Williams:  The  Link 
Relations  of  South  western  Asia. —  Hovey: 
The  Old  Fost  Koad  fron»  Tiflis  to  Erivan. 

—  Joseph  Le  Conte.  —  Mount  Mc  Kinley. 
JJass.  Nr.  9.  Grosvenor:  Siberia.  — 

Krug-Gen  the:  German  Geographers  and 
German  Geography.  —  Page:  The  Drift 
of  Floating  Botties  in  the  Pacific  Ocean. 

—  The  British  Antarctic  Expedition.  — 
Urban  Population  of  the  United  States. 

The  Journal  of  School  Geography.  1901. 
Nr.  7.  Barrett:  Features  ofNorway  and 
its  People.  —  Dodge:  A  Secondary  Courae 
in  Geography.  —  Eitel:  Some  little 
known  Features  of  China. 

Au»  vei-ttcuiedeiteii  Zeitschriften. 

Davis:  An  Excursion  in  Bosnia,  Herce- 
govina  and  Dalmatia.  bull,  of  the 
Gengraphical  Society  of  Philadelphia. 
III,  2,  Febr.,  1900.  * 

Davis:  Glacial  Erosion  iu  the  Valley  of 
the  Tivino.  Appalachia,  IX,  2,  March, 
1900. 

Davis:  Notes  on  the  Colorado  Canyon 
District.  The  American  Journal  of 
Science.    X,  Okt.,  1900. 

Davis:   The   Freshwater  Tertiary  For- 
mations of  the  Rocky  Mountain  Region 
Vroceedings  of  the  American  Acadimy 
of  Artsand  Sciences.   XXXV,  17,  March, 
1900. 

Reibisch:  Ein  Gestaltungsprinzip  der 
Erde.  27.  Jahresber.  des  Ver.  f.  L'rdk. 
ru  Dresden.  1901. 

Richter:  Neue  Erörterungen  zum  hi- 
storischen Atlas  der  österreichischen 
Alpenländer.  Mitteilungen  des  Instituts 
für  ütterr.  Geschichtsforschung.  Er- 
gänzgsbd.  VI. 


Verantwortlicher  I Itfrau»^'»»" :  Prof.  Ur.  Alfred  tlettner  in  II»id<-lb«rg 


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Über  das  Problem  früheren  Landzusammenhangs  auf  der 

südlichen  Erdhälfte. 

Von  Dr.  H.  Simroth-Leipzig. 
Mit  einer  Karte  (Tafel  ö). 

Die  Regsamkeit  der  Südpolarforschung  hat  die  Aufmerksamkeit  der 
Geographie  mit  in  erster  Linie  auf  die  Fragen  der  einstigen  Ausdehnung  der 
Antarktis,  der  Landverteilung  und  Landverbindung  auf  der  südlichen  Erd- 
hälfte schlechthin  gelenkt.  Der  alten  Annahme,  wonach  sich  die  den  Süd- 
spitzen der  südlichen  Kontinente  zukommende  biologische  Ähnlichkeit  durch 
alten  polaren  Zusammenhang  erklären  sollte,  wurden  andere  Hypothesen 
gegenübergestellt.  Die  eine  sucht  die  Altertümlichkeit  der  erwähnten  Lebens- 
gemeinschaften auf  deren  früher  allgemeine  Verbreitung  zurückzuführen;  sie 
würden  sich,  von  immer  höheren  Formen  bedrängt,  notwendigerweise  nach 
den  äufsersten  Winkeln  zurückgezogen  haben.  Eine  andere,  die  von  Baur, 
Hutton,  v.  Jhering,  Ameghino  u.  a.,  zuerst  wohl  von  Hooker  1853  vertreten 
ward,  weist  auf  eine  gewisse  engere  Verwandtschaft  jener  älteren  Organis- 
men am  Westabhange  der  chilenischen  Kordillere  und  auf  Neuseeland,  resp. 
Australien  hin  und  verlangt  zur  Erklärung  einen  alten  pacifischen  Kontinent 
zwischen  beiden  Gebieten. 

Uns  in  Europa  dürfte  es  schwer  genug  fallen,  bei  der  Entfernung  und 
Ausdehnung  der  in  Frage  kommenden  Erdteile  für  eine  kritische  Stellung- 
nahme positive  Unterlagen  zu  gewinnen.  Es  sei  mir  daher  gestattet,  auf 
zwei  neue  Arbeiten  von  berufenen  Kennern,  einem  australischen  und  einem 
südamerikanischen,  hier  in  verkürzter  Übersetzung,  der  ich  einige  Bemer- 
kungen einschalte,  mich  einzulassen. 

Charles  Hedley,  Zoolog,  speziell  Malakolog  am  australischen  Museum  in 
Sydney,  ist  nicht  nur  seit  einer  längeren  Reihe  von  Jahren  in  eifriger  und 
äufserst  fruchtbarer  Weise  bemüht,  die  Weichtiere  des  australischen  Konti- 
nents und  der  benachbarten  Inselwelt  zu  studieren  und  der  Wissenschaft  zu- 
gänglich zu  machen,  sondern  er  hat  vor  allen  Dingen  auch  den  freien  Blick, 
um  aus  den  detaillierten  Fachstudien  zoogeographische  und  geologische  Konse- 
quenzen zu  ziehen.  Seine  Beiträge  zu  den  Fragen  nach  der  Besiedelung 
Australiens,  nach  der  früheren  Ausdehnung  des  Festlands,  nach  der  Antark- 
tis, werden  in  Zukunft  wertvolle  Bausteine  bilden  für  eine  allgemeine  Zoo- 
geographie. In  den  letzten  Jahren  hat  er  sich  vorwiegend  mit  der  Ethno- 
graphie und  Zoologie  von  Funafuti  beschäftigt,  jenem  Atoll  aus  der  Ellice- 
Gruppe,   auf  dem  die  englische    Expedition    unter   Sollas    Bohrungen  im 

(ieograuhii       .'    U  7.  Jahrgang.  1JKU.  IS.  Heft.  4ö 


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G6G 


H.  Siniroth: 


Korallenkalk  anstellte,  um  über  die  Mächtigkeit  und  innere  Beschaffenheit 
eines  Lagunenriffs  Aufsehlufs  zu  erhalten.  Hedley  nahm  an  der  Expedition 
teil.  Seine  Sammlungen  sind  teils  von  ihm  selber,  teils  von  anderen  Spezia- 
listen bearbeitet.  Nachdem  diese  Untersuchungen  zum  Abschlufs  gekommen 
und  in  einer  Reihe  von  Abhandlungen1)  niedergelegt  waren,  hat  er  ver- 
gleichende Umschau  gehalten  und  die  Folgerungen  gezogen  für  die  Lösung 
des  Problems2),  von  welchen  Ausgangspunkten  und  auf  welchen  Wegen  die 
pacifischen  Inseln,  wenigstens  die  centralen,  ihre  Tierwelt  erhalten  haben. 
Es  dürfte  angezeigt  sein,  ihm  in  seinen  interessanten  Auseinandersetzungen 
zu  folgen,  zumal  er  die  verschiedensten  einschlägigen  Ansichten  anderer 
Autoren  kritisch  beleuchtet. 

Vor  der  englischen  Expedition  beschränkte  sich  die  Kenntnis  der  Lebe- 
welt von  Funafuti  auf  zwei  Pflanzen  und  sieben  Landschnecken.  Jetzt  ist  die 
Fauna  die  bestbekannte  vom  ganzen  Stillen  Ozean,  sie  umfafst  ca.  900  Arten, 
wovon  etwa  der  sechste  Teil  neu  ist.  Sie  setzt  sich,  unter  gemeinsamer 
Einordnung  der  Land-  und  Seetiere,  zusammen  aus:  2  Säugern,  15  Vögeln, 
5  Reptilien,  73  Fischen,  '2  Enteropneusten ,  87  Krustern,  27  Spinnentieren, 
5  Myriopoden,  42  Insekten,  440  Mollusken,  1  Brachiopod,  28  Echino- 
dermen,  5  Anneliden,  12  Gephyreen,  16  Spongien,  8  Hydrozoen,  2  Scypho- 
zoen  und  120  Actinozoen  (die  Foraminiferen  konnten  aus  Zeitmangel  nicht 
bestimmt  werden).  Hierauf  läfst  sich  vielleicht  ein  sichrerer  Schlufs  gründen 
über  die  Natur  und  Geschichte  der  Koralleninseln,  als  auf  die  einseitigen 
und  trotz  aller  Bemühungen  noch  immer  ziemlich  spärlichen  Beobachtungen 
von  Seiten  der  Geologen,  die  bekanntlich  zu  verschiedenen  und  einander 
widersprechenden  Theorien  geführt  haben;  jedenfalls  müssen  beide  For- 
schungswege eingeschlagen  werden  zur  Entscheidung  der  Frage,  ob  die  Atolle 
die  Grabsteine  einer  untergegangenen  Welt,  eines  versunkenen  Kontinentes 
sind,  oder  ob  sie  wirklich  vom  Meeresboden,  wenigsten  von  submarinen  Er- 
hebungen aus  zur  Oberfläche  emporwuchsen,  oder  aber,  ob  beide  Bildungs- 
weisen in  Betracht  kommen  und  für  welche  Inseln,  mit  anderen  Worten,  es 
handelt  sich  um  die  Entscheidung,  welches  kontinentale  Inseln,  welches 
ozeanische  sind. 

Für  die  Beantwortung  verwirft  Hedley  mit  Recht  alle  Tiefenverhältnisse. 
Die  Annahme  etwa,  dafs  eine  Insel,  die  vom  nächsten  Festlande  durch  einen 
Abgrund  von  2000  m  getrennt  ist,  eine  ozeanische  sein  mürste,  hat,  so  nahe- 
liegend sie  dem  Laien  erscheinen  mag,  in  Wahrheit  gar  keine  Berechtigung, 
da  wir  für  die  Gröfse  selbst  relativ  junger  Senkungen  bisher  gar  keinen 
Mafsstab  haben.    Mafsgebend  können  allein  die  biologischen  Verhältnisse  sein. 

1)  Ch.  Hedley,  The  Atoll  of  Funafuti,  Ellice  Group:  its  zoology,  botany, 
ethnology  and  generale  strueture.  I.  General  aecount.  In:  Australian  Museum. 
Sydney.  1896.  p.  1—70.  —  The  ethnology  of  Funafuti.    ibid.  1898.  p.  229—304. 

The  Mollusca  of  Funafuti.  Part  I.  Uasteropoda.  ibid.  1899.  p.  398—488.  — 
The  Mollusca  of  Funafuti.  Part  II.  Pelecypoda  and  Brachiopoda.  ibid.  p.  490— MO. 
—  Suinmary  of  the  Fauna  of  Funafuti.  ibid.  p.  613— 63G.  —  The  Mollusca  of 
Funafuti.    Supplement,  ibid.  p.  649 —  ö66. 

S)  Ch.  Hedley,  A  Zoogeographie  Scheine  of  the  Mid-Pacific.  Proceed.  of  the 
Linnean  Soc.  of  New  South  Wales.   1899.  p.  391—417.  Ausgeg.  im  Dezember  1899. 


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Das  Problem  früheren  Landzusammenhangg  auf  d.  midi.  Erdhälfte.  667 

Eine  Insel,  die  einst  Teil  des  Kontinents  war,  bewahrt  einen  Rest  von  Be- 
wohnern, der  ungefähr  den  alten  Bestand,  wenn  auch  geschmälert,  wider- 
spiegelt, eine  ozeanische  Insel  dagegen  beherbergt  nur  Organismen,  welche 
die  Verbreitung  über  das  Meer  ertragen  konnten,  sei  es  durch  das  Wasser, 
sei  es  durch  die  Luft,  also  fliegende  und  schwimmende  Tiere,  oder  solche, 
die  passiv  solchen  Transportes  fähig  waren;  von  den  Pflanzen  gilt  das 
Gleiche.  Eine  ozeanische  Insel  kann  also  nur  eine  beschränkte  Lebewelt 
haben  von  besonderen  Eigenschaften.  Der  durch  seine  Galapagos-Forschungcn 
auch  in  geographischen  Kreisen  bekannte  Baur  hat  hier  die  glücklichen  Aus- 
drücke „harmonische  und  disharmonische  Fauna"  eingeführt.  Denkt  man  sich 
ein  gleich  grofses  Areal,  sagen  wir  von  einer  Quadratmeile,  abgegrenzt  etwa  in 
Europa,  Amerika  und  Australien  und  die  Faunen  festgestellt,  so  werden  zwar  die 
drei  Listen  viel  spärlicher  ausfallen  als  die  der  ganzen  Erdteile,  aber  die 
verschiedenen  Tierklassen  werden  in  einem  ähnlichen  Prozentsatz  vertreten 
sein  wie  in  den  Gesamtlisten.  Ganz  ähnlich  bei  einer  Insel,  die  früher  ein  Teil 
vom  Festlande  war.  Ganz  anders  bei  ozeanischen  Inseln,  die  nur  über  See 
besiedelt  werden  konnten.  Zwar  gehört  auch  ihre  Bevölkerung  zu  dem 
Festland,  von  dem  sie  stammt,  aber  die  Liste  zeigt  ein  anderes  prozentuales 
Verhältnis  der  verschiedenen  Tierklassen,  die  Fauna  ist  disharmonisch.  Die 
Disharmonie  der  Atollfaunen  tritt  sofort  hervor  durch  den  fast  völligen  Aus- 
schlufs  der  Säuger,  Reptilien  und  Amphibien. 

Um  indes  nähere  Anhaltspunkte  zu  gewinnen,  untersucht  Hedley  zuerst 
die  Kontinentalformen  im  Westen  der  Inselwelt. 

Die  australische  Ostküste  bildet  einen  gleichmäfsigen  Bogen.  Ihm  ent- 
spricht ein  ähnlicher  diskontinuierlicher  und  nach  Süden  divergierender 
Bogen,  der  von  Südost-Neuguinea  über  die  Louisiaden  und  Neucaledonien 
nach  Neuseeland  geht.  Ein  dritter  und  äufserster  wird  durch  die  Salomon- 
und  Fidschi-Inseln  gebildet. 

Im  zentralen  Teile  des  Stillen  Ozeans  herrscht  ein  Bogen  von  entgegen- 
gesetzter Krümmung.  Er  wendet  seine  konvexe  Seite  Australien  zu  und  zieht 
von  den  Marshall  -  Inseln  über  die  Gilbert-,  Ellice-,  Samoa-  und  Cook-  oder 
Hervey-Gruppe  nach  dem  Austral-  oder  Tubuai-Archipel  und  vielleicht  noch 
weiter  bis  zu  dem  grofsen  patagonischen  Plateau,  das  sich  von  der  süd- 
amerikanischen Küste  nach  Nordwesten  erstrockt. 

Die  erste  Bogengruppe  gehört  dem  alten  Festlande  an.  Ein  Vergleich 
von  Funafuti  mit  den  benachbarten  Teilen  dieses  Gebietes  ergiebt  nun,  dafs 
ein  grofser  Prozentsatz  seiner  niederen  Meeresfauna  westwärts  über  Neu- 
guinea, den  malaiischen  Archipel,  die  Andamanen,  Ceylon  und  Mauritius  bis 
zum  Roten  Meere  verfolgt  werden  kann,  er  gehört  also  der  indo-pacitischen 
oder  orientalischen  Region  an,  wobei  die  Wallace-Linie  zwischen  Bali  und 
Lombok  nicht  weiter  in  Frage  kommt;  denn  es  genügt  hier,  bis  auf  Neu- 
guinea zurückzugehen.  Doch  ist  dies  nicht  schlechtweg  als  ein  Teil  von 
„Australasien"  zu  nehmen,  einem  Begriff,  den  Hedley  am  liebsten  aus  der 
Zoogeographie  verbannt  sehen  möchte,  da  die  Zusammenfassung  von  Austra- 
lien mit  Neu-Guinea  und  dem  westlichen  Stillen  Ozean  bis  Neu-Seeland  auf 
älterer,  der  Politik  entlehnter,  wohl  durch  Swainson   1835  aufgebrachter 

46* 


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H.  Simroth: 


Anschauung  beruht  und  sich  nicht  halten  läfst.  Sie  umgreift  heterogene 
Dinge. 

Australien  selbst  scheint  drei  verschiedene  faunistische  Elemente  zu 
enthalten  nach  der  Skizze,  die  Hedley  1894  entwarf,  und  die  inzwischen 
von  australischen  Geographen,  speziell  in  der  Bearbeitung  der  Horn-Expedition 
von  Spencer,  acceptiert  wurde.  Die  älteste  Fauna,  welche  Täte  die  autoch- 
thone  und  Spencer  die  eyrische  nennt,  hat  ihren  Hauptsitz  im  äufsersten 
Südwesten,  ihr  Einflufs  macht  sich  bis  nach  dem  Nordosten  von  Queensland 
quer  durch  den  Kontinent  geltend,  doch  hat  er  sich  nicht  bis  auf  die  Insel- 
welt des  Stillen  Ozeans  ausgedehnt. 

Die  Zweitälteste  Fauna  wird  von  Täte  als  euronotische,  von  Spencer  als 
bassische  bezeichnet.  Sie  umfafst  die  hervortretendsten  Charakterformen 
Australiens;  von  antarktischem  Ursprung,  drang  sie  über  Tasmanien  ein, 
überzog  den  ganzen  Erdteil,  überschritt  die  Torresstrafse  nach  Neu-Guinea 
und  erreichte  ihre  äufserste  Grenze  in  den  Salomon-Inseln.  Charakteristische 
Glieder  dieser  Fauna  sind  die  Beuteltiere,  Monotremen,  cystignathen  Frösche, 
Giftschlangen  und  eine  Anzahl  von  Helicideugattungen,  die  durch  grofse  Eier 
ausgezeichnet  sind  und  von  Pilsbry  daher  als  Macroogona  bezeichnet  werden 
<  Panda,  Caryodes,  Pedinogyra,  Anoglypta). 

Das  jüngste  Element  wird  von  Spencer  als  torresisch  bezeichnet,  es 
ist  von  Neu-Guinea  eingewandert.  Die  genauere  Analyse  hatte  Hedley  schon 
früher  zu  dem  Schlufs  geführt,  dafs  namentlich  einige  Landdeckelschnecken 
(Pupina,  Helicina,  Diplommatina),  die  sich  auf  den  Nordosten  Queenslands 
beschränken,  aufs  engste  mit  papuauischen  zusammengehören.  Doch  geht 
das  viel  weiter.  Entlang  der  ganzen  Ostküste  von  Queensland  hat  sich  eine 
kräftigo  Kolonie  papuanischer  Tiere  und  Pflanzen  niedergelassen:  von  Pflanzen 
die  wilde  Banane,  der  Pfeffer,  Orange,  Mangostane,  Rhododendron,  epiphy- 
tischo  Orchideen  und  Palmen;  von  Tieren  Mäuse  und  Fledermäuse,  Casuare 
und  Grofsfufshühner,  ein  Krokodil,  Baumschlangen,  echte  Frösche,  also  Rana- 
Arten,  Ornithopteren ,  d.  h.  jene  prächtigsten  Tagfalter  Südostasiens,  von 
Weichtieren  aufser  den  genannten  noch  die  Lungenschneckengattung  Papuina. 
Die  Kolonie  ist  so  stark,  dafs  ein  Naturforscher  mitten  in  einem  grolsen 
Queenslandscrub  aus  seiner  Umgebung  schwerlich  schliefsen  könnte,  ob  er 
sich  in  Australien  oder  Neu-Guinea  befände.  In  der  That  ist  die  Torresstrafse 
so  seicht,  dafs  eine  Hebung  von  mir  15  Metern  eine  Landbrücke  herstellen 
würde.  Sie  ist  von  Tieren  und  Pflanzen,  u.  a.  auch  Eucalyptus,  in  beiderlei 
Richtung  benutzt  worden.  Die  Artunterschiede  der  Organismen  nördlich  and 
südlich  von  der  Torresstrafse  beweisen,  dafs  seit  der  Gangbarkeit  der  Brücke 
immerhin  eine  gewisse  Zeit  verflossen  sein  mufs.  .Ia  Pilsbry  glaubt  aus 
der  Gattungsverscbiedenheit  der  papuauischen  Schnecken  in  Queensland  folgern 
zu  müssen,  dufs  die  Landverbindung  seit  dem  Beginne  der  Tertiärzeit  min- 
destens zweimal  bestand;  der  erste  Zusammenhang  mochte  ins  Eocän  fallen. 

Neu-Guinea  hat  aber  nicht  blofs  diesen  südlichen  Zweig  geliefert,  sondern 
noch  zwei  andere.  Der  eine,  kürzere,  zog  entlang  der  südöstlichen  Halb- 
insel bis  zu  den  Luisiaden,  die  er  bevölkerte.  Charakteristisch  für  ihn  sind 
Riesenformeu  unter  den  Pupinelleu,  einem  Genus  kleiner  Lunddeckelschneckeu. 


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Das  Problem  früheren  Landzuaamnienhangs  auf  d.  siidl.  Erdhälfte.  6(59 

Der  andere  beginnt  in  Kaiser- Wilhelmsland,  setzt  über  nach  Neu-Pommem 
und  Neu-Mecklenburg,  dann  nach  den  Salomonen,  von  diesen  aus  teilt  er 
sieh,  sehr  geschwächt;  ein  Zug  lauft  zu  den  Fidschi-Inseln,  ein  anderer  zu  den 
Neuen  Hebriden,  von  da  noch  mehr  geschwächt  nach  Neu-Caledonien,  giebt 
einen  Seitenast  nach  der  Lord  Howe-Insel  ab  und  erreicht  schliei'slich  Neil- 
Seeland.  Was  hier  für  die  Fauna  erschlossen  wird,  hat  Lesson  bereits  1825 
von  der  Flora  gezeigt.  Nach  ihm  erstreckt  sich  die  indische  Flora  zunächst 
durch  den  malaiischen  Archipel  bis  nach  Neu-Guinea,  wo  sie  sich  üppig  ent- 
wickelt. Ein  beschränkter  Zug  kreuzt  die  Torresstrafse  und  geht  nach 
Australien,  die  indische  Erythrina,  zwei  Bananen,  Flagellaria  iudica  u.  a.; 
ein  zweiter  gedeiht  vortrefflich  auf  Neu-Britannien  und  Neu-Irland,  deren 
Walder  noch  die  Arecapalme,  die  Sagopalme,  Baumfarne  und  Drymirhiza 
beherbergen,  neben  Pandanus,  Baringtonia,  Calophyllum,  Casuarina  indica. 
Auf  den  Neuen  Hebriden  und  Neu-Caledonien  verarmt  die  indische  Flora  all- 
mählich, weiter  südlich  bedingt  auch  «las  Klima  eine  Änderung;  die  neusee- 
ländische Flora  ist  schliefslich  von  der  australischen  vollkommen  verschieden, 
zeigt  aber  immer  noch  einige  indische  Züge. 

Neu -Seeland  selbst  bildet  ein  ähnliches  Verbreitungszentrum  wie  Neu- 
Guinea.  Durch  eine  südliche  Verlängerung  war  es  mit  der  Antarktis  ver- 
bunden und  erhielt  auf  diesem  Wege  eine  Einwanderung,  die  mit  der  Lebe- 
welt Südamerikas  nächstverwandt  ist.  Die  neuseeländische  Fuchsie  ist  ein 
typisches  Beispiel,  von  Mollusken  gehören  die  Rhytiditen,  eine  Familie  be- 
schälter, helixähnlicher  Raublungenschnecken,  und  die  Gattung  Placostylus 
hierher.  Auf  demselben  Wege,  auf  dem  sich  der  Wanderstrom  von  Neu- 
Guinea  bis  Neu-Seeland  ergofs,  gelangte  der  antarktische  über  Neu-Seeland 
nach  Neu-Guinea.  Diese  Fauna  ist  ganz  verschieden  von  der  euronotischen 
in  Australien  und  wahrscheinlich  älter.  Der  eben  erwähnte  Zug  von  Neu- 
Guinea  nach  Neu-Seeland  brachte  allerdings  auch  einen  Teil  australischer 
Typen  mit,  die  über  die  Torresstrafse  gegangen  waren,  Cuscus  ist  ein 
schlagendes  Beispiel.  Sicher  geht  diese  Beimischung  bis  zu  den  Salomon- 
inseln,  über  Fidschi  läfst  sich  noch  streiten. 

In  geologischer  Hinsicht  hat  die  Fidschigruppe  neuerdings  eine  beträcht- 
liche Hebung  erfahren.  Vorher  ging  wohl  eine  ebenfalls  bedeutende  Senkung. 
Vor  dieser  Senkung  aber  war  ihr  Niveau  hoch  genug,  dafs  die  Aufseninseln, 
wie  Kandavu,  Vanua  Levu  und  Viti  Levu  mit  einander  in  Verbindung 
traten.  Eine  solche  Vereinigung  wird  durch  die  Verwandtschaft  ihrer  Land- 
mollusken bezeugt,  und  als  Mafs  für  die  Zeit  der  nachfolgenden  Trennung 
kann  die  Differenz  gelten,  welche  zwischen  den  korrespondierenden  Arten 
der  verschiedenen  Eilande  Platz  gegriffen  hat,  wie  sie  sich  innerhalb  der 
Genera  Trochomorpha  und  Placostylus  zeigt. 

Wäre  die  erwähnte  Senkung  stark  genug  gewesen,  um  die  Inseln  ganz 
unterzutauchen,  dann  müfste  ihre  Landfauna  ertrunken  sein.  Eine  neue  Be- 
siedelung  hätte  nur  durch  Drift  über  See  kommen  können  und  wäre  dis- 
harmonisch. Wenn  dann  auch  der  Geolog  solche  Inseln  als  kontinental  an- 
sehen würde,  weil  sie  auf  einem  Plateau  stehen,  müfste  sie  der  Zoolog  zu 
den  ozeanischen  rechnen.    Sollas  will  neuerdings  die  Fidschi-  so  gut  wie  die 


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670 


H.  Siraroth: 


Hawaii-Inseln  als  ozeanische  betrachtet  wissen,  die,  wie  Stromboli  und  Vol- 
cano,  durch  vulkanische  Aufschüttung  vom  Meeresboden  emporgewachsen 
wären,  im  Gegensatze  zu  echt  kontinentalen,  wie  Neu-Caledonien  und  Neu- 
seeland. Dagegen  spricht  aber  bei  den  Fidschi-Inseln  ihre  ganze  Fauna.  Unter 
den  Mollusken  ist  es  vor  allem  wieder  Placostylus,  der  den  auf  dem  mela- 
nesischen  Plateau  gelegenen  Inseln  zukommt,  dagegen  den  benachbarten,  durch 
eine  5000  m  tiefe  Senke  getrennten  Samoainseln  fehlt,  trotz  besten  Lebens- 
bedingungen. Die  Amphibien  liefern  das  gleiche  Argument.  Von  Fidschi 
hat  Boulanger  drei  Frösche  angegeben,  von  denen  einer,  Cornufer  dorsalis, 
auch  auf  den  Salomonen  lebt;  ähnlich  die  Reptilien:  eine  Wurraschlange, 
Typhlops  aluensis,  ist  bisher  nur  von  den  beiden  Inselgruppen  bekannt. 
Von  Iiandplanarien  beherbergen  die  Fidschi-Inseln  zwei,  eine  Geoplana  und 
einen  Rhynchodeinus ;  die  Gattung  Geoplana  gilt  aber  als  streng  kontinental. 
Ähnlich  hat  das  Genus  Pupina  auf  den  Fidschi-Inseln  seine  Ostgrenze.  Die 
Küfer  machen  einen  kontinentalen  Eindruck  und  sind  wesentlich  in  ihrer 
Zusammensetzung  verschieden  von  denen  ozeanischer  Inseln,  wie  Tahitis  und 
der  Marcpuesas.  Unter  den  Seetieren  beschränkt  sich  Nautilus  ganz  auf  die 
Küstenlinie  des  melanesischen  Plateaus,  an  der  er  so  weit  nach  Süden  geht, 
als  ihm  die  Wärmeverhältnisse  erlauben:  auch  er  bewohnt  die  Fidschi-Gruppe. 
Die  Flora  liefert  eine  Sapotacee,  Chelonespermum,  von  deren  drei  bekannten 
Spezies  zwei  von  den  Salomon-,  die  dritte  von  den  Fidschi-Inseln  stammt. 
Schliefslich  haben  die  letzteren  auch  Urgesteine:  Granit,  Quarzporphyr,  Diorit, 
Gabbro  u.  a. 

Von  den  Santa-Oruz-Inseln  zwischen  Fidschi  und  Salomonen  ist  bisher 
nichts  bekannt  geworden,  was  ein  Urteil  über  ihre  Natur  gestattet;  man 
kann  sie  vorläufig  der  Lage  nach  nur  als  ein  Glied  zwischen  den  Salomonen 
und  Neuen  Hebriden  auffassen.  Von  der  kleinen  Insel  Hotuma,  ganz  nahe 
nördlich  vom  Fidschi-Archipel,  hat  Gardiner  eine  Sammlung  mitgebracht,  die 
ihren  ozeanischen  Charakter  erweist.  Die  Neuen  Hebriden  sind  biologisch 
wenig  bekannt,  das  wenige  macht  sie  zu  einem  Glied  zwischen  den  Salomo- 
nen und  Neu-Caledonien.  Die  nahe  Verwandtschaft  der  Faunen  von  Neu- 
Caledonien  und  Neu -Seeland  hat  sich  erst  neuerdings  immer  sicherer 
herausgestellt,  wie  denn  auch  beiden  ganz  ähnliche  mesozoische  Schichten 
eigen  sind.  Säuger  fehlen  aufser  Mäusen  und  Fledermäusen,  Reptilien  sind 
sehr  spärlich,  Schlangen  fehlen  ganz,  von  Amphibien  hat  Neu-Caledonien  gar 
nichts,  Neu-Seeland  einen  Frosch.  Die  Landmollusken  zeigen,  gegenüber  diesen 
negativen  Befunden,  die  nächste  Verwandtschaft  in  einer  ganzen  Reihe  von 
Gattungen:  Melanopsis,  Placostylus,  Rhytida,  .lanella,  von  den  kleinen  Endo- 
dontiden  die  Charopa,  sowie  die  Rhytidopsis-  und  Monomphalusgruppe.  — 
Die  Lord  Howe-Insel  zeigt  in  ihren  Landschnecken  die  gröfste  Anlehnung 
an  Neu-Caledonien. 

Auf  Grund  dieser  Thatsacben  ist  das  Kartenschema  entworfen,  ohne  jede 
Rücksicht  auf  Tiefenverhältnisse  der  trennenden  Meere.  In  der  That  scheinen 
die  biologischen  Argumente  viel  beweiskräftiger.  Die  flache  Alfuren-See  trennt 
z.  B.  weit  verschiedenere  Faunen  in  West- Australien  und  Niederländisch- 
Neu-Guinea,  als  die  tiefe  Senke  zwischen  den  Salomonen  und  Fidschi-Inseln. 


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Das  Problem  früheren  Landzusammenhangs  auf  d.  südl.  Erdhälfte.  671 

In  Bezug  auf  die  polynesische  Fauna  kommt  Hedley  zu  folgenden 
Schlüssen.  Er  stimmt  zunächst  mit  Guppy  (1896)  überein,  nach  dem  die 
Besiedelung  auf  doppeltem  Wege  vor  sich  ging.  Der  eine  kam  von 
Mikronesien,  der  andere  von  Melanesien.  Der  erstere  führte  von  den  Mo- 
lukken  oder  Philippinen  über  die  Paluu-Inseln  und  Carolinen  zu  den  Mar- 
shallinseln und  von  dort  weiter  die  oben  skizzierte  Kette  entlang,  er  brachte 
vermutlich  die  paeifische  Ratte.  Der  andere  ging  von  Fidschi  aus  über  die 
Samoainseln;  er  brachte  in  einem  rückläufigen  Strom  melanesische  Formen 
zu  den  Carolinen,  Ladronen  und  Palauinseln.  Ihm  gehört  die  polynesische 
Lungenschneckengattung  Partula  an,  die  von  dem  melanesischen  Placostylus 
abstammt.  Natürlich  enthält  dieser  Strom  sowohl  papuanische,  als  antark- 
tische Elemente,  Tornatellina,  Helicina  und  Trochomorpha  papuanisch,  Par- 
tula und  Endodonta  antarktisch. 

Der  Weg,  den  die  polynesische  Fauna  nach  ihrer  Loslösung  vom  Fest- 
land genommen,  ist  zu  erratisch,  um  im  einzelnen  genau  verfolgt  zu 
werden.    Einzelne  Thatsachen  lassen  sich  immerhin  geltend  machen. 

Garrett  hat  die  Familien  der  Coniden,  Cypraeiden  und  Mitriden,  der 
Kegel-  und  Porzellanschnecken  und  Bischofsmützen  nach  ihrer  Artenzahl  von  den 
Fidschi-,  Tonga-,  Samoa-,  Gilbert-,  Carolinen-,  Cook-,  Gesellschafts-,  Paumotu-, 
Marquesas-  und  Hawai-Inseln  zusammengestellt,  und  da  zeigt  sich,  dafs  zwar 
die  Cypraeen  ziemlich  gleichmäfsig  verteilt  sind,  dafs  aber  die  anderen  beiden 
Familien  mit  der  Entfernung  von  der  melanesischen  Grenze  regelmäfsig  und 
stark  abnehmen.  Die  Fidschi-Inseln  haben  60  Coniden,  die  Marquesas  14,  die 
Hawai  21,  für  die  Mitriden  lauten  die  entsprechenden  Zahlen  117,  6,  31. 
Die  Gesellschaftsinseln  allerdings  haben  einen  relativ  höheren  Reichtum, 
wahrscheinlich  weil  sie  älter  sind.  Das  hohe  Tahiti  mit  seinen  Nachbarn 
hat  am  längsten  den  Wanderstrom  abgefangen.  Vielleicht  ist  ihre  Besiede- 
lung überhaupt  der  der  übrigen  vorangegangen.  So  wurde  neuerdings  ein 
merkwürdiger  Baum  von  Tahiti,  Lepinia,  auf  den  Salomoninseln  wieder- 
entdeckt. Eine  Untergattung  von  Landschnecken,  Libera,  ist  dem  Cook- 
und  Gesellschafts-Archipel  gemeinsam,  und  sie  besitzen  ebenso  die  Hälfte  der 
Partula- Arten.  Dagegen  fiel  ihre  Insektenarmut,  gegenüber  den  kontinentalen 
Inseln,  schon  d'Urville  bei  der  Reise  des  „Astrolabe"  1832  auf.  Garrett's 
Resultate  lassen  sich  graphisch  nach  der  umstehenden  Skizze  darstellen. 
Reichtum  in  Melanesien,  plötzlicher  Abfall  nach  den  Fidschis,  allmähliche 
Verarmung  nach  Osten;  in  Tahiti  etwas  unterbrochen,  endlich  wieder  mäfsige 
Anschwellung  in  Südamerika. 

Die  Botaniker  scheinen  darüber  einig  zu  sein,  dals  die  Flora  der  niedrigen 
Koralleninseln  über  See  gekommen  ist.  Erst  1895  spricht  sich  Hemsley  in 
diesem  Sinne  aus.  Alle  ihre  Pflanzen  sind  durch  Wind,  Wasser,  Vögel  oder 
andere  Tiere  verschleppbar.  Tange  (Seewead)  scheinen  zu  fehlen  und  auf 
Kontinentalküsten  beschränkt. 

Die  paeifische  Ratte,  Mus  exulans,  ist  wohl  mit  den  Canoes  der  Einge- 
borenen gekommen.  Fledermäuse  sind  bis  zur  Ellice-Gruppe  gedrungen. 
Der  Dugong  hat  Polynesien  erreicht.  Finsch  giebt  (1901)  die  Salomonen 
als  Ostgrenze  an,  Hedley  Neu-Caledonien.   Nördlich  vom  Äquator  geht  er  zu 


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<>72 


H.  Simroth: 


den  Palau-Inseln ,  die  Hedley  auch  für  einen  kontinentalen  Vorposten  hält. 
Von  Seehunden,  die  sich  mich  Polynesien  (Cookinseln)  verirrten,  ist  nur  ein 
einziger  Fall  bekannt,  wo  das  Tier  von  einem  Eingeborenen  für  den  Satan 
gehalten  wurde.    Funafuti   hat   vier  Eidechsen.     Eine  von  ihnen,  Gehyra 


oceanica,  die  von  den  Molukken  bis  zu  den  C'ookinseln  verbreitet  ist,  wurde 
für  Baur  ein  Hauptgrund,  die  Hypothese  vom  paeifisehen  Kontinent,  der 
das  malaiische  Gebiet  mit  Südamerika  verband,  aufzustellen.  Wie  schwach 
die  Stütze  ist,  zeigt  die  Erfahrung.  In  jedem  Canoe  beinahe  finden  sich 
Eidechsen  als  unfreiwillige  Passagiere.  Seeschildkröten  gehen  als  gute 
Schwimmer  bis  zu  den  äufsersten  Punkten  Polynesiens.  Krokodile  finden 
nach  Hedley  ihre  Ostgrenze  auf  den  Salomonen;  Boulanger's  Angabe  von 
den  Fidschis  ist  zurückzuweisen;  nur  einmal  wurde  hier  ein  verschlagenes 
Stück  getötet. 

Vögel  und  Schmetterlinge  scheinen  durch  den  Wind  nach  der  Ellice- 
Gruppe  gebracht  zu  sein.  Drei  Lepidoptera,  Remigia  translata,  Chloanges 
suralis  und  Cephouodes  hylas  haben  nach  Woodford  ihren  Weg  von  Ost- 
asien über  die  Marshallinseln  zu  den  Gilbertinseln  genommen,  da  sie  den 
Fidschi  und  Salomonen  fehlen.  Die  beiden  ersteren  sind  auf  demselben  Wege 
nach  Funafuti  gelangt.  So  sind  Guppy  und  Woodford  ganz  unabhängig  von 
Hedley  zum  gleichen  Resultate  gekommen.  Wie  die  Vögel  in  ihrem  Gefieder 
weiter  für  Verbreitung  sorgen,  ist  bekannt.  Vom  Stillen  Ozean  brachte  Lister 
ein  hübsches  Beispiel.  Auf  der  Cantoninsel  im  pfianzenarmen  Phönixarchipel 
wurde  eine  Gruppe  von  Tournefortiabäumen  regclmäfsig  von  Tölpeln  (Sula 
piscatrix)  zum  Schlafen  und  zur  Toilette  benutzt.  In  den  Dunen,  die  beim 
Nesteln  des  Gefieders  herausgezogen  und  an  den  trocknen  Zweigen  hängen 
geblieben  waren,  safs  ein  Same  eines  gemeinen  Unkrauts  Boerhavia,  der  mit 
Drüsenhaaren  besetzt  ist. 

