Die
Heldensagen
der
germanischen
frühzeit
Friedrich Wolters,
Carl Petersen
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WOLTERS UND PETERSEN
HELDENSAGEN
FRIEDRICH WOLTERS
UND CARL PETERSEN
DIE HELDENSAGEN
DER GERMANISCHEN
FRÜHZEIT
IM VERLAG VON FERDINAND HIRT
IN BRESLAU 1922
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ZWEITE AUFLAGE
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DEN DRUCK DIESES BUCHES BESORGTEN
BREITKOPF & HÄRTEL IN LEIPZIG
COPYRIGHT 1921 BY FERDINAND HIRTIN BRESLAU
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INHALT
SEITE
VORBEMERKUNG VIII
EINLEITUNG: VOM GEIST UND LEBEN DER
GERMANISCHEN HELDENDICHTUNG i
I. FRANKEN UND BURGUNDEN
DIE NIBELUNGEN
NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG: DIE W ÖLSUNGE UND
NIFLUNGE
i. SIGMUND UND SIGNY a3
a. SINFJÖTLIS TOD 29
3. SIGMUNDS TOD 30
4. SIGURDS JUGEND 3«
5. SIGURDS DRACHENKAMPF 36
6. SIGURDS RACHEZUG 40
7. SIGURD UND DIE SCHILDMAID 41
8. SIGURD UND BRYNHILD 43
9. UNTERGANG DER NIFLUNGE 53
DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG: SIGFRID UND DIE
BURGUNDEN
xo. JUNG-SIGFRID 59
ix. SIGFRID AM BURGUNDENHOF 63
xa. UNTERGANG DER BURGUNDEN 83
13. WOLFDIETRICH 106
IL ALAMANNEN
14. WALTHARI UND HILTIGUND 124
III. OSTGOTEN
ERMBNRICH
15. JÖRMUNREK UND SWANHILD 144
16. ERMENRICH UND DIE HARLUNGE 149
M50923
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DIETRICH VON BERN SEITE
17. DIETRICHS VERTREIBUNG 151
18. DIETRICHS ERSTER HEERZUG UND DER TOD
DER ETZELSÖHNE 157
19. DIE RABENSCHLACHT UND DIETRICHS HEIM-
KEHR 165
ao. HILTIBRAND UND HADUBRAND 167
IV. WESTGOTEN
HEIDREK
IX. WIE HEIDREK GOTENKÖNIG WURDE 170
aa. HEIDREKS TOD x 7 a
a 3 . DIE HUNNENSCHLACHT 174
V. LANGOBARDEN
a 4 . ALBOIN UND TURISIND 180
25. ALBOIN UND ROSIMUND 181
VI. THÜRINGER
a6. IRINGS VERRAT 184
VII. ANGELN, SACHSEN, FRIESEN
37. WÖLUND 187
a8. EGIL DER SCHÜTZ 191
39. OFFA iga
30. DER KAMPF IN DER FINNSBURG 196
BEOWULF
3 x. DER GRENDELKAMPF 200
3a. DER DRACHENKAMPF ais
HILDE
33. NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG: HEDIN UND HILD aa3
34. DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG: HETEL UND
HILDE 324
35. GUDRUN 330
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VIII. DÄNEN UND JÜTEN
DIE SKJÖLDUNGE
36. SKJÖLD 04a
37. FRODI UND DIE SCHICKSALSMÜHLE 243
38. HALFDANS TOD UND ROARS UND HELGIS
RACHE 245
39. HELGI UND YRSA 251
ROLF KRAKI
40. ROLF UND SEINE KÄMPEN 254
41. ROLFS UPSALAZUG 256
42. ROLFS TOD 259
43- WÖGGS RACHE FÜR KÖNIG ROLF 266
ST ARK AD
44. STARKADS JUGEND 267
45- DAS GÖTTERTHING UND STARKADS ERSTE
NEIDINGSTAT 270
46. STARKADS ZWEITE NEIDINGSTAT 272
47. DER FALL KÖNIG FRODIS UND INGELDS RACHE 274
48. STARKADS ENDE 278
49. HARALD KAMPFZAHNS HEIMHOLUNG IN DER
BRAWALLASCHLACHT 280
50. HELGI UND SIGRUN 287
51. HAGBARD UND SIGNE 292
52. AMLETH 296
IX. GAUTEN, SCHWEDEN, NOR-
WEGER
53- KÖNIG REDEL UND SEINE SÖHNE 302
54- DAS ENDE DER YN GLINGE 303
TYRPINGSAQEN
55- DER KAMPF AUF SAMSÖ 3©5
56. WIE HERWÖR DAS SCHWERT TYRFING GE-
WANN 309
57. KÖNIG HALFS ENDE 3*3
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VORBEMERKUNG
Die vorliegenden Nacherzählungen der Heldensagen sind
auf Grund der Urtexte hergestellt mit der Absicht, das
ursprüngliche heldische Ethos zur Erscheinung zu bringen
und auch aus späteren überwucherten Überlieferungen so
einfach als möglich herauszuschälen. Lücken und Sprünge
der reineren Überlieferung sind einige Male mit Vorsicht
überbrückt, doppelte Überlieferungen entweder doppelt
wiedergegeben oder die dem Sinn des Ganzen am meisten
entsprechenden Teile gewählt worden. Die Darstellung in
Prosa ergab sich aus der Notwendigkeit, gegen die Viel-
spältigkeit der überlieferten Formen für die Erzählung eine
sprachliche Einheit zu finden. Doch ist Ton und Farbe der
einzelnen Quellen möglichst gewahrt und versucht worden,
die innere Bewegung, das Maß von Kraft und Glut, die
Gefülltheit oder Armut, die jeweils in ihnen noch spürbar
ist, sichtbar zu machen. Schroffheiten und Härten ursprüng-
licher Formen zu mildern oder Glättungen und Mattig-
keiten schon entleerter, der dichterischen Kraft beraubter
Formen aufzuhöhen, wurde vermieden. Der Grundriß der
Sage ist meist herstellbar, die verlorene Formung nie.
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EINLEITUNG
VOM GEIST UND LEBEN
DER GERMANISCHEN HELDENDICHTUNG
losem Dämmer auf leerer Heide oder in tiefen Wäldern oder
in Klüften des Berglands ein Volk ans dumpfem Schlaf er-
wacht, wenn es in Druck und Prall des ersten gemeinsamen
Erlebens und einbrechender Gefahr die schwere Klammer der
ungestalten Träume bricht, sich seiner selbst, seines Anders-
seins, seines schicksalhaften Daseins in der ersten Tat bewußt
wird und die Welt um sich in endlosen Weiten hingedehnt
sieht, dann wird ihm eine menschliche Mitte sichtbar, der noch
undeutbare rätselvolle Kraftkern, aus dem die Tat auffuhr,
um die sich der neue Sinn des Volkes ballte: dann erwächst
um den Helden der Heldengesang!
Er zeugt sich aus den Nöten, der drohenden Gefahr, er zeugt
sich aus der Kühnheit, der verachteten Gefahr: er blüht aus
dem Aufgang und Untergang der Völker.
In ihm spiegelt sich alle Jugendschöne und herbe Fülle be-
ginnlicher Völker, alle Kraft des Aufbruchs und Anhebens,
alle Wucht des lang gesammelten Tatwillens, aller Drang nach
Erfüllung der dunkelsten Träume. Das Geschehnis, wie der
Mensch ein Einmaliges und Ewiges zugleich, wird der Zu-
fälligkeit des Raumes und der Zeit entrückt, ohne doch sein
Sinnlich-Gegenwärtiges zu verlieren: in der Luft des Helden-
gesanges atmet eines jeden bester Teil, der Geist des Volkes
erkennt sich in ihm und rückt sein edelstes Bild ins unver-
I Wolters u. Petersen, Heldensagen.
I
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gängliche Leben. Ja, ahnend ist in ihm schon vorempfunden,
dumpf nur hingehaucht und in dunkles Dichterwort gebannt,
welche Schicksalsform, welche Wesensgrenzen, welche Seelen-
gestaltungen dem Volke vorbestimmt und mitgeboren sind.
Mit dem Heldenalter tritt das Volk in die Helle des Erdentages,
wird es hineingerissen in das schicksalhafte Spiel der Kräfte.
Was hinter ihm liegt — auf leerer Heide, in tiefen Wäldern,
• in .Klüften .des. Berglands — ist nur dumpfe Erinnerung, greift
•'aber ma^chmal-rioch als unverstandene Verstrickung ins neue
: Leben: -*JVJ jöner Vorzeit sprach sich sein Menschtum, sein
Wissen von 'sich und Welt im heiligen Liede aus, das um das
Gottbild, im Kreise seines Kultes schwang. Damals bannte
es mit magischem Wort die Schauder der Mächte, die es form-
los umspülten. Noch war die Gestalt nicht da, in deren mensch-
lichem Bilde der frühe Mensch sich seiner selbst bewußt ge-
worden wäre: als ein andrer, ein besondrer sich der Welt
entgegensetzend, noch stand er unter jenem Schauder, jener
ohnmächtigen Einsamkeit, in der nur der Zauber hilft, wo
jedes Wort klanglos in endloser Weite verhallt, wo die Nacht
und der Schlaf voll schwankender Schemen und der Tag voll
einsamer Mühen ist. In einigen uns erhaltenen Resten der
ältesten Sage spüren wir noch die Schauer, die um jene ge-
heimnisvolle Grenze gelagert sind, welche die Urnacht der
Völker von der gestaltigen Welt, das Wilde von den bild-
gewordenen Mächten trennt.
So reckt sich im Liede von Wieland der mit allen zaube-
rischen Erdkräften noch beladene Mensch aus der Nacht und
Wildnis sehnend der Welt der Leiber entgegen: er fängt sie
schon, aber vermag sie noch nicht zu halten, und im Kampf
mit dem ihm fremden Reich, das andern Gesetzen gehorcht
als seinem magischen Zauber, zerbricht er und kehrt nach
Vollbringung seiner dämonischen Rache machtlos in die Öde
seiner raunenden Wälder heim.
Nur selten, wie gesagt, rührt die Heldensage an dieses Reich
der Urzeit, das nicht ihres Wesens ist, an das Leiden der Un-
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gestalt, an den Zauber des Unterirdischen und seine bannende
Kraft. Was in der Sage beginnt, ist die Tat, was in ihr Er-
scheinung wird, der Täter, und das Schwingen seiner mensch-
lichen Seele erklingt nun bildgeworden im Lied des Dichters.
Nun weiß sich ein Menschtum um die Mitte des Täters als
sinnenhafte Einheit, die Erde entläßt ihre Kinder über die
Weiten hin, neue Kraftzellen brechen auf und entladen ihre
verborgenen Wuchten.
Von hier aus ist nur noch ein Schritt zur höchsten Stufe,
zur Einheit der Menschen- und Götterwelt, zum strahlenden
Lichtreich der Homerischen Epen, in denen der Mensch das
Ewige, der Gott das Menschliche darstellt und alles schwerste
wie leichteste Geschehen sich schön im geordneten Kreislauf
der selig in sich beruhenden Weltenkugel vollzieht. Diese
Stufe erreichten die Germanen bis heute nicht. Wohl schufen
auch sie die zyklisch gereihten, zum Gesamtbild geschlossenen
Epen, wie Beowulf, die Nibelungen, Gudrun und viele anderen,
aber sie sind keine höhere Einheit des Seelischen, sondern nur
der mattere Abglanz der Dichtung des Heldenalters.
Aber schon in ihr, dem kurzen Heldenliede, das allein bei
den Germanen aufbewahrt ist, zeigt sich der frühe Bruch, der
die letzte Reife hindern wird, schon in ihr weist sich, wie die
Germanen bei jedem Versuch, ihre tiefsten Sichten ins leib-
hafte Gebild zu bannen, sie in die Zweiheit von Nur-Geistigem
und Nur- Sinnlichem auseinanderbrechen und wie jeder Ein-
strom, der ihre Bahn kreuzt, ihre inneren Bindungen zu zer-
reißen droht: die Heldenlieder der Germanen zeigten ihre
Götter nicht! Sie gestalteten den aus dem Reiche der Mächte
ins Tathafte umgeschwungenen, noch vom Grauen der Ur-
nacht durchströmten, aber in den hellen Tag gerissenen, den
vom Tatwillen allein besessenen frühen Menschen, den Heraus-
bruch des Einzelnen aus allen dumpfen Bindungen, aus Kult,
Sippe, Volksgemeinschaft, sie zeigten seine Gegenstellung
gegen die nicht-menschlichen Erdkräfte, aber auch die schreck-
liche Vereinzelung der noch nicht vöm göttlich schönen Rund
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umschlossenen, der im heldischen Tun allein ihren Sinn finden-
den Seele.
Wohl erhoben sie den Helden über die Unweit, aber die
Schließung des Kräfteringes, die Einbeziehung des todgeweihten
Menschenfremdlings, den das Grauen des „ungehiuren", das
schicksalhafte Fluchzeichen, noch umwittert, in eine durch-
gottete Welt gelang hier nicht.
In ihrer Einsamkeit und Verfemung blieben die Helden-
gestalten stehen, strahlende Kraftmitten über der dumpf-
lastenden Erde, hell oder dunkel dem Untergang geweiht, dem
sie todsüchtig zueilen, den unteren albischen Kräften bewußt
entgegengestellt, von den oberen gestaltigen noch nicht er-
reicht und durchglüht: Erlöser aus dem Banne der Urschauer,
aber selbst fluchbeladen in ihrer Gottferne, die erst das schon
minder rauhe Fühlen jüngerer Zeiten zu mildern sucht.
Was aber hat den Germanen der vorchristlichen Zeit die
Gestaltung einer göttlich-heldischen Welt verwehrt? Warum
wurde die Welt der Leiber vom Göttlichen nicht durchdrungen?
Bei den Nordländern stehen beide Welten noch lange neben-
einander, anfangs sich nirgends berührend und erst in den
Zeiten des ermattenden Götterglaubens sich leise nähernd:
beide Welten gleichermaßen dem Schicksal und seinem ge-
heimnisvollen Gespinst unterworfen, doch nicht miteinander
durchglüht und aneinander gestaltet. Nichts deutet darauf
hin, daß es bei den südlichen Stämmen anders war.
So war der germanische Held schon in seinem Ursprung
nicht Gestaltung und Sinnbild oberer Götterkraft, er war nicht
nach dem Bilde der Gottheit geschaffen: er war der rein-
menschliche Kämpfer gegen die abgründige Ungestalt, der
richtungslos schweifende Vollbringer der menschlichen Tat.
Nun aber fiel die Stunde seiner Geburt in die Zeit des großen
Göttersterbens zwischen Nord- und Mittelmeer und bis tief
in die Länder Asiens und Afrikas, in die Zeit des Ergrauens
und Dämmerns der hohen Fürsten des Alls, das erst die hellen
Götter des Olymps hinsinken ließ und mit dem verwesenden,
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aber rings die Länder durchdringenden römischen Reich auch
alle andern Götter der Erdteile, welcher Stufe immer sie an-
gehörten, ergriff, in die Zeit jener Götterdämmerung, jenes
Fimbulwinters, der die eben damals entstehende Götter-
kunde der Germanen durchdrungen und damit dem ganzen
Himmel dieser Zeitenwende sein geheimnisvolles Gepräge,
seinen Untergangsschauer verliehen hat.
Weniger die neue Religion des Geistes, des unsichtbaren
Gottes war es, die das alte Fühlen brach, als dieses rätselhafte
Ergrauen der Götter. Denn kein lebendiger Gott weicht einem
fremden: er bekämpft ihn oder wandelt sich im Blute des
fremden zu neuer Gestalt. Hier aber starben die Götter, und
nur in den schaurigen Nachklängen von Sturm und Feuer,
wie in einem letzten Aufruhr der empörten Elemente, geisterte
was einst aus ihnen zur Gottgestalt geründet worden war, nun
losgebunden über die germanische Erde hin.
Wundern wir uns nicht über dieses Schicksal: selbst in den
i
marmornen Tempelstätten an den Ufern des Mittelmeeres,
wo der Dienst der Götter jahrhundertelang den gleichen
heiligen Boden mit Opfern getränkt, mit Spenden geschmückt,
die Luft mit Gebeten und Weihrauch erfüllt und geschwängert
hatte, selbst dort erblaßte das Gold der Olympier, ermatteten
die Feiern, erlahmten die Spiele:
Nichts leugnen will ich hier und nichts erbitten.
Denn wenn es aus ist und der tag erloschen
Wohl trifft's den priester erst, doch liebend folgt
Der tempel und das bild ihm auch und seine sitte
Zum dunklen land und keines mag noch scheinen.
Nur als von grabesflammen ziehet dann
Ein goldner rauch, die sage drob hinüber
Und dämmert jetzt uns zweifelnden ums haupt
Und keines weiß wie ihm geschieht.
So singt Hölderlin von der beginnenden Nacht im Süden,
wo jeder Stein die Ewigkeit der Götter zu verheißen schien,
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wo die Völker seit einem Jahrtausend fest um die ehrwürdigen
Stätten saßen.
Die germanischen Stämme aber der großen Wanderungs-
zeit, in der eine unbegreifliche Unruhe unseren Erdteil er-
schütterte, verließen, oft ohne Not und Zwang, ihre heiligen
Wälder und Stätten, sie verließen Heimat und heimatlichen
Götterdienst, sie kamen in Länder, wo die zersetzenden Ge-
danken der Weltweisen über den Götterglauben schon in alle
Schichten der Völker gedrungen waren, wo damals der schreck-
hafte Ruf erscholl: „Der große Pan ist tot!" Sie verloren die
Erinnerung an ein überirdisches gebundenes Dasein auf jenen
irren Zügen, in den immer erneuten Mühen eines rastlosen
Daseins, wo nichts galt als der Ausbruch gesammelten Men-
schentrotzes, als der unbeugsame Wille und die Kräfte, die in
der kämpfenden Gemeinschaft und der blutverbundenen Sippe
verhaftet waren. Des Helden bedurfte man, nicht des Gottes.
Das Christentum aber vermochte, als die alten Götter tot
waren, nirgends in die Heldendichtung einzudringen. Nicht
götterlos nur, sondern alles Göttlichen entleert lebte sie im
Mittelalter weiter, ,,ohne irgendeine Spur von irgendeinem
himmlischen Reflekt", wie Goethe bei der Betrachtung des
Nibelungenliedes bemerkte, uneingefügt in das christliche
Weltall, dennoch aber kein „wahres Heidentum", wie er
wähnte: denn auch die Erdschauer der vorgöttlichen Welt
waren in den großen Epen zur unterhaltenden Phantastik
verdünnt und der große Leidensgang des schicksalumsponne-
nen Helden zum reckenhaften Abenteuer geworden.
Aber jenes Sterben der Götter, der Wirbel an gewaltiger
Zeitenwende, in den die Geburtsstunde der frühen Helden-
dichtung der Germanen fiel, färbte sie mit jenem dunklen
Leid der einsamen Untergänge, das durch alle Tatfülle und
geschlossen-menschliche Unbedingtheit hinschwingt und jeder
Tat, jedem Streben auch in die dämmrigste Ferne, jedem
Steigen durch weglose Wälder und jeder Fahrt über das Un-
geheuer-erfüllte Meer einen Ton von Hoffnungslosigkeit,
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Unendlichkeit, Unvollendetheit beimengt. Erst die nach-
heldische Zeit des Wikingerlebens bringt den hellen freudigen
Ton des fröhlichen Gelingens, der glückhaften Fahrt.
Die jüngere Überlieferung, die Epik des Mittelalters, die
unseren Vätern zuerst wieder sichtbar wurde, hat lange Zeit
das Grundmerkmal der Heldendichtung der germanischen
Frühzeit verwischt, die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts
und Wagners Umdeutungen ins Gefühlhafte haben es zu-
nächst noch tiefer verschüttet. Das Wesen dieser ganz ein-
deutig zu umschreibenden Dichtung, deren Wurzeln alle in
die Zeit der Wanderung hinabreichen, ist durch ein ihr un-
verwechselbar eigenes Merkmal bestimmt: durch die heldisch-
tragische Artung, die sie von allen verwandten Gattungen
der Dichtung trennt. Freilich finden wir diese heldische
Artung ganz rein nur in wenigen alten Liedern der Edda,
einem altenglischen Bruchstück und im Hildebrandsliede.
Aber die gleiche heldisch-tragische Glut umwittert doch alle
Helden der Wanderzeit, in ihr werden alle großen Gestalten
der Dichtung geboren, und unverkennbar, wo nur ein echter
Funke erhalten blieb, verrät sich durch alle Hüllen der Über-
lieferung das echte Feuer.
Das in Tat und Untergang, bis in Leid und Tod großblei-
bende Leben wird als höchstes Gut und stärkste Forderung
des lebenden Geschlechtes an sich selbst ins kurze Lied ge-
bannt, und von diesem Kerne her ist alles andre, Gang der
Fabel, Aufbau und Kunstform selbst, worin die Sage lebt,
bestimmt. Dieses Leben reißen die leidenschaftlichen Strophen
des Stabreimes ins schaubare Bild und verdichten seinen
seelischen Gehalt zum großen Augenblick der heldischen
Bewährung.
Wie aber ist diese eigentümliche heldische Artung der ger-
manischen Frühzeit beschaffen? Woraus entspringt die rein
menschlich tragische Verwicklung?
II.
7
Es ist der unbrechbare Wille, die rauhe, männliche,
schicksalbejahende Haltung in den Widerstreiten der Lebens-
verknüpfungen. Zwar sind die begehrten Güter der Erde,
Macht und Gold, Land und Weib, ist das Glück des Lebens der
höchste der Werte für den kriegerischen Helden, aber es wird
zum wesenlosen Schatten, wo es mit dem heldischen Willen, mit
dem Zwang der Ehre in Widerstreit gerät. In diesen Augen-
blick, da um Leben und Ehre gespielt wird, drängt sich die
ganze Erscheinung des Helden, drängt sich der Sinn seines
Daseins zusammen: hier genießt er sich, stellt er sein Wesen
dar, indem er um das höchste Bild seines Menschtums das
Leben hinwirft.
Zwar ist es die Norn, deren Spruch ergeht, und wohl ist
dem Helden erlaubt, ihr zu zürnen, ihre Unerbittlichkeit zu
beklagen, aber dieser Spruch ist nur dem Helden unabwendbar.
Nicht das im ewigen Weltplan vorausbestimmte Geschick des
Morgenländers erfüllt sich an ihm, nicht die Kette von Schuld
und Sühne, noch tragische Hybris des Griechen bringen ihn
zu Fall. Nein, er könnte dem Spruch der Norn entgehen, ver-
wehrte es ihm nicht seine Heldenseele.
Hier schlägt das eigenste Herzblut der Germanen, hier
klopft noch heute unser eigener Puls: unsere fährlichste Klippe,
wenn wir feig sind, unser stolzester Flug, wenn heldischer
Sinn uns beseelt!
Was die Norn spinnt, ist nicht die Willkür einer tückischen
Macht, die den Menschen fängt, wohin immer er seine Bahn
lenken mag, sondern nur der im äußeren Lauf der Dinge sich
verknüpfende Augenblick, den der Unheldische leicht durch-
springt, den aber der Held, seinen unbrechbaren Willen be-
während, siegend und sterbend zu seiner Vollendung nützt.
Was den Alten der Tag der Unabwendbarkeit, dem Christen
die Zeit der zu duldenden Prüfung war, ist dem Germanen
die Gunst der Stunde, die kurze Frist zur Zeugung seines
höchsten Selbst:
Ein zuckend lohen eine goldne flut.
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Jedesmal ist mit dem triumphierenden Tode des Helden
das Nornengespinst zerrissen , kein Fluch erbt von Geschlecht
zu Geschlecht, — nicht das Schicksal erfüllt sich, sondern der
Held sich selbst. Er steht über dem Schicksal, und lachend
oder dunkel trauernd genießt er seinen Untergang und das
machtlose Zerbrechen der Schicksalsverknüpfung vor seinem
Willen. Er ist Odin, der am windkalten Baume sich selbst
mit eigenem Speere opfert, er kennt das Wort, das Odin dem
toten Bai der ins Ohr geflüstert: er stellt es dar.
Leidvoll ist das Leben dem Edlen, und schlimm und rauh
sind die Wege der Menschen, die seinen tiefen Sinn an sich
bewähren: denn wo ein unbeugsamer Wille den andern kreuzt,
da geschieht Wehgeschick, da fängt sich der Held in seiner
Unbedingtheit, in der Unverbrüchlichkeit seines inneren Ge-
setzes. Auch offener Verrat, auch sichtbar drohendes Ver-
derben läßt ihn nicht zur Vorsicht, nicht zu weiser Zurück-
haltung greifen: todgierig geht er, wohin sein Drang ihn führt,
gewiß, daß nichts ihn brechen kann.
„Unheil schuf die Norn", wenn Bruder den Bruder mordet,
wenn Gunnar und Högni unter den Händen des unedlen Atli
sterben, wenn Signy und Grimhild das Leben um die Voll-
bringung der Rache opfern. Aber alles Unheil, das die Norn
schafft, ist das Heil des Helden: er gibt der Welt ihren Sinn,
indem er sich über das Schicksal erhebt, es in sich aufhebt
und das Gewaltige durch seine eherne Unbedingtheit, durch
sein erfülltes Bild in erhabenes Menschtum wandelt. Er fällt,
aber „stehend auf Leichen erzmüder Goten", er sinkt, aber er
weiß, daß die Gestalt, die er sterbend in die Welt gebiert,
schöpferisch und unsterblich in ihrwest, daß sein Tod wieder und
wieder zeugen muß: die heldische Rache und die heldische Tat.
Darum hat er wenig Klage vor dem Schicksal, auch wenn
es ihn in das grausamste Geschehen stellt, auch wenn die
Heldenehre den furchtbarsten Kampf kämpfen muß. Denn lieber
tötet Hildebrand den Sohn, der ihm nach dreißigjährigen Irr-
fahrten an den Toren der Heimat entgegentritt, als daß er
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seine Kriegerehre durch den Anschein der Feigheit befleckte.
Noch über den Tod hinaus zwingt der Held das Schicksal wie
Helgi, der im Totenhügel die Geliebte umarmt. Der Rache-
pflicht vor allem, die die Ehre gebietet, wird jedes Gut ge-
opfert, ihr opfert Signy Söhne und Frauenehre, damit sie mit
dem Bruder aus reinem Wölsungenblute den Rächer zeuge.
Der unbeugsame Stolz dieser Männer und Weiber, ihr Trotz
vor dem Geschick zwingt sie zu grausamer Härte gegen sich
und die Geliebtesten: dem Tode ist Brünhild und der geweiht,
der sie eidbrüchig machte, sei es auch Sigurd, der hehrste Held.
Und zu sterben mit Freuden, in den Tod zu stürzen, gebieten
Ehre und Pflicht der Folger, deren Führer im Kampfe fiel.
So stehen die Helden vor dem Schicksal, und von diesem
Brennpunkte aus ist ihr ganzes Sein und Handeln bestimmt.
Nie vergessend, was sie befiel, in jedem Augenblick geprägt
mit dem Siegel der ihnen eingeborenen Sendung warten sie in
starrer Gehaltenheit der Stunde ihrer Bewährung.
Schamhaft und schweigsam sind die Seelen der Helden —
ob Mann ob Frau. Edle Scheu verschließt ihr Inneres jedem
unlauteren Griff, unwandelbar, einem Standbild gleich, steht
ihre Gestalt im großen Bewußtsein ihres verschlossenen Seins,
gefüllt mit seherischem Wissen um Schicksal und Gesetz der
Seele, bis die Stunde da ist. Dann bricht aus langer Ver-
kettung in plötzlichem hellseherischem Wort der tiefe Sinn
des heldischen Daseins, des Trägers aller Geschehnisse, wie
ein Blitz hervor, und sie scheuen sich nicht, hinauszurufen,
daß sie, die Helden, es sind, die der Welt not tun, daß in ihnen
sich alles Geschehen vollende.
Lange, oft in unscheinbarem Gewände, birgt sich die Sen-
dung in der Heldenseele, nur im Augenblick ihrer Bewährung
kommt der Strom ans Licht, der sie trug, drängt heraus, was
lange unbemerkt den Vielen schlummerte. Auch dann noch
ist die Rede keusch verhalten, klaglos, nur den tiefsten Grund
der Seele oft dunkel aufweisend, geballt und schwanger von
Vergangenem und Zukünftigem, ein Wirbel in der strömenden
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Zeit. Hier öffnet sich der Blick in die tiefe Verschlungenheit
der Dinge, in die dunkle Dämonie der undurchschaubaren
unteren Welten, aus denen die Bilder aufsteigen. Nie ist in
diesen Worten ein gut und bös, ein schuldig oder unschuldig,
nur ein hell und dunkel und selten, aber nie in moralischem
Sinne — denn auch die Gegenspieler sind in das ewige Netz
verschlungen — ein edel und gemein. Wille steht gegen Wille,
Ja gegen Nein, aber immer ist darin ein Wissen, daß das
Schicksal sinnlos und das Dasein wertlos würde, wenn der
Held in der Probe zerbräche.
Sie zu suchen sein Leben lang, um den Preis seines Unter-
gangs, weiß er triebhaft als seine einzige Aufgabe, als sein
einziges Ziel: hinauszuschießen über Menschenmaß, gelenkt
von Zeichen und Träumen, nie geschreckt, nur gelockt von
der ihn umwitternden Prophetie, von Jugend auf umringt
von Mißgeschick, Verbannung, Neid und Haß, gekettet an den
unwürdigen Genossen oder geknechtet vom unedlen Herrn,
so geht er, blind gegen alle Warnung, verfolgt und verfemt,
von früh auf in Mühsal und Kämpfen seine Bahn, bis er im
leidgroßen Untergang Sinn und Vollendung findet.
Nie um der andern Glück und Behagen leidet er, aber er
fühlt, daß er um der andern Heil duldet und kämpft. Er weiß,
daß ihm für seine Tat nie Dank wird:
Sie ziehen hin gefolgt vom schelten
Vom bösen blick der großen zahl.
„Nach Tod und Wunden gierig'* brechen sie oft schon im
Knabenalter auf, im Kampf mit giftigen und feurigen Un-
getümen erzwingen sie das erste Siegel ihres Loses, Gott und
Mann, Mage und Weib, Albe und Unhold werden ihre Gegner
auf steten Zügen, aber weiter verfolgen sie ihre Bahn durch
den Dunkelwald, über das schäumende Meer, nichts suchend,
als ihr Heldenbild zu zeugen, Treue zu bewähren, Untat zu
vergelten, bis ihr Name untilgbar unter den Sternen wird.
II
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Sie bringen das Licht, aber sie stehen nicht in dem bleibend-
hellen Tag, in dem die hellenischen Kämpfer einzeln in jeder
Bewegung und Rundung sichtbar sind, sondern verhängt
bleiben die Horizonte und Sturm und Düster braust über ihr
Ende hin. Jene finden trotz der unabwendbaren Schicksals-
macht den sinnlichlösenden Austrag des Kampfes mit ihr im
Streit und Widerstreit der Menschen mit den sichtbaren Göt-
tern, um die germanischen Helden aber steht die furchtbare
Einsamkeit des Kampfes mit der Gewalt des eigenen Loses,
kaum gemildert durch die Mitfahrt des Gefährten oder der
Geliebten zur Hei, aber überwunden durch Sang oder Lachen,
die den Tod begrüßen, wenn nicht die letzte Kraft noch der
letzten Rache am Mörder dient.
Die Schönsten unter ihnen fallen im strahlenden Glanz der
Jugend, mühelos die Gunst des Nun und Hier findend, andre
sinken auf mittaglicher Höhe, andre wieder stehen als Greise
da, weisheitsschwer nach einem langen Leben unnennbarer
Mühsale, dunkel und unerbittlich geworden durch ein stetes
Aug in Auge mit dem Schicksal, durch den immer erneuten
Willen der Widerwelt sie zu brechen, ihr Heldendasein zu
trüben, aber dennoch fest, voll unbeugsamen Willens.
Alle tragen die Eigenschaften einer männlich-kriegerischen
Zeit: die stolze Verhaltenheit des Erwartens und die rausch -
hafte Leidenschaft der Tat, die Bluttrunkenheit und Unerbitt-
lichkeit gegen den Feind und die vornehme milde Schonung
gegen den Überwundenen, die weise Mäßigung in Freude und
Trauer, die Bändigung des Schmerzes. Nicht der freie Schrei
des Südländers ist ihr Teil, sondern ingrimmiges Ertragen der
größten Qualen und stolzes Sich verweigern gegen die Schwäche,
aber auch überschäumende Maßlosigkeit des Begehrens und
Wollens in der Gier nach dem verhängnisvollen Gold, nach allen
Machtschätzen der Erde, daneben Großmut und Freigebigkeit
gegen Freunde und Genossen, die den begehrten Schatz ver-
schwendet und selbst den Ruhm der heldischen Tat verschenkt,
unverbrüchliche Treue und Dankbarkeit, aber auch Treulosig-
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keit und Neidingswerk wider den geschworenen Herrn, Wahr-
heitsliebe und Unverletzbarkeit des gegebenen Wortes, ein
trunkener Stolz hinauszurufen, was man getan, und koste es
gleich das Leben, den Gekränkten noch mit der kränkenden
Tat zu höhnen, wenn man im Angesicht des Todes steht,
endlich Ehrlichkeit im Kampf, denn List ist unwürdig, wenn
nicht die höchste Pflicht, die Rache, auch sie wie jede Hand-
lung in ihrem Dienste heiligt. Denn die Rache schont weder
Schlaf noch Gastrecht, weder das Band der Ehe noch den
Schwur der Freundschaft: ihr hartes Gesetz zu erfüllen
mordet der Freund den Freund, die Schwester den Bruder, die
Gattin den Gatten, die Mutter den Sohn, und nur zuweilen
beim Weibe überwindet die Liebe die furchtbare Pflicht.
In scheinbar völligen Gegensätzen bewegen sich diese
Eigenschaften des Helden: Treue steht neben Untreue, Härte
neben Milde, Gier neben Kargheit, aber sie schließen sich
nicht aus, weil es keine unbedingten Werte sind, nach deren
Forderungen der Held das Leben vollziehen müßte, keine
göttlichen Normen oder gar Götter, denen er nachstreben
müßte, um sein Wesen in ihnen zu vollenden, sondern nur die
jeweiligen Bedingtheiten des Daseins, in denen er seine Selbst-
darstellung zu bewähren hat: vor dem Gebot der Bewährung,
dem einsamen Gesetz der Edlen, gibt es nicht „Sünde oder
Sitte", vor dem heldischen Tun gilt weder Urteil noch Feme,
es hat sein Maß nur in sich selbst und sein Gericht nur im
Versagen vor dem Gebot der Stunde.
III.
Wie und wo entstand diese Heldendichtung? Auf welchen
Wegen kam sie zu uns und erhielt sich trotz aller Mischungen
und Wandlungen das geistige Gesetz ihres Ursprungs?
Als die Romantiker am Anfang des 19. Jahrhunderts die
mannigfaltigen Überlieferungen der Heldendichtung zu er-
forschen begannen, erkannten sie wohl, daß ein bestimmt zu
umgrenzender Stoff sie verbinde und daß auch ihre bunten und
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wechselnden Formen sich unter dem einen Namen der Helden-
sage vereinigen ließen. Aber ihr Irrtum über Wurzel und
Wesen des Dichterischen führte sie zu falscher Vermutung
über den Ursprung jener Gebilde, ließ sie wähnen, was wir
als gestaltete Heldendichtung vor uns sehen, lebe erst als
dunkles Geraun unter den Völkern, bis irgend jemand „das
Erzeugnis der dichtenden Volksseele" ergriffe und bewußt
in die Bildungswelt der höheren Schichten zöge. In diesem
Sinne aber gibt es kein dunkles Vorleben der Heldensage,
sondern im Beginn steht die Heldendichtung, und daß sie
entstehe, dazu wird der Held und der Dichter bedurft, Licht- und
Leidensgang eines großen Lebens und die Kraft, dieses Leben
ins Gebild zu bannen, ihm Gestalt zu geben. Denn im Täter
lebt das Heldische als spannende, schnellende Kraft, im Dichter
als zeugerischer, neues Heldentum gebärender Kern, und wo
in der Welt wir von Heldischem wissen, sind beide Mächte —
in den höchsten Gipfelungen vielleicht in einem Menschen —
Kein herzog, kein heiland wird der mit erstem hauch
Nicht saugt eine luft erfüllt mit prophetenmusik,
Dem um die wiege nicht zittert ein heldengesang.
Was der Heldendichter schafft, sind nicht gestaltlose Träume
von den schreckenden oder tröstenden Geheimnissen des dunk-
len Wachstums, halb unbewußt in das vertraute menschliche
Gewand gezogen, sind auch nicht vage verschwimmende Deu-
tungen des verschlossenen, noch unerkannt umschwingenden
Alls, „Allegorien" der immer seienden Kräfte, sondern sinnlich
als Menschtum erschienenes Sein: großes Geschehen und große
Gestalt, leibhafte Menschlichkeit, von dem hingerissenen Ge-
stalter in seiner ganzen sinnbildlichen Tiefe geschaut. Nirgends
lebt die Heldensage außerhalb des Heldengedichts, und mit
seinem Erlöschen erlischt auch der Glutkern der Sage: die
Versinnlichung des günstigen Augenblicks in Tat und Unter-
gang, der Gestaltwerdung der Heldenseele.
vereint:
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Bei den gotischen Stämmen ihren Ursprung nehmend und
schnell über alle germanischen Stämme bis hinauf nach Skan-
dinavien sich ausbreitend, sind alle echten Stoffe der Helden-
dichtung in der Zeit vom 4. bis 6. Jahrhundert geschaffen wor-
den, in jener Zeit der mühevollen Wanderungen und Züge der
Germanen, der staunenerregenden Gründungen von Staaten,
der schreckenerregenden Untergänge der Völker.
Es sind die überragenden Gestalten der Völkerwanderungs-
könige, an denen die Heldendichtung sich entzündete. Der
große Gegner aber, das alte Römerreich, ist völlig in ihr ver-
gessen, und Attila, der Feind und Verheerer so vieler Stämme
und Landschaften, ist meist in einen freundlichen Schirmer,
das „Väterchen" gewandelt. Auch sonst sind aus der
Geschichte jener Zeit nur wenige Namen entlehnt, einige äußer-
liche Erinnerungen übernommen, und überall ist das Schwer-
gewicht in der Handlung so verschoben, daß der geschichtliche
Vorgang nur noch ganz leise durchschimmert. Und wie sie
die Gegensätze der großen Reiche versinken ließ, so hat die
Heldendichtung selbst unter den Völkerschaften wandernd
auch alles nur Stammhafte ausgetilgt, und wo solche Volks-
gegnerschaften noch eine ihrer stofflichen Wurzeln bilden,
sind sie ganz in den Hintergrund gedrängt. Nicht aus staat-
licher Spannung, sondern aus rein menschlich-seelischer Ver-
strickung gebiert sich der Kampf, aus Nebenbuhlerschaft,
Sippenbruch, Blutrache, Treubund. Nicht zwischen Volks-
gemeinschaften spielt das tödliche Geschick, auch wo es in
der Geschichte einst so war, sondern zwischen Schwurbrüdern
und Versippten, und nicht an den Grenzen knüpft es sich,
sondern in der Königshalle bei Trunk und Mahl. Könige und
Königinnen als die Träger adligen Lebens und Fühlens und
ihre Mannen sind die Spieler, und was die großfühlende Einzel-
seele erfüllte, wurde der Stoff des Dichters.
Noch weniger aber als der Kampf von Volk wider Volk,
den die Helden doch sinnbildhaft noch widerspiegeln, ist die
Götterkunde oder ihre Mischung mit der Geschichte die Wurzel
15
der Heldendichtung. Helden und Götter der Germanen sind,
^ie wir sahen, durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt,
und die allegorischen Deuteleien der späteren Wissenschaft
waren frühen Völkern auch dann noch fremd, wenn sie Stern-
und Taglauf zu jener wunderbaren Einheit verbanden, die
den nüchternen Verschleißern des „bürgerlichen" Jahres als
das verschlungenste Rätsel erscheint. Nur die Elemente der
niederen Wesenkunde, all jener Unholde und Drachen, an
denen die Heldendichtung so reich ist, gewinnen in ihr einen
neuen Sinn: sie sind das unter der Hand des Täters bezwungene
Reich der erdhaften Mächte, die nur noch dunkel herauf-
stöhnen und ohnmächtig drohen, die Stufe bezeichnend, von
der das Menschtum des Helden die Erde befreit hat.
Aber weder die Gespenstergeschichten, diese ungreifbaren
schweifenden Fabeln, die sich hier an einen Berg, dort an
einen See heften, diese raunende Erinnerung an Erde und
Menschengeschehen, an das Geheimnisvolle, das vor allem
verschollene oder zerfallene Orte umweht, noch die im mitt-
leren Alter entstandenen Märchen mit ihren bunten Erlebnis-
ketten, ihrer Vorliebe für den harmlosen jüngsten Königssohn,
der verdienst- und mühelos den Schatz erwirbt, für den ver-
träumten Dümmling, dem das Glück in den Schoß fällt, können
je die Wurzel einer Heldendichtung gewesen sein, in der die
Schauer der höchsten und härtesten Leidenschaften verfangen
sind. Sie entsprang da, wo der Dichter in der Seele des Täters
den scheinbar unlöslichen Knoten von Freiheit und Schicksal
sah, den Punkt, aus dem der leuchtende Auf- und Niederstieg
sich entwickeln mußte, und was aus der Fülle der Geschichten
anschoß, sog die dichterische Leidenschaft so in ihre Be-
wegung auf, daß nichts als reines Erzählgut stehenblieb, alles
Metall in der neuen Glocke völlig verschmolzen wurde.
So entstand die germanische Heldendichtung in und mit
dem kurzen stabreimenden Lied, das uns bei den Nordländern
in reicher Fülle, bei den Südgermanen wenigstens in einigen
Bruchstücken erhalten ist. Es enthielt die heldische Sage in
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knapper, gedrängter Form, Erzählung und Rede der Handeln-
den mischend. Der Ablauf der Handlung war vollständig
eins mit dem Inhalt des Liedes, auch wenn dieses nicht mit
dem zeitlichen Anfang der Fabel begann, sondern sogleich
die mittelste Verstrickung brachte und erst im Vorwärtseilen
rückdeutend die Fäden über das ganze Spannungsgebiet der
Seele zog. Gerade aus dieser Beschränkung auf die Dar-
stellung des heldischen Augenblicks entsprang der sparsame
straffe Umriß, der alles entbehrliche Einzelne wegläßt, der
drängende Zug, der dem Höhepunkte der heldischen Be-
währung zueilt, die kunstvolle Gliederung, die nur am seeli-
schen Vorgang sich aufbaut. Das Heldenlied ist ganz erfüllt
von dichterischer Schau und stellt das aus der Spannung
eines einmaligen seelischen Geschehens geschaute Bild un-
vergeßlich einprägsam vor die Augen der Hörer: Hiltibrand
und Hadubrand zwischen den Heeren, Högni unter dem Messer,
Hjalti und Bjarki zu Häupten und Füßen ihres gefällten Herrn
— und die Germanen haben diese Bilder nie vergessen, auch
wo sie ihres seelischen Gehaltes ganz beraubt waren.
Bis ins Ii. Jahrhundert erhielt sich die heldische Fühlweise
rein im Heldenliede, im 12. ergriff ein neues Lebensgefühl die
alten Stoffe, und neue dichterische Formen wandelten auch
ihr Wesen um: der innerste Kern der Sage zerbrach damit.
Das alte Heldenlied war aus den Händen des adligen Gefolgs-
mannes, des „scop", in die des wandernden Spielmannes hinab-
gesunken und wurde nun die Quelle des in Deutschland neu
entstehenden Epos, das zwar den Rahmen der alten Liedfabeln
nirgends überschritt, aber sie aufschwellte und stofflich er-
weiterte. Dabei verwandelte es von Grund auf die Darstellungs-
weise: der straffe gedrungene Bau des Liedes, die Gestaltung
des Augenblicks der heldischen Bewährung wird aufgespalten
in eine behaglich gedehnte Breite, wird aufgelöst in den gleich-
mäßig fließenden Strom einer zeitlich gegliederten Erzählung,
in dem die Höhepunkte der alten Lieder, auch wo ihre Leiden-
schaft noch spürbar ist, doch rettungslos untergehen. Denn
2 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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die Erweiterungen bestehen nur aus fremdem Gut: es ist das
ritterliche Zeitkostüm, die Pracht des höfischen Lebens, das
phantastische Abenteuer, das Ferne und Fremde, das ge-
schichtliche und gegenwärtige Geschehen, die mit unersätt-
licher Fabulierlust und Freude am breiten Erzählen in das
heldische Leben verwoben werden.
Ähnlich ist die Wandlung im Norden, wo die Zeit der Prosa-
saga die der Lieder ablöst. Auch hier werden die alten Stoffe
mit jungem Gute reich durchsetzt, auch hier herrscht die
Freude am Abenteuer, aber die Abkehr geht nicht nach dem
Gesellschaftlichen hin, sondern ins Bäuerlich-Derbe, Kämpen-
und Wikingerhafte, und trotz aller Wandlung der Formen
liegen die Kämpen der Saga minder weit ab von den Helden
der Wanderungszeit als die erzogenen Recken des deutschen
Mittelalters. Wohl überdeckt der Ton der frohen abenteuer-
lichen Fahrt den dunklen Schicksalszwang der frühen Lieder,
aber einige Sagawerke der jüngeren Schicht dringen mit ihrer
unbändigen Gewalt und düsteren Leidenschaft fast in dieselben
Bereiche, in denen die alte Heldensage wurzelt, rühren trotz
der veränderten Fühlweise an die leidvolle Einsamkeit, die
wilde Verschlossenheit und das seherische Wissen der frühen
Helden. Aber gerade wo die Saga die alten Stoffe gestaltet,
klingen die Töne minder voll, es ist weniger die Tat, die sie
zeigen, als die ruhelose Bewegung, weniger das unmeidbare
Schicksal als der unglückliche Sturz, und oft schmilzt bei der
Einebnung der Gipfel in die nüchterne prosaische Rede der
Rausch und die Leidenschaft ins Gewöhnliche hin.
Auch die lateinischen Chronisten enthalten manche Helden-
stoffe, vor allen der Däne Saxo, aber so umkleidet mit dem
Gewände antiker Bildung, kirchlicher Sinnesweise und ge-
schichtlicher Deutung, daß es schwer ist, die alten Sagen-
kerne herauszuschälen. Und schlimmer noch steht es mit
der im Norden verfaßten großen Sammlung der Thidreksaga,
die alte Sagen willkürlich umgestaltet, ihres alten Sinnes
beraubt und ins Gemeine hinabzieht.
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Diese äußeren Wandlungen der Heldendichtung waren nur
Sinnbild und Zeichen der inneren, des Zerfalls des heldischen
Kernes der Sage, und gerade der Sänger der Epen war es, der
den inneren Bruch deutlich vollzog. Sein gesellschaftlicher,
nicht rein dichterischer Charakter, seine gemilderte gebildete
Weise, sein zuweilen schon unadliger Stand ließen ihn mehr
in der gesellschaftlichen Sitte und Zucht als im seelischen Adel
die Zeichen edlen Wesens suchen: seine Gestalten litten die
heldische Unbedingtheit nicht mehr. Wohl kennt das Nibe-
lungenepos, das von allen Epen am meisten aus der alten Dich-
tung herüberrettete, noch die kühne Todesverachtung, aber
nicht mehr den freien Ausbruch heldischer Leidenschaft. Ein
anderes Gefühl von gut und böse ist wirksam, von edel und
unedel, und vielleicht ist dies weniger bedingt durch die Lehre
des Christentums als durch ein Herabsinken des kriegerischen
Wunschbildes, das gebrochen wird durch das Heraufkommen
neuer Abwägungen des Gefühls. Markgraf Rüdiger in seinem
Widerstreit der Pflichten, seinem Müssen wider sein Gefühl,
ist in der alten Dichtung nicht denkbar. Auch in ihr steht
Pflicht gegen Pflicht, aber diese Pflichten stellen eine undurch-
brechbare Wertreihe dar, sie sind nie im Widerstreit: die
Wahl fällt ohne inneren Kampf, und wo das höhere Müssen
ruft, versinkt das andere sogleich. In den älteren Liedern
wird nicht angeklagt und nicht entschuldigt, es gibt keinen
Einspruch wider das Schicksal und keinen Augenblick des
Schwankens. Es gibt auch keine höhere Gerechtigkeit wie
die, der Kriemhild am Ende des Epos zum Opfer fällt. Denn
im Liede tötet die Rächerin sich selbst, die ihrer gerechten
Leidenschaft gefrönt hat, weil sie den Höhepunkt, der ihrem
Dasein Sinn gibt, die heldische Unbeugsamkeit nicht über-
leben will.
Auch die Verschiebung der heldischen Werte und damit der
Handlungsantriebe lehrt uns das Nibelungenepos: in den Edda-
liedern rächt Grimhild den Tod ihrer Brüder an Atli, während
Sigurds Tod, für den sie Wergeid genommen hat, nicht weiter-
2*
19
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I
wirkt. Im deutschen Epos ist Kriemhild trotz ihrer Versöh-
nung mit den Brüdern die Rächerin ihres ersten Gatten an
diesen, und ihre Tat erscheint als eine Gott wohlgefällige
Treue gegen Sigfrid, weil die alte Pflicht der Sippenrache
nicht mehr verstanden wurde und an ihre Stelle im Sagen-
grundriß die nun als höchstes Gefühl verehrte Liebe trat.
Wo so die alten Sagen durch den Einsatz neuer seelischer
Antriebe zerbrochen wurden, ließ sich die alte Einheit der
dichterischen Schau nie wieder herstellen, und Brüche und
Nähte blieben immer aufdringlich sichtbar. Vor allem gab
man nun vielen alten Sagen glückliche Schlüsse und um-
rankte die in ihrem Fühlen nicht mehr verstandenen Helden
mit einem jungen Fabelgespinst, das nicht mehr heldisch,
sondern nur noch reckenhaft war.
In der Sagakunst des Nordens geschah die innere Umbildung
durch genealogische Reihung der Helden oder durch Ver-
knüpfung der Lieder zu größeren Zusammenhängen, ohne daß
jemals die Erhebung in einen höheren geistigen Bereich einer
übergeordneten Bindung gelungen wäre, auch nicht in den
Sagen von den Wölsungen, denn nicht der fluchbeladene
Fafnirhort, sondern Brünhild und ihr Gelübde bringt Sigurd
den Tod. Selbst Odins Gestalt, die seit dem 12. Jahrhundert
als verbindendes Glied in die alten Sagenmassen gerückt wird ,
hat nie vermocht, die Gruppen durch einen mythischen Ge-
danken zu überwölben und neu durchzuformen. Der rätsel-
volle Gott, in seiner seltsam schillernden Rolle von dem zer-
fallenden isländischen Heidentume geschaffen, schreitet als
ein undurchdringliches, in seinen Entschlüssen undurch-
schaubares Wesen durch die späten Ausformungen der Sagen:
bald gütiger Helfer, bald Heimholer nach Walhall, bald sinnloser
Zerstörer heldischen Lebens, bald böser Dämon und Verführer
zur Neidingstat, nie eigentlich schicksalhaft, nie einen inneren
Sinn im menschlichen Geschehen enthüllend, selber dunkel-
verhüllt, schweifend und in vielen Lichtern gebrochen: ein
Sinnbild der unkosmischen Schicksalsschau der Germanen.
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So gelangte also die Heldendichtung nie über die alten, in
der Wanderungszeit geschaffenen Sagenformen hinaus, und
alle Neuerungen waren im Grunde nur Abfälle von der ein-
stigen Höhe, nicht aber Neuschöpfungen in einer gewandelten
geistigen Schicht wie die griechischen Heroenmythen durch
alle Jahrhunderte hin. Das Mittelalter hat mit aller Auf-
schwellung und Einkleidung, aller Fülle und Buntheit nur
den echten Sinn der heldischen Dichtung zerbrechen können,
und zuletzt blieb nichts mehr übrig als das hohle Gehäuse:
die eintönigen Waffengänge der Recken und Kämpen, sinn-
lose Kämpfe mit theaterhaft -phantastischen Fabeltieren,
leere Abenteuer, grundlose Gegnerschaften — die Helden-
dichtung starb.
Wenn wir von Shakespeare absehen, dessen gewaltige
Menschen die germanische Heldenartung in einer seltsamen
Mischung mit der Antike noch einmal aufleben ließen, dessen
ungeheure Welt trotz aller griechisch-römischen Allegorien
und nordisch-keltischen Fabelwesen die gleiche unselige
Gott- und Götterlosigkeit offenbart wie die der Heldensage
und uns durch einen noch tieferen Ton von Hoffnungslosigkeit
erschüttert, wenn wir von seiner in das Drama einer noch
starken Kriegs- und Staatsgesellschaft eingeschmolzenen
Heldenerweckung absehen, so schwand die Heldendichtung
fast ganz aus dem Bewußtsein der mit neuem Bildungsstoff
gesättigten Germanen, und nur in verborgenen Tälern Nor-
wegens, in Dänemark und auf den Inseln des Nordmeers trieb
sie im niederen Volke noch junge Schösse in den Kämpen-
und Volksweisen und den zum Tanz gesungenen Balladen.
Ein seltsam romantischer Hauch umwittert sie: traumhaft
und geisternd ist in ihnen noch verfangen, was einst die große
Dichtung füllte, Schemen sind sie des einst blutvollen Leibes,
in Singsang und Musik zerflattert, luftig und hell, voll schwei-
fender und flirrender Lichter. Noch im 19. Jahrhundert ent-
deckte man auf den Lippen der tanzenden Mädchen der Färber
das gewaltige Schicksal des schönsten Helden und der erhaben-
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sten Frau: Sigurds und Brünhilds. Heute hat das Alter der
Maschine und Zeitung auch diese letzten Reste zerstört, und
nur aus dem tiefsten Seelengrund des Volkes, aus dem Dichter,
steigt mit der Geburt der neuen Götter- und Heldenzeit die
Ahnung des versunkenen Alters in seiner unerbittlichen Größe
auf, und wie immer an der Wende der Zeit hebt der Helden-
geist sich drohend gegen die Widerwelt:
Ich bin gesandt mit fackel und mit stahl
Daß ich euch härte, nicht daß ihr mich weichet,
Ihr wißt nicht was euch nüzt, ich muß euch rauben,
Verfallne, wenn ihr deß euch nicht begebt
Was euch nur mehr erschlafft. So wills das recht.
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Ml* ^ '* • '
L FRANKEN UND BURGUNDEN
DIE NIBELUNGEN
NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG:
DIE WÖLSUNGE UND NI FL UN GE
i. SIGMUND UND SIGNY
Uber Frankenland herrschte einst ein mächtiger König, , der
hieß Wels, j Er zeugte ein Zwillingspaar, Sigmund und
Signy. ; Die Wölsunge übertrafen alle andern Geschlechter
an Kraft und Mannheit. | Wels war siegreich auf allen seinen
Fahrten.
Eine berühmte Halle ließ er bauen,' in deren Mitte der
Stamm einer mächtigen Eiche stand, | während ihre blüten-
übersäten Zweige das Dach der Halle beschatteten, j Der
Stamm der Eiche wurde später der Schwertstamm genannt.
Über Gautland herrschte Siggeir, der war mächtig und
gebot über viele Mannen. Er fuhr zu Wels und bat ihn um
Signys Hand. Wels willigte ein, sie selbst aber war der Heirat
nicht geneigt. Doch gab Wels sie dem Werber.
Er rüstete die Hochzeit in der Halle, in deren Mitte die Eiche
stand. Große Feuer brannten darin in langer Reihe. Als am
Abend die Mannen bei den Feuern saßen, trat ein Mann in
die Halle, der allen unbekannt war. Er trug einen blau-
gefleckten Mantel, Linnenhosen, die am Bein zusammen-
geknüpft waren, und hatte seinen breitrandigen Hut tief ins
Gesicht gezogen. Er ging barfuß, war sehr groß, altersgrau
und einäugig. In der Hand trug er ein Schwert, damit trat
er zu dem Hallenbaum, stieß es in den Stamm, daß es bis ans
Heft hineinfuhr, und sprach zu den staunenden Männern:
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„Wer dieses Schwert aus dem Stamme zieht, empfange es
von mir als Gabe, und seine Taten sollen erweisen, daß er nie
ein besseres Schwert in Händen trug." Damit verließ der Alte
die Halle, und niemand wußte, wer er war noch wohin er ging.
Da mühten sich zuerst die Edelsten in der Halle, das Schwert
herauszuziehen, und darauf alle anderen, j Aber es rührte sich
nicht. Als aber Sigmund, des Königs Sohn, es faßte, schien es
ihm lose in der Hand zu liegen. Es war das schönste Schwert,
das je einer gesehen hatte, daher wünschte Siggeir es vor
allen zu besitzen. ' Er bot Sigmund dreimal des Schwertes
Gewicht in Gold, der aber sprach: „War dir doch so gut ge-
stattet wie mir das Schwert zu nehmen, als es im Baume stak,
wenn dir die Ehre es zu tragen gebührte. Nun sollst du es
nimmermehr erhalten, da es meiner Hand zuerst zufiel, bötest
du mir gleich all dein Gold." Die Rede erzürnte Siggeir,
höhnisch schien sie ihm. Heimtückisch aber schwieg er, als
hätte er sie nicht beachtet, doch sann er noch am selben Abend
den Lohn dafür.
Am andern Morgen sprach Siggeir, er wolle das gute Wetter
zur Heimfahrt nutzen, ehe die wachsenden Winde ihm das
Meer verschlössen. Signy aber weigerte sich, mitzufahren,
denn böse Ahnungen künftigen Unheils erfüllten sie, und ihr
Herz wollte ihrem Gatten nicht entgegenlachen. Wels aber
trieb sie an, ihrem Gatten zu folgen, damit nicht die Schande
des gebrochenen Gelöbnisses und die Rache des Siggeir über
ihn käme. Ehe aber Siggeir heimfuhr, lud er König Wels,
seinen Gesippen, und die Seinen zu sich nach Gautland über
drei Monate, als wolle er sie für seinen schnellen Aufbruch
vom Hochzeitsfest versöhnen. Und König Wels verhieß die
Fahrt. Da schieden sie, und Siggeir fuhr heim.
Um die versprochene Zeit fuhr Wels mit Sigmund und
seinen Mannen nach Gautland zur Gastung bei König Siggeir.
