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Full text of "Die Heldensagen der germanischen frühzeit"

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Die 

Heldensagen 
der 

germanischen 
frühzeit 




Friedrich Wolters, 
Carl Petersen 




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WOLTERS UND PETERSEN 
HELDENSAGEN 



FRIEDRICH WOLTERS 
UND CARL PETERSEN 
DIE HELDENSAGEN 
DER GERMANISCHEN 

FRÜHZEIT 




IM VERLAG VON FERDINAND HIRT 

IN BRESLAU 1922 



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ZWEITE AUFLAGE 



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DEN DRUCK DIESES BUCHES BESORGTEN 
BREITKOPF & HÄRTEL IN LEIPZIG 

COPYRIGHT 1921 BY FERDINAND HIRTIN BRESLAU 



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INHALT 

SEITE 

VORBEMERKUNG VIII 
EINLEITUNG: VOM GEIST UND LEBEN DER 
GERMANISCHEN HELDENDICHTUNG i 

I. FRANKEN UND BURGUNDEN 

DIE NIBELUNGEN 

NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG: DIE W ÖLSUNGE UND 



NIFLUNGE 

i. SIGMUND UND SIGNY a3 

a. SINFJÖTLIS TOD 29 

3. SIGMUNDS TOD 30 

4. SIGURDS JUGEND 3« 

5. SIGURDS DRACHENKAMPF 36 

6. SIGURDS RACHEZUG 40 

7. SIGURD UND DIE SCHILDMAID 41 

8. SIGURD UND BRYNHILD 43 

9. UNTERGANG DER NIFLUNGE 53 

DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG: SIGFRID UND DIE 
BURGUNDEN 

xo. JUNG-SIGFRID 59 

ix. SIGFRID AM BURGUNDENHOF 63 

xa. UNTERGANG DER BURGUNDEN 83 

13. WOLFDIETRICH 106 

IL ALAMANNEN 

14. WALTHARI UND HILTIGUND 124 

III. OSTGOTEN 

ERMBNRICH 

15. JÖRMUNREK UND SWANHILD 144 

16. ERMENRICH UND DIE HARLUNGE 149 



M50923 



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DIETRICH VON BERN SEITE 

17. DIETRICHS VERTREIBUNG 151 

18. DIETRICHS ERSTER HEERZUG UND DER TOD 

DER ETZELSÖHNE 157 

19. DIE RABENSCHLACHT UND DIETRICHS HEIM- 

KEHR 165 

ao. HILTIBRAND UND HADUBRAND 167 

IV. WESTGOTEN 

HEIDREK 

IX. WIE HEIDREK GOTENKÖNIG WURDE 170 

aa. HEIDREKS TOD x 7 a 

a 3 . DIE HUNNENSCHLACHT 174 

V. LANGOBARDEN 

a 4 . ALBOIN UND TURISIND 180 

25. ALBOIN UND ROSIMUND 181 

VI. THÜRINGER 

a6. IRINGS VERRAT 184 

VII. ANGELN, SACHSEN, FRIESEN 

37. WÖLUND 187 

a8. EGIL DER SCHÜTZ 191 

39. OFFA iga 

30. DER KAMPF IN DER FINNSBURG 196 

BEOWULF 

3 x. DER GRENDELKAMPF 200 

3a. DER DRACHENKAMPF ais 

HILDE 

33. NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG: HEDIN UND HILD aa3 

34. DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG: HETEL UND 

HILDE 324 

35. GUDRUN 330 



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VIII. DÄNEN UND JÜTEN 

DIE SKJÖLDUNGE 

36. SKJÖLD 04a 

37. FRODI UND DIE SCHICKSALSMÜHLE 243 

38. HALFDANS TOD UND ROARS UND HELGIS 

RACHE 245 

39. HELGI UND YRSA 251 

ROLF KRAKI 

40. ROLF UND SEINE KÄMPEN 254 

41. ROLFS UPSALAZUG 256 

42. ROLFS TOD 259 
43- WÖGGS RACHE FÜR KÖNIG ROLF 266 

ST ARK AD 

44. STARKADS JUGEND 267 
45- DAS GÖTTERTHING UND STARKADS ERSTE 

NEIDINGSTAT 270 

46. STARKADS ZWEITE NEIDINGSTAT 272 

47. DER FALL KÖNIG FRODIS UND INGELDS RACHE 274 

48. STARKADS ENDE 278 

49. HARALD KAMPFZAHNS HEIMHOLUNG IN DER 

BRAWALLASCHLACHT 280 

50. HELGI UND SIGRUN 287 

51. HAGBARD UND SIGNE 292 

52. AMLETH 296 

IX. GAUTEN, SCHWEDEN, NOR- 
WEGER 

53- KÖNIG REDEL UND SEINE SÖHNE 302 

54- DAS ENDE DER YN GLINGE 303 

TYRPINGSAQEN 

55- DER KAMPF AUF SAMSÖ 3©5 

56. WIE HERWÖR DAS SCHWERT TYRFING GE- 

WANN 309 

57. KÖNIG HALFS ENDE 3*3 



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VORBEMERKUNG 



Die vorliegenden Nacherzählungen der Heldensagen sind 
auf Grund der Urtexte hergestellt mit der Absicht, das 
ursprüngliche heldische Ethos zur Erscheinung zu bringen 
und auch aus späteren überwucherten Überlieferungen so 
einfach als möglich herauszuschälen. Lücken und Sprünge 
der reineren Überlieferung sind einige Male mit Vorsicht 
überbrückt, doppelte Überlieferungen entweder doppelt 
wiedergegeben oder die dem Sinn des Ganzen am meisten 
entsprechenden Teile gewählt worden. Die Darstellung in 
Prosa ergab sich aus der Notwendigkeit, gegen die Viel- 
spältigkeit der überlieferten Formen für die Erzählung eine 
sprachliche Einheit zu finden. Doch ist Ton und Farbe der 
einzelnen Quellen möglichst gewahrt und versucht worden, 
die innere Bewegung, das Maß von Kraft und Glut, die 
Gefülltheit oder Armut, die jeweils in ihnen noch spürbar 
ist, sichtbar zu machen. Schroffheiten und Härten ursprüng- 
licher Formen zu mildern oder Glättungen und Mattig- 
keiten schon entleerter, der dichterischen Kraft beraubter 
Formen aufzuhöhen, wurde vermieden. Der Grundriß der 
Sage ist meist herstellbar, die verlorene Formung nie. 



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EINLEITUNG 



VOM GEIST UND LEBEN 



DER GERMANISCHEN HELDENDICHTUNG 



losem Dämmer auf leerer Heide oder in tiefen Wäldern oder 
in Klüften des Berglands ein Volk ans dumpfem Schlaf er- 
wacht, wenn es in Druck und Prall des ersten gemeinsamen 
Erlebens und einbrechender Gefahr die schwere Klammer der 
ungestalten Träume bricht, sich seiner selbst, seines Anders- 
seins, seines schicksalhaften Daseins in der ersten Tat bewußt 
wird und die Welt um sich in endlosen Weiten hingedehnt 
sieht, dann wird ihm eine menschliche Mitte sichtbar, der noch 
undeutbare rätselvolle Kraftkern, aus dem die Tat auffuhr, 
um die sich der neue Sinn des Volkes ballte: dann erwächst 
um den Helden der Heldengesang! 

Er zeugt sich aus den Nöten, der drohenden Gefahr, er zeugt 
sich aus der Kühnheit, der verachteten Gefahr: er blüht aus 
dem Aufgang und Untergang der Völker. 

In ihm spiegelt sich alle Jugendschöne und herbe Fülle be- 
ginnlicher Völker, alle Kraft des Aufbruchs und Anhebens, 
alle Wucht des lang gesammelten Tatwillens, aller Drang nach 
Erfüllung der dunkelsten Träume. Das Geschehnis, wie der 
Mensch ein Einmaliges und Ewiges zugleich, wird der Zu- 
fälligkeit des Raumes und der Zeit entrückt, ohne doch sein 
Sinnlich-Gegenwärtiges zu verlieren: in der Luft des Helden- 
gesanges atmet eines jeden bester Teil, der Geist des Volkes 
erkennt sich in ihm und rückt sein edelstes Bild ins unver- 

I Wolters u. Petersen, Heldensagen. 




I 




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gängliche Leben. Ja, ahnend ist in ihm schon vorempfunden, 
dumpf nur hingehaucht und in dunkles Dichterwort gebannt, 
welche Schicksalsform, welche Wesensgrenzen, welche Seelen- 
gestaltungen dem Volke vorbestimmt und mitgeboren sind. 

Mit dem Heldenalter tritt das Volk in die Helle des Erdentages, 
wird es hineingerissen in das schicksalhafte Spiel der Kräfte. 

Was hinter ihm liegt — auf leerer Heide, in tiefen Wäldern, 
• in .Klüften .des. Berglands — ist nur dumpfe Erinnerung, greift 
•'aber ma^chmal-rioch als unverstandene Verstrickung ins neue 
: Leben: -*JVJ jöner Vorzeit sprach sich sein Menschtum, sein 
Wissen von 'sich und Welt im heiligen Liede aus, das um das 
Gottbild, im Kreise seines Kultes schwang. Damals bannte 
es mit magischem Wort die Schauder der Mächte, die es form- 
los umspülten. Noch war die Gestalt nicht da, in deren mensch- 
lichem Bilde der frühe Mensch sich seiner selbst bewußt ge- 
worden wäre: als ein andrer, ein besondrer sich der Welt 
entgegensetzend, noch stand er unter jenem Schauder, jener 
ohnmächtigen Einsamkeit, in der nur der Zauber hilft, wo 
jedes Wort klanglos in endloser Weite verhallt, wo die Nacht 
und der Schlaf voll schwankender Schemen und der Tag voll 
einsamer Mühen ist. In einigen uns erhaltenen Resten der 
ältesten Sage spüren wir noch die Schauer, die um jene ge- 
heimnisvolle Grenze gelagert sind, welche die Urnacht der 
Völker von der gestaltigen Welt, das Wilde von den bild- 
gewordenen Mächten trennt. 

So reckt sich im Liede von Wieland der mit allen zaube- 
rischen Erdkräften noch beladene Mensch aus der Nacht und 
Wildnis sehnend der Welt der Leiber entgegen: er fängt sie 
schon, aber vermag sie noch nicht zu halten, und im Kampf 
mit dem ihm fremden Reich, das andern Gesetzen gehorcht 
als seinem magischen Zauber, zerbricht er und kehrt nach 
Vollbringung seiner dämonischen Rache machtlos in die Öde 
seiner raunenden Wälder heim. 

Nur selten, wie gesagt, rührt die Heldensage an dieses Reich 
der Urzeit, das nicht ihres Wesens ist, an das Leiden der Un- 

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gestalt, an den Zauber des Unterirdischen und seine bannende 
Kraft. Was in der Sage beginnt, ist die Tat, was in ihr Er- 
scheinung wird, der Täter, und das Schwingen seiner mensch- 
lichen Seele erklingt nun bildgeworden im Lied des Dichters. 
Nun weiß sich ein Menschtum um die Mitte des Täters als 
sinnenhafte Einheit, die Erde entläßt ihre Kinder über die 
Weiten hin, neue Kraftzellen brechen auf und entladen ihre 
verborgenen Wuchten. 

Von hier aus ist nur noch ein Schritt zur höchsten Stufe, 
zur Einheit der Menschen- und Götterwelt, zum strahlenden 
Lichtreich der Homerischen Epen, in denen der Mensch das 
Ewige, der Gott das Menschliche darstellt und alles schwerste 
wie leichteste Geschehen sich schön im geordneten Kreislauf 
der selig in sich beruhenden Weltenkugel vollzieht. Diese 
Stufe erreichten die Germanen bis heute nicht. Wohl schufen 
auch sie die zyklisch gereihten, zum Gesamtbild geschlossenen 
Epen, wie Beowulf, die Nibelungen, Gudrun und viele anderen, 
aber sie sind keine höhere Einheit des Seelischen, sondern nur 
der mattere Abglanz der Dichtung des Heldenalters. 

Aber schon in ihr, dem kurzen Heldenliede, das allein bei 
den Germanen aufbewahrt ist, zeigt sich der frühe Bruch, der 
die letzte Reife hindern wird, schon in ihr weist sich, wie die 
Germanen bei jedem Versuch, ihre tiefsten Sichten ins leib- 
hafte Gebild zu bannen, sie in die Zweiheit von Nur-Geistigem 
und Nur- Sinnlichem auseinanderbrechen und wie jeder Ein- 
strom, der ihre Bahn kreuzt, ihre inneren Bindungen zu zer- 
reißen droht: die Heldenlieder der Germanen zeigten ihre 
Götter nicht! Sie gestalteten den aus dem Reiche der Mächte 
ins Tathafte umgeschwungenen, noch vom Grauen der Ur- 
nacht durchströmten, aber in den hellen Tag gerissenen, den 
vom Tatwillen allein besessenen frühen Menschen, den Heraus- 
bruch des Einzelnen aus allen dumpfen Bindungen, aus Kult, 
Sippe, Volksgemeinschaft, sie zeigten seine Gegenstellung 
gegen die nicht-menschlichen Erdkräfte, aber auch die schreck- 
liche Vereinzelung der noch nicht vöm göttlich schönen Rund 




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umschlossenen, der im heldischen Tun allein ihren Sinn finden- 
den Seele. 

Wohl erhoben sie den Helden über die Unweit, aber die 
Schließung des Kräfteringes, die Einbeziehung des todgeweihten 
Menschenfremdlings, den das Grauen des „ungehiuren", das 
schicksalhafte Fluchzeichen, noch umwittert, in eine durch- 
gottete Welt gelang hier nicht. 

In ihrer Einsamkeit und Verfemung blieben die Helden- 
gestalten stehen, strahlende Kraftmitten über der dumpf- 
lastenden Erde, hell oder dunkel dem Untergang geweiht, dem 
sie todsüchtig zueilen, den unteren albischen Kräften bewußt 
entgegengestellt, von den oberen gestaltigen noch nicht er- 
reicht und durchglüht: Erlöser aus dem Banne der Urschauer, 
aber selbst fluchbeladen in ihrer Gottferne, die erst das schon 
minder rauhe Fühlen jüngerer Zeiten zu mildern sucht. 

Was aber hat den Germanen der vorchristlichen Zeit die 
Gestaltung einer göttlich-heldischen Welt verwehrt? Warum 
wurde die Welt der Leiber vom Göttlichen nicht durchdrungen? 

Bei den Nordländern stehen beide Welten noch lange neben- 
einander, anfangs sich nirgends berührend und erst in den 
Zeiten des ermattenden Götterglaubens sich leise nähernd: 
beide Welten gleichermaßen dem Schicksal und seinem ge- 
heimnisvollen Gespinst unterworfen, doch nicht miteinander 
durchglüht und aneinander gestaltet. Nichts deutet darauf 
hin, daß es bei den südlichen Stämmen anders war. 

So war der germanische Held schon in seinem Ursprung 
nicht Gestaltung und Sinnbild oberer Götterkraft, er war nicht 
nach dem Bilde der Gottheit geschaffen: er war der rein- 
menschliche Kämpfer gegen die abgründige Ungestalt, der 
richtungslos schweifende Vollbringer der menschlichen Tat. 
Nun aber fiel die Stunde seiner Geburt in die Zeit des großen 
Göttersterbens zwischen Nord- und Mittelmeer und bis tief 
in die Länder Asiens und Afrikas, in die Zeit des Ergrauens 
und Dämmerns der hohen Fürsten des Alls, das erst die hellen 
Götter des Olymps hinsinken ließ und mit dem verwesenden, 

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aber rings die Länder durchdringenden römischen Reich auch 
alle andern Götter der Erdteile, welcher Stufe immer sie an- 
gehörten, ergriff, in die Zeit jener Götterdämmerung, jenes 
Fimbulwinters, der die eben damals entstehende Götter- 
kunde der Germanen durchdrungen und damit dem ganzen 
Himmel dieser Zeitenwende sein geheimnisvolles Gepräge, 
seinen Untergangsschauer verliehen hat. 

Weniger die neue Religion des Geistes, des unsichtbaren 
Gottes war es, die das alte Fühlen brach, als dieses rätselhafte 
Ergrauen der Götter. Denn kein lebendiger Gott weicht einem 
fremden: er bekämpft ihn oder wandelt sich im Blute des 
fremden zu neuer Gestalt. Hier aber starben die Götter, und 
nur in den schaurigen Nachklängen von Sturm und Feuer, 
wie in einem letzten Aufruhr der empörten Elemente, geisterte 
was einst aus ihnen zur Gottgestalt geründet worden war, nun 
losgebunden über die germanische Erde hin. 

Wundern wir uns nicht über dieses Schicksal: selbst in den 

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marmornen Tempelstätten an den Ufern des Mittelmeeres, 
wo der Dienst der Götter jahrhundertelang den gleichen 
heiligen Boden mit Opfern getränkt, mit Spenden geschmückt, 
die Luft mit Gebeten und Weihrauch erfüllt und geschwängert 
hatte, selbst dort erblaßte das Gold der Olympier, ermatteten 
die Feiern, erlahmten die Spiele: 

Nichts leugnen will ich hier und nichts erbitten. 
Denn wenn es aus ist und der tag erloschen 
Wohl trifft's den priester erst, doch liebend folgt 
Der tempel und das bild ihm auch und seine sitte 
Zum dunklen land und keines mag noch scheinen. 
Nur als von grabesflammen ziehet dann 
Ein goldner rauch, die sage drob hinüber 
Und dämmert jetzt uns zweifelnden ums haupt 
Und keines weiß wie ihm geschieht. 

So singt Hölderlin von der beginnenden Nacht im Süden, 
wo jeder Stein die Ewigkeit der Götter zu verheißen schien, 

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wo die Völker seit einem Jahrtausend fest um die ehrwürdigen 
Stätten saßen. 

Die germanischen Stämme aber der großen Wanderungs- 
zeit, in der eine unbegreifliche Unruhe unseren Erdteil er- 
schütterte, verließen, oft ohne Not und Zwang, ihre heiligen 
Wälder und Stätten, sie verließen Heimat und heimatlichen 
Götterdienst, sie kamen in Länder, wo die zersetzenden Ge- 
danken der Weltweisen über den Götterglauben schon in alle 
Schichten der Völker gedrungen waren, wo damals der schreck- 
hafte Ruf erscholl: „Der große Pan ist tot!" Sie verloren die 
Erinnerung an ein überirdisches gebundenes Dasein auf jenen 
irren Zügen, in den immer erneuten Mühen eines rastlosen 
Daseins, wo nichts galt als der Ausbruch gesammelten Men- 
schentrotzes, als der unbeugsame Wille und die Kräfte, die in 
der kämpfenden Gemeinschaft und der blutverbundenen Sippe 
verhaftet waren. Des Helden bedurfte man, nicht des Gottes. 

Das Christentum aber vermochte, als die alten Götter tot 
waren, nirgends in die Heldendichtung einzudringen. Nicht 
götterlos nur, sondern alles Göttlichen entleert lebte sie im 
Mittelalter weiter, ,,ohne irgendeine Spur von irgendeinem 
himmlischen Reflekt", wie Goethe bei der Betrachtung des 
Nibelungenliedes bemerkte, uneingefügt in das christliche 
Weltall, dennoch aber kein „wahres Heidentum", wie er 
wähnte: denn auch die Erdschauer der vorgöttlichen Welt 
waren in den großen Epen zur unterhaltenden Phantastik 
verdünnt und der große Leidensgang des schicksalumsponne- 
nen Helden zum reckenhaften Abenteuer geworden. 

Aber jenes Sterben der Götter, der Wirbel an gewaltiger 
Zeitenwende, in den die Geburtsstunde der frühen Helden- 
dichtung der Germanen fiel, färbte sie mit jenem dunklen 
Leid der einsamen Untergänge, das durch alle Tatfülle und 
geschlossen-menschliche Unbedingtheit hinschwingt und jeder 
Tat, jedem Streben auch in die dämmrigste Ferne, jedem 
Steigen durch weglose Wälder und jeder Fahrt über das Un- 
geheuer-erfüllte Meer einen Ton von Hoffnungslosigkeit, 

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Unendlichkeit, Unvollendetheit beimengt. Erst die nach- 
heldische Zeit des Wikingerlebens bringt den hellen freudigen 
Ton des fröhlichen Gelingens, der glückhaften Fahrt. 



Die jüngere Überlieferung, die Epik des Mittelalters, die 
unseren Vätern zuerst wieder sichtbar wurde, hat lange Zeit 
das Grundmerkmal der Heldendichtung der germanischen 
Frühzeit verwischt, die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts 
und Wagners Umdeutungen ins Gefühlhafte haben es zu- 
nächst noch tiefer verschüttet. Das Wesen dieser ganz ein- 
deutig zu umschreibenden Dichtung, deren Wurzeln alle in 
die Zeit der Wanderung hinabreichen, ist durch ein ihr un- 
verwechselbar eigenes Merkmal bestimmt: durch die heldisch- 
tragische Artung, die sie von allen verwandten Gattungen 
der Dichtung trennt. Freilich finden wir diese heldische 
Artung ganz rein nur in wenigen alten Liedern der Edda, 
einem altenglischen Bruchstück und im Hildebrandsliede. 
Aber die gleiche heldisch-tragische Glut umwittert doch alle 
Helden der Wanderzeit, in ihr werden alle großen Gestalten 
der Dichtung geboren, und unverkennbar, wo nur ein echter 
Funke erhalten blieb, verrät sich durch alle Hüllen der Über- 
lieferung das echte Feuer. 

Das in Tat und Untergang, bis in Leid und Tod großblei- 
bende Leben wird als höchstes Gut und stärkste Forderung 
des lebenden Geschlechtes an sich selbst ins kurze Lied ge- 
bannt, und von diesem Kerne her ist alles andre, Gang der 
Fabel, Aufbau und Kunstform selbst, worin die Sage lebt, 
bestimmt. Dieses Leben reißen die leidenschaftlichen Strophen 
des Stabreimes ins schaubare Bild und verdichten seinen 
seelischen Gehalt zum großen Augenblick der heldischen 
Bewährung. 

Wie aber ist diese eigentümliche heldische Artung der ger- 
manischen Frühzeit beschaffen? Woraus entspringt die rein 
menschlich tragische Verwicklung? 



II. 



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Es ist der unbrechbare Wille, die rauhe, männliche, 
schicksalbejahende Haltung in den Widerstreiten der Lebens- 
verknüpfungen. Zwar sind die begehrten Güter der Erde, 
Macht und Gold, Land und Weib, ist das Glück des Lebens der 
höchste der Werte für den kriegerischen Helden, aber es wird 
zum wesenlosen Schatten, wo es mit dem heldischen Willen, mit 
dem Zwang der Ehre in Widerstreit gerät. In diesen Augen- 
blick, da um Leben und Ehre gespielt wird, drängt sich die 
ganze Erscheinung des Helden, drängt sich der Sinn seines 
Daseins zusammen: hier genießt er sich, stellt er sein Wesen 
dar, indem er um das höchste Bild seines Menschtums das 
Leben hinwirft. 

Zwar ist es die Norn, deren Spruch ergeht, und wohl ist 
dem Helden erlaubt, ihr zu zürnen, ihre Unerbittlichkeit zu 
beklagen, aber dieser Spruch ist nur dem Helden unabwendbar. 
Nicht das im ewigen Weltplan vorausbestimmte Geschick des 
Morgenländers erfüllt sich an ihm, nicht die Kette von Schuld 
und Sühne, noch tragische Hybris des Griechen bringen ihn 
zu Fall. Nein, er könnte dem Spruch der Norn entgehen, ver- 
wehrte es ihm nicht seine Heldenseele. 

Hier schlägt das eigenste Herzblut der Germanen, hier 
klopft noch heute unser eigener Puls: unsere fährlichste Klippe, 
wenn wir feig sind, unser stolzester Flug, wenn heldischer 
Sinn uns beseelt! 

Was die Norn spinnt, ist nicht die Willkür einer tückischen 
Macht, die den Menschen fängt, wohin immer er seine Bahn 
lenken mag, sondern nur der im äußeren Lauf der Dinge sich 
verknüpfende Augenblick, den der Unheldische leicht durch- 
springt, den aber der Held, seinen unbrechbaren Willen be- 
während, siegend und sterbend zu seiner Vollendung nützt. 
Was den Alten der Tag der Unabwendbarkeit, dem Christen 
die Zeit der zu duldenden Prüfung war, ist dem Germanen 
die Gunst der Stunde, die kurze Frist zur Zeugung seines 
höchsten Selbst: 

Ein zuckend lohen eine goldne flut. 

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Jedesmal ist mit dem triumphierenden Tode des Helden 
das Nornengespinst zerrissen , kein Fluch erbt von Geschlecht 
zu Geschlecht, — nicht das Schicksal erfüllt sich, sondern der 
Held sich selbst. Er steht über dem Schicksal, und lachend 
oder dunkel trauernd genießt er seinen Untergang und das 
machtlose Zerbrechen der Schicksalsverknüpfung vor seinem 
Willen. Er ist Odin, der am windkalten Baume sich selbst 
mit eigenem Speere opfert, er kennt das Wort, das Odin dem 
toten Bai der ins Ohr geflüstert: er stellt es dar. 

Leidvoll ist das Leben dem Edlen, und schlimm und rauh 
sind die Wege der Menschen, die seinen tiefen Sinn an sich 
bewähren: denn wo ein unbeugsamer Wille den andern kreuzt, 
da geschieht Wehgeschick, da fängt sich der Held in seiner 
Unbedingtheit, in der Unverbrüchlichkeit seines inneren Ge- 
setzes. Auch offener Verrat, auch sichtbar drohendes Ver- 
derben läßt ihn nicht zur Vorsicht, nicht zu weiser Zurück- 
haltung greifen: todgierig geht er, wohin sein Drang ihn führt, 
gewiß, daß nichts ihn brechen kann. 

„Unheil schuf die Norn", wenn Bruder den Bruder mordet, 
wenn Gunnar und Högni unter den Händen des unedlen Atli 
sterben, wenn Signy und Grimhild das Leben um die Voll- 
bringung der Rache opfern. Aber alles Unheil, das die Norn 
schafft, ist das Heil des Helden: er gibt der Welt ihren Sinn, 
indem er sich über das Schicksal erhebt, es in sich aufhebt 
und das Gewaltige durch seine eherne Unbedingtheit, durch 
sein erfülltes Bild in erhabenes Menschtum wandelt. Er fällt, 
aber „stehend auf Leichen erzmüder Goten", er sinkt, aber er 
weiß, daß die Gestalt, die er sterbend in die Welt gebiert, 
schöpferisch und unsterblich in ihrwest, daß sein Tod wieder und 
wieder zeugen muß: die heldische Rache und die heldische Tat. 

Darum hat er wenig Klage vor dem Schicksal, auch wenn 
es ihn in das grausamste Geschehen stellt, auch wenn die 
Heldenehre den furchtbarsten Kampf kämpfen muß. Denn lieber 
tötet Hildebrand den Sohn, der ihm nach dreißigjährigen Irr- 
fahrten an den Toren der Heimat entgegentritt, als daß er 

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seine Kriegerehre durch den Anschein der Feigheit befleckte. 
Noch über den Tod hinaus zwingt der Held das Schicksal wie 
Helgi, der im Totenhügel die Geliebte umarmt. Der Rache- 
pflicht vor allem, die die Ehre gebietet, wird jedes Gut ge- 
opfert, ihr opfert Signy Söhne und Frauenehre, damit sie mit 
dem Bruder aus reinem Wölsungenblute den Rächer zeuge. 
Der unbeugsame Stolz dieser Männer und Weiber, ihr Trotz 
vor dem Geschick zwingt sie zu grausamer Härte gegen sich 
und die Geliebtesten: dem Tode ist Brünhild und der geweiht, 
der sie eidbrüchig machte, sei es auch Sigurd, der hehrste Held. 
Und zu sterben mit Freuden, in den Tod zu stürzen, gebieten 
Ehre und Pflicht der Folger, deren Führer im Kampfe fiel. 

So stehen die Helden vor dem Schicksal, und von diesem 
Brennpunkte aus ist ihr ganzes Sein und Handeln bestimmt. 
Nie vergessend, was sie befiel, in jedem Augenblick geprägt 
mit dem Siegel der ihnen eingeborenen Sendung warten sie in 
starrer Gehaltenheit der Stunde ihrer Bewährung. 

Schamhaft und schweigsam sind die Seelen der Helden — 
ob Mann ob Frau. Edle Scheu verschließt ihr Inneres jedem 
unlauteren Griff, unwandelbar, einem Standbild gleich, steht 
ihre Gestalt im großen Bewußtsein ihres verschlossenen Seins, 
gefüllt mit seherischem Wissen um Schicksal und Gesetz der 
Seele, bis die Stunde da ist. Dann bricht aus langer Ver- 
kettung in plötzlichem hellseherischem Wort der tiefe Sinn 
des heldischen Daseins, des Trägers aller Geschehnisse, wie 
ein Blitz hervor, und sie scheuen sich nicht, hinauszurufen, 
daß sie, die Helden, es sind, die der Welt not tun, daß in ihnen 
sich alles Geschehen vollende. 

Lange, oft in unscheinbarem Gewände, birgt sich die Sen- 
dung in der Heldenseele, nur im Augenblick ihrer Bewährung 
kommt der Strom ans Licht, der sie trug, drängt heraus, was 
lange unbemerkt den Vielen schlummerte. Auch dann noch 
ist die Rede keusch verhalten, klaglos, nur den tiefsten Grund 
der Seele oft dunkel aufweisend, geballt und schwanger von 
Vergangenem und Zukünftigem, ein Wirbel in der strömenden 



IO 




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Zeit. Hier öffnet sich der Blick in die tiefe Verschlungenheit 
der Dinge, in die dunkle Dämonie der undurchschaubaren 
unteren Welten, aus denen die Bilder aufsteigen. Nie ist in 
diesen Worten ein gut und bös, ein schuldig oder unschuldig, 
nur ein hell und dunkel und selten, aber nie in moralischem 
Sinne — denn auch die Gegenspieler sind in das ewige Netz 
verschlungen — ein edel und gemein. Wille steht gegen Wille, 
Ja gegen Nein, aber immer ist darin ein Wissen, daß das 
Schicksal sinnlos und das Dasein wertlos würde, wenn der 
Held in der Probe zerbräche. 

Sie zu suchen sein Leben lang, um den Preis seines Unter- 
gangs, weiß er triebhaft als seine einzige Aufgabe, als sein 
einziges Ziel: hinauszuschießen über Menschenmaß, gelenkt 
von Zeichen und Träumen, nie geschreckt, nur gelockt von 
der ihn umwitternden Prophetie, von Jugend auf umringt 
von Mißgeschick, Verbannung, Neid und Haß, gekettet an den 
unwürdigen Genossen oder geknechtet vom unedlen Herrn, 
so geht er, blind gegen alle Warnung, verfolgt und verfemt, 
von früh auf in Mühsal und Kämpfen seine Bahn, bis er im 
leidgroßen Untergang Sinn und Vollendung findet. 

Nie um der andern Glück und Behagen leidet er, aber er 
fühlt, daß er um der andern Heil duldet und kämpft. Er weiß, 
daß ihm für seine Tat nie Dank wird: 

Sie ziehen hin gefolgt vom schelten 
Vom bösen blick der großen zahl. 

„Nach Tod und Wunden gierig'* brechen sie oft schon im 
Knabenalter auf, im Kampf mit giftigen und feurigen Un- 
getümen erzwingen sie das erste Siegel ihres Loses, Gott und 
Mann, Mage und Weib, Albe und Unhold werden ihre Gegner 
auf steten Zügen, aber weiter verfolgen sie ihre Bahn durch 
den Dunkelwald, über das schäumende Meer, nichts suchend, 
als ihr Heldenbild zu zeugen, Treue zu bewähren, Untat zu 
vergelten, bis ihr Name untilgbar unter den Sternen wird. 

II 



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Sie bringen das Licht, aber sie stehen nicht in dem bleibend- 
hellen Tag, in dem die hellenischen Kämpfer einzeln in jeder 
Bewegung und Rundung sichtbar sind, sondern verhängt 
bleiben die Horizonte und Sturm und Düster braust über ihr 
Ende hin. Jene finden trotz der unabwendbaren Schicksals- 
macht den sinnlichlösenden Austrag des Kampfes mit ihr im 
Streit und Widerstreit der Menschen mit den sichtbaren Göt- 
tern, um die germanischen Helden aber steht die furchtbare 
Einsamkeit des Kampfes mit der Gewalt des eigenen Loses, 
kaum gemildert durch die Mitfahrt des Gefährten oder der 
Geliebten zur Hei, aber überwunden durch Sang oder Lachen, 
die den Tod begrüßen, wenn nicht die letzte Kraft noch der 
letzten Rache am Mörder dient. 

Die Schönsten unter ihnen fallen im strahlenden Glanz der 
Jugend, mühelos die Gunst des Nun und Hier findend, andre 
sinken auf mittaglicher Höhe, andre wieder stehen als Greise 
da, weisheitsschwer nach einem langen Leben unnennbarer 
Mühsale, dunkel und unerbittlich geworden durch ein stetes 
Aug in Auge mit dem Schicksal, durch den immer erneuten 
Willen der Widerwelt sie zu brechen, ihr Heldendasein zu 
trüben, aber dennoch fest, voll unbeugsamen Willens. 

Alle tragen die Eigenschaften einer männlich-kriegerischen 
Zeit: die stolze Verhaltenheit des Erwartens und die rausch - 
hafte Leidenschaft der Tat, die Bluttrunkenheit und Unerbitt- 
lichkeit gegen den Feind und die vornehme milde Schonung 
gegen den Überwundenen, die weise Mäßigung in Freude und 
Trauer, die Bändigung des Schmerzes. Nicht der freie Schrei 
des Südländers ist ihr Teil, sondern ingrimmiges Ertragen der 
größten Qualen und stolzes Sich verweigern gegen die Schwäche, 
aber auch überschäumende Maßlosigkeit des Begehrens und 
Wollens in der Gier nach dem verhängnisvollen Gold, nach allen 
Machtschätzen der Erde, daneben Großmut und Freigebigkeit 
gegen Freunde und Genossen, die den begehrten Schatz ver- 
schwendet und selbst den Ruhm der heldischen Tat verschenkt, 
unverbrüchliche Treue und Dankbarkeit, aber auch Treulosig- 

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keit und Neidingswerk wider den geschworenen Herrn, Wahr- 
heitsliebe und Unverletzbarkeit des gegebenen Wortes, ein 
trunkener Stolz hinauszurufen, was man getan, und koste es 
gleich das Leben, den Gekränkten noch mit der kränkenden 
Tat zu höhnen, wenn man im Angesicht des Todes steht, 
endlich Ehrlichkeit im Kampf, denn List ist unwürdig, wenn 
nicht die höchste Pflicht, die Rache, auch sie wie jede Hand- 
lung in ihrem Dienste heiligt. Denn die Rache schont weder 
Schlaf noch Gastrecht, weder das Band der Ehe noch den 
Schwur der Freundschaft: ihr hartes Gesetz zu erfüllen 
mordet der Freund den Freund, die Schwester den Bruder, die 
Gattin den Gatten, die Mutter den Sohn, und nur zuweilen 
beim Weibe überwindet die Liebe die furchtbare Pflicht. 

In scheinbar völligen Gegensätzen bewegen sich diese 
Eigenschaften des Helden: Treue steht neben Untreue, Härte 
neben Milde, Gier neben Kargheit, aber sie schließen sich 
nicht aus, weil es keine unbedingten Werte sind, nach deren 
Forderungen der Held das Leben vollziehen müßte, keine 
göttlichen Normen oder gar Götter, denen er nachstreben 
müßte, um sein Wesen in ihnen zu vollenden, sondern nur die 
jeweiligen Bedingtheiten des Daseins, in denen er seine Selbst- 
darstellung zu bewähren hat: vor dem Gebot der Bewährung, 
dem einsamen Gesetz der Edlen, gibt es nicht „Sünde oder 
Sitte", vor dem heldischen Tun gilt weder Urteil noch Feme, 
es hat sein Maß nur in sich selbst und sein Gericht nur im 
Versagen vor dem Gebot der Stunde. 

III. 

Wie und wo entstand diese Heldendichtung? Auf welchen 
Wegen kam sie zu uns und erhielt sich trotz aller Mischungen 
und Wandlungen das geistige Gesetz ihres Ursprungs? 

Als die Romantiker am Anfang des 19. Jahrhunderts die 
mannigfaltigen Überlieferungen der Heldendichtung zu er- 
forschen begannen, erkannten sie wohl, daß ein bestimmt zu 
umgrenzender Stoff sie verbinde und daß auch ihre bunten und 

13 



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wechselnden Formen sich unter dem einen Namen der Helden- 
sage vereinigen ließen. Aber ihr Irrtum über Wurzel und 
Wesen des Dichterischen führte sie zu falscher Vermutung 
über den Ursprung jener Gebilde, ließ sie wähnen, was wir 
als gestaltete Heldendichtung vor uns sehen, lebe erst als 
dunkles Geraun unter den Völkern, bis irgend jemand „das 
Erzeugnis der dichtenden Volksseele" ergriffe und bewußt 
in die Bildungswelt der höheren Schichten zöge. In diesem 
Sinne aber gibt es kein dunkles Vorleben der Heldensage, 
sondern im Beginn steht die Heldendichtung, und daß sie 
entstehe, dazu wird der Held und der Dichter bedurft, Licht- und 
Leidensgang eines großen Lebens und die Kraft, dieses Leben 
ins Gebild zu bannen, ihm Gestalt zu geben. Denn im Täter 
lebt das Heldische als spannende, schnellende Kraft, im Dichter 
als zeugerischer, neues Heldentum gebärender Kern, und wo 
in der Welt wir von Heldischem wissen, sind beide Mächte — 
in den höchsten Gipfelungen vielleicht in einem Menschen — 



Kein herzog, kein heiland wird der mit erstem hauch 
Nicht saugt eine luft erfüllt mit prophetenmusik, 
Dem um die wiege nicht zittert ein heldengesang. 

Was der Heldendichter schafft, sind nicht gestaltlose Träume 
von den schreckenden oder tröstenden Geheimnissen des dunk- 
len Wachstums, halb unbewußt in das vertraute menschliche 
Gewand gezogen, sind auch nicht vage verschwimmende Deu- 
tungen des verschlossenen, noch unerkannt umschwingenden 
Alls, „Allegorien" der immer seienden Kräfte, sondern sinnlich 
als Menschtum erschienenes Sein: großes Geschehen und große 
Gestalt, leibhafte Menschlichkeit, von dem hingerissenen Ge- 
stalter in seiner ganzen sinnbildlichen Tiefe geschaut. Nirgends 
lebt die Heldensage außerhalb des Heldengedichts, und mit 
seinem Erlöschen erlischt auch der Glutkern der Sage: die 
Versinnlichung des günstigen Augenblicks in Tat und Unter- 
gang, der Gestaltwerdung der Heldenseele. 



vereint: 



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Bei den gotischen Stämmen ihren Ursprung nehmend und 
schnell über alle germanischen Stämme bis hinauf nach Skan- 
dinavien sich ausbreitend, sind alle echten Stoffe der Helden- 
dichtung in der Zeit vom 4. bis 6. Jahrhundert geschaffen wor- 
den, in jener Zeit der mühevollen Wanderungen und Züge der 
Germanen, der staunenerregenden Gründungen von Staaten, 
der schreckenerregenden Untergänge der Völker. 

Es sind die überragenden Gestalten der Völkerwanderungs- 
könige, an denen die Heldendichtung sich entzündete. Der 
große Gegner aber, das alte Römerreich, ist völlig in ihr ver- 
gessen, und Attila, der Feind und Verheerer so vieler Stämme 
und Landschaften, ist meist in einen freundlichen Schirmer, 
das „Väterchen" gewandelt. Auch sonst sind aus der 
Geschichte jener Zeit nur wenige Namen entlehnt, einige äußer- 
liche Erinnerungen übernommen, und überall ist das Schwer- 
gewicht in der Handlung so verschoben, daß der geschichtliche 
Vorgang nur noch ganz leise durchschimmert. Und wie sie 
die Gegensätze der großen Reiche versinken ließ, so hat die 
Heldendichtung selbst unter den Völkerschaften wandernd 
auch alles nur Stammhafte ausgetilgt, und wo solche Volks- 
gegnerschaften noch eine ihrer stofflichen Wurzeln bilden, 
sind sie ganz in den Hintergrund gedrängt. Nicht aus staat- 
licher Spannung, sondern aus rein menschlich-seelischer Ver- 
strickung gebiert sich der Kampf, aus Nebenbuhlerschaft, 
Sippenbruch, Blutrache, Treubund. Nicht zwischen Volks- 
gemeinschaften spielt das tödliche Geschick, auch wo es in 
der Geschichte einst so war, sondern zwischen Schwurbrüdern 
und Versippten, und nicht an den Grenzen knüpft es sich, 
sondern in der Königshalle bei Trunk und Mahl. Könige und 
Königinnen als die Träger adligen Lebens und Fühlens und 
ihre Mannen sind die Spieler, und was die großfühlende Einzel- 
seele erfüllte, wurde der Stoff des Dichters. 

Noch weniger aber als der Kampf von Volk wider Volk, 
den die Helden doch sinnbildhaft noch widerspiegeln, ist die 
Götterkunde oder ihre Mischung mit der Geschichte die Wurzel 



15 



der Heldendichtung. Helden und Götter der Germanen sind, 
^ie wir sahen, durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt, 
und die allegorischen Deuteleien der späteren Wissenschaft 
waren frühen Völkern auch dann noch fremd, wenn sie Stern- 
und Taglauf zu jener wunderbaren Einheit verbanden, die 
den nüchternen Verschleißern des „bürgerlichen" Jahres als 
das verschlungenste Rätsel erscheint. Nur die Elemente der 
niederen Wesenkunde, all jener Unholde und Drachen, an 
denen die Heldendichtung so reich ist, gewinnen in ihr einen 
neuen Sinn: sie sind das unter der Hand des Täters bezwungene 
Reich der erdhaften Mächte, die nur noch dunkel herauf- 
stöhnen und ohnmächtig drohen, die Stufe bezeichnend, von 
der das Menschtum des Helden die Erde befreit hat. 

Aber weder die Gespenstergeschichten, diese ungreifbaren 
schweifenden Fabeln, die sich hier an einen Berg, dort an 
einen See heften, diese raunende Erinnerung an Erde und 
Menschengeschehen, an das Geheimnisvolle, das vor allem 
verschollene oder zerfallene Orte umweht, noch die im mitt- 
leren Alter entstandenen Märchen mit ihren bunten Erlebnis- 
ketten, ihrer Vorliebe für den harmlosen jüngsten Königssohn, 
der verdienst- und mühelos den Schatz erwirbt, für den ver- 
träumten Dümmling, dem das Glück in den Schoß fällt, können 
je die Wurzel einer Heldendichtung gewesen sein, in der die 
Schauer der höchsten und härtesten Leidenschaften verfangen 
sind. Sie entsprang da, wo der Dichter in der Seele des Täters 
den scheinbar unlöslichen Knoten von Freiheit und Schicksal 
sah, den Punkt, aus dem der leuchtende Auf- und Niederstieg 
sich entwickeln mußte, und was aus der Fülle der Geschichten 
anschoß, sog die dichterische Leidenschaft so in ihre Be- 
wegung auf, daß nichts als reines Erzählgut stehenblieb, alles 
Metall in der neuen Glocke völlig verschmolzen wurde. 

So entstand die germanische Heldendichtung in und mit 
dem kurzen stabreimenden Lied, das uns bei den Nordländern 
in reicher Fülle, bei den Südgermanen wenigstens in einigen 
Bruchstücken erhalten ist. Es enthielt die heldische Sage in 

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knapper, gedrängter Form, Erzählung und Rede der Handeln- 
den mischend. Der Ablauf der Handlung war vollständig 
eins mit dem Inhalt des Liedes, auch wenn dieses nicht mit 
dem zeitlichen Anfang der Fabel begann, sondern sogleich 
die mittelste Verstrickung brachte und erst im Vorwärtseilen 
rückdeutend die Fäden über das ganze Spannungsgebiet der 
Seele zog. Gerade aus dieser Beschränkung auf die Dar- 
stellung des heldischen Augenblicks entsprang der sparsame 
straffe Umriß, der alles entbehrliche Einzelne wegläßt, der 
drängende Zug, der dem Höhepunkte der heldischen Be- 
währung zueilt, die kunstvolle Gliederung, die nur am seeli- 
schen Vorgang sich aufbaut. Das Heldenlied ist ganz erfüllt 
von dichterischer Schau und stellt das aus der Spannung 
eines einmaligen seelischen Geschehens geschaute Bild un- 
vergeßlich einprägsam vor die Augen der Hörer: Hiltibrand 
und Hadubrand zwischen den Heeren, Högni unter dem Messer, 
Hjalti und Bjarki zu Häupten und Füßen ihres gefällten Herrn 
— und die Germanen haben diese Bilder nie vergessen, auch 
wo sie ihres seelischen Gehaltes ganz beraubt waren. 

Bis ins Ii. Jahrhundert erhielt sich die heldische Fühlweise 
rein im Heldenliede, im 12. ergriff ein neues Lebensgefühl die 
alten Stoffe, und neue dichterische Formen wandelten auch 
ihr Wesen um: der innerste Kern der Sage zerbrach damit. 

Das alte Heldenlied war aus den Händen des adligen Gefolgs- 
mannes, des „scop", in die des wandernden Spielmannes hinab- 
gesunken und wurde nun die Quelle des in Deutschland neu 
entstehenden Epos, das zwar den Rahmen der alten Liedfabeln 
nirgends überschritt, aber sie aufschwellte und stofflich er- 
weiterte. Dabei verwandelte es von Grund auf die Darstellungs- 
weise: der straffe gedrungene Bau des Liedes, die Gestaltung 
des Augenblicks der heldischen Bewährung wird aufgespalten 
in eine behaglich gedehnte Breite, wird aufgelöst in den gleich- 
mäßig fließenden Strom einer zeitlich gegliederten Erzählung, 
in dem die Höhepunkte der alten Lieder, auch wo ihre Leiden- 
schaft noch spürbar ist, doch rettungslos untergehen. Denn 

2 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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die Erweiterungen bestehen nur aus fremdem Gut: es ist das 
ritterliche Zeitkostüm, die Pracht des höfischen Lebens, das 
phantastische Abenteuer, das Ferne und Fremde, das ge- 
schichtliche und gegenwärtige Geschehen, die mit unersätt- 
licher Fabulierlust und Freude am breiten Erzählen in das 
heldische Leben verwoben werden. 

Ähnlich ist die Wandlung im Norden, wo die Zeit der Prosa- 
saga die der Lieder ablöst. Auch hier werden die alten Stoffe 
mit jungem Gute reich durchsetzt, auch hier herrscht die 
Freude am Abenteuer, aber die Abkehr geht nicht nach dem 
Gesellschaftlichen hin, sondern ins Bäuerlich-Derbe, Kämpen- 
und Wikingerhafte, und trotz aller Wandlung der Formen 
liegen die Kämpen der Saga minder weit ab von den Helden 
der Wanderungszeit als die erzogenen Recken des deutschen 
Mittelalters. Wohl überdeckt der Ton der frohen abenteuer- 
lichen Fahrt den dunklen Schicksalszwang der frühen Lieder, 
aber einige Sagawerke der jüngeren Schicht dringen mit ihrer 
unbändigen Gewalt und düsteren Leidenschaft fast in dieselben 
Bereiche, in denen die alte Heldensage wurzelt, rühren trotz 
der veränderten Fühlweise an die leidvolle Einsamkeit, die 
wilde Verschlossenheit und das seherische Wissen der frühen 
Helden. Aber gerade wo die Saga die alten Stoffe gestaltet, 
klingen die Töne minder voll, es ist weniger die Tat, die sie 
zeigen, als die ruhelose Bewegung, weniger das unmeidbare 
Schicksal als der unglückliche Sturz, und oft schmilzt bei der 
Einebnung der Gipfel in die nüchterne prosaische Rede der 
Rausch und die Leidenschaft ins Gewöhnliche hin. 

Auch die lateinischen Chronisten enthalten manche Helden- 
stoffe, vor allen der Däne Saxo, aber so umkleidet mit dem 
Gewände antiker Bildung, kirchlicher Sinnesweise und ge- 
schichtlicher Deutung, daß es schwer ist, die alten Sagen- 
kerne herauszuschälen. Und schlimmer noch steht es mit 
der im Norden verfaßten großen Sammlung der Thidreksaga, 
die alte Sagen willkürlich umgestaltet, ihres alten Sinnes 
beraubt und ins Gemeine hinabzieht. 

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Diese äußeren Wandlungen der Heldendichtung waren nur 
Sinnbild und Zeichen der inneren, des Zerfalls des heldischen 
Kernes der Sage, und gerade der Sänger der Epen war es, der 
den inneren Bruch deutlich vollzog. Sein gesellschaftlicher, 
nicht rein dichterischer Charakter, seine gemilderte gebildete 
Weise, sein zuweilen schon unadliger Stand ließen ihn mehr 
in der gesellschaftlichen Sitte und Zucht als im seelischen Adel 
die Zeichen edlen Wesens suchen: seine Gestalten litten die 
heldische Unbedingtheit nicht mehr. Wohl kennt das Nibe- 
lungenepos, das von allen Epen am meisten aus der alten Dich- 
tung herüberrettete, noch die kühne Todesverachtung, aber 
nicht mehr den freien Ausbruch heldischer Leidenschaft. Ein 
anderes Gefühl von gut und böse ist wirksam, von edel und 
unedel, und vielleicht ist dies weniger bedingt durch die Lehre 
des Christentums als durch ein Herabsinken des kriegerischen 
Wunschbildes, das gebrochen wird durch das Heraufkommen 
neuer Abwägungen des Gefühls. Markgraf Rüdiger in seinem 
Widerstreit der Pflichten, seinem Müssen wider sein Gefühl, 
ist in der alten Dichtung nicht denkbar. Auch in ihr steht 
Pflicht gegen Pflicht, aber diese Pflichten stellen eine undurch- 
brechbare Wertreihe dar, sie sind nie im Widerstreit: die 
Wahl fällt ohne inneren Kampf, und wo das höhere Müssen 
ruft, versinkt das andere sogleich. In den älteren Liedern 
wird nicht angeklagt und nicht entschuldigt, es gibt keinen 
Einspruch wider das Schicksal und keinen Augenblick des 
Schwankens. Es gibt auch keine höhere Gerechtigkeit wie 
die, der Kriemhild am Ende des Epos zum Opfer fällt. Denn 
im Liede tötet die Rächerin sich selbst, die ihrer gerechten 
Leidenschaft gefrönt hat, weil sie den Höhepunkt, der ihrem 
Dasein Sinn gibt, die heldische Unbeugsamkeit nicht über- 
leben will. 

Auch die Verschiebung der heldischen Werte und damit der 
Handlungsantriebe lehrt uns das Nibelungenepos: in den Edda- 
liedern rächt Grimhild den Tod ihrer Brüder an Atli, während 
Sigurds Tod, für den sie Wergeid genommen hat, nicht weiter- 

2* 

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I 



wirkt. Im deutschen Epos ist Kriemhild trotz ihrer Versöh- 
nung mit den Brüdern die Rächerin ihres ersten Gatten an 
diesen, und ihre Tat erscheint als eine Gott wohlgefällige 
Treue gegen Sigfrid, weil die alte Pflicht der Sippenrache 
nicht mehr verstanden wurde und an ihre Stelle im Sagen- 
grundriß die nun als höchstes Gefühl verehrte Liebe trat. 

Wo so die alten Sagen durch den Einsatz neuer seelischer 
Antriebe zerbrochen wurden, ließ sich die alte Einheit der 
dichterischen Schau nie wieder herstellen, und Brüche und 
Nähte blieben immer aufdringlich sichtbar. Vor allem gab 
man nun vielen alten Sagen glückliche Schlüsse und um- 
rankte die in ihrem Fühlen nicht mehr verstandenen Helden 
mit einem jungen Fabelgespinst, das nicht mehr heldisch, 
sondern nur noch reckenhaft war. 

In der Sagakunst des Nordens geschah die innere Umbildung 
durch genealogische Reihung der Helden oder durch Ver- 
knüpfung der Lieder zu größeren Zusammenhängen, ohne daß 
jemals die Erhebung in einen höheren geistigen Bereich einer 
übergeordneten Bindung gelungen wäre, auch nicht in den 
Sagen von den Wölsungen, denn nicht der fluchbeladene 
Fafnirhort, sondern Brünhild und ihr Gelübde bringt Sigurd 
den Tod. Selbst Odins Gestalt, die seit dem 12. Jahrhundert 
als verbindendes Glied in die alten Sagenmassen gerückt wird , 
hat nie vermocht, die Gruppen durch einen mythischen Ge- 
danken zu überwölben und neu durchzuformen. Der rätsel- 
volle Gott, in seiner seltsam schillernden Rolle von dem zer- 
fallenden isländischen Heidentume geschaffen, schreitet als 
ein undurchdringliches, in seinen Entschlüssen undurch- 
schaubares Wesen durch die späten Ausformungen der Sagen: 
bald gütiger Helfer, bald Heimholer nach Walhall, bald sinnloser 
Zerstörer heldischen Lebens, bald böser Dämon und Verführer 
zur Neidingstat, nie eigentlich schicksalhaft, nie einen inneren 
Sinn im menschlichen Geschehen enthüllend, selber dunkel- 
verhüllt, schweifend und in vielen Lichtern gebrochen: ein 
Sinnbild der unkosmischen Schicksalsschau der Germanen. 



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So gelangte also die Heldendichtung nie über die alten, in 
der Wanderungszeit geschaffenen Sagenformen hinaus, und 
alle Neuerungen waren im Grunde nur Abfälle von der ein- 
stigen Höhe, nicht aber Neuschöpfungen in einer gewandelten 
geistigen Schicht wie die griechischen Heroenmythen durch 
alle Jahrhunderte hin. Das Mittelalter hat mit aller Auf- 
schwellung und Einkleidung, aller Fülle und Buntheit nur 
den echten Sinn der heldischen Dichtung zerbrechen können, 
und zuletzt blieb nichts mehr übrig als das hohle Gehäuse: 
die eintönigen Waffengänge der Recken und Kämpen, sinn- 
lose Kämpfe mit theaterhaft -phantastischen Fabeltieren, 
leere Abenteuer, grundlose Gegnerschaften — die Helden- 
dichtung starb. 

Wenn wir von Shakespeare absehen, dessen gewaltige 
Menschen die germanische Heldenartung in einer seltsamen 
Mischung mit der Antike noch einmal aufleben ließen, dessen 
ungeheure Welt trotz aller griechisch-römischen Allegorien 
und nordisch-keltischen Fabelwesen die gleiche unselige 
Gott- und Götterlosigkeit offenbart wie die der Heldensage 
und uns durch einen noch tieferen Ton von Hoffnungslosigkeit 
erschüttert, wenn wir von seiner in das Drama einer noch 
starken Kriegs- und Staatsgesellschaft eingeschmolzenen 
Heldenerweckung absehen, so schwand die Heldendichtung 
fast ganz aus dem Bewußtsein der mit neuem Bildungsstoff 
gesättigten Germanen, und nur in verborgenen Tälern Nor- 
wegens, in Dänemark und auf den Inseln des Nordmeers trieb 
sie im niederen Volke noch junge Schösse in den Kämpen- 
und Volksweisen und den zum Tanz gesungenen Balladen. 
Ein seltsam romantischer Hauch umwittert sie: traumhaft 
und geisternd ist in ihnen noch verfangen, was einst die große 
Dichtung füllte, Schemen sind sie des einst blutvollen Leibes, 
in Singsang und Musik zerflattert, luftig und hell, voll schwei- 
fender und flirrender Lichter. Noch im 19. Jahrhundert ent- 
deckte man auf den Lippen der tanzenden Mädchen der Färber 
das gewaltige Schicksal des schönsten Helden und der erhaben- 

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sten Frau: Sigurds und Brünhilds. Heute hat das Alter der 
Maschine und Zeitung auch diese letzten Reste zerstört, und 
nur aus dem tiefsten Seelengrund des Volkes, aus dem Dichter, 
steigt mit der Geburt der neuen Götter- und Heldenzeit die 
Ahnung des versunkenen Alters in seiner unerbittlichen Größe 
auf, und wie immer an der Wende der Zeit hebt der Helden- 
geist sich drohend gegen die Widerwelt: 

Ich bin gesandt mit fackel und mit stahl 

Daß ich euch härte, nicht daß ihr mich weichet, 

Ihr wißt nicht was euch nüzt, ich muß euch rauben, 

Verfallne, wenn ihr deß euch nicht begebt 

Was euch nur mehr erschlafft. So wills das recht. 



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Ml* ^ '* • ' 



L FRANKEN UND BURGUNDEN 

DIE NIBELUNGEN 

NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG: 
DIE WÖLSUNGE UND NI FL UN GE 

i. SIGMUND UND SIGNY 

Uber Frankenland herrschte einst ein mächtiger König, , der 
hieß Wels, j Er zeugte ein Zwillingspaar, Sigmund und 
Signy. ; Die Wölsunge übertrafen alle andern Geschlechter 
an Kraft und Mannheit. | Wels war siegreich auf allen seinen 
Fahrten. 

Eine berühmte Halle ließ er bauen,' in deren Mitte der 
Stamm einer mächtigen Eiche stand, | während ihre blüten- 
übersäten Zweige das Dach der Halle beschatteten, j Der 
Stamm der Eiche wurde später der Schwertstamm genannt. 

Über Gautland herrschte Siggeir, der war mächtig und 
gebot über viele Mannen. Er fuhr zu Wels und bat ihn um 
Signys Hand. Wels willigte ein, sie selbst aber war der Heirat 
nicht geneigt. Doch gab Wels sie dem Werber. 

Er rüstete die Hochzeit in der Halle, in deren Mitte die Eiche 
stand. Große Feuer brannten darin in langer Reihe. Als am 
Abend die Mannen bei den Feuern saßen, trat ein Mann in 
die Halle, der allen unbekannt war. Er trug einen blau- 
gefleckten Mantel, Linnenhosen, die am Bein zusammen- 
geknüpft waren, und hatte seinen breitrandigen Hut tief ins 
Gesicht gezogen. Er ging barfuß, war sehr groß, altersgrau 
und einäugig. In der Hand trug er ein Schwert, damit trat 
er zu dem Hallenbaum, stieß es in den Stamm, daß es bis ans 
Heft hineinfuhr, und sprach zu den staunenden Männern: 

*3 



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„Wer dieses Schwert aus dem Stamme zieht, empfange es 
von mir als Gabe, und seine Taten sollen erweisen, daß er nie 
ein besseres Schwert in Händen trug." Damit verließ der Alte 
die Halle, und niemand wußte, wer er war noch wohin er ging. 
Da mühten sich zuerst die Edelsten in der Halle, das Schwert 
herauszuziehen, und darauf alle anderen, j Aber es rührte sich 
nicht. Als aber Sigmund, des Königs Sohn, es faßte, schien es 
ihm lose in der Hand zu liegen. Es war das schönste Schwert, 
das je einer gesehen hatte, daher wünschte Siggeir es vor 
allen zu besitzen. ' Er bot Sigmund dreimal des Schwertes 
Gewicht in Gold, der aber sprach: „War dir doch so gut ge- 
stattet wie mir das Schwert zu nehmen, als es im Baume stak, 
wenn dir die Ehre es zu tragen gebührte. Nun sollst du es 
nimmermehr erhalten, da es meiner Hand zuerst zufiel, bötest 
du mir gleich all dein Gold." Die Rede erzürnte Siggeir, 
höhnisch schien sie ihm. Heimtückisch aber schwieg er, als 
hätte er sie nicht beachtet, doch sann er noch am selben Abend 
den Lohn dafür. 

Am andern Morgen sprach Siggeir, er wolle das gute Wetter 
zur Heimfahrt nutzen, ehe die wachsenden Winde ihm das 
Meer verschlössen. Signy aber weigerte sich, mitzufahren, 
denn böse Ahnungen künftigen Unheils erfüllten sie, und ihr 
Herz wollte ihrem Gatten nicht entgegenlachen. Wels aber 
trieb sie an, ihrem Gatten zu folgen, damit nicht die Schande 
des gebrochenen Gelöbnisses und die Rache des Siggeir über 
ihn käme. Ehe aber Siggeir heimfuhr, lud er König Wels, 
seinen Gesippen, und die Seinen zu sich nach Gautland über 
drei Monate, als wolle er sie für seinen schnellen Aufbruch 
vom Hochzeitsfest versöhnen. Und König Wels verhieß die 
Fahrt. Da schieden sie, und Siggeir fuhr heim. 

Um die versprochene Zeit fuhr Wels mit Sigmund und 
seinen Mannen nach Gautland zur Gastung bei König Siggeir. 
Spät am Abend landeten seine Schiffe. Da kam Signy, seine 
Tochter, und sagte ihm und Sigmund in heimlicher Zwie- 
sprache, Siggeir habe ein unüberwindliches Heer entboten, 

2 4 



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und sinne gegen seine Schwäger Verrat.; „Nun bitte ich euch," 
sprach sie, „kehrt wieder heim und sammelt euch viel Kriegs- 
volk, dann kommt und rächt euch selbst. Nur List rettet 
euch vor Verrat". Da sprach Wels: „Noch ungeboren sprach 
ich das Wort und tat das Gelübde, daß ich aus Furcht weder 
Feuer noch Eisen fliehen werde, das habe ich bis hierher ge- 
halten, wie sollte ich es nun in meinem Alter brechen? Nie 
sollen uns Mädchen beim Spiele vorwerfen, ' daß wir den Tod 
fürchten: einmal ist jedem der Tod bestimmt. So will ich, 
daß wir nirgends fliehen, sondern mit höchster Kühnheit 
unsere Hände brauchen. Hundertmal habe ich gekämpft, 
bald in großer, bald in kleiner Schar, und immer habe ich den 
Sieg behalten, doch nie wird man von mir vernehmen, daß 
ich floh oder Frieden erbat." Da weinte Signy und wollte 
nicht zu ihrem Gatten heimkehren. Wels aber sprach: „Du 
sollst gewiß zu deinem Gatten heimkehren und bei ihm bleiben, 
wie immer es uns ergehe." So ging sie heim, die Wölsunge 
aber blieben diese Nacht auf ihren Schiffen. Als es tagte, 
gingen sie ans Land und rüsteten sich, und bald kam König 
Siggeir mit seinem Heer, da entbrannte eine harte Schlacht. 
Wels spornte gewaltig seine Mannen: achtmal brach er an 
diesem Tage mit seinen wenigen Helden in Siggeirs Völker 

ein und hieb zu beiden Händen. Beim neunten Male aber fiel 

1 

König Wels inmitten seiner Mannen und all sein Gefolge mit 
ihm, außer Sigmund. So erlag er der Überzahl. Sigmund 
aber ward gefangen hinweggeführt. 

Als Signy ihres Vaters Tod und ihres Bruders Gefangen- 
schaft erfuhr, erbat sie von ihrem Gemahl, daß Sigmund nicht 
erschlagen, sondern friedlos und geächtet in die Wälder ge- 
sandt werde. Darauf antwortete Siggeir: „Rasend bist du 
und aberwitzig, da du deinem Bruder weit Schrecklicheres er- 
flehst, als daß er zerhauen werde. Doch sei dir die Bitte ge- 
währt. Denn mir ist je lieber, je länger seine Qual währt." 
So ließ er geschehen, wie sie bat, und Sigmund wurde in den 
Wald gesandt. Dort lebte er in einer Erdhöhle gleich den 



25 



Tieren des Waldes, Signy aber sandte einen Vertrauten zu 
ihm, der ihm brachte, wessen er bedurfte. Doch Siggeir 
glaubte, Sigmund sei tot. 

Siggeir und Signy hatten zwei Söhne. Als der älteste von 
ihnen zehn Winter alt war, sandte ihn Signy zu Sigmund, daß 
er ihm ein Genosse sei, wenn er den Vater rächen wolle. Der 
Knabe fuhr zu Walde und kam abends zu Sigmunds Höhle. 
Der nahm ihn auf und hieß ihn Brotteig kneten, während er 
Holz hole. Als er aber zurückkam, hatte der Knabe den Teig 
nicht bereitet und sprach: „Ich getraute mich nicht den Mehl- 
beutel anzufassen, denn es war etwas Lebendiges darin." Da 
sah Sigmund, daß der Sinn des Knaben für das Rachewerk 
nicht tauge. Darum riet ihm Signy, als er sie wiedersah, den 
Knaben zu töten, denn nutzlos sei so sein Leben. Das tat 
Sigmund. Ein Jahr darauf sandte Signy ihren anderen Sohn 
zu Sigmund, dem erging es wie dem ersten. 

Da sann Signy, wie sie ihrem Bruder einen Helfer beim 
Rachewerk schaffen möge. Sie tauschte mit einem andern 
Weibe die Gestalt und kam so zur Höhle ihres Bruders. Sie 
sagte, sie habe sich im Walde verirrt und bat ihn um Her- 
berge. Die wollte er ihr nicht versagen, wenn sie ihn nicht 
verrate. Sie schien ihm lieblich und schön, und da sie ge- 
gessen hatten, bat er sie, die Nacht sein Lager zu teilen. Das 
gewährte sie ihm drei Nächte hindurch. Und als ihre Stunde 
kam, gebar sie einen Knaben, der wurde Sinfjötli genannt. 
Der wurde groß und stark und geriet nach dem Stamme der 
Wölsunge, daher sandte ihn die Mutter zu Sigmund bevor er 
zehn Winter zählte. Auch ihm gab Sigmund Mehl in einem 
Beutel, daß er Teig knete. Als er heimkehrte, fand er das 
Brot gebacken. Auf seine Frage, ob er in dem Mehl nichts 
gefunden habe, antwortete der Knabe: „Wohl schien mir 
etwas Lebendes im Mehl zu sein, doch habe ich es mitgeknetet." 
Da sprach Sigmund lachend: „Ich glaube nicht, daß du von 
diesem Brote heute abend essen wirst, denn du hast eine Gift- 
schlange mit hineingeknetet." Sigmund nämlich war so gewal- 



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tiger Natur, daß ihm Giftiges nicht schadete, wenn er es aß, 
sein Sohn Sinfjötli aber war vor Gift nicht gefeit. 

Noch war der Knabe zu jung zum Rachewerk, und Sigmund 
wollte ihn zuvor an kühne Tat gewöhnen. So zogen sie im Som- 
mer durch die Wälder, erschlugen Männer und machten Beute. 

Als Sinfjötli herangewachsen war und viele Proben seines 
Mutes abgelegt hatte, beschloß Sigmund den Vater zu rächen. 
So brachen sie eines Tages aus ihrer Höhle auf und kamen 
im Dunkeln zu König Siggeirs Gehöft. Sie traten in den Raum 
vor der Halle und verbargen sich hinter Metfässern, die dort 
lagen. ' Dort suchte sie die Königin auf und sie wurden eins, ' 
daß sie für den Vater Rache nehmen wollten nach Anbruch 
der Nacht. Es hatten aber Siggeir und Signy wieder zwei junge 
Söhne, 'die spielten in der Halle mit goldenen Ringen. Ein 
Ring sprang in den Vorraum, und als der Knabe ihm nachlief,' 
gewahrte er zwei große und grimmige Männer mit schweren 
Helmen und weißen Brünnen. r Da lief er in die Halle und er- 
zählte es seinem Vater: der argwöhnte Verrat. Signy aber 
führte die Knaben in die Vorhalle und forderte von Sigmund, 
daß er die Verräter töte. Der weigerte sich. Sinfjötli aber 
wollte sich nicht beschämen lassen, er zog sein Schwert, 
tötete die Knaben und warf sie in die Halle hinein vor König 
Siggeir. Der gebot den Seinen die Männer zu ergreifen, die 
sich in die Vorhalle geschlichen hatten. Da wehrten sich 
Sigmund und Sinfjötli mannhaft, endlich aber überwand sie 
die Überzahl der Mannen, so daß sie gefangen und in Banden 
geschlagen wurden. Über Nacht sann der König, welches 
Todes er sie sterben lasse, den sie am längsten fühlten. Am 
Morgen ließ er einen großen Hügel aus Steinen und Rasen er- 
richten, in die Mitte der Kammer aber ließ er einen großen 
flachen Felsblock setzen, so daß die Grabkammer in zwei 
Hälften geteilt wurde. Dann ließ er Sigmund und Sinfjötli 
in den Hügel setzen, jeden von ihnen in eine Kammer, denn 
schrecklicher dünkte ihn die Qual, wenn sie nicht beide zu- 
sammen wären, aber einander doch hören könnten. Als man 

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aber den Hügel zu schließen begann, kam Signy mit einem 
Bündel Stroh herzu. Das warf sie zu Sinfjötli in den Hügel 
und bat die Knechte, es dem König zu verheimlichen. 

Nachts sprach Sinfjötli zu Sigmund: „An Speise wird es 
mir eine Zeit nicht fehlen, denn im Stroh hat mir die Königin 
Speck in den Hügel geworfen.'* Doch als er weiter tastete, 
fand er, daß Sigmunds Schwert im Specke stak, das erkannte 
er am Knauf und rief die Kunde Sigmund zu. Des freuten 
sich beide. Nun stieß Sinfjötli die Schwertspitze über dem 
Felsen durch und zog gewaltig, und das Schwert biß in den 
Felsen. Dann ergriff Sigmund die Schwertspitze, und nun 
zersägten beide mit wilder Gewalt die schwere Felsplatte bis 
auf den Grund. Darauf zersägten sie gemeinsam Stein und 
Eisen des Hügels und entkamen so dem Grabe. 

Sie gingen zu Siggeirs Halle, wo alle Mannen im Schlafe 
lagen. Sie trugen Holz zur Halle und entzündeten es. 1 
Von Rauch und Lohe umhüllt erwachten die Mannen im 
Saale. Der König sprach : „Wer legte das Feuer um die Halle ?" f 
Und Sigmund rief: „Hier ist Sigmund und Sinfjötli, mein 
Schwestersohn! Nun erfährst du, daß nicht alle Wölsunge 
starben." Er bat seine Schwester, herauszukommen und bei 
ihm in großen Ehren zu leben, daß all ihr Harm gelindert 
werde. Signy kam, doch wollte sie nicht mit ihnen gehen: 
„Höre mein Geheimnis", sprach sie, „nie vergaß ich König 
Siggeir den Tod unseres Vaters. Als ich unsere Kinder hatte 
töten lassen, weil sie mich zu weich zur Rache dünkten, 
kam ich zu dir in den Wald in fremder Gestalt: Sinfjötli ist 
unser Sohn. Daher hat er sein Heldentum, weil sein Vater 
wie seine Mutter Wölsunge sind. Allezeit habe ich getrachtet 
nach Siggeirs Tod, nur Verlangen nach Rache erfüllte mich, 
darum kann ich jetzt nicht mehr leben. So will ich denn willig 
mit dem sterben, den ich widerwillig zum Gatten nahm." Dann 
küßte sie ihren Bruder Sigmund und Sinfjötli, ihren Sohn, 
wünschte ihnen Glück und wandte sich in das Feuer zurück, in 
dem sie mit Siggeir und allen seinen Mannen den Tod fand. 

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2. SINFJÖTLIS TOD 

König Sigmund hatte sein Wölsungenerbe zurückerobert 
und herrschte über Frankenland. Er hatte sich ein Weib ge- 
nommen, das Borghild hieß. Sinfjötli aber fuhr auf Heerzügen 
umher und erwarb sich großen Ruhm. 

Einst begehrte er ein Weib, um das auch der Bruder der 
Borghild warb. Im Kampf um das Weib fällte Sinfjötli 
seinen Oheim. 

Nach langen Heerfahrten kehrte er heim und sagte seinem 
Vater was geschehen war. Als Borghild den Tod ihres Bruders 
erfuhr, gebot sie ihrem Stiefsohn, aus dem Lande zu weichen, 
daß sie ihn nicht mehr sähe. Sigmund aber wollte den Sohn 
nicht ziehen lassen, er bot ihr Mordbuße, was er einem Manne 
noch nie getan hatte, und scheinbar fügte sie sich seinem 
Willen. 

Borghild rüstete das Erbmahl für ihren Bruder und brachte 
den Männern den Trunk. 1 Mit einem großen Hörne trat sie 
zu Sinfjötli. Der nahm es, sah hinein, und da er Gift darin 
gewahrte, sprach er zu Sigmund: „Trüb ist der Trank, Vater!" ' 
— „Gib ihn mir", sprach Sigmund, und trank ihn. Höhnend 
brachte Borghild dem Sinfjötli ein anderes Horn, doch wieder 
sprach er: „Gefälscht ist der Trank", und wieder nahm Sig- 
mund das Horn und leerte es. Zum drittenmal brachte Borg- 
hild ein Horn und befahl dem Sohne zu trinken, wenn anders 
er den Mut der Wölsunge besäße. Sinfjötli sprach: „Gift ist 
im Hörne", doch Sigmund, schon trunken, erwiderte: „Laß 
den Bart es seihen, Sohn!" Da trank Sinfjötli und fiel tot 
nieder. 

Sigmund trug den Toten im Arme einen weiten Weg in 
schwerem Harm. Er fuhr zu Walde und kam dann an einen 
langen und schmalen Meerbusen. Dort lag ein kleines Schiff 
und ein Mann stand darin. Der fragte Sigmund, ob er ihn über 
den Fjord fahren solle. Das bejahte der. Als aber Sigmund 
die Leiche in das Boot getragen hatte, war es voll beladen. 

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So ging Sigmund am Fjord entlang. Der Mann aber stieß 
mit dem Boote vom Ufer und entschwand sogleich Sigmunds 
Augen. Als das geschehen war, kehrte Sigmund heim und 
, verstieß sein Weib Borghild. 



Siglind, die Tochter König Eulimis, war aller Frauen lieb- 
lichste und weiseste. Sie ersah sich Sigmund, keine andere 
schien ihm seiner wert. So zog er zu Eulimi, der seine Wer- 
bung freundlich aufnahm und seine Ankunft festlich feierte. 
Es war aber ein anderer Freier aus Hundings Geschlecht, 
mit Namen Lyngwi, gekommen. Da Siglinds Vater von dem 
Werber, den er abwiese, Feindschaft fürchtete, sprach er zu 
seiner Tochter: „Da du weise bist, so will ich, daß du deinen 
Gemahl selbst kiesest unter den zwei Königen. Dein Beschluß 
soll der meinige sein." Sie antwortete: „Schwer ist die Wahl. 
Doch wähle ich den ruhmvollsten, und das ist König Sigmund, 
trotz seines Alters.' 1 So ward sie dem Sigmund gegeben und 
Lyngwi begab sich hinweg. Sigmund fuhr heim ins Franken- 
land und mit ihm König Eulimi. 

Lyngwi und seine Brüder aber zogen mit Heeresmacht wider 
Sigmund, daß sie seinen Heldenmut überwänden. Sie luden 
ihn offen zum Kampf, denn sie wußten, daß er nicht fliehen 
werde. Sigmund bereitete sich zur Schlacht, seine Gattin 
Siglind aber sandte er mit einer Magd und vielem Gut in den 
Wald, und dort weilte sie während der Schlacht. Die Feinde 
sprangen mit ihrem Heer aus den Schiffen, Sigmund aber 
richtete sein Banner auf und ließ weithin die Heerhörner 
schallen. Doch war seine Schar weit kleiner als die der Feinde. 
Da hob sich wilder Kampf, und obgleich Sigmund schon alt 
war, kämpfte er doch gewaltig in der vordersten Reihe. Nicht 
Schild noch Brünne hielt seinen Streichen, immer wieder 
durchschritt er die Reihen seiner Feinde, und lange stand die 
Schlacht. Noch war Sigmund unverwundet, aber beide Arme 




3. SIGMUNDS TOD 



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waren vom Blute seiner Feinde gefärbt bis zur Achsel hinauf. 
Da tauchte in der Schlacht ein Mann auf mit breitem Hut 
und blauem Mantel, er war einäugig und trug einen Speer 
in der Hand. Der trat Sigmund entgegen und schwang den 
Speer vor ihm empor, und als Sigmund kräftig dawiderhieb, 
zerbrach sein Schwert in zwei Stücke. Darauf wandte sich 
der Männerfall, dem König Sigmund entwich das Heil und 
seine Mannen fielen neben ihm. Der Gewalt der Vielen ver- 
mochte er nicht mehr zu widerstehen, so ward in dieser 
Schlacht König Sigmund gefällt an der Spitze seiner Mannen 
und mit ihm König Eulimi. 

Lyngwi aber zog zum Königshofe, daß er Siglind erbeute. 
Doch fand er sie nicht. Er nahm das Land in Besitz und 
glaubte das Geschlecht der Wölsunge vernichtet. 

In der Nacht nach der Schlacht ging Siglind auf die Wal- 
statt und fand Sigmund schwertwund liegen. Sie fragte ihn, 
ob er noch Heilung hoffe. Doch er antwortete ihr: „Mancher 
gewinnt neues Leben bei schlechterer Hoffnung, mir aber ent- 
wich das Heil, drum will ich nicht genesen. Odin will nicht, 
daß ich noch das Schwert ziehe, da er es zerbrach. Ich hob 
den Kampf so lang es ihm gefiel." — „Gut dünkte mich", 
sprach Siglind, „wenn du geheilt würdest und meinen Vater 
rächtest". — Doch der König antwortete: „Einem andern ist 
dies schon bestimmt, Odin hat seinen Helden neu gewählt: 
du trägst einen Knaben, pflege ihn wohl, denn er wird der 
Rühmlichste und Trefflichste der Wölsunge sein. Bewahre 
auch die Schwertstücke wohl, davon wird dereinst ein herr- 
liches Schwert geschmiedet, das wird Gram heißen. Unser 
Sohn wird es tragen und Heldenwerke damit vollbringen, die 
nimmer vergessen werden, und sein Name wird leben, solange 
die Welt steht. Das sei dein Trost, mich aber ermatten meine 
Wunden, ich will nun unsere Blutsfreunde aufsuchen, die mir 
vorangegangen sind." Siglind saß über ihn gebeugt, bis er 
verschied: da begann der Tag zu leuchten. 

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4. SIGURDS JUGEND 

Als Sigmund gestorben war, ging Siglind wieder zum Walde 
und gebar dort in großer Not und Einsamkeit einen Knaben. 
Dann starb sie. Das Kind aber wuchs in der Wildnis unter 
den Tieren des Waldes auf. 

Im Walde hauste ein kunstreicher und schicksalskundiger 
Schmied aus albischem Stamme, der hieß Mimir. Zu dem kam 
eines Tages ein Knabe aus dem Walde gelaufen, und als Mimir 
ihn sah, rief er voll Freude: „Sigmunds Sproß, der kühne 
Held, kam zu meinem Hause. Mut hat er mehr als ein er- 
wachsener Mann, ich erhoffe mir Beute vom kühnen Wolf. 
Erziehen will ich; den mannhaften Fürsten. Nun ist ein Königs- 
sproß zu uns gekommen, der wird zum mächtigsten Helden 
unter der Sonne erwachsen. Über alle Lande dehnt sich 
seines Schicksals Gewebe. " 

Als Sigurd erwachsen war, reizte Mimir den jungen Helden, 
den Drachen Fafnir zu erschlagen, der auf der Gnitaheide 
einen ungeheuren Hort hütete und den Schreckenshelm be- 
saß, der alles Lebende fürchten machte. Dies aber erzählte 
Mimir dem Knaben vom Drachen und seinem Hort: „Mein 
Vater hieß Reidmar", sprach er, „er war vom Stamme der 
Riesen entsprungen und ein mächtiger und reicher Mann. Er 
hatte drei Söhne, einer hieß Fafnir, der war der stärkste und 
grimmigste und wollte alles sein eigen nennen. Der zweite 
hieß Otter, der war ein großer Waidmann. In Ottergestalt 
lebte er meist im Strome und fing sich Fische, die er seinem 
Vater brachte. Ich selber war der dritte, und der geringste 
an Tüchtigkeit und Ansehen, doch konnte ich Eisen be- 
arbeiten und aus Silber und Gold Kleinode fertigen. Einst 
kamen Odin, Hönir und Loki auf ihrer Wanderung an einen 
Wasserfall. Am Ufer des Stromes saß Otter und verzehrte 
einen Lachs, den er gefangen hatte, mit blinzelnden Augen, 
denn er war so geizig, daß er nicht ansehen konnte, wie seine 
Beute abnahm. Loki warf ihn mit einem Steine tot. Da 



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glaubten die Asen einen glücklichen Fang getan zu haben 
und zogen dem Otter den Balg ab. Abends kamen sie zu 
Reidmar, baten ihn um Herberge und zeigten ihm ihre Beute. 
Als mein Vater diese sah, rief er Fafnir und mich herbei und 
sagte uns, daß die Asen unsern Bruder erschlagen hätten. 
Da griffen wir sie und legten ihnen zur Buße auf, den Balg 
mit Gold zu füllen und ihn auch von außen mit rotem Golde 
zu verhüllen. Odin sandte Loki in das Reich der Schwarz- 
alben, damit er von dort das Sühnegold herbeischaffe. Er 
kam zum Andwarafors, den Stromschnellen, worin der zauber- 
kundige und schatzreiche Zwerg Andwari in Gestalt eines 
Hechtes lebte, den zahlreichen Fischen nachstellend, die sie 
bevölkerten. Zuvor hatte Loki sich das Netz der Ran geliehen, 
das warf er vor dem Hecht aus und fing ihn darin. Loki 
griff ihn und sprach: „Wer ist der Fisch, der durch den Strom 
schießt und sich vor Nachstellung nicht wahrt? Nun löse 
dein Haupt, das Hei verfiel: gib mir der Quelle Feuer, dein 
Gold", -r- „Andwari heiße ich'*, sprach der Fisch, „und Oin 
mein Vater, viele Ströme durcheilte ich schon. In Urtagen 
schuf mir die böse Norn, daß ich im Wasser hausen solle." 
Loki befahl dem Zwerge, daß er, um sein Leben zu lösen, ihm 
alles Gold gebe, das er in seinem Steine habe. Als sie in die 
Höhle gekommen waren, trug der Zwerg einen unermeß- 
lichen Schatz herbei, doch barg er unter der Hand einen 
kleinen Goldring, der hieß Andwaranaut, Loki forderte auch 
ihn. Der Zwerg bat, ihm nur den nicht zu nehmen, denn mit 
ihm könne er seinen Schatz wieder mehren. Loki aber wollte 
ihm nichts lassen und entriß ihm den Ring. Während er sich 
zum Gehen wandte, sprach der Zwerg den Fluch über den 
Ring, daß er jedem, der ihn besäße, gewaltsamen Tod bringen 
solle. Loki dünkte dieser Fluch gut, und er sagte, er solle sich 
an dem bewahrheiten, der den Ring von ihm empfangen werde. 
Loki kam zu Reidmar zurück und zeigte Odin das Gold. Dem 
schien der Ring Andwaranaut köstlicher denn alles, und er 
nahm ihn von dem Schatze fort. Reidmar füllte nun den 

3 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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Otterbalg und richtete ihn auf, als er prall war. Odin aber 
sollte ihn mit Gold umhüllen. Als das geschehen war, fragte 
er Reidmar, ob die Buße gezahlt sei. Der aber entdeckte ein 
Barthaar des Otters und forderte, daß auch das verdeckt 
werde. Da zog Odin den Ring hervor und bedeckte damit 
das Haar. Als so die Götter ihre Häupter gelöst hatten, sprach 
Loki, nun solle sich erfüllen, was Andwari gesprochen habe: 
daß dieser Ring und dieses Gold dem den Tod bringen müsse, 
der sie besäße. „Das Gold ist bezahlt," sprach er, „große 
Lösung empfingst du für mein Haupt, doch Unheil erwächst 
deinen Söhnen daraus." — „Gold gabst du," sprach Reidmar, 
„doch gabst du nicht aus arglosem Herzen. Eures Lebens 
wäret ihr ledig, hätte ich früher den Fluch gekannt. Doch 
das rote Gold will ich mir wahren, solange ich lebe. Deine 
Drohung fürchte ich nicht um ein Haar. Fahrt von hinnen!" 
Da zogen die Götter davon. Reidmar nahm alles Gold als 
Sohnesbuße an sich. Fafnir und ich aber forderten unser 
Teil am Wergeid für Otter, unsern Bruder. Das verweigerte 
Reidmar. Da durchbohrte ihn Fafnir mit dem Schwerte, 
während er schlief. Der rief sterbend seinen Töchtern: 
„Lyngheid und Lofnheid, mein Leben entflieht mir! Rache 
heischt meine Not." Lyngheid aber erwiderte: „Wenig 
Schwestern, denen die Brüder den Vater erschlugen, werden 
den Frevel an ihnen rächen!" So starb Reidmar. Fafnir 
aber nahm alles Gold. Da forderte ich meinen Anteil am 
Vatererbe, das verweigerte er mir und sprach: „Nie teile ich 
mit dir das Gold, um das ich meinen Vater erschlug. Er ver- 
wandelte sich in einen Drachen und legte sich auf der Gnita- 
heide über den Hort, um ihn zu hüten." 

Immer wieder erzählte der Schmied Sigurd die Mär und 
reizte ihn mit höhnischen Worten, als fürchte Sigurd sich, 
den Drachen zu erschlagen. Da sprach Sigurd: „So schmiede 
mir denn ein Schwert mit deiner Meisterschaft, wie nie ein 
besseres geschmiedet wurde, mit dem ich das Heldenwerk voll- 
bringen kann, wenn du willst, daß ich den großen Wurm 

i 

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erschlage." Das versprach Mimir. Und als das Schwert fertig 
war und Sigurd damit auf den Amboß hieb, zersprang es, und 
Sigurd sprach: „Schlechtes Schmiedewerk hast du gefertigt, 
Mimir." Und nicht anders erging es dem zweiten Schwert. 
Da schalt Sigurd den Schmied und lief zornig in den Wald. 
So kam er auf die Walstatt, wo einst Sigmund im Kampfe 
gefallen war, und fand die Trümmer eines Schwertes, die im 
Grase blinkten. Er hob sie auf, brachte sie dem Schmiede 
und rief: „Schmiede mir aus diesen Trümmern ein neues 
Schwert." Mimir erkannte, daß die Stücke aus dem edelsten 
Stoffe waren und von dem Schwerte herrührten, das einst 
Sigmund getragen hatte. Er tat, wie ihn der Knabe geheißen, 
und als er das fertige Schwert aus der Esse zog, schien es als 
brenne Feuer aus den Schneiden. Wieder hieb Sigurd auf 
den Amboß, der spaltete bis zur Erde, das Schwert aber brach 
und splitterte nicht. Dann ging Sigurd zum Rhein und ließ 
eine Wollflocke im Strome wider die Schneide treiben, die 
zerschnitt das Schwert wie Wasser. Sigurd nannte das 
Schwert Gram. 

Darauf trieb der Schmied Sigurd an, daß er sich ein Roß 
suche, das eines Heldensohnes würdig sei. Die Schmiede- 
knechte aber spotteten, daß der Heldensohn weder Vater noch 
Mutter habe. Zornig ging Sigurd in den Wald, bei sich 
bedenkend, wie er das Schicksal seines Geschlechts erfahre, 
damit er nicht in der Schmiede der Genossen Spott dulden 
und sippenlos wandern müsse. 

Dem Sinnenden begegnete ein Wanderer mit langem greisem 
Bart und fragte ihn, wohin sein Weg gehe. „Ein Roß will 
ich mir kiesen", antwortete Sigurd, „und Kunde erlangen 
von meinem Geschlechte. Rate mir, wenn du es vermagst." 
Der Greis führte ihn zum Rhein, dort fanden sie eine Koppel 
Pferde. Auf des Alten Rat trieb Sigurd die Rosse in die Tiefe 
des Stromes, da wendeten alle zum Ufer zurück, außer einem 
Hengst: den nahm Sigurd. Er war von grauer Farbe, noch 
jung, doch von starkem Wuchs und trefflichen Eigenschaften, 

3* 

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noch hatte niemand auf seinem Rücken gesessen. Der Bärtige 
sprach: Dieser Hengst stammt von Sleipnir, Odins Roß. 
Hüte ihn mit Sorgfalt, denn er ist besser als irgendein Roß 
und wird dich zum weisen Gripir, deinem Oheim, tragen.' 4 
Damit verschwand der Wandrer. Sigurd aber nannte das 
Roß Grani und schwang sich auf seinen Rücken. Sogleich 
jagte das Roß mit ihm davon. Er ritt unter der Bergleite Tag 
und Nacht in wildem Rennen, bis er zu einer befestigten Halle 
gelangte. Grani setzte in gewaltigem Sprunge über die Um- 
wallung, drinnen traten ihm die Mannen entgegen, die die 
Halle bewachten. Aber Sigurd drang auf sie ein und schlug 
sie alle zu Boden. Der Herr der Burg, der beim Mahle saß, 
vernahm den Lärm der Kämpfenden, erhob sich und sprach: 
„Nun füllt die Silberschalen mit Met, denn der hier kam, muß 
Sigurd sein, mein Schwestersohn. Ich will ihn willkommen 
heißen und hätte er mir auch alle meine Mannen erschlagen. 
Hütet euch, denn keinen Spott duldet der Held." Da ging er, 
Sigurd zu empfangen, der aber rief ihm entgegen: „Bist du 
Gripir, der Weise, so höre, was ich dich fragen will: weißt du 
von meinem Vater und meiner Herkunft, so hehle es mir 
nicht!" Und Gripir erwiderte: „Weißt du deine Herkunft 
nicht, so will ich es dir künden: Sigurd bist du, der Sohn König 
Sigmunds und der Siglind. Sei mir willkommen." Darauf 
führte er ihn in die Halle und bewirtete ihn wohl. Er erzählte 
ihm das Schicksal seines Geschlechtes, und da er der künftigen 
Dinge kundig war, weissagte er ihm ein Leben voll Helden- 
ruhm und Heldennot und einen frühen Tod. 

Als Sigurd solche Kunde empfangen hatte, bestieg er sein 
Roß und ritt von dannen. 

5. SIGURDS DRACHENKAMPF 

Mimir und Sigurd machten sich beide auf und kamen auf 
die Gnitaheide. Dort fanden sie die Fährte, auf der Fafnir 
zum Wasser zu kriechen pflegte. Mimir begab sich voll Furcht 
hinweg und verkroch sich in der Heide, Sigurd aber machte 



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auf der Fährte eine große Grube und setzte sich hinein. Als 
nun Fafnir von seinem Golde zur Tränke kroch, geschah ein 
Getöse als werde die Erde von einem Beben geschüttelt. Der 
Wurm spie Gift von sich, das fiel von oben Sigurd auf das 
Haupt. Doch ihn überkam keine Furcht. Und als Fafnir 
sich über die Grube wälzte, durchstach ihm Sigurd mit dem 
Schwerte das Herz. Dann sprang er aus der Grube und riß 
sein Schwert an sich. Als aber der Wurm die Todeswunde 
fühlte, schüttelte er sich und schlug mit Haupt und Schweif 
gewaltig um sich, so daß die Bäume um ihn her zersplitterten. 
Dann ward er Sigurds gewahr und rief : '„Bursche! Wer zeugte 
dich? Welcher Sippe entsprangst du, der du dein gleißendes 
Schwert in Fafnirs Blut rötest? Bis zum Herzen stand 
mir die Klinge!" Sigurd sprach: „Erlauchtes Wild heiß ich, 
und gewandert bin ich, ein mutterloser Mann. Keinen Vater 
hab ich wie Menschensöhne, immer ging ich einsam." — 
„Höre," rief Fafnir, „wenn du keinen Vater hast wie Menschen- 
söhne, durch welches Wunder kamst du denn zur Welt? 
Nennst du mir deinen Namen nicht in meiner Todesstunde, 
so heiß ich dich Lügner." — „Unkund, meine ich, ist dir 
mein Geschlecht und unkund mein Name", erwiderte der 
Held, „Sigurd heißt, dessen Schwert dich schlug, und Sigmund 
mein Vater." — „Wer reizte dich, " sagte Fafnir, „wer durfte 
dir raten, meinen Tod zu sinnen? Strahläugiger Bursche, ein 
bittrer Held war dein Vater, und Angeborenes zeigt sich bald." 
— „Mich reizte mein Mut zur Tat", antwortete Sigurd, „mir 
halfen meine Hände und mein scharfes Schwert. Keiner ge- 
winnt Mut im Alter, der jung nichts wagt." — „Nun höre du", 
sprach Fafnir, „das klingende Gold und der glutrote Hort — 
die Ringe werden dir Tod bringen." — „Bis zu dem finstern 
Tag schaltet jeder mit seinem Schatz, einmal ist uns allen 
bestimmt, zur Hei hinabzufahren," erwiderte Sigurd. „Mein 
Schreckenshelm dünkte mich wider Menschen mein Schutz, 
da ich auf dem Horte lag. Allein dünkte ich mich stärker als 
alle, wenige Männer fand ich mir gleich," sagte Fafnir. „Der 

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Schreckenshelm kann keinen bergen," sprach Sigurd, -„wo 
Kampfeszorn einen Helden treibt.** -8- „Tödliches Gift schnob 
ich, als ich auf dem Vatererbe lag," sprach Fafnir. „Fun- 
kelnder Wurm,** sagte Sigurd, „Grausen hast du erregt und 
bargst harten Sinn. Um so mächtiger wächst der Grimm 
dem Menschensohne, der dennoch deinen Helm gewann.** — 
„Ich rate dir nochmals,** sprach Fafnir, „und du folge dem Rat: 
reite heim von hier! Das klingende Gold und der glutrote 
Hort, — die Ringe werden dir Tod bringen.** — „Das ist 
dein Rat,'* höhnte Sigurd, „ich aber will zu dem Golde reiten, 
das auf der Heide liegt. Und du, Fafnir, liege in Todesnot, 
bis Hei dich hält.*' — „Mimir verriet mich,** rief Fafnir, 
„auch dich wird er verraten, er will unser beider Tod. Fafnir 
muß sein Leben lassen, dein ward die größere Macht." 

Als Mimir gewahrte, daß der Wurm erschlagen war, wagte 
er sich aus seinem Versteck hervor. Er kam zu Sigurd, als 
dieser das Drachenblut vom Schwerte strich, und sprach: 
„Heil dir, Sigurd, Sieg hast du erstritten und Fafnir gefällt. 
Von allen Männern, die auf der Erde schreiten, heiß ich dich 
den unerschrockensten." — „Wie kannst du wissen, wer 
von den Helden allen den unerschrockensten Mut bewähre?" 
sprach Sigurd, „mancher mag kühn sein, der noch nie das 
Eisen in eines Mannes Brust gerötet hat.** — „Froh bist du, 
Sigurd,*' fuhr Mimir fort, „und genießest deinen Sieg, da du 
Gram am Kraute trocknest. Doch ich bin betrübt, denn es 
war mein Bruder, den du erschlugst, wenn ich auch selbst die 
Tat ersann.** — „Fern gingst du,** sprach Sigurd, „als ich in 
Fafnir mein scharfes Schwert färbte. Als ich wider des Wur- 
mes Macht meine Kraft stemmte, da verkrochst du dich im 
Heidekraut." — „Doch läge der alte Riese noch lange auf 
der Heide," erwiderte Mimir, „hätte dir nicht das Schwert 
gedient, das ich geschmiedet.** — „Mut ist besser als Schwertes 
Gewalt, wenn es zum Kämpfen geht,'* sprach Sigurd, „ich 
sah schon kühnen Mann mit stumpfer Klinge Sieg erstreiten.'* 
„Doch fordere ich für das Schwert Teil an dem' Schatze, 

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als Wergeid für den Fall meines Bruders/ 1 sprach Mimir. 
„Du selbst rietest mir, herzureiten über bereiftes Gebirg. 
Hort und Leben hätte noch der funkelnde Wurm, hättest du 
mich nicht der Furcht geziehen," sprach Sigurd. 