Für  ein  wirksames  Verbreitungsmittel  hält  Hedley  namentlich  das  tote 
Laub,  das  in  Waldgebieten  bei  windigem  Wetter  emporgewirbelt  und  fortge- 
weht wird.  Ein  Cyclon  im  Stillen  Ozean  mag  es  weit  tragen.  Daran  sitzen 
aber  eine  Menge  niedere  Tiere,  Eier,  Larven,  Erwachsene;  Insekten,  Spinnen, 
Schnecken.  Von  letzteren  glaubt  Hedley  die  kleinen  Helicinen,  Endodonten 
und  Tornatellinen  auf  diese  Weise  im  Grofsen  Ozean  verbreitet.  Mosquitos 


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Dan  Problem  früheren  Landzusammcnhangs  auf  d.  südl.  Erdhälfte.  673 

und  Fliegen  dagegen  sind  nachweislich  als  Larven  erst  in  neuerer  Zeit  in 
Wasserfässem  verschleppt  worden. 

Wenn  Baur  das  Vorkommen  zahlreicher  Ameisenfbrmen  in  Polynesien 
für  einen  sicheren  Beweis  alten  kontinentalen  Zusammenhanges  nimmt,  so 
hat  er  die  Hochzeitsflüge  vergessen,  bei  denen  sich  jede  Art  in  regelmäfsiger 
Wiederholung  hoch  in  die  Luft  erhebt.  Endlich  ist  auch  der  letzte  Trumpf, 
den  Baur  ausspielt,  wenig  stichhaltig.  Er  weist  darauf  hin,  dafs  die  Madre- 
porengattung  Pocillopora  ganz  allgemein  im  Stillen  Ozean  verbreitet  ist, 
ebenso  bestimmt  aber  den  atlantischen  Korallenbildungen  fehlt.  Dem  stellt 
Hedley  eine  ganze  Reihe  positiver  Befunde  entgegen,  wo  junge  Pocilloporen  an 
schwimmenden  Bimsteinbrocken,  Holzstücken,  Seeschildkröten  und  dergl.  an- 
safsen  und  z.  T.  weit  verschleppt  wurden,  so  dafs  ein  Kontinentalzusammen- 
hang sicherlich  leicht  darauf  gegründet  werden  kann. 

Und  so  häuft  sich  Beweis  auf  Beweis.  Der  Palolowurm  (Eunice  viri- 
dis) geht  von  der  Torresstrafse  bis  zu  den  Samoa-  und  Tongainseln,  fehlt 
aber  der  Ellice-,  Gilbert-  und  Marschallgruppe  so  gut  wie  dem  östlichen 
Polynesien. 

Unter  den  marinen  Mollusken  giebt  es  eine  Anzahl  von  Leitfonnen  auf 
der  Südhemisphäre,  Trigonia  für  Australien,  Nautilus  für  Melanesien,  Stru- 
thiolaria  für  das  circumantarktische  Gebiet,  Eburna  für  Ostasien,  Concholopas 
für  die  Westküste  von  Südamerika.  Funafuti  hat  nichts  davon.  Eine 
Sammlung  seiner  roichen  Fauna  würde  dem  Kenner  keinen  Anhalt  geben, 
zu  beurteilen,  wo  sie  gemacht  wäre  zwischen  Mauritius  und  den  Hawai-lnseln. 

Der  Grund,  warum  gewisse  grofse  Formen  von  der  alten  Festlandsküste 
sich  nicht  losmachen  können,  liegt  in  der  Entwickelung.  Nautilus,  Melo, 
Voluta  legen  grofse  Eier,  in  denen  die  Jungen  die  ganze  Embryonalentwicke- 
lung durchmachen;  es  fehlt  das  freischwimmende  Trochophorastadiuin.  Das 
Gleiche  gilt  für  die  an  allen  tropischen  Gezeitenzonen  so  wohlbekannten 
Oncidien,  auch  sie  gehen  über  Samoa  und  Tonga  nicht  hinaus.  Auch  die 
Chitonen  oder  Käferschnecken,  in  manchen  Formen,  wie  Chitonellus,  für  die 
Korallenriffe  so  charakteristisch,  fehlen  in  Polynesien. 

Wenn  umgekehrt  manche  Gattungen,  wie  Triforis,  Cerithium  und  vor 
allem  Tritonium  weit  verbreitet  sind,  so  mufs  darauf  hingewiesen  werden, 
dafs  gerade  sie  für  langes  pelagisches  Leben  besonders  angepafste  grofse 
Larven  haben.  Auch  unter  dem  Material  der  deutschen  Planktonexpedition 
traten  diese  besonders  hervor.  Die  Muscheln  sind  im  Durchschnitt  weiter 
verbreitet,  als  die  Schnecken;  unter  ihnen  sind  kaum  marine  bekannt,  die 
nicht  schwimmende  Jugendformen  hätten. 

So  hängt  die  Verbreitung  der  wirbellosen  Seetiere  wahrscheinlich  durch- 
weg mit  der  Schwimmfähigkeit  der  Larven  zusammen,  wovon  leider 
nicht  genügend  Thaisachen  bekannt  sind.  Von  den  Echinodermen  wissen  wir 
in  dieser  Hinsicht  wenig.  Man  könnte  wohl  geltend  machen,  dafs  die  süd- 
lichen Meere  in  dieser  Hinsicht  schlechter  gestellt  zu  sein  scheinen,  als 
unsere  nördlichen.  Sie  beherbergen  eine  grofse  Menge  lebendiggebärender 
Stachelhäuter,  deren  Junge  an  oder  in  der  Mutter  eine  abgekürzte  Meta- 
morphose durchmachen.     Hedley  macht  den  australischen  Seestern  Asterina 


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674 


H.  Simroth: 


exigua  namhaft,  dessen  Junge  ihre  Verwandlung  an  demselben  Felsen  durch- 
laufen, an  dem  die  Eier  abgesetzt  wurden.  Dagegen  erklärt  sich  der  hohe 
Reichtum  Funafutis  an  Krebsen,  Enteropneusten,  Gephyreen  und  Actinozoen 
durch  ihre  eupelagischen  Larven.  Immerhin  nimmt  auch  die  Anzahl  der 
Korallenformen  nach  Osten  hin  ab,  schon  Funafuti  läfst  eine  Reihe  ver- 
missen, die  der  alten  Fcstlandsküste  zukommen,  u.  a.  Galaxea. 

Die  moderne  Durchforschung  der  Südsee  hat  andererseits  einen  Satz 
Darwin's  umgestofsen,  wenn  er  schrieb:  „not  one  single  sea-shell  is  known 
to  be  common  to  the  Pacific  and  to  the  westcoast  of  America".  Immerhin 
ist  die  Anzahl  noch  gering  genug  und  noch  kaum  literarisch  festgelegt.  Ja 
fast  scheint  es,  als  wenn  die  Typen  zahlreicher  würden,  die  dem  Stillen  mit 
dem  Atlantischen  Ozean  gemeinsam  sind.  Man  mufs  dabei  natürlich  von 
eupelagischen  circumäquatorialen  Arten,  wie  Glaucus  u.  a.,  absehen  und  mehr 
lokalisierte  berücksichtigen.  Willey  hat  neuerdings  bewiesen,  dafs  unter  den 
Leptocardien  Asymraetron  caudatum  von  den  Luisiaden  den  nächsten  Verwandten 
hat  in  A.  lucayanum  von  den  Bahamas.  Der  Schwamm  Hippospongia  dura 
findet  sich  bei  Funafuti  und  an  der  atlantischen  Küste  von  Nordamerika. 
Das  einzige  Brachiopod  von  Funafuti,  Thecidea  maxilla,  steht  dem  west- 
indischen Thecidium  Barretti  am  nächsten,  der  Vorderkiemer  Mecoliotia 
Halligani  dem  westindischen  Iphitus  turberculatus.  Acanthogorgia  muricata, 
bisher  von  Barbados  bekannt,  wurde  bei  Funafuti  wieder  gefunden.  Sechs 
Medusen  sind  den  Fidschi-Inseln  und  Westindien  gemeinsam.  Wie  es  scheint, 
handelt  es  sich  bei  allen  diesen  um  sehr  alte  Typen,  deren  Verbreitung  in 
die  graue,  bisher  noch  nicht  diskutable  Vorzeit  fällt. 

Da  aber  die  Beziehungen  zwischen  dem  Stillen  Ozean  und  der  südamerika- 
nischen Küste  selbst  für  Meerestiere  minimal  sind,  in  Übereinstimmung  mit 
der  grofsen,  inselfreien  Wasserfläche,  die  beide  trennt,  und  mit  dem  kalten 
Strom,  der  an  der  chilenischen  Küste  heraufläuft,  so  fällt  nach  Hedley  die 
Hypothese  von  dem  jurassischen  Kontinent,  der  den  Pacific  bis  nach  Süd- 
amerika ausfüllte,  in  sich  zusammen. 

Ganz  anders  sind  die  Resultate,  welche  Burckhardt1)  aus  seinen 
geologischen  Untersuchungen  in  den  chilenischen  Anden  ziehen  zu 
sollen  glaubt.  Auch  er  berücksichtigt  das  ganze  Problem,  in  erster  Linie 
allerdings,  soweit  es  sich  auf  die  Geologie  stützt.  Wie  bei  Hedley,  begnüge 
ich  mich  bei  ihm,  für  weitere  litterarische  Nachweise  nur  die  Autornamen 
anzugeben. 

Burckhardt  hat  speziell  die  mächtigen  porphyrischen  und  porphvritischen 
Ablagerungen  untersucht,  die,  grofse  Teile  der  Anden  zusammensetzend,  seit 
Darwin's  Reise  die  Aufmerksamkeit  der  Geologen  oft  auf  sich  gelenkt  haben. 
Stelzner  unterschied  in  ihnen  1885  zwei  Stufen  von  verschiedenem  Alter, 
die  jüngste  sollte  ins  Tertiär  gehören.  Dagegen  nahm  Steinmann  die  obere 
Grenze  als  älter  an,  die  Schichten  sollten  vom  Ende  der  Trias  durch  den 


1)  Dr.  Carl  Burckhardt,  fjeolopuc  de  la  section  d'explorations  nationale*  au 
Musee  de  la  Plata.  Tracea  geologiques  d'un  ancien  continent  paeifique.  Hevista  de 
Museo  de  la  Plata  X.  1900.  p.  177-192.  1  PL 


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Das  Problem  früheren  Landzusammenhangs  auf  d.  südl.  Erdhälfte.  675 

Jura  bis  in  die  untere  Kreide  reichen,  unterhalb  des  Danien.  Die  erneuten 
Untersuchungen  zeigen,  dafs  Steinmann  der  Wahrheit  am  nächsten  kam,  die 
Grenzen  werden  etwas  mehr  eingeengt,  von  Jura  bis  Neocom,  wobei  die 
Ablagerungen  zweimal  äufserst  mächtige  Anschwellungen  zeigen,  im  unteren 
und  oberen  Jura  oder  im  Lias  und  Malm.  Da  die  betreffenden  ober- 
jurassischen Sedimente  keine  Versteinerungen  enthalten,  so  mufs  die  Be- 
stimmung mit  Hilfe  der  oberen  und  unteren  Nachbarschicht  ausgeführt 
werden;  und  da  zeigt  sich  das  folgende:  An  den  verschiedensten  Stellen 
zwischen  den  32°  und  39°  s.  Br.,  fast  genau  auf  dem  70°  w.  L. ,  parallel 
der  Küste,  lösen  sich  westlich  und  östlich  von  der  betreffenden  Linie  sehr 
verschiedene  Facies  ab.    Im  Westen  haben  wir  von  unten  nach  oben: 

1.  Gyps. 

2.  Porphyritische  Konglomerate,  Hunderte  von  Metern  mächtig. 

3.  Kimmeridge  und  Tithon. 
Entsprechend  im  Osten: 

1.  Gyps. 

2.  Feinkörnige  Sandsteine  und  bunte  Mergel  in  20  m  Mächtigkeit. 

3.  Kimmeridge  und  Tithon. 

Dadurch  wird  nicht  nur  der  oberjurassische  Charakter  der  Konglomerat- 
schichten bewiesen,  sondern  auch  ihre  Vertretung  durch  ein  viel  schwächeres 
feinkörniges  Sediment  im  Osten.  Die  Ausbildung  bleibt,  wie  gesagt,  auf  die 
ganze  lange  Strecke  die  gleiche. 

Es  fragt  sich,  wie  die  dicken  Konglomeratschichten  entstanden.  Die 
meisten  Autoren  halten  sie  mit  Stelzner  für  die  Folge  submariner  Eruptionen. 
Dagegen  spricht  nach  Burckhardt  die  Beschaffenheit  der  einzelnen  Kompo- 
nenten; sie  sind  viel  zu  sehr  abgerollt,  so  dafs  teilweise  ein  ächter  Pudding- 
stein zu  stände  kommt.  Solche  grobe  Rollkiesel  sind  aber  typisch  für  die 
Uferzone  des  Meeres,  während  das  feine  Material  Östlich  davon  offenbar  in 
einer  gröfseren  Tiefe  abgelagert  wurde.  Wir  haben  hier  also  die  deutlichsten 
Beweise  eines  paeifischen  Kontinentes  aus  dem  weifsen  Jura,  dessen  Ostküste 
fast  genau  mit  der  chilenischen  Westküste  zusammenfällt. 

Sucht  man  nach  weiteren  Anhaltspunkten  für  eine  schärfere  Abgrenzung, 
so  bietet  sich  zunächst  die  Auffassung  von  Neumayr  und  Stelzner,  welche 
das  Jurameer  der  Anden  im  Osten  durch  einen  brasilianisch -äthiopischen 
Kontinent  begrenzt  sein  lassen.  Diese  Auffassung  ist  nach  Burckhardt  durch 
die  südamerikanische  Entwiekelung,  des  Lias  und  Dogger  begründet.  Danach 
wäre  also  jenes  Meer,  in  dessen  Uferzone  die  porphyritischen  Konglomerate 
abgelagert  wurden,  blofs  ein  schmaler  Golf  gewesen  von  der  Breite  der 
Anden:  er  erreichte  wahrscheinlich  die  heutige  Südspitze  Amerikas  nicht 
Diese  Anschauungsweise  stimmt  mit  der  v.  Jherings,  die  auf  rezenten  zoo- 
geographischen Thatsachen  beruht,  überein,  sie  steht  allerdings  im  Gegensat/, 
zu  der  Neumayr's,  der  ein  paeitisches  Juraraeer  annahm. 

Nun  erhebt  sich  die  Frage:  Bestanden  diese  Küstonlinien  oder  doch 
diese  Festländer  im  allgemeinen  schon  vor  der  Jurazeit?  Die  Andeutungen 
reichen  viel  weiter  zurück.  Katzer  ist  1897  bei  der  Untersuchung  des  mitt- 
leren Devons  von  Brasilien  zu  dem  Schlufs  gekommen,  dafs  damals  ein  Süd- 


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(»76     H.  Simroth:  Das  Problem  früheren  Landzusammenhanfrs  etc. 


kontinent  Chile  mit  Patagonien  vereinigte,  der  Östlich  bis  Süd-Georgien,  west- 
lich aber  wahrscheinlich  bis  Neu-Seeland  reichte,  bei  der  notwendigen  Trennung 
der  australischen  Meere  von  dem  grofsen  amerikanisch -pacitischen  Ozean; 
denn  die  mitteldevonische  Fauna  von  Europa  zeigt  mehr  Ähnlichkeit  mit  der 
australischen,  als  mit  der  nordamerikanischen.  Zeiller,  Bodenbender,  Kurtz 
haben  dann  die  Gondwauaschichten  mit  Glossopteris  weit  über  die  südliche 
Krdhälfte  bis  Zentralamerika  verbreitet  gefunden,  in  Brasilien,  Argentinien, 
Afrika,  Indien,  Australien.  Der  Stille  Ozean  der  Trias  erreichte  nach 
Mojsisovics  die  südliche  Hälfte  von  Südamerika  nicht;  anfangs  mehr  nördlich 
drang  seine  Südgrenze  später  doch  nur  bis  Peru  vor.  Noch  lassen  sich 
Untersuchungen  von  Szajnocha  und  Solms-Laubach  über  das  Iihät  anführen. 
Die  damalige  argentinisch-chilenische  Flora  gleicht  der  von  Afrika  und 
Australien,  hat  aber  mit  der  indischen  nichts  zu  thun.  Hier  setzen  dann 
die  oben  skizzierten  Untersuchungen  von  Burckhardt  ein. 

Ich  gestehe,  dafs  ich  es  für  schwierig  halte,  die  Arbeiten  der  Geologen 
mit  denen  des  Zoogeographen  Hedley  völlig  in  Einklang  zu  bringen.  Sicher 
scheint  es,  dafs  in  alter  Zeit,  jedenfalls  bis  weit  ins  Mesozoische  hinein, 
gröfsere  Landmassen  auf  der  südlichen  Erdhälfte  existierten.  Zum  Teil  sind 
auch  ihre  Grenzen  festgelegt,  eben  zuletzt  durch  Burckhardt.  Nur  rnuls  man 
bedenken,  dafs  er  blofs  die  Ostküste  des  alten  pacitischen  Kontinents  fixieren 
konnte.  Die  übliche  Annahme,  die  Westküste  habe  bis  Neu-Seeland  gereicht, 
entbehrt  doch  in  weit  höherem  Maafse  der  positiven,  zwingenden  Unterlagen. 
Die  alten  bogenförmigen  Küstenlinien,  die  Hedley  zeichnet,  haben  wohl  viel 
mehr  Wahrscheinlichkeit  in  ihrer  Angliederung  an  Australien,  als  im  umge- 
kehrten Sinne,  wie  wenn  sie  zu  Chile  gehörten!  Man  wird  auch  kaum  mit 
dem  Einwurfe  durchkommen,  dafs  Hcdley's  Rechnungen  sich  auf  rezente 
Formen  stützen  und  diese  nicht  weit  rückwärts  Geltung  beanspruchen  können. 
Seit  Kobelt  mit  grofser  Sicherheit  gezeigt  hat,  dafs  die  gemeinen  Land- 
schneckenformen bei  uns  fast  durchweg  bis  weit  ins  Tertiär,  ja  in  die  Kreide 
zurückreichen  und  zwar  meist  schon  an  den  gleichen  Wohnorten,  kann  man 
unmöglich  der  durchschnittlich  viel  altertümlicheren  Molluskenfauna,  mit  der 
Hedley  rechnet,  ein  weit  höheres  geologisches  Alter  absprechen.  Die  Schlüsse, 
zu  denen  er  kommt,  müssen  so  weit  rückwärts  Anerkennung  finden,  dafs  sie 
auch  für  die  Zeit,  von  der  Burckhardt  handelt,  vollen  Wert  haben.  Dann 
aber  kann  kaum  von  der  weiten  westlichen  Ausdehnung  jenes  alten  paci- 
fischen  Festlandes  die  Rede  sein.  Noch,  gröfsere  südliche  Landraassen  in 
weit  älterer  Zeit,  mit  der  u.  a.  Katzer  rechnete,  mögen  etwa  für  die  zitier- 
ten Anomalien  sporadischer  Verbreitung  die  Erklärung  abgeben,  ohne  dafs 
man  ihnen  indefs  schon  im  einzelnen  nachgehen  könnte.  Aufschlüsse  über 
die  Fragen,  die  hier  erörtert  wurden,  und  über  die  Lücken  in  unseren 
Schlufsfolgerungeu  sind  wohl  am  ehesten  noch  von  der  geologischen  Auf- 
klärung der  Antarktis  zu  erwarten. 


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Simroth  , 


Tafel  V. 


GeseltschafLs 


Ins? 


Cook 
Ins; 


i  2N 


Alte  FesUandskÜste 

Linie  der  antarktischen  Einwanderung 
Linie  der  papuanischen  Einwanderung 

•  Verbreitungslinien  über  See 

.  Axe  der  Marshall -Austrat  (Tubuail- Kette 

I  nach  Hedle y  ) 


Geogr 


Geogr.  Amt  v.  Viagner  L  Debes  .  Leipzig. 


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Kürchhoff:  Eisenbahn  en  u.  Eisen  bah  npläne  in  Klein  -  u.  Mittel  -Asien.  677 


Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel -Asien, 

Persien  und  Afghanistan. 

Von  Oberleutnant  a.  D.  Kürchhoff. 
(Schluß.) 

Ebenso  wie  im  Osten  Asiens  nach  dem  Stillen  Ozean,  dringt  Rufsland 
auch  nach  Süden  gegen  den  Indischen  planmäfsig  vor. 

Es  ist  notwendig,  um  die  Eisenbahnbestrebungen  Rufslands  in  jenen 
Gegenden  zu  verstehen,  einen  kurzen  Blick  auf  die  politischen  und  militäri- 
schen Verhaltnisse  zu  werfen;  denn  wenn  auch  die  Eisenbahnen  in  erster  Linie 
den  Zwecken  des  Handels  und  des  Verkehrs  dienen,  so  sind  sie  doch  auch 
gerade  hier  von  außerordentlicher  politischer  und  militärischer  Bedeutung. 
Besonders  in  Asien  läfst  sich  Rufsland  bei  Eisenbahn  bauten  in  weitest- 
gehendem Mafse  von  strategischen  Rücksichten  beeinflussen. 

Das  Ziel  Rufslands  ist  Indien  oder  wenigstens  das  Indusdelta,  es  mufs 
dieses  Gebiet  sein,  will  Rufsland  aus  seinen  mittelasiatischen  Gebieten  den 
Vorteil  ziehen,  den  es  auf  Grund  der  dort  ruhenden  Schätze  gewinnen  kann, 
denn  Karratschi,  der  Hafen  des  Indusdeltas,  ist  von  jeher  der  Aus-  und  Ein- 
fuhrpunkt Mittelasiens  gewesen.  Eine  sich  rentierende  Ausfuhr  aus  diesen 
Gebieten  ist  nur  über  den  Indischen  Ozean  möglich  und  ferner  kann  das 
Zarenreich  nur  durch  Ausdehnung  nach  Süden  einen  offenen,  nicht  binnen- 
ländischen und  stets  eisfreien  Hafen  erhalten.  An  der  persischen  Küste  kann 
ihm  ein  solcher  nicht  genügen,  einmal  ist  der  persische  Meerbusen  an  der 
Strafse  von  Orman  leicht  zu  sperren,  dann  aber,  und  dies  wird  bei  allen 
auftauchenden  russischen  Pachtungsgerüchten  nicht  genügend  berücksichtigt, 
fehlt  es  am  genannten  Golf  überhaupt  an  guten  Hafenplätzen.  Eigentliche 
Häfen  sind  weder  Buschir  noch  Bender  -Abbas  und  nur  Bigne  hat  einen 
kleinen,  ziemlich  geschützten  Ankerplatz.  Die  Reede  von  Buschir  erhält 
einen  geringen  Schutz  durch  vorgelagerte  Sandbänke  und  diejenige  von  Bender- 
Abbas  durch  die  Inseln  Kischam,  Hornug,  Larek.  Das  Meer  ist  aber  an 
den  Ufern  so  seicht,  dals  die  Schiffe  3 — 4  km  vom  Ufer  entfernt  ankern 
müssen.  Der  einzige  wirklich  gute  Hafen  ist  Muhammerah,  welches  nahe 
der  Mündung  des  Karunflusses  in  den  Schat  -  el - Arab  liegt.  Die  Strombreite 
des  Karun  gehört  zur  Hälfte  zur  Türkei,  zur  Hälfte  zu  l'ersien,  jedoch  hat 
letzteres  auf  seinem  Gebiet  zwei  Kanäle,  welche  den  Karunflufs  direkt  mit 
dem  Meer  verbinden  und  welche  nach  geringer  Regulierung  auch  für  grofse 
Schiffe  passierbar  sind.  Der  nächste  Hafen  also,  welcher  für  Rufslands 
Wünsche  in  Betracht  kommt,  ist  Karratschi.  Dieser  Ort  hat  in  den  letzten 
10  Jahren  einen  gewaltigen  Aufschwung  genommen  und  ist  jetzt  eine  be- 
deutende Handelsstadt  namentlich  für  die  Ausfuhr  von  Korn  und  Ölfrüchten. 

Im  Norden,  in  Mittelasien  ist  Rufsland  gegenwärtig  weit  genug  vor- 
gedrungen, ein  weiteres  Vorgehen  würde  die  Afghanen  zunächst  erbittern,  es 
würde  ferner  England  den  Vorwand  geben,  die  Grenzen  Indiens  bis  über 
Kabul  uud   Kandahar  vorzuschieben,  woran   Rufsland  Grofsbritannien  noch 


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6.78 


Kü  roh  hoff: 


nicht  hindern  kann,  denn  die  Basis  Turkestan  ist  noch  nicht  gcuügeud  ge- 
festigt; es  fohlt  ihr  auch  vor  allen  Dingen  der  eigentliche  Zusammenhang 
mit  dem  europäischen  Rußland,  und  diese  Verbindung  mufs  unbedingt  her- 
gestellt sein,  ehe  das  Zarenreich  gegen  Afghanistan  weitere  Schritte  zu  thun 
vermag.  Denn  die  Verhältnisse  in  jenen  Gegenden  liegen  jetzt  so,  dafs  jede 
aggressive  Mafsnahme  Rufslands  in  jenen  Gebieten  zum  Krieg  mit  Kugland 
führen  kann,  der  dem  Zarenreich  nicht  zu  leicht  gemacht  werden  wird,  denn 
England  kämpft  um  seine  Existenz.  Dafs  aber  Kufsland  den  Streit,  der  nach 
Ansicht  hervorragender  indischer  Staatsmänner  und  Generale  nur  eine  Frage 
der  Zeit  ist,  nicht  unvorbereitet  vom  Zaun  brechen  wird,  beweist  sein  bis- 
heriges Verhalten,  bei  welchem  es  gezeigt  hat,  dafs  es  niemals  das  Haltbare 
dem  Abenteuerlichen  opfert,  sondern  dafs  es  erst  Weiteres  unternimmt,  wenn 
Erobertes  in  gesicherten  Besitz  übergegangen  ist. 

Während  nun  die  Basis  Turkestan  weiter  ausgebaut  wird,  ist  die  russische 
Diplomatie  nicht  müfsig,  den  entscheidenden  Feldzug  auch  auf  anderen  Ge- 
bieten und  in  anderen  Gegenden  vorzubereiten.  Hierzu  gehört  die  Unter- 
werfung Persiens  und  der  Ausbau  auch  dieses  Landes  zur  weiteren  Operations- 
basis. Ist  dies  gelungen,  dann  ist  Indien  an  seinen  Nordwestgrenzen  um- 
klammert. Die  russischen  Truppenzusammenziehungen  werden  dazu  durch 
der  Kaukasus-Bahnen  erleichtert.  Dieser  kurze  Hinweis  zeigt  schon,  welch 
grofse  Bedeutung  der  russischen  Wünschen  entsprechende  Ausbau  des  persischen 
Eisenbahnnetzes  für  die  Regierung  in  Petersburg  hat;  denn  steht  Persien  voll- 
ständig unter  russischem  Einflufs  und  sind  die  Eisenbahnen  in  strategischer 
Beziehung  sachgemäfs  ausgebaut,  so  ist  eine  Operationsbasis  geschaffen,  von 
welcher  aus  die  russischen  Heere  unter  Vermeidung  der  schwer  zugänglichen 
afghanischen  Gebirgsteile  verhältnismäßig  bequem  gegen  Kandahar,  den 
voraussichtlichen  Entscheidungskampfplatz  zwischen  Kosak  und  Sepoy,  vor- 
marschieren können. 

Unter  diesen  Gesichtspunkten  sind  die  Bahnbauten  im  Kaukasus,  Trans - 
kaukasien  und  Persien  zu  betrachten,  überall  schnelle  Truppenzusammen- 
ziehung  gegen  Indien  einerseits,  gegen  die  Türkei  andererseits,  Unterwerfung 
Persiens  unter  russischen  Einflufs,  besonders  auch  der  Südprovinzen,  woselbst 
der  englische  Einflufs  noch  vorherrscht,  und  deshalb  Durchführung  der  Linien 
bis  an  den  Golf:  das  sind  die  leitenden  Gesichtspunkte  für  das  hinsichtlich 
des  Bahnbaues  in  Persien  ein  Monopol  besitzende  Kufsland. 

Verfolgt  man  kurz  die  Schritte,  die  Kufsland  gethan  hat,  um  allmählich 
den  entscheidenden  Einflufs  in  Persien  zu  erhalten,  so  kann  man  die  erste 
politische  Annäherung  des  persischen  Reiches  an  das  Zarenreich  im  Jahr  1884 
feststellen,  in  welchem  eine  aufserordentliche  Mission  unter  Führung  des 
Schwagers  des  Schah,  Yasir  Khan  Muschir  el  Dowlch  an  den  Hof  zu  St  Peters- 
burg gesandt  wurde.  Dafs  aber  Rufslaud  schon  vorher  im  Land  des  Schab 
nicht  ohne  EinHufs  war,  geht  aus  dem  Verhalten  der  persischen  Regierung 
gegen  den  vou  der  englischen  Regierung  begünstigten  Baron  Reuter  hervor. 
Dem  Genannten  waren  im  Jahr  1872  grofse  Konzessionen  zur  Anlage  von 
Eisenbahnen,  Ausbeutung  von  Minen,  Verbesserung  von  Landverbindungen 
aller  Art  u.  s.  w.  erteilt  worden.    Man  wird  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  die 


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Eisenbahnen  und  Eiaenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  679 

im  Jahre  1874  plötzlich  ohne  jede  Begründung  erfolgende  Zurücknahme  der 
gesamten  erteilten  Erlaubnis  auf  den  sich  allmählich  geltend  machenden 
russischen  Einflufs  schiebt,  nachdem  seit  den  für  Persien  ungünstigen  Kämpfen 
im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  das  Verhältnis  zwischen  dem  Schah  und  dem 
Hof  in  Petersburg  äufserst  gespannt  gewesen  war. 

Wesentlich  erhöht  wurde  der  Ruhm  der  Macht  des  Zaren,  als  Rufsland 
Anfang  der  achtziger  Jahre  die  Tekke-Turkmenen  nicht  nur  unterwarf,  sondern 
sie  auch  zu  gefügigen  Unterthanen  machte,  was  Persien  1860  und  1878 
zweimal  vergeblich  versucht  hatte.  Durch  die  Besitznahme  dieser  Länder 
wurde  Rufsland  im  Jahr  1881  Grenznachbar  Persiens,  und  nunmehr  konnte 
die  russische  Diplomatie  mit  noch  gröfserem  Eifer  an  der  Unterwerfung  Persiens 
unter  nissischen  Einflufs  arbeiten. 

Eine  Zeitlang  konnte  England  vermittelst  seiner  grofsen  Geldmittel  be.im 
Hof  des  Schah  eine  bevorzugte  Stellung  bewahren.  Während  aber,  wie  auch 
wiederholt  von  englischer  Seite  geklagt  worden  ist,  die  englischen  Staats- 
männer von  der  Hand  in  den  Mund  lebten,  nur  den  Bedürfnissen  und  Wünschen 
des  Parlaments  von  Augenblick  zu  Augenblick  folgend,  hat  Rufsland  seine 
wohlangelegte,  weitausschauende  Politik  mit  eiserner  Zähigkeit  verfolgt  und 
daher  gelang  es  dem  russischen  Einflufs,  über  den  englischen  den  Sieg  davon- 
zutragen. Russischen  Staatsangehörigen  wurde  im  Lauf  der  Jahre  eine  Reihe 
von  Monopolen  eingeräumt,  die  z.  B.  die  Provinz  Aserbeitschan  ganz  in  russische 
Hände  gaben.  In  der  ganzen  nördlichen  Hälfte  Persiens  ist  der  russiche  Ein- 
flufs schon  seit  langem  herrschend;  und  seitdem  das  Zarenreich  durch  den  Bau 
der  mittelasiatischen  Bahn  einen  bis  ins  Herz  Asiens  führenden  Schienenweg  in 
Betrieb  gebracht  hat,  hat  es  die  russische  Politik  verstanden,  mit  vieler  Aus- 
dauer und  vielem  Geschick  ihren  Einflufs  bis  ins  Herz  des  Reiches  zu  erweitern. 

Seit  der  Ende  der  achtziger  Jahre  erfolgten  Aufstellung  der  Kosaken- 
brigade durch  russische  Offiziere,  der  einzigen  Truppe,  welche  nach  europäischem 
Mafsstab  gemessen  werden  kann,  hat  Rufsland  die  Hauptstadt  in  Händen. 
Die  Bedeutung  dieser  Truppe  für  die  innere  Entwickelung  Persiens  wird  am 
besten  dadurch  gekennzeichnet,  dafs  durch  ihr  Auftreten  im  Jahr  1896  nach 
Ermordung  des  Schah  in  Teheran  allein  die  Ordnung  aufrecht  erhalten  wurde. 
Damals  bestand  die  Brigade  nur  aus  einer  500  Mann  starken  Kavallerie- 
abteilung und  einer  aus  vier  Geschützen  gebildeten  reitenden  Batterie.  Im 
Jahre  1899  wurde  die  Brigade  auf  das  dreifache  vermehrt,  ihr  gegenwärtiger 
Stand  beträgt  200  Offiziere  und  1500  Kosaken  —  Infanterie  und  Kavallerie 
—  mit  acht  Geschützen.  Die  Brigade  ist  in  vier  Regimenter  und  zwei  reitende 
Batterien  eingeteilt,  ist  vollkommen  selbständig  organisiert  und  wird  aus- 
schließlich von  russischen  Instruktoren  geleitet,  die  dem  russischen  Gesandten 
in  Teheran  unterstehen. 

In  der  letzten  Zeit  hat  Rufsland  noch  weitere  Schritte  zur  Vergröfserung 
seines  Einflusses  gethan.  In  mehreren  Städten  wurden  Filialen  der  russischen 
Reichsbank  errichtet.  Der  Unterricht  in  der  russischen  Sprache  wurde  in  den 
Schulen  eingeführt.  Ein  ehemaliger  russischer  Offizier  soll  für  die  Erteilung 
des  Unterrichts  an  den  persischen  Thronfolger  berufen  sein.  Ein  russischer 
Oberst  wurde  zum  Instrukteur  der  persischen  Kavallerie  ernannt. 


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680 


Kürchhoff: 


Als  eine  äufserst  einschneidende  Mafsregel,  besonders  für  die  Verdrängung 
des  englischen  Einflusses,  mufs  aber  der  Abschlufs  der  5°/0  Geldanleihe  im 
Betrage  von  22 xjt  Millionen  Kübel  bezeichnet  werden.  Da  der  Schah  als  Bürg- 
schaft die  Zölle  und  Steuern  aller  Provinzen  mit  Ausnahme  der  nach  England 
verpfändeten  Handelsplätze  und  Küstenbezirke  der  russischen  Regierung  zur 
Verfügung  stellt,  so  begiebt  er  sein  Land  in  volle  Abhängigkeit  von  Kufsland. 
War  doch  eine  der  Vorbedingungen  für  die  Gewährung  dieser  Anleihe,  deren 
Tilgung  innerhalb  eines  Zeitraumes  von  75  Jahren  stattfinden  soll,  dafs  alle 
früheren  Schuldverbindlichkeiten  zunächst  getilgt  werden  müfsten.  Somit  mufs 
die  Anleihe  von  1892  an  England  zurückgezahlt  werden,  wodurch  Persien 
die  freie  Verfügung  über  die  Provinz  Farsistan  und  die  Häfen  des  persischen 
Meerbusens  erhält,  wie  auch  Kufsland  von  nun  ab  an  Stelle  Englands  die 
Kolle  des  herrschenden  Bankiers  des  Schah  übernimmt.  Vorläufig  betrachtet 
England  allerdings  noch  Südpersien  als  seine  Domäne  und  erst  kürzlich  hat 
Lord  Curzon,  Vizekönig  von  Indien,  sich  dahin  ausgesprochen,  dafs  „es  sich 
jetzt  klarer  als  je  erweise,  dafs  das  südliche  Persien  mehr  in  die  englische 
Einflußsphäre  fallen  müsse,  dafs  man  in  dieser  Richtung  niemals  nachgeben 
könne.  Von  Mekran  bis  zum  Karuu  werde  man  keiner  europäischen  Macht 
gestatten,  sich  festzusetzen,  selbst  wenn  man,  um  dies  zu  verhindern,  zu 
den  äufsersten  Mafsregeln  greifen  müsse."  Immer  ist  die  englische  Politik 
besonders  bemüht  gewesen,  sich  am  Golf  festzusetzen.  In  allen  einigermafsen 
wichtigen  Kostenpunkten  befinden  sich  englische  Konsulate  und  Agenten, 
zu  deren  Unterstützung  stets  vier  bis  fünf  Kanonenboote  zur  Stelle  sind.  Die 
Mariuestation  und  das  Kohlendepot  für  diese  Schiffe  bildet  der  Hafenplatz 
Bassidu  auf  der  in  englischen  Händen  befindlichen  Insel  Kischu,  welche  so- 
wohl den  Hafen  von  Bender-Abbas  als  auch  die  Durchfahrt  durch  die  Strafse 
von  Ormus  sperrt.  Ferner  besitzen  die  Engländer  innerhalb  des  Meerbusens 
die  durch  ihre  Perlen  äufserst  wertvollen  Bahrein-Inseln  an  der  arabischen 
Küste  mit  türkischem  Gebiet  als  Hinterland,  in  welchem  sich  die  Engländer 
ohne  Scheu  als  Schutzherren  aufspielen.  Wie  sorgsam  England  bemüht  ist, 
jeden  Fremdeneinflufs  fem  zu  halten,  hat  Frankreich  erst  vor  kurzem 
in  Maskat  erfahren  müssen,  aber  es  trägt  sich,  wie  lange  Grofsbritannien 
seine  Macht  in  jenen  Gegenden  noch  aufrecht  erhalten  kann,  wenn  mit  den 
russischen  Eisenbahuarbeiten  erst  die  bewachenden  Kosaken  ins  Land  kommen. 
Schon  jetzt  beginnt  Kufsland  seine  Fühler  nach  dem  persischen  Meerbusen 
auszustrecken,  wie  die  Einrichtung  einer  regelmäfsigen  Dampferverbindung 
Odessa—  Buschir  zeigt. 