Spät am Abend landeten seine Schiffe. Da kam Signy, seine
Tochter, und sagte ihm und Sigmund in heimlicher Zwie-
sprache, Siggeir habe ein unüberwindliches Heer entboten,
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und sinne gegen seine Schwäger Verrat.; „Nun bitte ich euch,"
sprach sie, „kehrt wieder heim und sammelt euch viel Kriegs-
volk, dann kommt und rächt euch selbst. Nur List rettet
euch vor Verrat". Da sprach Wels: „Noch ungeboren sprach
ich das Wort und tat das Gelübde, daß ich aus Furcht weder
Feuer noch Eisen fliehen werde, das habe ich bis hierher ge-
halten, wie sollte ich es nun in meinem Alter brechen? Nie
sollen uns Mädchen beim Spiele vorwerfen, ' daß wir den Tod
fürchten: einmal ist jedem der Tod bestimmt. So will ich,
daß wir nirgends fliehen, sondern mit höchster Kühnheit
unsere Hände brauchen. Hundertmal habe ich gekämpft,
bald in großer, bald in kleiner Schar, und immer habe ich den
Sieg behalten, doch nie wird man von mir vernehmen, daß
ich floh oder Frieden erbat." Da weinte Signy und wollte
nicht zu ihrem Gatten heimkehren. Wels aber sprach: „Du
sollst gewiß zu deinem Gatten heimkehren und bei ihm bleiben,
wie immer es uns ergehe." So ging sie heim, die Wölsunge
aber blieben diese Nacht auf ihren Schiffen. Als es tagte,
gingen sie ans Land und rüsteten sich, und bald kam König
Siggeir mit seinem Heer, da entbrannte eine harte Schlacht.
Wels spornte gewaltig seine Mannen: achtmal brach er an
diesem Tage mit seinen wenigen Helden in Siggeirs Völker
ein und hieb zu beiden Händen. Beim neunten Male aber fiel
1
König Wels inmitten seiner Mannen und all sein Gefolge mit
ihm, außer Sigmund. So erlag er der Überzahl. Sigmund
aber ward gefangen hinweggeführt.
Als Signy ihres Vaters Tod und ihres Bruders Gefangen-
schaft erfuhr, erbat sie von ihrem Gemahl, daß Sigmund nicht
erschlagen, sondern friedlos und geächtet in die Wälder ge-
sandt werde. Darauf antwortete Siggeir: „Rasend bist du
und aberwitzig, da du deinem Bruder weit Schrecklicheres er-
flehst, als daß er zerhauen werde. Doch sei dir die Bitte ge-
währt. Denn mir ist je lieber, je länger seine Qual währt."
So ließ er geschehen, wie sie bat, und Sigmund wurde in den
Wald gesandt. Dort lebte er in einer Erdhöhle gleich den
25
Tieren des Waldes, Signy aber sandte einen Vertrauten zu
ihm, der ihm brachte, wessen er bedurfte. Doch Siggeir
glaubte, Sigmund sei tot.
Siggeir und Signy hatten zwei Söhne. Als der älteste von
ihnen zehn Winter alt war, sandte ihn Signy zu Sigmund, daß
er ihm ein Genosse sei, wenn er den Vater rächen wolle. Der
Knabe fuhr zu Walde und kam abends zu Sigmunds Höhle.
Der nahm ihn auf und hieß ihn Brotteig kneten, während er
Holz hole. Als er aber zurückkam, hatte der Knabe den Teig
nicht bereitet und sprach: „Ich getraute mich nicht den Mehl-
beutel anzufassen, denn es war etwas Lebendiges darin." Da
sah Sigmund, daß der Sinn des Knaben für das Rachewerk
nicht tauge. Darum riet ihm Signy, als er sie wiedersah, den
Knaben zu töten, denn nutzlos sei so sein Leben. Das tat
Sigmund. Ein Jahr darauf sandte Signy ihren anderen Sohn
zu Sigmund, dem erging es wie dem ersten.
Da sann Signy, wie sie ihrem Bruder einen Helfer beim
Rachewerk schaffen möge. Sie tauschte mit einem andern
Weibe die Gestalt und kam so zur Höhle ihres Bruders. Sie
sagte, sie habe sich im Walde verirrt und bat ihn um Her-
berge. Die wollte er ihr nicht versagen, wenn sie ihn nicht
verrate. Sie schien ihm lieblich und schön, und da sie ge-
gessen hatten, bat er sie, die Nacht sein Lager zu teilen. Das
gewährte sie ihm drei Nächte hindurch. Und als ihre Stunde
kam, gebar sie einen Knaben, der wurde Sinfjötli genannt.
Der wurde groß und stark und geriet nach dem Stamme der
Wölsunge, daher sandte ihn die Mutter zu Sigmund bevor er
zehn Winter zählte. Auch ihm gab Sigmund Mehl in einem
Beutel, daß er Teig knete. Als er heimkehrte, fand er das
Brot gebacken. Auf seine Frage, ob er in dem Mehl nichts
gefunden habe, antwortete der Knabe: „Wohl schien mir
etwas Lebendes im Mehl zu sein, doch habe ich es mitgeknetet."
Da sprach Sigmund lachend: „Ich glaube nicht, daß du von
diesem Brote heute abend essen wirst, denn du hast eine Gift-
schlange mit hineingeknetet." Sigmund nämlich war so gewal-
26
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tiger Natur, daß ihm Giftiges nicht schadete, wenn er es aß,
sein Sohn Sinfjötli aber war vor Gift nicht gefeit.
Noch war der Knabe zu jung zum Rachewerk, und Sigmund
wollte ihn zuvor an kühne Tat gewöhnen. So zogen sie im Som-
mer durch die Wälder, erschlugen Männer und machten Beute.
Als Sinfjötli herangewachsen war und viele Proben seines
Mutes abgelegt hatte, beschloß Sigmund den Vater zu rächen.
So brachen sie eines Tages aus ihrer Höhle auf und kamen
im Dunkeln zu König Siggeirs Gehöft. Sie traten in den Raum
vor der Halle und verbargen sich hinter Metfässern, die dort
lagen. ' Dort suchte sie die Königin auf und sie wurden eins, '
daß sie für den Vater Rache nehmen wollten nach Anbruch
der Nacht. Es hatten aber Siggeir und Signy wieder zwei junge
Söhne, 'die spielten in der Halle mit goldenen Ringen. Ein
Ring sprang in den Vorraum, und als der Knabe ihm nachlief,'
gewahrte er zwei große und grimmige Männer mit schweren
Helmen und weißen Brünnen. r Da lief er in die Halle und er-
zählte es seinem Vater: der argwöhnte Verrat. Signy aber
führte die Knaben in die Vorhalle und forderte von Sigmund,
daß er die Verräter töte. Der weigerte sich. Sinfjötli aber
wollte sich nicht beschämen lassen, er zog sein Schwert,
tötete die Knaben und warf sie in die Halle hinein vor König
Siggeir. Der gebot den Seinen die Männer zu ergreifen, die
sich in die Vorhalle geschlichen hatten. Da wehrten sich
Sigmund und Sinfjötli mannhaft, endlich aber überwand sie
die Überzahl der Mannen, so daß sie gefangen und in Banden
geschlagen wurden. Über Nacht sann der König, welches
Todes er sie sterben lasse, den sie am längsten fühlten. Am
Morgen ließ er einen großen Hügel aus Steinen und Rasen er-
richten, in die Mitte der Kammer aber ließ er einen großen
flachen Felsblock setzen, so daß die Grabkammer in zwei
Hälften geteilt wurde. Dann ließ er Sigmund und Sinfjötli
in den Hügel setzen, jeden von ihnen in eine Kammer, denn
schrecklicher dünkte ihn die Qual, wenn sie nicht beide zu-
sammen wären, aber einander doch hören könnten. Als man
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aber den Hügel zu schließen begann, kam Signy mit einem
Bündel Stroh herzu. Das warf sie zu Sinfjötli in den Hügel
und bat die Knechte, es dem König zu verheimlichen.
Nachts sprach Sinfjötli zu Sigmund: „An Speise wird es
mir eine Zeit nicht fehlen, denn im Stroh hat mir die Königin
Speck in den Hügel geworfen.'* Doch als er weiter tastete,
fand er, daß Sigmunds Schwert im Specke stak, das erkannte
er am Knauf und rief die Kunde Sigmund zu. Des freuten
sich beide. Nun stieß Sinfjötli die Schwertspitze über dem
Felsen durch und zog gewaltig, und das Schwert biß in den
Felsen. Dann ergriff Sigmund die Schwertspitze, und nun
zersägten beide mit wilder Gewalt die schwere Felsplatte bis
auf den Grund. Darauf zersägten sie gemeinsam Stein und
Eisen des Hügels und entkamen so dem Grabe.
Sie gingen zu Siggeirs Halle, wo alle Mannen im Schlafe
lagen. Sie trugen Holz zur Halle und entzündeten es. 1
Von Rauch und Lohe umhüllt erwachten die Mannen im
Saale. Der König sprach : „Wer legte das Feuer um die Halle ?" f
Und Sigmund rief: „Hier ist Sigmund und Sinfjötli, mein
Schwestersohn! Nun erfährst du, daß nicht alle Wölsunge
starben." Er bat seine Schwester, herauszukommen und bei
ihm in großen Ehren zu leben, daß all ihr Harm gelindert
werde. Signy kam, doch wollte sie nicht mit ihnen gehen:
„Höre mein Geheimnis", sprach sie, „nie vergaß ich König
Siggeir den Tod unseres Vaters. Als ich unsere Kinder hatte
töten lassen, weil sie mich zu weich zur Rache dünkten,
kam ich zu dir in den Wald in fremder Gestalt: Sinfjötli ist
unser Sohn. Daher hat er sein Heldentum, weil sein Vater
wie seine Mutter Wölsunge sind. Allezeit habe ich getrachtet
nach Siggeirs Tod, nur Verlangen nach Rache erfüllte mich,
darum kann ich jetzt nicht mehr leben. So will ich denn willig
mit dem sterben, den ich widerwillig zum Gatten nahm." Dann
küßte sie ihren Bruder Sigmund und Sinfjötli, ihren Sohn,
wünschte ihnen Glück und wandte sich in das Feuer zurück, in
dem sie mit Siggeir und allen seinen Mannen den Tod fand.
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2. SINFJÖTLIS TOD
König Sigmund hatte sein Wölsungenerbe zurückerobert
und herrschte über Frankenland. Er hatte sich ein Weib ge-
nommen, das Borghild hieß. Sinfjötli aber fuhr auf Heerzügen
umher und erwarb sich großen Ruhm.
Einst begehrte er ein Weib, um das auch der Bruder der
Borghild warb. Im Kampf um das Weib fällte Sinfjötli
seinen Oheim.
Nach langen Heerfahrten kehrte er heim und sagte seinem
Vater was geschehen war. Als Borghild den Tod ihres Bruders
erfuhr, gebot sie ihrem Stiefsohn, aus dem Lande zu weichen,
daß sie ihn nicht mehr sähe. Sigmund aber wollte den Sohn
nicht ziehen lassen, er bot ihr Mordbuße, was er einem Manne
noch nie getan hatte, und scheinbar fügte sie sich seinem
Willen.
Borghild rüstete das Erbmahl für ihren Bruder und brachte
den Männern den Trunk. 1 Mit einem großen Hörne trat sie
zu Sinfjötli. Der nahm es, sah hinein, und da er Gift darin
gewahrte, sprach er zu Sigmund: „Trüb ist der Trank, Vater!" '
— „Gib ihn mir", sprach Sigmund, und trank ihn. Höhnend
brachte Borghild dem Sinfjötli ein anderes Horn, doch wieder
sprach er: „Gefälscht ist der Trank", und wieder nahm Sig-
mund das Horn und leerte es. Zum drittenmal brachte Borg-
hild ein Horn und befahl dem Sohne zu trinken, wenn anders
er den Mut der Wölsunge besäße. Sinfjötli sprach: „Gift ist
im Hörne", doch Sigmund, schon trunken, erwiderte: „Laß
den Bart es seihen, Sohn!" Da trank Sinfjötli und fiel tot
nieder.
Sigmund trug den Toten im Arme einen weiten Weg in
schwerem Harm. Er fuhr zu Walde und kam dann an einen
langen und schmalen Meerbusen. Dort lag ein kleines Schiff
und ein Mann stand darin. Der fragte Sigmund, ob er ihn über
den Fjord fahren solle. Das bejahte der. Als aber Sigmund
die Leiche in das Boot getragen hatte, war es voll beladen.
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So ging Sigmund am Fjord entlang. Der Mann aber stieß
mit dem Boote vom Ufer und entschwand sogleich Sigmunds
Augen. Als das geschehen war, kehrte Sigmund heim und
, verstieß sein Weib Borghild.
Siglind, die Tochter König Eulimis, war aller Frauen lieb-
lichste und weiseste. Sie ersah sich Sigmund, keine andere
schien ihm seiner wert. So zog er zu Eulimi, der seine Wer-
bung freundlich aufnahm und seine Ankunft festlich feierte.
Es war aber ein anderer Freier aus Hundings Geschlecht,
mit Namen Lyngwi, gekommen. Da Siglinds Vater von dem
Werber, den er abwiese, Feindschaft fürchtete, sprach er zu
seiner Tochter: „Da du weise bist, so will ich, daß du deinen
Gemahl selbst kiesest unter den zwei Königen. Dein Beschluß
soll der meinige sein." Sie antwortete: „Schwer ist die Wahl.
Doch wähle ich den ruhmvollsten, und das ist König Sigmund,
trotz seines Alters.' 1 So ward sie dem Sigmund gegeben und
Lyngwi begab sich hinweg. Sigmund fuhr heim ins Franken-
land und mit ihm König Eulimi.
Lyngwi und seine Brüder aber zogen mit Heeresmacht wider
Sigmund, daß sie seinen Heldenmut überwänden. Sie luden
ihn offen zum Kampf, denn sie wußten, daß er nicht fliehen
werde. Sigmund bereitete sich zur Schlacht, seine Gattin
Siglind aber sandte er mit einer Magd und vielem Gut in den
Wald, und dort weilte sie während der Schlacht. Die Feinde
sprangen mit ihrem Heer aus den Schiffen, Sigmund aber
richtete sein Banner auf und ließ weithin die Heerhörner
schallen. Doch war seine Schar weit kleiner als die der Feinde.
Da hob sich wilder Kampf, und obgleich Sigmund schon alt
war, kämpfte er doch gewaltig in der vordersten Reihe. Nicht
Schild noch Brünne hielt seinen Streichen, immer wieder
durchschritt er die Reihen seiner Feinde, und lange stand die
Schlacht. Noch war Sigmund unverwundet, aber beide Arme
3. SIGMUNDS TOD
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waren vom Blute seiner Feinde gefärbt bis zur Achsel hinauf.
Da tauchte in der Schlacht ein Mann auf mit breitem Hut
und blauem Mantel, er war einäugig und trug einen Speer
in der Hand. Der trat Sigmund entgegen und schwang den
Speer vor ihm empor, und als Sigmund kräftig dawiderhieb,
zerbrach sein Schwert in zwei Stücke. Darauf wandte sich
der Männerfall, dem König Sigmund entwich das Heil und
seine Mannen fielen neben ihm. Der Gewalt der Vielen ver-
mochte er nicht mehr zu widerstehen, so ward in dieser
Schlacht König Sigmund gefällt an der Spitze seiner Mannen
und mit ihm König Eulimi.
Lyngwi aber zog zum Königshofe, daß er Siglind erbeute.
Doch fand er sie nicht. Er nahm das Land in Besitz und
glaubte das Geschlecht der Wölsunge vernichtet.
In der Nacht nach der Schlacht ging Siglind auf die Wal-
statt und fand Sigmund schwertwund liegen. Sie fragte ihn,
ob er noch Heilung hoffe. Doch er antwortete ihr: „Mancher
gewinnt neues Leben bei schlechterer Hoffnung, mir aber ent-
wich das Heil, drum will ich nicht genesen. Odin will nicht,
daß ich noch das Schwert ziehe, da er es zerbrach. Ich hob
den Kampf so lang es ihm gefiel." — „Gut dünkte mich",
sprach Siglind, „wenn du geheilt würdest und meinen Vater
rächtest". — Doch der König antwortete: „Einem andern ist
dies schon bestimmt, Odin hat seinen Helden neu gewählt:
du trägst einen Knaben, pflege ihn wohl, denn er wird der
Rühmlichste und Trefflichste der Wölsunge sein. Bewahre
auch die Schwertstücke wohl, davon wird dereinst ein herr-
liches Schwert geschmiedet, das wird Gram heißen. Unser
Sohn wird es tragen und Heldenwerke damit vollbringen, die
nimmer vergessen werden, und sein Name wird leben, solange
die Welt steht. Das sei dein Trost, mich aber ermatten meine
Wunden, ich will nun unsere Blutsfreunde aufsuchen, die mir
vorangegangen sind." Siglind saß über ihn gebeugt, bis er
verschied: da begann der Tag zu leuchten.
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4. SIGURDS JUGEND
Als Sigmund gestorben war, ging Siglind wieder zum Walde
und gebar dort in großer Not und Einsamkeit einen Knaben.
Dann starb sie. Das Kind aber wuchs in der Wildnis unter
den Tieren des Waldes auf.
Im Walde hauste ein kunstreicher und schicksalskundiger
Schmied aus albischem Stamme, der hieß Mimir. Zu dem kam
eines Tages ein Knabe aus dem Walde gelaufen, und als Mimir
ihn sah, rief er voll Freude: „Sigmunds Sproß, der kühne
Held, kam zu meinem Hause. Mut hat er mehr als ein er-
wachsener Mann, ich erhoffe mir Beute vom kühnen Wolf.
Erziehen will ich; den mannhaften Fürsten. Nun ist ein Königs-
sproß zu uns gekommen, der wird zum mächtigsten Helden
unter der Sonne erwachsen. Über alle Lande dehnt sich
seines Schicksals Gewebe. "
Als Sigurd erwachsen war, reizte Mimir den jungen Helden,
den Drachen Fafnir zu erschlagen, der auf der Gnitaheide
einen ungeheuren Hort hütete und den Schreckenshelm be-
saß, der alles Lebende fürchten machte. Dies aber erzählte
Mimir dem Knaben vom Drachen und seinem Hort: „Mein
Vater hieß Reidmar", sprach er, „er war vom Stamme der
Riesen entsprungen und ein mächtiger und reicher Mann. Er
hatte drei Söhne, einer hieß Fafnir, der war der stärkste und
grimmigste und wollte alles sein eigen nennen. Der zweite
hieß Otter, der war ein großer Waidmann. In Ottergestalt
lebte er meist im Strome und fing sich Fische, die er seinem
Vater brachte. Ich selber war der dritte, und der geringste
an Tüchtigkeit und Ansehen, doch konnte ich Eisen be-
arbeiten und aus Silber und Gold Kleinode fertigen. Einst
kamen Odin, Hönir und Loki auf ihrer Wanderung an einen
Wasserfall. Am Ufer des Stromes saß Otter und verzehrte
einen Lachs, den er gefangen hatte, mit blinzelnden Augen,
denn er war so geizig, daß er nicht ansehen konnte, wie seine
Beute abnahm. Loki warf ihn mit einem Steine tot. Da
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glaubten die Asen einen glücklichen Fang getan zu haben
und zogen dem Otter den Balg ab. Abends kamen sie zu
Reidmar, baten ihn um Herberge und zeigten ihm ihre Beute.
Als mein Vater diese sah, rief er Fafnir und mich herbei und
sagte uns, daß die Asen unsern Bruder erschlagen hätten.
Da griffen wir sie und legten ihnen zur Buße auf, den Balg
mit Gold zu füllen und ihn auch von außen mit rotem Golde
zu verhüllen. Odin sandte Loki in das Reich der Schwarz-
alben, damit er von dort das Sühnegold herbeischaffe. Er
kam zum Andwarafors, den Stromschnellen, worin der zauber-
kundige und schatzreiche Zwerg Andwari in Gestalt eines
Hechtes lebte, den zahlreichen Fischen nachstellend, die sie
bevölkerten. Zuvor hatte Loki sich das Netz der Ran geliehen,
das warf er vor dem Hecht aus und fing ihn darin. Loki
griff ihn und sprach: „Wer ist der Fisch, der durch den Strom
schießt und sich vor Nachstellung nicht wahrt? Nun löse
dein Haupt, das Hei verfiel: gib mir der Quelle Feuer, dein
Gold", -r- „Andwari heiße ich'*, sprach der Fisch, „und Oin
mein Vater, viele Ströme durcheilte ich schon. In Urtagen
schuf mir die böse Norn, daß ich im Wasser hausen solle."
Loki befahl dem Zwerge, daß er, um sein Leben zu lösen, ihm
alles Gold gebe, das er in seinem Steine habe. Als sie in die
Höhle gekommen waren, trug der Zwerg einen unermeß-
lichen Schatz herbei, doch barg er unter der Hand einen
kleinen Goldring, der hieß Andwaranaut, Loki forderte auch
ihn. Der Zwerg bat, ihm nur den nicht zu nehmen, denn mit
ihm könne er seinen Schatz wieder mehren. Loki aber wollte
ihm nichts lassen und entriß ihm den Ring. Während er sich
zum Gehen wandte, sprach der Zwerg den Fluch über den
Ring, daß er jedem, der ihn besäße, gewaltsamen Tod bringen
solle. Loki dünkte dieser Fluch gut, und er sagte, er solle sich
an dem bewahrheiten, der den Ring von ihm empfangen werde.
Loki kam zu Reidmar zurück und zeigte Odin das Gold. Dem
schien der Ring Andwaranaut köstlicher denn alles, und er
nahm ihn von dem Schatze fort. Reidmar füllte nun den
3 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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Otterbalg und richtete ihn auf, als er prall war. Odin aber
sollte ihn mit Gold umhüllen. Als das geschehen war, fragte
er Reidmar, ob die Buße gezahlt sei. Der aber entdeckte ein
Barthaar des Otters und forderte, daß auch das verdeckt
werde. Da zog Odin den Ring hervor und bedeckte damit
das Haar. Als so die Götter ihre Häupter gelöst hatten, sprach
Loki, nun solle sich erfüllen, was Andwari gesprochen habe:
daß dieser Ring und dieses Gold dem den Tod bringen müsse,
der sie besäße. „Das Gold ist bezahlt," sprach er, „große
Lösung empfingst du für mein Haupt, doch Unheil erwächst
deinen Söhnen daraus." — „Gold gabst du," sprach Reidmar,
„doch gabst du nicht aus arglosem Herzen. Eures Lebens
wäret ihr ledig, hätte ich früher den Fluch gekannt. Doch
das rote Gold will ich mir wahren, solange ich lebe. Deine
Drohung fürchte ich nicht um ein Haar. Fahrt von hinnen!"
Da zogen die Götter davon. Reidmar nahm alles Gold als
Sohnesbuße an sich. Fafnir und ich aber forderten unser
Teil am Wergeid für Otter, unsern Bruder. Das verweigerte
Reidmar. Da durchbohrte ihn Fafnir mit dem Schwerte,
während er schlief. Der rief sterbend seinen Töchtern:
„Lyngheid und Lofnheid, mein Leben entflieht mir! Rache
heischt meine Not." Lyngheid aber erwiderte: „Wenig
Schwestern, denen die Brüder den Vater erschlugen, werden
den Frevel an ihnen rächen!" So starb Reidmar. Fafnir
aber nahm alles Gold. Da forderte ich meinen Anteil am
Vatererbe, das verweigerte er mir und sprach: „Nie teile ich
mit dir das Gold, um das ich meinen Vater erschlug. Er ver-
wandelte sich in einen Drachen und legte sich auf der Gnita-
heide über den Hort, um ihn zu hüten."
Immer wieder erzählte der Schmied Sigurd die Mär und
reizte ihn mit höhnischen Worten, als fürchte Sigurd sich,
den Drachen zu erschlagen. Da sprach Sigurd: „So schmiede
mir denn ein Schwert mit deiner Meisterschaft, wie nie ein
besseres geschmiedet wurde, mit dem ich das Heldenwerk voll-
bringen kann, wenn du willst, daß ich den großen Wurm
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erschlage." Das versprach Mimir. Und als das Schwert fertig
war und Sigurd damit auf den Amboß hieb, zersprang es, und
Sigurd sprach: „Schlechtes Schmiedewerk hast du gefertigt,
Mimir." Und nicht anders erging es dem zweiten Schwert.
Da schalt Sigurd den Schmied und lief zornig in den Wald.
So kam er auf die Walstatt, wo einst Sigmund im Kampfe
gefallen war, und fand die Trümmer eines Schwertes, die im
Grase blinkten. Er hob sie auf, brachte sie dem Schmiede
und rief: „Schmiede mir aus diesen Trümmern ein neues
Schwert." Mimir erkannte, daß die Stücke aus dem edelsten
Stoffe waren und von dem Schwerte herrührten, das einst
Sigmund getragen hatte. Er tat, wie ihn der Knabe geheißen,
und als er das fertige Schwert aus der Esse zog, schien es als
brenne Feuer aus den Schneiden. Wieder hieb Sigurd auf
den Amboß, der spaltete bis zur Erde, das Schwert aber brach
und splitterte nicht. Dann ging Sigurd zum Rhein und ließ
eine Wollflocke im Strome wider die Schneide treiben, die
zerschnitt das Schwert wie Wasser. Sigurd nannte das
Schwert Gram.
Darauf trieb der Schmied Sigurd an, daß er sich ein Roß
suche, das eines Heldensohnes würdig sei. Die Schmiede-
knechte aber spotteten, daß der Heldensohn weder Vater noch
Mutter habe. Zornig ging Sigurd in den Wald, bei sich
bedenkend, wie er das Schicksal seines Geschlechts erfahre,
damit er nicht in der Schmiede der Genossen Spott dulden
und sippenlos wandern müsse.
Dem Sinnenden begegnete ein Wanderer mit langem greisem
Bart und fragte ihn, wohin sein Weg gehe. „Ein Roß will
ich mir kiesen", antwortete Sigurd, „und Kunde erlangen
von meinem Geschlechte. Rate mir, wenn du es vermagst."
Der Greis führte ihn zum Rhein, dort fanden sie eine Koppel
Pferde. Auf des Alten Rat trieb Sigurd die Rosse in die Tiefe
des Stromes, da wendeten alle zum Ufer zurück, außer einem
Hengst: den nahm Sigurd. Er war von grauer Farbe, noch
jung, doch von starkem Wuchs und trefflichen Eigenschaften,
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noch hatte niemand auf seinem Rücken gesessen. Der Bärtige
sprach: Dieser Hengst stammt von Sleipnir, Odins Roß.
Hüte ihn mit Sorgfalt, denn er ist besser als irgendein Roß
und wird dich zum weisen Gripir, deinem Oheim, tragen.' 4
Damit verschwand der Wandrer. Sigurd aber nannte das
Roß Grani und schwang sich auf seinen Rücken. Sogleich
jagte das Roß mit ihm davon. Er ritt unter der Bergleite Tag
und Nacht in wildem Rennen, bis er zu einer befestigten Halle
gelangte. Grani setzte in gewaltigem Sprunge über die Um-
wallung, drinnen traten ihm die Mannen entgegen, die die
Halle bewachten. Aber Sigurd drang auf sie ein und schlug
sie alle zu Boden. Der Herr der Burg, der beim Mahle saß,
vernahm den Lärm der Kämpfenden, erhob sich und sprach:
„Nun füllt die Silberschalen mit Met, denn der hier kam, muß
Sigurd sein, mein Schwestersohn. Ich will ihn willkommen
heißen und hätte er mir auch alle meine Mannen erschlagen.
Hütet euch, denn keinen Spott duldet der Held." Da ging er,
Sigurd zu empfangen, der aber rief ihm entgegen: „Bist du
Gripir, der Weise, so höre, was ich dich fragen will: weißt du
von meinem Vater und meiner Herkunft, so hehle es mir
nicht!" Und Gripir erwiderte: „Weißt du deine Herkunft
nicht, so will ich es dir künden: Sigurd bist du, der Sohn König
Sigmunds und der Siglind. Sei mir willkommen." Darauf
führte er ihn in die Halle und bewirtete ihn wohl. Er erzählte
ihm das Schicksal seines Geschlechtes, und da er der künftigen
Dinge kundig war, weissagte er ihm ein Leben voll Helden-
ruhm und Heldennot und einen frühen Tod.
Als Sigurd solche Kunde empfangen hatte, bestieg er sein
Roß und ritt von dannen.
5. SIGURDS DRACHENKAMPF
Mimir und Sigurd machten sich beide auf und kamen auf
die Gnitaheide. Dort fanden sie die Fährte, auf der Fafnir
zum Wasser zu kriechen pflegte. Mimir begab sich voll Furcht
hinweg und verkroch sich in der Heide, Sigurd aber machte
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auf der Fährte eine große Grube und setzte sich hinein. Als
nun Fafnir von seinem Golde zur Tränke kroch, geschah ein
Getöse als werde die Erde von einem Beben geschüttelt. Der
Wurm spie Gift von sich, das fiel von oben Sigurd auf das
Haupt. Doch ihn überkam keine Furcht. Und als Fafnir
sich über die Grube wälzte, durchstach ihm Sigurd mit dem
Schwerte das Herz. Dann sprang er aus der Grube und riß
sein Schwert an sich. Als aber der Wurm die Todeswunde
fühlte, schüttelte er sich und schlug mit Haupt und Schweif
gewaltig um sich, so daß die Bäume um ihn her zersplitterten.
Dann ward er Sigurds gewahr und rief : '„Bursche! Wer zeugte
dich? Welcher Sippe entsprangst du, der du dein gleißendes
Schwert in Fafnirs Blut rötest? Bis zum Herzen stand
mir die Klinge!" Sigurd sprach: „Erlauchtes Wild heiß ich,
und gewandert bin ich, ein mutterloser Mann. Keinen Vater
hab ich wie Menschensöhne, immer ging ich einsam." —
„Höre," rief Fafnir, „wenn du keinen Vater hast wie Menschen-
söhne, durch welches Wunder kamst du denn zur Welt?
Nennst du mir deinen Namen nicht in meiner Todesstunde,
so heiß ich dich Lügner." — „Unkund, meine ich, ist dir
mein Geschlecht und unkund mein Name", erwiderte der
Held, „Sigurd heißt, dessen Schwert dich schlug, und Sigmund
mein Vater." — „Wer reizte dich, " sagte Fafnir, „wer durfte
dir raten, meinen Tod zu sinnen? Strahläugiger Bursche, ein
bittrer Held war dein Vater, und Angeborenes zeigt sich bald."
— „Mich reizte mein Mut zur Tat", antwortete Sigurd, „mir
halfen meine Hände und mein scharfes Schwert. Keiner ge-
winnt Mut im Alter, der jung nichts wagt." — „Nun höre du",
sprach Fafnir, „das klingende Gold und der glutrote Hort —
die Ringe werden dir Tod bringen." — „Bis zu dem finstern
Tag schaltet jeder mit seinem Schatz, einmal ist uns allen
bestimmt, zur Hei hinabzufahren," erwiderte Sigurd. „Mein
Schreckenshelm dünkte mich wider Menschen mein Schutz,
da ich auf dem Horte lag. Allein dünkte ich mich stärker als
alle, wenige Männer fand ich mir gleich," sagte Fafnir. „Der
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Schreckenshelm kann keinen bergen," sprach Sigurd, -„wo
Kampfeszorn einen Helden treibt.** -8- „Tödliches Gift schnob
ich, als ich auf dem Vatererbe lag," sprach Fafnir. „Fun-
kelnder Wurm,** sagte Sigurd, „Grausen hast du erregt und
bargst harten Sinn. Um so mächtiger wächst der Grimm
dem Menschensohne, der dennoch deinen Helm gewann.** —
„Ich rate dir nochmals,** sprach Fafnir, „und du folge dem Rat:
reite heim von hier! Das klingende Gold und der glutrote
Hort, — die Ringe werden dir Tod bringen.** — „Das ist
dein Rat,'* höhnte Sigurd, „ich aber will zu dem Golde reiten,
das auf der Heide liegt. Und du, Fafnir, liege in Todesnot,
bis Hei dich hält.*' — „Mimir verriet mich,** rief Fafnir,
„auch dich wird er verraten, er will unser beider Tod. Fafnir
muß sein Leben lassen, dein ward die größere Macht."
Als Mimir gewahrte, daß der Wurm erschlagen war, wagte
er sich aus seinem Versteck hervor. Er kam zu Sigurd, als
dieser das Drachenblut vom Schwerte strich, und sprach:
„Heil dir, Sigurd, Sieg hast du erstritten und Fafnir gefällt.
Von allen Männern, die auf der Erde schreiten, heiß ich dich
den unerschrockensten." — „Wie kannst du wissen, wer
von den Helden allen den unerschrockensten Mut bewähre?"
sprach Sigurd, „mancher mag kühn sein, der noch nie das
Eisen in eines Mannes Brust gerötet hat.** — „Froh bist du,
Sigurd,*' fuhr Mimir fort, „und genießest deinen Sieg, da du
Gram am Kraute trocknest. Doch ich bin betrübt, denn es
war mein Bruder, den du erschlugst, wenn ich auch selbst die
Tat ersann.** — „Fern gingst du,** sprach Sigurd, „als ich in
Fafnir mein scharfes Schwert färbte. Als ich wider des Wur-
mes Macht meine Kraft stemmte, da verkrochst du dich im
Heidekraut." — „Doch läge der alte Riese noch lange auf
der Heide," erwiderte Mimir, „hätte dir nicht das Schwert
gedient, das ich geschmiedet.** — „Mut ist besser als Schwertes
Gewalt, wenn es zum Kämpfen geht,'* sprach Sigurd, „ich
sah schon kühnen Mann mit stumpfer Klinge Sieg erstreiten.'*
„Doch fordere ich für das Schwert Teil an dem' Schatze,
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als Wergeid für den Fall meines Bruders/ 1 sprach Mimir.
„Du selbst rietest mir, herzureiten über bereiftes Gebirg.
Hort und Leben hätte noch der funkelnde Wurm, hättest du
mich nicht der Furcht geziehen," sprach Sigurd.
Darauf ging Mimir zu Fafnir und schnitt ihm das Herz
mit dem Schwerte Ridil heraus, dann trank er vom Blute
aus der Wunde und sprach: „Nun sitze du, Sigurd, ich bedarf
des Schlafes, und halte mir Fafnirs Herz ans Feuer. Essen
will ich das Fleisch des Herzens nach diesem Bluttrunk."
Sigurd nahm das Herz und briet es am Dorne. Als er dachte,
daß es fertig wäre und der Saft am Herzen zu schäumen
begann, berührte er es mit dem Finger, um zu versuchen, ob es
gar gebraten sei. Da verbrannte er sich den Finger und führte
ihn zum Munde. Und als Fafnirs Herzblut seine Zunge
berührte, verstand er sogleich die Sprache der Vögel. Er
hörte, wie die Spechtmeisen im Gebüsch zwitscherten und die
erste Meise sang: „Öa sitzt Sigurd blutberonnen, Fafnirs
Herz brät er am Feuer. Weise deuchte mich der Ringvergeu-
der, äße er den schimmernden Lebensmuskel." Die zweite
Meise sang: „Da liegt Mimir und hält Rat mit sich. Den will
er trügen, der ihm vertraut, zornig sinnt er falsche Anklage,
den Bruder will der verruchte Schmied rächen." Die dritte
sang: „Um ein Haupt kürzer laß er den alten Zauberer zur
Hei hinabfahren, dann schaltet er allein mit allem Golde,
darauf Fafnir lag." Die vierte sang: „Klug wäre er, wollte
er beherzigen den freundlichen Rat, den ihr Schwestern gebt,
sich zu wahren und die Raben zu erfreuen. Wo man Spitz-
ohren sieht, vermutet man den Wolf." Die fünfte sang:
„Nicht weise wäre der Held, ließe er den einen Bruder ent-
kommen, nachdem er den andern erschlug." Die sechste
sang: „Sehr unklug wäre es, den Feind zu schonen, der ihn
verderben will. Schützen sollte er sich vor Mimirs Verrat."
Und die siebente sang wieder: „Um eines Hauptes Länge
kürzer und der Ringe bar lasse er den reifkalten Unhold
sein. Dann mag er allein den Hort besitzen, den Fafnir
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hütete." Da sprach Sigurd zu sich selbst: „So soll das Geschick
nicht mächtig werden, daß Mimir meine Todesrune mit sich
trägt. Darum sollen schnell beide Brüder miteinander zur
Hei fahren."
Und Sigurd hieb Mimir das Haupt ab. Dann aß er Fafnirs
Herz und trank beider, Mimirs und Fafnirs Blut. Darauf ritt
er auf Fafnirs Fährte zu seinem Lager. Dort fand er Goldes
die Fülle und viele Kleinode. Damit belud er Grani, bestieg
das Roß und ritt von dannen.
6. SIGURDS RACHEZUG
Sigurd gedachte, was er vom Tode seines Vaters und den
Hundingssöhnen erfahren hatte und sprach bei sich: „Ich
will aus dem Lande fahren und die Hundingssöhne aufsuchen,;
und sie sollen erfahren, daß nicht alle Wölsunge tot sind.
Hell auflachen würden die Hundingssöhne, die einst meinen
Vater und König Eulimi erschlugen, wenn heißerer Wunsch
nach roten Ringen als nach Rache mich erfüllte." Er warb
sich Genossen, rüstete starke Schiffe und bemannte sie wohl.
Die Flotte begab sich auf See, und Sigurd steuerte den stärksten
und stattlichsten Drachen.
Nach wenigen Tagen zog ein heftiges Unwetter herauf und
schäumig brandete die See um die Schiffe. Doch Sigurd
verlor den Mut nicht und segelte weiter. Als sie an einem
Vorgebirge vorübersteuerten, stand hoch am Ufer ein Mann
und rief: „Wer reitet dort auf Räwils Hengsten durch tür-
mende Wogen und heulende See? Vom Wogenschweiß triefen
die Segelrosse, der Sturm vernichtet die Meeresrenner."
Sigurd erwiderte: „Hier ist Sigurd auf den Seebäumen! Gün-
stiger Fahrwind ward uns zum Tode hin. Steile Brecher
stürzen über den Steven, das Dünungsroß sinkt — wer ist
es, der fragt?" Der Mann erwiderte: „Nikar ruft mich, was
Raben auf der Walstatt erfreut, du junger Wölsung. Den
Bergalten magst du nennen Feng oder Fjölnir — ich fordere
Mitfahrt." Sie legten an und nahmen den Alten ins Schiff:
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da legte sich der Sturm, denn Odin war ihr Fahrtgenosse ge-
worden. Der setzte sich zu Sigurd ans Steuer und lehrte ihn
Kriegerweisheit, wie man in der Schlacht Sieg gewinne und
welche Vorzeichen man beachten müsse, ehe man zum Kampf
auszieht. Als sie aber in das Reich der Hundingssöhne kamen,
verschwand der Alte.
Nun entbrannte ein schwerer Kampf zwischen Sigurd und
den Tötern seines Vaters. Sigurds gutes Schwert Gram wütete
unter den Feinden, und als der Abend kam, lagen Lyngwi und
seine drei Brüder und der größte Teil ihres Heeres auf der
Walstatt. Da sprach Sigurd: „Nun ist der blutige Adler mit
beißendem Schwert dem Töter Sigmunds in den Rücken ge-
ritzt. Als die kühnsten Helden bewährten wir uns von allen,
die je die Walstatt gerötet und die Raben Odins erfreut haben."
Und Sigurd fuhr heim mit Ruhm und Beute.
7. SIGURD UND DIE SCHILDMAID
Als Sigurd den Drachen erschlagen und seinen Vater gerächt
hatte, ritt er auf Grani nach Süden gen Frankenland und kam
zum Fels der Hindin. Auf der Spitze des Berges sah er einen
leuchtenden Schein, als brenne ein Feuer zum Himmel auf.
Als er aber näher kam, fand er einen Zaun aus gereihten
Schilden, daraus ragte ein Banner empor. Er durchschritt
die Schildburg und fand darin einen Krieger in voller Rüstung
in tiefem Schlafe liegen. Er nahm dem Ruhenden den Helm
vom Haupte: da sah er, daß es ein Weib war. Die Brünne
aber umhüllte ihren Leib so fest, als sei sie angewachsen.
Darum durchschnitt er sie mit dem Schwerte Gram, von der
Kopföffnung nach unten und an den Armen entlang. Als er
dann die Brünne löste, erwachte die Schlafende, richtete sich
auf und sprach: „Was schnitt meine Brünne? Wie brach ich
hervor aus des Schlafes Umhüllung? Wer zerhieb mir des
Bannes fahle Fesseln?" Sigurd sprach: „Das tat Sigmunds
Sohn. Sigurds Schwert löste der Schlafenden Glieder.*' —
„Lange schlief ich," sprach die Maid, „lang währte der Bann
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meines Schlummers, lang ist der Sterblichen Leid. Odin
schuf, daß ich des Schlafes Zauberrunen nicht zu brechen
vermochte. — Heil dir, Tag, und euch, Söhne des Tags! Heil
dir, Nacht, und dir, Tochter der Nacht. Mit freundlichem Auge
schaut auf uns her und gebt uns Ruhenden Sieg. Heil euch
Asen, Heil euch Asinnen! Heil sei der fruchtprangenden
Erde! Rede und Rat gebt uns beiden Erlauchten und heilende
Hände immerdar."
Sigurd setzte sich nieder und fragte die Jungfrau, wer sie
sei. Sie sprach: „Einst war ich eine siegspendende Walküre
und Odins Dienerin. In den Kampftälern erwuchs ich mit
Brünne und Speer, Hild unterm Helme nannten mich damals
die Helden. Da erhob sich Kampf zwischen zwei Königen,
Helmgunnar, dem greisen Fürsten im Volk der Goten, und
Agnar. Odin hatte Helmgunnar Sieg verheißen, doch dem
jungen Agnar wollte niemand helfen. Da brach ich Odins
Befehl: Helmgunnar den Alten ließ ich zur Hei hinabziehen,
dem Agnar aber gab ich Sieg.
Das erregte mir Odins Zorn. Auf dem Felsen der Hindin
umschloß er mich mit Schilden, roten und weißen, daß die
Ränder einer Richtschnur glichen, stach mich mit dem Schlaf-
dorn und senkte mich so in tiefen Schlummer. Er verhängte
über mich den Bann, daß ich nie wieder in der Schlacht Sieg
bringen noch Helden fällen dürfe, bis der die Fesseln meines
Schlafes breche, der niemals Furcht gekannt habe."
Nach diesen Worten nahm die Jungfrau ein Trinkhorn,
füllte es, reichte es Sigurd und sprach: „Heiltrank bring ich
dir, du Held in der Brünne! Gemischt ist er mit Ruhm und
Kampfeskraft, gefüllt mit Glückssprüchen und heilenden
Stäben, mit gutem Zauber und Segensrunen. Und das künde
ich dir: Willst du die Heldenbahn gehen nach dem Willen des
Schicksals, so wird dein Ruhm der höchste unter den Wolken
sein. Jung wirst du sterben als Held oder friedlich altern
ohne Ruhm. Nun magst du kiesen, freie Wahl hast du,
leuchtender Held! Rede und Schweigen hast du selbst zu
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küren. Alles Unheil ist vorbestimmt." Sigurd antwortete:
„Nie will ich dem Geschick weichen, droht mir gleich der Tod.
Kein Feiger ward ich gezeugt. Dein Freundesrat lenke meine
Bahn, solange ich lebe. 11 Da lehrte ihn die Schildmaid uralte
Weisheit und die Kunst der zauberischen Runen: „Sieg-
runen lerne," sprach sie, „wenn du Sieg haben willst. Ritze
sie in des Schwertes Hilze, in die Blutrinne und des Rückens
Grat und raune zweimal den Namen Tyr. — Alrunen lerne,
daß nicht eines andern Weib dich täusche, wenn du vertraust,
und den Trank dir fälsche. Aufs Horn mußt du sie ritzen
und auf den Rücken der Hand, auf den Nagel zeichne die
Rune ,Not*. — Brandungsrunen nimm, wenn du bergen willst
vom Sund die Wogenrosse. Die ritzest du auf den Steven
und auf des Steuers Blatt, und brennst sie in die Ruder ein.
Wie schwer dann die Brandung über dir schäumt, wie schwarz
die See auch droht: heil kommst du an Land. — Rederunen
sollst du wissen, willst du nicht, daß ein Held dir einen Harm
blutig vergelte, und Denkrunen mußt du kennen, daß keiner
der Männer an Weisheit dich übertreffe. Sie schuf einst
Odin, sie ritzte er, er fand sie durch den Trank, der geträuft
war aus dem Haupt und dem Horn Mimirs, des weisen Riesen.
— Hör meinen Rat: Schwör keinen Eid wider die Wahrheit!
Den Eidbrecher trifft grimmes Geschick. Auch traue nie den
Worten des jungen Wolfs. Ob du seinen Bruder erschlugst
oder seinen Vater fälltest: ein Wolf erwächst dir in dem
Knaben, nahm er gleich Wergeid. Glaube nicht, daß so leicht
der Bluthaß entschläft."
Vieles sprach sie noch und machte ihn reich an dem Wissen,
dessen der Held bedarf. Dann ritt Sigurd von dannen.
8. SIGURD UND BRYNHILD
Manches Heldenwerk hatte Sigurd vollbracht, da gelangte
er eines Tages auf seiner Fahrt zur Halle eines großen Königs,
der Gjuki hieß und über weite Lande im Süden am Rheine
herrschte. Als er auf Granis Rücken in den Burghof einritt,
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sah ihn einer der Königsmannen und rief: „Wahrlich, hier
kommt einer der Götter gefahren! Ganz ist dieser Mann mit
Gold geschmückt, gewaltiger ist sein Roß denn andere, und
herrlicher sein Gewaffen. Weit überragt er alle Männer."
Der König ging hinaus und fragte Sigurd: „Wer bist du, der
so herrlich in meine Burg einreitet?" — „Sigurd heiße ich
und bin König Sigmunds Sohn," erwiderte der Held. „Sei
uns willkommen," sprach Gjuki, „und empfange, was dein
Wunsch begehrt."
Gjuki hatte drei Söhne, Gunnar, Högni und Guttorm. Mit
Gunnar und Högni schloß Sigurd den Blutsbund und befestigte
ihn durch Eide. Sie gaben ihm die junge Grimhild, ihre
Schwester, die schönste Jungfrau, zum Weibe. In Freuden
und bei festlichen Gelagen verbrachten sie die Tage, und auf
manche Heerfahrt ritten sie zusammen.
Einst kam zu ihnen die Mär, es lebe fern im Norden auf
einem Felsen, in schimmerndem Saal, den ein Flammenwall
umbrande, eine stolze und kriegerische Jungfrau mit Namen
Brynhild. Sie hatte das Gelübde getan, daß sie nur dem
Manne gehören wolle, dem es gelänge, ihre Waberlohe zu
durchreiten — so wollte sie den größten von allen Helden er-
werben: das war Sigurd der Fafnirtöter. Als Gunnar die
Kunde von ihr vernahm, beschloß er, um Brynhild zu werben,
damit er seinen Ruhm mehre und die höchste Ehre gewinne.
Sigurd sagte seinem Blutsbruder Hilfe zu und rüstete mit
den Brüdern die Reise — der Wege war der junge Wölsung
kundig.
Sie fanden den goldschimmernden Saal der Brynhild und
das Feuer, das ihn umloderte. Gunnar spornte sein Roß
Goti wider das Feuer, aber es bäumte und wich zurück. „Was
weichst du zurück," sprach Sigurd. „Mein Roß will nicht
durch das Feuer springen," antwortete Gunnar. Er bat Sigurd,
ihm Grani zu leihen, doch auch Grani verweigerte unter
Gunnar den Flammenritt. So konnte Gunnar das Feuer nicht
durchreiten, auch von seinen Mannen wagte niemand, in die
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Lohe zu dringen. Da tauschten Gunnar und Sigurd die Ge-
stalten — nur die Augen konnten sie nicht tauschen — und
Sigurd gelobte dem Freund mit Eiden, die Jungfrau für ihn
zu gewinnen. Mit dem Schwerte Gram spornte der Held sein
Roß, furchtlos sprang es ins Feuer. Es raste der Brand, die
Erde bebte, hohe Lohe stieg flammend zum Himmel. Als
aber Sigurd furchtlos Grani vorwärts trieb, erlosch der Schwall,
die Flamme legte sich und wich vor dem königlichen Sproß.
Sigurd fand die Jungfrau in einem schönen Gemache
sitzend. Sie fragte den Eingedrungenen, wer er sei.' Er nannte
sich Gunnar, Gjukis Sohn, und sagte:', Du aber bist mir, dem
Überwinder deiner Waberlohe, bestimmt nach deinem eignen
Gelübde." — „Ich weiß nicht, wie ich dir antworten soll,"
sprach Brynhild, verwirrt forschte sie in Sigurds Antlitz mit
den strahlenden Augen. Ihr Herz ahnte einen Trug, aber
konnte ihn nicht durchdringen. Hochaufgerichtet stand der
Werber da, stützte sich auf den Schwertknauf und sprach: „Ich
will dir Brautschatz zahlen, Gold und köstliche Kleinodien."
Sie aber sprach leidvoll von ihrem Sitze wie der Schwan
von der Woge — sie war im Schmuck ihrer Brünne, hatte den
Helm auf dem Haupt und das Schwert in der Hand — : „Gun-
nar, rede nicht solches zu mir, wenn du nicht der mächtigste
der Helden bist. Ich rötete meine Waffen in Männerblut,
und danach verlangt mich noch." Sigurd aber erwiderte:
„Du denke nun deines Gelübdes, daß du dem folgen wolltest,
der dieses Feuer durchritte." Da stand sie auf und begrüßte
ihn freundlich. Sigurd weilte drei Nächte bei ihr und teilte
ihr Lager, doch die nackte Klinge seines Schwertes Gram
legte er zwischen sich und die Jungfrau: so wahrte er die
Eide. Sie fragte, warum er solches tue. Er erwiderte: „Mir
ist beschieden, also meine Vermählung zu begehen, sonst ist
es mein Tod." Doch tauschten sie ihre Ringe miteinander.
So verstrickten sie das Schicksal.
Am dritten Tage war die Reise gerüstet, und sie verließen
die Burg. Sigurd und Gunnar tauschten wieder die Gestalten.
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Heim zu Gjukis Hof ritten die Helden, dort hielten Gunnar
und Brynhild Hochzeit. Manchen Tag saßen die Vermählten
in Fröhlichkeit und Kurzweil beim Weine in der Halle. Grim-
hild aber, Sigurds Weib, erfuhr von ihrem Gatten den Verlauf
der Fahrt, und der Held schenkte der Frau den Ring der
Brynhild.
Eines Tages gingen Grimhild und Brynhild zusammen zum
Strom, um zu baden. Brynhild aber trat höher hinauf im
Strome, Grimhild fragte, was das bedeute, und Brynhild ant-
wortete: „Hierin will ich mich wie in allem andern dir nicht
gleichstellen. Mehr Heldentaten vollbrachte mein König als
Sigurd: Gunnar durchritt die brennende Lohe, dein Gemahl
aber war Mimirs Schmiedeknecht. " Aufwallend erwiderte
Grimhild: „Weiser tätest du zu schweigen als meinen Gemahl
zu lästern. Er ist der größte Held, den die Welt trägt. Auch
ziemt dir nicht, den zu schmähen, der dein erster Gatte war:
er erschlug Fafnir und durchritt das Feuer — du aber glaub-
test, es sei König Gunnar — und er lag bei dir drei Nächte
lang und nahm von deiner Hand diesen Ring: hier magst du
ihn erkennen l" Brynhild sah und erkannte den Ring, da
ward sie bleich, als ob sie stürbe. Sie ging heim und sprach
den Abend kein Wort mehr.
In schwerem Brüten lag Brynhild auf dem Lager. Rache
sann sie wider den, der sie eidbrüchig gemacht und ihr Ge-
lübde gebrochen hatte, daß sie nur dem größten Helden
gehören wolle. Da trat Gunnar zu der finster Schweigenden
und sprach: „Was bedeutet dein Gram, und welcher Buße
bedarf es, ihn zu sänftigen?" Sie aber sprach aus ihrem grim-
men Zorn: „Alles ist mir bekannt! Sigurd überwand meinen
Flammenwall und weilte bei mir, darum will ich nicht leben.
Das aber sage ich dir: Sigurd betrog mich, und auch dich hat
er betrogen, da du ihn mein Bett besteigen ließest. Nun aber
will ich nicht zwei Männern in einer Halle gehören, deshalb
soll Sigurd fallen oder du oder ich. Er hat Grimhild die Mär
erzählt, ich aber lebe in Schande."
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Da sprach Gunnar: „Steh auf und sei fröhlich! Was du
willst, soll geschehen: Sigurd soll fallen, ist er gleich mein
Schwurbruder." Er rief Högni, seinen Bruder, herbei und
sprach: „Sigurd muß sterben." Högni erwiderte: „Wessen
gibst du Sigurd schuld, daß du den Tod des Kühnen begehrst?*'
Gunnar sprach: „Sigurd schwur mir unverbrüchliche Eide,
alle heiligen Eide brach er. So trog mich, der mir aller Eide
eherner Fels sein sollte." Doch Högni sprach: „Dich hat
Brynhild grimmig gereizt, zu wilder Tat hat sie dich ent-
zündet — daraus wird Harm entspringen. Grimhild miß-
gönnt sie den Gatten und dir mißgönnt sie sich selbst. Laß
uns den beschworenen Bund nicht brechen." Gunnar sprach:
„Beschlossen ist sein Tod. Wir wollen Guttorm zur Tat
reizen, der Sigurd keine Eide schwur." Da sott man den Wolf,
da schnitt man den Wurm, vom gefräßigen Wolf gab man
Guttorm zu essen, ehe die Meintatlüsternen vermochten, an
den Helden die Hand zu legen.
Erschlagen war Sigurd südlich vom Rhein, den Arg-
losen traf am Waldquell heimtückisch das Schwert der Mör-
der. Vom Baum herab rief heiser der Rabe: ' „An euch wird
einst Atli sein Eisen röten. Die gebrochenen Eide werden
die Mörder treffen." r
Als die Gjukunge heimkehrten, stand Grimhild draußen.
Dies war ihr erstes Wort: „Wo ist Sigurd, der hehrste der
Helden, da meine Gesippen als erste reiten?" Stumm standen
alle bei diesen Worten, Högni allein gab Antwort: „Erschlagen
haben wir Sigurd mit beißendem Schwert. Sein graues Roß
neigt das Haupt über den toten Helden." Da lachte Bryn-
hild, daß das Haus erdröhnte, einmal aus tiefster Brust:
„Nun genießt nur lange der Herrschaft und Lande, da ihr
den kühnsten König fällen ließet." Und Grimhild sprach:
„Schreckliches Frevelwort sprichst du aus. Fluch treffe
Gunnar, Sigurds Mörder! Rache soll einst eure Mordgier
treffen I" Doch Brynhild sprach: „Nun genießet wohl der
Waffen und Lande. All euer Gut hätte Sigurd allein
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besessen, wenn ihr ihn länger am Leben ließt. Unehre brächte
euch, wenn er so schaltete über Gjukis Erbe und die Helden-
schar und kühne Söhne zum Kampfe erzeugte/' So sprach
sie im Zorn, aber Böses schufen die gebrochenen Eide.
Tiefe Nacht war hereingebrochen, — viel war getrunken,
manch übermütiges Wort hin und her geflogen — da schliefen
alle auf dem Lager, nur Gunnar allein wachte in der Halle.
Er regte den Fuß, sprach viel für sich, der Fürst konnte den
Gedanken nicht bannen, was Rabe und Adler hoch im Baume
sich zugerufen hatten, als sie heimritten. Vor Tag erwachte
auch Brynhild und rief: „Reizt mich auf oder wehrt mir —
Leid ist geschehen — Weh zu klagen oder es zu lassen."
Stumm verharrten alle bei solchem Wort. Keiner verstand
des Weibes Tun, als sie nun weinend zu sagen anhub, was
sie zuvor lachend von den Helden heischte: „Schrecklicher
Traum, Gunnar, befiel mich im Schlaf. Kühl war die Halle
und klamm mein Lager. Du, Fürst, rittest in Gram versenkt,
an den Füßen mit Zauberfesseln umschlossen mitten in die
Schar deiner Feinde hinein. So wird vernichtet der Niflunge
ganzes Geschlecht — Eidbrecher seid ihr! Vergaßest du ganz,
Gunnar, daß ihr beide, Sigurd und du, euer Blut zusammen
in die Fußspur träufen ließet zur Bekräftigung eures Bundes?
Schlimm hast du Sigurd nun alles gelohnt, der dich doch
über alle erhöhen wollte. Damals bewährte es der Held, als
er geritten kam, um mich zu werben, wie er seinem Bluts-
bruder Eide hielt. Zwischen uns legte der König das leuchtende
Schwert, das goldgeschmückte, im Feuer waren die Schneiden
gehärtet, die Klinge war bunt mit Gift geätzt. Nun ist der
hehrste Held dahin, der mir nach dem Geschick und meinem
Schwur gehören sollte. Gesühnt ist der Verrat mit seinem
Blute, ich aber will nicht länger leben, nachdem ich meine
Rache vollendet habe." So sprach sie und schied noch den-
selben Tag aus dem Leben.
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Eine andre Sage berichtet aber, Brynhild habe Sigurd schon
vor ihrer Einschließung in die Flammenburg gesehen, sei in
Liebe zu ihm entbrannt und habe sich nur in der Hoffnung
mit der Waberlohe umgeben, daß allein der strahlende Fafnir-
töter imstande sei, die Flammen zu durchreiten, und daß sie
so dem herrlichen Helden gehören werde;
Von Unrecht und Leid wußte Brynhild noch nichts, keine
Schande noch der Schein eines Makels befleckte sie, da fuhr
mitten hinein ein grimmes Geschick, als der Held vom Süden
sie für Gunnar warb und drei Nächte das nackte Schwert
in beider Mitte lag. Nicht küßte er die Herrin noch hielt er
sie im Arm, er barg die junge Maid für Gunnar.
Einsam saß Brynhild nach der Hochzeit draußen vor Gjukis
Halle im sinkenden Tag, da brach es aus ihrem Innern:
„Halten will ich Sigurd, den jungen Helden, im Arm, oder
ich will sterben. Nun sprach ich das Wort, — mag Reue ihm
folgen. Doch ist er Grimhilds Herr und ich Gunnars Weib.
Feindliche Nornen schufen uns langes Leid." So ging sie
oft, von Unheil erfüllt, von Eis und Firn, wenn der Abend
sank, da mit dem Trauten Grimhild das Bett bestieg und
Sigurd der König um sie die Decke hüllte. „Nun darf der
Held seines seligen Glückes genießen," sprach sie, „ich aber
gehe freudlos und gattenlos — mir bleibt zur Freude nichts
als grimmer Haß."
So stachelte sie ihren Grimm, bis sie Sigurds Tod beschloß.
Zu Gunnar sprach sie: „Ganz sollst du verlieren mein Land
und mich selbst — nimmer werde ich froh mit dir. Heim will
ich fahren, wo ich früher weilte, zum Kreis meiner Freunde
und meiner Sippe: dort will ich sitzen, mein Leben verdäm-
mernd, wenn du nicht Sigurd dahinfahren lassest und der
erste der Herrscher wirst. Und laß Sigurds Sohn dem Vater
nachfahren — nicht sollst du den jungen Wolf aufnähren
zum Rächer des Vaters."