Darauf ging Mimir zu Fafnir und schnitt ihm das Herz 
mit dem Schwerte Ridil heraus, dann trank er vom Blute 
aus der Wunde und sprach: „Nun sitze du, Sigurd, ich bedarf 
des Schlafes, und halte mir Fafnirs Herz ans Feuer. Essen 
will ich das Fleisch des Herzens nach diesem Bluttrunk." 
Sigurd nahm das Herz und briet es am Dorne. Als er dachte, 
daß es fertig wäre und der Saft am Herzen zu schäumen 
begann, berührte er es mit dem Finger, um zu versuchen, ob es 
gar gebraten sei. Da verbrannte er sich den Finger und führte 
ihn zum Munde. Und als Fafnirs Herzblut seine Zunge 
berührte, verstand er sogleich die Sprache der Vögel. Er 
hörte, wie die Spechtmeisen im Gebüsch zwitscherten und die 
erste Meise sang: „Öa sitzt Sigurd blutberonnen, Fafnirs 
Herz brät er am Feuer. Weise deuchte mich der Ringvergeu- 
der, äße er den schimmernden Lebensmuskel." Die zweite 
Meise sang: „Da liegt Mimir und hält Rat mit sich. Den will 
er trügen, der ihm vertraut, zornig sinnt er falsche Anklage, 
den Bruder will der verruchte Schmied rächen." Die dritte 
sang: „Um ein Haupt kürzer laß er den alten Zauberer zur 
Hei hinabfahren, dann schaltet er allein mit allem Golde, 
darauf Fafnir lag." Die vierte sang: „Klug wäre er, wollte 
er beherzigen den freundlichen Rat, den ihr Schwestern gebt, 
sich zu wahren und die Raben zu erfreuen. Wo man Spitz- 
ohren sieht, vermutet man den Wolf." Die fünfte sang: 
„Nicht weise wäre der Held, ließe er den einen Bruder ent- 
kommen, nachdem er den andern erschlug." Die sechste 
sang: „Sehr unklug wäre es, den Feind zu schonen, der ihn 
verderben will. Schützen sollte er sich vor Mimirs Verrat." 
Und die siebente sang wieder: „Um eines Hauptes Länge 
kürzer und der Ringe bar lasse er den reifkalten Unhold 
sein. Dann mag er allein den Hort besitzen, den Fafnir 

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hütete." Da sprach Sigurd zu sich selbst: „So soll das Geschick 
nicht mächtig werden, daß Mimir meine Todesrune mit sich 
trägt. Darum sollen schnell beide Brüder miteinander zur 
Hei fahren." 

Und Sigurd hieb Mimir das Haupt ab. Dann aß er Fafnirs 
Herz und trank beider, Mimirs und Fafnirs Blut. Darauf ritt 
er auf Fafnirs Fährte zu seinem Lager. Dort fand er Goldes 
die Fülle und viele Kleinode. Damit belud er Grani, bestieg 
das Roß und ritt von dannen. 

6. SIGURDS RACHEZUG 

Sigurd gedachte, was er vom Tode seines Vaters und den 
Hundingssöhnen erfahren hatte und sprach bei sich: „Ich 
will aus dem Lande fahren und die Hundingssöhne aufsuchen,; 
und sie sollen erfahren, daß nicht alle Wölsunge tot sind. 
Hell auflachen würden die Hundingssöhne, die einst meinen 
Vater und König Eulimi erschlugen, wenn heißerer Wunsch 
nach roten Ringen als nach Rache mich erfüllte." Er warb 
sich Genossen, rüstete starke Schiffe und bemannte sie wohl. 
Die Flotte begab sich auf See, und Sigurd steuerte den stärksten 
und stattlichsten Drachen. 

Nach wenigen Tagen zog ein heftiges Unwetter herauf und 
schäumig brandete die See um die Schiffe. Doch Sigurd 
verlor den Mut nicht und segelte weiter. Als sie an einem 
Vorgebirge vorübersteuerten, stand hoch am Ufer ein Mann 
und rief: „Wer reitet dort auf Räwils Hengsten durch tür- 
mende Wogen und heulende See? Vom Wogenschweiß triefen 
die Segelrosse, der Sturm vernichtet die Meeresrenner." 
Sigurd erwiderte: „Hier ist Sigurd auf den Seebäumen! Gün- 
stiger Fahrwind ward uns zum Tode hin. Steile Brecher 
stürzen über den Steven, das Dünungsroß sinkt — wer ist 
es, der fragt?" Der Mann erwiderte: „Nikar ruft mich, was 
Raben auf der Walstatt erfreut, du junger Wölsung. Den 
Bergalten magst du nennen Feng oder Fjölnir — ich fordere 
Mitfahrt." Sie legten an und nahmen den Alten ins Schiff: 

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da legte sich der Sturm, denn Odin war ihr Fahrtgenosse ge- 
worden. Der setzte sich zu Sigurd ans Steuer und lehrte ihn 
Kriegerweisheit, wie man in der Schlacht Sieg gewinne und 
welche Vorzeichen man beachten müsse, ehe man zum Kampf 
auszieht. Als sie aber in das Reich der Hundingssöhne kamen, 
verschwand der Alte. 

Nun entbrannte ein schwerer Kampf zwischen Sigurd und 
den Tötern seines Vaters. Sigurds gutes Schwert Gram wütete 
unter den Feinden, und als der Abend kam, lagen Lyngwi und 
seine drei Brüder und der größte Teil ihres Heeres auf der 
Walstatt. Da sprach Sigurd: „Nun ist der blutige Adler mit 
beißendem Schwert dem Töter Sigmunds in den Rücken ge- 
ritzt. Als die kühnsten Helden bewährten wir uns von allen, 
die je die Walstatt gerötet und die Raben Odins erfreut haben." 

Und Sigurd fuhr heim mit Ruhm und Beute. 

7. SIGURD UND DIE SCHILDMAID 

Als Sigurd den Drachen erschlagen und seinen Vater gerächt 
hatte, ritt er auf Grani nach Süden gen Frankenland und kam 
zum Fels der Hindin. Auf der Spitze des Berges sah er einen 
leuchtenden Schein, als brenne ein Feuer zum Himmel auf. 
Als er aber näher kam, fand er einen Zaun aus gereihten 
Schilden, daraus ragte ein Banner empor. Er durchschritt 
die Schildburg und fand darin einen Krieger in voller Rüstung 
in tiefem Schlafe liegen. Er nahm dem Ruhenden den Helm 
vom Haupte: da sah er, daß es ein Weib war. Die Brünne 
aber umhüllte ihren Leib so fest, als sei sie angewachsen. 
Darum durchschnitt er sie mit dem Schwerte Gram, von der 
Kopföffnung nach unten und an den Armen entlang. Als er 
dann die Brünne löste, erwachte die Schlafende, richtete sich 
auf und sprach: „Was schnitt meine Brünne? Wie brach ich 
hervor aus des Schlafes Umhüllung? Wer zerhieb mir des 
Bannes fahle Fesseln?" Sigurd sprach: „Das tat Sigmunds 
Sohn. Sigurds Schwert löste der Schlafenden Glieder.*' — 
„Lange schlief ich," sprach die Maid, „lang währte der Bann 

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meines Schlummers, lang ist der Sterblichen Leid. Odin 
schuf, daß ich des Schlafes Zauberrunen nicht zu brechen 
vermochte. — Heil dir, Tag, und euch, Söhne des Tags! Heil 
dir, Nacht, und dir, Tochter der Nacht. Mit freundlichem Auge 
schaut auf uns her und gebt uns Ruhenden Sieg. Heil euch 
Asen, Heil euch Asinnen! Heil sei der fruchtprangenden 
Erde! Rede und Rat gebt uns beiden Erlauchten und heilende 
Hände immerdar." 

Sigurd setzte sich nieder und fragte die Jungfrau, wer sie 
sei. Sie sprach: „Einst war ich eine siegspendende Walküre 
und Odins Dienerin. In den Kampftälern erwuchs ich mit 
Brünne und Speer, Hild unterm Helme nannten mich damals 
die Helden. Da erhob sich Kampf zwischen zwei Königen, 
Helmgunnar, dem greisen Fürsten im Volk der Goten, und 
Agnar. Odin hatte Helmgunnar Sieg verheißen, doch dem 
jungen Agnar wollte niemand helfen. Da brach ich Odins 
Befehl: Helmgunnar den Alten ließ ich zur Hei hinabziehen, 
dem Agnar aber gab ich Sieg. 

Das erregte mir Odins Zorn. Auf dem Felsen der Hindin 
umschloß er mich mit Schilden, roten und weißen, daß die 
Ränder einer Richtschnur glichen, stach mich mit dem Schlaf- 
dorn und senkte mich so in tiefen Schlummer. Er verhängte 
über mich den Bann, daß ich nie wieder in der Schlacht Sieg 
bringen noch Helden fällen dürfe, bis der die Fesseln meines 
Schlafes breche, der niemals Furcht gekannt habe." 

Nach diesen Worten nahm die Jungfrau ein Trinkhorn, 
füllte es, reichte es Sigurd und sprach: „Heiltrank bring ich 
dir, du Held in der Brünne! Gemischt ist er mit Ruhm und 
Kampfeskraft, gefüllt mit Glückssprüchen und heilenden 
Stäben, mit gutem Zauber und Segensrunen. Und das künde 
ich dir: Willst du die Heldenbahn gehen nach dem Willen des 
Schicksals, so wird dein Ruhm der höchste unter den Wolken 
sein. Jung wirst du sterben als Held oder friedlich altern 
ohne Ruhm. Nun magst du kiesen, freie Wahl hast du, 
leuchtender Held! Rede und Schweigen hast du selbst zu 

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küren. Alles Unheil ist vorbestimmt." Sigurd antwortete: 
„Nie will ich dem Geschick weichen, droht mir gleich der Tod. 
Kein Feiger ward ich gezeugt. Dein Freundesrat lenke meine 
Bahn, solange ich lebe. 11 Da lehrte ihn die Schildmaid uralte 
Weisheit und die Kunst der zauberischen Runen: „Sieg- 
runen lerne," sprach sie, „wenn du Sieg haben willst. Ritze 
sie in des Schwertes Hilze, in die Blutrinne und des Rückens 
Grat und raune zweimal den Namen Tyr. — Alrunen lerne, 
daß nicht eines andern Weib dich täusche, wenn du vertraust, 
und den Trank dir fälsche. Aufs Horn mußt du sie ritzen 
und auf den Rücken der Hand, auf den Nagel zeichne die 
Rune ,Not*. — Brandungsrunen nimm, wenn du bergen willst 
vom Sund die Wogenrosse. Die ritzest du auf den Steven 
und auf des Steuers Blatt, und brennst sie in die Ruder ein. 
Wie schwer dann die Brandung über dir schäumt, wie schwarz 
die See auch droht: heil kommst du an Land. — Rederunen 
sollst du wissen, willst du nicht, daß ein Held dir einen Harm 
blutig vergelte, und Denkrunen mußt du kennen, daß keiner 
der Männer an Weisheit dich übertreffe. Sie schuf einst 
Odin, sie ritzte er, er fand sie durch den Trank, der geträuft 
war aus dem Haupt und dem Horn Mimirs, des weisen Riesen. 
— Hör meinen Rat: Schwör keinen Eid wider die Wahrheit! 
Den Eidbrecher trifft grimmes Geschick. Auch traue nie den 
Worten des jungen Wolfs. Ob du seinen Bruder erschlugst 
oder seinen Vater fälltest: ein Wolf erwächst dir in dem 
Knaben, nahm er gleich Wergeid. Glaube nicht, daß so leicht 
der Bluthaß entschläft." 

Vieles sprach sie noch und machte ihn reich an dem Wissen, 
dessen der Held bedarf. Dann ritt Sigurd von dannen. 

8. SIGURD UND BRYNHILD 

Manches Heldenwerk hatte Sigurd vollbracht, da gelangte 
er eines Tages auf seiner Fahrt zur Halle eines großen Königs, 
der Gjuki hieß und über weite Lande im Süden am Rheine 
herrschte. Als er auf Granis Rücken in den Burghof einritt, 

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sah ihn einer der Königsmannen und rief: „Wahrlich, hier 
kommt einer der Götter gefahren! Ganz ist dieser Mann mit 
Gold geschmückt, gewaltiger ist sein Roß denn andere, und 
herrlicher sein Gewaffen. Weit überragt er alle Männer." 
Der König ging hinaus und fragte Sigurd: „Wer bist du, der 
so herrlich in meine Burg einreitet?" — „Sigurd heiße ich 
und bin König Sigmunds Sohn," erwiderte der Held. „Sei 
uns willkommen," sprach Gjuki, „und empfange, was dein 
Wunsch begehrt." 

Gjuki hatte drei Söhne, Gunnar, Högni und Guttorm. Mit 
Gunnar und Högni schloß Sigurd den Blutsbund und befestigte 
ihn durch Eide. Sie gaben ihm die junge Grimhild, ihre 
Schwester, die schönste Jungfrau, zum Weibe. In Freuden 
und bei festlichen Gelagen verbrachten sie die Tage, und auf 
manche Heerfahrt ritten sie zusammen. 

Einst kam zu ihnen die Mär, es lebe fern im Norden auf 
einem Felsen, in schimmerndem Saal, den ein Flammenwall 
umbrande, eine stolze und kriegerische Jungfrau mit Namen 
Brynhild. Sie hatte das Gelübde getan, daß sie nur dem 
Manne gehören wolle, dem es gelänge, ihre Waberlohe zu 
durchreiten — so wollte sie den größten von allen Helden er- 
werben: das war Sigurd der Fafnirtöter. Als Gunnar die 
Kunde von ihr vernahm, beschloß er, um Brynhild zu werben, 
damit er seinen Ruhm mehre und die höchste Ehre gewinne. 
Sigurd sagte seinem Blutsbruder Hilfe zu und rüstete mit 
den Brüdern die Reise — der Wege war der junge Wölsung 
kundig. 

Sie fanden den goldschimmernden Saal der Brynhild und 
das Feuer, das ihn umloderte. Gunnar spornte sein Roß 
Goti wider das Feuer, aber es bäumte und wich zurück. „Was 
weichst du zurück," sprach Sigurd. „Mein Roß will nicht 
durch das Feuer springen," antwortete Gunnar. Er bat Sigurd, 
ihm Grani zu leihen, doch auch Grani verweigerte unter 
Gunnar den Flammenritt. So konnte Gunnar das Feuer nicht 
durchreiten, auch von seinen Mannen wagte niemand, in die 



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Lohe zu dringen. Da tauschten Gunnar und Sigurd die Ge- 
stalten — nur die Augen konnten sie nicht tauschen — und 
Sigurd gelobte dem Freund mit Eiden, die Jungfrau für ihn 
zu gewinnen. Mit dem Schwerte Gram spornte der Held sein 
Roß, furchtlos sprang es ins Feuer. Es raste der Brand, die 
Erde bebte, hohe Lohe stieg flammend zum Himmel. Als 
aber Sigurd furchtlos Grani vorwärts trieb, erlosch der Schwall, 
die Flamme legte sich und wich vor dem königlichen Sproß. 

Sigurd fand die Jungfrau in einem schönen Gemache 
sitzend. Sie fragte den Eingedrungenen, wer er sei.' Er nannte 
sich Gunnar, Gjukis Sohn, und sagte:', Du aber bist mir, dem 
Überwinder deiner Waberlohe, bestimmt nach deinem eignen 
Gelübde." — „Ich weiß nicht, wie ich dir antworten soll," 
sprach Brynhild, verwirrt forschte sie in Sigurds Antlitz mit 
den strahlenden Augen. Ihr Herz ahnte einen Trug, aber 
konnte ihn nicht durchdringen. Hochaufgerichtet stand der 
Werber da, stützte sich auf den Schwertknauf und sprach: „Ich 
will dir Brautschatz zahlen, Gold und köstliche Kleinodien." 
Sie aber sprach leidvoll von ihrem Sitze wie der Schwan 
von der Woge — sie war im Schmuck ihrer Brünne, hatte den 
Helm auf dem Haupt und das Schwert in der Hand — : „Gun- 
nar, rede nicht solches zu mir, wenn du nicht der mächtigste 
der Helden bist. Ich rötete meine Waffen in Männerblut, 
und danach verlangt mich noch." Sigurd aber erwiderte: 
„Du denke nun deines Gelübdes, daß du dem folgen wolltest, 
der dieses Feuer durchritte." Da stand sie auf und begrüßte 
ihn freundlich. Sigurd weilte drei Nächte bei ihr und teilte 
ihr Lager, doch die nackte Klinge seines Schwertes Gram 
legte er zwischen sich und die Jungfrau: so wahrte er die 
Eide. Sie fragte, warum er solches tue. Er erwiderte: „Mir 
ist beschieden, also meine Vermählung zu begehen, sonst ist 
es mein Tod." Doch tauschten sie ihre Ringe miteinander. 
So verstrickten sie das Schicksal. 

Am dritten Tage war die Reise gerüstet, und sie verließen 
die Burg. Sigurd und Gunnar tauschten wieder die Gestalten. 

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Heim zu Gjukis Hof ritten die Helden, dort hielten Gunnar 
und Brynhild Hochzeit. Manchen Tag saßen die Vermählten 
in Fröhlichkeit und Kurzweil beim Weine in der Halle. Grim- 
hild aber, Sigurds Weib, erfuhr von ihrem Gatten den Verlauf 
der Fahrt, und der Held schenkte der Frau den Ring der 
Brynhild. 

Eines Tages gingen Grimhild und Brynhild zusammen zum 
Strom, um zu baden. Brynhild aber trat höher hinauf im 
Strome, Grimhild fragte, was das bedeute, und Brynhild ant- 
wortete: „Hierin will ich mich wie in allem andern dir nicht 
gleichstellen. Mehr Heldentaten vollbrachte mein König als 
Sigurd: Gunnar durchritt die brennende Lohe, dein Gemahl 
aber war Mimirs Schmiedeknecht. " Aufwallend erwiderte 
Grimhild: „Weiser tätest du zu schweigen als meinen Gemahl 
zu lästern. Er ist der größte Held, den die Welt trägt. Auch 
ziemt dir nicht, den zu schmähen, der dein erster Gatte war: 
er erschlug Fafnir und durchritt das Feuer — du aber glaub- 
test, es sei König Gunnar — und er lag bei dir drei Nächte 
lang und nahm von deiner Hand diesen Ring: hier magst du 
ihn erkennen l" Brynhild sah und erkannte den Ring, da 
ward sie bleich, als ob sie stürbe. Sie ging heim und sprach 
den Abend kein Wort mehr. 

In schwerem Brüten lag Brynhild auf dem Lager. Rache 
sann sie wider den, der sie eidbrüchig gemacht und ihr Ge- 
lübde gebrochen hatte, daß sie nur dem größten Helden 
gehören wolle. Da trat Gunnar zu der finster Schweigenden 
und sprach: „Was bedeutet dein Gram, und welcher Buße 
bedarf es, ihn zu sänftigen?" Sie aber sprach aus ihrem grim- 
men Zorn: „Alles ist mir bekannt! Sigurd überwand meinen 
Flammenwall und weilte bei mir, darum will ich nicht leben. 
Das aber sage ich dir: Sigurd betrog mich, und auch dich hat 
er betrogen, da du ihn mein Bett besteigen ließest. Nun aber 
will ich nicht zwei Männern in einer Halle gehören, deshalb 
soll Sigurd fallen oder du oder ich. Er hat Grimhild die Mär 
erzählt, ich aber lebe in Schande." 

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Da sprach Gunnar: „Steh auf und sei fröhlich! Was du 
willst, soll geschehen: Sigurd soll fallen, ist er gleich mein 
Schwurbruder." Er rief Högni, seinen Bruder, herbei und 
sprach: „Sigurd muß sterben." Högni erwiderte: „Wessen 
gibst du Sigurd schuld, daß du den Tod des Kühnen begehrst?*' 
Gunnar sprach: „Sigurd schwur mir unverbrüchliche Eide, 
alle heiligen Eide brach er. So trog mich, der mir aller Eide 
eherner Fels sein sollte." Doch Högni sprach: „Dich hat 
Brynhild grimmig gereizt, zu wilder Tat hat sie dich ent- 
zündet — daraus wird Harm entspringen. Grimhild miß- 
gönnt sie den Gatten und dir mißgönnt sie sich selbst. Laß 
uns den beschworenen Bund nicht brechen." Gunnar sprach: 
„Beschlossen ist sein Tod. Wir wollen Guttorm zur Tat 
reizen, der Sigurd keine Eide schwur." Da sott man den Wolf, 
da schnitt man den Wurm, vom gefräßigen Wolf gab man 
Guttorm zu essen, ehe die Meintatlüsternen vermochten, an 
den Helden die Hand zu legen. 

Erschlagen war Sigurd südlich vom Rhein, den Arg- 
losen traf am Waldquell heimtückisch das Schwert der Mör- 
der. Vom Baum herab rief heiser der Rabe: ' „An euch wird 
einst Atli sein Eisen röten. Die gebrochenen Eide werden 
die Mörder treffen." r 

Als die Gjukunge heimkehrten, stand Grimhild draußen. 
Dies war ihr erstes Wort: „Wo ist Sigurd, der hehrste der 
Helden, da meine Gesippen als erste reiten?" Stumm standen 
alle bei diesen Worten, Högni allein gab Antwort: „Erschlagen 
haben wir Sigurd mit beißendem Schwert. Sein graues Roß 
neigt das Haupt über den toten Helden." Da lachte Bryn- 
hild, daß das Haus erdröhnte, einmal aus tiefster Brust: 
„Nun genießt nur lange der Herrschaft und Lande, da ihr 
den kühnsten König fällen ließet." Und Grimhild sprach: 
„Schreckliches Frevelwort sprichst du aus. Fluch treffe 
Gunnar, Sigurds Mörder! Rache soll einst eure Mordgier 
treffen I" Doch Brynhild sprach: „Nun genießet wohl der 
Waffen und Lande. All euer Gut hätte Sigurd allein 



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besessen, wenn ihr ihn länger am Leben ließt. Unehre brächte 
euch, wenn er so schaltete über Gjukis Erbe und die Helden- 
schar und kühne Söhne zum Kampfe erzeugte/' So sprach 
sie im Zorn, aber Böses schufen die gebrochenen Eide. 

Tiefe Nacht war hereingebrochen, — viel war getrunken, 
manch übermütiges Wort hin und her geflogen — da schliefen 
alle auf dem Lager, nur Gunnar allein wachte in der Halle. 
Er regte den Fuß, sprach viel für sich, der Fürst konnte den 
Gedanken nicht bannen, was Rabe und Adler hoch im Baume 
sich zugerufen hatten, als sie heimritten. Vor Tag erwachte 
auch Brynhild und rief: „Reizt mich auf oder wehrt mir — 
Leid ist geschehen — Weh zu klagen oder es zu lassen." 
Stumm verharrten alle bei solchem Wort. Keiner verstand 
des Weibes Tun, als sie nun weinend zu sagen anhub, was 
sie zuvor lachend von den Helden heischte: „Schrecklicher 
Traum, Gunnar, befiel mich im Schlaf. Kühl war die Halle 
und klamm mein Lager. Du, Fürst, rittest in Gram versenkt, 
an den Füßen mit Zauberfesseln umschlossen mitten in die 
Schar deiner Feinde hinein. So wird vernichtet der Niflunge 
ganzes Geschlecht — Eidbrecher seid ihr! Vergaßest du ganz, 
Gunnar, daß ihr beide, Sigurd und du, euer Blut zusammen 
in die Fußspur träufen ließet zur Bekräftigung eures Bundes? 
Schlimm hast du Sigurd nun alles gelohnt, der dich doch 
über alle erhöhen wollte. Damals bewährte es der Held, als 
er geritten kam, um mich zu werben, wie er seinem Bluts- 
bruder Eide hielt. Zwischen uns legte der König das leuchtende 
Schwert, das goldgeschmückte, im Feuer waren die Schneiden 
gehärtet, die Klinge war bunt mit Gift geätzt. Nun ist der 
hehrste Held dahin, der mir nach dem Geschick und meinem 
Schwur gehören sollte. Gesühnt ist der Verrat mit seinem 
Blute, ich aber will nicht länger leben, nachdem ich meine 
Rache vollendet habe." So sprach sie und schied noch den- 
selben Tag aus dem Leben. 



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Eine andre Sage berichtet aber, Brynhild habe Sigurd schon 
vor ihrer Einschließung in die Flammenburg gesehen, sei in 
Liebe zu ihm entbrannt und habe sich nur in der Hoffnung 
mit der Waberlohe umgeben, daß allein der strahlende Fafnir- 
töter imstande sei, die Flammen zu durchreiten, und daß sie 
so dem herrlichen Helden gehören werde; 

Von Unrecht und Leid wußte Brynhild noch nichts, keine 
Schande noch der Schein eines Makels befleckte sie, da fuhr 
mitten hinein ein grimmes Geschick, als der Held vom Süden 
sie für Gunnar warb und drei Nächte das nackte Schwert 
in beider Mitte lag. Nicht küßte er die Herrin noch hielt er 
sie im Arm, er barg die junge Maid für Gunnar. 

Einsam saß Brynhild nach der Hochzeit draußen vor Gjukis 
Halle im sinkenden Tag, da brach es aus ihrem Innern: 
„Halten will ich Sigurd, den jungen Helden, im Arm, oder 
ich will sterben. Nun sprach ich das Wort, — mag Reue ihm 
folgen. Doch ist er Grimhilds Herr und ich Gunnars Weib. 
Feindliche Nornen schufen uns langes Leid." So ging sie 
oft, von Unheil erfüllt, von Eis und Firn, wenn der Abend 
sank, da mit dem Trauten Grimhild das Bett bestieg und 
Sigurd der König um sie die Decke hüllte. „Nun darf der 
Held seines seligen Glückes genießen," sprach sie, „ich aber 
gehe freudlos und gattenlos — mir bleibt zur Freude nichts 
als grimmer Haß." 

So stachelte sie ihren Grimm, bis sie Sigurds Tod beschloß. 
Zu Gunnar sprach sie: „Ganz sollst du verlieren mein Land 
und mich selbst — nimmer werde ich froh mit dir. Heim will 
ich fahren, wo ich früher weilte, zum Kreis meiner Freunde 
und meiner Sippe: dort will ich sitzen, mein Leben verdäm- 
mernd, wenn du nicht Sigurd dahinfahren lassest und der 
erste der Herrscher wirst. Und laß Sigurds Sohn dem Vater 
nachfahren — nicht sollst du den jungen Wolf aufnähren 
zum Rächer des Vaters." 

Schauernd neigte Gunnar das Haupt, versonnen saß er den 
langen Tag. Keinen Rat wußte er sich, was seinem Glücke 

4 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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am besten fromme, was seinem Heile am besten helfe. Er 
wußte, daß er Sigurd verlieren werde und wie schwer des 
Wölsungs Verlust ihn treffe. Nicht minder lange besann er 
den andern Weg: daß Brynhild zu ihrer Sippe heimkehre; 
war doch sonst nicht Brauch, daß eines Königs Weib dem 
Hochsitz entsagte. „Teuer ist mir Brynhild vor allen, sie ist 
das beste der Weiber. Lieber will ich mein Lebensblut ver- 
strömen, als daß ich ihre Schätze misse." Er rief Högni, 
heimlich mit ihm zu raunen, der besaß sein ganzes Ver- 
trauen; „Scheint dir gut, wenn wir um Gold den Fürsten 
verraten? Gut wärs, des Rheines Erz zu gewinnen, in Genuß 
des Reichtums zu walten und in seliger Fülle zu sitzen." 
Dies nur gab Högni zur Antwort: „Mich dünkt nicht recht, 
mit dem Schwert zu brechen geschworene Eide: geschworene 
Eide, gelobter Frieden! Kein Mann gleicht uns an Glück, 
wenn wir vier das Volk beherrschen, wenn Sigurd, der heunische 
Recke, lebt und wir alle Söhne zeugen, dann würde stattlich 
unser Stamm sich breiten. Wohl weiß ich, welchen Weg 
dies kommt: zu mächtig ist Brynhilds Begier." Doch Gunnar 
sprach: „Laß uns Guttorm zur Mordtat reizen, den jugendlich 
wilden Bruder. Auch umschließen ihn nicht die geschworenen 
Eide: geschworene Eide, gelobter Friede." 

Leicht war der Schnellentschlossene gereizt. Am Morgen 
trat Guttorm zu Sigurds Lager. Zweimal scheuchte ihn des 
Helden strahlender Blick. Das dritte mal war Sigurd ent- 
schlummert: da stand das Schwert des Mörders in seinem 
Herzen. Doch noch einmal sprang er zur Rache auf, er 
schleuderte Gram dem Fliehenden nach, die Klinge flog aus 
des Königs Händen und erreichte Guttorm. In zwei Hälften 
fiel der Mörder zu Boden, Hände und Haupt sanken nach 
vorn, die Füße fielen zurück in den Saal. 

Sorgenlos auf dem Lager entschlummert lag Grimhild, von 
Sigurds Armen umfangen, doch sie erwachte aller Freude 
beraubt, als sie im Blute des Götterfreundes schwamm. So 
schallend schlug sie die Hände zusammen, daß sich der Eisen- 

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herzige auf dem Lager hob: „Weine nicht so gramschwer, 
Grimhild", sprach er, „deine Brüder leben und werden dich 
schützen. Aber mein Erbe ist zu jung, als daß er aus feind- 
lichem Hause fliehen könnte, zu schnell ersannen sie den 
schwarzen und schändlichen Verrat. Doch nie werden sie 
nun mit solchen Heldensöhnen auf Heerfahrt reiten, magst 
du gleich sieben Söhne gebären. Wohl weiß ich, wie dies 
alles geschah: alles Böse ersann Brynhild. Mich liebte sie 
vor allen Männern, doch brach ich Gunnar die Treue nie, ich 
hielt ihm die geschworenen Eide, nie wollte ich seines Weibes 
Buhle heißen." 

Den Helden verließ das Leben, dem Weibe aber schwanden 
die Sinne. Sinkend schlug sie die Hände so schallend zusam- 
men, daß an den Wänden die Becher klirrten und die Ganse 
im Gehege hell aufschrieen. Da lachte Brynhild einmal aus 
tiefstem Herzen, als zu ihrem Lager Grimhilds Wehschrei 
drang. Doch Gunnar sprach zu ihr: „Nicht lachst du froh, 
unholdes Weib, weil dir Glück widerfährt. Wie bist du bleich, 
du Unheilvolle. Mich dünkt, dem Tode bist du verfallen." — 
„Dich wird niemand der Feigheit zeihen," sprach Brynhild, 
„denn wahrlich: kühn war dein Kampf wider Sigurd. — Nun 
aber höre mein Wort: Sigurd allein hab ich geliebt und keinen 
andern. Nie schwankte mir das Herz. Einst lebte ich frei 
und sorgenlos und an Schätzen reich, doch keinem Manne 
mochte ich gehören, ehe ihr Gjukunge mit Sigurd. in den Hof 
rittet, für Gunnar um mich zu werben. Lange schwankte 
im Zweifel mein Sinn, ob ich dem Willen des Werbers folgen 
oder kämpfend die abgewiesenen Krieger fällen solle, ob ich 
brünnenbewehrt Kriegsruhm erwerben oder mich euch fügen 
solle. Da gewahrte ich Sigurd neben Gunnar, der im Gold- 
schmuck strahlend auf Granis Rücken saß: ungleich waren 
seine Augen den euren, wie fürstlich ihr euch auch dünktet. 
Sigurd gelobte ich mich im Herzen. Nach dem Goldhort, 
den Sigurd dem Drachen abgewann, stand mir der Sinn, kein 
anderes Gold begehrte ich. Darum schloß ich den Ver- 

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gleich, daß ich dem Werber gehören wolle, der es vermöge, 
meinen Flammenwall zu durchreiten, denn keiner, glaubte 
ich, würde es können, außer dem Fafnirtöter. Nun ist der 
Herrliche dahin, darum will auch ich sterben. Das sei Sühne 
meinem bitteren Harm, daß ich Sigurd im Tode folge." 

Auf sprang da Gunnar, der Fürst der Helden. Um den 
Hals der Frau legte er die Hände, heilenden Sinns traten alle 
heran, sie abzumahnen. Doch vom Halse stieß sie alle zurück, 
nicht ließ sie sich abhalten vom weiten Gang. Gunnar rief 
Högni zu heimlichem Geraun: „Laß alle Mannen in die Halle 
gehen, deine und meine — uns drängt die Not — , daß man 
vom Todesgang die Frau abhalte, bis ihr Grimm sich schwich- 
tige." Doch Högni gab dies zur Antwort: „Es wehre ihr keiner 
den weiten Gang, und nie werde sie von dort wiedergeboren! 
Verflucht kam sie vor die Kniee der Mutter, zum Unheil ward 
sie geboren und zum Verderben manchem Manne." Un- 
willig wandte Högni sich ab, als die Halsbandgeschmückte 
Gaben verteilte. Sie blickte auf ihre Habe, unfreie Mägde 
und Dienerinnen, die der nahende Tod entfärbte, der ihnen 
im Gefolge ihrer Herrin beschieden war. Leidvoll hüllte sich 
die Königin in die goldene Brünne, dann durchbohrte sie sich 
mit des Schwertes Schärfe. Müde sank sie auf das Polster 
zurück, doch obschon todwund, sann sie noch diesen Rat: 
„Herein nun, wer Gold begehrt. Nicht Unfreie nur sollen 
im Tode mir folgen. Jeder freien Frau, die neben mir brennen 
will, geb ich leuchtenden Schmuck und Prachtgewänder." 
Alle schwiegen und sannen lange, bis alle aus einem Munde 
sprachen: „Es starben genug — wir wollen leben! Uns Diene- 
rinnen ziemt nicht, um Ruhm unser Leben zu opfern." Sin- 
nend sprach Brynhild: „Keine Freie will ich nötigen, daß sie 
um mich ungern das Leben lasse. Doch sterbt ihr einst, so 
brennen nicht auf eurem Gebein reiche Schätze und blinken- 
des Gold. — Höre mich, Gunnar! Mein Ende naht, darum 
laß mich eine Bitte noch sagen — es sei auf der Welt meine 
letzte: Errichte im Feld eine breite Holzburg, geräumig genug, 

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uns alle zu bergen, die mit Sigurd starben. Umzelte die Burg 
mit Decken und Schilden, schmücke sie mit köstlichem Tuch 
und vielen getöteten welschen Knechten, die sollen mir zur 
linken Seite und zu Häupten liegen. An meiner Rechten aber 
brenne Sigurd, der König. Ihm zur anderen Seite sollen 
brennen meine Dienerinnen mit Halsbändern geschmückt, 
und zwei ihm zu Häupten, daneben zwei Habichte, ihm wie 
mir, alles verteilt nach gleichem Maße. Noch einmal liege, 
uns trennend, zwischen uns das ringgeschmückte Schwert, 
wie einst es lag, da wir beide ein Lager bestiegen und uns 
Gatten nannten. Bereitet alles! Nicht fallen, wenn solche 
Schar dem Helden folgt, ihm auf die Ferse die Flügel des 
schimmernden Tores zur düster prangenden Halle, und unsre 
Fahrt wird nicht ärmlich sein. — Manches wollte ich gern 
noch reden, ließe der Tod mir Raum, doch bricht mir die 
Stimme, die Wunden schwellen — so ende ich denn." 

So starb Brynhild. Gunnar aber rüstete die Leichenfeier ihr 
und Sigurd, wie sie gebeten hatte: eine Lohe verzehrte sie beide. 

9- UNTERGANG DER NIFLUNGE 

Nach Sigurds Tode nahmen Gunnar und Högni den Drachen- 
hort und verbargen ihn an einem sichern Ort in den Fluten 
des Rheins. Grimhild aber saß stumm und leidvoll in der 
Halle. Sie schluchzte nicht, schlug nicht die Hände und weinte 
nicht, schwarz und lichtlos schien ihr der Tag. 

Boten kamen von Atli, dem Hunnenkönig, um sie zu 
werben. Da heischte Oda, Grimhilds Mutter, von ihren Söhnen, 
daß sie der Witwe Sühne böten für Sigurds und ihres Sohnes 
Tod. Gunnar und Högni waren bereit, mit Gold den Harm 
zu sühnen. Alle wollten mit Kleinoden und tröstendem Wort 
ihr Sühne bieten für ihr Weh, sie aber blieb fest, Trost und 
Buße wies sie ab. Da mischte Oda den Trank, kühl uud 
bitter, um den Gram zu löschen. Viel Böses war in den Trank 
gemischt, dazu Kraft der Erde, eiskalte See und Eberblut, 

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und in das Horn waren rote Stäbe geritzt: geringelte Schlange, 
reife Ähre und Eingeweide der Tiere. Da schwand Grimhilds 
Zorn, sie vergaß die schwarze Tat Gunnars und Högnis und 
versöhnte sich ihnen. 

Oda und die Brüder versprachen ihr reiches Gut, wenn sie 
Atli, dem Hunnenkönige, sich vermähle. Sie aber sprach: 
„Keinem Manne will ich wieder folgen, und mir ziemt nicht, 
froh mit Atli zu leben und ihm Erben zu gebären." — „Laß 
die Trauer fahren," bat Oda, „gewinnst du Söhne, so wird 
dir sein, als lebten Sigurd und sein Knabe noch." — „Ich 
kann kein Glück mehr mit andern tragen noch einem Treue 
schwören," sprach Grimhild, „seit Wolf und Rabe gierig 
zusammen das Herzblut Sigurds schlürften." Doch endlich, ob 
, sie gleich düsteres Geschick im Traume voraussah, wich sie den 
Drängenden und willigte in den Bund mit dem Hunnenkönig. 

Liebelos lebte nun Grimhild bei Atli. Der aber sann, wie 
er den Hort gewänne, den einst Sigurd besaß und dessen Ort 
nur Gunnar und Högni wußten. Geschworen hatten die 
Helden, daß keiner den Ort verrate, solange der andre lebe. 
Atli beschloß, sie mit Lockung zu laden, um ihr Geheimnis 
zu erfahren. Grimhild aber sandte ihnen warnende Runen. 

Als Boten schickte Atli von seinen Kriegern einen kundigen 
Reiter. Der kam zu Gjukis Hof und Gunnars Halle, zu den 
Bänken am Herd und dem süßen Met. In der Halle tranken 
die Mannen, als der Bote vom Hochsitz herab mit kalter 
Stimme, den Trug wohl bergend, also rief: „Atli gebot mir, 
mit Botschaft zu reiten auf gebißkauendem Pferde durch 
den unwegsamen Dunkelwald, euch beide, Gunnar und Högni, 
zu bitten, daß ihr zur Bank seiner Halle kämt mit ring- 
geschmückten Helmen, als Gäste ihn heimzusuchen. Dort 
mögt ihr euch wählen Schilde und Lanzenschäfte, gold- 
verzierte Helme, scharfe Speerspitzen, kauende Rosse und kost- 
bares Zaumzeug. Die weite Gnitaheide will er euch geben, 
klirrende Gere und goldene Steven, herrliche Kleinode, auch 
die Gestade des Danp und den mächtigen Dunkelwald." 

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Gunnar wandte das Haupt und sprach zum Bruder: „Was 
rätst du uns, Held, auf solche Rede? Ich wüßte nicht, daß 
die Gnitaheide reicheres Gold als wir besäße. Unser sieben 
Schatzhäuser sind mit Schwertern gefüllt, an jedem glänzt 
ein goldener Knauf. Von hallenzierenden Bogen ist meiner 
allein besser als alle der Hunnen, und ich weiß, mein Kampf- 
roß ist das beste, mein Helm und Schild die strahlendsten 
von allen." 

Da erwiderte Högni: „Was wollte uns wohl die Schwester 
raten, da sie uns den Ring sandte mit Wolfshaar durch- 
flochten? Heimliche Warnung, meine ich, bot sie uns so. 
Des Heidebewohners Haar fand ich am Reif haften. Wölfisch 
würde uns diese Fahrt." 

Alle Schwertmagen schwiegen, keiner der Gesippen redete, 
keiner auch der vertrauten Berater. Da sprach Gunnar, der 
über alle in der Halle ragte, voll hohen Mutes wie es dem Kö- 
nige gebührt: „Auf Fjörnir, mein Mundschenk, laß die Knechte 
die Goldschalen für die Helden in die Halle tragen, daß wir 
den Abschiedstrunk trinken. Mögen grauröckige Wölfe mit 
dem Niflungenerbe schalten, wenn Gunnar ausbleibt ! Mögen 
dunkelzottige Bären hier hausen, wenn der König nicht 
heimkehrt!" 

Klug war Högnis Gattin und der Runen kundig. Grim- 
hilds Zeichen wollte sie beim Feuer lesen, doch stockte ihr 
die Zunge: die Runen waren verworren, die Lösung konnte sie 
nicht finden. Böses träumte ihr nachts und schreckte sie 
auf. Sie sprach zu Högni: „Reite diesmal nicht, Högni! Ich 
mühte mich, die Runen zu erraten, die deine Schwester ritzte : 
nicht lud euch die Edle. Rätselvoll und verworren ist, was 
die Weise ritzte. Doch will mir scheinen, als stünde euer 
beider Tod darunter. Ein Stab fehlte der Frau, oder andere 
fälschten, was sie ritzte." — „Argwöhnisch seid ihr," ant- 
wortete Högni, „ich aber forsche nicht nach Verrat, bis ich 
ihn rächen muß. Gold bietet uns Atli, mag auch Gefahr 
drohen — ich kenne keine Furcht." 



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Beschlossen war die Fahrt. Im grauenden Morgen rüsteten 
sich die Helden und achteten der Träume und bösen Ahnungen 
nicht. „Fahrt heil und klug, wohin der kühne Mut euch treibt," 
rief zum Abschied Högnis junger Sohn. Den heerkühnen 
Fürsten geleiteten makellose Mannen vom Hofe der Niflunge. 

Als sie zum Ufer kamen, begannen sie gewaltig zu rudern. 
Es barst der Kiel, wie sie rückwärts gelehnt die Wogen schlu- 
gen, es brachen die Ruder, und die Pflöcke splitterten, sie 
ließen das Schiff treiben, als sie gelandet waren. Über Berg 
ließen die Mutigen die gebißkauenden Rosse stürmen durch 
den pfadlosen Dunkelwald. Es schütterte die Hunnenmark, 
wo die Eisenharten fuhren, über grünendes Gefild spornten 
sie die Renner. Sie sahen Atlis Land und die düster ragende 
Halle, wo Hunnenkrieger auf der türmenden Burg standen, 
sahen den Saal der Südländer mit Sitzen umreiht und umhängt 
mit blitzenden Schilden. In der Halle trank Atli Wein mit 
seinen Mannen, doch Wächter saßen draußen, Gunnar er- 
wartend, ob er komme mit gellenden Speeren und ihrem 
Fürsten Kampf erwecke. 

Zuerst erblickte die Schwester die beiden Brüder, als sie 
die Halle betraten — sie allein war vom Met nicht trunken — , 
und rief: „Verraten bist du, Gunnar, was vermagst du, Ge- 
waltiger, nun wider hunnische Tücke? Eilends verlaß die 
Halle. Besser tätest du, Bruder, im Heerbann zu reiten, 
als so arglos zu Atli zu kommen. Dann säßest du sonnen- 
heiße Tage lang im Sattel, sendetest Atli in den Schlangenhof 
und ließest die tränenlosen Nomen erdfahle Hunnen beweinen. 
Nun ist der Schlangenhof dir selbst bestimmt.* ' — „Zu spät, 
Schwester," sprach Gunnar, „ist es nun die Niflunge zu sam- 
meln, zu weit ist es, die Recken zu entbieten vom Rotfelsen 
des Rheins." 

Da entspann sich wilder Kampf in der Halle. Nachdem die 
Mannen erschlagen waren, fingen die Hunnen Gunnar, fessel- 
ten und banden ihn. Sieben schlug Högnis Schwert, ins 
lohende Feuer der Halle schleuderte er den achten. So 

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besteht ein Held den Ansturm der Feinde, wie Högni sie abwies. 
Doch erlag er den Vielen, und sie banden auch ihn. 

Atli trat zum gefesselten Gunnar. Er fragte den Helden, ] 
ob er mit dem Golde des Hortes sein Leben kaufen wolle. \ 
Der aber sprach: „Zuvor soll mir Högnis Herz in der Hand 
liegen, blutig dem Königssohne mit beißendem Schwert aus 
der Brust geschnitten." Sie schnitten dem Jalli, einem hun- 
nischen Knecht, das Herz aus der Brust und brachten es 
Gunnar blutig auf der Schüssel.' Da rief Gunnar, der beste 
Held:'„Hier hab ich das Herz Jallis, des Feigen, 1 ungleich dem 
Herzen des mannhaften Högni bebt es auf der Schüssel, 
zwiefach bebte es, da es in der Brust lag." Högni aber lachte, 
als sie das Herz ihm herausschnitten, ihm entfuhr keine 
Klage. Blutig auf der Schüssel brachten sie es Gunnar. Da 
rief Gunnar, der gerberühmte Niflung: „Hier halte ich das 
Herz Högnis, des Recken, ungleich dem Herzen Jallis, des 
Feigen, bebt es wenig hier auf der Schüssel, weniger noch 
bebte es, da es in der Brust lag. Niemals, Atli, wird nun dein 
Auge den Hort erblicken, 1 so wahr kein Auge dich bald mehr 
schaut! Bei mir allein ist jetzt das Geheimnis des Niflungen- 
horts geborgen, da Högni nicht mehr lebt. ' Noch zweifelte ich, 
als wir beide lebten, an seiner Wahrung, 'nun zweifle ich nicht 
mehr, da ich allein es weiß. Der Rhein hüte den zwistzeugen- 
den Hort, das Asenerbe der Niflunge. In stürzender Woge 
leuchte der welsche Schatz, ehdenn er jemals auf hunnischen 
Händen glänze." 

Da sprach Atli: „Gebunden ist der Feind, bringt den Wagen." 
Und das zaumzerrende Roß brachte den König auf die Heide 
zur Stätte des Todes. Atli, der mächtigen Siegbringer Sproß, 
ritt auf Glaum, den die Sporen schlugen. Daheim in der Halle 
aber fluchte ihm Grimhild, die Leidvolle wehrte den Tränen: 
„Mögen dir, Atli, die Eide gehalten werden, wie du dem 
Gunnar die Eide hältst, die du ehmals ihm schwurst, bei der 
Sonne des Südens, bei des Sieggottes Felsen, beim Frieden 
des Hauses und beim Ringe des UU." 



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Den König warfen die Krieger lebend in den Hof, der mit 
Schlangen gefüllt war. Gunnar aber schlug mit der Hand 
furchtlos die Harfe, daß die Saiten hell erklangen, und er 
spielte unverzagt, bis die Nattern ihn zu Tode stachen. So 
soll ein kühner Ringspender den Goldhort hüten. 

Atli wandte vom Morde heim das stampfende Roß. ' Im Hof 
war Gedröhn und Gedränge von Pferden, 'Waffenklang der 
Männer, die von der Heide kamen. ! 

Da ging Grimhild hinaus, sie hatte das Erbmahl der Brüder 
gerüstet. Die goldene Schale trug sie dem König entgegen 
und reichte sie ihm mit verhüllendem Wort, als sei sie bereit, 
für den Mord der Brüder Sühne zu nehmen: „Fröhlich emp- 
fange in deiner Halle, Herrscher, der Grimhild junge Auf- 
zucht, die gen Niflheim fuhr." Von Wein schwer klangen 
Atlis Trinkschalen, als hin und her bei den Hunnen die Rede 
flog. Auch die bärtigen Mannen traten in den Saal, die vom 
Morde Gunnars in des Dunkelwalds Schluchten kamen. Die 
hellwangige Frau schenkte ihnen den Met, dem fahlen Gatten 
aber gab sie grimmigen Sinns — so zwang sie die Pflicht — 
eine grausige Zukost zum Trünke. Dann sprach sie höhnend: 
„Nun hast du, Schwertwalter, die todblutigen Herzen deiner 
eignen Söhne im Honig verzehrt. So kannst du also, Mutiger, 
Menschenfleisch als leckere Speise genießen und mit den Gästen 
auf dem Hochsitz teilen. Nie mehr rufst du Erp und Eitel, die 
Fröhlichen, zu deinen Knien, nie mehr siehst du vom Hallen- 
sitz aus die goldspendenden Königssöhne Gere Schäften und 
Rosse spornen." Da erhob sich Lärm auf den Bänken und 
Rufen der Männer, unter Gewändern weinten und klagten die 
Hunnensöhne. Nur Grimhild beweinte nicht ihre bärenharten 
Brüder und die arglos blühenden Kinder, die sie mit Atli 
zeugte. Die Schwanengleiche sann weitere Rache und ließ 
das Schicksal wachsen: mit Gold und roten Ringen beschwich- 
tigte sie die Sinne der Mannen, ließ das schimmernde Erz 
verströmen und vergeudete unbekümmert die Schatzkammern 
des Fürsten. 

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Ohne Vorsicht trank Atli sinnlos, er schützte sich nicht mit 
Waffen, noch wahrte er sich vor Grimhild. Sie täuschte alle, 
und als Atli auf das bereitete Lager in der Halle sank und rings 
das Gefolge im Schlafe lag, hob ihre todsüchtige Hand das 

■ 

Schwert und gab dem Lager das Blut ihres Gatten zu trinken. 
Dann entzündete sie die Halle und weckte mit heißem Brande 
die trunkenen Mannen. So vollendete sie die Rache an Atli. ' 

Dem Feuer gab sie alle, die drinnen waren. Das Gebälk 
barst und die Schatzhäuser rauchten, es brannte der Bud- 
lunge ganzer Bau. :j 

Hier endet die Mär. So hart und trotzig wird kein Weib 
mehr das Geschick erfüllen, ihre Brüder zu rächen. Doch selig 
soll von nun an jeder heißen, der ein kühnes Geschlecht wie 
Gjuki erzeugt. In allen Landen wird fortleben die Kunde von 
ihrem unbeugsamen Trotz. 

?tf+, „ . x :>v* £, ; * DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG : 

S^fr-O SIGFRID UND DIE BURGUNDEN 

io. JUNG SIGFRID 

Über Frankenland waltete König Sigmund, der war mächtig 
und ein großer Herrscher. Nach seines Vaters Tode sandte er 
Boten gen Westen zu König Nidung und warb um dessen 
Tochter Siglind. Der verweigerte sie ihm nicht, denn längst 
hatte er vernommen, daß Sigmund unter allen Männern der 
ruhmvollste sei. Doch wollte er seine Tochter nicht in ein 
unbekanntes Land und zu unbekannten Männern senden. Da 
machte König Sigmund sich auf und kam selbst als Braut- 
werber zu König Nidung. Der verlobte ihm seine Tochter, 
rüstete eine prunkvolle Hochzeit und gab Sigmund reiche 
Mitgift. 

Als dieser mit Siglind heimgekehrt war und dort erst wenige 
Tage weilte, zwang ihn ein Einfall seiner Feinde, eine Heer- 
fahrt zu rüsten. Unter der Hut zweier Edlen ließ er Siglind 
in seinem Lande zurück. 

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Auf dieser Heerfahrt ward König Sigmund von seinen 
Feinden erschlagen. Als das die Edlen vernahmen, denen er 
die Obhut über sein Land und sein Weib anvertraut hatte, 
ergriffen sie Besitz von dem Lande und vertrieben die Königin. 
Einsam und von allen Menschen verlassen irrte sie im Walde 
umher, und in einem Tal, das noch nie eines Menschen Fuß 
betreten hatte, gebar sie einen Knaben von großer Schönheit. 
Den hüllte sie in Tücher. Dann starb sie. 

Wie das Kind weinend dalag, kam eine Hindin, nahm den 
Knaben mit ihrem Maule auf und trug ihn heim zu ihren 
Jungen. Dort legte sie ihn nieder und ließ ihn an ihren Zitzen 
trinken. Zwölf Monde blieb er bei der Hindin, da ward er 
so kräftig und stark wie andere Knaben von vier Wintern. 

Im Walde hauste ein Mann, der hieß Mime. Er war ein 
so hochberühmter und kunstfertiger Schmied, daß seines- 
gleichen nicht zu finden war. Mime hatte einen Bruder 
mit Namen Fafner. Der war stark, aber der böseste aller 
Männer. Zur Strafe für seine Schandtaten und Zauberei war 
er in einen Lindwurm verwandelt worden. So lebte er als 
ein schrecklicher Drache und war allen Menschen feind, nur 
Mime, seinem Bruder, war er wohlgesinnt. Der allein kannte 
des Drachen Lager. 

Eines Tages fuhr Mime zu Holze, Kohlen zu brennen. Als 
er dort einsam beim Feuer saß, kam ein Knabe , der überaus 
schön war, und lief auf ihn zu. Der Schmied fragte den Kna- 
ben, wer er wäre, doch konnte der nicht sprechen. Mime 
nahm ihn, setzte ihn auf seine Knie und hüllte ihn in Kleider, 
denn er war nackt. Da kam eine Hindin gesprungen, schmiegte 
sich an Mimes Knie und beleckte dem Knaben Antlitz und 
Haupt. Mime erkannte, daß die Hindin den Knaben ge- 
saugt habe, darum ließ er sie leben. Er nahm den Knaben 
mit, denn er gedachte ihn als seinen Sohn aufzuziehen, und 
gab ihm den Namen Sigfrid. 

So wuchs Sigfrid beim Schmiede auf, bis er neun Jahre alt 
war; da war er schon so groß und stark, daß die Schmiede- 

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gesellen sich vor ihm fürchteten und nie ein Knabe von so 
wilder Kraft erfunden wurde. 

Mime fand es an der Zeit, daß er die Schmiedekunst erlerne. 
Er glühte ein gewaltiges Eisen, gab ihm den schwersten Ham- 
mer in die Hand und hieß ihn das Eisen schmieden. Da 
schlug Sigfrid den ersten Schlag so gewaltig, daß er den Amboß- 
stein zerklob, der Amboß in den Klotz hinabfuhr und Eisen, 
Zange und Schlägelschaft durch die Schmiede flogen. Vor 
solcher Überkraft erschrak Mime und sprach:' „Nie sah ich 
so fürchterlichen und ungefügen Schlag. ] Was auch aus dir 
werden mag, zum Handwerk taugst du nicht."Jj 

Nun ging Mime mit sich zu Rate, wie er sich des Knaben 
entledige, "denn er fürchtete, daß ihm großes Unheil von ihm 
erwachsen werde. Darum ging er zu Fafner und bat ihn, 
den Knaben zu töten, den er ihm senden werde. Am nächsten 
Tage befahl er Sigfrid/ in den Wald zu gehen und Kohlen zu 
brennen. Der gehorchte, fuhr zu Walde, hieb Stämme um 
und machte ein großes Feuer. Während er beim Schmause 
saß, kam ein großer Lindwurm. Sigfrid sprang auf, ergriff 
den stärksten Baum, der im Feuer lohte,' lief den Lindwurm 
an und schlug ihm mit dem Baume auf den Kopf. Wieder 
und wieder schlug er, bis der Lindwurm tot am Boden lag. 
Dann hieb er ihm mit der Axt das Haupt ab. Inzwischen war 
es Abend geworden. Sigfrid setzte sich nieder und sann, 
womit er seinen Hunger stille, denn den Vorrat für neun Tage, 
den Mime ihm mitgab, hatte er schon aufgezehrt. Er hieb 
Stücke von dem Drachen, um sie in seinem Kessel zu sieden. ' 
Dabei floß ihm das Drachenblut über die Hand, und überall, 
wo es seine Haut berührte, wurde diese hart wie Horn. Da 
dachte er, wie nützlich ihm solche Hörnung sei, fuhr aus 
den Kleidern und badete sich in dem rauchenden Blute, daß 
sein ganzer Körper hörnern wurde. Nur zwischen die Schultern 
fiel Ihm ein Lindenblatt, und die Stelle blieb ungehörnt. 
Dann ging er heim und trug das Haupt des Lindwurms vor 
sich her. 

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Voll Zorn wider Mime, dessen Tücke er durchschaut hatte, 
kam er zur Schmiede. Alle Knechte flohen ängstlich vor ihm 
in den Wald,' als sie ihn mit dem schrecklichen Drachenhaupt 
daherkommen sahen, Mime aber ging auf ihn zu und hieß 
ihn willkommen, doch mit drohendem Wort wies ihn Sigfrid 
zurück.' Der Schmied suchte ihn zu versöhnen,' indem er 
ihm eine herrliche Brünne und kostbare Waffen schenkte 
und ihm verriet, wo er das beste aller Rosse finden könne. 
Sigfrid nahm scheinbar seine Vorschläge an, als er aber sein 
neues Schwert in der Hand hielt, hieb er damit dem verräte- 
rischen Schmied das Haupt vom Rumpfe, 1] 

In seine neue Waffenrüstung gehüllt, ritt nun Sigfrid auf 
dem Hengst Grani, den er sich nach dem Rate des Schmiedes 
geholt hatte, auf Abenteuer aus. 

Als er einst allein durch das Land ritt, fand er an einem 
Berge die Albenkönige Schilbung und Nibelung mit vielen 
Mannen. Die trugen aus einem hohlen Berge den Nibelungen- 
hort, den die beiden Könige nach ihres Vaters Tode unter 
sich teilen wollten. Als die Nibelungen Sigfrid erblickten, 
hießen sie ihn herbeikommen und baten ihn, er möge ihnen 
den Schatz teilen. Unermeßliches Gold und Edelgestein lag 
dort aufgeschichtet, nicht hundert Wagen vermochten es 
fortzuschaffen. Zum Lohn für seinen Dienst gaben ihm 
Schilbung und Nibelung schon das Schwert Balmung, das 
zum Schatze gehörte. Die Teilung aber konnte Sigfrid ihnen 
nicht rechtmachen, denn die neidischen Könige gönnten einer 
dem andern nicht seinen Anteil am Schatze. Im Zorn drangen 
beider Könige Mannen auf Sigfrid ein, deren aber erwehrte 

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sich der junge Held mit dem Schwerte Balmung. Zwölf 
starke Riesen, die im Dienste der Albenfürsten standen, 
schlug er nieder, dazu siebenhundert Recken, auch Schilbung 
und Nibelung mußten ihm erliegen. Voll Schrecken ergaben 
sich da die Mannen seiner Gewalt und machten das Nibelungen- 
land ihm Untertan. Alberich aber, der starke Zwergenfürst, 
begehrte seine Herren zu rächen. Er besaß eine Tarnkappe 

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von wunderbarer Kraft: 'wer sie trug, der war vor Hieb und 
Stich bewahrt, auch sah und hörte ihn kein Auge und Ohr, 
so hehlte sie den Mann. Dadurch brachte er Sigfrid in arge 
Not, doch endlich überwand ihn dieser, gewann ihm seine 
Tarnkappe ab und machte ihn zu seinem Vasallen. So ward 
Sigfrid Herr des Nibelungenhortes. Er ließ ihn in den hohlen 
Berg zurücktragen, aus dem die Nibelungenmannen ihn ge- 
holt hatten, und setzte Alberich, den starken Zwergen, zum 
Kämmerer ein, nachdem er ihn mit schweren Eiden gebunden 
hatte. Dann ritt er nach Süden und eroberte das Reich seines 
Vaters zurück. 

ii. SIGFRID AM BURGUNDENHOF 

Über die Burgunden herrschten damals die mächtigen 
Könige Gunther, Gernot und Giselher. An ihrem Hofe er- 
wuchs die schönste Jungfrau, Kriemhild ihre Schwester. Zu 
Worms am Rhein herrschten die königlichen Brüder und 
waren umgeben von stolzer Ritterschaft und den besten 
Recken, die je im Streite unverzagten Mut bewährten. Alle 
aber überragte Hagen von Tronje, ihm zur Seite stand sein 
Bruder Dankwart, des Königs Marschall, und Ortwin von 
Metz, der Truchseß, auch schirmten die Lande die stolzen 
Markgrafen Gere und Ekkewart, an Kühnheit aber leuchtete 
Volker von Alzei, der Spielmann, allen voran. 

Einst träumte Kriemhild, sie hätte manchen Tag einen 
wilden Falken aufgezogen, den ihr zwei Adler vor ihren Augen 
schlugen, und nichts in der Welt dünkte sie schwerer zu er- 
tragen, als dieses Weh. Den Traum erzählte sie Frau Ute, 
ihrer Mutter. „Der Falke, den du aufziehst", sprach diese, „ist 
ein edler Mann, den behüte Gott, sonst mußt du ihn bald 
verlieren". Solche Kunde betrübte Kriemhild wenig, sie 
wollte von keiner Minne hören, schön wollte sie bleiben bis 
an ihr Ende und von keinem Manne je Not gewinnen. „Liebe 
lohnt mit Leid", sprach sie, „drum will ich beide meiden". 

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Der Ruf ihrer Schönheit drang zu Sigfrid, und er beschloß, 
um sie zu werben. Mit zwölf Recken ritt er ins Burgunden- 
land. Ganz mit Gold bestickt war ihr Gewand und köstlich 
all ihr Gewaffen. Wie sie das Land durchritten, staunte wer 
sie sah, und Gunthers Mannen liefen ihnen entgegen, als sie 
zu Worms einzogen. Gastfreundlich wollten sie den Fremden 
die Rosse von dannen führen, die sie am goldfarbenen Zügel 
hielten, der Held aber sprach: „Laßt unsere Rosse stehen, 
denn bald wollen wir wieder von hinnen. Doch sagt mir, wo 
ich Gunther, den mächtigen Burgundenkönig. finde." Man 
wies ihn zu einem weiten Saal, wo der König mit seinen Hel- 
den weilte. Der aber hatte schon die Kunde vernommen, 
daß fremde Ritter in schimmernder Brünne gekommen wären, 
die niemand in Burgundenland kenne. Auch seiner Recken 
keiner vermochte ihm zu sagen, wer so herrlich geritten 
komme. Da sandte er nach Hagen, dem alle Reiche und 
fremden Lande kund waren. „Fürsten sind es oder Fürsten- 
boten, die zu uns kamen", sprach Hagen, als er die Fremden 
vom Fenster aus sah, „schön sind ihre Rosse und herrlich 
ihr Gewand, und von wannen sie auch kommen, es sind Hoch- 
gemute. Noch nie sah ich Sigfrid, doch muß ich glauben, 
daß er der Recke ist, der dort so herrlich geht. Nibelung und 
Schilbung, die kühnen Nibelunge schlug er und erbeutete 
ihren Hort. Ja, es ist der Held, der den Drachen erschlug 
und sich in seinem Blute hörnte. Empfangen wir den Helden 
wohl, denn schlimm ist es, seinen Haß zu verdienen. Manches 
Wunder von Heldentum hat seine Kraft getan." — „Wahr 
magst du reden", erwiderte Gunther, „heldisch steht er wie zum 
Streite gerüstet mit seinem Degen. Laßt uns ihm entgegen- 
gehen". „Ihr tut recht daran", sprach Hagen, „sein Gebaren 
kündet an, daß ihn nicht kleine Absicht zu uns führte". 

Gunther schritt zu Sigfrid: in Zucht empfing er den edlen 
Gast, der neigte sich dem König. „Von wannen, edler Sigfrid, 
kommt ihr in mein Land, und was sucht ihr zu Worms am 
Rheine ?" sprach Gunther. „Das sei euch nicht verschwiegen", 

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sprach Sigfrid, „ich vernahm, bei euch seien die kühnsten 
Recken, die je ein König gewann, das führte mich her. Euch 
selbst aber nennt man den reckenhaftesten der Könige, das 
will ich erproben. Auch ich bin ein Recke und zur Krone 
geboren. Und daß man von mir sage, mit Recht besäße ich 
Krone und Land, dafür will ich meine Ehre und mein Haupt 
zum Pfände setzen. Seid ihr denn also kühn wie euer Ruf 
meldet, so hört: ich will von euch eure ganze Habe erzwingen, 
Burgen und Land, das alles soll mir Untertan werden." 

Mit Staunen vernahmen der König und seine Mannen 
solche Rede, wie sich der Held erdreiste ihm die Lande zu 
nehmen, die sein Vater so lange besessen und die so starke 
Ritterschaft schütze. Sigfrid aber beharrte auf seinem Willen, 
er setzte sein Land und Erbe gegen das Burgundenland: 
beide sollten dem Sieger im Kampfe untertänig sein. So 
kühne Herausforderung erregte in den Burgundenhelden zor- 
nigen Grimm. Gernot fiel Sigfrid heftig in die Rede: „Nicht 
steht uns der Sinn danach, neue Lande zu erobern, daß darum 
Helden tot liegen sollen. Reich sind unsere Lande, und mit 
Recht dienen sie uns, niemand hat ein größeres Anrecht an 
sie." Heftig begehrte Ortwin, mit dem Fremden zu kämpfen, 
und führte er gleich ein ganzes Königsheer mit sich. Hagen 
aber dämpfte der Mannen Zorn — wohl war ihm Sigfrids 
Stärke bekannt — und mahnte zu friedlicher Scheidung, daß 
man den Kühnen zum Freunde gewinne. Gernot verbot 
darauf seinen Recken, Sigfrids Herausforderungen zu folgen, 
und bot dem Helden den Willkommtrunk. Gunther aber 
sprach: „Alles was wir besitzen, sei euch Untertan, richtet 
ihr nur mit Ehren darauf euren Sinn, und teilen wollen wir 
mit euch Leib und Gut." Da sänftigte sich Sigfrids Mut 
und er ließ geschehen, daß man ihn und die Seinen zur Her- 
berge führte und gastlich versorgte. 

Nun weilte Sigfrid in hohen Ehren bei den Burgunden. 
Täglich befliß man sich ritterlicher Kurzweil, doch keiner 
kam Sigfrid dem Helden gleich an Kraft, ob man den Stein 



5 Wolter« U. Petersen, Heldensagen. 




schleuderte oder den Speer schoß. Er aber trug Kriemhild 
im Sinne und dachte darauf, wie er sie mit seinen Augen 
schauen möchte. Kriemhild aber blickte heimlich durch das 
Fenster, wenn man auf dem Hofe Ritterspiele übte, und die 
Minne erwachte in ihrem Herzen. 

Eines Tages kamen Boten von den Königen Lüdiger von 
Sachsen und Lüdegast von Dänemark, daß sie binnen zwölf 
Wochen ins Burgundenland heerfahrten wollten. Da er- 
schrak Gunther und rief seine Brüder und Freunde zum Rat. 
Als Sigfrid die Drohung der Feinde vernommen hatte, hieß er 
Gunther guten Mutes sein. „Ehre und Macht will ich euch 
gewinnen. Hätten eure Feinde dreißigtausend Degen zur 
Hilfe, so wollte ich sie bestehen, und hätte ich auch nur 
tausend/' 

Mit tausend Burgundenmannen, begleitet von Hagen, 
Ortwin und Dankwart, ritt Sigfrid über den Rhein ins Sach- 
senland. In stürmischer Schlacht schlug er die Sachsen, 
fällte Lüdegast und führte Lüdiger als Geisel heim. 

Gernot sandte Boten voraus, den Sieg zu künden. Die 
entbot Kriemhild heimlich zu sich und vernahm von ihnen, 
wie alle im Sturme Heldentum bewährt, aber keiner Sigfrid 
an Kraft und Unerschrockenheit gleiche. Da freute sich 
Kriemhild, daß der junge Held heil der Gefahr entronnen war. 
Mit hohen Ehren empfing König Gunther seine siegreiche 
Schar, gütig grüßte er auch die Geiseln und gab ihnen das 
Versprechen freier Heimkehr, wenn sie Bürgen für den Frie- 
den stellten. Seine streitbaren Mannen lud er über sechs 
Wochen zum Freudenfest gen Hofe. 

Die Burgundenrecken ritten zum Feste an den Rhein, und 
Gunther dachte um Sigfrids willen auch seine Schwester zum 
Feste zu führen. Reiche Gewänder entnahm man den Schrei- 
nen, und hundert Recken und ebensoviel Frauen gab man 
ihr zum Dienst. Die Minnigliche ging aus der Kemenate 
wie das Morgenrot aus trüben Wolken dringt und wie der 
helle Mond vor den Sternen steht, so stand die Schöne vor 

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der Schar ihrer Frauen. Liebe und Leid überfiel da Sigfrid, 
den Helden. Er dachte: „Wie könnte es geschehen, daß 
ich dich besäße? Das ist törichter Wahn. Doch sanfter 
wäre mir der Tod als dich zu lassen." Von solchen Gedanken 
flutete und ebbte das Blut in seinen Wangen. 

Da sprach Gernot zu Gunther: „Viellieber Bruder, nun 
lohnet dem, der euch so willig diente vor allen Recken: heißt 
Sigfrid zu unserer Schwester kommen, daß sie ihn grüße, 
die noch nie einen Recken grüßte: so gewinnen wir uns den 
herrlichen Helden." Als Gunther Sigfrid bat, daß er zu 
Kriemhild gehe, trug er im Herzen Liebe ohne Leid. Mit 
edlem Anstand grüßte die Jungfrau ihn, als er zu ihr trat. 
Sie faßte seine Hände und sprach: „Willkommen seid mir 
Sigfrid, edler Ritterl" Mit liebenden Augen blickten sie sich 
an, und nie mehr zur Sommerszeit und in des Maien Tagen 
ward ihm das Herz so freudenvoll, als da ihn die schöne 
Kriemhild küßte und er Hand in Hand mit der Geliebten ging. 
Kriemhild dankte dem Helden, was er an ihren Brüdern ge- 
tan, er aber versprach den Königen zu helfen so lange er lebe. 

Neue Mär erhob sich am Rheine: Über See saß eine Königin, 
der glich auf der Welt keine Frau an Schöne, doch viel ge- 
waltiger noch war ihre Kraft. Wer sie gewinnen wollte, der 
mußte sie in drei Kampf spielen besiegen: den Speer mußte 
er schießen, den Stein mußte er schleudern und sich im Sprunge 
ihm nachschwingen. Wer darin der Königin unterlag, hatte 
sein Haupt verwirkt. Am Rheine vernahm das König Gun- 
ther, der wandte seinen Sinn auf die Schöne und wollte den 
Leib daran wagen, sie zu gewinnen. Sigfrid widerriet es ihm: 
„Schrecklichen Brauch hat die Königin", sprach er, „wer 
um sie wirbt, dem kommt es hoch zu stehen. Da ihr begehrt, 
sie mit eurer Hand zu bezwingen, so kennt ihr nicht ihre 
Stärke: vier gleich euch vermöchten nicht vor ihrem grimmen 
Zorn zu bestehen." Gunther aber wollte bei seinem Vorsatz 
bleiben, wenn Sigfrid ihm helfe. Der antwortete: „Gibst du 
mir Kriemhild, deine Schwester, so will ich dir helfen." 

5* 

67 S 



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Das gelobte Gunther, und mit Eiden befestigten die Recken 
diesen Bund. I Sigfrid aber vertraute der Tarnkappe, die er 
einst dem Zwerge Alberich abgewann, als er den Nibelungen- 
hort erstritt. 

Auf Sigfrids Rat ließ Gunther seine Mannen daheim. ,,Nach 
Reckenweise", riet er, „fahren wir den Rhein zu Tal. Gunther, 
selbviert sollt ihr die Frau erwerben. Ich will einer eurer Ge- 
sellen sein, Hagen sei der andere und Dankwart der dritte." 

Herrliche Gewände aus arabischer Seide, so weiß wie 
Schnee, und mit Kleinoden übersät hieß Kriemhild den vier 
Recken rüsten. Als alles gerüstet war, stiegen die Gesellen 
zu Schiff, Sigfrid aber, dem die rechten Wasserstraßen wohl 
bekannt waren, ernannten sie zum Schiffmeister. Ihn bat 
Kriemhild beim Scheiden, daß er sich ihren Bruder befohlen 
sein lasse. Er versprach, ihn gesund an den Rhein zu bringen. 

So fuhren die kühnen Heergesellen den Rhein hinab, vor 
gutem Winde gelangten sie zum Meere. Am zwölften Morgen 
aber trug sie der Wind zum Isensteine,' der ragenden Burg 
in Brünhilds Land, das Sigfrid allein erkannte. „Dies ist 
Brünhilds Land", rief er, „und Isenstein heißt die Veste. 
Nun rate ich euch Helden: seid eines Mutes und gleicher Rede.' 
Wenn wir noch heute vor Brünhild treten, so müssen wir mit 
Sorgen vor ihr stehen. Nur einer rede vor ihr. Gunther gelte 
als mein Herr und ich sei sein Mann." 

Als die vier Helden ans Land stiegen, zog Sigfrid des Königs 
Roß auf den Sand und hielt es am Zaume, bis Gunther im 
Sattel saß. Allen vier Degen waren die Rosse und Kleider 
gleichermaßen von schneeblanker Farbe, gleich waren auch 
die Schilde, die ihnen vor den Händen leuchteten. Scharf 
und breit waren ihre Speere und Schwerter. So ritten die 
Helden zur Burg. 

Vom Fenster der Halle hatte Brünhild die Ankunft der 
Helden gesehen. Sie fragte ihre Frauen, wer die fremden 
Recken seien und was sie wohl herführe. Und eine erwiderte: 
„Keinen von ihnen sah ich je, einer aber steht unter ihnen, 

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der Sigfrid gleicht, den empfanget wohl. Der andere der Ge- 
sellen hat königliches Gebaren, der mag über weite Lande 
gebieten. Der dritte schaut düster drein, er scheint von 
grimmem Mute, j der jüngste aber steht in edler Haltung, • 
doch scheint auch er furchtbar, wenn er zu zürnen beginnt." )' 
Da sprach die Königin: „Nun bringt mir mein Gewand. Ist 
Sigfrid hergekommen, daß er mich gewinne, so kostet es ihn 
das Leben. | Ich kenne meine Stärke zu gut, als daß ich fürch- 
ten müßte, sein Weib zu werden." M 

Von ihren Frauen und Recken umgeben, schritt Brünhild 
den Gästen entgegen. Sie sprach: ,,Seid willkommen, Sigfrid, 
was meint eure Reise?" Der erwiderte: „Zu groß ist die 
Gnade, Frau Brünhild, daß ihr mich grüßt vor diesem Recken, 
der mein Herr ist. Er ist am Rheine König und kam, euch 
zu gewinnen. ; Gunther heißt der Hehre, der eurer Minne 
begehrt, er gebot mir herzufahren, und ich durfte es ihm nicht 
weigern." Da wunderte sie sich, daß Gunther der Herr und 
Sigfrid sein Mann sei, und sagte jenem die hohen Bedingungen 
des Waffenspiels, durch das er sie gewinnen oder sein Leben 
verlieren möge. Heimlich spornte Sigfrid des Königs Mut 
und versprach, ihn wohl zu behüten. Da willigte Gunther in 
die Bedingungen der Königin. 

Während sie ihr Waffenhemd aus Seide anlegte, eilte 
Sigfrid zum Schiffe und schlüpfte in die Tarnkappe. Un- 
gesehen kam er auf den Platz, wo Brünhild ihr Spiel ordnete. 
Wie zu schwerem Streit gerüstet trat die Hehre in den Ring. 
Mit Mühe trugen vier Kämmerer den gewaltigen Schild, der 
mit Buckeln beschlagen und drei Spannen dick war. Als 
Hagen ihn sah, sprach er: „Was nun, König Gunther? Wir 
verlieren Leib und Leben. Die ihr zur Minne begehrt, ist 
wohl des Teufels Weib." Dann brachte man einen gewaltigen 
eisernen Speer, stark und ungefüge, breit und scharf war er, 
und sein Anblick erfüllte Gunther mit Sorgen. „Wär ich 
lebend im Burgundenland," so dachte er, „so sollte Brünhild 
meiner Minne ledig sein." Hagen und Dankwart, voll Furcht, 

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daß ihr König vor einem Weibe erliege, forderten mit Un- 
gestüm ihre Waffen, die man ihnen beim Eintritt in die Burg 
genommen hatte. Lächelnd über die Achsel blickend gewährte 
es ihnen Brünhild. Zum dritten brachte man der Königin 
in den Ring einen ungeheuren Stein, den trugen kaum zwölf 
Recken. Da wurde der Burgunden Sorge groß. Aber Sig- 
frid rührte heimlich Gunthers Hand und sprach, als er ver- 
wundert um sich schaute: „Ich bin's, dein treuer Freund. 
Sei ohne Sorge! Gib mir den Schild, daß ich ihn trage. Mache 
du die Gebärde im Kampf spiel, die Werke will ich tun. Doch 
hehle immer und vor allen meine List, so soll Brünhild an 
dir keinen Ruhm erjagen." 

Da schoß die Maid den Ger auf den neuen und starken 
Schild, den Sigfrid hielt. Vom Stahl sprang das Feuer, als 
stieße der Wind in die Flammen, ganz wurde der Schild durch- 
brochen und lohend sprang das Feuer aus den Panzerringen. 
Beide Männer strauchelten, und wäre die Tarnkappe nicht 
gewesen, sie hätten beide tot gelegen. Doch schnell erholte 
sich Sigfrid, er griff den Ger und warf ihn zurück. Gewaltig 
stob das Feuer unter seinem Schuß. Solchem Anprall konnte 
die Maid nicht stehen. Doch schnell sprang sie wieder auf 
und rief zornig aus: „Dank für den Schuß, König Gunther!"!' 
Nun hob sie den Stein und schwang ihn kräftig aus der Hand,' 
dem Wurfe sprang sie nach, daß ihr Waffenkleid erklang.] 
Zwölf Klafter weit flog der Stein, doch weiter noch trug der 
Sprung die Jungfrau. Als Siegfried aber den Stein schleuderte, 
den Gunther in der Hand wog, da flog er weiter denn zuvor, 
und weiter auch sprang der Held, den König im Sprunge mit 
sich tragend. Da ward Brünhild rot vor Zorn, Sigfrid aber 
hatte den Tod vom Könige abgewehrt. 

Zu ihrem Gesinde sprach die Königin: „Tretet näher, meine 
Magen und Mannen, alle sollt ihr dem König Gunther Unter- 
tan sein." Da ergaben sich der Königin Untertanen dem 
Herrscher aus Burgundenland. Hagen und Dankwart aber 
waren voller Freuden. 

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Brünhild führte Gunther in die weite Halle, . Sigfrid aber 
eilte zum Schiff, um die Tarnkappe wieder zu bergen.] Zurück- 
gekehrt, stellte er sich, als erwarte er noch den Beginn des 
Kampfspieles, und als Brünhild ihn argwöhnisch fragte, warum 
er das Spiel nicht gesehen habe, das Gunther gewonnen, 
sprach er: „Ich säumte bei den Schiffen, so entging mir das 
Spiel. Doch freut mich die Kunde, daß nun einer eures 
Hochmuts Meister ward. Nun müßt ihr uns folgen an den 
Rhein." " 

Traurig bestellte Brünhild ihr Land. < Zwanzig Schreine 
ließ sie mit Gold füllen, | daß sie zu Worms spenden könne, 
und zweitausend Mannen folgten ihr ins Burgundenland und 
viele Frauen. So räumte sie ihr eigen Land und verließ ihre 
Freunde. Nie sah sie ihr Vaterland wieder. 

Unter mancherlei Kurzweil verging die Fahrt, doch wollte 
Brünhild ihren Herrn nicht minnen, ehe sie in sein Haus ge- 
kommen wäre. 

Neun Tage hatte die Reise gewährt, da sandte der König 
Sigfrid nach Worms voraus, daß er den Frauen den Ausgang 
der Fahrt und die nahe Ankunft des Paares künde. Hoch- 
erfreut über das glückliche Ende der gefährlichen Fahrt 
empfing ihn Kriemhild, und fröhlich rüstete man den Empfang 
und das Hochzeitsfest, wie Gunther es begehrt hatte. 

Am Ufer des Rheines stand die Schar der Burgunden fest- 
lich geschmückt, als die Schiffe landeten. Liebevoll empfing 
Kriemhild die hohe Frau und hieß sie im Burgundenland 
willkommen sein. 

Unter schattigen Zelten saßen die Frauen, als das Kampf - 
spiel anhob. In den Zelten aber war viel Kurzweil der Ritter 
und Frauen. Als der kühle Abend sank, begaben sich alle 
zum Palast, wo das Mahl gerichtet war. Brünhild trug die 
Krone, als sie mit Gunther zu Tische ging. Bevor aber der 
König das Mahl begann, trat Sigfrid zu ihm heran und sprach: 
„Gedenkt, was eure Hand mir schwor: wenn Frau Brünhild 
in euer Land käme, so gäbt ihr mir eure Schwester zum Weibe. 

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Vergaßt ihr eure Eide, nachdem ich eure Reise mit harter 
Mühe zu glücklichem Ende führte?" — „Nicht werde meine 
Hand meineidig", sprach Gunther. Er ließ Kriemhild rufen 
und, sprach zu ihr: „Liebe Schwester, um deiner Tugend 
willen löse meinen Eid. Ich schwor dich einem Recken zu, 
ihn sollst du zum Manne nehmen." Kriemhild versprach 
zu tun, wie er gebiete. Da führte er Sigfrid zu ihr, und im 
Ringe der Burgunden gelobten sich Sigfrid und Kriemhild 
einander und befestigten den Bund mit Küssen. 

Dem Königspaare gegenüber stellte man den Vermählten 
die Sessel. Als aber Brünhild Sigfrid den Helden vor sich 
mit Kriemhild sitzen sah, durchfuhr sie ein bitteres Weh, 
und sie begann heftig zu weinen, daß heiße Tränen über ihre 
Wangen flössen. 

Da sprach Gunther: „Was ist euch, Herrin, was trübt eurer 
hellen Augen Schein? Freut euch, da mein Land und meine 
Burgen euch Untertan sind." — „Wohl mag ich weinen", 
sprach die Maid, „um deine Schwester, die ich bei deinem 
Eigenholden sitzen sehe. Immer muß mich betrüben, daß 
sie so feü dahingegeben wurde." — „Schweigt still", sprach 
Gunther, „zu anderer Zeit will ich euch sagen, warum ich 
Sigfrid meine Schwester gab." — „Mich jammert ihreJSchöne 
und Zucht", sprach Brünhild, „und wüßte ich wohin, so 
möchte ich von hier fliehen, daß ich euch nimmer meine 
Liebe genießen ließe, bis ich wüßte, warum Kriemhild Sig- 
frids Gattin sei." Da sprach Gunther: „So wisset: Sigfrid 
hat Burgen und weites Land gleich mir und ist einjnächtiger 
König, wohl geziemt ihm Kriemhilds Minne." Solche 
Rede erhellte der Königin nicht den trüben Sinn. Der König 
aber gedachte das Fest zu beenden, daß er endlich seines 
schönen Weibes froh werde. 

Festlich geleitet begaben sich die beiden Paare in ihre 
Kammern. Sigfrid lag froh bei der schönen Kriemhild. Als 
aber Gunther die Brünhild liebend umfangen wollte, sprach 
sie zornig: „Laßt ab, edler Ritter, nicht soll euer Wunsch an 



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mir ergehen, ich will noch Jungfrau bleiben bis ich erfahre, 
wie es mit Sigfrid bewandt ist." Da rang Gunther mit ihr 
und zerriß ihr Gewand. Brünhild aber griff nach ihrem Gürtel ; 
und band dem König Hände und Füße/) trug ihn zu einem 
Nagel und hing ihn an die Wand,, daß er ihren Schlaf nicht 
störe. Unbekümmert um sein Flehen ließ sie ihn in Qualen 
hangen bis an den lichten Morgen. Dann löste sie ihn auf 
seine Bitten, daß nicht die Kämmerer ihn von Weiberhand 
gebunden fänden. 

Gunther klagte Sigfrid am Tage die Schmach und Schande 
dieser Nacht. Da versprach der junge Held ihm seine Hilfe 
gegen den Trotz der Brünhild. „In meiner Tarnkappe will 
ich heute zu eurer Kemenate kommen. Wenn den Knaben 
die Lichter in der Hand erlöschen, so wisse, daß ich gekommen 
bin. Dann zwinge ich dir dein Weib." — „Gern bin ich damit 
zufrieden", sprach Gunther, „nur nimm sie nicht zu eigen, 
sonst aber tu ihr nach deinem Willen — und nähmest du 
ihr das Leben, so wollt ich es verschmerzen." Und auf seine 
Treue versprach Siegfried, sie nicht zu berühren. 

Abends trat er ungesehen in Gunthers Gemach und löschte 
die Lichter. Lieb und leid ward dem König/ als nun Siegfried 
das wilde Spiel mit Brünhild begann. Lange währte der 
Kampf, und Sigfrid kam in schwere Not. Endlich aber er- 
lahmte der Jungfrau die Kraft, er zwang sie so gewaltig, 
daß sie um Schonung bat und versprach, ihm zu Willen zu 
sein. Sigfrid zog ihr unvermerkt einen Ring vom Finger und 
nahm ihr im Übermut des Siegers ihren Gürtel. Beides gab 
er Kriemhild und erzählte ihr später das Abenteuer. Gunther 
aber nahm den Platz Sigfrids bei Brünhild ein, und die Jung- 
frau ergab sich ihm. Da schwand ihr die unbändige Kraft, 
und es blieb ihr nur die Stärke eines anderen Weibes. 

Nachdem das Hochzeitsfest bis zum vierzehnten Tage 
gedauert hatte, reisten Sigfrid und Kriemhild heim nach 
Niederland, wo sie die Kronen trugen. Sigfrid war reicher 
und mächtiger als je ein Held. Zehn Jahre herrschte er 

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mit Kriemhild über die Länder, und sie gebar ihm einen 
Sohn. 

Zu Worms grübelte Brünhild alle Zeit über dem Geheim- 
nis, wie hoch sich Frau Kriemhild brüste, obwohl Sigfrid 
doch Gunthers Mann sei: „Wie mag es geschehen", sprach 
sie bei sich, „daß der Eigenholde König Gunthers sich so lange 
des Dienstes entschlägt?" Heimlich drang sie in Gunther, 
er möge Sigfrid zu sich entbieten, denn es verlange sie, die 
schöne Kriemhild wiederzusehen. Der sprach: „Zu fern sind 
unsere Lande, um so weite Fahrt darf ich sie nicht bitten." 

— „Muß denn nicht eines Königs Mann tun, was ihm sein 
Herr gebietet, wie mächtig er auch selber wäre?" sprach 
Brünhild. Über solche Reden lächelte Gunther, gedenkend, 
wie wenig Sigfrid ihm Untertan sei. Doch Brünhild bat ihn 
so lange, daß er nach Sigfrid und Kriemhild sende, bis er ein- 
willigte, sie zu einem Hoffeste gastlich zu laden. Er ließ 
das Königspaar zur Begehung des Sonnenwendfestes an den 
Rhein entbieten. Voll Freude empfing Kriemhild die Boten 
ihrer Brüder. Auch Sigfrid vernahm gern die Kunde, daß 
die Könige am Rheine nach ihm Verlangen trügen. Bald 
war die Reise beschlossen, und geleitet von tausend Recken 
brachen sie auf. 

Ehrenvoll empfing Brünhild die Gäste, wie sie einst von 
Kriemhild empfangen ward, als Gunther sie ins Land führte, 
voll Freude grüßten die Könige Sigfrid. Unter Kampfspiel 
und festlichem Mahle verging der Tag. Brünhild gedachte, 
daß nie ein Eigenholder reicher und prächtiger sein könne 
als Sigfrid mit seinen tausend Recken. Da freute sie sich 
über Gunthers Macht und war den Gästen noch in ihrem 
Herzen gewogen. 

Als aber am elften Tage die Königinnen zusammen dem 
Ritterspiele zuschauten, sprach Kriemhild: „So herrlich ist 
mein Gemahl, daß all diese Lande ihm Untertan sein sollten." 

— „Wie könnte das sein", sprach Brünhild, „lebte niemand 
als du und er, so möchten ihm wohl die Lande gehören. 

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Nun aber lebt Gunther doch!" — „Sieh ihn an, wie er da 
steht", sprach Kriemhild, „wie er unter den Recken hervor- 
leuchtet, so wie der lichte Mond vor den Sternen. Darum 
bin ich mit Recht so frohgemut." — „Dennoch gebührt 
Gunther vor allen Königen der Vorrang", sprach Brünhild, 
und als Kriemhild dem nicht beistimmte und Sigfrid Gun- 
thers ebenbürtigen Genossen nannte, fuhr sie fort: „Verarge 
mir mein Wort nicht, denn damals, als mein Herr so ritterlich 
mir meine Minne abgewann, hörte ich Sigfrid selbst sich 

■ 

Gunthers Eigenmann nennen. 11 — „So wäre mir übel ge- 
schehen", sprach Kriemhild, „wenn mich meine Brüder einem 
Eigenmanne gegeben hätten. Ich bitte dich Brünhild, laß 
solche Rede." — „Nicht lasse ich die Rede", entgegnete 
Brünhild, „und will nicht auf einen Ritter verzichten, der uns 
mit seinem Degen zu Dienst verpflichtet ist." — „Und doch 
wirst du auf seinen Dienst verzichten müssen", sprach Kriem- 
hild, „denn edler ist er als Gunther, mein Bruder. | Auch nimmt 
mich wunder, wenn Sigfrid dein Eigenmann ist, daß er dir 
so lange den Zins versagte." — „Zu hoch fliegt dein Sinn", 
sprach Brünhild, „nie werden dir solche Ehren zu teil wie mir." " 
— „Da du meinen Gemahl dein Eigen nanntest",' erwiderte 
Kriemhild, „so sollen heute beider Könige Mannen Zeugen 
sein, wie ich, die unfreie Magd, vor Gunthers Weibe in die 
Kirche schreite. So wirst du erkennen, daß ich von freiem 
Adel, mein Gemahl aber edler ist als deiner." In Zorn schie- 
den die Frauen voneinander. 

Zur Messe schritt Kriemhild nicht wie sie pflegte mit Brün- 
hild, sondern allein mit der Schar ihrer Dienerinnen, die 
sie Brünhild zum Trotz herrlicher denn je zuvor geschmückt 
hatte. Vor dem Münster traf sie auf Brünhild und ihre Schar. 
Die Burgundenkönigin hieß Kriemhild stehenbleiben: „Vor 
eines Königs Weibe soll nicht die Eigenholde gehen." — 
„Hättest du geschwiegen", rief Kriemhild, „es wäre dir besser 
gewesen. Du selber hast dich selbst geschändet: wie konnte 
eines Mannes Kebse je eines Königs Weib werden?" — 




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„Schiltst du mich eine Kebse?" sprach Brünhild. „Das tu 
ich*', erwiderte Kriemhild, „deinen schönen Leib erkannte 
als erster Sigfrid, mein Gemahl. Nicht Gunther war es, der 
dir dein Magdtum abgewann. Welcher Trug befing deine 
Sinne, daß du dem deinen Leib gewährtest, der dein Knecht 
ist?" — „Fürwahr", sprach Brünhild, „das will ich Gunther 
sagen." — „Was soll mich das verdrießen?" sprach Kriem- 
hild, „dein Übermut hat dich verblendet und meine Freund- 
schaft hast du für immer verloren." 

Weinend stand Brünhild da, aber Kriemhild zögerte nicht 
länger und schritt vor ihr ins Münster. 

Nach der Messe erwartete Brünhild ihre Widersacherin vor 
dem Münster, ihr war das Herz voll Leid und Trauer. Über 
die maßlose Beschimpfung, die sie ihr angetan, verlangte die 
Königin mehr von Kriemhild zu hören. Diese hob den gol- 
denen Ring an ihrem Finger hoch, den einst Sigfrid von 
Brünhilds Hand streifte, und sprach: „Den brachte mir mein 
Liebster, als er damals von euch kam." Erbleichend erkannte 
die Königin den Ring, doch rief sie: „Nun kenne ich den Dieb, 
der mir einst meinen Ring stahl." — „Dieb sollst du mich 
nicht heißen", sprach Kriemhild, „hier dieser Gürtel, den ich 
trage, bezeugt dir, daß ich nicht lüge: Sigfrid war einst dein 
Mann." 

Als die Königin den Gürtel erkannte, brach sie in Schluch- 
zen aus, sie begann nach Gunther zu rufen und klagte ihm, 
wie Kriemhild sie geschmäht und sie Sigfrids Kebse genannt 
habe: „Hier trägt sie Gürtel und Ring, die ich längst verlor. 
Weh! daß ich geboren ward, wenn du König mich nicht von 
dieser Schande reinigst." — „Übel hat Kriemhild getan", 
sprach Gunther, „von Sigfrid selber wollen wir hören, ob er 
sich solcher Tat gerühmt hat oder es leugnet." Als Sigfrid 
kam und Gunther ihm seines Weibes Klage gesagt hatte, 
rief der Held: „Hat Kriemhild das gesagt, so soll es ihr leid 
werden. Dir, Gunther, aber will ich es mit hohen Eiden vor 
deinen Mannen schwören, daß ich ihr solches nie sagte." 



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Da schlössen die Burgunden den Ring. Darin hob Sigfrid 
zum Eide die Hand und bekräftigte sein Wort. Gunther 
sprach ihn vor den Mannen aller Schuld ledig, der ihn Kriem- 
hild geziehen hatte. 

In schwerer Trauer ging Brünhild dahin und weckte der 
Burgunden Mitleid. Zu seiner Herrin kam Hagen und fragte, 
was sie so sehr betrübe. Als er die Mär vernahm, gelobte 
er, daß Kriemhilds Gemahl diese Schande büßen solle, sonst 
wolle er nicht mehr fröhlich sein. 

Er beriet mit Gunther den Tod des Helden. Zu diesem 
Rat kamen Ortwin und Gernot, zuletzt auch der junge 
Giselher. Der sprach: „Ihr guten Recken, wie mögt ihr 
solches tun? Nicht verdient Sigfrid solchen Haß, daß er 
darum das Leben verlieren sollte. Um Tand zürnen Weiber." 
— „Sollen wir Gäuche aufziehen'*, rief da Hagen, „wenig 
Ehre brächte es uns. Daß er sich der Gunst meiner Herrin 
gerühmt hat, dafür setze ich mein Leben ein, oder es kostet 
ihn das seine." Gunther aber sprach: „Nur Heil und Ehre 
hat uns Sigfrid gebracht — wir wollen ihn leben lassen. 
Wie sollte ich dem Recken Haß tragen, der uns stets getreu 
war?" 

Aber Hagen lag Gunther zu allen Stunden an, daß Sigfrids 
Macht sie alle in Schatten stelle: wenn Sigfrid nicht mehr 
lebe, so würden ihm großer Ruhm und der Reichtum der 
Nibelungen zufallen. Da begann Gunther zu trauern. „Laßt 
doch die Mordgier fahren", sprach er, „zu Glück und Ehren 
ist uns Sigfrid geboren. Auch ist der Kühne von so grimmer 
Stärke, daß ihn niemand besteht." — „Seid ohne Sorgen", 
sprach Hagen, „ich getraue mir es heimlich zu vollbringen. 
Brünhilds Weinen soll sein Verderben sein." — Hagen riet, 
man solle falsche Boten bestellen, die den Einfall feindliche- 
Könige meldeten, und Gunther solle eine Heerfahrt ber 
schließen, von der werde Sigfrid nicht zurückbleiben. „Dann 
will ich", rief er, „von Kriemhild die Kunde erlangen, deren 
ich bedarf." Zu schlimmem Geschick folgte Gunther dem 




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Rate Hagens. So ward zweier Frauen Zank manchem Helden 
zum Verderben. 