Aber  alle  die  angegebenen  russischen  Mafsnahmen  können  nicht  durch- 
schlagend zum  Ziele  führen.  Das  Zarenreich  hat  deutlich  erkannt,  dafs 
der  ein  Land  am  ersten  beherrscht,  der  die  grofsen  Verkehrsmittel,  die 
Eisenbahnen,  in  Händen  hat,  und  um  dies  zu  erreichen,  wurde  schon  am 
10.  November  18U0  zwischen  Kufslaud  und  Persien  eine  Übereinkunft  auf 
die  Dauer  von  10  Jahren  geschlossen,  welche  dahin  geht,  dafs  1.  Persien  im 
eigenen  Land  auf  die  Dauer  des  Vertrages  nicht  selbst  Eisenbahnen  bauen 
darf,  und  dafs  2.  die  persische  Regierung  fremden  Gesellschaften  oder  Privat- 
leuten keiue  Konzession  für  den  Bau  von  Eisenbahnen  bewilligen  darf,  aus- 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  et<\  681 

genommen  sind  Pferdebahnen  in  den  Städten.  Rufsland  hat  bisher  —  wie 
man  wohl  mit  Recht  hätte  annehmen  können  —  trotz  dieses  Vertrages  in 
keiner  Weise  die  Entwickelung  der  Eisenbahnen  in  Persien  gefördert.  Diese 
etwas  wunderbare  Thatsache  mag  vor  allem  darin  ihren  Grund  haben,  dafs 
in  den  neunziger  Jahren  alles  verfügbare  Geld  hauptsächlich  zum  Bau  der 
sibirischen  Bahn  verwandt  wurde.  Dieser  Schienenweg  ist  jetzt  jedoch  so 
gut  wie  fertig  gestellt  und  eine  Beschleunigung  im  persischen  Eisenbahnbau 
dürfte  nunmehr  umsomehr  eintreten,  als  Deutschland  nach  Erhalt  der  Kon- 
zession für  den  Bau  der  Bagdad-Bahn  als  ein  gefährlicher  Handelskonkurrent 
anzusehen  ist.  Dafs  Rufsland  von  seinen  früheren  Plänen  noch  nicht  Ab- 
stand genommen  hat,  geht  wohl  am  deutlichsten  daraus  hervor,  dafs  im 
Jahr  1898,  also  noch  vor  Ablauf  der  Vertragsfrist,  diese  Konzession  bis  zum 
Jahr  1909  verlängert  wurde. 

Die  Hauptbedeutung  dieses  durch  den  erwähnten  Vertrag  entstehenden 
russischen  Monopols  liegt  kommerziell  und  strategisch  darin,  dafs  alle  Bahnen 
russische  Spurweite  erhalten,  und  dafs  hierdurch  ein  direkter  Verkehr  sowohl 
von  Kleinasien  als  auch  von  Beludschistan  nach  dem  persischen  Reich  un- 
möglich ist. 

Von  russischen  Bahnbauten  in  Persien  war  1886  zum  erstenmal  die 
Rede,  als  es  sich  um  den  bald  wieder  aufgegebenen  Plan  des  Baues  einer 
Eisenbahn  zwischen  Tiflis  und  Teheran  und  zwischen  letzterem  Ort  und  Rescht 
handelte.  Um  dieselbe  Zeit  wurde  davon  gesprochen,  dafs  für  eine  Eisenbahn 
von  Teheran  nach  dem  persischen  Meerbusen  ein  amerikanischer  Unternehmer 
gewonnen  sei. 

Aber  alle  diese  Pläne  zerschlugen  sich  und  heute  befindet  sich  Persien 
hinsichtlich  des  Eisenbahnbaues  in  der  gleichen  Lethargie  wie  in  allen  übrigen 
Dingen,  trotzdem  es,  zwischen  Europa  und  Ostasien  gelegen,  von  allen  diese 
beiden  verbindenden  Wegen,  die  schon  seit  dem  grauesten  Altertum  benutzt 
wurden,  durchschnitten  wird. 

Als  die  Schiffahrt  infolge  der  technischen  Fortschritte  immer  mehr  Auf- 
nahme fand,  als  endlich  besonders  auch  für  diese  bequeme  Verbindungen 
geschaffen  wurden,  vor  Allem  auch,  als  durch  den  Suezkanal  ein  bequemer 
Wasserweg  nach  dem  Osten  hergestellt  wurde,  verfielen  die  alten  Heerwege. 
Natürliche  Wasserstrafsen  mit  Ausnahme  des  Kanin  waren  nicht  vorhanden, 
und  infolge  des  abgeleiteten  Verkehrs  lohnte  es  sich  nicht  Eisenbahnen  zu 
bauen. 

Von  den  alten  Heerwegen  sind  eigentlich  nur  zwei  in  Betrieb  und  zwar: 

1.  Täbris  —  Kaswin  —  Teheran — Herat  mit  Fortsetzung  in  Afghanistan 
bis  Kabul. 

2.  Schuschter — Ispahan  —  Jezd — Farrah  mit  Fortsetzung  in  Afghanistan 
nach  Kandahar. 

Erstere  gelangt  über  den  Chaibarpafs,  letztere  über  den  Bolanpafs  ins 
Industhal. 

Diese  beiden  in  ostwestlicher  Richtung  verlaufenden  Verkehrsstrafsen  sind 
auf  persischem  Gebiet  noch  durch  einen  nordsüdlichen  Weg  verbunden,  der 
von  Rescht  über  Kaswin — Teheran — Ispahan  und  Schiras  nach  Buschir  führt. 

Geographische  Zeitschrift.  7.  Jahrgang.  1U01.  12.  Heft.  40 


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682 


Kflrchhoff: 


Schuschter  ist  aufserdem  durch  einen  alten  Handelsweg  mit  Muhammerah, 
dem  Stapelplatz  an  der  Stromvereinigung  von  Scha-et- Aarab  und  Karun, 
verbunden.  Diese  angeführten  Hauptverkehrswege  sind  jedoch  keine  Chausseen 
in  unserem  8inn,  sondern  einfache  Landwege.  Der  Bau  von  ersteren,  und 
zwar  kurzen,  hat  sich  erst  im  Lauf  der  letzten  Jahrzehnte  unter  dem  Einflufs 
von  Ansiändern  allmählich  entwickelt. 

Die  kaiserlich  persische  Bank  sollte  1891  folgende  Kunststrafsen  anlegen: 

1.  Teheran— Kaswin,  2.  Kaswin— Tabris,  3.  Täbris— Dschulfa,  4.  Täbris— 
türkische  Grenze,  5«  Tabris — Hamadan,  6.  Hamadan — Buschir. 

Jedoch  wurden  diese  Bauten  nicht  alle  ausgeführ  ;  und  neuerdings  wurde 
die  Chaussee  nach  Dschulfa  wiederum  einer  Gruppe  persischer  Kaufleute 
konzessioniert. 

Einige  weitere  Chausseen  wurden  von  Privatleuten  erbaut. 

Im  Jahr  1893  erhielt  die  russische  Regierung  die  Konzession  zum  Bau 
einer  Chaussee  Reseht — Kaswin,  welche  sich  an  die  schon  bestehende  Kunststrafse 
Teheran — Kaswin  anschlofs.  Die  Genehmigung  zu  ersterer  wurde  von  Rufs- 
land der  persischen  Regierung  auf  diplomatischem  Wege  abgerungen,  um  das 
mauerartige  Elburs-Gebirge  zu  überwinden,  in  dem  Bestreben  hierdurch  der 
russischen  Industrie  die  Pfade  in  Persien  zu  ebnen.  Der  Bau  dieser  Strafse, 
welche  eine  leichte  Verbindung  zwischen  Teheran  und  dem  Kaspischen  Meere 
ermöglicht,  hatte  grofse  technische  Schwierigkeiten  zu  überwinden.  Trotzdem 
diese  Verbindung  noch  nicht  in  allen  ihren  Teilen,  besonders  hinsichtlich  der 
Brücken  fertig  war,  wurde  sie  doch,  wahrscheinlich  aus  politischen  Rück- 
sichten, im  Jahr  1899  feierlich  eröffnet  So  waren  um  diese  Zeit  dem  Verkehr 
übergeben: 

Die  Chausseen  Teheran  —  Kaswin ,  153  km,  Kaswin— Rescht  150  km, 
Teheran — Kum,  155  km  und  Mesched — Askabad,  240  km;  von  letzterer,  die 
deshalb  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  weil  sie  in  letztgenanntem  Ort  die 
mittelasiatische  Bahn  erreicht,  befinden  sich  48  km  auf  russischem  Gebiet. 
Der  Bau  einer  Chaussee  Teheran — Ispahan  war  1899  im  Gang. 

Im  November  1895  hatte  ein  deutscher  Unterthan  für  75  Jahre  die 
Konzession  zum  Bau  einer  Chaussee  von  Teheran  nach  Bagdad  und  zur  Ein- 
richtung des  Transportdienstes  auf  ihr  erhalten,  femer  für  90  Jahre  die 
zum  Bau  einer  Dampfbahn  oder  elektrischen  Strafsenbahn  in  der  Aus- 
dehnung von  10  Meilen  von  Teheran  nach  den  nördlich  der  Stadt  gelegenen 
Dörfern.  Leider  kamen  diese  Pläne  bisher  nicht  zur  Ausführung,  wie  auch 
die  kaiserlich  persische  Bank  die  von  ihr  erlangte  Konzession  zur  Verlängerung 
der  Chaussee  Teheran — Kum  aus  finanziellen  Gründen  nicht  ausnützte.  Da- 
gegen wurde  von  einer  englischen  Firma  eine  Strafse  angelegt,  die  von  Ahias 
über  Schuschter  nach  Ispahan  führt  und  an  den  schiffbaren  Karun  an- 
schliefsend  eine  leichtere  und  billigere  Einfuhr  von  Waren  in  das  Innere  des 
persischen  Reiches  gestattet.  Vorläufig  handelt  es  sich  allerdings  auch  hier 
nicht  um  eine  Chaussee  in  unserem  Sinn,  sondern  nur  um  einen  verbesserten 
Fahrweg,  es  besteht  aber  die  Absicht,  die  Strafse  auszubauen. 

Es  ist  anzunehmen,  dafs  durch  diese  Verbindung  die  Strafse  nach  Buschir 
wesentlich  an  Bedeutung  verlieren  wird,  denn  durch  sie  wird  der  Weg  zu 


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Eiuenbahnon  und  Einenbahnplüne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  683 

Lande,  der  bisher  von  Ispahan  nach  Buschir  740  km  lang  war,  auf  440  km 
vermindert,  da  von  Schuschter  an  auf  dem  Karun  Schiffsverkehr  stattfindet. 

Bei  der  Bedeutung  des  letztgenannten  Flusses  für  Persien  scheint  eB 
angebracht,  kurz  etwas  genauer  auf  ihn  einzugehen.  Ein  Blick  auf  die 
Karte  genügt,  um  die  geographische  Lage  des  Karungebietes  als  für  die 
Entwicklung  des  Landes  vorzüglich  erkennen  zu  lassen,  denn  Persien  ist 
in  der  glücklichen  Lage,  diese  Wasserverbindung  politisch  und  kommerziell 
von  fremden  Einflüssen  unbeschadet  ausnützen  zu  können.  Die  Beschiffung 
des  Karun,  bis  1888  nur  den  Engländern  gestattet,  ist  seit  dieser  Zeit  bis 
nach  Ah  was  allen  Nationen  frei  gegeben.  Für  Deutschland  würde  die  Karun - 
Verkehrsader  mit  dem  Tage  ein  besonderes  Interesse  gewinnen,  an  welchem 
die  Bagdad-Bahn  bis  an  den  persischen  Golf  geführt  oder  eine  direkte  deutsche 
Schiffsverbindung  dahin  ins  Leben  gerufen  wird.  Vorläufig  gehen  die  nach 
Persien  bestimmten  Waren  meist  über  Bombay  und  Buschir,  was  eine 
wesentliche  Verteuerung  zur  Folge  hat.  Der  Schlüssel  zu  diesem  Gebiet  ist 
Muhammerah. 

Die  ersten  Eisenbahnbaupläne  tauchten  in  Persicn  Anfangs  der  achtziger 
Jahre  auf,  als  sich  die  persische  Regierung  1883  zum  Bau  einer  Eisenbahn 
von  Teheran  nach  Rescht  am  Kaspischen  Meer  entschlofs.  Im  Anschlufs  an 
diese  Linie  sollte  Rescht  einerseits  über  Baku  mit  der  kaukasischen  Bahn, 
andererseits  mit  Askabad  und  auf  diese  Weise  mit  der  mittelasiatischen  Strecke 
verbunden  werden.  Endlich  war  die  Fortführung  von  Teheran  nach  dem 
persischen  Meerbusen  beabsichtigt. 

Diese  Pläne  kamen  nicht  zur  Ausführung,  Rufsland  schlofs  den  oben- 
erwähnten Eisenbahnvertrag,  ohne  dafs,  wie  schon  gesagt,  auf  diesen  etwas 
erfolgt  wäre.  Bis  jetzt  sind  in  Persien  im  ganzen  54  km  Eisenbahnen, 
einschließlich  der  Strafsenbahnen,  in  Betrieb.  Die  erste  Bahnverbindung, 
welcho  8,7  km  lang  ist,  wurde  von  Franzosen  im  Jahr  1888  von  Teheran 
nach  dem  sehr  viel  besuchten  Wallfahrtsort  Schah  -  Abdul  -  Ajim  in  Betrieb 
gesetzt.  Die  Bahn  wird  jetzt  von  einer  belgischen  Gesellschaft  betrieben.  In 
dem  gleichen  Jahr  wurde  von  einem  persischen  Industriellen,  dem  früheren 
Pächter  der  Münze  in  Teheran,  der  Bau  einer  Eisenbahn  von  Rescht  nach 
Muhammedabad  am  Kaspischen  Meer  und  nach  Amal  oder  Amul  begonnen. 
Die  Gesamtlänge  der  Strecke  sollte  32  km  betragen,  jedoch  wurden  nur  20  km 
fertig  gestellt,  und  auch  diese  waren  nur  wenige  Jahre  in  Betrieb,  dann  wurde 
er  eingestellt,  und  die  Bahnanlagen  verfallen  jetzt. 

Im  Jahr  1898  endlich  trat  die  persische  Eisenbahnfrage  dadurch  in  ein 
entscheidendes  Stadium,  dafs  zwischen  dem  Schah  von  Persien  uud  dem 
Kaiser  von  Rufsland  ein  Vertrag  abgeschlossen  wurde,  demzufolge  das 
Kaspische  Meer  von  einem  geeigneten  Hafen  aus  mit  einem  ebensolchen  des 
persischen  Meerbusens  durch  eine  Eisenbahn  verbunden  werden  sollte.  Aller- 
dings stellte  1899  die  persische  Regierung  gänzlich  in  Abrede,  dafs  irgend 
welche  Eisenbahnkonzessionen  überhaupt  erteilt  seien;  aber  dieses  Dementi 
darf  nicht  allzu  ernst  genommen  werden,  denn  einmal  steht  es  fest,  dafs 
vorbereitende  Arbeiten  für  Eisenbahnen  vorgenommen  worden  sind,  und  zweitens 
ist  wohl  mit  Recht  anzunehmen,  dafs  Persien  die  betreffenden  in  russischen 

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6S4 


Kürchhoff: 


Blättern  ausführlich  besprocheneu  Konzessionen  —  sollte  es  sie  thatsächlich  noch 
nicht  erteilt  haben  —  doch  in  nicht  allzuferner  Zeit  erteilen  wird,  und  zwar 
auf  Grund  des  erwähnten  Vertrages  an  Hufsland. 

Es  handelt  sich  zunächst  um  eine  Eisenbahn,  die  längs  der  türkischen 
Grenze  den  persischen  Golf  erreichen  soll.  Die  Bahn  würde  die  Verlängerung 
der  von  der  Eisenbahn  Tiflis— Kars  in  Alexandropol  abgehenden,  nach  Eriwan 
im  Thal  der  Arras  führenden  Linie  bilden.  Um  vorbereitende  Studien  für 
den  Bau  dieser,  wie  russische  Blätter  behaupten,  vom  Schah  schon  genehmigten 
Bahn  zu  machen,  hat  sich  1K99  eine  aus  sieben  Generalstabsoffizieren  und 
Ingenieuren  bestehende  russische  Kommission  zur  Erkundung  einer  geeigneten 
Trace  längs  der  persisch  -  türkischen  Grenze  nach  dem  persischen  Golf 
begeben. 

Anfangs  durch  sehr  fruchtbares  und  dicht  bevölkertes  Land  führend, 
mufs  sich  die  Bahn  durch  eine  GO  km  lange  Strecke  himlurchwinden,  wo 
sich  in  bergigen  Gebieten  weder  menschliches  Leben  noch  Wasser  findet.  Es 
folgt  dann  wieder  fruchtbares  Land  bis  zur  Grenze.  Die  erste  Station  auf 
persischem  Boden  ist  Dschulfa.  Der  Bau  hat  bis  zu  letztgenanntem  Ort 
bedeutende  Schwierigkeiten  zu  überwinden  und  sind  die  Gesamtkosten  aut 
18  Millionen  Rubel  veranschlagt.  Besonders  hohe  Einnahmen  stehen,  soweit 
es  sich  nach  den  heutigen  Verhältnissen  beurteilen  läfst,  auf  russischem  Gebiet 
nicht  zu  erwarten.  Deshalb  ist  es  uicht  klar,  weshalb  man  sich  für  diese 
Trace  entschieden  hat,  obgleich  noch  eine  andere  Linie  vorgeschlagen  war. 
Diese  letztere  sollte  von  der  transkaukasischen  Bahn  in  Evleh  hei  Baku  ab- 
gehen und  in  der  Richtung  auf  Ardabad  verlaufen.  Sie  wurde  besonders  von 
Unternehmern  unterstützt,  welche  die  Konzession  zur  Ausbeutung  der  Minen 
von  Karadag,  die  sehr  reich  an  Zink,  Silber,  Eisen  und  Kupferstein  sein 
sollen,  haben  und  bei  denen  zunächst  die  gute  Ausbeutung  durch  das  Fehlen 
von  Verbindungslinien  beschränkt  wird.  Diesem  freistand  hilft  die  gewählte 
Strecke  nicht  ab,  da  sie  nicht  in  der  Nähe  der  Minen  vorüberführt. 

Über  die  genaue  Trace  der  Fortsetzung  dieser  Bahn  auf  persischem 
Gebiet  ist  zunächst  noch  nichts  bekannt.  Die  Linie  ist  strategisch  sowohl 
der  Türkei  wie  Persien  gegenüber  von  grüfster  Bedeutung,  ob  sie  aber  für 
den  Handel  von  grofsem  Nutzen  sein  wird,  ist  schwer  zu  sagen.  Die  per- 
sischen Provinzen  Adherbeidschan  und  Kurdcstan  stehen  hauptsächlich  mit  den 
Städten  an  der  Wolga  und  mit  Moskau,  also  über  das  Kaspische  Meer  und 
die  Wolga  aufwärts,  in  Handelsverbindung;  nur  Kiew  mit  seinen  Zucker- 
lieferungen repräsentiert  in  Westpersien  den  Westen  des  europäischen  Rufslands. 

Von  Dschulfa  aus  ist  die  Herstellung  eines  Zweiges  nach  Täbris  beab- 
sichtigt, der  über  Sengan  —  Kaswin  —  Teheran  —  Schahrud  —  Mesched  nach 
Herat  führen  soll.  Auch  diese  Linie  soll,  soweit  sie  auf  persischem  Gebiet 
liegt,  also  bis  kurz  vor  Herat,  schon  Anfang  1899  vermessen  sein. 

Ferner  wird  eine  grofse,  ganz  Persien  durchschneidende  Bahn  geplant, 
die  von  Dschulfa  ausgehend  über  Täbris,  Hamadan,  Ispahan,  Kerman  nach 
Bender  -Abbas  führen  und  von  Hamadan  einen  Zweig  nach  Teheran  aussenden 
soll.  Einige  russische  Zeitungen  behaupten  sogar,  dafs  diese  Bahn  schon  1 903 
fertig  gestellt,  sein    wird.    Mag  dies   auch  wahrscheinlich  übertrieben  sein, 


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Eisenbahnen  und  Ei*enhahnpläne  in  Kloin-  und  Mittel-Asien  etc.  685 

so  ist  wohl  sieher,  dafs  diese  Linie  als  eine  der  ersten  in  Bau  genommen 
wird,  denn  im  Besitz  einer  von  Transkaukasien  bis  zur  Ormusstrafse  fuhren- 
den Bahn  dürfte  Rufsland  von  der  beschränkten  und  zeitraubenden  Fahrt 
durch  den  Bosporus  und  den  Suezkanal  völlig  unabhängig  sein  und  einen 
beträchtlich  näheren  und  sichereren  Weg  zum  Indischen  Ozean  haben,  als  die 
Engländer  vom  Mittelmecr  her.  Die  genannte  Linie  würde  von  Ispahan  einen 
Zweig  nach  Buschir  entsenden;  auch  diese  Strecke  soll,  Zeitungsnachrichten 
zufolge,  schon  im  Dezember  1899  vermessen  sein. 

Man  spricht  ferner  noch  von  der  Verlängerung  der  transkaukasischen 
Bahn  von  Baku  aus  längs  der  Küste  des  Kaspischen  Meeres  über  Astara 
nach  Enseli  —  Kescht  und  später  weiter  nach  Teheran,  hier  an  Stelle  der 
jetzt  im  Verkehr  befindlichen  Chaussee  tretend.  Dieser  Teil  der  Bahn  würde 
gerade  deshalb  von  besonderer  Bedeutung  sein,  als  sich  zwischen  das  Kas- 
pische  Meer  und  Teheran  wie  eine  Mauer  das  Elbursgebirge  legt,  dessen 
schwer  gangbare  Pässe  jetzt  den  Handel  zwischen  der  persischen  Hauptstadt 
und  dem  Kaspi  vermitteln.  Es  wäre  natürlich  bei  Ausführung  aller  Projekte 
leicht  die  Möglichkeit  geboten,  diese  Bahn  in  Kiswan  oder  Sengan  an  die 
von  Täbris  her  geplante  Linie  anschliefsen  zu  lassen. 

Selbstverständlich  wird  Rufsland  auch  versuchen,  von  der  mittelasiatischen 
Bahn  her  Anschlufs  an  Persien  durch  Eisenbahnen  zu  erlangen.  Von  der 
Station  Duschak  oder  Askabad  (wahrscheinlich  von  dieser)  soll  eine  Linie  über 
Mesched  nach  Bender- Abbas  geführt  werden  mit  einer  Abzweigung  nach  der 
Landschaft  Seistan  und  zwar  nach  Nasirabad.  Die  Ausführung  dieser  eben- 
falls keine  grofsen  Schwierigkeiten  bereitenden  Linie  würde  wesentlich  durch 
die  fertige  Kunststrafse  Aschabad — Mesched  unterstützt  werden.  Auch  diese 
Strecke  soll  schon  durch  russische  Ingenieure  erkundet  sein. 

Die  Ausführung  selbst  nur  eines  Teiles  der  bezeichneten  Bahnbauten 
wird  viele  Landstriche,  die  heute  ein  Bild  des  Rückschrittes  jeglicher  Kultur 
bieten,  zu  neuem  Leben  erwecken,  denn  die  Auffassung,  Persien  sei  ein  armes 
Land,  ist  nur  in  dem  Sinn  richtig,  dafs  das  vorhandene  Vermögen  weder 
zum  eigenen  Vorteil  noch  zu  gemeinnützigen  Unternehmungen  Verwendung 
findet. 

Ich  habe  schon  weiter  oben  darauf  hingewiesen,  dafs  England  von  Indien 
aus  seine  Augen  ebenfalls  auf  Persien  und  besonders  auf  Südpersien  gerichtet 
hält.  Auch  Grofsbritannien  will  vermittelst  der  Eisenbahnen  näheren  An- 
schlufs an  diese  Gebiete  gewinnen  und  sie  so  möglichst  seinem  Eintlufs 
dienstbar  machen.  Es  sind  schon  eine  ganze  Reihe  von  Plänen  verlautet, 
nach  welchen  Indien  seine  Bahnen  nach  Persien  weiterführen  will. 

Zunächst  soll  in  Beludschistan  eine  Eisenbahnlinie  von  Quetta  nach 
Nuschki  erbaut  werden.  Der  Handel  und  die  Bedürfnisse  von  dem  genannten 
Gebiet  und  von  Seistan  sprechen  für  eine  möglichst  baldige  Verlängerung 
dieser  Strecke  bis  zu  der  fruchtbaren  Oase  Seistan.  Dieser  Bau  kann  ohne 
Gefahr  für  den  Eintiufs  Englands  nicht  mehr  lange  aufgeschoben  werden. 
Seit  1896  hat  Grofsbritannien  die  Nuschkiroute  eröffnen  wollen.  Sie  soll 
von  Quetta  über  Nuschki,  Chalamur,  Kuki,  Melik,  Siga,  Naharabad  oder 
Nasirabad   in  Seistan,  Birgend,  Hann,  Turben  und  Haidari  nach  Mesched 


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Kflrchhoff: 


führen.  An  dem  Punkt,  an  welchem  die  Bahn  nach  Norden  abschwenkt, 
soll  eine  Linie  nach  Buschir  abgezweigt  werden,  um  einen  Teil  der  oben- 
erwähnten asiatisch -afrikanischen  Bahn  zu  bilden. 

Eine  zweite  mögliche  indisch -persische  Route  liegt  südlich  und  führt 
das  Meschthal  entlang  mit  Zweigen  in  die  fruchtbaren  Distrikte  Pampgur 
und  Kolwa  und  dann  über  Baila  nach  Karratschi. 

Die  dritte  Linie  folgt  zuerst  der  gleichen  Trace  wie  die  zweite,  geht 
aber  dann  weiter  südwärts  in  das  Thal  Key,  folgt  diesem  und  läuft  parallel 
der  Küste  über  Baila  nach  Karratschi. 

Die  südlichen  Routen  sind  nach  Norden  durch  die  Kirmamwüste  geschützt. 
Nuschki  ist  eine  trockene  Wüste,  während  Key  und  Pempgur  verhältnismäßig 
fruchtbare  und  gut  bewässerte  Distrikte  sind.  Von  Seiten  Indiens  hat  Sir 
Robert  Sandemann  und  Lord  Curzon,  der  jetzige  Vizekönig,  eine  Linie  von 
Karratschi  nach  Kirmam  und  eine  zweite  von  Quetta  nach  Seistan  empfohlen. 

Wenn  auch  all  die  geplanten  8chienenstrafsen  von  grofsem  handels- 
politischem und  strategischem  Wert  sind,  so  werden  doch  noch  manche  Jahre 
dahin  gehen,  bis  diese  oder  ähnliche  Projekte  ausgeführt  sind.  Denn  die 
Schwierigkeiten,  die  in  Persien  dem  Bahnbau  von  allen  Seiten  entgegen- 
gebracht werden,  dürfen  nicht  unterschätzt  werden. 

Wie  im  Osten  des  asiatischen  Kontinents  strebt  Rufsland  auch  in 
Mittelasien  unausgesetzt  nach  Erschliefsung  des  Landes  durch  Eisenbahnen, 
obgleich  der  Losung  dieser  Aufgabe  hier  geradezu  unüberwindliche  Schwierig- 
keiten entgegenzustehen  scheinen.  Aber  fast  nirgends  haben  die  Eisenbahnen 
vielleicht  eine  so  hohe  Bedeutung  als  gerade  in  Mittelasien:  die  günstigen 
Bodenverhältnisse,  die  Fruchtbarkeit  des  Landes  und  der  Mineralreichtura, 
sowie  die  vorhandenen  Kohlenbecken  sichern  dem  Lande  reiche  Einnahme- 
quellen, die  aber  erst  zur  Ausnutzung  kommen  können,  wenn  eine  gute  und 
schnelle  Verbindung  mit  dem  Westen  vorhanden  ist.  Ebenso  wie  Sibirien 
war  auch  Mittelasien  bis  Mitte  der  achtziger  Jahre  nur  auf  schwierigen  Land- 
und  Wasserstrafsen  zu  erreichen.  Daher  standen  diese  Gebiete  auch  nur 
in  losem  Zusammenhang  mit  dem  Mutterland,  üm  dorthin  die  Kultur  zu 
bringen,  die  Verkehrs-  und  Handelsbeziehungen  zu  entwickeln,  aber  auch 
um  die  Machtstellung  Rufslands  dort  zu  sichern,  waren  Eisenbahnen  nötig. 

Als  vor  20  Jahren,  gleich  nach  der  Eroberung  des  Landes,  mit  dem  Bau 
der  grofsen  transkaspischen,  jetzt  mittelasiatischen  Bahn  begonnen  wurde, 
erklärte  man  allgemein  das  Unternehmen  für  tollkühn,  für  unausführbar.  Es 
mufs  deshalb  dem  Zarenreich  zur  allgröfsten  Freude  gereichen,  dafs  die  er- 
zielten Ergebnisse  derartig  günstig  waren,  dafs  die  Länge  der  jetzt  in  Be- 
trieb befindlichen  Linien  bis  auf  2500  km  erweitert  werden  konnte.  Es 
sind  diese  Linien: 

a.  Die  Hauptlinie  Krasno wodsk  — Aschabad — Merw  —  Buchara 

Samarkand  —  Taschkent  beendet  1898  1600  km, 

ß.  Chewak  — Kokan — Andischan     ....        „       1898    320  „ 

y.  Kokan — Margalan   „       1893      10  „ 

8.  Merw— Kuschk  beendet  Anfang  1899    352  „ 

c.  Nowa- Buchara — Buchara,  Residenz  des  Emirs,  beendet  1901        3  „ 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnplane  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  (587 

Die  Hauptlinie  war  ursprünglich  eine  reine  Militärbahn,  deren  Bau  über- 
haupt und  deren  Trace  durch  die  Expedition  der  Russen  gegen  die  Turkmenen 
bestimmt  wurde;  in  diesem  Feldzug  leistete  die  Bahn  sowohl  für  den 
Vormarsch,  wie  für  die  rückwärtigen  Verbindungen  vorzügliche  Dienste.  Die 
Kopfstation  dieser  Linie  lag  bei  Beginn  des  Betriebes  an  der  äulsersten  Spitze 
der  Michaelbucht  südlich  von  Krasnowodsk  im  Fort  Michailowsk.  Es  stellte 
sich  jedoch  bald  heraus,  dafs  infolge  der  geringen  Wassertiefe  dieses  Meeres- 
einschnitts die  genannte  Station  für  die  weitere  Entwicklung  des  Verkehrs  nicht 
genügte.  Es  mufste  ein  neuer  Hafen,  welcher  den  grofsen  Dampfern  des 
Kaspischen  Sees  ermöglichte  ihre  Waren  unmittelbar  der  Eisenbahn  zu  über- 
geben, als  Anfang  der  Linie  gewählt  werden  und  wurde  deshalb  1896  der 
Hafen  Usu-Ada  eröffnet,  jedoch  am  Ende  desselben  Jahres  die  Kopfstation 
der  Bahn  nach  Krasnowodsk  verlegt. 

Der  Verlauf  der  Linie  ist  aus  jeder  Karte  ersichtlich.  Der  Übergang 
über  den  Amn  geschieht  auf  einer  eisernen  Brücke,  die  kürzlich  an  Stelle 
der  bisher  benutzten  Holzbrücke  getreten  ist. 

Besonders  wichtig  sind  von  den  berührten  Orten: 

Taschkent,  eine  Stadt  von  156  000  E.,  von  den  reichsten  und  gesündesten 
Gebieten  Turkestans  umgeben,  am  rechten  Thalrand  des  Syr-Darja  ge- 
legen, bildet  den  wichtigsten  Stapelplatz  des  russischen  Warenverkehrs  nach 
Afghanistan  und  Indien. 

Samarkand  liegt  in  einer  gut  bewässerten  fruchtbaren  Ebene  am  Flusse 
Saratschan  und  bildet  den  Knotenpunkt  sehr  belebter  Karawanenstrafsen. 

Die  Eisenbahn  ist  von  hohem  wirtschaftlichem,  politischem  und  strate- 
gischem Wert.  Besonders  in  ersterer  Hinsicht  hat  die  russische  Regierung 
auf  dieser  Linie  aufserordentliche  Erfolge  erzielt,  denn  das  durchquerte  Land 
welches  früher  an  vielen  Stellen  vollständig  wüst  lag,  beginnt  sich  zu  ent- 
falten.  Als  Beispiel  kann  schon  die  Thatsache  dienen,  dafs  Rufsland  jetzt 
für  150  Mill.  Rubel  Baumwolle  aus  Asien  zieht,  während  früher  der  Wert, 
der  jährlich  gewonnenen  Menge  2 — 3  Mill.  Rubel  nicht  überschritt.  Diese  Er- 
folge werden  sich  nach  Herstellung  von  besonders  südwärts  gerichteten  Linien 
noch  erheblich  steigern;  und  wenn  mit  dem  Ausbau  des  Eisenbahnnetzes 
Hand  in  Hand  eine  umfassendere  und  rationellere  Wasserwirtschaft,  vor  Allem 
Berieselung  in  den  Dienst  von  Ackerbau  und  Viehzucht  tritt,  so  wird  die 
Eisenbahn  nicht  nur  die  gesamte  Erwerbsthätigkeit  des  Syr-Darja-  und 
Saratschan- Gebietes  mächtig  anregen,  sondern  auch  die  Einwanderung  von 
anderen  russischen  Gebieten  her  verstärken. 

Strategisch  ist  es  einmal  überhaupt  nur  mit  Hilfe  dieser  Bahnstrecken 
möglich,  die  stets  zu  Aufruhr  geneigten  Stämme  niederzuhalten,  dann  aber 
begleitet  zweitens  die  Linie  als  günstige  Operationsbasis  die  nördlicho 
Grenze  von  Persien  und  Afghanistan  in  näherem  oder  weiterem  Abstand, 
aber  immer  nahe  genug,  um  von  ihr  nach  Verlauf  eines  Tages  die  Grenze 
überschreiten  zu  können.  Mit  der  Vervollständigung  des  mittelasiatischen 
Eisenbahnnetzes  wird  das  Vorgehen  gegen  Persien  und  Afghanistan  wesent- 
lich erleichtert.  Überhaupt  hat  sich  durch  diese  Bahn  das  Verhältnis  Ruß- 
lands gegenüber  den  Nachbarstaaten  dadurch  ausserordentlich  günstig  gestaltet, 


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fi88 


Kürchhoff: 


dafs,  wenn  die  in  Mittelasien  stationierten  Truppen  nicht  genügen,  leicht  Unter- 
stützungen aus  dein  Kaukasus  und  dem  Inneren  des  Reiches  herangezogen 
werden  können;  dafs  dies  mit  der  nötigen  Schnelligkeit  geschehen  kann,  hat  der 
vor  zwei  Jahren  gemachte  Versuch  gezeigt,  bei  welchem  ein  Bataillon  vom  Kau- 
kasus nach  Kuschk  in  der  kurzen  Zeit  von  acht  Tagen  geschafft  wurde.  Die 
als  Anfange  größerer  Linien  zu  denkenden  Zweige  Kokan — ■  Margelan  und 
Koka  i  —  Andischan,  welche  fast  bis  an  die  chinesische  Grenze  reichen,  ge- 
statten auch  dorthin  Truppen  zu  schaffen,  um  das  Reich  der  Mitte  zu  hedrohen. 

Die  Linie  Merw — Kuschk  ist  eine  der  erwähnten,  so  wünschenswerten 
südwärts  führenden  Verbindungen.  Sie  schliefst  an  die  mittelasiatische  Bahu 
in  Merw  an,  führt  durch  das  Bewässeruugsgebiet  der  Merwschen  Tekizen, 
dann  längs  des  Murghab  und  des  Kusehkflusses  über  die  russische  Nieder- 
lassung Alexezenskoje  nach  dem  Kusehk-Posten.  Ohne  Zweifel  wird  die  Bahn 
in  kürzester  Zeit  bis  Tachtabasar  verlängert  werden,  wo  sich  ein  Zollamt 
für  Ein-  und  Ausfuhr  von  und  nach  Afghanistan  befindet. 

Durch  diese  Linie,  durch  welche  Rufsland  ganz  an  Afghanistan  heran- 
rückt und  sich  in  unmittelbarer  Nähe  von  Herat  befindet,  erhält  das  Zaren- 
reich für  die  Lösung  der  afghanischen  Frage,  die  doch  unzweifelhaft  nur 
eine  Frage  der  Zeit  sein  kann,  das  entscheidende  Übergewicht,  denn  obwohl 
ebenso  wie  die  mittelasiatische  Bahn  militärisch  organisiert,  soll  die  Merw  — 
Kuschk -Linie  doch  ebenso  wie  diese  neben  ihrer  strategischen  noch  die 
handelspolitische  Aufgabe  erfüllen,  durch  Öffnung  der  afghanischen  Handels- 
wege, welche  England  gegenwärtig  für  sich  allein  auszubeuten  scheint,  diese 
auch  für  Rufsland  nutzbar  zu  machen. 