Schauernd neigte Gunnar das Haupt, versonnen saß er den
langen Tag. Keinen Rat wußte er sich, was seinem Glücke
4 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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am besten fromme, was seinem Heile am besten helfe. Er
wußte, daß er Sigurd verlieren werde und wie schwer des
Wölsungs Verlust ihn treffe. Nicht minder lange besann er
den andern Weg: daß Brynhild zu ihrer Sippe heimkehre;
war doch sonst nicht Brauch, daß eines Königs Weib dem
Hochsitz entsagte. „Teuer ist mir Brynhild vor allen, sie ist
das beste der Weiber. Lieber will ich mein Lebensblut ver-
strömen, als daß ich ihre Schätze misse." Er rief Högni,
heimlich mit ihm zu raunen, der besaß sein ganzes Ver-
trauen; „Scheint dir gut, wenn wir um Gold den Fürsten
verraten? Gut wärs, des Rheines Erz zu gewinnen, in Genuß
des Reichtums zu walten und in seliger Fülle zu sitzen."
Dies nur gab Högni zur Antwort: „Mich dünkt nicht recht,
mit dem Schwert zu brechen geschworene Eide: geschworene
Eide, gelobter Frieden! Kein Mann gleicht uns an Glück,
wenn wir vier das Volk beherrschen, wenn Sigurd, der heunische
Recke, lebt und wir alle Söhne zeugen, dann würde stattlich
unser Stamm sich breiten. Wohl weiß ich, welchen Weg
dies kommt: zu mächtig ist Brynhilds Begier." Doch Gunnar
sprach: „Laß uns Guttorm zur Mordtat reizen, den jugendlich
wilden Bruder. Auch umschließen ihn nicht die geschworenen
Eide: geschworene Eide, gelobter Friede."
Leicht war der Schnellentschlossene gereizt. Am Morgen
trat Guttorm zu Sigurds Lager. Zweimal scheuchte ihn des
Helden strahlender Blick. Das dritte mal war Sigurd ent-
schlummert: da stand das Schwert des Mörders in seinem
Herzen. Doch noch einmal sprang er zur Rache auf, er
schleuderte Gram dem Fliehenden nach, die Klinge flog aus
des Königs Händen und erreichte Guttorm. In zwei Hälften
fiel der Mörder zu Boden, Hände und Haupt sanken nach
vorn, die Füße fielen zurück in den Saal.
Sorgenlos auf dem Lager entschlummert lag Grimhild, von
Sigurds Armen umfangen, doch sie erwachte aller Freude
beraubt, als sie im Blute des Götterfreundes schwamm. So
schallend schlug sie die Hände zusammen, daß sich der Eisen-
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herzige auf dem Lager hob: „Weine nicht so gramschwer,
Grimhild", sprach er, „deine Brüder leben und werden dich
schützen. Aber mein Erbe ist zu jung, als daß er aus feind-
lichem Hause fliehen könnte, zu schnell ersannen sie den
schwarzen und schändlichen Verrat. Doch nie werden sie
nun mit solchen Heldensöhnen auf Heerfahrt reiten, magst
du gleich sieben Söhne gebären. Wohl weiß ich, wie dies
alles geschah: alles Böse ersann Brynhild. Mich liebte sie
vor allen Männern, doch brach ich Gunnar die Treue nie, ich
hielt ihm die geschworenen Eide, nie wollte ich seines Weibes
Buhle heißen."
Den Helden verließ das Leben, dem Weibe aber schwanden
die Sinne. Sinkend schlug sie die Hände so schallend zusam-
men, daß an den Wänden die Becher klirrten und die Ganse
im Gehege hell aufschrieen. Da lachte Brynhild einmal aus
tiefstem Herzen, als zu ihrem Lager Grimhilds Wehschrei
drang. Doch Gunnar sprach zu ihr: „Nicht lachst du froh,
unholdes Weib, weil dir Glück widerfährt. Wie bist du bleich,
du Unheilvolle. Mich dünkt, dem Tode bist du verfallen." —
„Dich wird niemand der Feigheit zeihen," sprach Brynhild,
„denn wahrlich: kühn war dein Kampf wider Sigurd. — Nun
aber höre mein Wort: Sigurd allein hab ich geliebt und keinen
andern. Nie schwankte mir das Herz. Einst lebte ich frei
und sorgenlos und an Schätzen reich, doch keinem Manne
mochte ich gehören, ehe ihr Gjukunge mit Sigurd. in den Hof
rittet, für Gunnar um mich zu werben. Lange schwankte
im Zweifel mein Sinn, ob ich dem Willen des Werbers folgen
oder kämpfend die abgewiesenen Krieger fällen solle, ob ich
brünnenbewehrt Kriegsruhm erwerben oder mich euch fügen
solle. Da gewahrte ich Sigurd neben Gunnar, der im Gold-
schmuck strahlend auf Granis Rücken saß: ungleich waren
seine Augen den euren, wie fürstlich ihr euch auch dünktet.
Sigurd gelobte ich mich im Herzen. Nach dem Goldhort,
den Sigurd dem Drachen abgewann, stand mir der Sinn, kein
anderes Gold begehrte ich. Darum schloß ich den Ver-
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gleich, daß ich dem Werber gehören wolle, der es vermöge,
meinen Flammenwall zu durchreiten, denn keiner, glaubte
ich, würde es können, außer dem Fafnirtöter. Nun ist der
Herrliche dahin, darum will auch ich sterben. Das sei Sühne
meinem bitteren Harm, daß ich Sigurd im Tode folge."
Auf sprang da Gunnar, der Fürst der Helden. Um den
Hals der Frau legte er die Hände, heilenden Sinns traten alle
heran, sie abzumahnen. Doch vom Halse stieß sie alle zurück,
nicht ließ sie sich abhalten vom weiten Gang. Gunnar rief
Högni zu heimlichem Geraun: „Laß alle Mannen in die Halle
gehen, deine und meine — uns drängt die Not — , daß man
vom Todesgang die Frau abhalte, bis ihr Grimm sich schwich-
tige." Doch Högni gab dies zur Antwort: „Es wehre ihr keiner
den weiten Gang, und nie werde sie von dort wiedergeboren!
Verflucht kam sie vor die Kniee der Mutter, zum Unheil ward
sie geboren und zum Verderben manchem Manne." Un-
willig wandte Högni sich ab, als die Halsbandgeschmückte
Gaben verteilte. Sie blickte auf ihre Habe, unfreie Mägde
und Dienerinnen, die der nahende Tod entfärbte, der ihnen
im Gefolge ihrer Herrin beschieden war. Leidvoll hüllte sich
die Königin in die goldene Brünne, dann durchbohrte sie sich
mit des Schwertes Schärfe. Müde sank sie auf das Polster
zurück, doch obschon todwund, sann sie noch diesen Rat:
„Herein nun, wer Gold begehrt. Nicht Unfreie nur sollen
im Tode mir folgen. Jeder freien Frau, die neben mir brennen
will, geb ich leuchtenden Schmuck und Prachtgewänder."
Alle schwiegen und sannen lange, bis alle aus einem Munde
sprachen: „Es starben genug — wir wollen leben! Uns Diene-
rinnen ziemt nicht, um Ruhm unser Leben zu opfern." Sin-
nend sprach Brynhild: „Keine Freie will ich nötigen, daß sie
um mich ungern das Leben lasse. Doch sterbt ihr einst, so
brennen nicht auf eurem Gebein reiche Schätze und blinken-
des Gold. — Höre mich, Gunnar! Mein Ende naht, darum
laß mich eine Bitte noch sagen — es sei auf der Welt meine
letzte: Errichte im Feld eine breite Holzburg, geräumig genug,
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uns alle zu bergen, die mit Sigurd starben. Umzelte die Burg
mit Decken und Schilden, schmücke sie mit köstlichem Tuch
und vielen getöteten welschen Knechten, die sollen mir zur
linken Seite und zu Häupten liegen. An meiner Rechten aber
brenne Sigurd, der König. Ihm zur anderen Seite sollen
brennen meine Dienerinnen mit Halsbändern geschmückt,
und zwei ihm zu Häupten, daneben zwei Habichte, ihm wie
mir, alles verteilt nach gleichem Maße. Noch einmal liege,
uns trennend, zwischen uns das ringgeschmückte Schwert,
wie einst es lag, da wir beide ein Lager bestiegen und uns
Gatten nannten. Bereitet alles! Nicht fallen, wenn solche
Schar dem Helden folgt, ihm auf die Ferse die Flügel des
schimmernden Tores zur düster prangenden Halle, und unsre
Fahrt wird nicht ärmlich sein. — Manches wollte ich gern
noch reden, ließe der Tod mir Raum, doch bricht mir die
Stimme, die Wunden schwellen — so ende ich denn."
So starb Brynhild. Gunnar aber rüstete die Leichenfeier ihr
und Sigurd, wie sie gebeten hatte: eine Lohe verzehrte sie beide.
9- UNTERGANG DER NIFLUNGE
Nach Sigurds Tode nahmen Gunnar und Högni den Drachen-
hort und verbargen ihn an einem sichern Ort in den Fluten
des Rheins. Grimhild aber saß stumm und leidvoll in der
Halle. Sie schluchzte nicht, schlug nicht die Hände und weinte
nicht, schwarz und lichtlos schien ihr der Tag.
Boten kamen von Atli, dem Hunnenkönig, um sie zu
werben. Da heischte Oda, Grimhilds Mutter, von ihren Söhnen,
daß sie der Witwe Sühne böten für Sigurds und ihres Sohnes
Tod. Gunnar und Högni waren bereit, mit Gold den Harm
zu sühnen. Alle wollten mit Kleinoden und tröstendem Wort
ihr Sühne bieten für ihr Weh, sie aber blieb fest, Trost und
Buße wies sie ab. Da mischte Oda den Trank, kühl uud
bitter, um den Gram zu löschen. Viel Böses war in den Trank
gemischt, dazu Kraft der Erde, eiskalte See und Eberblut,
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und in das Horn waren rote Stäbe geritzt: geringelte Schlange,
reife Ähre und Eingeweide der Tiere. Da schwand Grimhilds
Zorn, sie vergaß die schwarze Tat Gunnars und Högnis und
versöhnte sich ihnen.
Oda und die Brüder versprachen ihr reiches Gut, wenn sie
Atli, dem Hunnenkönige, sich vermähle. Sie aber sprach:
„Keinem Manne will ich wieder folgen, und mir ziemt nicht,
froh mit Atli zu leben und ihm Erben zu gebären." — „Laß
die Trauer fahren," bat Oda, „gewinnst du Söhne, so wird
dir sein, als lebten Sigurd und sein Knabe noch." — „Ich
kann kein Glück mehr mit andern tragen noch einem Treue
schwören," sprach Grimhild, „seit Wolf und Rabe gierig
zusammen das Herzblut Sigurds schlürften." Doch endlich, ob
, sie gleich düsteres Geschick im Traume voraussah, wich sie den
Drängenden und willigte in den Bund mit dem Hunnenkönig.
Liebelos lebte nun Grimhild bei Atli. Der aber sann, wie
er den Hort gewänne, den einst Sigurd besaß und dessen Ort
nur Gunnar und Högni wußten. Geschworen hatten die
Helden, daß keiner den Ort verrate, solange der andre lebe.
Atli beschloß, sie mit Lockung zu laden, um ihr Geheimnis
zu erfahren. Grimhild aber sandte ihnen warnende Runen.
Als Boten schickte Atli von seinen Kriegern einen kundigen
Reiter. Der kam zu Gjukis Hof und Gunnars Halle, zu den
Bänken am Herd und dem süßen Met. In der Halle tranken
die Mannen, als der Bote vom Hochsitz herab mit kalter
Stimme, den Trug wohl bergend, also rief: „Atli gebot mir,
mit Botschaft zu reiten auf gebißkauendem Pferde durch
den unwegsamen Dunkelwald, euch beide, Gunnar und Högni,
zu bitten, daß ihr zur Bank seiner Halle kämt mit ring-
geschmückten Helmen, als Gäste ihn heimzusuchen. Dort
mögt ihr euch wählen Schilde und Lanzenschäfte, gold-
verzierte Helme, scharfe Speerspitzen, kauende Rosse und kost-
bares Zaumzeug. Die weite Gnitaheide will er euch geben,
klirrende Gere und goldene Steven, herrliche Kleinode, auch
die Gestade des Danp und den mächtigen Dunkelwald."
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Gunnar wandte das Haupt und sprach zum Bruder: „Was
rätst du uns, Held, auf solche Rede? Ich wüßte nicht, daß
die Gnitaheide reicheres Gold als wir besäße. Unser sieben
Schatzhäuser sind mit Schwertern gefüllt, an jedem glänzt
ein goldener Knauf. Von hallenzierenden Bogen ist meiner
allein besser als alle der Hunnen, und ich weiß, mein Kampf-
roß ist das beste, mein Helm und Schild die strahlendsten
von allen."
Da erwiderte Högni: „Was wollte uns wohl die Schwester
raten, da sie uns den Ring sandte mit Wolfshaar durch-
flochten? Heimliche Warnung, meine ich, bot sie uns so.
Des Heidebewohners Haar fand ich am Reif haften. Wölfisch
würde uns diese Fahrt."
Alle Schwertmagen schwiegen, keiner der Gesippen redete,
keiner auch der vertrauten Berater. Da sprach Gunnar, der
über alle in der Halle ragte, voll hohen Mutes wie es dem Kö-
nige gebührt: „Auf Fjörnir, mein Mundschenk, laß die Knechte
die Goldschalen für die Helden in die Halle tragen, daß wir
den Abschiedstrunk trinken. Mögen grauröckige Wölfe mit
dem Niflungenerbe schalten, wenn Gunnar ausbleibt ! Mögen
dunkelzottige Bären hier hausen, wenn der König nicht
heimkehrt!"
Klug war Högnis Gattin und der Runen kundig. Grim-
hilds Zeichen wollte sie beim Feuer lesen, doch stockte ihr
die Zunge: die Runen waren verworren, die Lösung konnte sie
nicht finden. Böses träumte ihr nachts und schreckte sie
auf. Sie sprach zu Högni: „Reite diesmal nicht, Högni! Ich
mühte mich, die Runen zu erraten, die deine Schwester ritzte :
nicht lud euch die Edle. Rätselvoll und verworren ist, was
die Weise ritzte. Doch will mir scheinen, als stünde euer
beider Tod darunter. Ein Stab fehlte der Frau, oder andere
fälschten, was sie ritzte." — „Argwöhnisch seid ihr," ant-
wortete Högni, „ich aber forsche nicht nach Verrat, bis ich
ihn rächen muß. Gold bietet uns Atli, mag auch Gefahr
drohen — ich kenne keine Furcht."
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Beschlossen war die Fahrt. Im grauenden Morgen rüsteten
sich die Helden und achteten der Träume und bösen Ahnungen
nicht. „Fahrt heil und klug, wohin der kühne Mut euch treibt,"
rief zum Abschied Högnis junger Sohn. Den heerkühnen
Fürsten geleiteten makellose Mannen vom Hofe der Niflunge.
Als sie zum Ufer kamen, begannen sie gewaltig zu rudern.
Es barst der Kiel, wie sie rückwärts gelehnt die Wogen schlu-
gen, es brachen die Ruder, und die Pflöcke splitterten, sie
ließen das Schiff treiben, als sie gelandet waren. Über Berg
ließen die Mutigen die gebißkauenden Rosse stürmen durch
den pfadlosen Dunkelwald. Es schütterte die Hunnenmark,
wo die Eisenharten fuhren, über grünendes Gefild spornten
sie die Renner. Sie sahen Atlis Land und die düster ragende
Halle, wo Hunnenkrieger auf der türmenden Burg standen,
sahen den Saal der Südländer mit Sitzen umreiht und umhängt
mit blitzenden Schilden. In der Halle trank Atli Wein mit
seinen Mannen, doch Wächter saßen draußen, Gunnar er-
wartend, ob er komme mit gellenden Speeren und ihrem
Fürsten Kampf erwecke.
Zuerst erblickte die Schwester die beiden Brüder, als sie
die Halle betraten — sie allein war vom Met nicht trunken — ,
und rief: „Verraten bist du, Gunnar, was vermagst du, Ge-
waltiger, nun wider hunnische Tücke? Eilends verlaß die
Halle. Besser tätest du, Bruder, im Heerbann zu reiten,
als so arglos zu Atli zu kommen. Dann säßest du sonnen-
heiße Tage lang im Sattel, sendetest Atli in den Schlangenhof
und ließest die tränenlosen Nomen erdfahle Hunnen beweinen.
Nun ist der Schlangenhof dir selbst bestimmt.* ' — „Zu spät,
Schwester," sprach Gunnar, „ist es nun die Niflunge zu sam-
meln, zu weit ist es, die Recken zu entbieten vom Rotfelsen
des Rheins."
Da entspann sich wilder Kampf in der Halle. Nachdem die
Mannen erschlagen waren, fingen die Hunnen Gunnar, fessel-
ten und banden ihn. Sieben schlug Högnis Schwert, ins
lohende Feuer der Halle schleuderte er den achten. So
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besteht ein Held den Ansturm der Feinde, wie Högni sie abwies.
Doch erlag er den Vielen, und sie banden auch ihn.
Atli trat zum gefesselten Gunnar. Er fragte den Helden, ]
ob er mit dem Golde des Hortes sein Leben kaufen wolle. \
Der aber sprach: „Zuvor soll mir Högnis Herz in der Hand
liegen, blutig dem Königssohne mit beißendem Schwert aus
der Brust geschnitten." Sie schnitten dem Jalli, einem hun-
nischen Knecht, das Herz aus der Brust und brachten es
Gunnar blutig auf der Schüssel.' Da rief Gunnar, der beste
Held:'„Hier hab ich das Herz Jallis, des Feigen, 1 ungleich dem
Herzen des mannhaften Högni bebt es auf der Schüssel,
zwiefach bebte es, da es in der Brust lag." Högni aber lachte,
als sie das Herz ihm herausschnitten, ihm entfuhr keine
Klage. Blutig auf der Schüssel brachten sie es Gunnar. Da
rief Gunnar, der gerberühmte Niflung: „Hier halte ich das
Herz Högnis, des Recken, ungleich dem Herzen Jallis, des
Feigen, bebt es wenig hier auf der Schüssel, weniger noch
bebte es, da es in der Brust lag. Niemals, Atli, wird nun dein
Auge den Hort erblicken, 1 so wahr kein Auge dich bald mehr
schaut! Bei mir allein ist jetzt das Geheimnis des Niflungen-
horts geborgen, da Högni nicht mehr lebt. ' Noch zweifelte ich,
als wir beide lebten, an seiner Wahrung, 'nun zweifle ich nicht
mehr, da ich allein es weiß. Der Rhein hüte den zwistzeugen-
den Hort, das Asenerbe der Niflunge. In stürzender Woge
leuchte der welsche Schatz, ehdenn er jemals auf hunnischen
Händen glänze."
Da sprach Atli: „Gebunden ist der Feind, bringt den Wagen."
Und das zaumzerrende Roß brachte den König auf die Heide
zur Stätte des Todes. Atli, der mächtigen Siegbringer Sproß,
ritt auf Glaum, den die Sporen schlugen. Daheim in der Halle
aber fluchte ihm Grimhild, die Leidvolle wehrte den Tränen:
„Mögen dir, Atli, die Eide gehalten werden, wie du dem
Gunnar die Eide hältst, die du ehmals ihm schwurst, bei der
Sonne des Südens, bei des Sieggottes Felsen, beim Frieden
des Hauses und beim Ringe des UU."
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Den König warfen die Krieger lebend in den Hof, der mit
Schlangen gefüllt war. Gunnar aber schlug mit der Hand
furchtlos die Harfe, daß die Saiten hell erklangen, und er
spielte unverzagt, bis die Nattern ihn zu Tode stachen. So
soll ein kühner Ringspender den Goldhort hüten.
Atli wandte vom Morde heim das stampfende Roß. ' Im Hof
war Gedröhn und Gedränge von Pferden, 'Waffenklang der
Männer, die von der Heide kamen. !
Da ging Grimhild hinaus, sie hatte das Erbmahl der Brüder
gerüstet. Die goldene Schale trug sie dem König entgegen
und reichte sie ihm mit verhüllendem Wort, als sei sie bereit,
für den Mord der Brüder Sühne zu nehmen: „Fröhlich emp-
fange in deiner Halle, Herrscher, der Grimhild junge Auf-
zucht, die gen Niflheim fuhr." Von Wein schwer klangen
Atlis Trinkschalen, als hin und her bei den Hunnen die Rede
flog. Auch die bärtigen Mannen traten in den Saal, die vom
Morde Gunnars in des Dunkelwalds Schluchten kamen. Die
hellwangige Frau schenkte ihnen den Met, dem fahlen Gatten
aber gab sie grimmigen Sinns — so zwang sie die Pflicht —
eine grausige Zukost zum Trünke. Dann sprach sie höhnend:
„Nun hast du, Schwertwalter, die todblutigen Herzen deiner
eignen Söhne im Honig verzehrt. So kannst du also, Mutiger,
Menschenfleisch als leckere Speise genießen und mit den Gästen
auf dem Hochsitz teilen. Nie mehr rufst du Erp und Eitel, die
Fröhlichen, zu deinen Knien, nie mehr siehst du vom Hallen-
sitz aus die goldspendenden Königssöhne Gere Schäften und
Rosse spornen." Da erhob sich Lärm auf den Bänken und
Rufen der Männer, unter Gewändern weinten und klagten die
Hunnensöhne. Nur Grimhild beweinte nicht ihre bärenharten
Brüder und die arglos blühenden Kinder, die sie mit Atli
zeugte. Die Schwanengleiche sann weitere Rache und ließ
das Schicksal wachsen: mit Gold und roten Ringen beschwich-
tigte sie die Sinne der Mannen, ließ das schimmernde Erz
verströmen und vergeudete unbekümmert die Schatzkammern
des Fürsten.
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Ohne Vorsicht trank Atli sinnlos, er schützte sich nicht mit
Waffen, noch wahrte er sich vor Grimhild. Sie täuschte alle,
und als Atli auf das bereitete Lager in der Halle sank und rings
das Gefolge im Schlafe lag, hob ihre todsüchtige Hand das
■
Schwert und gab dem Lager das Blut ihres Gatten zu trinken.
Dann entzündete sie die Halle und weckte mit heißem Brande
die trunkenen Mannen. So vollendete sie die Rache an Atli. '
Dem Feuer gab sie alle, die drinnen waren. Das Gebälk
barst und die Schatzhäuser rauchten, es brannte der Bud-
lunge ganzer Bau. :j
Hier endet die Mär. So hart und trotzig wird kein Weib
mehr das Geschick erfüllen, ihre Brüder zu rächen. Doch selig
soll von nun an jeder heißen, der ein kühnes Geschlecht wie
Gjuki erzeugt. In allen Landen wird fortleben die Kunde von
ihrem unbeugsamen Trotz.
?tf+, „ . x :>v* £, ; * DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG :
S^fr-O SIGFRID UND DIE BURGUNDEN
io. JUNG SIGFRID
Über Frankenland waltete König Sigmund, der war mächtig
und ein großer Herrscher. Nach seines Vaters Tode sandte er
Boten gen Westen zu König Nidung und warb um dessen
Tochter Siglind. Der verweigerte sie ihm nicht, denn längst
hatte er vernommen, daß Sigmund unter allen Männern der
ruhmvollste sei. Doch wollte er seine Tochter nicht in ein
unbekanntes Land und zu unbekannten Männern senden. Da
machte König Sigmund sich auf und kam selbst als Braut-
werber zu König Nidung. Der verlobte ihm seine Tochter,
rüstete eine prunkvolle Hochzeit und gab Sigmund reiche
Mitgift.
Als dieser mit Siglind heimgekehrt war und dort erst wenige
Tage weilte, zwang ihn ein Einfall seiner Feinde, eine Heer-
fahrt zu rüsten. Unter der Hut zweier Edlen ließ er Siglind
in seinem Lande zurück.
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Auf dieser Heerfahrt ward König Sigmund von seinen
Feinden erschlagen. Als das die Edlen vernahmen, denen er
die Obhut über sein Land und sein Weib anvertraut hatte,
ergriffen sie Besitz von dem Lande und vertrieben die Königin.
Einsam und von allen Menschen verlassen irrte sie im Walde
umher, und in einem Tal, das noch nie eines Menschen Fuß
betreten hatte, gebar sie einen Knaben von großer Schönheit.
Den hüllte sie in Tücher. Dann starb sie.
Wie das Kind weinend dalag, kam eine Hindin, nahm den
Knaben mit ihrem Maule auf und trug ihn heim zu ihren
Jungen. Dort legte sie ihn nieder und ließ ihn an ihren Zitzen
trinken. Zwölf Monde blieb er bei der Hindin, da ward er
so kräftig und stark wie andere Knaben von vier Wintern.
Im Walde hauste ein Mann, der hieß Mime. Er war ein
so hochberühmter und kunstfertiger Schmied, daß seines-
gleichen nicht zu finden war. Mime hatte einen Bruder
mit Namen Fafner. Der war stark, aber der böseste aller
Männer. Zur Strafe für seine Schandtaten und Zauberei war
er in einen Lindwurm verwandelt worden. So lebte er als
ein schrecklicher Drache und war allen Menschen feind, nur
Mime, seinem Bruder, war er wohlgesinnt. Der allein kannte
des Drachen Lager.
Eines Tages fuhr Mime zu Holze, Kohlen zu brennen. Als
er dort einsam beim Feuer saß, kam ein Knabe , der überaus
schön war, und lief auf ihn zu. Der Schmied fragte den Kna-
ben, wer er wäre, doch konnte der nicht sprechen. Mime
nahm ihn, setzte ihn auf seine Knie und hüllte ihn in Kleider,
denn er war nackt. Da kam eine Hindin gesprungen, schmiegte
sich an Mimes Knie und beleckte dem Knaben Antlitz und
Haupt. Mime erkannte, daß die Hindin den Knaben ge-
saugt habe, darum ließ er sie leben. Er nahm den Knaben
mit, denn er gedachte ihn als seinen Sohn aufzuziehen, und
gab ihm den Namen Sigfrid.
So wuchs Sigfrid beim Schmiede auf, bis er neun Jahre alt
war; da war er schon so groß und stark, daß die Schmiede-
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gesellen sich vor ihm fürchteten und nie ein Knabe von so
wilder Kraft erfunden wurde.
Mime fand es an der Zeit, daß er die Schmiedekunst erlerne.
Er glühte ein gewaltiges Eisen, gab ihm den schwersten Ham-
mer in die Hand und hieß ihn das Eisen schmieden. Da
schlug Sigfrid den ersten Schlag so gewaltig, daß er den Amboß-
stein zerklob, der Amboß in den Klotz hinabfuhr und Eisen,
Zange und Schlägelschaft durch die Schmiede flogen. Vor
solcher Überkraft erschrak Mime und sprach:' „Nie sah ich
so fürchterlichen und ungefügen Schlag. ] Was auch aus dir
werden mag, zum Handwerk taugst du nicht."Jj
Nun ging Mime mit sich zu Rate, wie er sich des Knaben
entledige, "denn er fürchtete, daß ihm großes Unheil von ihm
erwachsen werde. Darum ging er zu Fafner und bat ihn,
den Knaben zu töten, den er ihm senden werde. Am nächsten
Tage befahl er Sigfrid/ in den Wald zu gehen und Kohlen zu
brennen. Der gehorchte, fuhr zu Walde, hieb Stämme um
und machte ein großes Feuer. Während er beim Schmause
saß, kam ein großer Lindwurm. Sigfrid sprang auf, ergriff
den stärksten Baum, der im Feuer lohte,' lief den Lindwurm
an und schlug ihm mit dem Baume auf den Kopf. Wieder
und wieder schlug er, bis der Lindwurm tot am Boden lag.
Dann hieb er ihm mit der Axt das Haupt ab. Inzwischen war
es Abend geworden. Sigfrid setzte sich nieder und sann,
womit er seinen Hunger stille, denn den Vorrat für neun Tage,
den Mime ihm mitgab, hatte er schon aufgezehrt. Er hieb
Stücke von dem Drachen, um sie in seinem Kessel zu sieden. '
Dabei floß ihm das Drachenblut über die Hand, und überall,
wo es seine Haut berührte, wurde diese hart wie Horn. Da
dachte er, wie nützlich ihm solche Hörnung sei, fuhr aus
den Kleidern und badete sich in dem rauchenden Blute, daß
sein ganzer Körper hörnern wurde. Nur zwischen die Schultern
fiel Ihm ein Lindenblatt, und die Stelle blieb ungehörnt.
Dann ging er heim und trug das Haupt des Lindwurms vor
sich her.
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Voll Zorn wider Mime, dessen Tücke er durchschaut hatte,
kam er zur Schmiede. Alle Knechte flohen ängstlich vor ihm
in den Wald,' als sie ihn mit dem schrecklichen Drachenhaupt
daherkommen sahen, Mime aber ging auf ihn zu und hieß
ihn willkommen, doch mit drohendem Wort wies ihn Sigfrid
zurück.' Der Schmied suchte ihn zu versöhnen,' indem er
ihm eine herrliche Brünne und kostbare Waffen schenkte
und ihm verriet, wo er das beste aller Rosse finden könne.
Sigfrid nahm scheinbar seine Vorschläge an, als er aber sein
neues Schwert in der Hand hielt, hieb er damit dem verräte-
rischen Schmied das Haupt vom Rumpfe, 1]
In seine neue Waffenrüstung gehüllt, ritt nun Sigfrid auf
dem Hengst Grani, den er sich nach dem Rate des Schmiedes
geholt hatte, auf Abenteuer aus.
Als er einst allein durch das Land ritt, fand er an einem
Berge die Albenkönige Schilbung und Nibelung mit vielen
Mannen. Die trugen aus einem hohlen Berge den Nibelungen-
hort, den die beiden Könige nach ihres Vaters Tode unter
sich teilen wollten. Als die Nibelungen Sigfrid erblickten,
hießen sie ihn herbeikommen und baten ihn, er möge ihnen
den Schatz teilen. Unermeßliches Gold und Edelgestein lag
dort aufgeschichtet, nicht hundert Wagen vermochten es
fortzuschaffen. Zum Lohn für seinen Dienst gaben ihm
Schilbung und Nibelung schon das Schwert Balmung, das
zum Schatze gehörte. Die Teilung aber konnte Sigfrid ihnen
nicht rechtmachen, denn die neidischen Könige gönnten einer
dem andern nicht seinen Anteil am Schatze. Im Zorn drangen
beider Könige Mannen auf Sigfrid ein, deren aber erwehrte
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sich der junge Held mit dem Schwerte Balmung. Zwölf
starke Riesen, die im Dienste der Albenfürsten standen,
schlug er nieder, dazu siebenhundert Recken, auch Schilbung
und Nibelung mußten ihm erliegen. Voll Schrecken ergaben
sich da die Mannen seiner Gewalt und machten das Nibelungen-
land ihm Untertan. Alberich aber, der starke Zwergenfürst,
begehrte seine Herren zu rächen. Er besaß eine Tarnkappe
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von wunderbarer Kraft: 'wer sie trug, der war vor Hieb und
Stich bewahrt, auch sah und hörte ihn kein Auge und Ohr,
so hehlte sie den Mann. Dadurch brachte er Sigfrid in arge
Not, doch endlich überwand ihn dieser, gewann ihm seine
Tarnkappe ab und machte ihn zu seinem Vasallen. So ward
Sigfrid Herr des Nibelungenhortes. Er ließ ihn in den hohlen
Berg zurücktragen, aus dem die Nibelungenmannen ihn ge-
holt hatten, und setzte Alberich, den starken Zwergen, zum
Kämmerer ein, nachdem er ihn mit schweren Eiden gebunden
hatte. Dann ritt er nach Süden und eroberte das Reich seines
Vaters zurück.
ii. SIGFRID AM BURGUNDENHOF
Über die Burgunden herrschten damals die mächtigen
Könige Gunther, Gernot und Giselher. An ihrem Hofe er-
wuchs die schönste Jungfrau, Kriemhild ihre Schwester. Zu
Worms am Rhein herrschten die königlichen Brüder und
waren umgeben von stolzer Ritterschaft und den besten
Recken, die je im Streite unverzagten Mut bewährten. Alle
aber überragte Hagen von Tronje, ihm zur Seite stand sein
Bruder Dankwart, des Königs Marschall, und Ortwin von
Metz, der Truchseß, auch schirmten die Lande die stolzen
Markgrafen Gere und Ekkewart, an Kühnheit aber leuchtete
Volker von Alzei, der Spielmann, allen voran.
Einst träumte Kriemhild, sie hätte manchen Tag einen
wilden Falken aufgezogen, den ihr zwei Adler vor ihren Augen
schlugen, und nichts in der Welt dünkte sie schwerer zu er-
tragen, als dieses Weh. Den Traum erzählte sie Frau Ute,
ihrer Mutter. „Der Falke, den du aufziehst", sprach diese, „ist
ein edler Mann, den behüte Gott, sonst mußt du ihn bald
verlieren". Solche Kunde betrübte Kriemhild wenig, sie
wollte von keiner Minne hören, schön wollte sie bleiben bis
an ihr Ende und von keinem Manne je Not gewinnen. „Liebe
lohnt mit Leid", sprach sie, „drum will ich beide meiden".
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Der Ruf ihrer Schönheit drang zu Sigfrid, und er beschloß,
um sie zu werben. Mit zwölf Recken ritt er ins Burgunden-
land. Ganz mit Gold bestickt war ihr Gewand und köstlich
all ihr Gewaffen. Wie sie das Land durchritten, staunte wer
sie sah, und Gunthers Mannen liefen ihnen entgegen, als sie
zu Worms einzogen. Gastfreundlich wollten sie den Fremden
die Rosse von dannen führen, die sie am goldfarbenen Zügel
hielten, der Held aber sprach: „Laßt unsere Rosse stehen,
denn bald wollen wir wieder von hinnen. Doch sagt mir, wo
ich Gunther, den mächtigen Burgundenkönig. finde." Man
wies ihn zu einem weiten Saal, wo der König mit seinen Hel-
den weilte. Der aber hatte schon die Kunde vernommen,
daß fremde Ritter in schimmernder Brünne gekommen wären,
die niemand in Burgundenland kenne. Auch seiner Recken
keiner vermochte ihm zu sagen, wer so herrlich geritten
komme. Da sandte er nach Hagen, dem alle Reiche und
fremden Lande kund waren. „Fürsten sind es oder Fürsten-
boten, die zu uns kamen", sprach Hagen, als er die Fremden
vom Fenster aus sah, „schön sind ihre Rosse und herrlich
ihr Gewand, und von wannen sie auch kommen, es sind Hoch-
gemute. Noch nie sah ich Sigfrid, doch muß ich glauben,
daß er der Recke ist, der dort so herrlich geht. Nibelung und
Schilbung, die kühnen Nibelunge schlug er und erbeutete
ihren Hort. Ja, es ist der Held, der den Drachen erschlug
und sich in seinem Blute hörnte. Empfangen wir den Helden
wohl, denn schlimm ist es, seinen Haß zu verdienen. Manches
Wunder von Heldentum hat seine Kraft getan." — „Wahr
magst du reden", erwiderte Gunther, „heldisch steht er wie zum
Streite gerüstet mit seinem Degen. Laßt uns ihm entgegen-
gehen". „Ihr tut recht daran", sprach Hagen, „sein Gebaren
kündet an, daß ihn nicht kleine Absicht zu uns führte".
Gunther schritt zu Sigfrid: in Zucht empfing er den edlen
Gast, der neigte sich dem König. „Von wannen, edler Sigfrid,
kommt ihr in mein Land, und was sucht ihr zu Worms am
Rheine ?" sprach Gunther. „Das sei euch nicht verschwiegen",
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sprach Sigfrid, „ich vernahm, bei euch seien die kühnsten
Recken, die je ein König gewann, das führte mich her. Euch
selbst aber nennt man den reckenhaftesten der Könige, das
will ich erproben. Auch ich bin ein Recke und zur Krone
geboren. Und daß man von mir sage, mit Recht besäße ich
Krone und Land, dafür will ich meine Ehre und mein Haupt
zum Pfände setzen. Seid ihr denn also kühn wie euer Ruf
meldet, so hört: ich will von euch eure ganze Habe erzwingen,
Burgen und Land, das alles soll mir Untertan werden."
Mit Staunen vernahmen der König und seine Mannen
solche Rede, wie sich der Held erdreiste ihm die Lande zu
nehmen, die sein Vater so lange besessen und die so starke
Ritterschaft schütze. Sigfrid aber beharrte auf seinem Willen,
er setzte sein Land und Erbe gegen das Burgundenland:
beide sollten dem Sieger im Kampfe untertänig sein. So
kühne Herausforderung erregte in den Burgundenhelden zor-
nigen Grimm. Gernot fiel Sigfrid heftig in die Rede: „Nicht
steht uns der Sinn danach, neue Lande zu erobern, daß darum
Helden tot liegen sollen. Reich sind unsere Lande, und mit
Recht dienen sie uns, niemand hat ein größeres Anrecht an
sie." Heftig begehrte Ortwin, mit dem Fremden zu kämpfen,
und führte er gleich ein ganzes Königsheer mit sich. Hagen
aber dämpfte der Mannen Zorn — wohl war ihm Sigfrids
Stärke bekannt — und mahnte zu friedlicher Scheidung, daß
man den Kühnen zum Freunde gewinne. Gernot verbot
darauf seinen Recken, Sigfrids Herausforderungen zu folgen,
und bot dem Helden den Willkommtrunk. Gunther aber
sprach: „Alles was wir besitzen, sei euch Untertan, richtet
ihr nur mit Ehren darauf euren Sinn, und teilen wollen wir
mit euch Leib und Gut." Da sänftigte sich Sigfrids Mut
und er ließ geschehen, daß man ihn und die Seinen zur Her-
berge führte und gastlich versorgte.
Nun weilte Sigfrid in hohen Ehren bei den Burgunden.
Täglich befliß man sich ritterlicher Kurzweil, doch keiner
kam Sigfrid dem Helden gleich an Kraft, ob man den Stein
5 Wolter« U. Petersen, Heldensagen.
schleuderte oder den Speer schoß. Er aber trug Kriemhild
im Sinne und dachte darauf, wie er sie mit seinen Augen
schauen möchte. Kriemhild aber blickte heimlich durch das
Fenster, wenn man auf dem Hofe Ritterspiele übte, und die
Minne erwachte in ihrem Herzen.
Eines Tages kamen Boten von den Königen Lüdiger von
Sachsen und Lüdegast von Dänemark, daß sie binnen zwölf
Wochen ins Burgundenland heerfahrten wollten. Da er-
schrak Gunther und rief seine Brüder und Freunde zum Rat.
Als Sigfrid die Drohung der Feinde vernommen hatte, hieß er
Gunther guten Mutes sein. „Ehre und Macht will ich euch
gewinnen. Hätten eure Feinde dreißigtausend Degen zur
Hilfe, so wollte ich sie bestehen, und hätte ich auch nur
tausend/'
Mit tausend Burgundenmannen, begleitet von Hagen,
Ortwin und Dankwart, ritt Sigfrid über den Rhein ins Sach-
senland. In stürmischer Schlacht schlug er die Sachsen,
fällte Lüdegast und führte Lüdiger als Geisel heim.
Gernot sandte Boten voraus, den Sieg zu künden. Die
entbot Kriemhild heimlich zu sich und vernahm von ihnen,
wie alle im Sturme Heldentum bewährt, aber keiner Sigfrid
an Kraft und Unerschrockenheit gleiche. Da freute sich
Kriemhild, daß der junge Held heil der Gefahr entronnen war.
Mit hohen Ehren empfing König Gunther seine siegreiche
Schar, gütig grüßte er auch die Geiseln und gab ihnen das
Versprechen freier Heimkehr, wenn sie Bürgen für den Frie-
den stellten. Seine streitbaren Mannen lud er über sechs
Wochen zum Freudenfest gen Hofe.
Die Burgundenrecken ritten zum Feste an den Rhein, und
Gunther dachte um Sigfrids willen auch seine Schwester zum
Feste zu führen. Reiche Gewänder entnahm man den Schrei-
nen, und hundert Recken und ebensoviel Frauen gab man
ihr zum Dienst. Die Minnigliche ging aus der Kemenate
wie das Morgenrot aus trüben Wolken dringt und wie der
helle Mond vor den Sternen steht, so stand die Schöne vor
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der Schar ihrer Frauen. Liebe und Leid überfiel da Sigfrid,
den Helden. Er dachte: „Wie könnte es geschehen, daß
ich dich besäße? Das ist törichter Wahn. Doch sanfter
wäre mir der Tod als dich zu lassen." Von solchen Gedanken
flutete und ebbte das Blut in seinen Wangen.
Da sprach Gernot zu Gunther: „Viellieber Bruder, nun
lohnet dem, der euch so willig diente vor allen Recken: heißt
Sigfrid zu unserer Schwester kommen, daß sie ihn grüße,
die noch nie einen Recken grüßte: so gewinnen wir uns den
herrlichen Helden." Als Gunther Sigfrid bat, daß er zu
Kriemhild gehe, trug er im Herzen Liebe ohne Leid. Mit
edlem Anstand grüßte die Jungfrau ihn, als er zu ihr trat.
Sie faßte seine Hände und sprach: „Willkommen seid mir
Sigfrid, edler Ritterl" Mit liebenden Augen blickten sie sich
an, und nie mehr zur Sommerszeit und in des Maien Tagen
ward ihm das Herz so freudenvoll, als da ihn die schöne
Kriemhild küßte und er Hand in Hand mit der Geliebten ging.
Kriemhild dankte dem Helden, was er an ihren Brüdern ge-
tan, er aber versprach den Königen zu helfen so lange er lebe.
Neue Mär erhob sich am Rheine: Über See saß eine Königin,
der glich auf der Welt keine Frau an Schöne, doch viel ge-
waltiger noch war ihre Kraft. Wer sie gewinnen wollte, der
mußte sie in drei Kampf spielen besiegen: den Speer mußte
er schießen, den Stein mußte er schleudern und sich im Sprunge
ihm nachschwingen. Wer darin der Königin unterlag, hatte
sein Haupt verwirkt. Am Rheine vernahm das König Gun-
ther, der wandte seinen Sinn auf die Schöne und wollte den
Leib daran wagen, sie zu gewinnen. Sigfrid widerriet es ihm:
„Schrecklichen Brauch hat die Königin", sprach er, „wer
um sie wirbt, dem kommt es hoch zu stehen. Da ihr begehrt,
sie mit eurer Hand zu bezwingen, so kennt ihr nicht ihre
Stärke: vier gleich euch vermöchten nicht vor ihrem grimmen
Zorn zu bestehen." Gunther aber wollte bei seinem Vorsatz
bleiben, wenn Sigfrid ihm helfe. Der antwortete: „Gibst du
mir Kriemhild, deine Schwester, so will ich dir helfen."
5*
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Das gelobte Gunther, und mit Eiden befestigten die Recken
diesen Bund. I Sigfrid aber vertraute der Tarnkappe, die er
einst dem Zwerge Alberich abgewann, als er den Nibelungen-
hort erstritt.
Auf Sigfrids Rat ließ Gunther seine Mannen daheim. ,,Nach
Reckenweise", riet er, „fahren wir den Rhein zu Tal. Gunther,
selbviert sollt ihr die Frau erwerben. Ich will einer eurer Ge-
sellen sein, Hagen sei der andere und Dankwart der dritte."
Herrliche Gewände aus arabischer Seide, so weiß wie
Schnee, und mit Kleinoden übersät hieß Kriemhild den vier
Recken rüsten. Als alles gerüstet war, stiegen die Gesellen
zu Schiff, Sigfrid aber, dem die rechten Wasserstraßen wohl
bekannt waren, ernannten sie zum Schiffmeister. Ihn bat
Kriemhild beim Scheiden, daß er sich ihren Bruder befohlen
sein lasse. Er versprach, ihn gesund an den Rhein zu bringen.
So fuhren die kühnen Heergesellen den Rhein hinab, vor
gutem Winde gelangten sie zum Meere. Am zwölften Morgen
aber trug sie der Wind zum Isensteine,' der ragenden Burg
in Brünhilds Land, das Sigfrid allein erkannte. „Dies ist
Brünhilds Land", rief er, „und Isenstein heißt die Veste.
Nun rate ich euch Helden: seid eines Mutes und gleicher Rede.'
Wenn wir noch heute vor Brünhild treten, so müssen wir mit
Sorgen vor ihr stehen. Nur einer rede vor ihr. Gunther gelte
als mein Herr und ich sei sein Mann."
Als die vier Helden ans Land stiegen, zog Sigfrid des Königs
Roß auf den Sand und hielt es am Zaume, bis Gunther im
Sattel saß. Allen vier Degen waren die Rosse und Kleider
gleichermaßen von schneeblanker Farbe, gleich waren auch
die Schilde, die ihnen vor den Händen leuchteten. Scharf
und breit waren ihre Speere und Schwerter. So ritten die
Helden zur Burg.
Vom Fenster der Halle hatte Brünhild die Ankunft der
Helden gesehen. Sie fragte ihre Frauen, wer die fremden
Recken seien und was sie wohl herführe. Und eine erwiderte:
„Keinen von ihnen sah ich je, einer aber steht unter ihnen,
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der Sigfrid gleicht, den empfanget wohl. Der andere der Ge-
sellen hat königliches Gebaren, der mag über weite Lande
gebieten. Der dritte schaut düster drein, er scheint von
grimmem Mute, j der jüngste aber steht in edler Haltung, •
doch scheint auch er furchtbar, wenn er zu zürnen beginnt." )'
Da sprach die Königin: „Nun bringt mir mein Gewand. Ist
Sigfrid hergekommen, daß er mich gewinne, so kostet es ihn
das Leben. | Ich kenne meine Stärke zu gut, als daß ich fürch-
ten müßte, sein Weib zu werden." M
Von ihren Frauen und Recken umgeben, schritt Brünhild
den Gästen entgegen. Sie sprach: ,,Seid willkommen, Sigfrid,
was meint eure Reise?" Der erwiderte: „Zu groß ist die
Gnade, Frau Brünhild, daß ihr mich grüßt vor diesem Recken,
der mein Herr ist. Er ist am Rheine König und kam, euch
zu gewinnen. ; Gunther heißt der Hehre, der eurer Minne
begehrt, er gebot mir herzufahren, und ich durfte es ihm nicht
weigern." Da wunderte sie sich, daß Gunther der Herr und
Sigfrid sein Mann sei, und sagte jenem die hohen Bedingungen
des Waffenspiels, durch das er sie gewinnen oder sein Leben
verlieren möge. Heimlich spornte Sigfrid des Königs Mut
und versprach, ihn wohl zu behüten. Da willigte Gunther in
die Bedingungen der Königin.
Während sie ihr Waffenhemd aus Seide anlegte, eilte
Sigfrid zum Schiffe und schlüpfte in die Tarnkappe. Un-
gesehen kam er auf den Platz, wo Brünhild ihr Spiel ordnete.
Wie zu schwerem Streit gerüstet trat die Hehre in den Ring.
Mit Mühe trugen vier Kämmerer den gewaltigen Schild, der
mit Buckeln beschlagen und drei Spannen dick war. Als
Hagen ihn sah, sprach er: „Was nun, König Gunther? Wir
verlieren Leib und Leben. Die ihr zur Minne begehrt, ist
wohl des Teufels Weib." Dann brachte man einen gewaltigen
eisernen Speer, stark und ungefüge, breit und scharf war er,
und sein Anblick erfüllte Gunther mit Sorgen. „Wär ich
lebend im Burgundenland," so dachte er, „so sollte Brünhild
meiner Minne ledig sein." Hagen und Dankwart, voll Furcht,
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daß ihr König vor einem Weibe erliege, forderten mit Un-
gestüm ihre Waffen, die man ihnen beim Eintritt in die Burg
genommen hatte. Lächelnd über die Achsel blickend gewährte
es ihnen Brünhild. Zum dritten brachte man der Königin
in den Ring einen ungeheuren Stein, den trugen kaum zwölf
Recken. Da wurde der Burgunden Sorge groß. Aber Sig-
frid rührte heimlich Gunthers Hand und sprach, als er ver-
wundert um sich schaute: „Ich bin's, dein treuer Freund.
Sei ohne Sorge! Gib mir den Schild, daß ich ihn trage. Mache
du die Gebärde im Kampf spiel, die Werke will ich tun. Doch
hehle immer und vor allen meine List, so soll Brünhild an
dir keinen Ruhm erjagen."
Da schoß die Maid den Ger auf den neuen und starken
Schild, den Sigfrid hielt. Vom Stahl sprang das Feuer, als
stieße der Wind in die Flammen, ganz wurde der Schild durch-
brochen und lohend sprang das Feuer aus den Panzerringen.
Beide Männer strauchelten, und wäre die Tarnkappe nicht
gewesen, sie hätten beide tot gelegen. Doch schnell erholte
sich Sigfrid, er griff den Ger und warf ihn zurück. Gewaltig
stob das Feuer unter seinem Schuß. Solchem Anprall konnte
die Maid nicht stehen. Doch schnell sprang sie wieder auf
und rief zornig aus: „Dank für den Schuß, König Gunther!"!'
Nun hob sie den Stein und schwang ihn kräftig aus der Hand,'
dem Wurfe sprang sie nach, daß ihr Waffenkleid erklang.]
Zwölf Klafter weit flog der Stein, doch weiter noch trug der
Sprung die Jungfrau. Als Siegfried aber den Stein schleuderte,
den Gunther in der Hand wog, da flog er weiter denn zuvor,
und weiter auch sprang der Held, den König im Sprunge mit
sich tragend. Da ward Brünhild rot vor Zorn, Sigfrid aber
hatte den Tod vom Könige abgewehrt.
Zu ihrem Gesinde sprach die Königin: „Tretet näher, meine
Magen und Mannen, alle sollt ihr dem König Gunther Unter-
tan sein." Da ergaben sich der Königin Untertanen dem
Herrscher aus Burgundenland. Hagen und Dankwart aber
waren voller Freuden.
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Brünhild führte Gunther in die weite Halle, . Sigfrid aber
eilte zum Schiff, um die Tarnkappe wieder zu bergen.] Zurück-
gekehrt, stellte er sich, als erwarte er noch den Beginn des
Kampfspieles, und als Brünhild ihn argwöhnisch fragte, warum
er das Spiel nicht gesehen habe, das Gunther gewonnen,
sprach er: „Ich säumte bei den Schiffen, so entging mir das
Spiel. Doch freut mich die Kunde, daß nun einer eures
Hochmuts Meister ward. Nun müßt ihr uns folgen an den
Rhein." "
Traurig bestellte Brünhild ihr Land. < Zwanzig Schreine
ließ sie mit Gold füllen, | daß sie zu Worms spenden könne,
und zweitausend Mannen folgten ihr ins Burgundenland und
viele Frauen. So räumte sie ihr eigen Land und verließ ihre
Freunde. Nie sah sie ihr Vaterland wieder.
Unter mancherlei Kurzweil verging die Fahrt, doch wollte
Brünhild ihren Herrn nicht minnen, ehe sie in sein Haus ge-
kommen wäre.
Neun Tage hatte die Reise gewährt, da sandte der König
Sigfrid nach Worms voraus, daß er den Frauen den Ausgang
der Fahrt und die nahe Ankunft des Paares künde. Hoch-
erfreut über das glückliche Ende der gefährlichen Fahrt
empfing ihn Kriemhild, und fröhlich rüstete man den Empfang
und das Hochzeitsfest, wie Gunther es begehrt hatte.
Am Ufer des Rheines stand die Schar der Burgunden fest-
lich geschmückt, als die Schiffe landeten. Liebevoll empfing
Kriemhild die hohe Frau und hieß sie im Burgundenland
willkommen sein.
Unter schattigen Zelten saßen die Frauen, als das Kampf -
spiel anhob. In den Zelten aber war viel Kurzweil der Ritter
und Frauen. Als der kühle Abend sank, begaben sich alle
zum Palast, wo das Mahl gerichtet war. Brünhild trug die
Krone, als sie mit Gunther zu Tische ging. Bevor aber der
König das Mahl begann, trat Sigfrid zu ihm heran und sprach:
„Gedenkt, was eure Hand mir schwor: wenn Frau Brünhild
in euer Land käme, so gäbt ihr mir eure Schwester zum Weibe.
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Vergaßt ihr eure Eide, nachdem ich eure Reise mit harter
Mühe zu glücklichem Ende führte?" — „Nicht werde meine
Hand meineidig", sprach Gunther. Er ließ Kriemhild rufen
und, sprach zu ihr: „Liebe Schwester, um deiner Tugend
willen löse meinen Eid. Ich schwor dich einem Recken zu,
ihn sollst du zum Manne nehmen." Kriemhild versprach
zu tun, wie er gebiete. Da führte er Sigfrid zu ihr, und im
Ringe der Burgunden gelobten sich Sigfrid und Kriemhild
einander und befestigten den Bund mit Küssen.
Dem Königspaare gegenüber stellte man den Vermählten
die Sessel. Als aber Brünhild Sigfrid den Helden vor sich
mit Kriemhild sitzen sah, durchfuhr sie ein bitteres Weh,
und sie begann heftig zu weinen, daß heiße Tränen über ihre
Wangen flössen.
Da sprach Gunther: „Was ist euch, Herrin, was trübt eurer
hellen Augen Schein? Freut euch, da mein Land und meine
Burgen euch Untertan sind." — „Wohl mag ich weinen",
sprach die Maid, „um deine Schwester, die ich bei deinem
Eigenholden sitzen sehe. Immer muß mich betrüben, daß
sie so feü dahingegeben wurde." — „Schweigt still", sprach
Gunther, „zu anderer Zeit will ich euch sagen, warum ich
Sigfrid meine Schwester gab." — „Mich jammert ihreJSchöne
und Zucht", sprach Brünhild, „und wüßte ich wohin, so
möchte ich von hier fliehen, daß ich euch nimmer meine
Liebe genießen ließe, bis ich wüßte, warum Kriemhild Sig-
frids Gattin sei." Da sprach Gunther: „So wisset: Sigfrid
hat Burgen und weites Land gleich mir und ist einjnächtiger
König, wohl geziemt ihm Kriemhilds Minne." Solche
Rede erhellte der Königin nicht den trüben Sinn. Der König
aber gedachte das Fest zu beenden, daß er endlich seines
schönen Weibes froh werde.
Festlich geleitet begaben sich die beiden Paare in ihre
Kammern. Sigfrid lag froh bei der schönen Kriemhild. Als
aber Gunther die Brünhild liebend umfangen wollte, sprach
sie zornig: „Laßt ab, edler Ritter, nicht soll euer Wunsch an
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mir ergehen, ich will noch Jungfrau bleiben bis ich erfahre,
wie es mit Sigfrid bewandt ist." Da rang Gunther mit ihr
und zerriß ihr Gewand. Brünhild aber griff nach ihrem Gürtel ;
und band dem König Hände und Füße/) trug ihn zu einem
Nagel und hing ihn an die Wand,, daß er ihren Schlaf nicht
störe. Unbekümmert um sein Flehen ließ sie ihn in Qualen
hangen bis an den lichten Morgen. Dann löste sie ihn auf
seine Bitten, daß nicht die Kämmerer ihn von Weiberhand
gebunden fänden.
Gunther klagte Sigfrid am Tage die Schmach und Schande
dieser Nacht. Da versprach der junge Held ihm seine Hilfe
gegen den Trotz der Brünhild. „In meiner Tarnkappe will
ich heute zu eurer Kemenate kommen. Wenn den Knaben
die Lichter in der Hand erlöschen, so wisse, daß ich gekommen
bin. Dann zwinge ich dir dein Weib." — „Gern bin ich damit
zufrieden", sprach Gunther, „nur nimm sie nicht zu eigen,
sonst aber tu ihr nach deinem Willen — und nähmest du
ihr das Leben, so wollt ich es verschmerzen." Und auf seine
Treue versprach Siegfried, sie nicht zu berühren.
Abends trat er ungesehen in Gunthers Gemach und löschte
die Lichter. Lieb und leid ward dem König/ als nun Siegfried
das wilde Spiel mit Brünhild begann. Lange währte der
Kampf, und Sigfrid kam in schwere Not. Endlich aber er-
lahmte der Jungfrau die Kraft, er zwang sie so gewaltig,
daß sie um Schonung bat und versprach, ihm zu Willen zu
sein. Sigfrid zog ihr unvermerkt einen Ring vom Finger und
nahm ihr im Übermut des Siegers ihren Gürtel. Beides gab
er Kriemhild und erzählte ihr später das Abenteuer. Gunther
aber nahm den Platz Sigfrids bei Brünhild ein, und die Jung-
frau ergab sich ihm. Da schwand ihr die unbändige Kraft,
und es blieb ihr nur die Stärke eines anderen Weibes.
Nachdem das Hochzeitsfest bis zum vierzehnten Tage
gedauert hatte, reisten Sigfrid und Kriemhild heim nach
Niederland, wo sie die Kronen trugen. Sigfrid war reicher
und mächtiger als je ein Held. Zehn Jahre herrschte er
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mit Kriemhild über die Länder, und sie gebar ihm einen
Sohn.
Zu Worms grübelte Brünhild alle Zeit über dem Geheim-
nis, wie hoch sich Frau Kriemhild brüste, obwohl Sigfrid
doch Gunthers Mann sei: „Wie mag es geschehen", sprach
sie bei sich, „daß der Eigenholde König Gunthers sich so lange
des Dienstes entschlägt?" Heimlich drang sie in Gunther,
er möge Sigfrid zu sich entbieten, denn es verlange sie, die
schöne Kriemhild wiederzusehen. Der sprach: „Zu fern sind
unsere Lande, um so weite Fahrt darf ich sie nicht bitten."
— „Muß denn nicht eines Königs Mann tun, was ihm sein
Herr gebietet, wie mächtig er auch selber wäre?" sprach
Brünhild. Über solche Reden lächelte Gunther, gedenkend,
wie wenig Sigfrid ihm Untertan sei. Doch Brünhild bat ihn
so lange, daß er nach Sigfrid und Kriemhild sende, bis er ein-
willigte, sie zu einem Hoffeste gastlich zu laden. Er ließ
das Königspaar zur Begehung des Sonnenwendfestes an den
Rhein entbieten. Voll Freude empfing Kriemhild die Boten
ihrer Brüder. Auch Sigfrid vernahm gern die Kunde, daß
die Könige am Rheine nach ihm Verlangen trügen. Bald
war die Reise beschlossen, und geleitet von tausend Recken
brachen sie auf.
Ehrenvoll empfing Brünhild die Gäste, wie sie einst von
Kriemhild empfangen ward, als Gunther sie ins Land führte,
voll Freude grüßten die Könige Sigfrid. Unter Kampfspiel
und festlichem Mahle verging der Tag. Brünhild gedachte,
daß nie ein Eigenholder reicher und prächtiger sein könne
als Sigfrid mit seinen tausend Recken. Da freute sie sich
über Gunthers Macht und war den Gästen noch in ihrem
Herzen gewogen.