Am vierten Morgen danach ritten Boten in Worms ein, 
die kündigten Gunther von Lüdeger Fehde an. Sigfrid erriet 
den Meinrat nicht, den man ersonnen. Er fand Gunther und 
seine Mannen raunend gehen. Auf seine freundliche Frage 
meldete ihm der König seine Sorge vor dem Einfall der Feinde. 
Gleich erbot sich Sigfrid, mit seinen tausend Recken allein 
den Feinden entgegenzureiten und diesmal nicht abzulassen, 
bis deren Burgen und Lande wüste lägen. Dafür setzte er 
sein Haupt zum Pfände. Der König stellte sich hocherfreut 
über solches Erbieten. Tief neigte sich voll Falschheit der 
Ungetreue. 

Nun rüstete Sigfrid voll Eifer die Heerfahrt. Am Tage 
vor dem Ausritt ging Hagen zu Kriemhild. „Wohl mir", 
sprach da Kriemhild, „daß ich einen so tapferen Mann gewann, 
der meine Freunde zu schützen vermag. Stets diente ich 
euch gern, Freund Hagen, nie trug ich euch Haß. Dessen 
gedenket nun und schützet meinen Gemahl. Laßt ihn nicht 
entgelten, was ich Brünhilden tat, längst gereute es mich." 
— „Wie aber kann ich eurem Manne dienen?" sprach da 
Hagen, „besorgt ihr, daß man ihn verwunde, so laßt mich 
wissen, wie ich ihn hüte." Da erzählte Kriemhild dem Fal- 
schen, wie einst, als Sigfrid den Linddrachen erschlug und 
er in seinem Blut sich badete, um sich zu hörnen, ein Linden- 
blatt ihm zwischen die Schultern fiel. „Die Stelle blieb ver- 
wundbar, das schafft mir schwere Sorge. Mit solchem Wort 
ergeb ich mich in deine Gnade, Hagen, nun halte mir deine 
Treue." Der bat, daß Kriemhild ein kleines Zeichen auf 
Sigfrids Gewand nähe, damit er wisse wo die verwundbare 
Stelle sei, die er im Sturme beschützen wolle. Das sagte sie 
zu. So ward Sigfrid durch Hagens Untreue verraten. Nie 
wieder wird ein Recke solche Meintat begehen, wie Hagen tat, 
als sich Kriemhild seiner Treue versah. 

Am andern Morgen brach Sigfrid mit seinen Recken auf. 



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Als Hagen das Zeichen auf Sigfrids Rücken erspäht hatte, 
sandte er Boten, die Gunther den Frieden des feindlichen 
Königs ansagen sollten. Da dankte Gunther mit freundlichem 
Wort Sigfrid für seinen bereiten Willen. Immer wolle er 
ihm dienen und vor allen Freunden ihn ehren. Auf Hagens 
Rat lud der König, da sie nun der Heerfahrt ledig waren, 
seine Mannen zu einer Jagd im Wasgenwalde, und Sigfrid 
war gern bereit, mit den Burgunden zu reiten. Giselher 
und Gernot blieben daheim, doch warnten sie den Helden 
nicht. 

Vom Schall der Jagd erhallte nun Wald und Berg, und viel 
Tiere mußten das Leben lassen. Als Gunther die Jagd Ver- 
blasen ließ, sammelten sich die Jäger auf einem vorbestimmten 
Wiesenplan.,; 

Beim Mahle riefen die Jäger nach Wein. Hagen aber 
hatte den Wein in den Spessart gesandt, als habe er geglaubt, 
dort solle das Pirschen sein. Doch wies er den Durstigen 
am Waldrand einen kalten Bronnen, der unter einer schat- 
tigen Linde aus dem Berg floß. Er riet, daß man durch einen 
Wettlauf zum Quell der Recken Schnelligkeit erprobe. Dazu 
war Sigfrid gleich bereit, j Keinen Verrat argwöhnte der 
Kühne, dessen Tod schon beschlossen war. Im vollen Pirsch- 
gewand, beschwert mit allen Waffen,' rüstete er sich zum 
Lauf, 'während Gunther und Hagen sich der Waffen und der 
Gewände entledigten. Wie wilde Pardel liefen sie durch den 
Klee, dennoch erreichte Sigfrid in seiner schweren Waffen- 
rüstung den Quell früher als die Ledigen. Die Waffen tat 
er von sich und lehnte sie an den Stamm der Linde, doch 
ließ er Gunther den ersten Trunk. Als dieser sich ersättigt 
hatte und Sigfrid sich zur Quelle neigte, trug Hagen des 
Helden Waffen abseits, dann ergriff er den Speer, ersah das 
Zeichen an Sigfrids Gewand und stieß ihm den Speer hinter- 
rücks in das Herz, daß das Blut hoch aufsprang. In wildem 
Laufe floh Hagen von dannen, wie er noch nie vor einem 
Manne floh, als Sigfrid, den Speerschaft im Rücken, vom 

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Quell wild aufsprang und nach seinem Schwerte griff. Als 
er es nicht fand, eilte er mit dem Schilde dem Fliehenden nach, 
und, obgleich zum Tode wund, schlug er ihn zu Boden, daß 
das Gestein vom Schilde sprang und der Plan vom Schall 
erdröhnte. Doch mit dem Tod auf dem Antlitz sank der Held 
in die Blumen und sprach zu seinen Mördern: „Weh, ihr 
feigen Gesellen, nun habt ihr mich, euren Schwertbruder, 
erschlagen, der euch so treu gedient hat. Übel tatet ihr an 
euren Freunden, die durch solchen Verrat für immer in 
Schande leben. Geschieden seid ihr nun von allen guten 
Recken." 

Da liefen die Mannen herbei und beklagten den Gefällten. 
Auch Gunther bejammerte Sigfrids Tod. ; Der aber sprach: 
„Es tut nicht not, daß der über den Schaden weint, der ihn 
selbst getan." ! Hagen aber sprach: „Nicht weiß ich, warum 
ihr klagt, da nun all unsere Sorge und Leid ein Ende hat. ' 
Niemand gibt es nunmehr auf Erden, der uns besteht. Wohl 
mir, daß ich seiner Übermacht ein Ende setzte." — „Leicht 
rühmt ihr euch," sprach Sigfrid, „doch hätte ich euern Mord- 
sinn erkannt, so hätte ich vor euch wohl mein Leben gewahrt. 
Erbarm es Gott, daß ich je einen Sohn gewann! Dessen Ehre 
ist für immer dahin, da seine Verwandten einen Mann meuch- 
lings erschlugen. Ihr aber, König Gunther, wollt ihr euch 
je auf der Welt noch jemandem treu bewähren, so laßt eurer 
Gnade mein Weib befohlen sein. Schweres Leid habt ihr der 
Armen getan." 

Rot waren rings die Blumen vom Blute des Helden, der 
mit dem Tode rang. Als sein Leben entflohen war, legten 
ihn seine Mörder auf einen Schild und berieten, wie man 
Hagens Tat verhehle. Man riet, der Kriemhild zu sagen, 
den einsam Reitenden hätten im Walde Räuber erschlagen. 
Hagen aber sprach: „Ich bringe ihn nach Worms. Nicht 
kümmert mich, ob meine Tat der Kriemhild bekannt wird, 
die Brünhild so schwer kränkte. Mag sie weinen, das achte 
ich gering." 

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■ « • 



Nachts fuhren sie mit ihrer grimmen Jagdbeute heim. 
Ihr wilder Übermut hieß sie noch gräßlichere Rache nehmen: 
Hagen befahl, den Erschlagenen vor Kriemhilds Kemenate 
zu legen. Als vor Tagesgrauen der Kämmerer kam, die 
Königin zur Messe zu führen, sah er den Toten liegen, doch 
erkannte er ihn nicht. Er sagte ihr, daß vor ihrer Tür ein 
erschlagener Ritter liege. Gleich gedachte sie der verräteri- 
schen Frage Hagens. Wortlos sank sie zu Boden, dann drang 
ein Schrei aus ihrem Munde, daß die Kemenate erdröhnte. 
Sie rief: „Das ist Sigfrid, mein Gemahl! Brünhild riet die 
Tat und Hagen vollbrachte sie." Sie schritt zum Leichnam und 
hob sein Haupt. Sie erkannte es, ob es gleich blutberonnen 
war, und rief voll Jammer: „Weh meines Leides! Nicht ist 
dein Schild von Schwertern zerhauen. Du liegst meuchlings 
erschlagen. Bin ich gewiß, wer es tat, so sinne ich ihm den 
Tod/« 

Mit Tagesanbruch ließ sie Sigfrid zum Münster bringen. 
Umringt von klagendem Volke und weinenden Mannen stand 
die Leidvolle an der Bahre, als Gunther und Hagen nahten. 
Der König sprach zu Kriemhild: „Vielliebe Schwester, weh 
deines Leides! Immer müssen wir Sigfrids Tod beklagen." 
— „Trügt ihr darum Leid", sprach Kriemhild, „so wäre es 
mmmer geschehen. Besser wäre mir, ich läge selber tot, 
als daß ich so grausam von meinem Herrn geschieden ward." 
Gunther und Hagen leugneten den Mord. Da gebot ihnen 
Kriemhild, zur Bahre zu treten. Als Hagen herantrat, begann 
die Wunde von neuem zu fließen. Dennoch sprach Gunther: 
„Ihn erschlugen Räuber, Hagen hat es nicht getan." — „Wohl- 
bekannt sind mir die Räuber", sprach das Weib, „Gott ge- 
währe seinen Freunden Rache: Gunther und Hagen, ihr seid 
die Mörder." Da kamen Gernot und Giselher, beklagten auf- 
richtig den Toten und suchten die gramvolle Königin zu 
trösten, sie aber konnte niemand trösten. 

Man legte Sigfrid in einen reichgeschmückten Sarg. Vier 
Tage saß Kriemhild mit ihren Getreuen bei der Leiche. 

6 Wolters u . Peteisea, Heldensagen. 

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Als man Sigfrid zu Grabe getragen hatte, lag Kriemhild 
drei Tage gleich einer Toten und wies Speise und Trank 
von sich. 

Dennoch ließ sie sich von ihren Brüdern Gernot und Giselher 
bereden, am Hofe zu Worms zu bleiben. Als Sigfrids Recken 
vernahmen, daß ihre Königin nicht in ihr Land zurückkehren 
wolle, ritten sie in traurigem Zuge von dannen. Brünhild 
aber genoß übermütig ihre Rache. Nicht grämten sie Kriem- 
hilds Tränen. 

Vier Jahre saß Kriemhild freudelos zu Worms, sie sprach 
mit Gunther kein Wort und sah Hagen nie. Da riet Hagen 
dem König, sich mit seiner Schwester zu versöhnen, damit 
man den Goldhort der Nibelungen ins Land brächte. Lange 
verweigerte Kriemhild die Versöhnung: „Hätte der Mörder 
mich nicht überlistet, daß ich selbst ihm die Stelle verriet, 
wo Sigfrid verwundbar war", sprach sie, „so ließe ich wohl 
mein Weinen. Nun werde ich Gunther und Hagen nimmer 
hold." Auf Gernots Bitten aber war sie endlich bereit, König 
Gunther zu grüßen. Unter Tränen ward die Sühne vollzogen. 
Allen verzieh Kriemhild, nur Hagen, dem Mörder, nicht. 

Danach ließ Kriemhild den Nibelungenhort ins Land holen. 
Gernot und Giselher ritten zu der Stelle, wo er unter Alberichs 
Schutz verborgen lag. Alberich enthielt ihnen den Schatz 
nicht vor, den Sigfrid seiner Gemahlin zur Morgengabe ge- 
schenkt hatte, und sie führten ihn nach Worms. 

Als Kriemhild den Hort in Händen hatte, lockte der Ruf 
ihres Reichtums manchen guten Recken herbei, und ihre 
Milde schuf ihr viele Freunde. Da fürchtete Hagen, sie werde 
mit dem Hort sich so viel Mannen werben, daß ihnen Gefahr 
daraus erwachse. „Nicht soll ein weiser Mann", so sprach 
er zu Gunther, „einem Weibe so große Schätze lassen. Es 
mag die Burgunden sonst gereuen." Gunther aber sprach: 
„Ich schwor ihr, nie wolle ich ihr wieder ein Leid tun. Den 
Eid will ich nicht brechen." Hagen aber sprach: „So will 
ich der Schuldige sein." 

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So nahmen sie der Freudelosen ihr Gut, und Hagen ergriff 
Besitz vom Horte. Während die drei Könige auf Heerfahrt 
zogen, ließ er heimlich den ganzen Schatz in den Rhein ver- 
senken. Das erregte der heimkehrenden Könige Zorn. 
Nachdem sich aber der Grimm gelegt hatte, schworen sie alle 
einenunverbrüchlichen Eid, der Hort solle verhohlen bleiben, 
solange ihrer einer am Leben sei. 

Der Raub aber verdoppelte Kriemhilds Leid. Nie ließ sie 
von der Klage um Sigfrid. 

12. UNTERGANG DER BURGUNDEN 

Nach Sigfrids Tod trauerte Kriemhild manches Jahr um 
ihren Helden am Hofe ihrer Brüder zu Worms und konnte 
ihr Leid nicht vergessen. 

Helche, die Gemahlin König Etzels von Hunnenland, war 
gestorben. Da gedachte Etzel, Kriemhild zum Weibe zu 
gewinnen. Unter all seinen Mannen wählte er zum Braut- 
werber den Markgrafen Rüdiger von Bechelaren, denn der 
kannte von Jugend auf Kriemhild und war der Burgunden- 
könige Freund. In prächtigem Zuge brach Rüdiger von 
Bechelaren auf. Als die Schar an den Rhein gelangte, sandte 
König Gunther nach Hagen, daß er Namen und Herkunft 
der Gäste melde. Der erkannte bald den edlen Markgrafen, 
eilte ihm entgegen und hieß ihn mit seinen Mannen will- 
kommen. Dann führte er ihn in den Saal, wo die Könige 
weilten. Gunther und seine Brüder empfingen den Gast mit 
edlem Anstand. Auf Gunthers Frage nach Etzel und Helche 
erhob sich Rüdiger mit allen seinen Mannen und brachte 
die Werbung des Hunnenkönigs vor: Etzels Land sei verwaist 
und ohne Freude, seit Helche daraus geschieden sei. Die edle 
Kriemhild aber sei ohne Mann. Um sie für Etzel zu werben, 
sei er ins Land gekommen. Gunther versprach, in drei Tagen 
dem Boten Kriemhilds Antwort zu sagen. 

Er beriet mit seinen Mannen und Verwandten die ehren- 
volle Botschaft. Allen schien es wohlgetan, daß man Kriem- 

6* 

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hild dem Hunnenkönige gäbe, nur Hagen, der die Macht 
König Etzels wohl kannte und die Rache der Königin fürch- 
tete, widerriet voll Eifer den Plan. Die Brüder jedoch gönnten 
der Schwester alles Liebe nach ihrem langen Gram und baten 
sie, die Werbung des mächtigen Königs anzunehmen. Sie 
aber glaubte nur Spott aus ihren Worten zu hören und rief: 
„Was soll ich armes Weib einem Manne, der je eines guten 
Weibes Liebe erfuhr?" Doch gestattete sie auf ihrer Brüder 
Bitten, daß Rüdiger vor ihr erscheine. Während alles Gesinde 
in reichgeschmückten Kleidern sie umstand, empfing sie ihn 
am nächsten Morgen und erwiderte auf seine Botschaft: 
„Wäre jemand, der die Schärfe meines Schmerzes kennte, 
er würde mich nicht bitten, je wieder einen Mann zu um- 
armen. Denn ich verlor einen besseren, als je ein Weib ge- 
wann. Der Tod des einen hat mir solches Weh geschaffen, 
daß ich unfroh bleiben muß bis an mein Ende." Auch Rü- 
digers Versprechen, daß Etzel sie unermeßlich reich machen 
und ihr Gewalt über dreißig Fürstentümer und zahllose 
Mannen geben werde, vermochte nicht ihren Willen zu wen- 
den. Doch verschob sie ihre Entscheidung auf den nächsten 
Tag. Mit vielen Gedanken durchwachte sie die Nacht, und 
nie trockneten ihre Augen von Tränen. Auch am andern 
Morgen erwiderte sie standhaft auf alle Bitten ihrer Freunde: 
„Nichts ziemt mir denn Weinen!" Erst als Rüdiger in ge- 
heimer Zwiesprache ihr geschworen hatte, er wolle mit allen 
seinen Mannen rächen, was je ihr angetan werde, regte sich 
in ihr neue Hoffnung, daß ihr doch noch Rache für Sigfrids 
Tod werde. „Viel Mannen hat Etzel", sagte sie sich, „denen 
mein Wille gebieten wird, viel Schätze deren ich bedarf, seit 
Hagen mich meines Gutes beraubte." So willigte sie end- 
lich ein, Rüdiger ins Hunnenland zu folgen. Mit reichem 
Geleit zog sie in das Reich König Etzels. 

Von vierundzwanzig Fürsten umgeben ritt Etzel ihr ent- 
gegen. Mit großer Pracht wurde die Hochzeit gefeiert, und 
Kriemhilde wurde eine mächtige und geliebte Königin. Drei- 

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zehn Jahre ließ sie im Hunnenlande ihr Ansehen wachsen, 
doch stets gedachte sie des Leides, das ihr daheim durch 
Hagens Hand geschehen war, und ob sie ihm das noch ver- 
gelten werde. „Könnte ich ihn in dieses Land bringen", so 
sprach sie zu sich, „so würde es wohl geschehen." Ihr Rache- 
verlangen wuchs mit ihrer Macht, bis sie ihre Versöhnung 
mit Gunther vergaß. Sie bat ihren Gemahl, er möge ihre 
Verwandten in sein Land laden, daß man sie nicht länger 
für freundlos halte. Gern gewährte ihr Etzel die Bitte. Als 
die Boten aufbrachen, die Burgunden zum Sonnenwendfeste 
zu laden, gab Kriemhild ihnen heimliche Weisung: nie dürf- 
ten sie verraten, daß sie ihre Königin betrübt gesehen. Hagen 
aber müsse als Wegweiser seine Herren begleiten: ihm allein 
seien von Kind an die Wege ins Hunnenland bekannt. 

Zu Worms meldeten die Boten den Wunsch ihres Herrn. 
Gunther rief seine Verwandten und Mannen zu Rate, ob man 
der wohlgemeinten Bitte willfahren solle. Alle rieten zur 
Fahrt, nur Hagen warnte heimlich den König: „Künde dir 
nicht selber Fehde, du weißt, was wir taten, immer droht uns 
von Kriemhild Gefahr: ich schlug ihren Gemahl mit dieser 
Hand zu Tode, wie dürften wir uns getrauen in Etzels Land 
zu reiten?" Doch Gunther erwiderte: „Meine Schwester ließ 
den Zorn fahren, mit Freundeskuß verzieh sie unsere Tat, 
ehe sie von hinnen ritt." Hagen warnte vor Kriemhilds Un- 
versöhnlichkeit. Als aber Gernot und Giselher ihm Furcht 
vorwarfen und ihm rieten, daheim zu bleiben, während sie zu 
ihrer Schwester führen, wallte in dem Helden der Zorn auf: 
er versprach, die Könige zu führen. Doch bewog er den König, 
ein Heer zusammenzurufen, das sie auf ihrer Reise begleite. 
Aus der Zahl der Recken, die Gunther, Dankwart und Volker 
entboten, erlas Hagen tausend erprobte Krieger. Etzels 
Boten ließ er erst heimkehren, als alles zur Reise gerüstet war, 
damit nicht Kriemhild ihnen vorher Böses bereite. Als diese 
von den heimkehrenden Boten vernahm, daß die Könige und 
Hagen die Fahrt zugesagt hätten, war ihre Freude groß. 

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So ritten die Helden vom Rheine: tausend und sechzig 
Mannen und Recken, dazu neuntausend Knechte brachen 
fröhlich auf, von Hagens derben Worten angefeuert, der die 
ängstlichen Träume der alten Königin, daß alles Gevögel im 
Lande tot sei, mit hartem Spotte von sich wies. Als sie, von 
Hagen geführt, zur Donau gelangten, fanden sie den Fluß 
reißend angeschwollen und die Schiffe vor der Flut geborgen. 
Hagen ging in schimmerndem Waffenschmuck, den Fergen 
zu suchen, einsam am Strom entlang. Da hörte er Wasser- 
rauschen und gewahrte horchend Wasserfrauen, die in einem 
schönen Quell badeten. Heimlich schlich er näher, als 
sie ihn aber gewahrten, eilten sie davon und schwebten gleich 
Vögeln vor ihm auf der Flut. Hagen nahm ihnen ihr Gewand. 
Eine der Frauen erbot sich, ihm zu künden, wie es ihnen auf 
der Reise gehen werde, wenn er die Gewänder wiedergäbe. 
Glück und Ehre sagte sie den Helden voraus. Dessen ward 
Hagen froh. Kaum aber hatte er die Gewänder zurück- 
gegeben, da kündete eine andere der Frauen ihm das wahre 
Geschick: „Kehr um, Hagen", warnte sie, „denn zum Tode 
ist euch die Ladung in Etzels Land gemeint. Wer hinreitet, 
hat den Tod an der Hand." Solchem Schicksal werde nie- 
mand entgehen, als des Königs Kapellan. Zornig beschloß 
Hagen, die Schicksalskündung in sich zu verschließen. Er 
ging zum Strome und fand am andern Ufer des Fergen Her- 
berge stehen. Mit lauter Stimme bot er ihm eine*h roten Gold- 
ring für die Überfahrt. Der aber schützte hier des Mark- 
grafen Else Land und war mit Golde nicht zu gewinnen. 
Da rief Hagen, er sei Amelrich, des Markgrafen landflüchtiger 
Mann — das war des Fergen leiblicher Bruder — und bot 
ihm hoch an der Schwertspitze einen lichten Goldring. 
Nun ergriff der Ferge die Ruder. Drüben erkannte er bald 
den Trug. Zornig forderte er, daß Hagen sogleich das Schiff 
wieder räume, und schlug ergrimmt mit seinem breiten Ruder 
auf den Helden ein. Doch das geriet ihm übel, denn der zog 
sein Schwert und schlug ihm das Haupt vom Rumpfe. Mit 

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Mühe brachte der Starke das Schiff, das bei dem Kampfe in 
den Strom getrieben war, in seine Gewalt, er ruderte, daß 
das Ruder barst. So kam er zu den Fürsten. Gernot sprach: 
„Wozu dient uns das Schiff, da wir keine Schiffer haben?" 
Doch Hagen rief: „Lagert euch ins Gras, ihr Knechte. Ich 
bin der beste Ferge, den man am Rheine fand. Euch alle 
getraue ich mich hinüberzubringen." Die Pferde trieb man 
in den Strom, so schwammen sie hinüber. Hagen aber führte 
unverdrossen den Tag über sich mühend das ganze Heer ans 
andere Ufer. Danach gedachte Hagen der Unheilskündung 
der Flußweiber. Den Kapellan, der sich gerade über das 
Heiligtum lehnte, schwang er aus dem Schiffe in den Strom 
und stieß ihn, der zornigen Rufe der Fürsten nicht achtend, 
in den Grund. Dennoch gelangte der Priester heil zum Ufer 
zurück, und Hagen erkannte nun die Unabwendbarkeit des 
ihm gekündeten Geschicks. In wildem Mute zerschlug er 
das Schiff und ließ die Trümmer treiben. „Wie kommen 
wir nun über den Strom zurück?" sprach Dankwart. „Daß 
kein Zager uns entrinne, wenn einer unter uns ist, darum 
zerschlug ich das Schiff", erwiderte Hagen. 

Ehe aber der Zug durch das Bayernland begann, enthüllte 
Hagen den Mannen die ungefüge Mär der Wasserfrauen, daß 
keiner von ihnen heimkehre in das Burgundenland. Allen 
befahl er, sich zu waffnen, denn starke Feinde seien ringsum. 
Als diese Kunde von Schar zu Schar flog, erbleichte mancher 
Held. 

Hagen ordnete den Heerzug. Im Ritt durch das Bayern- 
land zerrann ihnen der Tag, auch die ganze Nacht ritten sie 
im lichten Mondschein, bis sie am Morgen zur Mark des 
Grafen Rüdiger kamen. Der empfing voll Freude seiner 
Herrin Brüder. Vier Tage bewirtete er seine Gäste mit allem 
Überfluß, seine schöne Tochter verlobte er dem jungen 
Giselher, und beim Abschied wurden die Helden mit köst- 
lichen Gaben beschenkt. Gunther empfing eine schimmernde 
Rüstung, Gernot ein Schwert, Hagen aus der Hand der Mark- 

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gräfin den edelsteinglänzenden Schild Nudungs, ihres Ver- 
wandten, der von Witeges Hand einst fiel. Nicht ahnte dem 
Spender, wie hartes Geschick seine Gaben ihm bringen sollten. 

Rüdiger selbst geleitete seine fürstlichen Gaste an den 
Hunnenhof, damit sie sicher durch die Lande führen. Als 
Kriemhild die Kunde vernahm, daß die Burgunden ins Land 
kämen, wurde ihr Herz leicht, und sie sprach bei sich: „Nun 
mag geschehen, daß der Leid empfange, der mich all meiner 
Freude beraubt hat. Ich will sorgen, daß an diesem Freuden- 
feste meine Rache volles Genügen findet." 

Dem Dietrich von Bern brachte der alte Hildebrand die 
Kunde vom Nahen der Burgunden. Da ritt er mit seinen 
Mannen den Gästen entgegen. Trüber Ahnung voll sprach 
er: „Seid willkommen, ihr Herren! Ist euch nicht bekannt, 
daß Kriemhild noch immer den Helden Sigfrid sehr beweint?" 
Da antwortete Hagen: „Mag sie lange weinenl Erschlagen 
liegt er schon manches Jahr. Nun soll sie den Hunnenkönig 
lieben: Sigfrid kehrt nicht wieder, der ist lange begraben!" 
Dietrich erwiderte: „Lassen wir Sigfrids Wunden: Kriemhild 
lebt — Gunther, Trost der Nibelungen, hüte dich!" Doch 
der sprach: „Wovor soll ich mich hüten? Etzel lud uns in 
sein Land, und gute Botschaft sandte uns Kriemhild." Nun 
offenbarte Dietrich in heimlicher Zwiesprache den Königen, 
wie er jeden Morgen die Königin in tiefer Trauer und heißen 
Tränen den starken Sigfrid beklagen höre. Doch Volker 
sprach: „Unabwendbar ist nun einmal unser Geschick 
— laßt uns zu Hofe reiten!" 

Als sie am Hunnenhof einritten, erregte die ungeheure 
Gestalt Hagens, des Sigfridtöters, Staunen und Verwunderung. 
Gewaltig war seine Brust, sein Haar war grau gesprenkelt, 
hoch ragte seine Gestalt, Grausen erregte sein Gesicht. In 
stolzem Gang schritt er einher. Kriemhild empfing die Nibe- 
lungen mit falschem Herzen. Zuerst küßte und umarmte 
sie den jungen Giselher. Als Hagen das sah, band er sich 
den Helm fester und sprach: „Man pflegt vor allem die Könige 

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und ihre Vornehmen zu grüßen eine böse Reise haben wir 
getan!" Kriemhild sprach: „Seid dem willkommen, der 
euch gerne sieht. Um eure Freundschaft grüße ich euch nicht. 
Sagt, Hagen, was bringt ihr mir vom Rheine, daß ich euch 
willkommen heißen sollte?" Der erwiderte: „Hätt ich ge- 
wußt, daß ihr von euren Gästen Gaben erwartet: reich 
genug bin ich, euch zu beschenken!" „So sagt mir", sprach 
Frau Kriemhild, „wo ließet ihr den Nibelungenhort? Er 
war mein eigen. Den solltet ihr herführen in Etzels Land." 
— „Schon manchen Tag bin ich um ihn der Sorge ledig", 
sprach Hagen, „meine Herren hießen mich ihn in den Rhein 
senken. Dort mag er liegen bis an den jüngsten Tag." 
„Trauer schafft mir", sprach Kriemhild, „daß ihr mir mein 
Eigen nicht bringt." — „Den Teufel bringe ich euch", er- 
widerte Hagen, „ich habe genug an meinem Schild, Helm 
und Brünne zu tragen." 

Da forderte die Königin, daß die Gäste ihre Waffen in Ver- 
wahrung gäben. Hagen wies solches Ansinnen mit Hohn 
von sich. „Weh meinem Leide", rief da Kriemhild, „sie sind 
gewarnt. Wüßte ich, wer das tat, dem wollte ich Tod sinnen." 
Zornig entgegnete Dietrich: „Ich bins, der die Fürsten und 
Hagen warnte. Räche dich denn, Verruchte!" Voll Scham 
und Furcht vor Dietrich ging Kriemhild davon. 

Hand in Hand standen Dietrich und Hagen. „Leid ist 
mir eure Fahrt zu den Hunnen, da Kriemhild solches redete", 
sprach Dietrich. „Dagegen wird wohl Rat werden", erwiderte 
Hagen. 

Da ließ Hagen die Helden auf dem Hofe stehen. Mit Volker, 
dem Spielmann, setzte er sich auf eine Bank gegenüber dem 
Saale der Kriemhild. Die mahnte der Anblick des Feindes 
an ihren Schmerz, und wieder flössen ihre Tränen. Die hun- 
nischen Mannen flehte sie an, ihr Leid zu rächen. Sechzig 
erboten sich, und als die Schar sie zu klein dünkte, den 
grimmen Feind zu besiegen, vierhundert. Mit diesem Ge- 
folge stieg sie im Schmucke der Krone die Stiege hinab. Als 

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Volker die Bewaffneten nahen sah, sprach er zu Hagen: 
„Freund, da kommt, die uns treulos geladen hat, mit kampf- 
mutigem Gefolge. Euch gilt es, den sie haßt." Der antwor- 
tete: „Wohl weiß ich, daß sie meinethalb Waffen tragen. Die 
dort kommen aber werden mir wohl die Heimkehr ins Bur- 
gundenländ nicht wehren." Volker gelobte Hagen Hilfe im 
Kampf, riet aber, Kriemhild, die Königin, durch Erheben zu 
ehren. Dies verweigerte Hagen: „Diese Hunnen könnten 
denken, aus Furcht erhöbe ich mich vom Sitze. Wie sollte 
ich den ehren, der mich haßt?" Er legte auf seine Knie ein 
Schwert, an dessen Knauf ein lichtgrüner Jaspis funkelte: 
Sigfrids Schwert Balmung, so gemahnte er von neuem Kriem- 
hild an ihr Leid. Volker aber zog einen Fiedelbogen, lang 
und groß wie ein Schwert, an sich. So saßen die Helden 
furchtlos und kühn, als ihnen die Königin feindlichen Gruß 
bot: „Wer hat nach euch gesandt, Hagen, daß ihr euch er- 
dreistet in dieses Land zu reiten — oder habt ihr vergessen, 
was ihr mir getan habt?" — „Nach mir sandte niemand", 
sprach Hagen, „doch lud man drei Könige, meine Herren, 
denen folgte ich, ihr Mann, noch auf jeder Reise." Sie sprach: 
„Ihr schlugt Sigfrid, meinen Gemahl, das erwarb euch meinen 
Haß." — „Genug der Rede", erwiderte Hagen, „ich, Hagen, 
bin es, der Sigfrid erschlug. Damit vergalt ich, daß Frau Kriem- 
hild die schöne Brünhild schalt.' Leid genug hab ich euch 
getan, das räche nun, wer es wolle." Vor so vermessenem 
Mute entsank den Hunnen die Kraft. Nicht für Türme roten 
Goldes hätten sie sich an die Recken gewagt. Manche unter 
den Hunnen kannten Hagen noch aus der Zeit, da er in jungen 
Tagen mit Walther am Hunnenhofe lebte und manchen Streit 
dem Könige zu Ehren ausfocht. Damals war er noch fast 
ein Kind, nun aber sahen sie ihn als einen grauen grimmen 
Mann wieder, und in seiner Hand Balmung, Sigfrids Schwert, 
das er übel gewann. Rückwärts wandten sie ihre Schritte. \ 
„Nun wissen wir", sprach Volker, „daß wir hier Feinde 
finden." 

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Sie kehrten zu den Königen zurück, die noch mit Etzels 
Helden im Gespräch standen, und geleiteten sie in den Palast. 
Dort empfing sie König Etzel voll Freude, hieß sie aus freund- 
lichem Herzen willkommen und ehrte sie hoch durch ein 
festliches Gastmahl, |. 

Abends wurden die Helden in einen schönen Schlafsaal 
geführt. Ahnungsvoll sprach der junge Giselher: „Weh der 
Herberge und weh den Freunden, die mit uns kamen! Ich 
fürchte nun, um Kriemhilds willen müssen wir alle tot liegen." \ 
Hagen aber hieß sie die Sorgen fahren lassen, er selbst wolle 
die Nacht durch Schildwache halten. Ihm schloß sich Volker 
an. Beide stellten sich gewaffnet vor die Tür, und während 
die Helden sich zur Ruhe legten, strich der Fiedler die Saiten, 
daß das ganze Haus erscholl, und lockte mit süßen und sanften 
Tönen: den Sorgenvollen den Schlaf herbei. 

Um Mitternacht gewahrten die Wachenden den Schein von 
hunnischen Helmen. Es waren Kriemhilds Mannen. Da 
sie die Tür so gut behütet fanden, wandten sie sich voll Furcht, 
und Volker rief den Zagen nach: ,,Pfui über euch Wichte, 
die ihr Schlafende morden wollt." Kriemhild aber sann auf 
anderen Plan. 

Als den wachenden Recken im nahenden Morgen die 
Harnischringe erkühlten, weckten sie die Schlummernden, 
daß sie zur Messe gingen. Die Festgewänder anzulegen wehrte 
ihnen Hagen: „Statt Rosen nehmet Schwerter in die Hand, 
statt edelsteingeschmückter Kränze setzt lichte Helme aufs 
Haupt, statt seidener Hemden hülle euch der Halsberg, statt 
der Mäntel der gute Schild, denn sicherlich sollt ihr wissen, 
daß uns der Tod nahe ist. Es ist die letzte Messe, die ihr hört.*' 

Als Etzel den gewaffneten Zug nahen sah, sprach er: 
„Warum sehe ich meine Freunde unter Helmen gehen? 
Leid täte mir, wär ihnen hier etwas zu nahe geschehen." 
Doch Hagen entgegnete: „Niemand tat uns Leid. Doch ist 
es Sitte meiner Herren, daß sie zu den Festzeiten drei Tage 
gewaffnet gehen." So übermütig stolzen Sinn hegten die 

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Helden, 'daß keiner Etzel den Haß der Königin melden mochte, 
sonst hätte er wohl abgewendet, was dann geschah.}! 

Nach der Messe erhoben sich Kampfspiele, denen Kriem- 
hild und Etzel zuschauten. Dietrich von Bern aber verbot 
seinen Mannen, sich mit den Burgunden zu messen, auch 
Rüdiger bat die Seinigen, davon abzulassen, denn zornmütig 
seien Gunthers Mannen. Nur Irnfrids und Hawards Mannen 
und die Hunnen Blödeis, des Bruders Etzels, ritten den Bur- 
gunden entgegen. Da Volker einen hunnischen Fant, auf- 
geschmückt wie eines Ritters Braut reiten sah, verdroß ihn 
der Traut der Frauen, und daß endlich das Spiel mit den 
zagen Feinden Ernst werde, jagte er dem zieren Hunnen 
den Speer durch den Leib. Da wollte sich der Kampf erheben, 
Etzel aber eilte hinab, zornig wand er einem Verwandten 
des Erschlagenen das Schwert aus der Hand und gebot Frieden. 

Gewaffnet begaben sich Hunnen und Burgunden zum 
Mahle, Kriemhild aber, voll Sorge, wie sie ihrer Rache fröne, 
sprach zu Dietrich: „Du Fürst von Bern, bei dir such ich Rat 
und Hilfe: schlecht steht meine Sache." Für Dietrich er- 
widerte Hildebrand: „Wer die Nibelunge erschlägt, der tut 
es ohne mich. Noch sind die Helden unbezwungen." Dietrich 
aber sprach: „Verschone mich, Königin, mit solcher Bitte, 
kein Leid erlitt ich von deinen Brüdern." Da gewann Kriem- 
hild durch hohe Versprechungen Blödel, des Königs Bruder, 
daß er den Streit begönne. Der waffnete sich mit seinen 
Mannen und führte sie zur Herberge, wo Dankwart mit dem 
Trosse speiste. Kriemhild aber begab sich zum festlichen 
Mahle. Sie ließ ihren jungen Sohn Ortlieb hineintragen, daß 
ihn seine Verwandten vom Rheine sähen. 

In der Herberge trat Blödel vor Dankwart hin. Auf seinen 
freundlichen Gruß erwiderte er: „Nicht sollst du mich grüßen, 
denn mein Kommen ist dein Tod. Du und viele Degen müssen 
nun entgelten, daß Hagen Sigfrid erschlug." Dankwart 
flehte, den Frieden nicht zu brechen. Als aber Blödel dessen 
nicht achtete, schlug er ihm mit gewaltigem Schwertstreich 

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das Haupt ab. Nun erhob sich ein wilder Kampf. Die Knechte 
der Burgunden wehrten sich und fällten zahllose Hunnen. 
Endlich mußten sie doch der Überzahl erliegen/ Dankwart 
allein schlug sich durch den Haufen der ihn Bedrängenden, 
Schritt für Schritt sich Boden erkämpfend, bis zur Halle, wo 
die Helden festlich saßen. 

Blutberonnen trat der Held unter die Tür und rief ^„All- 
zulange sitzt ihr, Bruder Hagen! Gott sei unsere Not geklagt, J 
Ritter und Knechte liegen in der Herberge tot!" Hagen rief: 
„Wer hat das getan?" -f- „Das tat Blödel", sagte Dankwart, 
„doch mit seinem Leben entgalt er es." -fr- „Hütet uns die 
Tür", sprach Hagen zu Dankwart, „daß kein Hunne hinaus- 
komme. Nun will ich mit den Recken reden, wie die Not uns 
zwingt." -f- „Gern will ich als Kämmerer so mächtigen 
Königen dienen", sprach Dankwart, „die Stiege hüte ich nach 
meiner Ehre." Da schlug Hagen dem jungen Ortlieb das 
Haupt ab, daß es der Mutter in den Schoß sprang, und begann 
unter den Hunnen im Saale zu wüten. Volker fiedelte un- 
gefüge und zog mit dem Bogen gar rote Striche. Als Gunther 
sah, daß er den Streit nicht scheiden könne, griffen auch er 
und seine Brüder zu den Waffen. Getümmel der lichten 
Schwerter erhob sich in des Königs Saal. Den Türhüter 
Dankwart drängten an der Pforte von draußen und drinnen 
die Hunnen, bis Volker ihm zur Hilfe sprang. Von beiden 
war die Tür fest verwahrt, und Hagen begann das Rache - 
werk, daß keiner seiner Feinde auf Rettung hoffen durfte. 

Voll Angst saß Etzel im Gedräng, was half ihm, daß er 
König war? Kriemhild aber rief Dietrich an: „Nun hilf mir, 
edler Ritter, um aller Fürsten Tugend. Erreicht mich Hagen, 
so halte ich den Tod an der Hand." — ,,Wie soll ich euch 
helfen, Königin", sprach der, „sorge ich doch um mich selbst. 
Dies ist die Stunde, da ich niemanden friedigen kann." — 
„Nein, Herr Dietrich, beweise heute deinen tugendlichen Sinn, 
hilf mir von hinnen, oder es ist mein Tod." Da begann Dietrich 
zu rufen, daß seine Stimme dröhnte wie ein Wisenthorn und 

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die weite Burg erschallte. ! Gunther, der die Stimme durch 
das Getümmel vernahm, schwichtigte den Sturm und fragte 
Dietrich, was ihm Leides geschehen sei. Der sprach: „Laßt 
mich mit eurem Frieden samt den Meinen aus dem Hause 
gehn, um unserer Freundschaft willen." Das gewährte ihm 
Gunther, und daß er hinausführe, wen er wolle, nur der Bur- 
gunden Feinde nicht. '] Da umschloß Dietrich mit dem Arm 
die Königin' und führte an der anderen Hand den König Etzel 
mit sich,' und in seinem Gefolge seine sechshundert Mannen. 
Da sprach Rüdiger, der edle Markgraf: „Kann aus dem Hause 
noch jemand kommen, der euch freund ist?" Ihm und seinen 
Mannen gewährte Giselher Frieden und freien Abzug. Dann 
fiedelte Volker drinnen den Hunnen so üble Weisen, daß 
von allen keiner aus dem Saale entrann. Gleich einem wilden 
Eber focht er, und schrecklicher Schall hob sich von seinen 
roten Strichen. 

Ehe sich die kämpf müden Helden setzten, um auszuruhen, 
warfen sie die Gefällten die Stiege hinab, daß sich unter den 
Hunnen, die dicht gedrängt im Hofe standen, lautes Weh- 
klagen erhub. Volker und Hagen aber gingen vor den Saal, 
und auf den Schild gelehnt höhnten sie voll Übermut Etzel, 
Kriemhild und die Hunnen. „Wohl ziemt es dem Herrn, 
dem Trost seines Volkes, ! als der Vorderste zu fechten, wie 
es meine Herren tun", sprach Hagen, „doch ferne Sippschaft 
ist es, die Etzel und Sigfrid verbindet." Mit Mühe vermochten 
die Hunnen, Etzel vom Kampfe abzuhalten, daß er nicht von 
Hagens Hand falle. Kriemhild aber, durch Hagens Hohn 
zur Wut gereizt, bot dem einen Schild voll Gold, Burgen und 
Land, der ihr Hagens Haupt brächte. „Nie", sprach Volker, 
„sah ich so zage Helden stehen, da man so hohen Sold bot, 
die hier mit Schande des Königs Brot essen, und ihn nun in 
der größten Not verlassen." " 

Solchen Hohn ertrug Iring nicht länger, der Markgraf von 
Dänemark. Er versprach, Hagen zu bestehen ohne seiner 
Mannen Hilfe. Im Sturme lief er die Stiege hinauf und focht 

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im Saale mit den Königen. Doch konnte er ihrer keinen 
bezwingen. Von Giselher zu Boden geschlagen, raffte er sich 
zu neuem Kampfe mit Hagen auf und schlug ihm durch den 
Helm eine Wunde. Da erwachte des Helden Zorn, und schwer 
bedrängt mußte Iring zu den Seinen entweichen. Doch Kriem- 
hilds Dank und Hagens Hohn spornten ihn zu neuem Kampf. 
Nun aber eilte ihm Hagen bis an den Fuß der Stiege entgegen 
und fällte ihn mit Schwert und Speer. Den Todwunden zu 
rächen, eilten Irnfrid und Haward mit tausend Helden heran, 
doch Irnfrid fiel von des Spielmanns Schwert, und Haward 
ward von Hagen erschlagen. Die Mannen aber, die Volker 
in den Saal dringen ließ, ereilte das Geschick ihrer Herren. 
Dann verhallte das Getümmel. Die Burgundenhelden setzten 
sich zur Ruhe, indes das Blut durch die Lücken und Riegel- 
steine aus dem Saale floß und die Hunnen Klage erhoben. 

In kurzer Ruhe banden die Heimatlosen die Helme los und 
ließen sich auf die Gefällten nieder. Noch vor dem Abend 
aber sandte Etzel neue Mannen, zwanzigtausend an der Zahl, 
wider sie in den Streit. In hartem Sturm bestanden die Helden 
auch sie den sommerlangen Tag hindurch bis an die sinkende 
Nacht der Sonnenwende. 

Der Tag war zerronnen. Da dachten die Helden,' daß ein 
kurzer Tod besser wäre als so lange Qual und ungefüges Leid. 
Blutgerötet und harnischfarben traten sie aus dem Hause, 
daß König Etzel ihnen Rede stehe. Der sprach: „Frieden 
wollt ihr gewinnen? Der sei euch versagt. Mein Kind schlugt 
ihr und viele meiner Freunde." Gunther erwiderte: „Uns 
zwang die Not, da unser Gesinde erschlagen ward. Wie hatte 
ich das verdient, da ich zu dir auf Treue kam? Wollt ihr 
den wilden Haß zur Sühne wenden, so ist es beiden gut. 
Nicht unser ist die Schuld." Das verweigerte Etzel. Als 
aber Gernot bat, die Hunnen möchten sie hinab ins Freie 
gehen lassen, daß in kurzem Kampfe ihr Schicksal sich ent- 
scheide, widerriet Kriemhild, den zögernden Mannen dies zu 
gewähren. „Lebte auch von den Helden niemand mehr, als 

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meine Brüder", 'sprach sie zu den Hunnen, „und ließet ihr 
sie hinab, so wäret ihr alle verloren. Nie lebten kühnere Degen 
als sie." Da aber der junge Giselher die Gnade der Schwester 
erflehte, der er immer getreu gewesen, da versagte sie ihm 
die Gnade mit hartem Wort: „Alle müßt ihr entgelten das 
ungesühnte Leid, das mir Hagen tat. Wollt ihr mir aber 
Hagen als Geisel geben, so will ich euch das Leben gewähren 
und um die Sühne mit den Hunnen reden." Da sprach Gernot: 
„Das wolle Gott vom Himmel verhütenl Und wären unser 
Tausende, wir müßten alle tot liegen, ehe wir dir den einen 
Mann als Geisel gäben."/ Und Giselher sprach: „Müssen wir 
denn sterben, so scheide uns niemand von ritterlicher Wehr.j 
Heran, wer mit uns zu fechten begehrt. Nie brach ich einem 
Freunde die Treue." ' 

Alsbald befahl Kriemhild, die Helden in den Saal zu treiben 
und das Haus an den vier Enden anzuzünden. In hellen 
Flammen loderte es empor. Da wünschte mancher Held, 
lieber im Sturme tot zu liegen, als solche Qual zu leiden. 
Die der Durst brannte, lehrte Hagen aus den Wunden der 
Gefallenen trinken. Und mancher meinte, nie besseren Wein 
getrunken zu haben. Gegen das niederfallende Feuer schütz- 
ten sie sich mit emporgehaltenen Schilden und traten an die 
Wände gelehnt die rauchenden Brände in das Blut. 

In solchen Nöten zerrann die Nacht, während Hagen und 
Volker, auf ihre Schilde gelehnt, vor dem Hause Wache hiel- 
ten. Als der kühle Morgenwind aufsprang, da gingen sie 
in den Saal, damit die Hunnen sie alle im Feuer verendet 
glaubten. Drinnen lebten noch sechshundert Mannen. Die 
Nachricht empfing Kriemhild voll Staunen. 

Noch wären die Fürsten mit den Mannen der Not gern 
entronnen, hätte jemand ihnen Gnade gewährt. Die konnten 
sie bei den Hunnen nicht finden. So rächten sie entschlossen 
ihren Tod. 

Mit dem neuen Tag hob sich neuer Kampf. Befehl und 
reiche Gabe trieb die Hunnen gegen den Saal heran. Wilder 

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Mut erwachte neu in den Burgunden. Zwölfhundert Hunnen, 
die sich stellten, streckten ihre erbarmungslosen Schwerter 
mit Todeswunden nieder. '■ 

Schwer hatten die Heimatfernen am Morgen gerungen,; 
als Rüdiger, der getreue Markgraf, zu Hofe kam. ' Mit tiefem 
Schmerz sah er auf beiden Seiten die grausige Not und klagte, 
daß keine Sühne mehr möglich sei. Den Trauernden höhnte 
ein Hunne, wie jemand so tatlos und ohne Schwertstreich 
seines Herrn Leid sehen möge, dem Etzel Land und Burgen 
und alle Gewalt verliehen habe, j „Er gilt für den kühnsten 
Recken, aber in diesen Stürmen hat sein Ruf sich schlimm 
bewährt." J Solchen Hohn vergalt der Markgraf mit schnellem 
Todesstreich und rief:; „Leid und Jammer bedrückt mich 
genug -r wie darfst du mir mein Zögern vorwerfen? Wohl 
wäre ich den Gästen mit Recht feind/wohl müßte ich ihnen 
antun, was irgend ich vermöchte, hätte ich nicht die Recken 
hierher in meines Herrn Land geführt. So soll sich meine 
unselige Hand nicht wider sie erheben!" 

Da sprach Kriemhild: „Edler Rüdiger, wie mehrt ihr durch 
solche Tat unser Leid? Gelobtet ihr nicht, für uns Ehre und 
Leben zu wagen? Nun mahne ich euch an die Huld, die 
ihr mir schwurt, als ihr mir rietet, Etzels Werbung zu will- 
fahren: daß ihr mir dienen wolltet bis an unser eines Tod." 

im 

— „Wohl schwur ich euch, Ehre und Leib um euch zu wagen, 
die Seele zu verlieren, das schwur ich euch nicht", erwiderte 
ihr Rüdiger. Doch dringender mahnte ihn die Königin: 
„Gedenket eures Treugelübdes und eurer Eide, daß ihr immer 
meinen Schaden und all mein Leid rächen wollet." Mit 
Etzel warf sie sich flehend dem Markgrafen zu Füßen. Der 
klagte: „Weh mir, daß ich dies erleben muß. Aller meiner 
Ehre muß ich nun absagen und aller Zucht und Treue. Weh, 
daß der Tod mir das nicht wendet 1 Was ich auch tue und was 
ich auch lasse, das ist von mir ehrlos und übel getan. Lasse 
ich aber beides, so schilt mich jedermann. Der weise mich, 
der mich leben hieß."' 

7 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 




Von solchem Zwiespalt zerrissen, bot Rüdiger dem Könige 
sein Land und seine Burgen und allen Besitz: auf nackten 
Füßen wollte er ins Elend gehen. 1 Der aber wollte seiner 
Hilfe nicht entratenjund versprach, ihn neben sich zu einem 
gewaltigen Könige zu machen,; wenn er ihn an seinen Fein- 
den rächte. 1 „Wie könnte ich das vollbringen?" sprach Rü- 
diger. ' „In mein Haus lud ich sie als Gäste, Speise und Trank 
bot ich ihnen |und gab ihnen meine Gabe — wie sollte ich ihnen 
Tod sinnen? ? Mag man wähnen, ich sei verzagt! Mut bewies 
ich ehemals. ■ Nun aber gab ich Giselher mein Kind.",' Doch 
Kriemhild ließ nicht ab zu flehen. | Da sprach Rüdiger: „So 
muß ich denn heute sterben um deswillen, was ihr und mein 
Herr Liebes an mir getan habt. Weib und Kind, Mann und 
Burg befehle ich in eure Gnade." 

Traurig ging er hinweg und befahl seinen fünfhundert 
Mannen, sich zu waffnen. Giselher frohlockte, als er Rü- 
diger unterm Helme sah: „Nun werden wir der Freunde froh, 
die wir auf der Reise gewannen. I Wohl mir, daß diese Heirat 
geschah." Den Trost nahm ihm bald der Spielmann: „Wo 
saht ihr je so viel Helden mit aufgebundenen Helmen 'und 
bloßen Schwertern die Versöhnung bringen? \ Nein: an uns 
will Rüdiger seine Burgen und Lande verdienen." '/ 

Den Schild vor dem Fuße stand Rüdiger. Zum Saale 
rief er: „Nun wehrt euch, ihr kühnen Nibelungen! Einst 
waren wir Freunde: des Treugelübdes will ich nun entbunden 
sein." Vor dieser Kunde erschraken die Nothaften. I Genug 
des Leides ertrugen sie von Feinden, nun kam mit ihnen zu 
streiten, dem sie hold gesinnt waren. Da mahnte ihn Gunther 
an ihre Freundschaft und Gelübde und seine freundlichen 
Gaben. Er aber bestand auf seiner Treupflicht gegen Kriem- 
hild: „Wollte Gott, ihr wäret daheim am Rheine und ich wäre 
tot mit Ehren, da ich wider euch streiten muß." Gernot 
gemahnte ihn an das treffliche Schwert, Rüdigers Gabe. 
Noch nie habe es versagt in all dieser Not. Wenn aber Rü- 
diger ihm seiner Freunde einen erschlage, so müsse er mit 

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diesem Schwerte ihn fällen. Vergeblich auch mahnte Giselher 
ihn an seine schöne Tochter, die nun so früh zur Witwe werde./ 
Rüdiger bat den jungen König, seines Treugelübdes zu ge- 
denken, ] und sende ihn Gott von hier, die Jungfrau nicht 
entgelten zu lassen, wozu seine Pflicht ihn treibe. | „Das täte 
ich gern", sagte Giselher, „doch wenn einer meiner Brüder | 
von deiner Hand fällt, so ist meine Freundschaft zu dir und 
deiner Tochter zerbrochen." !| 

Schon hoben sie die Schilde zum Streit in Kriemhilds Saal, 
da rief Hagen: „Harret noch, edler Rüdiger, enden wir noch 
nicht die Zwiesprache 1 Mich drängt große Gefahr: zerhauen 
vor der Hand ist mir von den Hunnen der Schild, den mir 
Frau Gotelind gab. Der Himmel gewähre mir, noch einmal 
so guten Schild zu tragen, wie du in der Hand hältst, dann 
bedürfte ich in diesen Stürmen keiner Halsberge mehr." 
Da gab Rüdiger seinen Schild dem Hagen: „Mögest du den 
führen in der Burgunden Land", \ sprach er dabei. Ob so 
edler Tat ward manches Auge von Tränen rot. \ Das war 
Rüdigers letzte Gabe. 

Wie hartgemut der grimme Hagen war, doch erbarmte 
ihn die Gabe des Helden, der seinem Ende so nahe war. „Das 
lohn euch Gott", rief er, „euch gleich an Edelmut wird keiner 
je auf Erden geboren. So will ich eure Gabe lohnen: ob ihr 
im Streite mit denen aus Burgundenland gleich alle erschlügt, I 
soll doch meine Hand euch nicht berühren." Gleich Hagen 
gelobte Volker dem Markgrafen Frieden, und hoch die roten 
Ringe hebend, 'die ihm Frau Gotelind geschenkt, bat er Rü- 
diger, seiner Trauten zu melden, wie er den Schmuck auf 
diesem Hoffest getragen. 

Als Rüdiger das gelobt, brandete sein Mut empor. Der 
Streit hob an. Hagen und Volker aber wichen weit zurück. 
Gunther und Gernot ließen den Markgrafen in den Saal. Auch 
Giselher wich ihm aus: noch hoffte er auf das Leben. Wie 
die Mannen Rüdigers in den Saal gekommen waren, erschlugen 
Hagen und Volker und die Könige deren viele, während 

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Rüdiger unter den burgundischen Mannen wütete. { Endlich 
rief ihn Gernot an: „Wollt ihr keinen meiner Mannen ent- 
rinnen lassen? das ertrag ich nicht länger. / Nun mag euch 
eure Gabe zum Schaden werden! .Verdienen will ich sie, 
so hoch ich kann." Da eilten zueinander die ehrbegierigen 
Helden. | Mit scharfem Schwert schlug Rüdiger durch Gernots 
kieselharten Helm. Doch schon todwund ließ dieser sein 
Schwert auf Schild und Helm des Markgrafen niederfallen, 
daß dem das Leben entfloh. ; So fielen beide, Gernot und Rü- 
diger, im Sturme einer von des andern Hand. Hagen rief: 
„Für diesen Schaden sind uns Friedlosen Rüdigers Helden 
zum Pfand." Da erlas sich der Tod sein Gesinde, daß derer 
von Bechelaren nicht einer sich barg. 

So verebbte der Schall. Die Helden aber saßen und lehnten 
sturmmüde umher. Die Stille verdroß Etzel, [und schlecht, 
wähnte Kriemhild, diene ihr Rüdiger, 'sie glaubte, er schlichte 
den Streit und sinne darauf, die Burgunden heimzubringen, 
statt sie an ihnen zu rächen. Ihr antwortete Volker: „Eure 
Rede geht fehl, edle Königin. Rüdiger und die Seinen sind 
um die Sühne betrogen. Sie alle liegen hier tot, die willig 
des Königs Befehl folgten. Schaut um euch, Kriemhild, wem 
ihr nun den Streit gebieten wollt. 1 Rüdiger diente euch bis 
an sein Ende." Man trug den erschlagenen Helden hin, wo 
ihn der König sehen konnte. Darüber erhob sich unermeßlicher 
Jammer. 

Diese Klage drang auch zur Herberge, wo Dietrich mit 
seinen Helden weilte. Wolfhart, Hildebrands Neffe, ein Held 
kühn und schnell zu Wort und Tat, erbot sich, zum Saale zu 
gehen, um des Klagens Grund zu erforschen. Dietrich aber 
warnte seine Getreuen vor zu hastigem Tun und ungestümem 
Fragen. Drum verbot er Wolfhart die Erkundung, damit 
dieser die notbedrängten Helden nicht reize. Denn er habe 
ihnen seinen Frieden gewährt. So sandte er Helferich zum 
Saale. Der brachte die Botschaft, daß Rüdiger erschlagen 
liege. Wolf hart mahnte Dietrich, das zu rächen. Der aber 

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befahl dem Meister Hildebrand, zu den Giv&ter, ]zc.;genVö> • 
damit er genau erfahre, wie solches geschehen sei. Er selbst 
setzte sich voll schwerer Trauer in ein Fenster. Hildebrand 
wollte waffenlos und allein zu den Burgunden gehen. Wolf- 
hart aber, als fürchte er eine Kränkung seines Oheims durch 
die Helden, mahnte ihn, sich zu waffnen.' Da folgte der Weise 
des Toren Rat. j Ehe der greise Recke es recht gewahr wurde, f 
folgten ihm alle Mannen Dietrichs kampfgerüstet zum Saale, ' 
damit Hagen nicht des Alten zu spotten wage. " 

Als Volker die Amelungenhelden unterm Helme nahen sah, 
sprach er zu den Burgunden: '„Dort nahen feindlich Dietrichs 
Mannen. 1 Nun ist uns Fremdlingen das Ende nahe." Auf 
den Schild gestützt fragte Hildebrand die Recken, ' ob von 
ihrer Hand der edle Rüdiger erschlagen liege. Hagen erwiderte: 
„Der Bote hat nicht gelogen, wie sehr ich euch auch gönnte, 
daß er noch lebte." |« Als sich Dietrichs Helden in Klagen 
ergingen, sprach Hildebrand: ! „Nun gewährt, ihr Helden, 
wonach uns Dietrich hergesandt: ' gebt uns den toten Rüdiger, 
daß wir dem im Tode dienen, dem wir lieber im Leben ge- 
dient hätten." — „Das heiße ich wahre Treue", sprach 
Gunther, „und wie ein Freund am Freunde handeln." -f- 
„So eilt", rief Wolfhart „und laßt uns länger nicht flehen."] 
Volker aber weigerte die Herausgabe. ' Selber möchten sie 
den Gefällten aus dem Saale holen. Wolf hart sprach: „Nicht 
dürft ihr uns noch reizen. Leid genug habt ihr uns getan. 
Dürfte ich es vor meinem Herrn, so kämt ihr in Not, Herr 
Spielmann." Der erwiderte: „Furcht ist in dem, der alles 
läßt, was man ihm verbietet. Das heiße ich keinen Helden- 
mut." Mit solchen Reden erhitzten sich die beiden, bis Wolf- 
hart sich zum Sprunge rüstete. Noch einmal hielt ihn Hilde- 
brand zurück: „Willst du wüten in deinem törichten Zorn, 
daß wir für immer unseres Herrn Gnade verlieren?" Doch 
weiter reizte Volker die Berner auf. Da lief Wolfhart wie 
ein wilder Löwe zur Stiege. ! Aber noch schneller eilte Hilde- 
brand und setzte sich an die Spitze seiner vorstürmenden 

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. fclarineit. *1£rlrajinta Hägen an, daß von den Schwertern eine 
feuerrote" Lohe ging. Doch wurden sie bald im Kampfe ge- 
trennt. Von Wolfharts und Volkers Helmen stoben die Fun- 
ken und sprangen die Spangen, doch wurden sie geschieden. 
Was Gunther, Giselher und Dankwart zuvor im Streite getan, 
das war nur ein Wind: nun erst erstrahlte ihr Heldentum. 
Da wüteten Hildebrand und Wolfhart unter den Burgunden, 
bis Volker ihnen entgegentrat. Den erkor sich der alte 
Hildebrand: er schlug den kühnen Spielmann, daß rings die 
Helmbänder und Schildstücke stoben. ' So mußte der Fiedler 
sein Ende gewinnen, j Als Hagen seinen treusten Heer- 
gesellen tot sah, | erwachte ihm wildes Racheverlangen:! er 
schwor, ihn an Hildebrand zu rächen. Dankwart fiel von 
Helferichs Schwert. Wolfhart aber, nachdem er in drei- 
maligem Rundgang im Saale alle burgundischen Mannen 
erschlagen hatte, mußte dem jungen Giselher stehen. Von 
ihm empfing er die Todeswunde, doch, schon sterbend, ließ 
er den Schild fallen und erschlug, hoch das Schwert schwingend, 
den jungen Giselher. Beide zugleich stürzten die Helden in den 
grimmen Tod. 

Nun waren Gunthers und Dietrichs Mannen alle tot. | Hilde- 
brand beugte sich trauernd zu Wolf hart, um ihn fortzutragen. 
Das vermochte er nicht. Da sprach zu ihm der Todwunde:) 
„Nichts nützt mir, Oheim, deine Hilfe mehr. ' Du aber hüte 
dich vor Hagen. Um mich sollt ihr nicht klagen: von Königs- 
händen fand ich hier herrlichen Tod. . Auch habe ich meinen 
Fall im voraus an vielen Recken vergolten." 

Da gedachte Hagen des Spielmanns Tod an Hildebrand 
zu rächen. Mit Balmung, Sigfrids erlauchtem Schwert, fiel 
er ihn gewaltig an und verwundete ihn nach kurzem Kampf. 
Da warf Hildebrand den Schild auf den Rücken und entrann 
dem grimmen Hagen mit schwerer Wunde. 

Im weiten Saale war nun niemand mehr am Leben als 
Gunther und Hagen. Hildebrand aber eilte hin, wo er seinen 
Herrn trauernd sitzen fand. Da der seinen Waffenmeister 

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in der Brünne rot sah, fragte er ihn, wer das getan; und ob 
er gegen sein Gebot mit den Gästen gestritten habe, j „Hagen 
tat es", sprach Hildebrand, „mit Mühe entrann ich ihm lebend." J 
„So geschah euch recht, da ihr Freundschaft und Frieden 
bracht, die ich den Gästen bot. | Mit dem Leben solltet ihr 
das büßen, wie ihr mich in Schande gebracht." -j- „Scheltet 
nicht, Herr Dietrich", sprach Hildebrand, „allzu groß ist mein 
Schade. | Wir wollten Rüdiger von dannen tragen/ das ver- 
gönnten uns Gunthers Mannen^nicht." -f- „Also ist Rüdiger 
doch tot", klagte Dietrich, „wer tat das?" -j- „Das tat Gernot", 
sprach Hildebrand, „doch nahm ihn Rüdiger mit in den Tod." f 
— „Nun saget meinen Mannen, daß sie sich waffnen", sprach 
Dietrich,| „und bringt mir mein lichtes Streitgewand. J Ich 
selber will die Burgunden fragen." j Da sprach Hildebrand: 
„Wer soll mit euch gehen? Die von den euren am Leben 
blieben, die stehen hier bei euch. Das bin ich allein. Die 
andern sind alle tot." Scharfer Schmerz durchfuhr da den 
heimatlosen Dietrich: „Sind alle meine Helden tot, so hat 
Gott mein vergessen, ich armer Dietrich, j Gewesen bin ich 
ein hehrer König, machtvoll und reich, j Weh, daß ich Wolf- 
hart verlor und alle Helden! '> Wer soll mir nun heimhelfen 
in das Amelungenland? -f- Wie konnte es geschehen, daß 
die Helden alle den nothaften Streitmüden erliegen mußten? 
Das geschah um mein unseliges Geschick. Weh, daß man 
vor Leid nicht sterben kann." f Dann fragte er, ob noch einer 
der Gäste dem Tode entronnen sei. „Niemand als Hagen und 
Gunther", sprach Hildebrand. 

Da waffnete sich Dietrich allein mit Hildebrands Hilfe. 
Er klagte, daß von seiner Stimme das Haus erdröhnte. Dann 
aber gewann er seinen grimmen Heldenmut, mit Hildebrand 
ging er zum Saale. Als Hagen ihn nahen sah, sprach er: 
„Dort naht Dietrich, sein Leid an uns zu rächen. Nun fällt 
das Los, wen man den größten Helden nenne. Ist Dietrich 
noch so furchtbar, ich getraue mich ihn zu bestehen." 

Gunther und Hagen standen vor dem Hause an den Saal 



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gelehnt, als Dietrich seinen Schild niedersetzte. Leidvoll hub 
er an: „Gunther, du großer König, was habt ihr wider mich 
Heimatlosen vollbracht. Meiner Hoffnung beraubt, stehe 
ich einsam da. War es nicht des Leides genug, daß ihr uns 
Rüdiger erschlugt? 1 Nun raubtet ihr mir all meine Getreuen. 
Nie hätte ich euch solch Leid getan. Ermeßt meinen Schmerz 
um Rüdiger und meine erschlagenen Mannen an eurem 
Jammer um den Tod eurer Freunde." — „So schuldig sind 
wir nicht", sprach Hagen, „gewafmet kamen eure Helden, \ 
eine breite Schar uns zum Trotze zum Hause." Und Gunther: 
„Sie wollten Rüdiger von hinnen tragen. Das versagte ich 
Etzel, nicht deinen Mannen, zuleide. Darob schalt uns 
Wolfhart." — „Nun Gunther", sprach Dietrich, „vergilt mir 
all das Herzeleid, das mir von dir geschah, sühne es, Ritter, 
daß ich es nicht rächen muß. Ergib dich mir als Geisel, du 
und dein Mann, so will ich euch aufs allerbeste behüten. 
Dann sollt ihr an mir nichts denn getreuen und guten Willen 
finden." — „Das verhüte Gott", sprach Hagen, „daß sich 
dir zwei Recken ergeben, die noch in Wehr und Waffen dir 
entgegenstehen und die noch kein Feind bezwungen hat." | 

— „Versagt es mir nicht", sprach Dietrich, „billig ist es, daß 
ihr mir das Leid vergütet, womit ihr mich beschwert habt. 
Ich gelobe euch mit Hand und Mund, daß ich mit euch heim 
in euer Land reiten will. Ehrenvoll will ich euch geleiten, 
um euretwillen will ich all meine Not vergessen." — „Steht 
ab", sprach Hagen, „nie ergeben sich zwei Degen in eure 
Hand." — „Hörte ich euch nicht sagen", sprach da Dietrich, 
„daß ihr allein, Herr Hagen, mich zu bestehen mutig wäret?" 

— „Dessen erkühne ich mich", sprach er, „es zerbreche mir 
denn Nibelungs Schwert." 

Da sprangen die Helden einander an. Laut erklang Bai- 
mung auf Dietrich. Der deckte sich vorsichtig: wohl kannte 
er Hagens grimmen Mut und Balmungs Schärfe. Nur unter- 
weilen hieb er kunstreich dawider, bis er Hagen eine tiefe 
Wunde schlug. Da dachte er: „Durch lange Not bist du matt. 



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Wenig Ehre wäre es mir, lägst du vor mir tot. Besser wäre 
es, ich erzwänge dich mir zur Geisel." | Den Schild ließ er 
fallen, mit gewaltiger Stärke umschloß er Hagen, er band ihn 
und führte ihn zu Kriemhild. j Ihr gab er den kühnsten Recken, 
der je ein Schwert trug. | All ihr tiefes Leid schwand der Köni- 
gin,) als sie ihren Feind gefesselt vor sich sah. ' Dietrich aber 
sprach: ,,Laßt ihn am Leben, Königin. Wohl mag noch ge- 
schehen, daß er für alles getane Leid euch Sühne gibt. ] Laßt 
es ihn nicht entgelten, daß er gebunden vor euch steht." 
Da ließ die Königin ihn in eine Zelle schließen. 

Dietrich aber kehrte zum Saale zurück, wo Gunther, der 
letzte seiner Schar, ihn kampfgierig erwartete. In tobendem 
Zorn ließ er nach so viel Nöten sein Schwert auf Dietrich 
fallen, daß der nur mit Mühe entrann. Doch zwang er end- 
lich Gunther, wie er Hagen gezwungen hatte. Blutberonnen 
und gebunden führte er den Burgundenkönig , an der Hand 
zu Kriemhild. Höhnenden Willkommgruß bot sie dem Bru- 
der. Dietrich aber sprach: „So edle Geiseln gab es nie, als 
ich euch, Königin, brachte. Nun sollt ihr die Landfremden 
meinen Frieden genießen lassen." Das versprach Kriemhild, 
und traurig ging Dietrich davon. 

Kriemhild verschloß jeden ihrer Geiseln in ein besonderes 
Gemach. Dann ging sie zu Hagen. Feindlich sprach sie 
ihn an: ,, Wollt ihr mir wiedergeben, was ihr mir genommen 
habt, so mögt ihr noch heil heimkehren." Hagen antwortete: 
„Verloren ist eure Rede. Ich schwor, den Hort nicht zu weisen, 
solange meiner Herren einer lebt." „Nun bring ich's zu Ende", 
sprach die Königin. Ihren Bruder hieß sie töten, v sein Haupt 
trug sie an den Haaren vor Hagen. Der sprach: „Nach 
deinem Willen hast du es zu Ende gebracht. Nun sind die 
Könige alle tot, Gunther, der edle, und Gernot und der junge 
Giselher. Nun weiß niemand das Geheimnis des Schatzes 
mehr als ich allein. Ewig soll er dir, Unholdin, verhohlen 
bleiben." Kriemhild erwiderte: „Üble Sühne gewährt ihr 
mir. So will ich wenigstens Sigfrids Schwert behalten. Das 

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trug mein holder Liebster als ich ihn zuletzt sah." | Sie zog 
dem Gefesselten das Schwert Balmung aus der Scheide, hob 
es auf und hieb ihm das Haupt vom Rumpfe. 

Als König Etzel das sah, rief er aus: „Weh, von eines Weibes 
Händen ist der beste Recke gefällt, der je im Sturme den 
Schild trug! Wie sehr ich sein Feind war, das ist mir weh 
und leid." Hildebrand aber sprach: „Dessen soll sie nicht 
froh werden, was mir auch geschehe. Brächte es mich selbst 
in schwere Not, so will ich doch des Kühnen Tod rächen." 
Und mit sausendem Hiebe schlug er der Königin das Haupt ab. 

Da lag die ganze Ehre der Ritterschaft tot. Dietrich und 
Etzel begannen zu weinen. Mit Leid war geendet des Königs 
Freudenfest. Hier endet die Mär von der Nibelungen Not. 

13. WOLFDIETRICH. 

Zu Reims herrschte ein gewaltiger König, der hieß Hug- 
dietrich. Zwei Söhne hatte ihm seine Gemahlin, die Schwester 
des Hunnenkönigs Botelung, geboren. 

Einst ritt er auf Heerfahrt wider König Frute von Däne- 
mark mit Berchtung von Meran, seinem getreuen Dienstmann 
und Berater. Land und Burgen befahl er dem Herzog Saben, 
daß er sie und die Königin während der Heerfahrt hüte. 
Saben war ein landfremder Mann, der am Hunnenhofe auf- 
gewachsen war. Doch Hugdietrich liebte ihn wegen seines 
schönen Leibes und seiner klugen Rede. Er war aber ein 
ungetreuer Mann und sann seines Herrn Verderben. Als der 
König mit dem Heer das Land verlassen hatte, nahte er der 
Königin mit verführerischen Worten. Da diese ihn aber voll 
Zorn von sich wies, fürchtete der Ungetreue, die Gekränkte 
möchte dem Könige seine Schandtat melden, und spann 
finstere Pläne. 

Die Königin ging damals mit ihrem dritten Kinde, ohne 
daß Hugdietrich es wußte, und während er also auf Heerfahrt 
war, gebar sie einen schönen Sohn. Der Knabe wuchs früh 

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zu großer Stärke und Wildheit. Als sein Vater heimkehrte, 
sah er, wie das Kind zwei Hunde gegen die Mauer warf, die 
sein Brot aus der Hand zuschnappen suchten, und er erschrak 
über des Kindes Kraft. Saben aber glaubte, nun die Königin 
verderben zu können. Er beredete seinen Herrn, sie habe 
den Knaben mit einem Alben gezeugt. Da fiel des Königs 
Zorn auf seinen Sohn, und er beschloß, ihn töten zu lassen. 
Auf Sabens Rat gab er Berchtung von Meran den Befehl 
zur heimlichen Tötung des Knaben. Lange weigerte sich 
der Treue, doch als Hugdietrich drohte, ihn samt seinem 
Weibe und seinen sechzehn Söhnen umzubringen, wenn er 
dem Befehl nicht folge, entschloß er sich voll Trauer zur Tat. 

In der Nacht übergab der König dem Berchtung das Kind 
in aller Heimlichkeit. Der trug es auf seinen Armen aus der 
Burg. Im Morgengrauen erwachte das Kind an des Ritters 
Brust. Lachend griff es an die glänzenden Ringe seiner 
Brünne. Das rührte den Alten, und er dachte: „Nimmer geht 
es mir wohl, wenn ich das Kindlein töte." Er trug es auf 
einen grünen Anger, dort war ein Brunnen, in dessen Mitte 
schöne Seerosen wuchsen. Damit des Königs Wille geschehe, 
aber er nicht zum Mörder werde, setzte Berchtung das Kind 
an den Rand des Brunnens, daß es, nach den Rosen greifend, 
im Wasser ertrinke. Doch war dem Knaben solcher Tod 
nicht bestimmt: ungefährdet spielte er auf dem Anger den 
ganzen Tag. Am Abend kamen die Tiere des Waldes, um 
sich am Brunnen zu tränken. Doch weder Bär noch Wildsau 
taten dem Knaben ein Leid. In der Nacht kamen die Wölfe. 
Sie setzten sich rings um das verlassene Kind, aber wie groß 
ihr Hunger war, sie berührten es nicht. Ihre Augen brannten 
vor Gier wie Kerzen, der Knabe aber fürchtete sie nicht: 
er griff mit der Hand nach den lohenden Augen der Wölfe 
und trieb mit den wilden Tieren bis zum Morgen sein Spiel. 

Als Berchtung in seinem Versteck das seltsame Wunder 
sah, ward er inne, daß dem Knaben nicht bestimmt sei zu 
sterben, und glaubte, daß Sabens Beschuldigung aus verräte- 



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rischem Herzen entsprungen sei. Er beschloß, das unschuldige 
Kind zu retten, wenn er auch sein und der Seinigen Leben 
gefährde, hob den Knaben wieder auf seine Arme und sprach: 
„Ein gutes Vorzeichen deucht mir, daß du unversehrt unter 
Wölfen saßest. Wolfdietrich sollst du heißen und wirst einst 
ein mächtiger König auch gegen deines Vaters Willen." Er 
brachte das Kind zu einem Wildschütz, der im Walde eine 
Jagdhütte hatte. Seiner Treue und der Pflege seines Weibes 
empfahl er es und beredete ihn, es für sein eigen auszugeben. 

Als die Königin ihren Sohn nicht mehr fand, zieh sie den 
König des Mordes. Der sah seines Weibes Verzweiflung und 
Zorn und verlangte Sabens Rat, wie er sich vor der Königin 
von der Schuld reinige. Saben sprach: „Berchtung tat 
übel an dem Kinde und mordete dir den Sohn. Nimmer 
darfst du ihm das vergeben." — ,,Weh mir", sprach Hug- 
dietrich, „mit Mühe erlangte ich von ihm, daß er meinen 
Willen tat. Wie sollte ich ihn deshalb hassen? Das brächte 
mir wenig Ehre." Saben aber vergiftete seinen Sinn: „Leicht 
hätte Berchtung", sprach er, „den Knaben schonen können, 
aber er ist dein Feind. Nicht ungern tötete er den Knaben. 
Er wird nicht ruhen, bis ihm dein Königreich zufällt." So 
erregte der Tückische des Königs Zorn wider Berchtung. 
Er riet ihm, den Alten mit seinen Söhnen an den Hof zu laden 
unter dem Vorwande festlichen Ritterschlages. 

Als Berchtung am Hofe angekommen war, sprach Saben 
zum Könige: „Laß die Waffen der Gäste aus dem Saale ent- 
fernen. Danach, wenn Berchtung zu Tische geht, so berede 
die Königin, daß sie Mord über ihn schreie und den Ver- 
sammelten kundtue, daß er das Kind getötet habe." So 
geschah es. Lange sträubte die Königin sich. Sie sah in dem 
Anschlag nur Sabens bösen Rat, und nur durch schwere 
Drohung zwang sie der König zu seinem Plan. Mit verwirrtem 
Gewand und zerzaustem Haar trat die Königin mit ihrem 
Gemahl zur Tafel. Dreimal riefen beide laut: „Wehe über 
Berchtung, er hat unser Kind gemordet!" Dann ließ der 

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König den Waffenlosen fangen und fesseln. Berchtung sprach: 
„Übel ergeht es mir um meinen Dienst. Um Treue muß 
ich leiden, was mir nun geschieht. Doch bricht Hugdietrich 
die Treue an mir, will ich sie drum an ihm nicht brechen.» 
Mögen die Leute wähnen, ich habe meinen Herren erschlagen: 
ich schweige." 

Nach vier Monaten berief der König seine Mannen zum 
Gericht über Berchtung. Als Richter setzte Hugdietrich den 
ungetreuen Saben an seine Stelle und verlieh ihm als dem 
königlichen Richter seine Krone. Auf Sabens Rat verbot er 
all seinen Mannen, für Berchtung im Gericht zu sprechen 
und einzutreten. Berchtung ward gebunden vor die Richter 
geführt. Wieder schrieen sie Mord über ihn. Saben als des 
Königs Vormund fragte ihn, ob er leugne oder bekenne. Er 
erwiderte: „Weh, Geselle Saben, wenn ihr zum König geworden 
seid, so gebt mir Gnade, denn ich bin unschuldig. Gebt mir 
einen Mann, der als mein Friedeschild für mich spreche." 
Doch keiner von allen Mannen wagte, für den Gebundenen 
einzutreten. So stand er allein wie ein Heimatloser vor dem 
Gerichte, und niemand wollte ihn anhören. 

Da drang plötzlich Baltram, Berchtungs Verwandter, mit 
hundert gewappneten Rittern durch die Rotte zu Berchtung 
in den Ring. Dem hilfelosen Mann, der gleich einem Diebe 
gebunden vor dem Richter stand, zerschnitt er die Bande 
und schalt die Feigen, die ihm in der Not den Beistand weiger- 
ten, schalt das ungerechte Königsgericht und Saben, den 
treulosen Richter. Er verlangte, daß man im Zweikampf das 
Gottesurteil sprechen lasse, und forderte Hugdietrich, den 
Kläger und Saben auf, dem Beschrieenen mit dem Schwert 
genugzutun. Heimlich fragte der König Saben, ob er sich 
zum Zweikampf stellen wolle. Der aber schob den Kampf 
dem Könige zu. Da fuhr Hugdietrich zornig auf: „Wo sind 
nun deine Ratschläge? Ich hieß ihn das Kind töten, wie 
könnte ich da seine Schuld im Gottesurteil erweisen." Zu 
Berchtung aber sprach er: „Mir ist leid, daß ich dich in dieses 

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Ungemach führte. Ich weiß nicht, ob du schuldig bist, 
darum sollst du ledig aus dem Gerichte gehen. Was hülfe 
es auch — das Kind ist doch verloren." Da rief Berchtung: 
„Nein, es lebt und selbst die wilden Tiere schonten es." Und 
er erzählte alles, was sich mit Wolfdietrich zugetragen hatte. 

Der König aber sprach: „Zu Unrecht fing ich dich, und 
selber bin ich schuldig an meinem Sohne, Saben riet es mir. 
Nun räche es wie du willst." 

Er überantwortete Berchtung den Verräter, damit er alle 
Schandtaten an ihm räche und ihm die Todesart bestimme. 
Da beweinten manche Saben um seiner Schöne willen, doch 
wagte niemand, für ihn einzutreten. Sabens beredte Bitten 
wußten auch Berchtungs edles Herz zu bewegen: und obwohl 
die Königin ihn vor der Tücke des Verführers warnte, schenkte 
Berchtung ihm das Leben, aber verbannte ihn aus dem Lande. 

Berchtung zog heim nach Lilienport, seiner festen Burg. 
Er holte seine sechzehn Söhne und Wolfdietrich und kehrte 
mit ihnen an den Hof zurück. Da freute sich die Königin 
des wiedergefundenen Sohnes, der Berchtungs Söhne an 
Größe überragte, obwohl sie an Jahren weit älter waren. 
Der König bat den treuen Berchtung, Wolfdietrich weiter mit 
seinen Söhnen aufzuziehen, da er an ihm schon so viel Treue 
bewiesen habe, und sprach zu ihm: „Gern gäbe ich ihm sein 
Erbteil an Land und Burgen, doch verschwor ich es, als seine 
Mutter einst sprach, er sei stark genug, sich selbst ein König- 
reich zu erfechten. Den Eid darf ich nicht brechen. Doch 
nimm von mir Harnisch, Schwert und Roß und gib sie ihm, 
wenn er zu Jahren kommt und nach Streit verlangt. Geben 
ihm dann seine Brüder nicht sein rechtes Drittel, so nimmt 
er es, und wehren sie es ihm, so nimmt er auch noch ihre 
Drittel. Hilf du ihm zu seinem Rechte." Berchtung ver- 
sprach es und gab dem landlosen Königssohne, wenn er zum 
Manne erwüchse, sich selbst und seine sechzehn Söhne zu 
Gefolgsmannen. Dann nahm er ihn mit sich heim auf seine 
Burg. 

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Nicht lange danach starb Hugdietrich. Kaum war er ver- 
schieden, so warb der schöne Saben wieder um die Gunst 
der Königin. Berchtung widerriet ihr zornig, ihn zu Gnaden 
aufzunehmen, denn er werde sie, ihre Kinder und ihre Ge- 
treuen verderben. Dennoch ließ sich die Königin von dem 
Falschen umgarnen, schenkte ihm wieder ihre Huld und gab 
seinem bösen Rat Gehör. Berchtung, der das Unheil nahen 
sah, bereute bitter, den Verräter geschont zu haben. Bevor 
er noch das Erbe ordnen konnte, wurde er vom Hofe ver- 
bannt, und Saben ergriff die Vormundschaft. Bald beredete er 
die jungen Könige, Wolfdietrich sei ihr Bruder nicht. „Eure 
Mutter aber", sprach er, „trachtet Tag und Nacht, euch zu 
verderben. Verstoßt sie und nehmt ihr das Erbe, das ihr der 
König ließ. Ein Kebskind hat sie geboren und eures Vaters 
Ehe zerstört." So wurden bald auch die Königin und Wolf- 
dietrich verstoßen. Die jungen Könige schalten ihre Mutter 
eine Metze, Wolfdietrich ein Kebskind und nahmen ihnen 
Erbe und Land. Nichts ließen sie der königlichen Mutter als 
Roß und Gewand, so arm und beraubt ritt sie zu Berchtung 
nach Lilienport. 

Unmutig empfing Berchtung die wankelmütige Königin, 
doch erbarmte er sich der Verlassenen und nahm sie bei sich 
auf. Von ihr erfuhr Wolfdietrich, wie treu Berchtung ihn 
in seiner frühen Jugend behütet habe. Da kniete er vor seinem 
alten Meister, küßte ihm die Hände und sprach: „Gott vergelte 
dir. Fürst von Meran, was du an mir tatest: dir verdanke ich 
Ehre und Leben, darum gebe ich mich in deine Huld. Saben 
aber soll mir entgelten, daß er mich und meine Mutter ver- 
stoßen hat. Mein Erbteil will ich selbst gewinnen." 

Mit seinen Söhnen und all seinen Mannen versprach Berch- 
tung ihm beizustehen. Von Lilienport zog Wolfdietrich mit 
seinem Heer nach Reims, und während das Heer verborgen 
vor der Stadt lagerte, begaben sich Wolfdietrich und Berchtung 
zu den Königen. Da forderte der Alte mit kühnem Wort 
Wolfdietrichs Erbteil. Doch die Könige schalten ihren Bruder 



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ein Kebskind und versagten ihm sein Teil. Als sie aber den 
alten Berchtung beschimpften und bedrohten, rief Wolf- 
dietrich: „Wer meinen Meister berührt, muß von meinem 
Schwerte fallen, oder ich will nicht leben." Nach solchem 
Wort wichen die Brüder aus der Tür des Saales, um sich zu 
rüsten, denn sie wollten ihren Bruder verderben. Während 
aber Wolfdietrich die Tür hütete, daß keiner den Saal beträte, 
eilte Berchtung hinaus, setzte ein goldrotes Horn an den 
Mund und rief mit seinem Schalle seine Söhne und Mannen 
herbei. Da erhob sich in der Burg Kampf getöse, und einen 
langen Tag wurde gestritten. Am Abend waren alle Mannen 
Berchtungs erschlagen, nur er selbst und seine Söhne waren 
noch am Leben. Da wollte Wolfdietrich das Feld räumen, 
damit doch seine Getreuen gerettet würden. Berchtung aber 
sprach: ,, Solange meine Söhne am Leben sind, weichen wir 
nicht." Von neuem drangen sie auf die Feinde ein. Da 
wurden sechs von Berchtungs Söhnen erschlagen. So oft 
einer fiel, lächelte der Alte Wolfdietrich an und grüßte ihn 
freundlich, damit er es nicht merke. Endlich wurde Wolf- 
dietrich von den Seinen im Kampfe geschieden und geriet, 
wie tapfer er auch kämpfte, in schwere Bedrängnis. Ehe 
seine Gefolgschaft ihm zur Hilfe eilen konnte, empfing er 
durch den Helm eine Wunde, so daß er niederfiel. Doch schon 
sprang Berchtung über ihn, hob ihn auf, und während die 
Söhne ihn deckten, eilte er mit dem Ohnmächtigen zu den 
Pferden. Von vielen Feinden verfolgt, jagten Berchtung und 
seine Söhne mit Wolfdietrich dem nahen Walde zu. So 
kamen sie nach Lilienport. 

Als Wolfdietrich aus seiner Wundnot erwachte, weinte der 
junge Held vor Zorn und wollte sogleich wider die Feinde 
reiten, um den Verräter Saben zu töten. Doch Berchtung ent- 
hüllte ihm die Wahrheit: alle Recken, die er mit seinen Söhnen 
in den Kampf geführt, waren erschlagen, von seinen sechzehn 
Söhnen lagen sechs gefällt. So hatte Wolfdietrich keine 
Recken mehr, als nur seine elf Getreuen. Jammer befiel ihn. 

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Weinend beklagte er die toten BerchtungssÖhne. Der Alte 
aber vergaß um seines Herren willen den Tod seiner Kinder. 
Er sprach zu seinem klagenden Herrn: „Genug des Jammers! 
Laß die Frauen um die Toten klagen." 

Von Klagen über die Gefallenen hallte die Burg wider. Doch 
zu seinem Weibe sprach Berchtung: „Vergiß der gefallenen 
Söhne. Was wir zwei auch klagen mögen, das klagt Wolf- 
dietrich allein. Tröste meinen Herrn! Wir müssen sorgen, daß er 
unserer Söhne Tod vergesse. Ich ertrage seinen Jammer nicht." 

Am fünften Morgen hob sich in der Burg großer Schall: 
Tal und Berg rings um die Burg füllten sich mit den heran- 
rückenden Feinden. 

Den Versuch Sabens, Berchtung zum Verrat an seinem 
Herrn zu bewegen, wies der Alte mit Hohn von sich. In 
kühnen Ausfällen bewiesen die Belagerten ihren Mut. Die 
Könige aber wichen nicht, sie hatten geschworen, das Feld 
nicht zu räumen, bis die Burg gefallen sei. Schon bis ins 
vierte Jahr hatte die Belagerung gewährt, der Hunger be- 
drohte die Tapferen und es schmerzte Wolfdietrich sehr, daß 
er mit seinen Mannen so elend umkommen sollte. Von 
Sorgen war der Jüngling weise geworden. Er sprach zu 
Berchtung: „Mit Untätigkeit erwirbt niemand ein Königreich. 
Gehe es wie es wolle: ich will von dannen fahren. Statt 
daß ich bei dir verderbe, will ich suchen, dich und deine Söhne 
zu lösen, die ihr durch mich ins Mißgeschick gekommen seid. 
Alle Lande will ich durchreiten, bis ich einen König finde, 
der so stark ist, daß er mir wider meine Brüder zu meinem 
Rechte verhelfe." Da der treue Berchtung des Jünglings 
Willen nicht wenden konnte, riet er ihm, zu König Ortnid 
in Lamparten zu reiten. Der sei so gewaltig, daß er Wolf- 
dietrichs Brüder zu bestehen und seine Mannen zu lösen 
vermöge. Denn er wußte noch nicht, daß König Ortnid dem 
Drachen im Kampfe erlegen war. 

Wolfdietrich rüstete zur Fahrt, und Berchtung gab ihm die 
Waffen seines Vaters Hugdietrich: Helm und Brünne, sein 

8 Wolter« u. Peterten, Heldensagen. 

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gutes Schwert und Falke, sein Roß. Tief trauerten seine 
elf Getreuen, als sie ihren Herrn scheiden sahen. Berchtung 
sprach zu ihm: „Bedenke mein Alter, vergiß unser nicht auf 
deinen Fahrten. Ich fürchte, daß du bei deiner Jugend von 
Weibesliebe bestrickt werdest, dann achtest du alles gering, 
und wir gehen zugrunde." — „Schlechtes Vertrauen hegst 
du zu mir", sprach Wolfdietrich. „Gäbe mir einer das schönste 
Weib und tausend Königreiche mit Land und Burgen: nimmer 
will ich ein Weib gewinnen, ehe ich dich und deine Söhne 
gelöst habe." Das Gelübde beschwor Wolfdietrich auf das 
Schwert des Alten. Voll Herzeleid sahen ihn die Seinen 
scheiden, als er auf Falke vom Hofe ritt. 

Als er zu den feindlichen Wachen kam, fragte man ihn, 
wer er wäre. Da nannte er sich einen Wächter vor der Burg 
und sprach: „Seid auf der Hut, eben ward die Burg aufgetan. 
Wolfdietrich will entrinnen mit seinen elf Getreuen." So ritt 
er unerkannt durch die Feinde. Wer sich ihm aber ent- 
gegenstellte, den legte er in den Staub. Bis an den Morgen 
ritt er durch das Heer. Als die Feinde inne wurden, wer bei 
Nacht ihre Mannen erschlagen habe, sprach Saben: „Läster- 
lich haben wir gewacht, da uns Wolfdietrich entronnen ist. 
Nun mag es doch geschehen, daß er sein Königreich gewinnt." 
Wolfdietrich aber ritt die Straße gen Lamparten. 

Berchtung und seine Söhne erkannten bald, daß sie sich in 
der Burg nicht länger halten könnten. So beschlossen sie, 
sich den Belagerern zu ergeben. Berchtung trat vor die 
Könige. „Wo hast du deinen Herrn", fragten sie. „Er ist 
von uns gegangen", antwortete der Alte. Da sprachen die 
jungen Fürsten: „Willst du uns beiden Treue schwören und 
dienen, wie du Wolfdietrich dientest, so sollst du Land und 
Burgen behalten." — „Ich will euch schwören", sprach 
Berchtung, „euch mit meinen Söhnen zu dienen wider alle 
Welt. Kommt aber Wolfdietrich wieder, so wollen wir ohne 
Schande unserer Eide ledig sein. Unserem lieben Herrn 
brechen wir die Treue nicht." — „Ist das eure Bedingung", 

ii 4 



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« 



antworteten die Könige, „so seid ihr unsere Gefangenen." 
Sie ließen die Berchtunge in Fesseln schließen und nach 
Reims bringen. Dort mußten sie auf der Mauer bei Tag und 
Nacht gezwungen Schildwacht halten. 

Wolfdietrich ritt viele Tage durch wilden Wald und einsame 
Wüste, ohne einen Menschen zu treffen. Wilde Tiere brachten 
ihm Gefahr, und Hunger und Durst entkräfteten ihn und sein 
Roß. Unbekannt waren ihm Steige und Straßen, doch er- 
reichte er nach vielen Mühsalen und Abenteuern König 
Ortnids Land. Da wurde er bald gewahr, daß das Land ohne 
Friede war und daß keine starke Hand mit Macht und Recht 
es schirme. Wem er auf den Straßen begegnete, der schien 
ihm betrübt und voll Sorge. So ritt er, ohne jemanden zu 
fragen und ohne von jemandem gefragt zu werden. Als er 
endlich zur Nacht in einem finstern Walde von seiner Wan- 
derung erschöpft einen rodenden Bauern fand, bat er ihn 
um Speise und Behausung. Der führte ihn in seine Hütte, 
und auf Wolfdietrichs Befragen, wie Ortnids Land in solche 
Not geraten sei, erzählte der Bauer ihm die traurige Mär. 

Als König Ortnid an der Seite seiner Gemahlin Liebgart 
glücklich zu Garten herrschte, begann einst ein schrecklicher 
Drache das Land zu verheeren. Menschen und Tiere fielen 
dem Ungetüm zum Opfer, so daß kaum einer wagte, den 
Acker zu bestellen, die Wiesen zu mähen oder dem Wilde 
nachzugehen, und die Straßen wurden öde und verlassen. 
Bis vor die Burg zu Garten dehnte der Drache seine Raubzüge 
aus. Ortnid erkannte, daß nur er das Land von dem Gewürm 
reinigen könne, denn niemand wagte, den Kampf mit ihm auf- 
zunehmen, und er gelobte, das Land vom Drachen zu erlösen. 

Niemandem als der Königin enthüllte er seinen Plan. Sie 

wurde von großem Schmerz ergriffen, als sie hörte, in welche 

Gefahr ihr Herr sich stürzen wollte, und flehte ihn an zu bleiben. 

Ortnid aber sprach: „Sippenlos muß ich dich zurücklassen, 

niemandem kann ich dich befehlen, als Gott. Nun zeige deinen 

Schmerz nicht, damit man meinen Plan nicht merke, denn 
8* 

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niemand als du darf ihn wissen." Liebgart sagte ihm ihre 
Ahnung, daß die Reise schlimm enden müsse: „Mit allzu 
großem Eifer strebst du nach deinem Tode." Doch der König 
blieb fest. „Sollte ich dem Wurme erliegen, wird einer mich 
rächen mit meinem Schwert. Gib mir deinen Fingerring, 
wer ihn dir wiederbringt, dem glaube, daß ich tot bin. Er 
allein ist deiner würdig. Versprich mir, keinen anderen zum 
Gatten zu nehmen, als der den Wurm erschlug." 

Voll Kampfzorn hüllte sich Ortnid in sein Sturmgewand 
und umgürtete sich mit seinem Schwerte Rose, das einst 
Alberich geschmiedet hatte, er rief seinem treuen Bracken, 
schwang sich auf sein Roß und ritt aus der Burg. Er ritt 
den ganzen Tag und die folgende Nacht, ohne den Wurm 
zu finden. Im Morgenlicht kam er auf einen Anger, der von 
Rosen überblüht war. Müde und ohne Nahrung legte er sich 
unter eine grüne Linde, um eine Weile zu ruhen. Da be- 
zwang ihn der duftschwere Zauberbaum, sein Haupt sank 
auf den grünen Anger, und er fiel in tiefen Schlaf. Der Bracke 
aber legte sich wachend in seinen Schoß. 

Während er schlummerte, brach der Drache durch das 
dichte Laub. Der Bracke erhob seine Stimme, biß dem 
Schläfer in die Brünne und mühte sich, ihn zu wecken. Ortnid 
aber schlief fest. Da strich der Wurm heran, ergriff ihn mit 
seinem ungeheuren Maul und trug ihn schnell in seine Felsen- 
höhle zu seinen gefräßigen Jungen. Die Festigkeit seiner 
Brünne hinderte sie, ihn zu zerfleischen, darum saugten sie 
ihn durch die Panzerringe. So verlor König Ortnid sein Leben. 