Der  Kuschk-Posten  liegt  450  km  südlich  von  Merw  am  Flufs  gleichen 
Namens  und  nur  12  km  von  dem  afghanischen  Posten  Kara-Tepe  und  200  km 
von  Herat  entfernt  am  Wege  zu  dem  Urdman-  und  Steng-Kotal-Pafs.  Der 
Ort,  welcher  bis  1892  nur  ein  trauriges  Nest  war,  blüht,  seitdem  er  End- 
punkt der  Bahn  geworden  ist,  immer  mehr  empor,  wozu  wohl  auch  die 
jetzt,  nach  der  Erklärung  Kuschks  zu  einer  Festung  vierten  Grades  (An- 
fang 1901),  bis  auf  5500  Mann  verstärkte  Besatzung  wesentlich  beiträgt. 
Zwei  weitere  infolge  der  Bahn  aufblühende  Orte  befinden  sich  in  der  Nähe 
des  genannten  Postens,  Alexiewsk  und  Pattewsk.  Ersteres  wurde  1892 
10  Werst  von  Kuschk  angelegt  und  ist  jetzt  die  gröfste  russische  Ansiedelungs- 
ortschaft im  ganzen  turkestanischen  Gebiet.  Rufsland  plant  aber  noch  einen 
anderen  von  der  mittelasiatischen  Bahn  ausgehenden,  nach  Süden  gegen 
Afghanistan  gerichteten  Zweig.  Diese  neue  Linie  soll  in  Tschardschui,  dem 
befestigten  f Hergang  der  mittelasiatischen  Bahn  über  den  Amu-Darja,  be- 
ginnen und  am  linken  Ufer  des  genannten  Flusses  zunächst  nach  der  russi- 
schen Grenzstadt  Kerki  führen,  von  welchem  Ort  altbetretene  Wege  die  Ver- 
bindung mit  Balch  und  Kabul  herstellen.  Aus  dem  Gesagten  geht  hervor, 
dafs  Rufsland  hinsichtlich  des  Bahnbaues  in  jenen  Gegenden  aufserordentlich 
viel  gethan  hat;  dafs  aber  noch  viel  zu  thun  übrig  bleibt,  zeigen  die  Pläne, 
welche  das  Zarenreich  im  weiteren  Ausbau  des  Eisenbahnnetzes  verfolgt, 
denn  die  weiten  Gebiete  östlich  Taschkent  und  Andischan  und  der  ganze 
Distrikt  Semirjeschensk  harren  noch  der  Erschliefsung. 


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Eifienbahnen  und  Eisenbahnplane  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  689 

Zunächst  steht  der  Bau  einer  157  km  langen  Bahn  Taschkent — Tschim- 
kent  nahe  vor  der  Ausführung.  Diese  Strecke  würde  ein  Teil  der  beab- 
sichtigten Verbindung  zwischen  der  mittelasiatischen  und  sibirischen  Bahn  sein, 
deren  weiterer  Verlauf  in  grofsen  Zügen  wie  folgt  festgesetzt  ist  :  Tschimkent 
— Aulie-Aba —  Pischpeck —  Tokmak — Wernoje —  Semipalatinsk — Barnaul  — 
Krinotschekowo,  Station  der  transsibirischen  Bahn  etwa  160  km  östlich  des  Ob. 
Technische  Schwierigkeiten  sind  bei  der  Herstellung  dieser  Verbindungsbahn, 
für  welche  Vorarbeiten  bereits  im  Gange  sein  sollen,  nicht  zu  überwinden. 
Den  Verkehrsbedürfnissen  des  wortvollen  westsibirischen  Bergbaubezirks  kommt 
sie  sehr  gelegen;  sio  verbindet  zugleich  die  als  Getreideproduzenten  von  Jahr 
zu  Jahr  wichtiger  werdenden  südwestsibirischen  Landnachen  mit  Zentralasien, 
schafft  also  dem  sibirischen  Getreide  ein  im  Aufblühen  begriffenes  günstiges 
Absatzgebiet  und  befreit  die  Landwirtschaft  im  europäischen  Kufsland  von 
einer  Überflutung  mit  den  Produkten  der  sibirischen  Getreidemittelpunkte. 
Dem  russischen  Export  könnte  die  Bahn  zunächst  nicht  dienen,  denn  sie 
durchzieht  ein  vorläufig  noch  sehr  spärlich  bevölkertes  Gebiet. 

Von  der  letztgenannten  Linie  ist  ein  Zweig  geplant,  der  in  Semipalatinsk 
beginnen  und  nach  Petropawlowsk  und  Omsk  fuhren  soll.  Bisher  aber  fehlt 
der  mittelasiatischen  Bahn  noch  das  Wichtigste,  um  sie  in  der  gröfstmöglichen 
Weise  ausnutzen  zu  können,  nämlich  die  Verbindung  mit  dem  europäischen 
Bahnnetz.  Wenn  auch  die  Verbindungen  über  das  Kaspische  Meer  so  günstig 
und  bequem  als  nur  irgend  möglich  hergestellt  sind,  so  bedeutet  doch  dieser 
Wasserweg  in  dem  direkten  Verkehr  eine  Unterbrechung,  welche  besonders 
bei  dem  heutigen  Drang  nach  Schnelligkeit  vermieden  werden  mufs.  Es  tritt 
deshalb  gebieterisch  die  Forderung  nach  einer  Eisenbahnverbindung  an  die 
russische  Regierung  heran. 

Die  von  Baku  ausgehenden  Bahnen  nach  Poti  und  nach  Petrowsk  bilden 
fast  die  natürliche  Verlängerung  der  mittelasiatischen  Bahn;  deshalb  wurdo 
zunächst  eine  Verbindung  unter  Umgehung  des  Kaspischen  Meeres  auf  seinem 
südlichen  Ufer  als  nächstliegend  in  Erwägung  gezogen.  Einmal  würde  diese 
Anlage  aber  einen  bedenklichen  Umweg  bedeuten,  dann  müfste  persisches 
Gebiet  berührt  werden  und  endlich  erschiene  ein  solcher  Bau  in  finanzieller 
Hinsicht  nur  dann  gerechtfertigt,  wenn  mit  ihm  gleichzeitig  eine  Erschliefsung 
des  persischen  Hinterlandes  verbunden  würde.  Da  von  letzterer  vorläufig 
noch  keine  Rede  sein  kann,  so  mufste  der  Anschlufs  nach  Norden  versucht 
werden  und  entschied  sich  Rufsland  zum  Bau  der  1600  km  langen  Linie 
Orenburg  — Taschkent,  deren  Herstellung  einer  dänischen  Gesellschaft  über- 
tragen wurde.  Diese  Linie  wird  am  linken  Ufer  des  Uralflusses  aufwärts 
gehen,  dann  das  Turgaigebiet  durchschneiden,  die  Mugodschaberge  durchqueren, 
um  den  Aralsee  zu  erreichen;  sie  umgeht  diesen  auf  dem  nördlichen  Ufer  bis 
zum  Syr-Darja,  an  dem  sie  aufwärts  führt,  um  nach  Taschkent  zu  gelangen. 
Diese  Bahn  ist  von  grofser  handelspolitischer  Bedeutung,  denn  sie  bildet  die 
direkte  Verbindung  zwischen  Turkestan  und  dem  Wolgagebiet,  und  damit 
Russisch  -  Europa.  Besonders  aus  letzterem  Grund  kann  angenommen  werden, 
dals,  hauptsächlich  auch  wenn  die  Verkehrsverhältnisse  in  Afghanistan  bessere 
werden,  der  Durchgangsverkehr  aus  Europa  nach  Indien  seinen  Weg  über 


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690 


Kiirchhoff: 


die  russischen  Bahnen  nehmen  wird.  Aber  hierauf  ist  die  Linie  durchaus  nicht 
angewiesen,  denn  sie  führt  durch  gut  bevölkerte,  fruchtbare  Steppen,  die 
in  Hinsicht  auf  Gartenbau,  Landwirtschaft  und  manches  andere  noch  sehr 
entwickelungsfahig  sind.  Auch  in  politischer  und  strategischer  Hinsicht  ist 
die  Bahn  von  gröfster  Bedeutung,  denn  sie  wird  nicht  nur  die  turanische 
Organisation  erleichtern,  sondern  auch  wesentlich  dazu  beitragen,  den  Ein- 
flufs  Rufslands  in  Afghanistan  und  Persien  zu  heben.  In  Betreff  des  zweiten 
Punktes  führt  sie  eine  schnellere  Verbindung  der  bewaffneten  Etappen  herbei 
und  ermöglicht  eine  ausreichende  Verpflegung  gröfserer  Truppenmassen. 

Die  technischen  Schwierigkeiten  sind  bei  der  angeführten  Trace  gering, 
hohe  Gebirge  werden  nur  wenige  angetroffen  und  von  allen  in  Vorschlag 
gebrachten  Linien  dürfte  die  gewählte  wahrscheinlich  noch  die  verhältnis- 
mätsig  geringsten  Kosten  verursachen. 

Ein  zweites  Projekt  war  noch  in  nähere  Erwägung  gezogen  und  soll 
deshalb  hier  Erwähnung  finden.  Nach  ihm  sollte  die  Anschlufsbahn  von 
der  Endstation  des  europäischen  Bahnnetzes  Samara  ausgehen,  über  üralsk 
durch  das  Transkaspigebiet  am  Südwestrand  des  Aralsees  entlang  zum  Amu 
und  längs  dessen  linkem  Ufer  durch  das  Chanat  Chiwa  nach  Tschardschui 
führen.  Diese  Linie  hätte  gegenüber  der  zur  Ausführung  gelangenden,  ab- 
gesehen von  der  etwas  gröfseren  Länge  (1900  km),  den  Nachteil  gehabt,  dafs 
sie  der  Schiffahrt  auf  dem  Kaspischen  Meer  und  der  letzten  Strecke  der 
mittelasiatischen  Bahn  einen  grofsen  Teil  des  Frachtverkehrs  entzogen  und 
beide  auf  diese  Weise  empfindlich  geschädigt  hätte.  Da  aber  diese  Bedenken 
in  späterer  Zeit  unter  gesteigerten  Verkehrsverhältnissen  Mittelasiens  einem 
Bau  nicht  mehr  entgegenstehen  werden,  da  ferner  die  Bahn  durch  handels- 
politisch wichtige  Gebiete  hindurchgeführt  und  das  Wolgabecken  und  den 
Südural  an  den  mittelasiatischen  Markt  angeschlossen  und  endlich,  wie  ein 
Blick  auf  die  Karte  zeigt,  die  geradeste  Verbindung  zwischen  Moskau  und 
dem  Indus  gebildet  hätte,  so  erscheint  ihr  Bau  in  späterer  Zeit  nicht  aus- 
geschlossen. Technische  Schwierigkeiten  sind  auch  bei  dieser  meist  durch 
Steppen  führenden  Linie  nicht  zu  überwinden. 

Im  Anschlufs  an  die  mittelasiatische  Hauptbahn  werden  noch  folgende 
Linien  in  Erwägung  gezogen: 

1.  Andischan — Urgendschi — Patar  —  Kainbaden ; 

2.  Namangan  —  Margelan ; 

3.  Namangan  —  Kurva. 

Im  fernen  Hintergrund  endlich  schlummert  noch  der  Gedanke,  die  mittel- 
asiatische Bahn  nach  Osten  über  Krula  an  der  russisch  -  chinesischen  Grenze 
hinaus  durch  die  Mongolei  nach  Peking  zu  verlängern. 

Sollen  aber  alle  die  oben  angegebenen  Eisenbahnpläne  Rufslands  dem 
Zarenreich  wirkliche  Vorteile  bringen,  so  ist  es  unbedingt  notwendig,  dafs 
die  mittelasiatische  Bahn  Anschlufs  an  das  Netz  in  Englisch -Indien  erhält. 
Um  dies  zu  ermöglichen,  ist  es  nötig,  dafs  Rufsland  mit  seinen  Schienen- 
wegen Afghanistan  durchschreitet.  Aber  wie  wir  oben  gesehen  haben,  machen 
die  russischen  Eisenbahn-Bauten  und  -Pläne  bei  der  afghanischen  Grenze  halt, 
denn  heute  sind  die  Grenzen  Afghanistans  für  Rufsland  bedingungslos  ge- 


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Eisenbahnen  und  Eisenbahnpläne  in  Klein-  und  Mittel-Asien  etc.  691 

schlössen.  Die  afghanische  Frage  ist  noch  nicht  gelöst,  England  steht  schon 
lange  an  den  Grenzen  des  Landes,  und  trotzdem  Großbritannien  Afghanistan 
als  seine  Domäne  betrachtet,  geht  doch  sein  Bestreben  dahin,  dem  Emir 
den  Schein  der  Selbständigkeit  zu  lassen,  damit  Afghanistan  einen  Pufferstaat 
bildet  zwischen  Indien  und  dem  mächtigen  nordischen  Bären,  den  England 
stets  vermeidet  zum  Grenznachbar  zu  erhalten. 

Im  Norden  des  genannten  Staates  hat  sich  Rufsland  nach  ununter- 
brochenem planmäfsigen  Vordringen,  bei  welchem  es  mit  der  Besetzung  Darwas 
im  Jahr  1873  und  der  Besitzergreifung  des  Gebietes  um  Merw  nicht  ohne 
kriegerische  Mafsnahmen  die  ersten  eigentlichen  Gebietsteile  Afghanistans  an 
sich  gerissen  hatte,  durch  den  Bau  der  mittelasiatischen  Bahn  eine  vorzüg- 
liche Operationsbasis  geschaffen.  Im  äufsersten  Osten  hat  sich  Rufsland  die 
Pamirgebiete  durch  das  Vorschieben  von  friedlichen  Expeditionen,  d.  h.  stärkeren 
Militärkolonnen,  zu  sichern  begonnen,  und  wenn  auch  hier  ein  Teil  des  Ge- 
birges noch  Afghanistan  im  Vertrag  vom  Jahr  1895  zugesprochen  ist,  so 
dürfte  die  Pamirfrage  doch  nach  einiger  Zeit  einfach  mit  einer  definitiven 
russischen  Besitzergreifung  beendigt  werden.  Dann  hat  Rufsland  den  Kamm 
des  Hindukuschgebirges,  damit  den  unmittelbaren  Zutritt  in  das  obere  Thal 
des  Indus  erreicht  und  ist  der  direkte  Grenznachbar  Indiens  geworden,  ein 
Ziel,  dem  das  Zarenreich  schon  seit  langem  zustrebt. 

Weitere  Schritte  könnten  England  reizen  und  zu  einem  Kampf  ist  Rufs- 
land noch  nicht  bereit.  So  wird  denn  am  Hof  in  Kabul  zunächst  nur  ein 
geräuschloser  aber  erbitterter  diplomatischer  Kampf  geführt,  dessen  ihn  um- 
gebende Dunkelheit  nur  selten  durch  irgend  eine  Nachricht  erleuchtet  wird. 

Es  kann  aber  als  sicher  angenommen  werden,  dafs  dieser  diplomatische 
Wettstreit  früher  oder  später  zu  einem  kriegerischen  Zusammenstofs  in  Afgha- 
nistan führen  wird.  Dieser  Entscheidungskampf  wird  sowohl  auf  russischer 
wie  auf-  englischer  Seite  wohl  erwogen;  die  Eisenbahn  nach  Kuschk  wie 
die  englisch -indische  nach  dem  schon  auf  afghanischem  Gebiet  liegenden 
Tschaman  sprechen  dafür,  dafs  man  auf  beiden  Seiten  mit  der  Möglichkeit 
eines  Kampfes  rechnet. 

Im  Innern  Afghanistans  sind  noch  keine  Schienenwege  vorhanden; 
trotzdem  England  schon  versucht  hat,  die  Eisenbahn  von  Tschaman  nach 
Kandahar  zu  verlängern,  wird  doch  wahrscheinlich  auch  in  diesem  Land 
das  Zarenreich  die  Eisenbahnfrage  zu  lösen  bestimmt  sein.  Denn  erstens 
neigt,  wie  es  scheint,  der  Emir  trotz  aller  von  England  erhaltenen  Gelder 
und  noch  mehr  die  Bevölkerung  des  Landes  mehr  Rufsland  als  Groß- 
britannien zu,  und  zweitens  ist  man  nach  dem  bisher  Erfahrenen  wohl  be- 
rechtigt anzunehmen,  dafs  bei  der  Zähigkeit,  mit  welcher  die  Regierung  in 
Petersburg  stets  an  dem  einmal  gesteckten  Ziele  festhält,  sie  auch  in  nicht 
allzuferner  Zeit  ihren  Einflufs  in  Afghanistan  zur  Geltung  bringen  wird. 

Zunächst  setzt  allerdings  der  Emir  ebenso  wie  Rufsland  auch  England 
gegenüber  seinen  Widerstand  gegen  Bahnbauten  fort,  wie  aus  einer  kürzlich 
ergangenen  öffentlichen  Erklärung  des  Herrschers  in  Kabul  hervorgeht.  In 
dieser  beklagt  sich  der  letztere,  dafs  er  bei  jedem  russischen  Vorgehen  einen 
Gegenzug  vorgeschlagen  habe,  dafs  er  aber  stets  ohne  Antwort  von  der 


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indischen  Regierung  geblieben  sei,  aufser  dafs  ihm  der  Vorschlag  gemacht 
worden  sei,  Afghanistan  möge  zu  dem  Bau  von  Eisenbahnen  und  Telegraphen 
seine  Zustimmung  geben;  das  sei  aber  unmöglich,  da  es  ein  Mittel  sein  würde, 
sein  Land  zu  Grunde  zu  richten. 

Rufslaud  soll  schon  den  Versuch  gemacht  haben,  die  Erlaubnis  zum 
Weiterbau  der  Eisenbahn  von  Kuschk  nach  Hcrat  (200  km)  zu  erlangen. 
Obgleich  es  hiefs,  dafs  dieser  Schritt  Erfolg  gehabt  hätte,  so  ist  doch  nicht 
anzunehmen,  dafs  der  Emir  die  Konzession  schon  erteilt  hat,  wenn  es  auch 
fraglich  erscheint,  dafs  er  lange  wird  im  Widerstand  verharren  können. 
Jedenfalls  aber  kann  man  als  sicher  annehmen,  dafs  England,  sobald  mit 
dem  Bau  genannter  Strecke  begonnen  wird,  die  Konzessionierung  der  Linie 
Tschaman — Kandahar  erzwingen  wird.  Damit  sind  die  Anfangsstrecken  für 
die  wahrscheinlich  zuerst  zu  erbauende  Bahn  Herat — Kandahar  gegeben. 

Diese  etwa  eine  Gesamtlänge  von  100  km  erhaltende  Bahn  könnte,  da 
sie  durch  ein  verhältnismäfsig  wenig  schwieriges  Gelände  führen  wird,  billig 
und  schnell  erbaut  werden.  Es  befinden  sich  zwischen  Herat  und  Kandahar 
grofse  ofFene  mit  weichem  Sand  bedeckte  Landstriche,  die  durch  gröfsere 
Oasen  und  Dörfer  von  einander  getrennt  werden.  Nirgends  ist  ein  wirklich 
bindernder  Bergzug  zu  überwinden.  Es  ist  von  vielen  Seiten  behauptet  wor- 
den, dafs  sich  eine  Eisenbahn  zwischen  Herat  und  Quetta  niemals  bezahlt 
machen  würde.  Wäre  dieses  thatsächlich  der  Fall,  so  würde  es  jedenfalls 
nicht  aus  Mangel  an  bewohnten  Plätzen  sein.  Zunächst  wird  ungefähr  in 
der  Mitte  der  ganzen  Linie  die  Stadt  Farra  berührt,  welche,  so  lange 
man  von  ihr  Kenntnis  hat,  ein  wichtiger  Handelsmittelpunkt  gewesen  ist. 
Nördlich  von  diesem  Ort  liegt  in  der  Mitte  eines  grofsen  Landbaudistriktes 
Sabravar;  aufserdem  sind  noch  viele  Dörfer  und  Städte  vorhanden,  welche 
früher  bedeutende  Mittelpunkte  einer  Zentralindustrie,  besonders  der  Teppich- 
fabrikation waren.  England  steht  einer  derartigen  Verbindung  sehr  wenig 
wohlwollend  gegenüber,  da  es  der  wohl  nicht  unberechtigten  Ansicht  ist, 
dafs  diese  Bahn  ein  etwaiges  russisches  Vorgehen  gegen  Indien  wesentlich 
erleichtern  würde. 

Weiter  im  Norden  beabsichtigt  England  ferner  die  Verlängerung  der 
jetzt  in  Peschawur  endenden  Bahn  bis  Kabul,  womit  der  Anfang  zu  der 
zweiten  Afghanistan  durchquerenden  Bahn  gemacht  wäre,  die  über  Musar  i 
Scherif  nach  Kerki  führen  wird. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Bemerkungen  zur  Morphologie  des  Kaukasus. 

Das  neue,  umfangreiche  und  ausführliche  Buch  von  Merzbacher  „Aus 
den  Hochregionen  des  Kaukasus"  giebt  Anlafs  zu  einigen  Feststellungen  in 
morphologischer  Beziehung. 

Es  wird  immer  deutlicher,  dafs  die  Ausdehnung  der  Gletscher  des  Kau- 
kasus lange  unterschätzt  worden  ist.  Nicht  nur  die  Hauptkette  zwischen 
Elbrus  und  Kasbek  ist  stark  vergletschert,  sondern  auch  weiter  im  Osten 


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finden  sich  ganz  bedeutende  Gletschermassive.  Es  wäre  dankbar,  einmal  auf 
der  1 -Werstkarte  den  Flucheninhalt  der  Kaukasusgletscher  wenigstens  an- 
nähernd festzustellen. 

Einer  Erörterung  bedarf  das  Fehlen  der  Seen  und  Wasserfälle.  Auch 
Merzbacher  wiederholt  die  Behauptung,  deren  Richtigkeit,  was  die  Thalseen  be- 
trifft, natürlich  nicht  bestritten  werden  soll.  Das  Problem  steht  aber  im  ganzen 
doch  so:  Weshalb  soll  der  Kaukasus,  der  der  Hauptsache  nach  ein  krystal- 
linisches  Gebirge  ist,  ähnlich  den  Zentralketten  der  Alpen,  der  Tatra  u.  s.  w., 
keine  kleinen  Seen  und  keine  Thalstufen  haben V  Randseen,  Kahrseen  und 
Thalstufen  sind  Kennzeichen  der  vereist  gewesenen  Region  höherer  Gebirge. 
Der  Kaukasus  hat  eine  Eiszeit  durchgemacht,  darüber  besteht  kein  Zweifel, 
er  mufs  also  auch  eine  Zone  besitzen,  die  einst  vereist  war  und  es  jetzt  nicht 
mehr  ist.  In  dieser  Zone  sollten  sich  im  Hintergrund  der  Seitenthäler,  in 
deren  obersten  Kahren,  kleine  Seen  finden.  Und  ich  bin  überzeugt,  dafs  man 
sie  in  viel  gröfserer  Anzahl  finden  wird,  als  das  bisher  geschehen  ist,  wenn 
man  sie  dort  sucht.  Bisher  haben  die  Reisenden  nur  die  grofsen  Gletscher- 
reviere der  heutigen  Vereisung  besueht,  niemand  kümmerte  sich  noch  um  die 
unvergletscherten  Nebenketten.  Wer  nur  Chamonix,  Zermatt  oder  die  Berner 
Alpen  kennt,  hat  keine  Vorstellung  vom  Seenreichtum  der  Alpen.  Wer  davon 
etwas  sehen  will,  der  mnfs  in  die  Seealpen,  in  das  Defregger-Gebirge,  die 
Niederen  Tauern  und  ähnliche  wenig  beachtete  Nebengruppen,  oder  in  die 
Seitenzweige  der  grofsen  Gruppen  (z.  B.  Becea  di  Nona  neben  dem  Gran 
Paradiso)  gehen.  Das  wird  sich  also  im  Kaukasus  noch  finden,  davon  bin 
ich  fest  überzeugt. 

Ebenso  werden  sich  Wasserfälle  noch  finden.  Auch  die  Querthäler  des 
Kaukasus  haben  Stufenbau,  das  entnimmt  man  aus  Beschreibungen  und  Ab- 
bildungen, wenn  auch  vielleicht  nicht  so  ausgesprochen  als  die  Alpenthäler. 
Wasserfälle  stecken  aber  meistens  in  Klammen  und  Schluchten  und  bedürfen 
einer  gewissen  „Erschliefsnng",  d.  h.  der  Weganlagen,  um  gesehen  zu  werden. 
Nur  wenige  sind  von  weitem  sichtbar,  wie  z.  B.  die  Krimmlcrfälle. 

Was  endlich  die  Randseen  betrifft,  so  beweist  ihr  Fehlen  nur,  dafs  die 
Eiszuugeu  im  Kaukasus  nicht  bis  in  das  Vorland  hinaus  vorgedrungen  sind. 
Ohne  in  die  Diskussion  über  die  Entstehung  der  alpinen  Randseen  eingreifen 
zu  wollen,  kann  man  die  Thatsache  feststellen,  dafs  alle  grofsen  alpinen 
Randseen  in  Moränenbogen  am  Ende  der  alten  Gletscherbetten  liegen.  Wo 
aber  die  Alpengletscher  noch  im  Gebirge  endigten,  dort  giebt  es  auch  keine 
Seen,  so  am  Ende  des  Mur-  und  Ennsgletschcrs. 

Eine  systematische  Durchforschung  des  Kaukasus  nach  den  Grenzen  der 
alten  Vereisung  wäre  auch  nach  A.  Favre  und  Abich  dringend  nötig.  Unser 
Verständnis  dieser  Gruppe  von  Erscheinungen  hat  seit  den  Tagen  jener 
Forscher  doch  bedeutende  Fortschritte  gemacht,  und  man  weifs  gegenwärtig 
manches  als  sprechendes  Denkmal  zu  deuten,  an  dem  man  einst  achtlos  vor- 
übergegangen ist. 

Sehr  gelungen  und  nach  dem  Eindruck  der  Photographien  von  Sella 
und  Dechy  ganz  gewifs  richtig  ist  Merzbachor's  Vergleich  zwischen  den  Alpen 
und  dem  Kaukasus,  was  den  landschaftlichen  Charakter  betrifft.  Es  sei  ge- 
stattet, hier  den  Autor  selbst  sprechen  zu  lassen  (I,  S.  117):  „Der  Aufbau 
des  Kaukasus  ist  im  allgemeinen  viel  schroffer  und  wilder  als  der  Bau  der 
Alpen.  Wenn  die  Gipfel  schon  an  absoluter  Höhe  die  der  Alpen  weit  über- 
ragen, so  wird  dieses  Verhältnis  der  Schroffheit  noch  wesentlich  gesteigert 
durch  tiefere  Einsenkung  der  Thäler.    Auch  erheben  sich  viele  der  Gipfel 


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des  Kaukasus  nicht,  wie  eine  grofse  Anzahl  von  Alpengipfeln ,  in  terrassen- 
förmigen Absätzen  und  Vorlagerungen  aus  den  Thälern,  sondern  als  kaum 
unterbrochene  Böschungen  von  Fels  und  Eis  steigen  sie  unvermittelt  aus  der 
Thalsohle  zu  den  höchsten  Kammlinien  empor  und  erscheinen  darum  von 
erdrückender,  überwältigender  Gröfse.  Die  Hochgipfel  zeigen  sich  infolge 
gröfserer  Steilheit  des  Aufbaues,  sowie  bei  der  eigenartigen  schiefen  Faltung 
des  Gebirges  und  bei  der  starken  Zerstörung  der  Kämme,  dem  Auge  näher 
aneinander  gerückt,  gedrängter  als  in  den  Alpen,  d.  h.  man  wird  auf  gleichem 
Flächenraum,  wenigstens  im  zentralen  Kaukasus,  mehr  bedeutende  Hochgipfel 
finden  als  in  den  Alpen  .  .  .  Die  einzelnen  Berggruppen  kommen  uns  darum 
formenreicher,  wilder  und  zerrissener  vor,  als  viele  der  Alpen.  Infolge  gröfserer 
Steilheit  der  Hänge  haben  auch  die  eisbedeckten  Bergwände  ein  drohenderes 
Aussehen,  ihre  Schluchten  und  Wände  sind  stärker  von  Lawinen  durchfurcht 
wie  die  der  Alpengipfel,  was  nicht  wenig  dazu  beiträgt,  der  physiognomischen 
Schönheit  der  Berge  den  Ausdruck  des  Schrecklichen,  Unnahbaren  aufzuprägen. 
Mit  der  von  allen  Seiton  gleich  furchtbaren  und  grofsartigen  Erscheinung  des 
Uschba  kann  sich  selbst  das  kühne  Matterhorn  nicht  messen.  Grove,  in  seiner 
stets  anschaulichen  Art  zu  urteilen,  stellt  sich  das  Verhältnis  der  Kaukasus- 
Gipfel  zu  denjenigen  der  Alpen  vor,  wie  etwa  die  gotische  Kirchenarchitektur 
zur  romanischen."  Auch  die  Eisbrüche  sind  zahlreicher  und  wilder,  die 
Gletscher  nicht  kleiner.  „Auch  trennt  Gletscherende  und  Region  des  Pflanzen- 
wuchses nicht,  wie  dies  in  den  Alpen  meist  der  Fall  ist,  eine  breite  Zone 
sterilen  Gerölles  und  Felsterrains,  sondern  die  Fruchtbarkeit  des  Verwitterungs- 
produktes der  Gesteine,  oder  anderenortes  die  grofse  Menge  zugeführter  atmo- 
sphärischer Feuchtigkeit  hat  zur  Folge,  dafs  oft  lange  bevor  der  Eisstrom 
aufhört,  die  Vegetation  beginnt."  Die  Gletscher  reichen  tief  in  die  Vege- 
tationsgrenze, die  Üppigkeit  des  Baum-  und  Krautwuchses  wird  in  den  Alpen 
nicht  im  entferntesten  erreicht. 

Das  Lob  gilt  hauptsächlich  der  Hochregion;  die  äufseren  Thäler  werden 
durch  den  Mangel  jeglicher  Kultur  eintönig,  auch  gewähren  sie  selten  einen 
Blick  auf  das  Hochgebirge.  E.  Richter. 


Zur  Geographie  Kamtschatkas. 

Die  nordische  Halbinsel  Kamtschatka,  die  so  merkwürdig  ist  durch  ihre 
über  Eis  und  Schnee  aufragenden  Vulkane,  wie  durch  die  Eigenart  ihrer 
Urbewohner,  gehört  noch  immer  zu  den  am  wenigsten  gekannten  Gebieten 
der  Erde.  Neue  Forschungen  haben  nicht  stattgefunden.  Die  einzige  grofse, 
wahrhaft  wissenschaftliche  Erforschung  des  Landes  liegt  um  fast  ein  halbes 
Jahrhundert  zurück  und  wurde  durch  Karl  v.  Ditmar1)  1851  bis  1855 
vorgenommen.  Ditmar  hat  im  Auftrag  der  russischen  Regierung  die  Halb- 
insel zu  geologischen  Zwecken  bereist,  kam  aber  erst  an  seinem  Lebensabend 
—  er  starb  1892  zu  Dorpat  —  dazu,  Veröffentlichungen  über  seine  ausge- 
dehnten Reisen  und  Forschungen  herauszugeben.  An  zusammenhängenden 
Schilderungen  hat  es  bisher  gefehlt,  so  dafs  wir  es  dankbar  begrüfsen  dürfen, 
dafs  die  russische  Akademie  der  Wissenschaften  nunmehr  durch  Friedrich 
Schmidt  den  zweiten  Teil  des  Werkes  herausgegeben  hat,  nachdem  der  erste, 
welcher  das  Tagebuch  enthält,  1890  erschienen  ist.    Die  Forschungen  beruhen 

1)  Karl  v.  Ditmar,  Reinen  und  Aufenthalt  in  Kamtschatka  in  den  Jahren 
1851  —  1855.    II.  Teil     8".    273  S.    St.  Petersburg,  Kais.  Akad.  d.  Wie«.  11)00. 


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auf  echt  deutscher  Gründlichkeit  und  geben  ein  so  lebendiges  Bild,  dafs  der 
Leser  ohne  weiteres  glaubt,  sie  seien  der  jüngsten  Vergangenheit  entnommen. 
Dafs  sie  in  der  That  um  mehrere  Jahrzehnte  hinter  uns  liegen,  thut  ihrem 
Werte  keinerlei  Eintrag,  denn  Kamtschatka  hat  sich  seit  jener  Zeit  nicht  im 
geringsten  geändert  und  liegt  noch  heute  in  gleicher  Abgeschlossenheit  wie 
vor  einem  halben  Jahrhundert.  Ditmar  verlegt  die  Nordgrenze  der  Halbinsel 
auf  Grund  geologischer  Untersuchungen  unter  62°  n.  Br.  und  kommt  somit 
auf  eine  Lange  von  1200  bis  1300  Werst,  auf  einen  Flächenraum  von 
5000  Quadratmeilen,  etwas  mehr  als  die  Hälfte  des  Deutschen  Reiches.  Die 
Ostküste,  längs  des  kalten  Ochotskischen  Binnenmeeres  ist  kaum  gegliedert, 
die  Westküste,  an  welcher  die  gewaltigen  Vulkane  emporsteigen,  dagegen  felsig, 
zerrissen,  reich  an  Riffen  und  Inseln,  oft  auf  weite  Strecken  keinen  Raum 
bietend,  wo  ein  Schiff  gesichert  landen  kann.  Das  Innere  der  Halbinsel  ist 
von  mächtigen  Gebirgen  ausgefüllt,  einem  vulkanischen  Hochlande  grofsartigster 
Formen,  dessen  Ränder,  namentlich  im  Osten,  eine  Reihe  thätiger  Vulkane 
tragen.  Der  Forscher  hält  die  Vulkane  Kamtschatkas,  die  in  ununterbrochener 
Linie  in  einer  endlosen  Reihe  von  thätigen  und  unthätigen  Kratern  bis  zur 
Südspitze  der  Halbinsel  ziehen,  für  ein  Glied  der  gewaltigen  Kette  vulka- 
nischer Berge  rings  um  das  ganze  Becken  des  Grofsen  Ozeans.  In  der  Richtung 
der  Vulkane  Kamtschatkas  setzen  sich  nach  Süden  hin  die  feuerspeienden 
Kegelberge  der  Kurilen  fort,  um  dann  in  derselben  Weise  Japan  zu  durchziehen 
und  in  den  Vulkanen  der  Sundainseln  und  Neuseelands  die  westliche  Um- 
grenzung zu  schliefsen.  „Der  Grofse  Ozean  hat  aber  auch  an  seinen  Ostufern 
eine  ebensolche,  ausgesprochen  vulkanreiche  Begrenzung  in  der  langen  Kette 
der  Anden,  die  vom  Feuerlande  durch  Süd-  und  Nordamerika  bis  zu  60°  n.  Br. 
sich  hinziehen,  von  wo  die  Vulkanreihe  über  Alaska  und  die  Aleuten  in 
zahlreichen  thätigen  Feuerschlünden  mit  leichter  Biegung  nach  Süden  der 
asiatischen  Vulkanreihe  zustrebt.  Die  Vulkane  Kamtschatkas  erheben  sich 
daher  gleichsam  auf  dem  nordwestlichen  Kraterende  des  riesigen  Bassins  des 
Stillen  Ozeans,  welcher  ringsum  von  thätigen  Vulkanen  umschlossen  ist,  und 
aus  dessen  Mitte  die  kolossalen  Feuerberge  von  Hawai  als  Vulkanzentrum 
sich  erheben."  Den  nördlichen  Eckpfeiler  dieses  gewaltigen  Systems,  dessen 
innerer  Zusammenhang  der  Forschung  der  Zukunft  vorbehalten  bleiben  mufs, 
bildet  auf  dem  asiatischen  Festlande  der  Schiweljutsch,  ein  vulkanischer 
Kegel  von  3200  m  Höhe,  der  sich  aus  dem  chaotischen  Gewirr  gehobener 
und  zerstörter  Gebirgsmassen  durchgearbeitet  hat.  Nach  Süden  hin  steigt  aus 
dem  „chaotischen  Durcheinander  von  älteren  Kraterrändern,  Trümmerfeldern, 
Schuttmassen,  gehobenen  Gebirgsschollen  der  verschiedensten  Gestalt  und 
Richtung"  der  schöne  Vulkan  Kljutschew  als  vollendet  spitzer  Kegel  empor. 
Dieser  Vulkan,  16  130  Fufs  (5180  m)  hoch  oder  fast  300  m  höher  als  der 
Montblanc,  ist  seit  Menschengedenken  in  Thätigkeit  und  hat  nicht  selten 
gewaltige  Ausbrüche  (1727,  1737,  1854).  „Er  bietet  ein  Bild  von  unver- 
gleichlicher Pracht  für  jeden,  der  ihn  gesehen,"  sagt  Ditmar,  „hier  hat  man 
vom  Meere  aus  die  ganz  enorme  Höhe  von  16  000  Fufs  plötzlich  vor  Augen 
und  zwar  in  der  elegantesten  Kegelgestalt,  gekrönt  von  der  kolossalen  Dampf- 
säule, die  sich  wiederum  mehrere  1000  Fufs  über  die  Spitze  des  Kegels 
erhebt."  Die  Schilderungen  der  Hochgebirgsnatur  Kamtschatkas  mit  ihren 
grotesken  Formen,  unmittelbar  am  Ozean,  ihren  himmclanstrebenden  Schnee- 
bergen mit  Rauch-  und  Feuersäulen,  machen  einen  ungemein  reizvollen  Eindruck, 
welcher  durch  die  streng  wissenschaftlich  gehaltene  Begründung  nur  gewinnt. 
Die  klimatischen  Verhältnisse  Kamtschatkas  sind  wegen  der  bedeutenden 