Als aber am elften Tage die Königinnen zusammen dem
Ritterspiele zuschauten, sprach Kriemhild: „So herrlich ist
mein Gemahl, daß all diese Lande ihm Untertan sein sollten."
— „Wie könnte das sein", sprach Brünhild, „lebte niemand
als du und er, so möchten ihm wohl die Lande gehören.
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Nun aber lebt Gunther doch!" — „Sieh ihn an, wie er da
steht", sprach Kriemhild, „wie er unter den Recken hervor-
leuchtet, so wie der lichte Mond vor den Sternen. Darum
bin ich mit Recht so frohgemut." — „Dennoch gebührt
Gunther vor allen Königen der Vorrang", sprach Brünhild,
und als Kriemhild dem nicht beistimmte und Sigfrid Gun-
thers ebenbürtigen Genossen nannte, fuhr sie fort: „Verarge
mir mein Wort nicht, denn damals, als mein Herr so ritterlich
mir meine Minne abgewann, hörte ich Sigfrid selbst sich
■
Gunthers Eigenmann nennen. 11 — „So wäre mir übel ge-
schehen", sprach Kriemhild, „wenn mich meine Brüder einem
Eigenmanne gegeben hätten. Ich bitte dich Brünhild, laß
solche Rede." — „Nicht lasse ich die Rede", entgegnete
Brünhild, „und will nicht auf einen Ritter verzichten, der uns
mit seinem Degen zu Dienst verpflichtet ist." — „Und doch
wirst du auf seinen Dienst verzichten müssen", sprach Kriem-
hild, „denn edler ist er als Gunther, mein Bruder. | Auch nimmt
mich wunder, wenn Sigfrid dein Eigenmann ist, daß er dir
so lange den Zins versagte." — „Zu hoch fliegt dein Sinn",
sprach Brünhild, „nie werden dir solche Ehren zu teil wie mir." "
— „Da du meinen Gemahl dein Eigen nanntest",' erwiderte
Kriemhild, „so sollen heute beider Könige Mannen Zeugen
sein, wie ich, die unfreie Magd, vor Gunthers Weibe in die
Kirche schreite. So wirst du erkennen, daß ich von freiem
Adel, mein Gemahl aber edler ist als deiner." In Zorn schie-
den die Frauen voneinander.
Zur Messe schritt Kriemhild nicht wie sie pflegte mit Brün-
hild, sondern allein mit der Schar ihrer Dienerinnen, die
sie Brünhild zum Trotz herrlicher denn je zuvor geschmückt
hatte. Vor dem Münster traf sie auf Brünhild und ihre Schar.
Die Burgundenkönigin hieß Kriemhild stehenbleiben: „Vor
eines Königs Weibe soll nicht die Eigenholde gehen." —
„Hättest du geschwiegen", rief Kriemhild, „es wäre dir besser
gewesen. Du selber hast dich selbst geschändet: wie konnte
eines Mannes Kebse je eines Königs Weib werden?" —
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„Schiltst du mich eine Kebse?" sprach Brünhild. „Das tu
ich*', erwiderte Kriemhild, „deinen schönen Leib erkannte
als erster Sigfrid, mein Gemahl. Nicht Gunther war es, der
dir dein Magdtum abgewann. Welcher Trug befing deine
Sinne, daß du dem deinen Leib gewährtest, der dein Knecht
ist?" — „Fürwahr", sprach Brünhild, „das will ich Gunther
sagen." — „Was soll mich das verdrießen?" sprach Kriem-
hild, „dein Übermut hat dich verblendet und meine Freund-
schaft hast du für immer verloren."
Weinend stand Brünhild da, aber Kriemhild zögerte nicht
länger und schritt vor ihr ins Münster.
Nach der Messe erwartete Brünhild ihre Widersacherin vor
dem Münster, ihr war das Herz voll Leid und Trauer. Über
die maßlose Beschimpfung, die sie ihr angetan, verlangte die
Königin mehr von Kriemhild zu hören. Diese hob den gol-
denen Ring an ihrem Finger hoch, den einst Sigfrid von
Brünhilds Hand streifte, und sprach: „Den brachte mir mein
Liebster, als er damals von euch kam." Erbleichend erkannte
die Königin den Ring, doch rief sie: „Nun kenne ich den Dieb,
der mir einst meinen Ring stahl." — „Dieb sollst du mich
nicht heißen", sprach Kriemhild, „hier dieser Gürtel, den ich
trage, bezeugt dir, daß ich nicht lüge: Sigfrid war einst dein
Mann."
Als die Königin den Gürtel erkannte, brach sie in Schluch-
zen aus, sie begann nach Gunther zu rufen und klagte ihm,
wie Kriemhild sie geschmäht und sie Sigfrids Kebse genannt
habe: „Hier trägt sie Gürtel und Ring, die ich längst verlor.
Weh! daß ich geboren ward, wenn du König mich nicht von
dieser Schande reinigst." — „Übel hat Kriemhild getan",
sprach Gunther, „von Sigfrid selber wollen wir hören, ob er
sich solcher Tat gerühmt hat oder es leugnet." Als Sigfrid
kam und Gunther ihm seines Weibes Klage gesagt hatte,
rief der Held: „Hat Kriemhild das gesagt, so soll es ihr leid
werden. Dir, Gunther, aber will ich es mit hohen Eiden vor
deinen Mannen schwören, daß ich ihr solches nie sagte."
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Da schlössen die Burgunden den Ring. Darin hob Sigfrid
zum Eide die Hand und bekräftigte sein Wort. Gunther
sprach ihn vor den Mannen aller Schuld ledig, der ihn Kriem-
hild geziehen hatte.
In schwerer Trauer ging Brünhild dahin und weckte der
Burgunden Mitleid. Zu seiner Herrin kam Hagen und fragte,
was sie so sehr betrübe. Als er die Mär vernahm, gelobte
er, daß Kriemhilds Gemahl diese Schande büßen solle, sonst
wolle er nicht mehr fröhlich sein.
Er beriet mit Gunther den Tod des Helden. Zu diesem
Rat kamen Ortwin und Gernot, zuletzt auch der junge
Giselher. Der sprach: „Ihr guten Recken, wie mögt ihr
solches tun? Nicht verdient Sigfrid solchen Haß, daß er
darum das Leben verlieren sollte. Um Tand zürnen Weiber."
— „Sollen wir Gäuche aufziehen'*, rief da Hagen, „wenig
Ehre brächte es uns. Daß er sich der Gunst meiner Herrin
gerühmt hat, dafür setze ich mein Leben ein, oder es kostet
ihn das seine." Gunther aber sprach: „Nur Heil und Ehre
hat uns Sigfrid gebracht — wir wollen ihn leben lassen.
Wie sollte ich dem Recken Haß tragen, der uns stets getreu
war?"
Aber Hagen lag Gunther zu allen Stunden an, daß Sigfrids
Macht sie alle in Schatten stelle: wenn Sigfrid nicht mehr
lebe, so würden ihm großer Ruhm und der Reichtum der
Nibelungen zufallen. Da begann Gunther zu trauern. „Laßt
doch die Mordgier fahren", sprach er, „zu Glück und Ehren
ist uns Sigfrid geboren. Auch ist der Kühne von so grimmer
Stärke, daß ihn niemand besteht." — „Seid ohne Sorgen",
sprach Hagen, „ich getraue mir es heimlich zu vollbringen.
Brünhilds Weinen soll sein Verderben sein." — Hagen riet,
man solle falsche Boten bestellen, die den Einfall feindliche-
Könige meldeten, und Gunther solle eine Heerfahrt ber
schließen, von der werde Sigfrid nicht zurückbleiben. „Dann
will ich", rief er, „von Kriemhild die Kunde erlangen, deren
ich bedarf." Zu schlimmem Geschick folgte Gunther dem
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Rate Hagens. So ward zweier Frauen Zank manchem Helden
zum Verderben.
Am vierten Morgen danach ritten Boten in Worms ein,
die kündigten Gunther von Lüdeger Fehde an. Sigfrid erriet
den Meinrat nicht, den man ersonnen. Er fand Gunther und
seine Mannen raunend gehen. Auf seine freundliche Frage
meldete ihm der König seine Sorge vor dem Einfall der Feinde.
Gleich erbot sich Sigfrid, mit seinen tausend Recken allein
den Feinden entgegenzureiten und diesmal nicht abzulassen,
bis deren Burgen und Lande wüste lägen. Dafür setzte er
sein Haupt zum Pfände. Der König stellte sich hocherfreut
über solches Erbieten. Tief neigte sich voll Falschheit der
Ungetreue.
Nun rüstete Sigfrid voll Eifer die Heerfahrt. Am Tage
vor dem Ausritt ging Hagen zu Kriemhild. „Wohl mir",
sprach da Kriemhild, „daß ich einen so tapferen Mann gewann,
der meine Freunde zu schützen vermag. Stets diente ich
euch gern, Freund Hagen, nie trug ich euch Haß. Dessen
gedenket nun und schützet meinen Gemahl. Laßt ihn nicht
entgelten, was ich Brünhilden tat, längst gereute es mich."
— „Wie aber kann ich eurem Manne dienen?" sprach da
Hagen, „besorgt ihr, daß man ihn verwunde, so laßt mich
wissen, wie ich ihn hüte." Da erzählte Kriemhild dem Fal-
schen, wie einst, als Sigfrid den Linddrachen erschlug und
er in seinem Blut sich badete, um sich zu hörnen, ein Linden-
blatt ihm zwischen die Schultern fiel. „Die Stelle blieb ver-
wundbar, das schafft mir schwere Sorge. Mit solchem Wort
ergeb ich mich in deine Gnade, Hagen, nun halte mir deine
Treue." Der bat, daß Kriemhild ein kleines Zeichen auf
Sigfrids Gewand nähe, damit er wisse wo die verwundbare
Stelle sei, die er im Sturme beschützen wolle. Das sagte sie
zu. So ward Sigfrid durch Hagens Untreue verraten. Nie
wieder wird ein Recke solche Meintat begehen, wie Hagen tat,
als sich Kriemhild seiner Treue versah.
Am andern Morgen brach Sigfrid mit seinen Recken auf.
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Als Hagen das Zeichen auf Sigfrids Rücken erspäht hatte,
sandte er Boten, die Gunther den Frieden des feindlichen
Königs ansagen sollten. Da dankte Gunther mit freundlichem
Wort Sigfrid für seinen bereiten Willen. Immer wolle er
ihm dienen und vor allen Freunden ihn ehren. Auf Hagens
Rat lud der König, da sie nun der Heerfahrt ledig waren,
seine Mannen zu einer Jagd im Wasgenwalde, und Sigfrid
war gern bereit, mit den Burgunden zu reiten. Giselher
und Gernot blieben daheim, doch warnten sie den Helden
nicht.
Vom Schall der Jagd erhallte nun Wald und Berg, und viel
Tiere mußten das Leben lassen. Als Gunther die Jagd Ver-
blasen ließ, sammelten sich die Jäger auf einem vorbestimmten
Wiesenplan.,;
Beim Mahle riefen die Jäger nach Wein. Hagen aber
hatte den Wein in den Spessart gesandt, als habe er geglaubt,
dort solle das Pirschen sein. Doch wies er den Durstigen
am Waldrand einen kalten Bronnen, der unter einer schat-
tigen Linde aus dem Berg floß. Er riet, daß man durch einen
Wettlauf zum Quell der Recken Schnelligkeit erprobe. Dazu
war Sigfrid gleich bereit, j Keinen Verrat argwöhnte der
Kühne, dessen Tod schon beschlossen war. Im vollen Pirsch-
gewand, beschwert mit allen Waffen,' rüstete er sich zum
Lauf, 'während Gunther und Hagen sich der Waffen und der
Gewände entledigten. Wie wilde Pardel liefen sie durch den
Klee, dennoch erreichte Sigfrid in seiner schweren Waffen-
rüstung den Quell früher als die Ledigen. Die Waffen tat
er von sich und lehnte sie an den Stamm der Linde, doch
ließ er Gunther den ersten Trunk. Als dieser sich ersättigt
hatte und Sigfrid sich zur Quelle neigte, trug Hagen des
Helden Waffen abseits, dann ergriff er den Speer, ersah das
Zeichen an Sigfrids Gewand und stieß ihm den Speer hinter-
rücks in das Herz, daß das Blut hoch aufsprang. In wildem
Laufe floh Hagen von dannen, wie er noch nie vor einem
Manne floh, als Sigfrid, den Speerschaft im Rücken, vom
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Quell wild aufsprang und nach seinem Schwerte griff. Als
er es nicht fand, eilte er mit dem Schilde dem Fliehenden nach,
und, obgleich zum Tode wund, schlug er ihn zu Boden, daß
das Gestein vom Schilde sprang und der Plan vom Schall
erdröhnte. Doch mit dem Tod auf dem Antlitz sank der Held
in die Blumen und sprach zu seinen Mördern: „Weh, ihr
feigen Gesellen, nun habt ihr mich, euren Schwertbruder,
erschlagen, der euch so treu gedient hat. Übel tatet ihr an
euren Freunden, die durch solchen Verrat für immer in
Schande leben. Geschieden seid ihr nun von allen guten
Recken."
Da liefen die Mannen herbei und beklagten den Gefällten.
Auch Gunther bejammerte Sigfrids Tod. ; Der aber sprach:
„Es tut nicht not, daß der über den Schaden weint, der ihn
selbst getan." ! Hagen aber sprach: „Nicht weiß ich, warum
ihr klagt, da nun all unsere Sorge und Leid ein Ende hat. '
Niemand gibt es nunmehr auf Erden, der uns besteht. Wohl
mir, daß ich seiner Übermacht ein Ende setzte." — „Leicht
rühmt ihr euch," sprach Sigfrid, „doch hätte ich euern Mord-
sinn erkannt, so hätte ich vor euch wohl mein Leben gewahrt.
Erbarm es Gott, daß ich je einen Sohn gewann! Dessen Ehre
ist für immer dahin, da seine Verwandten einen Mann meuch-
lings erschlugen. Ihr aber, König Gunther, wollt ihr euch
je auf der Welt noch jemandem treu bewähren, so laßt eurer
Gnade mein Weib befohlen sein. Schweres Leid habt ihr der
Armen getan."
Rot waren rings die Blumen vom Blute des Helden, der
mit dem Tode rang. Als sein Leben entflohen war, legten
ihn seine Mörder auf einen Schild und berieten, wie man
Hagens Tat verhehle. Man riet, der Kriemhild zu sagen,
den einsam Reitenden hätten im Walde Räuber erschlagen.
Hagen aber sprach: „Ich bringe ihn nach Worms. Nicht
kümmert mich, ob meine Tat der Kriemhild bekannt wird,
die Brünhild so schwer kränkte. Mag sie weinen, das achte
ich gering."
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■ « •
Nachts fuhren sie mit ihrer grimmen Jagdbeute heim.
Ihr wilder Übermut hieß sie noch gräßlichere Rache nehmen:
Hagen befahl, den Erschlagenen vor Kriemhilds Kemenate
zu legen. Als vor Tagesgrauen der Kämmerer kam, die
Königin zur Messe zu führen, sah er den Toten liegen, doch
erkannte er ihn nicht. Er sagte ihr, daß vor ihrer Tür ein
erschlagener Ritter liege. Gleich gedachte sie der verräteri-
schen Frage Hagens. Wortlos sank sie zu Boden, dann drang
ein Schrei aus ihrem Munde, daß die Kemenate erdröhnte.
Sie rief: „Das ist Sigfrid, mein Gemahl! Brünhild riet die
Tat und Hagen vollbrachte sie." Sie schritt zum Leichnam und
hob sein Haupt. Sie erkannte es, ob es gleich blutberonnen
war, und rief voll Jammer: „Weh meines Leides! Nicht ist
dein Schild von Schwertern zerhauen. Du liegst meuchlings
erschlagen. Bin ich gewiß, wer es tat, so sinne ich ihm den
Tod/«
Mit Tagesanbruch ließ sie Sigfrid zum Münster bringen.
Umringt von klagendem Volke und weinenden Mannen stand
die Leidvolle an der Bahre, als Gunther und Hagen nahten.
Der König sprach zu Kriemhild: „Vielliebe Schwester, weh
deines Leides! Immer müssen wir Sigfrids Tod beklagen."
— „Trügt ihr darum Leid", sprach Kriemhild, „so wäre es
mmmer geschehen. Besser wäre mir, ich läge selber tot,
als daß ich so grausam von meinem Herrn geschieden ward."
Gunther und Hagen leugneten den Mord. Da gebot ihnen
Kriemhild, zur Bahre zu treten. Als Hagen herantrat, begann
die Wunde von neuem zu fließen. Dennoch sprach Gunther:
„Ihn erschlugen Räuber, Hagen hat es nicht getan." — „Wohl-
bekannt sind mir die Räuber", sprach das Weib, „Gott ge-
währe seinen Freunden Rache: Gunther und Hagen, ihr seid
die Mörder." Da kamen Gernot und Giselher, beklagten auf-
richtig den Toten und suchten die gramvolle Königin zu
trösten, sie aber konnte niemand trösten.
Man legte Sigfrid in einen reichgeschmückten Sarg. Vier
Tage saß Kriemhild mit ihren Getreuen bei der Leiche.
6 Wolters u . Peteisea, Heldensagen.
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Als man Sigfrid zu Grabe getragen hatte, lag Kriemhild
drei Tage gleich einer Toten und wies Speise und Trank
von sich.
Dennoch ließ sie sich von ihren Brüdern Gernot und Giselher
bereden, am Hofe zu Worms zu bleiben. Als Sigfrids Recken
vernahmen, daß ihre Königin nicht in ihr Land zurückkehren
wolle, ritten sie in traurigem Zuge von dannen. Brünhild
aber genoß übermütig ihre Rache. Nicht grämten sie Kriem-
hilds Tränen.
Vier Jahre saß Kriemhild freudelos zu Worms, sie sprach
mit Gunther kein Wort und sah Hagen nie. Da riet Hagen
dem König, sich mit seiner Schwester zu versöhnen, damit
man den Goldhort der Nibelungen ins Land brächte. Lange
verweigerte Kriemhild die Versöhnung: „Hätte der Mörder
mich nicht überlistet, daß ich selbst ihm die Stelle verriet,
wo Sigfrid verwundbar war", sprach sie, „so ließe ich wohl
mein Weinen. Nun werde ich Gunther und Hagen nimmer
hold." Auf Gernots Bitten aber war sie endlich bereit, König
Gunther zu grüßen. Unter Tränen ward die Sühne vollzogen.
Allen verzieh Kriemhild, nur Hagen, dem Mörder, nicht.
Danach ließ Kriemhild den Nibelungenhort ins Land holen.
Gernot und Giselher ritten zu der Stelle, wo er unter Alberichs
Schutz verborgen lag. Alberich enthielt ihnen den Schatz
nicht vor, den Sigfrid seiner Gemahlin zur Morgengabe ge-
schenkt hatte, und sie führten ihn nach Worms.
Als Kriemhild den Hort in Händen hatte, lockte der Ruf
ihres Reichtums manchen guten Recken herbei, und ihre
Milde schuf ihr viele Freunde. Da fürchtete Hagen, sie werde
mit dem Hort sich so viel Mannen werben, daß ihnen Gefahr
daraus erwachse. „Nicht soll ein weiser Mann", so sprach
er zu Gunther, „einem Weibe so große Schätze lassen. Es
mag die Burgunden sonst gereuen." Gunther aber sprach:
„Ich schwor ihr, nie wolle ich ihr wieder ein Leid tun. Den
Eid will ich nicht brechen." Hagen aber sprach: „So will
ich der Schuldige sein."
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So nahmen sie der Freudelosen ihr Gut, und Hagen ergriff
Besitz vom Horte. Während die drei Könige auf Heerfahrt
zogen, ließ er heimlich den ganzen Schatz in den Rhein ver-
senken. Das erregte der heimkehrenden Könige Zorn.
Nachdem sich aber der Grimm gelegt hatte, schworen sie alle
einenunverbrüchlichen Eid, der Hort solle verhohlen bleiben,
solange ihrer einer am Leben sei.
Der Raub aber verdoppelte Kriemhilds Leid. Nie ließ sie
von der Klage um Sigfrid.
12. UNTERGANG DER BURGUNDEN
Nach Sigfrids Tod trauerte Kriemhild manches Jahr um
ihren Helden am Hofe ihrer Brüder zu Worms und konnte
ihr Leid nicht vergessen.
Helche, die Gemahlin König Etzels von Hunnenland, war
gestorben. Da gedachte Etzel, Kriemhild zum Weibe zu
gewinnen. Unter all seinen Mannen wählte er zum Braut-
werber den Markgrafen Rüdiger von Bechelaren, denn der
kannte von Jugend auf Kriemhild und war der Burgunden-
könige Freund. In prächtigem Zuge brach Rüdiger von
Bechelaren auf. Als die Schar an den Rhein gelangte, sandte
König Gunther nach Hagen, daß er Namen und Herkunft
der Gäste melde. Der erkannte bald den edlen Markgrafen,
eilte ihm entgegen und hieß ihn mit seinen Mannen will-
kommen. Dann führte er ihn in den Saal, wo die Könige
weilten. Gunther und seine Brüder empfingen den Gast mit
edlem Anstand. Auf Gunthers Frage nach Etzel und Helche
erhob sich Rüdiger mit allen seinen Mannen und brachte
die Werbung des Hunnenkönigs vor: Etzels Land sei verwaist
und ohne Freude, seit Helche daraus geschieden sei. Die edle
Kriemhild aber sei ohne Mann. Um sie für Etzel zu werben,
sei er ins Land gekommen. Gunther versprach, in drei Tagen
dem Boten Kriemhilds Antwort zu sagen.
Er beriet mit seinen Mannen und Verwandten die ehren-
volle Botschaft. Allen schien es wohlgetan, daß man Kriem-
6*
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hild dem Hunnenkönige gäbe, nur Hagen, der die Macht
König Etzels wohl kannte und die Rache der Königin fürch-
tete, widerriet voll Eifer den Plan. Die Brüder jedoch gönnten
der Schwester alles Liebe nach ihrem langen Gram und baten
sie, die Werbung des mächtigen Königs anzunehmen. Sie
aber glaubte nur Spott aus ihren Worten zu hören und rief:
„Was soll ich armes Weib einem Manne, der je eines guten
Weibes Liebe erfuhr?" Doch gestattete sie auf ihrer Brüder
Bitten, daß Rüdiger vor ihr erscheine. Während alles Gesinde
in reichgeschmückten Kleidern sie umstand, empfing sie ihn
am nächsten Morgen und erwiderte auf seine Botschaft:
„Wäre jemand, der die Schärfe meines Schmerzes kennte,
er würde mich nicht bitten, je wieder einen Mann zu um-
armen. Denn ich verlor einen besseren, als je ein Weib ge-
wann. Der Tod des einen hat mir solches Weh geschaffen,
daß ich unfroh bleiben muß bis an mein Ende." Auch Rü-
digers Versprechen, daß Etzel sie unermeßlich reich machen
und ihr Gewalt über dreißig Fürstentümer und zahllose
Mannen geben werde, vermochte nicht ihren Willen zu wen-
den. Doch verschob sie ihre Entscheidung auf den nächsten
Tag. Mit vielen Gedanken durchwachte sie die Nacht, und
nie trockneten ihre Augen von Tränen. Auch am andern
Morgen erwiderte sie standhaft auf alle Bitten ihrer Freunde:
„Nichts ziemt mir denn Weinen!" Erst als Rüdiger in ge-
heimer Zwiesprache ihr geschworen hatte, er wolle mit allen
seinen Mannen rächen, was je ihr angetan werde, regte sich
in ihr neue Hoffnung, daß ihr doch noch Rache für Sigfrids
Tod werde. „Viel Mannen hat Etzel", sagte sie sich, „denen
mein Wille gebieten wird, viel Schätze deren ich bedarf, seit
Hagen mich meines Gutes beraubte." So willigte sie end-
lich ein, Rüdiger ins Hunnenland zu folgen. Mit reichem
Geleit zog sie in das Reich König Etzels.
Von vierundzwanzig Fürsten umgeben ritt Etzel ihr ent-
gegen. Mit großer Pracht wurde die Hochzeit gefeiert, und
Kriemhilde wurde eine mächtige und geliebte Königin. Drei-
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zehn Jahre ließ sie im Hunnenlande ihr Ansehen wachsen,
doch stets gedachte sie des Leides, das ihr daheim durch
Hagens Hand geschehen war, und ob sie ihm das noch ver-
gelten werde. „Könnte ich ihn in dieses Land bringen", so
sprach sie zu sich, „so würde es wohl geschehen." Ihr Rache-
verlangen wuchs mit ihrer Macht, bis sie ihre Versöhnung
mit Gunther vergaß. Sie bat ihren Gemahl, er möge ihre
Verwandten in sein Land laden, daß man sie nicht länger
für freundlos halte. Gern gewährte ihr Etzel die Bitte. Als
die Boten aufbrachen, die Burgunden zum Sonnenwendfeste
zu laden, gab Kriemhild ihnen heimliche Weisung: nie dürf-
ten sie verraten, daß sie ihre Königin betrübt gesehen. Hagen
aber müsse als Wegweiser seine Herren begleiten: ihm allein
seien von Kind an die Wege ins Hunnenland bekannt.
Zu Worms meldeten die Boten den Wunsch ihres Herrn.
Gunther rief seine Verwandten und Mannen zu Rate, ob man
der wohlgemeinten Bitte willfahren solle. Alle rieten zur
Fahrt, nur Hagen warnte heimlich den König: „Künde dir
nicht selber Fehde, du weißt, was wir taten, immer droht uns
von Kriemhild Gefahr: ich schlug ihren Gemahl mit dieser
Hand zu Tode, wie dürften wir uns getrauen in Etzels Land
zu reiten?" Doch Gunther erwiderte: „Meine Schwester ließ
den Zorn fahren, mit Freundeskuß verzieh sie unsere Tat,
ehe sie von hinnen ritt." Hagen warnte vor Kriemhilds Un-
versöhnlichkeit. Als aber Gernot und Giselher ihm Furcht
vorwarfen und ihm rieten, daheim zu bleiben, während sie zu
ihrer Schwester führen, wallte in dem Helden der Zorn auf:
er versprach, die Könige zu führen. Doch bewog er den König,
ein Heer zusammenzurufen, das sie auf ihrer Reise begleite.
Aus der Zahl der Recken, die Gunther, Dankwart und Volker
entboten, erlas Hagen tausend erprobte Krieger. Etzels
Boten ließ er erst heimkehren, als alles zur Reise gerüstet war,
damit nicht Kriemhild ihnen vorher Böses bereite. Als diese
von den heimkehrenden Boten vernahm, daß die Könige und
Hagen die Fahrt zugesagt hätten, war ihre Freude groß.
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So ritten die Helden vom Rheine: tausend und sechzig
Mannen und Recken, dazu neuntausend Knechte brachen
fröhlich auf, von Hagens derben Worten angefeuert, der die
ängstlichen Träume der alten Königin, daß alles Gevögel im
Lande tot sei, mit hartem Spotte von sich wies. Als sie, von
Hagen geführt, zur Donau gelangten, fanden sie den Fluß
reißend angeschwollen und die Schiffe vor der Flut geborgen.
Hagen ging in schimmerndem Waffenschmuck, den Fergen
zu suchen, einsam am Strom entlang. Da hörte er Wasser-
rauschen und gewahrte horchend Wasserfrauen, die in einem
schönen Quell badeten. Heimlich schlich er näher, als
sie ihn aber gewahrten, eilten sie davon und schwebten gleich
Vögeln vor ihm auf der Flut. Hagen nahm ihnen ihr Gewand.
Eine der Frauen erbot sich, ihm zu künden, wie es ihnen auf
der Reise gehen werde, wenn er die Gewänder wiedergäbe.
Glück und Ehre sagte sie den Helden voraus. Dessen ward
Hagen froh. Kaum aber hatte er die Gewänder zurück-
gegeben, da kündete eine andere der Frauen ihm das wahre
Geschick: „Kehr um, Hagen", warnte sie, „denn zum Tode
ist euch die Ladung in Etzels Land gemeint. Wer hinreitet,
hat den Tod an der Hand." Solchem Schicksal werde nie-
mand entgehen, als des Königs Kapellan. Zornig beschloß
Hagen, die Schicksalskündung in sich zu verschließen. Er
ging zum Strome und fand am andern Ufer des Fergen Her-
berge stehen. Mit lauter Stimme bot er ihm eine*h roten Gold-
ring für die Überfahrt. Der aber schützte hier des Mark-
grafen Else Land und war mit Golde nicht zu gewinnen.
Da rief Hagen, er sei Amelrich, des Markgrafen landflüchtiger
Mann — das war des Fergen leiblicher Bruder — und bot
ihm hoch an der Schwertspitze einen lichten Goldring.
Nun ergriff der Ferge die Ruder. Drüben erkannte er bald
den Trug. Zornig forderte er, daß Hagen sogleich das Schiff
wieder räume, und schlug ergrimmt mit seinem breiten Ruder
auf den Helden ein. Doch das geriet ihm übel, denn der zog
sein Schwert und schlug ihm das Haupt vom Rumpfe. Mit
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Mühe brachte der Starke das Schiff, das bei dem Kampfe in
den Strom getrieben war, in seine Gewalt, er ruderte, daß
das Ruder barst. So kam er zu den Fürsten. Gernot sprach:
„Wozu dient uns das Schiff, da wir keine Schiffer haben?"
Doch Hagen rief: „Lagert euch ins Gras, ihr Knechte. Ich
bin der beste Ferge, den man am Rheine fand. Euch alle
getraue ich mich hinüberzubringen." Die Pferde trieb man
in den Strom, so schwammen sie hinüber. Hagen aber führte
unverdrossen den Tag über sich mühend das ganze Heer ans
andere Ufer. Danach gedachte Hagen der Unheilskündung
der Flußweiber. Den Kapellan, der sich gerade über das
Heiligtum lehnte, schwang er aus dem Schiffe in den Strom
und stieß ihn, der zornigen Rufe der Fürsten nicht achtend,
in den Grund. Dennoch gelangte der Priester heil zum Ufer
zurück, und Hagen erkannte nun die Unabwendbarkeit des
ihm gekündeten Geschicks. In wildem Mute zerschlug er
das Schiff und ließ die Trümmer treiben. „Wie kommen
wir nun über den Strom zurück?" sprach Dankwart. „Daß
kein Zager uns entrinne, wenn einer unter uns ist, darum
zerschlug ich das Schiff", erwiderte Hagen.
Ehe aber der Zug durch das Bayernland begann, enthüllte
Hagen den Mannen die ungefüge Mär der Wasserfrauen, daß
keiner von ihnen heimkehre in das Burgundenland. Allen
befahl er, sich zu waffnen, denn starke Feinde seien ringsum.
Als diese Kunde von Schar zu Schar flog, erbleichte mancher
Held.
Hagen ordnete den Heerzug. Im Ritt durch das Bayern-
land zerrann ihnen der Tag, auch die ganze Nacht ritten sie
im lichten Mondschein, bis sie am Morgen zur Mark des
Grafen Rüdiger kamen. Der empfing voll Freude seiner
Herrin Brüder. Vier Tage bewirtete er seine Gäste mit allem
Überfluß, seine schöne Tochter verlobte er dem jungen
Giselher, und beim Abschied wurden die Helden mit köst-
lichen Gaben beschenkt. Gunther empfing eine schimmernde
Rüstung, Gernot ein Schwert, Hagen aus der Hand der Mark-
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gräfin den edelsteinglänzenden Schild Nudungs, ihres Ver-
wandten, der von Witeges Hand einst fiel. Nicht ahnte dem
Spender, wie hartes Geschick seine Gaben ihm bringen sollten.
Rüdiger selbst geleitete seine fürstlichen Gaste an den
Hunnenhof, damit sie sicher durch die Lande führen. Als
Kriemhild die Kunde vernahm, daß die Burgunden ins Land
kämen, wurde ihr Herz leicht, und sie sprach bei sich: „Nun
mag geschehen, daß der Leid empfange, der mich all meiner
Freude beraubt hat. Ich will sorgen, daß an diesem Freuden-
feste meine Rache volles Genügen findet."
Dem Dietrich von Bern brachte der alte Hildebrand die
Kunde vom Nahen der Burgunden. Da ritt er mit seinen
Mannen den Gästen entgegen. Trüber Ahnung voll sprach
er: „Seid willkommen, ihr Herren! Ist euch nicht bekannt,
daß Kriemhild noch immer den Helden Sigfrid sehr beweint?"
Da antwortete Hagen: „Mag sie lange weinenl Erschlagen
liegt er schon manches Jahr. Nun soll sie den Hunnenkönig
lieben: Sigfrid kehrt nicht wieder, der ist lange begraben!"
Dietrich erwiderte: „Lassen wir Sigfrids Wunden: Kriemhild
lebt — Gunther, Trost der Nibelungen, hüte dich!" Doch
der sprach: „Wovor soll ich mich hüten? Etzel lud uns in
sein Land, und gute Botschaft sandte uns Kriemhild." Nun
offenbarte Dietrich in heimlicher Zwiesprache den Königen,
wie er jeden Morgen die Königin in tiefer Trauer und heißen
Tränen den starken Sigfrid beklagen höre. Doch Volker
sprach: „Unabwendbar ist nun einmal unser Geschick
— laßt uns zu Hofe reiten!"
Als sie am Hunnenhof einritten, erregte die ungeheure
Gestalt Hagens, des Sigfridtöters, Staunen und Verwunderung.
Gewaltig war seine Brust, sein Haar war grau gesprenkelt,
hoch ragte seine Gestalt, Grausen erregte sein Gesicht. In
stolzem Gang schritt er einher. Kriemhild empfing die Nibe-
lungen mit falschem Herzen. Zuerst küßte und umarmte
sie den jungen Giselher. Als Hagen das sah, band er sich
den Helm fester und sprach: „Man pflegt vor allem die Könige
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und ihre Vornehmen zu grüßen eine böse Reise haben wir
getan!" Kriemhild sprach: „Seid dem willkommen, der
euch gerne sieht. Um eure Freundschaft grüße ich euch nicht.
Sagt, Hagen, was bringt ihr mir vom Rheine, daß ich euch
willkommen heißen sollte?" Der erwiderte: „Hätt ich ge-
wußt, daß ihr von euren Gästen Gaben erwartet: reich
genug bin ich, euch zu beschenken!" „So sagt mir", sprach
Frau Kriemhild, „wo ließet ihr den Nibelungenhort? Er
war mein eigen. Den solltet ihr herführen in Etzels Land."
— „Schon manchen Tag bin ich um ihn der Sorge ledig",
sprach Hagen, „meine Herren hießen mich ihn in den Rhein
senken. Dort mag er liegen bis an den jüngsten Tag."
„Trauer schafft mir", sprach Kriemhild, „daß ihr mir mein
Eigen nicht bringt." — „Den Teufel bringe ich euch", er-
widerte Hagen, „ich habe genug an meinem Schild, Helm
und Brünne zu tragen."
Da forderte die Königin, daß die Gäste ihre Waffen in Ver-
wahrung gäben. Hagen wies solches Ansinnen mit Hohn
von sich. „Weh meinem Leide", rief da Kriemhild, „sie sind
gewarnt. Wüßte ich, wer das tat, dem wollte ich Tod sinnen."
Zornig entgegnete Dietrich: „Ich bins, der die Fürsten und
Hagen warnte. Räche dich denn, Verruchte!" Voll Scham
und Furcht vor Dietrich ging Kriemhild davon.
Hand in Hand standen Dietrich und Hagen. „Leid ist
mir eure Fahrt zu den Hunnen, da Kriemhild solches redete",
sprach Dietrich. „Dagegen wird wohl Rat werden", erwiderte
Hagen.
Da ließ Hagen die Helden auf dem Hofe stehen. Mit Volker,
dem Spielmann, setzte er sich auf eine Bank gegenüber dem
Saale der Kriemhild. Die mahnte der Anblick des Feindes
an ihren Schmerz, und wieder flössen ihre Tränen. Die hun-
nischen Mannen flehte sie an, ihr Leid zu rächen. Sechzig
erboten sich, und als die Schar sie zu klein dünkte, den
grimmen Feind zu besiegen, vierhundert. Mit diesem Ge-
folge stieg sie im Schmucke der Krone die Stiege hinab. Als
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Volker die Bewaffneten nahen sah, sprach er zu Hagen:
„Freund, da kommt, die uns treulos geladen hat, mit kampf-
mutigem Gefolge. Euch gilt es, den sie haßt." Der antwor-
tete: „Wohl weiß ich, daß sie meinethalb Waffen tragen. Die
dort kommen aber werden mir wohl die Heimkehr ins Bur-
gundenländ nicht wehren." Volker gelobte Hagen Hilfe im
Kampf, riet aber, Kriemhild, die Königin, durch Erheben zu
ehren. Dies verweigerte Hagen: „Diese Hunnen könnten
denken, aus Furcht erhöbe ich mich vom Sitze. Wie sollte
ich den ehren, der mich haßt?" Er legte auf seine Knie ein
Schwert, an dessen Knauf ein lichtgrüner Jaspis funkelte:
Sigfrids Schwert Balmung, so gemahnte er von neuem Kriem-
hild an ihr Leid. Volker aber zog einen Fiedelbogen, lang
und groß wie ein Schwert, an sich. So saßen die Helden
furchtlos und kühn, als ihnen die Königin feindlichen Gruß
bot: „Wer hat nach euch gesandt, Hagen, daß ihr euch er-
dreistet in dieses Land zu reiten — oder habt ihr vergessen,
was ihr mir getan habt?" — „Nach mir sandte niemand",
sprach Hagen, „doch lud man drei Könige, meine Herren,
denen folgte ich, ihr Mann, noch auf jeder Reise." Sie sprach:
„Ihr schlugt Sigfrid, meinen Gemahl, das erwarb euch meinen
Haß." — „Genug der Rede", erwiderte Hagen, „ich, Hagen,
bin es, der Sigfrid erschlug. Damit vergalt ich, daß Frau Kriem-
hild die schöne Brünhild schalt.' Leid genug hab ich euch
getan, das räche nun, wer es wolle." Vor so vermessenem
Mute entsank den Hunnen die Kraft. Nicht für Türme roten
Goldes hätten sie sich an die Recken gewagt. Manche unter
den Hunnen kannten Hagen noch aus der Zeit, da er in jungen
Tagen mit Walther am Hunnenhofe lebte und manchen Streit
dem Könige zu Ehren ausfocht. Damals war er noch fast
ein Kind, nun aber sahen sie ihn als einen grauen grimmen
Mann wieder, und in seiner Hand Balmung, Sigfrids Schwert,
das er übel gewann. Rückwärts wandten sie ihre Schritte. \
„Nun wissen wir", sprach Volker, „daß wir hier Feinde
finden."
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Sie kehrten zu den Königen zurück, die noch mit Etzels
Helden im Gespräch standen, und geleiteten sie in den Palast.
Dort empfing sie König Etzel voll Freude, hieß sie aus freund-
lichem Herzen willkommen und ehrte sie hoch durch ein
festliches Gastmahl, |.
Abends wurden die Helden in einen schönen Schlafsaal
geführt. Ahnungsvoll sprach der junge Giselher: „Weh der
Herberge und weh den Freunden, die mit uns kamen! Ich
fürchte nun, um Kriemhilds willen müssen wir alle tot liegen." \
Hagen aber hieß sie die Sorgen fahren lassen, er selbst wolle
die Nacht durch Schildwache halten. Ihm schloß sich Volker
an. Beide stellten sich gewaffnet vor die Tür, und während
die Helden sich zur Ruhe legten, strich der Fiedler die Saiten,
daß das ganze Haus erscholl, und lockte mit süßen und sanften
Tönen: den Sorgenvollen den Schlaf herbei.
Um Mitternacht gewahrten die Wachenden den Schein von
hunnischen Helmen. Es waren Kriemhilds Mannen. Da
sie die Tür so gut behütet fanden, wandten sie sich voll Furcht,
und Volker rief den Zagen nach: ,,Pfui über euch Wichte,
die ihr Schlafende morden wollt." Kriemhild aber sann auf
anderen Plan.
Als den wachenden Recken im nahenden Morgen die
Harnischringe erkühlten, weckten sie die Schlummernden,
daß sie zur Messe gingen. Die Festgewänder anzulegen wehrte
ihnen Hagen: „Statt Rosen nehmet Schwerter in die Hand,
statt edelsteingeschmückter Kränze setzt lichte Helme aufs
Haupt, statt seidener Hemden hülle euch der Halsberg, statt
der Mäntel der gute Schild, denn sicherlich sollt ihr wissen,
daß uns der Tod nahe ist. Es ist die letzte Messe, die ihr hört.*'
Als Etzel den gewaffneten Zug nahen sah, sprach er:
„Warum sehe ich meine Freunde unter Helmen gehen?
Leid täte mir, wär ihnen hier etwas zu nahe geschehen."
Doch Hagen entgegnete: „Niemand tat uns Leid. Doch ist
es Sitte meiner Herren, daß sie zu den Festzeiten drei Tage
gewaffnet gehen." So übermütig stolzen Sinn hegten die
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Helden, 'daß keiner Etzel den Haß der Königin melden mochte,
sonst hätte er wohl abgewendet, was dann geschah.}!
Nach der Messe erhoben sich Kampfspiele, denen Kriem-
hild und Etzel zuschauten. Dietrich von Bern aber verbot
seinen Mannen, sich mit den Burgunden zu messen, auch
Rüdiger bat die Seinigen, davon abzulassen, denn zornmütig
seien Gunthers Mannen. Nur Irnfrids und Hawards Mannen
und die Hunnen Blödeis, des Bruders Etzels, ritten den Bur-
gunden entgegen. Da Volker einen hunnischen Fant, auf-
geschmückt wie eines Ritters Braut reiten sah, verdroß ihn
der Traut der Frauen, und daß endlich das Spiel mit den
zagen Feinden Ernst werde, jagte er dem zieren Hunnen
den Speer durch den Leib. Da wollte sich der Kampf erheben,
Etzel aber eilte hinab, zornig wand er einem Verwandten
des Erschlagenen das Schwert aus der Hand und gebot Frieden.
Gewaffnet begaben sich Hunnen und Burgunden zum
Mahle, Kriemhild aber, voll Sorge, wie sie ihrer Rache fröne,
sprach zu Dietrich: „Du Fürst von Bern, bei dir such ich Rat
und Hilfe: schlecht steht meine Sache." Für Dietrich er-
widerte Hildebrand: „Wer die Nibelunge erschlägt, der tut
es ohne mich. Noch sind die Helden unbezwungen." Dietrich
aber sprach: „Verschone mich, Königin, mit solcher Bitte,
kein Leid erlitt ich von deinen Brüdern." Da gewann Kriem-
hild durch hohe Versprechungen Blödel, des Königs Bruder,
daß er den Streit begönne. Der waffnete sich mit seinen
Mannen und führte sie zur Herberge, wo Dankwart mit dem
Trosse speiste. Kriemhild aber begab sich zum festlichen
Mahle. Sie ließ ihren jungen Sohn Ortlieb hineintragen, daß
ihn seine Verwandten vom Rheine sähen.
In der Herberge trat Blödel vor Dankwart hin. Auf seinen
freundlichen Gruß erwiderte er: „Nicht sollst du mich grüßen,
denn mein Kommen ist dein Tod. Du und viele Degen müssen
nun entgelten, daß Hagen Sigfrid erschlug." Dankwart
flehte, den Frieden nicht zu brechen. Als aber Blödel dessen
nicht achtete, schlug er ihm mit gewaltigem Schwertstreich
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das Haupt ab. Nun erhob sich ein wilder Kampf. Die Knechte
der Burgunden wehrten sich und fällten zahllose Hunnen.
Endlich mußten sie doch der Überzahl erliegen/ Dankwart
allein schlug sich durch den Haufen der ihn Bedrängenden,
Schritt für Schritt sich Boden erkämpfend, bis zur Halle, wo
die Helden festlich saßen.
Blutberonnen trat der Held unter die Tür und rief ^„All-
zulange sitzt ihr, Bruder Hagen! Gott sei unsere Not geklagt, J
Ritter und Knechte liegen in der Herberge tot!" Hagen rief:
„Wer hat das getan?" -f- „Das tat Blödel", sagte Dankwart,
„doch mit seinem Leben entgalt er es." -fr- „Hütet uns die
Tür", sprach Hagen zu Dankwart, „daß kein Hunne hinaus-
komme. Nun will ich mit den Recken reden, wie die Not uns
zwingt." -f- „Gern will ich als Kämmerer so mächtigen
Königen dienen", sprach Dankwart, „die Stiege hüte ich nach
meiner Ehre." Da schlug Hagen dem jungen Ortlieb das
Haupt ab, daß es der Mutter in den Schoß sprang, und begann
unter den Hunnen im Saale zu wüten. Volker fiedelte un-
gefüge und zog mit dem Bogen gar rote Striche. Als Gunther
sah, daß er den Streit nicht scheiden könne, griffen auch er
und seine Brüder zu den Waffen. Getümmel der lichten
Schwerter erhob sich in des Königs Saal. Den Türhüter
Dankwart drängten an der Pforte von draußen und drinnen
die Hunnen, bis Volker ihm zur Hilfe sprang. Von beiden
war die Tür fest verwahrt, und Hagen begann das Rache -
werk, daß keiner seiner Feinde auf Rettung hoffen durfte.
Voll Angst saß Etzel im Gedräng, was half ihm, daß er
König war? Kriemhild aber rief Dietrich an: „Nun hilf mir,
edler Ritter, um aller Fürsten Tugend. Erreicht mich Hagen,
so halte ich den Tod an der Hand." — ,,Wie soll ich euch
helfen, Königin", sprach der, „sorge ich doch um mich selbst.
Dies ist die Stunde, da ich niemanden friedigen kann." —
„Nein, Herr Dietrich, beweise heute deinen tugendlichen Sinn,
hilf mir von hinnen, oder es ist mein Tod." Da begann Dietrich
zu rufen, daß seine Stimme dröhnte wie ein Wisenthorn und
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die weite Burg erschallte. ! Gunther, der die Stimme durch
das Getümmel vernahm, schwichtigte den Sturm und fragte
Dietrich, was ihm Leides geschehen sei. Der sprach: „Laßt
mich mit eurem Frieden samt den Meinen aus dem Hause
gehn, um unserer Freundschaft willen." Das gewährte ihm
Gunther, und daß er hinausführe, wen er wolle, nur der Bur-
gunden Feinde nicht. '] Da umschloß Dietrich mit dem Arm
die Königin' und führte an der anderen Hand den König Etzel
mit sich,' und in seinem Gefolge seine sechshundert Mannen.
Da sprach Rüdiger, der edle Markgraf: „Kann aus dem Hause
noch jemand kommen, der euch freund ist?" Ihm und seinen
Mannen gewährte Giselher Frieden und freien Abzug. Dann
fiedelte Volker drinnen den Hunnen so üble Weisen, daß
von allen keiner aus dem Saale entrann. Gleich einem wilden
Eber focht er, und schrecklicher Schall hob sich von seinen
roten Strichen.
Ehe sich die kämpf müden Helden setzten, um auszuruhen,
warfen sie die Gefällten die Stiege hinab, daß sich unter den
Hunnen, die dicht gedrängt im Hofe standen, lautes Weh-
klagen erhub. Volker und Hagen aber gingen vor den Saal,
und auf den Schild gelehnt höhnten sie voll Übermut Etzel,
Kriemhild und die Hunnen. „Wohl ziemt es dem Herrn,
dem Trost seines Volkes, ! als der Vorderste zu fechten, wie
es meine Herren tun", sprach Hagen, „doch ferne Sippschaft
ist es, die Etzel und Sigfrid verbindet." Mit Mühe vermochten
die Hunnen, Etzel vom Kampfe abzuhalten, daß er nicht von
Hagens Hand falle. Kriemhild aber, durch Hagens Hohn
zur Wut gereizt, bot dem einen Schild voll Gold, Burgen und
Land, der ihr Hagens Haupt brächte. „Nie", sprach Volker,
„sah ich so zage Helden stehen, da man so hohen Sold bot,
die hier mit Schande des Königs Brot essen, und ihn nun in
der größten Not verlassen." "
Solchen Hohn ertrug Iring nicht länger, der Markgraf von
Dänemark. Er versprach, Hagen zu bestehen ohne seiner
Mannen Hilfe. Im Sturme lief er die Stiege hinauf und focht
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im Saale mit den Königen. Doch konnte er ihrer keinen
bezwingen. Von Giselher zu Boden geschlagen, raffte er sich
zu neuem Kampfe mit Hagen auf und schlug ihm durch den
Helm eine Wunde. Da erwachte des Helden Zorn, und schwer
bedrängt mußte Iring zu den Seinen entweichen. Doch Kriem-
hilds Dank und Hagens Hohn spornten ihn zu neuem Kampf.
Nun aber eilte ihm Hagen bis an den Fuß der Stiege entgegen
und fällte ihn mit Schwert und Speer. Den Todwunden zu
rächen, eilten Irnfrid und Haward mit tausend Helden heran,
doch Irnfrid fiel von des Spielmanns Schwert, und Haward
ward von Hagen erschlagen. Die Mannen aber, die Volker
in den Saal dringen ließ, ereilte das Geschick ihrer Herren.
Dann verhallte das Getümmel. Die Burgundenhelden setzten
sich zur Ruhe, indes das Blut durch die Lücken und Riegel-
steine aus dem Saale floß und die Hunnen Klage erhoben.
In kurzer Ruhe banden die Heimatlosen die Helme los und
ließen sich auf die Gefällten nieder. Noch vor dem Abend
aber sandte Etzel neue Mannen, zwanzigtausend an der Zahl,
wider sie in den Streit. In hartem Sturm bestanden die Helden
auch sie den sommerlangen Tag hindurch bis an die sinkende
Nacht der Sonnenwende.
Der Tag war zerronnen. Da dachten die Helden,' daß ein
kurzer Tod besser wäre als so lange Qual und ungefüges Leid.
Blutgerötet und harnischfarben traten sie aus dem Hause,
daß König Etzel ihnen Rede stehe. Der sprach: „Frieden
wollt ihr gewinnen? Der sei euch versagt. Mein Kind schlugt
ihr und viele meiner Freunde." Gunther erwiderte: „Uns
zwang die Not, da unser Gesinde erschlagen ward. Wie hatte
ich das verdient, da ich zu dir auf Treue kam? Wollt ihr
den wilden Haß zur Sühne wenden, so ist es beiden gut.
Nicht unser ist die Schuld." Das verweigerte Etzel. Als
aber Gernot bat, die Hunnen möchten sie hinab ins Freie
gehen lassen, daß in kurzem Kampfe ihr Schicksal sich ent-
scheide, widerriet Kriemhild, den zögernden Mannen dies zu
gewähren. „Lebte auch von den Helden niemand mehr, als
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meine Brüder", 'sprach sie zu den Hunnen, „und ließet ihr
sie hinab, so wäret ihr alle verloren. Nie lebten kühnere Degen
als sie." Da aber der junge Giselher die Gnade der Schwester
erflehte, der er immer getreu gewesen, da versagte sie ihm
die Gnade mit hartem Wort: „Alle müßt ihr entgelten das
ungesühnte Leid, das mir Hagen tat. Wollt ihr mir aber
Hagen als Geisel geben, so will ich euch das Leben gewähren
und um die Sühne mit den Hunnen reden." Da sprach Gernot:
„Das wolle Gott vom Himmel verhütenl Und wären unser
Tausende, wir müßten alle tot liegen, ehe wir dir den einen
Mann als Geisel gäben."/ Und Giselher sprach: „Müssen wir
denn sterben, so scheide uns niemand von ritterlicher Wehr.j
Heran, wer mit uns zu fechten begehrt. Nie brach ich einem
Freunde die Treue." '
Alsbald befahl Kriemhild, die Helden in den Saal zu treiben
und das Haus an den vier Enden anzuzünden. In hellen
Flammen loderte es empor. Da wünschte mancher Held,
lieber im Sturme tot zu liegen, als solche Qual zu leiden.
Die der Durst brannte, lehrte Hagen aus den Wunden der
Gefallenen trinken. Und mancher meinte, nie besseren Wein
getrunken zu haben. Gegen das niederfallende Feuer schütz-
ten sie sich mit emporgehaltenen Schilden und traten an die
Wände gelehnt die rauchenden Brände in das Blut.
In solchen Nöten zerrann die Nacht, während Hagen und
Volker, auf ihre Schilde gelehnt, vor dem Hause Wache hiel-
ten. Als der kühle Morgenwind aufsprang, da gingen sie
in den Saal, damit die Hunnen sie alle im Feuer verendet
glaubten. Drinnen lebten noch sechshundert Mannen. Die
Nachricht empfing Kriemhild voll Staunen.
Noch wären die Fürsten mit den Mannen der Not gern
entronnen, hätte jemand ihnen Gnade gewährt. Die konnten
sie bei den Hunnen nicht finden. So rächten sie entschlossen
ihren Tod.
Mit dem neuen Tag hob sich neuer Kampf. Befehl und
reiche Gabe trieb die Hunnen gegen den Saal heran. Wilder
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Mut erwachte neu in den Burgunden. Zwölfhundert Hunnen,
die sich stellten, streckten ihre erbarmungslosen Schwerter
mit Todeswunden nieder. '■
Schwer hatten die Heimatfernen am Morgen gerungen,;
als Rüdiger, der getreue Markgraf, zu Hofe kam. ' Mit tiefem
Schmerz sah er auf beiden Seiten die grausige Not und klagte,
daß keine Sühne mehr möglich sei. Den Trauernden höhnte
ein Hunne, wie jemand so tatlos und ohne Schwertstreich
seines Herrn Leid sehen möge, dem Etzel Land und Burgen
und alle Gewalt verliehen habe, j „Er gilt für den kühnsten
Recken, aber in diesen Stürmen hat sein Ruf sich schlimm
bewährt." J Solchen Hohn vergalt der Markgraf mit schnellem
Todesstreich und rief:; „Leid und Jammer bedrückt mich
genug -r wie darfst du mir mein Zögern vorwerfen? Wohl
wäre ich den Gästen mit Recht feind/wohl müßte ich ihnen
antun, was irgend ich vermöchte, hätte ich nicht die Recken
hierher in meines Herrn Land geführt. So soll sich meine
unselige Hand nicht wider sie erheben!"
Da sprach Kriemhild: „Edler Rüdiger, wie mehrt ihr durch
solche Tat unser Leid? Gelobtet ihr nicht, für uns Ehre und
Leben zu wagen? Nun mahne ich euch an die Huld, die
ihr mir schwurt, als ihr mir rietet, Etzels Werbung zu will-
fahren: daß ihr mir dienen wolltet bis an unser eines Tod."
im
— „Wohl schwur ich euch, Ehre und Leib um euch zu wagen,
die Seele zu verlieren, das schwur ich euch nicht", erwiderte
ihr Rüdiger. Doch dringender mahnte ihn die Königin:
„Gedenket eures Treugelübdes und eurer Eide, daß ihr immer
meinen Schaden und all mein Leid rächen wollet." Mit
Etzel warf sie sich flehend dem Markgrafen zu Füßen. Der
klagte: „Weh mir, daß ich dies erleben muß. Aller meiner
Ehre muß ich nun absagen und aller Zucht und Treue. Weh,
daß der Tod mir das nicht wendet 1 Was ich auch tue und was
ich auch lasse, das ist von mir ehrlos und übel getan. Lasse
ich aber beides, so schilt mich jedermann. Der weise mich,
der mich leben hieß."'
7 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
Von solchem Zwiespalt zerrissen, bot Rüdiger dem Könige
sein Land und seine Burgen und allen Besitz: auf nackten
Füßen wollte er ins Elend gehen. 1 Der aber wollte seiner
Hilfe nicht entratenjund versprach, ihn neben sich zu einem
gewaltigen Könige zu machen,; wenn er ihn an seinen Fein-
den rächte. 1 „Wie könnte ich das vollbringen?" sprach Rü-
diger. ' „In mein Haus lud ich sie als Gäste, Speise und Trank
bot ich ihnen |und gab ihnen meine Gabe — wie sollte ich ihnen
Tod sinnen? ? Mag man wähnen, ich sei verzagt! Mut bewies
ich ehemals. ■ Nun aber gab ich Giselher mein Kind.",' Doch
Kriemhild ließ nicht ab zu flehen. | Da sprach Rüdiger: „So
muß ich denn heute sterben um deswillen, was ihr und mein
Herr Liebes an mir getan habt. Weib und Kind, Mann und
Burg befehle ich in eure Gnade."
Traurig ging er hinweg und befahl seinen fünfhundert
Mannen, sich zu waffnen. Giselher frohlockte, als er Rü-
diger unterm Helme sah: „Nun werden wir der Freunde froh,
die wir auf der Reise gewannen. I Wohl mir, daß diese Heirat
geschah." Den Trost nahm ihm bald der Spielmann: „Wo
saht ihr je so viel Helden mit aufgebundenen Helmen 'und
bloßen Schwertern die Versöhnung bringen? \ Nein: an uns
will Rüdiger seine Burgen und Lande verdienen." '/
Den Schild vor dem Fuße stand Rüdiger. Zum Saale
rief er: „Nun wehrt euch, ihr kühnen Nibelungen! Einst
waren wir Freunde: des Treugelübdes will ich nun entbunden
sein." Vor dieser Kunde erschraken die Nothaften. I Genug
des Leides ertrugen sie von Feinden, nun kam mit ihnen zu
streiten, dem sie hold gesinnt waren. Da mahnte ihn Gunther
an ihre Freundschaft und Gelübde und seine freundlichen
Gaben. Er aber bestand auf seiner Treupflicht gegen Kriem-
hild: „Wollte Gott, ihr wäret daheim am Rheine und ich wäre
tot mit Ehren, da ich wider euch streiten muß." Gernot
gemahnte ihn an das treffliche Schwert, Rüdigers Gabe.
Noch nie habe es versagt in all dieser Not. Wenn aber Rü-
diger ihm seiner Freunde einen erschlage, so müsse er mit
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diesem Schwerte ihn fällen. Vergeblich auch mahnte Giselher
ihn an seine schöne Tochter, die nun so früh zur Witwe werde./
Rüdiger bat den jungen König, seines Treugelübdes zu ge-
denken, ] und sende ihn Gott von hier, die Jungfrau nicht
entgelten zu lassen, wozu seine Pflicht ihn treibe. | „Das täte
ich gern", sagte Giselher, „doch wenn einer meiner Brüder |
von deiner Hand fällt, so ist meine Freundschaft zu dir und
deiner Tochter zerbrochen." !|
Schon hoben sie die Schilde zum Streit in Kriemhilds Saal,
da rief Hagen: „Harret noch, edler Rüdiger, enden wir noch
nicht die Zwiesprache 1 Mich drängt große Gefahr: zerhauen
vor der Hand ist mir von den Hunnen der Schild, den mir
Frau Gotelind gab. Der Himmel gewähre mir, noch einmal
so guten Schild zu tragen, wie du in der Hand hältst, dann
bedürfte ich in diesen Stürmen keiner Halsberge mehr."