Der Bracke war dem Drachen bis zur Höhle gefolgt, und 
als er gesehen, wohin der Wurm seinen Herrn trug, schnell 
heimgelaufen. Als die Königin den Hund kommen sah, 
dachte sie: „Nun ist mein Herr erschlagen ." Sie verkündete 
den Edlen auf der Burg, wohin der König geritten sei: die 
klagten um ihren erschlagenen Herrn, doch niemand wagte 
den Kampfplatz aufzusuchen. Nur ein Knecht folgte dem 
Hunde, der nicht abließ, die Mannen am Rocke zu zerren, 

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um sie auf die rechte Spur zu führen. Der fand die Höhle, 
in die des Untiers blutige Spuren führten. Er wandte sich 
voll Schrecken und brachte die böse Mär zurück, daß sein 
Herr vom Drachen getötet sei. 

Bis ins dritte Jahr lebte die Königin in Trauer und Leid, 
und wie sehr die Edlen sie auch bedrängten, daß sie sich von 
neuem vermähle und dem Lande einen Herrn und Schirmer 
gäbe — sie weigerte sich stets, einem anderen als dem Rächer 
Ortnids, dem Töter des Drachen, die Hand zu geben. Endlich 
verstießen die Großen des Reiches die Königin. Zwar blieb 
sie auf der Burg, doch nahm man ihr die Schlüssel zu Ortnids 
Schatzkammer und gab ihr kaum den ärmlichsten Unterhalt, 
sie mußte selbst mit den Mägden ihre Kleider wirken und mit 
ihren weißen Händen grobe Arbeit tun. Land und Volk 
aber gerieten in schwere Trübsal, da niemand sie schirmte: 
keiner der Großen wagte sich an den verheerenden Drachen. 
Nur Graf Wildung wollte gern Liebgar ts Hand gewinnen und 
rühmte sich oft, den Drachen bestehen zu wollen. Doch war 
ihm der Sommer zu heiß und der Winter zu kalt zum Kampfe. 

So erzählte der Bauer. Dann geleitete er Wolfdietrich auf 
sein Begehren noch den Abend auf den Weg nach Garten. 
Der führte ihn zu Ortnids Burg, noch in finsterer Nacht ge- 
langte er hin, und als er am Rande des Grabens von seinem 
Rosse gestiegen war, hörte er oben auf der Mauer den treuen 
Wächter und die Königin um Ortnids Tod klagen. Die 
Königin sprach: „Aller Freuden bin ich bar, seit ich von 
meinem Herrn geschieden bin. Sippenlos, von den Edlen 
des Reiches bedrängt und aller meiner Lande und Schätze 
beraubt, muß ich mühselig mein Leben fristen. Grafen und 
Vasallen dienen mir nicht mehr, ich Freundlose bin vom Erbe 
gestoßen. Nur Weinen und Seufzen ziemt mir, seit ich Ortnid, 
meinen liebsten Freund, verloren habe." Diese Klagen be- 
wegten Wolfdietrichs Herz. Er beschloß, der Königin zu 
helfen, und um seine Stärke zu erkennen zu geben, ergriff er 
einen fuderschweren Stein, der im Burggraben lag, und schleu- 



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derte ihn mit Wucht gegen die Mauer, daß die ganze Burg 
schlitterte. Der Block rollte dem Wächter vor die Füße, und 
vor Schreck stürzte die Königin nieder. „Niemand lebt", 
sprach sie, „der diesen Stein hätte schleudern können, als 
Ortnid, mein Herr. Der hatte die Stärke von zwölf Männern. 
Wenn du zurückgekehrt bist, Ortnid", rief sie hinab, „so 
scheide mich von meinem Jammer. Versuche mich nicht 
länger. Deiner Untertanen einer fordert mich zum Weibe, 
niemand ist, der mich berät. Nun denke meiner Liebe. Ant- 
worte mir Ortnid, wenn du es warst, der den großen Block 
schleuderte." Da antwortete Wolfdietrich: „Ich bin nicht 
euer Herr, sondern ein heimatlos irrender und von seinem 
Erbe vertriebener Mann. Nichts besitze ich als Schild, Speer 
und Roß. Den Stein aber schleuderte ich, damit ihr meine 
Kraft ermesset." — „Heimatloser", sprach die Königin, 
„wer hat euch in dies Land gesandt oder welch Abenteuer 
führte euch her?" — „Durch manches Abenteuer bin ich 
hergekommen", antwortete Wolfdietrich, „nun aber, da ich 
eure Klage vernahm, will ich euch an dem Wurme rächen 
oder ich will gleich Ortnid untergehen." — „Tut es nicht", 
sprach Liebgart, „zu groß ist die Gefahr. Womit hätte ich 
verdient, daß ihr um meinetwillen euer Leben wagtet. Wollt 
ihr euch aber nicht halten lassen, so verspreche ich euch 
meine Lande und mich selbst, wenn ihr siegreich zurück- 
kehrt." — „Ich räche Ortnid an dem Drachen oder kehre nie 
zurück", rief Wolfdietrich. — „So nennt mir doch euren 
Namen", bat die Königin. „Nein", antwortete der Held, 
„ich muß nun im Tann sterben oder kehre heil zurück." 
Gewappnet schwang er sich ohne Stegreif in den Sattel und 
spornte sein Roß, das in mächtigem Sprunge davoneilte. 

Im Walde fand Wolfdietrich rings Zerstörung und Leichen, 
die Spuren des verderblichen Wurmes. Gegen Morgen kam 
er durch das Gefälle einer Steinwand zu dem rosenüber- 
blühten Grund und legte sich dort unter die grüne blühende 
Linde nieder. Da überfiel auch ihn der Schlaf, er bedeckte 

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sich mit dem Schilde, und sein Haupt sank auf den grünen 
Anger. Bald kam der Drache durch das Holz gefahren. 
Wolfdietrichs Roß aber zerriß den Zaum, lief das Untier an 
und trieb es von seinem Herrn zurück. Dann schlug es mit 
dem Hufe auf den Schild, unter dem der Held schlummerte, 
und weckte ihn so. Als Wolfdietrich sah, daß der Wurm 
dagewesen sei, schwang er sich auf das Roß und ritt seiner 
ungefügen Spur voll Kampflust nach. Er kam zu dem Felsen- 
loch, worin der Wurm hauste, und rief: „Böser Wurm, nun 
wehre dich, denn hier kam der dich bestehen und dir deine 
Untaten vergelten will." Der Wurm aber war nicht in seiner 
Höhle, sondern suchte Atzung für seine fünf Jungen. In den 
Wald zurückreitend, hörte Wolfdietrich sein Schnauben und 
sah, wie er eben aus dem dichten Holz in eine Lichtung brach. 
Mit eingelegter Lanze rannte er den Wurm an, doch zer- 
splitterte der Schaft in tausend Stücke. Er sprang vom 
Roß und griff zum Schwerte und hieb damit auf das Haupt 
des Drachen, daß ein Feuernebel daraus fuhr, doch wollte 
das Schwert nicht in die Hornhaut beißen, die hart und licht 
wie Glas war und über eine Spanne dick. Bis zum Abend 
bekämpfte er das Untier vergebens, endlich, als er auf dem 
schuppigen Rücken stehend mit beiden Händen zu gewaltigem 
Schlage ausholte, zersprang ihm das Schwert in drei Stücke. 
Da rief er: „Nun berate mir Gott meine elf Getreuen! Lieb- 
gart, ich kann dich nicht rächen und dein Reich erwerben. " 
Noch kämpfte Falke, sein Roß, mit den Hufen gegen das 
Untier, bis seine Kraft erlahmte. Bald schleuderte der Wurm 
es zur Erde, daß es tot liegenblieb. Wolfdietrich wollte ent- 
eilen, um sich ins Dickicht zu retten. Aber der Wurm faßte 
ihn mit dem Schwänze, nahm das tote Pferd ins Maul und 
trug beide eilends zu seiner Höhle, wo er sie seinen gierig 
aufheulenden Jungen vorwarf. Die fanden aber an dem ge- 
panzerten Ritter keine verwundbare Stelle, denn ihn schützte 
die Dichtigkeit der väterlichen Brünne, und taten sich an 
dem Pferde gütlich. 

IIQ 



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Als der Drache eingeschlafen war, erhob sich Wolfdietrich 
leise und tastete in der Höhle umher. Da fand er Rose, 
König Ortnids Schwert, in glänzender Scheide, und bald auch 
Helm und Brünne, darin Ortnids Gebeine noch verschlossen 
waren. Er erprobte des Schwertes Festigkeit am Felsen, 
daß leuchtende Funken die Höhle erhellten, und es hielt. 
Da fiel Wolfdietrich die schlafenden Drachen an: Wildes 
Getümmel erscholl in der Höhle, doch Rose durchschnitt der 
Drachen Panzer. In schwerem Ringen, das bis zum Morgen 
währte, besiegte der Held den alten Wurm und danach auch 
die Jungen. Nach dem Kampfe schnitt er den toten Unge- 
tümen die Zungen heraus und steckte sie zu sich. Dann 
trug er Ortnids Gebeine aus der Höhle und bestattete den 
Helden in seiner Rüstung. Bei dem Schilde des Königs fand 
er das goldene Ringelein, das einst die Königin beim Abschied 
ihrem Herrn gegeben hatte. Das nahm er zu sich, häufte 
dem König ein Grabmal und ging davon. 

Von dem furchtbaren Kampfe erschöpft schlief Wolfdietrich 
im Walde ein und lag drei Tage wie ein Toter. Während- 
dessen hatte sich in Garten die Mär verbreitet, daß ein fremder 
Ritter ausgegangen sei, den Drachen zu bestehen und Lieb- 
garts Hand zu gewinnen. Da hatte sich Graf Wildung end- 
lich aufgemacht, um selbst das Abenteuer zu versuchen. 
Er fand aber im Walde die Ungetüme schon erschlagen, hieb 
noch gewaltig auf die toten Leiber ein, daß der Wald erdröhnte, 
und schnitt ihnen die Köpfe ab. Dann kehrte er nach Garten 
heim und brüstete sich, die Ungeheuer erschlagen zu haben. 
Da rühmte ihn alles Volk, und die Großen mußten ihm auf 
sein Verlangen Liebgart zum Weibe geben. 

Mit großem Gepränge wurde die Hochzeit gerüstet, Liebgart 
aber war voll Trauer, daß sie dem eitlen Wildung Hand und 
Krone geben sollte. Denn sie traute seinen Worten nicht. 
Am Abend des Hochzeitfestes kam Wolfdietrich aus dem 
Walde nach Garten. Er sah die Burg von Lichtern festlich 
schimmern, und auf seine Frage erzählten ihm die Leute voll 

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Jubel, daß die Königin sich heute Graf Wildung, dem Drachen- 
töter, vermähle. Das erzürnte Wolfdietrich, und er beschloß, 
den Lügner zu entlarven. Er schritt zur Halle, in der die 
Königin mit dem verräterischen Grafen beim festlichen Mahle 
saß. Doch setzte er sich gleich einem Fahrenden zu den 
Spielleuten nahe der Tür. Dem hochragenden fremden 
Ankömmling sandte die Königin einen Becher Weins. Wolf- 
dietrich trank ihn und ließ dann heimlich Ortnids Ring hinein- 
fallen. Als die Fürstin den Ring im Becher fand, erkannte 
sie ihn sogleich und gedachte der Worte, die Ortnid beim Ab- 
schied zu ihr gesprochen hatte. Sie ließ Wolfdrietrich zu 
sich rufen und fragte ihn, wer ihm den Ring gegeben habe. 
„Den gab mir einer im Walde", sprach der Held, „der 
nannte sich Wolfdietrich." — „Wohl hörte ich von Wolf- 
dietrich und seinen elf Getreuen'*, sprach die Königin, „doch 
nie, daß er in unser Land gekommen sei." — „Ihr vernahmt seine 
Stimme", erwiderte der Fremdling, „als ihr auf der Mauer 
euer Leid klagtet und sein Wurf euch glauben machte, Ortnid 
sei wiedergekehrt." — „Nun sagt mir, kühner Held", rief da die 
Königin, „seid ihr Wolfdietrich? Bei der Treue eurer elf 
Gefährten frage ich euch!" „Ihr sollt nicht länger fragen", 
erwiderte er, „ich bin Wolfdietrich und habe eures Herrn 
Tod mit eures Herrn Schwerte gerächt. Ich erschlug den 
Drachen und seine Brut." Da erhob sich großer Lärm im 
Saale. Graf Wildung sprang auf und hieß den Fremdling 
fangen. Frau Liebgart aber sprach: „Wenn ihr den Drachen 
tötetet, so zeigt die Wahrzeichen eurer Tat. Seht hier die 
Drachenhäupter, die Graf Wildung als die seinen brachte." 
Da riß der Held den Häuptern die Mäuler auf und rief: „Herbei 
ihr Frauen und edlen Herren! Wo saht ihr je ein Haupt 
ohne Zunge?" Er zog die Zungen hervor, wies sie den Stau- 
nenden und erzählte ihnen den furchtbaren Drachenkampf 
mit Ortnids Schwert. Da erkannten alle die Wahrheit seiner 
Worte und jubelten ihm zu. Wildung aber ward gefangen 
und das Haupt ihm abgeschlagen. 

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Liebgart war voll Freude, erwählte den Rächer ihres Herrn 
zu ihrem Gemahl und übergab ihm Burg und Reich. Wolf- 
dietrich vermählte sich mit Liebgart. Aber er berührte sie 
nicht, denn immer gedachte er in großer Sorge seiner elf 
Gefolgsmannen und wollte weder Reich noch Weib behalten, 
ehe er seine Treuen aus Feindeshaft befreit hätte. Er be- 
schloß, sie zu lösen oder Reich und Weib nie wiederzusehen. 
Gern hätte ihn Liebgart zurückgehalten. „Was willst du 
dich um elf Dienstmannen sorgen ?" sprach sie. „Ich gebe 
dir für jeden von ihnen elftausend." Doch Wolfdietrich er- 
widerte: „Wären alle Königreiche dein eigen, ich nähme sie 
nicht für einen meiner treuen Mannen, die nun so lange 
unerlöst schmachten." 

Mit zahlreichem Heer brach der Held nach Reims auf. 
Vor der Stadt verbarg er es in einem Walde. Er selbst aber 
ging allein in die Stadt, um seine Getreuen zu suchen. Auf 
seinen Hornruf sollte ihm sein Heer zu Hilfe eilen. 

Abends kam er an den Burggraben. Während er sich 
unter der Mauer barg, hörte er seine Mannen ihr schweres 
Geschick beklagen und den Himmel anflehen, daß er ihren 
Herrn Wolfdietrich schütze und ihnen zur Rettung sende. 
Da rief Wolfdietrich hinauf: „Ihr Wächter auf der Mauer, 
was gebt ihr dem der euch Wolfdietrich heil und gesund 
zeigt?" Voll Freude riefen die Mannen: „Woher kommt ihr 
und wo habt ihr ihn gesehen?" — „Wolfdietrich herrscht als 
gewaltiger König über ein weites Reich, Land und Leute sind 
ihm Untertan", antwortete er. Da klagten die Mannen, daß 
sie nichts hätten, womit sie dem Boten lohnen könnten: 
„Große Not leiden wir. Zu zwei und zweien sind wir zusammen- 
geschmiedet. Zu zweien gibt man uns ein halbes Brot und 
einen Trunk Wasser für jeden Tag." Wolfdietrich sprach: 
„Euch bittet ein irrender Recke um ein Viertel Brot. Weither 
bin ich gewandert, und mich bedrängt der Hunger." Ihm 
erwiderte Herbrand, einer der Mannen: „Verspräche mir einer, 
mir Vater und Mutter vom Tode zu erwecken, ich gäbe ihm 

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darum nicht von meinem kargen Brot. Doch um einer Seele 
willen wollen wir es dir geben: das ist Wolfdietrich, unser 
Herr." Da warfen sie ihm das Brot über die Mauer hinab. 
Doch fing er es nicht. Vor Schmerz über die Leiden seiner 
Mannen und von ihrer Treue erschüttert fiel er wie tot hin. 
Bald aber ermannte er sich und rief: „Ihr Wächter auf der 
Mauer, seid guten Mutes, bald kommt der getreue Wolf- 
dietrich." Als sie aber traurig wurden und zweifelten, ob 
er noch lebe oder sie lebend träfe, rief er hinauf: „Ich bin 
Wolfdietrich, euer getreuer Herr!" Da reckten die Mannen 
ihre Hände gen Himmel, und im Eifer, ihren lange ersehnten 
Herrn zu umarmen, zerbrachen sie ihre Bande, sprangen 
über die Mauer in den tiefen Burggraben und kannten ihrer 
Freude kein Maß. Wolfdietrich aber sprach, nachdem er 
sie alle geküßt hatte: „Wo ist mein Meister Berchtung? Ich 
sehe ihn nicht." — „Ach lieber Herr", erwiderten sie, „der 
ist schon lange tot." Weinend fragte Wolfdietrich: „Wo 
habt ihr ihn begraben?" Sie führten ihn hin, wo der Alte 
ruhte, er grub seine Hand in die Erde des Hügels, als ob er 
des Meisters Hand noch fassen könnte, und klagte, daß er 
den treuesten Mann nicht lebend wiedersähe. 

Als es ruchbar wurde, daß die Wächter von der Mauer 
entronnen und Wolf dietrich ins Land gekommen sei, sammelte 
sich in der Stadt eine große Schar, den Ankömmling zu be- 
stehen. Er allein (denn die zehn Mannen waren waffenlos) 
fällte ihrer viele und düngte die Heide mit Toten. Die Berch- 
tunge nahmen der Gefallenen Waffen und standen ihrem 
Herrn bei. Als aber Wolfdietrichs Bruder mit einem neuen 
Heer geritten kam und sie in arge Not gerieten, setzte Wolf- 
dietrich sein Horn an den Mund und rief sein Heer herbei. 
Das überwand bald der Könige Mannen. Sie selbst nahm 
Wolfdietrich gefangen und eroberte das ganze Reich. Der 
schöne Saben aber war zu den Hunnen geflohen. Land und 
Leute verlieh der Held seinen zehn Getreuen. Dann kehrte er 
nach Garten zurück und herrschte mit Liebgart über Lamparten. 

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IL ALAMA NN EN 



14. WALTHARI UND HILTIGUND 

Attila, der König des mächtigen und tapferen Hunnenvolkes, 
.zog einst mit gewaltigem Heer gegen die Länder am Rhein, 
um sie zu unterwerfen und sich zinsbar zu machen. Zu 
Worms auf dem Thron der Burgundenkönige saß König 
Gibicho. Als das drohende Heer heranzog, beschloß er, dem 
Kampfe mit einem so mächtigen Gegner Unterwerfung und 
Bündnis vorzuziehen und bot dem Hunnenkönig Geiseln und 
Zins. Nicht lange zuvor war ihm ein Sohn namens Gunthari 
geboren worden, der war noch zu jung, um als Geisel zu den 
Hunnen gesandt zu werden. Darum mußte Hagano, ein Knabe 
aus edelstem Burgundengeschlecht, dem Überwinder folgen. 

Weiter zog die Hunnenmacht nach Westen und kam in das 
Land des Königs Hererich. Als der vernahm, daß die Wormser 
den Frieden gewählt hätten, verschmähte auch er den Kampf, 
denn schreckenerregend war der Schwärm der hunnischen 
Rosse, unter deren Stampfen die Erde erseufzte, und das 
Dröhnen der Schilde, das die Luft erschütterte, und der eiserne 
Wald der Speere, der über die Gemarken schimmerte. Darum 
gab Hererich dem Attila seine Tochter Hiltigund als Geisel, 
versprach, ihm Zins zu geben, und schloß ein Bündnis mit ihm. 
Attila war es wohlzufrieden und sprach: „Lieber sind mir 
Verträge als blutige Schlachten. Im Frieden will der Hunne 
herrschen und nur wider die Empörer die Waffen führen." 

Wieder zog das Heer westwärts. Über die Westgoten in 
Aquitanien herrschte damals König Alphari. Ihm erwuchs 



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in schimmernder Jugendblüte ein Sohn, der Walthari hieß. 
Schon früh hatten sich die Könige Hererich und Alphari gelobt, 
einst ihre Kinder einander zu vermählen. Als nun der Goten - 
könig vernahm, wie die Burgunden und Franken den Kampf 
verschmäht hätten, wählte auch er das Bündnis mit dem mäch- 
tigen Feinde, gab Zins und als Geisel seinen Sohn Walthari. 

Daheim in seiner Burg nahm sich Attila der vergeiselten 
Knaben und Ospirin, sein Weib, der jungen Hiltigund voll 
Liebe an, und alle drei wurden wie die eignen Kinder des 
Herrscherpaares gehalten. Unter den Augen des Königs er- 
lernten Hagano und Walthari die Kunst der Waffen, und 
bald überragten sie alle Hunnen an Kraft und Mut. Attila 
machte sie zu Heerführern, und sie zeichneten sich durch 
solche herrlichen Siege aus, daß sie die höchste Gunst des 
Herrschers erwarben. Auch Hiltigund wußte die Liebe der 
Königin zu erringen, der königliche Schatz wurde ihrer Hut 
anvertraut, und bald war sie so mächtig am Hofe, daß jedem 
ihrer Wünsche Erfüllung ward. 

Unterdessen war Gibicho gestorben, Gunthari, sein Sohn, 
löste sogleich das Bündnis mit den Hunnen und weigerte den 
Zins. Als Hagano davon Kunde erhielt, entfloh er von Attilas 
Hof in die Heimat. 

Die Königin voll Sorge, es möge auch Walthari, die Säule 
des Hunnenheeres, entfliehen, riet Attila, den Gotenhelden 
durch die Hand einer Hunnenfürstin und reiche Güter zu 
fesseln, doch Walthari sprach auf des Königs Antrag hin: 
„Nähme ich ein Weib, so würde ich lässiger, König, in deinem 
Dienst durch die Sorge um Mehrung meiner Güter und die 
Liebe zu meinem Weibe. Nur wenn ich unvermählt bleibe, 
bin ich zu jeder Stunde zu deinem Dienst bereit und keine 
Sorge um Weib noch Kind schwächt mich im Kampfe." 
Solche Worte schwichtigten die Bedenken des Königs. 

Bald darauf brach Krieg mit abtrünnigen Völkern aus, und 
Walthari wurde von Attila ausersehen, das Hunnenheer zu 
führen. In mächtiger Reiterschlacht errang seine Tapferkeit 

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und Stärke den Sieg, und festlich geschmückt kehrte das 
Hunnenheer in die Heimat zurück. 

Gleich begab sich der Sieger in Attilas Gemach, doch fand 
er dort nur Hiltigund einsam sitzen. Sie reichte dem Kampf- 
müden auf seine Bitten einen Trunk: er ergriff den Becher, 
hielt aber ihre Hand umschlossen, und während er trank, 
blickte sie ihm stumm ins Antlitz. Beide wußten, daß einst 
ihre Väter sie einander bestimmt hatten. Nun gab Walthari 
ihr die leere Schale zurück und sprach: „Schon lange erdulden 
wir zusammen das Elend der Fremde — warum sprachen 
wir nie vom Lose, das unsere Väter einst für uns bestimmten?"' 
Und die Jungfrau erwiderte: „Ist dir Ernst, was du geredet, 
so höre, wie ich gesinnt bin. ] Wozu du, mein Herr, mich 
auch rufst, immer will ich dir folgen, und nichts soll mir 
lieber sein als dein Wille." — „So laß uns fliehen", sprach 
Walthari, „ich will die Landfremde nicht länger ertragen. | 
Längst hätte ich den Plan vollführt, schmerzte es mich nicht, 
dich allein zurückzulassen." Gern war die Maid zur Flucht 
bereit. Da befahl Walthari ihr heimlich: „Da du des Schatzes 
Hüterin bist, so höre: Nimm daraus vor allem des Königs 
Hehn und die Rüstung, die dreifach geflochtene, Wielands 
Gewirk, die der Meister der Schmiede mit Hammer und 
Zange zeichnete. Dann nimm zwei Schreine von mäßiger 
Größe und fülle sie mit Spangen, bis du jeden nur mühsam 
heben kannst. Des Goldes werden wir bedürfen, und mehr 
als das sandten unsere Väter den Hunnen als Zins. Dann 
verfertige mir vier Paar Schuhe und dir die nämliche Zahl 
und sorge für gebogene Angelhaken, denn Fische und Vögel 
müssen unterwegs unsere Nahrung sein. Nach sieben Tagen 
will ich dem König und seinen Mannen ein Mahl rüsten, 
und wenn alle trunken sind, wollen wir gen Westen eilen." 

Zur festgesetzten Zeit lud Walthari den König und seine 
Mannen zum Mahle. Er führte ihn in der teppichbehangenen 
Halle zum Hochsitz, der Herrscher wählte sich zwei Genossen 
zur Rechten und Linken, dann wurden längs den Wänden 

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die Gäste gereiht und die Tische, mit Speisen beladen, hinein- 
gebracht. Goldenes Geschirr war ausgebreitet und süßer 
Wein in Fülle lockte zum Trinken. Das Gelage begann, und 
nicht lange währte es, bis wilder Rausch den König und alle 
Gäste umfing. Endlich in tiefer Nacht waren alle zu Boden 
gesunken, und leicht wäre es Walthari gewesen, das Haus 
mit allen Mannen des Königs der Flamme preiszugeben. Nun 
rief er die Jungfrau herbei, zog das herrlichste Roß aus dem 
Stall, das Löwe genannt war, behängte es mit den Schatz- 
truhen und gab Hiltigund die Zügel in die Hand. Er selbst 
waffnete sich mit dem Helm und der Brünne, gürtete die 
Linke mit dem gewaltigen Doppelschwert, die Rechte aber 
mit dem kurzen Saxschwert, dann ergriff er den wuch- 
tigen Speer und den Schild und entfloh der Geiselhaft. Die 
Jungfrau führte das schätzebeladene Roß, in der Hand die 
Haselrute haltend, deren der Fischer bedarf. Eilig zogen sie in 
dunkler Nacht. Bei Tage aber bargen sie sich in der Tiefe 
der Wälder. Sie mieden die Siedlungen und die bebauten 
Gehege und suchten gewundene Pfade im wilden Waldgebirge. 

Am nächsten Tage erwachten in Attilas Burg die Hunnen 
aus tiefem Schlafe. Vergebens suchte man Walthari und 
Hiltigund, und bald ward kund, daß beide entflohen waren. 
Da überfiel Attila wilder Schmerz, trübe Sorge bewegte sein 
Herz und verdunkelte sein Antlitz. Er mied Schlaf und 
Speise, wortlos lag er Tag und Nacht. Doch endlich brach 
Zorn und Grimm aus seinem Herzen, er berief seine Mannen 
und sprach: „Wer mir Walthari in Fesseln brächte wie einen 
erbärmlichen Wolfshund, den will ich mit lauterem Golde 
bedecken, ihn, wenn er steht, von allen Seiten so mit Gold 
belasten, daß ihm die Menge der Schätze gänzlich den Weg 
versperren soll." Doch keiner der Mannen wollte den herr- 
lichen Schatz erwerben, keiner wagte, Walthari, dem Un- 
besiegten als Feind entgegenzutreten. 

Schon vierzig Nächte waren Walthari und Hiltigund ge- 
wandert, ihren Hunger mit Vögeln und Fischen stillend, die 

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Walthari fing. Da gelangten sie abends an den Rhein, nicht 
weit von Worms, ließen sich von dem Fergen übersetzen, 
bezahlten ihm den Fährlohn mit Fischen, die sie früher ge- 
fangen hatten, und eilten weiter. Der Ferge aber brachte 
die Fische nach Worms an den Hof König Guntharis. Als 
sie ihm aufgetragen wurden, rief er verwundert aus: „Solche 
Fische bergen die burgundischen Ströme nicht. Wer brachte 
sie zum Verkaufe?" Der Ferge ward gerufen und sprach: 
„Ich saß gestern abend am Ufer des Rheins. Da sah ich einen 
Wandrer nahen, der war wie zum Kampfe an allen Gliedern 
gerüstet, ganz war er in Erz gehüllt und trug den schimmern- 
den Speer in der Hand. Heldenhaft war sein Gang. Ihm 
folgte eine Jungfrau von unbeschreiblicher Schönheit, dicht 
hing sie an seiner Ferse. Ein stolzes Roß führte sie am 
Zügel, das trug auf dem Rücken zwei Schreine, und wenn 
es den mächtigen Nacken schüttelte, so klang es in den Truhen, 
wie wenn Gold und Edelgestein aneinander ertönen. Dieser 
gab mir die Fische als Fährlohn." 

Als Hagano, der bei dem Könige saß, diese Kunde vernahm, 
rief er fröhlich aus: „Heil mir, daß ich dieses erfuhr: Walthari, 
mein Blutsfreund, ist wiedergekehrt von den Hunnen." Doch 
Gunthari rief voll übermütigen Stolzes: „Heil mir, daß ich 
dieses erfahre, der Schatz, den Gibicho, mein Vater, dem 
König im Osten sandte, kehrt heim von den Hunnen." Auf 
sprang er, rief nach Roß und Waffen, wählte zwölf Mannen 
aus seiner Gefolgschaft, durch Mut und Kraft berühmt, und be- 
fahl Hagano, mit auszuziehen wider Walthari. Vergebens wider- 
riet dieser, eingedenk seiner Treue gegen den Gesellen seiner 
Geiselschaft, Guntharis Plan. Eilig, vom König getrieben, 
zog die Schar hinaus, dem Wanderer den Schatz zu entreißen. 
Denn allezeit lockte die Burgunder! das glänzende Gold. 

Weiterziehend war Walthari in ein Waldgebirg gelangt, 
das der Wasgenwald heißt. Tief und düster war der Forst 
und barg viel wildes Getier. Dort ragen zwei Berggipfel dicht 
aneinander empor und bilden eine enge und liebliche Schlucht. 

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Von zartem Kraute ist der Boden rings bedeckt. Dorthin 
lenkte Walthari die Schritte, um endlich nach so viel Tagen 
mühevollen Wanderns die müden Glieder durch Schlummer 
zu erquicken, denn keine andere Ruhe war ihm bisher ge- 
worden als des auf den Schild gelehnten Wächters. Er ent- 
ledigte sich der Waffen, legte das Haupt in den Schoß der 
Jungfrau und sprach: „Blicke wachsam umher, Hiltigund, 
und siehst du dunklen Staub sich erheben, so wecke mich 
mit sanfter Berührung. Mag auch ein mächtiger Haufe nahen, 
so wecke mich doch nicht jäh aus dem Schlaf. Denn weithin 
können von hier deine leuchtenden Augen in die Ferne spähen/' 
Dann schloß er die Augen und sank in tiefen Schlaf. 

Kaum gewahrte Gunthari im Sand die Spuren der Heim- 
wanderer, da trieb er die Seinen zu höchster Eile. Hagano 
aber sprach: „Weniger würdest du zum Streite mit Walthari 
eilen, hättest du wie ich ihn im Kampfe wüten gesehen. 
Wer immer ihn zu bestehen wagte, sah bald das Tor der Hei. 
Unüberwindlich ist der Held im Speerkampf." Doch keine 
Warnung vermochte den Wahn des Betörten zu wenden. 

Bald sah Hiltigund von ihrer Warte im aufwirbelnden 
Staub die Nahenden. Mit sanfter Berührung weckte sie den 
Schlummernden und sprach: „Fernher fährt eine Schar." 
Walthari hob das Haupt, sah die Reiter nahen, schüttelte die 
Müdigkeit von sich ab und legte die Waffen an. Als Hiltigund 
die Speerspitzen leuchten sah, rief sie erschreckt: „Da kommen 
die Hunnen!" Und sich zur Erde werfend, flehte sie Walthari 
an: „Herr, ich beschwöre dich, schlage mir mit dem Schwerte 
das Haupt ab, daß ich nicht von neuem schlimme Knecht- 
schaft erdulde, und mich kein anderer Mann berühre, wenn ich 
nicht dir gehören darf." Doch Walthari sprach: „Soll mich 
unschuldig Blut beflecken? Und wie sollte mein Schwert 
vermögen, die Feinde zu fällen, wenn es die treue Freundin 
nicht schonte? Fern sei von mir, was du bittest. Verbanne 
nur alle Trübsal, denn in manchem Kampf habe ich vordem 
Helme und Brünnen zerhauen und Männer hauptlos vom 

9 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 



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Rosse gestürzt: so werde ich auch diese Feinde bestehen. 
Doch sieh", rief er, „nicht Hunnen sind es, die uns nahen, 
sondern burgundische Nibelungen, die Herren dieses Landes." 

Bald erkannte er auch Haganos Helm und sprach fröhlich 
lachend: „Dort kommt auch Hagano, mein alter Gesell. 
Das will ich geloben: keiner der Burgunden soll daheim seinem 
Weibe melden, daß er ungestraft von meinem Schatze nahm." 
Dann fuhr er, die Nahenden musternd, fort: „Keiner von 
diesen schreckt mich, als nur Hagano, denn der kennt meine 
Weise im Streit und weiß viel schlaue Listen. Kann ich 
nur ihm entgehen, so bleib ich dir heil im Kampfe, Hiltigund." 

Als aber Hagano den Recken am Eingang der schmalen 
Schlucht wie in einem Felsentor geborgen stehen sah, warnte 
er noch einmal seinen übermütigen Herrn: „Laß ab, diesen 
Mann zum Kampfe zu reizen! Erst sende Boten, die nach 
seiner Sippe, nach Herkunft und Ziel ihn fragen. Vielleicht, 
daß er Frieden erbittet und ohne daß Blut fließt, den Schatz 
uns laßt. Ist es Walthari, der dort drüben hält, so wird er 
vielleicht eurer Königswürde weichen, denn als weise und 
maßvoll kenne ich ihn." 

Gunthari sandte einen seiner Mannen, Gamalo war sein 
Name. Stürmisch sprengte er auf seinem Rosse gegen den 
Harrenden heran und rief: „Sage mir Mann, wer du bist, 
von wannen du kommst und welches das Ziel deines Weges 
ist." — „Erst tu mir kund", erwiderte Walthari, „wer dich 
sandte." — „Gunthari, der mächtige König des Landes, hieß 
mich dich fragen", sprach Gamalo. „So wisse denn", ant- 
wortete der Held, „Walthari bin ich genannt, und zu Aqui- 
tanien ward ich geboren. Frühe wurde ich den Hunnen ver- 
geiselt, nun kehre ich heim zu meiner Sippe." Darauf sprach 
der Bote: „Durch mich befiehlt dir Gunthari: Gib die Schatz- 
truhen heraus, dazu auch Mähre und Maid. Tust du so, ge- 
währt er dir Leib und Leben." Zornig erwiderte Walthari: 
„Nie vernahm ich so törichte Rede. Verspricht mir dein Herr 
doch, was er nicht hat und nimmer besitzen wird. Ist er ein 

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Gott, daß er mir das Leben gewährt? Rührte mich schon seine 
Hand? Band mich schon seine Haft? Sind auf dem Rücken 
mir schon die Hände gefesselt? Dennoch höre, wie ich ihn 
bescheide: Erläßt er mir den Kampf, so gebe ich ihm hundert 
goldgeschmiedete Spangen, seinem königlichen Namen zur 
Ehre." Mit der Antwort eilte der Bote zurück. Wieder 
mahnte Hagano den König: „Nimm den gebotenen Schatz, 
dienen wird er dir, in der Halle die Mannen zu schmücken. 
Aber meide den Kampf, denn du kennst nicht des Helden 
Stärke. Schlimmer Traum ängstigte mich heute Nacht: du 
rangst mit einem Bären, der riß dir den Schenkel ab, mir aber, 
da ich dir zur Hilfe eilte, riß er ein Auge aus.*' Da rief der 
König hochmütig aus: „Wahrlich, Hagano, du gleichst deinem 
Vater. Auch er trug ein zages Herz in der Brust und weigerte 
nach vielen Worten den Kampf." In gewaltigem Zorn ent- 
brannte Hagano, als ihm sein Herr Feigheit vorwarf. „So zeigt 
ihr euren Mut: dort steht er, den ihr sucht. Ich aber will von 
ferne des Ausgangs erwarten. Teil am Raube begehre ich 
nicht." Er ritt zum nahen Hügel, stieg vom Roß und schaute zu. 

Wieder sandte Gunthari den Gamalo zu Walthari, den 
ganzen Schatz zu fordern, oder wenn er es weigere, mit ihm 
zu kämpfen. Schon von ferne rief der laut: „Auf, Freund, 
willst du dein Leben wahren, so sende schnell dem Könige 
den Schatz." Schweigend stand der Held, bis Gamalo heran 
war, dann sprach er: „Hab ich denn dem König den Schatz 
gestohlen, oder schädigte ich euer Land, daß er so großen 
Wegzins von mir fordert? Dennoch will ich mit 200 Ringen 
mir Frieden und Durchzug erkaufen." Da rief Gamalo: 
„Gib das Verlangte, oder fahre zur Hei!" Fest faßte er den 
Schild, schwang den klirrenden Speer, stemmte sich gewaltig 
und warf. Doch leicht vermied Walthari die Waffe. Er 
sprach: „Ans Werk denn, wenn es sein soll! Zugleich schleu- 
derte er seinen Ger, der durchbohrte links den Schild des 
Gegners, faßte auch seine Rechte, die eben das Schwert zog, 
nagelte sie auf den Schenkel, den er durchdrang, den Reiter 

9* 

*3i 



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auf dem Rosse festheftend. Bäumend suchte das Roß sich des 
Reiters zu entledigen, ihn aber hielt der Ger. Darum ließ er den 
Schild fahren und griff mit der Linken nach dem feindlichen 
Speer, damit er die Rechte löse. Doch schon war Walthari 
heran. Er durchbohrte den Schildentblößten und zog dann 
den Speer zurück, so daß Roß und Reiter zusammenstürzten. 

Skaramund, Gamalos Neffe, schaute voll Trauer den Fall. 
Er sprach: „Sterben will ich, oder den teuren Gesippen rächen." 
Allein sprengte er heran, denn nicht mehr als einem erlaubte 
die Enge des Kampfplatzes zu nahen. Er rief dem uner- 
schrockenen Helden zu: „Ich fordere keinen Schatz von dir, son- 
dern das Leben des toten Verwandten." Walthari erwiderte: 
„Überführe du mich, zu diesem Streite gereizt zu haben, so 
möge dein Speer mich durchbohren." Schnell nacheinander 
schleuderte Skaramund zwei Schäfte. Dem ersten wich der 
Recke aus, den andern schüttelte er leicht vom Schilde. Gierig, 
ihm mit dem Schwerte das Haupt zu spalten, sprengte der An- 
greifer heran, doch zu nah an den Gegner riß ihn sein un- 
bändiges Roß, so daß statt der Klinge der Schwertgriff seinen 
Helm traf. Ehe er noch wenden konnte, traf ihn Waltharis 
Speer unter das Kinn, und todwund sank er vom Pferde. 
Dann trennte Walthari sein Haupt vom Rumpfe. 

Sogleich trat ihm Werinhard entgegen, denn unablässig 
reizte Gunthari seine Mannen zum Kampfe, damit Walthari 
nicht Atem schöpfe und neue Kraft gewänne. Werinhard 
verließ sich auf Bogen und Pfeile, fernher sandte er die Ge- 
schosse, doch den Gegner schützte sein siebenfacher Schild, und 
kein Pfeil vermochte ihm zu schaden. Als alle Pfeile vergebens 
versendet waren, ritt Werinhard zum Schwertkampf näher. 
„Herbei", rief Walthari, „lange warte ich auf Kampf nach 
gleichem Recht." Mit sausendem Ger durchbohrte er die 
Brust des Rosses; das schleuderte den Reiter zur Erde und 
stürzte über ihn hin. Walthari eilte herbei, entwand ihm 
das Schwert, riß ihm den Helm herunter und hieb ihm das 
Haupt ab. 

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Der nächste, den Gunthar i zum Kampfe reizte, hieß Egifrid. 
Er war ein Sachse, hatte im Streit einen mächtigen Mann 
erschlagen und war friedlos vor der Rache der Sippe aus dem 
Lande geflohen. Auf rotbraunem Schecken ritt er einher. 
Als der den Gegner kampfbereit stehen sah, rief er: ,,Sage 
mir, ist auch berührbar dein Leib, oder trägst du nur luftig 
Gebild, Unseliger? Ein Schrat scheinst du mir zu sein, wie 
die Waldschluchten sie bergen." Lachend gab Walthari zur 
Antwort: „Freund, dein Welsch verrät dich als Sprossen des 
scherzliebenden Volkes. Doch spüre nur erst meinen Arm, 
so wirst du daheim deinen Sachsen erzählen können, du 
habest im Wasgenwald einen Waldschrat erblickt." — »»Ver- 
suchen will ich, was du bist", rief Egifrid, und schleuderte den 
wuchtigen Speer, doch der splitterte am Buckel des Schildes. 
Walthari entsandte seinen Ger, rufend: „Dies Geschenk 
schickt dir der Waldschrat zurück. Sieh, ob mein Geschoß 
besser durchdringe." Zerspalten war der hölzerne Schild 
samt der deckenden Stierhaut, durchschlagen die Brünne und 
durchstoßen die Brust des Sachsen, tot sank er zu Boden. 
Sein Roß trieb Walthari hinter sich auf die Weide. 

Hadawart, der nächste, erbat sich übermütig von Gunthari 
des Gegners Schild als Beute. Den Freunden gab er scheidend 
den Speer, kühn wollte er allein seinem Schwerte vertrauen. 
Schon sperrten die Leichen der Gefallenen den schmalen 
Zugang zum Kampfplatz, so daß kein Roß hinüberkonnte. 
Darum stieg er vom Pferde und nahte dem Gegner zu Fuß. 
Der lobte den Franken, der zum Kampf mit gleichen Waffen 
schreite. Doch zornig sprach Hadawart: „Du listige, trügerisch 
schillernde Schlange, die du in der Ringhaut dich birgst und 
ringelnd dich windest und einrollst, dem Lindwurm gleich! 
Schamlos weichst du den runengeweihten Pfeilen aus und 
entgehst unverwundet allen Geschossen! Willst du nun auch 
durch List diesem Hiebe entgehen, den meine Rechte auf dich 
führt? Leg ab deinen Schild, den bunten! Ihn gab mir der 
König als Anteil der Beute, drum will ich ihn unbeschädigt. 

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Fällst du mich aber, so bedenke, daß hier noch viele Genossen 
harren, mich zu rächen. Darum wirst du nicht heil ent- 
kommen, wenn du auch auf Schwingen des Vogels dich von 
dannen höbest." Ruhig erwiderte Walthan: „Keine Er- 
widerung ist deine Rede mir wert. Meinen Schild aber will 
ich wohl verteidigen. Manche Wunde empfing er für mich, 
auch heute sahst du, was er mir frommt. Müßte ich ihn 
entbehren, sprächest du wohl mit Walthari nicht mehr." 
Darauf Egifrid: „Gezwungen wirst du tun, was du jetzt noch 
weigerst. Leg ab die Last, die du weite Wege von den Hunnen 
hertrugst. Nicht deinen Schild allein, nein auch das Roß 
und die Jungfrau und den Schatz gib mir heraus: so sollst 
du die Meintat büßen, daß du vier Genossen mir erschlugst. " 
Damit riß er das Schwert aus der Scheide, und der Kampf be- 
gann. Von den Hieben hallte der Wald. Walthari, der bisher 
ohne Ruhe gekämpft hatte, wehrte sich mit dem vertrauten 
Ger. Gewaltig reckte sich der Wormser auf, mit einem 
Hiebe den Streit zu enden, doch der Jüngling fing ihn auf 
mit dem grauen Schaft, und aus der Hand fuhr dem Franken 
die Klinge — fern im Gestrüpp schimmerte sie. Der Waffe 
beraubt, wandte sich Hadawart zur Flucht, doch Alpharis 
Sohn eilte ihm nach und rief: „Wohin eilst du? Nimm den 
Schild doch mit!" Mit dem Speer schlug er den Fliehenden 
nieder, er stürzte vornüber, und auf ihm dröhnte der Schild. 
Walthari setzte ihm den Fuß auf den Hals und heftete ihn 
mit der Lanze an die Erde — so endete der Prahler. 

Als sechster stürmte Patafrid heran. Der war Haganos 
Schwestersohn. Als dieser seinen liebsten Gesippen zum 
Kampfe schreiten sah, rief er: „Wohin eilst du? Das Ende 
des Fadens naht, den dir einst die Nomen webten. Laß ab, 
du kannst dich mit Waltharis Kräften nicht messen. Denke 
deines jungen Weibes, wem willst du sie lassen, der du des 
Erben noch entbehrst?" Auch zu Walthari drang der mah- 
nende Ruf seines Blutsbruders, und er sprach zu dem kampf- 
gierigen Jüngling: „Höre meinen Rat, du herrlicher Held! 

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Schone dich, laß ab, dich täuscht dein Vertrauen. Sieh, wie 
viele schon dahin sind. Fällst du auch, so wirst du mir noch 
mehr Feinde erwecken." Doch jener rief: „Was kümmert 
dich, Wilder, mein Tod? ficht und schwatze nicht!*' Damit 
entsandte er den knotigen Speer, doch mit dem Schaft lenkte 
ihn Walthari zur Seite, daß er bis zu Hiltigunds Schlupf- 
winkel flog und ihr zu Füßen in die Erde sauste. Noch ein- 
mal mahnte der Held den Jüngling, abzulassen, der aber 
stürmte zum Schwertkampf heran. In grimmiger Wut 
knirschten Waltharis Zähne über des Feindes Torheit, die den 
Blutsbund mit Hagano zerreißen mußte. Patafrid beugte sich 
zu mächtigem Streiche vor, jener aber schmiegte sich duckend 
unter dem bergenden Schild, und der Hieb ging ins Leere. 
Vornüber stürzte der Wilde von der Wucht des Schwertes. 
Gleichzeitig erhoben sich die Kämpfer wieder, Walthari stieß den 
Speer in den Grund und zertrümmerte mit schnellen Hieben des 
Gegners Schild und Brünne, daß er sterbend zu Boden sank. 

Den Gefallenen schwor Gerwit zu rächen. Sein kühnes 
Roß übersprang den Haufen der Leichen, der den schmalen 
Pfad sperrte, und während Walthari noch beschäftigt war, 
des Gefällten Haupt vom Rumpfe zu trennen, war Gerwit 
schon heran und hieb mit der zweischneidigen Streitaxt nach 
dem Haupt des Knienden. Schnell hielt ihm der den Schild 
entgegen, sprang auf und griff nach dem vertrauten Schaft. 
Lang und schwer war der Kampf, nur mit Mühe wehrte sich 
der Held des kühnen Gegners, der auf dem Roß ihn umkreisend 
den Ermüdeten zu täuschen suchte. Doch endlich gewann 
der Bedrängte mit seiner längeren Waffe Raum gegen den 
Axtschwinger, und während gewaltige Zornlast ihm immer 
mehr die Seele beschwerte, ersah er den Augenblick, fuhr 
mit dem Eisen unter des Gegners Schild und durchstieß ihm 
die Weichen. Rücklings sank er vom Roß, und Walthari hieb 
ihm das Haupt ab. 

Nun erst begannen die Franken zu zaudern und baten 
ihren Herrn, von weiterem Kampfe zu lassen. Doch Gunthari 

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sprach: „Ihr tapferen Mannen, soll ich so schimpflich aus 
dem Wasgenwalde weichen? Lieber will ich sterben, als 
ruhmlos nach Worms zurückkehren, während jener heil in 
die Heimat gelangt. Branntet ihr zuvor, den Schatz zu er- 
werben, so brennt jetzt, das Blut der Gefallenen zu rächen. 
Sühnt Tod mit Tod und Blut mit Blut, die gefallenen Genossen 
mit dem Fall des Mörders." Solche Worte entzündeten den 
Mut der Mannen. Wie zum Spiel suchte jeder dem andern 
auf dem Todeswege vorauszueilen, doch der Engpaß gestattete 
nicht mehr als zwei Kämpfer. 

Walthari hatte, während die Franken zögerten, seinen 
Helm vom Haupte genommen und an einen Baum gehängt, 
um sich zu kühlen und den Schweiß zu trocknen. So unbedeckt 
berannte ihn unversehens Rantolf und traf ihn mit dem Speer 
unter der Brust. Doch die Ringbrünne, Wielands Gewirk, 
hielt stand. Schnell faßte sich der Held und griff nach dem 
Schild, doch den Helm auch zu fassen, fand er nicht Zeit. Vom 
entblößten Haupt schnitt ihm Rantolfs Schwert zwei der 
wallenden Locken, doch ohne die Haut nur zu ritzen. Beim 
zweiten Hieb drang sein Schwert so tief in den Linden- 
schild, daß er die Klinge nicht mehr zu lösen vermochte. 
Da schnellte Alpharis Sohn wie der Blitz nach vorn und 
schleuderte mit dem Schild den rückgelehnten Franken rück- 
lings vom Rosse zur Erde, trat über den Liegenden hin und 
sprach: „Da du den Kopf mir schorst, so will ich dich des 
Hauptes berauben, daß du dich vor deiner jungen Frau des 
Raubes nicht rühmest." 

Als neunter nahte Helmnod. Er trug eine gewaltige Lanze 
mit dreifacher gebogener Spitze, die war an dreifachem Seile 
befestigt, das hinter ihm die Genossen hielten. Wenn die ab- 
geschleuderte Waffe im Schilde haftete, sollte sie rück- 
gezogen dem Helden den deckenden Rand entreißen und ihn 
zu Boden stürzen, dann wollten sie den Wehrlosen fällen. 
Helmnod entsandte den Dreizack und rief: „Dieses Eisen, 
Geschorener, wird dein Ende sein." Wie der Lindwurm durch 



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die Luft fährt, so sauste der ungefüge Dreizack heran. Er 
spaltete den Schildnagel und haftete fest. Gleich zogen die 
Franken mit aller Kraft, Helmnod, Trogo und Tanast, selbst 
der König verschmähte nicht, Hand anzulegen. Walthari 
aber stand unerschüttert wie die Eiche im Sturm. Endlich 
unter dem Toben der Zerrenden, die sich mühten, ihm den 
Schild zu entreißen, entbrannte des Helden Zorn. Fahren 
ließ er den Schild, stürzte helmlos auf Helmnod zu und spaltete 
ihm mit einem Hieb Helm und Haupt. Dann griff er Trogo 
an, der im Seile verwickelt voll Schrecken zu fliehen suchte, 
denn Speere und Schilde hatten die Seilzieher zu Boden gelegt. 
Doch Walthari holte ihn ein, lähmte ihn durch einen Hieb 
in die Waden und faßte des Eilenden Schild, ehe der ihn er- 
reichte. Trogo aber voll Zorn ergriff einen ungefügen Stein 
und schleuderte ihn gegen den eigenen Schild, ihn von oben 
bis unten spaltend, doch hielt die Decke aus Fell das geborstene 
Holz. Dann, auf die Knie gestützt, entriß Trogo schnell der 
Scheide das Schwert und schwang es zornig durch die Luft. 
War er gleich wund und konnte durch die Tat sein Helden- 
tum nicht mehr beweisen, bewies er es noch mit Herz und 
Mund. Noch sah er nicht das Tor der Hei, als er sprach: 
„Hätte ich doch noch meinen lieben Schild, ich wollte dir 
standhalten. Heran denn, hole dir zu dem Schilde auch 
das Schwert! Glück, nicht Tapferkeit, gab dir den Sieg." 
Lachend sprach der Recke: „Ich komme schon! " eilte hinzu 
und schlug ihm die geschwungene Rechte ab. Schon holte 
er zum Todesstreich aus, da nahte Tanast und deckte den 
Gesellen mit dem vorgehaltenen Schilde. Ihm trennte Wal- 
thari den Arm vom Leibe und durchstieß ihm die Seite. „Lebe 
wohl", murmelte der Sinkende. Doch Trogo, flehende Bitten 
verschmähend, reizte, als er den treuen Genossen sinken sah, 
des Siegers Wut noch weiter durch bittere Schmähungen. 
„Stirb", sprach Walthari, „und melde drunten bei Hei den 
Genossen, wie du ihren Tod gerächt hast", und erdrosselte 
ihn mit seiner goldenen Halskette. 

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Als König Gunthari den Fall seiner letzten Mannen sah, 
floh er davon, bestieg sein Roß und ritt zu Hagano, der grollend 
fern auf dem Hügel saß. Flehend bat er ihn, den Kampf zu 
erneuern, der aber sprach: „Mich hindert am Kampf die mit 
Feigheit bemakelte Sippe, frostiges Blut nahm mir den 
Kampfesmut. Erblich doch mein Vater, wenn er Speere sah 
und weigerte wortreich den Streit. Als du so unter deinem 
Gefolge prahltest, da war dir, König, meine Hilfe verächtlich." 
Doch weiter bestürmte ihn Gunthari: „Laß von dem Zorn, den 
ich dir erregte, sühnen will ich das unbedachte Wort. Schämst 
du dich nicht, dich deinem Herrn zu versagen, nachdem so 
viele der Genossen und Gesippen erschlagen liegen? Nicht 
mein Wort soll dir Zorn erregen, sondern die Meintat des Un- 
holdes, der als einzelner wagt, mich, den König, zu beschimpfen. 
Zischend werden die unterworfenen Völker, die sonst die 
Furcht vor uns bannte, sich zurufen: „Seht die Schande! Ein 
Unbekannter allein fällte ungerächt Guntharis ganze Macht. " 

Noch erwog Hagano den Blutsbund, den er einst mit Walthari 
schloß, und was vor seinen Augen geschehen war. Endlich 
errötete er vor dem Blick des bittenden Königs, dessen Ehre 
durch seine Weigerung dahinzusinken drohte, und er rief 
aus: „Herr, wohin rufst du mich? Unmögliches fordert dein 
blinder MutI Wer sprang je in das offene Grab? Schon im 
offenen Feld war Walthari immer unbesiegbar, dort aber in 
der Felsenburg steht er einem ganzen Heere. Doch deine 
Ehre, die zu verlieren dich tiefer schmerzt als der Mannen 
Verlust, zwingt mich allein, die sichere Gefahr zu suchen. 
Nicht um den treuen Gesippen, den Walthari mir fällte, 
wollte ich dem Blutsbruder die Treue brechen, nur die Treu- 
pflicht wider den Herrn zwingt mich, den Helden zu bestehen. 
Doch nicht hier will ich zum Kampfe mich stellen. Weichen 
wir von hier und belauern ihn von ferner Warte, bis er das 
sichere Lager verläßt im Glauben, daß wir von hinnen geeilt 
seien. Steht er dann in offenem Feld, so gehn wir ihn an, 
und du magst, König, dein Kampfgelüst an ihm stillen, denn 

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nimmer wendet sich Walthari zur Flucht." Dieser Rat gefiel 
dem König, er umarmte und küßte Hagano, und beide eilten 
davon, einen Hinterhalt zu suchen. 

Die Nacht war hereingebrochen, da bedachte Walthari, der 
weise Held, ob er im sichern Lager stille verharre oder der 
offenen Flur sich vertraue. Niemand als Hagano weckte ihm 
Sorge, und jener Kuß, den ihm der König gegeben hatte. 
Sorgenvoll bedachte er, ob etwa die Feinde nachts heim- 
kehrten, um mehr der Genossen zu holen, oder ob sie ver- 
hohlen im Hinterhalt lägen. Doch bald war sein Entschluß 
gefaßt. * ,,Hier will ich bleiben, bis der Tag dämmert. * Nicht 
soll der prahlende König sagen, ich sei aus dem Lande ge- 
wichen wie ein Dieb in nebelnder Nacht." Er fällte GedÖrn 
und Sträucher und verschloß damit den engen Felsenpfad, 
verkoppelte die sechs erbeuteten Rosse, legte die Waffen ab, 
stärkte sich mit Speise und streckte sich zur Ruhe auf den 
Schild. Hiltigund sollte die erste Wache halten, wo die 
Gefahr am kleinsten ist. Sie saß ihm zu Häupten und hielt 
mit Gesang ihre müden Augen offen. Doch wenig Zeit war 
verronnen, da brach der Held seinen Schlaf, erhob sich und 
ließ die Jungfrau schlummern. Er stützte sich auf den Speer 
und verbrachte wachend den Rest der Nacht. 

Als das kühle Morgenlicht die Erde betaute, schritt Walthari 
zu den Toten und nahm seine Beute: die Waffen, Helme, 
Brünnen und Spangen.' Damit belud er vier der erbeuteten 
Rosse, hob auf das fünfte die Jungfrau und bestieg selber das 
sechste. Spähend beschritt er den Felsenpfad und horchte, 
ob er das Klirren der Zäume oder Hufschlag von Rossen 
vernehme. Alles schwieg. Da trieb er die beladenen Rosse 
hinüber, hieß die Jungfrau folgen und beschloß, das Pferd 
mit den Schatzschreinen führend, selbst den Zug. Kaum 
eine Rast hatten sie zurückgelegt, da erblickte Hiltigund 
zurückschauend zwei Männer, die vom Hügel mit verhängten 
Zügeln auf sie zusprengten. Sie erkannte die Feinde und das 
unausweichliche Geschick und rief dem Geliebten zu: „Freund, 

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rüste dich zum Kampf, denn die Entscheidung naht. Ver- 
traue deinem guten Schwert! Oft schon sank schwertwund 
Krieger auf Krieger vor seiner Schärfe. Dir wird auch jetzt 
nicht dein tapferer Sinn entfallen, Attilas Heerwart, denn nun 
kam der Tag, da eines von zweien dir werden muß: daß du 
dein Leben verlierst oder lang dauernden Nachruhm auf Erden 
gewinnst. Nie vernahm ich, daß je du im Kampfe ängstlich 
feindliche Hiebe miedest oder zum Walle flohest, dich zu bergen, 
ob auch Kämpfer genug auf die Brünne dir hieben, sondern 
zum Schwertkampf drangst du unablässig in die Schar der 
Feinde. Ziere dich denn mit heldischer Tat. Mit deinem 
schönen Schwert wirst du Gunthari strafen, der frevelhaft den 
Streit begann und die gebotenen Ringe verschmähte. Nun 
soll er ohne Gewinn aus diesem Kampfe schimpflich heim- 
ziehen oder hier sterben." Walthari erwiderte: „Nicht will ich 
auch hier bewährtes Heldentum verlieren und am Ende Schande 
erwerben. Besser ist es, den schönen Wundentot zu suchen 
als durch die Flucht zu entrinnen nach Verlust der Schätze. 
Du nimm nun den Zaum des Rosses, das unsere Schätze trägt, 
und birg dich mit ihm im nahen Holze. Ich selber harre 
am Berghang und erwarte die Nahenden." So geschah es. 

Heran sprengten König Gunthari und sein Mann. Er rief: 
„Wütender Feind, nun wird dein wildes Spiel zum Spott. 
Weit von hier ist deine sichere Höhle, aus der du dem Wolfs- 
hund gleich zähnefletschend belltest. Nun gilt es auf offenem 
Plane zu streiten. Doch ich weiß: um Lohn hast du das Glück 
gedungen, darum verachtest du Flucht und Ergebung." 

Ihm erwiderte Walthari kein Wort, sondern als sei er taub, 
wandte er sich zu Hagano und sprach: „Dir Freund, gilt 
meine Rede, darum halte ein wenig. Denkst du des Bundes 
nicht mehr, den wir einst im fernen Hunnenlande mit Blut, 
in die Fußspur geträuft, besiegelten? Denkst du der Kämpfe 
nicht mehr, die wir Schulter an Schulter bestanden? Ich 
mahne dich an deine ersten Eide, die du mir schworst: bis 
an deinen Tod wolltest du mich nicht lassen in keiner Not. 



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Darum beginne nicht Streit und wahre unverbrüchlich die 
Eide. | Dann will ich mit rotem Gold dir die Wölbung des 
Schildes füllen." Finster und zornig erwiderte Hagano: f 
„Klüglich redest du, Walthari, nachdem du Gewalttat verübt 
hast, mir so viele Genossen, ja selbst den Gesippen erschlugest, ' 
ob du gleich mich an Waffen und Rüstung erkanntest. | Du 
brachst zuerst den Bund, als du den teuersten Verwandten 
mir fälltest. Ihn zu rächen zwingt mich die Not,' doch mehr 
noch die Treue, die ich meinem Herrn schulde. > Soll ich mit 
Schande heimkehren, nachdem du den Genossen und Herrn 
mir fälltest? Keinen Schatz begehre ich zur Sühne, sondern 
im Kampf will ich dich erproben, von deiner Hand fordere 
ich das vergossene Blut." Damit schwang er sich vom Roß, 
und die andern taten ebenso. Da standen zwei wider einen. 
Unter den Schilden sich bergend standen die Kämpfer. Zuerst 
brach Hagano den Frieden. In wirbelndem Flug nahte sein 
schrecklicher Speer. Doch klug lenkte Walthari ihn zur Seite 
mit schräg gehaltenem Schild, er glitt unschädlich ab und 
fuhr bis zum Nagel in den Berg. Dann schleuderte Gunthari 
kühn, doch mit schwacher Kraft, seine Waffe. Sie haftete 
in des Helden Schild, doch leicht schüttelte er das matte 
Eisen ab. Zornig griffen nun die Burgunden zum Schwert 
und stürmten auf Walthari ein, doch mit dem mächtigen 
Ger trieb er die Andringenden zurück, und furchtbar drohte 
sein Auge. Da ihre kurzen Klingen den Speerschwinger 
nicht erreichten, sann Gunthari, seinen Speer, der zu des 
Gegners Füßen lag, heimlich aufzuraffen, darum winkte er 
Hagano zum Angriff. Während dieser Walthari von neuem 
bedrängte, barg der König sein Schwert in der Scheide und 
bückte sich nach dem Schafte. Schon hatte seine Hand ihn 
gefaßt, da ersah der Held sein heimliches, törichtes Tun. 
Hagano mit geschwungenem Speer zurücktreibend, stemmte 
er den wuchtigen Fuß auf die Lanze und schrie dem ertappten 
König so gewaltig entgegen, daß ihm die Knie zu wanken 
begannen. Und nun hätte er ihn zur Hei gesandt, hätte nicht 

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Hagano ihn mit dem Schild geschützt und wider Waltharis 
Haupt die schreckliche Klinge geschwungen. So entrann der 
zitternde König. 

Weiter tobte der Kampf. Dem gehetzten Bären gleich, der 
von Hunden umstellt ist, wehrte sich Walthari nach allen 
Seiten. Schon waren Stunden vergangen, und er fürchtete, 
durch große Ermüdung doch endlich den Feinden zu erliegen. 
Darum rief er Hagano zu: „Hagedorn, wohl grünst du im 
Laub und könntest wohl stechen, doch suchst du listig springend 
mich zu täuschen. Nun sollst du mir näher heran, damit 
diese vergebliche Mühsal ende." Damit schleuderte er mi: 
furchtbarer Kraft seinen mächtigen Speer, mit dem er sich 
bisher der Feinde erwehrt hatte, auf Hagano, durchschlug 
ihm den Schild, riß auch ein Stück des Panzers hinweg, doch 
streifte die Waffe nur leicht den Leib. Sogleich sprang er 
dem Speer nach, drang mit dem Schwert wütend auf Gunthari 
ein, schlug ihm den Schild zur Seite und hieb ihm mit einem 
Schlage Bein und Schenkel bis zur Hüfte durch. Nieder 
stürzte der König, doch Hagano, über des Herrn Fall er- 
schrocken, fing mit dem eignen Haupte den Todesstoß auf, 
den Walthari dem Liegenden zu versetzen gedachte: sein 
trefflich geschmiedeter Helm hielt sprühend dem im Schwung 
gehemmten Hiebe stand, und die Klinge des Helden zer- 
sprang an der bügelbewehrten Wölbung. Tobend vor Zorn 
schleuderte Walthari das goldverzierte Heft weit von sich — 
einen kurzen Augenblick seiner Vorsicht vergessend. Den er- 
sah Hagano und schlug ihm die Hand vom weitausgereckten 
Arme. Doch Walthari wich nicht, ob ihm gleich die mann- 
hafte Rechte mangelte, einst der Schrecken vieler Fürsten 
und Völker. Mutig und ohne die Miene zu wechseln oder dem 
Schmerz der Wunde nachzugeben, schob er den Armstumpf 
unter den Schild, griff mit der Linken an die rechte Hüfte, wo 
ihm das kurze Saxschwert hing und stieß es in Haganos 
rechtes Auge, daß es die Schläfen und das Antlitz ihm ganz 
durchschnitt und ihm zweimal drei Zähne aus dem Munde riß. 

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I 

Der Kampf war zu Ende, den zwei großmütige, an Kräften 
gleiche Helden gestritten hatten. . Nun zwang die Ermattung 
und der Schmerz der Wunden zu enden. Hier lag Guntharis 
Fuß, dort Waltharis Hand, dort Haganos zuckendes Auge — 
so teilten sie die hunnische Beute! Zweie saßen, es lag der 
dritte, mit Kräutern stillten sie das rinnende Blut, und die 
Jungfrau verband ihre Wunden. 

Walthari sprach zu Hiltigund: „Nun schenke uns Wein 
und reiche zuerst Hagano den Becher, denn ein guter Recke 
ist er, wenn er die Eide hält. Darauf reiche ihn mir, denn 
mehr als die andern habe ich ertragen. Gunthari aber soll 
zuletzt trinken, der lässig und lau unter großmütigen Männern 
dem Streite oblag." Hiltigund tat, wie ihr geheißen war, 
doch Hagano sprach: „Erst schenke Alpharis Sohn, deinem 
Herrn, Jungfrau, denn an Heldentum überragt er nicht mich 
allein, sondern alle Krieger." Nun scherzten Hagano, der 
dornige, und der Gotenheld, wie matt sie auch waren, doch 
unbesiegbar an Mut, nach tobendem Kampf in heiterem 
Streite beim Trünke. Hagano sprach: „Jage dir Hirsche, 
Freund, mach dir aus ihrem Felle endlose Fülle von Hand- 
schuhen und fülle den rechten mit weichen Daunen — so 
täuschest du Fremden eine unversehrte Hand vor. Wehe, 
den Brauch des Landes wirst du brechen, wenn du um die 
rechte Hüfte das Schwert gürtest. Linkshändig wirst du 
künftig sein." Ihm erwiderte Walthari: „Scheeläugiger 
Burgunder, muß ich Hirsche jagen, so mußt du Zahnloser 
künftig den Eberbraten meiden und wirst mit querem Blick 
die Schar der Helden grüßen. Doch um meiner alten Treue 
willen rat ich dir: lasse zu Hause dir Mehlbrei kochen, sanft 
mit Milch bereitet und lecker geschmälzt, das heilt das wunde 
Auge und ist dir Nahrung zugleich." 

So scherzten die Recken und erneuten den alten Bund; 
dann eilten die Burgunden nach Worms, Walthari aber mit 
Hiltigund der aquitanischen Heimat zu. 

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III. OSTGOTEN 



ERMENRICH 
15. JÖRMUNREK UND SWANHILD 
on Grimhild, die nach Sigurds Tode dem König Atli 



V vermählt gewesen war, erzählen die Nordländer, daß sie 
in den Flammen der Halle nicht sterben konnte, nachdem sie 
den Tod ihrer Brüder Gunnar und Högni an Atli gerächt hatte. 
Sie ging an das Meer und stürzte sich von einem Felsen hinab, 
aber die Wellen wollten sie nicht begraben, sondern trugen 
sie über die weite Bucht in das Land des Königs Jonak. Dem 
Grimm der Nomen konnte die Leidvolle nicht entfliehen. Jonak 
nahm sie zum Weibe und sie gebar ihm zwei Söhne, Hamdir und 
Sörli. Erp aber, den dritten, gewann Jonak von einer Kebse. 

Dort wuchs auch Swanhild auf, die Tochter Sigurds und 
Grimhilds. Sie war die schönste unter der Weltsonne und 
Grimhild, ihrer Mutter, lieber denn alle ihre anderen Kinder. 
Denn sie hatte die leuchtenden Augen Sigurds, und wenige 
nur wagten ihr in die Augen zu sehen. Sie saß in der 
Halle unter der Mägdeschar, allen schien sie ein leuchtender 
Sonnenstrahl. Gold und schimmernde Kleider gab ihr die 
Mutter und hegte sie mit aller Liebe. 

Von Swanhilds hoher Schönheit hörte Jörmunrek, der 
Herrscher der Goten, der zu jener Zeit der mächtigste König 
war. Er sprach zu Randwer, seinem Sohne: „Fahre als mein 
Bote zu König Jonak, nimm Bikki, meinen Ratgeber, mit 
dir und wirb für mich um Swanhild, von der die Sage geht, 




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daß sie alle Frauen an Schönheit überrage, wie die Sonne die 
andern Gestirne des Himmels." Randwer antwortete: „Herr, 
ich bin dir schuldig, als Bote zu fahren." 

Sie kamen zu Jonak, und Randwer warb für seinen Vater 
um Swanhild. Gern gewährte Jonak seine Tochter dem 
mächtigen Gotenkönige. Die Maid wurde dem Königssohne 
übergeben, damit er sie Jörmunrek zuführe. Mit reichem 
Gefolge bestiegen sie das Schiff und fuhren von dannen. 

Unterwegs sprach Bikki zu Randwer: „Besser würde es 
dir ziemen als dem alten Manne, ein so schönes Weib zu be- 
sitzen. Nimm du sie zu eigen!" Solche Worte gefielen 
den beiden wohl: sie sprachen freundlich einer zum andern. 
Dann kamen sie heim und nahten dem Könige. 

Bikki aber sprach zu Jörmunrek: „Herr, ich darf dir nicht 
bergen, was geschehen ist. Dein Sohn hat Swanhilds Liebe 
genossen, und sie ist seine Kebse. Laß solchen Verrat nicht 
un gerächt!" Der König, gewohnt den Ratschlägen Bikkis 
zu folgen und unfähig seinen Zorn zu meistern, befahl, 
Randwer zu greifen und an den Galgen zu hängen. Als der 
Königssohn zur Richtstätte geführt wurde, nahm er seinen 
Habicht, rupfte ihm die Federn aus und hieß ihn so seinem 
Vater bringen. Der König sah den Vogel an und sprach: 
„Ich sehe wohl, was dieses sagen will. So wie dieser Vogel 
seiner Federn beraubt und zum Fliegen unfähig ist, so ist 
nun mein Reich und meine Herrschaft ihrer Kraft beraubt, 
denn ich bin alt und ohne Söhne." 

Danach sprach Bikki zu Jörmunrek: „Niemand hat deinen 
Zorn mehr verdient als Swanhild, denn sie ist die Anstifterin 
deines Unglücks. Laß sie einen schimpflichen Tod erleiden 
unter den Hufen deiner Rossel" Der Rat gefiel dem Könige. 
Swanhild wurde gebunden in das Burgtor gelegt und die Rosse 
herbeigetrieben, damit sie die Herrliche mit ihren Hufen 
zerträten. Als Swanhild aber die Augen aufschlug, bäumten 
die Rosse auf und scheuten vor ihr zurück, denn Sigurds 
strahlender Blick leuchtete aus ihren Augen. Bikki aber 

10 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

145 



Di 



riet, das Haupt der Fürstin mit einem Tuche zu verhüllen, damit 
die Rosse ihr zu nahen wagten. So geschah es, und darauf 
endete sie ihr Leben unter dem stampfenden Huf tritt der Tiere. 

Als Grimhild die Kunde vom Tode ihrer Tochter vernahm, 
reizte sie ihre Söhne Hamdir und Sörli zur Rache wider 
Jörmunrek. Wilde Reden führte sie in bitterem Leid und 
grimmig sprach sie: „Was sitzet ihr da, schlaff euer Leben 
verträumend? Wie freut euch noch immer leeres Gespräch? 
Swanhild, eure Schwester, zertraten Jörmunreks Rosse unter 
dem Torbogen, schwarze und weiße, graue brausende Goten- 
rosse. Einsam bin ich worden wie die Espe im Wald, dahin 
sind meine Brüder und all meine Sippe. Aller Freude bin 
ich beraubt, wie die Birke der Zweige, wie der Baum des 
Laubes, den der Sturmwind zauste an schwülem Tag. Ihr 
allein lebt noch von meinem Geschlecht, doch entartet seid 
ihr vom Königsstamm. Wahrlich, nicht gleicht ihr Gunnars 
Sippe, nicht habt ihr Högnis unbeugsamen Sinn, sonst suchtet 
ihr Rache für eurer Schwester Tod, hättet ihr meiner Brüder 
Mut und den harten Sinn der Könige von ehemals." Und 
dies sprach Hamdir der Hochgemute: „Minder rühmtest du 
Högnis Tat, als deine Brüder Sigurd vom Schlummer weckten. 
Auf dem Lager saßest du, doch die Mörder lachten. Deine 
Bettlinnen, die blühend weißen, troffen vom Wundentau. 
Sigurd verschied, du aber saßest über dem Toten: da war 
deine Freude zerronnen — das schuf dir Gunnar! Atlis 
Herz wolltest du verwunden, dich selbst aber trafest du 
schlimmer damit. Andere, nicht sich selbst zu verderben, 
soll man das beißende Schwert gebrauchen." Und dies 
sprach Sörli, sein Sinn war weise: „Nicht mag ich mit der 
Mutter Streitworte wechseln. Eines blieb unter euch noch 
ungesprochen: was könntest du uns bitten, Grimhild, da* 
dir nicht Leid brächte? Du klagst um deine Brüder und um 
blühender Söhne Schar, die Nahversippten, die du einst zum 
Kampfe reiztest. Uns beide, Grimhild, wirst du nun auch 
beweinen, bald finden wir in der Ferne den Tod." Da sprach 

146 



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Hamdir der Hochgemute, entschlossen war er zur Fahrt: 
„Bring das Eisenkleid der alten Helden herbei. Zum Rache- 
werk hast du uns gereizt." 

Lachend schritt Grimhild zur Kammer, aus dem Schrein 
nahm sie die Königshelme und lange Brünnen. Sie feite die 
Panzer, daß kein Eisen sie zu durchdringen vermochte und 
brachte sie den Brüdern. Die umhüllten sich mit dem Eisen, 
umgürteten sich mit den Schwertern, schüttelten die Mäntel 
und schmiegten sich in das Waffenkleid. Dann schritten sie 
vom Hofe, schnaubend vor Grimm. Am Tore fanden sie 
Erp, den verschlagenen Bruder, den dunkelbärtigen mit 
braunen Locken. | Ihm rief Grimhild vom Söller herab: 5 
„Mach auch du dich auf mit deinen Brüdern, die zwei ver- 
heißen mehr als sie halten können. Wie sollen sie allein 
zehnhundert Goten binden oder töten in der hohen Burg? 
Ihr drei aber werdet das Werk vollbringen, schwerterfest sind 
eure Brünnen. Doch hütet euch, daß Jörmunrek den Mund 
nicht auf tut: das bringt euch Verderben!" Da sprach 
Hamdir: „Wie soll der braune Knirps uns helfen?" Und Erp 
sprach zu den Brüdern: „So will ich euch beistehen, wie ein 
Fuß dem andern, wie eine sehnige Hand der andern." Doch 
Hamdir erwiderte verächtlich: „Was kann ein Fuß dem andern 
nützen oder die sehnige Hand der andern?" Schnell stiegen 
die drei Brüder zu Roß, Erp kannte die Wege. Über 
feuchtes Gebirg ließen sie die hunnischen Rosse rennen, den 
Mord zu rächen. Höhnende Reden führten Hamdir und 
Sörli, sie reizten Erp, bis er plötzlich sprach, auf dem Rücken 
des Rosses sich drehend: „Nicht ziemt es mir, Feigen den 
Weg zu weisen." Sie aber schalten den Kühnen einen Kebs- 
sohn. Aus der Scheide flogen die Schwerter, die Klingen 
blitzten: das freute die Hei. Um ein Dritteil minderten sie 
ihre Kraft: den jungen Helden schlugen sie in den Staub. 

Weit dehnten sich die Straßen vor ihnen, sie fanden den 

Unheilsweg. Am Galgen vorüber ging der Pfad, da sahen 

sie Randwer, Swanhilds Stiefsohn, vom Speer durchbohrt am 
10* 




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windkalten Wolfsbaum hangen, im Westen des Gehöftes 
schwankte im Winde der Raben Speise — schlimm war der Ort. 

Lärm des Gelages erfüllte die Halle und bierfroh waren die 
Mannen, daß sie das Stampfen der Hengste nicht hörten, bis 
das Horn des mutigen Wächters erdröhnte. Die Boten mel- 
deten Jörmunrek eilends, sie hätten Helden unterm Helme 
gesehen: „Sinnt schnell auf Rat und wahret euch 1 Gewaltige 
kommen! Mächtigen Männern habt ihr die Maid zerstampft. " 
Da lachte Jörmunrek, er strich sich den Bart, vom Wein 
war er mutig, er schüttelte die braunen Locken, blickte auf 
den leuchtenden Schild und ließ in der Hand die Goldschale 
spielen: „Glücklich wollte ich mich nennen", rief er, „könnte 
ich Hamdir und Sörli hier in meiner Halle sehen. Mit Bogen- 
sehnen bände ich sie, am Galgen müßten sie mir hängen/' 

Lärm ward im Hause, die Trinkschalen fielen, als die Rächer 
in die Halle stürzten. Die Bänke stürzten, auf dem Estrich 
mischten sich Met und Blut, da standen die Helden im Herz- 
blut der Goten. Kein Eisen ritzte ihre gefeiten Brünnen. 
Hamdir hieb dem Könige beide Hände ab und Sörli beide 
Füße. Prahlend rief Hamdir der Hochgemute: „Dich ver- 
langte, Jörmunrek, Grimhilds Söhne in deiner Burg zu sehen. 
Nun sieh hier deine Füße und hier deine Hände abgehauen und 
ins heiße Feuer geworfen! Das taten Swanhilds Brüder. " Da 
brüllte laut der Göttersproß, der Fürst in der Brünne, wie der 
Bär brüllt: „Werft Steine auf Jonaks Söhne, wenn der Ger 
sie nicht beißt, noch eiserne Schärfe!" Bald flogen die Steine 
dicht wie Hagel aus den Gotenfäusten, und Sörli sprach zum 
Bruder: „Schlimm tatest du, Bruder, daß du den Mund ihn 
auftun ließest, oft kam aus sterbendem Munde noch böser 
Rat. Kühnheit besitzest du, Hamdir: daß du auch Klug- 
heit hättest! Viel fehlt dem Manne, dem es an Witz gebricht. 
Doch Hamdir sprach: „Gefallen wäre auch das Haupt, und 
nie wäre aus diesem Munde schlimmer Rat gekommen, wenn 
Erp noch lebte, unser kampfkühner Bruder. Weh, daß wir 
ihn auf dem Wege erschlugen! Uns reizten die Nornen, 

148 



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den kampfberühmten, gefriedeten Helden zu morden. Gleich 
den Wölfen, den grauen Tieren der Nornen, haben wir gierig 
uns selbst zerfleischt. Doch heldengleich haben wir ge- 
kämpft, wir stehen auf dem Walle schwertmüder Goten, wie 
Adler auf Zweigen. Ewigen Ruhm erwarben wir uns, ob 
wir gleich heute unter den Steinen der Goten sterben müssen. 
Keiner erlebt den Abend, über den der Norne Spruch erging." 

Da fiel Sörli an des Saales Giebel und Hamdir an des Hauses 
Rückwand. 

16. ERMENRICH UND DIE HARLUNGE 

Ermenrich, der König der Goten, war Herrscher über ein 
mächtiges Reich. Ihm gehorchten alle Könige und Fürsten 
südlich des Gebirges, und er gebot über alle Lande bis an 
das Südmeer. Sibich hieß sein Ratgeber, und ihm vertraute 
er in allen Dingen, doch der sann nichts als seines Herrn 
Verderben und wie er ihn und seine Sippe zugrunde richte. 

Ermenrichs Bruder hatte sterbend zwei Söhne hinterlassen, 
die hießen Fritel und Embrik und wurden die Harlunge ge- 
nannt. Im Breisgau lagen ihre Burgen. Die Jünglinge waren 
einem Pflegevater namens Eckehard anvertraut. Einst sprach 
Sibich zu Ermenrich: „Ich will dir nicht verhehlen, daß deine 
Brudersöhne der Königin, deiner Gemahlin, nachtrachten, 
um ihr die Ehre zu rauben. Darum will ich dir raten, daß 
du dich ihrer bemächtigst und ihre Burgen brichst. So ge- 
winnst du auch ihren ungeheuren Schatz an Gold und Klein- 
odien." Da fuhr Ermenrich in gewaltigem Zorne auf und 
rief: „Soll die Königin vor ihnen nicht in Frieden sein, so 
sollen auch sie vor mir nicht Frieden haben, und das schwöre 
ich: nimmer will ich dort die zweite Nacht liegen, wo ich 
die erste lag, bis ich sie finde, und so hoch sollen sie hängen, 
wie noch nie ein Mann gehangen hat. Ihren Schatz aber will 
ich mir zu eigen nehmen." Eckehard, der Harlunge Trost, 
war zugegen, als der König also schwur und er sprach: „Ehe 
meine Pflegesöhne gehängt werden, soll mancher Helm zer- 

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hauen zur Erde fallen und das Haupt ihm nach, manche 
Brünne soll zerschlissen werden und mancher Schild zer- 
splittern. So lange ich aufrecht stehe, sollen meine Augen 
nicht sehen, daß die Harlunge am Galgen hängen." Darauf 
schwang Eckehard sich auf sein Roß und ritt Tag und Nacht 
ohne Rast, bis er an den Rhein kam, wo die Burg der Harlunge 
stand. Dort sprang er von dem ermatteten Roß, warf sich, 
ohne des Fährmannes zu warten, in den Strom und schwamm 
hinüber. Fritel erblickte ihn von der Burg herab und sprach 
zu seinem Bruder: „Dort schwimmt unser getreuer Eckehard. 
Drohende Gefahr wird er uns melden, da er auf den Fähr- 
mann nicht warten mag." Die Brüder eilten ihm entgegen, 
doch schon von weitem rief Eckehard: „Euch droht Verderben! 
Rettet euch, denn König Ermenrich naht mit seinem Heer 
und will euch töten!" Doch Fritel sprach: „Wie sollten wir 
unseres Vaters Bruder fürchten?" Da erzählte Eckehard 
alles, wie es sich zugetragen hatte. Die Harlunge aber wollten 
nicht fliehen, sie entboten ihre Mannen und rüsteten die Burg 
zur Verteidigung. 

Bald kam Ermenrich mit seinem Heere an die Burg. In 
vollem Lauf sprengte er an den Graben und schoß sein 
Banner hinein zum Zeichen, daß er die Burg nehmen wolle. 
Da rief Fritel: „Herr, wessen gibst du uns schuld, und wes- 
halb willst du unsere Burg nehmen?" Der König antwortete: 
„Wessen immer ich euch schuld gebe: ihr sollt noch heute 
in dem höchsten Baume hängen, den ich finden kann." Em- 
brik sprach: „Ehe wir unser Leben lassen, sollst du es mit 
manchem trefflichen Helden teuer erkaufen." Darauf be- 
schossen sie einander. Bald aber befahl Ermenrich voll 
Ungeduld, Feuer in die Burg zu schleudern, da loderte sie 
in Flammen auf. Eckehard aber sprach zu den Harlungen: 
„Laßt uns hinausgehen und kämpfend mit Ehren sterben, 
ehe wir im Feuer umkommen." Sie schlugen sich durch, 
gelangten mit sechzig Mannen vor die Burg und erschlugen 
vierhundert von Ermenrichs Kriegern, doch endlich wurden 

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sie gefangen und gebunden und an hohem Baume aufgehängt. 
Der getreue Eckehard aber entkam und ritt zu König Dietrich 



Amelung der Gotenkönig gewann ein mächtiges Reich. 
Er hinterließ seinem Sohne Ermenrich die süditalischen 
Lande, seinem jüngeren Sohne Dietmar Bern und die lom- 
bardischen Gebiete. Dietmar hatte zwei Söhne: Dietrich, 
den man den Berner nennt, und Diether. Dietmar war seinem 
Bruder Ermenrich in allem unähnlich: freigebig und tugend- 
haft herrschte er zu Bern, das er sich erbaut und zu seinem 
Sitze gewählt hatte, gewaltig und stark war er, und kein 
König wagte ihm zu widerstreiten. Als er starb, ließ er seine 
beiden Söhne in unmündigem Alter unter der Hut seines 
Waffenmeisters Hildebrand zurück. Da brachen böse Zeiten 
über Bern herein: öde und wüst wurde das Land, das keines 
starken Königs Hand beschützte. 

| Dies geschah aber so: Dietmar hatte bei seinem Tode seine 
Söhne und sein Land seinem Bruder Ermenrich befohlen. 
Der aber war voll Untreue, das hatte er schon an den Har- 
lungen einst bewiesen. Er hatte einen Ratgeber, Sibich mit 
Namen, der seinen Herrn immer aufs neue zu treulosen Taten 
verleitete. Als Sibich damals hörte wie der junge Berner 
herrlich aufwuchs und allen ein Held zu werden däuchte, 
ging er zu König Ermenrich und sprach ihm ins Ohr: „Wahre 
dich, Herr, vor Dietrich, deinem Gesippen, denn wenn er ein 
Mann geworden ist, wird er dich in große Gefahr bringen. 
Darum rate ich dir: kannst du ihn vom Leben bringen, so 
vermag dir künftig niemand mehr zu schaden, und du wirst 
reicher und mächtiger sein als alle anderen Herrscher, und 
niemand darf sich dir vergleichen, wenn du Dietrichs Lande 
gewinnst, die dir als Amelungs Sohne mit Recht zugefallen 




DIETRICH VON BERN 



177 KÖNIG DIETRICHS VERTREIBUNG 



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sind. Du bist vor ihm nicht sicher, solange er über Bern 
herrscht." Da sprach Ermenrich: „Gut ist dein Rat. Ich 
will tun wie du sprichst, damit ich mich vor Schaden wahre. 
Dietrich von Bern hat den Tod an der Hand, oder ich will 
ihn in solche Not bringen, daß er mir die Lande räumen muß. 
Sein Land besaß einst mein Vater, darum habe ich das bessere 
Recht daran. Du aber rate mir, wie es mir am besten zu- 
falle." — „Sammle in Eile und insgeheim all deine Mannen", 
sprach Sibich, „und falle schnell in sein Land mit großer Heeres- 
macht, so erzwingst du von ihmMage und Mann, Gut und Geld." 
Eilig berief da der König seine Mannen zur Heerfahrt und 
brach mit einem gewaltigen Heere auf. Sie ritten Tag und 
Nacht so schnell sie nur vermochten, fielen in König Dietrichs 
Lande ein und verwüsteten sie mit Brennen und Sengen. 

Erst als er von Bern nicht mehr fern war, sprach Sibich: 
„Nun sende einen Boten an König Dietrich, Herr, der ihm 
den Frieden aufsage." Da rief Ermenrich Heime, den treuen 
Dienstmann der Amelunge. Der war der Schildgeselle des 
jungen Königs Dietrich gewesen und hatte ihm Treueide 
geschworen, ehe er in Ermenrichs Dienste trat, und Gut, 
Ehre und Land von ihm empfangen. Ungern brach er seine 
Treue an König Dietrich, denn er hatte von Sibich erfahren, 
daß Dietrich getötet werden sollte. Darum stand er schweigend 
vor Ermenrich. Der sprach: „Wie, Heime, soll ich hier auf der 
Heide deiner Dienste entbehren? Willst du mir heute deine 
Treue nicht bewähren, so soll dir für immer meine Huld versagt 
sein und mein Zorn dich treffen." — „Zürne nicht, mein König", 
sprach Heime, „mein Entschluß ist gefaßt. Ich will gen Bern 
reiten, dem Helden zu widersagen, doch tue ich es ungern, 
denn mich schmerzt so ungetreuer Rat." — „Mit reichem 
Gute will ich dir die Botschaft lohnen", sprach Ermenrich. 

Heime bestieg sein Roß und ritt eilig nach Bern. Grimm 
und Schmerz über den Frevel, den man gegen den jungen 
König plante, erfüllten sein Herz auf dem Ritte, und heimlich 
gedachte er, wie er König Dietrich vor dem Schicksal bewahre, 

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das ihm drohte. Als er in den Hof der Burg zu Bern einritt, 
wurde er von den Mannen Dietrichs freudig empfangen. 
Hildebrand der Recke hieß ihn willkommen und führte ihn 
vor den jungen König in den Saal. Der rief ihm entgegen: 
„Sag an, berühmter Held, welche Mär bringst du mir?" 
Lange schwieg Heime, dann sprach er: „Diese Botschaft 
bringe ich dir: Ermenrich, dein Gesippe, läßt dir durch mich 
Fehde ansagen." — „Wessen zeiht mich mein Oheim?" rief 
Dietrich, „will er mich von meinem Vatererbe treiben?" — 
„Voll Schmerz muß ich dir die Botschaft künden", sprach 
Heime, „doch ehe ich scheide, höre meine Warnung um 
meiner Treue willen, die ich dir schwur: hüte dich vor Ermen- 
rich! So nahe ist der König schon, daß er morgen mit einem 
gewaltigen Heere vor Bern stehen wird. Fängt er dich, so 
hast du Gut und Leben verloren. Darum säume nicht, son- 
dern flieh, sonst ist es dein Tod. Verraten bist du durch 
Sibichs Ränke. Ich aber will dir die Treue wahren und an 
ihrer Treulosigkeit nicht teil haben. Meine Gesippen, Gut 
und Weib will ich um dich lassen und mit Schande König 
Ermenrichs Reich verlassen. Nun aber will ich zu ihm 
zurückkehren und ihm Botschaft bringen, wie ich verhieß." 

Von dannen strich der Bote. Er eilte über Berg und Tal, 
bis er vor König Ermenrich stand. Er sprach: „Herr, deine 
Botschaft habe ich König Dietrich ausgerichtet und ihm 
Fehde angesagt. Das Band der Sippe ist zwischen euch zer- 
rissen. Nun tu wie du willst. Ich fand ihn unverzagt." — 
„Übermütig trägt sich der Knabe", sprach Ermenrich, „wider 
mein Reich will er sich setzen und sich mir an Macht ver- 
gleichen. Will er mir im Kampfe widerstehen, so muß er 
dennoch vor mir aus dem Lande weichen mitsamt dem alten 
Hildebrand und allen Wülfingen oder das Leben lassen. 
So wird man sehen, wer von uns der mächtigere ist." Doch 
Heime sprach: „Gott helfe König Dietrich! Schande wird 
dir bringen, wie du wider deinen unmündigen Gesippen ver- 
fährst. Höre meinen Rat: nie wirst du es verwinden, wenn 



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du deines Bruders Kinder aus dem Lande treibst. Ich aber 
will dein Mann nicht länger sein, denn manche Übeltat be- 
gingst du schon, und das alles tatest du auf den Rat Sibichs, 
des ungetreuen Mannes. Diese Untat aber wird von allen 
die größte sein." So sprach er und verließ den König. 

Als Heime von Bern hinweggeritten war, berief König 
Dietrich all seine Mannen und Ratgeber in die Halle seiner 
Burg und sagte ihnen, welche Botschaft Heime von König 
Ermenrich gebracht hatte. „Mich will Ermenrich, mein 
Oheim, von meinem Vatererbe treiben. Und Sibichs Rat hat 
über ihn vermocht, daß er mir nach dem Leben trachtet. 
Nun versagt mir euren Rat nicht in meiner Not. Gedenkt 
meiner kindlichen Jugend und vergeltet an mir, was einst 
mein Vater Liebes an euch getan hat. Ihm schwurt ihr Treue 
und strecktet ihm eure Hände dar, dessen sollt ihr gedenken, 
solange ihr das Leben habt. Uns bleibt die Wahl, entweder 
mit König Ermenrich zu kämpfen: dann werden wir unser 
Leben verlieren, wie manchen Helden es Ermenrich auch 
kosten mag, denn gewaltig ist unserer Feinde Übermacht 
und schon sind sie ganz nahe. Die andere Wahl aber ist, 
daß wir uns eilig aufmachen und hinwegreiten und vor der 
Übermacht unser Land räumen, und dann mag Gott walten, 
wann wir es wieder erkämpfen können. Wir aber behalten 
Mannen und Leben. Und das ist mein Rat, wenn ihr wollt 
wie ich". Da erhob sich Hildebrand, Dietrichs Waffenmeister 
und bester Freund, und sprach: „Herr, verzage nicht in dieser 
Bedrängnis. Es steht nun so, daß wir mit Schande unser 
Reich lassen müssen, damit deine Jugend gerettet werde. 
Darum mag denn jeder, der mit uns zu fliehen gedenkt, sich 
eilig rüsten, denn keine Zeit bleibt uns zum Reden. Von 
hinnen müssen wir diesmal reiten, doch ich vertraue, daß 
wir einst das Unsere wieder erlangen." Dietrichs Mannen 
aber traten nacheinander heran und schwuren, sie wollten eher 
Gut und Leben lassen als ihren Herrn. „Mit dir wollen wir 
sterben oder gerettet sein, mit dir leiden, was immer dich trifft.' 4 

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Ais sie noch redeten, kam ein Bote auf schäumendem Roß 
vor die Burg gejagt. Der rief: „Leidvolle Mär bringe ich dir, 
König Dietrich. Ermenrichs Mannen liegen auf deiner Mark, 
hausen übel mit Brennen und Plündern. Viel tausend Recken 
zählt sein Heer, schon sind sie nahe vor Bern." — „Allzu- 
wenig sind unserer Mannen", sprach grimmig Hildebrand, 
,, allzu jung ist unser Herr. Darum bleibt uns keine Wahl 
als Flucht. Einst aber wird Ermenrich den Schimpf büßen, 
den er jetzt uns antut." 

Schnell verbreitete sich das Wort über die ganze Stadt, 
daß Hildebrand seinem jungen Herrn die Flucht geraten, 
und daß sich die Mannen zum Aufbruch rüsteten. Da er- 
scholl Klagen und Weinen überall. Die Frauen und Kinder 
voll Leid um die Helden gingen jammernd vor die Burg und 
riefen: „Wem wollt ihr uns lassen, da ihr von hinnen 
reitet?" Da erhob sich Dietrich und rief: „Mit Leid muß ich 
euch lassen und von dannen ziehen. Und nicht weiß ich, 
ob ihr mich je wiederschaut. Mit Schmerzen muß ich leben 
bis an den Tag, da ich mein Leid an Ermenrich räche und 
euren Jammer tilge." Da faßte mancher Recke sein Weib 
bei der Hand, ehe er mit seinem Herrn ins Elend zog, und 
tröstete sie mit freundlichem Wort. Dann nahmen sie trau- 
rigen Urlaub von ihren Frauen. 

Hildebrand der Alte aber ergriff König Dietrichs Banner- 
stange, sprang auf sein Roß und befahl allen, ihm zu folgen. 
Dietrich mit seinen fünfzig Getreuen ritt hinaus ins Land, 
nordwärts wandten sie sich übers Gebirg und zogen dahin, 
bis sie zu einer Burg kamen, die Bechlarn geheißen wurde. 
Über sie herrschte Markgraf Rüdiger, ein mächtiger Degen. 
Als der vernahm, König Dietrich sei zu seiner Burg gekommen, 
hieß er all seine Mannen sich rüsten, stieg zu Roß und ritt 
an der Seite seines Weibes Gotelind mit großem Gepränge 
dem Fürsten entgegen. Voll Freude empfing er ihn und rief: 
„Wohl mir, daß ich dich sehe, sei mir willkommen mit deinen 
Mannen." Er kniete zur Begrüßung vor Dietrich nieder, 

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der aber sprach: „Steh auf, ich bin ein armer Knabe und von 
meinem Lande vertrieben. Um Gnade komme ich zu dir, 
Rüdiger, die kann ich dir wohl nie vergelten, so lange ich 
lebe." — »Sage mir", sprach Rüdiger, „wie du von deinen 
Landen schiedest." Betrübt antwortete Dietrich: „Vor 
Ermenrich mußte ich von meinem Erbe weichen. All meine 
Burgen und das weite Land hat er mir mit Gewalt entrissen. 
Nicht anderen Gutes bin ich Herr als dessen, was du hier 
vor Augen siehst." — „Herr", sprach Rüdiger, „kehre bei 
mir ein, daß ich dich rüste, wie es einem Könige gebührt, 
und dich meinem Herrn, König Etzel im Hunnenland und 
Helche, seinem Weibe zuführe. Alles was ich habe, ist dein. 
Deine Not ist auch die meine." 