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Breitenausdehnung  (50°  bis  62°  n.  Br.),  wegen  des  Einflusses  der  Meere  und 
der  Berge  ungemein  verschieden.  Die  Grenze  zwischen  zwei  klimatischen 
Zonen  verlegt  Ditmar  auf  den  60°.  Nördlich  desselben  breitet  sich  die  baum- 
und  strauchlose  Moostundra  aus,  flach,  ohne  Berge,  von  hochnordischem 
Charakter,  welchen  Sibirien  sonst  erst  an  der  Eismeerküste  zeigt.  Hier  haust 
der  Winter  vom  September  bis  Juni  mit  seinen  heftigen  Schneestürmen  und 
einer  niedrigen  Temperatur,  die  nicht  selten  —  40°  C.  erreicht.  Diese  winter- 
liche, erstarrte  Moostundra  ist  lediglich  durch  den  Einflufs  der  beiden  kalten, 
fast  während  des  ganzen  Jahres  mit  Eisschollen  bedeckten  Binnenmeere  des 
sibirischen  Nordostens,  des  Ochotskischen  und  des  Bering -Meeres,  bedingt, 
welche  abkühlend  wirken  und  von  bestimmender  klimatischer  Bedeutung  sind. 
Nördlich  von  Kamtschatka,  sobald  die  Nähe  des  Meeres  durch  die  breitere 
Gestaltung  der  Landmassen  aufgehoben  wird,  liegt  noch  eine  breite  Waldregion, 
welche  vom  mittleren  Kolyma- Gebiet  bis  an  den  oberen  Anadjr  reicht,  eine 
Waldregion,  die  noch  prächtige  Nadel-  und  Laubbäume  aufweist.  Anders  ist 
das  Klima  südlich  vom  60°,  wo  das  Land  breiter  wird,  der  Meereseinflufs 
nicht  mehr  so  unmittelbar  ist,  überall  schützende  Gebirge  sich  erheben,  auch 
wohl  die  südlichere  Lage  nicht  ganz  wirkungslos  sein  kann;  letztere  entspricht 
etwa  dem  nördlichen  Deutschland.  Auffallend  ist  der  klimatische  Unterschied 
zwischen  der  West-  und  Ostküste.  Ersterc  steht  ganz  unter  dem  abkühlenden 
Einflufs  des  Ochotskischen  Meeres,  auf  welchem  bis  in  den  Juni  hinein 
gewaltige  Eismassen  treiben.  Hier  bleibt  auch  im  Sommer  das  Klima  kühl, 
die  Vegetation  ist  gering,  der  Anbau  kaum  lohnend.  An  der  Östlichen  Küste 
dagegen  macht  sich  der  wärmende  Einflufs  der  Kuroschiwo,  des  tropischen 
Meeresstromes,  geltend,  der  aus  äquatorialen  Breiten  kommt,  an  der  Ostküste 
der  japanischen  Inseln  vorbeifliefst  und  sich  bis  an  die  Grenze  des  Bering-Meeres 
fühlbar  macht.  Mit  dem  kalten  Gegenstrom  des  letzteren  zusammentreffend, 
ruft  er  an  der  Südostktiste  Kamtschatkas  einen  heftigen,  der  Schiffahrt  nicht 
ungefährlichen  Seegang  hervor,  bringt  aber  dem  Lande  ein  verhältnismäfsig 
mildes  Klima.  Ditmar  stellt  fest,  dafs  die  Flut  33  Werst  weit  in  die  kamtscha- 
dalischen  Küstenflüsse  hinaufsteigt  und  sich  in  den  Häfen  um  21 — 23  Fufs 
(mehr  als  7  m)  hebt.  Petropawlowsk,  der  kleine  Hauptort  der  Halbinsel, 
hat  eigenartige  klimatische  Gegensätze.  „Wer  im  Sommer  vom  Ozean  her 
dort  landet,"  erzählt  Ditmar,  „wird  überrascht  sein  von  der  Üppigkeit  der 
kräftigen  und  blumenreichen  Vegetation  Kamtschatkas."  Prächtige  Birken- 
waldungen (Bdnln  Ernwni),  Eschen,  Fichten  geben  dem  Lande  einen  fast 
europäischen  Aublick,  während  wunderbare  Wiesen  mit  bunten  Blumen  einen 
ungemein  freundlichen  Eindruck  hervorrufen.  Über  diesem  reizvollen  Bilde 
heben  sich  die  kahlen  Felswände,  die  geröllreichen  Hänge  und  hoch  über 
diesen  die  schneebedeckten  Bergriesen  wundersam  ab.  Ditmar  nennt  —  4° 
bis  höchstens  —  10°  als  die  gewöhnliche  Wintertemperatur  von  Petropawlowsk; 
nur  einmal  in  vier  Wintern  beobachtete  er  — 21°.  Die  Winter  sind  ungemein 
schneereich,  gefährliche  Schneestürme  von  ungeheuerer  Heftigkeit  bilden  den 
Schrecken  der  Bevölkerung.  Die  Sommer  sind  nur  mäfsig  warm,  meist  -j-  15 
bis  16°,  selten  bis  zu  20°.  Die  Nächte  sind  kühl  und  feucht.  Sehr  lehrreich 
sind  die  Ausführungen  Ditmar's  über  den  Getreidebau.  Die  russische  Re- 
gierung hat  sich  die  gröfste  Mühe  gegeben,  Hafer  und  Gerste,  auch  Kartoffeln 
und  Gartenfrüchte  anzupflanzen.  Während  letztere  an  geschützten  Stellen 
ganz  gut  gedeihen,  ist  der  Ackerbau  völlig  hoffnungslos.  „Die  Schneemassen," 
meint  Ditmar,  „welche  in  Kamtschatka  jeden  Winter  fallen,  sind  ganz  unge- 
wöhnlich grofs.   Nur  langsam  und  allmählich  werden  im  Frühjahr  die  Sonnen- 


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strahlen  Herr  dieser  Massen,  so  dafs  oft  noch  im  Mai  die  Erde  nicht  ganz 
frei  wird.  Infolgedessen  kann  an  eine  Beackerung  und  Bestellung  der  Felder 
kaum  vor  Anfang  Juni  gedacht  werden."  Aus  diesem  Grund  verkürzt  sich 
die  Vegetationsperiode  so  sehr,  dafs  die  Blüte-  und  Reifezeit  des  Getreides 
bis  in  den  August  gedrängt  wird,  wo  die  unbedingt  eintretenden  Nachtfröste 
alles  vernichten.  Bessere  Jahre  sollen  nur  diejenigen  sein,  in  welchen  durch 
die  vulkanischen  Ausbrüche  grofse  Massen  heifser  Asche  auf  die  Schneefelder 
kommen  und  hierdurch  ein  schnelleres  Verschwinden  derselben  hervorrufen. 
Aus  diesen  Gründen  ist  es  wertlos,  Getreidebau  auf  Kamtschatka  zu  treiben; 
dagegen  hat  der  Kartoffelbau,  namentlich  aber  die  Wiesenkultur  und  hiermit 
die  Viehzucht  gute  Aussichten.  Letztere,  verbunden  mit  Ausnutzung  der 
Wälder,  der  immer  noch  lohnenden  Jagd  und  namentlich  der  überreichlichen 
Schätze  des  Küstenfischfangs,  gewähren  auch  dem  abgelegenen  Kamtschatka 
gute  Erwerbszweige  und  stellen  es  in  die  Reihe  der  produktiven  Länder, 
wenn  auch  das  Getreide  aus  Japan  eingeführt  werden  mufs.  Noch  heut« 
sind  die  Waldungen  reich  an  Füchsen,  Zobeln  und  anderen  edeln  Pelztieren, 
denn  Kamtschatka  ist  kein  Land,  welches  bis  jetzt  trotz  seiner  grandiosen 
Schönheiten  zur  Einwanderung  und  Kolonisation  eingeladen  hat.  Unerschöpflich 
scheint  das  Meer  an  Seehunden,  wenngleich  die  schonungslose  Verfolgung  durch 
amerikanische  und  englische  Fänger  seit  der  Zeit  Ditmar's  eine  empfindliche 
Lichtung  herbeigeführt  hat.  Erst  in  den  letzten  Jahren  hat  sich  die  russische 
Regierung  zu  strengen  Mafsnuhmen  zur  Verhinderung  der  gänzlichen  Ausrottung 
dieser  Tiere  veranlafst  gesehen. 

Ditmar  schliefst  sein  hochinteressantes  Buch  mit  einer  ausführlichen 
Geschichte  der  Entdeckung  und  Erforschung  des  merkwürdigen  Landes,  doch 
verbietet  uns  der  hier  zur  Verfügung  stehende  Raum,  näher  auf  diese  Seite 
seiner  Darstellung  einzugehen.  Es  ist  erfreulicher  Weise  in  Aussicht  gestellt, 
dafs  in  nicht  ferner  Zeit  eine  Fortsetzung  des  Werkes  erscheinen  soll,  welche 
die  Völkerkunde  und  die  wirtschaftlichen  Zustände  der  Halbinsel  behandeln 
wird.  Wir  dürfen  dieser  Veröffentlichung  ebenso  wie  der  in  Aussicht  gestellten 
Karte  mit  berechtigter  Spannung  entgegensehen.  Vorgreifend  sei  bemerkt,  dafs 
die  Bevölkerung  eine  ungemein  spärliche  ist  und  nur  aus  etwa  10  000  Seelen 
besteht.  Hiervon  sind  3000  Korjaken  im  Norden,  3500 — 4000  Kamtseha- 
dalen,  die  Urbevölkerung,  einige  hundert  Lemuten.  Das  russische  Element 
ist  durch  300 — 400  aus  dem  inneren  Sibirien  hierher  verpflanzte  Kosaken 
vertreten.  In  Petropawlowsk,  dem  Hauptorte,  haben  sich  einige  Kaufleute 
niedergelassen,  welche  einen  lohnenden  Handel  mit  Pelzwerk  und  den  Erzeug- 
nissen des  Fisch-  und  Seehundfanges  betreiben. 

Das  Buch  Ditmar's  ist  in  der  vorliegenden  Ausgabo  eine  ungemein  anregende 
Lektüre  für  jeden,  welcher  sich  für  lebendige  Schilderungen  von  Land  und 
Leuten  interessiert,  zugleich  aber  auch  eine  Fundgrube  von  wichtigen,  geistreichen 
Betrachtungen  und  Schlüssen  für  den  Geographen.  Immanuel. 


Die  Territorial-  and  BevöUcerungsverh&ltnisse  der  mc 
Bepublik  nach  dem  Census  von  1900. 

Auf  Grund  des  im  Jahre  1900  stattgehabten  Ccnsus  und  der  an  amtlicher 
Stelle  vorgenommenen  neueren  Arealberechnungen  und  Grenzregulierungen 
gestalten  sich  die  Territorial-  und  Bevölkerungsverhältnisse  der 
mexikanischen  Republik  wie  folgt.    Es  enthalten: 

Oeographiich«  Zeitschrift.  7J»hrg»og  1901.  12.  Hoft.  47 


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008 


Kleinere  Mitteilungen. 


1.  Yukatan   91  201 

2.  Campeche   -Iß  855 

3.  Tabasco   26094 

4.  Veracru7.   75863 

5.  Tamaulipas   83  597 


A.  Die  atlantischen  Küstenstaaten: 

qkm, 


=     3,4  aufd.  qkm 

-     1,«  „ 
=  6,1 

=  12,ß 
=  2,6 

Insgesamt:  323  ßl()      qkm,  1  734  170  Ew.—     5,4  auf  d.  qkm. 

B.  Die  südlichen  Hochlandstaaten  nebst  dem  Bundesdistrikte: 
Der  Bundesdistrikt  .   .     1  496,75  qkm,    540  478  Ew.=  360    auf  d.  qkm 


ii 
w 
n 


312 264  Ew 
84  281  „ 
158  107  „ 
9ß0  570 
218  948 


ii  ii  ii 
ii  ii  ii 

11     11  11 


ß.  Mexiko  

23  185 

ii 

924  457   „  = 

*40«1  *•  »  *> 

7            tt        77  ll 

7  082,25 

ii 

lßlß97   „  = 

21      n  «  ii 

31  ßlß 

ii 

1024  44ß  „  = 

Ol) 

°**       ii    ii  ii 

9.Tlaxcala  

4  132 

ii 

172  217  „  = 

43,1  „  „  „ 

22  215 

n 

0O3O74  „  = 

24,7  „  „  ,, 

11  ß38 

'i 

228  489  „  = 

19,7  „  „  „ 

28  3ß3 

» 

1  065  317  „ 

37,b  „   „  „ 

13.  Aguasealientes  .   .   .  . 

7ß92 

ii 

101  910  „  = 

13,2  „  „  „ 

Insgesamt: 

137  422 

qkm,  4  822  085  Ew.  = 

35,2  aufd.  qkm. 

C.   Die  nördlichen  Hochlandstaaten: 

14.  Zaeatecas  

ß3  38ß 

qkm, 

4ß2  88ß  Ew.= 

7,3  auf  d.  qkm 

15.  San  Luis  Potosi  .  . 

ß2  177 

n 

682486  „  = 

9»4  „  „  „ 

ßl  343 

ii 

326  940  „  == 

4 

»  ii  ii 

lß5  099 

« 

280  899   „  = 

1  7 

Ai*   ii  ii  ii 

109  495 

n 

371  274  „  = 

8,4  „  „  „ 

233  094 

ii 

327  004  „  = 

1?^  ii  n  ii 

Insgesamt:  ß94  594 

qkm,  2  351  489  Ew.  = 

3,4  auf  d.  qkm. 

D.  Die  pazifisc 

hen  Küste 

nstaaten  und  Territorien: 

*Territ.  Niederkalifornien 

151  109 

qkm, 

47  082 

Ew 

0,5 

auf  d.  qkm 

198  49ß 

ii 

220  553 

ii 

1,1 

ii   ii  ii 

71380 

ii 

29ß  109 

ii 

4,2 

ii  ii  ii 

*Territ.  Tepic    .   .    .  . 

28  371 

n 

149  ß77 

ii 

5,3 

ii  ii  ii 

22.  Jalisco  

8ß  752 

ii 

1  137  311 

»i 

13,1 

ii  i?  ii 

23.  Colin»  

5  887 

ii 

ß5  02ß 

ii 

11 

11      •!  11 

58  594 

ii 

935  849 

ii 

15,9 

11      V  11 

25.  Guerrero  

ß5  75ß 

ii 

474  594 

51 

7,3 

11      11  11 

91  ßß4 

n 

947  910 

11 

10,3 

11      11  11 

70  524 

n 

3ß3  ß07 

11 

5,1 

WM  Ii 

Insgesamt:  827  533      qkm,  4  ß37  718  Ew.  =     5,6  auf  d.  qkm. 

Die  Gesamtfläche  der  Vereinigten  Staaten  von  Mexiko  betragt  demnach 
unter  Hinzurechnung  von  4042  qkm  für  die  bei  den  Staatenzitteru  nicht  mit 
in  Anschlag  gebrachten  Inseln  1  987  201  qkm,  die  gesamte  Bevölkerungszahl 
aber  13  545  4ß2  oder  6,9  auf  dem  qkm. 

Ein  Rückgang  der  Bevölkerungsziffer  trat  nur  bei  den  Staaten  Campeche, 
Aguascalientos  und  Queretaro  ein,  in  sichtlichem  Zusammenhange  mit  dem 
Rückgänge  der  Holzschlägerei  bei  ersterem  und   dorn  Rückgänge  des  Berg- 


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Kleinere  Mitteilungen. 


699 


baues  bei  letzteren.  Die  Zunahme  der  Bevölkerung  im  allgemeinen  betrug 
1,45  Prozent  im  Jahresdurchschnitt,  am  stärksten  (2,3  Prozent)  war  sie  aber 
bei  der  Gruppe  der  nördlichen  Hochlandstaaten,  in  denen  der  befruchtende 
Einflufs  der  Nordamerikanischen  Union  auf  das  gesamte  mexikanische  Wirt- 
schaftsleben am  wirksamsten  ist;  und  demnächst  in  der  Gruppe  der  atlan- 
tischen (1,9  Prozent)  sowie  der  pazifischen  Küstenstaaten  (1,7  Prozent).  In 
der  Gruppe  der  südlichen  Hochlandstaaten  blieb  sie  dagegen  (1,2  Prozent) 
hinter  dem  Durchschnitt  zurück,  und  das  vergleichsweise  ungünstige  Ergebnis 
bei  dieser  Gruppe,  die  jederzeit  die  eigentliche  Haupt-  und  Kerngruppe  gewesen 
ist,  dürfte  besonders  darin  begründet  sein,  dafs  bei  mehreren  von  ihren  Gliedern 

—  vor  allem  auch  bei  Guanajuato  mit  seinen  phänomenalen  Silbererzgängen 

—  die  Bergbauthätigkeit  ihren  Höhepunkt  überschritten  hat,  sowie  darin, 
dafs  die  dazu  gehörigen  reichen  Kornstaaten  (Guanajuato,  Mexiko,  Puebla, 
Queretaro  u.  a.)  eine  lange  Reihe  von  schlechten  Erntejahren  zu  verzeichnen 
gehabt  haben.  Bei  der  verhältnismäfsig  grofsen  Dichtigkeit  ihrer  Bevölkerung 
mufste  dies  doppelt  schwer  empfunden  werden.  Den  atlantischen  Küstenstaaten 
(ganz  besonders  Veracruz)  dagegen  kommt  nach  wie  vor  ihre  günstige  See- 
verkehrslage zugute,  und  bei  den  pazifischen  Staaten  sind  im  letztverfiossenen 
Jahrzehnt  die  lange  vernachlässigt  gebliebenen  bergbaulichen  Hilfsquellen  an 
verschiedenen  Orten  sehr  ernstlich  und  erfolgreich  in  Angriff  genommen  worden, 
wie  sich  ja  auch  das  mexikanische  Eisenbahnnetz  neuerdings  in  ganz  hervor- 
ragender Weise  in  der  Richtung  gegen  Westen  weiter  entfaltet  hat. 

E.  Deckert. 


Zur  Lage  des  geographischen  Unterrichtes  an  den  höheren  Schulen 

Sachsens. 

Professor  Hermann  Wagner  führt  in  seiner  „Denkschrift'1 1)  „den  that- 
sächlichen  Tiefstand  des  geographischen  Unterrichts,  wie  er  neben 
manchen  sehr  anerkennenswerten  Ausnahmen  im  Durchschnitte  bei  allen  Arten 
von  höheren  Lehranstalten  noch  besteht"  unter  anderem  auf  „die  mangelnde 
Verwendung  der  fachmännisch  vorgebildeten  Männer  im  Schul- 
unterrichte" zurück.  Als  Beleg  dafür  weist  er  an  der  Hand  der  Oster- 
programme  der  preufsiscben  Anstalten  im  Jahre  1899  „die  beispiellose  Zer- 
splitterung des  geographischen  Unterrichts  auf  eine  stetig  wechselnde  Zahl 
von  Lehrkräften"  nach.    Wir  wollen  seinem  Beispiele  folgen. 

Nach  den  Ostern  1900  ausgegebenen  Programmen  der  sächsischen  Gym- 
nasien (17)  und  Realgymnasien  ( 10)  wurde  in  dem  Schuljahre  von  Ostern  1899 
bis  Ostern  1900  der  geographische  Unterricht 

ana  2         1*  6  3  211  Anstalten 

mit  2Jk  2 T>,  5  6,  6.  6^5»  7^  8.  10  5.  10.  10.    10.  10.  14   11_,  14.   Iii  14  Klassen  $ 

L  2j  ü»  12»  12,  U 

1Ä 

von       1  2         3  4  6  3  S  8     lfl  verschie- 

denen Lehrern,  insgesamt  also: 


1}  Wagner,  Die  Lage  des  geographischen  Unterricht«  an  den  höheren  Schulen 
Preußens  um  die  Jahrhundertwende.  Ca  8.  Hannover  und  Leipzig  1900,  Hahn'sehc 
Buchhandlung.    —  _8Q  Jt 

2j  Die  beiden  Fürstenschulen,  an  denen  die  Unterklassen  fehlen. 

3)  Unter  Klassen  sind  hier  immer  KlasBen  zu  verstehen,  die  geographischen 
Unterricht  erhalten. 

47* 


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700 


(Jeographische  Neuigkeiten. 


in  21     Klassen  von  121  Lehrern  erteilt, 
ungerechnet   die    Mathematiker  und  Physiker,  denen  auf  (Jmnd  der  Lehr- 
ordnungen vom  28.  Jan.  1893  (ffir  die  Gymnasien»  und  vom  13.  Novbr.  1893 
(für  die  Realgymnasien)  der  Unterricht  in  der  mathematischen  Geographie 
(„Elementen  der  Astronomie")  in  Oberprima  oblag. 
Von  diesen  121  Lehrern  unterrichteten 

in  1        2        3        4      5      6      7  Klassen 

64»)     25       13       9      6      1      S  Lehrer, 
das  sind  52,9    20,7    10,7    7.4    5      0,8    2.5  Prozent, 

wöchentlich    123       4        5      6      7      81012     14  Stunden 
23    52     4      16       3      8      3      7      2      2      2  Lehrer, 
das  sind       1»    43    3,3    12,4    2,5    6.6    2,5    5,8    1,6    1,6    1,6  Prozent. 

In  welcher  verschiedenen  —  man  möchte  sagen  x  beliebigen  -  Weise 
die  Stunden  verteilt  werden,  ergiebt  sich  recht  deutlich  daraus,  dafs  an  einem 
Gymnasium  mit  h  Klassen  in  jeder  Klasse  ein  auderer  Lehrer  der 
Geographie  auftritt,  während  in  lö  Klassen  eines  Realgymnasiums  nur 
3  verschiedene  Lehrer  thätig  sind,  und  dafs  von  zwei  Realgymnasien  mit  je 
14  Klassen  das  eine  3,  das  andere  10  Lehrer  mit  dem  geographischen  Unter- 
richte betraut. 

Besondere  Erwähnung  verdient,  dafs  in  einem  Gymnasium  der  ge- 
samte geographische  Unterricht  in  einer  Hand  liegt  und  dafs  in 
einem  Realgymnasium  bereits  seit  fünf  .Jahren  in  allen  Klassen,  also 
auch  in  Unter-  und  Oberprima,  geographischer  Unterricht  erteilt  wird.2) 


Geographische  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitzau. 

...        .  |  gelegt  wurden.    Von  dem  mitgeführten 

*  8*  Proviant  wurden  während  der  7't8tün- 

*  über  ihre  denkwürdige  Luftfahrt,  '  digen  Fahrt  nur  einige  Schluck  Selters- 
die  in  die  bisher  noch  nicht  erreichte  wasser  genommen.  Die  wissenschaftliche 
Höhe  von  10  500m  führte,  berichten  die  Aufgabe  dieser  Hochfahrt  bestand  darin, 
beiden  Luftfahrer,  Prof.  Rerson  und  in  möglichst  grofsen  Höhen  eine  Kontrolle 
Dr.  Siiriug,  in  den  „Aeronautischen  der  Registrierapparate  durch  direktes  Ali- 
Mitteilungen" ,  wodurch  unsere  früheren  lesen  der  Instrumente  zu  erhalten,  daneben 
Mitteilungen  über  diese  Fahrt  (a.  S.  526  1  auch  die  Vorstellungen  von  der  physiolo- 
in  einigen  Punkten  berichtigt  werden,  gischen  Wirkung  der  Höhe  auf  den 
Der  Ballon  „Preufseu"  war  mit  5400  cbm  menschlichen  Organismus  zu  klären.  Der 
Wasserstoff  gefüllt  und  trug  die  bedeu-  Ballon  stieg  mit  1,5  m  Geschwindigkeit 
tende  Ballastmenge  von  3500  kg.  Zur  in  der  Sekunde  bis  zu  4500  m,  wo  er 
künstlichen  Atmung  hatte  man  vier  Sauer- '  prall  voll  war,  von  da  ab  wurden  in 
stotfflaschen  zu  1000  Liter  Inhalt  mitge-  kurzen  Zwischenräumen  meist  zwei  Säcke 
führt.  Zur  Erwärmung  dienten  schwere  Ballast  gleichzeitig  abgeschnitten,  wo- 
Rentierpelze  und  Thermophorgefäl'sc,  die  durch  ein  für  die  meteorologischen  ßeob- 
in  die  Taschen  und  in  die  Filzschuhe  achtungen  sehr   günstiges,  stufeuweises 

1)  Wir  bemerken  ausdrücklich,  dafs  diese  ungewöhnlich  hohe  Zahl  nicht  etwa 
darin  begründet  ist,  dafs  man  den  geographischen  Unterricht  dem  Klassenlehrer 
zugewiesen  hätte. 

2)  Lt.  Verordnung  vom  31.  .lau  1895  bis  auf  weiteres  genehmigte  Abweichung 
von  der  Lehrordnung. 


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Geographische  Neuigkeiten. 


701 


Eniporgehen  erzielt  ward.  Da  alle  körper- 
liche Arbeit  im  Korbe  möglichst  ein- 
geschränkt wurde,  war  unter  6000  m  Höhe 
ein  Bedürfnis,  Sauerstofl  zu  atmen,  kaum 
vorhanden.  Bis  gegen  7000  m  blieb  in 
dieser  Weise  der  Zustand  verhältnismäfsig 
behaglich.  Eine  gewisse  Müdigkeit  ging 
von  da  ab  allmählich  in  ein  unbeabsich- 
tigtes Einschlummern  über ;  Einsaugen 
von  Sauerstoff  erwies  sich  zur  vollen 
Belebung  als  ausreichend,  und  schwere 
Bewufstaeinsstörungen  traten  bis  zur  letzten 
Beobachtungsreihe  in  10  250  m  Höhe 
nicht  ein.  Uber  dieser  sind  die  Vorgänge 
den  beiden  Teilnehmern  nicht  mehr  völlig 
klar.  Jedenfalls  zog  Berson,  als  ihm  der 
Schlafzustand  bei  Süring  bedrohlich  er- 
schien, zweimal  das  Ventil  und  zwang 
dadurch  den  Ballon  zum  Abstieg,  brach 
jedoch  dann  ohnmächtig  zusammen.  Vor 
oiler  nach  diesem  Ventilzieheu  versuchte 
auch  Süring  in  lichten  Augenblicken  seinem 
schlafenden  Kollegen  durch  verstärkte 
Sauerstoffatmung  aufzuhelfen,  aber  ver- 
gebens. ErBt  in  6000  m  Höhe  erwachten 
beide  ziemlich  gleichzeitig  aus  schwerer 
Ohnmacht.  Nach  dem  Barographen  hat 
der  Ballon  10  800  m  Höhe  erreicht,  doch 
sind  die  Aufzeichnungen  des  Apparats 
lückenhaft  und  schwach;  die  letzte  direkte 
Barometerablesung  entspricht  einer  Höhe 
von  10  500  m.  Die  Temperatur  in  10  000  m 
Höhe  war  — 40°  C,  etwas  wärmer  als  in 
dieser  Höhe  im  Juli  normal  sein  dürfte. 
Der  Ballon  hätte,  der  noch  vorhandenen 
Ballastmenge  entsprechend,  bei  genü- 
gender Reservierung  von  Abstiegballast, 
11  500  bis  12  000  m  Höhe  erreichen  können. 
Die  Kräfte  der  beiden  Luftschiffer  waren 
nach  der  Ohnmacht  so  gering,  dafs  diese 
nur  die  allernotwendigsten  Bewegungen 
ausführen  konnten;  ausgiebige  Sauerstotf- 
zufuhr  liefB  zwar  die  Atemnot  und  das 
Angstgefühl  schwinden,  aber  bleierne 
Mattigkeit,  Schwächegefühl  im  Magen 
und  zeitweise  etwas  Kopfschmerz  blieben 
zum  Teil  noch  nach  der  Landung  bestehen. 
Irgendwelche  nachteilige  Folgen  haben 
sich  bei  ihnen  nicht  gezeigt.  (K.-Ztg.) 

Europa. 

*  Die  ältesten  Wege  in  Sachsen 
hat  Finanz-  und  Baurat  H.  Wiechel  in 
einem  längeren  Aufsatze  nebst  Karte  zu 
rekonstruieren  versucht.  (Sitzungsber. 
des  „Isis",  Dresden  1901,  H.  1.)  Es  handelt  | 


sich  um  das  Wegenetz  in  der  Periode 
von  800—1200,  um  Strafsen,  die  zum  Teil 
heute  noch  als  Hauptverkehrsadern  be- 
stehen, zum  Teil  als  Fufssteige,  Raine 
und  Schneisen  ein  halbvergessenes  Dasein 
fristen.  Zu  ihrer  Erforschung  dienten 
dem  Verf.  zwei  Methoden:  1.  Die  Beach- 
tung der  urzeitlichen  Wegtrassierungs- 
grundsütze  (Vermeidung  des  Alluviums 
und  Diluvialrandes,  Benutzung  der  wassor- 
scheidenden  Höhenrücken,  Überschreiten 
von  Flufsarmen  und  Nebenflüssen  vor  ihrer 
Vereinigung).  2.  Heranziehung  der  be- 
deutungsvollen Lokalnamen  für  die  Wege, 
wie  sie  in  reicher  Zahl  auf  der  trefflichen 
kursüchsischeu  Landesaufnahme  von 
Oberreit  aus  der  Zeit  um  1780  enthalten 
sind.  Das  dritte  Auskunftemittel:  „Ver- 
hältnis der  Wegzüge  zu  den  Flurgrenzen 
und  zum  Liniens y  stein  der  Flurverteilung" 
mufste  bis  Fertigstellung  der  „Grund- 
karte" 1  :  100000  wegen  des  Mangels  an 
kartographischen  Unterlagen  unbenutzt 
bleiben.  Die  wichtigsten  auf  der  Karte 
eingezeichneten  Wege  gruppieren  sich 
radiär  um  zwei  Brennpunkte:  1.  Das  salz- 
spendendc  Halle,  von  wo  sie  ausstrahlen 
nach  Rothenburg  a.  N. ,  Görlitz,  Prag, 
Hof;  2.  um  den  politischen  Mittelpunkt 
Prag  (hierher  gehören  dieErzgebirgspäBsc). 
Dazu  kommen  3.  die  westöstlichen  Quer- 
wege. Wg. 

*  Nach  dem  von  Prof.  Helmert  ver- 
öffentlichten Jahresbericht  des  Geodä- 
tischen Instituts  auf  dem  Telegraphenberg 
bei  Potsdam  (April  l'JOO  bia  April  1901) 
bestand  die  Haupt  thiitigkeit  des  ihm  unter- 
stellten Instituts  in  der  sicheren  astro- 
nomischen Bestimmung  der  geo- 
graphischen Längendifferenz  Pots- 
dam—Bukarest; sie  ward  auf  Anregung 
des  Chefs  des  rumänischen  militär-geo- 
graphischen  Institut«,  des  Generals 
Bratianu  in  Bukarest,  auf  preufsischer  Seite 
von  Albrecht  ausgeführt,  so  dafs  jetzt 
Bukarest  an  das  westeuropäische  Längen- 
netz angeschlossen  ist  und  so  das  neue 
Hauptdreiecksnetz  Rumäniens  das 
wichtige  Verbindungsglied  zwischen  dem 
österreichisch-ungarischen  und  dem  süd- 
ru8sischen  —  auch  einer  sicheren  astro- 
nomischen Bestimmung  in  geographischer 
Länge  nicht  mehr  entbehrt.  Im  Anschlufs 
daran  führte  Borafs  in  Bukarest  und 
Tiglina  bei  Galatz  sowie  auf  der  Wiener 
Sternwarte  relative  Schweremessuugen  in 


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7(12 


Geographische  Neuigkeiten. 


Bezug  auf  Potsdam  aus,  so  dafs  Rumänien 
jetzt  auch  für  relative  Schwerkraftmes- 
sungen an  das  Netz  der  europaischen  Haupt- 
stationen angeschlossen  ist.        F.  Th. 

*  Hebung  des  Wasserspiegels 
im  Asow'schen  Meere.  Die  Häfen  des 
Asow'schen  Meeres  besitzen  durchgängig 
eine  für  Seeschiffe  ungenügende  Tiefe. 
Die  tiefste  Stelle  der  Strafse  von  Kertscb 
beträgt  nur  13,4  m.  Die  Wassertiefe  des 
Hafens  von  Taganrog  beträgt  nur  2,2  m 
und  erreicht  erst  23  Seemeilen  seewärts 
0,7  m.  Die  Flufsmündung  im  Hafen  von 
Mariupol  ist  infolge  einer  vorgelagerten 
Barre  für  Seeschiffe  unzugänglich,  und 
ihre  Wassertiefe  beträgt  nur  1,6  m. 
Bei  Rostow  am  Don  beträgt  die  mittlere 
Tiefe  der  Hafeneinfahrt  2,4  m.  Die  Ver- 
frachtung kann  daher  in  allen  Häfen  nur 
mit  Hilfe  von  Leiterschiffen  bewerkstelligt 
werden,  wodurch  sich  die  Beförderungs- 
kosten für  Getreide  um  Bedeutendes  er- 
höhen. Die  von  der  Regierung  getroffenen 
Mafsnahmen  um  Vertiefung  der  Strafse 
von  Kertech  und  der  Hafeneinfahrten 
haben  sich  als  ungenügend  herausgestellt. 
Deshalb  gedenkt  die  Regierung,  den  ihr 
vorgelegten  Plan  einer  Abdämmung  der 
Strafse  von  Kertsch  zu  verwirklichen. 
Zwischen  der  Halbinsel  Krim  und  der 
Spitze  der  Landzunge  Tusla  beträgt  die 
Weite  der  Meeresstrafse  etwa  3247  m; 
für  die  Schiffahrt  kommt  jedoch  nur  eine 
Breite  von  1210  m  mit  einer  durchschnitt- 
lichen Tiefe  von  8,2  m  in  Betracht,  da  sich  die 
erwähnte  Landzunge  unter  dem  Meeres- 
spiegel in  einer  Durchschnittstiefe  von 
1,36  m  weit  ins  Meer  fortsetzt.  An  dieser 
Stelle  soll  ein  16,76  km  langer  Querdamm 
errichtet  werden.  Diese  Gesamtlänge  ver- 
teilt sich  auf  einzelne  Teile  in  folgender 
Weise.  In  einer  Wassertiefe  Von  5,6  m 
soll  der  Damm  1491  m  lang  und  in  einer 
Tiefe  von  8,2  m  1810  lang  werden;  dazu 
kommt  noch  der  auf  der  Landzunge  zu 
errichtende  Querdamm  von  12,46  km 
Länge.  Der  ganze  Damm  soll  in  seinem 
mittleren  Teile  zum  Zwecke  der  Durch- 
fahrt mit  Schleusen  versehen  werden. 
Der  Damm  würde  genügen,  um  einen 
WasHcrüberschufs  des  Asow'schen  Meeres 
von  33,6  Kubikkm,  der  durch  die  Strafse 
von  Kertmh  dem  Schwarzen  Meere  jähr- 
lich zugeführt  wird,  zurückzuhalten  und 
dadurch  die  gewünschte  Hebung  des 
Wasserspiegels  zu  gewinnen.    Die  Kosten 


des  Unternehmens  wurden  auf  6,8  Mil- 
lionen Rubel  geschätzt,  die  Entschädigung 
an  die  durch  die  Hebung  geschädigten 
Bewohner  auf  3  Millionen  Rubel.  Zur 
Deckung  dieser  Ausgaben  soll  von  den 
Seeschiffen  ein  Durchgangszoll  eingehoben 
werden.  A.  R. 

Asien. 

*  Eine  deutsche  Schiffahrtslinie 
Hongkong- Wladiwostok.  Die  Ham- 
burg-Amerika-Linie hat  sich  entschlossen, 
den  seit  Frühjahr  dieses  Jahres  von  ihr 
betriebenen  ostasiatischen  Küstendienst 
(die  drei  Linien:  Kanton -Hongkong- 
Schanghai;  Schanghai -Hankau;  Schan- 
ghai-Tsingtau-Tschifu-Tientsin)  durch  eine 
neue  Linie  für  Personen-  und  Fracht- 
verkehr zwischen  Hongkong  und  Wladi- 
wostok über  Japan  zu  erweitern.  Der 
Hafen  von  Wladiwostok  wird  neuerdings 
durch  die  russische  Verwaltung  mittels 
grofser  Eisbrecher  auch  im  Winter  offen 
gehalten,  sodars  ein  regelmäfsigcr  Ver- 
kehr mit  Wladiwostok  möglich  geworden 
ist  und  die  Eröffnung  der  neuen  Linie 
schon  für  den  Winter  1902  in  Aussicht 
genommen  werden  kann. 

Afrika. 

*  Lber  eine  Reise  im  westlichen 
Abessinien  berichtet  HuguesLeRoux 
in  „La  G<k>graphic"  Nr.  10.  Mit  besonderer 
Erlaubnis  und  Empfehlung  Menelik's  reiste 
Le  Roux  am  13.  März  1901  von  Adis 
Abeba  nach  der  westlichen  Provinz  Wal- 
lega,  die  zu  betreten  Menelik  bisher 
europäischen  Reisenden  nicht  gestattet 
hatte,  in  der  Absicht,  den  Ort  der  Ein- 
mündung des  Didessa  in  den  Blauen  Nil 
genau  festzustellen.  Das  Ergebnis  der 
am  4.  Mai  in  Adis  Abeba  beendigten 
Reise  war  die  Bestätigung  der  bereits 
1899  von  Herbert  Blundell  gemeldeten 
Thatsache,  dafs  der  Didessa  nicht,  wie 
bisher  angenommen,  unter  10° 30'  n.  Br., 
sondern  einige  Minuten  südlich  von  10° 
n.  Br.  in  den  Blauen  Nil  einmündet.  Da 
diese  Einmündungsstelle  den  südlichsten 
Punkt  des  Nilbogens  angiebt,  macht  also 
der  Blaue  Nil  einen  grölseren  Bogen 
nach  Süden,  als  bisher  auf  den  Karten 
augegeben  wurde. 

*  Beträchtliche  Veränderungen  a  u  f 
der  Karte  des  nördlichen  französi- 
schen Kongogebietes  und  der  spa- 


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Geographische  Neuigkeiten 


703 


irischen  Rio  Muni- Kolonie  wird  die  ; 
Forschungsreise  Lesicur's  in  diesen 
Gebieten  bewirken.  Wie  dieser  Reisende 
berichtet,  ist  der  CampO,  der  Grenzflute 
zwischen  Kamerun  und  dem  Rio  Muni- 
Gebiet,  identisch  mit  dem  Temboni  Four- 
neau's  und  dem  Ntem  CrampeTs;  der 
Kune  Crampel's  ist  sein  grölster  Neben- 
flute. Da  »ein  Lauf  durch  Stromschnellen 
unterbrochen  wird,  so  stellt  der  Flute 
keine  schiffbare  Verbindung  zwischen  dem 
Inneren  und  der  Küste  her.  Der  Benito, 
in  den  man  bisher  den  Temboni  münden 
glaubte,  ist  ein  viel  kleinerer  Flute  als 
der  Campo;  an  Stelle  seines  früheren 
Namens  Ejo  ist  jetzt  nach  Verdrängung 
seiner  ehemaligen  Uferbewohner  die  Be- 
zeichnung Welen  getreten;  auch  er  ist 
für  die  Schiffahrt  unbrauchbar.  Der  Aina 
oder  Ivindo  flietet  zuerst  nördlich,  dann 
östlich  und  vor  seinem  Einflute  in  den 
ügowe  südsüdwestlicb.  Der  Ja  oder  Djah, 
.  den  Crampel  1888  beim  Dorfe  Jambong 
erreichte,  flietet  nicht  soweit  nördlich  wie 
auf  unseren  Karten;  er  flielst  von  Fran- 
zösisch Kongo  nach  Kamerun,  dann  wie- 
der dorthin  zurück  und  mündet  schliete- 
lich  als  Iadie  iu  den  Ivindo;  ja  er  soll 
sogar  gröteer  sein  als  der  Ivindo  und  den 
Hauptflute  des  Systems  bilden.  (Geogr. 
Journ.  1901.  Novemb.) 