Da gab Rüdiger seinen Schild dem Hagen: „Mögest du den
führen in der Burgunden Land", \ sprach er dabei. Ob so
edler Tat ward manches Auge von Tränen rot. \ Das war
Rüdigers letzte Gabe.
Wie hartgemut der grimme Hagen war, doch erbarmte
ihn die Gabe des Helden, der seinem Ende so nahe war. „Das
lohn euch Gott", rief er, „euch gleich an Edelmut wird keiner
je auf Erden geboren. So will ich eure Gabe lohnen: ob ihr
im Streite mit denen aus Burgundenland gleich alle erschlügt, I
soll doch meine Hand euch nicht berühren." Gleich Hagen
gelobte Volker dem Markgrafen Frieden, und hoch die roten
Ringe hebend, 'die ihm Frau Gotelind geschenkt, bat er Rü-
diger, seiner Trauten zu melden, wie er den Schmuck auf
diesem Hoffest getragen.
Als Rüdiger das gelobt, brandete sein Mut empor. Der
Streit hob an. Hagen und Volker aber wichen weit zurück.
Gunther und Gernot ließen den Markgrafen in den Saal. Auch
Giselher wich ihm aus: noch hoffte er auf das Leben. Wie
die Mannen Rüdigers in den Saal gekommen waren, erschlugen
Hagen und Volker und die Könige deren viele, während
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Rüdiger unter den burgundischen Mannen wütete. { Endlich
rief ihn Gernot an: „Wollt ihr keinen meiner Mannen ent-
rinnen lassen? das ertrag ich nicht länger. / Nun mag euch
eure Gabe zum Schaden werden! .Verdienen will ich sie,
so hoch ich kann." Da eilten zueinander die ehrbegierigen
Helden. | Mit scharfem Schwert schlug Rüdiger durch Gernots
kieselharten Helm. Doch schon todwund ließ dieser sein
Schwert auf Schild und Helm des Markgrafen niederfallen,
daß dem das Leben entfloh. ; So fielen beide, Gernot und Rü-
diger, im Sturme einer von des andern Hand. Hagen rief:
„Für diesen Schaden sind uns Friedlosen Rüdigers Helden
zum Pfand." Da erlas sich der Tod sein Gesinde, daß derer
von Bechelaren nicht einer sich barg.
So verebbte der Schall. Die Helden aber saßen und lehnten
sturmmüde umher. Die Stille verdroß Etzel, [und schlecht,
wähnte Kriemhild, diene ihr Rüdiger, 'sie glaubte, er schlichte
den Streit und sinne darauf, die Burgunden heimzubringen,
statt sie an ihnen zu rächen. Ihr antwortete Volker: „Eure
Rede geht fehl, edle Königin. Rüdiger und die Seinen sind
um die Sühne betrogen. Sie alle liegen hier tot, die willig
des Königs Befehl folgten. Schaut um euch, Kriemhild, wem
ihr nun den Streit gebieten wollt. 1 Rüdiger diente euch bis
an sein Ende." Man trug den erschlagenen Helden hin, wo
ihn der König sehen konnte. Darüber erhob sich unermeßlicher
Jammer.
Diese Klage drang auch zur Herberge, wo Dietrich mit
seinen Helden weilte. Wolfhart, Hildebrands Neffe, ein Held
kühn und schnell zu Wort und Tat, erbot sich, zum Saale zu
gehen, um des Klagens Grund zu erforschen. Dietrich aber
warnte seine Getreuen vor zu hastigem Tun und ungestümem
Fragen. Drum verbot er Wolfhart die Erkundung, damit
dieser die notbedrängten Helden nicht reize. Denn er habe
ihnen seinen Frieden gewährt. So sandte er Helferich zum
Saale. Der brachte die Botschaft, daß Rüdiger erschlagen
liege. Wolf hart mahnte Dietrich, das zu rächen. Der aber
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befahl dem Meister Hildebrand, zu den Giv&ter, ]zc.;genVö> •
damit er genau erfahre, wie solches geschehen sei. Er selbst
setzte sich voll schwerer Trauer in ein Fenster. Hildebrand
wollte waffenlos und allein zu den Burgunden gehen. Wolf-
hart aber, als fürchte er eine Kränkung seines Oheims durch
die Helden, mahnte ihn, sich zu waffnen.' Da folgte der Weise
des Toren Rat. j Ehe der greise Recke es recht gewahr wurde, f
folgten ihm alle Mannen Dietrichs kampfgerüstet zum Saale, '
damit Hagen nicht des Alten zu spotten wage. "
Als Volker die Amelungenhelden unterm Helme nahen sah,
sprach er zu den Burgunden: '„Dort nahen feindlich Dietrichs
Mannen. 1 Nun ist uns Fremdlingen das Ende nahe." Auf
den Schild gestützt fragte Hildebrand die Recken, ' ob von
ihrer Hand der edle Rüdiger erschlagen liege. Hagen erwiderte:
„Der Bote hat nicht gelogen, wie sehr ich euch auch gönnte,
daß er noch lebte." |« Als sich Dietrichs Helden in Klagen
ergingen, sprach Hildebrand: ! „Nun gewährt, ihr Helden,
wonach uns Dietrich hergesandt: ' gebt uns den toten Rüdiger,
daß wir dem im Tode dienen, dem wir lieber im Leben ge-
dient hätten." — „Das heiße ich wahre Treue", sprach
Gunther, „und wie ein Freund am Freunde handeln." -f-
„So eilt", rief Wolfhart „und laßt uns länger nicht flehen."]
Volker aber weigerte die Herausgabe. ' Selber möchten sie
den Gefällten aus dem Saale holen. Wolf hart sprach: „Nicht
dürft ihr uns noch reizen. Leid genug habt ihr uns getan.
Dürfte ich es vor meinem Herrn, so kämt ihr in Not, Herr
Spielmann." Der erwiderte: „Furcht ist in dem, der alles
läßt, was man ihm verbietet. Das heiße ich keinen Helden-
mut." Mit solchen Reden erhitzten sich die beiden, bis Wolf-
hart sich zum Sprunge rüstete. Noch einmal hielt ihn Hilde-
brand zurück: „Willst du wüten in deinem törichten Zorn,
daß wir für immer unseres Herrn Gnade verlieren?" Doch
weiter reizte Volker die Berner auf. Da lief Wolfhart wie
ein wilder Löwe zur Stiege. ! Aber noch schneller eilte Hilde-
brand und setzte sich an die Spitze seiner vorstürmenden
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. fclarineit. *1£rlrajinta Hägen an, daß von den Schwertern eine
feuerrote" Lohe ging. Doch wurden sie bald im Kampfe ge-
trennt. Von Wolfharts und Volkers Helmen stoben die Fun-
ken und sprangen die Spangen, doch wurden sie geschieden.
Was Gunther, Giselher und Dankwart zuvor im Streite getan,
das war nur ein Wind: nun erst erstrahlte ihr Heldentum.
Da wüteten Hildebrand und Wolfhart unter den Burgunden,
bis Volker ihnen entgegentrat. Den erkor sich der alte
Hildebrand: er schlug den kühnen Spielmann, daß rings die
Helmbänder und Schildstücke stoben. ' So mußte der Fiedler
sein Ende gewinnen, j Als Hagen seinen treusten Heer-
gesellen tot sah, | erwachte ihm wildes Racheverlangen:! er
schwor, ihn an Hildebrand zu rächen. Dankwart fiel von
Helferichs Schwert. Wolfhart aber, nachdem er in drei-
maligem Rundgang im Saale alle burgundischen Mannen
erschlagen hatte, mußte dem jungen Giselher stehen. Von
ihm empfing er die Todeswunde, doch, schon sterbend, ließ
er den Schild fallen und erschlug, hoch das Schwert schwingend,
den jungen Giselher. Beide zugleich stürzten die Helden in den
grimmen Tod.
Nun waren Gunthers und Dietrichs Mannen alle tot. | Hilde-
brand beugte sich trauernd zu Wolf hart, um ihn fortzutragen.
Das vermochte er nicht. Da sprach zu ihm der Todwunde:)
„Nichts nützt mir, Oheim, deine Hilfe mehr. ' Du aber hüte
dich vor Hagen. Um mich sollt ihr nicht klagen: von Königs-
händen fand ich hier herrlichen Tod. . Auch habe ich meinen
Fall im voraus an vielen Recken vergolten."
Da gedachte Hagen des Spielmanns Tod an Hildebrand
zu rächen. Mit Balmung, Sigfrids erlauchtem Schwert, fiel
er ihn gewaltig an und verwundete ihn nach kurzem Kampf.
Da warf Hildebrand den Schild auf den Rücken und entrann
dem grimmen Hagen mit schwerer Wunde.
Im weiten Saale war nun niemand mehr am Leben als
Gunther und Hagen. Hildebrand aber eilte hin, wo er seinen
Herrn trauernd sitzen fand. Da der seinen Waffenmeister
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in der Brünne rot sah, fragte er ihn, wer das getan; und ob
er gegen sein Gebot mit den Gästen gestritten habe, j „Hagen
tat es", sprach Hildebrand, „mit Mühe entrann ich ihm lebend." J
„So geschah euch recht, da ihr Freundschaft und Frieden
bracht, die ich den Gästen bot. | Mit dem Leben solltet ihr
das büßen, wie ihr mich in Schande gebracht." -j- „Scheltet
nicht, Herr Dietrich", sprach Hildebrand, „allzu groß ist mein
Schade. | Wir wollten Rüdiger von dannen tragen/ das ver-
gönnten uns Gunthers Mannen^nicht." -f- „Also ist Rüdiger
doch tot", klagte Dietrich, „wer tat das?" -j- „Das tat Gernot",
sprach Hildebrand, „doch nahm ihn Rüdiger mit in den Tod." f
— „Nun saget meinen Mannen, daß sie sich waffnen", sprach
Dietrich,| „und bringt mir mein lichtes Streitgewand. J Ich
selber will die Burgunden fragen." j Da sprach Hildebrand:
„Wer soll mit euch gehen? Die von den euren am Leben
blieben, die stehen hier bei euch. Das bin ich allein. Die
andern sind alle tot." Scharfer Schmerz durchfuhr da den
heimatlosen Dietrich: „Sind alle meine Helden tot, so hat
Gott mein vergessen, ich armer Dietrich, j Gewesen bin ich
ein hehrer König, machtvoll und reich, j Weh, daß ich Wolf-
hart verlor und alle Helden! '> Wer soll mir nun heimhelfen
in das Amelungenland? -f- Wie konnte es geschehen, daß
die Helden alle den nothaften Streitmüden erliegen mußten?
Das geschah um mein unseliges Geschick. Weh, daß man
vor Leid nicht sterben kann." f Dann fragte er, ob noch einer
der Gäste dem Tode entronnen sei. „Niemand als Hagen und
Gunther", sprach Hildebrand.
Da waffnete sich Dietrich allein mit Hildebrands Hilfe.
Er klagte, daß von seiner Stimme das Haus erdröhnte. Dann
aber gewann er seinen grimmen Heldenmut, mit Hildebrand
ging er zum Saale. Als Hagen ihn nahen sah, sprach er:
„Dort naht Dietrich, sein Leid an uns zu rächen. Nun fällt
das Los, wen man den größten Helden nenne. Ist Dietrich
noch so furchtbar, ich getraue mich ihn zu bestehen."
Gunther und Hagen standen vor dem Hause an den Saal
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gelehnt, als Dietrich seinen Schild niedersetzte. Leidvoll hub
er an: „Gunther, du großer König, was habt ihr wider mich
Heimatlosen vollbracht. Meiner Hoffnung beraubt, stehe
ich einsam da. War es nicht des Leides genug, daß ihr uns
Rüdiger erschlugt? 1 Nun raubtet ihr mir all meine Getreuen.
Nie hätte ich euch solch Leid getan. Ermeßt meinen Schmerz
um Rüdiger und meine erschlagenen Mannen an eurem
Jammer um den Tod eurer Freunde." — „So schuldig sind
wir nicht", sprach Hagen, „gewafmet kamen eure Helden, \
eine breite Schar uns zum Trotze zum Hause." Und Gunther:
„Sie wollten Rüdiger von hinnen tragen. Das versagte ich
Etzel, nicht deinen Mannen, zuleide. Darob schalt uns
Wolfhart." — „Nun Gunther", sprach Dietrich, „vergilt mir
all das Herzeleid, das mir von dir geschah, sühne es, Ritter,
daß ich es nicht rächen muß. Ergib dich mir als Geisel, du
und dein Mann, so will ich euch aufs allerbeste behüten.
Dann sollt ihr an mir nichts denn getreuen und guten Willen
finden." — „Das verhüte Gott", sprach Hagen, „daß sich
dir zwei Recken ergeben, die noch in Wehr und Waffen dir
entgegenstehen und die noch kein Feind bezwungen hat." |
— „Versagt es mir nicht", sprach Dietrich, „billig ist es, daß
ihr mir das Leid vergütet, womit ihr mich beschwert habt.
Ich gelobe euch mit Hand und Mund, daß ich mit euch heim
in euer Land reiten will. Ehrenvoll will ich euch geleiten,
um euretwillen will ich all meine Not vergessen." — „Steht
ab", sprach Hagen, „nie ergeben sich zwei Degen in eure
Hand." — „Hörte ich euch nicht sagen", sprach da Dietrich,
„daß ihr allein, Herr Hagen, mich zu bestehen mutig wäret?"
— „Dessen erkühne ich mich", sprach er, „es zerbreche mir
denn Nibelungs Schwert."
Da sprangen die Helden einander an. Laut erklang Bai-
mung auf Dietrich. Der deckte sich vorsichtig: wohl kannte
er Hagens grimmen Mut und Balmungs Schärfe. Nur unter-
weilen hieb er kunstreich dawider, bis er Hagen eine tiefe
Wunde schlug. Da dachte er: „Durch lange Not bist du matt.
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Wenig Ehre wäre es mir, lägst du vor mir tot. Besser wäre
es, ich erzwänge dich mir zur Geisel." | Den Schild ließ er
fallen, mit gewaltiger Stärke umschloß er Hagen, er band ihn
und führte ihn zu Kriemhild. j Ihr gab er den kühnsten Recken,
der je ein Schwert trug. | All ihr tiefes Leid schwand der Köni-
gin,) als sie ihren Feind gefesselt vor sich sah. ' Dietrich aber
sprach: ,,Laßt ihn am Leben, Königin. Wohl mag noch ge-
schehen, daß er für alles getane Leid euch Sühne gibt. ] Laßt
es ihn nicht entgelten, daß er gebunden vor euch steht."
Da ließ die Königin ihn in eine Zelle schließen.
Dietrich aber kehrte zum Saale zurück, wo Gunther, der
letzte seiner Schar, ihn kampfgierig erwartete. In tobendem
Zorn ließ er nach so viel Nöten sein Schwert auf Dietrich
fallen, daß der nur mit Mühe entrann. Doch zwang er end-
lich Gunther, wie er Hagen gezwungen hatte. Blutberonnen
und gebunden führte er den Burgundenkönig , an der Hand
zu Kriemhild. Höhnenden Willkommgruß bot sie dem Bru-
der. Dietrich aber sprach: „So edle Geiseln gab es nie, als
ich euch, Königin, brachte. Nun sollt ihr die Landfremden
meinen Frieden genießen lassen." Das versprach Kriemhild,
und traurig ging Dietrich davon.
Kriemhild verschloß jeden ihrer Geiseln in ein besonderes
Gemach. Dann ging sie zu Hagen. Feindlich sprach sie
ihn an: ,, Wollt ihr mir wiedergeben, was ihr mir genommen
habt, so mögt ihr noch heil heimkehren." Hagen antwortete:
„Verloren ist eure Rede. Ich schwor, den Hort nicht zu weisen,
solange meiner Herren einer lebt." „Nun bring ich's zu Ende",
sprach die Königin. Ihren Bruder hieß sie töten, v sein Haupt
trug sie an den Haaren vor Hagen. Der sprach: „Nach
deinem Willen hast du es zu Ende gebracht. Nun sind die
Könige alle tot, Gunther, der edle, und Gernot und der junge
Giselher. Nun weiß niemand das Geheimnis des Schatzes
mehr als ich allein. Ewig soll er dir, Unholdin, verhohlen
bleiben." Kriemhild erwiderte: „Üble Sühne gewährt ihr
mir. So will ich wenigstens Sigfrids Schwert behalten. Das
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trug mein holder Liebster als ich ihn zuletzt sah." | Sie zog
dem Gefesselten das Schwert Balmung aus der Scheide, hob
es auf und hieb ihm das Haupt vom Rumpfe.
Als König Etzel das sah, rief er aus: „Weh, von eines Weibes
Händen ist der beste Recke gefällt, der je im Sturme den
Schild trug! Wie sehr ich sein Feind war, das ist mir weh
und leid." Hildebrand aber sprach: „Dessen soll sie nicht
froh werden, was mir auch geschehe. Brächte es mich selbst
in schwere Not, so will ich doch des Kühnen Tod rächen."
Und mit sausendem Hiebe schlug er der Königin das Haupt ab.
Da lag die ganze Ehre der Ritterschaft tot. Dietrich und
Etzel begannen zu weinen. Mit Leid war geendet des Königs
Freudenfest. Hier endet die Mär von der Nibelungen Not.
13. WOLFDIETRICH.
Zu Reims herrschte ein gewaltiger König, der hieß Hug-
dietrich. Zwei Söhne hatte ihm seine Gemahlin, die Schwester
des Hunnenkönigs Botelung, geboren.
Einst ritt er auf Heerfahrt wider König Frute von Däne-
mark mit Berchtung von Meran, seinem getreuen Dienstmann
und Berater. Land und Burgen befahl er dem Herzog Saben,
daß er sie und die Königin während der Heerfahrt hüte.
Saben war ein landfremder Mann, der am Hunnenhofe auf-
gewachsen war. Doch Hugdietrich liebte ihn wegen seines
schönen Leibes und seiner klugen Rede. Er war aber ein
ungetreuer Mann und sann seines Herrn Verderben. Als der
König mit dem Heer das Land verlassen hatte, nahte er der
Königin mit verführerischen Worten. Da diese ihn aber voll
Zorn von sich wies, fürchtete der Ungetreue, die Gekränkte
möchte dem Könige seine Schandtat melden, und spann
finstere Pläne.
Die Königin ging damals mit ihrem dritten Kinde, ohne
daß Hugdietrich es wußte, und während er also auf Heerfahrt
war, gebar sie einen schönen Sohn. Der Knabe wuchs früh
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zu großer Stärke und Wildheit. Als sein Vater heimkehrte,
sah er, wie das Kind zwei Hunde gegen die Mauer warf, die
sein Brot aus der Hand zuschnappen suchten, und er erschrak
über des Kindes Kraft. Saben aber glaubte, nun die Königin
verderben zu können. Er beredete seinen Herrn, sie habe
den Knaben mit einem Alben gezeugt. Da fiel des Königs
Zorn auf seinen Sohn, und er beschloß, ihn töten zu lassen.
Auf Sabens Rat gab er Berchtung von Meran den Befehl
zur heimlichen Tötung des Knaben. Lange weigerte sich
der Treue, doch als Hugdietrich drohte, ihn samt seinem
Weibe und seinen sechzehn Söhnen umzubringen, wenn er
dem Befehl nicht folge, entschloß er sich voll Trauer zur Tat.
In der Nacht übergab der König dem Berchtung das Kind
in aller Heimlichkeit. Der trug es auf seinen Armen aus der
Burg. Im Morgengrauen erwachte das Kind an des Ritters
Brust. Lachend griff es an die glänzenden Ringe seiner
Brünne. Das rührte den Alten, und er dachte: „Nimmer geht
es mir wohl, wenn ich das Kindlein töte." Er trug es auf
einen grünen Anger, dort war ein Brunnen, in dessen Mitte
schöne Seerosen wuchsen. Damit des Königs Wille geschehe,
aber er nicht zum Mörder werde, setzte Berchtung das Kind
an den Rand des Brunnens, daß es, nach den Rosen greifend,
im Wasser ertrinke. Doch war dem Knaben solcher Tod
nicht bestimmt: ungefährdet spielte er auf dem Anger den
ganzen Tag. Am Abend kamen die Tiere des Waldes, um
sich am Brunnen zu tränken. Doch weder Bär noch Wildsau
taten dem Knaben ein Leid. In der Nacht kamen die Wölfe.
Sie setzten sich rings um das verlassene Kind, aber wie groß
ihr Hunger war, sie berührten es nicht. Ihre Augen brannten
vor Gier wie Kerzen, der Knabe aber fürchtete sie nicht:
er griff mit der Hand nach den lohenden Augen der Wölfe
und trieb mit den wilden Tieren bis zum Morgen sein Spiel.
Als Berchtung in seinem Versteck das seltsame Wunder
sah, ward er inne, daß dem Knaben nicht bestimmt sei zu
sterben, und glaubte, daß Sabens Beschuldigung aus verräte-
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rischem Herzen entsprungen sei. Er beschloß, das unschuldige
Kind zu retten, wenn er auch sein und der Seinigen Leben
gefährde, hob den Knaben wieder auf seine Arme und sprach:
„Ein gutes Vorzeichen deucht mir, daß du unversehrt unter
Wölfen saßest. Wolfdietrich sollst du heißen und wirst einst
ein mächtiger König auch gegen deines Vaters Willen." Er
brachte das Kind zu einem Wildschütz, der im Walde eine
Jagdhütte hatte. Seiner Treue und der Pflege seines Weibes
empfahl er es und beredete ihn, es für sein eigen auszugeben.
Als die Königin ihren Sohn nicht mehr fand, zieh sie den
König des Mordes. Der sah seines Weibes Verzweiflung und
Zorn und verlangte Sabens Rat, wie er sich vor der Königin
von der Schuld reinige. Saben sprach: „Berchtung tat
übel an dem Kinde und mordete dir den Sohn. Nimmer
darfst du ihm das vergeben." — ,,Weh mir", sprach Hug-
dietrich, „mit Mühe erlangte ich von ihm, daß er meinen
Willen tat. Wie sollte ich ihn deshalb hassen? Das brächte
mir wenig Ehre." Saben aber vergiftete seinen Sinn: „Leicht
hätte Berchtung", sprach er, „den Knaben schonen können,
aber er ist dein Feind. Nicht ungern tötete er den Knaben.
Er wird nicht ruhen, bis ihm dein Königreich zufällt." So
erregte der Tückische des Königs Zorn wider Berchtung.
Er riet ihm, den Alten mit seinen Söhnen an den Hof zu laden
unter dem Vorwande festlichen Ritterschlages.
Als Berchtung am Hofe angekommen war, sprach Saben
zum Könige: „Laß die Waffen der Gäste aus dem Saale ent-
fernen. Danach, wenn Berchtung zu Tische geht, so berede
die Königin, daß sie Mord über ihn schreie und den Ver-
sammelten kundtue, daß er das Kind getötet habe." So
geschah es. Lange sträubte die Königin sich. Sie sah in dem
Anschlag nur Sabens bösen Rat, und nur durch schwere
Drohung zwang sie der König zu seinem Plan. Mit verwirrtem
Gewand und zerzaustem Haar trat die Königin mit ihrem
Gemahl zur Tafel. Dreimal riefen beide laut: „Wehe über
Berchtung, er hat unser Kind gemordet!" Dann ließ der
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König den Waffenlosen fangen und fesseln. Berchtung sprach:
„Übel ergeht es mir um meinen Dienst. Um Treue muß
ich leiden, was mir nun geschieht. Doch bricht Hugdietrich
die Treue an mir, will ich sie drum an ihm nicht brechen.»
Mögen die Leute wähnen, ich habe meinen Herren erschlagen:
ich schweige."
Nach vier Monaten berief der König seine Mannen zum
Gericht über Berchtung. Als Richter setzte Hugdietrich den
ungetreuen Saben an seine Stelle und verlieh ihm als dem
königlichen Richter seine Krone. Auf Sabens Rat verbot er
all seinen Mannen, für Berchtung im Gericht zu sprechen
und einzutreten. Berchtung ward gebunden vor die Richter
geführt. Wieder schrieen sie Mord über ihn. Saben als des
Königs Vormund fragte ihn, ob er leugne oder bekenne. Er
erwiderte: „Weh, Geselle Saben, wenn ihr zum König geworden
seid, so gebt mir Gnade, denn ich bin unschuldig. Gebt mir
einen Mann, der als mein Friedeschild für mich spreche."
Doch keiner von allen Mannen wagte, für den Gebundenen
einzutreten. So stand er allein wie ein Heimatloser vor dem
Gerichte, und niemand wollte ihn anhören.
Da drang plötzlich Baltram, Berchtungs Verwandter, mit
hundert gewappneten Rittern durch die Rotte zu Berchtung
in den Ring. Dem hilfelosen Mann, der gleich einem Diebe
gebunden vor dem Richter stand, zerschnitt er die Bande
und schalt die Feigen, die ihm in der Not den Beistand weiger-
ten, schalt das ungerechte Königsgericht und Saben, den
treulosen Richter. Er verlangte, daß man im Zweikampf das
Gottesurteil sprechen lasse, und forderte Hugdietrich, den
Kläger und Saben auf, dem Beschrieenen mit dem Schwert
genugzutun. Heimlich fragte der König Saben, ob er sich
zum Zweikampf stellen wolle. Der aber schob den Kampf
dem Könige zu. Da fuhr Hugdietrich zornig auf: „Wo sind
nun deine Ratschläge? Ich hieß ihn das Kind töten, wie
könnte ich da seine Schuld im Gottesurteil erweisen." Zu
Berchtung aber sprach er: „Mir ist leid, daß ich dich in dieses
log
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Ungemach führte. Ich weiß nicht, ob du schuldig bist,
darum sollst du ledig aus dem Gerichte gehen. Was hülfe
es auch — das Kind ist doch verloren." Da rief Berchtung:
„Nein, es lebt und selbst die wilden Tiere schonten es." Und
er erzählte alles, was sich mit Wolfdietrich zugetragen hatte.
Der König aber sprach: „Zu Unrecht fing ich dich, und
selber bin ich schuldig an meinem Sohne, Saben riet es mir.
Nun räche es wie du willst."
Er überantwortete Berchtung den Verräter, damit er alle
Schandtaten an ihm räche und ihm die Todesart bestimme.
Da beweinten manche Saben um seiner Schöne willen, doch
wagte niemand, für ihn einzutreten. Sabens beredte Bitten
wußten auch Berchtungs edles Herz zu bewegen: und obwohl
die Königin ihn vor der Tücke des Verführers warnte, schenkte
Berchtung ihm das Leben, aber verbannte ihn aus dem Lande.
Berchtung zog heim nach Lilienport, seiner festen Burg.
Er holte seine sechzehn Söhne und Wolfdietrich und kehrte
mit ihnen an den Hof zurück. Da freute sich die Königin
des wiedergefundenen Sohnes, der Berchtungs Söhne an
Größe überragte, obwohl sie an Jahren weit älter waren.
Der König bat den treuen Berchtung, Wolfdietrich weiter mit
seinen Söhnen aufzuziehen, da er an ihm schon so viel Treue
bewiesen habe, und sprach zu ihm: „Gern gäbe ich ihm sein
Erbteil an Land und Burgen, doch verschwor ich es, als seine
Mutter einst sprach, er sei stark genug, sich selbst ein König-
reich zu erfechten. Den Eid darf ich nicht brechen. Doch
nimm von mir Harnisch, Schwert und Roß und gib sie ihm,
wenn er zu Jahren kommt und nach Streit verlangt. Geben
ihm dann seine Brüder nicht sein rechtes Drittel, so nimmt
er es, und wehren sie es ihm, so nimmt er auch noch ihre
Drittel. Hilf du ihm zu seinem Rechte." Berchtung ver-
sprach es und gab dem landlosen Königssohne, wenn er zum
Manne erwüchse, sich selbst und seine sechzehn Söhne zu
Gefolgsmannen. Dann nahm er ihn mit sich heim auf seine
Burg.
HO
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Nicht lange danach starb Hugdietrich. Kaum war er ver-
schieden, so warb der schöne Saben wieder um die Gunst
der Königin. Berchtung widerriet ihr zornig, ihn zu Gnaden
aufzunehmen, denn er werde sie, ihre Kinder und ihre Ge-
treuen verderben. Dennoch ließ sich die Königin von dem
Falschen umgarnen, schenkte ihm wieder ihre Huld und gab
seinem bösen Rat Gehör. Berchtung, der das Unheil nahen
sah, bereute bitter, den Verräter geschont zu haben. Bevor
er noch das Erbe ordnen konnte, wurde er vom Hofe ver-
bannt, und Saben ergriff die Vormundschaft. Bald beredete er
die jungen Könige, Wolfdietrich sei ihr Bruder nicht. „Eure
Mutter aber", sprach er, „trachtet Tag und Nacht, euch zu
verderben. Verstoßt sie und nehmt ihr das Erbe, das ihr der
König ließ. Ein Kebskind hat sie geboren und eures Vaters
Ehe zerstört." So wurden bald auch die Königin und Wolf-
dietrich verstoßen. Die jungen Könige schalten ihre Mutter
eine Metze, Wolfdietrich ein Kebskind und nahmen ihnen
Erbe und Land. Nichts ließen sie der königlichen Mutter als
Roß und Gewand, so arm und beraubt ritt sie zu Berchtung
nach Lilienport.
Unmutig empfing Berchtung die wankelmütige Königin,
doch erbarmte er sich der Verlassenen und nahm sie bei sich
auf. Von ihr erfuhr Wolfdietrich, wie treu Berchtung ihn
in seiner frühen Jugend behütet habe. Da kniete er vor seinem
alten Meister, küßte ihm die Hände und sprach: „Gott vergelte
dir. Fürst von Meran, was du an mir tatest: dir verdanke ich
Ehre und Leben, darum gebe ich mich in deine Huld. Saben
aber soll mir entgelten, daß er mich und meine Mutter ver-
stoßen hat. Mein Erbteil will ich selbst gewinnen."
Mit seinen Söhnen und all seinen Mannen versprach Berch-
tung ihm beizustehen. Von Lilienport zog Wolfdietrich mit
seinem Heer nach Reims, und während das Heer verborgen
vor der Stadt lagerte, begaben sich Wolfdietrich und Berchtung
zu den Königen. Da forderte der Alte mit kühnem Wort
Wolfdietrichs Erbteil. Doch die Könige schalten ihren Bruder
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ein Kebskind und versagten ihm sein Teil. Als sie aber den
alten Berchtung beschimpften und bedrohten, rief Wolf-
dietrich: „Wer meinen Meister berührt, muß von meinem
Schwerte fallen, oder ich will nicht leben." Nach solchem
Wort wichen die Brüder aus der Tür des Saales, um sich zu
rüsten, denn sie wollten ihren Bruder verderben. Während
aber Wolfdietrich die Tür hütete, daß keiner den Saal beträte,
eilte Berchtung hinaus, setzte ein goldrotes Horn an den
Mund und rief mit seinem Schalle seine Söhne und Mannen
herbei. Da erhob sich in der Burg Kampf getöse, und einen
langen Tag wurde gestritten. Am Abend waren alle Mannen
Berchtungs erschlagen, nur er selbst und seine Söhne waren
noch am Leben. Da wollte Wolfdietrich das Feld räumen,
damit doch seine Getreuen gerettet würden. Berchtung aber
sprach: ,, Solange meine Söhne am Leben sind, weichen wir
nicht." Von neuem drangen sie auf die Feinde ein. Da
wurden sechs von Berchtungs Söhnen erschlagen. So oft
einer fiel, lächelte der Alte Wolfdietrich an und grüßte ihn
freundlich, damit er es nicht merke. Endlich wurde Wolf-
dietrich von den Seinen im Kampfe geschieden und geriet,
wie tapfer er auch kämpfte, in schwere Bedrängnis. Ehe
seine Gefolgschaft ihm zur Hilfe eilen konnte, empfing er
durch den Helm eine Wunde, so daß er niederfiel. Doch schon
sprang Berchtung über ihn, hob ihn auf, und während die
Söhne ihn deckten, eilte er mit dem Ohnmächtigen zu den
Pferden. Von vielen Feinden verfolgt, jagten Berchtung und
seine Söhne mit Wolfdietrich dem nahen Walde zu. So
kamen sie nach Lilienport.
Als Wolfdietrich aus seiner Wundnot erwachte, weinte der
junge Held vor Zorn und wollte sogleich wider die Feinde
reiten, um den Verräter Saben zu töten. Doch Berchtung ent-
hüllte ihm die Wahrheit: alle Recken, die er mit seinen Söhnen
in den Kampf geführt, waren erschlagen, von seinen sechzehn
Söhnen lagen sechs gefällt. So hatte Wolfdietrich keine
Recken mehr, als nur seine elf Getreuen. Jammer befiel ihn.
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Weinend beklagte er die toten BerchtungssÖhne. Der Alte
aber vergaß um seines Herren willen den Tod seiner Kinder.
Er sprach zu seinem klagenden Herrn: „Genug des Jammers!
Laß die Frauen um die Toten klagen."
Von Klagen über die Gefallenen hallte die Burg wider. Doch
zu seinem Weibe sprach Berchtung: „Vergiß der gefallenen
Söhne. Was wir zwei auch klagen mögen, das klagt Wolf-
dietrich allein. Tröste meinen Herrn! Wir müssen sorgen, daß er
unserer Söhne Tod vergesse. Ich ertrage seinen Jammer nicht."
Am fünften Morgen hob sich in der Burg großer Schall:
Tal und Berg rings um die Burg füllten sich mit den heran-
rückenden Feinden.
Den Versuch Sabens, Berchtung zum Verrat an seinem
Herrn zu bewegen, wies der Alte mit Hohn von sich. In
kühnen Ausfällen bewiesen die Belagerten ihren Mut. Die
Könige aber wichen nicht, sie hatten geschworen, das Feld
nicht zu räumen, bis die Burg gefallen sei. Schon bis ins
vierte Jahr hatte die Belagerung gewährt, der Hunger be-
drohte die Tapferen und es schmerzte Wolfdietrich sehr, daß
er mit seinen Mannen so elend umkommen sollte. Von
Sorgen war der Jüngling weise geworden. Er sprach zu
Berchtung: „Mit Untätigkeit erwirbt niemand ein Königreich.
Gehe es wie es wolle: ich will von dannen fahren. Statt
daß ich bei dir verderbe, will ich suchen, dich und deine Söhne
zu lösen, die ihr durch mich ins Mißgeschick gekommen seid.
Alle Lande will ich durchreiten, bis ich einen König finde,
der so stark ist, daß er mir wider meine Brüder zu meinem
Rechte verhelfe." Da der treue Berchtung des Jünglings
Willen nicht wenden konnte, riet er ihm, zu König Ortnid
in Lamparten zu reiten. Der sei so gewaltig, daß er Wolf-
dietrichs Brüder zu bestehen und seine Mannen zu lösen
vermöge. Denn er wußte noch nicht, daß König Ortnid dem
Drachen im Kampfe erlegen war.
Wolfdietrich rüstete zur Fahrt, und Berchtung gab ihm die
Waffen seines Vaters Hugdietrich: Helm und Brünne, sein
8 Wolter« u. Peterten, Heldensagen.
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gutes Schwert und Falke, sein Roß. Tief trauerten seine
elf Getreuen, als sie ihren Herrn scheiden sahen. Berchtung
sprach zu ihm: „Bedenke mein Alter, vergiß unser nicht auf
deinen Fahrten. Ich fürchte, daß du bei deiner Jugend von
Weibesliebe bestrickt werdest, dann achtest du alles gering,
und wir gehen zugrunde." — „Schlechtes Vertrauen hegst
du zu mir", sprach Wolfdietrich. „Gäbe mir einer das schönste
Weib und tausend Königreiche mit Land und Burgen: nimmer
will ich ein Weib gewinnen, ehe ich dich und deine Söhne
gelöst habe." Das Gelübde beschwor Wolfdietrich auf das
Schwert des Alten. Voll Herzeleid sahen ihn die Seinen
scheiden, als er auf Falke vom Hofe ritt.
Als er zu den feindlichen Wachen kam, fragte man ihn,
wer er wäre. Da nannte er sich einen Wächter vor der Burg
und sprach: „Seid auf der Hut, eben ward die Burg aufgetan.
Wolfdietrich will entrinnen mit seinen elf Getreuen." So ritt
er unerkannt durch die Feinde. Wer sich ihm aber ent-
gegenstellte, den legte er in den Staub. Bis an den Morgen
ritt er durch das Heer. Als die Feinde inne wurden, wer bei
Nacht ihre Mannen erschlagen habe, sprach Saben: „Läster-
lich haben wir gewacht, da uns Wolfdietrich entronnen ist.
Nun mag es doch geschehen, daß er sein Königreich gewinnt."
Wolfdietrich aber ritt die Straße gen Lamparten.
Berchtung und seine Söhne erkannten bald, daß sie sich in
der Burg nicht länger halten könnten. So beschlossen sie,
sich den Belagerern zu ergeben. Berchtung trat vor die
Könige. „Wo hast du deinen Herrn", fragten sie. „Er ist
von uns gegangen", antwortete der Alte. Da sprachen die
jungen Fürsten: „Willst du uns beiden Treue schwören und
dienen, wie du Wolfdietrich dientest, so sollst du Land und
Burgen behalten." — „Ich will euch schwören", sprach
Berchtung, „euch mit meinen Söhnen zu dienen wider alle
Welt. Kommt aber Wolfdietrich wieder, so wollen wir ohne
Schande unserer Eide ledig sein. Unserem lieben Herrn
brechen wir die Treue nicht." — „Ist das eure Bedingung",
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«
antworteten die Könige, „so seid ihr unsere Gefangenen."
Sie ließen die Berchtunge in Fesseln schließen und nach
Reims bringen. Dort mußten sie auf der Mauer bei Tag und
Nacht gezwungen Schildwacht halten.
Wolfdietrich ritt viele Tage durch wilden Wald und einsame
Wüste, ohne einen Menschen zu treffen. Wilde Tiere brachten
ihm Gefahr, und Hunger und Durst entkräfteten ihn und sein
Roß. Unbekannt waren ihm Steige und Straßen, doch er-
reichte er nach vielen Mühsalen und Abenteuern König
Ortnids Land. Da wurde er bald gewahr, daß das Land ohne
Friede war und daß keine starke Hand mit Macht und Recht
es schirme. Wem er auf den Straßen begegnete, der schien
ihm betrübt und voll Sorge. So ritt er, ohne jemanden zu
fragen und ohne von jemandem gefragt zu werden. Als er
endlich zur Nacht in einem finstern Walde von seiner Wan-
derung erschöpft einen rodenden Bauern fand, bat er ihn
um Speise und Behausung. Der führte ihn in seine Hütte,
und auf Wolfdietrichs Befragen, wie Ortnids Land in solche
Not geraten sei, erzählte der Bauer ihm die traurige Mär.
Als König Ortnid an der Seite seiner Gemahlin Liebgart
glücklich zu Garten herrschte, begann einst ein schrecklicher
Drache das Land zu verheeren. Menschen und Tiere fielen
dem Ungetüm zum Opfer, so daß kaum einer wagte, den
Acker zu bestellen, die Wiesen zu mähen oder dem Wilde
nachzugehen, und die Straßen wurden öde und verlassen.
Bis vor die Burg zu Garten dehnte der Drache seine Raubzüge
aus. Ortnid erkannte, daß nur er das Land von dem Gewürm
reinigen könne, denn niemand wagte, den Kampf mit ihm auf-
zunehmen, und er gelobte, das Land vom Drachen zu erlösen.
Niemandem als der Königin enthüllte er seinen Plan. Sie
wurde von großem Schmerz ergriffen, als sie hörte, in welche
Gefahr ihr Herr sich stürzen wollte, und flehte ihn an zu bleiben.
Ortnid aber sprach: „Sippenlos muß ich dich zurücklassen,
niemandem kann ich dich befehlen, als Gott. Nun zeige deinen
Schmerz nicht, damit man meinen Plan nicht merke, denn
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niemand als du darf ihn wissen." Liebgart sagte ihm ihre
Ahnung, daß die Reise schlimm enden müsse: „Mit allzu
großem Eifer strebst du nach deinem Tode." Doch der König
blieb fest. „Sollte ich dem Wurme erliegen, wird einer mich
rächen mit meinem Schwert. Gib mir deinen Fingerring,
wer ihn dir wiederbringt, dem glaube, daß ich tot bin. Er
allein ist deiner würdig. Versprich mir, keinen anderen zum
Gatten zu nehmen, als der den Wurm erschlug."
Voll Kampfzorn hüllte sich Ortnid in sein Sturmgewand
und umgürtete sich mit seinem Schwerte Rose, das einst
Alberich geschmiedet hatte, er rief seinem treuen Bracken,
schwang sich auf sein Roß und ritt aus der Burg. Er ritt
den ganzen Tag und die folgende Nacht, ohne den Wurm
zu finden. Im Morgenlicht kam er auf einen Anger, der von
Rosen überblüht war. Müde und ohne Nahrung legte er sich
unter eine grüne Linde, um eine Weile zu ruhen. Da be-
zwang ihn der duftschwere Zauberbaum, sein Haupt sank
auf den grünen Anger, und er fiel in tiefen Schlaf. Der Bracke
aber legte sich wachend in seinen Schoß.
Während er schlummerte, brach der Drache durch das
dichte Laub. Der Bracke erhob seine Stimme, biß dem
Schläfer in die Brünne und mühte sich, ihn zu wecken. Ortnid
aber schlief fest. Da strich der Wurm heran, ergriff ihn mit
seinem ungeheuren Maul und trug ihn schnell in seine Felsen-
höhle zu seinen gefräßigen Jungen. Die Festigkeit seiner
Brünne hinderte sie, ihn zu zerfleischen, darum saugten sie
ihn durch die Panzerringe. So verlor König Ortnid sein Leben.
Der Bracke war dem Drachen bis zur Höhle gefolgt, und
als er gesehen, wohin der Wurm seinen Herrn trug, schnell
heimgelaufen. Als die Königin den Hund kommen sah,
dachte sie: „Nun ist mein Herr erschlagen ." Sie verkündete
den Edlen auf der Burg, wohin der König geritten sei: die
klagten um ihren erschlagenen Herrn, doch niemand wagte
den Kampfplatz aufzusuchen. Nur ein Knecht folgte dem
Hunde, der nicht abließ, die Mannen am Rocke zu zerren,
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um sie auf die rechte Spur zu führen. Der fand die Höhle,
in die des Untiers blutige Spuren führten. Er wandte sich
voll Schrecken und brachte die böse Mär zurück, daß sein
Herr vom Drachen getötet sei.
Bis ins dritte Jahr lebte die Königin in Trauer und Leid,
und wie sehr die Edlen sie auch bedrängten, daß sie sich von
neuem vermähle und dem Lande einen Herrn und Schirmer
gäbe — sie weigerte sich stets, einem anderen als dem Rächer
Ortnids, dem Töter des Drachen, die Hand zu geben. Endlich
verstießen die Großen des Reiches die Königin. Zwar blieb
sie auf der Burg, doch nahm man ihr die Schlüssel zu Ortnids
Schatzkammer und gab ihr kaum den ärmlichsten Unterhalt,
sie mußte selbst mit den Mägden ihre Kleider wirken und mit
ihren weißen Händen grobe Arbeit tun. Land und Volk
aber gerieten in schwere Trübsal, da niemand sie schirmte:
keiner der Großen wagte sich an den verheerenden Drachen.
Nur Graf Wildung wollte gern Liebgar ts Hand gewinnen und
rühmte sich oft, den Drachen bestehen zu wollen. Doch war
ihm der Sommer zu heiß und der Winter zu kalt zum Kampfe.
So erzählte der Bauer. Dann geleitete er Wolfdietrich auf
sein Begehren noch den Abend auf den Weg nach Garten.
Der führte ihn zu Ortnids Burg, noch in finsterer Nacht ge-
langte er hin, und als er am Rande des Grabens von seinem
Rosse gestiegen war, hörte er oben auf der Mauer den treuen
Wächter und die Königin um Ortnids Tod klagen. Die
Königin sprach: „Aller Freuden bin ich bar, seit ich von
meinem Herrn geschieden bin. Sippenlos, von den Edlen
des Reiches bedrängt und aller meiner Lande und Schätze
beraubt, muß ich mühselig mein Leben fristen. Grafen und
Vasallen dienen mir nicht mehr, ich Freundlose bin vom Erbe
gestoßen. Nur Weinen und Seufzen ziemt mir, seit ich Ortnid,
meinen liebsten Freund, verloren habe." Diese Klagen be-
wegten Wolfdietrichs Herz. Er beschloß, der Königin zu
helfen, und um seine Stärke zu erkennen zu geben, ergriff er
einen fuderschweren Stein, der im Burggraben lag, und schleu-
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derte ihn mit Wucht gegen die Mauer, daß die ganze Burg
schlitterte. Der Block rollte dem Wächter vor die Füße, und
vor Schreck stürzte die Königin nieder. „Niemand lebt",
sprach sie, „der diesen Stein hätte schleudern können, als
Ortnid, mein Herr. Der hatte die Stärke von zwölf Männern.
Wenn du zurückgekehrt bist, Ortnid", rief sie hinab, „so
scheide mich von meinem Jammer. Versuche mich nicht
länger. Deiner Untertanen einer fordert mich zum Weibe,
niemand ist, der mich berät. Nun denke meiner Liebe. Ant-
worte mir Ortnid, wenn du es warst, der den großen Block
schleuderte." Da antwortete Wolfdietrich: „Ich bin nicht
euer Herr, sondern ein heimatlos irrender und von seinem
Erbe vertriebener Mann. Nichts besitze ich als Schild, Speer
und Roß. Den Stein aber schleuderte ich, damit ihr meine
Kraft ermesset." — „Heimatloser", sprach die Königin,
„wer hat euch in dies Land gesandt oder welch Abenteuer
führte euch her?" — „Durch manches Abenteuer bin ich
hergekommen", antwortete Wolfdietrich, „nun aber, da ich
eure Klage vernahm, will ich euch an dem Wurme rächen
oder ich will gleich Ortnid untergehen." — „Tut es nicht",
sprach Liebgart, „zu groß ist die Gefahr. Womit hätte ich
verdient, daß ihr um meinetwillen euer Leben wagtet. Wollt
ihr euch aber nicht halten lassen, so verspreche ich euch
meine Lande und mich selbst, wenn ihr siegreich zurück-
kehrt." — „Ich räche Ortnid an dem Drachen oder kehre nie
zurück", rief Wolfdietrich. — „So nennt mir doch euren
Namen", bat die Königin. „Nein", antwortete der Held,
„ich muß nun im Tann sterben oder kehre heil zurück."
Gewappnet schwang er sich ohne Stegreif in den Sattel und
spornte sein Roß, das in mächtigem Sprunge davoneilte.
Im Walde fand Wolfdietrich rings Zerstörung und Leichen,
die Spuren des verderblichen Wurmes. Gegen Morgen kam
er durch das Gefälle einer Steinwand zu dem rosenüber-
blühten Grund und legte sich dort unter die grüne blühende
Linde nieder. Da überfiel auch ihn der Schlaf, er bedeckte
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sich mit dem Schilde, und sein Haupt sank auf den grünen
Anger. Bald kam der Drache durch das Holz gefahren.
Wolfdietrichs Roß aber zerriß den Zaum, lief das Untier an
und trieb es von seinem Herrn zurück. Dann schlug es mit
dem Hufe auf den Schild, unter dem der Held schlummerte,
und weckte ihn so. Als Wolfdietrich sah, daß der Wurm
dagewesen sei, schwang er sich auf das Roß und ritt seiner
ungefügen Spur voll Kampflust nach. Er kam zu dem Felsen-
loch, worin der Wurm hauste, und rief: „Böser Wurm, nun
wehre dich, denn hier kam der dich bestehen und dir deine
Untaten vergelten will." Der Wurm aber war nicht in seiner
Höhle, sondern suchte Atzung für seine fünf Jungen. In den
Wald zurückreitend, hörte Wolfdietrich sein Schnauben und
sah, wie er eben aus dem dichten Holz in eine Lichtung brach.
Mit eingelegter Lanze rannte er den Wurm an, doch zer-
splitterte der Schaft in tausend Stücke. Er sprang vom
Roß und griff zum Schwerte und hieb damit auf das Haupt
des Drachen, daß ein Feuernebel daraus fuhr, doch wollte
das Schwert nicht in die Hornhaut beißen, die hart und licht
wie Glas war und über eine Spanne dick. Bis zum Abend
bekämpfte er das Untier vergebens, endlich, als er auf dem
schuppigen Rücken stehend mit beiden Händen zu gewaltigem
Schlage ausholte, zersprang ihm das Schwert in drei Stücke.
Da rief er: „Nun berate mir Gott meine elf Getreuen! Lieb-
gart, ich kann dich nicht rächen und dein Reich erwerben. "
Noch kämpfte Falke, sein Roß, mit den Hufen gegen das
Untier, bis seine Kraft erlahmte. Bald schleuderte der Wurm
es zur Erde, daß es tot liegenblieb. Wolfdietrich wollte ent-
eilen, um sich ins Dickicht zu retten. Aber der Wurm faßte
ihn mit dem Schwänze, nahm das tote Pferd ins Maul und
trug beide eilends zu seiner Höhle, wo er sie seinen gierig
aufheulenden Jungen vorwarf. Die fanden aber an dem ge-
panzerten Ritter keine verwundbare Stelle, denn ihn schützte
die Dichtigkeit der väterlichen Brünne, und taten sich an
dem Pferde gütlich.
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Als der Drache eingeschlafen war, erhob sich Wolfdietrich
leise und tastete in der Höhle umher. Da fand er Rose,
König Ortnids Schwert, in glänzender Scheide, und bald auch
Helm und Brünne, darin Ortnids Gebeine noch verschlossen
waren. Er erprobte des Schwertes Festigkeit am Felsen,
daß leuchtende Funken die Höhle erhellten, und es hielt.
Da fiel Wolfdietrich die schlafenden Drachen an: Wildes
Getümmel erscholl in der Höhle, doch Rose durchschnitt der
Drachen Panzer. In schwerem Ringen, das bis zum Morgen
währte, besiegte der Held den alten Wurm und danach auch
die Jungen. Nach dem Kampfe schnitt er den toten Unge-
tümen die Zungen heraus und steckte sie zu sich. Dann
trug er Ortnids Gebeine aus der Höhle und bestattete den
Helden in seiner Rüstung. Bei dem Schilde des Königs fand
er das goldene Ringelein, das einst die Königin beim Abschied
ihrem Herrn gegeben hatte. Das nahm er zu sich, häufte
dem König ein Grabmal und ging davon.
Von dem furchtbaren Kampfe erschöpft schlief Wolfdietrich
im Walde ein und lag drei Tage wie ein Toter. Während-
dessen hatte sich in Garten die Mär verbreitet, daß ein fremder
Ritter ausgegangen sei, den Drachen zu bestehen und Lieb-
garts Hand zu gewinnen. Da hatte sich Graf Wildung end-
lich aufgemacht, um selbst das Abenteuer zu versuchen.
Er fand aber im Walde die Ungetüme schon erschlagen, hieb
noch gewaltig auf die toten Leiber ein, daß der Wald erdröhnte,
und schnitt ihnen die Köpfe ab. Dann kehrte er nach Garten
heim und brüstete sich, die Ungeheuer erschlagen zu haben.
Da rühmte ihn alles Volk, und die Großen mußten ihm auf
sein Verlangen Liebgart zum Weibe geben.
Mit großem Gepränge wurde die Hochzeit gerüstet, Liebgart
aber war voll Trauer, daß sie dem eitlen Wildung Hand und
Krone geben sollte. Denn sie traute seinen Worten nicht.
Am Abend des Hochzeitfestes kam Wolfdietrich aus dem
Walde nach Garten. Er sah die Burg von Lichtern festlich
schimmern, und auf seine Frage erzählten ihm die Leute voll
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Jubel, daß die Königin sich heute Graf Wildung, dem Drachen-
töter, vermähle. Das erzürnte Wolfdietrich, und er beschloß,
den Lügner zu entlarven. Er schritt zur Halle, in der die
Königin mit dem verräterischen Grafen beim festlichen Mahle
saß. Doch setzte er sich gleich einem Fahrenden zu den
Spielleuten nahe der Tür. Dem hochragenden fremden
Ankömmling sandte die Königin einen Becher Weins. Wolf-
dietrich trank ihn und ließ dann heimlich Ortnids Ring hinein-
fallen. Als die Fürstin den Ring im Becher fand, erkannte
sie ihn sogleich und gedachte der Worte, die Ortnid beim Ab-
schied zu ihr gesprochen hatte. Sie ließ Wolfdrietrich zu
sich rufen und fragte ihn, wer ihm den Ring gegeben habe.
„Den gab mir einer im Walde", sprach der Held, „der
nannte sich Wolfdietrich." — „Wohl hörte ich von Wolf-
dietrich und seinen elf Getreuen'*, sprach die Königin, „doch
nie, daß er in unser Land gekommen sei." — „Ihr vernahmt seine
Stimme", erwiderte der Fremdling, „als ihr auf der Mauer
euer Leid klagtet und sein Wurf euch glauben machte, Ortnid
sei wiedergekehrt." — „Nun sagt mir, kühner Held", rief da die
Königin, „seid ihr Wolfdietrich? Bei der Treue eurer elf
Gefährten frage ich euch!" „Ihr sollt nicht länger fragen",
erwiderte er, „ich bin Wolfdietrich und habe eures Herrn
Tod mit eures Herrn Schwerte gerächt. Ich erschlug den
Drachen und seine Brut." Da erhob sich großer Lärm im
Saale. Graf Wildung sprang auf und hieß den Fremdling
fangen. Frau Liebgart aber sprach: „Wenn ihr den Drachen
tötetet, so zeigt die Wahrzeichen eurer Tat. Seht hier die
Drachenhäupter, die Graf Wildung als die seinen brachte."
Da riß der Held den Häuptern die Mäuler auf und rief: „Herbei
ihr Frauen und edlen Herren! Wo saht ihr je ein Haupt
ohne Zunge?" Er zog die Zungen hervor, wies sie den Stau-
nenden und erzählte ihnen den furchtbaren Drachenkampf
mit Ortnids Schwert. Da erkannten alle die Wahrheit seiner
Worte und jubelten ihm zu. Wildung aber ward gefangen
und das Haupt ihm abgeschlagen.
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Liebgart war voll Freude, erwählte den Rächer ihres Herrn
zu ihrem Gemahl und übergab ihm Burg und Reich. Wolf-
dietrich vermählte sich mit Liebgart. Aber er berührte sie
nicht, denn immer gedachte er in großer Sorge seiner elf
Gefolgsmannen und wollte weder Reich noch Weib behalten,
ehe er seine Treuen aus Feindeshaft befreit hätte. Er be-
schloß, sie zu lösen oder Reich und Weib nie wiederzusehen.
Gern hätte ihn Liebgart zurückgehalten. „Was willst du
dich um elf Dienstmannen sorgen ?" sprach sie. „Ich gebe
dir für jeden von ihnen elftausend." Doch Wolfdietrich er-
widerte: „Wären alle Königreiche dein eigen, ich nähme sie
nicht für einen meiner treuen Mannen, die nun so lange
unerlöst schmachten."
Mit zahlreichem Heer brach der Held nach Reims auf.
Vor der Stadt verbarg er es in einem Walde. Er selbst aber
ging allein in die Stadt, um seine Getreuen zu suchen. Auf
seinen Hornruf sollte ihm sein Heer zu Hilfe eilen.
Abends kam er an den Burggraben. Während er sich
unter der Mauer barg, hörte er seine Mannen ihr schweres
Geschick beklagen und den Himmel anflehen, daß er ihren
Herrn Wolfdietrich schütze und ihnen zur Rettung sende.
Da rief Wolfdietrich hinauf: „Ihr Wächter auf der Mauer,
was gebt ihr dem der euch Wolfdietrich heil und gesund
zeigt?" Voll Freude riefen die Mannen: „Woher kommt ihr
und wo habt ihr ihn gesehen?" — „Wolfdietrich herrscht als
gewaltiger König über ein weites Reich, Land und Leute sind
ihm Untertan", antwortete er. Da klagten die Mannen, daß
sie nichts hätten, womit sie dem Boten lohnen könnten:
„Große Not leiden wir. Zu zwei und zweien sind wir zusammen-
geschmiedet. Zu zweien gibt man uns ein halbes Brot und
einen Trunk Wasser für jeden Tag." Wolfdietrich sprach:
„Euch bittet ein irrender Recke um ein Viertel Brot. Weither
bin ich gewandert, und mich bedrängt der Hunger." Ihm
erwiderte Herbrand, einer der Mannen: „Verspräche mir einer,
mir Vater und Mutter vom Tode zu erwecken, ich gäbe ihm
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darum nicht von meinem kargen Brot. Doch um einer Seele
willen wollen wir es dir geben: das ist Wolfdietrich, unser
Herr." Da warfen sie ihm das Brot über die Mauer hinab.
Doch fing er es nicht. Vor Schmerz über die Leiden seiner
Mannen und von ihrer Treue erschüttert fiel er wie tot hin.
Bald aber ermannte er sich und rief: „Ihr Wächter auf der
Mauer, seid guten Mutes, bald kommt der getreue Wolf-
dietrich." Als sie aber traurig wurden und zweifelten, ob
er noch lebe oder sie lebend träfe, rief er hinauf: „Ich bin
Wolfdietrich, euer getreuer Herr!" Da reckten die Mannen
ihre Hände gen Himmel, und im Eifer, ihren lange ersehnten
Herrn zu umarmen, zerbrachen sie ihre Bande, sprangen
über die Mauer in den tiefen Burggraben und kannten ihrer
Freude kein Maß. Wolfdietrich aber sprach, nachdem er
sie alle geküßt hatte: „Wo ist mein Meister Berchtung? Ich
sehe ihn nicht." — „Ach lieber Herr", erwiderten sie, „der
ist schon lange tot." Weinend fragte Wolfdietrich: „Wo
habt ihr ihn begraben?" Sie führten ihn hin, wo der Alte
ruhte, er grub seine Hand in die Erde des Hügels, als ob er
des Meisters Hand noch fassen könnte, und klagte, daß er
den treuesten Mann nicht lebend wiedersähe.
Als es ruchbar wurde, daß die Wächter von der Mauer
entronnen und Wolf dietrich ins Land gekommen sei, sammelte
sich in der Stadt eine große Schar, den Ankömmling zu be-
stehen. Er allein (denn die zehn Mannen waren waffenlos)
fällte ihrer viele und düngte die Heide mit Toten. Die Berch-
tunge nahmen der Gefallenen Waffen und standen ihrem
Herrn bei. Als aber Wolfdietrichs Bruder mit einem neuen
Heer geritten kam und sie in arge Not gerieten, setzte Wolf-
dietrich sein Horn an den Mund und rief sein Heer herbei.
Das überwand bald der Könige Mannen. Sie selbst nahm
Wolfdietrich gefangen und eroberte das ganze Reich. Der
schöne Saben aber war zu den Hunnen geflohen. Land und
Leute verlieh der Held seinen zehn Getreuen. Dann kehrte er
nach Garten zurück und herrschte mit Liebgart über Lamparten.