Da ritten Dietrich und seine Helden mit Rüdiger auf seine 
Burg. Der milde Markgraf ließ sogleich dem jungen König 
reiche Schätze bringen: herrliche Rosse mit glänzendem 
Sattelzeug, reiche Gewände und köstliche Leinwand, dazu 
goldenes Geschmeide und schöne Steine ließ er herbeibringen 
und sprach: „Empfange, edler Fürst, dies alles von mir in 
guter Minne. Niemand soll deine Armut sehen, in der du 
herkamst." Rüdiger ließ ein festliches Mahl richten und 
ehrte Dietrich mit königlichen Ehren. 

Dann machte sich Rüdiger mit seinen Gästen auf, um 
sie an den Hof König Etzels zu geleiten. Als dem gemeldet 
wurde, es nahe der junge König von Bern, ritt er ihm an der 
Spitze seiner Mannen mit großer Pracht entgegen, begleitet 
von der Königin. Auch er empfing den Vertriebenen mit 
königlichen Ehren, hieß ihn in seinen Landen willkommen 
und führte ihn in seine Burg. Er setzte ihn neben sich in 
den Hochsitz und gab Dietrichs Mannen ehrenvolle Plätze. 
Als er vernommen hatte, welches Unheil den König betroffen 
und wie treulos Ermenrich an ihm gehandelt hatte, sprach 
er: „Weh, welches Leid ist dir geschehen! Möchte ich doch 
deine Rache an Ermenrich erleben! Du aber bleibe bei mir, 
solange es dir gefällt. Meine beste Habe soll dein sein, denn 



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große Freude bringt mir, daß ein so hoher König in mein 
Land gekommen ist. Edleren Gast und mannhaftere Schar 
sah ich nie sich zu mir wenden." — ,, Auf Gnade kam ich ins 
Land", erwiderte Dietrich, „du und Frau Helche seid mein 
einziger Trost, wenn ich meines Leides je ledig werden soll. 
Wie ich nur kann, will ich vergelten, was ihr an mir tut." 
Und Frau Helche sprach zu ihm: „Von Trauer ist mein Herz 
beschwert über dein Schicksal. Nichts will ich sinnen als dir 
zu helfen, und zu sorgen, daß König Etzel dir gewähre, was 
deinem Heile dient. Willst du dein Leid rächen, so hat Etzel 
manchen kühnen Helden und reiche Schätze, und einst kann 
geschehen, daß du dein Land mit unserer Hilfe wieder gewinnst." 



18. DIETRICHS ERSTER HEERZUG UND DER TOD DER 



Hochgeehrt weilte König Dietrich lange Zeit am Hunnen- 
hofe bei König Etzel und erwuchs in seinem Dienst zu einem 
Helden, von dem die Sage manches Wunder an Mannheit und 
Reckentum berichtet. Doch immer war sein Herz voll Trauer, 
und unter Grimm und Klagen verbrachte er seine Nächte. 

Als er vor Ermenrich fliehen mußte, war Diether, sein 
Bruder, erst einen Winter alt. Nun war er zu einem tapferen 
Recken herangewachsen und überragte seine Genossen an 
Kraft und Schönheit. König Etzel hatte zwei Söhne, Erp 
und Ortwin, die waren ein wenig jünger als Diether und ihm 
durch untrennbare Liebe verbunden. Helche, ihre Mutter, 
liebte Diether wie ihre eigenen Söhne. 

Zwanzig Winter waren seit Dietrichs Ankunft am Hunnen- 
hofe vergangen. Da gewahrte Helche, die tugendhafte 
Königin, wie der Held mit seinem Kummer rang und von 
schwerem Leide bedrängt wurde. Sie beschloß, ihm zu helfen. 
Einst trat er in die Halle ein, wo sie saß. Freundlich ward 
er bewillkommt, doch saß er stumm und harmvoll da. End- 
lich, auf Helches Frage nach dem Grunde seines Kummers, 
sprach er: „Mich denkt, wie ich mein Reich lassen mußte 



ETZELSÖHNE 



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und Bern, meine schöne Stadt, und wie ich in König Etzels 
Gnade und Schutz kam. Zwanzig Winter bin ich all meines 
Gutes ledig gewesen. Das grämt mich so, daß ich es vor 
euch klagen muß." Helche sprach: „Lange weiltest du bei 
uns und liehst uns deine Hilfe. Willst du nun trachten, dein 
Reich wieder zu gewinnen, so ziemt sich, daß die Hunnen dich 
mit einem Heere unterstützen, ich aber will dir meine beiden 
Söhne zum Beistand geben mit vielen Mannen und meinen 
Herrn bitten, daß auch er dir helfe." Das gewährte ihr König 
Etzel, und so gewann Dietrich ein mächtiges Heer. 

Als im Frühjahr die Mannen sich sammelten, um mit 
Dietrich nach Süden zu ziehen, trat Helche vor König Etzel 
hin und sprach: n Ich sagte Dietrich zu, daß meine Söhne ihm 
auf seinem Zuge folgen sollten, nun gib auch du deine Billi- 
gung." — „Nie geschieht das mit meinem Willen", sprach 
Etzel. Erst als Dietrich versprach, die Jünglinge treu zu 
hüten, stimmte er voll banger Sorge zu und sprach zu Dietrich: 
„Deiner Treue befehle ich die Knaben, doch fürchte ich böses 
Geschick." — „Vertraut mir", sprach Dietrich, „daß ich 
euere Söhne wohlbehalten wiederbringe." 

An einem Maientage rüstete Helche ihre Söhne und den 
jungen Diether mit herrlichen, goldgezierten Waffen. Dann 
sprach sie weinend: „Wohl ist mein Wunsch, daß ihr heil 
zu mir wiederkehret, doch mehr noch wünsche ich, daß 
man euch tapfere Helden nenne, wenn ihr aus dem Kampfe 
heimkommt." Und zu Diether sprach sie: „Du bist meinen 
Söhnen durch Liebe verbunden, immer wart ihr bisher im Spiel 
einer des anderen Helfer. Nun laßt euch nicht trennen und steht 
einander bei auch im ernsten Streit." Und Diether antwortete: 
„Herrin, Gott mag helfen, daß ich dir deine Söhne gesund 
heimführe. Fallen sie aber im Kampfe, so kehre auch ich 
nicht wieder, denn ich will nicht leben, wenn sie tot sind." 

Der Hunnenfürst übergab das Heer König Dietrich und 
den erwählten Führern: dem Markgrafen Rüdiger und dem 
jungen Diether, in dessen Schar Erp und Ortwin ritten, dazu 



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den Recken Wolf hart, Helferich und dem alten Hildebrand. 
Zu Helferich aber sprach Frau Helche, bevor das Heer aus- 
ritt: „Guter Freund, dir gebe ich meine Söhne in Obhut. 
Laß sie neben dir reiten, wenn es zum Kampfe kommt." 
Helferich erwiderte: „Das schwöre ich, daß ich nimmer heim- 
kommen will ohne deine Söhne." 

Dietrich zog mit seinem Heere nach Süden. Er sandte 
Boten voraus, Ermenrich zu melden, daß er mit seinem 
Bruder heimkehre in sein angestammtes Erbe mit großem 
Heerbann. Wolle Ermenrich ihm das Reich wehren, so möge 
er sich zur Schlacht an vereinbartem Orte stellen, denn er 
verschmähe es, sich in sein Reich zu stehlen. Als Ermenrich 
diese Botschaft vernahm, besandte er seine Mannen über das 
ganze Land hin und entbot jeden, der die Waffen tragen 
könne, zum Heerbann. Und als sie versammelt waren, 
ordnete er die Haufen und stellte sie unter den Befehl Sibichs 
und Wittichs. Zu Sibich sprach er: „Du sollst König Dietrich 
entgegengehen mit deiner Schar, und eine männliche Tat 
wäre es, wenn du mit Dietrichs Schwert in der Hand heim- 
kehrtest." Zu Wittich aber sprach er: „Du führe deine Schar 
wider die Hunnen. Nicht darfst du mit Unsieg zu mir heim- 
kommen. Ich wollte aber, daß Dietrich und sein Bruder 
nicht lebend aus der Schlacht kämen. Vor allem aber sorget, 
daß König Etzels Söhne nicht lebend zurückkehren." Wittich 
antwortete: „Wohl bin ich bereit, wider die Hunnen und 
König Etzels Söhne zu kämpfen, gegen Dietrich aber soll 
sich meine Hand nicht heben, keinen Schaden soll sie ihm 
zufügen, solange mein Wille gilt." Darauf ritt das Heer 
nordwärts über das Gebirge Mundia zur vereinbarten Walstatt. 
An einem Strome nahe dem Meere trafen sie auf König 
Dietrichs Heer, und beide Heere lagen sich die Nacht hindurch 
nördlich und südlich des Flusses gegenüber. 

Am Morgen ließ Dietrich die Heerhörner schallen, und bald 
dröhnten sie auch in Ermenrichs Heer. Die Hunnen durch- 
schritten eine Furt des Stromes und griffen in drei Heer- 




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häufen, geführt von Dietrich, Rüdiger und Diether, ihre 
Gegner an, die ihnen auch in drei Haufen entgegenritten. 
Zuerst entbrannte der Kampf zwischen Dietrichs und Sibichs 
Schar. In wildem Zorn fuhr Dietrich durch die Reihen 
seines verräterischen Feindes, daß niemand ihm standhalten 
konnte. Als Sibichs Bannerträger unter den Streichen von 
Dietrichs Mannen gefallen war, wandte sich der Treulose 
mit den Seinen zur Flucht. Dietrich aber setzte ihm nach, 
verfolgte ihn den ganzen Tag und erschlug viele seiner Mannen. 

Als Wittich Sibichs Flucht sah, wollte er das Schicksal 
des Tages wenden. Kühn drang er gegen Diethers Heer- 
haufen heran, in dem Nudung, Rüdigers Mage, das Banner 
führte. Den schlug er zu Boden. Als Ortwin das sah, sprach 
er zu seinem Bruder und Helferich: „Seht, welchen Schaden 
der grimme Wittich unseren Mannen tut. Sind wir nicht 
junge Recken? Auf denn, laßt uns ihn anrennen!" Mit 
heldenhaftem Mute ritt Ortwin auf Wittich ein. Der rief ihm 
entgegen: „Du junger Hunnenkönig, was kümmert dich 
italisch Land? Reite wieder heim, sonst wirst du das 
Hunnenland nie wieder sehen." — „Feigling, wie wagst du 
es, hohe Könige zu beschimpfen? Das sollst du ent- 
gelten", rief Ortwin. Er schwang sein Schwert grimmig auf 
Wittichs Helm, daß das Feuer heraussprang, und schlug ihm 
eine Wunde. Da entbrannte Wittichs Zorn, er traf den 
Jüngling, daß er tot zu Boden fiel, und Helferich, der dem 
Gestürzten zu Hilfe eilen wollte, folgte ihm in den Tod nach. 
Als Erp den Fall seines Bruders sah, ritt er herbei, ihn zu 
rächen. Doch Wittichs hochgeschwungenes Schwert spaltete 
ihm das Haupt. Schon sinkend, schlug der junge Hunnen- 
fürst seinem Gegner einen Schlag, daß er einen Augenblick 
auf die Mark niederfiel. Diether aber, als er seine geliebten 
Freunde am Boden sah, fiel voll Grimm und Schmerz über 
Wittich her. Der rief ihn an: „Wohl erkenne ich dich, du 
bist König Dietrichs Bruder. Darum reite hinweg, Diether, 
denn um seinetwillen möchte ich dir keinen Schaden tun. 



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Suche Kampf mit anderen Männern!" Doch Diether ant- 
wortete: „Das schwöre ich: da du meine jungen Könige Erp 
und Ortwin erschlagen hast, so will ich gewißlich nicht leben, 
es sei denn, daß ich sie an dir räche. Darum sollst du mich 
tot vom Rosse fällen, oder ich muß dein Töter heißen." — 
„So kann ich dir nicht anders entrinnen als durch den Kampf", 
rief Wittich, „das aber zeuge mir Gott, daß ich es ungern 
und in höchster Not tue, wenn ich dich erschlage." In wildem 
Zorn hieb Diether auf den Recken ein und weithin erklangen 
die Schwerter über das Feld. Beide Kämpfer waren von den 
Rossen gestiegen und trieben sich in grimmigem Fechten 
über die Walstatt hin. Doch zu früh erlahmte des jungen 
Diether Kraft vor dem erprobten Recken, sein Schwert glitt 
an der Härte von Wittichs Helm nieder. Noch einmal 
stürmte er mit letzter Kraft auf seinen Gegner ein, da warf 
dieser den Schild zu Boden, faßte sein Schwert mit beiden 
Händen und rief: „So muß ich denn das Werk tun, das ich 
nimmer tun sollte. Doch tue ich es nicht, so muß ich selbst 
mein Leben lassen." Darauf durchhieb er seinen Gegner 
von der Achsel bis zum Gürtel. Schmerz ergriff ihn, als er 
den jungen König gefällt am Boden sah. Er sprach: „Gern 
wollte ich selbst den Tod leiden, wenn ich dich noch heilen 
könnte. Nun muß ich vor Dietrich alle Lande räumen." 

Weiter tobte der Kampf und auch der Teil von Ermen- 
richs Heer, der noch standgehalten hatte, wurde durch Rü- 
digers Schar zur Flucht gewandt. In diesem Kampfe fiel 
mancher Blutsbruder von seines Blutsbruders Hand. Zu- 
letzt mußte auch Wittich mit seinen Tapferen fliehen. 

In wildem Ritt hatte König Dietrich die Fliehenden ver- 
folgt. Da sprengte ihm einer seiner Mannen nach und rief 
ihm voll Schmerz entgegen: „Herr, laß ab von der Verfol- 
gung! Schreckliche Mär muß ich dir künden. Die jungen 
Hunnenkönige und Diether, dein Bruder, liegen erschlagen 
auf der Walstatt. Kehr um und räche sie!" In grimmigem 
Schmerz brach es aus Dietrich hervor: „Wehe, jetzt erst 

II Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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verlor ich Reich und Leben, dazu auch meine Ehre! 0 
schlimmster Tag, den das Schicksal über mich kommen ließ, 
da auf mir keine Waffe haftete, aber die jungen Könige 
fielen !" Er eilte hin wo die Jünglinge lagen, warf sich über 
ihre Leiber, küßte sie in die Wunden und verfluchte den Tag 
seiner Geburt. „Wer soll mir nun noch trauen", rief er, 
„hört Helche, was hier geschah: um meine Ehre ist es ge- 
schehen. Wohin immer ich mich kehre, da wird man sagen: 
seht, der ist es, der seine Herren verriet. Darum kann ich 
von diesem Tage an nicht wieder vor Etzel hintreten. So 
will ich denn sterben oder meine jungen Könige rächen." 

Als er noch klagte und die Wunden beschaute, die Mimung, 
Wittichs gutes Schwert geschlagen hatte, rief einer der Mannen: 
„Was säumst du, König? Sieh, dort flieht dein Feind über 
die Heide!" Auf sprang der Held, schwang sich auf Valke, 
sein berühmtes Roß, stieß ihm die Sporen mit Macht in die 
Flanken und schoß wie der Sturmwind dahin. Feurig lohte 
sein Grimm, glühend ging sein Atem, und so schrecklich war 
er in seinem Zorne, daß niemand ihm zu nahen wagte. Bald 
ließ er in wildem Ritt alle Recken weit hinter sich. Als aber 
Wittich seinen Verfolger gewahrte, ließ er Schemming, 
seinen guten Hengst, gewaltig rennen, daß er über die Heide 
flog. Da begann Dietrich den Fliehenden anzurufen: „Warte, 
Wittich, du Starker! Die jungen Könige will ich rächen, 
die du erschlugst. Halt an, wenn du ein Walrecke bist, bis 
ich dich erreiche!" Stumm eilte Wittich weiter. Und wieder 
rief Dietrich über Schildes Rand: „Warte, hehrer Degen! 
Laß mich doch von dir ohne Kampf nicht scheiden! Du 
willst im Sturme der Kühnsten einer sein: wie magst du 
nun vor dem Rächer derer fliehen, die du erschlugst?" Doch 
Wittich trieb schweigend sein Roß an. Zum dritten Male 
rief Dietrich: „Scheide mich, Held, von meinem Herzeleid! 
Harre mein und sage: wie wehrten sich die Jünglinge? Halt 
an, denn wahrlich: du wirst mich heute überwinden. Sieh, 
ich bin tot an Händen und Gliedern, und ich weiß, du wirst 

IÖ2 



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mich im Streite töten. 14 Da wandte sich Wittich auf dem 
eilenden Roß und rief: „In der Not erschlug ich die Könige 
und deinen Bruder, und nie hätte ich dir dies Leid getan, hätte 
ich anders mein Leben behalten können. Mit Gold will ich 
dir deines Bruders Tod büßen." 

Schon war Valke in wildem Lauf dem Fliehenden nahe 
gekommen, da lag vor Wittich das Meer. Der dachte: „Wie 
mag es mir ergehen? Streiten will ich nicht mit Dietrich, 
auch kann ich ihm nicht entrinnen. Wer rettet mich aus 
dieser Not?" Er hemmte sein Roß nicht, sondern sprengte 
ins Wasser hinein. Da faßte Dietrich seinen Speer und 
schleuderte ihn ihm nach. Wittich aber war schon in den 
Fluten versunken. Dietrichs Speer stand zitternd in der 
Düne des Strandes, und noch lange sah man ihn dort ragen. 

Leidvoll ritt der Held zur Walstatt zurück. An den Leichen 
der gefallenen Könige klagte er bitter über sein Geschick und 
sprach: „Das ist mir der schwerste Harm, daß ich euch habe 
verlieren müssen. Nie kann ich nun ins Hunnenland zurück- 
kehren. Lieber läge ich selbst zerhauen auf der Walstatt, 
als daß ihr den Boden deckt." Und zu Rüdiger sprach er: 
„Fahre nun heim mit dem Hunnenheer, bringe König Etzel 
und der Königin mein gutes Wort und suche mir ihre Huld 
zu erwirken, indem du für mich sprichst, denn ich vermag 
nicht über mich, ins Hunnenland zu reiten. Etzels Klage 
und Helches Tränen kann ich nicht schauen. Auch kränkt 
mich, wie viele gute Helden Etzel um mich verloren hat." 
Rüdiger antwortete: „Tu nicht also, König! Oft geschieht 
es, daß ein Fürst im Kampfe seine besten Helden verliert und 
dennoch nicht sieglos heimkehrt. Freue dich deines Sieges 
und verzweifle nicht, hast du gleich die jungen Könige ver- 
loren. Wir aber wollen die Königin bitten, daß sie sich über 
den Verlust ihrer Söhne tröste, und wollen ihr helfen, daß 
Etzel dir wieder Freund werde wie zuvor." Immer noch 
weigerte sich Dietrich, ins Hunnenland zu fahren. Da spra- 
chen Rüdiger und die Seinen: „Willst du das nicht, so streite 

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weiter gegen König Ermenrich, damit du dein Reich wieder 
gewinnest. Und wir wollen dir mit dem ganzen Heere bei- 
stehen und nicht eher heimkehren, bis dein ganzes Reich 
dir Untertan ist." Doch Dietrich rief: „Wahrlich, nicht will 
ich Etzels Scharen weiterführen, nachdem ich seine Söhne 
verloren habe. Lieber will ich denn heimfahren mit euch." 

So geschah es. Als sie aber nach Etzels Burg kamen, 
wollte Dietrich nicht vor dem Könige erscheinen. Da ging 
Rüdiger in die Halle, wo er Etzel und Helche fand. Die 
riefen: „Willkommen, Rüdiger! Bringst du gute Zeitung 
und errangen die Hunnen den Sieg? Lebt König Dietrich ?" 

— „Wohl lebt König Dietrich", sprach Rüdiger, „und einen 
großen Sieg haben wir errungen. Und dennoch ist es uns 
schlimm ergangen, denn wir verloren unsere jungen Herren. 
Erp und Ortwin liegen erschlagen auf der Walstatt. Ihr 
sehet sie nimmermehr." Vor Jammer fiel da Helche zur 
Erde und brach in laute Klagen aus. Etzel aber sprach: 
„Wie fielen meine Söhne und wer folgte ihnen in den Tod?" 

— „Manch teurer Held fiel mit ihnen", erwiderte Rüdiger. 
„Der edelste ist Diether, der junge König, und Nudung und 
Helferich sind ihnen im Tode vereint. Doch zahlreiche 
Amelungen aus Ermenrichs Scharen fanden mit ihnen den 
Tod, und wer von ihnen das Leben behielt, rettete sich durch 
die Flucht." Da sprach Etzel, und heldischer Mut erfüllte 
ihn bei dieser Zeitung: „Abermals geschah es hier wie 
oft zuvor: die müssen fallen, die das Schicksal zum Tode 
bestimmt hat, und keine Heldenstärke, noch herrliche Waffen 
können sie schützen . . Doch wo ist mein Freund Dietrich?" 
Rüdiger sprach: „Er hält sich verborgen und will dein An- 
gesicht nicht sehen." Da sandte Etzel zwei seiner Recken 
aus, daß sie Dietrich freundlich zu ihm lüden. Doch er wei- 
gerte sich zu kommen und wollte keines Menschen Antlitz 
sehen. Weinend erhob sich nun die Königin, ging zu ihm 
und sprach: „Dietrich, mein Freund, sage mir: wie wehrten 
sich meine Söhne? Fielen sie wie tapfere Helden?" Dietrich 

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sprach: „Wahrlich, gute Helden waren sie und wehrten sich 
mannhaft, und keiner wollte sich von dem andern scheiden 
lassen." Da schlang Helche ihre Arme um Dietrichs Hals, 
küßte ihn und sprach: „Leid genug ist dir geschehen, da auch 
dein junger Bruder starb. Nun aber folge uns in die Halle, 
sei uns willkommen und freue dich. Nicht frommt die Klage 
um Tote." ] Da stand Dietrich auf und folgte der Königin in 
die Halle. I Er neigte sich vor Etzel bis zur Erde und sprach: 
„Edler König, räche an mir dein Leid um deine Söhne."* 
Doch der König erhob sich, hieß ihn freundlich willkommen, 
setzte ihn neben sich in den Hochsitz und sprach: ] „Edler 
Dietrich, ich will dir Freund sein wie zuvor und dir um den 
Tod meiner Söhne nicht zürnen." 

19. DIE RABENSCHLACHT UND DIETRICHS HEIMKEHR 

Wieder hatte Dietrich zwölf Jahre im Hunnenlande geweilt 
und manchen schweren Kampf für König Etzel bestanden. 
Das schwerste Los aber traf ihn, als er im Kampfe gegen 
die Burgundenkönige an Etzels Hof all seine Recken verlor, 
auf die er die Hoffnung seiner Heimkehr baute. Nach diesem 
Blutbad blieb er mit dem alten Hildebrand einsam und trauernd 
zurück. Endlich sprach er zu diesem: „Länger kann ich 
nun das Leid nicht tragen, daß ich fern vom Amelungen- 
lande altere. Lieber will ich sterben für mein Reich, als im 
Hunnenlande vor Alter kraftlos werden und nie Land und 
Ehre wieder gewinnen." — „Auch ich", sprach Hildebrand, 
„will lieber im Amelungenlande sterben, als hier in Unehren 
altern. Doch was sollen wir tun?" Dietrich sprach: „Ich 
schwöre, daß ich nicht zum zweiten Male aus meinem Lande 
mit Unehren hierher heimkehren will. Ich will Etzel meinen 
Willen künden." 

Abends ging Dietrich zu Etzel und sprach zu ihm: „Höre 
mich, mächtiger König! Mein Harm um mein verlorenes 
Erbe ist so groß geworden, daß ich beschlossen habe heim- 
zufahren nach Amelungenland. Wiedergewinnen will ich 

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mein Reich oder sterben." Etzel erwiderte: „Wo sind deine 
Heermannen? Wer wird dir helfen dein Reich zu erobern?" 

— „Dennoch will ich heimfahren", sprach Dietrich bitter. 
Etzel erwiderte: „Teurer Freund Dietrich, ungern verliere 
ich dich. Willst du aber nicht länger bleiben, rüste ich dir 
ein Hunnenheer, das dir helfe, dein Reich zu gewinnen." 

— „Edel handelst du an mir", sprach Dietrich, „daß du mir 
noch einmal die Hilfe deiner tapferen Helden leihst." 

Da entbot Etzel wieder ein starkes Heer und Dietrich 
führte es nach Süden über das Gebirge. Der alte Hildebrand 
leitete es durch die Marken: ihm waren die Straßen wohl- 
bekannt. Als sie über das Gebirge gekommen waren, ver- 
nahm Dietrich, daß Ermenrich ein gewaltiges Heer gesammelt 
habe und vor Raben liege. Dorthin zog er mit seiner Macht. 
Hildebrand ritt dem Heere voraus auf die Warte. Da traf 
ihn das schrecklichste Wehgeschick, denn Hadebrand, sein 
Sohn, den er an der Mutter Brust einst zurückließ, ritt ihm 
entgegen, wollte in ihm den Vater nicht erkennen und forderte 
ihn zum Kampfe heraus. Da mußte der leidvolle Greis, nach 
so viel Jahren der Verbannung an der Schwelle der Heimat, 
um seiner Ehre willen, den eigenen Sohn erschlagen. 

Auf der Heide vor Raben ließ Dietrich die Zelte aufschlagen 
und unter dem Banne eines kurzen Friedens lagen sich die 
Heere die Nacht hindurch gegenüber. Am Morgen begann 
eine wilde Schlacht. Zwölf Tage lang stritt Dietrichs Heer 
gewaltig gegen Ermenrichs zahllose Übermacht. Unermüd- 
lich durchschritt Dietrich mit seinen Hunnen die Reihen der 

» 

Feinde, bis endlich Ermenrich geschlagen war und Dietrich 
die Walstatt siegreich behauptete. Als Ermenrich alles ver- 
loren sah, ließ er sein Heer im Stich und wandte sich zur 
Flucht. Mit ihm floh Sibich. Den aber fing Dietrich und 
rief: „Nun werden alle die schlimmen Ratschläge an dir ge- 
rochen, die du Ermenrich gabst. Viel Leid hast du mir getan, 
du Treuloser, dafür mußt du dein Leben lassen." Er band 
ihn nackend rücklings auf ein Roß und führte ihn durch das 

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Hunnenheer. Dann übergab er ihn Eckehard, dem treuen 
Pflegevater der Harlunge, die einst Ermenrich auf Sibichs 
Rat verräterisch des Lebens beraubt hatte. Der Alte hatte 
tapfer in Dietrichs Heer gekämpft. Nun sprach er: „So wird 
mir noch das Glück, daß ich meine jungen Herren an dem 
Verräter rächen kann. Einen Galgen will ich mit dir be- 
schweren, so rätst du niemand mehr einen ungetreuen Rat." 
Und so geschah es. Ermenrich selber aber entkam durch 
die Flucht und starb später einen ruhmlosen Tod. 

Die Stadt Raben fiel in Dietrichs Hand, und bald begannen 
ihm die Mannen aus dem ganzen Amelungenlande zuzu- 
strömen, als sie vernahmen, daß Ermenrichs Macht gestürzt, 
daß Sibich tot und Dietrich, ihr angestammter Herr, in sein 
Land siegreich heimgekehrt sei. Alle Burgen des Landes 
öffneten sich König Dietrich, und vom Volke bejubelt, zog er 
mit dem alten Hildebrand in die gute Stadt Bern wieder ein. 

Lange Jahre herrschte er gewaltig und geliebt über das 
Amelungenland, und von seinen Taten wurde viel in Nord 
und Süd bei den Völkern gesungen. 

20. HILTIBRAND UND HADUBRAND 

Als König Dietrich mit hunnischer Macht gegen Italien 
rückte, um sein Erbreich von König Otaker zurückzuer- 
obern, sandte er seinen Waffenmeister Hiltibrand als Kund- 
schafter dem Heere voraus. Die Feinde hatten Hadubrand, 
Hiltibrands Sohn, als Hüter der Mark auf die Warte gesandt. ! 

Zwischen den Heeren trafen sich Vater und Sohn und for- 

» 

derten einander zum Kampfe heraus. 

Sohn und Vater richteten ihr Heergewand, schlössen den 
Panzer, gürteten ihre Schwerter fest über den Ringen, als 
sie zum Schicksalskampfe ritten. Hiltibrand hub an, der 
Sohn des Heribrand — er war der Ältere, der Weisheitsgraue — 
und begann zu fragen mit kurzem Wort, wer des Gegners 
Vater wäre unter den Helden im Heervolk. „Nenne mir deinen 
Namen", sprach er, „oder wes Geschlechtes du seist. Sagst du 

■ 

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mir einen, junger Held, im Königreiche, dann weiß ich die 
andern schon: kund sind mir weit und breit die Heldensippen." 

Hadubrand erwiderte, Hiltibrands Sohn: „Das sagten mir 
unsere Leute, alte und kundige, die früher waren, Hiltibrand 
habe mein Vater geheißen: ich heiße Hadubrand. Einst 
machte er sich auf, nach Osten zu fahren, er floh Otakers 
grimmigen Haß, hinweg eilte er mit Dietrich und der Schar 
seiner Mannen. In der Heimat ließ er sein junges Weib im 
Baue sitzen mit ihrem Buben und der Habe beraubt: er ritt 
gen Osten. Denn Dietrich bedurfte meines Vaters sehr, des 
freund- und sippelosen Mannes: maßlos war er wider O taker 
ergrimmt, doch dem Dietrich der liebste Degen. Immer ritt 
er an der Spitze der Heerschar, Kampf war ihm lieber als 
alles, in aller Munde war bald sein Name bei kühnen Männern. 
Doch nicht glaube ich, daß er nun noch lebt." — „Ist Hilti- 
brand dein Vater", rief der Alte, „dann zeuge mir der Kampf - 
gott im Himmel droben, daß du noch nie mit so nahen Ge- 
sippen deine Sache führtest." Er streifte vom Arme ge- 
wundene Spangen, aus Kaisergold gefertigt, die sein König 
ihm gab, der Hunnenherrscher, und sprach: „Nimm dies, ich 
gebe es zum Zeichen meiner Huld." Doch Hadubrand 
sprach, Hiltibrands Sohn: „Mit dem Gere soll der Mann 
Gaben nehmen, Spitze wider Spitze. Du bist mir, alter Hunne, 
unmäßig schlau, lockst mich mit listigen Worten und willst 
deinen Speer nach mir werfen. So alt und grau du wurdest, 
immer steckst du voll Arglist. Das sagten mir Leute, die 
über die See fuhren, westhin über das Weltmeer, daß Kampf 
ihn entraffte: tot ist Hiltibrand, Heribrands Sohn." — „Lebend 
kam zur Heimat, den du tot wähnst", rief Hiltibrand, „land- 
flüchtig und in fremder Rüstung." — „Kein Friedloser bist 
du", sprach Hadubrand, „an deiner Rüstung erkenne ich/ 
daß du daheim einen guten Herrn hast, daß du noch nie- 
mals bannflüchtig aus diesem Lande fuhrst. 4 ' Da klagte zür- 
nend Hiltibrand, Heribrands Sohn: „Wohlan denn, waltender 
Gott, Wehsal geschieht! Sechzig der Sommer und Winter 

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wallte ich fern der Heimat, seit man mich in die Schar der 
Kämpfer reihte. In keinem Sturme traf mich der Todbann: 
nun soll eigenen Kindes Schwert mich hauen, mich nieder- 
strecken mit scharfer Klinge, oder ich muß sein Töter 
werden. Du kannst nun leicht, wenn deine Kraft dir taugt, 
im Kampfe wider mein graues Haupt die Rüstung gewinnen, 
dir die Siegesbeute erraffen, wenn dein Los recht hat." Hadu- 
brand rief: „Genug der trügerischen Worte. Gedenke zu streiten, 
wie es Feind wider Feinde ziemt, wenn nicht Feigheit dich 
bindet." Da rief Hiltibrand: „Der müßte der feigste heißen in 
der Heerschar vom Osten, der dir jetzt noch den Kampf weigerte, 
da dich nach ihm so heftig lüstet, dem frevelhaften Zweikampf. 
Erprobe denn, wem es beschieden ist, heute sein Heergewand 
zu räumen oder beider Brünnen Herr zu sein." 

Da ließen sie zuerst die eschenen Speere fliegen in scharfen 
Schauern, die standen im Schilde. Dann stapften sie zu- 
sammen, zerkloben mit den Schwertern die Kampf Schilde, 
in wildem Grimme zerhieben sie die weißen Ränder,; bis ihnen 
die Lindenbretter mürb wurden, zerborsten unter wütenden 
Hieben. Endlich traf Hiltibrands Schwert in mächtigem 
Schwünge Hadubrands Brünne, durchschlug sie und drang 
tief in den Schenkel ein. | Da mußte Hadubrand vom Kampfe 
lassen und rief: ! „Sieh hier mein Schwert! Nimm es als 
Sieger." Hiltibrand streckte die Hand aus nach dem dar- 
gereichten Schwerte, da führte Hadubrand wider den Ent- 
blößten einen tückischen Hieb. In mächtigem Satze sprang 
der Alte hinter sich. „Den Hieb lehrte dich ein Weib, nicht 
dein Vater", rief er, „nun mußt du Unehre mit deinem Tode 
büßen." Er drang so gewaltig auf Hadubrand ein, daß der 
Jüngling zu Boden fiel, und durchstieß dem Gefällten die 
Brust mit dem Schwerte. 

Dann aber neigte der Alte gramvoll sein Grauhaupt über 
den Sohn und klagte: „Nun deckt den Boden mein lieber Sohn, 
der einzige Erbe, den ich gewann, meines Alters Trost. Un- 
wollend brachte ich ihm den Tod." 

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IV. WESTGOTEN 



HEIDREK 



21. WIE HEIDREK GOTENKÖNIG WURDE 
inst herrschte auf Gläsisval ein König mit Namen Höf und, 



l_-rfder weiseste aller Männer und der klügste Richter. 

Höf und vermählte sich mit Herwör und zeugte mit ihr 
zwei Söhne. Heidrek, der eine von ihnen, war von wildem 
und unbändigem Sinn und beging schon in früher Jugend 
manche Untat. Sein Pfleger hieß Gizur. 

Als einst König Höfund die Großen seines Reiches zu fest- 
lichem Gelage lud und dabei seinen Sohn Heidrek überging, 
beschloß dieser voll Zorn, den Frieden in der Halle zu brechen. 
Ohne auf Gizurs Rat zu hören, machte er sich auf und trat 
während des Gelages in die Halle seines Vaters. Dort reizte 
er mit listigem Wort die Mannen wider einander auf, so daß 
zuerst Zank, dann Faustschläge sie entzweiten und endlich 
ein Totschlag das Fest schändete. Als Höfund diese Untat 
seines Sohnes vernahm, verbannte er ihn aus seinem Reiche. 
Ehe Heidrek aber schied, gab ihm seine Mutter das Schwert 
Tyrfing. Das war ein herrliches Siegschwert. Zwerge hatten 
es einst geschmiedet, doch mit dem Fluche belegt, daß ein 
Mann ihm zum Opfer fallen mußte jedesmal, wenn es aus der 
Scheide fuhr. Da sprach Heidrek: „Wie wenig gleicht meines 
Vaters und meiner Mutter Liebe zu mir einander. Er machte 
mich landflüchtig, sie aber gab mir das Schwert Tyrfing, das 
mir höher gilt, als ein ganzes Königreich. Nun will ich 




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meinem Vater das schlimmste antun, das ihn treffen kann." 
Er riß Tyrfing aus der Scheide — Funken und Strahlen 
sprühte das herrliche Schwert — und versetzte seinem 
Bruder den Todesstreich. Darauf entwich er in die Wälder. 

Lange lebte er einsam und geächtet im Forst und nährte 
sich von Wild und Vögeln. Endlich, als er den Ruhm und das 
Heldentum seiner Vorfahren bedachte, ertrug er sein Elend 
nicht länger. Er machte sich auf und kam ins Land der 
Goten. Damals herrschte über das Gotenland König Harald, 
der nahm den Flüchtling freundlich bei sich auf. Nachdem 
Heidrek die Feinde des greisen Gotenkönigs mit Tyrfing, 
dem nicht Stahl noch Eisenkleid widerstand, siegreich be- 
kämpft hatte, gab ihm dieser seine Tochter Helga zum Weibe, 
dazu sein halbes Reich. 

Heidrek gewann von seinem Weibe einen Sohn, den nannte 
er Angantyr. Auch König Harald zeugte noch in hohem 
Alter einen Sohn. Damals kam große Heimsuchung über 
das Gotenland: ein Mißwachs drohte es ganz von Menschen 
zu entleeren. Da warfen die Hoch weisen Lose, und der 
Blutspan wurde gefällt. Der verkündete, daß über das Goten- 
land nie wieder gute Jahre kämen, bis man 
Knaben im Lande Odin geopfert habe. Da nannte Heidrek 
den Sohn des Harald den edelsten Sproß, Harald aber den 
des Heidrek. Darum beschloß man: König Höf und auf 
Gläsisval, der weise Mund, der aller Lossprüche kundig war, 
solle in der Sache richten. Heidrek zog zu seinem Vater 
und ward freundlich aufgenommen. Höf und aber fand das 
Urteil: Heidreks Sohn sei der edelste Sproß im Gotenlande. 
Heidrek sprach: ,, Welchen Ersatz sprichst du mir zu für den 
Verlust meines Sohnes, den dein Spruch mir raubt?" Höfund 
antwortete: „Als Bedingung sollst du fordern, daß, ehe du 
deinen Sohn zur Opferung übergibst, jeder zweite Mann in 
König Haralds Gefolge sich deiner Gewalt ergebe. Wenn du 
ein solches Heer hast, so brauche ich dir nicht weiter zu raten." 

Heidrek kehrte heim, versammelte die Mannen zum Thing 




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und sprach: „Diesen Spruch fand König Höf und, mein Vater: 
mein Sohn sei der edelste Sproß in diesem Lande, und so be- 
stimme ich ihn zum Opfer. Doch zum Ersatz sprach mir 
Höfund jeden zweiten Mann aus König Haralds Gefolge zu. 
Darum fordere ich, daß ihr mir Treueide schwört." Dem 
fügte sich die Thinggemeinde, und Heidrek vereinigte die 
Hälfte von Haralds Mannen mit den Seinen. Als aber die 
Goten die Auslieferung des Sohnes forderten, damit das Opfer 
geschehe und die Hungersnot ein Ende nehme, forderte 
Heidrek von seinen neuen Mannen einen harten Eid, daß 
sie ihm folgen wollten, wohin er sie führe, es sei inner und 
außer Landes und sprach dann: „So dünkt mich denn, daß 
dem Odin genug vergolten sei für einen Knaben, wenn ich 
ihm an seiner Statt König Harald, seinen Sohn und sein ganzes 
Heer nach Walhall sende." Darauf ließ er die Hörner blasen, 
sein Banner aufrichten und führte seine Schar König Harald 
entgegen. Eine ungleiche Schlacht begann, und bald fiel der 
alte König Harald und all seine Mannen. Heidrek weihte 
die ganze Wal dem Odin anstelle seines Sohnes. Dann unter- 
warf er sich das weite Gotenreich und wurde ein mächtiger 
König. Helga aber, sein Weib, gab sich vor Gram über den 
Tod ihrer Sippe im Frauengemache selbst den Tod. 

22. HEIDREKS TOD 

Im Gotenland lebte ein mächtiger Mann, Gest der Blinde 
genannt. Ihm wurde König Heidrek feind und gebot ihm, 
wenn er Gewalt vermeiden wolle, sich dem Spruche seiner 
zwölf Rechtsweisen am Hofe zu stellen oder seinem Herrn 
Rätsel aufzugeben, die dieser nicht raten könne.- In diesem 
Falle wolle er ihm Frieden und Sicherheit gewähren. 

Gest war keiner Rätselweisheit kundig, auch fürchtete er 
den Spruch der Rechtsweisen, denn manches Verschulden lag 
auf ihm. Wenn er aber von des Königs Mannen ergriffen 
würde, so wußte er sein Leben verwirkt. In dieser Bedrängnis 
opferte er dem Odin und flehte ihn um Rettung an. 

172 



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Eines Abends spät kam ein Fremder zu Gest dem Blinden. 
Er nannte sich wie dieser und war ihm an Gestalt so ähnlich» 
daß niemand sie unterschieden hätte. Der Fremde befahl 
dem Bedrängten, mit ihm die Kleider zu tauschen. Das ge- 
schah, und der Hausherr verbarg sich. 

Am nächsten Tage begab sich der Ankömmling zum Könige 
und sprach: „Ich bin gekommen, um von dir mein Recht zu 
nehmen." — „Willst du dich dem Spruche meiner Rechts- 
weisen unterwerf en", fragte der König, „oder willst du mir 
Rätsel stellen, dich vom Gericht zu lösen?" Gest antwortete: 
„Beides ist schwer, doch will ich Rätsel stellen." Gest gab 
darauf dem Könige viele Rätsel zu raten, der aber fand für 
alle die Lösung. Endlich aber fragte der Fremde: „Was 
flüsterte Odin Balder ins Ohr, ehe man ihn auf den Scheiter- 
haufen hob?" Da erkannte ihn Heidrek und rief: „Tücke 
und Bosheit und alles Verderben! Niemand weiß, was du 
flüstertest, außer dir selber, du schlimmer Wicht, du falscher 
Wurm!" Brennend vor Zorn riß er das Schwert Tyrfing aus 
der Scheide und wollte den Fremden niederhauen. Der aber 
verwandelte sich in einen Falken und entfloh durch das 
Fenster. Heidrek hieb nach ihm, beschnitt ihm den Schweif 
und stutzte die Federn. Da rief Odin: „Dafür, König Heidrek, 
daß du das Schwert wider mich erhobst, mich unschuldig 
töten wolltest und so den Frieden brachst, den du mir ge- 
währtest, sollst du von der Hand der niedrigsten Knechte 
fallen." Damit flog er von dannen. 

Heidrek hatte neun Leibeigene, die auf einer Heerfahrt 
gen Westen gefangen worden waren. Sie waren aus edlem 
Geschlecht und trugen widerwillig ihre Unfreiheit. Einst als 
Heidrek bei einer Reise durch sein Reich nach langem Tages- 
ritt in seinem Zelt unter den Harwadabergen übernachtete 
und wenig andere um ihn waren, erhoben sich diese, griffen 
zu den Waffen und erschlugen den schlafenden König samt 
seinem Gefolge mit Tyrfing, dem Schwerte des Königs. So 
erging Odins Spruch. 

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. I 

} 

23. DIE HUNNENSCHLACHT 

Als Heidrek, der Gotenkönig, unter den Harwadabergen 
erschlagen war, ward Angantyr, den er mit Helga, der Tochter 
des alten Gotenkönigs Harald gezeugt hatte, sein Erbe. Dort, 
wo sein Vater den verräterischen Knechten erlegen war, ließ 
er ein großes Grabmal errichten und bestattete darin den 
König. Dann ergriff er Besitz von allen Reichen und Landen, 
die einst Heidrek besaß. Doch nicht eher wollte er sich in 
seines Vaters Hochsitz setzen, noch das Erbmahl richten, 
bevor er den treulosen Mord gerächt hätte. Als er das voll- 
bracht hatte, ward das feierliche Erbmahl zu Dampstadt im 
Gotenlande in der Königshalle, die Arheim heißt, bestellt. 

Einst hatte König Heidrek die Hunnen besiegt und Humli, 
ihren König, in die Flucht getrieben. Mit reicher Beute 
hatte er auch Humlis Tochter Sifka heimgeführt und als 
seine Kebse bei sich behalten, aber als sie im nächsten Sommer 
mit einem Kinde ging, hatte er sie zu ihrem Vater heim- 
gesandt. Dort im Hunnenland ward Löd, ihr Sohn, geboren: 
mit Schwert und Degen, mit schimmernder Brünne, mit ring- 
geschmücktem Helm und beißender Klinge, mit wohl- 
gezähmten Roß wurde er im heiligen Walde erzogen. Als Löd 
des Vaters Fall und des Bruders Königtum erfuhr, ritt er von 
Osten, der Heidrek-Erbe, und kam zum Hof und der Halle 
des Gotenherrschers nach Arheim, sein Anteil zu heischen.' 
Dort trank Angantyr König Heidreks Erbmahl. 

Mit starkem Heere kam Löd zur Nacht nach Arheim. Draußen 
vor dem hohen Saale fand er einen Mann, den nächtigen Gänger 
hieß er dem Könige melden, daß Heidreks Erbe gekommen 
sei: „Geh hinein, Kämpe, in den hohen Saal, bitte Angantyr, 
daß er hinauskomme, mir Rede zu stehn." Drinnen sprach 
der Mann vor des Königs Sitz: „Löd kam hierher, Heidreks 
Erbe, dein Bruder, der kühne Held, auf Pferdes Rücken sitzt 
ragend der junge Krieger, mit dir, König, begehrt er zu reden.* 4 
Auf sprang Angantyr, schnell hüllte er sich in die Brünne, 

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den weißen Schild ergriff die eine Hand, das Schwert die 
andere. Lärm erscholl in der Halle, mit ihrem König erhoben 
sich die kämpf gierigen Mannen. Jeder begehrte zu hören, 
was Löd spräche und welche Antwort ihm Angantyr wüßte. 
Und Angantyr sprach: „Sei mir willkommen, Löd, mein 
Bruder, geh hinein und trinke mit uns des Vaters Gedächtnis, 
ihm zur Ehre, uns allen zum Ruhme." Doch Löd erwiderte: 
„Anderes Begehren trieb mich her! Ich fordere die Hälfte 
von Heidreks ganzer Habe, von Pfeil und Speerspitze und 
dem ganzen Schatze, von Kuh und Kalb und dem Korn in der 
polternden Mühle, von Knecht und Magd und ihrem Kinde, 
ich fordere auch den mächtigen Forst, den man Dunkelwald 
nennt, ' den heiligen Hügel der Königsgruft, der an der Straße 
des Volkes liegt, den schönen künstlich geritzten Steinblock, 
der am Gestade des Damp ruht, die Hälfte der Heerburgen, die 
Heidrek besaß, Lande und Volk und schimmernde Ringe. 1 ' 

Da sprach Angantyr: „Zerbersten soll, Bruder, der weiße 
Schild, kalte Speere sollen aneinander erklingen, mancher 
Mann den Rasen decken, eh ich das Tyrfingland in zwei Teile 
Zerfälle oder dir, Humling, die Hälfte lasse. Doch biete ich 
dir schöne Ringe, Gut und Habe die Fülle, was nur du begehrst, 
zwölfhundert Mannen, zwölfhundert Rosse, zwölfhundert 
Knechte den Schild zu tragen. Jedem der Mannen gebe ich 
reiche Gaben, andere und bessere als er irgend begehrt, eine 
Maid geb ich jedem der Mannen zur Gabe, jeder Maid um- 
spanne ich mit Geschmeide den Hals. Dich, wenn du sitzest, 
umhäufe ich mit Silber, dich, wenn du gehst, überschütte ich 
mit Gold, daß rings um dich her sich Ringe ergießen." 

Als Gizur der Alte, einst Heidreks Nährvater, nun Angantyrs 
Waffenmeister, dieses Angebot hörte, sprach er: „Das wäre 
reiche Gabe für den Sohn der Magd, denn Mägdekind bleibt 
er, ward er auch von Geburt als König gehalten. Auf dem 
Hügel saß träge das Kebskind, als der edle Königssproß das 
Erbe nahm und den Mord des Vaters sühnte." 

Voll Grimm, daß Gizur ihn Mägdesohn und Kebskind ge- 

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heißen hatte, zog Löd heim zu König Humli und erzählte, wie 
ihm Angantyr die Hälfte des Erbes verweigere und wie 
schmählich er beschimpft worden sei. Darob wurde Humli 
von Zorn ergriffen und sprach: „Laßt uns sitzen in Ruhe den 
Winter hindurch und in Freuden leben, laßt uns plaudern 
und trinken den köstlichen Wein und die Hunnen lehren 
Heerwaffen zu fertigen, die wir künftig voll Heldenmut dem 
Feinde entgegentragen. Ein wohlgerüstetes Heer will ich 
dir geben und die Krieger zur Fahrt entbieten: bis zum zwölf- 
jährigen Knaben und zum zweijährigen Fohlen soll alles 
sich zum Heerbann sammeln." 

Im Frühling brachten Humli und Löd ein so gewaltiges 
Heer zusammen, daß rings das Land von waffentragenden 
Männern entblößt wurde. So groß war das Heer, daß man 
die Haufen nach Tausendschaften ordnen mußte. Über die 
sechs Heerhaufen gebot der Hunnenkönig, über jede Tausend- 
schaft war ein Häuptling gesetzt, über jeder wehte ein Banner. 
Jeder Haufen aber bestand aus fünf Tausendschaften und 
jede Tausendschaft aus dreizehnhundert Kriegern, jede 
Hundertschaft war vierfach gefüllt. Durch den Dunkelwald 
ritt das Heer, der das Hunnenland vom Gotenland scheidet. 
Als der Wald durchschritten war, lag vor den Hunnen 
offnes Gefild voll prangender Weiler, die eine ragende Burg 
beschützte. Über sie gebot Herwör, Angantyrs und Löds 
Schwester, und ihr Pflegevater Ormar. Beide schützten hier 
die Gotenmark wider die Hunnen mit vieler Mannschaft. 

Herwör stand im grauenden Morgen über dem Burgtor 
auf ragender Zinne. Nach Süden spähte sie gegen den Dunkel- 
wald, da sah sie die aufsteigende Sonne vom Staub der Rosse 
verdunkelt werden. Durch den Staub aber sah sie schimmern 
wie klares Gold schön beschlagene Schilde, güldenleuchtende 
Helme und weiße Brünnen. Sie sah das Heer der Hunnen, 
eine gewaltige Macht. Sie stieg herab, befahl kräftig die 
Luren zu blasen, damit das Heer sich sammle, und sprach: 
„Nehmt Waffen und Wehr und macht euch zum Kampfe 

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I 



bereit. Du aber, Ormar, reite in blinkender Wehr zu den 
Hunnen, biete ihnen Kampf auf dem Felde im Süden der 
Burg." Und Ormar erwiderte: „Wahrlich will ich reiten 
im Schmuck des Schildes und will dem Heerbann der Hunnen 
nahen, will sie zum Kampfe laden südlich der Burg, zum 
Kampf mit gotischen Mannen." 

So ritt Ormar aus der Burg wider die Hunnen. Laut hallte 
sein Ruf: „Auf die Ebene südlich der Burg lade ich euch 
zum Kampfe!" Als er zurückkehrte, war Herwörs Heer 
bereit. Die Goten zogen den Hunnen entgegen, und es begann 
eine große Schlacht. Bald aber wandte sich der Männerfall 
auf Herwörs Seite, denn weit waren die Hunnen an Zahl 
überlegen. Nicht Herwörs noch Ormars Tapferkeit ver- 
mochten die Schlacht zu wenden, und endlich fiel Herwör 
und mit ihr fast das ganze Heer. Als Ormar ihren Fall sah, 
floh er mit den wenigen, die es vermochten, aus dem Kampfe. 
Tag und Nacht ritt er so schnell sein Roß ihn tragen wollte, 
bis er zu König Angantyr nach Arheim kam. Dort sprach 
er: „Von Süden bin ich hergeeilt, um Unheilskunde zu bringen. 
Verbrannt ist ganz der mächtige Dunkelwald, von Blute triefen 
die Mannen der Goten. Herwör die Schöne, Heidreks Maid, deine 
Schwester, sank zur Erde, zum Tode wund. Sie fällten die 
Hunnen mit vielen deiner Degen. Schneller eilte sie zum Kampf 
als zum Spiel mit Buhlen, als in die Halle zum Hochzeitsfeste." 

Als Angantyr Ormars Worte vernahm, erbleichte er. Lange 
saß er düster und wortlos, spät erst und leise sprach er: „Un- 
brüderlich ward dir getan, erlauchte Schwester." Sein Blick 
schweifte über die Mannen, wenig waren um ihn, und er sprach: 
„Groß war unsere Zahl, als wir beim Met saßen, klein ist nun 
die Schar, da viele not tun. Keinen seh ich unter meinen 
Getreuen, bäte ich auch einen und böte ihm Ringe, der reiten 
möchte im Schmuck des Schildes, der dem Heerbann der 
Hunnen nahen möchte." Da sprach Gizur der Alte: „Keines 
Pfennigs Wert will ich fordern, noch einen Schilling oder 
Scherf klingenden Goldes, doch reiten will ich im Schmuck 

12 Wolter* U. Petersen, Heldensagen. 

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des Schildes.! dem Volke der Hunnen den Heerstab bieten." 
Mit guten Waffen rüstete sich Gizur, als sei er ein Jüngling, 
sprang er aufs Roß. Zum Könige sprach er: „Wohin lade 
ich die Hunnen zur Heerschlacht?" Der König antwortete: 
„Fordere sie zur Dylgia und auf die Dunheide, das Schlacht- 

• 

gefilde unter den Jassarf eisen, wo oft die Goten Kampf er- 
hoben und schönen Sieg die Kühnen erstritten." Fort ritt 
Gizur der Alte, rennen ließ er sein Roß über die Heide, bis er 
zu den Hunnen kam. So nahe ritt er heran, daß seine Stimme 
sie erreichte, dann ließ er den schallenden Ruf ertönen: „Ich 
fordere euch zur Dylgia und auf die Dunheide, das Schlacht- 
gefilde unter den Jassarf eisen, wo oft die Goten Kampf er- 
hoben und schönen Sieg die Kühnen erstritten. Entsetzen 
faßt eure Haufen, feig ist euer König, es sinkt eure Fahne, 
feind ist euch Odin! Odin zürnt euch, sein Schrecken komme 
über euch, er lasse die Pfeile fliegen wie mein Bannwort kündet. 
Und also schleudere ich den Speer und weihe euch Odin." ! 

Als Löd diese Verwünschung hörte, rief er: „Greift mir 
Gizur, den Grytingenkämpen, Angantyrs Degen, der von 
Arheim kam." Doch Humli sprach: „Nicht dürfen die vielen 
den Sendling verderben, der einsam dahinfährt.* r Gizur aber 
rief, als die Hunnen ihre Bogen wider ihn spannten: „Eure 
hunnischen Hornbogen schrecken uns nicht." Dann spornte 
er sein Roß und ritt zu Angantyr zurück. Zu ihm sprach er: 
„Ich entbot die Feinde zum Kampf auf der Dunheide im 
Dylgiatale. Unermeßlich und unzählbar ist der Hunnen 
Menge. In ihren Lagerfeuern verschwelt der ganze Dunkel- 
wald, unter ihrem Zuge verödet die Flur, die Erde versinkt 
unter den Hufen ihrer Rosse, vom Getöse des Trosses dröhnt 
die Luft, vom Schritt der Krieger erbebt die Erde. Über 
sechs Heerhaufen gebietet der Hunnenkönig, jeder Haufen 
umfaßt fünf Tausendschaften, jede Tausendschaft dreizehn 
Hundert, jedes Hundert ist vierfach gefüllt." 

Eilig sammelte Angantyr seine Mannen und rückte auf die 
Dunheide, auf jeden seiner Krieger aber kamen zwei Feinde. 

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Am nächsten Morgen begann die gewaltigste Schlacht/ die 
je von den Völkern zwischen Nord- und Südmeer geschlagen 
wurde. Acht Tage stritten die Heere vom Morgen bis in die 
Nacht, da konnte niemand die Toten mehr zählen. Angantyrs 
Heer aber nahm nicht ab, denn bei Tag und Nacht strömten 
ihm von allen Seiten neue Kämpfer zu, so daß er am achten 
Tage nicht weniger Krieger als am ersten hatte. Am neunten 
Tage wuchs der Grimm der Hunnen, denn sie wußten, daß 
sie nur durch den Sieg ihr Leben retten konnten. Die Goten 
aber verteidigten in diesem Kampfe Freiheit und Vaterland. 
Darum schlössen sie sich fest zusammen und feuerten sich 
mit mutigen Worten an. Als der Abend hereinbrach, stürm- 
ten sie so gewaltig vor, daß sie die feindlichen Reihen durch- 
brachen. Da schritt Angantyr aus der Schildburg seiner 
Mannen hervor, stürmte in die feindliche Schar hinein, 
schwang das Schwert Tyrfing und mähte Krieger und Rosse. 
Die hunnische Schlachtordnung zerbrach, und Angantyr und 
Löd trafen sich zum Zweikampf. Da fiel Löd von seines 
Bruders Hand, auch Humli der Hunnenkönig fiel, und die 
Hunnen flohen. So groß war das Verderben, das die ent- 
schlossenen Goten dem Hunnenheer brachten, daß die Flüsse 
sich vom Walle der Leichen stauten und aus den Ufern 
traten, daß die Täler sich mit toten Streitern und Rossen füllten. 

Als die Schlacht verebbt war, ging Angantyr über die Wal- 
statt. Auf einem hohen Hügel fand er des Bruders Leiche, 
da sprach er: „Ich bot dir, Bruder, makellose Kleinode, Gut 

■ 

und Habe die Fülle, was nur du begehren konntest, nun hast 
du als Gewinn des Kampfes nicht lichte Ringe, nicht Land 
noch Leute errungen. Unheil hat uns getroffen, mein Bruder, 
die Bruderhand hat dich erschlagen. Nie wird der Fluch 
getilgt — schlimm ist der Norne Spruch." 

Auf dem Hügel, wo Löd gefallen war, ließ Angantyr ihm 
ein ragendes Grabmal errichten, und mit ihm ließ er die Edlen 
bestatten, die das Schwert dahingerafft hatte in der Völker- 
schlacht. 

12* 

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t 



V. LANGOBARDEN 

24. ALBOIN UND TURISIND 

1 

Auf ihrem Zuge nach Italien gerieten die Langobarden mit 
i den Gepiden in Krieg. . Auf dem Asfelde trafen sich die 
Heere. Dort besiegte Alboin, der Sohn des Langobarden- 
königs Audoin, die Gepiden und erschlug Turismod, den 
Sohn des Gepidenkönigs Turisind, mit dem Schwerte. 

Als die siegreichen Langobarden zu ihren Sitzen heim- 
kehrten, forderten sie von König Audoin, daß er seinen Sohn 
Alboin zu seinem Tischgenossen mache: der dem Vater in 
der Schlacht der nächste gewesen, solle es auch beim Gelage 
sein. Audoin aber erwiderte: „Ihr wißt, bei uns ist es nicht 
Brauch, daß der Königssohn eher mit dem Vater tafle, als bis 
er von einem fremden König die Waffen empfangen hat und 
wehrhaft gemacht worden ist." 

Als Alboin dies hörte, machte er sich mit nur vierzig Krie- 
gern auf zu Turisind, dem Gepidenkönig, dessen Sohn er 
in der Schlacht getötet hatte, und verhehlte ihm zunächst 
seine Herkunft. Erst als der König den edlen Fremdling 
freundlich als seinen Gast in der Halle aufgenommen hatte, 
offenbarte Alboin sein Geschlecht und den Grund seines 
Kommens. Da lud der König ihn zum Mahle und ehrte ihn, 
indem er ihn sich zur Rechten setzte, auf den Platz, auf dem 
einst Turismod, sein Sohn, zu sitzen pflegte. 

Während des Mahles schaute Turisind von seinem Hoch- 
sitz schweigend und gedankenschwer auf den Sitz, auf dem 

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einst sein Sohn gesessen hatte, und den nun der einnahm, 
von dessen Hand jener erschlagen lag. Tief seufzte er auf, 
und unfähig, seinen Schmerz zu hemmen, stieß er das Wort 
hervor: „Lieb ist mir jener Platz, aber leid der Anblick dessen, 
der darauf sitzt." 

Da begann der zweite Sohn des Königs, durch den Schmerz 
des Vaters gereizt, die Langobarden zu schmähen: „Die ihr 
eure Waden mit weißen Binden umwickelt, ihr gleicht schecki- 
gen geilen Stuten." Ihm erwiderte einer der Langobarden: 
„Geh hinaus aufs Asfeld! Dort wirst du sehen, wie kräftig 
diese Stuten mit ihren Hufen auszuschlagen vermögen. Dort 
liegen über die Flur hin verstreut deines Bruders Gebeine 
wie eines feilen Rindes Knochen." Unfähig solchen Schimpf 
zu ertragen, sprangen die Gepiden auf, um ihren Königssohn 
zu rächen, und schon griffen auch die Langobarden zu den 
Schwertern. Doch der König sprang vom Hochsitz herab, 
warf sich zwischen die Gegner, bedrohte die Seinen mit 
schwerer Strafe, wenn sie den Kampf begönnen, und rief: 
„Das ist kein ehrenvoller Sieg, den man in der eigenen Halle 
über den Gast erringt!" So schwichtigte er den Streit, und 
das Mahl wurde fortgesetzt. Dann nahm Turisind die Waffen 
seines Sohnes Turismod, reichte sie dem Alboin und sandte 
ihn in Frieden und heil zu seinem Vater zurück. Die Lango- 
barden rühmten die Kühnheit des Alboin, nicht minder aber 
bewunderten sie die Treue des Turisind gegen seinen Gast. 
So wurde Alboin seines Vaters Tischgenosse. 

25. ALBOIN UND ROSIMUND 

Als Turisind, der König der Gepiden, gestorben war, folgte 
ihm sein Sohn Kunimund in der Herrschaft. Der gedachte 
der Unbill, die einst sein Volk von den Langobarden erlitten 
hatte, und beschloß, sie an König Alboin zu rächen. Er brach 
die geschlossenen Verträge und überzog Alboin aufs neue 
mit Krieg. Der schloß mit den Hunnen einen Bund, daß sie 

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in das Reich der Gepiden fielen, und wandte sich auch selbst 
gegen seine alten Feinde. 

Kunimund griff zuerst Alboin an, doch wurden die Gepiden 
von den Langobarden geschlagen, und so schrecklich wüteten 
die Sieger gegen die Überwundenen, daß kaum ein Bote ent- 
rann. Auch Kunimund fand in der Schlacht von Alboins 
Hand den Tod. Der Langobarde ließ aus dem Schädel seines 
gefällten Gegners eine Trinkschale fertigen. Rosimund aber, 
die Tochter des Gepidenkönigs, wurde als Gefangene fort- 
geführt, und bald danach nahm Alboin sie zu seiner Gemahlin. 
Die Gepiden gerieten unter die Herrschaft der Langobarden. 
Alboins Name aber wurde weit berühmt, und bei Bayern und 
Sachsen und anderen deutschen Stämmen sangen die Lieder 
sein Lob. 

Alboin hatte sich in Italien ein mächtiges Reich gegründet. 
Einst saß er zu Verona fröhlich beim Mahle. Da ergriff ihn 
der Übermut: er hieß die Schale, die er einst aus Kunimunds 
Haupt hatte fertigen lassen, mit Wein füllen und sie der 
Königin zum Trünke darreichen und rief ihr zu: ,,Da, trinke 
fröhlich mit deinem Vater!" Rosimund nahm die Schale, 
aber heißer Schmerz und bitterer Groll erfüllte ihr Herz, und 
seit dieser Stunde brannte sie vor Verlangen, den Tod ihres 
Vaters zu rächen. Sie wandte sich um Rat und Hilfe an 
Helmichis, den Schildträger und Ziehbruder des Königs, und 
bat ihn, ihr Racheverlangen zu stillen. Helmichis weigerte 
sich, einen solchen Frevel zu vollbringen. Um ihn aber zu 
zwingen, nahm die Königin einst in dunkler Nacht den Platz 
seiner Geliebten ein, und indem sie ihn so täuschte, gab sie 
sich ihm preis. Dann sprach sie zu ihm: „Ich bin nicht deine 
Geliebte, wie du glaubst. Rosimund bin ich, die Königin. 
Da du nun diesen Frevel vollbracht hast, so bleibt dir nur die 
Wahl, entweder von Alboins Schwert zu fallen oder ihn selbst 
zu töten." Da willigte Helmichis, um dem Verderben zu 
entgehen, ungern in die Tat. 



Als sich der König um die Mittagszeit zur Ruhe gelegt 
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hatte, trug Rosimund in aller Stille die Waffen beiseite, die 
in seinem Gemache waren, das Schwert aber, das dem König 
zu Häupten am Bette befestigt war, umschnürte sie so stark, 
daß es nicht mehr aus der N Scheide gezogen werden konnte. 
Dann rief sie den Helmichis herein. Alboin erwachte jäh, 
und als er die Gefahr erkannte, die ihm von dem Mörder 
drohte, wollte er schnell sein Schwert ergreifen, doch konnte 
er es nicht losbringen. Darum ergriff er einen Schemel und 
erwehrte sich damit des Mörders, bis unter dessen Hieben wehr- 
los der kühne Held zusammenbrach, der so lange der Schrecken 
seiner Feinde gewesen war. Klagend bestatteten die Lango- 
barden ihren geliebten König, Rosimund aber mischte den 
Gifttrank, um Helmichis zu töten, den sie nur um den Preis 
ihrer Ehre zum Helfer gewonnen hatte. Der aber merkte 
trinkend den Verrat und zwang sie, den Rest des Bechers zu 
leeren und mit ihm zu sterben. 




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5i • 



VI. THÜRINGER 



26. IRINGS VERRAT 

Einst herrschte über die Thüringe König Irminfrid. Sein 
Ratgeber war Iring, ein Mann kühn und stark zur Tat, 
von klugem Geiste und beredtem Munde. Ihm und seinen 
weisen Ratschlägen vertraute sein Herr. Irminfrid war 
vermählt mit Amalberga, der Tochter des großen Franken- 
königs Chlodwig. Als dieser starb und keinen echten Erben 
hinterließ, wählten die Franken seinen Kebssohn Theoderich 
zu ihrem Herrscher. Der sandte Boten zu Irminfrid, um ihm 
Frieden und Bündnis anzutragen: ,, König Theoderich, mein 
Herr", sprach der Bote, „wünscht deine Herrschaft be- 
ständig und stark. Nicht Herr, sondern Freund und Ver- 
wandter will er dir sein und will dir den nachbarlichen Bund 
unverbrüchlich halten, wenn du nur vom Bunde mit den 
Franken nicht abfällst." Gern vernahm Irminfrid diese 
Botschaft. Er wünschte mit den Franken in Frieden zu 
leben, doch wollte er erst die Großen seines Landes im Rate 
hören, bevor er die Antwort erteilte. 

Als aber Amalberga die Botschaft ihres Stiefbruders er- 
fuhr, eilte sie zu Iring, um durch ihn ihr besseres Recht am 
Frankenreich bei Irminfrid geltend zu machen: „Sage dem 
Könige", bat sie, „daß mir, der echten Tochter der Merowinge, 
das Frankenreich als Erbe zufiel. Theoderich, das Kind einer 
Kebse, ist mein Eigenmann, und es ziemt dem Könige nicht, 
ihm die Hand zum Treubund zu reichen." Und Iring folgte ihr. 

Als die Großen des Reiches bei Irminfrid zum« Rate er- 
schienen waren, drangen sie alle in ihn, die Friedensbotschaft 
anzunehmen, denn einem fränkischen Angriff vermöge das 
Thüringerreich nicht zu widerstehen. Nur Iring, betört 



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I 

durch die Bitten des verruchten Weibes, widerriet und sprach: 
„Gib den Anschlägen der Franken nicht nach, du hast durch 
Amalberga größeres Königsrecht als Theoderich, der Kebs- 
sohn, auch stehst du an Macht und Zahl der Mannen dem 
Franken nur wenig nach." Durch solche Worte ließ sich 
Irminfrid bereden, den fränkischen Boten zu erwidern: 
„Nicht will ich Theoderich Freundschaft und nachbarlichen 
Bund weigern, doch wundert mich, daß er sich früher des 
Königreiches als der Freiheit zu bemeistern strebt. Unfrei 
ist er geboren, wie darf er sich da der Herrschaft erdreisten? ' 
Dem Eigenmanne kann ich die Hand zum Bunde nicht 
reichen." ; Da erbebte der Abgesandte und gab zur Antwort: 
„Viel lieber wollte ich dies mein Haupt in deine Hände geben 
als solche Worte von dir vernehmen. Viel Blut der Franken 
und Thüringe wird es kosten, sie abzuwaschen." 

Dann kehrte er zu Theoderich zurück und verhehlte ihm 
nicht, was er vernommen hatte. Der verbarg seinen Grimm 
und sprach mit heiterer Miene: „So ist uns also Not, zum 
Dienst des Irminfrid zu eilen, denn eitel ist unser Leben, solang 
uns die Freiheit mangelt." Er rüstete ein gewaltiges Heer, 
fiel in das Gebiet der Thüringe ein, schlug sie am Runenberg 
und schloß die Fliehenden mit ihrem Könige in der Burg 
Scheidungen ein. Am nächsten Tage berannte er die Burg, 
um seine Rache zu vollenden. Tapfer wehrten sich die 
Thüringe. Als aber Irminfrid erkannte, daß die Seinen der 
Übermacht zu erliegen drohten, sandte er Iring mit all seinen 
Schätzen zu Theoderich, um durch ihn freiwillige Unter- 
werfung anzubieten und Frieden zu erflehen. „Dies alles", 
sprach Iring zu Theoderich, „sendet dir Irminfrid, einst dein 
Verwandter, nun aber durch Schicksalsschluß dein Eigen- 
mann. Er bittet dich, wenn du dich seiner nicht erbarmest, 
doch mit deiner Schwester und ihren Kindern Mitleid zu haben." 

Scheinbar schenkte Theoderich seinen Worten Gehör und ver- 
sprach, am folgenden Tage Irminfrid als Freund zu empfangen. 
Iring sandte die ersehnte Botschaft seinem Herrn in die Burg, 

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er selbst blieb im Lager, daß nicht die Nacht noch Feindliches 
errege. Theoderich aber ließ in derselben Nacht die sorglos 
ruhenden Thüringe in der Burg überfallen und im Schlafe 
niedermachen. Doch Irminfrid und die Seinen entkamen mit 
wenigen Mannen. 

Als Theoderich die Flucht des Königs vernahm, gedachte 
er sich Irings zu bedienen, um den König durch seinen Rat- 
geber herbeizulocken und töten zu lassen, ohne daß ihn 
selbst ein Makel an dem Morde träfe. Er versprach, Iring 
mit reichen Geschenken zu überhäufen und mit großer Macht 
im Reiche zu bekleiden, wenn er dem Ansinnen folgte, und 
obgleich Iring ihn zunächst mit Ingrimm abwies, wußte 
Theoderich seinen Sinn durch listige Vorspielungen und Ver- 
sprechen so völlig zu verkehren, daß er dem Plane des Franken 
nachgab und seinen König in das Heerlager des Feindes lockte. 

Als Irminfrid vor Theoderich erschien, warf er sich vor ihm 
zu Boden. Iring aber, der mit entblößtem Schwert gleich 
einem Schildträger des Königs neben ihm stand, erschlug 
seinen knieenden Herrn. 

Da rief der Franke ihm zu: „Nun hast du Treuloser deinen 
eignen Herrn erschlagen, und durch diese Untat bist du allen 
Sterblichen verhaßt geworden. Offne Bahn sei dir, von uns 
hinwegzugehn, Anteil und Los deines Frevels wollen wir 
nicht." -ff- „Wohl", sprach Iring, „bin ich allen Sterblichen 
verhaßt geworden, da ich deinen falschen Anschlägen ge- 
horchte. Doch bevor ich gehe, will ich diesen meinen Frevel 
abwaschen, indem ich meinen Herrn an dir räche. 4 * Und 
wie er mit entblößtem Schwerte dastand, durchbohrte er 
auch den Theoderich. Dann nahm er den Leib seines Herrn 
und legte ihn auf den Leichnam König Theoderichs, damit, 
der lebend besiegt ward, im Tode doch Sieger sei. Und mit 
dem Schwerte sich einen Weg bahnend, ging er davon. 

Durch diese Tat sühnte Iring seinen Verrat, und sein Ruhm 
ward so hoch gepriesen, daß bis auf den heutigen Tag die 
Milchstraße die Iringstraße heißt. 

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VII. ANGELN, SACHSEN, FRIESEN 



27. WÖLUND 



on Süden flogen Mädchen durch den Dunkelwald, schick- 



V salkundige Frauen, Kampflose zu wirken. Am Meeres- 
strand setzten sie sich, um auszuruhen, dort spannen die 
Frauen vom Süden kostbare Fäden. In den Wolfstälern 
hausten Wölund, den die Völker im Süden Wieland nennen, 
und seine Brüder. Die gesellten sich zu ihnen und führten 
sie heim zu ihrer Behausung. Älrun nahm Egil und hegte 
ihn am schimmernden Busen, Svanhvit, die Schwangefiederte, 
umarmte den Slagfid, die dritte Schwester Allwit aber um- 
schlang Wölunds weißen Hals. 

Sieben Winter saßen sie dort, den achten durchlebten sie 
ganz in Sehnsucht, doch im neunten lösten sie den Knoten: 
über den Dunkelwald trieb sie unstillbares Sehnen, Kampf- 
geschick wollten sie wieder flechten. Sie legten die Geschmeide 
ab, hoben sich heimlich in die Lüfte und flogen gen Süden, 
schicksalkundige Frauen. 

Vom Weidwerk kehrte Wölund heim, der wetteräugige 
Schütze, mit Egil und Slagfid. Sie fanden die Halle leer, 
sie gingen suchend aus und ein, sahen rings umher. Da glitt 
Egil auf dem Schneeschuh nach Osten, Älrun zu suchen, gen 
Süden schweifte Slagfid nach Svanhvit, Wölund aber saß einsam 
in den Wolfstälern. Unablässig schlug er am Feuer rotes 
Gold zu Ringen, alle Ringe zog er auf eine Bastschnur. So 
harrte er seines leuchtenden Weibes, ob es ihm wiederkehre. 




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Nidud, der Niarenfürst, vernahm, daß Wölund in den 
Wolfstälern einsam säße. Nachts bei gesicheltem Mond 
fuhren seine Mannen aus in genagelter Brünne und mit 
blinkenden Schilden. Sie stiegen vom Sattel an des Hauses 
Gaffel, von da gingen sie durch den langen Saal. Auf den 
Bast gefädelt sahen sie die Ringe, siebenhundert, die der 
Mutige besaß. Sie streiften sie ab, sie reihten sie auf, außer 
einem, den ließen sie abgestreift. Wölund kam von der Jagd, 
der wetteräugige Schütze, lange Wege war er gewandert. 
Trockenes Föhrenreisig flammte schnell vor ihm auf und 
Waldholz, das der Wind gedörrt hatte. Das Fleisch der 
braunen Bärin briet er am Feuer und aß. Er streckte sich 
auf das Bärenfell, die Ringe zählte der Albenfürst, doch 
einen vermißte er, den Allwit trug. Er glaubte, ihn habe 
die Schicksalkundige abgestreift, und hoffte, sie sei heim- 
gekehrt. So saß er lange wartend, bis er in Schlaf sank. 

Doch freudlos erwachte er: er spürte an den Händen schwere 
Banden und die Füße von Fesseln umschnürt. Er sprach: 
„Wer sind die Starken, die aus Bastseilen mir Fesseln 
flochten und mich banden?" Da rief Nidud, der Niaren- 
herrscher: „Wie erwarbst du Albenfürst in den Wolfstälern 
unser Gold? Du fandest das Gold nicht auf Granis Wegen, 
Wölund, und fern ist dies Land den Felsen des Rheins." — 
„Wir besaßen selber Schätze genug", sprach Wölund, „als 
wir drei mit den Frauen des Südens heil daheim saßen." 
Sie nahmen Wölunds Schwert und Schätze und ritten heim. 

Den Gefesselten führten sie zur Königshalle. Als die 
Königin ihn draußen sah, ging sie hinein durch den langen 
Saal und sprach auf dem Estrich mit gedämpfter Stimme: 
„Nicht geheuer ist, der da vom Holze kommt. Feindselig 
glitzern ihm die Augen wie dem gleißenden Wurm." Denn 
Wölund fletschte die Zähne, als er sein Schwert an Niduds 
Gürtel und den Ring der Allwit an Bödwilds, der Königstochter, 
Arm gewahrte. „Durchschneidet ihm die Sehnen", riet die 
Königin, „und laßt ihn auf dem Werder sitzen." 

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Das befahl der König. Man durchschnitt ihm die Sehnen 
an den Knieen und setzte ihn auf einen Holm am Strande. 
Dort mußte er dem König künstliches Geschmeide schmieden. 

Oft sprach Wölund zu sich und sann: „Nun ist mir fern 
das leuchtende Schwert, das ich mir unter dem Hammer 
härtete . . Und Bödwild trägt den roten Ring meines Weibes . . 
Gelähmt bin ich: wie kann ich rächen dreifache Schmach?" 

So saß er, schwang unaufhörlich den Hammer und schmie- 
dete in schlaflosen Nächten für Flucht und Rache ein feines 
Werk. 

Einst trollten die beiden Knaben König Niduds beim Vogel- 
fang nach Säwarstad, wo Wölund saß. Durch die Tür schau- 
ten sie ihm zu. Sie gingen zu seiner Truhe und verlangten 
die Schlüssel, er gab sie ihnen, und als sie sich in die Truhe 
bückten, ward das Geschick vor ihm offen. Die Knaben 
sahen Kleinode in Menge liegen, rotes Gold und Geschmeide 
leuchteten ihnen entgegen. ,, Kommt allein hierher", sprach 
Wölund, „kommt morgen, dann sollt ihr all das Gold dort 
haben. Doch sagt den Mägden nichts, noch den Dienerinnen, 
sagt keinem Menschen, daß ihr mich fandet." 

In der Frühe rief ein Bruder dem andern: „Komm, wir 
wollen zu den Ringen gehen." Sie kamen zur Truhe und 
verlangten die Schlüssel, schauten hinein — da sah Wölund 
die Rache offen: er erschlug die Knaben mit dem Deckel, 
schnitt ihnen die Köpfe ab und warf ihre Leiber in die Schlamm- 
grube unter dem Blasebalg. Die entblößten Hirnschalen aber 
umhüllte er mit Silber und sandte sie Nidud, aus den Augen 
machte er Edelsteine und sandte sie der Königin, aus den Zähnen 
schlug er Ringe zum Brustschmuck und sandte sie Bödwild. 

Bödwild brüstete sich mit dem Ring der Allwit. Doch 
eines Tages zerbrach er. Da brachte sie ihn voll Angst zu 
Wölund: „Nur dir allein wage ich es zu sagen", sprach sie. 
Er antwortete: „Den Bruch im Golde will ich so bessern, 
daß der Ring deinem Vater schöner scheint, deiner Mutter 
weit besser und dir selber gerade so schön wie zuvor." Als 

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sie bei ihm saß, reichte der Zauberkundige ihr betörenden 
Met, daß sie auf dem Sitze schläferte, und überwältigte sie. 

„Nun habe ich gerächt all meinen Harm", sprach er, 
„nur einen noch nicht, den die Bösen mir taten. Doch, die 
Niduds Mannen mir nahmen, die Kraft meiner Sehnen ge- 
wann ich wieder durch eignes Werk." Und lachend im Fluge 
hob sich Wölund in die Luft, weinend ging Bödwild vom 
Holme. Voll Zittern war sie über ihres Buhlen Fahrt und 
vor dem Grimm ihres Vaters. 

-Wölund flog zur Königshalle und setzte sich hoch auf die 
jümwallung nieder. „Nidud", rief er, „Herr der Niaren, 
w««ist du?" — „Immer wache ich, freude beraubt", ant- 
wortete der König, „nie umfängt mich Schlaf, seit meine 
Knaben starben. Mir friert das Haupt, kalt war der Königin 
Rat. Sage mir Wölund, du Albenfürst, was wurde aus 
meinen blühenden Söhnen?" Da sprach der Schmied: „Vor- 
her sollst du mir alle Eide schwören, bei Schiffes Bord und 
Schildes Rand, bei Rosses Bug und Schwertes Schärfe, daß 
du nicht Wölunds Gattin marterst, noch sein Weib töten 
lässest, mag ich auch eine Buhle haben, die dir selber ver- 
wandt ist, mag ich auch ein Kind haben, das dich an meine 
Rache in eigner Halle gemahnt." Den Eid schwur Nidud, 
und Wölund sprach: „Geh zur Schmiede, die du mir bautest. 
Dort findest du die blutberonnenen Bälge deiner Söhne. Ich 
schnitt den Knaben die Köpfe ab, warf ihre Leiber in die 
Schlammgrube unter der Esse. Die entblößten Hirnschalen 
aber umhüllte ich mit Silber und sandte sie dir, Nidud, aus 
den Augen machte ich Edelsteine und sandte sie der Königin, 
aus den Zähnen der Knaben schlug ich Ringe zum Brust- 
schmuck und sandte sie Bödwild. Nun aber geht Bödwild von 
mir mit Kindesbürde, eure einzige Tochter." Da sprach Nidud: 
„Nie sprachst du ein Wort, das mich schwerer kränkte und wo- 
für ich schlimmeren Lohn dir wünschte. Aber kein Mann ist 
so hoch, dich von diesem Rosse zu holen, und niemand so 
stark, dich herab zu schießen, da du dich zu den Wolken hebst." 

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Lachend erhob sich Wölund in die Luft, Nidud aber saß 
leidvoll da. Er rief: „Bödwild, meine Tochter! Ist wahr, 
was ich erfuhr, daß du mit Wölund auf dem Holme zusammen 
saßest?" — „Wahr ist, Nidud, was er dir sagte", sprach 
Bödwild, „ich saß mit Wölund auf dem Holme zu schlimmer 
Stunde: war es nimmer geschehen! Ich konnte Wölund 
nicht wehren . . nein, wehren konnte ich ihm nicht." 

28. EGIL DER SCHÜTZ 

Einst kam zum Hofe des Königs Nidud ein Mann namens 
Egil und wurde in seine Gefolgschaft aufgenommen. Egil 
war der Bruder Wölunds, des kunstreichen Schmiedes, und 
war der beste Bogenschütze, von dem man je vernommen 
hatte. Deshalb wollte ihm der König wohl. 

Oft beim Gelage rühmte sich Egil unter den Mannen seiner 
Kunst im Bogenschießen: er getraue sich aus großer Ent- 
fernung einen kleinen Apfel von der Spitze eines Stabes 
herabzuschießen. Diese prahlende Rede wurde dem Könige 
hinterbracht. Der beschloß Egil zu versuchen und seinen 
Übermut zu dämpfen. Erst forderte er von ihm mancherlei 
Proben, und Egil bestand sie alle. Endlich befahl er, Egils 
Sohn herbeizubringen, den er von Älrun der Schwanmaid 
hatte, und der erst drei Winter zählte. Er ließ dem Knaben 
einen Apfel auf den Kopf legen und befahl Egil, ihn herab- 
zuschießen. Nur einen Pfeil gestand er ihm zu. Wenn er aber 
darüber weg oder seitlich an dem Apfel vorbeischieße, so solle 
er wegen seiner eitlen Prahlerei das Leben verwirkt haben. 

Egil stellte den Knaben mit abgewandtem Gesicht auf, 
damit er den Pfeil nicht nahen sähe, und ermahnte ihn, ja 
nicht zu zucken, wenn er das Schwirren höre. Darauf nahm 
er drei Pfeile aus dem Köcher. Zwei steckte er in den Gürtel, 
den dritten prüfte er sorgfältig und strich ihm das Gefieder. 
Dann legte er ihn auf die Sehne und schoß. Ohne sich zu 
rühren erwartete der Knabe den Pfeil, und in zwei gleiche 
Hälften gespalten fiel der Apfel herab. 




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Hoch priesen die Mannen den trefflichen Schützen. Doch 
der König fragte Egil: „Warum nahmst du drei Pfeile aus 
dem Köcher, da dir doch nur ein Schuß verstattet war?" 
Der antwortete: „Herr, ich will dich nicht belügen: hätte 
ich den Knaben mit dem einen Pfeil getroffen, so waren diese 
beiden dir zugedacht, und den Fehl des ersten hätte ich mit 
ihrer Schärfe an dir gerächt." Der König nahm das Wort 
wohl auf, und alle bewunderten die stolze Kühnheit des 
Schützen. Der aber trug von nun an schweigend den Ruhm 
seiner Kunst. 

29. OFFA 

Einst herrschte über die Angeln König Wermund, der 
Weise genannt, Gerechtigkeit und Kraft ließen in langem 
Frieden sein Land erblühen. Lange war er kinderlos, doch 
als er ein Greis war, wurde ihm ein Sohn Offa geboren. Der 
überragte bald alle Genossen an mächtiger Körpergestalt, 
doch sein Geist blieb stumpf und blöde, und er war zu keinen 
Dingen nütze. Von Jugend auf ging er stumm einher, spielte 
und lachte nicht und hielt sich von aller Freude fern. So 
ward er dreißig Jahre, ohne daß ihn jemand ein Wort hatte 
sprechen hören, und unfähig schien er, einst seinem Vater, 
den schon hohes Alter und Blindheit bedrückte, in der Herr- 
schaft zu folgen. 

Als der König der Sachsen vernahm, das Land der Angeln 
habe keinen Schützer mehr, glaubte er die Zeit gekommen, 
sein Reich zu vergrößern. Er sandte Boten zu Wermund 
und ließ ihm sagen, er fordere von ihm sein Reich, zu dessen 
Lenkung sein hohes Alter ihn unfähig mache, damit es nicht 
länger des Richters und schützenden Armes entbehre. Wolle 
er sein Reich nicht lassen, so möge er einen Sohn oder Käm- 
pen dem besten Helden der Sachsen im Zweikampf entgegen- 
stellen, und wessen Kämpfer siege, dem gehöre das Reich. 
Wenn er sich aber auch dessen weigere, so möge der Krieg 
entscheiden. 

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Die Bringer dieser übermütigen Botschaft empfing der 
König, als er die Großen des Reiches und die Gefolgsmannen 
in seiner Halle zur Beratung vereinigt hatte, und Schmerz 
und Grimm ließ die ganze Versammlung in Schweigen ver- 
harren. Der König, bedenkend wie er, der erste, dem es 
obliege, Recht und Reich zu verteidigen und zu schützen, 
in die Nacht der Blindheit gehüllt sei, sein Sohn aber, der 
nächste an dieser Pflicht, tatenlos und stumm sein Leben ver- 
bringe, verzweifelte daran, sein Recht wider die gierigen 
Sachsen zu wahren. Endlich verlangte er sorgenvoll den 
Rat der Versammelten, ob er Kampf oder Unterwerfung 
wählen solle. 

Während aber alle noch in zweifelndem Sinnen schwiegen, 
richtete sich plötzlich Offas mächtige Gestalt unter den Ge- 
folgsmannen auf. Voll Staunen wandten sich aller Blicke 
auf den Stummen, dessen Miene zeigte, daß er reden wolle. 
Wermund fragte, wer es sei, der den Sachsen die Antwort zu 
geben begehre. Die Mannen erwiderten, es sei Offa, sein 
Sohn. Da rief der blinde König: „Ist es nicht genug, daß 
Fremde die Last meines Alters und Unglücks mit Hohn über- 
schütten? Müssen auch noch die Meinen mich verhöhnen?" 
Als aber die Mannen hoch beteuerten, es sei wirklich Offa, 
der zu sprechen begehre, sagte er: „Wer es auch sei, er mag 
frei reden." Da sprach Offa zu den fremden Boten: „Nicht 
schreckt uns das hohle und prahlerische Drohen der übermut- 
geschwellten Sachsen. Zu früh brüstet sich euer König und 
glaubt das Land der Angeln des Schutzes bar. Denn ich 
allein bin der einzige und echte Erbe dieses Reiches, und mir 
allein liegt es ob, im Zweikampf die Entscheidung zu suchen, 
damit ich entweder für das Reich allein falle oder allein den 
Sieg für das Vaterland gewinne. Meldet denn eurem Könige, 
damit sein hohler Übermut sich lege: ich fordere seinen Sohn 
und Erben und dazu noch den vorzüglichsten Kämpen der 
Sachsen heraus, daß sie beide mir allein im Zweikampfe 
begegnen." Mit stolzer Stimme hatte Offa diese Worte ge- 

Z3 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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sprochen. Mit den Gesandten wurde Ort und Zeit des Kamp- 
fes bestimmt, und sie zogen von dannen. 

Als sie die Versammlung verlassen hatten, sprach Wermund: 
„Wer es auch sei, der durch diese mutige Herausforderung 
zweier Kämpfer meine Ehre hergestellt hat: ihm will ich 
lieber als dem übermütigen Feinde mein Land übergeben." 
Als man ihm aber wieder und wieder beteuerte, niemand 
anders als sein Sohn sei es, der die feindlichen Drohungen 
stolz verachtet habe, hieß er Offa zu sich treten, damit er 
ihn betaste. Der Blinde ließ seine Hand über Schultern und 
Seiten und die gewaltigen Glieder des Sohnes gleiten, dann 
brach er in die Worte aus: „Wahrlich, so war auch ich in 
meiner blühenden Jugend. Doch warum", fragte er, „hast 
du so lange die süße Gabe des Wortes durch Verstellung ver- 
borgen, als seist du mit Stummheit geschlagen?" Und Offa 
erwiderte: „Bisher, als ich unter deinem Schutze lebte, be- 
durfte ich der Stimme nicht. Erst jetzt, als im Augenblick 
der Not deine Mannen vor den Reden der Fremden verstumm- 
ten, war sie mir nütze." 

Wermund befahl, seinen Sohn, der sich noch nie im Waffen- 
handwerk geübt habe, zu rüsten und zu unterweisen. Aber 
Offa sprengte mit seiner mächtig gewölbten Brust alle Brünnen, 
die man herbeitrug. Selbst der Panzer seines Vaters drohte 
zu zerbrechen, als er ihn anzulegen versuchte. Da befahl 
Wermund, die linke Seite der ehernen Hülle aufzuschneiden 
und mit Bändern zuzuheften, denn ungefährdet sei die Seite, 
die der Schild decke. Man brachte die besten Schwerter 
herbei, die im Reiche zu finden waren, und hieß ihn sorgsam 
wählen. Wenn aber Offa sie durch die Luft sausen ließ, 
zerbrachen sie in kleine Splitter. Da rief er: „Sind das die 
Schwerter, mit denen ich die Ehre des Reiches und mein 
Leben wahren soll?" Wermund, als er die Heldenkraft des 
Sohnes gewahrte, sprach: „Einen Schutz weiß ich noch für 
unser Reich und Leben. Einst besaß ich ein Schwert von 
höchster Tugend, Skrep genannt, das durchdrang und spaltete 



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auf einen Hieb, was immer es traf. Ich hieß das herrliche, 
seit ich es selbst nicht mehr schwinge, vor der Gier der Nach- 
fahren tief in die Erde vergraben, denn nie durfte ich hoffen, 
daß mein Sohn es schwingen werde. Führt mich aufs Feld, 
damit ich den Hügel wiederfinde, der es birgt." Draußen 
fand er den Ort, hieß seine Begleiter graben, und bald zog 
man ein herrliches Schwert hervoi. Wermund ergriff es 
und sprach zu seinem Sohn: „Dies ist das Schwert, mit dem 
ich so oft gesiegt habe und das mir ein nie versagender Schutz 
gewesen ist." Offa nahm das Schwert, und es schien ihm alt 
und rostig. „Soll ich auch dieses erproben, ehe ich es im 

* • 

Ernste schwinge?" sprach er. Doch Wermund erwiderte: 
„Laß es in der Scheide und erprobe es erst im Kampfe. Denn 
zerschellt auch dies Schwert in deiner Hand, so weiß ich 
keines, das der Kraft deines gewaltigen Armes standhält." 

Der Tag, der zum Kampfe bestimmt war, nahte heran. 
Auf einer Insel der Eider, die man nur zu Schiff erreichen 
konnte, sollten sich die Gegner zum hohen Gange treffen. 
Ohne Begleiter begab sich Offa zur festgesetzten Stunde auf 
den Werder, und von der anderen Seite des Flusses nahte der 
sächsische Königssohn mit dem kampfberühmtesten Helden 
seines Volkes. Weithin an beiden Ufern lagerten hier die 
Angeln, dort die Sachsen. Wermund aber ließ seinen Sessel 
an den äußersten Rand der Landungsbrücke stellen, denn er 
wollte lieber sein Ende in den Wellen suchen, wenn sein Sohn 
den Sieg nicht erränge, als überleben den Untergang seines 
Geschlechtes und Vaterlandes. 

Der Kampf begann. Beide Gegner drangen auf Offa ein, 
er aber fing die Hiebe der Sachsen mit dem Schilde auf: erst 
wollte er erforschen, vor welchem Gegner er sich am meisten 
wahren müsse, um ihn mit einem Hiebe zu vernichten. 
Der blinde König, der nur den Schall der fremden Schwerter 
vernahm und fürchtete, seinem Sohne fehle der Mut zum 
Angriff, rückte voll Todesverlangen bis an den äußersten 
Rand der Brücke. Doch Offa rief zuerst dem Königssohne 



i3* 



195 



i 




entgegen: „Erweise durch Tapferkeit deine erlauchte Geburt, 
kühner greife mich an, damit es nicht scheine, als überrage 
dich der niedrigere Genosse an Mut/' Den Kämpen aber 
stachelte er durch diese Worte: ,,Birg dich nicht ängstlich 
hinter dem Rücken deines Herrn! Rechtfertige sein Vertrauen, 
das dich allein zum Genossen erlas." Als aber der sächsische 
Kämpe an seiner Ehre gereizt kühner vordrang, schlug er 
ihn mit einem einzigen Hiebe seines Schwertes mitten durch. 
Als Wermund den sausenden Ton des Hiebes vernahm, rief 
er: „Das war der Klang meines Schwertes!" Und als seine 
Begleiter ihm von der Gewalt des Hiebes berichteten, rückte 
er freudig ab vom Uferrand. Offa aber reizte nun seinen 
zweiten Gegner, den Fall seines Genossen zu rächen, seinen 
Ruhm im Angesichte des Volkes zu mehren und seines Lan- 
des Grenzen zu erweitern. Doch kaum war er heran, da traf 
ihn Offas Schwert und schlug ihm den Todesstreich wie 
seinem Genossen. Am Ufer rief Wermund: „Zum zweiten 
Male traf der Klang meines Schwertes Skrep mein Ohr!" 
Und als man ihm sagte, sein Sohn habe beide Gegner nieder- 
gestreckt, rannen Freudentränen auf seine Wangen. Ju- 
belnd empfingen die Angeln ihren Helden, die Sachsen aber 
holten, von Schande und Hohn übergössen, die Leichen ihrer 
Kämpfer vom Holme. 

». . • 

30. DER KAMPF IN DER FINNSBURG 

■ : » 

Lange herrschte Haß und blutige Fehde zwischen Friesen 
und Angeln. Doch endlich schlössen sie Verträge, und Finn, 
der König der Friesen, nahm Hildeburg, die Tochter des 
Angelnkönigs Hoc, zum Weibe. 