Nordamerika. 

*  Über  die  bisherige  Thätigkeit 
und  die  Resultate  der  Jesup-Ex- 
pedition  machte  Prof.  Boas  in  der 
Berliner  Gesellschaft  für  Erdkunde  einige 
Mitteilungen,  denen  wir  folgendes  ent- 
nehmen: Die  von  Morris  K.  Jesup, 
dem  Präsideuten  des  American  Museum 
of  Natural  History  in  Neu -York  1897 
ausgerüstete  Expedition  sollte  eingehende 
Untersuchungen  der  eingeborenen  Stämme 
des  nördlichen  Teiles  der  pazifischen 
Küsten  Asiens  und  Amerikas  ausführen, 
um  einen  etwaigen  früheren  Zusammen-  ] 
hang  zwischen  amerikanischen  und  asi- 
atischen Völkern  festzustellen.  Seit  1897 
sind  sowohl  auf  asiatischer  Seite,  nörd- 
lich vom  Amur,  wie  auf  amerikanischer 
Seite,  nördlich  vom  Columbia-River,  eine 
Reihe  von  Forschern  thätig  gewesen. 
Auf  asiatischem  Gebiet  erforschte  Dr.Lau- 
fer  aus  Köln  die  Stämme  des  Amur, 
insbesondere  die  Golden  und  Giljaken, 
unter    denen    er  fast   2  Jahre  weilte.  | 


Weiter  im  Norden  ist  eine  Expedition, 
bestehend  aus  den  Herren  Jochelson, 
Bogoras,  Axelrot  und  dem  Zoologen 
Buxton,  bei  den  Jukagiren  und  Lamuten, 
den  TBchukschen  und  Korjäken  thätig. 
Auf  amerikanischer  Seite  ist  die  Thätig- 
keit der  Expedition  bislang  auf  das  Ge- 
biet südlich  von  Alaska  beschränkt  ge- 
blieben, da  schon  in  früheren  Jahren 
seitens  der  Regierung  der  Ver.  Staaten 
eingehende  Studien  über  die  Eskimos  von 
Alaska  gemacht  worden  sind.  Im  äufser- 
sten  Süden  beschäftigte  sich  Dr.  Farraud 
mit  einer  Untersuchung  der  Küstenstämme 
des  Staates  Washington,  besonders  mit 
den  isolierten  Quilleyute.  Prof.  Boas, 
dem  die  Organisation  und  Leitung  der 
Expedition  oblag,  untersuchte  die  Stämme 
der  nördlichen  Vancouver- Insel  und  der 
angrenzenden  Gebiete  von  Britisch-Colum- 
bien.  Die  Hoida  der  Königin  Charlotte- 
Inseln  sind  aufs  sorgfältigste  von  S  w  a  n  t o n 
untersucht  und  im  ganzen  Küstengebiet 
von  Britisch  -  Columbien  und  Washington 
wurden  Studien  über  die  prähistorischen 
Menschen  von  Smith  ausgeführt.  Im 
Innern  von  Britisch-Columbien  beschäftigte 
sich  Teit  mit  den  Bewohnern  des  Südens 
und  Farrand  mit  der  Ethnologie  der 
Chilcotin.  Die  Ergebnisse  der  einzelnen 
Forschungen  werden  von  dem  American 
Museum  of  Natural  History  veröffentlicht 
und  sind  teils  bereits  erschienen,  teils  in 
der  Vorbereitung  begriffen. 

Ein  übersichtliches  Bild  über  die  Re- 
sultate der  Expedition  ist  jetzt  schon  nur 
unvollkommen  zu  geben,  da  die  Ergebnisse 
der  Einzelforschungen,  besonders  aus  dem 
nordöstlichen  Sibirien,  entweder  noch 
ganz  fehlen  oder  nur  unvollkommen  vor- 
liegen. Auf  amerikanischer  Seite  hat 
sich  jedoch  schon  so  viel  herausgestellt, 
date  die  eigentümliche  Kultur,  welche 
ihr  Zentrum  in  den  mittleren  Teilen  der 
Küste  von  Britisch-Columbien  hat,  dort 
j  schon  seit  langer  Zeit  heimisch  gewesen 
sein  mute;  auf  der  südlichen  Vancouver- 
Insel  und  dem  gegenüberliegenden  Fest- 
lande verflüchtigt  sich  der  spezifische  Cha- 
rakter dieser  Kultur  infolge  prähistorischer 
Völkerverschiebungen,  bei  denen  die 
von  Norden  her  vordringenden  Küsten- 
völker sich  mit  der  Urbevölkerung  assi- 
milierten oder  sie  vernichteten.  Scheinbar 
sind  die  Eskimos  der  Westküste  Nord- 
|  araerikas  Eindringlinge,  die  einen  früheren 


704 


Geographische  Neuigkeiten. 


Zusammenhang  zwischen  den  Völkern  des 
nordöstlichen  Sibiriens  und  den  Indianern 
Alaskas  und  Britisch  -  Columbiens  unter- 
brochen haben.  Unzweifelhaft  sind  die 
Völker  des  nordöstlichen  Asiens  und  die 
des  nordwestlichen  Amerikas  einander 
physisch  außerordentlich  ahnlich  und  der 
allgemeine  Eindruck  der  bislang  erzielten 
Resultate  der  Expedition  geht  dahin,  dafs 
sich  die  Völker  des  nordwestlichen 
Amerikas  und  des  nordöstlichen  Asiens 
als  in  den  engsten  Beziehungen  stehend 
erweisen  dürften.  (Verh.  d.  G.  f.  Erdk. 
z.  Berl.  1901.  8.  356.) 

*  Durch  die  Vollendung  des  ge- 
waltigen Wogenbrech erB  an  dem 
Ausgange  der  Delaware-Bai,  un- 
mittelbar hinter  dem  Kap  Henlopen,  ist 
für  die  grofsen  Delaware  -  Häfen  Phila- 
delpia und  Wilmington  ein  tiefer,  ge- 
räumiger und  sicherer  Vorhafen  geschaffen 
worden,  der  besonders  bei  den  starken 
winterlichen  Eisgängen,  sowie  bei  den  in 
der  Gegend  häufigen  Oststürmen  der  Schiff- 
fahrt vorzugliche  Dienste  leisten  wird.  Der 
genannte  „Delaware  Breakwater",  der 
2,4  km  lang  ist  und  zu  dessen  Herstellung 
1  464  410  Tonnen  Steine  verwendet  wurden, 
gilt  als  eine  geniale  wasserbautechnische 
Leistung  Ch.  W.  Raymond's,  von  dem  ver- 
einsstaatlichen „Board  of  Engincers",  und 
wurde  in  der  kurzen  Frist  von  44  Arbeits- 
monaten fertig  gestellt.  Der  dadurch 
geschaffene  Kunsthafen  aber  enthält 
221  ha  mit  einer  Niederwassertiefe  von 
9  m  und  weitere  96  ha  mit  einer  Nieder- 
wausertiefe  von  7,2  m,  ist  also  auch  Riesen- 
schiffen nahbar.  E.  D. 

♦  Nach  E.H.Barbour's  Beobachtungen 
ist  die  grofsartige  Geyserthätigkeit 
des  Yellowstone-ParkeB  zur  Zeit  sehr 
entschieden  im  Erlahmen  begriffen. 
So  haben  die  grofsen  Quellen  der  soge- 
nannten Minerva-Terrasse  ebenso  wie  der 
Pulpit  (Kanzel-)  und  Jupiter-Terrasse  seit 
dem  Jahre  1895  gänzlich  zu  fliefsen  auf- 
gehört. Der  „Brüllende  Berg"  („Roaring 
Mountain")  ist  verstummt  und  dampft 
nur  noch,  und  ebenso  hat  das  Getöse  des 
„Schwarzen  Brummer«"  („Black  Growler") 
im  NorriB-Geyserbecken,  das  früher  ein 
sehr  anhaltendes  war,  auffällig  nach- 
gelassen. Ferner  haben  die  großartig 
schönen  Eruptionen  des  Fountain-Geysers 
im  Unteren  Becken,  und  ebenso  diejenigen 
des  „Splendid"  und   des  „Beehive"  im 


„Oberen  Becken"  vollständig  aufgehört. 
Der  Kaskaden-Geyser  aber,  der  sonst  all- 
stündlich  spielte,  thut  es  jetzt  nur  einmal 
in  jedem  Tage,  und  der  gewaltige  Grand- 
Geyser,  der  früher  alltägliche  Ausbrüche 
hatte,  springt  im  Laufe  des  Sommers  nur 
noch  dreimal.  E.  D. 

*  Zur  Charakteristik  der  wenig  be- 
kannten Santa  Lucia  Mountains,  die 
sich  als  ein  Hauptglied  der  kalifornischen 
Küstenketten  von  Monterey  bis  gegen 
San  Luis  Obispo  hinziehen,  veröffentlicht 
Bailey  Willis  in  dem  „Bulletin"  der 
amerikanischen  Geologischen  Gesellschaft 
(Vol.  XI,  S.  417  ff.)  einen  bemerkenswerten 
Aufsatz.  Danach  erreicht  der  Gebirgszug 
in  Beinern  mittleren  Teile  im  Sta.  Lucia 
Peak  1606  m  und  im  Cone  Peak  1530  m, 
während  im  nördlichen  Teile  der  Pico 
Blanco  nur  1122  m  und  im  südlichen  der 
Pine  Mountain  nur  1088  m  hoch  sind. 
Diese  Berge  sind  Reste  eines  ältesten 
und  höchsten  Erosionsniveaus  („Monad- 
nocks"). Im  übrigen  trägt  der  aus  Quarz- 
schiefer, Glimmerschiefer,  Gneif«  und 
Granit  bestehende  breite  Gebirgsrücken 
in  jeder  Weise  den  Charakter  einer  alten 
Landschaft  („mature  topography44).  Der 
Westhang  dagegen  stürzt  steil  und  in 
zahlreichen  Vorgebirgen  nahezu  senkrecht 
zum  Stillen  Ozeane  ab,  durchfurcht  von 
zahlreichen  Erosionsschluchten  jugend- 
lichen Alters  und  an  verschiedenen  Orten 
deutliche  Terrassierung  zeigend.  Offenbar 
entspricht  derselbe  einer  jungen  Verwer- 
fungslinie,  und  während  der  westliche  Teil 
des  Gebirges  unter  den  Wellen  des 
Ozeans  begraben  liegt,  erhob  Bich  der 
östliche  Teil  zu  seiner  gegenwärtigen 
Höhe  ruckweise  und  mit  längeren  Ruhe- 
pausen zwischen  den  Hebungsperioden. 

E.  D. 

Polarregionen. 

*  Mit  dem  Expeditioneschiffe  Pcary'B, 
der  „Wind ward",  welche  am  26.  Sep- 
tember aus  dem  Smith -Sunde  nach  Bri- 
gus  auf  Neufundland  zurückgekehrt  ist, 
ist  auch  Dr.  Stein,  welcher  zweimal  in 
Ellesmere  -  Land  an  der  Wüstküste  des 
Smith-Sundes  überwintert  hat,  heim- 
gekehrt. Über  den  Erfolg  seiner  Reise 
liegen  noch  keine  näheren  Nachrichten 
vor.  Die  „Windward"  fährt  im  nächsten 
Sommer  wieder  nordwärts,  um  Peary  nach 
einem  vierjährigen  Aufenthalte  in  Nord- 


Geographisch 


e  Neuigkeiten 


grönland  wieder  in  die  Heimat  zurück- 
zuholen. 

»  Von  den  in  der  Ausreise  begriffenen 
Südpolexpeditionen  liegen  folgende 
weitere  Nachrichten  vor.  Danach  ist  das 
englische  Expeditionsschiff  die  „Discovery" 
am  3.  Oktober  in  Kapstadt  augekommen, 
nachdem  sie  die  Insel  Trinidad  angelaufen 
hatte,  wo  Kapt.  Scott,  Murray  und 
Dr.  Koettlitz  trotz  der  heftigen  Brandung 
eine  Landung  ausführten  und  dabei  eine 
interessante  Sammlung  naturhistorischer 
Gegenstände  zusammenbrachten.  Von  Kap- 
stadt ging  das  Schiff  nach  Simonsbay  und 
von  dort  am  16.  Okt.  nach  Lyttleton  (Neu- 
seeland), nachdem  man  den  beabsichtigten 
Besuch  von  Melbourne  aufgegeben  hatte. 
Von  der  deutschen  Südpolarexpedition, 
über  deren  Schicksal  man  bereits  Besorg- 
nisse hegte,  (hi  sie  nach  den  letzten  Mit- 
teilungen ihres  Leiters  bereits  am  20.  Okt. 
in  Kapstadt  eintreffen  sollte,  ist  erst  am 
23.  November  die  folgende  Nachricht  ein- 
getroffen: „Die  Expedition  ist  glücklich 
in  Kapstadt  eingetroffen;  alle  wohl.  Ver- 
zögerung durch  Wetter.  Ascension,  weil 
unnötig,  aufgegeben.  Aufenthalt  10  Tage 
zur  Reinigung  im  Dock."  Weitere  Nach- 
richten fehlen  noch.  Unterdessen  ist  auch 
die  schwedische  Südpolarexpedition  am 
16. Okt.  an  Bord  der  „Antarktika  von  Gothen- 
burg aus  nach  Süden  aufgebrochen.  Der  Ex- 
peditionsleiter Dr.  Otto  Nordenskjöld, 
ein  Neffe  des  kürzlich  verstorbenen  Nord- 
polforschers Frhrn.  A.  E.  v.  Nordenskjöld, 
will  an  der  Küste  von  König  Oskars-Land 
möglichst  weit  nach  Süden  vordringen, 
um  dort  mit  Dr.  Bodman,  Dr.  Ekelöf  zu 
überwintern  und  botanische,  geologische, 
zoologische  Sammlungen  anzulegen  und 
wissenschaftliche  Beobachtungen  anzu- 
stellen. Im  folgenden  Südsommer  Boll 
dann  auf  SchlittenreiBen  König  OBkars- 
Land  untersucht  und  dabei  festgestellt 
werden,  ob  es  ein  Teil  des  antarktischen 
Kontinents  oder  eine  Inselgruppe  ist. 
Die  „Antarktik"  soll  nach  Landung  der 
Vorräte  nach  dem  südatlantischen  Ozean 
zurückkehren,  dort  Meeresuntersuchungen 
vornehmen  und  am  Feuerland  überwintern. 
Im  folgenden  Herbst  (Frühjahr  1Ü03)  ge- 
denkt die  Expedition  zurückzukehren. 

Geographischer  Unterricht. 

*  Als  Privatdozent  der  Geo- 
graphie an   der  Universität  Leipzig 


habilitierte  sich  Dr.  Ernst  Friedrich, 
Assistent  am  dortigen  geographischen 
Seminar,  mit  der  Habilitationsschrift: 
„Die  Anwendung  der  kartographischen 
Darstellungsmittel  auf  wirtsehaftsgeo- 
graphische  Karten". 

*  Die  Abhaltung  der  Vorlesungen  und 
Übungen  über  Geographie  an  der  Uni- 
versität Marburg  ist  im  laufenden  W.-S. 
für  den  beurlaubten  Professor  Theobald 
Fischer  dem  Privatdozent  an  der  Uni- 
versität Halle  a.S.  Prof.  Dr.  Willi  Ulc 
übertragen  worden. 

• 

Vereine,  Versammlungen  nnd 
Zeitschriften. 

*  Der  nächste  InternationaleGeo- 
graphenkongrefs  soll,  wie  im  National 
Geographie  Magazine  mitgeteilt  wird,  in 
Washington  abgehalten  werden.  Auf  die 
förmliche  Einladung  der  National  Geogra- 
phie Society  in  Washington ,  die  durch 
den  amerikanischen  Botschafter  White 
dem  geschäftsführenden  Ausschufs  des 
Kongresses  in  Berlin  übermittelt  worden 
ist,  hat  sich  dieser  entschieden,  den  näch- 
sten Kongrefs  in  Washington,  aber  nicht 
vor  dem  Jahre  1904,  stattfinden  zu  lassen. 
Die  gastgebende  Gesellschaft  hofft  es  er- 
möglichen zu  können,  den  Kongrefs  auch 
in  Neu -York,  Boston,  Philadelphia,  viel- 
leicht auch  in  San  Franzisko  und  Seattle, 
Sitzungen  abhalten  zu  lassen,  und  stellt 
eine  grofse  Zahl  von  Exkursionen  vom 
Golf  von  Mexiko  bis  nach  Alaska  in 
Aussicht. 

*  Seit  Oktober  erscheint  als  Organ 
der  Deutsch-Asiatischen  Gesellschaft  im 
Verlag  von  H.  Paetel,  Berlin,  eine  neue 
Zeitschrift  „Asien",  welche  in  erster 
Linie  der  wirtschaftlichen  Erforschung 
dieses  Erdteils  dienen  und  der  Deutschen 
Kulturarbeit  im  Osten  im  weitesten  Sinn 
des  Wortes  neue  Freunde  und  Anhänger 
zuführen  soll.  W.  H. 

*  Eine  neue  englische  schulgeogra- 
phische Zeitschrift  erscheint  seit  Ok- 
tober 1001  in  London  unter  dem  Titel: 
„The  Geographical  Teacher."  Die  jährlich 
nur  dreimal,  im  Oktober,  Februar  und 
Juni,  zur  Ausgabe  gelangende  Zeitschrift 
soll  das  Organ  der  „Geographical  Asso- 
ciation" bilden  und  sich  hauptsächlich 


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Tun 


Büeherbesprechungen. 


mit  methodischen  Fragen  (Ick  geogra-  Persönliches, 
phischen  Unterrichts  und  des  geographi-  ♦  Dem  Altmeister  der  deutschen  Geo- 
schen  Lehrstoffes  befassen;  eine  beson-  graphcn,  dem  Professor  der  Geographie 
dere  Abteilung  soll  einen  Ideenaustausch  '  an  der  Universität  Berlin,  Geh.  Rat  Ferdi- 
zwisehcn  den  Lesern  und  die  Diskussion  nand  von  Rieht hofen,  ist  vom  Deutschen 
über  schwierigere  geographische  Fragen  |  Kaiser  die  grol'se  goldene  Medaille  für 
vermitteln.  Kunst  und  Wissenschaft  verliehen  worden. 


Bücherbesprechniigen. 


Gebauer,  H.,  Handbuch  der  Lander- 1 
und  Völkerkunde  in  volkstüm- 
licher Darstellung  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  volkswirtschaft- 
lichen Verhältnisse.  1.  Bd:  Europa. 
Lex.  8°.  086  S.  Leipzig,  G.  Lang 
1901.  Preis  15  UK,  geb.  17  JC 
Bei  der  ersten  flüchtigen  Durchsieht 
des  umfassenden  Werkes  fällt  bereits 
eine  Eigentümlichkeit  auf,  die  es  von  allen 
ähnlichen  Handbüchern  unterscheidet: 
der  völlige  Mangel  an  Illustrationen.  Da- 
durch hat  sich  der  Verfasser  die  Arbeit 
selbst  überaus  ersehwert  und  insbesondere 
die  Darstellung  der  mathematischen  Geo- 
graphie leidet  unter  diesem  Mangel,  dem 
der  gelegentliche  Hinweis  auf  einen  Schul- 
atlas nicht  abhelfen  kann.  Ist  auch  man- 
ches, wie  etwa  die  Erklärung  der  Gleich- 
heit von  Polhöhe  und  geographischer 
Breite,  auch  ohne  Figuren  recht  anschau- 
lich gegeben,  so  ist  doch  in  anderen  Fällen 
der  Leser  förmlich  gezwungen,  sich  eine 
Skizze  zu  entwerfen,  um  das  Gelesene 
zu  verstehen,  so  etwa  bei  der  Besprechung 
der  scheinbaren  Bewegung.  Auch  sonst 
siud  die  allgemeinen  Abschnitte  (L  Die 
Erde  als  Weltkörper.  II.  Die  Natur  der 
Erde:  l.  Land,  2.  Wasser,  8.  Luft,  4.  Pflan- 
zenhülle, 5.  Tierwelt.  III.  Die  Erde  als 
Wohnplatz  des  Menschen)  und  insbeson- 
dere der  erste  davon  weniger  sorgsam  durch- 
gearbeitet als  der  besondere  Teil.  Be- 
griffe, die  erst  später  zur  Erörterung  kom- 
men, werden  vorweggenommen  (Drehung 
der  Erde  im  Abschnitt  „Gestalt  und  Gröfse" 
u.  a.).  Der  Anschlufs  an  die  als  Quellen 
benützten  Handbücher,  denen  manches 
wörtlich  entnommen  ist,  ist  ein  zu  enger, 
auch  in  der  Disposition;  man  ist  z.  B 
überrascht  ,  einmal  Wagner  für  eine  von 
ihm  blofs  wiedergegebene  Zusammen- 
stellung von  Prestwieh  citiert  zu  linden, 
während  dies  an  wichtigeren  Stellen  unter- 


bleibt, und  in  dem  umfangreichen  Ab- 
schnitt über  die  Haustiere  vermifst  man 
die  Erwähnung  der  reichlich  benützten 
Arbeit  von  E.  Hahn.  Manche  Erscheinung 
ist  an  einer  befremdenden  Stelle  be- 
sprochen oder,  wie  die  Zonenzeit,  gerade 
vom  wirtschaftsgeographischen  Stand- 
punkt aus  nicht  genugsam  ausgewertet 
u.  s.  w.  Doch  finden  sich  auch  in  diesen 
Abschnitten  die  wichtigsten  neueren  For- 
schungsergebnisse meist  klar  und  voll- 
ständig wiedergegeben.  Der  Tendenz  des 
Werkes  entsprechend  werden  im  Kapitel 
„Meer"  die  Strömungen  besonders  aus- 
führlich besprochen  und  der  Seefischerei 
mehrere  Seiten  gewidmet;  ebenso  ist  die 
Schiffbarkeit  der  Flüsse  und  die  Kanali- 
sation relativ  ausführlich  besprochen 
In  dem  Abschnitt  ,,Die  Erde  als  Wohn- 
platz des  Menschen"  ist  dagegen  streng 
genommen  gar  nicht  von  der  Erde,  son- 
dern nur  von  den  Menschen  und  ihrer 
physischen,  sprachlichen  und  kulturellen 
Gliederung  die  Rede.  Wohl  mit  Bedacht 
hat  der  Verfasser  die  Schwierigkeiten  ver- 
mieden, die  sich  einer  „volkstümlichen 
Darstellung"  der  allgemeinen  „Anthropo- 
geographie"  entgegenstellen. 

Über  700  Seiten  des  Buches  entfallen 
auf  die  spezielle  Geographie  Europas 
und  fast  400  davon  auf  das  Deutsche 
Reich.  Einem  kurzen  einleitenden  Ab- 
schnitt über  den  gesamten  Erdteil  ist 
die  Besprechung  der  Alpen  als  Ganzes 
einverleibt.  Es  sei  hier  bemerkt,  dafs 
Verfasser  nur  eine  Dreiteilung  der  Alpen 
kennt  und  die  Grenzlinien  thunlichst  den 
politischen  Grenzen  anpafst.  Die  folgen- 
den länderkundlichen  Abschnitte  be- 
sprechen zuerst  Lage  und  Grenzen,  be- 
sonders die  begrenzenden  Meere;  hierauf 
folgt  unter  den  Titeln  „Bodengestalt"  und 
„Flüsse"  eine  oft  recht  lebhafte  choro- 
graphische     und  landschaftliche 


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Bücherbcsp 


rechungen. 


707 


Schilderung,  aus  welcher  auch  die 
wichtigsten  Verkehrswege  und  Städte- 
lagen, sowie  manche  Produktionsverhält- 
nisse beleuchtet  werden.  Bemerkenswert 
ist  hier  die  Stellung  des  Verfassers  gegen- 
über den  von  der  Geologie  gelieferten 
Daten.  Er  berücksichtigt  konsequent  dit* 
Momente,  deren  anthropogeographische 
und  wirtschaftliche  Wirkungen  sich  er- 
fassen lassen,  also  Geeteinsart  und  Boden- 
art (Verwitterung,  starke  Zerrissenheit  etc.), 
gedenkt  dagegen  der  Struktur-  und 
Skulpt Urformen  zumeist  nur  dort,  wo  sich 
—  wie  bei  den  Bruchlinien  im  Schollen- 
land oder  denDiluvialthalern  Norddeutsch- 
lands —  die  Verkehrswege  unmittelbar 
an  sie  anlehnen.  Leider  wird  diese 
Schilderung  durch  die  gesonderte  Be- 
sprechung der  Fluf8täler  zerrissen.  An 
diese  beiden  Abschnitte  schliefsen  sich 
in  der  Regel  (die  verschieden  ausführliche 
Behandlung  der  einzelnen  Länder  bedingt 
Ausnahmen)  die  topographisch-statisti- 
schen und  wirtschaftlichen  Abschnitte  in 
folgender  Reihenfolge:  Kanäle,  Seen, 
Klima,  Bevölkerung  (mit  Einschlufs  des 
Unterrichtswesens),  staatliche  Verhältnisse, 
Heerwesen,  Finanzen,  Gerichtswesen, 
Ackerbau,  Viehzucht,  Bergbau,  Handel 
(mit  Münz-  und  Mals-  und  Gewichts- 
wesen ),  Geld-  und  Kreditverkehr  etc.  — 
und  endlich  werden  die  Städte  und  ihre 
Krwerbszweige  eingehender  verzeichnet. 
Wir  finden  also  den  Typus  des  „geo- 
graphisch- statistischen  Handbuchs"  zum 
Nachschlagen!  Das  Deutsche  Keich  ist 
ausführlich  und,  so  weit  ich  urteilen  kann, 
insbesondere  sind  die  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse mit  erheblicher  Sachkunde  behan- 
delt. Dagegen  ergab  mir  eine  genauere 
Durchsicht  des  Abschnittes  Österreich- 
Ungarn  zahlreiche  veraltete  und  irrige 
Angaben,  Ungenauigkeiten  und  Lücken. 
Unrichtiges  ist  hier  erwähnt,  während 
man  z.  B.  hervorragende  Industrieorte 
vermifst.  Die  meisten  übrigen  Länder 
sind  besser  bearbeitet.  Dafs  sich  Un- 
gleichheiten in  der  Behandlung  und  ein- 
zelne befremdliche  Auslassungen  finden, 
ist  bei  einem  so  reichhaltigen  Material, 
wie  es  insbesondere  bei  der  Aufzählung 
der  Städte  mit  ihren  wirtschaftlichen 
Charakterzügen  verarbeitet  werden  mufste, 
kaum  vermeidlich.  Seine  Aufgabe  als 
Nachschlagewerk  erfüllt  das  Buch  im 
ganzen  sehr  gut.  Sieger. 


Geographisches  Jahrbuch,  heraus- 
gegeben von  H.  Wagner.  XXI.  bis 
XXni.  Band.  Gotha.  Justus  Perthes 
1899—1901,  je  15.— 
Im  ganzen  ist  der  Charakter  de«  Geo- 
graphischen Jahrbuches  derselbe  geblieben, 
wie  er  sich  im  Laufe  der  Jahre  im  ganzen 
bewährt  hat;  einzelne  Bearbeiter  haben 
gewechselt,  die  prinzipiellen  Änderungen 
sind  gering.  Besonders  dankenswert 
scheint  mir  die  Erweiterung  der  karto- 
graphischen Berichte  durch  Hammer  und 
die  neu  eingeführte  Behandlung  der 
geographischen  Landmessung  von  dem- 
selben Autor  zu  sein.  Es  ist  sehr  zu 
bedauern,  dafs  dieser  vorzügliche  Geodät 
seine  Mitarbeit  am  Geographischen  Jahr- 
buch einstellen  wird ;  wir  Geographen 
können  die  mathematische  Geographie, 
die  für  uns  eine  Hilfswissenschaft  ist  in 
demselben  Sinne  wie  die  Chronologie  für 
die  Geschichte,  nicht  selbständig  fordern, 
sondern  müssen  uns  darin  auf  die  Er- 
gebnisse der  Astronomie  und  Geodäsie 
stützen,  und  müssen  es  deshalb  dankbar 
begrüfsen,  wenn  uns  hervorragende  Ver- 
treter dieser  Wissenschaften  deren  Stoff 
in  der  für  uns  geeigneten  Form  darbieten. 
Weitere  Änderungen  der  Berichte  über 
allgemeine  Erdkunde  sind  die  t  bernahme 
des  klimatologischen  Berichtes  durch 
Meinard us,  der  ihnen  aber  denselben 
Charakter  wie  seine  Vorgänger  H  a  n  n  und 
Brückner  gelassen  hat,  und  die  Erneue- 
rung der  tiergeographischen  Berichte.  Im 
Gegensatz  zu  den  früheren  Faunenlisten 
Sehmarda's  giebt  Ortmann  eine  Erörte- 
rung der  Probleme;  in  dem  vorliegenden 
Bericht  ist  allerdings  die  Tiergeographie 
des  Meeres  etwas  einseitig  gegenüber  der 
des  Landes  bevorzugt.  In  bezug  auf  den 
geophysikalischen  und  den  geognostischen 
Bericht  hat  sich  mir  die  schon  früher 
(G.  Z.  II,  1896,  S.  67)  ausgesprochene 
Meinung  noch  befestigt,  dafs  sie  den 
geographischen  Bedürfnissen  nicht  ge- 
nügen. Ein  Bericht  über  das  Auftreten 
der  Gesteine  und  Formationen  hat  für 
den  Geographen  keinen  Wert  und  gehört, 
in  ein  geologisches,  aber  nicht  in  ein 
geographische«  Jahrbuch.  Was  wir 
brauchen,  ist  eine  Zusammenstellung  der 
in  der  geographischen  und  geologischen 
Litteratur  enthaltenen  Angaben  über 
inneren  Bau,  Oberflächenformen  und 
geologische  Vorgänge,  während  jetzt  selbst 


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Tos 


Bücherbcspreehungen. 


aus  geographischen  Arbeiten  nur  die 
eigentlich  geognostischen  i  stratigraphi- 
schen)  Anhalten  herausgeschält  werden. 
Der  geophysikalische  Bericht  bietet  dafür 
keinen  Ersatz,  weil  er  den  Gegenstand 
nur  vom  Standpunkt  der  allgemeinen, 
nicht  von  dem  der  speziellen  Geographie 
behandelt,  und  weil  sich  nun  einmal  die 
Tektonik  und  Morphologie  der  Erdober- 
fläche nicht  physikalisch  behandeln  lassen. 
Kine  andere  empfindliche  Lücke  scheint 
mir  das  Fehlen  von  Berichten  über  die 
Geographie  des  Menschen  (aufser  der  von 
Gerland  bearbeiteten  Ethnologie  zu  sein; 
über  Siedelungsgeographie,  Verkehrsgeo- 
graphie, Bevölkerungsdichte  u.  s.  w.  sind 
in  dem  letzten  Jahrzehnt  so  viele  Einzel- 
arbeiten  erschienen,  dafB  regelmäfsige  Be- 
richte darüber  sehr  wünschenswert  wären. 
Hoffentlich  gelingt  es  dem  Herausgeber, 
hierfür  einen  geeigneten  Berichterstatter 
zu  gewinnen.  Aus  der  Länderkunde  ist 
zu  erwähnen,  dafs  Asien  von  Ticfsen  über- 
nommen worden  ist.  und  dafs  die  Berichte 
über  Großbritannien  und  Kufsland  aus- 
gefallen sind.  A.  Hettner. 

Günther,  8.,  Das  Zeitalter  der  Ent- 
deckungen. Mit  einer  Weltkarte. 
'26.  Bändchen  der  Sammlung  „Aus 
Natur  und  Geisteswelt".  Leipzig, 
B  G.  Teubner  1901.  ,«  1.86. 
Das  letzte  Jahrzehnt  hat  gerade  für 
die  Geschichte  des  Zeitalters  der  Ent- 
deckungen im  Anschlufs  an  die  Feier 
der  400jährigen  Wiederkehr  des  Tages 
der  Entdeckung  Amerikas  und  des  See- 
weges nach  Ostindien  eine  reiche  Litteratur 
hervorgebracht.  Es  mufste  daher  eine 
anziehende  Aufgabe  sein,  das  Ergebnis 
der  neuesten  Forschungen  auch  in  einer 
populär-wissenschaftlichen  Form  zur  Dar- 
stellung zu  bringen.  Der  Verfasser  hatte 
diesen  Gegenstand  im  Auftrage  des 
Münchener  Hochschulvereins  bereits  in 
sechs  Vorträgen  behandelt,  und  diese 
sind  in  abgerundeter  und  teilweise  er- 
weiterter Gestalt  zu  einem  Büohelchen 
vereinigt.  Der  erste  Vortrag  hat  die  all- 
mähliche Aufhellung  des  geographischen 
Horizontes  im  Altertum  und  Mittelalter 
zum  Gegenstande.  Die  anderen  behandeln 
die  Entdeckerthätigkeit  »1er  Portugiesen 
in  Afrika  und  Indien,  die  That  des 
Kolumbus  und  die  weitere  Entdeckung 
der  Neuen  Welt,  die  erste  Erdumsegelung  I 


und  die  Erschließung  der  Südsee.  ferner 
die  Entdeckungen  und  Eroberungen  der 
Spanier  und  Portugiesen  in  Amerika  und 
den  Eintritt  der  Franzosen  und  germa- 
nischen Völker  in  die  Entdeckerthätigkeit. 
—  Mit  der  dem  Verfasser  eigenen  sti- 
listischen Gewandtheit  und  lebendigen 
Darstellungsweise  sind  hier  die  grofsen 
weltbewegenden  Ereignisse  der  geogra- 
phischen Kenaissancezeit  ansprechend  ge- 
schildert worden.       K.  Kretschmer. 

(•rundmann.  Johanne«.  Die  geogra- 
phischen und  völkerkundlichen 
(Quellen  und  Anschauungen  in 
Her  der  's  „Ideen  zur  Geschichte 
der  Menschheit".  VI  u.  139  S. 
Berlin,  Weidmann,  1900.  .fc  3.— 
Eine  Aufgabe,  die  in  engcrem  Rahmen 
Paul  Lehmann's  Programm  „Herder  in 
seiner  Bedeutung  für  die  Geographie" 
.'Berlin.  Falk-Kealgymn.  1883  mit  frischem 
Zuge  in  Angriff  nahm,  wird  hier  ein- 
dringend und  mit  Erweiterung  nach  der 
Seite  der  Völkerkunde  bearbeitet.  Der 
I.  Teil  überschaut  die  „Quellen  allge- 
meiner Art  und  im  besonderen  zu  den 
physisch-astronomisch-geographischen  Be- 
trachtungen HerderV'.  Hier  werden  die 
Beziehungen  zu  Leibniz,  Rousseau  und 
mit  besonnenem,  wohl  abgewogenem  Urteil 
namentlich  die  zu  Kant  erörtert,  auch  die 
stoffreichen  Werke,  die  ein  dem  Herder- 
schen  ähnliches  Ziel  schon  vor  ihm  ver- 
folgten (Iselin,  Falkoner  und  namentlich 
Zimmermann^,  gewürdigt,  endlich  die  all- 
gemeiner bedeutsamen  Keisewerke  und 
verwandten  Zeitschriften  gemustert.  Der 
U.  Teil  giebt  die  Analyse  der  „Quellen 
zu  den  Völkerbeschreibungen".  Es  ist 
höchst  anziehend,  hier  in  die  Werkstatt 
des  Denkers  zu  blicken  und  die  Gesichts- 
punkte kennen  zu  lernen,  nach  denen  er 
seine  Stellung  gegenüber  den  naturgemäfs 
stark  auseinandergehenden  Meinungen 
wählte.  Der  III.  Teil  endlich  ist  der 
wichtigste.  Er  beleuchtet  unter  scharfer 
Abhebung  der  eigenen  Leistung  Herder  s 
seine  Anschauungen  über  die  Einwirkung 
der  Natur  (des  in  weitestem  Sinne  ge- 
fällten ..Klimas")  auf  Körper  und  Geist, 
auf  soziale  und  politische  Einrichtungen 
und  die  gesamte  Kulturentwicklung  der 
Völker.  Lage,  horizontale  und  vertikale 
Gliederung  der  Länder  kommen  gesondert 
zur  Geltung    Durch  Vergleich  mit  Hippo- 


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Bücherbesprechungen. 


709 


krates  und  Montesquieu  werden  Herder' h  I 
marBvolle,  tiefer  durchdachte  Lehreu  ins 
rechte  Licht  gestellt.  —  Gern  und  mit 
wachsendem  Vertrauen  folgt  man  der 
Führung  der  gründlichen,  wohlüherlegtcn 
und  sorgfältig  gefafsten  Darstellung. 
Breslau.  J.  Partsch. 