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IL ALAMA NN EN
14. WALTHARI UND HILTIGUND
Attila, der König des mächtigen und tapferen Hunnenvolkes,
.zog einst mit gewaltigem Heer gegen die Länder am Rhein,
um sie zu unterwerfen und sich zinsbar zu machen. Zu
Worms auf dem Thron der Burgundenkönige saß König
Gibicho. Als das drohende Heer heranzog, beschloß er, dem
Kampfe mit einem so mächtigen Gegner Unterwerfung und
Bündnis vorzuziehen und bot dem Hunnenkönig Geiseln und
Zins. Nicht lange zuvor war ihm ein Sohn namens Gunthari
geboren worden, der war noch zu jung, um als Geisel zu den
Hunnen gesandt zu werden. Darum mußte Hagano, ein Knabe
aus edelstem Burgundengeschlecht, dem Überwinder folgen.
Weiter zog die Hunnenmacht nach Westen und kam in das
Land des Königs Hererich. Als der vernahm, daß die Wormser
den Frieden gewählt hätten, verschmähte auch er den Kampf,
denn schreckenerregend war der Schwärm der hunnischen
Rosse, unter deren Stampfen die Erde erseufzte, und das
Dröhnen der Schilde, das die Luft erschütterte, und der eiserne
Wald der Speere, der über die Gemarken schimmerte. Darum
gab Hererich dem Attila seine Tochter Hiltigund als Geisel,
versprach, ihm Zins zu geben, und schloß ein Bündnis mit ihm.
Attila war es wohlzufrieden und sprach: „Lieber sind mir
Verträge als blutige Schlachten. Im Frieden will der Hunne
herrschen und nur wider die Empörer die Waffen führen."
Wieder zog das Heer westwärts. Über die Westgoten in
Aquitanien herrschte damals König Alphari. Ihm erwuchs
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in schimmernder Jugendblüte ein Sohn, der Walthari hieß.
Schon früh hatten sich die Könige Hererich und Alphari gelobt,
einst ihre Kinder einander zu vermählen. Als nun der Goten -
könig vernahm, wie die Burgunden und Franken den Kampf
verschmäht hätten, wählte auch er das Bündnis mit dem mäch-
tigen Feinde, gab Zins und als Geisel seinen Sohn Walthari.
Daheim in seiner Burg nahm sich Attila der vergeiselten
Knaben und Ospirin, sein Weib, der jungen Hiltigund voll
Liebe an, und alle drei wurden wie die eignen Kinder des
Herrscherpaares gehalten. Unter den Augen des Königs er-
lernten Hagano und Walthari die Kunst der Waffen, und
bald überragten sie alle Hunnen an Kraft und Mut. Attila
machte sie zu Heerführern, und sie zeichneten sich durch
solche herrlichen Siege aus, daß sie die höchste Gunst des
Herrschers erwarben. Auch Hiltigund wußte die Liebe der
Königin zu erringen, der königliche Schatz wurde ihrer Hut
anvertraut, und bald war sie so mächtig am Hofe, daß jedem
ihrer Wünsche Erfüllung ward.
Unterdessen war Gibicho gestorben, Gunthari, sein Sohn,
löste sogleich das Bündnis mit den Hunnen und weigerte den
Zins. Als Hagano davon Kunde erhielt, entfloh er von Attilas
Hof in die Heimat.
Die Königin voll Sorge, es möge auch Walthari, die Säule
des Hunnenheeres, entfliehen, riet Attila, den Gotenhelden
durch die Hand einer Hunnenfürstin und reiche Güter zu
fesseln, doch Walthari sprach auf des Königs Antrag hin:
„Nähme ich ein Weib, so würde ich lässiger, König, in deinem
Dienst durch die Sorge um Mehrung meiner Güter und die
Liebe zu meinem Weibe. Nur wenn ich unvermählt bleibe,
bin ich zu jeder Stunde zu deinem Dienst bereit und keine
Sorge um Weib noch Kind schwächt mich im Kampfe."
Solche Worte schwichtigten die Bedenken des Königs.
Bald darauf brach Krieg mit abtrünnigen Völkern aus, und
Walthari wurde von Attila ausersehen, das Hunnenheer zu
führen. In mächtiger Reiterschlacht errang seine Tapferkeit
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und Stärke den Sieg, und festlich geschmückt kehrte das
Hunnenheer in die Heimat zurück.
Gleich begab sich der Sieger in Attilas Gemach, doch fand
er dort nur Hiltigund einsam sitzen. Sie reichte dem Kampf-
müden auf seine Bitten einen Trunk: er ergriff den Becher,
hielt aber ihre Hand umschlossen, und während er trank,
blickte sie ihm stumm ins Antlitz. Beide wußten, daß einst
ihre Väter sie einander bestimmt hatten. Nun gab Walthari
ihr die leere Schale zurück und sprach: „Schon lange erdulden
wir zusammen das Elend der Fremde — warum sprachen
wir nie vom Lose, das unsere Väter einst für uns bestimmten?"'
Und die Jungfrau erwiderte: „Ist dir Ernst, was du geredet,
so höre, wie ich gesinnt bin. ] Wozu du, mein Herr, mich
auch rufst, immer will ich dir folgen, und nichts soll mir
lieber sein als dein Wille." — „So laß uns fliehen", sprach
Walthari, „ich will die Landfremde nicht länger ertragen. |
Längst hätte ich den Plan vollführt, schmerzte es mich nicht,
dich allein zurückzulassen." Gern war die Maid zur Flucht
bereit. Da befahl Walthari ihr heimlich: „Da du des Schatzes
Hüterin bist, so höre: Nimm daraus vor allem des Königs
Hehn und die Rüstung, die dreifach geflochtene, Wielands
Gewirk, die der Meister der Schmiede mit Hammer und
Zange zeichnete. Dann nimm zwei Schreine von mäßiger
Größe und fülle sie mit Spangen, bis du jeden nur mühsam
heben kannst. Des Goldes werden wir bedürfen, und mehr
als das sandten unsere Väter den Hunnen als Zins. Dann
verfertige mir vier Paar Schuhe und dir die nämliche Zahl
und sorge für gebogene Angelhaken, denn Fische und Vögel
müssen unterwegs unsere Nahrung sein. Nach sieben Tagen
will ich dem König und seinen Mannen ein Mahl rüsten,
und wenn alle trunken sind, wollen wir gen Westen eilen."
Zur festgesetzten Zeit lud Walthari den König und seine
Mannen zum Mahle. Er führte ihn in der teppichbehangenen
Halle zum Hochsitz, der Herrscher wählte sich zwei Genossen
zur Rechten und Linken, dann wurden längs den Wänden
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die Gäste gereiht und die Tische, mit Speisen beladen, hinein-
gebracht. Goldenes Geschirr war ausgebreitet und süßer
Wein in Fülle lockte zum Trinken. Das Gelage begann, und
nicht lange währte es, bis wilder Rausch den König und alle
Gäste umfing. Endlich in tiefer Nacht waren alle zu Boden
gesunken, und leicht wäre es Walthari gewesen, das Haus
mit allen Mannen des Königs der Flamme preiszugeben. Nun
rief er die Jungfrau herbei, zog das herrlichste Roß aus dem
Stall, das Löwe genannt war, behängte es mit den Schatz-
truhen und gab Hiltigund die Zügel in die Hand. Er selbst
waffnete sich mit dem Helm und der Brünne, gürtete die
Linke mit dem gewaltigen Doppelschwert, die Rechte aber
mit dem kurzen Saxschwert, dann ergriff er den wuch-
tigen Speer und den Schild und entfloh der Geiselhaft. Die
Jungfrau führte das schätzebeladene Roß, in der Hand die
Haselrute haltend, deren der Fischer bedarf. Eilig zogen sie in
dunkler Nacht. Bei Tage aber bargen sie sich in der Tiefe
der Wälder. Sie mieden die Siedlungen und die bebauten
Gehege und suchten gewundene Pfade im wilden Waldgebirge.
Am nächsten Tage erwachten in Attilas Burg die Hunnen
aus tiefem Schlafe. Vergebens suchte man Walthari und
Hiltigund, und bald ward kund, daß beide entflohen waren.
Da überfiel Attila wilder Schmerz, trübe Sorge bewegte sein
Herz und verdunkelte sein Antlitz. Er mied Schlaf und
Speise, wortlos lag er Tag und Nacht. Doch endlich brach
Zorn und Grimm aus seinem Herzen, er berief seine Mannen
und sprach: „Wer mir Walthari in Fesseln brächte wie einen
erbärmlichen Wolfshund, den will ich mit lauterem Golde
bedecken, ihn, wenn er steht, von allen Seiten so mit Gold
belasten, daß ihm die Menge der Schätze gänzlich den Weg
versperren soll." Doch keiner der Mannen wollte den herr-
lichen Schatz erwerben, keiner wagte, Walthari, dem Un-
besiegten als Feind entgegenzutreten.
Schon vierzig Nächte waren Walthari und Hiltigund ge-
wandert, ihren Hunger mit Vögeln und Fischen stillend, die
127 ß
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Walthari fing. Da gelangten sie abends an den Rhein, nicht
weit von Worms, ließen sich von dem Fergen übersetzen,
bezahlten ihm den Fährlohn mit Fischen, die sie früher ge-
fangen hatten, und eilten weiter. Der Ferge aber brachte
die Fische nach Worms an den Hof König Guntharis. Als
sie ihm aufgetragen wurden, rief er verwundert aus: „Solche
Fische bergen die burgundischen Ströme nicht. Wer brachte
sie zum Verkaufe?" Der Ferge ward gerufen und sprach:
„Ich saß gestern abend am Ufer des Rheins. Da sah ich einen
Wandrer nahen, der war wie zum Kampfe an allen Gliedern
gerüstet, ganz war er in Erz gehüllt und trug den schimmern-
den Speer in der Hand. Heldenhaft war sein Gang. Ihm
folgte eine Jungfrau von unbeschreiblicher Schönheit, dicht
hing sie an seiner Ferse. Ein stolzes Roß führte sie am
Zügel, das trug auf dem Rücken zwei Schreine, und wenn
es den mächtigen Nacken schüttelte, so klang es in den Truhen,
wie wenn Gold und Edelgestein aneinander ertönen. Dieser
gab mir die Fische als Fährlohn."
Als Hagano, der bei dem Könige saß, diese Kunde vernahm,
rief er fröhlich aus: „Heil mir, daß ich dieses erfuhr: Walthari,
mein Blutsfreund, ist wiedergekehrt von den Hunnen." Doch
Gunthari rief voll übermütigen Stolzes: „Heil mir, daß ich
dieses erfahre, der Schatz, den Gibicho, mein Vater, dem
König im Osten sandte, kehrt heim von den Hunnen." Auf
sprang er, rief nach Roß und Waffen, wählte zwölf Mannen
aus seiner Gefolgschaft, durch Mut und Kraft berühmt, und be-
fahl Hagano, mit auszuziehen wider Walthari. Vergebens wider-
riet dieser, eingedenk seiner Treue gegen den Gesellen seiner
Geiselschaft, Guntharis Plan. Eilig, vom König getrieben,
zog die Schar hinaus, dem Wanderer den Schatz zu entreißen.
Denn allezeit lockte die Burgunder! das glänzende Gold.
Weiterziehend war Walthari in ein Waldgebirg gelangt,
das der Wasgenwald heißt. Tief und düster war der Forst
und barg viel wildes Getier. Dort ragen zwei Berggipfel dicht
aneinander empor und bilden eine enge und liebliche Schlucht.
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Von zartem Kraute ist der Boden rings bedeckt. Dorthin
lenkte Walthari die Schritte, um endlich nach so viel Tagen
mühevollen Wanderns die müden Glieder durch Schlummer
zu erquicken, denn keine andere Ruhe war ihm bisher ge-
worden als des auf den Schild gelehnten Wächters. Er ent-
ledigte sich der Waffen, legte das Haupt in den Schoß der
Jungfrau und sprach: „Blicke wachsam umher, Hiltigund,
und siehst du dunklen Staub sich erheben, so wecke mich
mit sanfter Berührung. Mag auch ein mächtiger Haufe nahen,
so wecke mich doch nicht jäh aus dem Schlaf. Denn weithin
können von hier deine leuchtenden Augen in die Ferne spähen/'
Dann schloß er die Augen und sank in tiefen Schlaf.
Kaum gewahrte Gunthari im Sand die Spuren der Heim-
wanderer, da trieb er die Seinen zu höchster Eile. Hagano
aber sprach: „Weniger würdest du zum Streite mit Walthari
eilen, hättest du wie ich ihn im Kampfe wüten gesehen.
Wer immer ihn zu bestehen wagte, sah bald das Tor der Hei.
Unüberwindlich ist der Held im Speerkampf." Doch keine
Warnung vermochte den Wahn des Betörten zu wenden.
Bald sah Hiltigund von ihrer Warte im aufwirbelnden
Staub die Nahenden. Mit sanfter Berührung weckte sie den
Schlummernden und sprach: „Fernher fährt eine Schar."
Walthari hob das Haupt, sah die Reiter nahen, schüttelte die
Müdigkeit von sich ab und legte die Waffen an. Als Hiltigund
die Speerspitzen leuchten sah, rief sie erschreckt: „Da kommen
die Hunnen!" Und sich zur Erde werfend, flehte sie Walthari
an: „Herr, ich beschwöre dich, schlage mir mit dem Schwerte
das Haupt ab, daß ich nicht von neuem schlimme Knecht-
schaft erdulde, und mich kein anderer Mann berühre, wenn ich
nicht dir gehören darf." Doch Walthari sprach: „Soll mich
unschuldig Blut beflecken? Und wie sollte mein Schwert
vermögen, die Feinde zu fällen, wenn es die treue Freundin
nicht schonte? Fern sei von mir, was du bittest. Verbanne
nur alle Trübsal, denn in manchem Kampf habe ich vordem
Helme und Brünnen zerhauen und Männer hauptlos vom
9 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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Rosse gestürzt: so werde ich auch diese Feinde bestehen.
Doch sieh", rief er, „nicht Hunnen sind es, die uns nahen,
sondern burgundische Nibelungen, die Herren dieses Landes."
Bald erkannte er auch Haganos Helm und sprach fröhlich
lachend: „Dort kommt auch Hagano, mein alter Gesell.
Das will ich geloben: keiner der Burgunden soll daheim seinem
Weibe melden, daß er ungestraft von meinem Schatze nahm."
Dann fuhr er, die Nahenden musternd, fort: „Keiner von
diesen schreckt mich, als nur Hagano, denn der kennt meine
Weise im Streit und weiß viel schlaue Listen. Kann ich
nur ihm entgehen, so bleib ich dir heil im Kampfe, Hiltigund."
Als aber Hagano den Recken am Eingang der schmalen
Schlucht wie in einem Felsentor geborgen stehen sah, warnte
er noch einmal seinen übermütigen Herrn: „Laß ab, diesen
Mann zum Kampfe zu reizen! Erst sende Boten, die nach
seiner Sippe, nach Herkunft und Ziel ihn fragen. Vielleicht,
daß er Frieden erbittet und ohne daß Blut fließt, den Schatz
uns laßt. Ist es Walthari, der dort drüben hält, so wird er
vielleicht eurer Königswürde weichen, denn als weise und
maßvoll kenne ich ihn."
Gunthari sandte einen seiner Mannen, Gamalo war sein
Name. Stürmisch sprengte er auf seinem Rosse gegen den
Harrenden heran und rief: „Sage mir Mann, wer du bist,
von wannen du kommst und welches das Ziel deines Weges
ist." — „Erst tu mir kund", erwiderte Walthari, „wer dich
sandte." — „Gunthari, der mächtige König des Landes, hieß
mich dich fragen", sprach Gamalo. „So wisse denn", ant-
wortete der Held, „Walthari bin ich genannt, und zu Aqui-
tanien ward ich geboren. Frühe wurde ich den Hunnen ver-
geiselt, nun kehre ich heim zu meiner Sippe." Darauf sprach
der Bote: „Durch mich befiehlt dir Gunthari: Gib die Schatz-
truhen heraus, dazu auch Mähre und Maid. Tust du so, ge-
währt er dir Leib und Leben." Zornig erwiderte Walthari:
„Nie vernahm ich so törichte Rede. Verspricht mir dein Herr
doch, was er nicht hat und nimmer besitzen wird. Ist er ein
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Gott, daß er mir das Leben gewährt? Rührte mich schon seine
Hand? Band mich schon seine Haft? Sind auf dem Rücken
mir schon die Hände gefesselt? Dennoch höre, wie ich ihn
bescheide: Erläßt er mir den Kampf, so gebe ich ihm hundert
goldgeschmiedete Spangen, seinem königlichen Namen zur
Ehre." Mit der Antwort eilte der Bote zurück. Wieder
mahnte Hagano den König: „Nimm den gebotenen Schatz,
dienen wird er dir, in der Halle die Mannen zu schmücken.
Aber meide den Kampf, denn du kennst nicht des Helden
Stärke. Schlimmer Traum ängstigte mich heute Nacht: du
rangst mit einem Bären, der riß dir den Schenkel ab, mir aber,
da ich dir zur Hilfe eilte, riß er ein Auge aus.*' Da rief der
König hochmütig aus: „Wahrlich, Hagano, du gleichst deinem
Vater. Auch er trug ein zages Herz in der Brust und weigerte
nach vielen Worten den Kampf." In gewaltigem Zorn ent-
brannte Hagano, als ihm sein Herr Feigheit vorwarf. „So zeigt
ihr euren Mut: dort steht er, den ihr sucht. Ich aber will von
ferne des Ausgangs erwarten. Teil am Raube begehre ich
nicht." Er ritt zum nahen Hügel, stieg vom Roß und schaute zu.
Wieder sandte Gunthari den Gamalo zu Walthari, den
ganzen Schatz zu fordern, oder wenn er es weigere, mit ihm
zu kämpfen. Schon von ferne rief der laut: „Auf, Freund,
willst du dein Leben wahren, so sende schnell dem Könige
den Schatz." Schweigend stand der Held, bis Gamalo heran
war, dann sprach er: „Hab ich denn dem König den Schatz
gestohlen, oder schädigte ich euer Land, daß er so großen
Wegzins von mir fordert? Dennoch will ich mit 200 Ringen
mir Frieden und Durchzug erkaufen." Da rief Gamalo:
„Gib das Verlangte, oder fahre zur Hei!" Fest faßte er den
Schild, schwang den klirrenden Speer, stemmte sich gewaltig
und warf. Doch leicht vermied Walthari die Waffe. Er
sprach: „Ans Werk denn, wenn es sein soll! Zugleich schleu-
derte er seinen Ger, der durchbohrte links den Schild des
Gegners, faßte auch seine Rechte, die eben das Schwert zog,
nagelte sie auf den Schenkel, den er durchdrang, den Reiter
9*
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auf dem Rosse festheftend. Bäumend suchte das Roß sich des
Reiters zu entledigen, ihn aber hielt der Ger. Darum ließ er den
Schild fahren und griff mit der Linken nach dem feindlichen
Speer, damit er die Rechte löse. Doch schon war Walthari
heran. Er durchbohrte den Schildentblößten und zog dann
den Speer zurück, so daß Roß und Reiter zusammenstürzten.
Skaramund, Gamalos Neffe, schaute voll Trauer den Fall.
Er sprach: „Sterben will ich, oder den teuren Gesippen rächen."
Allein sprengte er heran, denn nicht mehr als einem erlaubte
die Enge des Kampfplatzes zu nahen. Er rief dem uner-
schrockenen Helden zu: „Ich fordere keinen Schatz von dir, son-
dern das Leben des toten Verwandten." Walthari erwiderte:
„Überführe du mich, zu diesem Streite gereizt zu haben, so
möge dein Speer mich durchbohren." Schnell nacheinander
schleuderte Skaramund zwei Schäfte. Dem ersten wich der
Recke aus, den andern schüttelte er leicht vom Schilde. Gierig,
ihm mit dem Schwerte das Haupt zu spalten, sprengte der An-
greifer heran, doch zu nah an den Gegner riß ihn sein un-
bändiges Roß, so daß statt der Klinge der Schwertgriff seinen
Helm traf. Ehe er noch wenden konnte, traf ihn Waltharis
Speer unter das Kinn, und todwund sank er vom Pferde.
Dann trennte Walthari sein Haupt vom Rumpfe.
Sogleich trat ihm Werinhard entgegen, denn unablässig
reizte Gunthari seine Mannen zum Kampfe, damit Walthari
nicht Atem schöpfe und neue Kraft gewänne. Werinhard
verließ sich auf Bogen und Pfeile, fernher sandte er die Ge-
schosse, doch den Gegner schützte sein siebenfacher Schild, und
kein Pfeil vermochte ihm zu schaden. Als alle Pfeile vergebens
versendet waren, ritt Werinhard zum Schwertkampf näher.
„Herbei", rief Walthari, „lange warte ich auf Kampf nach
gleichem Recht." Mit sausendem Ger durchbohrte er die
Brust des Rosses; das schleuderte den Reiter zur Erde und
stürzte über ihn hin. Walthari eilte herbei, entwand ihm
das Schwert, riß ihm den Helm herunter und hieb ihm das
Haupt ab.
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Der nächste, den Gunthar i zum Kampfe reizte, hieß Egifrid.
Er war ein Sachse, hatte im Streit einen mächtigen Mann
erschlagen und war friedlos vor der Rache der Sippe aus dem
Lande geflohen. Auf rotbraunem Schecken ritt er einher.
Als der den Gegner kampfbereit stehen sah, rief er: ,,Sage
mir, ist auch berührbar dein Leib, oder trägst du nur luftig
Gebild, Unseliger? Ein Schrat scheinst du mir zu sein, wie
die Waldschluchten sie bergen." Lachend gab Walthari zur
Antwort: „Freund, dein Welsch verrät dich als Sprossen des
scherzliebenden Volkes. Doch spüre nur erst meinen Arm,
so wirst du daheim deinen Sachsen erzählen können, du
habest im Wasgenwald einen Waldschrat erblickt." — »»Ver-
suchen will ich, was du bist", rief Egifrid, und schleuderte den
wuchtigen Speer, doch der splitterte am Buckel des Schildes.
Walthari entsandte seinen Ger, rufend: „Dies Geschenk
schickt dir der Waldschrat zurück. Sieh, ob mein Geschoß
besser durchdringe." Zerspalten war der hölzerne Schild
samt der deckenden Stierhaut, durchschlagen die Brünne und
durchstoßen die Brust des Sachsen, tot sank er zu Boden.
Sein Roß trieb Walthari hinter sich auf die Weide.
Hadawart, der nächste, erbat sich übermütig von Gunthari
des Gegners Schild als Beute. Den Freunden gab er scheidend
den Speer, kühn wollte er allein seinem Schwerte vertrauen.
Schon sperrten die Leichen der Gefallenen den schmalen
Zugang zum Kampfplatz, so daß kein Roß hinüberkonnte.
Darum stieg er vom Pferde und nahte dem Gegner zu Fuß.
Der lobte den Franken, der zum Kampf mit gleichen Waffen
schreite. Doch zornig sprach Hadawart: „Du listige, trügerisch
schillernde Schlange, die du in der Ringhaut dich birgst und
ringelnd dich windest und einrollst, dem Lindwurm gleich!
Schamlos weichst du den runengeweihten Pfeilen aus und
entgehst unverwundet allen Geschossen! Willst du nun auch
durch List diesem Hiebe entgehen, den meine Rechte auf dich
führt? Leg ab deinen Schild, den bunten! Ihn gab mir der
König als Anteil der Beute, drum will ich ihn unbeschädigt.
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Fällst du mich aber, so bedenke, daß hier noch viele Genossen
harren, mich zu rächen. Darum wirst du nicht heil ent-
kommen, wenn du auch auf Schwingen des Vogels dich von
dannen höbest." Ruhig erwiderte Walthan: „Keine Er-
widerung ist deine Rede mir wert. Meinen Schild aber will
ich wohl verteidigen. Manche Wunde empfing er für mich,
auch heute sahst du, was er mir frommt. Müßte ich ihn
entbehren, sprächest du wohl mit Walthari nicht mehr."
Darauf Egifrid: „Gezwungen wirst du tun, was du jetzt noch
weigerst. Leg ab die Last, die du weite Wege von den Hunnen
hertrugst. Nicht deinen Schild allein, nein auch das Roß
und die Jungfrau und den Schatz gib mir heraus: so sollst
du die Meintat büßen, daß du vier Genossen mir erschlugst. "
Damit riß er das Schwert aus der Scheide, und der Kampf be-
gann. Von den Hieben hallte der Wald. Walthari, der bisher
ohne Ruhe gekämpft hatte, wehrte sich mit dem vertrauten
Ger. Gewaltig reckte sich der Wormser auf, mit einem
Hiebe den Streit zu enden, doch der Jüngling fing ihn auf
mit dem grauen Schaft, und aus der Hand fuhr dem Franken
die Klinge — fern im Gestrüpp schimmerte sie. Der Waffe
beraubt, wandte sich Hadawart zur Flucht, doch Alpharis
Sohn eilte ihm nach und rief: „Wohin eilst du? Nimm den
Schild doch mit!" Mit dem Speer schlug er den Fliehenden
nieder, er stürzte vornüber, und auf ihm dröhnte der Schild.
Walthari setzte ihm den Fuß auf den Hals und heftete ihn
mit der Lanze an die Erde — so endete der Prahler.
Als sechster stürmte Patafrid heran. Der war Haganos
Schwestersohn. Als dieser seinen liebsten Gesippen zum
Kampfe schreiten sah, rief er: „Wohin eilst du? Das Ende
des Fadens naht, den dir einst die Nomen webten. Laß ab,
du kannst dich mit Waltharis Kräften nicht messen. Denke
deines jungen Weibes, wem willst du sie lassen, der du des
Erben noch entbehrst?" Auch zu Walthari drang der mah-
nende Ruf seines Blutsbruders, und er sprach zu dem kampf-
gierigen Jüngling: „Höre meinen Rat, du herrlicher Held!
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Schone dich, laß ab, dich täuscht dein Vertrauen. Sieh, wie
viele schon dahin sind. Fällst du auch, so wirst du mir noch
mehr Feinde erwecken." Doch jener rief: „Was kümmert
dich, Wilder, mein Tod? ficht und schwatze nicht!*' Damit
entsandte er den knotigen Speer, doch mit dem Schaft lenkte
ihn Walthari zur Seite, daß er bis zu Hiltigunds Schlupf-
winkel flog und ihr zu Füßen in die Erde sauste. Noch ein-
mal mahnte der Held den Jüngling, abzulassen, der aber
stürmte zum Schwertkampf heran. In grimmiger Wut
knirschten Waltharis Zähne über des Feindes Torheit, die den
Blutsbund mit Hagano zerreißen mußte. Patafrid beugte sich
zu mächtigem Streiche vor, jener aber schmiegte sich duckend
unter dem bergenden Schild, und der Hieb ging ins Leere.
Vornüber stürzte der Wilde von der Wucht des Schwertes.
Gleichzeitig erhoben sich die Kämpfer wieder, Walthari stieß den
Speer in den Grund und zertrümmerte mit schnellen Hieben des
Gegners Schild und Brünne, daß er sterbend zu Boden sank.
Den Gefallenen schwor Gerwit zu rächen. Sein kühnes
Roß übersprang den Haufen der Leichen, der den schmalen
Pfad sperrte, und während Walthari noch beschäftigt war,
des Gefällten Haupt vom Rumpfe zu trennen, war Gerwit
schon heran und hieb mit der zweischneidigen Streitaxt nach
dem Haupt des Knienden. Schnell hielt ihm der den Schild
entgegen, sprang auf und griff nach dem vertrauten Schaft.
Lang und schwer war der Kampf, nur mit Mühe wehrte sich
der Held des kühnen Gegners, der auf dem Roß ihn umkreisend
den Ermüdeten zu täuschen suchte. Doch endlich gewann
der Bedrängte mit seiner längeren Waffe Raum gegen den
Axtschwinger, und während gewaltige Zornlast ihm immer
mehr die Seele beschwerte, ersah er den Augenblick, fuhr
mit dem Eisen unter des Gegners Schild und durchstieß ihm
die Weichen. Rücklings sank er vom Roß, und Walthari hieb
ihm das Haupt ab.
Nun erst begannen die Franken zu zaudern und baten
ihren Herrn, von weiterem Kampfe zu lassen. Doch Gunthari
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sprach: „Ihr tapferen Mannen, soll ich so schimpflich aus
dem Wasgenwalde weichen? Lieber will ich sterben, als
ruhmlos nach Worms zurückkehren, während jener heil in
die Heimat gelangt. Branntet ihr zuvor, den Schatz zu er-
werben, so brennt jetzt, das Blut der Gefallenen zu rächen.
Sühnt Tod mit Tod und Blut mit Blut, die gefallenen Genossen
mit dem Fall des Mörders." Solche Worte entzündeten den
Mut der Mannen. Wie zum Spiel suchte jeder dem andern
auf dem Todeswege vorauszueilen, doch der Engpaß gestattete
nicht mehr als zwei Kämpfer.
Walthari hatte, während die Franken zögerten, seinen
Helm vom Haupte genommen und an einen Baum gehängt,
um sich zu kühlen und den Schweiß zu trocknen. So unbedeckt
berannte ihn unversehens Rantolf und traf ihn mit dem Speer
unter der Brust. Doch die Ringbrünne, Wielands Gewirk,
hielt stand. Schnell faßte sich der Held und griff nach dem
Schild, doch den Helm auch zu fassen, fand er nicht Zeit. Vom
entblößten Haupt schnitt ihm Rantolfs Schwert zwei der
wallenden Locken, doch ohne die Haut nur zu ritzen. Beim
zweiten Hieb drang sein Schwert so tief in den Linden-
schild, daß er die Klinge nicht mehr zu lösen vermochte.
Da schnellte Alpharis Sohn wie der Blitz nach vorn und
schleuderte mit dem Schild den rückgelehnten Franken rück-
lings vom Rosse zur Erde, trat über den Liegenden hin und
sprach: „Da du den Kopf mir schorst, so will ich dich des
Hauptes berauben, daß du dich vor deiner jungen Frau des
Raubes nicht rühmest."
Als neunter nahte Helmnod. Er trug eine gewaltige Lanze
mit dreifacher gebogener Spitze, die war an dreifachem Seile
befestigt, das hinter ihm die Genossen hielten. Wenn die ab-
geschleuderte Waffe im Schilde haftete, sollte sie rück-
gezogen dem Helden den deckenden Rand entreißen und ihn
zu Boden stürzen, dann wollten sie den Wehrlosen fällen.
Helmnod entsandte den Dreizack und rief: „Dieses Eisen,
Geschorener, wird dein Ende sein." Wie der Lindwurm durch
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die Luft fährt, so sauste der ungefüge Dreizack heran. Er
spaltete den Schildnagel und haftete fest. Gleich zogen die
Franken mit aller Kraft, Helmnod, Trogo und Tanast, selbst
der König verschmähte nicht, Hand anzulegen. Walthari
aber stand unerschüttert wie die Eiche im Sturm. Endlich
unter dem Toben der Zerrenden, die sich mühten, ihm den
Schild zu entreißen, entbrannte des Helden Zorn. Fahren
ließ er den Schild, stürzte helmlos auf Helmnod zu und spaltete
ihm mit einem Hieb Helm und Haupt. Dann griff er Trogo
an, der im Seile verwickelt voll Schrecken zu fliehen suchte,
denn Speere und Schilde hatten die Seilzieher zu Boden gelegt.
Doch Walthari holte ihn ein, lähmte ihn durch einen Hieb
in die Waden und faßte des Eilenden Schild, ehe der ihn er-
reichte. Trogo aber voll Zorn ergriff einen ungefügen Stein
und schleuderte ihn gegen den eigenen Schild, ihn von oben
bis unten spaltend, doch hielt die Decke aus Fell das geborstene
Holz. Dann, auf die Knie gestützt, entriß Trogo schnell der
Scheide das Schwert und schwang es zornig durch die Luft.
War er gleich wund und konnte durch die Tat sein Helden-
tum nicht mehr beweisen, bewies er es noch mit Herz und
Mund. Noch sah er nicht das Tor der Hei, als er sprach:
„Hätte ich doch noch meinen lieben Schild, ich wollte dir
standhalten. Heran denn, hole dir zu dem Schilde auch
das Schwert! Glück, nicht Tapferkeit, gab dir den Sieg."
Lachend sprach der Recke: „Ich komme schon! " eilte hinzu
und schlug ihm die geschwungene Rechte ab. Schon holte
er zum Todesstreich aus, da nahte Tanast und deckte den
Gesellen mit dem vorgehaltenen Schilde. Ihm trennte Wal-
thari den Arm vom Leibe und durchstieß ihm die Seite. „Lebe
wohl", murmelte der Sinkende. Doch Trogo, flehende Bitten
verschmähend, reizte, als er den treuen Genossen sinken sah,
des Siegers Wut noch weiter durch bittere Schmähungen.
„Stirb", sprach Walthari, „und melde drunten bei Hei den
Genossen, wie du ihren Tod gerächt hast", und erdrosselte
ihn mit seiner goldenen Halskette.
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Als König Gunthari den Fall seiner letzten Mannen sah,
floh er davon, bestieg sein Roß und ritt zu Hagano, der grollend
fern auf dem Hügel saß. Flehend bat er ihn, den Kampf zu
erneuern, der aber sprach: „Mich hindert am Kampf die mit
Feigheit bemakelte Sippe, frostiges Blut nahm mir den
Kampfesmut. Erblich doch mein Vater, wenn er Speere sah
und weigerte wortreich den Streit. Als du so unter deinem
Gefolge prahltest, da war dir, König, meine Hilfe verächtlich."
Doch weiter bestürmte ihn Gunthari: „Laß von dem Zorn, den
ich dir erregte, sühnen will ich das unbedachte Wort. Schämst
du dich nicht, dich deinem Herrn zu versagen, nachdem so
viele der Genossen und Gesippen erschlagen liegen? Nicht
mein Wort soll dir Zorn erregen, sondern die Meintat des Un-
holdes, der als einzelner wagt, mich, den König, zu beschimpfen.
Zischend werden die unterworfenen Völker, die sonst die
Furcht vor uns bannte, sich zurufen: „Seht die Schande! Ein
Unbekannter allein fällte ungerächt Guntharis ganze Macht. "
Noch erwog Hagano den Blutsbund, den er einst mit Walthari
schloß, und was vor seinen Augen geschehen war. Endlich
errötete er vor dem Blick des bittenden Königs, dessen Ehre
durch seine Weigerung dahinzusinken drohte, und er rief
aus: „Herr, wohin rufst du mich? Unmögliches fordert dein
blinder MutI Wer sprang je in das offene Grab? Schon im
offenen Feld war Walthari immer unbesiegbar, dort aber in
der Felsenburg steht er einem ganzen Heere. Doch deine
Ehre, die zu verlieren dich tiefer schmerzt als der Mannen
Verlust, zwingt mich allein, die sichere Gefahr zu suchen.
Nicht um den treuen Gesippen, den Walthari mir fällte,
wollte ich dem Blutsbruder die Treue brechen, nur die Treu-
pflicht wider den Herrn zwingt mich, den Helden zu bestehen.
Doch nicht hier will ich zum Kampfe mich stellen. Weichen
wir von hier und belauern ihn von ferner Warte, bis er das
sichere Lager verläßt im Glauben, daß wir von hinnen geeilt
seien. Steht er dann in offenem Feld, so gehn wir ihn an,
und du magst, König, dein Kampfgelüst an ihm stillen, denn
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nimmer wendet sich Walthari zur Flucht." Dieser Rat gefiel
dem König, er umarmte und küßte Hagano, und beide eilten
davon, einen Hinterhalt zu suchen.
Die Nacht war hereingebrochen, da bedachte Walthari, der
weise Held, ob er im sichern Lager stille verharre oder der
offenen Flur sich vertraue. Niemand als Hagano weckte ihm
Sorge, und jener Kuß, den ihm der König gegeben hatte.
Sorgenvoll bedachte er, ob etwa die Feinde nachts heim-
kehrten, um mehr der Genossen zu holen, oder ob sie ver-
hohlen im Hinterhalt lägen. Doch bald war sein Entschluß
gefaßt. * ,,Hier will ich bleiben, bis der Tag dämmert. * Nicht
soll der prahlende König sagen, ich sei aus dem Lande ge-
wichen wie ein Dieb in nebelnder Nacht." Er fällte GedÖrn
und Sträucher und verschloß damit den engen Felsenpfad,
verkoppelte die sechs erbeuteten Rosse, legte die Waffen ab,
stärkte sich mit Speise und streckte sich zur Ruhe auf den
Schild. Hiltigund sollte die erste Wache halten, wo die
Gefahr am kleinsten ist. Sie saß ihm zu Häupten und hielt
mit Gesang ihre müden Augen offen. Doch wenig Zeit war
verronnen, da brach der Held seinen Schlaf, erhob sich und
ließ die Jungfrau schlummern. Er stützte sich auf den Speer
und verbrachte wachend den Rest der Nacht.
Als das kühle Morgenlicht die Erde betaute, schritt Walthari
zu den Toten und nahm seine Beute: die Waffen, Helme,
Brünnen und Spangen.' Damit belud er vier der erbeuteten
Rosse, hob auf das fünfte die Jungfrau und bestieg selber das
sechste. Spähend beschritt er den Felsenpfad und horchte,
ob er das Klirren der Zäume oder Hufschlag von Rossen
vernehme. Alles schwieg. Da trieb er die beladenen Rosse
hinüber, hieß die Jungfrau folgen und beschloß, das Pferd
mit den Schatzschreinen führend, selbst den Zug. Kaum
eine Rast hatten sie zurückgelegt, da erblickte Hiltigund
zurückschauend zwei Männer, die vom Hügel mit verhängten
Zügeln auf sie zusprengten. Sie erkannte die Feinde und das
unausweichliche Geschick und rief dem Geliebten zu: „Freund,
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rüste dich zum Kampf, denn die Entscheidung naht. Ver-
traue deinem guten Schwert! Oft schon sank schwertwund
Krieger auf Krieger vor seiner Schärfe. Dir wird auch jetzt
nicht dein tapferer Sinn entfallen, Attilas Heerwart, denn nun
kam der Tag, da eines von zweien dir werden muß: daß du
dein Leben verlierst oder lang dauernden Nachruhm auf Erden
gewinnst. Nie vernahm ich, daß je du im Kampfe ängstlich
feindliche Hiebe miedest oder zum Walle flohest, dich zu bergen,
ob auch Kämpfer genug auf die Brünne dir hieben, sondern
zum Schwertkampf drangst du unablässig in die Schar der
Feinde. Ziere dich denn mit heldischer Tat. Mit deinem
schönen Schwert wirst du Gunthari strafen, der frevelhaft den
Streit begann und die gebotenen Ringe verschmähte. Nun
soll er ohne Gewinn aus diesem Kampfe schimpflich heim-
ziehen oder hier sterben." Walthari erwiderte: „Nicht will ich
auch hier bewährtes Heldentum verlieren und am Ende Schande
erwerben. Besser ist es, den schönen Wundentot zu suchen
als durch die Flucht zu entrinnen nach Verlust der Schätze.
Du nimm nun den Zaum des Rosses, das unsere Schätze trägt,
und birg dich mit ihm im nahen Holze. Ich selber harre
am Berghang und erwarte die Nahenden." So geschah es.
Heran sprengten König Gunthari und sein Mann. Er rief:
„Wütender Feind, nun wird dein wildes Spiel zum Spott.
Weit von hier ist deine sichere Höhle, aus der du dem Wolfs-
hund gleich zähnefletschend belltest. Nun gilt es auf offenem
Plane zu streiten. Doch ich weiß: um Lohn hast du das Glück
gedungen, darum verachtest du Flucht und Ergebung."
Ihm erwiderte Walthari kein Wort, sondern als sei er taub,
wandte er sich zu Hagano und sprach: „Dir Freund, gilt
meine Rede, darum halte ein wenig. Denkst du des Bundes
nicht mehr, den wir einst im fernen Hunnenlande mit Blut,
in die Fußspur geträuft, besiegelten? Denkst du der Kämpfe
nicht mehr, die wir Schulter an Schulter bestanden? Ich
mahne dich an deine ersten Eide, die du mir schworst: bis
an deinen Tod wolltest du mich nicht lassen in keiner Not.
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Darum beginne nicht Streit und wahre unverbrüchlich die
Eide. | Dann will ich mit rotem Gold dir die Wölbung des
Schildes füllen." Finster und zornig erwiderte Hagano: f
„Klüglich redest du, Walthari, nachdem du Gewalttat verübt
hast, mir so viele Genossen, ja selbst den Gesippen erschlugest, '
ob du gleich mich an Waffen und Rüstung erkanntest. | Du
brachst zuerst den Bund, als du den teuersten Verwandten
mir fälltest. Ihn zu rächen zwingt mich die Not,' doch mehr
noch die Treue, die ich meinem Herrn schulde. > Soll ich mit
Schande heimkehren, nachdem du den Genossen und Herrn
mir fälltest? Keinen Schatz begehre ich zur Sühne, sondern
im Kampf will ich dich erproben, von deiner Hand fordere
ich das vergossene Blut." Damit schwang er sich vom Roß,
und die andern taten ebenso. Da standen zwei wider einen.
Unter den Schilden sich bergend standen die Kämpfer. Zuerst
brach Hagano den Frieden. In wirbelndem Flug nahte sein
schrecklicher Speer. Doch klug lenkte Walthari ihn zur Seite
mit schräg gehaltenem Schild, er glitt unschädlich ab und
fuhr bis zum Nagel in den Berg. Dann schleuderte Gunthari
kühn, doch mit schwacher Kraft, seine Waffe. Sie haftete
in des Helden Schild, doch leicht schüttelte er das matte
Eisen ab. Zornig griffen nun die Burgunden zum Schwert
und stürmten auf Walthari ein, doch mit dem mächtigen
Ger trieb er die Andringenden zurück, und furchtbar drohte
sein Auge. Da ihre kurzen Klingen den Speerschwinger
nicht erreichten, sann Gunthari, seinen Speer, der zu des
Gegners Füßen lag, heimlich aufzuraffen, darum winkte er
Hagano zum Angriff. Während dieser Walthari von neuem
bedrängte, barg der König sein Schwert in der Scheide und
bückte sich nach dem Schafte. Schon hatte seine Hand ihn
gefaßt, da ersah der Held sein heimliches, törichtes Tun.
Hagano mit geschwungenem Speer zurücktreibend, stemmte
er den wuchtigen Fuß auf die Lanze und schrie dem ertappten
König so gewaltig entgegen, daß ihm die Knie zu wanken
begannen. Und nun hätte er ihn zur Hei gesandt, hätte nicht
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Hagano ihn mit dem Schild geschützt und wider Waltharis
Haupt die schreckliche Klinge geschwungen. So entrann der
zitternde König.
Weiter tobte der Kampf. Dem gehetzten Bären gleich, der
von Hunden umstellt ist, wehrte sich Walthari nach allen
Seiten. Schon waren Stunden vergangen, und er fürchtete,
durch große Ermüdung doch endlich den Feinden zu erliegen.
Darum rief er Hagano zu: „Hagedorn, wohl grünst du im
Laub und könntest wohl stechen, doch suchst du listig springend
mich zu täuschen. Nun sollst du mir näher heran, damit
diese vergebliche Mühsal ende." Damit schleuderte er mi:
furchtbarer Kraft seinen mächtigen Speer, mit dem er sich
bisher der Feinde erwehrt hatte, auf Hagano, durchschlug
ihm den Schild, riß auch ein Stück des Panzers hinweg, doch
streifte die Waffe nur leicht den Leib. Sogleich sprang er
dem Speer nach, drang mit dem Schwert wütend auf Gunthari
ein, schlug ihm den Schild zur Seite und hieb ihm mit einem
Schlage Bein und Schenkel bis zur Hüfte durch. Nieder
stürzte der König, doch Hagano, über des Herrn Fall er-
schrocken, fing mit dem eignen Haupte den Todesstoß auf,
den Walthari dem Liegenden zu versetzen gedachte: sein
trefflich geschmiedeter Helm hielt sprühend dem im Schwung
gehemmten Hiebe stand, und die Klinge des Helden zer-
sprang an der bügelbewehrten Wölbung. Tobend vor Zorn
schleuderte Walthari das goldverzierte Heft weit von sich —
einen kurzen Augenblick seiner Vorsicht vergessend. Den er-
sah Hagano und schlug ihm die Hand vom weitausgereckten
Arme. Doch Walthari wich nicht, ob ihm gleich die mann-
hafte Rechte mangelte, einst der Schrecken vieler Fürsten
und Völker. Mutig und ohne die Miene zu wechseln oder dem
Schmerz der Wunde nachzugeben, schob er den Armstumpf
unter den Schild, griff mit der Linken an die rechte Hüfte, wo
ihm das kurze Saxschwert hing und stieß es in Haganos
rechtes Auge, daß es die Schläfen und das Antlitz ihm ganz
durchschnitt und ihm zweimal drei Zähne aus dem Munde riß.
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I
Der Kampf war zu Ende, den zwei großmütige, an Kräften
gleiche Helden gestritten hatten. . Nun zwang die Ermattung
und der Schmerz der Wunden zu enden. Hier lag Guntharis
Fuß, dort Waltharis Hand, dort Haganos zuckendes Auge —
so teilten sie die hunnische Beute! Zweie saßen, es lag der
dritte, mit Kräutern stillten sie das rinnende Blut, und die
Jungfrau verband ihre Wunden.
Walthari sprach zu Hiltigund: „Nun schenke uns Wein
und reiche zuerst Hagano den Becher, denn ein guter Recke
ist er, wenn er die Eide hält. Darauf reiche ihn mir, denn
mehr als die andern habe ich ertragen. Gunthari aber soll
zuletzt trinken, der lässig und lau unter großmütigen Männern
dem Streite oblag." Hiltigund tat, wie ihr geheißen war,
doch Hagano sprach: „Erst schenke Alpharis Sohn, deinem
Herrn, Jungfrau, denn an Heldentum überragt er nicht mich
allein, sondern alle Krieger." Nun scherzten Hagano, der
dornige, und der Gotenheld, wie matt sie auch waren, doch
unbesiegbar an Mut, nach tobendem Kampf in heiterem
Streite beim Trünke. Hagano sprach: „Jage dir Hirsche,
Freund, mach dir aus ihrem Felle endlose Fülle von Hand-
schuhen und fülle den rechten mit weichen Daunen — so
täuschest du Fremden eine unversehrte Hand vor. Wehe,
den Brauch des Landes wirst du brechen, wenn du um die
rechte Hüfte das Schwert gürtest. Linkshändig wirst du
künftig sein." Ihm erwiderte Walthari: „Scheeläugiger
Burgunder, muß ich Hirsche jagen, so mußt du Zahnloser
künftig den Eberbraten meiden und wirst mit querem Blick
die Schar der Helden grüßen. Doch um meiner alten Treue
willen rat ich dir: lasse zu Hause dir Mehlbrei kochen, sanft
mit Milch bereitet und lecker geschmälzt, das heilt das wunde
Auge und ist dir Nahrung zugleich."
So scherzten die Recken und erneuten den alten Bund;
dann eilten die Burgunden nach Worms, Walthari aber mit
Hiltigund der aquitanischen Heimat zu.
H3
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III. OSTGOTEN
ERMENRICH
15. JÖRMUNREK UND SWANHILD
on Grimhild, die nach Sigurds Tode dem König Atli
V vermählt gewesen war, erzählen die Nordländer, daß sie
in den Flammen der Halle nicht sterben konnte, nachdem sie
den Tod ihrer Brüder Gunnar und Högni an Atli gerächt hatte.
Sie ging an das Meer und stürzte sich von einem Felsen hinab,
aber die Wellen wollten sie nicht begraben, sondern trugen
sie über die weite Bucht in das Land des Königs Jonak. Dem
Grimm der Nomen konnte die Leidvolle nicht entfliehen. Jonak
nahm sie zum Weibe und sie gebar ihm zwei Söhne, Hamdir und
Sörli. Erp aber, den dritten, gewann Jonak von einer Kebse.
Dort wuchs auch Swanhild auf, die Tochter Sigurds und
Grimhilds. Sie war die schönste unter der Weltsonne und
Grimhild, ihrer Mutter, lieber denn alle ihre anderen Kinder.
Denn sie hatte die leuchtenden Augen Sigurds, und wenige
nur wagten ihr in die Augen zu sehen. Sie saß in der
Halle unter der Mägdeschar, allen schien sie ein leuchtender
Sonnenstrahl. Gold und schimmernde Kleider gab ihr die
Mutter und hegte sie mit aller Liebe.
Von Swanhilds hoher Schönheit hörte Jörmunrek, der
Herrscher der Goten, der zu jener Zeit der mächtigste König
war. Er sprach zu Randwer, seinem Sohne: „Fahre als mein
Bote zu König Jonak, nimm Bikki, meinen Ratgeber, mit
dir und wirb für mich um Swanhild, von der die Sage geht,
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daß sie alle Frauen an Schönheit überrage, wie die Sonne die
andern Gestirne des Himmels." Randwer antwortete: „Herr,
ich bin dir schuldig, als Bote zu fahren."
Sie kamen zu Jonak, und Randwer warb für seinen Vater
um Swanhild. Gern gewährte Jonak seine Tochter dem
mächtigen Gotenkönige. Die Maid wurde dem Königssohne
übergeben, damit er sie Jörmunrek zuführe. Mit reichem
Gefolge bestiegen sie das Schiff und fuhren von dannen.
Unterwegs sprach Bikki zu Randwer: „Besser würde es
dir ziemen als dem alten Manne, ein so schönes Weib zu be-
sitzen. Nimm du sie zu eigen!" Solche Worte gefielen
den beiden wohl: sie sprachen freundlich einer zum andern.
Dann kamen sie heim und nahten dem Könige.
Bikki aber sprach zu Jörmunrek: „Herr, ich darf dir nicht
bergen, was geschehen ist. Dein Sohn hat Swanhilds Liebe
genossen, und sie ist seine Kebse. Laß solchen Verrat nicht
un gerächt!" Der König, gewohnt den Ratschlägen Bikkis
zu folgen und unfähig seinen Zorn zu meistern, befahl,
Randwer zu greifen und an den Galgen zu hängen. Als der
Königssohn zur Richtstätte geführt wurde, nahm er seinen
Habicht, rupfte ihm die Federn aus und hieß ihn so seinem
Vater bringen. Der König sah den Vogel an und sprach:
„Ich sehe wohl, was dieses sagen will. So wie dieser Vogel
seiner Federn beraubt und zum Fliegen unfähig ist, so ist
nun mein Reich und meine Herrschaft ihrer Kraft beraubt,
denn ich bin alt und ohne Söhne."
Danach sprach Bikki zu Jörmunrek: „Niemand hat deinen
Zorn mehr verdient als Swanhild, denn sie ist die Anstifterin
deines Unglücks. Laß sie einen schimpflichen Tod erleiden
unter den Hufen deiner Rossel" Der Rat gefiel dem Könige.
Swanhild wurde gebunden in das Burgtor gelegt und die Rosse
herbeigetrieben, damit sie die Herrliche mit ihren Hufen
zerträten. Als Swanhild aber die Augen aufschlug, bäumten
die Rosse auf und scheuten vor ihr zurück, denn Sigurds
strahlender Blick leuchtete aus ihren Augen. Bikki aber
10 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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Di
riet, das Haupt der Fürstin mit einem Tuche zu verhüllen, damit
die Rosse ihr zu nahen wagten. So geschah es, und darauf
endete sie ihr Leben unter dem stampfenden Huf tritt der Tiere.
Als Grimhild die Kunde vom Tode ihrer Tochter vernahm,
reizte sie ihre Söhne Hamdir und Sörli zur Rache wider
Jörmunrek. Wilde Reden führte sie in bitterem Leid und
grimmig sprach sie: „Was sitzet ihr da, schlaff euer Leben
verträumend? Wie freut euch noch immer leeres Gespräch?
Swanhild, eure Schwester, zertraten Jörmunreks Rosse unter
dem Torbogen, schwarze und weiße, graue brausende Goten-
rosse. Einsam bin ich worden wie die Espe im Wald, dahin
sind meine Brüder und all meine Sippe. Aller Freude bin
ich beraubt, wie die Birke der Zweige, wie der Baum des
Laubes, den der Sturmwind zauste an schwülem Tag. Ihr
allein lebt noch von meinem Geschlecht, doch entartet seid
ihr vom Königsstamm. Wahrlich, nicht gleicht ihr Gunnars
Sippe, nicht habt ihr Högnis unbeugsamen Sinn, sonst suchtet
ihr Rache für eurer Schwester Tod, hättet ihr meiner Brüder
Mut und den harten Sinn der Könige von ehemals." Und
dies sprach Hamdir der Hochgemute: „Minder rühmtest du
Högnis Tat, als deine Brüder Sigurd vom Schlummer weckten.
Auf dem Lager saßest du, doch die Mörder lachten. Deine
Bettlinnen, die blühend weißen, troffen vom Wundentau.
Sigurd verschied, du aber saßest über dem Toten: da war
deine Freude zerronnen — das schuf dir Gunnar! Atlis
Herz wolltest du verwunden, dich selbst aber trafest du
schlimmer damit. Andere, nicht sich selbst zu verderben,
soll man das beißende Schwert gebrauchen." Und dies
sprach Sörli, sein Sinn war weise: „Nicht mag ich mit der
Mutter Streitworte wechseln. Eines blieb unter euch noch
ungesprochen: was könntest du uns bitten, Grimhild, da*
dir nicht Leid brächte? Du klagst um deine Brüder und um
blühender Söhne Schar, die Nahversippten, die du einst zum
Kampfe reiztest. Uns beide, Grimhild, wirst du nun auch
beweinen, bald finden wir in der Ferne den Tod." Da sprach
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Hamdir der Hochgemute, entschlossen war er zur Fahrt:
„Bring das Eisenkleid der alten Helden herbei. Zum Rache-
werk hast du uns gereizt."
Lachend schritt Grimhild zur Kammer, aus dem Schrein
nahm sie die Königshelme und lange Brünnen. Sie feite die
Panzer, daß kein Eisen sie zu durchdringen vermochte und
brachte sie den Brüdern. Die umhüllten sich mit dem Eisen,
umgürteten sich mit den Schwertern, schüttelten die Mäntel
und schmiegten sich in das Waffenkleid. Dann schritten sie
vom Hofe, schnaubend vor Grimm. Am Tore fanden sie
Erp, den verschlagenen Bruder, den dunkelbärtigen mit
braunen Locken. | Ihm rief Grimhild vom Söller herab: 5
„Mach auch du dich auf mit deinen Brüdern, die zwei ver-
heißen mehr als sie halten können. Wie sollen sie allein
zehnhundert Goten binden oder töten in der hohen Burg?
Ihr drei aber werdet das Werk vollbringen, schwerterfest sind
eure Brünnen. Doch hütet euch, daß Jörmunrek den Mund
nicht auf tut: das bringt euch Verderben!" Da sprach
Hamdir: „Wie soll der braune Knirps uns helfen?" Und Erp
sprach zu den Brüdern: „So will ich euch beistehen, wie ein
Fuß dem andern, wie eine sehnige Hand der andern." Doch
Hamdir erwiderte verächtlich: „Was kann ein Fuß dem andern
nützen oder die sehnige Hand der andern?" Schnell stiegen
die drei Brüder zu Roß, Erp kannte die Wege. Über
feuchtes Gebirg ließen sie die hunnischen Rosse rennen, den
Mord zu rächen. Höhnende Reden führten Hamdir und
Sörli, sie reizten Erp, bis er plötzlich sprach, auf dem Rücken
des Rosses sich drehend: „Nicht ziemt es mir, Feigen den
Weg zu weisen." Sie aber schalten den Kühnen einen Kebs-
sohn. Aus der Scheide flogen die Schwerter, die Klingen
blitzten: das freute die Hei. Um ein Dritteil minderten sie
ihre Kraft: den jungen Helden schlugen sie in den Staub.
Weit dehnten sich die Straßen vor ihnen, sie fanden den
Unheilsweg. Am Galgen vorüber ging der Pfad, da sahen
sie Randwer, Swanhilds Stiefsohn, vom Speer durchbohrt am
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windkalten Wolfsbaum hangen, im Westen des Gehöftes
schwankte im Winde der Raben Speise — schlimm war der Ort.
Lärm des Gelages erfüllte die Halle und bierfroh waren die
Mannen, daß sie das Stampfen der Hengste nicht hörten, bis
das Horn des mutigen Wächters erdröhnte. Die Boten mel-
deten Jörmunrek eilends, sie hätten Helden unterm Helme
gesehen: „Sinnt schnell auf Rat und wahret euch 1 Gewaltige
kommen! Mächtigen Männern habt ihr die Maid zerstampft. "
Da lachte Jörmunrek, er strich sich den Bart, vom Wein
war er mutig, er schüttelte die braunen Locken, blickte auf
den leuchtenden Schild und ließ in der Hand die Goldschale
spielen: „Glücklich wollte ich mich nennen", rief er, „könnte
ich Hamdir und Sörli hier in meiner Halle sehen. Mit Bogen-
sehnen bände ich sie, am Galgen müßten sie mir hängen/'
Lärm ward im Hause, die Trinkschalen fielen, als die Rächer
in die Halle stürzten. Die Bänke stürzten, auf dem Estrich
mischten sich Met und Blut, da standen die Helden im Herz-
blut der Goten. Kein Eisen ritzte ihre gefeiten Brünnen.
Hamdir hieb dem Könige beide Hände ab und Sörli beide
Füße. Prahlend rief Hamdir der Hochgemute: „Dich ver-
langte, Jörmunrek, Grimhilds Söhne in deiner Burg zu sehen.
Nun sieh hier deine Füße und hier deine Hände abgehauen und
ins heiße Feuer geworfen! Das taten Swanhilds Brüder. " Da
brüllte laut der Göttersproß, der Fürst in der Brünne, wie der
Bär brüllt: „Werft Steine auf Jonaks Söhne, wenn der Ger
sie nicht beißt, noch eiserne Schärfe!" Bald flogen die Steine
dicht wie Hagel aus den Gotenfäusten, und Sörli sprach zum
Bruder: „Schlimm tatest du, Bruder, daß du den Mund ihn
auftun ließest, oft kam aus sterbendem Munde noch böser
Rat. Kühnheit besitzest du, Hamdir: daß du auch Klug-
heit hättest! Viel fehlt dem Manne, dem es an Witz gebricht.
Doch Hamdir sprach: „Gefallen wäre auch das Haupt, und
nie wäre aus diesem Munde schlimmer Rat gekommen, wenn
Erp noch lebte, unser kampfkühner Bruder. Weh, daß wir
ihn auf dem Wege erschlugen! Uns reizten die Nornen,
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den kampfberühmten, gefriedeten Helden zu morden. Gleich
den Wölfen, den grauen Tieren der Nornen, haben wir gierig
uns selbst zerfleischt. Doch heldengleich haben wir ge-
kämpft, wir stehen auf dem Walle schwertmüder Goten, wie
Adler auf Zweigen. Ewigen Ruhm erwarben wir uns, ob
wir gleich heute unter den Steinen der Goten sterben müssen.