Jahre vergingen. Da lud einst Finn den Bruder seines 
Weibes, König Näf , in sein Land. Der fuhr mit sechzig Mannen 
über das Meer, er fürchtete keinen Trug, doch der Haß schwelte 
weiter unter den Friesen. Als die Angeln ankamen, wurden 
sie von Finn gastlich aufgenommen und in einer schönen 

196 



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Halle der Finnsburg untergebracht. In der Nacht hielt ein 
Angelnkrieger die Wacht vor der Halle. Bald sah er einen 
feurigen Schein und rief: „Feurige Lohe seh ich brennen, 
nicht weiß ich, ob es im Osten schon tagt, oder ob ein Drache 
durch die Nacht fliegt, oder ob der Hornschmuck der Halle 
brennt." König Näf sprang auf und rief: „Nicht graut es 
im Osten, noch fliegt ein Drache, auch brennt nicht der Horn- 
schmuck der Halle. Feindliche Krieger dringen heran, es 
rasseln die grauen Eisenbrünnen, es klirren die Kampfspeere, 
die Schäfte klingen am Schilde, und die Leichenvögel singen. 
Nun schimmert der Mond durch düsteres Gewölk und schwere 
Taten drohen, da die Feinde mit Volkshaß uns nahen. Er- 
wachet nun, meine Streiter, ergreift die Waffen, gedenkt 
eurer Heldenkraft und fechtet kühn ohne zu weichen." 

Da erhob sich mancher Kämpe vom Lager, die Degen in 
goldenen Brünnen gürteten sich mit dem Schwerte. Zur 
Tür schritten Sigeferd und Eawa und entblößten die Schwerter, 
an der anderen Tür standen Ordlaf und Gudlaf, ihnen folgte 
Hengist selber, des Königs Waffenmeister. 

Gudhere, ein Kämpe der Friesen, wollte gegen die Tür 
andringen, doch sein Genosse Garulf, ein Angle, der einst 
mit Hildeburg zu den Friesen gekommen war, rief ihm zu: 
„Wage nicht ein so edles Leben beim ersten Kampf um die 
Hallenpforte: dort steht ein kampfharter Held, der wird es dir 
nehmen." Über alle Krieger hin rief Garulf, wer den Eingang 
schütze. „Sigeferd heiß ich", rief jener, „und bin der Seggen- 
. fürst. Viel Weh habe ich schon gelitten, und manchen harten 
Kampf. Harm droht dir hier, wenn du mir zu nahen wagst." 

Da erhob sich auf dem Walle wilder Schwerterschall, die 
Schilde zerbarsten in der Hand der Kühnen, der Burghof 
dröhnte. Im Streite fiel Garulf von der Hand Gudlafs, seines 
Vaters, und um ihn viele Tapferen. Froh der Menge der Toten, 
flog der schwarzgefiederte Rabe über die Walstatt hin. Der 
Schwerter glänz sprühte, als stehe die ganze Finnsburg im Feuer. 
Nie sah man Mannen heldenhafter kämpfen als die sechzig 

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Mannen des Näf, nie sah man Königsrecken den süßen Met 
besser vergelten, als des Angelnkönigs Genossen hier taten. 

Fünf Tage und ebenso viele Nächte fochten die grimmen 
Helden, nicht einer fiel von den tapferen Angeln, und ^sie 
hielten die Tore der Halle. 

Spät erst wandte sich einer der Kämpen hinweg: seine 
Brünne war zerhauen und der Helm durchlöchert. Den fragte 
Näf, des Volkes Hirte, ob die Weigande noch ihre Wunden 
ertrügen. Denn der Kampfzorn ließ ihn nicht ermatten, je 
mehr Friesen gegen die Halle andrangen, desto höher wuchsen 
die Haufen der Leichen. Endlich führte Finn die Besten 
seiner Schar selber heran, und in wildem Schwertkampf 
erschlug er König Näf. Doch in diesem Getümmel erlag auch 
Finns Sohn einem Angelnschwert. 

Als am sechsten Morgen die Sonne heraufkam und die 
nächtliche Walstatt erleuchtete, sah Hildeburg ihren Sohn 
und ihren Bruder im Blute liegen. Laut klagte sie die Treu- 
losigkeit der Friesen, jammernd saß sie über den Leichen 
ihrer schuldlosen Gesippen, ihrem höchsten Besitz. 

Doch auch Finns Krieger waren fast alle gefallen, nicht 
durfte er hoffen, auf der Walstatt sich gegen Hengist und 
seine Helden zu behaupten, noch die kläglichen Trümmer 
seiner Mannen vor dem Waffenmeister des gefallenen Näf 
zu retten. Darum bot er den Angeln diesen Vergleich: einen 
anderen Saal wolle er ihnen einräumen mit Halle und Hoch- 
sitz, und die halbe Herrschgewalt möge den Angeln neben 
den Friesen gehören, mit gleichen Gaben auch versprach er 
die Angeln zu ehren bei der Kleinodverteilung, mit Ringen 
und Schmuck Hengists Schar zu erfreuen nicht minder als 
er die friesischen Degen im Metsaal erfreue. 

Auf solches Geding ward von beiden Seiten fester Friede 
geschlossen: feierlichen Eid schwur Finn dem Hengist, daß 
er die traurigen Reste der Angeln in Ehren halten wolle, 
daß niemand mit Wort noch Tat den Bund breche noch arg- 
listig jemals die Angeln gemahnen werde, daß sie als Mannen 

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herrenlos dem Töter ihres Königs folgten, wie die Not sie zwang: 
wenn je ein Friese mit frechem Wort an den blutigen Haß 
mutwillig rühre, den solle des Schwertes Schärfe strafen. 

Der Eid ward geschworen und Sühnegold dem Horte ent- 
nommen. König Näfs Leichnam ward für den Holzstoß 
bereitet. Vom Scheiterhaufen herab schimmerte die blutige 
Brünne: eisenhart doch bekrönt mit dem Bilde des Ebers 
aus schwerem Golde. Daneben lagen viele Edelinge, die der 
Wundentod dahingerafft hatte. Auch den eigenen Sohn 
hieß Hildeburg auf den Holzstoß legen, daß seine Gebeine 
im Brande lohten an der Achsel des Oheims, laut klagte sie 
ihr Elend. Hoch auf stieg der Qualm, es prasselte empor 
das mächtigste der Walfeuer: die Schädel schmolzen, die 
Leiber barsten und Blut rann aus den Wunden. Die gierige 
Flamme verschlang die Besten von beiden Stämmen — dahin 
war ihre Blüte. 

Da gingen die Angeln, der Freunde beraubt, ihren neuen 
Wohnsitz in Friesland zu schauen, ihr Heim und ihre Hoch- 
burg. Den ganzen weißgrimmen Winter weilte Hengist bei 
Finn, ungeduldig gedachte er der Heimkehr: noch konnte 
er nicht den ringgeschmückten Steven ins Meer treiben, denn 
die See wallte im Sturme und kämpfte mit dem Winde, dann 
umschloß der Winter mit Eises Banden die Wogen. 

Endlich nahte ein neuer Frühling den Wohnungen der 
Menschen mit heiterem Wetter. Als die Erde schön ward, 
trachtete Hengist von hinnen zu segeln. Doch heftiger noch, 
als die See zu befahren um heimzukehren, war sein Wunsch, 
sein Leid zu rächen. Grimmbrütend saß er im Saale, da legte 
der Angelnkämpen einer, Hunlafs Sohn, ihm den Kampf- 
stahl des Näf, das herrlichste der Schwerter, schweigend in 
den Schoß. Seine Kraft hatten die Friesen schon einmal 
gespürt, nun schwang es Hengist zur Rache für seinen Herrn. 
Wehruf erhoben die Angelnkämpen über König Näf, daß 
Finn nach der Seefahrt ihn mit grimmem Griffe gefällt hatte. 
Sie stürmten zur Friesenhalle, die Treupflicht zu erfüllen, 



199 




nicht hemmen ließ sich ihr Zorn. So erreichte den kühnen 
Finn das Geschick: im eigenen Hause fällte ihn das grimme 
Schwert inmitten der Gefolgschar. Mit Friesenleichen wurde 
die Halle beladen, alle Schätze des Friesenfürsten, soviel sie im 
Hause fanden, schafften die Angeln zu ihren Schiffen, fun- 
kelnde Kleinode und reiches Gestein. Die Königin aber nahmen 
sie mit sich übers Meer und führten sie heim zu ihrer Sippe. 

BEOWULF 

31. DER GRENDELKAMPF 

Rodgar, auch Roar genannt, der König der Dänen, Half- 
dans Sohn, aus Skylds Geschlecht, gewann Kriegsglück 
und Schlachtenehre in langem heldenhaften Leben, und um 
ihn blühte mächtige Gefolgschaft und mannhaftes Geschlecht 
der Krieger. 

Als er alt war, kam ihm der Wunsch ins Herz, eine prunk- 
volle Königshalle hoch aufzubauen, einen Metsaal größer als 
je die Völker erblickten. Viele Sippschaften über den Erd- 
kreis hin bot er auf, den Gefolgssaal zu zieren. So ward in 
kurzer Frist der größte Hallenbau vollendet, und Hiorot, d. h. 
Hirsch, nannte ihn der mächtige Herrscher. Hoch ragte der 
Saal, mit Geweihen geschmückt: noch harrte er der schreck- 
lichen Lohe, die ihn künftig verzehren, noch der Zeit, wo 
Männerhaß zwischen Eidam und Scbwäher entbrennen sollte. 

Fröhlich saßen die Mannen beim Gelage, Gold und Ringe 
spendete der Herrscher, und täglich ertönte Festjubel aus 
dem Prunksaal, das Lustholz, die Harfe, erklang und der 
helle Sang des Dichters von Taten der Vorzeit und Werken 
der Helden. So lebten die Mannen selig und in Freuden, 
bis ein Unhold Frevel zu sinnen begann. Grendel war der 
Grimme genannt, der Markstapfer, der im Moore hauste, im 
Kot und Sumpf, dem Sitz der Unholde. 

Bei dunkelnder Nacht machte er sich auf, die hohe Halle 
heimzusuchen, wo die Ringdänen nach dem Biertrunk ruhten: 

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nach dem Gelage fand er dort die Edlen im Schlaf, von Sorgen 
unbeschwert. Gierig raffte der heillose Wicht dreißig Degen 
vom Lager und eilte stolz mit dem blutigen Fang seiner 
Höhle zu. 

Als die Ucht den Tag färbte, ward Grendels Untat den 
Mannen kund. Wehruf erscholl, schlimmer Morgenruf nach 
dem Festjubel, der edle König saß trauernd da, voll Kummer 
um seine Krieger, seit er die Fährte des Untiers erspähte. 
Hart war die Sorge, weiter ging die Drangsal: schon in der 
nächsten Nacht vollführte der Unhold noch mehr des Mordes, 
und allen war sein Haß mit blutigen Zeichen verkündet. Da 
war mancher, der nun anderswo fern der Halle in den Ge- 
bäuden sich die Ruhstatt suchte, fernab schlich sich in sicheren 
Schutz/ wer dem Feind entrann, bis der schönste der Säle 
verlassen stand zwölf Winter lang. Darob trug der Skylding 
Zorn und schweren Kummer, und traurige Lieder kündeten 
den Menschen Grendels Toben wider Rodgar, und wie der 
grause Todesschatten unheilbrütend über den Dänen lag. 
Frevelnd und heerend kam der einsame Gänger aus den 
Nebelmooren und bewohnte in schwarzen Nächten Hiorot, 
den schönen Saal. 

Mit den Mächtigen sann der sorgenvolle Skyldingenfürst 
auf Hilfe, und Opfer gelobten die Dänen den Göttern an hei- 
ligen Orten. Oft auch vermaßen sich beim Metkrug die 
mutigen Mannen, sie wollten im Saale des Unholds harren und 
mit dem Schrecken des Schwertes ihn andringen. Dann war im 
Morgengrauen die Halle von Blut beronnen, vom Blute troffen 
die Bänke, und wieder war die Schar der Mannen gelichtet. 

Die grause Kunde von der Not der Dänen drang weit über 
die Lande und gelangte auch über das Meer zum Volke der 
Gauten, das Hygelak der Degen beherrschte. Dort lebte am 
Königshofe Beowulf, den Egthiof, der Held aus dem ruhm- 
reichen Stamme der Wägmundinge, mit der einzigen Tochter 
des Gautenkönigs Redel gezeugt hatte. Erst sieben Winter 
zählte Beowulf, als Redel, Hygelaks Vater, den Knaben 

20I 



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an den Hof rief. Dort wuchs er auf inmitten der Krieger, 
und nicht minder lieb war er dem König als die eignen Söhne. 
Doch unter den Gauten war er lange verachtet, sie hielten 
ihn für einen untüchtigen Edeling, und ungeehrt saß er auf 
der Metbank. Doch dem Knaben, der den Mannen für schwach 
und mutlos galt, kam bald die Wende der Not. Alle Schmach 
wandte er von sich und erwuchs zu einem kampfberühmten 
Jüngling: die Kraft von dreißig Männern war im Griff seiner 
Faust, und kaum die härteste Klinge hielt stand, wenn er sie 
schwang. In früher Jugend brach er auf zum Kampf mit den 
Ungeheuern, fünf der Gramfeinde band er nach blutigem Streite, 
dann vertilgte er das Geschlecht der wilden Riesen und schlug 
in den nächtigen Wogen die Walrosse: so rächte er seines 
Volkes Drangsal an den Unholden von Land und See. 

Breka, der Fürst der Brondinge, war sein Altersgenosse, 
der beste der Schwimmer. Kaum waren sie mannbar ge- 
worden, so verschworen sie einander, im Begang des Meeres 
ihr Leben zu wagen. Das nackte Schwert in Händen haltend 
zur Wehr gegen die Ungetüme der See, schwammen sie in 
den winterkalten Sund hinaus. Nicht wollte Breka im Wogen- 
schwall sich weit von dem jungen Helden entfernen noch 
Beowulf den Genossen verlassen. Fünf Nächte lang blieben 
sie in der See zusammen, bis wallende Flut und erstarrende 
Kälte, nebelnde Nacht und wirbelnder Nordwind sie trennte. 
Grimmig tobte das Meer, die Ungetüme der See drangen 
wütend heran, doch Beowulf schützte der harte Panzer, der 
handgewirkte, um die Brust lag ihm die goldgezierte ge- 
flochtene Brünne. Da umklammerte ihn ein räuberisches 
Meertier mit hartem Griff und zog ihn bis zum Grunde, doch 
mit dem Stahle erschlug er das mächtige Scheusal. Immer 
neue Plager bedrängten ihn, aber alle erlagen seinem Schwerte 
und wurden von 4en Wogen an den Strand geworfen. Als 
endlich vom Osten das Licht kam, des Gottes strahlendes 
Banner, glättete sich die Brandung, daß Beowulf die Ufer- 
höhen und die windigen Wälle gewahren konnte. So rettete 

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Urd den Tapferen. Neun Untiere hatte er mit dem Schwerte 
gefällt, nie kämpften gefahrumdrohte Männer unter dem 
mächtigen Himmelsgewölbe auf strömendem Meere solchen 
Kampf. Das Meer trug den müden Schwimmer mit der Flut 
an den Strand der Finnen, doch Breka war nur bis zu den 
Raumern gelangt, an Norwegens Küste stieg er ans Land. 
So bewies Beowulf seine Meisterschaft. Doch immer blieb 
sein Sinn milde und fest, nie erschlug er beim Trunk einen 
Herdgenossen. War seine Kraft auch die größte unter den 
Menschen, immer hielt er sich fern von Übermut. 

Als der Gautenheld die Kunde vernahm, wie Grendel, der 
schlimme Riese, Rodgars Halle verheere, hieß er ein festes 
Meerschiff rüsten, um über die Schwane nstraße hin den 
Dänenkönig aufzusuchen. Vierzehn gute Genossen erkor er 
aus der Schar der gautischen Mannen. Schnell bestiegen 
die Brünnenbewehrten das Wogenroß, das unterm Berge lag. 
Die strömende Brandung wogte zum Sande, als die Seehelden 
zur Wunschfahrt das wohlgefügte Schiff in die Wogen trieben. 
Vom Winde geschwellt, dem Vogel gleich, glitt es schaum- 
halsig dahin, bis am nächsten Tage vom gewundenen Steven 
die Seefahrer blinkende Brandungsklippen, steiles Ufer und 
ragendes Vorgebirg erspähten. Ans Land stiegen die Held'n 
der Wettermark und seilten das Seeholz, es klirrten die Brünnen 
und Schlachtgewänder. 

Vom Walle schaute der Wächter der . Skyldinge, der dort 
die Holmklippen hütete. Glänzende Schilde sah er zum 
Strande tragen, da lenkte er das Roß zum Ufer hinab und rief, 
kräftig den Speer in den Händen schüttelnd: „Wer seid ihr, 
Brünnenträger, die den Kiel über die Holmflut zum Hafen 
lenkten? Nie landeten lindenbeschildete Männer so offen 
hier, als sei ihnen schon Einlaß von unsern Kriegern gewährt. 
Doch nie auch sah ich einen herrlicheren Helden als den, 
der unter euch im Panzer steht. Das ist kein Dienstmann 
in eiserner Rüstung, wenn sein edles Ansehen nicht trügt. 
Nennt schnell eure Herkunft." Da sprach Beowulf: „Gautische 



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Mannen sind wir und Hygelaks Herdgenossen. Egthiof hieß 
mein Vater. Den Dänenherrscher suchen wir auf und die 
Kunde von Grendels Wüten trieb uns hierher." — „Seid ihr 
freundlich gesinnt dem Sky Idingenfürsten", sprach der Wäch- 
ter, „so weise ich euch zu ihm. Nehmt Waffen und Rüstung 
und versichert das Schiff, daß es euch wieder heimwärts 
trage über das wallende Meer." 

Das Schiff lag still vor Anker, ein Edler hielt die Boots- 
wache. Eilig stieg die Schar der Degen bergauf, bis sie den 
kunstvollen goldschimmernden Saal erblickten, wo der Herr- 
scher thronte. Kein Haus unter dem Himmel war damals 
berühmter. Dorthin wies sie der Wächter und wandte sich 
mit einem Segenswunsche, um wieder Flutwacht zu halten 
wider die Feinde. Mit bunten Steinen war der Weg gepflastert, 
den die Helden gingen. Die Brünnen schienen, die feuer- 
gehärteten Eber glänzten golden auf den Wangenbergen, die 
hellen Harnischringe sangen am Schlachtgewand, als die 
Krieger zur Halle schritten. Die Wogenmüden setzten die 
harten Schilde an des Hauses Wand. Die Kampfgere aus 
glatter Esche mit grauen Spitzen stellten sie zusammen. 
Dann wandten sie sich zur Bank, und ein Dänenkrieger fragte 
die Eisenschar: „Von wannen führt ihr die glänzenden Schilde, 
die grauen Brünnen, die hehlenden Helme und den Haufen der 
Heerschäfte? So ist euer Aussehen als führe Hochsinn, nicht 
Ächtung euch zu Rodgars Halle." Hart unterm Helme hervor 
sprach der Wettermär ker kühnes Haupt: „Wir sind Hygelaks 
Bankgenossen, Beowulf heiß ich. Dem Skyldingenfürsten will 
ich melden, was uns hertrieb, wenn wir ihn grüßen dürfen." 

Der Dänenkrieger eilte zum Fürsten, zu melden, wer fern 
übers Meer gekommen sei. Der sprach: „Wohl kenne ich 
ihn und seine Sippe. Oft meldeten die Seefahrer von seiner 
gewaltigen Stärke. Willkommen sei er mit seinen Mannen 
dem Dänenvolk." 

Mit dem Helm bedeckt und im klirrenden Panzer — die 
grauen Speere aber blieben draußen in guter Hut — trat 



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Beowulf mit seinen Mannen unter Hiorots Dach. Er schritt 
hindurch, bis er am Hochsitz stand. Dann sprach er: „Heil 
dir, Rodgar! Dich grüßt Hygelaks Mage und Mann, der 
jung schon Ruhm erwarb. Wir vernahmen daheim die Kunde 
von Grendels grauser Untat, und daß das hehrste der Häuser 
öde steht, wenn die Abendsonne unterm Schirm des Himmels 
verhohlen wird. Da rieten mir meine Recken und Mannen, 
dich, Rodgar, aufzusuchen, daß ich mit Grendel, dem unge- 
stalten Riesen, den Kampf versuche. Nun gewähre mir, 
daß ich allein mit meinen harten Genossen Hiorot reinige. 
Man sagt, der Unhold verachte verwegen ein Schwert zu 
führen: so will auch ich nicht Schwert noch Schild im Kampfe 
tragen, mit der Faust allein will ich ihn greifen und Feind 
wider Feind um das Leben kämpfen. Siegt er, so mag er 
mich und die Meinen zum Fräße fortschleppen, nicht brauchst 
du dann mein Haupt zu bergen, in das öde Moor mag 
der einsame Gänger uns schleppen zu schaurigem Mahle. ' 
Doch sende, wenn ich falle, König Hygelak, meinem Freund- 
herrn, die herrliche Brünne, die meine Brust umschließt, 
Wielands Gewirk, das Redel mir gab. Niemand kann wider 

* * 

das Schicksal streiten." 

Da sprach Rodgar, der Helm der Skyldinge: „Beowulf, 
mein Freund, um Kampf zu suchen und hilfbereit hast du 
uns heimgesucht. Noch gedenkt mich, wie einst Egthiof, 
dein Vater, im Kampf den Hadolaf, den Wylf ingen tötete. ' 
Da konnten ihn die Volksgenossen nicht schützen, darum 
suchte er uns, die Süddänen, auf überm schäumenden Meer. 
Damals herrschte ich in erster Jugend über das Dänenreich, 
die gemmenreiche Hortburg der Helden. Ich sühnte mit 
Gold die blutige Fehde, über das Meer hin sandte ich den 
Wylfingen uralte Schätze, und dein Vater schwur mir Eide. 
Mit Scham muß ich nun künden, wie mich Grendel höhnt 
in der hohen Halle und wie er mir die Mannen zerreißt. Doch 
nun setze dich zum Mahle nieder und entbinde den Helden 
den Siegesmut, wie dein Sinn dich treibt." 

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Da wurde das Mahl gerichtet, und die Mannen setzten sich 
rings auf den Bänken. Des Dichters Lied erscholl und Jubel 
der Dänen und Gauten. 

Während des Gelages löste Unferd, des Königs Sprecher, 
der ihm zu Füßen saß, die Streitrunen, denn er neidete Beo- 
wulf den Ruhm, den dieser einst in brandenden Wogen er- 
warb. Er sprach: „Bist du der Beowulf, der einst mit Breka 
schwamm durch die weite See? Wohl vernahm ich, wie ihr 
durch den Eisgang im wallenden Ozean glittet, sieben Nächte 
die Meeresstraßen mit den Armen maßet: doch der Sieg 
blieb dem Brondingenfürsten, im Schwimmspiel überwand 
dich der Mächtige. So fürchte ich für dich noch schlimmeren 
Ausgang, wenn du die lange Nacht auf Grendel harrst." 
Doch Beowulf sprach: „Viel redest du, Freund, vom Biere 
berauscht über den Kampf mit Breka, doch wissen die Mannen, 
daß mir in der Woge der Sieg zufiel. Von dir aber, Unferd, 
vernahm ich nie eine ähnliche Tat. Das aber sage ich: wäre 
dein Sinn so kühn wie dein Wort, nie hätte Grendel in Hio- 
rot solchen Graus vollführt. Nein, er ward inne, daß er die 
Dänenschwerter nicht zu fürchten brauche. Pfänder nimmt 
er sich, raubt und mordet nach Lust, keines Kampfes von den 
Gerdänen ist er gewärtig. Nun aber soll er der Gauten Stärke 
im Kampfe erfahren, dann mag wer da will morgen im Früh- 
licht, wenn die Sonne im Süden strahlt, zum Mete kommen." 

Freudenvoll war der greise Ringspender, als er des Helden 
Entschluß vernahm. Da war wieder Lachen in der Halle 
und heitere Rede. Walthiof trat ein, des Königs Gattin, 
goldgeschmückt grüßte sie die Gäste. Erst bot sie dem Dänen- 
herrscher den vollen Becher, gern empfing er ihn. Dann 
ging die Helmingenfrau durch die Halle, hier und dort Klein- 
ode verteilend, bis die Ringgeschmückte zu Beowulf tretend 
ihm den Becher bot. Sie grüßte den Helden voll Freude und 
dankte ihm, daß sie Rettung aus der Not erhoffen dürfte. 
Der kühne Kämpe ergriff den Becher und gelobte, das Dänen- 
volk von dem Riesen zu befreien oder zu sterben. 

206 



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Als dann die Sonne sank und die nebelnde Nacht über alle 
fiel und die Wesen, die unter ihrem Schattenhelm wohnen, 
geschritten kamen, suchten die Dänen ihr Lager auf, und 
Beowulf wußte, daß harter Streit ihm bevorstand. Rodgar 
befahl ihm den Saal und schritt mit seiner Schar davon. 

Beowulf blieb mit seinem Gefolge allein in der Halle. 
Brünne, Helm und Schwert legte er von sich, ehe er sich aufs 
Lager streckte, nicht geringer als Grendel fühlte er sich an 
Kraft, waffenlos wollte er den Waffenlosen bestehen. Mit ihm 
legten sich die Mannen zur Ruhe, keiner von ihnen hoffte je die 
Heimat wieder zu sehen, denn sie hatten erfahren, wie viele der 
Tod schon im Metsaale fortgerafft hatte. Doch den Wetter- 
märkern wirkten die Götter das Gewebe des Kampfglücks. 

In der Hornhalle schliefen alle bis auf einen, als der Schatten- 
gänger im Dunkel nahte vom Moore her. Er schritt unterm 
Wolkendach zum Saale, die Helden zu morden, nie fand der 
Meinschädiger zuvor dort so tapfere Kämpen. Das Tor zer- 
barst, waren die Riegel gleich geschmiedet, sobald seine 
Faust sie berührte. Scheußliches Feuer sprühten seine 
Augen, als er in den farbigen Saal trat. 

Er sah die Recken in der Halle schlafen, da lachte sein Herz. 
Ihrer aller Leben vom Leibe zu scheiden gedachte er, ehe 
der Tag erschien, und meinte Fraß die Fülle zu finden. 
Schnell ergriff er einen der Schläfer, zerschliß ihn eiligst, 
biß in die Glieder und trank das Blut, große Brocken schlin- 
gend. Dann schritt er weiter, als er den ersten verzehrt hatte, 
und griff mit den Klauen nach Beowulf, der auf dem Lager 
ruhte. Doch der Recke packte behende des Untiers Rechte, 
fest auf den Arm sich stützend. Da empfand der Frevler, 
daß er nie in Mittgarten auf eine festere Faust bei einem 
Manne gestoßen sei. Furcht ergriff ihn, doch konnte er nicht 
von hinnen. Er sann, wie er in das hüllende Dunkel enteile, 
denn solches widerfuhr ihm noch nie. Der Held aber ge- 
dachte der Abendrede, hoch stand er und packte den Unhold, 
daß seine Finger zerbrachen. Schlimmen Weg war der Riese 



207 




diesmal nach Hiorot gegangen. Er strebte hinaus, aber sein 
Arm drehte sich im Griff des ergrimmten Helden. Der Saal 
erdröhnte, den Dänen allen, den mutigen Burgbewohnern, 
kam banger Schrecken. Unter dem Rasen der Kämpfer er- 
krachte der Bau, und gestürzt wäre die funkelnde Halle, 
hätten sie nicht innen und außen Eisenbänder fest umschlossen. 
Manche Metbank wich von der Stelle, wo die Wilden stritten. 

Als sie den Riesen unentrinnbar gefesselt sahen, schwangen 
Beowulfs Mannen die Schwerter, des Fürsten Leben zu schir- 
men, doch wußten sie nicht, daß den Schädiger kein Schwert 
auf Erden beißen konnte, daß er gefeit war wider alle Sieg- 
schwerter. Dennoch sollte in selbiger Nacht der schlimme 
Widergeist von dannen wandern. 

Grendel spürte, daß er sich aus der Umklammerung nicht 
lösen könnte. Furchtbar tönte sein Wutgeheul. Im Ringen 
ward er endlich wund. An der Achsel klaffte ein mächtiger 
Spalt, die Sehnen rissen, die Gelenke barsten. Todwund 
flüchtete er zum Moore. Er wußte, daß die Vollzahl seiner 
Tage gekommen war. Beowulf aber blieb als Sieger zurück, 
froh seines Nachtwerkes und daß er gehalten hatte, was sein 
Ruhmwort den Dänen versprochen hatte. Zum sichtbaren 
Zeichen befestigte er Grendels Arm mit Achsel und Hand 
unter das hochgewölbte Dach. 

Am Morgen kamen die Dänenrecken zur Halle, von fern 
und nah eilten die Edlen herbei, die Riesenfährte zu sehen. 
Sie verfolgten die Spur, die der Wunde geeilt war, und 
kamen zum Moorpfuhl, der in blutiger Brandung wallte, der 
scheußliche Sud war ganz gemengt mit Eiter, den der Tod- 
wunde färbte, als er freudlos im Pfuhl sein Leben ließ. 

Auf blanken Rossen ritten die Recken fröhlich heim, alte 
und junge, und laut erschallte von ihren Lippen Beowulfs 
Lob. Bisweilen ließen sie im Wettlauf die Rosse rennen. 
Oft auch fand ein Königsdegen, der Lieder und alten Sagen 
kundig, wohlgefügte Heldengesänge und besang Beowulfs Tat 
in kunstvollen Worten. 

208 



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I 



So ritten die Recken auf falber Straße, da hob das Morgen- 
licht sich höher empor. Sie gingen zur Halle, das Wunder 
zu schauen. Auch der König kam mit der edlen Walthiof 
aus dem Gemache. Er stand am Pfeiler und sah unterm 
goldgezierten steilen Dach Grendels Greifer. Da dankte er 
den Göttern, staunend pries er des Helden Kraft, nannte ihn 
seinen teuren Sohn und versprach, ihm Gold und Schätze zu 
geben. Es schwieg aber Unferd, des Eglaf Sohn, als er Gren- 
dels Handsporen sah: mit grausigen Krallen gleich starken 
aus Stahl geschmiedeten Nägeln war des Feindes Klaue 
besetzt, die nun die Dänen schaudernd bestaunten. 

Dann wurde die Halle, die vom Kampfe verwüstet war, 
mit bunten Geweben festlich verziert. Als die Spuren getilgt 
waren und die Stunde kam, schritt Rodgar zum Mahle, und 
um ihn scharte sich reiches Gefolge und saß auf den Bänken. 
Der König ließ die Geschenke bringen, den Lohn für den Hel- 
den: ein goldenes Banner, Helm, Panzer und kostbares Schwert. 
Acht Rosse ließ er in die Halle führen, goldverziert war das 
Zaumzeug, auf einem ruhte des Königs Sattel, sein Sitz in 
der Schlacht. Mit Gold aber wog er den von Grendel getöteten 
Degen auf. So lohnte der König den heißen Kampfsturm, 
den der Held bestand. 

Da tönte Sang und Saitenspiel vor dem Dänenfürsten, die 
Harfe wurde zum Heldenliede geschlagen, als der Sänger 
längs den Metbänken melden mußte, wie einst Finns Ge- 
schlecht vom Geschick betroffen ward und Näf der Skylding 
auf friesischer Walstatt fiel. Jubel war auf den Bänken, als 
das Lied verstummte, und die Königin reichte dem Gatten 
mit freundlichem Zuspruch den Becher, der mit Rodulf, 
dem Neffen, dem kühnsten der Helden, unter dem Namen 
Rolf Kraki bei den Dänen berühmt, im Hochsitz saß. 
Dann schritt sie zur Bank, wo ihre Söhne Redric und Rod- 
mund im Kreise der Kinder der Helden weilten. Dort saß 
bei den Knaben Beowulf , als die Königin sich nahte, ihm 
freundlich den Becher zu füllen und edlen Goldschmuck zu 

14 Wolfen u. Petersen, Heldennagen. 



209 




spenden, und sie sprach den Heilwunsch: „Trage den Reif 
und die funkelnde Kampfberge, herrlicher Beowulf, genieße 
die Kleinode und gedeihe im Glück! Ewig werden die Völker 
dich preisen, soweit der Ozean die Dünen bespült. Heil sei 
dir, solange du atmest! Sei meinen Söhnen Freund und 
Helfer! Treu ist hier ein Edler dem andern, treu ihrem 
Herrn sind die Mannen." Dann schritt sie zum Hochsitz. 
Herrlich war das Mahl, und der Wein floß in Fülle. 

Als dann der König zu seinem Hause gegangen war, legten 
sich die Dänenmannen wie einst, ehe der Unhold die Halle 
heimsuchte, zur Ruhe längs den Wänden auf Decken und 
Polster nieder. Sich zu Haupte n setzten sie die Kampf - 
schilde aus blanker Esche, darüber auf der Bank standen 
weithin sichtbar die Helme der Mannen, ragend hoch, und 
die ringgeschmückten Brünnen samt den glatten Speeren, 
immer waren sie zum Streite gerüstet, daheim und im Heere: 
bereit zu jeder Stunde, wo der Fürst ihrer bedürfe. Beowulf 
und seinen Gautenkriegern war ein anderes Gemach, fern 
der Halle, zur Ruhe bereitet. 

Schlaf umfing sie, da nahte neues Verderben. Denn 
noch war die ganze Sippe der Unholde nicht vertilgt. Es 
nahte Grendels Mutter, das schreckliche Weib, das den Wasser- 
strudel bewohnen mußte. Finster und grimmig ging sie den 
furchtbaren Gang, den Sohn zu rächen. 

Wütend drang sie in Hiorot ein und fand die Dänen in 
Schlaf versenkt. Da sprangen die Helden auf, als die Pforte 
barst, und griffen zu den Schwertern. Schnell wollte sie von 
hinnen, ihr Leben zu bergen, denn so viel minder denn Gren- 
dels Stärke war ihre, als des Weibes Kraft der des Mannes 
nachsteht. Doch im Fliehen noch packte sie einen der Edlen 
und schleppte ihn dem Sumpfe zu. Der war dem König unter 
den Helden vor allen lieb und ein gewaltiger Kämpe. Auch 
Grendels schreckliche Klaue schleppte sie mit hinweg. Da 
war der Hof wieder von Jammer erfüllt. Der König saß 
trauernd über des Teuren Tod. Im Morgengrauen ward 

210 



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I 



Beowulf gerufen, mit der eisernen Schar schritt er klirrend 
zum Könige. Der meldete ihm, wie neuer Schrecken die 
Halle verheere: „Den Sohn zu rächen, würgte die Riesin mir 
den besten Helden, der stets mir an der Schulter stand, wenn 
wir zum Kampfe schritten, und auch ferner droht sie mit 
grimmiger Fehde. , Oft hörte ich die Bauern sagen, es hausten 
zwei Markenumschleicher draußen im Moore, der eine sei 
einem Weibe ähnlich, den anderen riesigen Wuchses, ' der die 
friedlosen Pfade trat, nannten sie Grendel, doch niemand 
weiß, wer die Unholde zeugte. F Wolfshalden bewohnen sie 
in entlegenen Schiliften, windige Klippen im düsteren Moor, 
wo der Bergstrom unter das Genebel der Felsen stürzt in 
den Schlund der Erde. Nur wenig entfernt von hier steht 
das Sumpfmeer, reifgrau hangt ein Hain darüber hin, wurzel- 
fest das Moor überhelmend. Allnächtlich kann man dort 
schauerliches Wunder schauen: in der Flut ist Feuer. Nie- 
mand kennt den Grund des Pfuhles. Selbst der gehörnte 
Heideläufer, der Hirsch, den die Hunde hetzen: eher läßt er 
am Ufer sein Leben, als daß er sein Haupt im Wasser berge. 
Nicht geheuer ist der Ort. Oft wirbelt da zu den dunklen 
Wolken das Wasser empor, wenn der Sturm die wilden Ge- 
witter aufstört, bis die Luft sich schwärzt und die Himmel 
weinen. Wieder ist das Heil bei dir allein! Suche die schreck- 
liche Stätte, wenn du es wagst, und ich will dir lohnen mit ur- 
altem Schatz und gewundenem Golde, falls du wiederkehrst." 

Und Beowulf sprach, Egthiofs Sohn: „Schweige die Sorge, 
hochweiser Held. Gewiß ist uns allen das Ende, darum sinne 
jeder auf große Taten vor seinem Tode, denn dem Manne ist 
Nachruhm das beste. Auf denn, folgen wir schnell der Spur 
der Riesin! Nicht im Busen der Erde, noch im Berggehölz, 
noch auf dem Grunde der Flut soll sie vor mir sich bergen.'* 
Der Greis sprang auf und ließ die Rosse zäumen. 

Voran ritt Rodgar, die Mannen folgten entlang der Fährte, 
die am Walde hin über die Gründe lief. Über Schluchten 
und Steinklippen führte der schmale Pfad, bis endlich der 

14* 

211 



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spähende König überm grauen Fels freudloses Gehäng er- 
blickte. Darunter stand die Flut blutig und trüb. Auf stei- 
nigem Hang erblickten die Mannen des geraubten Freundes 
Haupt. Im Sumpf und am Klippensturz kauerte manch 
schreckliches Gewürm, Robben und Drachen und Raub- 
gezücht. Zornig entflohen sie, als die Hörner tönten und die 
Mannen sich am Ufer lagerten. Beowulf erlegte mit dem 
Bogen eines der Untiere, mit den Eberspeeren ward es zum 
Ufer gezogen zum Staunen der Mannen. 

Nun waffnete sich Beowulf mit Brünne und Helm, um 
vor den scharfen Klauen der Riesin den Leib zu schützen, 
und ergriff sein herrliches Schwert: in Gift war es geätzt und 
im Wundschweiß gehärtet. Dann stieg er ungesäumt in die 
Flut, und der Brandungsschwall umfing den Helden. 

Lange währte es, bis er den Grund erreichte. Da merkte 
die Riesin, die hundert Sonnenwechsel schon gierig und grimm 
in der Flut hauste, daß ein Held von oben in der Unholde 
Reich eindränge. Sie griff ihm entgegen, packte ihn, doch 
vermochten die Klauen den Panzer nicht zu durchdringen. 
Zu ihrer Höhle schleppte sie ihn, einem überdachten Gewölbe, 
da konnte die Flut dem Helden nicht schaden. Beim Schein 
eines bleichen Feuers, das die Höhle erleuchtete, sah Beowulf 
die Grundwölfin, das schreckliche Moorweib. Mit mächtigem 
Hieb schwang er das Schwert, daß das ringgeschmückte auf 
ihrem Haupt ein schrilles Schlachtlied sang, doch die Streit- 
flamme wollte nicht beißen und ihre Schärfe versagte in der 
Not: zum ersten Male erlag ihre Ehre. 

Erbost schleuderte Beowulf die Klinge von sich, und dem 
Griff seiner Faust vertrauend, faßte er die Riesin an der Achsel 
und rang sie zu Boden. Sie aber vergalt ihm, packte ihn mit 
grimmen Griffen, daß der Held zu Fall kam. Auf ihn geneigt 
zog sie das Messer, den Sohn zu rächen, doch ihn schirmte 
die dichte geflochtene Brünne und wehrte der Schneide 
den Eingang. Lange rang er vergeblich mit der Riesin. 

Da gewahrte sein Auge in der Höhle unter andern Waffen 

212 

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ein altes sieggekröntes Riesenschwert. Es war so gewaltig, 
daß kein Mann es geschwungen hätte außer ihm. Das ergriff 
er in höchster Not und hob es zu gewaltigem Hiebe, todgrimmig 
schlug der Held und trennte der Riesin das Haupt vom Rumpfe, 
daß sie tot zu Boden fiel. 

Er ging durch die erleuchtete Höhle und fand auf dem Lager 
Grendels Leichnam. Auch ihm hieb er den Kopf herunter. 

Als oben am Ufer die Harrenden sahen, wie die brandende 
Woge mit Blut sich rötete, hofften sie nicht länger auf des 
Helden Rückkehr. Bis zum Abend noch harrten sie, dann 
kehrten die Dänen mit dem Könige heim, nur Beowulfs Mannen 
blieben zurück und starrten traurig und kranken Mutes über 
das Moor hin: kaum hofften sie noch den Fürsten zu sehen. 

Drunten indes begann dem Helden im Blut der Erschlagenen 
das Schwert zu schwinden, die Klinge zerschmolz wie Eis, 
wenn der Tauwind bläst. Nur der Griff blieb übrig. Die 
kleinodgeschmückte Hilze nahm er und Grendels Haupt, doch 
von den reichen Schätzen, welche die Höhle barg, nahm er 
nichts. Dann schwamm er zurück. Mit seiner Beute ent- 
tauchte er der Flut, und mit Jubel eilte ihm die Schar der 
Gauten entgegen. Schnell lösten sie ihm Helm und Brünne, 
dann zogen sie heim nach Hiorot. Vier Männer trugen an 
der Gerstange mit Mühe das ungeheure Haupt, als die vier- 
zehn Recken in die Halle zu den trinkenden Männern traten. 
Die staunten ob des grausigen Wunders. 

Beowulf sprach: „Hier bringen wir dir, Skyldingenfürst, 
die herrliche Beute vom Seegrund. Ohne Sorgen magst du 
nun mit der Schar deiner Degen in Hiorot schlafen, den Tod 
der Edlen brauchst du nicht mehr zu fürchten." Dann er- 
zählte er den schrecklichen Kampf und zeigte Rodgar die 
goldene Hilze des Riesenschwertes. Der aber erwiderte: 
„Über alle Völker wächst dein Ruhm, du höchster der Helden. 
Keiner ist besser geboren als du. Hundert Winter herrschte 
ich unter den Wolken und beschützte die Dänen vor Esche 
und Eisen, daß ich keinen Gegner meiner mehr mächtig 




Gebieter, das Halskleinod aber, das er von Walthiof empfing, 
gab er Hygd, dazu auch drei gesattelte Hengste. Einer ge- 
dachte der Ehre des andern: so beschenkte der Gautenkönig 
den Helden mit dem köstlichsten Schwert aus dem Gauten- 
schatz, mit siebzig Hundertschaften, mit Herrschersitz und 
Halle. Und seitdem herrschten Hygelak und Beowulf lange 
gemeinsam über das Volk der Gauten, dem einen aber war 
das breite Reich und die Königswürde angestammt, denn vor- 
nehmer war seine Geburt. 

32. DER DRACHENKAMPF 

Jahre vergingen. Einst zog Hygelak mit gewaltigem Heer- 
bann über See, im Lande der Friesen an der Mündung des 
Rheines zu heeren. Da hoben Franken aus hetwarischem 
Stamm gegen ihn die Schilde, gewaltiger Kampf entbrannte, 
und Hygelak, der Freund des Gautenvolkes, erlag dort dem 
feindlichen Schwert und mit ihm fast die ganze Schar seiner 
Streiter. Beowulf aber entrann, der mächtige Schwimmer. 
Mit dreißig Beutebrünnen beladen stieg er ins Meer und ent- 
kam den Hetwaren, deren wenige nur vor seinem Schwert 
die Heimkehr gewannen. Er überschwamm den Bereich 
der Seehunde, einsam erreichte er das Gautenland. Da bot 
ihm Hygd Schatz und Herrschaft, Gold und Hochsitz, denn 
ihres Knaben Kraft wähnte sie nicht stark genug wider der 
Feinde Andrang. Doch wollte Beowulf der Hilflosen nicht 
willfahren: dem Königssohne wollte er nicht Gebieter sein, 
noch an seiner Statt als König herrschen. Nur dies versprach 
er: dem Knaben mit Rat und Schutz zur Seite zu stehen, bis 
er heranwüchse und der Gauten waltete. 

Doch wollte das Schicksal, daß Hardred, der junge König, 
in einer Schwedenfehde vor dem Schwerte fiel. So gewann 
Beowulf Krone und Herrschaft. Fünfzig Winter saß er auf 
dem Gabenstuhl und waltete über das breite Reich mit starker 
Hand, mächtig schützte er das Land vor jedem Feinde. 

Als Beowulf alt geworden war, begann in dunklen Nächten 



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ein feuerschnaubender Drache durch die Lüfte fliegend das 
Gautenland rings zu verheeren. Auf hoher unzugänglicher 
Klippe bewachte er einen Hort. Der war einst in dunkler 
Vorzeit das reiche Erbe einer edlen Sippe gewesen, ein un- 
endlicher Schatz von Gold und Kleinoden. Der letzte des 
Geschlechtes hatte ihn in der Klippe verborgen, als alle 
Stammesbrüder der Tod dahingenommen hatte. In den Berg 
an den Meerklippen trug er die Schätze, und klagend sprach 
er: „Nun wahre du, Erde, da die Helden es nicht mehr dürfen, 
der Edlen Besitz. Reiche Habe gewannen sie auf dir, doch 
schrecklicher Streit und Speerkampftod riß die lieben Gesippen 
dahin. Der H allen jubel verklang, niemand wird Schwerter 
und Becher mehr pflegen, dem vergoldeten Helm entsinkt 
der Zierat . . es schlafen die Helden, die einst ihn schmückten. 
Auch die Brünne, die im Schildgekrach dem Bisse der Schwer- 
ter stand hielt, wird zerfallen wie ihre Träger, nie mehr fährt 
der Ringpanzer mit dem Helden zum Streit. Nicht tönt mehr 
die wonnevolle Harfe, der Klang der Saiten verstummte, 
durch die Halle schwingt nicht mehr der Flügel des guten 
Habichts, noch stampft das mutige Roß den Burghof. Der 
Kampf tod raffte zu viele des Stammes dahin." So klagte 
der Mann und jammerte im Unmut, bis des Todes Wallen 
ihm das Herz anrührte. — Den Hort aber fand unbewacht 
der alte Uchträuber, der feurig die Berge umschweift und 
in den Nächten schnaubend einherfliegt: der Kampfdrache. 
Seitdem bewachte der Uralte nutzlos das Gold. 

Dreimal hundert Winter brütete er auf dem Horte. Da 
geschah es einst, daß ein Mann, der vor seines Herrn Ver- 
folgung floh, den Steig unter dem Felsen fand, den noch nie 
eines Menschen Fuß vor ihm betrat, und in seiner Not sich 
in der Drachenhöhle barg. Wohl packte ihn Schrecken, als 
er das schlafende Untier sah, doch da Armut ihn drückte, 
raubte er aus dem funkelnden Hort eine goldene Metschale, 
damit er seines Herrn Groll sänftige und sich Frieden erkaufe. 
So ward die Höhle entdeckt. 



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Als der Wurm erwachte und den Raub bemerkte, brach 
seine Wut hervor. Er fuhr spürend um den Stein, den Dieb 
zu suchen, doch fand er ihn nicht. Da begann er haßgemut 
das Werk der Verheerung. Brand und Brunst speiend fuhr 
er bei Nacht über das Land hin,, rings brannten die Höfe, 
und feurige Lohe schoß auf. Nichts Lebendes wollte er übrig- 
lassen, und grimmerfüllt wütete er wider das Volk der Gauten. 
Wenn morgens Qualm das Land verhüllte, eilte er zurück 
zum Felsenversteck, das er sicher wähnte. 

Auch Beowulfs Erbsitz und die Halle mit dem Gabenstuhl 
der Gauten sank im Brande nieder. Da beschloß der alte 
Held in düsterem Grimme die Seinen zu rächen und das Land 
von der schrecklichen Plage zu reinigen. 

Er ließ sich einen Schild schmieden, ganz aus Eisen, denn 
wohl wußte er, daß das Holz der Linde ihn wider die Lohe 
nicht schützen werde. Er verschmähte, den Drachen mit 
Heeresmacht zu bekämpfen. So schwere Kämpfe hatte er 
bestanden, daß ihm vor der Stärke des Wurmes nicht bangte. 
Nur elf Recken erlas er zum Geleit. Dazu mußte der Knecht 
ihm gefesselt folgen, der dieses Kampfes Urheber war, da 
er die Höhle nahe der Meeresbrandung den Edlen allein zu 
zeigen vermochte. 

Sie kamen zur goldgefüllten Wölbung: kampfbereit lag 
im Stein der unheimliche Wächter des Hortes. Auf der 
Klippe saß der König nieder, Heil entbot er den Herdgenossen, 
der Goldfreund der Gauten. Das Herz war ihm betrübt, 
ahnungsvoll zuckend und todbereit, schon stand Urd ihm 
zur Seite, sein Leben dahinzunehmen. Sinnend redete er 
zu seinen Genossen von der Gauten Geschicken, die er in 
früher Jugend sah, von seinen Taten in Hygelaks Schar 
wider Franken und Friesen, als der König fiel. Dann sprach 
er: „Kampferfüllt war meine Jugend. Jetzt will ich noch 
einmal als greiser Volkswart Fehde beginnen und Ruhm 
erlangen, wenn der Verderber mich hier draußen sucht. 
Nicht eines Fußes Breite will ich vor dem Bergwart weichen, 

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I 



am Felsen ende Urd den Kampf, wie sie es beschlossen hat. 
Ihr aber, meine Genossen im Panzer, harret am Berg hier, bis 
der Kampf sich entscheide. Es ist nicht euer Werk noch eines 
andern, nur meines allein, wider so grimmen Gegner zu 
streiten. Ich töte den Schädiger oder falle im Kampfe." 

Der Held erhob sich unterm Helme, auf den Schildrand 
gestützt und schritt unter die Steinklippen. Da sah er unter 
einem Steingewölbe hervor einen Strom aus dem Felsen 
brechen, heiß wie Feuer war der brausende Brunnen: der 
hinderte ihn zum Horte zu dringen. Zornige Rufe stieß er aus, 
gellend und kampfhell scholl die Stimme in den grauen Stein. 

Den Ruf vernahm der Hortwart. Heraus fuhr ein feuriger 
Brodem sein Atem, und der Berg schlitterte. Dem grauen- 
vollen Gast schwang der Held den Schild entgegen, als er 
zum Streite herauskroch. Das Untier krümmte sich und 
schnellte lohend heran, den Helden zu packen, der hinter dem 
Eisenschild mit geschwungenem Schwert ihn erwartete. 
Doch wenig nur schützte ihn der Schild vor dem Brande. 
Nun ließ er den Hieb auf den Drachen niedersausen, doch 
die graue Klinge glitt ab und wollte nicht beißen, wie die 
Not ihres Herrn es erheischte. Da geriet der Bergwart in 
rasende Wut, fernhin spie er feurige Garben, und Beowulf 
fühlte den Siegruhm weichen, als die edle Klinge versagte, 
nicht leicht ward ihm, von den Gefilden der Erde zu scheiden. 

Von neuem rannten die Gegner aufeinander, und wieder 
stand Beowulf in großer Not vom Feuer umwallt. Da flohen 
die Genossen voll Schrecken und bargen im Holze ihr Leben. 
Nur einer wich nicht, ihm wallte das Herz von Sorgen um 
den Herrn, und das Band der Sippe, das Edle unlöslich bindet, 
zwang ihn auszuharren. 

Wiglaf hieß er, Beowulfs Mage, der seinen Herrn in der 
Not des Feuers sah. Der gedachte der huldvollen Gaben, 
die er von dem milden Herrn empfing: des reichen Erbsitzes 
der Wägmundinge und der Volksrechte, die er und sein Vater 
besessen. Da hielt es ihn nicht: den Schild ergriff er, die 

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graue Linde, aus der Scheide riß er das Schwert, das in vielen 
Kämpfen erprobte, und rief den fliehenden Genossen zu: 
„Ich denke der Stunde, wo man uns Met reichte und wir 
dem Ringspender in der Halle gelobten, daß wir ihm die 
Rüstungen und reichen Gaben, die Helme und Schwerter 
lohnen wollten, wenn seine Not es erheischte. Nun erkor er 
uns zu dieser Fahrt, der reich uns beschenkte, weil er uns 
für tapfere Speerkämpfer hielt, wenn er gleich das Helden- 
werk allein zu vollbringen gedachte. Nun aber ist der Tag 
gekommen, wo unser Gefolgsherr tüchtiger Mannen bedarf: 
eilen wir denn, dem Fürsten zu helfen, den die grimmige 
Glut versengt. Besser ist uns, mit ihm in den Flammen zu 
sterben, als untätig ihn fallen zu sehen. Schmachvoll wäre 
es uns, die Schilde heim zur Burg zu tragen, wenn wir nicht 
erst den Feind fällten und den Herrn retteten. Seit wann 
ist es Brauch, daß der Herr allein im Streite litte und den 
Tod fände? Schwert und Helm, Harnisch und Schild sind 
uns allen gemeinsam." 

Er drang durch den Qualm zu Beowulf hin und rief ihm 
zu: „Gedenke dessen, was du früh gelobtest: nie wolltest du 
deine Ehre sinken lassen. Schirme dein Leben, tapferer Held, 
ich stehe dir bei." 

Schon nahte der Drache zum dritten Male. Im Feuer 
verschwelte des Jünglings Schild. Da sprang er hinter 
Beowulf s Eisenwehr, j Der gedachte seiner Schlachtehre: 
mächtig schlug er mit dem Schwert, daß es in den Nacken 
des Drachen eindrang. Doch Nägling, die harte, graue 
Klinge zerbarst unter der Wucht des Hiebes, zu stark war 
Beowulfs Faust für jede Waffe. 

Der Drache raste heran, er überrannte den Helden und 
grub ihm die furchtbaren Zähne in den Hals, wo sich Raum 
bot: in sprudelnden Wogen entströmte das Blut der Wunde. 

Da bewies Wiglaf sein Heldentum. Unbesorgt um Leben 
und Leib traf er von unten her den Drachen, ob auch die 
Hand ihm verkohlte, und trieb ihm bis ans Heft die Klinge 

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in den Leib. Alsbald begann die Hitze zu schwinden. So 
ward auch der König seiner Sinne wieder Herr, er riß ein 
kurzes Saxschwert hervor, haarscharf war es geschliffen, und 
schnitt mitten durch den schrecklichen Wurm, daß ihm das 
Leben entfloh. 

Der Wurm war gefällt, doch war es Beowulfs letzter Sieg. 
Seine Wunde begann zu schwären und zu schwellen, die ihm 
des Erddrachen Zähne schlugen, und er fühlte, wie ihm das 
tödliche Gift in der Brust zu wallen begann. Zum Steinwall 
ging der weise Greis und ließ sich hin. Wiglaf labte den Wun- 
den mit Wasser und löste ihm den Helm. 

Da sprach Beowulf — nicht achtete er der tödlichen Wunde, 
wußte er doch, daß er bis zu Ende die Erdenwonne genossen 
hatte und daß ihm das Leben schnell zerrann : „Nun ließe 
ich gern einem Sohne das Kampf kleid, wenn mir ein Erbe 
beschieden wäre. Fünfzig Winter saß ich im Hochsitz, und 
keiner der Nachbarn wagte mit Krieg mich heimzusuchen. Nie 
schwur ich falsche Eide, noch rötete ich mein Schwert im Blute 
der Gesippen. Du, Wiglaf, eile nun zum grauen Stein, daß ich 
den schimmernden Schatz noch sehe, die lichten Gemmen und 
das funkelnde Gold: so ende ich sanfter mein Leben und 
scheide leichter von den Meinen, die ich lange beherrschte." 

Wiglaf gehorchte. Er fand in der Höhle am Boden köst- 
liche Schätze, Krüge und Schalen, auch ihrer Zierde beraubte 
rostige Helme, und künstlich verschlungene Spangen und 
ein Banner aus Goldstoff. 

Schnell raffte er den Hort zusammen, das alte Riesenwerk, 
er füllte den Schoß mit Bechern und Kannen, ergriff auch 
das Banner und eilte zu dem wunden Herrn zurück. 

Den fand er dem Tode nah. Doch noch einmal kehrte 
ihm das Leben zurück, und er sprach: „Mich freut, daß ich 
dem Volk meiner Helden an meinem letzten Tage noch so 
köstlichen Schatz erwerben durfte. Ich aber will nun nicht 
länger hier weilen. Laßt die Mannen mir den Hügel wölben, 
wenn mein Scheiterhaufen verloht ist, auf hoher Klippe über 



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der Brandung, der soll zum Gedächtnis dem Volk meiner 
Mannen weithin ragen auf »dem Walfischfels. Ihn werden 
die Schiffer künftig heißen Beowulfs Berg, wenn sie das 
Wogenroß fernher führen auf dem Nebelgewall der Flut." 

Den goldenen Halsschmuck streifte er ab und gab ihn 
Wiglaf, dazu den goldbunten Helm und die schimmernde 
Brünne und sprach: „Du bist der Letzte unseres Geschlechtes 
der Wägmundinge, alle Magen, die edlen Helden, fegte Urd 
hinweg — nun muß ich ihnen nach." Das war sein letztes Wort. 

Schmerzerfüllt saß Wiglaf bei seinem toten Herrn. Bald 
wagten sich aus dem Holze die treulosen Zehn, die den Ge- 
f olgsherrn in der Not verließen: schamvoll schlichen sie hinter 
den Schilden herbei, hin wo der Herrscher im Blute lag. 
Grimmigen Gruß bot ihnen Wiglaf: „Das Wort soll gelten: 
schnöde verschleuderte an euch der König die Schlacht- 
gewänder und kostbaren Schmuck, womit er oft auf der 
Metbank euch ehrte, die Mutigsten, die er finden konnte. 
Keiner Genossen durfte er sich rühmen, doch war ihm ver- 
gönnt, sich mit eignem Schwert zu rächen. Meine Hilfe war 
ihm nur wenig nütze, zu klein war die Zahl der Streiter in 
der Not. Ihr aber habt alle Gunst verscherzt, eurer Erb- 
sitze Wonne, Ar und Halm verliert ihr mit Recht, wenn die 
Edlen eure Flucht erfahren, die ehrlose Tat. Der Tod ist 
besser als ein Leben in Schmach." 

Zum Königshof hieß er Botschaft tragen, zu den Meeres- 
klippen, wo die Mannen morgenlang in Sorgen harrten, 
noch beides erwartend: den Untergang oder die Wiederkehr 
ihres Herrn. Der Bote sprach: „Gefällt ist nun der Gauten- 
fürst, kalt bewohnt die Walstatt der Gabenspender durch die 
Wut des Wurmes. Doch liegt ihm zur Seite der grimmige 
Drache, durch Beowulfs Saxschwert gefällt. Wiglaf sitzt 
trauernd über der Leiche. Nun haben wir Kriegszeit zu 
erwarten, wenn zu Friesen und Franken die Kunde dringt, 
und zu den Hetwaren, deren Macht einst Hygelak erlag: 
seitdem verloren wir der Merowinge Huld. Auch die Feind- 

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schaft der Schweden wird wieder erwachen, die wir einst 
am Rabenholz schlugen, der alte* Haß zwischen Gauten und 
Schweden wird sich erneuen, wenn die Kunde Beowulfs Tod 
vermeldet. — Eilen wir nun, den Helden zum Holzstoß zu 
bringen. Nicht ein Kleinod nur soll mit ihm in der Lohe 
schmelzen, nein der ganze Hort: die Menge des schim- 
mernden Goldes, das mit seinem Leben so grimmig erkauft 
ist, soll der lodernde Brand verzehren. Kein Krieger trage 
der Kleinode eines, noch sollen sie den Mädchen am Halse 
leuchten, denn jammernd und des Goldes beraubt muß manche 
nun ins Elend hinaus, da der Lenker des Heervolkes das 
Lachen aufgab. Künftig wird mancher Speer noch morgen- 
kalt von den Fäusten gepackt werden, nicht mehr wird 
Harfenklang die Kämpen wecken, sondern der dunkle Rabe, 
der gierige, wird krächzen über Leichen und dem Adler 
melden, wie ihm die Atzung glückte, da er mit dem Wolf 
den Raub der Walstatt teilte." 

Klagend eilten die Mannen zur Adler klippe, als sie die 
Kunde vernahmen. Da fanden sie den Ringspender wunden- 
tot liegen, fanden auch das gefällte Untier und den alten Erb- 
schatz, seit undenklichen Tagen im Ringsaal verschlossen: 
nun lag er im Lichte, von den Menschen bestaunt. Man 
lud ihn auf Wagen und schaffte ihn fort, den König aber 
trugen die Edlen zum Walfischfels. Dort schichteten sie 
einen mächtigen Holzstoß, behängten ihn mit Helmen und 
Brünnen und bunten Schilden, betteten klagend den König 
darauf und ließen mächtig den Brand aufflammen, brausende 
Lohe stieg mit dem Wehruf in die stille Luft, bis der Leib 
zerfiel. Dann wölbten sie den Hügel am Hange, hoch und 
breit und weithin sichtbar den Wogenfahrern. In zehn 
Tagen war das Werk vollendet. Was die Flammen ließen, 
umschlossen sie in dem Walle. In den Hügel legten sie Ringe 
und goldene Scheiben und Rüstungen, den ganzen Hort: die 
Erde nahm das rote Gold, dort mag es noch ruhen, den 
Menschen so nutzlos, wie es immer war. 

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Dann umritten den Hügel die Kampfhelden aus edlem 
Geschlecht, zwölf an der Zahl, sie sangen die Totenklage um 
den König und redeten ihm zum Preise. Sie rühmten laut 
sein Heldentum und seine Taten nach altem Brauch. Und 
rings klagten die Gautenkrieger, die Herdgenossen, ihres 
Herrn Ende und sprachen: „Nun fraß die Glut und schmolz 
die dunkle Lohe den Herrn der Krieger, ihn, der oft dem Eisen- 
schauer trotzte, wenn von den Strängen geschnellt der Sturm 
der Geschosse über den Schildwall fegte, der Schaft zum Ziel 
drang und der gefiederte Pfeil seine Bahn zog. Er war von 
den erdbeherrschenden Männern der mildeste und liebreichste, 
seinen Mannen der freundlichste und der lobbegierigste Held." 

HILDE 

33- NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG: HEDIN UND HILD 

Ein König mit Namen Högni herrschte im Norden. Er 
besaß eine Tochter, die Hild hieß. König Hedin, der Sohn 
Hjarrandis, raubte sie, als Högni zu einem Königsthing ge- 
fahren war. Als dieser erfuhr, daß in seinem Lande geheert 
worden und seine Tochter als Kriegsbeute fortgeführt sei, 
machte er sich mit seinen Mannen auf, den Hedin zu ver- 
folgen, der dem Ufer folgend nach Norden gesegelt war. In 
Norwegen aber mußte König Högni erfahren, daß der Räuber 
westwärts über das Meer gefahren sei. Er folgte ihm, und als 
er zu einer der Orkneys kam, welche die hohe Insel genannt 
wird, fand er dort Hedin mit den Seinen. Der sandte seinem 
Verfolger die Geraubte entgegen, damit sie durch ein köst- 
liches Halsband den Vater zum Vergleich bewege. Aber Hild 
war bösen Sinnes, begehrte den Kampf mehr als Frieden und 
wollte ihres Vaters Verderben. Trügerisch bot sie Högni das 
Kleinod, doch reizte sie zugleich durch Worte den Kampfzorn 
des Helden: Hedin sei zum Kampfe bereit und werde seinem 
Verfolger keine Schonung gönnen. Da wies der Vater den 
Vergleich zurück, schwichtigte die Wildheit der Seinen nicht 




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! 



mehr, sondern stachelte sie an. Hild aber brachte Hedin 
die Kunde, Högni weigere den gebotenen Frieden, er möge 
sich zum Kampfe bereiten. Darauf rüsteten sich beide 
Könige und gingen mit ihren Mannen auf die Insel. 

Nochmals rief Hedin seinen Gegner an, der ihm einst 
Freund und Blutsbruder war, bot ihm Frieden und viel Gold 
zur Buße. Högni aber sprach: ,,Zu spät botest du mir Frieden 
und Sühne, denn jetzt habe ich Dalnsleif, mein Schwert, 
aus der Scheide gezogen, und ist es gezogen, muß es einem 
Manne den Tod bringen: nie versagt sein Hieb, und keine 
Wunde heilt, die es schlägt." Da antwortete Hedin: „Deines 
Schwertes rühmst du dich, doch nicht des Sieges. Jedes 
Schwert nenne ich gut, das seinem Herrn die Treue hält." 
So begannen sie die Schlacht, die man das Unwetter der 
Hedininge nennt, und stritten ergrimmt den ganzen Tag. 
Am Abend war der Strand von Toten bedeckt. Keiner der 
Helden stand mehr, aufrecht, und die Schwertwunden ver- 
bluteten. Als aber die Nacht herabgesunken war, ging Hild 
auf die Walstatt und weckte mit ihrem Zaubergesang die 
Toten: da erhoben sich die Gefallenen zu neuem Kampfe, 
Hedin stritt wider Högni und jeder grollend wider seinen 
alten Gegner. 

So ging es einen Tag wie den andern: am tage lagen die 
Gefallenen und ihre Waffen zu Stein verwandelt am Ufer, 
nachts aber erhoben sie sich, gewannen Leben und erneuten 
die Schlacht. Und so, melden die Lieder, müssen die Hedi- 
ninge den Untergang der Götter ewig kämpfend erwarten. 

34- DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG: HETEL UND HILDE 

König Hetel herrschte über das mächtige Nordreich Hege- 
lingen, darin umschlossen waren Dänemark, Friesland, 
Dithmarsen, Wallis, Livland und Ostland. Viele reiche 
Gesippen waren ihm Untertan, denen er Burgen und Lande 
in seinem Reiche gegeben hatte: Wate, der alte Recke und 
sein Waffenmeister, herrschte über Sturmland, Horand der 

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Blühende, der Freund der Frauen und Meister des Gesanges, 
und Frute, der reichste an Schätzen und im Rate der Weiseste, 
walteten über die Dänenmark, Morung war über Livland, 
Irold über Ostland gesetzt. 

Dem Könige mangelte es nicht an Freunden, doch wurde 
ihm endlich leid, mit ihnen allein zu leben, und er beschloß, 
ein Weib zu nehmen. Man riet ihm, Hilde, die Tochter des 
wilden Königs Hagen, der über Irland herrschte, zu freien. 
Doch wußte die Mär zu melden, daß Hagen seine Tochter 
niemandem zum Weibe gönne und jeder Freier um sie das 
Leben lassen müsse. Horand widerriet die Werbung, Frute 
aber sprach: „Kannst du Wate den Alten zum Boten gewinnen, 
so gelänge es wohl, die Maid ins Land zu bringen." 

Man sandte nach Sturmland, Wate zu holen. Als er in 
Hetels Burg eingeritten war und den Plan vernommen hatte, 
brauste sein Zorn auf: „Wer dir das riet", sprach er zum 
Könige, „der wünschte meinen Tod. Seid ihr aber, Horand 
und Frute, so besorgt darum, daß ich Ehre gewinne, müßt 
ihr auch meine Genossen sein und die Mühsal teilen, die ihr 
mir zugedacht habt." Die beiden weigerten sich nicht. 
Frute riet, wie man sich zur Werbung rüste: ein prächtiges 
Schiff aus Zypressenholz, fest und gut, mit silbernen Spangen 
beschlagen, mit goldumwundenen Rudern und seidenschim- 
mernden Segeln, mit Ankern aus purem Silber und Seilen 
aus arabischer Seide hieß er den König richten und mit Kost- 
barkeiten den Bauch des Schiffes füllen: Spangen und Ringe, 
Gold und Edelgestein, wie sie reiche Kaufleute führen, auch 
Helme, Brünnen und Halsberge hieß er bereiten, damit man 
sie täuschend feilhalten könne an Hagens Hofe. Wate aber 
verachtete so niedere List, nichts wollte er von Kaufmann- 
schaft und Kostbarkeiten hören. Er kannte König Hagens 
grimme Kraft und ahnte, man werde schweren Kampf zu 
bestehen haben, wenn man um Hilde werbe. Darum riet er, 
das Schiff mit Brettern und Balken zu decken, damit man 
darunter die besten Recken wohlgerüstet zum Streite vor aller 

IS Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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Blicken hehlen könne. „Mögen Hör and und Frute", sprach 
er, „ihre Kleinode feilhalten und so die Frauen anlocken: 
ich aber will Hagen melden, wir seien geächtete Recken und 
mit Mühe der Verfolgung des Königs Hetel entronnen. Bieten 
wir dann noch reiche Geschenke, wird Hagen den Vertriebenen 
Frieden und Herberge gewähren." 

Den Winter über ließ Hetel alles bereiten, dessen die Recken 
zur Fahrt bedurften: das Prunkschiff mit reichem Inhalt, 
drei Lastschiffe für die Wegzehrung und die schön gezäumten 
Rosse. Als der Frühling nahte, rüsteten sich die Helden zur 
Reise. Hundert der besten Recken wurden im Schiffe ver- 
borgen, damit man zum Streite gerüstet sei, wenn die Listen 
fehlschlügen. Über die Recken gebot Wate. Frute, dem 
Kämmerer, lag die Sorge für alle Köstlichkeiten ob, mit 
denen man die Frauen in Irland gewinnen wollte. Auch 
Horand, Morung und Irold bestiegen das Schiff und vertrauten 
auf glückliche Heimkehr. 

Vor frischem Nordwind glitten die Schiffe dahin, sechsund- 
dreißig Tage währte die Meerfahrt, bis sie zu König Hagens 
Burg gelangten. Sobald sie Anker geworfen hatten, trugen 
sie ihre Waren auf den Strand und hielten sie den neugierigen 
Burgbewohnern feil. Frute stand in prächtigem Gewände 
als reicher Kaufmann mitten unter seinen Mannen. Wate 
aber wurde auf sein Begehren vor den Herrn des Landes 
gebracht und erbat den Frieden des grimmen Königs. „Sicher- 
heit und Frieden gewähre ich euch", sprach Hagen. Da 
brachten ihm die Recken kostbare Kleinodien, Ringe, goldene 
Spangen und edelsteinverzierten Putz zum Geschenke dar, 
glänzende Stoffe, Seide, Purpur und weiße Leinwand, dazu 
strahlende Waffen, goldgefaßte Schilde und zwölf kastilische 
Rosse. Als Horand mit so reichen Gaben bei Hofe erschien, 
wurde er vom Könige mit hoher Gunst empfangen. Auf 
die Frage, woher die Gäste kämen, erwiderte er: „Wir be- 
sitzen daheim Land und Burgen, doch nun sind wir von 
unserem Erbe vertrieben als die Opfer des Unmuts eines 



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mächtigen Königs." — „Wer ist es", fragte Hagen, „der euch 
ächtete und von Land und Burgen trieb?" Horand sprach: 
„Hetel von Hegelingen." Hagen bot den Recken reichen 
Ersatz für alles, was Hetel ihnen genommen habe, wenn sie 
bei ihm bleiben wollten, Land und Leute versprach er ihnen 
zu geben. In der Stadt gab er ihnen die besten Häuser zur 
Herberge und bat sie, sein Brot und seinen Wein zu genießen, 
bis er ihnen die versprochenen Lehen zuteile. Das aber wiesen 
sie ab, denn reicher seien sie, als er sie zu machen vermöge. 

Nun brachte man die Ladung der Schiffe zur Stadt, und 
Frute ließ die Warenzelte aufschlagen. Nie kaufte man dort 
so wohlfeil Steine und goldenes Geschmeide. Wer aber ohne 
Kauf eine Gabe begehrte, dem gewährte man sie freundlich. 

Der Ruf solcher Freigebigkeit drang auch zu Hilde. Sie 
bat ihren Vater, er möge die Gäste zu Hofe fordern, damit 
sie die Hochgemuten kennen lerne. Gern willfahrte Hagen 
der Bitte. Prunkvoll gekleidet erschienen die Recken am 
Hofe, nie sah man zu Irland so prachtvolle Mäntel als die 
Hegelinge trugen: mit Gold und Gestein waren die Gewänder 
übersät. Hagen und die Königin empfingen die Hochgemuten 
mit freundlichem Gruße. Den Frauen hatte der Ruf gemeldet, 
wie grimmig Wate, der alte Recke, mit wallendem Bart und 
golddurchflochtenem Grauhaar einherschreite. Nun scherzte 
die schöne Jungfrau mit dem trotzigen Unfreund der Frauen, 
und die Königin bat ihn, im Lande zu bleiben und die Ächtung 
zu verschmerzen. Doch stolz verschmähte von fremden Fürsten 
Lehen zu verdienen, der einst selber Landbeherrscher war. 

Mit Brettspiel und Waffenwerk und Scherzen der Frauen 
vergingen den Gästen am Hofe die Tage. Hagen selbst ver- 
suchte sich im Kampfspiel mit Wate, doch bald geriet er vor 
ihm in Not und mußte des Recken Meisterschaft erkennen. 

Eines Abends ließ Horand so süßen Gesang ertönen, daß 
die Vögel auf dem Burghofe ihr Lied vergaßen. Die Tiere 
im Walde ließen ihre Weide stehen, das Gewürm im Grase 
und die Fische in der Flut, hielten an auf ihrem Weg. Neben 

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diesen Tönen verloren die Glocken ihren Klang, Kranke ge- 
nasen und Trauernden schwand Sorge und Leid. 

Auch Hilde hatte den süßen Sang vernommen und wünschte, 
den Sänger mehr zu hören. Sie sandte nach ihm, ließ ihn 
heimlich in ihr Gemach kommen und bat ihn zu singen. 
Da stimmte er eine Weise an, die noch nie zuvor ein Mensch 
gehört hatte. Auf der wilden Flut hatte er sie einst von 
Meerfrauen gelernt. Voll Entzücken bot die Jungfrau dem 
Geächteten Schutz und Schirm und was sein Wunsch begehre, 
wenn er bei ihr bleibe, daß sie täglich solchen Gesang hören 
könne. Horand aber sprach: | „Nichts will ich von allem, 
was ihr mir bieten mögt, nur um euren Gürtel bitte ich euch, 
daß ich ihn meinem Herrn zum Zeichen eurer Huld bringe:; 
so wird er seines Zornes wider mich vergessen." 1 Sie sprach: L 
„Wer ist denn dein Herr? Und trägt er in einem Lande 
die Krone?' 4 4- „Verriete uns niemand", sprach Horand, 
so will ich euch sagen, mit welcher Botschaft mich mein 
Herr um euretwillen hergesandt hat . . So hört denn: Zu 
euch trägt sein Herz Minne, und euch allein begehrt er von 
allen Frauen." Hilde erwiderte: „Gern wollte ich dir von 
hinnen folgen und deinem Herrn lohnen, daß er nach meiner 
Minne begehrt, dürfte ich es nur vor meinem Vater wagen." 
Doch Horand sprach: „In Bälde nehmen wir Urlaub. Dann 
bittet Hagen, daß er euch und eurer Mutter gewähre, unsere 
Schiffe und ihre kostbare Fracht zu schauen." Das versprach 
Hilde, und Horand wurde heimlich und unvermerkt aus der 
Kemenate in die Herberge zurückgebracht. 

Voll Freude meldete er den Recken, daß Hilde König Hetel 
liebe und ihnen zu folgen gewillt sei, und sie berieten den Plan 
der Entführung. 

Am vierten Morgen begehrten die Recken Urlaub von König 
Hagen. Ungern sah er sie scheiden, doch Wate sprach: 
„König Hetel hat nach uns gesandt, er bietet uns Sühne, 
darum eilen wir von hinnen. Nur um eines bitten wir, ehe 
wir dein Land räumen: daß du an das Gestade kommst, die 

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Schiffe und ihre reiche Zurüstung zu schauen. Auch deine 
schöne Tochter und die Königin sollen dich begleiten. Das 
ist uns höhere Ehre als all deine Gaben, die wir nicht begehren." 
Gern sagte Hagen das zu. 

Am nächsten Morgen begab er sich mit den Frauen zum 
Strande hinab. Während der König dort noch die aus- 
gelegten Waren und Kostbarkeiten besichtigte, war Hilde 
auf das Schiff gestiegen, die Kleinode zu betrachten, die 
Frute da zur Schau gestellt hatte. Da flogen im Augenblick 
die Anker vom Grunde, die Mannen, die im Schiffe verborgen 
gelegen hatten, sprangen auf und die Segel wurden gehißt. 

In wilden Zorn brach Hagen aus, als er die Gewaffneten 
sah. Tobend rief er nach seiner Gerstange. Doch nichts 
half es, daß seine Mannen das Schiff mit Speeren überschüt- 
teten: unaufhaltsam enteilte es dem Gestade, und als Hagen 
den Scharen, die am Ufer standen, befahl, die Schiffe zu 
besteigen, um den Flüchtigen nachzusetzen, fanden sie die 
Kiele durchbohrt und leck. 

Als die dänischen Recken an König Hetels Küste gelandet 
waren, sandten sie ihrem Herrn die Kunde, daß sie König 
Hagens Tochter ins Land brächten. Er eilte fröhlich mit 
großer Gefolgschaft ans Meer hinab, der Braut prächtigen 
Empfang zu bereiten. Für die wassermüden Frauen wurden 
Zelte gespannt, und nachdem die Recken ihrem Herrn die 
schöne Hilde zugeführt hatten, wurde das glückliche Ende 
der Fahrt mit festlichem Mahle und Kampfspielen am Meeres- 
strande gefeiert. 

Noch hatte man das Lager am Strande nicht geräumt, 
noch saßen nach süßem Schlummer Hilde und ihre Frauen 
auf lichten Blumen unter seidenem Gezelt, da tönte Morungs 
Ruf: „Ich sehe Schiffe und in den Segeln Hagens Wappen. 
Wachet auf! Zu lange haben wir geschlafen." 

Mit vielen Recken war der grimme Hagen den Entführern 
seiner Tochter nachgeeilt. Wate barg die Jungfrau mit 
ihrem Gefolge auf einem Schiff am Ufer, während sich Hetels 

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Mannen eilends wappneten. Zwischen den nahenden Schiffen 
und den Hegelingen am Ufer entspann sich ein Speerkampf, 
doch Hagen, unfähig seinen Zorn zu bemeistern, sprang aus 
dem Schiff in die Flut und stapfte, von Pfeilen wie von Flocken 
eines Schneesturmes umtanzt, durch das Wasser zum Ufer. 
Dort begann eine wilde Schlacht. Hetel an der Spitze seiner 
Mannen traf auf Hagen und empfing von ihm in schwerem 
Kampfe eine Wunde. Wate aber drang durch das Getümmel 
zu seinem Herrn und schied die Kämpfenden. Gleich lohen 
Bränden stob das Feuer aus den Helmen, als Hagen und der 
alte Held aus Sturmland aufeinander eindrangen. Nach 
langem Kampfe traf Wate mit gewaltigem Hieb des Königs 
Helm, daß er zerbrach und dem Getroffenen fast die Sinne 
schwanden. Da rief Hilde jammernd den Geliebten an, daß 
er ihren Vater aus der Hand des grauen Recken rette. Hetel 
drang zu Hagen vor und rief ihm zu: „Bei deiner Ehre be- 
schwöre ich dich: endige Streit und Haß!" Hagen sprach: 
,,Wer heißt mich den Kampf scheiden?" — „Ich bin es, der 
Hegelingenfürst", sprach Hetel und sprang zwischen die 
Kämpfenden. Widerstrebend trennten sich die Gegner. 
Dann band Hetel den Helm ab, und man rief Friede über das 
Land. Wate, in der Heilkunst erfahren, half den Schwert- 
wunden. Zagend trat Hilde zu ihrem Vater, um ihn mit König 
Hetel zu versöhnen. Da schwand dem Grimmen der Groll, 
und er fuhr mit Hetel heim in seine Burg. Hilde ward mit 
der Krone geschmückt und dem jungen Könige vermählt. 
Hagen aber, als er die Macht und den Reichtum des Hege- 
lingenfürsten sah, fuhr versöhnt in sein Land. 



König Hetel von Hegelingen gewann von Hilde zwei Kinder, 
Gudrun und Ortwin. Als die Tochter heranwuchs, wurde sie 
schöner als ihre Mutter je gewesen war. Im Dänenland bei 
Horand wurde sie erzogen, bis sie eine Jungfrau geworden 



35. GUDRUN 



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war. Da warben viel mächtige Fürsten um ihre Liebe. Allen 
aber versagte Hetel die Tochter. 

In der Normandie herrschte König Hartmut. Zu ihm 
drang der Ruf von Gudruns Schöne, und seine Mutter Gerlind 
riet ihm, um die Hegelingenmaid zu werben. Ungern ver- 
nahm Ludwig, Hartmuts Vater, den Plan: „Übermütig sind 
ihre Magen", sprach er, „und wir werden Schande erben." 
Hartmut aber wollte nicht ruhen, bis er die Maid gewönne. 
Er sandte sechzig seiner Mannen mit Briefen zu Hetel, der 
sie freundlich empfing. Als er aber vernommen hatte, daß 
sie um Gudrun würben, rief er: „Nur daß Horand euch ins 
Land geleitet hat, schützt euch vor schwerem Schaden. Mich 
und Frau Hilde verdrießt eure Botschaft sehr." Und Hilde 
fügte hinzu: „Nie kann Hartmut unsere Tochter gewinnen. 
Mag er sich ein Weib suchen, das seinem Heerschild ent- 
spricht." Unmutig zogen die Boten heim, Hartmut aber 
sprach voll Grimm, als er die Kunde vernahm: „Nimmer will 
ich ohne Gudrun leben." 

Bald darauf warb König Herwig von Seeland um Gudruns 
Hand. Auch ihm wurde die Maid versagt, und er gewann 
von Hetel und seinem Weibe nichts als Hoffahrt und Ver- 
achtung. Da übermannte ihn der Zorn. Er sammelte seine 
Mannen und Freunde um sich, fiel in das Hegelingenland ein 
und stand eines Morgens unerwartet mit seinem Heer vor König 
Hetels Burg. Schnell sprangen die Hegelingen vom Lager und 
der Kampf begann. Hetel selbst kämpfte an ihrer Spitze, 
während die Frauen durch das Fenster dem Streite zuschauten. 
Bald aber geriet Hetel durch Herwigs Kampfzorn in schwere 
Not. Er wurde mit seinen Mannen in die Burg zurück- 
getrieben, und die Angreifer folgten durch das Tor. 

Gudrun hatte voll Bewunderung die heldenhafte Kraft 
und den Mut Herwigs im Kampfe gewahrt. Als sie nun ihren 
Vater unter seinen sprühenden Schwerthieben erliegen und 
die Hegelingen um ihn her fallen sah, rief sie: "Hetel, mein 
Vater, schon sind die Mauern vom Kampfblute rot. Um 

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meinetwillen laßt eine Weile die Waffen ruhen, damit ich 
euern Streit scheide." Ihrer Bitte willfahrten die Gegner. 
Vor die Maid hintretend, sprach Herwig: „Mir ist gesagt, 
verächtlich sei ich euch um meines geringen Geschlechtes 
willen." — »»Wie könnte ein Weib", sprach Gudrun, „einen 
Helden wie dich verachten. Holder war dir nie eine Maid 
als ich. Gönnten es mir, meine Freunde, gern wollte ich dir 
gehören." Da willigten auch Hetel und Hilde ein, dem 
Helden ihre Tochter zu geben, und der Bund wurde gefestet. 
Aber kaum war der Friede geschlossen, als Boten meldeten, 
daß ein starker Feind mit Sengen und Brennen in Herwigs 
Land eingefallen sei und die Seinen hart bedränge. Da bat 
Herwig die Hegelinge, zur Hilfe mit ihm zu ziehen, und 
Hetel entbot seine kampferprobten Mannen und zog mit Wate, 
Hör and und all seinem Heerbann gegen den neuen Feind. 
In drei Heerschlachten wurde der Eindringling geschlagen, 
in eine Veste geworfen und dort von Herwig und den Hege- 
lingen belagert. 

Hartmut von der Normandie hatte die Demütigung nicht 
vergessen, die er vom König Hetel erfahren hatte. Als seine 
Späher ihm meldeten, daß das Hegelingenland von Mannen 
entblößt und Hetel auf Heerfahrt sei, beschloß er, sich zu 
rächen. Gerlind reizte ihn und König Ludwig zu schneller 
Tat. Mit großem Heerbann fuhren Ludwig und Hartmut 
über See und landeten heimlich an König Hetels Küste. 
Ehe sie aber zum Angriff auf die Burg schritten, sandten 
sie Boten an Hilde, um sie zu bewegen, ohne Kampf in den 
Bund Hartmuts mit Gudrun zu willigen. Er habe sich ver- 
schworen, das ließ er den Frauen sagen, nicht ohne die 
Jungfrau heimzukehren, und koste es ihm zwanzigtausend 
Krieger. Auf solche Botschaft erwiderte Gudrun: „Nie werde 
ich Hartmuts Weib. Herwig bin ich durch Eide ver- 
sprochen, ihn wählte ich zum Manne, und keinem andern 
werde ich je gehören." Hartmuts Drohung aber verlachte 
sie höhnisch. 

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Als dieser Gudruns stolze Antwort erfuhr, rief er: „Weh 
meiner Schande! Nun helft mir streiten, meine Freunde!" 
Voll Zorn führte er das Heer gegen die Burg. Grimmiger 
Kampf begann, die Bürger und Mannen, die zur Landwacht 
geblieben waren, wollten ihre Herrin schützen. Doch die 
Zahl der Friedebrecher war zu groß, und bald drangen sie 
in die Burg ein. Hartmut trat vor Gudrun hin und sprach: 
„Edle, stets habt ihr mich verachtet, nun müßten auch wir 
verschmähen, hier Gefangene zu machen, alle müßten wir 
schlagen oder hängen. " Gudrun aber sprach kein Wort als 
dies: „Weh mir, mein Vater! Wüßtest du, daß man deine 
Tochter gewaltsam aus dem Lande führte, mir armen 
Königin geschähe weder Schade noch Schande/' 

Das Land wurde geplündert und verheert, die Burg aber 
gebrochen, Gudrun mit ihrer Gespielin Hildeburg und zahl- 
reichen Jungfrauen hinweggeführt. Eilig verließ dann Hart- 
mut mit der Beute und den Geiseln das Land. Hilde, die 
Königin, blieb allein und trauernd zurück. Eilige Boten 
sandte sie an Hetel mit der schlimmen Kunde, die sprachen: 
„Daheim liegen deine Ritter tot, Hartmut fing deine Tochter 
und führte sie hinweg, voll Hochmut fährt Ludwig mit reicher 
Beute heim, tausend oder mehr liegen vor der Burg jämmerlich 
erschlagen." 

Als Hetel diese Botschaft empfing, schloß er auf Wates 
Rat mit den Belagerten Frieden und begab sich mit Herwig 
und all seinen Mannen auf das Meer zur Verfolgung der Räuber. 

Weit von Hetels Burg, auf einem öden Strande, den man 
den Wülpensand nennt, hatten Hartmut und die Seinen sich 
gelagert, um von langer Meer fahrt zu ruhen. Hier fürchteten 
sie keine Verfolger mehr, darum wollten sie sieben Tage 
lang in dem wilden Hafen verweilen. Eines Morgens aber 
sahen sie auf den Wogen Schiffe nahen, und bald erkannten 
sie die Verfolger. Nun begann ein wilder Kampf auf dem 
grauen Strande und in den Wogen der Brandung. Die Hege- 
linge drangen auf das Land, wie sehr auch Hartmuts Mannen 

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es ihnen mit Speerschüssen zu wehren suchten. Bis zu den 
Achseln gingen Herwig die Wogen, als er vom Schiffe ans 
Ufer sprang, und ab der Schwertkampf am Strande begann, 
färbte sich das Wasser so weit hin rot, daß niemand den Blut- 
see mit seinem Speer Überschossen hätte. Unter wütendem 
Streiten verrann der Tag, der Abend sank, und noch war 
der Kampf nicht entschieden. Schon begannen die von der 
Normandie zu wanken, als Ludwig plötzlich auf König Hetel 
eindrang und ihm die Todeswunde schlug. Laut jammerte 
Gudrun, als sie den Vater fallen sah, Wate aber stieß ein 
Gebrüll aus wie ein wütender Stier, unter seinen Schlägen 
leuchteten die zerhauenen Helme wie ein Abendrot. Schreck- 
lich rächten die Hegelinge ihres Königs Fall, bis die Dunkel- 
heit die Streiter trennte und Freund und Feind sich nicht 
mehr unterschieden. Nahe beieinander legten sich die kampfes- 
müden Gegner zur Ruhe. 

Im Lager der Normannen berieten sich Ludwig und Hart- 
mut, wie man dem Wüten Wates entrinnen könne. Der Alte 
riet, die Hegelinge durch Wachtfeuer und Lagerlärm zu 
täuschen, im Dunkel der Nacht heimlich und verstohlen die 
Schiffe zu besteigen und mit den Jungfrauen zu entfliehen. 
Also geschah es. Als am frühen Morgen Wate das Heerhorn 
gewaltig gellen ließ und die Hetelsmannen zum feindlichen 
Lager eilten, fanden sie es leer, nur rings den Strand von 
Waffen und Sturmtoten übersät. Laut klagten da Wate und 
Ortwin, daß sie des Königs Tod nicht an Ludwig gerächt 
hätten. Ohne Säumen wollten sie den Flüchtigen nachsetzen, 
doch Frute sprach: „Schon sind sie dreißig Meilen von hinnen. 
Wir holen ihre flinken Schiffe nicht ein. Auch gebricht 
es uns an Mannschaft für einen Kampf im Lande des Feindes 
selbst." In ohnmächtigem Zorn standen die Helden und 
klagten. Die ihre junge Königin verloren hatten, mußten 
nun noch ihres Königs Tod Frau Hilde melden. Sie bestatte- 
ten ihre Toten und segelten traurig heim vom Wülpensande. 
Wate allein mit wenigen Mannen ritt voll Zagen zu Hilde, 



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ihr die Botschaft zu bringen. Die brach in Jammer aus, als 
sie vernahm, daß sie nun auch noch ihren Herrn verloren 
habe. Wate aber sprach: „Herrin, laßt das Klagen! Sind 
erst schwertmäßige Krieger, die jetzt in unserm Lande Waisen 
sind, so vergelten wir Ludwig und Hartmut ihre Tat." Da 
rief Hilde: „Das lasse mich Gott erleben! Alles, was ich habe, 
will ich drangeben, daß mir Rache wird und ich meine Tochter 
wiedersehe." Im Rate der Hegelingenhelden wurde be- 
schlossen, das Heranwachsen der jungen Mannschaft zu 
erwarten und unterdessen fleißig den Rachezug zu rüsten. 

Als Hartmut mit seiner Schar der Heimat nahte und man 
die Königsburg ragen sah, sprach Ludwig zur Gefangenen: 
„Herrin, seht ihr die Burg? Seid fröhlich, reiche Lande sind 
euer, wenn ihr uns eure Gunst schenkt." Doch traurig 
sprach die Maid: „Von aller Gunst bin ich geschieden. Doch 
ehe ich mich Hartmut ergebe, will ich lieber sterben." 

Fröhlich und prächtig empfing Gerlind die Heimkehrenden, 
freundlich wollte sie Gudrun nahen. Doch die weigerte ihr 
Kuß und Umarmung und sprach: „Eurem Rate danke ich 
arme Maid all mein Leid und meine Schande." Lange 
dachte die Böse durch Güte die Gunst der Fremden zu er- 
ringen und sie zu bewegen, ihres Sohnes Weib zu werden. 
Sie Heß sie gleich einer Königin pflegen, und alle dienten ihr 
voll Eifer. Doch Gudrun blieb bei ihrem Weigern und sprach 
zu Gerlind: „Wie wäre euch, Herrin, wenn man euch zwänge, 
den zum Manne zu nehmen, durch dessen Schuld eure näch- 
sten Gesippen starben? Nimmer will ich eure Krone tragen, 
nichts sinne ich, als euch zu verlassen." 

Da bat Gerlind ihren Sohn, er möge die Trotzige ihr über- 
lassen, denn sie getraue sich, ihren Hochmut zu brechen. 
Das ließ Hartmut geschehen, doch bat er seine Mutter, sie 
gütlich zu lehren. „Tut nach ihrer und eurer Ehre", sprach 
er. Aber schlimme Lehre hatte Gerlind der Verlassenen zu- 
gedacht. Sie sprach zu ihr: „Willst du nicht Freude haben, 
so soll dir Leid werden" und befahl ihr, die Kammer zu heizen 

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und die Brände zu schüren. Gudrun erwiderte: „Ich muß 
deinen Willen tun, hat auch noch nie meiner Mutter Kind die 
Brände geschürt." — „So mußt du beginnen", sprach Gerlind, 
,,was andere Königinnen noch nicht taten. Ich will deine 
Hof fahrt brechen und dich von allen hohen Dingen scheiden." 

Die edlen Jungfrauen, die mit Gudrun geraubt worden 
waren, teilten das Schicksal ihrer Herrin, und die einst Gold 
und Edelgestein in Seide wirkten, mußten nun Garn winden, 
Flachs hecheln und Wasser tragen. Gudrun aber peinigte 
die schlimme Königin mit immer härteren Fronden. Nur 
Ortrun, Hartmuts Schwester, sah mit tiefem Schmerze die 
Leiden der Heimatlosen und suchte sie nach Kräften zu 
lindern. Aber nicht Gerlinds Härte noch Ortruns Güte 
konnten sie bewegen, des Feindes Krone zu tragen und ihr 
Leid zu vergessen. Sie sprach: „Laßt mich weiter Magddienste 
tun. Da Gott mein vergessen hat, will ich alles gern leiden." 

Da ließ endlich im neunten Jahre auch Hartmut seiner 
Mutter den Willen, und nun ersann die alte Wölfin für Gudrun 
die schlimmste und entehrendste Plage und sprach: „Täglich 
sollst du mein Linnen zum Strande hinabtragen und für mich 
und mein Gesinde waschen. Hüte dich, daß man dich nicht 
müßig findet." Auch das ertrug die Königstochter in stolzer 
Geduld, und Hildeburg, die edelste aus der Schar der ge- 
fangenen Jungfrauen, wusch mit ihr am Strande. Sie standen 
auf dem Schnee, von kalten Winden umweht und teilten alles 
Leid. Sie schliefen zusammen auf hartem Lager in rauhen 
Hemden, und ihre Speise war trockenes Brot und Quellwasser. 

Wieder waren fünf Jahre vergangen, da war im Hegelingen- 
lande die Jugend herangewachsen. Um Mittwinter besandte 
Frau Hilde ihre Mannen, Wate, Horand und alle bewährten 
Recken, auch Herwig und ihrem Sohne Ortwin ließ sie sagen, 
Schiffe und Mannschaft seien zum Rachezuge bereit. Eilig 
versammelten sich die Helden, bestiegen mit ihren Mannen 
die Schiffe und fuhren hinaus auf das winterliche Meer. 
Nach schwerer Seefahrt kamen sie zu Hartmuts Reich und 

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bargen sich an felsiger und waldbekrönter Küste. Während das 
Heer am Strande von langer Meerfahrt ruhte, machten sich 
Herwig und Ortwin auf, um zu erkunden, ob Gudrun noch lebe. 