Supan,  Alexander,  Die  Bevölkerung 
der  Erde.  XI.  Asien  und  Australien 
samt  den  Südsee -Inseln.  Gotha, 
J.  Perthes,  1901.  Ergänzungsheft  135 
zu  Petermann' b  Mitteilungen.  IV  u. 
107  S.,  1  Karte.  6.40. 
Diese  „Übersicht  über  neue  Arealbe- 
rechnungen, Gebietsveränderungen,  Zäh- 
lungen und  Schätzungen  der  Bevölkerung 
auf  der  gesamten  Erdoberfläche"  wurde 
1872  von  Ernst  Behm  und  Hermann  Wagner 
begründet  und  von  beiden  in  Zwischen- 
räumen von  ein  bis  zwei  Jahren  bis  1882 
fortgeführt  (I  1872,  II  1874,  HI  1875, 
IV  1876,  V  1878,  VI  18X0,  VII  1882), 
indem  der  Stoff  eines  jeden  Heftes  in  die 
Kapitel  1.  Areal  und  Bevölkerung  nebst 
Gebietsveränderungen  und  II.  Ortsstatistik 
zerfiel.  Diese  „Jährliche"  I  bersicht  wurde 
nach  Behm's  Tode  (1884)  durch  H.Wagner 
und  AlexanderSupan  1891  als  „Periodische" 
Übersicht  fortgesetzt  (  Heft  VIII  ff.)  und 
wird  seit  1899  von  letzterem  allein  heraus- 
gegeben. Die  Teilung  des  Stoffes  in  die 
beiden  oben  erwähnten  Kapitel  ging  bei 
den  Heften  VIII  und  IX  so  weit,  dafs 
Heft  VIII  nur  das  Kapitel  Areal  u.  s.  w., 
Heft  IX  (18»«,  bereits  von  A.  Supan  allein 
bearbeitet  i  die  Ortsstatistik  für  sich  be- 
handelte. Seit  Heft  X  wurde  eine  Zu- 
sammenfassung des  gesamten  Stoffes  unter 
die  einzelneu  Länder  und  Erdteile  ein- 
geführt, so  dafs  Heft  X  (1899)  Europa, 
Heft  XI  il901)  Asien,  Australien  und 
die  Südsee -Inseln  betrachtet,  während 
Heft  XII  Afrika  und  Amerika  (wohl  auch 
die  Polarländer)  bringen  soll.  Diese 
Dreiteilung  des  Stoffes  wird  wahrschein- 
lich beibehalten  werden;  daneben  sollen 
Jährliche  Tabellen  der  Staaten  und  Kolo- 
nien die  Fortschritte  der  Bevölkerungs- 
statistik in  grofsen  Zügen  vor  Augen 
führen".  Den  Interessen  der  Geographen, 
der  Sprödigkeit  des  Materials  wie  der 
Mühseligkeit  der  Arbeit  ist  dureh  diese 
Einteilung  wohl  am  besten  entsprochen. 

In  Heft  XI  sind  Türkisch- Asien  und 
China,  zwei  gröfsere  Gebiete  Asiens,  deren 


i  Zählungsergebnissc  infolge  der  Eigenart 
ihres  Zählungsmechanismus  (betr.Türkisch  - 
Asien  vergl.  S.  8  des  Heftesi  am  meisten 
der  kritisch  prüfenden  Durcharbeitung 
und  Richtigstellung  bedürfen,  in  gröfseren 
Aufsätzen  eingehend  behandelt. 

Bei  der  Skizze  über  Türkisch -Asien 
wurden  den  Angaben,  welche  sich  auf 
die  Fläche,  die  Gesamtbevölkerung  und 
ihre  konfessionelle  Gliederung  sowie  die 
Bevölkerungsdichte  der  Wilajets  und 
Mutessarifliks.  der  Sandschaks  sowie  der 
Kasas  erstrecken,  hauptsächlich  die  beiden 
Werke  des  kürzlich  verstorbenen  Forschers 
Vital  Cuinet  zu  Grunde  gelegt  ,  welcher 
seine  Quellenstudien  „auf  seinen  zwölf- 
jährigen Reisen  (1878—1890,  in  Türkisch- 
Asien  und  durch  seine  ausgebreitete  Kor- 
respondenz mit  Gewährsmännern  au  allen 
gröfseren  Orten"  zu  vervollständigen  suchte, 
nämlich  „La  Turquie  d'Asie"  (Paris  1890 
—94,  mit  Karten;  und  „S.vrie,  Liban  et 
Palestine"  (Paris  1896—1901,  mit  Karte). 
Daneben  wurden  aufser  verschiedenen 
anderen  Werken  zur  Ergänzung  und  Prü- 
fung der  Angaben  Cuinefs,  welcher  von 
A.  Supan  als  „ein  fleifsiger.  aber  durchaus 
unkritischer  Kompilator"  bezeichnet  wird, 
hauptsächlich  folgende  Karten  benutzt: 
H.  Kiepert,  Carte  generale  des  provinces 
europeennes  et  asiatiques  de  l'Empirc 
ottoman  (2.  Ausg.,  Berlin  1892)  in 
1:3  000  000;  R.  Huber,  Empire  ottoman, 
division  administrative  |  Konstantinopel 
1900)  in  1:1600  000.  Das  Hauptresultat 
der  kritischen  Arbeit  ist  eine  von  ihrem 
Verfasser  entworfene  Karte  der  Volksdichte 
von  Kleinasien,  Armenien  und  Kurdistan 
im  Marsstab  1  :  7  600  000  mit  Unterschei- 
dung von  sechs  Dichtestufen.  Auch  der 
Feststellung  der  inneren  administrativen 
Grenzveränderungen  wird  viel  Aufmerk- 
samkeit gewidmet.  Erwähnt  sei  an  dieser 
Stelle  nur  die  auf  Grund  des  E.  Glaser- 
schen  Aufsatzes  in  der  Münchener  Allge- 
meinen Zeitung  vom  3.  Januar  1900  auf 
S.  6  und  19  des  Heftes)  angeführte  Teilung 
des  arabischen  Wilajets  Jemen  in  die  vier 
neuen  Wilajets  Assyr,  Hodeidah,  Sana 
und  Ta'is,  da  über  diese  Neuerung  meines 
Wissens  in  geographischen  Zeitschriften 
bisher  noch  nicht  berichtet  wurde.  Eine 
Liste  der  Einwohnerzahl  einer  gröfseren 
Anzahl  von  türkischen  Orten  mit  über 
1000  Einw.  (nach  verschiedenen  Quellen) 
beschliefst  den  inhaltreichen  Aufsatz. 


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710 


Buch  erbe  sprcch  ungen. 


Das  Chinesische  Reich  ist  der 
Gegenstand  des  zweiten  größeren  kriti- 
schen Aufsatzes.  An  der  Hand  der  durch- 
schnittlichen jährlichen  Bevölkerungs- 
zunahme il749—  1894,  für  14  Perioden 
berechnet )  prüft  Supan  zum  ersten  Male 
eingehend  die  Zuverlässigkeit  der  chine- 
sischen Zählungen  und  berechnet  unter 
Eliminierung  der  vollständig  unzuverläs- 
sigen, den  späteren  Zählungen  als  Grund- 
lage dienenden  Ergebnisse  der  Zählung 
von  1776  und  nach  Ersatz  derselben  durch 
berechnete  Wahrscheinlichkeitswerte  kri- 
tische Zahlen  für  1894.  Supan  erreicht 
auf  diesem  Wege  für  die  18  Provinzen 
eine  Reduktion  der  Einwohnerzahl  um 
48  Millionen  für  die  Zählung  von  1776. 
Für  die  letzte  Zählung  1894  (bei  einigen 
Provinzen  für  1879  und  1893)  berechnet 
Supan  die  Einwohnerzahl  nach  zwei  Me- 
thoden; einerseits  durch  Addition  der  von 
ihm  für  1776  berechneten  Einwohner- 
zahl \b)  und  der  Zunahme  der  Bevölkerung 
1776  —  1894  nach  den  amtlichen  Zahlen 
(A  —  a),  also  nach  der  Formel  Ii  =  b 
-\-  (A  —  «);  andrerseits  unter  Benützung 
des  Wachstumskoeffizienten  der  Provinzen 
von  der  unzuverlässigen  Zahlung  (1776) 
bis  zur  letzten  Zählung  nach  den  amt- 
lichen Zahlen,  also  nach  der  Formel 

Ä  =  t|l|'^"J,  welch  letztere  mit 

Recht  (wegen  der  Benutzung  der  Zahl  <i 
zur  Division)  als  die  weniger  empfehlens- 
werte bezeichnet  wird.  Supan  erhält  so 
tür  1894  (bei  einigen  Provinzen  für  1879 
und  1893)  nach  der  ersten  Formel  als 
mutmassliche  Bevölkerungszahl  der  18  Pro- 
vinzen des  eigentlichen  China  345  784  000 
(nach  der  zweiten  Formel  281  016  000) 
Seelen,  oder  unter  Berücksichtigung  der 
politischen  Änderungen  durch  Abtretung 
der  Pachtgebiete  und  nach  gleichniäfsiger 
kritischer  Berechnung  der  Einwohnerzahl 
aller  Provinzen  lür  1894  in  starker  Ab- 
rundung  319  000  000  Seelen.  Für  das 
ganze  Chinesische  Reich  von  1 1 138  880  qkm 
ergeben  sich  dann  330  130  000  Einwohner, 
d.i.  30  Einw.  auf  1  qkm;  für  die  fremden 
Besitzungen  und  Pachtgebiete  in  China 
6160  qkm  mit  950  000  Einw.,  d.  i.  154  Einw. 
auf  1  qkm.  Die  P.  S.  Popov'schen  Zahlen 
für  das  eigentliche  China  verwirft  Supan 
vollständig. 

An  ausführlichen  A ngaben  über  Grenz- 
vc rändern ngeu   im   letzten  Jahrzehnt 


des  vorigen  Jahrhundert«  sind  erwähnens- 
wert die  unter  den  Artikeln  Persien. 
Afghanistan,  Chinesisches  Reich,  Franzö- 
sisch-Indo-China,  Siam  und  Sunda-Inseln 
und  Molukken  angeführten.  Neue  Areal- 
messungen bringt  das  Heft  besonders 
noch  für  Französisch -Indo- China,  wobei 
auch  Laos  für  sich  betrachtet  ist  (nach 
allerdings  ungenügenden  Karten),  für  das 
Chinesische  Reich  (von  B.  Trognitz  auf 
E.  Bretschneider's  Map  of  China  in 
1  :  4  500  000,  2.  Ausg.,  St  Petersburg  1900, 
ausgeführt),  für  Niederländisch- Indien, 
Cypern,  Siam  (von  Haack  auf  The 
map  of  the  kingdom  of  Siam,  from 
Govern-  ment  Survey  under  direction  of 
J.  McCarthy,  1900,  in  1:2000  000,  er- 
mittelt), für  die  Philippinen,  Formosa, 
Ceylon,  die  Nicobaren  und  Niederländisch- 
Neuguinea. 

Durch  neue  umfangreichere  Z  ä  h  i  u  n  g  s  - 
ergebnisse,  auch  in  Bezug  auf  die  Orts- 
Btatistik,  sind  folgende  Länder  vertreten: 
Russisch-Asien  (1897),  Britisch-Indien  (für 
1891  und  1901,  in  umfangreichen  Tabellen), 
Japan  (1898),  Korea,  Französisch -Indo- 
China, Philippinen  (li?99),  Sunda-Inseln 
und  Molukken  (1895);  auch  für  Persien 
ist  eine  Liste  gröfserer  Städte  nach  ver- 
schiedenen Quellen  zusammengestellt.  Für 
den  Australischen  Bund  finden  sich 
Zusammenstellungen  nach  natürlichen 
Gebieten.  Für  die  Südsee-InBein  sind 
übersichtliche  Tabellen  zusammengestellt 
und  die  politischen  Veränderungen  des 
letzten  Jahrzehnts  zusammengetragen. 
Unter  Britisch-Indien  ist  auch  die  von 
Supan  als  „Westliche  Grenzländer"  be- 
zeichnete, 1901  neugebildete  Provinz  mehr- 
fach erwähnt  (119  800  qkm,  21/,— 3  Mill. 
Bewohner).  Auch  in  Arabien  sind  einige 
politische  Veränderungen  zu  berichten. 
Diese  kurzen  Andeutungen  mögen  genügen, 
den  reichhaltigen  Stotf  des  XI.  Heftes  vor 
Augen  zu  führen.  Eine  Veranschaulichung 
der  Ergebnisse  durch  Übersichtstabellen 
wird  in  einem  der  nächsten  Hefte  der 
G.  Z.  folgen.  Dr.  K.  Neukirch. 

Bericht  über  die  neuere  Litteratur 
zur  deutschen  Landeskunde. 
Herausgegeben  im  Auftrag  der  Zen- 
tralkommission  für  wissenschaftliche 
Landeskunde  von  Deutschland  von 
Prof.  Dr.  Alfred  Kirchhoff  und  Prof. 
Dr.  Kurt  Hasttert.    Band  I  (1896 


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Bücherbesprechungen. 


711 


— 99).  ffr.  8°.  250  S.  Berlin,  A.  Schall, 
1901. 

Obgleich  Mitglied  der  Zentralkommis- 
aion,  habe  ich  doch  mit  der  Herausgabe 
und  Anordnung  des  vorliegenden  Werke» 
nicht  da*  Mindeste  zu  thun  gehabt.  Es 
ist  mir  deshalb  gewils  gestattet,  auch  an 
dieser  Stelle  der  dankbaren  Anerkennung 
Ausdruck  zu  geben,  welche  jeder  Freund 
der  Landeskunde  der  unendlich  mühsamen 
Arbeit  der  Herren  Kirchhotf  und  Hassert 
gegenüber  empfinden  mufs.  Es  kann 
keinen  Augenblick  zweifelhaft  sein,  dafs 
ein  solcher  Litteraturbericht  einem  sehr 
dringenden  Bedürfnisse  entsprach.  Für 
diesmal  berücksichtigt  der  Bericht  die 
Jahre  1896—99:  es  sind  952  Bücher, 
Aufsätze  und  Kartenwerke  aufgenommen 
worden.  Natürlich  ist  die  Zahl  der  wirk- 
lich erschienenen  Arbeiten  viel  gröfser, 
über  Erdbeben  werden  z.  B.  nur  2,  über 
Seeverkehr  auch  nur  2  Arbeiten  registriert. 
Wenn  noch  keine  annähernde  Vollständig- 
keit erzielt  wurde,  so  trifft  die  Schuld 
selbstverständlich  nicht  die  Herausgeber, 
sondern  die  mangelhatte  Unterstützung 
der  verschiedensten  Kreise.  Unendlich 
schwer  ist  bei  solchen  Arbeiten  die  An- 
ordnung dea  Stoffes;  mag  man  verfahren 
wie  man  will,  immer  wird  es  einzelne  Be- 
denken und  unvermeidliche  Mängel  geben. 
Man  hat  sich  dafür  entschieden,  alles  in 
55  sachlichen  Abschnitten  unterzubringen, 
so  dafs  z.  B.  Abschnitt  1  die  Biblio- 
graphien, Abschnitt  10  die  Arbeiten  über 
Grundwasser  und  quellen,  Abschnitt  32 
die  Ortsbeschreibungen  und  Ortsgesehich- 
ten,  Abschnitt  üü  endlich  das  über  Feste 
und  Belustigungen,  Sitte  und  Brauch  Er- 
schienene umfal'st.  Einzelne  Abschnitte 
sind  weitumfassend,  andere  sehr  begreuzt. 
Es  wäre  leicht,  diese  und  jene  Bedenken 
geltend  zu  machen,  schwer  aber,  die  gewils 
nach  vielen  Versuchen  und  Überlegungen 
gewählte  Anordnung,  die  im  allgemeinen 
durchaus  zweckentsprechend  ist,  durch 
eine  bessere  zu  ersetzen.  Gönnen  wir 
deshalb  der  Hillebille,  diesem  in  der  T hat 
volkskundlich  höchst  interessanten  Schall- 
brett, ihre  eigene,  sogar  11  Arbeiten  um- 
fassende Rubrik!  Innerhalb  jedes  Ab- 
schnittes ist  im  allgemeinen  von  Süd  nach 
Nord  gegangen  worden,  so  dafs  es  duch 
keineswegs  zu  schwer  ist,  die  eine  be- 
stimmte Provinz  betreffenden  Arbeiten 
herauszusuchen.   Dem  Plan  entsprechend 


sind  die  einzelnen  Arbeiten  auch  kurz 
besprochen  worden.  Da  weder  lange  kri- 
tische Abhandlungen  noch  dürftige  Titel- 
umschreibungen gegeben  werden  sollten, 
war  die  Aufgabe  recht  schwer,  sie  ist 
aber  von  den  zahlreichen  Mitarbeitern  aus 
allen  Gauen  des  Reiches  im  allgemeinen 
vortrefflich  gelöst  worden.  Die  Bespre- 
chungen sind  knapp  gehalten,  reichen  aber 
völlig  aus,  um  danach  den  Charakter  der 
betreffenden  Arbeit  zu  beurteilen.  Jeder 
Benutzer  des  Bandes  wird  seine  Lieblings- 
wünsche hinsichtlich  der  Erweiterung  und 
der  reicheren  Ausstattung  dieses  und  jenes 
Abschnittes  haben,  alle  aber  werden  sich 
darüber  freuen,  dafs  endlich  einmal  ein 
Anfang  und  zwar  ein  guter  Anfang  ge- 
macht ist.  Möchte  sich  die  Hoffnung, 
dafs  dieser  Band  nur  der  Erstling  einer 
langen,  langen  Reihe  Bei,  erfüllen,  möge 
aber  auch  die  wachsende  Teilnahme 
immer  weiterer  geographisch  interessierter 
Kreise  dem  Kollegen  Hassert  seine  Re- 
daktionBarbeit  erleichtern,  und  möge 
endlich  dem  Bande  in  dieser  bösen  Zeit 
eins  nicht  fehlen,  was  er  auch  dringend 
gebraucht,  der  Absatz! 

F.  Hahn  (Königsberg). 

von  Erckert,  R.  Wanderungen  und 
Siedelungeu  der  germanischen 
Stämme  in  Mittel-Europa  auf 
zwölf  Kartenblättern.  Berlin,  Mittler 
und  Sohn.  1901,  fol. 
In  dem  vorliegenden  Werk  hat  sich 
der  vor  kurzem  verstorbene  Verfasser 
(ehemaliger  Generalleutnant  der  russischen 
Armee)  au  einen  Gegenstand  gewagt,  der 
seit  Zeufs  und  Möllenhoff  wiederholt  in 
scharfsinniger  Weise  behandelt  worden 
ist.  Er  ist  sich  der  Schwierigkeiten  der 
Probleme  vollkommen  bewufst,  und  sucht 
nur  die  bisherigen  Forschungen  in  einer 
Folge  von  Karten  übersichtlich  zusammen- 
zufassen, ohne  eine  eigene  Auffassung 
durchblicken  zu  lassen.  Wenn  Joh.  Ranke 
im  Vorwort  es  ein  „Grund werk  in  einer 
die  gehegten  Hoffnungen  weit  übertreffen- 
den Vollendung",  ein  „(juellenwerk  ersten 
Ranges"  nennt,  so  bezeichnet  es  der  Ver- 
fasser selbst,  meines  Erachtens  sehr  viel 
richtiger,  als  einen  „ethnographischen 
Versuch,  bei  dem  so  manches  ungelöstes 
Problem  bleiben  mulstc".  Ein  Text  ist 
dem  Werke  nicht  beigegeben;  dafür  ent- 
halten einige  Karten  einen  gedrängten 


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712 


Rücherbesprechungen. 


Kommentar  geschiehtüchen  und  sprach- 
wissenschaftlichen Inhalt».  Was  die 
Karten  selbst  betrifft,  so  liefsen  sich  in 
methodischer  Hinsicht  ja  mancherlei  Aus- 
stellungen machen.  Das  Ziehen  fester 
Grenzlinien  ist  bei  der  mangelhaften  Be- 
schaffenheit des  Materials  immer  sehr  ge- 
wagt. In  dieser  Beziehung  befindet  sich 
der  Kartograph  stets  in  einer  mifslichen 
Lage.  Während  der  priifende  Forscher 
die  Für  und  Wider  eines  Problems  erörtert 
und  manche  Frage  voreichtigerweise  offen 
läfst,  mufs  der  Kartograph  sich  über  alle 
Einzelheiten  endgiltig  schlüssig  werden. 
Oft  hat  sich  der  Verfasser  über  die 
Schwierigkeiten  durch  erklärende  Zu- 
sätze fortzuhelfen  gesucht,  wie  „Grenze 
nur  im  ganzen  richtig",  ..wahrscheinliche, 
ganz  ungefähre  Grenze"  und  dgl.  m. 
Bei  dem  ziemlich  grolsen  Mafsstab  der 
Karten  (1  :  9  000  000J  waren  solche  Zu- 
sätze allerdings  geboten,  wenn  nicht  falsche 
Auffassungen  erweckt  werden  sollten. 
Auch  die  Marschrouten  wandernder  Völker 
können  auf  Karten  nur  sehr  angenähert 
die  allgemeine  Richtung  andeuten,  wenn 
nicht  ganz  bestimmte  Nachrichten  vor- 
liegen. 

Den  Kernpunkt  des  ganzen  Werkes 
bildet  die  allmähliche  Ausbreitung  des 
Germanentums  über  Mitteleuropa  in  den 
verschiedenen  Perioden  der  Geschichte 
vom  Anfang  des  VI.  Jahrhunderts  bis  zum 
Anfang  des  IX.  Jahrhunderts.  Die  Ver- 
breitungsgebiete der  Germanen  sind  in 
roten  Flächentönen  mit  verschiedenen  Ab- 
stufungen gegebpn,  jene  der  Kelten  in 
grauer  und  der  Slaven  in  gelber  Tönung. 
Tafel  II  und  III  veranschaulichen  das  Vor- 
wärtsdrüngen  der  Germanen  nach  8.  bis  zur 
nördlichen  Wasserscheide  des  Mains  und 
dem  Erzgebirge  und  Sudetenwall,  sowie 
nach  W.  bis  zum  Rhein,  den  einzelne  Ger- 
inanengruppen  im  II.  Jahrhundert  v.  Chr. 
schon  überschritten  haben  müssen.  Südlich 
der  Mainlinie  safsen  damals  ausschliefslich 
keltische  Stämme.  Zu  Caesar's  Zeiten 
(Tafel  IV)  hat  sich  die  Situation  zu  Gunsten 
der  Germanen  bedeutend  verschoben. 
Die  Kelten  sintl  weiter  nach  S.  gerückt, 
die  Bojer  haben  Böhmen  verlassen  und 
Germanen  ( Vaugionen,  Ncmeter,  Triboker  / 
sind  über  den  Oberrhein  in  die  Pfalz 
vorgedrungen.  Zweihundert  Jahre  später 
(Tafel  V)  finden  wir  Germanen  in  den  von 
den  Kelten  verlassenen  böhmisch -mäh- 


rischen Gebieten  vor  (Markomannen, 
Quadtm,    die    bereits    im    Anfang  des 

I.  christlichen  Jahrhunderts  diese  Ge- 
biete aufgesucht  haben).  Die  rö- 
mische Militärgrenzc  am  Rhein  und  der 
Limes  hatte  dagegen  eine  Weiterausbrei- 
tung in  dieser  Richtung  bis  auf  einige 
Ausnahmen  (Ubier,  Cugemer)  noch  ver- 
hindert. Für  die  geographische  Stellung 
der  einzelnen  Germanenstämme  bietet 
neben  anderen  die  Geographie  des  Ptole- 
maeus  eine  wichtige  Handhabe.  Tafel  VI 
bringt  daher  zum  Vergleich  mit  dem  vor- 
hergehenden Blatt  einen  Ausschnitt  aus 
der  Ptoleraaeuskarte,  Germanien  und 
Sarmatien  umfassend.    Vom  Anfang  des 

II.  Jahrhunderts  an  kommt  abermals  eine 
Bewegung  in  die  germanische  Völker- 
masse. Es  beginnen  die  Wander-  und 
Kriegszüge,  die  bis  in  das  VI.  Jahrhundert 
hineinreichen  und  mit  Berücksichtigung 
der  Normannen  sogar  noch  im  XI.  Jahr- 
hundert sich  bemerkbar  machen.  In  vier 
kleineren  Kartenskizzen  (Tafel  VIIi  wird 
das  Hin-  und  Herwogen  der  Völkerwellen 
veranschaulicht.  Die  alten  Stammes- 
namen verschwinden  in  dieser  Zeit  und 
neue  Gruppennamen  wie  Franken,  Ale- 
mannen, Thüringer,  Bajuwaren  treten  auf. 
Am  bedeutsamsten  ist  für  Mitteleuropa 
jedenfalls  die  Thatsache,  dafs  die  Ost- 
germanen ihre  Sitze  zwischen  Oder  und 
Weichsel  im  IL— in.  Jahrhundert  ver- 
lassen haben  und  nunmehr  die  Slaven 
in  die  offenen  Gebiete  von  der  Weichsel 
her  vordringen.  Die  Tafeln  VIII— XII 
bringen  für  die  Jahre  300,  400,  500,  600 
und  814  den  westlichen  Vormarsch  der 
slavischen  Völker  zur  Darstellung,  der 
sich  bekanntlich  ganz  geräuschlos  vollzog 
und  uns  in  historischen  Quellen  kaum 
einmal  gemeldet  wird. 

Der  Verfasser  hat  mit  anerkennens- 
wertem Eifer  und  Fleifs  das  einschlägige 
Quellenmaterial  durchgearbeitet  und  sich 
auch  mit  einer  Reihe  von  Fachgelehrten 
in  Verbindung  gesetzt.  Von  einem  aus- 
führlichen Kommentar  hat  er  mit  Rück- 
sicht auf  sein  Alter  Abstand  genommen, 
um  den  Abschlufs  des  Ganzen  nicht  ins 
Ungewisse  hinauszuschieben.  Um  so  mehr 
aber  wird  man  sich  freuen  dürfen,  dafs 
es  ihm  noch  vergönnt  war,  die  letzte  Ar- 
beit seines  Lebens  in  so  stattlicher  Aus- 
führung volleudet  zu  sehen. 

K.  Kretschmer. 


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Bücherbesprechungen. 


713 


Norway.  Official  I'ublication  for 
the  Paris  Exhibition  1900.  gr.  8°. 
626  -f  XXXIV  S.  6  K.,  83  Tat, 
57  Textbilder  u.  Diagr.  KriBtiania, 
Aktie-Bogtrykkeriet,  1900. 
Am  6.  März  1809  hatte  das  norwegische 
Storthing  eine  nicht  unerhebliche  Summe 
bewilligt,  um  ein  umfassende»  Werk  über 
Norwegens  Land,  Volk  und  Staat  für  die 
Pariser  Ausstellung  von  1900  herzustellen. 
Das  Ergebnis  der  von  Dr.  Konow  und 
Kurl  Fischer  mit  Unterstützung  einer 
sehr  grofsen  Anzahl  norwegischer  Gelehrten 
und  Schriftsteller  sofort  in  Angriff  ge- 
nommenen Arbeit  lag  in  einem  stattlichen, 
schön  ausgestatteten  Bande  rechtzeitig 
vor,  das  norwegische  Kultusministerium 
hat  das  Werk  mit  dankenswerter  Libera- 
lität auch  den  Gelehrten  des  Auslandes 
zugänglich  gemacht.  Die  ursprünglich 
natürlich  norwegisch  geschriebenen  Artikel 
sind  sämtlich  in  das  Englische  über- 
tragen worden.  Es  könnte  auffallen, 
dafs  man  für  Paris  ein  englisches  Werk 
zusammenstellte ,  indessen  ist  die  eng- 
lische Sprache,  wie  französische  Reisende 
schon  öfters  mit  ergötzlichem  Erschrecken 
festgestellt  haben,  dem  Norden  viel  ver- 
trauter als  die  französische.  Für  deutsche 
Leser  hätte  es  allerdings  der  Übertragung 
überhaupt  kaum  bedurft,  da  die  so  leicht 
verständliche  dänisch-norwegische  Sprache 
bei  uns  doch  weit  bekannter  ist,  als  man 
in  Norwegen  wohl  annimmt.  Mit  der 
englischen  Sprache  mufs  der  Leser  auch 
englische  Mafse  mit  in  den  Kauf  nehmen, 
was  besonders  im  klimatologischen  Teil 
mit  seinen  Zollen  und  Fahrenheitgraden 
störend  ist.  Das  Buch  als  Ganzes  be- 
trachtet ist  ein  vortreffliches  Nachschlage- 
werk, es  wird  kaum  eine  Seite  der  Landes- 
kunde geben ,  über  die  nicht  wenigstens 
eine  knappe  Auskunft  gegeben  würde. 
Der  Geographie  am  nächsten  stehen  die 
ersten  Abschnitte.  A.  M.  Hansen  hat 
unter  dem  Titel  „Geographische  Situation14 
die  eigenartigen  geographischen  Bedin- 
gungen des  ganzen  norwegischen  Volks- 
und  Staatelebens  kurz  und  scharf  hervor- 
gehoben. Das  völlige  überwiegen  der 
maritimen  Interessen ,  das  Zusammen- 
drängen der  Bevölkerung  an  den  Fjorden 
(nicht  an  allen)  und  in  den  wenigen 
Thalweitungen  tritt  uns  sofort  entgegen. 
Der  Abschnitt  „Topographie"  Betzt  diese 
Betrachtungen  fort  und  fafat  die  all- 

Oeogr»Phli«he  Zeitschrift.  7.J»hrgmag.  1901  IS. 


gemeine  Orographie,  Hydrographie  und 
Gletscherkunde  zusammen,  freilich  ohne 
irgendwo  auf  wissenschaftliche  Streit- 
fragen einzugehen.  Das  lag  ja  auch  gar 
nicht  in  der  Absicht  der  Verfasser. 
Geologie  (v.  H.  Reusch),  Klima  (v.  A.  Steen), 
Pflanzenwelt  (v.  H.  H.  Gran),  Tierwelt 
(v.  J.  A.  Grieg)  werden  nun  in  hübschen 
Monographien  dargestellt;  aber  auch  alle 
folgenden  Kapitel ,  die  sich  nach  und 
nach  von  der  Geographie  im  engeren 
Sinne  weiter  entfernen,  bieten  doch  man- 
chen geographischen  Wink  und  über- 
zeugen uns,  wie  bei  vielen  statistischen 
Zahlen  und  politischen  Erscheinungen 
die  eigenartige  Landesnatur  bestimmend 
mitwirkt.  So  wird  das  Buch  auch  in 
methodischer  Beziehung  wertvoll,  und 
das  Studitun  vieler  Abschnitte  bildet  für 
den  angehenden  Geographen  eine  nütz- 
liche Übung.  Zwar  nicht  geographisch, 
aber  doch  gerade  jetzt  für  weite  Kreise 
lehrreich  sind  die  Kapitel  über  norwegische 
Litteratur  und  norwegische  Kunst,  letzteres 
durch  viele  Abbildungen  hervorragender 
Kunstwerke  erläutert.  Auch  in  den  mehr 
geographischen  Partien  fehlt  es  nicht 
an  teilweis  recht  guten  Abbildungen,  Dia- 
grammen und  Karten.  Einige  litterarische 
Winke  (bisweilen  zu  knapp)  sind  den 
Kapiteln  beigefügt.  Am  Schlufs  ist  die 
Verfassungsurkunde  Norwegens,  sowie  die 
Unionsakte  wortgetreu  abgedruckt,  gerade 
jetzt  gewifs  vielen  wiUkommen. 

F.  Hahn  (Königsberg). 

Fischer,    P.    D.,    Italien    und  die 
Italiener.       Betrachtungen  und 
Studien  über  die  politischen,  wirt- 
schaftlichen und  sozialen  Zuatände 
Italiens.  2.  Aufl.  Berlin  1901.  456  S. 
8°.    M  7  — 
Es  ist  aufserordentlich  erfreulich  und 
zeugt  von  dem  grofsen  Interesse,  welches 
in  Deutschland  dem  von  Deutschen  soviel 
besuchten  Garten  von  Europa  entgegen- 
gebracht wird,  dafs  dies  ausgezeichnete 
Buch  in  so  kurzer  Zeit  eine  zweite  Auf- 
lage erfordert  hat.    Dieselbe  ist  in  Be- 
zug auf  das  Zahlenmaterial  der  Gegen- 
wart angepafst  und  trägt  auch  in  zahl- 
reichen zum  Teil  umfangreichen  Zusätzen, 
wie  beispielsweise  über  die  rasch  auf- 
blühende ZuckerinduBtrie,  über  Fortschritte 
im  Volksschulwesen  und  dgl.,  den  ver- 
änderten Verhältnissen  Rechnung. 

48 


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714 


Büch  erbesp  rechungen. 


Da  über  die  erste  Auflauf  eingehend 
(Jahrgang  1K99  S.  713,.  berichtet  wordeu 
ist ,  so  möge  dieser  kur/.e  Hinweis  ge- 
niigen. Th.  Fischer. 

Gardini,  Carlo,  In  der  Sternenbanner- 
Republik.  Nach  der  zweiten  Auf- 
lage des  italienischen  Originals  von 
M  Rumbauor.  XV,  405  S.  DL  Olden- 
burg, Schulze  1900.  6  — 
Das  vorliegende  Buch  erzählt  in  be- 
haglicher Breite  und  bunter  Reihe  von 
Allem  und  Jedem,  was  sein  Verfasser 
wahrend  seiner  Amtszeit  als  italienischer 
Konsularagent  in  der  nordamerikanischen 
Union  gesehen  und  erlebt  hat;  in  seiner 
ursprünglichen  Form  mag  es  sich  ganz 
angenehm  lesen,  so  dafs  sich  sein  buch- 
händlerischer Erfolg  erklären  würde, 
auch  wenn  es  nicht  zugleich  dem  Durch- 
schnittsleser eine  Fülle  von  Belehrung 
über  die  Dinge  und  Zustände  jenseits  des 
Atlantischen  Ozeans  darböte.  In  seiner 
deutschen  Übersetzung  dürfte  es  aber  nur 
sehr  bescheidenen  Ansprüchen  genügen. 
Kinmal  ist  unsere  deutsche  Litteratur  an 
neueren  Reiseberichten  über  die  nord- 
amerikanische l'nion  durchaus  nicht  so 
arm,  wie  der  Übersetzer  in  dem  Vorworte 
meint,  und  eine  ganze  Anzahl  der  deut- 
schen Publikationen  geht  den  amerika- 
nischen Kulturerscheinungen  sicherlich 
liesser  und  kritischer  auf  den  Grund  als 
das  italienische  Buch.  Sodann  läfst  die 
Üb  ersetzung  der  Form  wie  dem  Inhalte 
nach  mancherlei  zu  wünschen  übrig.  Auch 
wenn  man  nicht  zu  den  rücksichtslosen 
Fremdworttötern  im  deutschen  Lande 
gehört,  so  ist  es  einem  des  ausländischen 
Kauderwelsches  zu  viel,  wenn  es  heilst: 
„Die  Zentralader  Broadway  wird  von  elek- 
trischen Trams  befahren'"  ;S.  43)  -  „Die 
ötfentlichen  Schulen  sind  gratis  und  mit 
dem  Prinzip  der  freien  Lehre  geleitet" 
(S.  48)  —  „New  York  liegt  in  derselben 
Parallele  wie  Neapel"  (>.  68)  —  „Diese 
enormen  Klimadinerenzen"  (meint  Schwan- 
kungen! S  G4 >  —  „Die  Todesexekutionen 
sind  nicht  selten  in  den  Vereinigten 
Staaten"  (3.  72)  —  „inmitten  des  reich- 
sten und  bevölkert  sten  Zentrums  der 
Union"  (S.  77)  —  „riesenhafte  Phänome- 
nalerscheinungen der  Natur"  (S.  138) 
u.  s.  w.  u.  ».  w.  Wirren  Sinn  aber  ent- 
halten Sätze  wie:  „Die  Blizzards  werden 
durch   eine   sehr  starke  Bewegung  der 


Polarströme  erzeugt,  welche  rapide  Ver- 
änderungen in  der  Atmosphäre,  verbunden 
mit  kalten,  schneeigen  Winden,  hervor- 
bringen" (S.  20).  „Durch  den  Kriekanal, 
der  in  seinein  Lauf  die  durch  Seitenkanäle 
auch  mit  dem  Mississippibecken  in  Ver- 
bindung stehenden  Seen  vereinigt,  wurde 
der  Hafen  von  New  York  seit  1*65  (!)  der 
Stapelplatz  fast  aller  zum  Export  nach 
Europa  bestimmten  Getreidearten  des 
Westens"  fS.  89\  „Nach  der  Meeresseite 
zu  ist  New  York  dem  Golfstrom  ausge- 
setzt, d.  h.  der  Strömung,  die  von  Süden 
kommt  und  im  Sommer  so  entsetzliche 
Hitze  erzeugt,  dafs  Sonnenstiche  mit  töd- 
lichem Ausgange  vorkommen"  iS.  64).  Im 
übrigen  heilst  der  nun  verstorbene  Brook- 
lyner Kanzelredner  nicht  Becher,  sondern 
Beecher,  die  Insel  in  der  New-York-Bai 
nicht  Staaten  Island,  sondern  Staten  Islaud, 
die  New  Yorker  Heizdampflieferungsge- 
sellschaft  nicht  New  York 's  Steamer-Com- 
pany,  sondern  New  York  Steam  Company, 
die  Bostoner  Faneuil  Hall  nicht  Craddle 
of  liberty,  sondern  Cradle  of  Liberty,  der 
kleingeschlagene  Anthrazit  nicht  Pea  Cool, 
sondern  Pea  Coal,  und  das  Bostoner  Athe- 
näum ist  nicht  im  Stile  des  Palladiums 
gebaut,  sondern  im  Stile  Palladio's,  des 
grofsen  Baumeisters.    Sapienti  sat! 