Keiner erlebt den Abend, über den der Norne Spruch erging."
Da fiel Sörli an des Saales Giebel und Hamdir an des Hauses
Rückwand.
16. ERMENRICH UND DIE HARLUNGE
Ermenrich, der König der Goten, war Herrscher über ein
mächtiges Reich. Ihm gehorchten alle Könige und Fürsten
südlich des Gebirges, und er gebot über alle Lande bis an
das Südmeer. Sibich hieß sein Ratgeber, und ihm vertraute
er in allen Dingen, doch der sann nichts als seines Herrn
Verderben und wie er ihn und seine Sippe zugrunde richte.
Ermenrichs Bruder hatte sterbend zwei Söhne hinterlassen,
die hießen Fritel und Embrik und wurden die Harlunge ge-
nannt. Im Breisgau lagen ihre Burgen. Die Jünglinge waren
einem Pflegevater namens Eckehard anvertraut. Einst sprach
Sibich zu Ermenrich: „Ich will dir nicht verhehlen, daß deine
Brudersöhne der Königin, deiner Gemahlin, nachtrachten,
um ihr die Ehre zu rauben. Darum will ich dir raten, daß
du dich ihrer bemächtigst und ihre Burgen brichst. So ge-
winnst du auch ihren ungeheuren Schatz an Gold und Klein-
odien." Da fuhr Ermenrich in gewaltigem Zorne auf und
rief: „Soll die Königin vor ihnen nicht in Frieden sein, so
sollen auch sie vor mir nicht Frieden haben, und das schwöre
ich: nimmer will ich dort die zweite Nacht liegen, wo ich
die erste lag, bis ich sie finde, und so hoch sollen sie hängen,
wie noch nie ein Mann gehangen hat. Ihren Schatz aber will
ich mir zu eigen nehmen." Eckehard, der Harlunge Trost,
war zugegen, als der König also schwur und er sprach: „Ehe
meine Pflegesöhne gehängt werden, soll mancher Helm zer-
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hauen zur Erde fallen und das Haupt ihm nach, manche
Brünne soll zerschlissen werden und mancher Schild zer-
splittern. So lange ich aufrecht stehe, sollen meine Augen
nicht sehen, daß die Harlunge am Galgen hängen." Darauf
schwang Eckehard sich auf sein Roß und ritt Tag und Nacht
ohne Rast, bis er an den Rhein kam, wo die Burg der Harlunge
stand. Dort sprang er von dem ermatteten Roß, warf sich,
ohne des Fährmannes zu warten, in den Strom und schwamm
hinüber. Fritel erblickte ihn von der Burg herab und sprach
zu seinem Bruder: „Dort schwimmt unser getreuer Eckehard.
Drohende Gefahr wird er uns melden, da er auf den Fähr-
mann nicht warten mag." Die Brüder eilten ihm entgegen,
doch schon von weitem rief Eckehard: „Euch droht Verderben!
Rettet euch, denn König Ermenrich naht mit seinem Heer
und will euch töten!" Doch Fritel sprach: „Wie sollten wir
unseres Vaters Bruder fürchten?" Da erzählte Eckehard
alles, wie es sich zugetragen hatte. Die Harlunge aber wollten
nicht fliehen, sie entboten ihre Mannen und rüsteten die Burg
zur Verteidigung.
Bald kam Ermenrich mit seinem Heere an die Burg. In
vollem Lauf sprengte er an den Graben und schoß sein
Banner hinein zum Zeichen, daß er die Burg nehmen wolle.
Da rief Fritel: „Herr, wessen gibst du uns schuld, und wes-
halb willst du unsere Burg nehmen?" Der König antwortete:
„Wessen immer ich euch schuld gebe: ihr sollt noch heute
in dem höchsten Baume hängen, den ich finden kann." Em-
brik sprach: „Ehe wir unser Leben lassen, sollst du es mit
manchem trefflichen Helden teuer erkaufen." Darauf be-
schossen sie einander. Bald aber befahl Ermenrich voll
Ungeduld, Feuer in die Burg zu schleudern, da loderte sie
in Flammen auf. Eckehard aber sprach zu den Harlungen:
„Laßt uns hinausgehen und kämpfend mit Ehren sterben,
ehe wir im Feuer umkommen." Sie schlugen sich durch,
gelangten mit sechzig Mannen vor die Burg und erschlugen
vierhundert von Ermenrichs Kriegern, doch endlich wurden
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sie gefangen und gebunden und an hohem Baume aufgehängt.
Der getreue Eckehard aber entkam und ritt zu König Dietrich
Amelung der Gotenkönig gewann ein mächtiges Reich.
Er hinterließ seinem Sohne Ermenrich die süditalischen
Lande, seinem jüngeren Sohne Dietmar Bern und die lom-
bardischen Gebiete. Dietmar hatte zwei Söhne: Dietrich,
den man den Berner nennt, und Diether. Dietmar war seinem
Bruder Ermenrich in allem unähnlich: freigebig und tugend-
haft herrschte er zu Bern, das er sich erbaut und zu seinem
Sitze gewählt hatte, gewaltig und stark war er, und kein
König wagte ihm zu widerstreiten. Als er starb, ließ er seine
beiden Söhne in unmündigem Alter unter der Hut seines
Waffenmeisters Hildebrand zurück. Da brachen böse Zeiten
über Bern herein: öde und wüst wurde das Land, das keines
starken Königs Hand beschützte.
| Dies geschah aber so: Dietmar hatte bei seinem Tode seine
Söhne und sein Land seinem Bruder Ermenrich befohlen.
Der aber war voll Untreue, das hatte er schon an den Har-
lungen einst bewiesen. Er hatte einen Ratgeber, Sibich mit
Namen, der seinen Herrn immer aufs neue zu treulosen Taten
verleitete. Als Sibich damals hörte wie der junge Berner
herrlich aufwuchs und allen ein Held zu werden däuchte,
ging er zu König Ermenrich und sprach ihm ins Ohr: „Wahre
dich, Herr, vor Dietrich, deinem Gesippen, denn wenn er ein
Mann geworden ist, wird er dich in große Gefahr bringen.
Darum rate ich dir: kannst du ihn vom Leben bringen, so
vermag dir künftig niemand mehr zu schaden, und du wirst
reicher und mächtiger sein als alle anderen Herrscher, und
niemand darf sich dir vergleichen, wenn du Dietrichs Lande
gewinnst, die dir als Amelungs Sohne mit Recht zugefallen
DIETRICH VON BERN
177 KÖNIG DIETRICHS VERTREIBUNG
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sind. Du bist vor ihm nicht sicher, solange er über Bern
herrscht." Da sprach Ermenrich: „Gut ist dein Rat. Ich
will tun wie du sprichst, damit ich mich vor Schaden wahre.
Dietrich von Bern hat den Tod an der Hand, oder ich will
ihn in solche Not bringen, daß er mir die Lande räumen muß.
Sein Land besaß einst mein Vater, darum habe ich das bessere
Recht daran. Du aber rate mir, wie es mir am besten zu-
falle." — „Sammle in Eile und insgeheim all deine Mannen",
sprach Sibich, „und falle schnell in sein Land mit großer Heeres-
macht, so erzwingst du von ihmMage und Mann, Gut und Geld."
Eilig berief da der König seine Mannen zur Heerfahrt und
brach mit einem gewaltigen Heere auf. Sie ritten Tag und
Nacht so schnell sie nur vermochten, fielen in König Dietrichs
Lande ein und verwüsteten sie mit Brennen und Sengen.
Erst als er von Bern nicht mehr fern war, sprach Sibich:
„Nun sende einen Boten an König Dietrich, Herr, der ihm
den Frieden aufsage." Da rief Ermenrich Heime, den treuen
Dienstmann der Amelunge. Der war der Schildgeselle des
jungen Königs Dietrich gewesen und hatte ihm Treueide
geschworen, ehe er in Ermenrichs Dienste trat, und Gut,
Ehre und Land von ihm empfangen. Ungern brach er seine
Treue an König Dietrich, denn er hatte von Sibich erfahren,
daß Dietrich getötet werden sollte. Darum stand er schweigend
vor Ermenrich. Der sprach: „Wie, Heime, soll ich hier auf der
Heide deiner Dienste entbehren? Willst du mir heute deine
Treue nicht bewähren, so soll dir für immer meine Huld versagt
sein und mein Zorn dich treffen." — „Zürne nicht, mein König",
sprach Heime, „mein Entschluß ist gefaßt. Ich will gen Bern
reiten, dem Helden zu widersagen, doch tue ich es ungern,
denn mich schmerzt so ungetreuer Rat." — „Mit reichem
Gute will ich dir die Botschaft lohnen", sprach Ermenrich.
Heime bestieg sein Roß und ritt eilig nach Bern. Grimm
und Schmerz über den Frevel, den man gegen den jungen
König plante, erfüllten sein Herz auf dem Ritte, und heimlich
gedachte er, wie er König Dietrich vor dem Schicksal bewahre,
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das ihm drohte. Als er in den Hof der Burg zu Bern einritt,
wurde er von den Mannen Dietrichs freudig empfangen.
Hildebrand der Recke hieß ihn willkommen und führte ihn
vor den jungen König in den Saal. Der rief ihm entgegen:
„Sag an, berühmter Held, welche Mär bringst du mir?"
Lange schwieg Heime, dann sprach er: „Diese Botschaft
bringe ich dir: Ermenrich, dein Gesippe, läßt dir durch mich
Fehde ansagen." — „Wessen zeiht mich mein Oheim?" rief
Dietrich, „will er mich von meinem Vatererbe treiben?" —
„Voll Schmerz muß ich dir die Botschaft künden", sprach
Heime, „doch ehe ich scheide, höre meine Warnung um
meiner Treue willen, die ich dir schwur: hüte dich vor Ermen-
rich! So nahe ist der König schon, daß er morgen mit einem
gewaltigen Heere vor Bern stehen wird. Fängt er dich, so
hast du Gut und Leben verloren. Darum säume nicht, son-
dern flieh, sonst ist es dein Tod. Verraten bist du durch
Sibichs Ränke. Ich aber will dir die Treue wahren und an
ihrer Treulosigkeit nicht teil haben. Meine Gesippen, Gut
und Weib will ich um dich lassen und mit Schande König
Ermenrichs Reich verlassen. Nun aber will ich zu ihm
zurückkehren und ihm Botschaft bringen, wie ich verhieß."
Von dannen strich der Bote. Er eilte über Berg und Tal,
bis er vor König Ermenrich stand. Er sprach: „Herr, deine
Botschaft habe ich König Dietrich ausgerichtet und ihm
Fehde angesagt. Das Band der Sippe ist zwischen euch zer-
rissen. Nun tu wie du willst. Ich fand ihn unverzagt." —
„Übermütig trägt sich der Knabe", sprach Ermenrich, „wider
mein Reich will er sich setzen und sich mir an Macht ver-
gleichen. Will er mir im Kampfe widerstehen, so muß er
dennoch vor mir aus dem Lande weichen mitsamt dem alten
Hildebrand und allen Wülfingen oder das Leben lassen.
So wird man sehen, wer von uns der mächtigere ist." Doch
Heime sprach: „Gott helfe König Dietrich! Schande wird
dir bringen, wie du wider deinen unmündigen Gesippen ver-
fährst. Höre meinen Rat: nie wirst du es verwinden, wenn
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du deines Bruders Kinder aus dem Lande treibst. Ich aber
will dein Mann nicht länger sein, denn manche Übeltat be-
gingst du schon, und das alles tatest du auf den Rat Sibichs,
des ungetreuen Mannes. Diese Untat aber wird von allen
die größte sein." So sprach er und verließ den König.
Als Heime von Bern hinweggeritten war, berief König
Dietrich all seine Mannen und Ratgeber in die Halle seiner
Burg und sagte ihnen, welche Botschaft Heime von König
Ermenrich gebracht hatte. „Mich will Ermenrich, mein
Oheim, von meinem Vatererbe treiben. Und Sibichs Rat hat
über ihn vermocht, daß er mir nach dem Leben trachtet.
Nun versagt mir euren Rat nicht in meiner Not. Gedenkt
meiner kindlichen Jugend und vergeltet an mir, was einst
mein Vater Liebes an euch getan hat. Ihm schwurt ihr Treue
und strecktet ihm eure Hände dar, dessen sollt ihr gedenken,
solange ihr das Leben habt. Uns bleibt die Wahl, entweder
mit König Ermenrich zu kämpfen: dann werden wir unser
Leben verlieren, wie manchen Helden es Ermenrich auch
kosten mag, denn gewaltig ist unserer Feinde Übermacht
und schon sind sie ganz nahe. Die andere Wahl aber ist,
daß wir uns eilig aufmachen und hinwegreiten und vor der
Übermacht unser Land räumen, und dann mag Gott walten,
wann wir es wieder erkämpfen können. Wir aber behalten
Mannen und Leben. Und das ist mein Rat, wenn ihr wollt
wie ich". Da erhob sich Hildebrand, Dietrichs Waffenmeister
und bester Freund, und sprach: „Herr, verzage nicht in dieser
Bedrängnis. Es steht nun so, daß wir mit Schande unser
Reich lassen müssen, damit deine Jugend gerettet werde.
Darum mag denn jeder, der mit uns zu fliehen gedenkt, sich
eilig rüsten, denn keine Zeit bleibt uns zum Reden. Von
hinnen müssen wir diesmal reiten, doch ich vertraue, daß
wir einst das Unsere wieder erlangen." Dietrichs Mannen
aber traten nacheinander heran und schwuren, sie wollten eher
Gut und Leben lassen als ihren Herrn. „Mit dir wollen wir
sterben oder gerettet sein, mit dir leiden, was immer dich trifft.' 4
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Ais sie noch redeten, kam ein Bote auf schäumendem Roß
vor die Burg gejagt. Der rief: „Leidvolle Mär bringe ich dir,
König Dietrich. Ermenrichs Mannen liegen auf deiner Mark,
hausen übel mit Brennen und Plündern. Viel tausend Recken
zählt sein Heer, schon sind sie nahe vor Bern." — „Allzu-
wenig sind unserer Mannen", sprach grimmig Hildebrand,
,, allzu jung ist unser Herr. Darum bleibt uns keine Wahl
als Flucht. Einst aber wird Ermenrich den Schimpf büßen,
den er jetzt uns antut."
Schnell verbreitete sich das Wort über die ganze Stadt,
daß Hildebrand seinem jungen Herrn die Flucht geraten,
und daß sich die Mannen zum Aufbruch rüsteten. Da er-
scholl Klagen und Weinen überall. Die Frauen und Kinder
voll Leid um die Helden gingen jammernd vor die Burg und
riefen: „Wem wollt ihr uns lassen, da ihr von hinnen
reitet?" Da erhob sich Dietrich und rief: „Mit Leid muß ich
euch lassen und von dannen ziehen. Und nicht weiß ich,
ob ihr mich je wiederschaut. Mit Schmerzen muß ich leben
bis an den Tag, da ich mein Leid an Ermenrich räche und
euren Jammer tilge." Da faßte mancher Recke sein Weib
bei der Hand, ehe er mit seinem Herrn ins Elend zog, und
tröstete sie mit freundlichem Wort. Dann nahmen sie trau-
rigen Urlaub von ihren Frauen.
Hildebrand der Alte aber ergriff König Dietrichs Banner-
stange, sprang auf sein Roß und befahl allen, ihm zu folgen.
Dietrich mit seinen fünfzig Getreuen ritt hinaus ins Land,
nordwärts wandten sie sich übers Gebirg und zogen dahin,
bis sie zu einer Burg kamen, die Bechlarn geheißen wurde.
Über sie herrschte Markgraf Rüdiger, ein mächtiger Degen.
Als der vernahm, König Dietrich sei zu seiner Burg gekommen,
hieß er all seine Mannen sich rüsten, stieg zu Roß und ritt
an der Seite seines Weibes Gotelind mit großem Gepränge
dem Fürsten entgegen. Voll Freude empfing er ihn und rief:
„Wohl mir, daß ich dich sehe, sei mir willkommen mit deinen
Mannen." Er kniete zur Begrüßung vor Dietrich nieder,
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der aber sprach: „Steh auf, ich bin ein armer Knabe und von
meinem Lande vertrieben. Um Gnade komme ich zu dir,
Rüdiger, die kann ich dir wohl nie vergelten, so lange ich
lebe." — »Sage mir", sprach Rüdiger, „wie du von deinen
Landen schiedest." Betrübt antwortete Dietrich: „Vor
Ermenrich mußte ich von meinem Erbe weichen. All meine
Burgen und das weite Land hat er mir mit Gewalt entrissen.
Nicht anderen Gutes bin ich Herr als dessen, was du hier
vor Augen siehst." — „Herr", sprach Rüdiger, „kehre bei
mir ein, daß ich dich rüste, wie es einem Könige gebührt,
und dich meinem Herrn, König Etzel im Hunnenland und
Helche, seinem Weibe zuführe. Alles was ich habe, ist dein.
Deine Not ist auch die meine."
Da ritten Dietrich und seine Helden mit Rüdiger auf seine
Burg. Der milde Markgraf ließ sogleich dem jungen König
reiche Schätze bringen: herrliche Rosse mit glänzendem
Sattelzeug, reiche Gewände und köstliche Leinwand, dazu
goldenes Geschmeide und schöne Steine ließ er herbeibringen
und sprach: „Empfange, edler Fürst, dies alles von mir in
guter Minne. Niemand soll deine Armut sehen, in der du
herkamst." Rüdiger ließ ein festliches Mahl richten und
ehrte Dietrich mit königlichen Ehren.
Dann machte sich Rüdiger mit seinen Gästen auf, um
sie an den Hof König Etzels zu geleiten. Als dem gemeldet
wurde, es nahe der junge König von Bern, ritt er ihm an der
Spitze seiner Mannen mit großer Pracht entgegen, begleitet
von der Königin. Auch er empfing den Vertriebenen mit
königlichen Ehren, hieß ihn in seinen Landen willkommen
und führte ihn in seine Burg. Er setzte ihn neben sich in
den Hochsitz und gab Dietrichs Mannen ehrenvolle Plätze.
Als er vernommen hatte, welches Unheil den König betroffen
und wie treulos Ermenrich an ihm gehandelt hatte, sprach
er: „Weh, welches Leid ist dir geschehen! Möchte ich doch
deine Rache an Ermenrich erleben! Du aber bleibe bei mir,
solange es dir gefällt. Meine beste Habe soll dein sein, denn
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große Freude bringt mir, daß ein so hoher König in mein
Land gekommen ist. Edleren Gast und mannhaftere Schar
sah ich nie sich zu mir wenden." — ,, Auf Gnade kam ich ins
Land", erwiderte Dietrich, „du und Frau Helche seid mein
einziger Trost, wenn ich meines Leides je ledig werden soll.
Wie ich nur kann, will ich vergelten, was ihr an mir tut."
Und Frau Helche sprach zu ihm: „Von Trauer ist mein Herz
beschwert über dein Schicksal. Nichts will ich sinnen als dir
zu helfen, und zu sorgen, daß König Etzel dir gewähre, was
deinem Heile dient. Willst du dein Leid rächen, so hat Etzel
manchen kühnen Helden und reiche Schätze, und einst kann
geschehen, daß du dein Land mit unserer Hilfe wieder gewinnst."
18. DIETRICHS ERSTER HEERZUG UND DER TOD DER
Hochgeehrt weilte König Dietrich lange Zeit am Hunnen-
hofe bei König Etzel und erwuchs in seinem Dienst zu einem
Helden, von dem die Sage manches Wunder an Mannheit und
Reckentum berichtet. Doch immer war sein Herz voll Trauer,
und unter Grimm und Klagen verbrachte er seine Nächte.
Als er vor Ermenrich fliehen mußte, war Diether, sein
Bruder, erst einen Winter alt. Nun war er zu einem tapferen
Recken herangewachsen und überragte seine Genossen an
Kraft und Schönheit. König Etzel hatte zwei Söhne, Erp
und Ortwin, die waren ein wenig jünger als Diether und ihm
durch untrennbare Liebe verbunden. Helche, ihre Mutter,
liebte Diether wie ihre eigenen Söhne.
Zwanzig Winter waren seit Dietrichs Ankunft am Hunnen-
hofe vergangen. Da gewahrte Helche, die tugendhafte
Königin, wie der Held mit seinem Kummer rang und von
schwerem Leide bedrängt wurde. Sie beschloß, ihm zu helfen.
Einst trat er in die Halle ein, wo sie saß. Freundlich ward
er bewillkommt, doch saß er stumm und harmvoll da. End-
lich, auf Helches Frage nach dem Grunde seines Kummers,
sprach er: „Mich denkt, wie ich mein Reich lassen mußte
ETZELSÖHNE
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und Bern, meine schöne Stadt, und wie ich in König Etzels
Gnade und Schutz kam. Zwanzig Winter bin ich all meines
Gutes ledig gewesen. Das grämt mich so, daß ich es vor
euch klagen muß." Helche sprach: „Lange weiltest du bei
uns und liehst uns deine Hilfe. Willst du nun trachten, dein
Reich wieder zu gewinnen, so ziemt sich, daß die Hunnen dich
mit einem Heere unterstützen, ich aber will dir meine beiden
Söhne zum Beistand geben mit vielen Mannen und meinen
Herrn bitten, daß auch er dir helfe." Das gewährte ihr König
Etzel, und so gewann Dietrich ein mächtiges Heer.
Als im Frühjahr die Mannen sich sammelten, um mit
Dietrich nach Süden zu ziehen, trat Helche vor König Etzel
hin und sprach: n Ich sagte Dietrich zu, daß meine Söhne ihm
auf seinem Zuge folgen sollten, nun gib auch du deine Billi-
gung." — „Nie geschieht das mit meinem Willen", sprach
Etzel. Erst als Dietrich versprach, die Jünglinge treu zu
hüten, stimmte er voll banger Sorge zu und sprach zu Dietrich:
„Deiner Treue befehle ich die Knaben, doch fürchte ich böses
Geschick." — „Vertraut mir", sprach Dietrich, „daß ich
euere Söhne wohlbehalten wiederbringe."
An einem Maientage rüstete Helche ihre Söhne und den
jungen Diether mit herrlichen, goldgezierten Waffen. Dann
sprach sie weinend: „Wohl ist mein Wunsch, daß ihr heil
zu mir wiederkehret, doch mehr noch wünsche ich, daß
man euch tapfere Helden nenne, wenn ihr aus dem Kampfe
heimkommt." Und zu Diether sprach sie: „Du bist meinen
Söhnen durch Liebe verbunden, immer wart ihr bisher im Spiel
einer des anderen Helfer. Nun laßt euch nicht trennen und steht
einander bei auch im ernsten Streit." Und Diether antwortete:
„Herrin, Gott mag helfen, daß ich dir deine Söhne gesund
heimführe. Fallen sie aber im Kampfe, so kehre auch ich
nicht wieder, denn ich will nicht leben, wenn sie tot sind."
Der Hunnenfürst übergab das Heer König Dietrich und
den erwählten Führern: dem Markgrafen Rüdiger und dem
jungen Diether, in dessen Schar Erp und Ortwin ritten, dazu
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den Recken Wolf hart, Helferich und dem alten Hildebrand.
Zu Helferich aber sprach Frau Helche, bevor das Heer aus-
ritt: „Guter Freund, dir gebe ich meine Söhne in Obhut.
Laß sie neben dir reiten, wenn es zum Kampfe kommt."
Helferich erwiderte: „Das schwöre ich, daß ich nimmer heim-
kommen will ohne deine Söhne."
Dietrich zog mit seinem Heere nach Süden. Er sandte
Boten voraus, Ermenrich zu melden, daß er mit seinem
Bruder heimkehre in sein angestammtes Erbe mit großem
Heerbann. Wolle Ermenrich ihm das Reich wehren, so möge
er sich zur Schlacht an vereinbartem Orte stellen, denn er
verschmähe es, sich in sein Reich zu stehlen. Als Ermenrich
diese Botschaft vernahm, besandte er seine Mannen über das
ganze Land hin und entbot jeden, der die Waffen tragen
könne, zum Heerbann. Und als sie versammelt waren,
ordnete er die Haufen und stellte sie unter den Befehl Sibichs
und Wittichs. Zu Sibich sprach er: „Du sollst König Dietrich
entgegengehen mit deiner Schar, und eine männliche Tat
wäre es, wenn du mit Dietrichs Schwert in der Hand heim-
kehrtest." Zu Wittich aber sprach er: „Du führe deine Schar
wider die Hunnen. Nicht darfst du mit Unsieg zu mir heim-
kommen. Ich wollte aber, daß Dietrich und sein Bruder
nicht lebend aus der Schlacht kämen. Vor allem aber sorget,
daß König Etzels Söhne nicht lebend zurückkehren." Wittich
antwortete: „Wohl bin ich bereit, wider die Hunnen und
König Etzels Söhne zu kämpfen, gegen Dietrich aber soll
sich meine Hand nicht heben, keinen Schaden soll sie ihm
zufügen, solange mein Wille gilt." Darauf ritt das Heer
nordwärts über das Gebirge Mundia zur vereinbarten Walstatt.
An einem Strome nahe dem Meere trafen sie auf König
Dietrichs Heer, und beide Heere lagen sich die Nacht hindurch
nördlich und südlich des Flusses gegenüber.
Am Morgen ließ Dietrich die Heerhörner schallen, und bald
dröhnten sie auch in Ermenrichs Heer. Die Hunnen durch-
schritten eine Furt des Stromes und griffen in drei Heer-
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häufen, geführt von Dietrich, Rüdiger und Diether, ihre
Gegner an, die ihnen auch in drei Haufen entgegenritten.
Zuerst entbrannte der Kampf zwischen Dietrichs und Sibichs
Schar. In wildem Zorn fuhr Dietrich durch die Reihen
seines verräterischen Feindes, daß niemand ihm standhalten
konnte. Als Sibichs Bannerträger unter den Streichen von
Dietrichs Mannen gefallen war, wandte sich der Treulose
mit den Seinen zur Flucht. Dietrich aber setzte ihm nach,
verfolgte ihn den ganzen Tag und erschlug viele seiner Mannen.
Als Wittich Sibichs Flucht sah, wollte er das Schicksal
des Tages wenden. Kühn drang er gegen Diethers Heer-
haufen heran, in dem Nudung, Rüdigers Mage, das Banner
führte. Den schlug er zu Boden. Als Ortwin das sah, sprach
er zu seinem Bruder und Helferich: „Seht, welchen Schaden
der grimme Wittich unseren Mannen tut. Sind wir nicht
junge Recken? Auf denn, laßt uns ihn anrennen!" Mit
heldenhaftem Mute ritt Ortwin auf Wittich ein. Der rief ihm
entgegen: „Du junger Hunnenkönig, was kümmert dich
italisch Land? Reite wieder heim, sonst wirst du das
Hunnenland nie wieder sehen." — „Feigling, wie wagst du
es, hohe Könige zu beschimpfen? Das sollst du ent-
gelten", rief Ortwin. Er schwang sein Schwert grimmig auf
Wittichs Helm, daß das Feuer heraussprang, und schlug ihm
eine Wunde. Da entbrannte Wittichs Zorn, er traf den
Jüngling, daß er tot zu Boden fiel, und Helferich, der dem
Gestürzten zu Hilfe eilen wollte, folgte ihm in den Tod nach.
Als Erp den Fall seines Bruders sah, ritt er herbei, ihn zu
rächen. Doch Wittichs hochgeschwungenes Schwert spaltete
ihm das Haupt. Schon sinkend, schlug der junge Hunnen-
fürst seinem Gegner einen Schlag, daß er einen Augenblick
auf die Mark niederfiel. Diether aber, als er seine geliebten
Freunde am Boden sah, fiel voll Grimm und Schmerz über
Wittich her. Der rief ihn an: „Wohl erkenne ich dich, du
bist König Dietrichs Bruder. Darum reite hinweg, Diether,
denn um seinetwillen möchte ich dir keinen Schaden tun.
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Suche Kampf mit anderen Männern!" Doch Diether ant-
wortete: „Das schwöre ich: da du meine jungen Könige Erp
und Ortwin erschlagen hast, so will ich gewißlich nicht leben,
es sei denn, daß ich sie an dir räche. Darum sollst du mich
tot vom Rosse fällen, oder ich muß dein Töter heißen." —
„So kann ich dir nicht anders entrinnen als durch den Kampf",
rief Wittich, „das aber zeuge mir Gott, daß ich es ungern
und in höchster Not tue, wenn ich dich erschlage." In wildem
Zorn hieb Diether auf den Recken ein und weithin erklangen
die Schwerter über das Feld. Beide Kämpfer waren von den
Rossen gestiegen und trieben sich in grimmigem Fechten
über die Walstatt hin. Doch zu früh erlahmte des jungen
Diether Kraft vor dem erprobten Recken, sein Schwert glitt
an der Härte von Wittichs Helm nieder. Noch einmal
stürmte er mit letzter Kraft auf seinen Gegner ein, da warf
dieser den Schild zu Boden, faßte sein Schwert mit beiden
Händen und rief: „So muß ich denn das Werk tun, das ich
nimmer tun sollte. Doch tue ich es nicht, so muß ich selbst
mein Leben lassen." Darauf durchhieb er seinen Gegner
von der Achsel bis zum Gürtel. Schmerz ergriff ihn, als er
den jungen König gefällt am Boden sah. Er sprach: „Gern
wollte ich selbst den Tod leiden, wenn ich dich noch heilen
könnte. Nun muß ich vor Dietrich alle Lande räumen."
Weiter tobte der Kampf und auch der Teil von Ermen-
richs Heer, der noch standgehalten hatte, wurde durch Rü-
digers Schar zur Flucht gewandt. In diesem Kampfe fiel
mancher Blutsbruder von seines Blutsbruders Hand. Zu-
letzt mußte auch Wittich mit seinen Tapferen fliehen.
In wildem Ritt hatte König Dietrich die Fliehenden ver-
folgt. Da sprengte ihm einer seiner Mannen nach und rief
ihm voll Schmerz entgegen: „Herr, laß ab von der Verfol-
gung! Schreckliche Mär muß ich dir künden. Die jungen
Hunnenkönige und Diether, dein Bruder, liegen erschlagen
auf der Walstatt. Kehr um und räche sie!" In grimmigem
Schmerz brach es aus Dietrich hervor: „Wehe, jetzt erst
II Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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verlor ich Reich und Leben, dazu auch meine Ehre! 0
schlimmster Tag, den das Schicksal über mich kommen ließ,
da auf mir keine Waffe haftete, aber die jungen Könige
fielen !" Er eilte hin wo die Jünglinge lagen, warf sich über
ihre Leiber, küßte sie in die Wunden und verfluchte den Tag
seiner Geburt. „Wer soll mir nun noch trauen", rief er,
„hört Helche, was hier geschah: um meine Ehre ist es ge-
schehen. Wohin immer ich mich kehre, da wird man sagen:
seht, der ist es, der seine Herren verriet. Darum kann ich
von diesem Tage an nicht wieder vor Etzel hintreten. So
will ich denn sterben oder meine jungen Könige rächen."
Als er noch klagte und die Wunden beschaute, die Mimung,
Wittichs gutes Schwert geschlagen hatte, rief einer der Mannen:
„Was säumst du, König? Sieh, dort flieht dein Feind über
die Heide!" Auf sprang der Held, schwang sich auf Valke,
sein berühmtes Roß, stieß ihm die Sporen mit Macht in die
Flanken und schoß wie der Sturmwind dahin. Feurig lohte
sein Grimm, glühend ging sein Atem, und so schrecklich war
er in seinem Zorne, daß niemand ihm zu nahen wagte. Bald
ließ er in wildem Ritt alle Recken weit hinter sich. Als aber
Wittich seinen Verfolger gewahrte, ließ er Schemming,
seinen guten Hengst, gewaltig rennen, daß er über die Heide
flog. Da begann Dietrich den Fliehenden anzurufen: „Warte,
Wittich, du Starker! Die jungen Könige will ich rächen,
die du erschlugst. Halt an, wenn du ein Walrecke bist, bis
ich dich erreiche!" Stumm eilte Wittich weiter. Und wieder
rief Dietrich über Schildes Rand: „Warte, hehrer Degen!
Laß mich doch von dir ohne Kampf nicht scheiden! Du
willst im Sturme der Kühnsten einer sein: wie magst du
nun vor dem Rächer derer fliehen, die du erschlugst?" Doch
Wittich trieb schweigend sein Roß an. Zum dritten Male
rief Dietrich: „Scheide mich, Held, von meinem Herzeleid!
Harre mein und sage: wie wehrten sich die Jünglinge? Halt
an, denn wahrlich: du wirst mich heute überwinden. Sieh,
ich bin tot an Händen und Gliedern, und ich weiß, du wirst
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mich im Streite töten. 14 Da wandte sich Wittich auf dem
eilenden Roß und rief: „In der Not erschlug ich die Könige
und deinen Bruder, und nie hätte ich dir dies Leid getan, hätte
ich anders mein Leben behalten können. Mit Gold will ich
dir deines Bruders Tod büßen."
Schon war Valke in wildem Lauf dem Fliehenden nahe
gekommen, da lag vor Wittich das Meer. Der dachte: „Wie
mag es mir ergehen? Streiten will ich nicht mit Dietrich,
auch kann ich ihm nicht entrinnen. Wer rettet mich aus
dieser Not?" Er hemmte sein Roß nicht, sondern sprengte
ins Wasser hinein. Da faßte Dietrich seinen Speer und
schleuderte ihn ihm nach. Wittich aber war schon in den
Fluten versunken. Dietrichs Speer stand zitternd in der
Düne des Strandes, und noch lange sah man ihn dort ragen.
Leidvoll ritt der Held zur Walstatt zurück. An den Leichen
der gefallenen Könige klagte er bitter über sein Geschick und
sprach: „Das ist mir der schwerste Harm, daß ich euch habe
verlieren müssen. Nie kann ich nun ins Hunnenland zurück-
kehren. Lieber läge ich selbst zerhauen auf der Walstatt,
als daß ihr den Boden deckt." Und zu Rüdiger sprach er:
„Fahre nun heim mit dem Hunnenheer, bringe König Etzel
und der Königin mein gutes Wort und suche mir ihre Huld
zu erwirken, indem du für mich sprichst, denn ich vermag
nicht über mich, ins Hunnenland zu reiten. Etzels Klage
und Helches Tränen kann ich nicht schauen. Auch kränkt
mich, wie viele gute Helden Etzel um mich verloren hat."
Rüdiger antwortete: „Tu nicht also, König! Oft geschieht
es, daß ein Fürst im Kampfe seine besten Helden verliert und
dennoch nicht sieglos heimkehrt. Freue dich deines Sieges
und verzweifle nicht, hast du gleich die jungen Könige ver-
loren. Wir aber wollen die Königin bitten, daß sie sich über
den Verlust ihrer Söhne tröste, und wollen ihr helfen, daß
Etzel dir wieder Freund werde wie zuvor." Immer noch
weigerte sich Dietrich, ins Hunnenland zu fahren. Da spra-
chen Rüdiger und die Seinen: „Willst du das nicht, so streite
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weiter gegen König Ermenrich, damit du dein Reich wieder
gewinnest. Und wir wollen dir mit dem ganzen Heere bei-
stehen und nicht eher heimkehren, bis dein ganzes Reich
dir Untertan ist." Doch Dietrich rief: „Wahrlich, nicht will
ich Etzels Scharen weiterführen, nachdem ich seine Söhne
verloren habe. Lieber will ich denn heimfahren mit euch."
So geschah es. Als sie aber nach Etzels Burg kamen,
wollte Dietrich nicht vor dem Könige erscheinen. Da ging
Rüdiger in die Halle, wo er Etzel und Helche fand. Die
riefen: „Willkommen, Rüdiger! Bringst du gute Zeitung
und errangen die Hunnen den Sieg? Lebt König Dietrich ?"
— „Wohl lebt König Dietrich", sprach Rüdiger, „und einen
großen Sieg haben wir errungen. Und dennoch ist es uns
schlimm ergangen, denn wir verloren unsere jungen Herren.
Erp und Ortwin liegen erschlagen auf der Walstatt. Ihr
sehet sie nimmermehr." Vor Jammer fiel da Helche zur
Erde und brach in laute Klagen aus. Etzel aber sprach:
„Wie fielen meine Söhne und wer folgte ihnen in den Tod?"
— „Manch teurer Held fiel mit ihnen", erwiderte Rüdiger.
„Der edelste ist Diether, der junge König, und Nudung und
Helferich sind ihnen im Tode vereint. Doch zahlreiche
Amelungen aus Ermenrichs Scharen fanden mit ihnen den
Tod, und wer von ihnen das Leben behielt, rettete sich durch
die Flucht." Da sprach Etzel, und heldischer Mut erfüllte
ihn bei dieser Zeitung: „Abermals geschah es hier wie
oft zuvor: die müssen fallen, die das Schicksal zum Tode
bestimmt hat, und keine Heldenstärke, noch herrliche Waffen
können sie schützen . . Doch wo ist mein Freund Dietrich?"
Rüdiger sprach: „Er hält sich verborgen und will dein An-
gesicht nicht sehen." Da sandte Etzel zwei seiner Recken
aus, daß sie Dietrich freundlich zu ihm lüden. Doch er wei-
gerte sich zu kommen und wollte keines Menschen Antlitz
sehen. Weinend erhob sich nun die Königin, ging zu ihm
und sprach: „Dietrich, mein Freund, sage mir: wie wehrten
sich meine Söhne? Fielen sie wie tapfere Helden?" Dietrich
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sprach: „Wahrlich, gute Helden waren sie und wehrten sich
mannhaft, und keiner wollte sich von dem andern scheiden
lassen." Da schlang Helche ihre Arme um Dietrichs Hals,
küßte ihn und sprach: „Leid genug ist dir geschehen, da auch
dein junger Bruder starb. Nun aber folge uns in die Halle,
sei uns willkommen und freue dich. Nicht frommt die Klage
um Tote." ] Da stand Dietrich auf und folgte der Königin in
die Halle. I Er neigte sich vor Etzel bis zur Erde und sprach:
„Edler König, räche an mir dein Leid um deine Söhne."*
Doch der König erhob sich, hieß ihn freundlich willkommen,
setzte ihn neben sich in den Hochsitz und sprach: ] „Edler
Dietrich, ich will dir Freund sein wie zuvor und dir um den
Tod meiner Söhne nicht zürnen."
19. DIE RABENSCHLACHT UND DIETRICHS HEIMKEHR
Wieder hatte Dietrich zwölf Jahre im Hunnenlande geweilt
und manchen schweren Kampf für König Etzel bestanden.
Das schwerste Los aber traf ihn, als er im Kampfe gegen
die Burgundenkönige an Etzels Hof all seine Recken verlor,
auf die er die Hoffnung seiner Heimkehr baute. Nach diesem
Blutbad blieb er mit dem alten Hildebrand einsam und trauernd
zurück. Endlich sprach er zu diesem: „Länger kann ich
nun das Leid nicht tragen, daß ich fern vom Amelungen-
lande altere. Lieber will ich sterben für mein Reich, als im
Hunnenlande vor Alter kraftlos werden und nie Land und
Ehre wieder gewinnen." — „Auch ich", sprach Hildebrand,
„will lieber im Amelungenlande sterben, als hier in Unehren
altern. Doch was sollen wir tun?" Dietrich sprach: „Ich
schwöre, daß ich nicht zum zweiten Male aus meinem Lande
mit Unehren hierher heimkehren will. Ich will Etzel meinen
Willen künden."
Abends ging Dietrich zu Etzel und sprach zu ihm: „Höre
mich, mächtiger König! Mein Harm um mein verlorenes
Erbe ist so groß geworden, daß ich beschlossen habe heim-
zufahren nach Amelungenland. Wiedergewinnen will ich
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mein Reich oder sterben." Etzel erwiderte: „Wo sind deine
Heermannen? Wer wird dir helfen dein Reich zu erobern?"
— „Dennoch will ich heimfahren", sprach Dietrich bitter.
Etzel erwiderte: „Teurer Freund Dietrich, ungern verliere
ich dich. Willst du aber nicht länger bleiben, rüste ich dir
ein Hunnenheer, das dir helfe, dein Reich zu gewinnen."
— „Edel handelst du an mir", sprach Dietrich, „daß du mir
noch einmal die Hilfe deiner tapferen Helden leihst."
Da entbot Etzel wieder ein starkes Heer und Dietrich
führte es nach Süden über das Gebirge. Der alte Hildebrand
leitete es durch die Marken: ihm waren die Straßen wohl-
bekannt. Als sie über das Gebirge gekommen waren, ver-
nahm Dietrich, daß Ermenrich ein gewaltiges Heer gesammelt
habe und vor Raben liege. Dorthin zog er mit seiner Macht.
Hildebrand ritt dem Heere voraus auf die Warte. Da traf
ihn das schrecklichste Wehgeschick, denn Hadebrand, sein
Sohn, den er an der Mutter Brust einst zurückließ, ritt ihm
entgegen, wollte in ihm den Vater nicht erkennen und forderte
ihn zum Kampfe heraus. Da mußte der leidvolle Greis, nach
so viel Jahren der Verbannung an der Schwelle der Heimat,
um seiner Ehre willen, den eigenen Sohn erschlagen.
Auf der Heide vor Raben ließ Dietrich die Zelte aufschlagen
und unter dem Banne eines kurzen Friedens lagen sich die
Heere die Nacht hindurch gegenüber. Am Morgen begann
eine wilde Schlacht. Zwölf Tage lang stritt Dietrichs Heer
gewaltig gegen Ermenrichs zahllose Übermacht. Unermüd-
lich durchschritt Dietrich mit seinen Hunnen die Reihen der
»
Feinde, bis endlich Ermenrich geschlagen war und Dietrich
die Walstatt siegreich behauptete. Als Ermenrich alles ver-
loren sah, ließ er sein Heer im Stich und wandte sich zur
Flucht. Mit ihm floh Sibich. Den aber fing Dietrich und
rief: „Nun werden alle die schlimmen Ratschläge an dir ge-
rochen, die du Ermenrich gabst. Viel Leid hast du mir getan,
du Treuloser, dafür mußt du dein Leben lassen." Er band
ihn nackend rücklings auf ein Roß und führte ihn durch das
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Hunnenheer. Dann übergab er ihn Eckehard, dem treuen
Pflegevater der Harlunge, die einst Ermenrich auf Sibichs
Rat verräterisch des Lebens beraubt hatte. Der Alte hatte
tapfer in Dietrichs Heer gekämpft. Nun sprach er: „So wird
mir noch das Glück, daß ich meine jungen Herren an dem
Verräter rächen kann. Einen Galgen will ich mit dir be-
schweren, so rätst du niemand mehr einen ungetreuen Rat."
Und so geschah es. Ermenrich selber aber entkam durch
die Flucht und starb später einen ruhmlosen Tod.
Die Stadt Raben fiel in Dietrichs Hand, und bald begannen
ihm die Mannen aus dem ganzen Amelungenlande zuzu-
strömen, als sie vernahmen, daß Ermenrichs Macht gestürzt,
daß Sibich tot und Dietrich, ihr angestammter Herr, in sein
Land siegreich heimgekehrt sei. Alle Burgen des Landes
öffneten sich König Dietrich, und vom Volke bejubelt, zog er
mit dem alten Hildebrand in die gute Stadt Bern wieder ein.
Lange Jahre herrschte er gewaltig und geliebt über das
Amelungenland, und von seinen Taten wurde viel in Nord
und Süd bei den Völkern gesungen.
20. HILTIBRAND UND HADUBRAND
Als König Dietrich mit hunnischer Macht gegen Italien
rückte, um sein Erbreich von König Otaker zurückzuer-
obern, sandte er seinen Waffenmeister Hiltibrand als Kund-
schafter dem Heere voraus. Die Feinde hatten Hadubrand,
Hiltibrands Sohn, als Hüter der Mark auf die Warte gesandt. !
Zwischen den Heeren trafen sich Vater und Sohn und for-
»
derten einander zum Kampfe heraus.
Sohn und Vater richteten ihr Heergewand, schlössen den
Panzer, gürteten ihre Schwerter fest über den Ringen, als
sie zum Schicksalskampfe ritten. Hiltibrand hub an, der
Sohn des Heribrand — er war der Ältere, der Weisheitsgraue —
und begann zu fragen mit kurzem Wort, wer des Gegners
Vater wäre unter den Helden im Heervolk. „Nenne mir deinen
Namen", sprach er, „oder wes Geschlechtes du seist. Sagst du
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mir einen, junger Held, im Königreiche, dann weiß ich die
andern schon: kund sind mir weit und breit die Heldensippen."
Hadubrand erwiderte, Hiltibrands Sohn: „Das sagten mir
unsere Leute, alte und kundige, die früher waren, Hiltibrand
habe mein Vater geheißen: ich heiße Hadubrand. Einst
machte er sich auf, nach Osten zu fahren, er floh Otakers
grimmigen Haß, hinweg eilte er mit Dietrich und der Schar
seiner Mannen. In der Heimat ließ er sein junges Weib im
Baue sitzen mit ihrem Buben und der Habe beraubt: er ritt
gen Osten. Denn Dietrich bedurfte meines Vaters sehr, des
freund- und sippelosen Mannes: maßlos war er wider O taker
ergrimmt, doch dem Dietrich der liebste Degen. Immer ritt
er an der Spitze der Heerschar, Kampf war ihm lieber als
alles, in aller Munde war bald sein Name bei kühnen Männern.
Doch nicht glaube ich, daß er nun noch lebt." — „Ist Hilti-
brand dein Vater", rief der Alte, „dann zeuge mir der Kampf -
gott im Himmel droben, daß du noch nie mit so nahen Ge-
sippen deine Sache führtest." Er streifte vom Arme ge-
wundene Spangen, aus Kaisergold gefertigt, die sein König
ihm gab, der Hunnenherrscher, und sprach: „Nimm dies, ich
gebe es zum Zeichen meiner Huld." Doch Hadubrand
sprach, Hiltibrands Sohn: „Mit dem Gere soll der Mann
Gaben nehmen, Spitze wider Spitze. Du bist mir, alter Hunne,
unmäßig schlau, lockst mich mit listigen Worten und willst
deinen Speer nach mir werfen. So alt und grau du wurdest,
immer steckst du voll Arglist. Das sagten mir Leute, die
über die See fuhren, westhin über das Weltmeer, daß Kampf
ihn entraffte: tot ist Hiltibrand, Heribrands Sohn." — „Lebend
kam zur Heimat, den du tot wähnst", rief Hiltibrand, „land-
flüchtig und in fremder Rüstung." — „Kein Friedloser bist
du", sprach Hadubrand, „an deiner Rüstung erkenne ich/
daß du daheim einen guten Herrn hast, daß du noch nie-
mals bannflüchtig aus diesem Lande fuhrst. 4 ' Da klagte zür-
nend Hiltibrand, Heribrands Sohn: „Wohlan denn, waltender
Gott, Wehsal geschieht! Sechzig der Sommer und Winter
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wallte ich fern der Heimat, seit man mich in die Schar der
Kämpfer reihte. In keinem Sturme traf mich der Todbann:
nun soll eigenen Kindes Schwert mich hauen, mich nieder-
strecken mit scharfer Klinge, oder ich muß sein Töter
werden. Du kannst nun leicht, wenn deine Kraft dir taugt,
im Kampfe wider mein graues Haupt die Rüstung gewinnen,
dir die Siegesbeute erraffen, wenn dein Los recht hat." Hadu-
brand rief: „Genug der trügerischen Worte. Gedenke zu streiten,
wie es Feind wider Feinde ziemt, wenn nicht Feigheit dich
bindet." Da rief Hiltibrand: „Der müßte der feigste heißen in
der Heerschar vom Osten, der dir jetzt noch den Kampf weigerte,
da dich nach ihm so heftig lüstet, dem frevelhaften Zweikampf.
Erprobe denn, wem es beschieden ist, heute sein Heergewand
zu räumen oder beider Brünnen Herr zu sein."
Da ließen sie zuerst die eschenen Speere fliegen in scharfen
Schauern, die standen im Schilde. Dann stapften sie zu-
sammen, zerkloben mit den Schwertern die Kampf Schilde,
in wildem Grimme zerhieben sie die weißen Ränder,; bis ihnen
die Lindenbretter mürb wurden, zerborsten unter wütenden
Hieben. Endlich traf Hiltibrands Schwert in mächtigem
Schwünge Hadubrands Brünne, durchschlug sie und drang
tief in den Schenkel ein. | Da mußte Hadubrand vom Kampfe
lassen und rief: ! „Sieh hier mein Schwert! Nimm es als
Sieger." Hiltibrand streckte die Hand aus nach dem dar-
gereichten Schwerte, da führte Hadubrand wider den Ent-
blößten einen tückischen Hieb. In mächtigem Satze sprang
der Alte hinter sich. „Den Hieb lehrte dich ein Weib, nicht
dein Vater", rief er, „nun mußt du Unehre mit deinem Tode
büßen." Er drang so gewaltig auf Hadubrand ein, daß der
Jüngling zu Boden fiel, und durchstieß dem Gefällten die
Brust mit dem Schwerte.
Dann aber neigte der Alte gramvoll sein Grauhaupt über
den Sohn und klagte: „Nun deckt den Boden mein lieber Sohn,
der einzige Erbe, den ich gewann, meines Alters Trost. Un-
wollend brachte ich ihm den Tod."
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IV. WESTGOTEN
HEIDREK
21. WIE HEIDREK GOTENKÖNIG WURDE
inst herrschte auf Gläsisval ein König mit Namen Höf und,
l_-rfder weiseste aller Männer und der klügste Richter.
Höf und vermählte sich mit Herwör und zeugte mit ihr
zwei Söhne. Heidrek, der eine von ihnen, war von wildem
und unbändigem Sinn und beging schon in früher Jugend
manche Untat. Sein Pfleger hieß Gizur.
Als einst König Höfund die Großen seines Reiches zu fest-
lichem Gelage lud und dabei seinen Sohn Heidrek überging,
beschloß dieser voll Zorn, den Frieden in der Halle zu brechen.
Ohne auf Gizurs Rat zu hören, machte er sich auf und trat
während des Gelages in die Halle seines Vaters. Dort reizte
er mit listigem Wort die Mannen wider einander auf, so daß
zuerst Zank, dann Faustschläge sie entzweiten und endlich
ein Totschlag das Fest schändete. Als Höfund diese Untat
seines Sohnes vernahm, verbannte er ihn aus seinem Reiche.
Ehe Heidrek aber schied, gab ihm seine Mutter das Schwert
Tyrfing. Das war ein herrliches Siegschwert. Zwerge hatten
es einst geschmiedet, doch mit dem Fluche belegt, daß ein
Mann ihm zum Opfer fallen mußte jedesmal, wenn es aus der
Scheide fuhr. Da sprach Heidrek: „Wie wenig gleicht meines
Vaters und meiner Mutter Liebe zu mir einander. Er machte
mich landflüchtig, sie aber gab mir das Schwert Tyrfing, das
mir höher gilt, als ein ganzes Königreich. Nun will ich
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meinem Vater das schlimmste antun, das ihn treffen kann."
Er riß Tyrfing aus der Scheide — Funken und Strahlen
sprühte das herrliche Schwert — und versetzte seinem
Bruder den Todesstreich. Darauf entwich er in die Wälder.
Lange lebte er einsam und geächtet im Forst und nährte
sich von Wild und Vögeln. Endlich, als er den Ruhm und das
Heldentum seiner Vorfahren bedachte, ertrug er sein Elend
nicht länger. Er machte sich auf und kam ins Land der
Goten. Damals herrschte über das Gotenland König Harald,
der nahm den Flüchtling freundlich bei sich auf. Nachdem
Heidrek die Feinde des greisen Gotenkönigs mit Tyrfing,
dem nicht Stahl noch Eisenkleid widerstand, siegreich be-
kämpft hatte, gab ihm dieser seine Tochter Helga zum Weibe,
dazu sein halbes Reich.
Heidrek gewann von seinem Weibe einen Sohn, den nannte
er Angantyr. Auch König Harald zeugte noch in hohem
Alter einen Sohn. Damals kam große Heimsuchung über
das Gotenland: ein Mißwachs drohte es ganz von Menschen
zu entleeren. Da warfen die Hoch weisen Lose, und der
Blutspan wurde gefällt. Der verkündete, daß über das Goten-
land nie wieder gute Jahre kämen, bis man
Knaben im Lande Odin geopfert habe. Da nannte Heidrek
den Sohn des Harald den edelsten Sproß, Harald aber den
des Heidrek. Darum beschloß man: König Höf und auf
Gläsisval, der weise Mund, der aller Lossprüche kundig war,
solle in der Sache richten. Heidrek zog zu seinem Vater
und ward freundlich aufgenommen. Höf und aber fand das
Urteil: Heidreks Sohn sei der edelste Sproß im Gotenlande.
Heidrek sprach: ,, Welchen Ersatz sprichst du mir zu für den
Verlust meines Sohnes, den dein Spruch mir raubt?" Höfund
antwortete: „Als Bedingung sollst du fordern, daß, ehe du
deinen Sohn zur Opferung übergibst, jeder zweite Mann in
König Haralds Gefolge sich deiner Gewalt ergebe. Wenn du
ein solches Heer hast, so brauche ich dir nicht weiter zu raten."
Heidrek kehrte heim, versammelte die Mannen zum Thing
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und sprach: „Diesen Spruch fand König Höf und, mein Vater:
mein Sohn sei der edelste Sproß in diesem Lande, und so be-
stimme ich ihn zum Opfer. Doch zum Ersatz sprach mir
Höfund jeden zweiten Mann aus König Haralds Gefolge zu.
Darum fordere ich, daß ihr mir Treueide schwört." Dem
fügte sich die Thinggemeinde, und Heidrek vereinigte die
Hälfte von Haralds Mannen mit den Seinen. Als aber die
Goten die Auslieferung des Sohnes forderten, damit das Opfer
geschehe und die Hungersnot ein Ende nehme, forderte
Heidrek von seinen neuen Mannen einen harten Eid, daß
sie ihm folgen wollten, wohin er sie führe, es sei inner und
außer Landes und sprach dann: „So dünkt mich denn, daß
dem Odin genug vergolten sei für einen Knaben, wenn ich
ihm an seiner Statt König Harald, seinen Sohn und sein ganzes
Heer nach Walhall sende." Darauf ließ er die Hörner blasen,
sein Banner aufrichten und führte seine Schar König Harald
entgegen. Eine ungleiche Schlacht begann, und bald fiel der
alte König Harald und all seine Mannen. Heidrek weihte
die ganze Wal dem Odin anstelle seines Sohnes. Dann unter-
warf er sich das weite Gotenreich und wurde ein mächtiger
König. Helga aber, sein Weib, gab sich vor Gram über den
Tod ihrer Sippe im Frauengemache selbst den Tod.
22. HEIDREKS TOD
Im Gotenland lebte ein mächtiger Mann, Gest der Blinde
genannt. Ihm wurde König Heidrek feind und gebot ihm,
wenn er Gewalt vermeiden wolle, sich dem Spruche seiner
zwölf Rechtsweisen am Hofe zu stellen oder seinem Herrn
Rätsel aufzugeben, die dieser nicht raten könne.- In diesem
Falle wolle er ihm Frieden und Sicherheit gewähren.
Gest war keiner Rätselweisheit kundig, auch fürchtete er
den Spruch der Rechtsweisen, denn manches Verschulden lag
auf ihm. Wenn er aber von des Königs Mannen ergriffen
würde, so wußte er sein Leben verwirkt. In dieser Bedrängnis
opferte er dem Odin und flehte ihn um Rettung an.
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Eines Abends spät kam ein Fremder zu Gest dem Blinden.
Er nannte sich wie dieser und war ihm an Gestalt so ähnlich»
daß niemand sie unterschieden hätte. Der Fremde befahl
dem Bedrängten, mit ihm die Kleider zu tauschen. Das ge-
schah, und der Hausherr verbarg sich.
Am nächsten Tage begab sich der Ankömmling zum Könige
und sprach: „Ich bin gekommen, um von dir mein Recht zu
nehmen." — „Willst du dich dem Spruche meiner Rechts-
weisen unterwerf en", fragte der König, „oder willst du mir
Rätsel stellen, dich vom Gericht zu lösen?" Gest antwortete:
„Beides ist schwer, doch will ich Rätsel stellen." Gest gab
darauf dem Könige viele Rätsel zu raten, der aber fand für
alle die Lösung. Endlich aber fragte der Fremde: „Was
flüsterte Odin Balder ins Ohr, ehe man ihn auf den Scheiter-
haufen hob?" Da erkannte ihn Heidrek und rief: „Tücke
und Bosheit und alles Verderben! Niemand weiß, was du
flüstertest, außer dir selber, du schlimmer Wicht, du falscher
Wurm!" Brennend vor Zorn riß er das Schwert Tyrfing aus
der Scheide und wollte den Fremden niederhauen. Der aber
verwandelte sich in einen Falken und entfloh durch das
Fenster. Heidrek hieb nach ihm, beschnitt ihm den Schweif
und stutzte die Federn. Da rief Odin: „Dafür, König Heidrek,
daß du das Schwert wider mich erhobst, mich unschuldig
töten wolltest und so den Frieden brachst, den du mir ge-
währtest, sollst du von der Hand der niedrigsten Knechte
fallen." Damit flog er von dannen.
Heidrek hatte neun Leibeigene, die auf einer Heerfahrt
gen Westen gefangen worden waren. Sie waren aus edlem
Geschlecht und trugen widerwillig ihre Unfreiheit. Einst als
Heidrek bei einer Reise durch sein Reich nach langem Tages-
ritt in seinem Zelt unter den Harwadabergen übernachtete
und wenig andere um ihn waren, erhoben sich diese, griffen
zu den Waffen und erschlugen den schlafenden König samt
seinem Gefolge mit Tyrfing, dem Schwerte des Königs. So
erging Odins Spruch.
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}
23. DIE HUNNENSCHLACHT
Als Heidrek, der Gotenkönig, unter den Harwadabergen
erschlagen war, ward Angantyr, den er mit Helga, der Tochter
des alten Gotenkönigs Harald gezeugt hatte, sein Erbe. Dort,
wo sein Vater den verräterischen Knechten erlegen war, ließ
er ein großes Grabmal errichten und bestattete darin den
König. Dann ergriff er Besitz von allen Reichen und Landen,
die einst Heidrek besaß. Doch nicht eher wollte er sich in
seines Vaters Hochsitz setzen, noch das Erbmahl richten,
bevor er den treulosen Mord gerächt hätte. Als er das voll-
bracht hatte, ward das feierliche Erbmahl zu Dampstadt im
Gotenlande in der Königshalle, die Arheim heißt, bestellt.
Einst hatte König Heidrek die Hunnen besiegt und Humli,
ihren König, in die Flucht getrieben. Mit reicher Beute
hatte er auch Humlis Tochter Sifka heimgeführt und als
seine Kebse bei sich behalten, aber als sie im nächsten Sommer
mit einem Kinde ging, hatte er sie zu ihrem Vater heim-
gesandt. Dort im Hunnenland ward Löd, ihr Sohn, geboren:
mit Schwert und Degen, mit schimmernder Brünne, mit ring-
geschmücktem Helm und beißender Klinge, mit wohl-
gezähmten Roß wurde er im heiligen Walde erzogen. Als Löd
des Vaters Fall und des Bruders Königtum erfuhr, ritt er von
Osten, der Heidrek-Erbe, und kam zum Hof und der Halle
des Gotenherrschers nach Arheim, sein Anteil zu heischen.'