An einem frühen Morgen im Marz erhoben sich beim ersten 
Lichte Gudrun und Hildeburg von ihrem harten Lager und 
gingen barfuß — denn Schuhe zu tragen verwehrte ihnen 
die grimme Wölfin — durch den frischgefallenen Schnee 
zum Ufer, um Leinen zu waschen. Sehnsüchtig und vor 
Kälte zitternd blickten sie über die weite Flut. Da nahten 
in einer Barke zwei Männer: Herwig und Ortwin auf ihrer 
Kundschaft. Scham ergriff die armen edlen Wäscherinnen, 
durch ihre triefenden Hemden schien ihr weißer Leib, und 
ihre wirren Haare wehten im Märzwind und Nachwinter- 
schnee. Sie wollten sich vom Ufer hinwegwenden, doch die 
Kundschafter riefen:' „Ihr schönen Wäscherinnen, warum 
enteilt ihr? Sagt uns doch, wessen Linnen ihr wascht,] und 
wer so erbarmungslos ist, daß er euch kaum bekleidet im 
eisigen Wasser waschen läßt. Eure Schönheit ist eine Krone 
wert. Bei aller Frauen Ehre, kehrt euch um!" Vor so freund- 
licher Beschwörung überwanden die Mädchen ihre Scham 
und gaben Kunde, wessen Land und Burg sei, und daß sie 
von zahlreichen Recken gehütet werde. Obwohl Gudrun im 
Gespräche ahnte, wer vor ihnen stehe, versuchte sie die beiden 
doch mit versteckter Rede, bis Ortwin nach der geraubten 
Schwester fragte. Diese erwiderte, sie erinnere sich wohl, 
daß vor einigen Jahren eine fremde Jungfrau mit Namen 
Gudrun ins Land gekommen, aber längst vor Gram gestorben 
sei. Erst als darauf die Recken in Klagen und Tränen aus- 
brachen, gab sie sich ihnen zu erkennen. Die Ringe, die 
Gudrun und Herwig an den Händen trugen, bannten den 
letzten Zweifel, und voll Freude umschlossen und küßten 
sich die Langgetrennten. Herwig wollte die Braut mit sich 
zu den Schiffen führen, Ortwin aber sprach: „Nie will ich 
mich in Feindesland ängstlich verbergen. Die man mir 
im Sturm entriß, will ich meinen Feinden nicht stehlen." 

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Unwillig bat Gudrun, sie nicht länger in der Gewalt ihrer 
Feinde zu lassen, doch Ortwin beharrte auf seinem Willen: 
nicht seine Schwester allein, auch die anderen Gefangenen] 
wolle er ihrem schlimmen Geschick entreißen. Er befahl der 
Schwester, seine Ankunft klug zu verhehlen und versprach, 
ihr beim Scheiden, ehe der Morgen scheine, werde er mit 
seinem Heere vor der Burg stehen. , 

Schnell ruderten die Recken davon. Gudrun und Hildeburg 
jammerten laut, und so lange die Stimme hallte, riefen Gudrun 
und Herwig einander sehnende Klagen zu, dann folgten die 
Augen den Scheidenden, bis sie dem Blick entschwanden. 
Hildeburg raffte ängstlich das Linnen auf, aber Gudrun 
sprach :! „Nie wieder will ich für Gerlind waschen. Mir ziemt 
kein gemeiner Dienst mehr, denn mich küßten heute zwei 
Könige und schlössen mich in ihre Arme."; Zornig warf sie 
das Linnen ins Meer und ging ledig mit Hildeburg zur Burg 
zurück. 

Spät am Abend erst langten sie an. Mit giftigen Reden 
wurden sie von Gerlind empfangen. „Wo hast du mein 
Linnen?" rief sie. Und Gudrun sprach: „Ich ließ es am 
Gestade, zu schwer war es mir. Nicht kümmert mich, was 
daraus wird." Da hieß Gerlind sie an den Bettpfosten binden 
und mit dornigen Ruten streichen. Doch die Maid sprach 
mit geheimem Doppelsinn: „Erlaßt ihr mir das nicht, so 
wird euch einst bitter vergolten, wenn ich die Krone trage. 
Wollt ihr es mir erlassen, so will ich dessen Weib werden, 
dem ich bestimmt bin und will als Königin in der Normandie 
herrschen." Da ließ Gerlind von ihrem Zorn ab. Sie ließ 
Hartmut rufen und melden, endlich wolle die Maid ihm ge- 
hören. Er eilte herbei, als er aber Gudrun in seine Arme 
schließen wollte, wehrte sie es ihm und sprach: „Noch bin 
ich die arme Wäscherin. Nicht eher sollt ihr mich umfangen, 
als bis ich unter der Krone stehe." Hartmut befahl, ihr jeden 
Wunsch zu erfüllen. Da hieß sie alle Genossinnen herbei- 
holen, für alle Bäder bereiten und köstliche Gewänder bringen, 

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ließ weiche Lager in einem reichen Gemache aufschlagen 
und Wein und Met bringen. 

Ortrun, Hartmuts Schwester, die allein in all der Zeit voll 
Mitleid das Los der Gefangenen zu lindern gesucht hatte, 
hielt freudevoll die schöne Gudrun umschlungen, während 
Schenken und Truchsesse für ein reiches Mahl sorgten. Als 
aber eine der Hegelingenmaide traurig klagte, daß sie nun 
immer fern der Heimat in der Gewalt der Entführer bleiben 
müßten, da lachte Gudrun grell auf, und das war seit vierzehn 
Jahren ihr erstes Lachen. Als Gerlind es hörte, sprach sie 
zu Hartmut: „Mein Sohn, mir ahnt, dies Lachen bringt unser 
Land und uns alle in schwere Not." Doch Hartmut besorgte 
kein Unheil mehr. 

Im Schlaf gemach sprach Gudrun zu ihren Jungfrauen: 
„Seid froh nach eurem Leide, morgen werdet ihr schauen, 
wonach ihr begehrt. Heute habe ich Herwig und Ortwin geküßt. 
Wer mir zuerst den Morgen kündet, den will ich vor allen 
reich machen. " Da legten sie sich frohen Mutes schlafen. 

Beim Aufgang des Morgensternes trat eine der Jungfrauen 
an das Fenster, nach dem ersten Tagesgrauen zu spähen. 
Da sah sie gegen den Spiegel des Meeres hin lichte Helme 
und Schilde und das ganze Gefild von Waffen lohen und auf 
dem Meere eine Schar von Segeln. | Schnell weckte sie die 
Herrin, die sprang vom Lager und sah die Burg umlagert 
von ihren Freunden,] die über Nacht gekommen waren, um 
das Linnen rot zu färben, das ihre Hand weiß gewaschen 
hatte. Bald rief auch der Burgwächter zu den Waffen. 
Voll Schrecken sprangen die Königin und die beiden Könige 
auf, und Gerlind rief Ludwig zu: „Nun werden deine Recken 
Gudruns Lachen teuer entgelten!" Schnell erkannte Hart- 
mut, wer vor der Burg lagerte. Er weckte seine Mannen, 
um vor den Toren der Burg dem Gegner in offenem Kampfe 
zu begegnen. Das widerriet Ger lind: man solle die Angreifer 
in der Burg erwarten, zu stark und ergrimmt seien die Hege- 
linge, doch würden sie die feste Burg nicht bezwingen. Aber 




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Hartmut wies alles Zagen von sich. Lieber wollte er draußen den 
Hegelingen erliegen als sich feige in der Burg verschließen. Er 
ließ die vier Burgtore öffnen und ritt mit seinen Mannen hinaus. 

Da erdröhnte Wates Heerhorn gewaltig über das Feld hin, 
die Hegelinge sprangen auf und scharten sich um das Banner. 
Zum zweiten Male dröhnte das Horn, und die Recken saßen 
im Sattel. Dann brüllte es zum dritten Male mit solcher 
Kraft, daß Strand und Meer erbebten und die Steine aus der 
Burgmauer fielen. Das war das Zeichen zum Sturm :]Horand 
trug das Banner wider Hartmuts Mannen. 

Auf der Burgzinne stand Gudrun mit ihren Frauen, als 
die Heere aufeinander stießen. Wie ein Kaiser brüstete sich 
Hartmut vor seiner Schar. Als Ortwin den Räuber seiner 
Schwester sah, erwachte sein Zorn, beide rannten mit den 
Speeren einander an, daß die Rosse in die Knie brachen.! 
Doch Hartmut schlug Ortwin durch den Helm eine Wunde. | 
Als das Horand sah, drang er auf den Normannenkönig ein, 
doch vermochte er ihn nicht zu bestehen und empfing von 
ihm eine schwere Wunde, daß er aus der Schlacht weichen 
mußte. Mit starker Schar drang Herwig gegen Ludwig vor, 
doch im Kampfe mit dem alten Recken drohte er zu Boden 
zu fallen und wurde nur durch seine Mannen aus Ludwigs 
Hand errettet. Schnell blickte er zur Zinne, ob Gudrun seine 
Bedrängnis gesehen habe: „Sah sie wie mich der Graubart 
niederschlug, immer müßte ich mich schämen." ! Wieder 
rannte er Ludwig an, und nun traf er ihn zwischen Helm 
und Schildesrand, daß ihm das Haupt von der Achsel sprang. ; 
Verwirrt vom Angstgeschrei der Weiber wollte Hartmut mit 
den Seinen in die Burg zurückkehren. Doch am Tor trat 
ihm Wate entgegen. Da auch die andern Tore schon von 
Hegelingenhelden besetzt waren, rannte er den alten Kämpen 
an, doch geriet er durch seine Riesenkraft bald in arge Not. 
Da flehte Ortrun zu Gudrun, daß sie ihren Bruder aus der 
Hand des grimmen Alten rette. Der erwiesenen Treue der 
schwesterlichen Feindin gedenkend, rief Gudrun Herwig zu, 

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er möge den Streit zwischen Wate und Hartmut scheiden, j 
Dieser harte Dienst, den Herwig der Geliebten tat, trug ihm 
bittere Worte von Wate ein: | „Wollt ihr, daß ich den Frevler 
um Frauenwort schone?"] rief er und ließ sein Schwert ge- 
waltig auf Herwig niederfallen, als er zwischen die Kämpfenden 
sprang und sie trennte. Hartmut ward mit allen seinen 
Mannen gefangen und gebunden zu den Schiffen geführt. 

Wate aber brach tobend in die Burg ein. j Drinnen zer- 
trümmerte er alle Riegel, [raste durch die Gemächer und hieb 
nieder, wen er fand. ; Selbst der Kinder in der Wiege schonte 
der Wüterich nicht, [damit sie nicht zu Rächern ihrer Eltern 
erwüchsen. Mit knirschenden Zähnen und feuersprühenden 
Augen, den ellenbreiten Bart und alles Gewand von Blut 
beronnen, stand der riesige Kämpe vor Gudrun, in deren 
Schutz die normannischen Frauen und Recken sich geflüchtet 
hatten. Auch Gerlind kam herbei, von Gudrun Schutz vor 
Wate zu erflehen. Ihr allein versagte ihn die Jungfrau, und 
als die alte Wölfin sich dennoch unter die Frauen mischen 
wollte, zog Wate sie mit den Worten: „Euch soll meine Herrin 
kein Linnen mehr waschen", hervor und hieb ihr das Haupt ab. 

Damit hatte das Blutbad ein Ende. Wate und Frute aber 
durchzogen heerend das Land, brachen die Burgen und mach- 
ten reiche Beute. Während Horand mit tausend Recken 
zurückblieb als Fronherr des Landes, fuhren die übrigen mit 
den Geiseln ins Hegelingenland zurück. Dort empfing Frau 
Hilde voll Freude die siegreiche Schar, und jubelnd, daß ihrer 
Rache nun Genüge geschehen, umarmte sie die gerettete 
Tochter. Auf Gudruns Bitten nahm sie auch Hartmut gnädig 
auf und vergaß ihres Hasses. Als Gudrun Herwigs Weib 
wurde, vermählte sich auch Ortwin mit Ortrun und Hartmut 
mit Hildeburg, damit die Versöhnung befestigt und neuer 
Haß beschwichtigt werde. 



16 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

241 



VIII. DÄNEN UND JÜTEN 

DIE SKJÖLDUNGE 
36. SKJÖLD 

In ferner Vorzeit lebten die Dänen lange Zeit herrscherlos 
und in tiefem Elend. Einst trieb zu ihrem Strande über die 
Meerflut ein Nachen: darin saß ein kleiner Knabe, umgeben 
von Kriegswaffen und Streitgewand, von Schwert und Har- 
nisch und vielerlei edlem Gestein. Sie nahmen das Kind, 
dessen Name Skjöld war, bei sich auf und zogen den Hilflosen 
groß. Das ward ihnen zum Heil. Denn unter den Wolken 
wuchs der Knabe und gedieh an Würde, bis ihm alle Nachbarn 
am Walfischweg unterworfen waren, und er wurde ihnen 
ein guter König. Ein Sohn wurde ihm geboren zum Trost 
denen, die lange ohne Herrscher waren. Als aber die Stunde 
seines Schicksals kam, mußte er wieder von hinnen fahren. 
Zur Brandung trugen ihn seine Getreuen, wie er selbst ge- 
beten hatte, als er der Rede noch waltete. Im Hafen ruhte 
des Edlen beringtes Meerschiff, eisglänzend zur Fahrt bereit. 
Sie legten den Herrscher in das hohle Schiff neben den Mast. [ 
Herrliche Kleinode brachten sie herbei, Kriegswaffen und 
Streitgewand, die mit ihm über Meer fahren sollten. Nicht 
ärmer statteten sie den Hehren aus, als jene, die ihn einst 
zur Dänenküste sandten. Ein goldenes Banner flatterte ihm 
hoch über dem Haupte, als sie voll Trauer und Leid der Flut 
die Gabe preisgaben. Niemand der saalbewohnenden Männer 
wüßte zu sagen, wer die Last empfing. 

242 

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37- FRODI UND DIE SCHICKSALSMÜHLE 

Der Enkel des Skjöld war Frodi, der glücklichste Nordland- 
herrscher. Unter seiner Herrschaft ruhten die Lande rings 
in tiefem Frieden, der Krieg war unbekannt, und kein Mensch 
tat dem andern ein Leid. Groß war das Glück der Menschen, 
und damals geschah es, daß ein goldener Ring in Jütland 
auf offener Straße jahrelang unberührt liegenblieb. Die Zeit 
wurde der Frodifrieden genannt. 

In jener Zeit wurden in Dänemark zwei Mühlsteine gefun- 
den, die Heil und Unheil mahlen konnten, wie der Mahlende 
es bestimmte. Frodi ließ aus ihnen die Mühle Grotti bauen, doch 
waren die Steine so schwer, daß niemand stark genug war, sie zu 
drehen. Der König aber sann darauf, wie er Glück und Wohl- 
stand seines Landes durch die Zaubermühle noch vermehren 
könnte. Als er einst zum Gelage bei König Fjölnir von 
Schweden war und dort zwei Mägde von gewaltiger Größe 
und Stärke sah, kaufte er sie ohne Besinnen. Sie waren aber 
Riesentöchter und hießen Fenia und Menia. 

Zum Könighause kamen die beiden Frauen, künftiger 

Dinge waren sie kundig. Frodi aber hielt die mächtigen 

Jungfrauen als Mägde. Zur Mühle hieß er sie führen, Gold, 

Frieden und Glück sollten die Starken ihm mahlen. Die grauen 

Blöcke mußten sie in Gang setzen, nicht gönnte er ihnen zu 

ruhen noch zu weilen, immer wollte er den Mühlensang der 

Mahlmägde hören. So setzten sie die knirschende Mühle in 

Gang und ließen sie gehen den ganzen Tag. Doch als der 

Abend sich senkte, sangen sie: „Nun mögen ruhen Mühle und 

Stein." Doch befahl ihnen Frodi, mehr zu mahlen, immer 

mehr des roten Goldes begehrte sein Sinn. Und die Mädchen 

sangen: „Wir mahlen Reichtum, wir mahlen Glück, wir 

mahlen auf der Freudenmühle für Frodi glänzende Schätze. 

Er sitze im Reichtum, schlafe auf Daunen, wache auf zur 

Freude: so ist recht gemahlen. Niemand soll hier den andern 

kränken, Frevel sinnen oder zur Bluttat schreiten, niemand 
16* 

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auch schwinge das scharfe Schwert, fände er gleich wehrlos 
seines Bruders Mörder." 

Matt wurde der Sang und müde der Arm, in tiefer Nacht 
schwieg der Mühlenlärm. Doch Frodi rief zu den Mägden 
hinab: „Nicht länger sollt ihr schlafen, als das Rufen des 
Kuckucks schweigt, nicht länger als der Gesang einer Lied- 
strophe währt." Wieder sangen die Mädchen und schwangen 
den rollenden Stein, längst schon schliefen Frodis Knechte 
und Mannen. Und Menia sang zum Schall der Mühle: „Nicht 
warst du, Frodi, weisheitsvoll, du Freund deiner Scharen, als 
du die Mägde kauftest. Wuchs und Stärke leitete deine Wahl, 
doch nach unserer Herkunft fragtest du nicht. Hart waren 
Rungnir, der Thurse, und sein Vater, sie übertraf noch Thiazi 
an Stärke, die stärksten Idi und Ornir sind unsere Väter, 
die Bergriesenbrüder, aus deren Stamm wir entsprangen. 
Nie wären Grottis Mahlblöcke vom Felsen herabgekommen, 
nie wären die harten Mühlsteine der Erde enttaucht, nie 
mahlten hier die Bergriesenmädchen, wenn jemand wüßte, 
von wannen wir kamen. Neun Winter wuchsen wir spielend 
zusammen, mächtige Schwestern im Innern der Erde. Bei 
großem Werke standen wir Jungfrauen, wir selber verrückten 
Kuppen und Berge. Wir wälzten Felsen zur Riesenumwal- 
lung, daß rings die Fluren schütterten, so schleuderten wir 
die rollenden Blöcke, mächtige Klippen herab, daß die Men- 
schen sie nähmen zu Heil oder Unheil. Dann schritten wir 
zwei der Zukunft Kundige zum Schwedenvolk in die Krieger- 
schar, Brünnen zerkloben wir und brachen Schilde, schritten 
entgegen den Reihen der Grauhemder. Wir stürzten den 
Fürsten, wir stützten den andern, hilfreich waren wir Gut- 
horm dem Guten, es tobte der Kampf, bis Knui fiel. So 
trieben wir es die Jahre hindurch, daß von unserer Kraft der 
Ruhm erscholl. Blut schlug unser scharfer Speer aus den 
Wunden der Krieger, und rot war unser Schwert. Nun sind 
wir zum Hause des Friedenkönigs gekommen, mitleidslos 
zum Frondienst gezwungen. Im Schmutz watet unser Fuß, 

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den Leib peitscht eisiger Wind, so müssen wir die Friedens- 
mühle drehen, schlimm ergehts uns bei Frodi. Rasten soll nun 
die Hand, stehen mag nun der Stein, mein mühvolles Tagwerk 
mahlte ich nun." Da sang Fenia: „Nicht sei der Hand Ruhe 
vergönnt, bis unser Mahlen Frodi genug dünkt., Nun sollen 
hier Krieger harte Speerspitzen schwingen, walblutige Waffen 
sollen ihre Hände halten. Wache du, Frodi, wache, willst 
du lauschen' unserm Sang und Sagen der Vorzeit. Feuer seh 
ich entflammen im Osten der Burg, die Kriegsfackel springt 
auf und ruft von Hügel zu Hügel. Feindesheer soll kommen — 
schon ist es nahe! Brennen soll die Burg über dem Fürsten.' 
Nicht mehr sollst du halten den Stuhl zu Leidra, nicht rote 
Ringe noch die Reichtumsmühle. Mit festerem Griff nun 
packe, Schwester, die Stange, denn hier wärmt uns Wunden - 
tau nicht die Hand. Nun mahlte gewaltig meines Vaters Maid, 
denn vieler Tapferen Fall sah ihr vorausschauender Blick. 
Vom Mühlgebälk bersten die schweren Stützen, die eisernen 
Haften zerspringen. Laß uns weitermahlen." — „Ja mahlen 
wir weiter", sang Menia, „Krieg gebiert Krieg, bis einst der 
Yrsa Sohn aus Halfdans Geschlecht den Frodi sühnt, den wird 
man nennen Yrsas Bruder und Sohn — wir wissen es beide." 

Die Mädchen mahlten, sie strafften sich mächtig, jung waren 
sie und in Riesenzorn. Das Gestänge brach, krachend stürzte 
die Mühle, der wuchtige Stein barst mitten entzwei. Doch 
die Maid der Bergriesen sang: „Frodi, wir mahlten, was 
Freude uns schuf, aus ist die Zeit, da wir am Mahlwerk 
standen." 

38. HALFDANS TOD UND ROARS UND HELGIS RACHE 

Halfdan und Frodi, die Skjöldungenbrüder, beherrschten 
zusammen Dänemark. Doch Frodi mißgönnte seinem Bruder 
seinen Teil am Reiche, er wollte es allein beherrschen. Darum 
sammelte er ein Heer und überfiel in der Nacht König Halfdans 
Hof. Der ging in Flammen auf, Halfdan und seine wenigen 
Mannen fielen nach kurzer Gegenwehr, nur wenige entkamen. 

245 



Am nächsten Tage ergriff Frodi die Herrschaft und zwang 
die Dänen zum Treueide. 

Halfdan hatte zwei Söhne Roar und Helgi und eine Tochter 
Signy. Die Knaben waren noch im Kindesalter und einem 
Edlen des Königs mit Namen Regin anvertraut. Während 
des Überfalls hatte der treue Regin seine Pflegesöhne vor der 
Wut ihres Oheims auf eine öde und einsame, mit Wald be- 
deckte Insel nicht weit von der Königsburg zu einem alten 
geheimnisvollen Bauern geflüchtet, der sich Wifil nannte und 
von alters her ein Freund König Halfdans gewesen war. 
Der Bauer war bereit die Knaben zu bergen und führte sie 
in eine Erdhöhle, in der sie die Nächte zubrachten, während 
sie bei Tage den dichten Wald durchstreiften. Ihr Pflegevater 
Regin mußte sie verlassen, um ihren Aufenthalt nicht zu 
verraten. König Frodi zwang ihn zum Treueide und ließ 
ihn schwören, die Knaben nie mit Rat zu unterstützen und 
seinem Herrn alle Anschläge der Halfdansöhne zu melden, 
wenn er davon erführe. 

Frodi vermählte Signy mit dem Jarl Sävil, der in seine 
Dienste getreten war und sich ihm zinspflichtig gemacht hatte. 
Doch fürchtete er die Rache der verschwundenen Knaben 
für ihren Vater. Darum ließ er sie überall im Lande durch 
seine Späher suchen, alle Inseln, Wälder und Buchten, alle 
Dörfer und Höfe ließ er nach allen vier Winden durchstreifen 
und versprach dem reiches Gut, der ihm den Schlupfwinkel 
der Knaben verriete. Als das vergeblich war, berief er die 
Wala mit Seherblick und die runenkundigen Zauberer, die 
verborgener Dinge Ahndung hatten. Von ihnen erhielt er 
diese Kunde: „Nicht sind die Knaben auf festem Lande und 
doch in des Königs Nähe." Da sprach der König: „Weit 
und breit haben wir gesucht, und am wenigsten hoffte ich, sie 
hier in der Nähe zu finden. Doch liegt hier eine öde Insel, 
auf der nur ein armer Greis wohnt, die wollen wir noch durch- 
forschen." — „Tut das", sprachen die Zauberer, „denn viel 
Nebel und Düster liegt über der Insel, und wir können des 

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Alten Behausung nicht durchschauen. Vielleicht ist er ein 
Hellseher und ein anderer als er scheint." 

Als aber des Königs Sendlinge unversehens die Insel be- 
traten, hatte Wifil schon ihr Kommen vorgeschaut und die 
jungen Königssöhne im dichtesten Gestrüpp verborgen. Jene 
mußten heimkehren ohne die erhoffte Beute. Wifil hatte den 
Knaben die Namen seiner Hunde beigelegt: bei nahender 
Gefahr wollte er sie laut bei ihren Hundenamen rufen, damit 
sie schnell in ihre Höhle kriechen könnten. Eines Tages, 
als er am Ufer seine Schafe hintrieb, landete das Königs- 
schiff: Frodi hatte beschlossen, selbst die Insel zu durch- 
suchen. Er ließ den Bauern greifen, der ganz mit der Hütung 
seines Viehes beschäftigt schien, und fuhr ihn an: „Du listiger 
Alter, sage mir, wo die Königssöhne sind, denn du weißt es." 
Der Alte erwiderte: „Heil dir, Herr, Heil auf all deinen 
Wegen! Nur halte mich nicht zurück, sonst wird der Wolf 
meine Herde reißen." Und laut rief er: „Hopp und Ho, 
meine Hunde, schützt die Herde." Voll Argwohn drohte 
der König dem geheimnisvollen Alten mit dem Tode, doch 
verließ er endlich, nach vergeblichem Suchen, zornig die 
Insel. Wifil aber ging zu den Knaben und sprach: „Ich 
kann euch hier nicht länger bergen, einmal wird man doch 
eure Höhle finden. Geht zu Sävil, eurem Schwäher, und 
wenn euch nur das Leben bleibt, ihr Söhne Halfdans, so 
werdet ihr erlauchte Helden." Damals war Roar zwölf 
Winter alt, doch Helgi, obgleich zwei Jahre jünger, über- 
ragte ihn an Kraft und Kühnheit. 

Sie machten sich auf und kamen in bäurischen Kutten und 
mit bäurischen Sitten zu Sävil. Unerkannt baten sie ihn 
bleiben zu dürfen. Der Jarl sprach: „Wenig Mannheit spüre 
ich an euch, doch will ich eine Weile die Speise an euch nicht 
sparen." So blieben sie im Hause, nannten sich Ham und 
Rani, zeigten ungeschliffene Sitten und hielten sich von der 
Dienerschaft fern, damit man ihre Herkunft und Geschlecht 
nicht entdecke. Stets trugen sie zu ihren Kutten Kapuzen auf 

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dem Kopfe und ließen den Spott des Gesindes über sich er- 
gehen. So blieben sie drei Jahre unerkannt bei Schwester 
und Schwäher. 

Da lud Frodi einst Sävil und Signy zu einem großen Gast- 
mahl. Insgeheim war er noch immer von der Furcht vor 
den Knaben erfüllt und wollte erforschen, ob ihre Verwandten 
sie verborgen hielten. Mit großem Gefolge brachen Sävil 
und Signy auf, den Knaben aber verboten sie, mitzufahren. 
Doch unterwegs sah der Jarl, wie sie auf rauhhaarigen und 
ungezähmten Fohlen, die sie sich gegriffen hatten, dem Zuge 
nachjagten. Des Reitens ungewohnt waren sie der Pferde 
nicht Herr, Roar wurde von den wilden Sätzen seines Fohlens 
hin und her geschleudert, die Kapuze glitt ihm vom Haupte, 
und sogleich erkannte seine Schwester Signy ihn. Sie brach in 
bittere Tränen aus und sprach, als der Jarl sie nach dem 
Grunde ihrer Trauer fragte: „Wie ist der SkjÖldunge könig- 
licher Baum entwipfelt und gebeugt! Meine Brüder, Halfdans 
Söhne, sah ich auf nacktem Pferderücken, während Sävils 
Knechte in Sätteln reiten." — „Große Zeitung! " sprach 
Sävil, „doch laß es nicht ruchbar werden am Königshofe, 
sonst sind die Knaben und wir selbst verloren." Er rief die 
Knaben und befahl ihnen umzukehren: „Solche Flegel wie 
ihr zieren keines edlen Mannes Gefolge." Doch folgten sie 
heimlich am Ende des Zuges. 

In der Königshalle setzten Roar und Helgi sich unten 
neben die Kochfeuer. Um Sävil und Signy zu prüfen, gelobte 
König Frodi beim Festmahl in der Halle, den Mann mit reichen 
Gaben zu überhäufen, der ihm den Zufluchtsort der Knaben 
verrate. Dann ließ er eine Seherin holen und bat sie, mit 
ihrer Weisheit den Aufenthalt der Knaben zu erforschen. ( 
Unter hohen Ehren geleitete er sie zum Zauberstuhl. Bald 
begann sie zu zucken und tief aufzustöhnen, dann kam dieser 
Sang von ihren Lippen: „Zwei sind drinnen, ihnen trau ich 
nicht. Zu äußerst am Feuer sitzen sie." — „Sind es die 
Knaben oder die sie bergen?" rief der König. „Die sind 



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es, die einst auf Wifils Holm lange sich bargen und die man 
rief mit Hundenamen." Heimlich war Signy zu der Seherin 
getreten und hatte ihr einen kostbaren Goldring zugeworfen. 
Da stockte sie verwirrt und wollte abbrechen: „Wie ward nun 
das?" rief sie, „trügerisch ist, was ich sprach und nun ver- 
wirrt sich all mein Sagen." Der König aber rief: „Warum 
ist Signy nicht auf ihrem Sitz? Gehen hier Füchse zu Rat 
mit den Wölfen?" Und drohend sprach er zu der Seherin: 
„Mit Martern zwinge ich dich, deine Gesichte zu verkünden, 
wenn du mich jetzt verrätst, denn noch weiß ich nicht besser 
als zuvor, was deine Worte besagen, da solche Menge die 
Halle erfüllt." Schwer wurde der Wala ihr Zauber, und 
röchelnd stöhnte sie diesen Sang hervor: „Ich sehe sie sitzen, 
Halfdans Söhne Roar und Helgi, heil sind noch beide. Sie 
werden Frodis Leben rauben." Dann sprang sie vom Zauber- 
stuhl und rief: „Kühn blitzen die Augen Harns und Ranis. 
Edlinge sind sie und wunderkühn!" und lief durch die Halle 
zur Tür hinaus. 

Eilig verließen die Knaben während dieser Worte der 
Seherin die Halle, denn sie hatten ihren Sprung vom Zauber- 
stuhl als Warnung gedeutet. Frodi aber rief: „Auf ihr Mannen, 
setzt den Knaben nach!" Doch auch Regin hatte seine Pflege- 
söhne erkannt. Er löschte schnell die Lichter in der Halle 
und vermehrte so das Gedränge der Mannen, von denen viele 
gern sahen, daß die Knaben entschlüpften. So erreichten 
diese im Lauf den nächtigen Wald, ehe die Verfolger sie greifen 
konnten. Nach vergeblicher Jagd sprach Frodi drinnen: 
„Diesmal waren sie mir nahe, und manche sind in der Halle, 
die mit ihnen im verräterischen Bunde sind. Das will ich 
grausam rächen, sobald die Zeit dazu gekommen ist. Jetzt laßt 
uns trinken den Abend lang, die Bälge haben an eigne Rettung 
zu denken, und wir brauchen sie heute nicht zu fürchten." 

Regin ging zu den Schenken und half ihnen eifrig bei 
ihrem Amte, damit die Mannen bald von Trunkenheit und 
Schlaf überwältigt würden. Er sann aber, wie er den Knaben 

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helfen könne, ihre Rache zu vollbringen, ohne daß er den 
Eid verletze, den er einst Frodi hatte schwören müssen. Als 
Wirt und Gäste in der Halle in Schlaf zu sinken begannen, 
stahl er sich hinaus und ritt dem Walde zu. Die Knaben 
in ihrem Versteck erkannten in dem Nahenden ihren Pflege- 
vater und liefen ihm voll Freude entgegen. Regin erwiderte 
ihren Gruß nicht, wandte nur schweigend sein Roß und ritt 
zum Königshofe zurück. Voll Staunen standen die Knaben, 
doch bald erkannte Helgi die verborgene Meinung des treuen 
Regin. Sie folgten ihm zögernd zur Halle. Nahe der Königs- 
burg stand ein Hain. Als Regin sich dem Gehölze nahte, 
sprach er vor sich hin: „Hätte ich eine Blutsfehde mit König 
Frodi, so müßte dieses trockne Holz mir im Feuer brennen." 
Mehr sprach er nicht. ,,Was mag er meinen?" sprach Roar. 
„Er will", entgegnete Helgi, „daß wir die Halle in Brand 
setzen und so Rache nehmen für unsern Vater." — „Was 
vermöchten wir zwei Knaben wider so große Übermacht?" 
sprach Roar. „Wir müssen es wagen", entgegnete Helgi, 
„wenn wir unsern Harm je rächen wollen." Nun begannen 
sie, Holz aus dem Hain herbeizuschleppen und es rings um 
die Halle und vor den Türen aufzuschichten. 

Regin aber gedachte wieder seines Eides, daß er dem Könige 
alle Anschläge der Halfdansöhne melden wolle. An Frodis 
Hof lebten zwei kunstreiche Schmiede, die hatten einst Half- 
dans Waffen und Geschmeide geschmiedet und hießen beide 
War. Nun trat Regin in die Tür der Halle und rief: „Meldet, 
ihr Mannen, meine Worte dem König: Draußen ist Regin 
mit Halfdans Mannen, kühnen Helfern. War schlug Nägel 
und War setzte Köpfe drauf. Der sich wahrt, schlug für den 
Wahrsamen Warnungsnägel." Der König lag in tiefem 
Schlaf, die Mannen aber glaubten, Halfdans Schmiede seien 
an der Arbeit für Frodi, und weckten den König nicht. Doch 
Sävil wachte und verstand den geheimen Sinn der Worte, er 
führte all seine Mannen hinaus und befahl ihnen: „Schürt das 
Feuer und helft den Knaben bei ihrem Werk. Kein Band 



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fesselt mich an König Frodi." Da loderte die Flamme hoch 
auf, die Roar und Helgi entzündet hatten, und ergriff schnell 
den ganzen Bau. 

In der Halle war Frodi erwacht. Er stöhnte aus tiefer 
Brust und sprach: „Ein Traum hielt mich gefangen, ihr 
Mannen, kein freundlicher. Hört was mir träumte: mir war 
als riefe mich jemand und spräche zu mir: ,Nun bist du heim- 
gekommen, König, mit deinen Mannen. 1 Zornig fragte ich: 
,Heim — wohin?' Da hörte ich Antwort, und das so nahe, 
daß ich den Atem des Rufenden spürte: ,Heim zu Hels Gästen, 
heim zu Hels Gästen 1* dann erwachte ich. Was ist geschehen 
während ich schlief?" 

Die Mannen sagten ihm, was Regin gerufen hätte, und daß 
Halfdans Schmiede an der Arbeit seien. Da sprach der König: 
,, Haltet ihr das für geringe Zeitung? Schweres sagt sie uns 
an. Regin hat uns gewarnt vor den Halfdanssöhnen." Der 
König ging zur Tür der Halle, sah den Bau in Flammen ge- 
hüllt und die Türen von Bewaffneten verschlossen. Er fragte, 
wer dieses Werkes Meister sei, und erhielt die Antwort: Roar 
und Helgi. Der König fragte die Knaben, ob sie Mordbuße 
nehmen wollten, und legte das Urteil darüber in ihre Hand. 
Doch Helgi erwiderte: „Dir ist nicht zu trauen. Du würdest 
auch uns verraten, wie du einst unseren Vater verrietest. 
Nun entgelte mit dem Leben die Untat an Halfdan." 

Da wandte sich Frodi in die Halle zurück und verbrannte 
mit vielen seiner Mannen. Roar und Helgi aber nahmen das 

Königtum und Erbe ihres Vaters in Besitz. , 

m ■ 

39. HELGI UND YRSA 

Roar und Helgi beherrschten zusammen Dänemark. Helgi 
aber war unruhigen Sinnes, er liebte es, auf weiten Heerzügen und 
Seefahrten umherzuschweifen, Beute und Abenteuer zu suchen. 

Einst auf einem seiner Züge landete er in einer Bucht am 
Gestade des fränkischen Landes, wo Olöf, die goldmächtige 
Königin herrschte. Helgi begab sich vom Strande mit seinen 



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Mannen zur Halle der Königin. Ohne große Gefolgschaft, 
mit der sie hätte Widerstand leisten können, und voll Schrecken 
über so unerwartete Heimsuchung, bot Olöf dem Fremdling 
freundlichen Willkomm und lud ihn mit seinen Mannen zu 
festlichem Mahle. Helgi saß im Hochsitz neben der Königin, 
Zorn und Furcht verhehlte sie klug, wie Freunde tranken sie 
miteinander. Endlich sprach Helgi: „Gewähre mir, diese 
Nacht dein Lager zu teilen." Sie entgegnete: „Gemach, Herr! 
Fahrt nicht so stürmisch zu! Doch will es das Geschick nicht 
anders, so muß ich mich fügen, denn ihr seid hier der Herr, 
da es mir an Wehr gebricht." 

Nach schwerem Trunk geleitete man König Helgi zur Ruhe. 
Olöf aber zögerte, bis er auf dem Lager entschlafen war. 
Dann trat sie heran, schor ihm die Haare vom Haupte, begoß 
es mit Teer und beklebte es mit Federn. Also geschändet ließ 
sie ihn heimlich zu den Schiffen tragen. Dann weckte sie 
die Dänen und sandte sie ihrem Herrn nach, als habe er 
befohlen, den guten Wind zur Fahrt zu nutzen. Am Strande 
fanden sie ihren Herrn schändlich mißhandelt und entehrt. 
Bevor sie aber an Vergeltung denken konnten, hörten sie die 
Hörner und Rufe vieler Franken, die Olöf bei Nacht heimlich 
zusammengerufen hatte. So blieb ihnen nichts, als mit frisch 
erwachtem Winde davonzusegeln. Helgi begab sich heim, 
die Schande, die ihm angetan worden, nagte an ihm, und er 
sann auf Rache. 

Im folgenden Jahre machte er sich wieder auf und segelte 
zur fränkischen Küste. Doch Olöf war von großer Gefolg- 
schaft umgeben. Da wählte er eine List. Er legte seine 
Schiffe in eine verborgene Bucht, hüllte sich selbst in ein 
Bettlergewand und begab sich mit zwei schweren Kisten voll 
Gold in den dichten Wald. Dort barg er die Kostbarkeiten, 
machte sich an einen Diener der Königin, den er bewog, ihr 
vorzuspiegeln, er habe im Walde einen Schatz gefunden, sie 
möge selber kommen, um ihn zu sehen. Die Neugier trieb 
sie, und allein mit dem Knechte ging sie in den Wald, um die 



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Nachricht zu prüfen. Da griff Helgi die Arglose und sprach: 
„Nun wird mir Rache für die Schande, die du mir antatest." 
Als sie flehte, wenn er sie raube, möge er sie doch zu seiner 
Gemahlin machen, erwiderte er: „Nein, du sollst mit zu meinen 
Schiffen gehen und so lange bei mir weilen, als mich gelüstet, 
meine Ehre duldet nicht, daß dein Hohn und deine Mißachtung 
ungerächt bleiben." Er nahm sie mit sich und teilte viele Nächte 
ihr Lager, dann sandte er sie heim und segelte von dannen. 

Olöf gebar eine Tochter, die nannte sie Yrsa. Sie war von 
großer Lieblichkeit, doch war sie ihrer Mutter verhaßt und 
erduldete all ihren Groll. Als wäre sie armer Leute Kind, 
mußte sie die Herde hüten. Nur wenige wußten ihre Her- 
kunft. Als das Mädchen dreizehn Jahre alt war, geschah es 
einst, daß Helgi auf einem seiner Züge wieder in das Land 
der Königin kam. Da sandte Olöf das Kind an den Strand 
hinab, damit seine Schönheit die Begierde des Vaters reize: 
so wollte sie ihre Rache vollbringen, indem sie den in Blut- 
schande triebe, der sie einst geschändet hatte. Als Helgi die 
liebliche Hirtin sah, fragte er sie nach ihrem Geschlecht. 
Sie antwortete, sie sei armer Leute Kind. „Keine Knechts- 
augen hast du", sagte Helgi. Trotz ihres Sträubens nahm 
er sie mit sich zu den Schiffen und segelte heim in sein Reich. 
Dort vermählte er sich mit ihr, ohne auf den Rat seines 
Bruders Roar zu hören, der im Antlitz der Geraubten die 
Augen der Skjöldunge zu erkennen meinte. Olöf aber ließ 
dies alles geschehen, als wisse sie nichts davon. 

Yrsa gebar dem Könige einen Sohn, der wurde Rolf ge- 
nannt: ein glückhafter Sproß verruchten Bettes tilgte er 
durch seine Taten den Makel seiner Geburt, und der Preis 
seines Heldentums wird leben bis ans Ende der Tage. Als 
aber Olöf erfuhr, daß Helgi und Yrsa einander in großer 
Liebe zugetan seien, beschloß sie, zu ihrer Tochter zu reisen 
und ihre Rache zu vollenden. Als sie gelandet war, sandte 
sie Boten zu Yrsa. Die kam zum Schiffe und bat die Königin, 
ihr zur Halle zu folgen. Olöf aber sprach: „Ich will dir nicht 

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zu König Helgis Halle folgen, denn keine Ehre habe ich ihm 
zu lohnen." — „Schlecht ehrtest du mich, als ich bei dir 
war", sprach Yrsa, „doch bitte ich dich nun, mir zu sagen, 
welches Geschlechtes ich bin, denn mir ahnt, daß ich nicht 
armer Leute Kind bin." — „Wohl kann ich dir davon Kunde 
geben", sprach die Mutter, „und um das zu tun bin ich her- 
gekommen. Doch sage mir erst, ob du deines Bundes^ mit 
Helgi froh bist." — „Wohl muß ich mich des Bundes freuen", 
sprach Yrsa, „da ich dem heldenhaftesten und berühmtesten 
Könige vermählt bin." — „So wisse denn, worauf dein Glück 
gebaut ist", rief Olöf, „Helgi ist dein Vater und ich bin deine 
Mutter." — Da sprach Yrsa: „So ist meine Mutter das schlimmste 
und grausamste Weib und hat eine Schandtat vollbracht, die 
nie vergessen wird." — »Helgi hast du zu danken, was dir 
widerfährt", erwiderte die Mutter, „und meinem Zorne. 
Nun aber will ich dich mit mir heimnehmen mit königlichen 
Ehren und will dir wohltun, soviel ich vermag." — „Nicht 
weiß ich, was werden mag", sprach Yrsa, „dir will ich nicht 
folgen, und hier darf ich nicht bleiben, seit ich weiß, daß 
dieses grause Schicksal auf mir ruht." 

Sie ging zu Helgi und sagte ihm, welch furchtbares Los sie 
betroffen habe. Der König sprach: „Maßlos grausam ist 
deine Mutter. Doch will ich, daß es bleibe, wie es ist." Yrsa 
aber sprach: „Nein, so soll es nicht bleiben, und wir können 
fürder nicht zusammen leben." Voll Trauer ging sie von 
dannen und blieb lange einsam. Später aber vermählte sie 
sich mit König Adils von Schweden. Helgi trug schwer an 
dem Schicksal, das ihn betroffen hatte, und fiel bald danach 
auf einer seiner Fahrten. 

ROLF KRAKI 

40. ROLF UND SEINE KÄMPEN 

Als König Helgi gestorben war, folgte ihm sein mit Yrsa 
gezeugter Sohn Rolf. Der war der hochherzigste, tapferste 
und freigebigste von allen Dänenherrschern, die Blüte der 

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Skjöldunge. Seine männlichen Tugenden lockten weit und 
breit die Kämpen des Nordlandes an, seine Halle zu Leidra 
umschloß die erlesenste Heldenschar. Von Rolfs Helden hieß 
es in allen Landen, daß sie nie vor Feuer noch Eisen geflohen, 
daß sie ihrem goldspendenden Herrn treu seien bis in den Tod. 
Die berühmtesten Helden dieser Schar waren Rolfs zwölf 
Kämpen oder Berserker, unter diesen wieder waren Bjarki 
und sein Genosse Hjalti die unüberwindlichsten. Bjarki war 
nach manchen Fahrten auf der Suche nach dem mächtigsten 
Herrscher zu Rolf gekommen und hatte Hjalti, der damals 
den ungefügen Berserkern in Rolfs Halle zu Schimpf und 
Spott diente, mit Heldenkraft erfüllt, indem er ihn aus der 
Wunde eines von ihm erlegten Untiers trinken ließ. 

Eines Tages, als Rolf im Kreise seiner Kämpen im Hoch- 
sitz saß, betrat ein Junge die Halle, der hieß Wögg und war 
von geringer Herkunft, armer Bauern Kind. Er stand vor 
dem König, sah ihn lange an. Endlich fragte Rolf: „Was 
willst du, Knabe, warum schaust du mich so an?" Der ant- 
wortete: „Als ich daheim war, hörte ich immer sagen, König 
Rolf sei der größte Mann in den Nordlanden, nun sehe ich 
eine schmächtige Krake im Hochsitz, die sich König nennen 
läßt." Damals war Rolf noch jung und von schmächtiger 
Gestalt. Da antwortete der König: „Du hast mir einen Namen 
gegeben, Knabe, nun muß ich fortan Rolf Kraki heißen. 
Doch ist es Brauch, daß jede Namensbindung ein Angebinde 
begleitet. Was gibst du mir?" Der Knabe aber besaß nichts, 
das er ihm hätte geben können. Da sprach Rolf: „Da du 
keine Gabe für mich zur Namensbindung hast, so soll der 
geben, der dazu Rat weiß." Er zog einen schönen Goldreif 
vom Arme und gab ihn dem Wögg. Mit dem Ringe schmückte 
sich der Knabe und hielt den beringten Arm hoch empor, 
während er den unberingten hinter dem Rücken barg. Als 
er gefragt wurde, was dieser Aufzug bedeute, antwortete er: 
„Der ungeschmückte Arm errötet vor Scham ob seiner Armut". 
Da gab Rolf dem Knaben eine zweite Spange, damit sich auch 

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der andere Arm hervorwage. Wögg aber rief: „Heil sei dir, 
König Rolf, vor allen Königen! Nun schwöre ich dir: wer 
dich einst erschlägt, der wird von meiner Hand seinen Tod 
finden." Lächelnd sprach Rolf: „Kleine Gabe macht den 
Kleinen froh." Und dieses Wort wurde zum Sprüchwort. 

41. ROLFS UPSALAZUG 

Damals herrschte in Schweden König Adils, der hatte nach 
König Helgis Tode Rolfs Mutter Yrsa zum Weibe genommen. 
Adils geriet mit Ali, dem König der Norweger, in Krieg, es 
kam zu einer winterlichen Schlacht auf dem Eise des Wener- 
sees. Auf Adils Bitten hatte ihm Rolf, obwohl er selbst mit 
sächsischen Völkern im Kriege lag, seine zwölf Kämpen zur 
Hilfe geschickt gegen das Versprechen, daß jeder der Kämpen 
nach siegreicher Schlacht drei Pfund Goldes, Rolf selbst aber 
nach eigener Wahl die drei kostbarsten Kleinodien, die er 
im Schwedenreiche fände, empfangen solle. In der Schlacht 
auf dem Wenersee fiel König Ali, sein Heer wurde durch 
die Hilfe der dänischen Kämpen besiegt. Da forderten die 
Berserker den bedungenen Sold: für jeden von ihnen drei 
Pfund Goldes, für König Rolf die drei Kleinodien, die sie für 
ihn gewählt hätten: den Helm „Kampf eber", die Brünne 
,, Finnserbe", die kein Eisen durchbrechen konnte, und den 
Armschmuck „ Schwedenkeiler' ': das alles stammte aus dem 
Ynglingenerbe der Schwedenkönige. Doch König Adils, 
der vom Geize besessen war, verweigerte die Herausgabe des 
Bedungenen. Da kehrten die Berserker zornig zu König 
Rolf zurück und meldeten ihm Adils Wortbruch. 

Rolf rüstete sich sogleich, mit seinen Kämpen nach Schwe- 
den zu fahren. Zu Schiff fuhren sie bis in den Fyrisfluß bei 
Upsala. Dann setzten sie sich zu Pferde und ritten zur 
Königshalle, um von Adils ihr Recht zu heischen, niemand 
begleitete den kühnen Herrscher als seine zwölf Berserker. 
Freundlich empfing ihn Yrsa, seine Mutter, und geleitete ihn 
und die Kämpen in eine Halle zum Trünke, König Adils aber 

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sann auf Verrat. Er ließ die Feuer in der Halle, wo die Käm- 
pen saßen, so gewaltig schüren, daß die Lohe bis zu ihnen 
hinauf leckte und ihre Kleider zu brennen begannen. Da 
höhnten die Schweden: „König Rolf und ihr Kämpen, oft 
habt ihr euch gerühmt, ihr würdet nie weder Feuer noch 
Eisen fliehen. Nun müßt ihr brennen oder euer Gelübde 
brechen." Da sprang Rolf auf, warf seinen Schild auf das 
Feuer und setzte in gewaltigem Sprunge hinüber, indem er 
rief: „Der flieht nicht das Feuer, der hindurchspringt", und 
ihm nach warfen alle seine Kämpen die Schilde in die Glut 
und sprangen durch die züngelnde Flamme. Dann griffen 
sie die fliehenden Schweden und schleuderten sie in die Lohe 
mit dem Rufe: „Laßt uns die Glut noch schüren in Adils Halle." 

Als sie den Saal verließen, begegneten sie der Königin Yrsa. 
Die gab Rolf ein großes Horn, angefüllt mit den schönsten 
Kleinodien des Königs, dabei war auch der Armring „Schwe- 
denkeiler", den Rolf sich ausbedungen hatte. Yrsa riet den 
Kämpen, sich eiligst zu den Schiffen aufzumachen, denn 
Adils rufe sein Heer zusammen und drohe Rolf und seinen 
Berserkern den Tod. 

Sie bestiegen ihre Pferde und ritten hinab auf die Fyris- 
ebene, um zu Schiff zu gehen. Doch schon hatte König Adils 
seine Mannen versammelt und setzte mit gerüsteter Schar 
eiligst den Dänen nach. Bald wurde Rolf gewahr, daß sich 
die Schweden näherten. Schon wollten die Kämpen sich 
zum Kampfe stellen, da rief Rolf: „Seid ohne Sorge, ich 
hemme ihren Lauf". Er griff in das goldgefüllte Horn, das 
vor ihm am Sattel hing, säte Ringe und Kleinodien weit und 
breit über den Pfad und über die ganze Fyrisebene, so daß sie 
weithin golden gleißte. Als das die Schweden sahen, sprangen 
sie von den Pferden, fielen gierig, miteinander raufend über 
die Schätze her und vergaßen die Verfolgung. Voll Wut 
befahl ihnen Adils, den Flüchtigen nachzusetzen und rief: 
„Schande über euch, daß ein solches Heer in blinder 
Gier zwölf Männer entkommen läßt." Zornig sprengte er 

17 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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selbst allen voran. Als aber Rolf sah, daß Adils ihm schon 
ganz nahe war, nahm er den Armring „Schwedenkeiler" aus 
dem Hörne, warf ihn~vor seinem Verfolger auf den Weg und 
rief: „Nimm das von mir als Gabe." In Adils erwachte der 
Geiz, als erj&as köstlichste Kleinod auf der Fyrisheide liegen 
sah: er hemmte sein Roß und beugte sich tief hinab, um den 
Ring mit der Speerspitze zu fassen. Das sah Rolf, sich auf 
dem Rosse wendend, und rief: „Nun habe ich den in den 
Staub gebeugt wie ein* Schwein, der unter den Schweden 
der Mächtigste heißt." Damit schieden sie voneinander. 
Mit seinen Zwölfen erreichte Rolf unbehelligt das Schiff. 

Auf dem" Heimwege durch Seeland kamen Rolf und seine 
Kämpen im sinkenden Abend an ein Bauerngehöft. Vor 
dem Gehöft stand ein alter Bauer namens Rani, der Rolf mit 
seiner Schar oft auf diesem Wege beherbergt und ihm weise 
Ratschläge gegeben hatte. Auch jetzt lud ihn der Bauer ein, 
in seinem Gehöft zu übernachten. Als er sie freundlich 
bewirtet hatte, brachte er Waffen herbei, einen Schild, ein 
Schwert und eine Brünne, und bat Rolf, sie als Geschenk 
von ihm anzunehmen. Lachend sprach Rolf: „Fürchterlich 
sind deine Waffen, Alter, doch ich brauche sie nicht." Diese 
Zurückweisung schien der Greis als Entehrung zu empfinden, 
und zornig rief er: „Nicht zum Heil wird dir dein Hochmut 
gereichen, König Rolf, und nicht immer seid ihr so weise 
wie ihr denkt." Im Unmut entließ sie der Bauer, und sie 
mußten ohne Nachtherberge reiten. Als sie in die dunkle 
Nacht hineinritten, lagerte unheimliches Dunkel unter Ranis 
Brauen, denn wenig fühlte er sich von den Gästen geehrt, 
die seine Gaben verschmäht hatten. Ohne Abschied ließ er 
sie von dannen reiten. 

Nach kurzem Ritt hielt Bjarki an und sprach: „Spät findet 
der Tor guten Rat: so geht es nun mir. Mir schwant, daß 
wir nicht weise taten, die Waffen zurückzuweisen, denn so 
wiesen wir auch den Sieg zurück." Und Rolf erwiderte: 
„Das ahnt auch mir, denn jener Alte muß Odin gewesen 

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sein, ich sah, daß er einäugig war." — „Kehren wir um", 
sprach ein anderer Kämpe, „daß uns Gewißheit werde." 
Doch als sie zurückritten, waren Hof und Greis verschwun- 
den. Auf dem Heimwege sprach Bjarki: „Schlimme Ahnung 
sagt mir, König Rolf, daß böses Geschick uns treffen wird, 
und daß du künftig nicht mehr siegreich sein wirst." — „In 
des Schicksals Hand ist jedes Mannes Leben", entgegnete 
der König. „Das deine wollen wir zuletzt verlieren, soviel 
an unserer Faust liegt", sprach Bjarki. 

42. ROLFS TOD 

Lange saß Rolf Kraki, der größte der Dänenherrscher, im 
Kreise seiner treuen Kämpen in der Halle zu Leidra und 
beherrschte sein Land in Frieden. Niemand griff ihn an, und 
alle seine Zinskönige verharrten im Gehorsam. 

Auch Hjörward, den er zum Jarl von Schweden gemacht 
hatte, war ihm zinspflichtig, doch hatte ihm Rolf seine Schwe- 
ster Skuld zur Ehe gegeben, die Helgi einst mit einer Albin 
gezeugt hatte. 

Skuld aber schämte sich ihres zinspflichtigen Mannes. 
Sie selber wollte als Königin auf dem Dänenthrone sitzen. 
Darum begann sie, Hjörward wider Rolf, ihren Bruder, auf- 
zureizen, er solle das Joch abschütteln. Mit schwerem Seuf- 
zer sprach sie zu ihm: „Unerträglich ist mir, daß wir König 
Rolf Zins geben müssen und leibeigen unter seinem Joche 
leben. Nicht länger sollst du sein Untertan sein." Hjörward 
antwortete: „Uns dient am besten, uns darein zu finden, wie 
es die andern tun, und in Ruhe zu leben." — „Niedrig bist 
du gesinnt", sprach sie, „schämst du dich nicht deiner 
Schande?" Er sprach: „Es ist ja unmöglich, wider König 
Rolf und seine Kämpen zu streiten, niemand ist kühn genug, 
gegen ihn den Schild zu heben." — „Kleinmütig bist du", 
wiederholte sie, „und keine Mannheit ist in dir. Wer kann 
vor der Tat schon wissen, ob er dem Gegner nicht widerstehen 

kann? Ich kenne besser Rolf Krakis Geschick: er wird 
17* 

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künftig sieglos sein. Wir wollen ihn drum nicht schonen, 
weil er mein Bruder ist. Einen Plan will ich schmieden und 
mit listiger Hehle vollführen." Auf ihren Rat wurden Boten 
zu König Rolf gesandt, die mußten ihn bitten, daß er dem 
Schwedenkönig drei Jahre lang den Zins erlasse: nach Ver- 
lauf dieser Zeit wolle er die ganze Summe zahlen. Diesem 
Verlangen willfahrte König Rolf. 

Während dieser drei Jahre sammelten Hjörward und Skuld 
die trefflichsten Männer aus den umliegenden Ländern und 
schufen sich mit dem zurückgehaltenen Zins eine mächtige 
Gefolgschaft. So heimlich rüsteten sie ihre verräterische 
Tat, daß weder Rolf noch seine Kämpen es bemerkten. Als 
alles bereit war, brachen sie mit ihrem ungeheuren Gefolge 
nach Leidra auf und erreichten die Königshalle um die Jul- 
zeit. Rings waren die Schiffe mit Tüchern umhüllt, als 
trügen sie reiche Schätze, den Zins für Rolf, doch bargen sie 
böse Last. Rolf und seine Mannen saßen beim Julmahl und 
hatten schwer getrunken, als die Schweden landeten. Der 
König ahnte den Verrat nicht, er sann nur, die Ankömmlinge 
zu ehren und ihnen seine Freigebigkeit zu beweisen, damit 
sein Ruhm sich über die Lande dehne, denn alles besaß er, 
was einen Herrscher ziert. Hochgeehrt saßen Hjörward und 
Skuld auf dem königlichen Hochsitz beim feierlichen Mahle. 
Bald waren die Dänen vom Julmet schwer, die Schweden aber 
hüteten sich vor Trunkenheit. In tiefem Schlafe lag alles, 
als die Schweden sich erhoben und zu den Schiffen schlichen. 
Dort waffneten sie sich in aller Heimlichkeit und rüsteten 
sich zum Überfall auf die schlafenden Dänen. 

Hjalti, ein junger Kämpe aus Rolfs Gefolge, hatte in tiefer 
Nacht das Haus seiner Buhlin aufgesucht. Heimkehrend sah 
er, daß rings um die Burg das Gefilde voll brünnenbekleideter 
Mannen war. Er erkannte den Verrat und die äußerste 
Gefahr für seinen König, lief zur Halle, darin er mit seinen 
Kämpen weilte, und während schon die gewaffnete Schar der 
Schweden gegen die Burg drängte, in die Gemächer einbrach 

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und mit den Schwertern auf die Schlafenden einzudringen 
begann, rief Hjalti mit schallender Stimme: 

„Es naht der Tag, der Hahnenschrei tönt, schlimme Stunde 
den Leidvollen droht. Erwacht, erwacht, gefreundete Häupter, 
ihr Edlen alle, des Herrschers Gefolgschaft! Ihr eisenherzigen 
und kühnen Gefährten, Sprossen edler Geschlechter, die' sich nie 
zur Flucht wandten! Nicht zum Wein wecke ich euch, noch zu 
der Weiber heimlichem Geraun: nein ich wecke euch zu Hildes 
grausem Spiel. Ergreift die Waffen und faßt den Schild, die 
ihr dem König einst Treue schwurt, bangt nicht vor des 
Schwertes eisiger Schärfe. Ruhm und Ehre ruht nun in eines 
jeden eigener Hand. Kampfzorn fülle eure Herzen, damit ihr 
das nahende Unheil wendet oder im Tode eure Treue bewährt." 

Von Hjaltis Ruf erwachte Bjarki, Rolfs gewaltigster Kämpe, . 
aus tiefem Schlaf. Er wähnte, zum Hofe seien Gäste ge- 
kommen und rief seinem Knaben: „Auf, Knappe, zum Herde! 
Fache das Feuer in der glimmenden Asche! Knorren und 
Reisig laß in der Lohe prasseln! Warm sei die Hand, mit der 
man Gästen den Willkomm bietet." jj 

Doch von den Runen zauberischen Schlafes gefesselt sank 
Bjarki wieder in tiefen Schlummer zurück. Hjaltis Stimme 
aber begann wieder zu tönen: „Heran nun, wer sich tapfer 
nennt, schart euch um Rolf den Ringespender, ihr alle, die 
er sich erwählte! Nun weist sich, wer Mut in der Brust birgt 
und wer feige entweicht. Sicher schreitet durch das Kampf- 
getöse der Herrscher, den seiner treuen Mannen Scharen 
umgeben, und Sieg ist ihm auf der Walstatt beschieden, den 
der mutige Haufe seiner Gefolgschaft umdrängt. Packt denn, 
ihr Männer, mit der Faust den Schwertknauf, fasset den Schild 
und stürzt in den Kampf! Die offene Brust bietet dem feind- 
lichen Schwert, doch nimmer den Rücken, gleich den Adlern 
mit stoßenden Schnäbeln kämpft Auge in Auge und scheut 
keine Wunden! Denn gern vergilt der treue Gefolgsmann 
auf blutiger Walstatt, was er einst an reichen Gaben vom 
goldspendenden Herrscher empfing: nun lohnen wir ihm die 

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herrlichen Schwerter, lange lichte Brünnen und schimmernde 
Helme und die Ringe, die wir beim festlichen Gelage empfingen. 
Nun lösen wir treu die Gelübde, die wir beim kreisenden 
Becher dem mildesten Herrscher schwuren bei Freyr und 
Njörd, beim furchtbaren Thor, daß wir in Tagen der Not ihn 
nicht verlassen würden, der unser Leben freudevoll gemacht 
hat. Seht, dort schreitet voran im Feindesheere Hjörward 
eisenbewehrt, auf dem Haupte leuchtet der Goldhelm, er 
freut sich am Kampfe. Ihm folgen die Gauten, helmbusch- 
geschmückt, mit gellenden Speeren. Trotzig und wild ist 
ihr Blick und Ströme von Blut schlagen ihre Streitäxte aus 
den Dänenkämpen. Hjörward du Untreuer, reizte dich Skuld 
zum Verrat, hat sie dir den Sinn verblendet, daß du treulos 
den Blutsfreund täuschtest und den gütigsten Herrn verrietest? 
Verrucht ist sie und sinnbetörend, zum Unheil erschufen sie 
schlimme Nornen. Weh, immer mehr bedrängt uns der Feinde 
Übermacht. Die Panzer brechen unter sausenden Hieben, es 
bersten die Glieder der Brünne, den Pfeilen bietet sich die nackte 
Brust. Schon zerkloben die gewaltigen Beile des Königs Schild. 
Krachend fällt die Streitaxt auf der Kämpen Brust und Haupt." 

Blutig kämpfend nahte Hjalti wieder dem Gemach des 
Bjarki. Da sah er den Kämpen immer noch in tiefem Schlafe 
liegen und rief: „Fehlst du immer noch, Bjarki, und binden 
dich Schlaf runen? Säumt immer noch der beste der Kämpen? 
Sieh, schon gähnt weit offen das Tor der Halle, das kein 
Däne mehr schützen kann, und von feindlichem Gewimmel 
ist es erfüllt. Vor dem Anprall der Feinde weicht Rolfs 
tapferes Heer. Auf denn, Bjarki, du Kämpe mit Bärenstärke ! 
Hinaus in den Kampf, ehe dich feurige Lohe zwingt! Mit 
dem Brand scheucht man ja Bären, komm heraus oder ver- 
brenne drinnen! Denn nun scheuchen wir mit der Lohe die 
Feinde. So flamme denn der hohe Bau, legt Feuer an die 
Pforten, und das stürzende Dach nähre die gierigen Flammen. 
Werft Brände auf das verruchte Tor, das dem Einbruch der 
Feinde nicht wehrte! In Schutt stürze die ragende Burg. 

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„Weh, nun sank Rolf, der hochherzige König, dahin, in- 
mitten der grimmigen Not umspielt fröhliches Lächeln den 
Mund von Frodis Enkel. Heute tranken Rolfs Mannen den 
letzten Becher in schimmernder Halle, nach diesem Tag soll 
keiner der Edlen leben, außer wem Furcht die Wange bleicht 
und der Mut fehlt, seinen Herrn zu rächen. Denn nun ist 
ein Leben dahin, das herrlichste, dessen Gedächtnis dauern 
wird, so lange die Erde steht. So stürmte der Held glühend 
seinen Mannen vorauf, wie der geschwollene Strom zu Tal 
stürzt, so eilte er wider den Feind, schnell wie der stolze 
Hirsch mit gespaltenem Hufe. Wohlan denn, Genossen, 
laßt uns seiner wert sein und den Erlauchten rächend den 
Kampf zum bittern Ende führen. Schließt euch fest zum 
Keile und ordnet die Scharen, wie Rolf es uns lehrte. Er 
erschlug einst Rörik, den geizigen, der in schmutziger Hab- 
gier nur auf Gold, doch nicht auf Treue und tapfere Mannen 
seine Macht baute: so blieb er arm an Gefolgschaft, wie reich 
auch an Gold. Als aber Rolf ihn mit seinen Kämpen heim- 
suchte, streute er den lange gesparten Schatz dem gabefreu- 
digen Könige vor dem Burgtor hin, so hoffte sich mit schimpf- 
lichem Schatz Frieden zu kaufen, der der Kämpen entbehrte. 
Doch die Flut seiner Ringe half ihm nichts, noch das macht- 
los gehäufte Erz^i ihn fällte Rolf und nahm ihm mit dem 
Schatze Leben und Burg. Den Schatz verteilte er unter die 
treuen Krieger, nichts nahm er für sich, er gab das Gold, 
wie einst, als er es achtlos auf der Fyrisheide säte. 

„Aus den Wunden rinnt unaufhörlich der rote Quell, aus 
schäumenden Adern dringt die Flut, ohne Rast treibt Hjör- 
ward, im Heere der Dänen wütend, der Hilde Spiel. So laßt 
uns Gefährten unsern Herrn freudig zur Hei geleiten, kein 
zages Wort entfliehe der Zunge, kein feiger Gedanke befalle 
den Sinn. Nie stirbt mit der verglimmenden Asche der Ruhm 
des Mannes, und der Preis der Taten folgt dem Toten übers 
Grab, nie sinkt der Tüchtigen Gedächtnis in den Staub. 

„Doch Bjarki, wo bleibst du? Dein Ruhm war unter den 

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Kämpen der höchste, nun sinkt er dahin. Noch ist die Tür 
verschlossen, noch sperrt sie der Riegel, zum dritten Male 
ruf ich dich, Bjarki!" 

Da rief Bjarki: „Mit harter Stimme reizest du mich, Hjalti, 
du kampffroher Held, mich, des Königs Gesippen. Gleicht 
so großem Worte auch deine Tat? Warte nur bis ich mich 
waffne und die Brust mit der Brünne umschließe. Schon 
gürte ich mich mit dem Schwert, schon decken mich Helm 
und Panzer. Nie floh ich Eisen noch Feuer, doch will ich 
nicht im Hause brennen. Einst ward ich geboren auf ein- 
samem Holm, in armer Hütte kam ich zur Welt, doch zwölf 
Höfe gab mir der König, dazu rotes Gold und seine Schwester. 
Das alles muß meine Tat nun lohnen/' Dann rief Bjarki, 
in wildem Kampf zorn rings im Getümmel die Feinde fällend: 
„Werft ab die Brünnen, ihr Todgeweihten, auf den Rücken 
schleudert den Schild und bietet dem Feinde schutzlos die 
Brust, doch bekleidet mit den Spangen den Arm, die ihr einst 
von dem Goldspender empfingt: den wuchtigsten Hieb gibt 
ein goldbeschwerter Arm. 

„Nun räche ich den teuren Herrn und strafe die Neidings- 
tat. Schon schlug ich Hjörward sausend, den wilden Hirsch, 
mit Snirtir, meinem guten Schwert. Das erwarb mir einst 
den Namen ,Bjarki der Kämpe', als ich es fest umspannend 
im Zweikampf den Agnar fällte, den Sohn des Ingeld, und 
reiche Beute heimtrug. Agnars Streich traf mein Haupt, doch 
sein Schwert Höking zerschellte. Es brach, als es den Helm 
mir beißen sollte. Doch mein schärferes Schwert durchschlug 
ihm die Seite, trennte Hand und Fuß ihm vom Leibe und 
durchbrach ihm die Rippen. Wahrlich, nie sah ich härteren 
Kämpen, als da Agnar todwund zur Erde gesunken auf den 
Arm sich stützte und lachend den Todstreich empfing: so 
ging er fröhlich zur Hei hinab, und den nahenden Tod ver- 
barg sein heiter lachendes Antlitz. — Auch du warst edel, 
dessen Brust jetzt eben Snirtir spaltete, aus königlichem 
Blut warst du entsprossen, leuchtender Ahnen mutvolles 

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Kind, nicht halfen dir die Ringe der Brünne, noch der ge- 
buckelte Schild, denn niemand hemmt meines Schwertes 
Bahn. Heran nun, ihr tapferen Häupter der Gauten, daß 
} wir mit Blut die Kräfte wägen. Nur Edle führen hier den 

Kampf, nur ihre Kraft entscheidet. Nun sinken deine Ge- 
treuen, König Rolf, nun fallen die Blüten ganzer Geschlechter, 
was gilt hier namenlos Volk, was Knechte von dunkler Ge- 
burt, wo Odin erlauchte Helden nach Walhall holt. Nie 
sah ich dichter die Hiebe fallen, mit dreien entgelten die 
Gauten mir einen. Allein stehe ich nun im stürmischen 
Männerfall, kämpfend häufte ich aus dem Hügel der Leiber 
einen hochragenden Damm. Wo aber ist er, der jüngst mit 
herrischem Wort mich reizte, mich mit schmähendem Wort 
aus der Kammer rief und mit preisendem Worte sich brüstete, 
als umschlösse er zwölf Leben in einem Leibe?'* 

Da rief Hjalti: „Ist auch die Schar meiner Gefolgschaft 
klein geworden, doch stehe ich fest und bin dir nahe. Sieh 
her, wie meine Hiebe fallen, wenn ihr Schall dein Ohr nicht 
erreicht. Hilfe, tapferer Kämpfer, ist uns hier not. In Splitter 
ging mir der Schild bis zum Handgriff. Jetzt weiß ich, daß 
wir noch diesen Abend Odins Gäste sind. Nun sühne mit 
schnellerem Schlag dein langes Zaudern." 

Doch Bjarki erwiderte: „Willst du noch immer mit Schelten 
und Vorwurf mich reizen? Grund genug habe ich jetzt, 
wenn ich matter kämpfe, denn auf meine Brust lenkte der 
Schwede mit wuchtigem Stoße sein Schwert, da war mir 
meine schwere Brünne kein Schutz mehr: wie flüssiges 
Wasser durchrannte die Schneide die harte Wehr." 

Todwund lag der Kämpe auf der Walstatt. Da rief er sein 
Weib, während der Kampflärm verebbte. Zu ihr sprach er: 
„Erhebe nun, Hrut, das blondlockige Haupt, tritt aus der 
Kammer in den brausenden Kampf und sage mir, wo ist 
Odin? Sahst du ihn nicht, den einäugigen Greis, der im 
Streite sich von uns wandte?" Ihm erwiderte Hrut, indem 
sie sich über den Sterbenden neigte: „Senke dein Auge und 

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blicke mir durch den gerundeten Arm, zuvor aber segne die 
Augen mit dem Zeichen der Siegrunen. Hefte ruhig den 
gefeiten Blick hinaus, so erschaust du Siegvater auf brau- 
sendem Roß mit leuchtendem Schilde." Da sprach Bjarki: 
„Könnte ich ihn treffen, den treulosen Gatten der Frigg, nicht 
sollte er heil von Leidra entkommen, mag auch der weiße 
Schild ihn decken, und mag er Sleipnir, das hohe Roß lenken: 
Schande brächte ihm diese Schlacht, Rache nähme ich an 
dem Kampfasen, würgen wollte ich ihn, wie die Katze die 
Maus. Wir aber wollen getreu über unserem Könige fallen 
und ein herrliches Ende nehmen. Bald wird uns der Adler 
mit gieriger Klaue zerreißen, raublustige Raben zanken sich 
um das Mahl, bald sind wir die Beute der Tiere der Wal- 
statt. Ich aber sterbe nun zu Häupten Rolfs, meines Königs, 
du, Hjalti, liege im Tode zu Füßen des Herrschers. So wird, 
wer die Stätte des Kampfes durchspäht, gewahr, wie auch 
im Tode dem Herrn, dem Spender, wir die Goldringe lohnten." , 

43. WÖGGS RACHE FÜR KÖNIG ROLF 

Nach der Schlacht ließ Hjörward ein großes Freudenmahl 
anrichten, um den Sieg und die Eroberung des Dänenreiches 
festlich zu begehen. Während des Gelages sprach er: „Es 
heischt unsere Bewunderung, daß aus der großen Gefolgschaft 
König Rolfs nicht einer durch Flucht oder Ergebung sein 
Leben zu retten suchte. So groß war ihre Liebe und Treue 
zu ihrem Herrn, daß keiner nach seinem Falle leben mochte. 
Übel wollte mir das Geschick, daß es ihrer keinen übrig ließ, 
denn gern sähe ich solche Mannen in meinem Dienst." 

Während Hjörward dann zum Dänenkönig ausgerufen 
wurde und im Hochsitz die Treueide der Dänen empfing, 
trat ein Mann herbei, der sich Wögg nannte und sagte, er 
sei der einzige, der aus der Zahl der Rolfsmannen übrig ge- 
blieben sei. Voll Freude fragte ihn Hjörward, ob er in seinen 
Dienst treten wolle. Als Wögg das bejahte, reckte ihm der 
König die Klinge seines Schwertes entgegen, damit er darauf 

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den Treueid schwöre. Doch jener sprach: „So war es bei 
König Rolf nicht der Brauch, nicht die Spitze, sondern den 
Griff reichte er seinen Mannen zum Schwüre dar." Da 
wandte Hjörward das Schwert und reichte dem Wögg den 
Griff. Der riß das Schwert an sich und durchbohrte den 
König, indem er rief: „Einst schwurst du König Rolf diesen 
Eid: fallen wolltest du durch dein eignes Schwert und nicht 
wehren solle dich dein Schild, wenn du deine Treue brächest. 
Ich aber schwur, meinen Herrn zu rächen, wenn er durch 
eines Mannes Schwert falle. Nun hielt ich die Eide." Als 
dann Hjörwards Mannen auf ihn einstürmten, bot er ihnen 
jubelnd seine Brust dar und rief ihnen zu: „Ich fürchte eure 
Schwerter nicht. Nun, da ich meinen Herrn gerächt habe, 
ist mir der Tod nicht bitter." So währte König Hjörwards 
Herrschaft über das Dänenreich nicht länger als vom Morgen 
bis zum Mittag, und von treuer Hand empfing er den Lohn 
seiner Untreue. Die schwedischen Mannen aber wurden 
nach ihres Königs Tode von den Seeländern erschlagen. 

STARKAD 
44. STARKADS JUGEND 

In den Nordlanden lebte ein achtarmiger Riese mit Namen 
Starkad Aludreng. Heimlich raubte er Alfhild, die Tochter 
König Alfs. Der bat Thor um Hilfe wider den Räuber, und 
Thor, der Alfhild liebte, riß dem Riesen sechs Arme aus 
und tötete ihn. Alfhild aber hatte von Aludreng den Storwerk 
empfangen, der zu gewaltiger Größe wuchs und ein furchtbarer 
Kämpe wurde. Er kam zu König Harald, der damals über 
Agde in Norwegen herrschte, und wurde sein Gefolgsmann. 
Lange war er des Königs Begleiter auf seinen Heerzügen, 
bis ihm dieser die Insel Thruma zum bleibenden Wohnsitz 
schenkte. Von dort raubte er Unni, die Tochter des Jarls 
Freki in Halogaland, und zeugte mit ihr einen Sohn, den er 
Starkad nannte. 

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Starkad war noch ein Kind, als sein Vater mit seinem 
Kriegsvolk den Flammentod in der eigenen Halle starb: 
Frekis Söhne hatten tückisch das Gehöft in Brand gesteckt. 
Den Knaben nahm König Harald bei sich auf und ließ ihn 
mit Wikar, seinem Sohne, aufziehen. 

Von Wikars Geburt berichtet die Sage: Geirhild, Drifs 
Tochter, war ob ihrer Schönheit weit berühmt. Zu ihr kam 
einst ein Mann, der sich Hött nannte — es war aber Odin — 
und versprach ihr, sie solle König Haralds, des Egdenfürsten, 
Weib werden, wenn sie künftig in aller Bedrängnis niemanden 
anrufen wolle als ihn. Bald erfuhr König Harald von der 
Schönheit des Mädchens, er sah sie, führte sie mit sich heim 
und vermählte sich mit ihr. Doch hatte er schon ein Weib 
namens Signy , und da bald Zwist zwischen den beiden Frauen 
ausbrach, den er nicht zu stillen vermochte, traf er die Ent- 
scheidung, er wolle die behalten, die ihm das beste Bier zu 
brauen vermöge. Da rief Signy die Freya an, Geirhild aber 
den Hött. Der befahl ihr, statt der Hefe seinen Speichel in 
das Braufaß zu legen, forderte aber für seine Hilfe von Geir- 
hild das zum Lohne, was zwischen ihr und der Kufe sei. Als 
König Harald das Bier trank, sprach er: „Gut ist dein Bier, 
doch ahnt mir, daß Unheil folgt. Hangen seh ich am hohen 
Galgen deines Leibes Frucht, Weib, dem Odin verkauft." 
Bald darauf gebar Geirhild den Wikar. 

Nicht lange weilte der Knabe Starkad an Haralds Hof, 
als Herthjof, der König von Hördaland, den Egdenfürsten 
treulos überfiel, ihn in dunkler Nacht tötete und Wikar, 
seinen jungen Sohn, als Geisel mit sich führte, nachdem er 
sich das Land Agde unterworfen hatte. Ein Edler aus Her- 
thjof s Gefolge aber, der sich Roßhaar grani — das war Odin — 
nannte, flüchtete den Knaben Starkad und brachte ihn auf 
den Hof Ask auf der Jnsel Fenring in Hördaland. Dort wuchs 
der Knabe im Verborgenen auf, bis er zwölf Winter zählte. 
Neun Sommer lang sah er seine Sippe nicht. Er gewann 
ungeheure Kraft, sehnig wuchs ihm der Arm und über 

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langen Gliedern ein grimmiges Haupt. Doch dumpf und 
tatenlos saß er auf der niederen Bank am Herde, schürte das 
Feuer und fragte nach nichts. 

Wikar, sein Ziehbruder, mußte in Herthjofs Dienst auf der 
Warte, die Fenrings Felsen krönte, über das Meer spähen 
und mit Flammenzeichen die nahenden Feinde melden. Einst 
kam er von der Warte nach Ask hinab. Er sah und erkannte 
Starkad und hieß ihn vom Herde aufstehen und Antwort 
geben. Mit der Spanne der Hand maß er ihm Arm, Brust 
und Haupt, staunend über den gewaltigen Wuchs und das 
schon bärtige Haupt des Knaben. Er nahm ihn auf in die 
Schar der furchtlosen Kämpen, die er zum Rachewerk er- 
lesen hatte, und Starkad, der zwölfte der Genossen, erhielt 
Waffen und Heergewand. 

Zu Schiff gelangte Wikars Schar zum Königshof, einer 
festen Burg. Sie rüttelten am Gitter, zerbrachen die Pfosten, 
sprengten die Riegel der Feste. Unter die Mannen des Königs, 
sie benzig an der Zahl, fuhren die blitzenden Schwerter. 
Kampf gierig stürzten sich Wikars Mannen in das Getümmel, 
brünnenlos hieb Starkard um sich, mit beiden Händen das 
Schwert packend. Nicht war es leicht, Wikar zu folgen, der 
immer als vorderster im Haufen stand, doch Helme zerbarsten 
und darunter die Stirnen, Brünnen zerschlissen und Schilde 
brachen unter den Hieben der Wikarshelden. In diesem 
Kampf wuchs Wikars Ruhm, an Herthjof aber ward die 
Rache vollendet. Blutige Wunden trugen die Feinde und 
mancher fiel, bis Starkad dem Herthjof die Todeswunde gab. 

Siegreich kehrte Wikar mit seinen Helden nach Agde in 
die Heimat zurück. Dort wurde er zum Könige erhoben und 
legte unter sich Hördaland und allen Besitz, König Herthjofs 
Eigen. Dann heerte er mit seinen Kämpen ostwärts an den 
Küsten. Am Wenersee stieß er auf König Sisar. Da ge- 
schahen mächtige Taten der Männer. Starkad erlitt hier die 
schrecklichste Wunde, die je ihn traf: ganz wurde ihm der 
Schädel zerhauen, als Schild und Helm zerborsten waren, 

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Sisars Schwert durchhieb ihm von oben die Weiche, die 
andere Weiche durchstieß sein Schwert, daß sich das kalte 
Eisen in den Leib grub. Doch zum Lohne hieb Starkad dem 
König quer durch den Leib mit beißender Klinge und behielt den 
Sieg. Reich lohnte ihm Wikar die Tat, und fünfzehn Sommer 
folgte Starkad ihm auf seinen Fahrten. Er wurde der berühm- 
teste von allen Wikarskämpen und der geliebteste Freund 
des Königs. Sein Ratgeber war er, sein Nachbar im Hochsitz 
und der Vogt des Landes. Darum empfing er manchen roten 
Ring aus seiner Hand. Es war die Frohzeit seiner Fahrten. 

45. DAS GÖTTERTHING UND STARKADS ERSTE 

NEIDIN GST AT 

Einst segelte König Wikar mit großer Mannschaft von Agde 
nordwärts nach Hördaland. Unterwegs überfielen ihn widrige 
Winde, und lange mußte er zwischen den Holmen liegen. 
Da fällten sie den Span, des Gottes Willen zu erforschen, und 
sein Fall verkündete Odins Forderung: der Loswurf solle einen 
aus den Mannen bezeichnen, der als sein Opfer am Galgen 
hange und mit dem Speerstich geweiht werde. Als sie das Los 
warfen, sprang das des Königs heraus. Alle schwiegen in rat- 
losem Schrecken, und man verschob den Beschluß der Mannen 
über diesen dunklen Spruch auf den nächsten Morgen. 

Um Mitternacht weckte den Starkad Roßhaargrani, sein 
einstiger Retter, und befahl ihm zu folgen. Sie bestiegen ein 
Boot und ruderten zu einer Insel zwischen den Holmen. 
Vom Ufer stiegen sie zum Walde hinauf und fanden im 
Dickicht eine Lichtung von einer schweigenden Thinggemeinde 
erfüllt. In ihrer Mitte sahen sie elf Männer auf Stühlen 
sitzen, der zwölfte Stuhl war leer. Auf den setzte sich Starkads 
Begleiter, und alle begrüßten Odin. Er verkündete, das Thing 
solle über Starkads Schicksal Urteil finden. 

Da nahm Thor das Wort und sprach: ,, Einst zog Alfhild, 
Starkads Ahne, mir, dem Asen, den weisen Jöten vor: ich 
verhänge dem Starkad, daß er weder Sohn noch Tochter 

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i 

I 



haben und sein Geschlecht enden soll." Odin erwiderte: „So 
verhänge ich ihm, daß er drei Menschenalter leben soll." 
Thor sprach: „Ein Neidingswerk soll er begehen in jedem 
Mannesalter." Odin erwiderte: „Ich verhänge ihm, daß er 
die besten Wehren und Waffen besitzen soll." Thor sprach: 
„So soll er nie Land noch Scholle sein eigen nennen." Odin 
erwiderte: „Ich verleihe ihm, daß er stets überreich an Fahr- 
habe sei." Doch Thor sprach: „So lege ich auf ihn, daß er 
an dem, was er besitzt, nie ein Genügen habe." Odin sprach: 
„Sieg und Ruhm gebe ich ihm in jedem Kampfe." Und Thor: 
„So lege ich auf ihn, daß er aus jedem Kampfe ein schweres 
Gebrechen heimtrage." Odin sprach: „Ich schenke ihm die 
Dichtkunst, daß ihm die Verse so leicht seien wie die Rede." 
Thor sprach: „Nie soll sein Gedächtnis festhalten, was er 
dichtet." Odin erwiderte: „Das verleihe ich ihm, daß er bei den 
edelsten und erlauchtesten Männern vor allen hochgeehrt sein 
soll." Und Thor: „Verhaßt soll er überall beim Volke sein." 

Das alles erhoben die Richter zum Schicksalsspruch über 
Starkad, dann war das Thing beendet. 

Roßhaargrani ging mit Starkad zum Boot hinab. Er sprach: 
„Fürwahr mein Sohn, du mußt mir den Beistand lohnen, den 
ich dir im Thing geleistet habe." — „Wohl", sprach Starkad. 
„So sollst du mir König Wikar senden", sprach jener, „und 
ich will dir raten, wie es geschehen mag." Starkad versprach 
zu gehorchen. Da gab ihm Roßhaargrani seine Weisungen 
und lieh ihm seinen Speer, der einem Rohrstengel glich. 

Im Morgengrauen kam Starkad zu den Seinen. Im Rat 
der Königsmannen sprach er: „Wir wollen mit dem Könige 
so tun, als ob wir das Odinsopfer an ihm vollzögen." Dem 
stimmten alle zu. Es stand eine Föhre dort und darunter 
ein hoher Baumstumpf. Unten an der Föhre war ein schwanker 
Ast, der aber aufwärts in die Krone strebte. Starkad bog ihn 
heimlich nieder, knüpfte eine Weidenschlinge an ihn und 
sprach: „Hier ist dein Galgen gebaut, König, du siehst, die 
Gefahr ist nicht groß. Tritt auf den Baumstumpf, damit ich 

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die Schlinge um deinen Hals lege." Der König sprach: „Ist 
diese Zurichtung nicht gefährlicher als mir scheint, so wird 
sie mir nicht schaden, ist es aber anders, mag das Geschick 
raten." Darauf stieg er auf den Baumstumpf, und Starkad 
legte die Schlinge um seinen Hals. Er stach mit dem Speer, den 
Odin ihm gegeben hatte, nach dem König und sprach: „So 
opfere ich dich Odin!" Damit ließ er den Föhrenast fahren. 
Der Rohrstab aber ward zum Speere und durchbohrte den 
König, der geschmeidige Föhrenast schnellte in die Höhe, 
den erhängten König in die Krone hebend. So starb er. 

Durch diese leidige Tat wurde Starkad bei allem Volke 
verhaßt, er ward landflüchtig und mußte Hördaland meiden: 
Thor hatte ihm den Namen Neiding geschaffen, und Schande 
lag auf ihm. Finster irrte er durch die Wildnis, herrenlos und 
gramverzehrt, ein Treubrüchiger an seinem geliebten Herrn. 
Endlich richtete er den Weg zum Schwedenvolk nach Upsala, 
dem Sitze der Ynglinge, und kam zur Halle des Königs. Die 
ließen den schweigenden Sänger dort weilen, so lange es ihm 
gefiel. Stumm saß er in der Halle unter den hellbrauigen 
jungen Kriegern, und der düstere Kämpe mit wildem Auge, 
mit langem Ebergebiß und wolfsgrauem Haar, mit hängenden 
Schultern und rauhem Hals diente ihnen zu leichtem Spott. 
An seinem Leibe meinten sie zu erspähen das alte Riesenmal 
der acht Hände, die Thor einst seinem Ahnen ausriß auf den 
Klippen des Nordlands. Doch schweigte er die Spötter durch den 
Sang von dem Schicksal, das die Götter ihm einst verhängten. 

Bald trieb ihn sein ruheloser Geist wieder in sein Kämpen- 
leben zurück. Er durchfuhr alle Meere und durchsegelte 
rings die Lande, Mühsal und rauhe Not war sein Leben, doch 
siegreich war er in jedem Kampfe. 

46. STARKADS ZWEITE NEIDING ST AT 

Im zweiten Menschenalter Starkads herrschte König Frid- 
leif über Dänemark, und Starkad war der mächtigste seiner 
Kämpen. Fridleif raubte die Hild, Tochter des Königs der 

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Uplande in Norwegen. Mit ihr zeugte er einen Sohn AU, 
mit einer anderen Frau aber den Frodi. 

Nach Fridleifs Tode konnte Ali dem Vater nicht folgen, da 
er einer erbeuteten Frau entsprungen war. So wurde Frodi 
König. Ali begab sich auf Wikingerzüge und gewann durch 
seine Taten den Beinamen der Beherzte. Frodi, dessen Helden- 
mut ihm den Beinamen des Weitberühmten schuf, herrschte 
zu Leidra und hatte eine kühne Kriegerschar. Starkad war 
deren Oberster. Zwölf Jarle waren dem König unterworfen. 

Ali gewann mit Heerschild das Schwedenreich. Da stachel- 
ten den Frodi seine Jarle auf: der Held, der sich Schweden 
unterworfen habe, werde nun kommen und mit den Waffen 
in der Hand in Dänemark Erbe fordern. Frodi ließ sich be- 
reden, und Starkad als der kühnste und dem Könige am 
treuesten ergebene der dänischen Mannen wurde ausersehen 
Ali zu töten. Lange weigerte er sich, den Sohn Fridleifs ver- 
räterisch umzubringen, aber für den Preis von einhundertund- 
zwanzig Pfund Goldes beschloß er endlich die Tat zu voll- 
bringen und zog zum schwedischen Königsitze. König AH 
empfing ihn freundlich, ehrte ihn hoch und überhäufte ihn 
mit Geschenken. Er wandte ihm all seine Gunst und Liebe zu. 

Eines Tages, als der König ins Bad ging, hieß er Starkad 
ihm folgen, denn ihm vertraute er von allen am meisten, 
als Wache für seine Sicherheit. Da gedachte Starkad seines 
verruchten Vorsatzes. Als er aber in das Badegemach des 
Königs trat, blendete ihn der leuchtende Blick und der durch- 
dringende und lebendige Glanz der Augen des Königs, heim- 
licher Schauder lähmte seine Glieder, er hemmte den Schritt. 
Als aber der König nach dem Bade ermattet und seine Augen 
müde geschlossen waren, stieß Starkad ihm sein Schwert in 
die Brust. Da rief Ali, schon verscheidend: „Die Tat ist 
dein, doch Frodi, mein Bruder, hat sie geraten !" Und lachend 
gab er den Geist auf. 

Starkad empfing einhundertundzwanzig Pfund Goldes, 
nachdem er den Frevel vollbracht hatte. Doch nagte ihn 

l8 Wolter« u. Petersen, Heldensagen. 

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Reue und Schmerz so sehr, daß er seines Lebens nie wieder^ 
froh ward. Auch erschlug er einige von denen, die ihn zu H 
der Schandtat angestiftet hatten, und rächte so die Tat, der 1 
er seinen Arm geliehen hatte. 

47- DER FALL KÖNIG FRODIS UND INGELDS RACHE 1 

Auf den Fahrten seines dritten Alters kam Starkad zu 
König Frodi von Dänemark, der vor allen Herrschern wegen 
seines Mutes und seiner Standhaftigkeit, seiner Milde und 
Güte hoch gepriesen wurde. Frodi nahm den greisen Kämpen, 
dessen Ruhm sich über alle Nordlande verbreitet hatte, unter 
seine Helden auf. Es ist aber nicht überliefert, welche Neidings- 
tat Starkad in diesem Alter beging. 

Frodis Vater hatte die Sachsen unterworfen und zur Dienst- 
barkeit gezwungen. Nach seinem Tode wollte deren König, 
Swärting, das Joch abschütteln. Doch der jugendliche Frodi 
besiegte sie mit Starkads Hilfe und richtete seine Herrschaft 
über sie fester auf als zuvor. 

Da griff Swärting, der Sachsenkönig, zur List. Er lud 
Frodi unter dem Schein der Freundschaft zum Gastmahl in 
der heimlichen Absicht, ihn in der Halle zu verbrennen. Dieser 
aber entdeckte den Plan, griff den verräterischen Sachsen 
an, und beide fanden in diesem Kampfe den Tod. 

Damals war Ingeld, Frodis Sohn, noch jung und schien 
ein Weichling zu werden. Waffen und Waffenwerk liebte 
er nicht, und über den Freuden der Gelage säumte er den 
Vater zu rächen. Swärtings Söhne aber nutzten seinen 
schwachen Sinn, und um ganz die Rache in ihm zu ertöten, 
gaben sie dem Jüngling ihre Schwester zum Weibe. Nun 
überließ sich Ingeld völlig der Lust des Lagers und dem Schwel- 
gen bei Tische, und am Dänenhofe, wo früher Zucht und 
Schlichtheit galt, herrschten die üppigen und weichlichen 
Bräuche der Sachsen. Starkad aber und die alten Kampf- 
genossen des Frodi verließen die Halle zu Leidra, der alte 
Kämpe begab sich wieder auf rauhe Fahrten. 

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Ein halbes Menschenalter war seit Frodis Fall vergangen. 
Da hörte Starkad, als er einst zu Upsala weilte, daß Ingeld 
die Swärtingsöhne freundlich zu sich geladen habe und in der 
Halle fröhlich mit ihnen schmause. Sein Zorn wallte auf. 
Mit einem großen Bündel auf dem Rücken, den schweren Leib 
auf einen mächtigen Stab gestützt, wanderte er über Land 
nach Leidra. Wer ihn unterwegs fragte, welch seltsame Last 
er auf dem Rücken trage, dem antwortete er: „Ich trage 
Kohlen, um den weichen Sinn des Königs im Feuer zu 
härten und seinen stumpfen Mut zu schärfen." 

Ohne zu rasten durchwanderte er den langen Weg und 
betrat abends die Halle zu Leidra, als man den König zum 
Gelage erwartete. Er ging zum Hochsitz hinauf und ließ 
sich auf der Ehrenbank nieder, auf der ihm früher der erste 
Platz gebührte. Als die Königin den Alten, der vom Kot 
der Straße beschmutzt und in grobes Bauerngewand gehüllt 
war, auf dem Hochsitz gewahrte, verwies sie ihm hochmütig 
solchen Platz, der den Edlen, nicht aber einem struppigen 
Bettler mit schmutzigen Kleidern gebühre und befahl ihm, 
den Sitz zu räumen. Starkad erhob sich stumm und schritt 
ohne Wort noch Seufzer zum unteren Ende der Halle. Als 
er sich dort auf die niedere Bank hinließ, erschütterte die 
Wucht seines gewaltigen Körpers die starke Bohlenwand so 
sehr, daß Pfosten und Dach ins Schwanken kamen. In diesem 
Augenblicke trat Ingeld ein, sein Auge fiel auf den düster 
blickenden Greis, der sich nicht zur Begrüßung des Königs 
erhob, sondern stumm auf seinem Sitze verharrte. Er er- 
kannte Starkad an den finsteren Mienen, den rauhen Krieger- 
händen, den Narben auf der Brust und der durchdringenden 
Macht seiner Augen und gebot seinem Weibe, den Gekränkten 
mit Speise und Trank zu laben. Doch wie sich die Königin 
auch mühte, der rauhe Kämpe wies alles von sich und ver- 
harrte in dunklem Schweigen. Als dann zur Nacht ein 
schwelgerisches Mahl die Tische deckte, wie der sächsische j 

Brauch am Hofe es wollte, und man dem Helden von den 
x8* 

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üppigen Speisen bot, wies der Alte die Leckerbissen barsch 
zurück und stillte seinen Hunger mit grobem Rauchfleisch 
und bäurischer Speise. 

Lange saß Starkad unbeweglich da, die Wut bemeisternd, 
die ihn erfüllte, wenn er die Swärtingsöhne auf dem Hochsitz 
neben dem jungen Könige schmausen sah. Nur die Glut 
seiner Augen, die starr auf jene gerichtet waren, verrieten 
seinen Ingrimm. Endlich stand er vom Sitze auf, und seine 
rauhe Stimme erhebend, brach er in diese Worte aus: 

„Einstmals, als ich Frodi auf seinen Fahrten folgte,' saß ich 
im Hochsitz in der Edelsten Mitte,! der Erste am Tisch der 
Gefolgsmannen. Jetzt hocke ich unten im äußersten Winkel, j 
ungeehrt und dem Fische gleich, der zur Ebbe sich in der 
Lache birgt. Der einst den Ehrensitz einnahm, sitzt unter 
den Letzten, von niemandem gegrüßt, dem Hohne der Knechte 
preisgegeben, und wohl würde ich aus der Halle gedrängt, 
wenn die Giebelwand mich nicht hielte. 

„Von Schweden kam ich, weite Wege durchmaß mein Fuß. 
Den Brauch in der Skjöldunge Königsburg wollte ich kennen und 
Leidras neue Sitte. Einen Helden dachte ich in Frodis Halle zu 
finden, einen schlaffen Feigling fand ich auf Frodis Hochsitz. 

„Wie kannst du bei frohem Gelage die Zeit versitzen, Ingeld? 
Gedenkst du nicht, daß noch immer ungerächt dein erschla- 
gener Vater liegt? 

„Weh, daß ich dem Herrn nicht zur Seite stand, als die 
treulosen Wirte ihn niederhieben, daß ich auf fernster Heer- 
fahrt stritt! Sonst stünde ich als sein Rächer hier oder hätte 
sein Geschick geteilt, wäre dem Herrscher im Tode gefolgt. 

„Nun wird wahr, was zu Upsala der König sprach, heldischem 
Vater werde folgen ein entherzter Sproß und entarteter Erbe. 
Doch ich dulde nicht, daß Frodis Lande den fremden Räubern 
zur Beute werden." 