E.  Deckert. 

Seier,   C. ,     Auf   alten   Wegen  in 
Mexico  und  Guatemala.  XXIV  u. 
363  S.    M.  260  Abb.,  65  Taf.  u.  1  K. 
Berlin,  Dietrich  Reimer  1900.  .  V.  20 .  — 
Im  vorliegenden  Buche  schildert  uns 
die  federgewandte  Gattin  und  furchtlose 
Reisebegleiteriu  des  bekannten  Amerika- 
nisten E.  Seier  den  äufseren  Verlauf  ihrer 
zweiten  nahezu  zweijährigen  Reise,  welche 
der  archäologischen  Durchforschung  des 
südöstlichen  Mexico  und  Guatemala«  ge- 
widmet war.    Vorzüglich  mit  Mitteln  des 
amerikanischen  Macens  Herzog  von  Loubat 
ausgerüstet,  besuchte  die  Expedition  in 
den  Jahren  1*95— 1*97  nach  einem  Aus- 
flug in  das  Tarasco-Gebiet  von  Patzcuaro 
das    archäologisch    bisher  arg  vernach- 
lässigte Oaxaca,  insbesondere  die  in  dieser 
Hinsicht    fast    noch    ganz  unbekannte, 
äufserst  interessante  Mizteca  alta.  wandte 
sich  dann  über  den  Isthmus  von  Tehu- 
antepec  nach  Chiapas  und  durchwanderte 
I  auf  zahlreichen  Kreuz-   und  Querzügen 
Guatemala,  uin  schliel'slich  zu  Schiff  nach 


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Bü  cherbesprechungen. 


715 


Colima  und  von  da  teils  zu  Pferde,  teils 
mit  Eisenbahn  über  Miehoacan  nach  der 
Hauptstadt  Mexico  zurückzukehren. 

Während  die  eigentlichen  wissenschaft- 
lichen Ergebnisse  der  Reise  für  ein  be- 
sonderes Werk  reserviert,  ja  nähere  An- 
deutungen über  dieselben  hier  fast  ängst- 
lich vermieden  werden,  finden  wir  in  dem 
vorliegenden  Buch  eine  durch  frische 
Crsprünglichkeit  ausgezeichnete  Reise- 
schilderung, welche  uns  mit  den  durch- 
zogenen Gebieten ,  ihren  Bewohnern  und 
deren  Sitten  bezw.  Unsitten  in  anschau- 
lichster Weise  bekannt  macht.  Wer  je 
in  spanisch-amerikanischen  Ländern  ge- 
reist ist,  wird  die  lebenswahre,  warm- 
empfundene Schilderung  der  Eindrücke, 
welche  der  Europäer  von  der  indianischen 
bezw.  gemisehtblütigen  Bevölkerung  er- 
hält, als  mustergiltig  bezeichnen  müssen, 
wird  die  feine  Beobachtungsgabe  der 
Verfasserin  im  Verkehr  mit  den  Ein- 
geborenen, wie  den  Humor,  mit  dem  sie 
die  bei  solchen  Fahrten  unausbleiblichen, 
z.T.  freilich  unnötigen  Widerwärtigkeiten, 
das  „Quien  sähe"  und  des  „manana" 
überwindet,  bewundern  und  ihr  aufrichtige 
Anerkennung  zollen  müssen,  dafs  sie  Sinn 
und  Auge  nicht  nur  für  die  archäologisch- 
ethnographischen Spezialzwecke  der  Reise, 
sondern  auch  für  die  Landschaft  als 
solche  und  ihre  Vegetationscharaktere 
offen  gehalten  hat.  l'nermüdlich  ist  dabei 
auch  die  photographische  Camera  thätig 
gewesen,  um  jene  Eindrücke  festzuhalten, 
und  t*iu  reicher  Bilderschmuck  65 
wohlgelungene  Lichtdrucktafeln  neben 
260  Textbildern  von  Landschaften,  Be- 
völkerungstypen und  archäologischen  Ob- 
jekten —  bildet  eine  hochwillkommene 
Ergänzung  des  Textes,  den  der  Leser 
nicht  aus  der  Hand  legen  wird,  ohne  für 
die  empfangene  Unterhaltung,  Anregung 
und  Belehrung  dankbar  zu  sein.  Kür  den 
Geographen  werden  die  einzelnen  Weg- 
kärtchen,  sowie  die  beigegebene  Über- 
sichtskarte des  südöstlichen  Mexico  und 
Guatemalas,  in  1 : 1 780  000  von  P.  BoBchann 
nach  den  neuesten  Quellen  gezeichnet, 
einen  besonderen  Wert  besitzeu. 

Unter  der  neueren  Reiselitteratur  über 
Zentralamerika  nimmt  Cäcilie  Seier  s  Werk 
bei  seiner  vornehmen  Ausstattung,  nament- 
lich in  Rücksicht  auf  die  von  dem 
Forscherpaar  besuchten,  sonst  wenig  be- 
kannten  Gebiete  von  Guatemala,  einen 


würdigen  Platz  ein  und  mit  grofser 
Spannung  darf  man  nunmehr  auch  der 
wissenschaftlichen  Verarbeitung  des  mit 
so  grofser  Ausdauer  gesammelten  ,  offen- 
bar ungemein  reichhaltigen  Materials  ent- 
gegensehen, von  dem  ein  grofser  Teil  im 
Berliner  Museum  für  Völkerkunde  all- 
gemein zugänglich  gemacht  wird. 

H.  Lenk. 

Wcigeldt,  P.,  Aus  allen  Erdteilen. 
Kommentar  zu  Ad.  Lehmann1»  Cha- 
rakterbildern. 2. Heft:  Aus  den  Alpen. 
Leipzig,  F.  E.  Wachsmuth.  1901. 
Weigeldt  setzt  in  diesem  2.  Heft  seine 
Erläuterungen   zu   den    bekannten  geo- 
graphischen Charakterbildern  von  Ad.  Leh- 
mann fort.    Wieder  giebt  er  nicht  blofs 
eine  Beschreibung  der  Bilder  selbst,  son- 
dern sucht  durch  näheres  Eingehen  auf 
die  in  den  Bildern  veranschaulichten  Er- 
scheinungen überhaupt  das  geographische 
Verständnis   zu  erweitern.     Der  Lehrer 
wird  diesen  Kommentar  zur  eigenen  An- 
regung wie  als  Hilfsmittel  für  den  Unter- 
richt gut  gebrauchen  können. 

Bei  der  Abfassung  des  Textes  hat  der 
Verfasser  vielfach  Werke  anderer  Autoren 
benutzt,  zuweilen  fast  wörtlich,  ohne  die 
Quelle  anzugeben.  So  begegnen  wir  in 
dem  Abschnitt  „Die  Adelsberger  Grotte" 
wiederholt  Sätzen  aus  Supan's  „Physischer 
Erdkunde".  Ebenso  ist  die  Bemerkung 
über  die  Seen  auf  S.  73  nahezu  wörtlich 
dem  Lehrbuch  von  Supan  entnommen. 

Der  erläuternde  Text  ist  nicht  immer 
einwandfrei.  Die  Schneebrille  ist  in  den 
höheren  Regionen  nicht  wegen  der  un- 
gemein blendenden  Weifse  des  Schnees, 
sondern  der  intensiven  Rückstrahlung  des 
Sonnenlichtes  wegen  erforderlich.  Den 
Eibsee  als  einen  Typus  der  Eintiefungs- 
seen  zu  bezeichnen,  ist  nicht  zulässig;  er 
ist  eher  ein  Aufschüttungssee  nach  Supan. 
In  der  Schweiz  giebt  es  keine  „Alm". 
Bei  der  Schilderung  der  Berner  Alpen  ist 
daher  „Alpe"  richtiger  als  „Alm",  nicht 
umgekehrt,  wie  der  Verfasser  sagt.  Ule. 

C.  C.  Meinhold  ii  Söhne,  Dresden,  Geo- 
graphische Bilder  aus  Sachsen. 
1.  Lfg.:  Dresden,  Meifsen,  Pirna, 
Bautzen,  Oybin.  2.  Lfg:  Kloster 
Marienthal,  Herrnhut,  Sehlofs  Krieb- 
stein,  Moritzburg,  Bastei.  Preis  für 
!  Lieferung  oder  5  Blatt  nach  Wahl 
4** 


716 


Neue  Bücher  und  Karten. 


JC  9 .  — .  Mit  Leinwandrand  und  Ösen 
JC  10.—.  Einzelne  Blätter  JC  1.80 
bez.  JC  8.—. 
Die  Sammlung  der  Meinhold'schen 
Bilder,  deren  2.  Lieferung  uns  vorliegt, 
sucht  in  erster  Linie  die  Bedürfnisse  des 
heimatkundlichen  Unterricht«  der  Unter- 
stufe zu  befriedigen.  Auf  dieser  Stufe 
kann  nicht  leicht  ein  Zuviel  der  bildlichen 
Veranschaulichung  eintreten ,  gleichviel 
ob  die  Bilder  die  geographischen  Grund- 
begriffe klären,  ob  sie  geschichtlich  und 
kulturhistorisch  merkwürdige  Lokalitäten 
darstellen  oder  lediglich  die  landschaft- 
lichen Schönheiten  der  heimatlichen 
Scholle  zu  Gemüte  führen  sollen.  Deshalb 
ist  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  be- 
trachtet auch  gegen  die  bisherige  Aus- 
wahl der  Objekte  nichts  einzuwenden.  Ob 
es  nach  dem  Erscheinen  aller  sechs  Liefe- 
rungen möglich  sein  wird,  aus  dem 
gebotenen  Material  eine  beschränktere 
Bilderzahl  mit  geographisch  wertvollen 
Objekten  für  die  nichtsächsischen  Schulen 
zusammenzustellen,  läfst  sich  vorläufig 
noch  nicht  beurteilen.  Aber  es  wäre  ge- 
wifs  eine  dankenswerte  Aufgabe,  die  Form- 
elemente der  sächsischen  Landschaft  zu 
veranschaulichen,  selbst  auf  die  Gefahr 


hin,  dafs  der  malerische  Effekt  eines 
solchen  Elementes  nur  gering  ist  (z.  B. 
die  flachen  Gneifszüge  des  Erzgebirgs,  das 
vielkuppige  Granitterrain  der  Lausitz, 
andrerseits  die  schroffen  Erosionsthäler, 
der  böhmische  Steilabfall  des  Erzge- 
birgs etc.). 

Die  künstlerische  Wiedergabe  der 
Natur  ist  meist  klar,  in  kräftigen,  auf 
Fernwirkung  berechneten  Konturen  und 
Farbentönen,  und  der  kindlichen  Auf- 
fassungsfähigkeit entsprechend,  so  dafs 
sich  verschiedene  Blätter  recht  wohl  zum 
Schmucke  der  Schulzimmer  eignen  dürften. 
Leider  hält  da«  geographische  Verständnis 
des  Malers  nicht  immer  Schritt  mit  dem 
künstlerischen.  So  ist  das  Blatt  „Bastei" 
gegenüber  der  fast  identischen  Aufnahme 
in  der  bekannten  Lehmann'schen  Bilder- 
sammlungentschieden minderwertig.  Denn 
der  wichtigste  Charakterzug  des  Elbsand- 
steins, seine  Neigung  zu  bankförmiger 
Absonderung,  kommt  weniger  zur  Geltung, 
als  in  der  Natur  auf  ungleich  gröfsere 
Entfernung.  Die  technische  Verviel- 
fältigung der  Bilder  entspricht  den  An- 
forderungen, die  man  bei  dem  niedrigen 
Preise  billigerweise  stellen  darf. 

P.  Wagner. 


Nene  Bücher  und  Karten. 


Zusammengestellt  von 

GeiehlchU  a.  Methodik  der  Geographie. 

Hegemann,  E.  Das  topograph.  Zeichnen; 
eine  Sammlung  v.  12  Musterbl.  12  Taf. 
IV,  36  S.    Berlin,  Parey  1901.   JC  6. — 

Marquart,  J.  EränSahr  nach  der  Geo- 
graphie des  Ps.  Moses  Xorenac'i;  mit. . . 
Kommentar  u.  histor.  u.  topograph.  Ex- 
cursen.  358  S.  (Abh.  der  k.  Ges.  der 
Wiss.  zu  Gött,;  philol.-histor.  Kl.  NF.  III, 
2).  4°.  Berlin,  Weidmann  1901.  JC  30.— 

Pauly's  Real-Encyclopädie.  Neu  bearb. 
von  G.  Wissowa.  Halbbd  VIII.  Stutt- 
gart, Metzler  1901. 

Probeblätter  von  geograph.  Karten, 
Plänen  etc.  des  Art.  Institut  Orell 
Füssli,  kartograph.  Anstalt,  Zürich. 
18  Bl.  Zürich,  Orell  Füssli  1901.  4°. 
JC  4.  - 

Allgemeine  phytUche  Geographie. 

Ratzel,  Friedr.  Die  Erde  u.  das  Leben; 
eine  vergleichende  Erdkunde.    Bd.  I. 


Heinrich  Brunner. 

264  Abb.  u.  Karten  im  Text,  9  Karten - 
beilagen  u.  23  Taf.  706  S.  Leipz.  u. 
Wien,  Bibliograph.  Inst.  1901.  JC  17.  — 
Rinne,  F.  Gesteinskunde ;  für  Techniker, 
Bergingenieure  u.  Studierende  der  Na- 
turwissenschaften. 4  Taf.  235  Abb. 
VU,  206  S.  Hannover,  Jänecke  1901. 
jMk  9.  60. 

Stübel,  Alph.  Ein  Wort  über  den  Sitz 
der  vulkan.  Kräfte  in  der  Gegenwart. 
Nebst  Textfig.  u.  1  Taf.  15  S.  (Mitt. 
aus  dem  Museum  f.  Völkerkunde  zu 
Leipzig;  Abt.  f.  Länderkunde).  4°.  Leip- 
zig, Weg  Komm.  1901.    JC  4. — . 

Allgemeine  Geographie  des  Meaechea. 

Fitzner,  R.  Deutsche«  Kolonial -Hand- 
buch, nach  amtlichen  Quellen  bearbeitet. 
H.  2.  Aufl.  3  Karten.  8°.  IV,  272  S. 
Berlin,  Paetel  1901. 

Frey  tag,  G.  Der  Weltverkehr;  Karte 
der  Eisenb.-,  Dampfer-,  Post-  u.  Tele- 


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Neue  Bücher  und  Karten. 


717 


graphen  -  Linien.  Maßstab  am  Äq. 
1  :  45  000  000.  Farbdr.  64  x  96,6  cm. 
Wien,  Freytag  &  ßerndt  1902.  JC  2.— 
Friedrich,  E.  Die  Anwendung  der  karto- 
graphischen Darstellungsmittel  auf  wirt- 
schaftsgeographischen  Karten.  1  Karte. 
Habilitationsschrift,  Leipzig,  Schönert 
1901. 

Gr  (Store  Erdriane. 

Gaebler,  Ed.  Neuester  Handatlas  über 
alle  Teile  der  Erde.  136  Karten  u.  Dar- 
stellgn,  nebst  aiphabet.  Namenverz.  . . . 
40  färb.  Kartens.  XXXH  S.  Text.  4.  Aufl. 
4°.    Leipzig,  Berger  1901.    JL  5.— 

Stiel  er,  Ad.  Stieler's  Hand- Atlas;  100 
Karten  in  Kupferstich,  hrsg.  von  Justus 
Perthes'  Geograph.  Anstalt  in  Gotha. 
9.  Ausgabe.  F°.  In  60  Lieferungen. 
Gotha,  J.  Perthes  1901  ff.   zu  JL  —.60. 

Europa. 

Anderlind,  L.  Darstellung  des  Kaiser- 
lichen Kanals  von  Aragonien,  nebst 
Ausblick  auf  ein  in  Preufsen  herzu- 
stellendes Kanalnetz.  1  Abb.  Leipzig 
u.  Breslau,  K.  Scholtze  1902. 

Beck  v.  Mannagetta,  G.  Ritter.  Die 
Vegetationsverhältnisse  der  illyrischen 
Länder  ...  6  Vollbild. ,  18  Textfig., 
2  färb.  Karten.  XV,  634  S.  (Engler  und 
Drude.  IV.  —  Die  Vegetation  der  Erde.) 
Leipzig,  Engelmann  1901.  Subskr.-Preis 
JL  20.—  Einzelpr.  JC  30.— 

Wallis,  H.  Sowerby,  and  H.  R.  Mill. 
British  rainfall  1900;  on  the  distribut. 
of  rain  over  the  British  Isles  . . .  1900  . . .; 
with  articles  upon  various  branches  of 
rainfall  work.  326  S.  London,  Stan- 
ford 1901. 

Waraberg,  Freih.  Alex.  Von  Palermo 
zur  Scylla  u.  Charybdis;  aus  dem  Nach- 
lasse. 46  DL,  1  Karte.  124  S.  Wien, 
Konegen  1901.    JL  6.— 

JUtteleiropa. 

Hansen,  Ad.  Die  Vegetation  der  ost- 
fries.  Inseln;  ein  Beitrag  zur  Pflanzen- 
geogr.,  bes.  zur  Kenntnis  der  Wirkung 
des  Windes  auf  die  Pflanzenwelt.  4 
photograph.  Bilder,  l  Karte.  87  8. 
Darmstadt,  Bergsträfser  1901.   JL.  4.— 

Schulz,  Aug.  Die  Verbreitung  der  halo- 
philen  Phanerogamen  in  Mitteleuropa 
nördl.  der  Alpen.  92  S.  (Forsch,  z. 
deutschen  Landes-  u.  Volkskunde.  XIII, 
4).    Stuttg.,  Engelhom  1901.    JL  3.60. 

Sundermann,  Hch.  Friesische  u .  nieder- 


sächsische  Bestandteile  in  den  Orts- 
namen Ostfrieslands;  ein  Beitrag  zur 
Siedelungsgeschichte  der  Nordseeküste. 
X,  48  S.  Emden,  Haynel  1901.  JL  2  — 
Zschokke,  F.  Die  Tierwelt  der  Schweiz 
in  ihren  Beziehen  zur  Eiszeit.  71  S. 
Basel,  Schwabe  1901.    JL  1.20. 

Allen. 

Aymonier,  Et.  Le  Cambodge.  n=  Les 
provinces  siamoises.  Grav.  487  S.  Paris, 
Leroux  1901. 

Belck,  W.  Beitrage  z.  alten  Geo- 
graphie u.  Geschichte  Vorderasiens.  II. 
66  8.  Leipzig,  Ed.  Pfeiffer  1901.  JL  3  — 

Deasy,  H.  H.  P.  In  Tibet  and  Chinese 
Turkestan;  record  of  3  years'  explora- 
tion.  436  S.  London,  ünwin  1901.  6  8. 

Haeckel,  Ernst.  Aus  Insulinde;  malay- 
ische  ReiBebriefe.  72  Abb.,  4  Karten 
u.  8  Einschaltbilder.  XI,  260  S.  Bonn, 
Straufs  1901.    JL  10.— 

K rahmer,  Gen.-Maj.  z.  D.  Das  nordöstl. 
Küstengebiet;  '(der  ochotskische,  gishi- 
ginskische,  petropawlowskische  u.  Ana- 
dyr-Bezirk)'.  2  kol.  Karten.  VH,  296  S. 
(Rufsland  in  Asien.  V).  Leipzig,  Zuck- 
schwerdt  1902.    JL  8.— 

Langen,  H.  G.  Die  Key-  oder  Kii-Inseln 
des  O.-I.  Archipelago.  18  Abb.,  1  Karte. 
Wien,  Gerold's  Sohn  1902.    JL  2.60. 

Laughan»,  Paul.  Polit.-militär.  Karte 
von  Afghanistan,  Persien  u.  Vorder-In- 
dien  ...  Mit  stetist.  Begleitworten. 
Farbdr.  63x74  cm.  Gotha,  J.  Perthes 
1901.    JL  1.— 

Lindenberg,  Paul.  Auf  deutschen  Pfa- 
den im  Orient;  ReiBebilder.  110  Abb. 
320  S.  Berlin,  Dümmler  1902.  Jt  4.— 

Monnier,  Marcel.  Itine"raires  a  travers 
l'Asie,  lev£s  au  cours  du  voyage  ac- 
compli  durant  1895—98  .  .  .  Grav.  et 
album  de  28  feuille».  253  S.  8°  u.  4°. 
Paris,  Plön  Nourrit  1901.  Fr.  26.— 
Nisbet,  J.  Burma  under  British  rule 
and  before.  2  vol.  930  S.  London, 
Constable  1901.    32  s. 

Pflüger,  Alex.  Smaragdinseln  der  Süd- 
see; Reiseeindrücke  u.  Plaudereien.  5 
Karten,  144  Abb.,  8  Einschaltbilder, 
1  Übers.  -  Karte.  IX,  244  S.  Bonn, 
Straufs  1901.  JC  10  — 
Tornow,  Max  L.  Die  wirtechaftl.  Ent- 
wicklung der  Philippinen.  10  Voll- 
bilder, 4  Taf.  u.  1  Karte.  63  S.  Berlin, 
Paetel  1901.    JL  2,40. 


718 


ZeitBchriftenachau. 


Afrika. 

Dier,  Matth.  Unter  den  Schwarzen; 
allerlei  aus  Togo  über  Land  u.  Leute, 
Bitten  U.  Gebräuche.  Kin  Karbdr,  Abb. 
2.  Aufl.  397  S.  Steyl.  Miss-Druckerei 
1901     .tC  2- 

Droogmans,  Hubert.  Notice  sur  le  Bas- 
Congo.  Annexes  aus  feuilles  1  ä  15 
de  la  Carte  de  l'Etat  Ind^pend.  du 
Congo  ä  lVch.  du  100000  e.  15  Karten. 
XX,  301  S.  Brüssel,  Vanbuggenhoudt 
1901. 

Lloyd,  der  österreichische,  u.  sein  Ver- 
kehrsgebiet: offiz.  Reisehandbuch  .  .  . 
Chefred.:  Hugo  Bürger.  II:  Ägypten. 
102  III.,  3  Fahrpl.,  1  Karte.  244  S. 
Wien,  Braum(iller  Komm.  1901.  .4L  1.80. 

Velten,  C.  Schilderungen  der  Suaheli. 
Böttingen,  Vandenhoek  Ä:  Ruprecht  1901. 
JL  5.— 

Aantralien  und  aaatrallirhe  Innela. 

(Jrey,  J.  Grattan.  Australasia;  old  and 
new.  Portr.  XVI,  396  8.  London, 
Hodder  k  Stoughton  1901.    7  b.  6  d. 


Fountain,  P.  Great  desert«  and  Ibrests 
of  North  America;  with  pref.  by  W. 
H.  Hudson.    liondon,  Longmans  1901 
9  b.  6  d. 


Beschreibung,  kurze,  der  Republik 
Chile;  nach  offiziellen  Angaben.  36  Abb., 
2  Karten.  103  S.  Leipzig,  Brockhaus 
1901. 

Kagalde,  Alberto.  MagallaneB  el  pais 
del  porvenir.  I.  Dl.  u.  Karten  VI, 
438  S.    Valparaiso  1901. 

Qoeldi,  E.  A.  Album  de  aves  Amazo- 
nicas.  Heft  1.  12  Taf.  Rio  de  Ja- 
neiro, de  Alves  k  Cie.  1900. 

Huber,  J.  Arboretum  Amazonicum ;  mono- 
graphie  des  plantes  »pontanees  et  cul- 
tivees  les  plua  importantes  de  la  region 


Amazonienne.  2  Hefte.  20  Taf.  Para, 
Muscu  Paraense  1900. 

Jannasch,  R.  Karte  von  Süd-Braailien. 
Rio  Grande  do  Sul,  Santa  Catharina, 
Paranä  .  .  .  Ausg.  Frühjahr  1902. 
1:2000000.  Lith.  75x79,5  cm  Wil- 
mersdorf-Berlin ,  Allg.  Verlags- Agentur 
1902.    .<£  5  — 

Meyer,  H.  Die  Privatkolonien  von  Dr. 
Herrmann  Meyer  in  Rio  Grande  do  Sul 
'Südbrasilien'.    Leipzig  1901. 

Simons,  E.  M.  Eine  Südamerikafahrt; 
Reiseskizzen.  Abb.  98  S.  Berlin,  Gropius 
1901.    JL  2  — 


Nathor*t,  A.  G.  Tvu  somrar  i  Norra 
iBhafolt:  Kung  Karlsland,  Spitzbergens 
kringsegling  spanande  efter  Andree  i 
Nordftstru  (Grönland.  2  Bde.  2  -f  1 
Karten.  XXXV,  352;  XIV,  414  S.  Stock- 
holm, Beijer  (1901). 

Geographischer  Unterricht. 

Baur,  Ludw.  Fragen  u.  Aufgaben  aus 
der  mathemat.-physikal.  Geographie  . . . 
15  Abb.  216  S.  Stuttg.,  Muth  1902. 
JL  2.80. 

Fritzsche,  Rieh.  Method.  Handbuch  für 
den  erdkundl.  Unterricht  in  der  Volks-, 
Bürger-  u.  Mittelschule  ...  I:  Das 
deutsche  Reich.  17  Kartensk.  XII, 
399  S.  Langensalza,  Beyer  k  Söhne 
1901.    JL  4.50. 

Kuhnert,  M.  Erdkarte,  westl.  Hälfte 
'(in  Reliefmanier/;  in  Verbindung  mit 
G.  Leipoldt  gezeichnet.  Mittl.  Mafs- 
stab  1  :  12  000  000.  Farbdr.  6  Bl.  zu 
86x60  cm.  Dresden,  Müller  1901. 
JK  12.— 

Langhana,  P.  Handelsschul-Atlas.  2.Aufl. 

Gotha,  Perthes  1902.        2  — 
Reiner,  Jul.    Was  rauft  mau  von  der 

Geographie    wissen?     Allgemein  ver- 

stäudl.  dargestellt.  109  S.  Berlin,  Stei- 

nitz  1902.    JL  1.50. 


Zeitschriftenschan. 

Peter  mann' 8  Mitteilungen  1901.  lO.Heft.  polarexpedition,  I.  Beriebt.  —  Lang- 
Rat  zel:  Die  Kaut-Laplace'eche Hypothese  1  hans:  Die  Wassererwerbs-Bevölkcrung  im 
und  die  Geographie.  —  Hermann:  Die  ,  Deutschen  Reich.  —  Singer:  Das  Uganda- 
Revölkeruug  der  Insel  Pitcairn  als  Gegen-  Protektorat,  —  Ders.:  Die  Uganda-Bahn, 
stand  wissenschaftlicher  Untersuchung.!  —  Krahmer:  Die  Nachrichten  von  der 
—   v.  Drygalski:   Die  deutsche  Süd-  Expedition  von  P.  K.  Koslow. 


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Zeit  Schriften  schau. 


719 


Globus.  Bil  LXXX.  Nr.  15.  Tetzner: 
Finnisch-ugrische  volkskundliche  Studien. 

—  Durand*«  Besuch  hei  den  Webias  auf 
Neukaledonien.  —  Schulze:  Die  erste 
ethnographische  Skizze  über  dießotokuden 
in  deutscher  Sprache. 

Dass.  Nr.  16.  Anutschin:  Ergeb- 
nisse der  anthropologischen  Erforschung 
Rufslands.  —  Bodsohn:  Reise  im  unab- 
hängigen Sikkim.  —  Sapper:  Speise  und 
Trunk  der  Kekchi-Indianer. 

Dass.  Nr.  17.  Höfer:  Der  römische 
Handel  mit  Nordeuropa.  —  Anutschin: 
Ergebnisse  der  anthropologischen  Erfor- 
schung Rufslands.  —  Stenz:  Zur  Pekinger 
Volkskunde.  —  Knosp:  Poetische  Wert- 
kämpfe in  Annam. 

Dass.  Nr.  18.  Buhle:  Das  Deutsch- 
tum in  Guatemala.  —  Sapper:  Eine  land- 
wirtschaftliche Expedition  nach  Zentral- 
und  Südamerika.  —  Hütt  er:  Westafri- 
kanisches Stationsleben.  —  Seidel:  Kör- 
perverunstaltungeii  im  Süden  Deutsch- 
Ostafrikas.  —  Pennsylvania  -  Deutsch.  — 
Das  deutsche  Interesse  an  den  englisch- 
poilugie«i«rhen  Grenzfragen. 

Deutsche  Bumlschau  für  Geogra^iie 
und  Statistik.  XXIV.  Jhrg.  2.  Heft, 
Floericke:  Marokko.  —  Sehiller- 
Tietz:  Die  Hautfarbe  der  neugeborenen 
Negerkinder.  —  Lemke:  Die  Indianer 
Mexikos.  —  v.  Stenin:  Die  Talabaski- 
schen  Inseln  auf  dem  Pleskauer  See. 

Meteorologische  Zeitschrift.  19<>l.lu.Heft. 
v.  Bezold:  Die  Meteorologie  an  der  Wende 
des  Jahrhunderts.  —  Hergesell:  Die 
Berliner  wissenschaftlichen  Luftfuhrten. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  XXIII. 
Jhrg.  1.  Heft,  Oppermann:  Die  preußi- 
schen Lehrplüne  für  Lehrerbildungsan- 
stalten und  die  Geographie.  —  Schwarz- 
leitner:  Über  morphologische  Karten  als 
Lehrmittel.  —  ImendÖrffer:  Noch  ein- 
mal daB  Kartenzeichnen  in  der  Schule. 

—  Gorge:  Zur  Behandlung  der  Geogra- 
phie Vorderindiens  im  Mittelschuhinter- 
richt. 

Dass.  2.  Heft,  Mofshammer:  Grund- 
lagen des  Entwurfs  geographischer  Kon- 
struktionszeichnungen. —  Die  Teilung 
Afrikas.  —  Der  Nil  und  die  Irrigationen. 

—  Mayer:  Zur  Orographie  Nordamerikas. 
Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde zu  Berlin.    1901.   Nr.  3.  Werth: 
Lebende  und  jungfossile  Korallenriffe  in  I 
Ost-Afrika.  —  Stavenhagen:  Über  diel 


englische  Landesaufnahme  in  Europa  und 
Vorderindien.  —  Kohlschütter:  Die 
Grabenländer  im  nördlichen  Deutsch-Ost- 
afrika, 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für 
Erdkunde  zu  Berlin.  1901.  Nr.  7.  Boas: 
Die  Jesup- Nordpazifische  Expedition.  — 
Eine  neue  Schingü-Expedition.  —  v.  Dry- 
galski:  Die  deutsche  Südpolarexpedition. 

Deutsche  Geographische  Blätter.  XXIV. 
3  n.  4.  Stavenhagen:  Der  Wert  der 
Mandschurei  für  Rufsland.  —  Linde- 
mann: Adolf  Erik  von  Nordenskjöld.  — 
Martha  Krug:  Die  Kartographie  der 
Meeresströmungen  in  ihren  Beziehungen 
zur  Entwickelung  der  Meereskunde  (mit 
Karte  des  Golfstromes).  —  Kleinere  Mit- 
teilungen. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Ko- 
lonialicirtschaft.  U\.  1901—1902.  Heft  1. 
Hillemanns:  Unsere  Kolonien  im  Jahre 
1900  I.  —  Cannstatt:  Zur  Sagen  Ver- 
wandtschaft fremder  Völker  und  Men- 
schenrassen. —  Todd:  Die  Heise  des 
amerikanisehenKanonenbootesWilmington 
auf  dem  Amazonenstrom  I.  —  Dove: 
Meteorologische  Beobachtungen  aus  den 
deutschen  Schutzgebieten. 

Dass.  Heft  2.  Frankreich  in  Wcst- 
afrika  I.  —  Cannstatt:  Zur  Frage  der 
Anlage  von  deutschen  Ackerbankolonien. 

—  Hille  mann«:  Unsere  Kolonien  im 
Jahre  1900  II.  —  Todd:  Die  Reise  des 

amerikanischenKanonenbootesWilmiugton 
auf  dem  Amazonenstrom  U.  —  H.  H. : 
Die  Eingeborenenpolitik  der  grofsen  Ko- 
lonialmächte. 

Dass.  Heft  3.  Zur  Arbeiterfrage  im 
Bismarckarchipel.  —  Engelhardt:  Meine 
Heise  durch  Uhehe,  die  Ulanganiederung 
und  Cbene  über  da«  Livingstone-Gehirge 
zum  Nyassa.  —  Frankreich  in  West- 
afrika U. 

Dass.   Heft 4.  R.j  Australischer  Brief. 

—  Frankreich  in  Westafrika  IU.  —  Fies: 
Die  Ölpalme  in  Togo.  —  Die  Entwicke- 
lung des  Bismarckarchipels. 

Dass.  Heft  5.  Seidel:  Studien  zur 
Grammatik  und  Lexikographie  der  mo- 
dernen nordchinesischen  Umgangssprache. 

—  Spellenberg:  Bericht  über  meine 
dritte  Reise  ins  N.-W. -Gebiet  des  Hinter- 
lande« von  Kamerun.  —  Seidel:  Das 
Bakririvolk  in  Kamerun. 

Dass.  Heft  6.  Seidel:  Das  Bakriri- 
volk in  Kamerun.  —  Dahome.  —  Joap: 


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ZeitschriftenBchau 


Marokko.  —  Aus  Liberia.  —  Spellen- 
berg:  Ein  Beitrag  zur  Land-  und  Völker- 
kunde von  Kamerun-Hinterland. 

The  Geographical  Journal.  1901.  No- 
vember. Miles:  Across  the  Green  Moun- 
tains of  Oman.  —  Little:  The  Crux  of 
the  Upper  Yangtse.  —  Geography  at  the 
British  Association,  Glasgow,  1901.  — 
Colonel  Arnold'«  Map  of  the  Barue  Coun- 
try.  —  DicklOB:  The  Mean  Tempera- 
ture  of  the  Atmosphere  and  the  Cause« 
of  Glacial  Periods. 

The  Scottish  Geographical  Magazine. 
1901.  Nr.  10.  Mill:  Presidential  Ad- 
dress to  the  Geograpbical  Section  of  the 
British  Association,  1901.  —  Lemaire: 
The  Belgian  Scientific  Expedition  to  Ka- 
Tanga.  —  Capt.  Lemaire's  Itinerary. 

Voss.  Nr.  11.  Bruce:  The  Scottish 
Antarctic  Expedition.  —  Dingelstedt: 
Anthropological  Investigations  in  the  Alps 
and  the  Caucasus.  —  Lewis:  Itineraries 
in  Portuguese  Congo.  —  The  CUmatology 
of  Africa. 

The  Journal  of  the  Manchester  Geo- 
yrajiihical  Society.  1901.  Nr.  1 — 3.  Wood«: 
Belgium,  what  it  is  like,  the  best  Way 
to  see  it,  and  how  to  get  there.  —  Blake: 
The  Ober  -  Ammergau  -  Passion  Play.  — 
Bellamy:  En  Route  to  the  Passion  Play. 

—  St.  Hill -Gibbons:  Exploration  in 
Marotseland  and  Neighbouring  Regions. 

—  Brice:  The  Great  Siberian  Railroad. 

—  Newby:  Iceland  and  the  Icelanders. 

—  Bellamy:  The  Paris  Exhibition  ol 
1900.  —  Geddes:  Geography  at  the  Paris 
Exhibition. 

Dass.  Nr.  4—6.  Koettlitz:  Polar 
Work,  what  it  is,  why  it  should  be  done, 
and  what  is  still  to  be  done  there.  — 
Wragge:  The  Snowy  Ranges  of  Australia, 
Mount  Kozciusko  and  its  Observatory.  — 
Heywood:A  Holiday  in  Japan.  —  Newby: 
The  Death  of  Mr.  Howell  in  Iceland. 

La  Geographie.  1901.  Nr.  10.  Hu- 
gues  Le  Roux:  Voyage  au  Ouallaga.  — 
Weifsgerber:  Itineraire  de  Casablanca 
aux  Beni  Meskin.  —  Dcniker:  La  pre- 
mii-re  Photographie  de  Lhassa.  —  Schir- 
mer: ün  manuel  des  „Pays  neufs4\ 

Kit*.  Geogr.  Jtal.    VIII.  Augusthea. 


Poren a:  A  proposito  di  un  recente  arti- 
colo  ,.sulla  Geografia  comparata  secondo 
il  Ritter  e  il  Peschel".  —  Nordenskjöld: 
Intorno  alla  infiuenza  dei  Viaggi  di  Marco 
Polo  sulle  „Carte  dell'  Asia  di  Giacomo 
Gastaldo'4  (Traduzione  dello  svedese  di 
Giuseppe  di  Vita).  —  Gherardelli:  Ri- 
assunto  delle  osservazioni  meteorologiche 
ovarie  oltennte  durante  l'anno  1900  dagli 
instrumenti  registratori  dell'  Osservatorio 
dell'  Istituto  Geografico  Militare. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1901.  Nr.  10.  Next  International  Geo- 
graphical Congress  to  be  held  in  Wa- 
shington. —  Peary's  Works  in  1900  and 
1901.  —  Moore:  The  Weather  Bureau. 
—  McGee:  Work  of  the  Bureau  of  Ame- 
rican Ethnology.  —  Boundaries  of  Terri- 
torial Acquisitions.  —  Kol  Im  :  The  Ger- 
man South  Polar  Expedition. 

The  Journal  of  School  Geography. 
1901,  Nr.  8.  Russell:  Climate,  Vegeta- 
tion and  Drainage  of  Cascade  Mountains 
of  Northern  Washington.  —  The  Dunes 
and  Lands  of  Gascony.  —  Barrett:  Fea- 
tures of  Norway  and  its  People.  —  Dodge: 
A  Secondary  Course  in  Geography. 

Aug  verschiedenen  Zeitschriften. 

Crammer:  Die  Opferkessel  des  Riesen - 
gebirges  Bind  keine  Eiszeitepuren.  Z.  d. 
Deutsch,  geol.  Ges.  1901. 

Geschichtliches,  Landschaftliches  und 
Ethnographisches  von  der  sibirischen 
Bahn.  Köln.  Volkszeitg.  1901.  Nr.  37. 
14.  Okt. 

Kirchhoff:  Das  Meer  im  Leben  der 
Völker  und  in  der  Machtstellung  der 
Staaten.  Deutsche  Monatsschrift.  I. 
190t  — 1902.  2. 

Nathorst:  Bidrag  tili  Kung  Karhi  lands 
geologi.  Geol.  Füren.  Förhande.  Nr. 
208.    Bd.  23.    Haft  5. 

Partsch:  Luftfahrten  im  Dienste  der 
Wissenschaft.    Schles.  Zeitg.  S.-A. 

Sfiring:  Die  Ergebnisse  der  Berliner 
wissenBchaftlichn  Luftfahrten.  Himmel 
und  Erde.    XIV.    1901.    2.  Nov. 

Weiler:  Von  Tsingtau  durch  Sibirien. 
Köln.  Volksztg.  1901.  Nr.  41.  13.  Okt. 


Verantwortlicher 


l'rof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heideltwrg. 


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I 


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