Voll Schrecken ob solcher Rede nahm die Königin ein 
kostbar geflochtenes Stirnband von ihrem Haupte und reichte 
es dem Sänger, als könne sie ihn durch solche Gnade 

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beschwichtigen. Doch er warf es ihr voll Verachtung zurück 
und begann von neuem: 

„Hinweg, Fürstin, mit dem Weibergeschenk,' dem Tapferen 
ziemt der Helm, nicht zartes Gewebe. Oder bring deinem 
Gatten das weiche Gespinst, ! dem Lüstling mag es gefallen, 
der den Dänen sächsische Sitten bringt.) 

„Ehre brächte dir, König, wenn du im Kampfsturm grimmig 
in den straffen Bart dir bissest, statt den Wein in Kübeln zu 
schlingen, und zartes Geflügel in den Fingern zu drehen. 

„Elf Kämpen waren wir einst, als wir mit Haki das Haffroß 
lenkten, am Schiffsbord saßen Beigad und Helgi. Damals 
galt als echter Kämpe allein, wer mit trockner Keule und 
hartem Brot den Hunger zähmte, wer an Bier und rohem 
Fleisch sich genügen ließ. Wer hätte damals Geld für des 
Vaters Tod genommen oder seinen Bruder im Beutel getragen? 
Welcher Erbe und mannhafte Sproß hätte solchen an seiner 
Seite gelitten? 

„Drum, wenn in der Halle der Sänger von Königstaten singt 
und die Namen der Kämpen nennt, verhülle ich vor Scham das 
Haupt im Mantel, denn von Frodis Erben meldet kein Lied. 

„Was verschlingt mich dein Auge mit wildem Blick, der du 
Freund bist deines Vaters Mördern? Wo man je preist die 
Rächer der Blutschuld, solltest du wünschen taub zu sein, 
daß nicht des Sängers Lied die Scham dir, Neiding, errege. 

„Einem feilen Knechte gleichst du an Mut, magst du gleich 
stolz dich Skjöldung nennen. Eine stumpfe Klinge streckt dich 
zu Boden, wie man Schafe fällt, so schlägt man dich nieder. 

„Bald gewinnt Swärtings Brut das Dänenreich als feile Beute, 
indes du die kleinodschimmernde Frau mit goldenen Ringen 
zu ergötzen dich mühst. 

„Gram und Zorn ergreift die alten Kämpen, die einst Frodis 
Zügen folgten, Scham und Schmerz zwingt mich die Not zu 
nennen. Das wäre mein höchstes Glück, sähe ich Frodis 
Tod endlich gerächt durch des Sohnes Hand.'* 

Anfangs hatte Ingeld mit tauben Ohren gesessen, allmählich 

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aber schlug brennendes Feuer auf in seiner Seele, als er solche 
Mahnung hörte, und die Rache erwachte in ihm. Endlich 
sprang er vom Tische auf, zog das Schwert, nicht achtend 
des Gastrechts, und stieß es den Swärtingsöhnen in die Brust. 
Alle sieben streckte er nieder und Starkad half ihm mit Tat 
und entzündendem Wort: 

„Heil dir, Ingeld, dein Mut ist erwacht! Zu Ende ist nun 
schlaffes Zaudern, du Schlachtenlenker. Fälle sie alle, die 
Söhne Swärtings, keiner entfliehe, denn alle sind Buße schuldig. 
Ihr Knechte, tragt die Toten aus der Halle, schleppt sie hinaus 
auf den Königshof! Werft auf die Heide die Leiber, den 
Raben und Wölfen zum Fräße, kein Hügel noch Scheiterhaufen 
werde ihnen zuteil. 

„Du aber, König, sei weise und fliehe das Weib, das 
tückische, daß nicht die Wölfin den Wolf dir gebäre und aus 
dir selbst nicht dein eigener Rächer erwachse. 

„Schau her, Odin, Vernichter im Kampfe und Höhner der 
Feigen, dünkt dich vollbracht die Rache für Frodi, da sieben 
Brüder fallen mußten für den trefflichen Fürsten? 

„Nie welkte die Hoffnung dem Greise, einst werde Frodis 
Sproß dem Vater gleichen. Nun erst, Ingeld, gebührt dir, des 
Erbes zu walten, auf Leidras Stuhl zu sitzen und Herr der 
Dänen zu heißen." 



Als Starkad so alt und müde geworden war, daß er zu 
Heerzügen und Schwerterstreit nicht mehr taugte, beschloß 
er, um nicht den schmählichen Strohtod zu sterben, freiwillig 
einen Tod zu suchen, der seiner Taten würdig sei und sein 
vergangenes Leben verherrliche. So zog er aus, um einen 
Edelgeborenen zu finden, von dessen Schwert er fallen könne. 
Das Gold, das ihm für die Ermordung des Ali zuteil geworden 
war, trug er in einem Beutel am Halse, um damit den zu 
kaufen, der ihm den Tod gebe: so meinte er den Frevel seiner 
Neidingstat zu sühnen, wenn er die Mordbuße für die Ver- 



48. STARKADS ENDE 



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nichtung seines eigenen Lebens verwende. Mit zwei Schwertern 
umgürtet und gestützt auf zwei Stäbe wanderte er durch die 
Lande und kam wieder nach Dänemark. Ein Bauer, der 
dem Greise begegnete, rief ihn spottend an: „Was sollen dir 
zwei Schwerter? Gib mir das eine." Starkad, als wolle er die 
Bitte gewähren, hieß ihn näher kommen, zog ein Schwert 
von der Hüfte und hieb ihn mitten durch. Darauf begegnete 
er einem Jüngling namens Hather, der war ein Sohn eines 
jener Edlen, die einst Starkad zum Verrat an Ali bewogen 
hatten und von dem Betörten nachher erschlagen worden 
waren. Hather befand sich eben auf der Jagd. Er ließ zwei 
seiner Begleiter unversehens wider den Greis anreiten, um 
ihn zu erschrecken. Als sie auf ihn eingesprengt waren und 
sich zurückwandten, gab Starkad mit seinen Krückstöcken 
ihnen beiden den Fang. Voll Schrecken über solche Kraft 
des hinfälligen Greises kam Hather herbei und sah, daß es 
Starkad sei. Als dieser wahrnahm, daß der Sohn jenes Jarls 
vor ihm stehe, den er erschlagen hatte, und daß also der 
Jüngling von edelster Geburt sei, bot er ihm das Gold, das 
er einst von seinem Vater empfangen hatte, wenn er ihm den 
Todesstreich versetzte und sprach: „Deinen Vater habe ich 
erschlagen, nun nimm du an mir Rache, damit ich von der 
Hand eines Helden den Tod finde und dem mühevollen Alter 
entrinne." Den Hather bewog sowohl sein Racheverlangen 
wie der Wunsch, das Gold zu gewinnen, daß er die Bitte des 
Alten zu erfüllen versprach. Schnell reichte ihm Starkad 
sein Schwert, und tief sich neigend bot er ihm den Nacken 
dar, um den Hieb zu empfangen, indem er den Jüngling bat, 
nicht zaghaft und weibisch das Schwert zu führen und hinzu- 
fügte, wenn er es vermöge, zwischen Haupt und Rumpf 
hineinzuspringen, ehe der Körper zu Boden falle, so werde er 
unverwundbar werden. Da führte Hather den Hieb wider 
Starkads Nacken und trennte das Haupt von den Schultern. 
Als es, schon abgehauen, zur Erde fiel, biß es mit den Kiefern 
in die Erdscholle: so groß war die Wildheit des Kämpen. 

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Hather aber unterließ den Sprung zwischen Leib und Kopf, 
den ihm Starkad geraten, fürchtend, es möge der Greis hinter 
der Verheißung eine List verborgen haben. Wäre er gesprungen, 
so hätte der Kämpenleib ihn unter seiner gewaltigen Last 
erdrückt und der fallende Körper hätte den gefällten Helden 
selbst gerächt. 

Hather ließ Starkad auf der Roijungheide den Hügel wölben, 
denn er wollte nicht, daß ein so gewaltiger Kämpe unbestattet 
am Wege liege. Das Gold und Starkads Schwert Skum, 
d. i. das Finstere, nahm er zu eigen. 

49. HARALD KAMPFZAHNS HEIMHOLUNG IN DER 

BRAWALLASCHLACHT 

König Haidan von Dänemark war lange kinderlos. Als 
er aber dem Odin geopfert hatte, ward ihm durch dessen 
Gunst ein Sohn zuteil. Der empfing den Namen Harald und 
später wegen seiner gewaltigen Zähne den Beinamen Kampf- 
zahn. Harald erwuchs früh zu großer Schönheit und Stärke 
und überragte alle seine Genossen an Kraft und Körperbau. 
Überdies beschenkte ihn Odin, durch dessen Willen er ent- 
sprungen war, mit dem Zauber, daß sein Leib durch Eisen 
nicht verletzt werden konnte: Geschosse, die anderen Wunden 
schlugen, schadeten ihm nicht. Zum Dank für diese Gnade 
weihte Harald alle Seelen, die er mit der Waffe vom Leibe 
schied, dem Odin. 

Als Haidan bei dem Versuche, das verfallene Dänenreich 
zur alten Einheit zurückzubringen, seinen Tod gefunden 
hatte, trat Harald sein Erbe an und übernahm das begonnene 
Werk. In gewaltigen Heerzügen unterwarf er die abgefallenen 
Landesteile, besiegte die Teilkönige, richtete die alte Herr- 
schaft zu Leidra wieder auf und fügte den zerrissenen Körper 
des Reiches wieder zusammen. Dann bekriegte er die Friede- 
brecher in den Nachbarländern. 

Bevor er wider den Schwedenkönig Ingo und seine Brüder, 
die ihm den Frieden aufgekündigt hatten, zu Felde zog, 

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suchte er durch Opfer den Ausgang des Zuges zu erkunden. 
Da begegnete ihm ein alter Mann von gewaltiger Größe, der 
war einäugig und in einen rauhen Mantel gehüllt. Er ge- 
sellte sich zu Harald, sprach mit ihm von den Geheimnissen 
der Kriegskunst und lehrte ihn die beste Schlachtordnung 
für sein Heer. Er riet ihm nämlich, seine Streitmacht in drei 
keilförmig nach vorn verlaufende Geschwader so zu ordnen, 
daß das mittlere Geschwader die anderen gleich einem Eber- 
rüssel nach vorn überrage und so die Flügel auf beiden Seiten 
schräg verlaufend allmählich ausschweiften. Hinter die so 
geordneten Geschwader solle er die mit Wurfgeschossen aus- 
gerüsteten Jünglinge stellen, hinter diese aber den Haufen 
der alten Männer, damit ihre erprobte Tüchtigkeit der Jünge- 
ren wankende Kräfte stütze. Auf den Flügeln aber solle er 
die Schleuderer so aufstellen, daß sie noch günstig aus der 
Ferne wirken könnten. 

Es war aber Odin, der ihn so belehrte, und mit diesem gött- 
lichen Wissen ausgerüstet besiegte Harald Kampfzahn die 
Schwedenkönige Ingo und Olaf. Den dritten Bruder Ingeld 
aber, der ihn einst durch den Raub einer Schwester gereizt 
hatte, machte er endlich zu seinem Bundesgenossen und 
setzte nach Ingelds Tode seinen Schwestersohn Ring in die 
väterliche Herrschaft über Schweden ein. Stets siegreich 
zog Harald in kühnen Zügen gegen die Friesen, die Slawen, 
die Aquitanier der Normandie, die Humbrer in Britannien 
und vermehrte auf jeder Heerfahrt die Schar seiner Helden 
mit den besten der unterworfenen Gegner. Auch lockte er 
durch den Ruhm seiner Taten Kämpen aus allen Landen 
herbei und schuf sich eine mächtige Gefolgschaft. 

So unterwarf Harald alle Länder und Fürsten, nirgends 
mehr erstand ihm ein Feind, und fünfzig Jahre lang beherrschte 
er sein weites Reich in kampflosem Frieden. 

Als den greisen und schon erblindeten König die Last des 
Alters zu drücken begann, gedachte Odin seinen Erwählten 
heimzuholen. Damals hatte Harald zum Freund und Rat- 

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geber einen Mann namens Bruni, der von frühester Kindheit 
an sein vertrauter Genosse gewesen war und dem alle geheimen 
Botschaften zwischen Harald und Ring anvertraut wurden. 
Auf einer solchen Gesandtschaft verlor Bruni einst in einem 
reißenden Flusse sein Leben. Da legte Odin seine Gestalt 
und seinen Namen an und erschütterte durch listige Botschaft 
die vertraute Eintracht der Könige. Mit solchem Truge 
säte er Feindschaft zwischen ihnen und entflammte die durch 
Freundschaft und Sippe Verbundenen zu so wildem Haß, daß 
nur der Kampf seine Glut löschen konnte. Noch eine Weile 
verhehlten die Könige ihren Ingrimm, dann brach der giftige 
Haß offen hervor. 

In Harald lohte der alte Kampfzorn noch einmal auf: 
er wollte lieber in offener Schlacht als elend im Bette sterben. 
Damit der Ruhm seines Endes heller als der seines Lebens 
strahle, wünschte Odin ihm viele Genossen seines Schicksals 
zu geben: er rüstete eine gewaltige Schlacht, lehrte auch 
König Ring heimlich die Kunst der keilförmigen Schlacht- 
ordnung und machte so die Kräfte der Gegner einander gleich. 

Endlich, nachdem beide Könige lange Zeit mit allem Eifer 
ihre Heere gerüstet hatten, waren auf beiden Seiten die Heer- 
haufen bereit. Harald wollte die Feinde nicht überraschen. 
Er kündigte König Ring den Frieden auf und vereinbarte 
mit ihm durch Boten den Ort des Kampfes. Von allen Landen 
des Nordens waren die Kämpen herbeigeeilt, um in der ge- 
waltigen Schlacht mitzukämpfen. Unter Haralds Fahnen 
standen seine treuen Dänen in drei Heerhaufen, dazu in drei 
weiteren Haufen, von den drei kampferprobten Schildjung- 
frauen Hetha, Wisna und Webjorg geführt, Kämpfer aus 
Schleswig, Friesland, den slawischen Landen und berühmte 
Helden aus Norwegen, und als das Heer aufbrach, stieß noch 
eine Flotte mit Sachsen, Slawen und Liven zu den Dänen. 
So groß war die Menge der Schiffe, die dieses dänische Heer 
von Seeland nach Schonen hinüberführte, daß sie die Ufer 
des dazwischen liegenden Meerstroms wie eine Brücke zu 



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verbinden schienen. Wer den Sund überschreiten wollte, 
dem bot der gedrängte Knäuel der Schiffe einen Fußweg. 

Auch Ring hatte gewaltig gerüstet. Den Kern seiner Macht 
bildeten die Mannen aus den schwedischen Landschaften und 
aus Gautland, doch auch aus Norwegen und aus den russischen 
Landen * waren zahlreiche Kämpfer erschienen. Zwischen 
Wald und Bucht auf der Brawallaebene, wo die Schlacht 
geschlagen werden sollte, vereinigten sich die schwedischen 
Haufen, die zur See und zu Lande herbeieilten. Weithin 
sah man das Meer von Kielen durchpflügt und den Blick 
auf das Wasser hemmten die ringsum aufgespannten Segel. 
Die schwedische Flotte aber hatte früh mit günstigem Winde 
den Schlachtort erreicht, während die Dänen noch mit widri- 
gen Stürmen kämpften. Darum hieß Ring die Streiter von 
den Schiffen ans Land gehen und stellte sie mit den zu Lande 
gekommenen auf der Brawallaebene in Schlachtordnung auf. 
Er ordnete die besten Streiter keilförmig im Mitteltreffen 
und die übrige Mannschaft in zwei bogenförmig geschwunge- 
nen Flügeln, daß das Ganze einem Eberhaupte glich, wie 
Odin auch ihm geraten hatte. 

Als endlich nach sieben Tagen die dänische Flotte mit 
günstigem Winde sich dem Schlachtorte näherte, befahl 
König Ring den Seinen, in Ruhe zu verharren, bis Harald 
seine Schlachtordnung aufgestellt habe, und die Luren erst 
zu blasen, wenn sie den König neben den Feldzeichen auf 
seinem Streitwagen sitzen sähen. Er sprach: „Bald muß 
das Heer zerbrechen, das sich auf eines Blinden Führung 
verläßt. König Harald ist am Geiste nicht minder blind als 
an den Augen, ihm sollte bei seinen Jahren ein Grab genügen. 
Nun müßt ihr Schweden für eure Freiheit kämpfen. Nur 
wenig Dänen stützen die feindliche Streitmacht. Die Sachsen 
und Slawen aber, die im Dänenheere kämpfen, sollt ihr nicht 
fürchten: stets zeigten sich die Normannen den Germanen 
und Slawen überlegen." 

Die Schlachtreihe der Dänen ordnete Bruni an des blinden 



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Harald Statt. Er türmte sie keilförmig auf und ordnete die 
Flügelhaufen. Dann sprach Harald, dessen ragende Gestalt 
auf dem Streitwagen weithin sichtbar war, mit schallender 
Stimme zu seinen Mannen: „Mit Undank vergilt König Ring 
meine Wohltaten. Der sein Königtum von mir zum Geschenk 
erhielt, erregt mir nun Krieg, da ich ein Greis bin. Gedenket, 
ihr Dänen, unserer zahlreichen Siege über die Nachbarn und 
duldet nicht, daß die Herrschaft, die ihr mit dem Jüngling 
erstrittet, jetzt dem Greise entrissen werde." 

Dann bliesen die Luren, und mit äußerster Kraft begannen 
die Heere den gewaltigsten Kampf, der je auf nordischer 
Erde gefochten wurde. Da schien es als stürze der Himmel 
auf die Erde, als versänken Wälder und Felder, als kehre 
die alte Urnacht mit ungeheurer Verwirrung zurück, als 
risse ein brausender Sturm zugleich das Werk der Götter 
und der Menschen in Abgrund und Vernichtung. Der An- 
prall und das Prasseln der Geschosse erschütterte die Luft 
mit unerträglichen Stößen, der Blutdunst der Wunden spannte 
sich über den Himmel wie ein Nebel und der Hagelschauer 
der Pfeile verhüllte das Tageslicht. Als aber die Geschosse 
aus der Ferne versendet waren, griffen die Streiter zu den 
Schwertern und Keulen. Da floß das Blut in Strömen unter 
den krachenden Schwerthieben. Der mächtigste der dänischen 
Kämpen war Ubbi der Friese. Er drang in den Rüssel der 
schwedischen Aufstellung ein, schlug die besten Helden 
nieder, die dort standen, und brachte durch seine wilde 
Kampfeswut die Schlachtordnung in solche Verwirrung, daß 
schon die Schweden zu wanken begannen. Als König Ring 
die Gefahr erkannte, rief er Starkad, den erprobtesten Helden, 
herbei: „Dich verließ noch nie das Glück im Kampfe: nun 
gewinne uns den Sieg." Doch auch Starkad konnte den 
Friesen nicht überwinden, durch die andrängenden Reihen 
wurde er von ihm getrennt. Endlich aber wandte die gewal- 
tige Kraft der Bogenschützen die Gefahr vom Schwedenheere 
ab. Die Schützen aus Gautland und Telemarken spannten 

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die Bogen mit solcher Kraft, daß sie mit ihren Pfeilen die 
Schilde nicht nur, sondern auch Brünnen und Helme durch- 
schlugen und die Dänen wie nackte Leiber ihnen preis- 
gegeben waren. Von ihnen wurde aus der Ferne (denn zu 
nahen wagte ihm niemand) auch Ubbi mit zahllosen Pfeilen 
durchbohrt, so daß er endlich das Knie zur Erde senkte. 

Wechselweise siegten die Heere. Als aber Starkad unauf- 
haltsam wider die Dänen vordrang und in maßloser Wut 
durch die Reihen fahrend ihre besten Helden fällte, begannen 
die Dänen zu wanken. Dem alten Kämpen trat Wisna, des 
Königs Bannerträgerin, entgegen und rief ihm zu: „Todes- 
wut ist über dich gekommen, nun mußt du sterben, Unhold!" 
— ,, Zuvor mußt du des Königs Banner senken", antwortete 
Starkad. Und mit dem Schwerte hieb er ihr nach schwerem 
Kampfe eine Hand ab. Schon türmten sich die Leichen- 
haufen, als er von Gnepia so schreckliche Wunden empfing, 
daß ihm die Lunge aus der Brust stürzte und er die Schlacht 
verlassen mußte. Dennoch wurden die Schweden durch die 
Kraft ihrer Bogenschützen den Dänen immer überlegener 
und trugen immer schrecklicheres Verderben in ihre Reihen. 

Harald Kampf zahn saß auf seinem Streitwagen und Bruni 
mit geheimnisvollem Antlitz als Wagenlenker vor ihm. Der 
blinde König spürte bald am finstern Raunen, das sein Heer 
durchflog, daß das Schlachtglück sich dem Feinde zuneige. 
Er fragte Bruni, in welcher Ordnung König Ring sein Heer 
aufgestellt habe. Der antwortete, indem ein leises Lächeln 
sein Antlitz überflog: „Die Schweden kämpfen in Form eines 
Eberhauptes." Als der König das hörte, entsetzte er sich 
und rief: „Wer hat den König Ring solche Schlachtordnung 
gelehrt? Ich glaubte, die kenne niemand als Odin und ich 
allein. Denn er erfand die Kunst und vertraute nur mir das 
Geheimnis an." Bruni schwieg. Harald aber fühlte in 
diesem Augenblick, daß Odin vor ihm sitze. „Herr und Freund", 
flehte er ihn an, „da du mir immer hilfreich warst, entziehe 
mir und den Dänen den Sieg nicht in dieser entscheidenden 

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Stunde. Willst du mir aber deine Hilfe versagen, so laß 
mich mit meinem ganzen Heer im Kampfe fallen, und alle 
Toten sollen dir wie früher geweiht sein." Bruni schwieg 
abermals, aber lenkte den Streitwagen wider die Feinde. 
Harald erhob sich auf die Knie, nahm seine Keule in beide 
Hände und erschlug mit ihr, wen von den andrängenden 
Feinden er vom Wagen aus erreichen konnte. Schrecken 
ergriff die Schweden, denn kein Eisen konnte Harald Kampf- 
zahn verwunden, der Sieg schien sich ihm noch einmal zu- 
zuneigen. Aber mitten im Kampfe wandte Bruni sich plötz- 
lich um, stürzte den König aus dem Wagen, entriß dem 
Stürzenden seine Streitkeule und zerschmetterte ihm mit 
seiner eigenen Keule das Haupt. 

Als König Ring den Fall seines großen Gegners erfuhr, 
befahl er seinem Heere, sich vom Feinde zu lösen und dem 
Kämpfen Einhalt zu tun und schloß mit den Feinden Frieden. 
Am folgenden Morgen ließ er seine Schweden überall unter 
den Leichenhaufen den königlichen Leichnam suchen, denn 
er gedachte dem Helden eine herrliche Totenfeier zu rüsten. 
Endlich fand man den toten König und die Keule, die ihn 
erschlagen hatte. Ring wollte mit den höchsten Feiern den 
gefallenen Helden ehren. Er ließ das Roß, auf dem er ritt, 
mit goldverzierten Decken schmücken, vor den Königs- 
wagen spannen und weihte es seinem erlauchten Namen. 
Er sprach Gelübde und flehte, Harald möge auf diesem Roß 
an der Spitze der unabsehbaren Schar seiner Genossen im 
Tode in Walhall einreiten und bei Odin, dem Herrn der Helden, 
für Freunde und Feinde, die der Schlachtentod vereint habe, 
selige Sitze erwirken. Dann hieß er den Scheiterhaufen 
errichten und heischte von den Dänen, daß sie das goldbeschla- 
gene Schiff ihres Königs darauf brächten, damit die Flamme 
um so höher aufrausche. Und während die Lohe den Leich- 
nam verzehrte, mahnte König Ring die trauernden Dänen- 
helden, sie möchten Waffen, Kleinode und was jedem das 
Liebste sei, freiwillig als Totengabe zu Ehren eines so großen 

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und heldenhaften Königs auf den Scheiterhaufen legen. 
Und so geschah es. 

Die Asche des Königs aber ließ Ring in eine Urne ver- 
schließen, nach Leidra schaffen und dort nach Königsweise 
feierlich bestatten. 

50. HELGI UND SIGRUN 

Uralter wars, als die Adler schrieen und heilige Wasser 
vom Himmelsfelsen rannen: da hatte Borghild zu Bralund 
Helgi den Großherzigen geboren. Nacht war in der Burg, 
da kamen die Nomen, dem edlen Sproß das Schicksal zu 
weben. Sie gewährten ihm, der Kühnste zu werden und als 
Besten der Fürsten sich zu fühlen. Mächtig schnürten sie 
die Schicksalsfäden, goldenes Gespinst breiteten sie aus und 
festeten es mitten im Mondsaal. Im Osten und Westen 
bargen sie die Enden: so grenzten sie dem Könige sein Land. 
Ein Seil knüpfte die Norn unlöslich an den Nordweg, dem 
befahl sie ewig zu halten. Da sprach auf dem Baum ein 
Rabe zum andern: „Ich weiß etwas. Zur Brünne geboren 
wurde der Königssproß: nun kommt unser Tag. Sein Auge 
strahlt nach Heldenart. Den Wölfen wird er lieb sein: 
freuen wir uns!" 

Schön wuchs Helgi gleich der jungen Ulme in der Hut 
der Freunde, er begab sich früh auf Heerfahrten und siegte 
in allen Kämpfen. Mit Gold beschenkte er seine Mannen 
und spendete reichen Kampflohn. Er traf auf einem seiner 
Züge mit König Hunding, einem mächtigen Herrscher in 
den Nordlanden, zusammen und fällte ihn im Kampfe. Da- 
von empfing er den Namen „Hundingstöter". Und noch oft 
kämpfte er mit Hundings Sippe. 

Einst saß er abends nach der Schlacht am Aarstein, da 
brach Leuchten aus den Logafelsen, aus dem roten Himmel 
schössen Blitze und über das Himmelsgefild sah der Held 
behelmte Frauen heranjagen. Blutgerötet waren die Brünnen 
der Walküren und von den Speerspitzen sprühten Funken. 

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Sigrun hieß die hehrste der Walküren. Die Herrliche ritt 
auf Helgi zu, grüßte und küßte den König, der unterm Helme 
stand, weckte Weibesliebe in ihm und sprach: „Längst war 
ich dir nah in deinen Kämpfen, Helgi. Auf dem Meerschiff 
sah ich dich fahren, als du am blutigen Steven standest im 
eiskalten Wogenschwall. Mein Herz kann ich nicht bergen: 
deine Gunst will ich gewinnen. Schon ehe ich dich sah, 
trug ich dich allein im Herzen. Darum höre: Högni, mein 
Vater, versprach mich Hödbrodd vor dem Heer seiner Mannen, 
doch ich sprach: ,Einen andern Helden habe ich mir ge- 
wählt'. Nun droht mir der Sippe Zorn, da ich des Vaters 
Willen brach. Nach wenig Nächten holt mich Hödbrodd 
heim, wenn du ihn nicht zur Walstatt entbietest oder ihm 
die Jungfrau raubst." Helgi sah ihre Schönheit und sprach: 
„Fürchte du nicht Hödbrodds Zorn, noch drohenden Sinn 
deiner Sippe! Mit mir sollst du leben, junge Maid, und wenig 
sorgt mich dein Geschlecht." 

Er sandte Boten über Meer und Mark, seine Mannen zu 
entbieten, goldene Schätze bot er. Zahllose Scharen kamen 
zur Fahrt, sie bestiegen die schwarzen Schiffe, die gold- 
geschmückten, und hißten die Segel. Auf dem Meere über- 
fiel sie verderblicher Sturm, drohend leuchteten die Wolken 
und Blitze fuhren auf die Schiffe herab. Doch den Händen 
der Ran entrangen sich die Gischtpflüger und landeten abends 
in Unawag. 

Hödbrodd blickte mit Gudmund, seinem Bruder, über 
das Meer. Er sah an der Raa des Königsschiffes den roten 
Schild mit goldenem Rand, das Zeichen des Krieges, empor- 
steigen und rief: „Wer ist der Fürst, der dem Heere gebietet 
und die Kriegsschar zum Lande führt? Die Kampf fahne 
flattert am Steven, nicht Frieden scheint mir das Schiff zu 
bergen: Walröte flammt um die Meerfahrer." Da antwortete 
einer von Helgis Kämpen: „Hier mag Hödbrodd Helgi schauen 
inmitten der Flotte. Ihm wird zu eigen alles Erbe deiner 
Sippe." Gudmund erwiderte: „Zuvor wird am Wolfsteine 

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der Schwerter Sausen den Spruch fällen. Nun kam die Zeit, 
Hödbrodd, mein Bruder, zu rächen, daß unlängst uns das 
schlechtere Los fiel." Doch Helgis Kämpe sprach: „Lieber 
magst du, Gudmund, Geißen hüten und in Bergklüften um- 
herklimmen, in der Hand haltend den Haselstab. Sanfter 
tut das als der Losspruch der Schwerter." Da verwies Helgi 
seinem Kämpen den Zank: „Besser wäre dir, zur Freude der 
Adler zum Kampf zu eilen als unnütz zu schelten, wenn auch 
der Haß euch Helden entzweit. Auch mich dünken Granmars 
Söhne nicht besser als wir, doch dem Fürsten ziemt es, Wahr- 
heit zu reden, und Mannesmut bewiesen sie einst zu Moins- 
heim im Schwertkampf mit uns." 

Da eilten die Granmarssöhne, ihre Schar zu entbieten. 
Auch König Högni nahte mit allen seinen Mannen und mit 
seinen Söhnen Bragi und Dag. In mächtiger Schlacht fällte 
Helgi alle Fürsten, die in Hödbrodds Heere kämpften, die 
Granmarssöhne und Högni mit seinem Sohne Bragi. Nur 
Dag allein entrann dem Verderben. Ihm wurde Frieden ge- 
währt, und er schwur Helgi Treueide. 

Nach dem Kampfe ging Sigrun auf die Walstatt und fand 
Hödbrodd im Sterben. Sie sprach: „Nicht wird dir, Edler, 
Sigrun von Sewafjöll im Arme liegen. Dahin ist Granmars 
Geschlecht. Reiche Atzung gewann der Grauwolf." Darauf 
suchte sie Helgi und freute sich sehr, als sie ihn lebend 
fand. Der aber sprach: „Nicht in allem, Herrliche, gelang 
dein Wunsch: das schufen dir die Nomen. Am Wolf steine 
sanken Högni und Bragi von meiner Hand. In der Kampf- 
kluft und am Seegebirg sanken die übrigen der Helden und 
die meisten deiner Gesippen zur Erde. Du konntest das Ge- 
schick nicht wenden, dir fiel das Los, daß du unter Fürsten 
Streit erweckest. Nun aber sänftige deinen Kummer, Sigrun 1 
Siegbringerin warst du mir, das Schicksal kann auch der Held 
nicht hemmen." Sie erwiderte: „Zum Leben möchte ich 
jene nur wecken, die hier tot liegen, wenn ich auch dann 
dir im Arme ruhen dürfte." 

19 Wolter« u. Petersen, Heldensagen. 

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So gewann Helgi Sigrun zum Weibe, und sie gebar ihm 
Söhne, doch früh war ihm Tod beschieden. Denn Dag, der 
einzige von Högnis Söhnen, den Helgi geschont hatte, sann 
auf Rache für seinen Vater. Ihn reizte Odin und lieh ihm 
seinen Speer. Damit durchbohrte er Helgi im Fesselwalde. 
So fiel der Held. Dag aber ritt nach Sewafjöll und sprach 
zu Sigrun: „Ungern nahe ich dir, Schwester, mit leidvoller 
Kunde. Not zwang mich, der Blutsverbundenen Weh zu 
schaffen: am Morgen fiel im Fesselwalde der König, der auf 
der Welt der hehrste war." Da rief Sigrun: I „Dich sollen 
alle Eide beißen, die du Helgi geschworen hast, bei des Leipt- 
stromes bleichschimmernden Wassern und beim eisigen 
Steine der Unn. Nicht fahre das Schiff, das unter dir fährt, 
füllt gleich der Sturm seine Segel prall! Nicht renne das Roß, 
das unter dir rennt, wärest du gleich auf der Flucht vor dem 
Feinde! Nicht beiße das Schwert, das du schwingst, es singe 
denn dir selber ums Haupt! Das dünkte mich Rache für 
Helgis Ermordung, wärst du doch ein Wolf im Holze draußen, 
fern von Reichtum, fern von Freude, ohne Nahrung, du 
platzest denn vor Leichenfraß." Da sprach Dag: „Rasend 
bist du, Schwester, und wahnbetört, daß du deinen Bruder 
unselig verwünschest. Odins Werk ist alles Unheil, der 
zwischen Gesippen Streitrunen warf. Dir bietet dein Bruder 
goldene Ringe, des Wanderers geweihte Stätte und die Fluren 
von Wig. Die Hälfte des Reiches soll dein sein, den Harm 
zu büßen, du Spangengeschmückte, dein und deiner Söhne." 
Doch Sigrun sprach: „Nie mehr sitze ich selig zu Sewafjöll, 
nicht früh noch spät, des Lebens froh, es sei denn, daß dort 
im Waffenglanz aufleuchte des Helden Schar, unter dem 
Fürsten das Kampf roß sich bäume, knirschend im Goldgebiß, 
und ich den Herrscher grüßen könnte mit froher Umarmung. 
So hielt Helgi in Furcht all seine Feinde samt ihren Ge- 
nossen, wie vor dem Wolfe die Geißen sinnlos entspringen 
den Berghang hinab in grausigem Schrecken. So ragte Helgi 
über alle Helden, wie die edle Esche über niederes Gedörn oder 

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wie der Hirsch, feucht vom Morgentau, höher einherschreitet als 
das Getier des Waldes und zum Himmel aufglüht sein Geweih." 

Sigrun höhte dem Toten einen gewaltigen Hügel, unstill- 
bar rannen nächtens ihre Tränen. Einst ging im Abend- 
dämmer ihre Magd am Grabhügel vorüber. Da sah sie, wie 
König Helgi mit großem Gefolge durch die Luft zum Hügel 
ritt. Sie rief: „Ist Blendwerk, was ich zu schauen meine, 
oder Götterdämmerung — Tote reiten? Mit spitzem Dorn 
stachelt ihr die Rosse. Oder ist den Helden Heimkehr ver- 
gönnt?" Und Helgi sprach: „Kein* Blendwerk ist es, das 
deine Augen schauen, noch ist Ende der Weltzeit, siehst du 
gleich Tote mit spitzem Dorn die Rosse stacheln. Auch ist 
nicht Heimkehr den Helden vergönnt." 

Da eilte die Magd heim und sprach zu ihrer Herrin: „Geh 

hinaus, Sigrun, wenn dich lüstet, den Volksherrn zu schauen. 

Der Hügel steht offen, Helgi ist da! Die Speerwunde blutet. 

Dich bittet der Herrscher, daß du die rinnenden Tropfen ihm 

stillen mögest." Da eilte Sigrun zum Grabhügel, fand Helgi 

und sprach: „So freudvoll bin ich, dich zu finden, wie Odins 

Falken, die Atzunggierigen, wenn sie Wal wittern, warme 

Speise, oder feucht vom Nachttau den Tag braunrot dämmern 

sehen. Erst will ich küssen meinen toten König, ehe du die 

blutige Brünne abwirfst. Dein Haar, Helgi, ist mit Reif 

bedeckt, von Waltau ist ganz der Fürst benetzt, eisig sind die 

Hände von Högnis Eidam. Wie kann ich dir Hilfe und Heilung 

bringen, mein Held?" Helgi erwiderte: „Du allein, Sigrun von 

Sewafjöll, schufst, daß Helgi so vom Harmtau beträuft ist. 

Grimme Tränen weinst du, Goldgeschmückte, du Sonnenhelle, 

du Maid vom Süden, wenn du zur Ruhe gehst. Jede Träne 

fällt blutig auf deines Helden Brust, feuchtkalt und bohrend 

und schwer von Leid. Doch auf nun, laß uns köstlichen Trank 

trinken, müssen wir auch das holde Leben und unsere Lande 

missen. Keiner singe mir Klagelieder, sieht er gleich auf der 

Brust mir die Speerwunde klaffen. Nun birgt mein Hügel 

das junge Weib, die Königstochter mir, dem Toten." 
19* 

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Sigrun bot ihm das Methorn, dann bereitete sie im Hügel 
ein Lager und sprach: „Hier habe ich dir, Helgi, eine Ruh- 
statt bereitet, 1 eine sorgenlose, du Ylfingensproß. j Im Arme 
will ich dir ruhen, König, wie ich einst bei dem Lebenden 
lag." j Und Helgi sprach: „Nun will ich nichts mehr unmög- 
lich nennen, nicht früh noch spät, da du Leuchtende dem 
Toten im Arme liegst in der Grabkammer und selbst noch 
lebst, du Fürstenmaid." 

Als der Morgen graute, erhob sich Helgi und sprach: „Zeit 
ist zu reiten gerötete Wege, den Flugsteg hinan das fahle Roß 
zu lenken. Westlich muß ich sein von Windhelms Brücke, 
ehe im Saale der Hahn die Helden weckt." Da ritt Helgi 
mit seinem Gefolge von dannen. 

Am nächsten Abend ließ Sigrun die Magd am Hügel Wache 
halten. Als die Dunkelheit herabgesunken war, schritt sie 
selbst zum Grabe und sprach: „Gekommen wäre mein herr- 
licher König, wenn er kommen wollte aus Odins Saal. Grau 
wird die Hoffnung auf die Rückkehr des Fürsten, da im 
Eschengezweig schon die Adler sitzen * und alles Volk dem 
Traumthing zutreibt." 

Sigrun lebte nicht mehr lange vor Harm und Trauer. 

Si. HAGBARD UND SIGNE '"T* 

König Sigar von Dänemark hatte drei Söhne und eine 
Tochter mit Namen Signe. Unter den Söhnen überragte Alf 
an Seele und Leib seine Brüder. Sein leuchtendes Haupthaar 
war von solchem Schimmer Übergossen, daß seine Locken 
von silbernen Strahlen umflossen schienen. Alf begab sich 
auf Wikingerfahrten. 

Einst bei Frühlingsanfang, als er mit seinem Bruder Alger 
zu neuen Zügen ausgefahren war und hin und her über das 
Meer schweifte, traf er mit seinen hundert Schiffen auf die 
Söhne des Seekönigs Hamund mit Namen Helwin, Hagbard 
und Hamund. Da entspann sich ein heftiger Kampf, doch 
der hereindunkelnde Abend schied die streitmüden Hände, 

292 



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und die Nacht zwang die Kämpfer zur Ruhe. Am folgenden 
Tage sahen sie sich durch Tod und Wunden sehr geschwächt, 
und da die gleiche Tapferkeit sie in gleiche Not geführt hatte, 
schlössen sie miteinander Frieden. 

Damals warb Hildigisel, ein Teutone von edler Geburt, 
allein auf Schönheit und Adel pochend, um Signe, König 
Sigars Tochter. Sie aber verschmähte einen Mann, von dem 
keiner heldische Taten zu rühmen wußte, und der auf anderer 
Kühnheit sein Glück zu gründen schien. Vielmehr ent- 
zündete das berühmte Heldentum des Hagbard das Mädchen 
zur Liebe. Nach der Seeschlacht kam Hagbard mit den 
Söhnen des Sigar nach Dänemark und gewann eine heimliche 
Zwiesprache mit Signe: sie versprach ihm, heimlich sein eigen 
zu werden und befestigte es durch feierlichen Eid. Als die 
Dienerinnen im Frauenhaus über den Wert der beiden Freier 
stritten, sprach die Jungfrau: „Einer wirbt um mich, der ist 
leuchtender Schönheit bar, doch strahlt auf seinem Antlitz 
des Mutes Blume und heldischer Sinn. Der andere Werber 
hat zierliche Locken, Blondhaar schimmert auf seinem 
Scheitel, schneeweiß ist sein Antlitz. Bald bleicht das Locken- 
haupt und niemand denkt seiner mehr. Kühnheit aber um- 
panzert das Herz, und ihre Taten bleiben unvergessen." 

Als Hildigisel erfuhr, daß Signe ihm Hagbard vorziehe, 
bewog er den blinden Bölwis, Feindschaft zwischen den Söhnen 
des Sigar und des Hamund zu stiften. Bölwis war einer der 
Ratgeber, auf die König Sigar hörte. Er sann aber immer 
Freundschaften in Haß zu verkehren und durch zwieträchtiges 
Spiel Feindschaft zu entzünden. Er verleumdete die Hamund- 
söhne und die Sigarsöhne wechselseitig und zerstörte den 
Bund der Jünglinge bald. Alf und Alger griffen die Hamund- 
söhne an und erschlugen sie, doch war Hagbard damals fern. 
Der rächte den Tod seiner Brüder, indem er die Sigarsöhne 
im Kampfe erschlug. Hildigisel aber empfing in der Schlacht 
eine schimpfliche Wunde ins Gesäß, die ihn für immer dem 
Gelächter der Helden preisgab. 



293 





Hagbard wollte Signe gewinnen, denn er vertraute ihrem 
Treuschwur und fürchtete ihre Rache für den Tod ihrer 
Brüder nicht. Bald nach dem Kampfe legte er Weiberkleider 
an und begab sich allein zur Halle des Sigar. Er nannte sich 
eine Kampf maid des Haki und sagte, er bringe von ihm eine 
Botschaft für Sigar. Zur Nacht gab man ihm sein Lager 
bei den Mägden. Als diese ihm beim Waschen die Füße 
abrieben, fragten sie ihn, warum denn seine Schenkel so rauh 
und die Hände so hart wären. Da antwortete er: „Wundert 
ihr euch, daß mir die Sohle hart wurde und rauhe Haare 
meine Schenkel bekleiden? Auf weiten Fahrten scheuert Sand 
die Sohle und der Dorn der Heide zerfetzt den Wanderer. Bald 
durchdringe ich den dichten Wald, bald durchfurche ich die 
graue Flut. Nicht Rocken und Korb ist meine Hand zu fassen 
gewohnt sondern blutige Pfeile." 

Als sich die Frauen zur Ruhe legten, empfing die Schild- 
maid den Ehrenplatz als Bettgenossin der Königstochter. So 
ward Signe heimlich Hagbards Weib, wie sie einst geschworen 
hatte. Unter Liebkosungen sprach Hagbard zu ihr: „Sage 
mir Signe, du Sonnenhelle, da ich ohne der Sippe Rat und 
deines Vaters Willen dich auf dem Lager umfangen halte, ich 
der Sohn des Hamund die Edle, deren Brüder ich schlug:' wenn 
mich dein Vater hier fängt, mir schrecklichen Tod bereitet} 
und Rache nimmt für seiner Söhne Tod: welches Los er- 
kiesest du dir, die ich dann nicht mehr umfangen halte? ' 
Wird mein Weib mich vergessen oder ihrem Eide Treue 
wahren?" Ihm antwortete die Maid: „Teurer, mit dir zu 
sterben bin ich stets bereit und leid ist mir, länger zu leben, 
wenn dich der traurige Hügel umschließt. Wenn du dem süßen 
Lichte entrissen wirst, ob durch Gift oder Schwert, ob in 
strudelnder See oder auf der Erde, bin auch ich dem Tode 
geweiht. Da ein Lager uns einte, soll auch ein Geschick 
uns hinraffen. Dem die ersten Küsse der Skjöldungenjungfrau 
wurden, hält sie auch im Tode die Treue." 

Solche Worte der Geliebten gaben Hagbard unbeugsamen 

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Mut. Eine von den Mägden verriet ihn, eine große Schar 
drang in das Frauengemach, doch wehrte er sich gegen Sigars 
Mannen mit wilder Kraft, bis er ergriffen und vor den König 
geschleppt wurde. Der befahl, dem Töter seiner Söhne und 
Schänder seiner Tochter den Galgen aufzurichten. 

Zu dem Todgeweihten trat die Königin, reichte ihm einen 
Becher, daß er seinen Durst lösche, und sprach voll Hohn: 
„Hagbard, du wilder, nimm aus eschenem Becher den Trunk, 
den ich zum Abschied dir biete. Setze furchtlos den Heibecher 
an deine mutigen Lippen. Wenn du ihn getrunken hast, 
fährst du gestärkt zur Hei in das finstere Reich. Dein Leib 
aber wird am Galgen den Raben zur Speise." Der Jüngling 
ergriff den dargereichten Becher und sprach: „Ich nehme den 
Trank, der zur weiten Fahrt mir die Lippen kühle, mit der- 
selben Hand, die dir beide Söhne erschlug. Nicht ungerächt 
wandere ich zur Hei: vor mir sandte Jene meine Hand hinab. 
Sieh! sie trieft von eurem Blut, mein Schwert raffte eure Erben. 
Die Pfänder der Hei bringt dir, Kinderlose, keine Ewigkeit 
wieder." 

So rächte er die höhnische Todesdrohung der Königin und 
schleuderte ihr den Becher ins Gesicht. Als man ihn zum 
Galgenhügel führte, fragte Signe ihre Dienerinnen, ob sie ihre 
Genossinnen im Schicksal sein wollten. Das bekräftigten sie 
mit heiligem Eid. Von Tränen überströmt sprach die Herr- 
liche: „Ihm will ich mit euch im Tode folgen, der allein mein 
Lager teilte. Wenn ihr von der Warte das Zeichen seines 
Todes seht, so werft Fackeln in unser Gemach: dann erdrosseln 
wir uns in Schlingen, die wir aus unsern Kleidern fertigen." 

Als Hagbard zum Todeshügel kam, hieß er die Schergen 
zuerst seinen Mantel am Galgen emporziehen. „Gern", rief 
er, „sähe ich meinen nahen Tod im Bilde vor mir." Das 
gewährte man ihm. Der Burgwächter aber, der von seiner 
Warte den Mantel am Galgen flattern sah, wähnte Hagbard 
selbst zu sehen und rief was er geschaut den Mädchen zu, 
die wartend im Frauengemache saßen. Da gaben sie das 

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Haus dem Feuer preis und töteten sich mit den Schlingen. 
Als Hagbard die Königshalle in Flammen gehüllt und die ge- 
meinsame Lagerstatt feurig auflodern sah, drängte er jubelnd 
die Mannen, ihm den Tod zu geben und rief: „Schnell ihr 
Mannen, hebt mich empor! Freudig folge ich der Treuen, 
die mir im Tode vorausging. Prasselndes Feuer sehe ich 
lodern, in Flammen stürzt die stolze Halle, Signes Treue 
brennt gleich einer Fackel zum Himmel. Nie wahrte ein 
Weib die Eide wie sie, die selbst sich den Scheiterhaufen ent- 
fachte, und dem Geliebten die Flügel des Heitores öffnend 
mit ihm die weite Fahrt beginnt. Die der Tod hier nicht 
schied, kann er auch dort nicht trennen. In Heiheim wie 
auf Erden teilt Signe das Lager mit mir." Und als er solches 
gesprochen hatte, nahm ihn der Tod hinweg. 

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;,**.y! '• * 52- AMLETH 

Als Gerwendill, der Jarl von Jütland, gestorben war, machte 
der Dänenkönig Rörik dessen Söhne, Horwendill und Fengi, 
zu seinen Nachfolgern. Horwendill wurde bald ein weit- 
berühmter Seekönig. Er besiegte den König der Norweger 
im Zweikampf auf einer frühlingsgrünen Insel und erhielt 
für diese Tat die Tochter des Dänenkönigs, Gertrud, zum Weibe. 
Mit ihr zeugte er einen Sohn mit Namen Amleth. 

Fengi neidete seinem Bruder solchen Ruhm und solches 
Glück. Er ermordete heimlich Horwendill und nahm sich das 
Weib des Erschlagenen zu eigen. Am Königshofe reinigte er 
sich durch lügenhafte Worte, trat in die Herrschaft des Bruders 
ein und genoß ungestraft die Umarmungen seines Weibes. 

Als Amleth solches sah, nahm er den Schein der Torheit 
an, um ein Leben, das dem Mörder seines Vaters gefährlicher 
dünken mußte als alle Feinde, zu schützen und Zeit zur Rache 
zu gewinnen. Er wälzte sich im Kot und ahmte die Gebärden 
und Reden eines Blödsinnigen nach. All sein Tun schien 
von völligem Wahnwitz zu zeugen. Oft saß er am Herde, 
wühlte mit den Händen in der Asche, schnitzte hölzerne 

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Klammern, härtete sie im Feuer und bildete ihre Enden zu 
Widerhaken aus. Als die Zuschauenden über solches Ge- 
schick seiner Hände Verdacht schöpften, seine Torheit möge 
eine verschlagene List sein und ihn fragten, was er treibe, 
erwiderte er, er fertige scharfe Speere zur Rache für seinen 
Vater. Durch diese Worte zerstreute er den Verdacht und 
erregte lautes Lachen, doch sprach er in der Hülle der Torheit 
die Wahrheit, denn jene Klammern sollten künftig dem Werk 
seiner Rache dienen. 

Einige aber glaubten immer noch kluge Verstellung hinter 
seiner Torheit zu spüren und rieten daher, ihn an einem ver- 
borgenen Ort durch ein schönes Weib versuchen zu lassen: 
solche Verführung werde die Verstellung unmöglich machen, 
denn der natürliche Trieb sei zu stark, als daß schlaue Über- 
legung ihn hemmen könne. Wenn also der Stumpfsinn des 
Jünglings erheuchelt sei, so werde er der Verführung erliegen. 

Also wurde Amleth mit zahlreicher Begleitung in einen ent- 
legenen Wald geführt. Unter den Gefährten befand sich aber 
sein Milchbruder, der stellte seine frühere Freundschaft mit 
Amleth höher als den Befehl seines Herrn und beschloß ihn 
zu warnen. Er band eine Bremse an einen Strohhalm und 
schob, wie um ihn zu necken, sie Amleth zu. Der verstand, 
als er die Bremse sah, daß man ihn vor Heimtücke warne, 
und durchschaute bald den ganzen Plan. Als man ihn zu 
Pferde steigen hieß, setzte er sich daher so, daß er dem Pferde- 
nacken den Rücken zuwandte, zäumte den Schwanz statt des 
Kopfes auf, und unter dem Gelächter der Männer schoß der 
Reiter dahin, den Schweif des Rosses lenkend. 

Im Dickicht kreuzte ein Wolf seinen Weg. Da sprachen 
die Begleiter, es sei ein Füllen gewesen. Amleth aber er- 
widerte: „Solcher Pferde sind wenige in Fengis Herde." So 
mischte er immer wieder List und Wahrheit. Als sie am 
Ufer vorüberritten, nannten seine Begleiter das Ruder eines 
gestrandeten Schiffes ein ungeheures Messer. „Wohl", 
sprach Amleth, „einen ungeheuren Schinken kann man 

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damit schneiden/ 1 Er meinte aber das Meer. Den Sand der 
| Dünen hieß man ihn für Mehl ansehen. „Gewiß", sprach 

er, haben es die schäumenden Meeresstürme so weiß ge- 
mahlen." Dann ließen ihn die Genossen zurück und sandten 
ihm, als er sich allein glaubte, jenes Mädchen entgegen, das 
König Fengi bestimmt hatte und das dem Amleth von Jugend 
auf durch gemeinsame Spiele vertraut war. Er nahm das 
Mädchen in seine Arme und trug es zu einem weit entlegenen 
Sumpf. Dort vereinte er sich mit ihr, beschwor sie aber es 
niemandem zu sagen. Das versprach sie ihm feierlich, denn 
seit ihrer Jugend war sie ihm in Liebe ergeben. 

Als auf dem Heimwege alle ihn fragten, ob er die Liebe 
des Mädchens genossen habe, gestand er den Begleitern, er 
habe mit dem Mädchen gebuhlt. Auf die Frage, wo er das 
getan und auf welchem Lager er geruht, erwiderte er: „Auf 
eines Rindes Huf, auf eines Hahnes Kamm, auf eines Daches 
Getäfel." Da brachen seine Begleiter in Gelächter aus, denn 
sie verstanden nicht, daß er Huflattich, Hahnenkamm und 
Schilfrohr meinte und unter listiger Verhüllung die Wahr- 
heit sprach. Die Maid aber leugnete, daß er solches mit ihr 
getrieben habe. Ihr schenkten die Begleiter Glauben, denn 
niemand von ihnen war Zeuge des Geschehenen gewesen. 

So hatte auch diese List nicht vermocht, den versteckten 
Riegel zu öffnen, der den Sinn des Jünglings verschloß. Da 
riet ein Freund des Fengi, der sich klüger dünkte als die 
anderen, die ungreifbare Klugheit und den viel verschlungenen 
Witz eines so beharrlichen Jünglings auf schwierigere Proben 
zu stellen, denn allzu leicht seien ihm die gebräuchlichen 
Schliche. Während der König sich vom Hofe entferne, solle 
man Amleth mit seiner Mutter allein lassen, insgeheim aber 
solle jemand das Gespräch belauschen, wenn sie sich ohne 
Beobachtung wähnten. Denn ohne Furcht werde der Sohn 
vor der Mutter seinen gesunden Sinn zu erkennen geben, 
wenn solcher irgend in ihm sei. Der den Vorschlag riet, 
führte ihn auch aus. Als sich der König entfernt hatte, ver- 

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steckte er sich im Gemach, worin Amleth mit der Mutter 
zusammenkommen sollte, unter dem Lagerstroh. Amleth 
aber, der Lauscherohren fürchtete, griff anfangs zu seiner 
gewöhnlichen Narrheit: er krähte wie ein Hahn und schlug 
mit den Armen, als seien es Flügel. Dann sprang er auf das 
Stroh, um zu entdecken, ob sich etwas darunter verberge. 
Und als er unter den Füßen einen Körper spürte, stieß er sein 
Schwert hinein, zog den Lauscher aus dem Versteck und 
schlug ihn nieder. Den Leichnam zerstückelte und sott er 
und warf ihn den Schweinen vor. 

Die Mutter bejammerte laut den verdunkelten Geist ihres 
Sohnes. Amleth aber sprach zu ihr: „Was suchst du, Ver- 
worfene, mit heuchlerischem Jammern deinen Frevel zu ver- 
decken? Du hegst gleich einer Dirne den Mörder deines 
Herrn am Busen. Den Tieren gleich hast du deines ersten 
Mannes vergessen. Ich schütze mit meinem Wahnwitz mein 
Leben vor der wütenden Grausamkeit dessen, der meinen 
Vater erschlug. In meinem Herzen aber lebt unauslöschlich 
der Wunsch nach Rache für meinen Vater. Klage du lieber 
über deine Schande als über meinen Wahnsinn. Doch denke 
daran zu schweigen." Durch solchen Tadel führte er die 
Mutter zu ihrer Pflicht zurück und lehrte sie, die alte Treue 
den neuen Verlockungen vorzuziehen. 

Als Fengi heimkehrte, fand er den Lauscher nirgends. Da 
niemand etwas um sein Verschwinden wußte, fragte man 
endlich spottend auch Amleth, ob er von ihm wisse. Er er- 
widerte, jener sei von den Schweinen gefressen worden. Die 
Wahrheit dieser Antwort blieb den Fragern verborgen. 

Fengi aber, der bei seinem Stiefsohn dennoch einen ver- 
steckten Anschlag fürchtete, wollte ihn heimlich aus dem 
Wege räumen und die Tat durch einen anderen ausführen 
lassen. Er sandte Amleth zum Könige von England und 
gab ihm zwei seiner Edlen mit, die führten Runenstäbe bei 
sich, auf denen der König gebeten wurde, den übersandten 
Jüngling zu töten. Beim Scheiden sagte Amleth seiner Mutter 

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insgeheim, er werde nach einem Jahre wiederkehren. Zu 
dieser Zeit befahl er ihr, sein Erbmahl zu richten und die 
Halle innen mit geknoteten Behängen auszuschlagen. Auf der 
Reise entdeckte Amleth die Runenstäbe, während seine Be- 
gleiter schliefen. Er las den Auftrag, schabte die Runen von 
den Stäben und ritzte neue ein. Dadurch änderte er den Auftrag 
so, daß er das Todesurteil von sich auf die Gefährten wandte. 

In England angelangt übergaben Amleths Begleiter dem 
Könige die Runen: ihr eigenes Todesurteil. Der König 
nahm sie freundlich auf und ehrte sie durch ein Festmahl. 
Am folgenden Tage aber erfüllte er die Bitte des Fengi, mit 
dem er durch lange Freundschaft verbunden war, indem er 
die beiden Begleiter Amleths töten ließ. Dieser heuchelte 
Zorn und Entrüstung über die Tat, als habe man an ihm 
schweren Frevel verübt, daher zahlte ihm der König für die 
Getöteten Wergeid. Amleth schmolz das Gold im Feuer 
und goß es heimlich in ausgehöhlte Stöcke. 

Nach Jahresfrist kehrte er nach Jütland heim, ohne von 
den Reichtümern des Königs etwas anderes mitzunehmen 
als die goldbergenden Stäbe. In der Heimat legte er das 
königliche Gebaren, das er am englischen Hof zur Schau 
getragen hatte, ab und nahm seine alten närrischen Gewohn- 
heiten wieder an. Als er schmutzbedeckt in die Halle trat, 
in der man eben sein Erbmahl trank, saßen die Mannen vor 
Schrecken starr, denn ein Gerücht hatte seinen Tod gemeldet. 
Schließlich löste sich das Grausen in Lachen darüber, daß der 
lebendig vor ihnen stehe, dessen Erbmahl sie feierten. Als 
man ihn nach seinen Gefährten fragte, wies er seine Stäbe 
und sprach: „Das ist der eine und das ist der andere,* 1 denn 
sie enthielten ja das Wergeid für die erschlagenen Männer. 

Amleth gesellte sich nun zu den Schenken und half ihnen 
eifrig die Becher füllen, damit er die Heiterkeit der Gäste 
mehre. Er gürtete sich mit dem Schwert, daß sein weites 
Gewand ihm den Schritt nicht hemme. Oft zog er es aus der 
Scheide und verletzte sich wie aus törichtem Ungeschick die 

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Hände, bis die Umstehenden ihm Schwert und Scheide mit 
einem Nagel durchschlugen. Vom Rausch überwältigt, sanken 
endlich die Mannen in der Halle in Schlaf. Da glaubte Amleth 
die Zeit für sein Werk gekommen. Er nahm die einstmals 
gefertigten hölzernen Klammern, die er sorglich aufbewahrt 
hatte, trat in die Halle, wo die Mannen des Königs rings auf 
den Boden gestreckt ihren Rausch verschliefen, durchschnitt 
die Halter des von der Mutter angefertigten Behanges, der 
die Hallenwände bekleidete, und ließ ihn herabfallen. Er 
warf ihn über die Trunkenen und nestelte ihn mit seinen 
krummen Widerhaken kunstvoll so unentwirrbar zusammen, 
daß niemand der Ruhenden sich zu erheben vermochte. Dann 
warf er Feuer auf das Dach der Halle, und schnell hüllte die 
Lohe das ganze Haus ein und verzehrte alle, die in tiefem 
Schlafe lagen oder erwachend vergeblich versuchten sich aus 
dem Netz zu entwirren. Dann ging er in das Gemach des 
Fengi, der sich schon früher von dem Gefolge zurückgezogen 
hatte, und vertauschte das Schwert, das am Bette hing, mit 
seinem eigenen. Er weckte seinen Oheim und schrie ihm 
zu: „Sieh wie deine ganze Gefolgschaft im Feuer vergeht! 
Amleth ist da, bewaffnet mit seinen alten Haken, und brennt 
vor Gier, die Rache am Mörder seines Vaters zu vollziehen." 
Eilig sprang Fengi vom Lager, doch während er das fremde 
Schwert vergeblich zu ziehen versuchte, traf ihn schon von 
seinem eigenen Schwerte der Todesstreich. 



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IX. 

GAUTEN, SCHWEDEN, NORWEGER 



53. KÖNIG REDEL UND SEINE SÖHNE 

Uber das Volk der Gauten herrschte einst König Redel. Bei 
ihm wuchs Beowulf auf, der berühmt ist durch seinen 
Kampf mit Grendel am Dänenhofe und durch den Drachen- 
kampf, in dem er den Tod fand. 

Redel hatte drei Söhne: Herebald, Hädkyn und Hygelak. 
Den Hädkyn traf böses Geschick: beim Schießen mit dem 
Hornbogen tötete er, das Ziel fehlend, mit dem Pfeile seinen 
Bruder und Freund. Kein Gold konnte die schreckliche Tat 
sühnen noch das Leid löschen, das König Redel geschehen 
war. Dennoch mußte ungerächt bleiben der Tod des jungen 
Königssohnes: zu furchtbar deuchte der Gram den alten 
Vater, daß sein eigner Sohn am Galgen reite, ohne Hilfe, 
den Raben zur Weide im Winde schaukelnd. Schmerz ergriff 
ihn, wenn er gedachte, wie nach des zweiten Sohnes Tod auch 
in dessen Hof der Metsaal wüst und öde stehen werde, durch- 
fegt von den Winden: denn verstummt ist der Lärm der Feste 
im Hause, die Harfe schweigt und der frohe Jubel, wenn der 
herrliche Held im Grabe schläft. 

So schmerzvoll bedenkend, was ihn betraf, klagte Redel ein- 
sam auf dem Lager sein Leid. Flur und Haus, alles schien 
ihm weit und leer. Schweren Gram trug er um den getöteten 
Sohn, und konnte doch den Totschlag nicht rächen, nicht ein- 
mal hassen konnte er den Sohn, ob die Schuld gleich seine 
Liebe brach. 

Der grimme Zwiespalt kürzte sein Leben. Er schied aus 
dem Licht, den Söhnen Land und Hochsitz lassend. 

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54. DAS ENDE DER YNGLINGE 

Über Schweden herrschte lange Zeit das Geschlecht der 
Ynglinge. Es war von Yngwi-Frey entsprungen und hatte 
seinen Sitz zu Upsala, der heiligen Opferstätte des Gottes. Dort 
war auch das Thing aller Schweden. In langer Reihe saßen 
die Ynglinge auf dem Upsalastuhl als Herren des ganzen 
Schwedenreiches und vollbrachten manche berühmte Tat. 

Als aber Ingjald, den die Nachwelt den Unheilstifter genannt 
hat, den Upsalastuhl bestieg, hatten sich ringsum in den schwe- 
dischen Harden Kleinkönige aufgeworfen, sieben an der Zahl, 
die wollten die Herrschaft der Upsalakönige nicht anerkennen. 

Ingjald war in seiner Jugend minder stark als seine Genossen. 
Als das Swipdag der Blinde, sein Ziehvater, sah, gab er ihm 
ein Wolfsherz zu essen, davon wurde er der grimmigste und 
bösartigste der Menschen. Als nun König ömund, sein Vater, 
gestorben war, beschloß Ingjald, den Upsalastuhl wieder zu 
seinem alten Glänze zu erheben und die Kleinkönige zu ver- 
nichten. Er richtete zu Upsala ein großes Gelage, um das 
Erbmahl seines Vaters zu feiern und baute eine neue Halle, 
nicht minder groß und prächtig als die berühmte hohe Halle 
zu Upsala. Darin ließ er sieben Hochsitze errichten und nannte 
sie den Saal der sieben Könige. Dann sandte er Boten durch 
das Land und lud die Könige, Jarle und Edelleute zum Erb- 
mahl. Sechs Könige folgten der Ladung und nahmen ihre 
Hochsitze in der Halle ein, nur König Granmar von Söderman- 
land war nicht erschienen, und sein Hochsitz blieb leer. Alle 
Gäste, die gekommen waren, ließ Ingjald in die neue Halle ge- 
leiten. Sein eigenes Gefolge aber und die Schar seiner Mannen 
saßen in der alten Halle. 

Dann tat Ingjald, wie der alte Brauch es wollte, wenn man 
das Erbmahl eines Fürsten feierte: er saß auf dem Schemel 
vor dem Hochsitze, bis man das gewaltige Horn in die Halle 
trug, das man den Bragibecher nennt. Er erhob sich, nahm 
den Becher und tat das Gelübde, er wolle sein Reich nach 

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jeder Himmelsrichtung noch einmal so groß machen oder 
darüber sterben. Darauf trank er das Horn aus, wurde auf 
den Hochsitz geführt, den einst sein Vater innegehabt hatte, 
und damit war er der rechte Erbe seines Vaters geworden. 

Als am Abend alle trunken waren, rief Ingjald die Söhne 
des Swipdag und befahl ihnen, sich und ihr Gefolge zu wappnen 
und zu tun, wie er ihnen zuvor gesagt hatte. Sie umstellten 
die Halle der sieben Könige und zündeten sie an. Wem es 
glückte, aus dem Feuer zu entrinnen, der wurde draußen er- 
schlagen. So verbrannten die sechs Könige mit ihrem ganzen 
Gefolge, und Ingjald unterwarf sich alle Königreiche, die sie 
besessen hatten, und machte sie zinspflichtig. 

Als Granmar von Södermanland erkannte, welchem Ge- 
schick er entronnen war, und das Gelübde erfuhr, das Ingjald 
beim Bragibecher getan hatte, fürchtete auch er seinen Unter- 
gang. Er verband sich daher mit Hjörward, einem mächtigen 
Seekönige, vermählte ihm seine Tochter und versprach ihm 
für seine Hilfe nach seinem Tode sein ganzes Reich. Wirklich 
sammelte Ingjald noch im selben Herbst ein Heer, um Granmar 
zu bekriegen. Aus allen sechs Königreichen hatte er die 
Mannen zusammengerufen, und als er mit seinem mächtigen 
Heere in Södermanland einbrach, kam es zur Schlacht. Doch 
die Häuptlinge und Mannen aus den Landen, deren Könige 
Ingjald verräterisch getötet hatte, flohen, obwohl sie in der 
Überzahl waren, und eilten zu den Schiffen, und der König, 
von seinem Heere verlassen, rettete sich mit Mühe und schwer 
verwundet auf sein Schiff. Bald darauf schloß er mit Granmar 
Frieden und besiegelte den Vertrag mit Eiden. 

Als aber im Herbst König Granmar mit seinem Eidam zum 
Gastgelage auf einem seiner Höfe weilte, überfiel ihn Ingjald 
in dunkler Nacht mit seinem Heer, umringte das Haus und 
verbrannte ihn darin mit seinem ganzen Gefolge. Er besetzte 
sein Reich, und nun war ganz Schweden wieder dem Upsala- 
stuhl unterworfen. Ob dieser Taten aber hieß er seitdem im 
Lande der Unheilstifter. 

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I 



Ingjald hatte eine Tochter mit Namen Osa. Die vermählte 
er mit König Gudröd von Schonen. Sie hatte die Sinnesart des 
Vaters und stiftete nichts denn Böses. So bewirkte sie, daß Gudröd 
seinen Bruder Halfdan erschlug. Dann riet sie auch ihrem 
Gatten den Tod und floh zu ihrem Vater nach Schweden. 

Iwar aber, des erschlagenen Halfdan Sohn, zog mit Heeres- 
macht wider Schweden. Ingjald saß beim Gelage, als er 
den Einfall Iwars erfuhr, und hatte keine Streitmacht bei sich, 
die Feinde zu bestehen. Die Flucht aber war ihm nach allen 
Seiten verlegt. Da folgte er dem Rat seiner Tochter: er machte 
alles Volk tottrunken und zündete selber die Halle an. So kam 
er mit allem Gesinde im Feuer um. 

Seit dieser Zeit saß kein Yngling mehr auf dem Stuhl zu Upsala. 

TYRFINGSAGEN 

SS. DER KAMPF AUF SAMSÖ 

Arngrim hieß ein gewaltiger Kämpe und Berserker. Der 
wohnte zu Bolm in Schweden. Einst hatte er im Kampfe das 
Schwert Tyrfing gewonnen: das war ein herrliches Siegschwert. 
Zwerge hatten es geschmiedet, doch mit dem Fluche belegt, daß ein 
Mann ihm zum Opfer fallen mußte, so oft es aus der Scheide fuhr. 

Arngrim hatte zwölf Söhne, die waren gleich ihm gewaltige 
Berserker, der älteste aber, Angantyr, hatte zweier Männer 
Stärke. Früh gingen sie auf Kriegszüge und bald vermochte 
ihnen niemand mehr zu widerstehen. Alle hatten von ihrem 
Vater kostbare Schwerter erhalten, Angantyr aber empfing 
Tyrfing, das Siegschwert. 

Einst, als man zu Bolm das Julfest beim Gelage feierte, 
hüben die Söhne an, beim Bragibecher Gelübde zu tun. Und 
Hjörward, einer der Arngrimsöhne, gelobte, er wolle die Jung- 
frau Ingebjörg gewinnen, des Schwedenkönigs Yngwi Tochter 
zu Upsala, die schönste und verständigste von allen Frauen 
in den Nordlanden — sie und keine andere wollte er zu eigen, 
oder im Kampfe um sie fallen. 

20 Wolters u. Petersen, Heldensagen. 

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Als der Frühling kam, machten sich alle zwölf Brüder nach 
Upsala auf. Sie traten in die Königshalle und fanden Inge- 
björg an König Yngwis Seite sitzen. Hjörward sagte dem 
König sein Gelübde und bat ihn, schnell zu antworten. Wäh- 
rend Yngwi, von seinen Mannen umgeben, auf Antwort sann— 
denn wohl kannte er den Todesmut und Ruhm der Brüder — 
trat vor den Tisch des Königs Hjalmar, der Heldenherzige ge- 
nannt, und rief : „Gedenke, Herr, wie viel Ruhm ich dir erwarb, 
seit ich in dein Land kam, und wie oft ich für dich mein Leben 
gewagt habe, um dein Reich und deinen Reichtum zu vergrößern. 
Darum bitte ich dich: gib mir deine Tochter zum Weibe. Denn 
ich dünke mir würdiger sie zu empfangen, als diese Berserker, 
von denen der Ruf nichts denn Frevel kündet." In schweren 
Gedanken saß der König, voll Sorge, daß seine Antwort Unheil 
wirke. Endlich sprach er: „Beide seid ihr große und edle 
Männer. Drum ist mein Wille, daß Ingebjörg selbst küre, wer 
ihr Herr sein soll." — „So will ich den zum Manne," sprach 
Ingebjörg, „dessen edlen Sinn ich seit langem kenne, aber keinen, 
von dem ich nichts kenne, als so schlimmen Ruf, wie er von den 
Arngrimsöhnen umgeht." Da sprach Angantyr, der gewaltigste 
der zwölf Arngrimsöhne: „Ich sehe wohl, daß du ihn liebst. 
Du aber, Hjalmar, triff mich zum Holmgang südwärts auf Samsö 
und sei jedermanns Neiding, wenn du zum Mittsommer nicht 
kommst oder die Jungfrau freist, ehe der Zweikampf ent- 
schieden hat." Hjalmar versprach, nicht zu zaudern. 

Heim fuhren die Arngrimsöhne und erzählten dem Vater, 
was ihnen die Fahrt gebracht hatte. „Nie vor diesem fürchtete 
ich für euch", sprach Arngrim, „denn furchtbar ist Hjalmar 
an eiserner Kraft." 

Diesen Winter blieben die Berserker daheim. Im Frühling 
aber brachen sie auf und richteten die Fahrt nach Samsö. 

Als sie zur Insel kamen und in der Bucht Munarwag ihre 
Schiffe bergen wollten, fanden sie dort am anderen Ufer der 
Bucht Hjalmars Schiffe. Der Held selbst war mit seinem ver- 
trauten Genossen, Örwar-Odd, dem Weitfahr, auf die Insel 

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gegangen, zu spähen, ob seine Feinde noch nicht angelangt 
seien. Er hatte seine zwei Schiffe, jedes mit einhundert Krie- 
gern, am Strande zurückgelassen. Als aber die Arngrimsöhne 
die Schiffe ihrer Feinde erkannten, packte sie der Berserkerzorn. 
Sie fielen die Besatzung an, die sich tapfer wehrte, und machten 
nach heftigem Kampfe alle, die auf den Schiffen waren, nieder. 

Als die beiden Helden auf der Insel die schrecklichen Stim- 
men der Berserker hörten, stiegen sie zum Strande hinab und 
erkannten, was geschehen war. Da sprach Odd: „Männer 
sehe ich schreiten von Munarwag, nach Kampf lechzend, 
graubehemdet. Die Wilden haben den Streit erhoben, leer 
liegen unsere Schiffe am Strand." Und Hjalmar sprach: 
„Mächtige Kämpen fahren her von den Heerschiffen, zwölf 
sind sie, die zuchtlosen. Bange Ahnung ergreift mich heute 
zum erstenmal, da ich sie brüllend zur Insel steigen sehe. 
Zwei werden heute abend Odins Gäste sein, Blutsbrüder, zwölf 
aber werden leben." — „Nein, weichen wir nicht den Kampf- 
bäumen", sprach Odd, „mag noch so schrecklich ihre Zahl uns 
dünken. Sie werden heute abend Odins Gäste sein, die zwölf Ber- 
serker, wir zwei aber leben." Sie sahen Tyrfing in Angantyrs 
Händen leuchten gleich den Strahlen der Sonne. Da fragte Hjal- 
mar den Odd: „Willst du mit Angantyr kämpfen, oder mit seinen 
elf Brüdern?" Odd wählte Angantyr, denn der war der gefähr- 
lichste Gegner, doch Hjalmar sprach: „In welchem Kampfe 
gingst du mir je voran ? Du willst mich an Heldenmut übertreffen. 
Doch bin ich das Haupt in diesem Holmgang, darum gilt mein 
Wort. Anderes gelobte ich der Königstochter, als daß mir jemand 
im Streit vorangehen solle. Ich will mit Angantyr streiten." 

Als sie mit den Berserkern zusammentrafen, rief Angantyr: 

„Harte Kämpen kamt ihr her, mutvolle Helden in hölzernen 

Meerschiffen. Von unserer Hand fielen all eure Gefährten. Leer 

liegen eure Schiffe am Strande." Und Odd erwiderte: „Wilde 

Kämpen seid ihr gekommen, zuchtlose, zwölf an der Zahl. 

Einer wider Einen soll zum Kampfe schreiten, Held wider Held, 

wenn Mut ihn beseelt." 
20* 

307 



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Dann gingen Hjalmar und Angantyr mit geschwungenem 
Schwert aufeinander los, und beide wiesen sich den Weg nach 
Walhall. Odd aber ging mit den elf Berserkern abseits und 
focht mit ihnen allen nacheinander, und alle fielen von seiner 
Hand, so wild und grimmig sie sich wehrten. Als alle seine 
Gegner den Boden deckten, ging Odd zum Kampfplatz der 
beiden. Er fand Angantyr von Hjalmars Hand gefällt, der 
aber blutete aus sechzehn Wunden. Odd sprach zu ihm: 
„Hjalmar, Hjalmar! Dahin ist die Farbe. Von vielen Wunden 
seh ich dich müd. Zerhauen dein Helm, die Brünne zerspellt: 
dein Leben verrinnti" Und Hjalmar erwiderte: „Von Wunden 
bin ich zerfleischt, meine Brünne zerschliß, umdunkelt sind 
meine Augen, es schwankt mein Fuß. Zum Herzen schnitt 
mir Angantyrs Schwert, der scharfe Blutzweig, in Gift gehärtet. 
Aber nie vernehmen daheim die Frauen, daß ich mich ängst- 
lich vor Hieben barg, und nie soll zu Sigtunir eine verständige 
Maid von mir sagen, daß ich im Kampfe wich. Geschwellt von 
Sehnen zog ich von den Blühenden, Schönen, mit Odd ins 
Weite. Schnell fuhr ich von dannen, von Freunden umgeben, 
zum letztenmal schied ich von lieben Genossen. Mir gab Geleit 
die schimmernde Königsmaid bis hinaus auf Agnafits Strand. 
Das Wort war das wahrste, das sie zu mir sprach: ,Nie wirst 
du mir wiederkehren*. Ich schied von der jungen Ingebjörg — 
schnell war die Trennung — am Schicksalstage. Trauer wird 
sie überwältigen, daß wir uns niemals wiedersehen. 

„Fünf Höfe besaß ich daheim, doch nie genoß ich sie in 
Frieden. Nun muß ich liegen, des Lebens beraubt auf Samsö, 
vom Schwerte durchbohrt. Du trage zum Zeichen — so will 
ich es — Helm und Brünne zur Königshalle. Der Sinn wird 
dem Fürstenkinde schwinden, sieht sie zerhauen die Brust der 
Brünne. Zieh mir den roten Ring von der Hand und bring 
ihn der jungen Ingebjörg. Jammer wird ihr Herz erfüllen, 
daß wir uns niemals wiedersehen. Die Schar seh ich sitzen 
zu Sigtunir, die ungern jüngst mich fahren ließ. Nie wieder 
freut sich im Königssaal Hjalmar mit den Helden am Methorn. 

308 



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Mit den Fürsten trinkt die Schar der Jarle fröhlich Met zu Up- 
sala, dort überwältigt manchen der Met, mich martert auf dem 
Eiland des Eisens Spur. Südenab streicht der Rabe vom Baum. 
Ihm nach streicht eilig der Adler. Letzte Atzung biete ich ihm 
heute, die mag er schlürfen in meinem Blut. 4 4 

Nach diesen Worten starb Hjalmar. Da trug Odd die toten 
Arngrimsöhne zusammen und schichtete um sie und ihre 
Waffen einen Hügel. Dann trug er Hjalmar auf dem Rücken 
zum Meere hinab und legte ihn auf dem Strande nieder. Alle 
Mannen, die von den Berserkern auf den Schiffen gefällt wor- 
den waren, bettete er in einem anderen Hügel, der noch heute 
weithin den Seefahrern sichtbar am Strande aufragt. Als er 
dies Werk vollbracht hatte, trug er seines Freundes Leichnam 
ins Schiff und segelte mit ihm heim nach Schweden. Vor der 
Halle legte er ihn nieder, trat hinein und legte Brünne und Helm 
des Gefällten vor dem Hochsitz des Königs auf den Estrich nieder. 
Dann berichtete er den Verlauf des Kampfes. Er trat zu Inge- 
björg und sprach: ,,Nimm diesen Ring, den sandte dir Hjalmar 
an seinem Schicksalstag. 11 Sie nahm den Ring, erwiderte nichts 
und sank tot in den Sessel zurück. Da lachte Odd gellend auf 
und rief: „Nun sollen doch im Tode die einander besitzen, denen 
im Leben das Schicksal es wehrte." Er nahm Ingebjörgs Leib, 
trug ihn hinaus, wo Hjalmar lag und legte sie ihm in die Arme. 
Der König aber ließ einen hohen Hügel wölben, dahinein 
wurden Hjalmar und Ingebjörg zusammen gebettet. 

56. WIE HERWÖR DAS SCHWERT TYRFING GEWANN 

Bevor Angantyr mit seinen Brüdern zum Kampf auf Samsö 
zog, hatte er sich mit Swafa, der Tochter des Jarls Bjartmar, 
vermählt. Als Swafa den Tod des Angantyr erfuhr, ging sie 
mit einem Kinde, und bald gebar sie eine Tochter, die den 
Namen Herwör empfing. Das Kind war stark und schön, und 
Bjartmar sprach: „Nun wird sich zeigen, daß die Arngrim- 
söhne nicht ganz dahin sind." 

Als Herwör heranwuchs, wurde sie stark wie ein Jüngling. 

Wolters u. Petersen, Heldensagen. ^OQ 



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Sie gewöhnte sich an Schild und Speer und bewies gewalt- 
tätigen und ungebändigten Sinn. Sie ließ sich Männerkleidung 
fertigen, verließ den Hof ihrer Sippe und begab sich zu einer 
Wikingerschar. Auf ihren Zügen bewies sie solche Kühnheit 
und Stärke, daß die Wikinger sie zu ihrem Häuptling wählten. 
Sie nannte sich Herward. 

Einst kam Herwör mit ihren Schiffen nach Samsö. Sie wollte 
mit ihrer Mannschaft ans Land gehen und sagte, reiche Schätze 
seien in den Grabhügeln verborgen, die von der Insel aufragten. 
Doch niemand von der Schiffsmannschaft wollte sie begleiten. 
Sie sprachen, das Eiland sei von grausigen Wiedergängern 
bevölkert, und schlimmer sei es dort bei Tage als bei anderen 
Grabstätten zu nächtlicher Weile. Da ruderte Herwör, wäh- 
rend die Schiffe über Nacht in der Bucht ankerten, allein in 
einem Boot zur Insel und landete in Munarwag bei sinkender 
Sonne. Sie fand einen Hirten, der rief ihr zu: „Wer bist du, 
der einsam zur Insel kam? Schnell eile der Herberge zu!" 
Herwör sprach: „Nicht will ich zur Herberge eilen, und ich 
kenne nicht das Volk der Insel. Hurtig melde mir, ehe du 
entfliehst: wo liegen Hjörwards Grabhügel?" Der Hirt ant- 
wortete: ,,Das frage nicht, unklug bist du, junger Wikingl 
Schlimmen Weg fuhrst du. Laß uns enteilen, so schnell uns 
die Füße tragen, aller Schrecken geht um auf nächtlichen 
Pfaden." Herwör sprach: „Kleinode biete ich, wenn du mir 
Rede stehst. Den schreckt man nicht so leicht, der im Kampfe 
erprobt ward, nicht reiche Schätze noch rote Ringe bringen 
mich ab von meiner Fahrt." Doch der Hirt sprach: „Mit 
Wahnsinn dünkt mich der Mann geschlagen, der einsam her- 
fuhr zu nächtigen Geistern. Es hüpfen die Hügelfeuer, die 
Gräber stehen offen, es brennen Feld und Sumpf — laß uns 
eilen." — „Mag auch die ganze Insel im Feuer brennen: ich 
erbleiche nicht vor solchem Schnauben. Tote Recken sollen 
mich nicht vertreiben. Mich verlangt, mit ihnen zu reden." 

Da enteilte der Hirt zu seiner Hütte, Herwör aber sah auf 
der Insel die Hügelfeuer brennen, furchtlos nahte sie den 

310 



1 



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• 



Grabhügeln, die flammend lohten. Sie schritt dahin wie durch 
lohenden Nebel, bis sie zu den Hügeln der Berserker kam. 
Dann rief sie: „Erwache Angantyr! Dich weckt Herwör, deiner 
Swafa einziges Kind. Gib mir aus dem Hügel das beißende 
Schwert, das einst die Zwerge künstlich schlugen. Hjörward! 
Herward! Rani! Angantyr! Euch alle rufe ich auf unter den 
Wurzeln des Waldes, mit Helm und Brünne und scharfem 
Schwert, mit beschlagenem Schild und rotem Schaft. Seid 
ihr denn alle, Arngrims Söhne, meintätige Helden, zu Moder 
geworden, da keiner von euch allen mir Rede steht zu Munar- 
wag? Euch alle soll im Busen Verwesung zernagen, als 
modertet ihr im Ameisenhügel, gebt ihr mir nicht das Schwert 
zurück, das Dwalin der Zwerg einst schmiedete! Dem Wieder- 
gänger ziemt nicht kostbarer Waffen Besitz." Da rief Angan- 
tyr: „Herwör, Tochter, was rufst du? Zu schlimmem Geschick 
führte dein Weg dich her. Betört bist du und wirren Sinns, 
wild ist dein Mut, da du tote Kämpen weckst. Mich umhügelte 
nicht Vater noch Freund. Tyrfing umschließt mein Grabmal 
nicht. Das Schwert nahmen hinweg die zwei, die am Leben 
blieben. Einer von ihnen besitzt es seither." Herwör erwiderte: 
„Sprich mir die Wahrheit, dann lasse der Ase dich heil im 
Grabe, wenn es Tyrfing nicht birgt, wenn du nicht das scharfe 
Schwert deiner einzigen Erbin vorenthältst." Und Angantyr 
sprach: „Das Heitor ist gesunken, die Hügel stehen offen zur 
unteren Welt, und lohendes Feuer entfährt ihrem Grunde. Der 
Inselrand steht rings in Flammen, gefährlich ist es, draußen 
zu weilen! Eile, Maid, wenn du noch vermagst, eile zu deinen 
Schiffen!" Sie sprach: „Nicht schrecken mich eure nächtigen 
Feuerbrände. Das Herz erbebt der Jungfrau nicht, sieht sie 
gleich Tote am Tore des Hügels stehen." Angantyr sprach; 
„Nicht dünkst du mir, Jungfrau, menschengleich, die du nächt- 
lich die Hügel umschweifst mit geschnitztem Speer und goti- 
schem Schwert, mit Helm und Brünne vor dem Tor der Halle." — 
„Menschlicher Kämpe dünkte ich mich sonst", sprach Herwör, 
„bis ich eure Säle besuchte. Du gib aus dem Hügel mir das 




Schwert, den Brünnenhasser, Hjalmars Mörder." Und Angan- 
tyr: „Unter den Schultern liegt mir Hjalmars Mörder, ganz 
ist er in Feuer gehüllt. Keine Jungfrau weiß ich über der Erde, 
die ihn mit den Händen zu fassen sich traute." Doch Herwör 
sprach: „Mit den Händen will ich das Schwert ergreifen. Ich 
scheue kein Feuer, es legt sich die Flamme, die mein Blick 
umfängt." Und Angantyr: „Ich sage dir, Herwör, und du 
lausche meinem Worte, weise Tochter, was künftig sein wird: 
Tyrfing wird — glaub meinem Wort — einst dein ganzes Ge- 
schlecht vertilgen." Wieder sprach Herwör: „So verfeme ich euch, 
ihr toten Kämpen: ewig liegt tot bei Wiedergängern in modern- 
dem Hügel, wenn du nicht, Angantyr, aus dem Hügel mir gibst 
das Gewirk der Zwerge." Da rief Angantyr: „So will ich es denn 
nicht länger weigern! Hier nimm aus dem Hügel das Schwert." 

Als Tyrfing in Herwörs Hand lag, sprach sie: „Wohl tatest 
du, Wikingersproß, daß du das Schwert mir aus dem Hügel 
gabst. Mich dünkt, mit ihm gewann ich bessere Habe, als 
wäre mir ganz Norwegen eigen geworden." — „Verblendet 
bist du, sinnloses Weib", sprach Angantyr, „da solches Unheil 
dein Wunsch begehrt. Tyrfing wird — glaub meinem Wort — 
einst dein ganzes Geschlecht vertilgen." 

Dann sprach Herwör: „Zu den Schaumpflügern will ich nun 
hinab. Fröhlich ist der Sinn der Fürstenmaid. Keine Sorge soll mir 
wecken, wie einst meine Söhne sich um das Erbe entzweien." 

Und Angantyr erwiderte: „So magst du ihn haben und lange 
seiner dich freuen. Halt in der Scheide Hjalmars Töter! Nie 
berühre die Schneiden: in Gift sind sie gehärtet. Schlimmes Ver- 
derben bringt das Schwert. Einen Sohn wirst du gebären, der 
wird künftig Tyrfing tragen. Ihn werden die Mannen Heidrek 
nennen, der mächtigste Fürst wird er sein unterm Zelt des Him- 
mels. — Leb wohl, Tochter, gern gäb ich dir die Kraft von zwölf 
Männern, Stärke und Kühnheit, den stolzen Besitz der Arngrim- 
söhne." Herwör wandte, sich und sprach: „So wohnt denn alle 
heil im Hügel. Mich drängt es von hinnen. Mir schien, ich weile 
am Rande des Weltrunds, als die Glut mich umflammte.*' 

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57- KÖNIG HALFS ENDE 

König Hjörleif herrschte über Hördaland in Norwegen. Als 
er nach vielen kühnen Kriegszügen auf einer Wikingerfahrt 
gefallen war, vermählte sich die Königin, Hilde die Schlanke, 
mit dem Seekönige Asmund. Hjörleifs Sohn Half aber begab 
sich, fast noch ein Knabe, mit einer erlesenen Kämpenschar 
auf Seefahrten. Lange Jahre führte er ein Wikingerleben und 
war immer siegreich. 

Endlich beschloß er, in sein Reich heimzukehren, das As- 
mund, sein Stiefvater, während seiner Züge beherrscht hatte. 
Als er nach Hördaland kam, zog ihm Asmund entgegen, unter- 
warf sich ihm, schwur ihm Treueide und lud ihn mit der Hälfte 
seiner Mannen zum Gelage in die Königshalle. 

Am anderen Morgen befahl Half der Hälfte seiner Kämpen, 
bei den Schiffen zu bleiben, während er mit der anderen Hälfte 
der Ladung folge. Innstein aber, unter den Halfskriegern 
der kühnste und mächtigste, sprach: „Gehen wir alle zur Halle 
hinauf von den Schiffen, weihen wir dem Feuer die Schar der 
Männer, töten wir des Asmund Gefolgschaft". Doch Half 
sprach: „Nein, friedlich will ich mit der Hälfte der Mannen 
vom Strande zur Halle gehen. Asmund bot uns rote Ringe, 
die wollen wir gewinnen." Innstein aber erwiderte: „Nicht 
weißt du, König, Asmunds Sinn, Verrat birgt der Fürst in der 
Brust. Wenig würdest du ihm trauen, hörtest du unseren 
Rat." Darauf der König: „Manchen Treueid schwur uns 
Asmund, das wissen die Mannen. Kein edler Fürst bricht die 
Verträge, kein Fürst trügt den anderen, ist Friede gelobt." 
Doch Innstein sprach: „Dir ist Odin gram geworden, da du 
Asmund so sehr vertraust. Sein Trug wird uns alle vernichten, 
wenn du nicht Vorsicht walten läßt." Half erwiderte: „Immer 
gelüstet dich, ängstlich zu warnen. Nie wird der König Ver- 
träge brechen. Gold und Kleinode winken uns, goldene Ringe 
aus seinem Schatz." Und Innstein: „Mir träumte, König, 
— bedenke dies — daß die Flamme über unseren Mannen 

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leckte. Schwerlich werden wir daraus entkommen. Wie deu- 
test du diesen Traum?" — „Ich gebe jedem der kühnen Ge- 
nossen, die mir folgen", sprach Half, „einen goldroten Helm, 
dann wird es scheinen, als umbrenne die Lohe das Haupthaar * 
der Königsmannen." Doch Innstein beharrte: „Noch eines 
träumte mir: mir schien, daß Feuer auf der Kämpen Schultern 
schwebte. Nicht dünkt mich, daß dies Gutes bedeute. Wie 
deutest du diesen Traum?" — „Goldene Brünnen", sprach 
Half, „umblinken die Schultern der Mannen, die sich zum 
Keile ordnen, des Königs Gefolgschaft. Das wird scheinen, 
als ob Lohe die Schultern der Königsgenossen umbrenne." 
Wieder sprach Innstein: „Zum dritten träumte mir: in des 
Meeres Tiefe wären wir versunken. Großes Geschick steht 
uns bevor. Wie deutest du diesen Traum?" — „Genug der 
Narrheit ist nun geredet", rief Half, „keine Deutung suche ich 
mehr. Hör auf, mein Ohr mit deinen Träumen zu füllen." » 

Als sich der König unwillig vom Gestade zum Lande wandte, 
rief Innstein seinen Genossen zu: „Hört mich, ihr Mannen im 
Königsgefolge, ihr, Rok der Schwarze und Rok der Weiße, 
und du, Utstein: gehen wir alle vom Strande hinauf, achten wir 
nicht des Königs Befehl! " Doch Utstein, sein Bruder, sprach: 
„Wir wollen den König in der Heerschar unsere Züge lenken 
lassen. Wenn er es will, Bruder, setzen wir unser Leben mit 
dem kühnsten Führer aufs Spiel." Da ließ Innstein ab und 
sprach: „Oft folgte auf unserer Heerfahrt der Herrscher meinem 
Rate. Nun dünkt mich, seit wir hierher kamen, mag er meinem 
Wort nicht mehr lauschen." 

König Half zog mit der Hälfte der Mannen zur Halle hinauf. 
Utstein aber blieb mit der anderen Hälfte am Strande. Viel 
Volk trafen Asmunds Gäste, und reich war das Mahl. Nach 
schwerem Trunk entschliefen die Halfsrecken. Da legten 
Asmund und sein Gefolge Feuer an die Halle. Innstein er- 
wachte zuerst und rief: „Qualm umhüllt die Edelfalken in der 
Halle, mich dünkt, das Wachs träufelt von den Schwertern. 
Hohe Zeit ists nun, Gold und Kleinod, Zeit auch, die Helme 

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I 



den Halfsrecken zu spenden. Nicht klein ist das Feuer, das 
uns umbrandet. Erwache, König Half! Jetzt hast du, Gaben- 
spender, deinem grimmgesinnten Stiefvater Gaben zu vergelten. 
Möchte es uns gelingen, den Giebel der Halle zu durchbrechen! 
Schon knicken die Pfosten. Ewig, solange die Erde steht, wird 
man der Fahrt der Halfsrecken zu König Asmund gedenken. 
Brechen wir mutig vor und weichen wir nicht! Weisen wir 
im Schwertkampf unsere Kraft. Blutige Wunden soll die 
Schar der Feinde davontragen, ehe der Kampf verebbt. Schnell, 
rüstige Krieger, eilt mit dem Herrn aus dem Feuer. Keines 
Mannes Leben kann ewig währen, seht, nicht fürchtet den 
Tod der Ringespender." 

Als sie die Giebelwand gesprengt hatten und aus der lodern- 
den Halle hervorgebrochen waren, rief Innstein: „Hier sehe 
ich alle an Mut wetteifernd dem einen folgen, dem Edelings- 
sproß. Mögen wir uns glücklich wiederfinden nach unserem 
Heimgang! So leicht wie das Leben ist auch der Tod!" 

In tapferem Kampfe fiel Half mit all seinen Mannen. Bis 
die Nacht herabsank währte das Streiten. Da war nur Innstein 
noch am Leben. Er sprach: „Rok ist gefallen mit dem Heer- 
fürsten, es liegt der Held zu Füßen des Königs. Schlimme 
Vergeltung schulden wir Odin, der solchen König des Sieges 
beraubte. Achtzehn Sommer folgte ich dem Kühnen über 
See, die Pfeile rötend. Keinem anderen kampffrohen Herrn 
will ich mehr folgen, noch alternd dahinsiechen. Hier wird 
Innstein zur Erde sinken, der weise Rater zu Häupten des 
Heerkönigs. Von diesem Tage werden die Helden sagen, 
daß König Half lachend verschied." 

Das war König Halfs Ende. Zwei seiner Kämpen aber, 
Rok der Schwarze und Utstein, waren dem Verderben ent- 
ronnen. Sie sammelten neue Mannschaft, zogen im nächsten 
Sommer nach Norwegen, fällten König Asmund und rächten 
so den Tod ihres Herrn an dem Ungetreuen. 



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WERKE VON 

FRIEDRICH WOLTERS 



a) Verlag der Blätter für die Kunst: 

WANDEL UND GLAUBE, Berlin 1911 

Übertragungen: 

MINNELIEDER UND SPRÜCHE aus dem 
12.— 14. Jahrhundert, Berlin 1909 

HYMNEN UND SEQUENZEN aus den latei- 
nischen Dichtern des 4. — 15. Jahrhunderts, 
Berlin 1914 

b) Werke der Wissenschaft aus dem 

Kreise der Blätter für die Kunst im Verlag 
Georg Bondi: 

HERRSCHAFT UND DIENST, Berlin 1920 

t 

c) Werke der Schau und Forschung 

aus dem Kreise der Blätter für die Kunst 
im Verlag Ferdinand Hirt: 

HELDENSAGEN DER GERMANISCHEN 
FRÜHZEIT, Breslau 1922 (mit Carl Petersen) 



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■ 



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UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY 

BERKELEY 

Return to desk f rom which borrowed. 
This book is DUE on the last date stamped below. 



APRl 0 1953 ÜJ 



LD 21-100m-7, , 52(A2528sl6)476 



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*7 

Vs 



THE UNJVERS1TY OF CALIFORNIA LIBRARY