Dort trank Angantyr König Heidreks Erbmahl.
Mit starkem Heere kam Löd zur Nacht nach Arheim. Draußen
vor dem hohen Saale fand er einen Mann, den nächtigen Gänger
hieß er dem Könige melden, daß Heidreks Erbe gekommen
sei: „Geh hinein, Kämpe, in den hohen Saal, bitte Angantyr,
daß er hinauskomme, mir Rede zu stehn." Drinnen sprach
der Mann vor des Königs Sitz: „Löd kam hierher, Heidreks
Erbe, dein Bruder, der kühne Held, auf Pferdes Rücken sitzt
ragend der junge Krieger, mit dir, König, begehrt er zu reden.* 4
Auf sprang Angantyr, schnell hüllte er sich in die Brünne,
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den weißen Schild ergriff die eine Hand, das Schwert die
andere. Lärm erscholl in der Halle, mit ihrem König erhoben
sich die kämpf gierigen Mannen. Jeder begehrte zu hören,
was Löd spräche und welche Antwort ihm Angantyr wüßte.
Und Angantyr sprach: „Sei mir willkommen, Löd, mein
Bruder, geh hinein und trinke mit uns des Vaters Gedächtnis,
ihm zur Ehre, uns allen zum Ruhme." Doch Löd erwiderte:
„Anderes Begehren trieb mich her! Ich fordere die Hälfte
von Heidreks ganzer Habe, von Pfeil und Speerspitze und
dem ganzen Schatze, von Kuh und Kalb und dem Korn in der
polternden Mühle, von Knecht und Magd und ihrem Kinde,
ich fordere auch den mächtigen Forst, den man Dunkelwald
nennt, ' den heiligen Hügel der Königsgruft, der an der Straße
des Volkes liegt, den schönen künstlich geritzten Steinblock,
der am Gestade des Damp ruht, die Hälfte der Heerburgen, die
Heidrek besaß, Lande und Volk und schimmernde Ringe. 1 '
Da sprach Angantyr: „Zerbersten soll, Bruder, der weiße
Schild, kalte Speere sollen aneinander erklingen, mancher
Mann den Rasen decken, eh ich das Tyrfingland in zwei Teile
Zerfälle oder dir, Humling, die Hälfte lasse. Doch biete ich
dir schöne Ringe, Gut und Habe die Fülle, was nur du begehrst,
zwölfhundert Mannen, zwölfhundert Rosse, zwölfhundert
Knechte den Schild zu tragen. Jedem der Mannen gebe ich
reiche Gaben, andere und bessere als er irgend begehrt, eine
Maid geb ich jedem der Mannen zur Gabe, jeder Maid um-
spanne ich mit Geschmeide den Hals. Dich, wenn du sitzest,
umhäufe ich mit Silber, dich, wenn du gehst, überschütte ich
mit Gold, daß rings um dich her sich Ringe ergießen."
Als Gizur der Alte, einst Heidreks Nährvater, nun Angantyrs
Waffenmeister, dieses Angebot hörte, sprach er: „Das wäre
reiche Gabe für den Sohn der Magd, denn Mägdekind bleibt
er, ward er auch von Geburt als König gehalten. Auf dem
Hügel saß träge das Kebskind, als der edle Königssproß das
Erbe nahm und den Mord des Vaters sühnte."
Voll Grimm, daß Gizur ihn Mägdesohn und Kebskind ge-
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heißen hatte, zog Löd heim zu König Humli und erzählte, wie
ihm Angantyr die Hälfte des Erbes verweigere und wie
schmählich er beschimpft worden sei. Darob wurde Humli
von Zorn ergriffen und sprach: „Laßt uns sitzen in Ruhe den
Winter hindurch und in Freuden leben, laßt uns plaudern
und trinken den köstlichen Wein und die Hunnen lehren
Heerwaffen zu fertigen, die wir künftig voll Heldenmut dem
Feinde entgegentragen. Ein wohlgerüstetes Heer will ich
dir geben und die Krieger zur Fahrt entbieten: bis zum zwölf-
jährigen Knaben und zum zweijährigen Fohlen soll alles
sich zum Heerbann sammeln."
Im Frühling brachten Humli und Löd ein so gewaltiges
Heer zusammen, daß rings das Land von waffentragenden
Männern entblößt wurde. So groß war das Heer, daß man
die Haufen nach Tausendschaften ordnen mußte. Über die
sechs Heerhaufen gebot der Hunnenkönig, über jede Tausend-
schaft war ein Häuptling gesetzt, über jeder wehte ein Banner.
Jeder Haufen aber bestand aus fünf Tausendschaften und
jede Tausendschaft aus dreizehnhundert Kriegern, jede
Hundertschaft war vierfach gefüllt. Durch den Dunkelwald
ritt das Heer, der das Hunnenland vom Gotenland scheidet.
Als der Wald durchschritten war, lag vor den Hunnen
offnes Gefild voll prangender Weiler, die eine ragende Burg
beschützte. Über sie gebot Herwör, Angantyrs und Löds
Schwester, und ihr Pflegevater Ormar. Beide schützten hier
die Gotenmark wider die Hunnen mit vieler Mannschaft.
Herwör stand im grauenden Morgen über dem Burgtor
auf ragender Zinne. Nach Süden spähte sie gegen den Dunkel-
wald, da sah sie die aufsteigende Sonne vom Staub der Rosse
verdunkelt werden. Durch den Staub aber sah sie schimmern
wie klares Gold schön beschlagene Schilde, güldenleuchtende
Helme und weiße Brünnen. Sie sah das Heer der Hunnen,
eine gewaltige Macht. Sie stieg herab, befahl kräftig die
Luren zu blasen, damit das Heer sich sammle, und sprach:
„Nehmt Waffen und Wehr und macht euch zum Kampfe
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bereit. Du aber, Ormar, reite in blinkender Wehr zu den
Hunnen, biete ihnen Kampf auf dem Felde im Süden der
Burg." Und Ormar erwiderte: „Wahrlich will ich reiten
im Schmuck des Schildes und will dem Heerbann der Hunnen
nahen, will sie zum Kampfe laden südlich der Burg, zum
Kampf mit gotischen Mannen."
So ritt Ormar aus der Burg wider die Hunnen. Laut hallte
sein Ruf: „Auf die Ebene südlich der Burg lade ich euch
zum Kampfe!" Als er zurückkehrte, war Herwörs Heer
bereit. Die Goten zogen den Hunnen entgegen, und es begann
eine große Schlacht. Bald aber wandte sich der Männerfall
auf Herwörs Seite, denn weit waren die Hunnen an Zahl
überlegen. Nicht Herwörs noch Ormars Tapferkeit ver-
mochten die Schlacht zu wenden, und endlich fiel Herwör
und mit ihr fast das ganze Heer. Als Ormar ihren Fall sah,
floh er mit den wenigen, die es vermochten, aus dem Kampfe.
Tag und Nacht ritt er so schnell sein Roß ihn tragen wollte,
bis er zu König Angantyr nach Arheim kam. Dort sprach
er: „Von Süden bin ich hergeeilt, um Unheilskunde zu bringen.
Verbrannt ist ganz der mächtige Dunkelwald, von Blute triefen
die Mannen der Goten. Herwör die Schöne, Heidreks Maid, deine
Schwester, sank zur Erde, zum Tode wund. Sie fällten die
Hunnen mit vielen deiner Degen. Schneller eilte sie zum Kampf
als zum Spiel mit Buhlen, als in die Halle zum Hochzeitsfeste."
Als Angantyr Ormars Worte vernahm, erbleichte er. Lange
saß er düster und wortlos, spät erst und leise sprach er: „Un-
brüderlich ward dir getan, erlauchte Schwester." Sein Blick
schweifte über die Mannen, wenig waren um ihn, und er sprach:
„Groß war unsere Zahl, als wir beim Met saßen, klein ist nun
die Schar, da viele not tun. Keinen seh ich unter meinen
Getreuen, bäte ich auch einen und böte ihm Ringe, der reiten
möchte im Schmuck des Schildes, der dem Heerbann der
Hunnen nahen möchte." Da sprach Gizur der Alte: „Keines
Pfennigs Wert will ich fordern, noch einen Schilling oder
Scherf klingenden Goldes, doch reiten will ich im Schmuck
12 Wolter* U. Petersen, Heldensagen.
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des Schildes.! dem Volke der Hunnen den Heerstab bieten."
Mit guten Waffen rüstete sich Gizur, als sei er ein Jüngling,
sprang er aufs Roß. Zum Könige sprach er: „Wohin lade
ich die Hunnen zur Heerschlacht?" Der König antwortete:
„Fordere sie zur Dylgia und auf die Dunheide, das Schlacht-
•
gefilde unter den Jassarf eisen, wo oft die Goten Kampf er-
hoben und schönen Sieg die Kühnen erstritten." Fort ritt
Gizur der Alte, rennen ließ er sein Roß über die Heide, bis er
zu den Hunnen kam. So nahe ritt er heran, daß seine Stimme
sie erreichte, dann ließ er den schallenden Ruf ertönen: „Ich
fordere euch zur Dylgia und auf die Dunheide, das Schlacht-
gefilde unter den Jassarf eisen, wo oft die Goten Kampf er-
hoben und schönen Sieg die Kühnen erstritten. Entsetzen
faßt eure Haufen, feig ist euer König, es sinkt eure Fahne,
feind ist euch Odin! Odin zürnt euch, sein Schrecken komme
über euch, er lasse die Pfeile fliegen wie mein Bannwort kündet.
Und also schleudere ich den Speer und weihe euch Odin." !
Als Löd diese Verwünschung hörte, rief er: „Greift mir
Gizur, den Grytingenkämpen, Angantyrs Degen, der von
Arheim kam." Doch Humli sprach: „Nicht dürfen die vielen
den Sendling verderben, der einsam dahinfährt.* r Gizur aber
rief, als die Hunnen ihre Bogen wider ihn spannten: „Eure
hunnischen Hornbogen schrecken uns nicht." Dann spornte
er sein Roß und ritt zu Angantyr zurück. Zu ihm sprach er:
„Ich entbot die Feinde zum Kampf auf der Dunheide im
Dylgiatale. Unermeßlich und unzählbar ist der Hunnen
Menge. In ihren Lagerfeuern verschwelt der ganze Dunkel-
wald, unter ihrem Zuge verödet die Flur, die Erde versinkt
unter den Hufen ihrer Rosse, vom Getöse des Trosses dröhnt
die Luft, vom Schritt der Krieger erbebt die Erde. Über
sechs Heerhaufen gebietet der Hunnenkönig, jeder Haufen
umfaßt fünf Tausendschaften, jede Tausendschaft dreizehn
Hundert, jedes Hundert ist vierfach gefüllt."
Eilig sammelte Angantyr seine Mannen und rückte auf die
Dunheide, auf jeden seiner Krieger aber kamen zwei Feinde.
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Am nächsten Morgen begann die gewaltigste Schlacht/ die
je von den Völkern zwischen Nord- und Südmeer geschlagen
wurde. Acht Tage stritten die Heere vom Morgen bis in die
Nacht, da konnte niemand die Toten mehr zählen. Angantyrs
Heer aber nahm nicht ab, denn bei Tag und Nacht strömten
ihm von allen Seiten neue Kämpfer zu, so daß er am achten
Tage nicht weniger Krieger als am ersten hatte. Am neunten
Tage wuchs der Grimm der Hunnen, denn sie wußten, daß
sie nur durch den Sieg ihr Leben retten konnten. Die Goten
aber verteidigten in diesem Kampfe Freiheit und Vaterland.
Darum schlössen sie sich fest zusammen und feuerten sich
mit mutigen Worten an. Als der Abend hereinbrach, stürm-
ten sie so gewaltig vor, daß sie die feindlichen Reihen durch-
brachen. Da schritt Angantyr aus der Schildburg seiner
Mannen hervor, stürmte in die feindliche Schar hinein,
schwang das Schwert Tyrfing und mähte Krieger und Rosse.
Die hunnische Schlachtordnung zerbrach, und Angantyr und
Löd trafen sich zum Zweikampf. Da fiel Löd von seines
Bruders Hand, auch Humli der Hunnenkönig fiel, und die
Hunnen flohen. So groß war das Verderben, das die ent-
schlossenen Goten dem Hunnenheer brachten, daß die Flüsse
sich vom Walle der Leichen stauten und aus den Ufern
traten, daß die Täler sich mit toten Streitern und Rossen füllten.
Als die Schlacht verebbt war, ging Angantyr über die Wal-
statt. Auf einem hohen Hügel fand er des Bruders Leiche,
da sprach er: „Ich bot dir, Bruder, makellose Kleinode, Gut
■
und Habe die Fülle, was nur du begehren konntest, nun hast
du als Gewinn des Kampfes nicht lichte Ringe, nicht Land
noch Leute errungen. Unheil hat uns getroffen, mein Bruder,
die Bruderhand hat dich erschlagen. Nie wird der Fluch
getilgt — schlimm ist der Norne Spruch."
Auf dem Hügel, wo Löd gefallen war, ließ Angantyr ihm
ein ragendes Grabmal errichten, und mit ihm ließ er die Edlen
bestatten, die das Schwert dahingerafft hatte in der Völker-
schlacht.
12*
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V. LANGOBARDEN
24. ALBOIN UND TURISIND
1
Auf ihrem Zuge nach Italien gerieten die Langobarden mit
i den Gepiden in Krieg. . Auf dem Asfelde trafen sich die
Heere. Dort besiegte Alboin, der Sohn des Langobarden-
königs Audoin, die Gepiden und erschlug Turismod, den
Sohn des Gepidenkönigs Turisind, mit dem Schwerte.
Als die siegreichen Langobarden zu ihren Sitzen heim-
kehrten, forderten sie von König Audoin, daß er seinen Sohn
Alboin zu seinem Tischgenossen mache: der dem Vater in
der Schlacht der nächste gewesen, solle es auch beim Gelage
sein. Audoin aber erwiderte: „Ihr wißt, bei uns ist es nicht
Brauch, daß der Königssohn eher mit dem Vater tafle, als bis
er von einem fremden König die Waffen empfangen hat und
wehrhaft gemacht worden ist."
Als Alboin dies hörte, machte er sich mit nur vierzig Krie-
gern auf zu Turisind, dem Gepidenkönig, dessen Sohn er
in der Schlacht getötet hatte, und verhehlte ihm zunächst
seine Herkunft. Erst als der König den edlen Fremdling
freundlich als seinen Gast in der Halle aufgenommen hatte,
offenbarte Alboin sein Geschlecht und den Grund seines
Kommens. Da lud der König ihn zum Mahle und ehrte ihn,
indem er ihn sich zur Rechten setzte, auf den Platz, auf dem
einst Turismod, sein Sohn, zu sitzen pflegte.
Während des Mahles schaute Turisind von seinem Hoch-
sitz schweigend und gedankenschwer auf den Sitz, auf dem
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einst sein Sohn gesessen hatte, und den nun der einnahm,
von dessen Hand jener erschlagen lag. Tief seufzte er auf,
und unfähig, seinen Schmerz zu hemmen, stieß er das Wort
hervor: „Lieb ist mir jener Platz, aber leid der Anblick dessen,
der darauf sitzt."
Da begann der zweite Sohn des Königs, durch den Schmerz
des Vaters gereizt, die Langobarden zu schmähen: „Die ihr
eure Waden mit weißen Binden umwickelt, ihr gleicht schecki-
gen geilen Stuten." Ihm erwiderte einer der Langobarden:
„Geh hinaus aufs Asfeld! Dort wirst du sehen, wie kräftig
diese Stuten mit ihren Hufen auszuschlagen vermögen. Dort
liegen über die Flur hin verstreut deines Bruders Gebeine
wie eines feilen Rindes Knochen." Unfähig solchen Schimpf
zu ertragen, sprangen die Gepiden auf, um ihren Königssohn
zu rächen, und schon griffen auch die Langobarden zu den
Schwertern. Doch der König sprang vom Hochsitz herab,
warf sich zwischen die Gegner, bedrohte die Seinen mit
schwerer Strafe, wenn sie den Kampf begönnen, und rief:
„Das ist kein ehrenvoller Sieg, den man in der eigenen Halle
über den Gast erringt!" So schwichtigte er den Streit, und
das Mahl wurde fortgesetzt. Dann nahm Turisind die Waffen
seines Sohnes Turismod, reichte sie dem Alboin und sandte
ihn in Frieden und heil zu seinem Vater zurück. Die Lango-
barden rühmten die Kühnheit des Alboin, nicht minder aber
bewunderten sie die Treue des Turisind gegen seinen Gast.
So wurde Alboin seines Vaters Tischgenosse.
25. ALBOIN UND ROSIMUND
Als Turisind, der König der Gepiden, gestorben war, folgte
ihm sein Sohn Kunimund in der Herrschaft. Der gedachte
der Unbill, die einst sein Volk von den Langobarden erlitten
hatte, und beschloß, sie an König Alboin zu rächen. Er brach
die geschlossenen Verträge und überzog Alboin aufs neue
mit Krieg. Der schloß mit den Hunnen einen Bund, daß sie
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in das Reich der Gepiden fielen, und wandte sich auch selbst
gegen seine alten Feinde.
Kunimund griff zuerst Alboin an, doch wurden die Gepiden
von den Langobarden geschlagen, und so schrecklich wüteten
die Sieger gegen die Überwundenen, daß kaum ein Bote ent-
rann. Auch Kunimund fand in der Schlacht von Alboins
Hand den Tod. Der Langobarde ließ aus dem Schädel seines
gefällten Gegners eine Trinkschale fertigen. Rosimund aber,
die Tochter des Gepidenkönigs, wurde als Gefangene fort-
geführt, und bald danach nahm Alboin sie zu seiner Gemahlin.
Die Gepiden gerieten unter die Herrschaft der Langobarden.
Alboins Name aber wurde weit berühmt, und bei Bayern und
Sachsen und anderen deutschen Stämmen sangen die Lieder
sein Lob.
Alboin hatte sich in Italien ein mächtiges Reich gegründet.
Einst saß er zu Verona fröhlich beim Mahle. Da ergriff ihn
der Übermut: er hieß die Schale, die er einst aus Kunimunds
Haupt hatte fertigen lassen, mit Wein füllen und sie der
Königin zum Trünke darreichen und rief ihr zu: ,,Da, trinke
fröhlich mit deinem Vater!" Rosimund nahm die Schale,
aber heißer Schmerz und bitterer Groll erfüllte ihr Herz, und
seit dieser Stunde brannte sie vor Verlangen, den Tod ihres
Vaters zu rächen. Sie wandte sich um Rat und Hilfe an
Helmichis, den Schildträger und Ziehbruder des Königs, und
bat ihn, ihr Racheverlangen zu stillen. Helmichis weigerte
sich, einen solchen Frevel zu vollbringen. Um ihn aber zu
zwingen, nahm die Königin einst in dunkler Nacht den Platz
seiner Geliebten ein, und indem sie ihn so täuschte, gab sie
sich ihm preis. Dann sprach sie zu ihm: „Ich bin nicht deine
Geliebte, wie du glaubst. Rosimund bin ich, die Königin.
Da du nun diesen Frevel vollbracht hast, so bleibt dir nur die
Wahl, entweder von Alboins Schwert zu fallen oder ihn selbst
zu töten." Da willigte Helmichis, um dem Verderben zu
entgehen, ungern in die Tat.
Als sich der König um die Mittagszeit zur Ruhe gelegt
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hatte, trug Rosimund in aller Stille die Waffen beiseite, die
in seinem Gemache waren, das Schwert aber, das dem König
zu Häupten am Bette befestigt war, umschnürte sie so stark,
daß es nicht mehr aus der N Scheide gezogen werden konnte.
Dann rief sie den Helmichis herein. Alboin erwachte jäh,
und als er die Gefahr erkannte, die ihm von dem Mörder
drohte, wollte er schnell sein Schwert ergreifen, doch konnte
er es nicht losbringen. Darum ergriff er einen Schemel und
erwehrte sich damit des Mörders, bis unter dessen Hieben wehr-
los der kühne Held zusammenbrach, der so lange der Schrecken
seiner Feinde gewesen war. Klagend bestatteten die Lango-
barden ihren geliebten König, Rosimund aber mischte den
Gifttrank, um Helmichis zu töten, den sie nur um den Preis
ihrer Ehre zum Helfer gewonnen hatte. Der aber merkte
trinkend den Verrat und zwang sie, den Rest des Bechers zu
leeren und mit ihm zu sterben.
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VI. THÜRINGER
26. IRINGS VERRAT
Einst herrschte über die Thüringe König Irminfrid. Sein
Ratgeber war Iring, ein Mann kühn und stark zur Tat,
von klugem Geiste und beredtem Munde. Ihm und seinen
weisen Ratschlägen vertraute sein Herr. Irminfrid war
vermählt mit Amalberga, der Tochter des großen Franken-
königs Chlodwig. Als dieser starb und keinen echten Erben
hinterließ, wählten die Franken seinen Kebssohn Theoderich
zu ihrem Herrscher. Der sandte Boten zu Irminfrid, um ihm
Frieden und Bündnis anzutragen: ,, König Theoderich, mein
Herr", sprach der Bote, „wünscht deine Herrschaft be-
ständig und stark. Nicht Herr, sondern Freund und Ver-
wandter will er dir sein und will dir den nachbarlichen Bund
unverbrüchlich halten, wenn du nur vom Bunde mit den
Franken nicht abfällst." Gern vernahm Irminfrid diese
Botschaft. Er wünschte mit den Franken in Frieden zu
leben, doch wollte er erst die Großen seines Landes im Rate
hören, bevor er die Antwort erteilte.
Als aber Amalberga die Botschaft ihres Stiefbruders er-
fuhr, eilte sie zu Iring, um durch ihn ihr besseres Recht am
Frankenreich bei Irminfrid geltend zu machen: „Sage dem
Könige", bat sie, „daß mir, der echten Tochter der Merowinge,
das Frankenreich als Erbe zufiel. Theoderich, das Kind einer
Kebse, ist mein Eigenmann, und es ziemt dem Könige nicht,
ihm die Hand zum Treubund zu reichen." Und Iring folgte ihr.
Als die Großen des Reiches bei Irminfrid zum« Rate er-
schienen waren, drangen sie alle in ihn, die Friedensbotschaft
anzunehmen, denn einem fränkischen Angriff vermöge das
Thüringerreich nicht zu widerstehen. Nur Iring, betört
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I
durch die Bitten des verruchten Weibes, widerriet und sprach:
„Gib den Anschlägen der Franken nicht nach, du hast durch
Amalberga größeres Königsrecht als Theoderich, der Kebs-
sohn, auch stehst du an Macht und Zahl der Mannen dem
Franken nur wenig nach." Durch solche Worte ließ sich
Irminfrid bereden, den fränkischen Boten zu erwidern:
„Nicht will ich Theoderich Freundschaft und nachbarlichen
Bund weigern, doch wundert mich, daß er sich früher des
Königreiches als der Freiheit zu bemeistern strebt. Unfrei
ist er geboren, wie darf er sich da der Herrschaft erdreisten? '
Dem Eigenmanne kann ich die Hand zum Bunde nicht
reichen." ; Da erbebte der Abgesandte und gab zur Antwort:
„Viel lieber wollte ich dies mein Haupt in deine Hände geben
als solche Worte von dir vernehmen. Viel Blut der Franken
und Thüringe wird es kosten, sie abzuwaschen."
Dann kehrte er zu Theoderich zurück und verhehlte ihm
nicht, was er vernommen hatte. Der verbarg seinen Grimm
und sprach mit heiterer Miene: „So ist uns also Not, zum
Dienst des Irminfrid zu eilen, denn eitel ist unser Leben, solang
uns die Freiheit mangelt." Er rüstete ein gewaltiges Heer,
fiel in das Gebiet der Thüringe ein, schlug sie am Runenberg
und schloß die Fliehenden mit ihrem Könige in der Burg
Scheidungen ein. Am nächsten Tage berannte er die Burg,
um seine Rache zu vollenden. Tapfer wehrten sich die
Thüringe. Als aber Irminfrid erkannte, daß die Seinen der
Übermacht zu erliegen drohten, sandte er Iring mit all seinen
Schätzen zu Theoderich, um durch ihn freiwillige Unter-
werfung anzubieten und Frieden zu erflehen. „Dies alles",
sprach Iring zu Theoderich, „sendet dir Irminfrid, einst dein
Verwandter, nun aber durch Schicksalsschluß dein Eigen-
mann. Er bittet dich, wenn du dich seiner nicht erbarmest,
doch mit deiner Schwester und ihren Kindern Mitleid zu haben."
Scheinbar schenkte Theoderich seinen Worten Gehör und ver-
sprach, am folgenden Tage Irminfrid als Freund zu empfangen.
Iring sandte die ersehnte Botschaft seinem Herrn in die Burg,
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er selbst blieb im Lager, daß nicht die Nacht noch Feindliches
errege. Theoderich aber ließ in derselben Nacht die sorglos
ruhenden Thüringe in der Burg überfallen und im Schlafe
niedermachen. Doch Irminfrid und die Seinen entkamen mit
wenigen Mannen.
Als Theoderich die Flucht des Königs vernahm, gedachte
er sich Irings zu bedienen, um den König durch seinen Rat-
geber herbeizulocken und töten zu lassen, ohne daß ihn
selbst ein Makel an dem Morde träfe. Er versprach, Iring
mit reichen Geschenken zu überhäufen und mit großer Macht
im Reiche zu bekleiden, wenn er dem Ansinnen folgte, und
obgleich Iring ihn zunächst mit Ingrimm abwies, wußte
Theoderich seinen Sinn durch listige Vorspielungen und Ver-
sprechen so völlig zu verkehren, daß er dem Plane des Franken
nachgab und seinen König in das Heerlager des Feindes lockte.
Als Irminfrid vor Theoderich erschien, warf er sich vor ihm
zu Boden. Iring aber, der mit entblößtem Schwert gleich
einem Schildträger des Königs neben ihm stand, erschlug
seinen knieenden Herrn.
Da rief der Franke ihm zu: „Nun hast du Treuloser deinen
eignen Herrn erschlagen, und durch diese Untat bist du allen
Sterblichen verhaßt geworden. Offne Bahn sei dir, von uns
hinwegzugehn, Anteil und Los deines Frevels wollen wir
nicht." -ff- „Wohl", sprach Iring, „bin ich allen Sterblichen
verhaßt geworden, da ich deinen falschen Anschlägen ge-
horchte. Doch bevor ich gehe, will ich diesen meinen Frevel
abwaschen, indem ich meinen Herrn an dir räche. 4 * Und
wie er mit entblößtem Schwerte dastand, durchbohrte er
auch den Theoderich. Dann nahm er den Leib seines Herrn
und legte ihn auf den Leichnam König Theoderichs, damit,
der lebend besiegt ward, im Tode doch Sieger sei. Und mit
dem Schwerte sich einen Weg bahnend, ging er davon.
Durch diese Tat sühnte Iring seinen Verrat, und sein Ruhm
ward so hoch gepriesen, daß bis auf den heutigen Tag die
Milchstraße die Iringstraße heißt.
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VII. ANGELN, SACHSEN, FRIESEN
27. WÖLUND
on Süden flogen Mädchen durch den Dunkelwald, schick-
V salkundige Frauen, Kampflose zu wirken. Am Meeres-
strand setzten sie sich, um auszuruhen, dort spannen die
Frauen vom Süden kostbare Fäden. In den Wolfstälern
hausten Wölund, den die Völker im Süden Wieland nennen,
und seine Brüder. Die gesellten sich zu ihnen und führten
sie heim zu ihrer Behausung. Älrun nahm Egil und hegte
ihn am schimmernden Busen, Svanhvit, die Schwangefiederte,
umarmte den Slagfid, die dritte Schwester Allwit aber um-
schlang Wölunds weißen Hals.
Sieben Winter saßen sie dort, den achten durchlebten sie
ganz in Sehnsucht, doch im neunten lösten sie den Knoten:
über den Dunkelwald trieb sie unstillbares Sehnen, Kampf-
geschick wollten sie wieder flechten. Sie legten die Geschmeide
ab, hoben sich heimlich in die Lüfte und flogen gen Süden,
schicksalkundige Frauen.
Vom Weidwerk kehrte Wölund heim, der wetteräugige
Schütze, mit Egil und Slagfid. Sie fanden die Halle leer,
sie gingen suchend aus und ein, sahen rings umher. Da glitt
Egil auf dem Schneeschuh nach Osten, Älrun zu suchen, gen
Süden schweifte Slagfid nach Svanhvit, Wölund aber saß einsam
in den Wolfstälern. Unablässig schlug er am Feuer rotes
Gold zu Ringen, alle Ringe zog er auf eine Bastschnur. So
harrte er seines leuchtenden Weibes, ob es ihm wiederkehre.
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Nidud, der Niarenfürst, vernahm, daß Wölund in den
Wolfstälern einsam säße. Nachts bei gesicheltem Mond
fuhren seine Mannen aus in genagelter Brünne und mit
blinkenden Schilden. Sie stiegen vom Sattel an des Hauses
Gaffel, von da gingen sie durch den langen Saal. Auf den
Bast gefädelt sahen sie die Ringe, siebenhundert, die der
Mutige besaß. Sie streiften sie ab, sie reihten sie auf, außer
einem, den ließen sie abgestreift. Wölund kam von der Jagd,
der wetteräugige Schütze, lange Wege war er gewandert.
Trockenes Föhrenreisig flammte schnell vor ihm auf und
Waldholz, das der Wind gedörrt hatte. Das Fleisch der
braunen Bärin briet er am Feuer und aß. Er streckte sich
auf das Bärenfell, die Ringe zählte der Albenfürst, doch
einen vermißte er, den Allwit trug. Er glaubte, ihn habe
die Schicksalkundige abgestreift, und hoffte, sie sei heim-
gekehrt. So saß er lange wartend, bis er in Schlaf sank.
Doch freudlos erwachte er: er spürte an den Händen schwere
Banden und die Füße von Fesseln umschnürt. Er sprach:
„Wer sind die Starken, die aus Bastseilen mir Fesseln
flochten und mich banden?" Da rief Nidud, der Niaren-
herrscher: „Wie erwarbst du Albenfürst in den Wolfstälern
unser Gold? Du fandest das Gold nicht auf Granis Wegen,
Wölund, und fern ist dies Land den Felsen des Rheins." —
„Wir besaßen selber Schätze genug", sprach Wölund, „als
wir drei mit den Frauen des Südens heil daheim saßen."
Sie nahmen Wölunds Schwert und Schätze und ritten heim.
Den Gefesselten führten sie zur Königshalle. Als die
Königin ihn draußen sah, ging sie hinein durch den langen
Saal und sprach auf dem Estrich mit gedämpfter Stimme:
„Nicht geheuer ist, der da vom Holze kommt. Feindselig
glitzern ihm die Augen wie dem gleißenden Wurm." Denn
Wölund fletschte die Zähne, als er sein Schwert an Niduds
Gürtel und den Ring der Allwit an Bödwilds, der Königstochter,
Arm gewahrte. „Durchschneidet ihm die Sehnen", riet die
Königin, „und laßt ihn auf dem Werder sitzen."
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Das befahl der König. Man durchschnitt ihm die Sehnen
an den Knieen und setzte ihn auf einen Holm am Strande.
Dort mußte er dem König künstliches Geschmeide schmieden.
Oft sprach Wölund zu sich und sann: „Nun ist mir fern
das leuchtende Schwert, das ich mir unter dem Hammer
härtete . . Und Bödwild trägt den roten Ring meines Weibes . .
Gelähmt bin ich: wie kann ich rächen dreifache Schmach?"
So saß er, schwang unaufhörlich den Hammer und schmie-
dete in schlaflosen Nächten für Flucht und Rache ein feines
Werk.
Einst trollten die beiden Knaben König Niduds beim Vogel-
fang nach Säwarstad, wo Wölund saß. Durch die Tür schau-
ten sie ihm zu. Sie gingen zu seiner Truhe und verlangten
die Schlüssel, er gab sie ihnen, und als sie sich in die Truhe
bückten, ward das Geschick vor ihm offen. Die Knaben
sahen Kleinode in Menge liegen, rotes Gold und Geschmeide
leuchteten ihnen entgegen. ,, Kommt allein hierher", sprach
Wölund, „kommt morgen, dann sollt ihr all das Gold dort
haben. Doch sagt den Mägden nichts, noch den Dienerinnen,
sagt keinem Menschen, daß ihr mich fandet."
In der Frühe rief ein Bruder dem andern: „Komm, wir
wollen zu den Ringen gehen." Sie kamen zur Truhe und
verlangten die Schlüssel, schauten hinein — da sah Wölund
die Rache offen: er erschlug die Knaben mit dem Deckel,
schnitt ihnen die Köpfe ab und warf ihre Leiber in die Schlamm-
grube unter dem Blasebalg. Die entblößten Hirnschalen aber
umhüllte er mit Silber und sandte sie Nidud, aus den Augen
machte er Edelsteine und sandte sie der Königin, aus den Zähnen
schlug er Ringe zum Brustschmuck und sandte sie Bödwild.
Bödwild brüstete sich mit dem Ring der Allwit. Doch
eines Tages zerbrach er. Da brachte sie ihn voll Angst zu
Wölund: „Nur dir allein wage ich es zu sagen", sprach sie.
Er antwortete: „Den Bruch im Golde will ich so bessern,
daß der Ring deinem Vater schöner scheint, deiner Mutter
weit besser und dir selber gerade so schön wie zuvor." Als
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sie bei ihm saß, reichte der Zauberkundige ihr betörenden
Met, daß sie auf dem Sitze schläferte, und überwältigte sie.
„Nun habe ich gerächt all meinen Harm", sprach er,
„nur einen noch nicht, den die Bösen mir taten. Doch, die
Niduds Mannen mir nahmen, die Kraft meiner Sehnen ge-
wann ich wieder durch eignes Werk." Und lachend im Fluge
hob sich Wölund in die Luft, weinend ging Bödwild vom
Holme. Voll Zittern war sie über ihres Buhlen Fahrt und
vor dem Grimm ihres Vaters.
-Wölund flog zur Königshalle und setzte sich hoch auf die
jümwallung nieder. „Nidud", rief er, „Herr der Niaren,
w««ist du?" — „Immer wache ich, freude beraubt", ant-
wortete der König, „nie umfängt mich Schlaf, seit meine
Knaben starben. Mir friert das Haupt, kalt war der Königin
Rat. Sage mir Wölund, du Albenfürst, was wurde aus
meinen blühenden Söhnen?" Da sprach der Schmied: „Vor-
her sollst du mir alle Eide schwören, bei Schiffes Bord und
Schildes Rand, bei Rosses Bug und Schwertes Schärfe, daß
du nicht Wölunds Gattin marterst, noch sein Weib töten
lässest, mag ich auch eine Buhle haben, die dir selber ver-
wandt ist, mag ich auch ein Kind haben, das dich an meine
Rache in eigner Halle gemahnt." Den Eid schwur Nidud,
und Wölund sprach: „Geh zur Schmiede, die du mir bautest.
Dort findest du die blutberonnenen Bälge deiner Söhne. Ich
schnitt den Knaben die Köpfe ab, warf ihre Leiber in die
Schlammgrube unter der Esse. Die entblößten Hirnschalen
aber umhüllte ich mit Silber und sandte sie dir, Nidud, aus
den Augen machte ich Edelsteine und sandte sie der Königin,
aus den Zähnen der Knaben schlug ich Ringe zum Brust-
schmuck und sandte sie Bödwild. Nun aber geht Bödwild von
mir mit Kindesbürde, eure einzige Tochter." Da sprach Nidud:
„Nie sprachst du ein Wort, das mich schwerer kränkte und wo-
für ich schlimmeren Lohn dir wünschte. Aber kein Mann ist
so hoch, dich von diesem Rosse zu holen, und niemand so
stark, dich herab zu schießen, da du dich zu den Wolken hebst."
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Lachend erhob sich Wölund in die Luft, Nidud aber saß
leidvoll da. Er rief: „Bödwild, meine Tochter! Ist wahr,
was ich erfuhr, daß du mit Wölund auf dem Holme zusammen
saßest?" — „Wahr ist, Nidud, was er dir sagte", sprach
Bödwild, „ich saß mit Wölund auf dem Holme zu schlimmer
Stunde: war es nimmer geschehen! Ich konnte Wölund
nicht wehren . . nein, wehren konnte ich ihm nicht."
28. EGIL DER SCHÜTZ
Einst kam zum Hofe des Königs Nidud ein Mann namens
Egil und wurde in seine Gefolgschaft aufgenommen. Egil
war der Bruder Wölunds, des kunstreichen Schmiedes, und
war der beste Bogenschütze, von dem man je vernommen
hatte. Deshalb wollte ihm der König wohl.
Oft beim Gelage rühmte sich Egil unter den Mannen seiner
Kunst im Bogenschießen: er getraue sich aus großer Ent-
fernung einen kleinen Apfel von der Spitze eines Stabes
herabzuschießen. Diese prahlende Rede wurde dem Könige
hinterbracht. Der beschloß Egil zu versuchen und seinen
Übermut zu dämpfen. Erst forderte er von ihm mancherlei
Proben, und Egil bestand sie alle. Endlich befahl er, Egils
Sohn herbeizubringen, den er von Älrun der Schwanmaid
hatte, und der erst drei Winter zählte. Er ließ dem Knaben
einen Apfel auf den Kopf legen und befahl Egil, ihn herab-
zuschießen. Nur einen Pfeil gestand er ihm zu. Wenn er aber
darüber weg oder seitlich an dem Apfel vorbeischieße, so solle
er wegen seiner eitlen Prahlerei das Leben verwirkt haben.
Egil stellte den Knaben mit abgewandtem Gesicht auf,
damit er den Pfeil nicht nahen sähe, und ermahnte ihn, ja
nicht zu zucken, wenn er das Schwirren höre. Darauf nahm
er drei Pfeile aus dem Köcher. Zwei steckte er in den Gürtel,
den dritten prüfte er sorgfältig und strich ihm das Gefieder.
Dann legte er ihn auf die Sehne und schoß. Ohne sich zu
rühren erwartete der Knabe den Pfeil, und in zwei gleiche
Hälften gespalten fiel der Apfel herab.
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Hoch priesen die Mannen den trefflichen Schützen. Doch
der König fragte Egil: „Warum nahmst du drei Pfeile aus
dem Köcher, da dir doch nur ein Schuß verstattet war?"
Der antwortete: „Herr, ich will dich nicht belügen: hätte
ich den Knaben mit dem einen Pfeil getroffen, so waren diese
beiden dir zugedacht, und den Fehl des ersten hätte ich mit
ihrer Schärfe an dir gerächt." Der König nahm das Wort
wohl auf, und alle bewunderten die stolze Kühnheit des
Schützen. Der aber trug von nun an schweigend den Ruhm
seiner Kunst.
29. OFFA
Einst herrschte über die Angeln König Wermund, der
Weise genannt, Gerechtigkeit und Kraft ließen in langem
Frieden sein Land erblühen. Lange war er kinderlos, doch
als er ein Greis war, wurde ihm ein Sohn Offa geboren. Der
überragte bald alle Genossen an mächtiger Körpergestalt,
doch sein Geist blieb stumpf und blöde, und er war zu keinen
Dingen nütze. Von Jugend auf ging er stumm einher, spielte
und lachte nicht und hielt sich von aller Freude fern. So
ward er dreißig Jahre, ohne daß ihn jemand ein Wort hatte
sprechen hören, und unfähig schien er, einst seinem Vater,
den schon hohes Alter und Blindheit bedrückte, in der Herr-
schaft zu folgen.
Als der König der Sachsen vernahm, das Land der Angeln
habe keinen Schützer mehr, glaubte er die Zeit gekommen,
sein Reich zu vergrößern. Er sandte Boten zu Wermund
und ließ ihm sagen, er fordere von ihm sein Reich, zu dessen
Lenkung sein hohes Alter ihn unfähig mache, damit es nicht
länger des Richters und schützenden Armes entbehre. Wolle
er sein Reich nicht lassen, so möge er einen Sohn oder Käm-
pen dem besten Helden der Sachsen im Zweikampf entgegen-
stellen, und wessen Kämpfer siege, dem gehöre das Reich.
Wenn er sich aber auch dessen weigere, so möge der Krieg
entscheiden.
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Die Bringer dieser übermütigen Botschaft empfing der
König, als er die Großen des Reiches und die Gefolgsmannen
in seiner Halle zur Beratung vereinigt hatte, und Schmerz
und Grimm ließ die ganze Versammlung in Schweigen ver-
harren. Der König, bedenkend wie er, der erste, dem es
obliege, Recht und Reich zu verteidigen und zu schützen,
in die Nacht der Blindheit gehüllt sei, sein Sohn aber, der
nächste an dieser Pflicht, tatenlos und stumm sein Leben ver-
bringe, verzweifelte daran, sein Recht wider die gierigen
Sachsen zu wahren. Endlich verlangte er sorgenvoll den
Rat der Versammelten, ob er Kampf oder Unterwerfung
wählen solle.
Während aber alle noch in zweifelndem Sinnen schwiegen,
richtete sich plötzlich Offas mächtige Gestalt unter den Ge-
folgsmannen auf. Voll Staunen wandten sich aller Blicke
auf den Stummen, dessen Miene zeigte, daß er reden wolle.
Wermund fragte, wer es sei, der den Sachsen die Antwort zu
geben begehre. Die Mannen erwiderten, es sei Offa, sein
Sohn. Da rief der blinde König: „Ist es nicht genug, daß
Fremde die Last meines Alters und Unglücks mit Hohn über-
schütten? Müssen auch noch die Meinen mich verhöhnen?"
Als aber die Mannen hoch beteuerten, es sei wirklich Offa,
der zu sprechen begehre, sagte er: „Wer es auch sei, er mag
frei reden." Da sprach Offa zu den fremden Boten: „Nicht
schreckt uns das hohle und prahlerische Drohen der übermut-
geschwellten Sachsen. Zu früh brüstet sich euer König und
glaubt das Land der Angeln des Schutzes bar. Denn ich
allein bin der einzige und echte Erbe dieses Reiches, und mir
allein liegt es ob, im Zweikampf die Entscheidung zu suchen,
damit ich entweder für das Reich allein falle oder allein den
Sieg für das Vaterland gewinne. Meldet denn eurem Könige,
damit sein hohler Übermut sich lege: ich fordere seinen Sohn
und Erben und dazu noch den vorzüglichsten Kämpen der
Sachsen heraus, daß sie beide mir allein im Zweikampfe
begegnen." Mit stolzer Stimme hatte Offa diese Worte ge-
Z3 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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sprochen. Mit den Gesandten wurde Ort und Zeit des Kamp-
fes bestimmt, und sie zogen von dannen.
Als sie die Versammlung verlassen hatten, sprach Wermund:
„Wer es auch sei, der durch diese mutige Herausforderung
zweier Kämpfer meine Ehre hergestellt hat: ihm will ich
lieber als dem übermütigen Feinde mein Land übergeben."
Als man ihm aber wieder und wieder beteuerte, niemand
anders als sein Sohn sei es, der die feindlichen Drohungen
stolz verachtet habe, hieß er Offa zu sich treten, damit er
ihn betaste. Der Blinde ließ seine Hand über Schultern und
Seiten und die gewaltigen Glieder des Sohnes gleiten, dann
brach er in die Worte aus: „Wahrlich, so war auch ich in
meiner blühenden Jugend. Doch warum", fragte er, „hast
du so lange die süße Gabe des Wortes durch Verstellung ver-
borgen, als seist du mit Stummheit geschlagen?" Und Offa
erwiderte: „Bisher, als ich unter deinem Schutze lebte, be-
durfte ich der Stimme nicht. Erst jetzt, als im Augenblick
der Not deine Mannen vor den Reden der Fremden verstumm-
ten, war sie mir nütze."
Wermund befahl, seinen Sohn, der sich noch nie im Waffen-
handwerk geübt habe, zu rüsten und zu unterweisen. Aber
Offa sprengte mit seiner mächtig gewölbten Brust alle Brünnen,
die man herbeitrug. Selbst der Panzer seines Vaters drohte
zu zerbrechen, als er ihn anzulegen versuchte. Da befahl
Wermund, die linke Seite der ehernen Hülle aufzuschneiden
und mit Bändern zuzuheften, denn ungefährdet sei die Seite,
die der Schild decke. Man brachte die besten Schwerter
herbei, die im Reiche zu finden waren, und hieß ihn sorgsam
wählen. Wenn aber Offa sie durch die Luft sausen ließ,
zerbrachen sie in kleine Splitter. Da rief er: „Sind das die
Schwerter, mit denen ich die Ehre des Reiches und mein
Leben wahren soll?" Wermund, als er die Heldenkraft des
Sohnes gewahrte, sprach: „Einen Schutz weiß ich noch für
unser Reich und Leben. Einst besaß ich ein Schwert von
höchster Tugend, Skrep genannt, das durchdrang und spaltete
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auf einen Hieb, was immer es traf. Ich hieß das herrliche,
seit ich es selbst nicht mehr schwinge, vor der Gier der Nach-
fahren tief in die Erde vergraben, denn nie durfte ich hoffen,
daß mein Sohn es schwingen werde. Führt mich aufs Feld,
damit ich den Hügel wiederfinde, der es birgt." Draußen
fand er den Ort, hieß seine Begleiter graben, und bald zog
man ein herrliches Schwert hervoi. Wermund ergriff es
und sprach zu seinem Sohn: „Dies ist das Schwert, mit dem
ich so oft gesiegt habe und das mir ein nie versagender Schutz
gewesen ist." Offa nahm das Schwert, und es schien ihm alt
und rostig. „Soll ich auch dieses erproben, ehe ich es im
* •
Ernste schwinge?" sprach er. Doch Wermund erwiderte:
„Laß es in der Scheide und erprobe es erst im Kampfe. Denn
zerschellt auch dies Schwert in deiner Hand, so weiß ich
keines, das der Kraft deines gewaltigen Armes standhält."
Der Tag, der zum Kampfe bestimmt war, nahte heran.
Auf einer Insel der Eider, die man nur zu Schiff erreichen
konnte, sollten sich die Gegner zum hohen Gange treffen.
Ohne Begleiter begab sich Offa zur festgesetzten Stunde auf
den Werder, und von der anderen Seite des Flusses nahte der
sächsische Königssohn mit dem kampfberühmtesten Helden
seines Volkes. Weithin an beiden Ufern lagerten hier die
Angeln, dort die Sachsen. Wermund aber ließ seinen Sessel
an den äußersten Rand der Landungsbrücke stellen, denn er
wollte lieber sein Ende in den Wellen suchen, wenn sein Sohn
den Sieg nicht erränge, als überleben den Untergang seines
Geschlechtes und Vaterlandes.
Der Kampf begann. Beide Gegner drangen auf Offa ein,
er aber fing die Hiebe der Sachsen mit dem Schilde auf: erst
wollte er erforschen, vor welchem Gegner er sich am meisten
wahren müsse, um ihn mit einem Hiebe zu vernichten.
Der blinde König, der nur den Schall der fremden Schwerter
vernahm und fürchtete, seinem Sohne fehle der Mut zum
Angriff, rückte voll Todesverlangen bis an den äußersten
Rand der Brücke. Doch Offa rief zuerst dem Königssohne
i3*
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i
entgegen: „Erweise durch Tapferkeit deine erlauchte Geburt,
kühner greife mich an, damit es nicht scheine, als überrage
dich der niedrigere Genosse an Mut/' Den Kämpen aber
stachelte er durch diese Worte: ,,Birg dich nicht ängstlich
hinter dem Rücken deines Herrn! Rechtfertige sein Vertrauen,
das dich allein zum Genossen erlas." Als aber der sächsische
Kämpe an seiner Ehre gereizt kühner vordrang, schlug er
ihn mit einem einzigen Hiebe seines Schwertes mitten durch.
Als Wermund den sausenden Ton des Hiebes vernahm, rief
er: „Das war der Klang meines Schwertes!" Und als seine
Begleiter ihm von der Gewalt des Hiebes berichteten, rückte
er freudig ab vom Uferrand. Offa aber reizte nun seinen
zweiten Gegner, den Fall seines Genossen zu rächen, seinen
Ruhm im Angesichte des Volkes zu mehren und seines Lan-
des Grenzen zu erweitern. Doch kaum war er heran, da traf
ihn Offas Schwert und schlug ihm den Todesstreich wie
seinem Genossen. Am Ufer rief Wermund: „Zum zweiten
Male traf der Klang meines Schwertes Skrep mein Ohr!"
Und als man ihm sagte, sein Sohn habe beide Gegner nieder-
gestreckt, rannen Freudentränen auf seine Wangen. Ju-
belnd empfingen die Angeln ihren Helden, die Sachsen aber
holten, von Schande und Hohn übergössen, die Leichen ihrer
Kämpfer vom Holme.
». . •
30. DER KAMPF IN DER FINNSBURG
■ : »
Lange herrschte Haß und blutige Fehde zwischen Friesen
und Angeln. Doch endlich schlössen sie Verträge, und Finn,
der König der Friesen, nahm Hildeburg, die Tochter des
Angelnkönigs Hoc, zum Weibe.
Jahre vergingen. Da lud einst Finn den Bruder seines
Weibes, König Näf , in sein Land. Der fuhr mit sechzig Mannen
über das Meer, er fürchtete keinen Trug, doch der Haß schwelte
weiter unter den Friesen. Als die Angeln ankamen, wurden
sie von Finn gastlich aufgenommen und in einer schönen
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Halle der Finnsburg untergebracht. In der Nacht hielt ein
Angelnkrieger die Wacht vor der Halle. Bald sah er einen
feurigen Schein und rief: „Feurige Lohe seh ich brennen,
nicht weiß ich, ob es im Osten schon tagt, oder ob ein Drache
durch die Nacht fliegt, oder ob der Hornschmuck der Halle
brennt." König Näf sprang auf und rief: „Nicht graut es
im Osten, noch fliegt ein Drache, auch brennt nicht der Horn-
schmuck der Halle. Feindliche Krieger dringen heran, es
rasseln die grauen Eisenbrünnen, es klirren die Kampfspeere,
die Schäfte klingen am Schilde, und die Leichenvögel singen.
Nun schimmert der Mond durch düsteres Gewölk und schwere
Taten drohen, da die Feinde mit Volkshaß uns nahen. Er-
wachet nun, meine Streiter, ergreift die Waffen, gedenkt
eurer Heldenkraft und fechtet kühn ohne zu weichen."
Da erhob sich mancher Kämpe vom Lager, die Degen in
goldenen Brünnen gürteten sich mit dem Schwerte. Zur
Tür schritten Sigeferd und Eawa und entblößten die Schwerter,
an der anderen Tür standen Ordlaf und Gudlaf, ihnen folgte
Hengist selber, des Königs Waffenmeister.
Gudhere, ein Kämpe der Friesen, wollte gegen die Tür
andringen, doch sein Genosse Garulf, ein Angle, der einst
mit Hildeburg zu den Friesen gekommen war, rief ihm zu:
„Wage nicht ein so edles Leben beim ersten Kampf um die
Hallenpforte: dort steht ein kampfharter Held, der wird es dir
nehmen." Über alle Krieger hin rief Garulf, wer den Eingang
schütze. „Sigeferd heiß ich", rief jener, „und bin der Seggen-
. fürst. Viel Weh habe ich schon gelitten, und manchen harten
Kampf. Harm droht dir hier, wenn du mir zu nahen wagst."
Da erhob sich auf dem Walle wilder Schwerterschall, die
Schilde zerbarsten in der Hand der Kühnen, der Burghof
dröhnte. Im Streite fiel Garulf von der Hand Gudlafs, seines
Vaters, und um ihn viele Tapferen. Froh der Menge der Toten,
flog der schwarzgefiederte Rabe über die Walstatt hin. Der
Schwerter glänz sprühte, als stehe die ganze Finnsburg im Feuer.
Nie sah man Mannen heldenhafter kämpfen als die sechzig
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Mannen des Näf, nie sah man Königsrecken den süßen Met
besser vergelten, als des Angelnkönigs Genossen hier taten.
Fünf Tage und ebenso viele Nächte fochten die grimmen
Helden, nicht einer fiel von den tapferen Angeln, und ^sie
hielten die Tore der Halle.
Spät erst wandte sich einer der Kämpen hinweg: seine
Brünne war zerhauen und der Helm durchlöchert. Den fragte
Näf, des Volkes Hirte, ob die Weigande noch ihre Wunden
ertrügen. Denn der Kampfzorn ließ ihn nicht ermatten, je
mehr Friesen gegen die Halle andrangen, desto höher wuchsen
die Haufen der Leichen. Endlich führte Finn die Besten
seiner Schar selber heran, und in wildem Schwertkampf
erschlug er König Näf. Doch in diesem Getümmel erlag auch
Finns Sohn einem Angelnschwert.
Als am sechsten Morgen die Sonne heraufkam und die
nächtliche Walstatt erleuchtete, sah Hildeburg ihren Sohn
und ihren Bruder im Blute liegen. Laut klagte sie die Treu-
losigkeit der Friesen, jammernd saß sie über den Leichen
ihrer schuldlosen Gesippen, ihrem höchsten Besitz.
Doch auch Finns Krieger waren fast alle gefallen, nicht
durfte er hoffen, auf der Walstatt sich gegen Hengist und
seine Helden zu behaupten, noch die kläglichen Trümmer
seiner Mannen vor dem Waffenmeister des gefallenen Näf
zu retten. Darum bot er den Angeln diesen Vergleich: einen
anderen Saal wolle er ihnen einräumen mit Halle und Hoch-
sitz, und die halbe Herrschgewalt möge den Angeln neben
den Friesen gehören, mit gleichen Gaben auch versprach er
die Angeln zu ehren bei der Kleinodverteilung, mit Ringen
und Schmuck Hengists Schar zu erfreuen nicht minder als
er die friesischen Degen im Metsaal erfreue.
Auf solches Geding ward von beiden Seiten fester Friede
geschlossen: feierlichen Eid schwur Finn dem Hengist, daß
er die traurigen Reste der Angeln in Ehren halten wolle,
daß niemand mit Wort noch Tat den Bund breche noch arg-
listig jemals die Angeln gemahnen werde, daß sie als Mannen
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herrenlos dem Töter ihres Königs folgten, wie die Not sie zwang:
wenn je ein Friese mit frechem Wort an den blutigen Haß
mutwillig rühre, den solle des Schwertes Schärfe strafen.
Der Eid ward geschworen und Sühnegold dem Horte ent-
nommen. König Näfs Leichnam ward für den Holzstoß
bereitet. Vom Scheiterhaufen herab schimmerte die blutige
Brünne: eisenhart doch bekrönt mit dem Bilde des Ebers
aus schwerem Golde. Daneben lagen viele Edelinge, die der
Wundentod dahingerafft hatte. Auch den eigenen Sohn
hieß Hildeburg auf den Holzstoß legen, daß seine Gebeine
im Brande lohten an der Achsel des Oheims, laut klagte sie
ihr Elend. Hoch auf stieg der Qualm, es prasselte empor
das mächtigste der Walfeuer: die Schädel schmolzen, die
Leiber barsten und Blut rann aus den Wunden. Die gierige
Flamme verschlang die Besten von beiden Stämmen — dahin
war ihre Blüte.
Da gingen die Angeln, der Freunde beraubt, ihren neuen
Wohnsitz in Friesland zu schauen, ihr Heim und ihre Hoch-
burg. Den ganzen weißgrimmen Winter weilte Hengist bei
Finn, ungeduldig gedachte er der Heimkehr: noch konnte
er nicht den ringgeschmückten Steven ins Meer treiben, denn
die See wallte im Sturme und kämpfte mit dem Winde, dann
umschloß der Winter mit Eises Banden die Wogen.
Endlich nahte ein neuer Frühling den Wohnungen der
Menschen mit heiterem Wetter. Als die Erde schön ward,
trachtete Hengist von hinnen zu segeln. Doch heftiger noch,
als die See zu befahren um heimzukehren, war sein Wunsch,
sein Leid zu rächen. Grimmbrütend saß er im Saale, da legte
der Angelnkämpen einer, Hunlafs Sohn, ihm den Kampf-
stahl des Näf, das herrlichste der Schwerter, schweigend in
den Schoß. Seine Kraft hatten die Friesen schon einmal
gespürt, nun schwang es Hengist zur Rache für seinen Herrn.
Wehruf erhoben die Angelnkämpen über König Näf, daß
Finn nach der Seefahrt ihn mit grimmem Griffe gefällt hatte.
Sie stürmten zur Friesenhalle, die Treupflicht zu erfüllen,
199
nicht hemmen ließ sich ihr Zorn. So erreichte den kühnen
Finn das Geschick: im eigenen Hause fällte ihn das grimme
Schwert inmitten der Gefolgschar. Mit Friesenleichen wurde
die Halle beladen, alle Schätze des Friesenfürsten, soviel sie im
Hause fanden, schafften die Angeln zu ihren Schiffen, fun-
kelnde Kleinode und reiches Gestein. Die Königin aber nahmen
sie mit sich übers Meer und führten sie heim zu ihrer Sippe.
BEOWULF
31. DER GRENDELKAMPF
Rodgar, auch Roar genannt, der König der Dänen, Half-
dans Sohn, aus Skylds Geschlecht, gewann Kriegsglück
und Schlachtenehre in langem heldenhaften Leben, und um
ihn blühte mächtige Gefolgschaft und mannhaftes Geschlecht
der Krieger.
Als er alt war, kam ihm der Wunsch ins Herz, eine prunk-
volle Königshalle hoch aufzubauen, einen Metsaal größer als
je die Völker erblickten. Viele Sippschaften über den Erd-
kreis hin bot er auf, den Gefolgssaal zu zieren. So ward in
kurzer Frist der größte Hallenbau vollendet, und Hiorot, d. h.
Hirsch, nannte ihn der mächtige Herrscher. Hoch ragte der
Saal, mit Geweihen geschmückt: noch harrte er der schreck-
lichen Lohe, die ihn künftig verzehren, noch der Zeit, wo
Männerhaß zwischen Eidam und Scbwäher entbrennen sollte.
Fröhlich saßen die Mannen beim Gelage, Gold und Ringe
spendete der Herrscher, und täglich ertönte Festjubel aus
dem Prunksaal, das Lustholz, die Harfe, erklang und der
helle Sang des Dichters von Taten der Vorzeit und Werken
der Helden. So lebten die Mannen selig und in Freuden,
bis ein Unhold Frevel zu sinnen begann. Grendel war der
Grimme genannt, der Markstapfer, der im Moore hauste, im
Kot und Sumpf, dem Sitz der Unholde.
Bei dunkelnder Nacht machte er sich auf, die hohe Halle
heimzusuchen, wo die Ringdänen nach dem Biertrunk ruhten:
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nach dem Gelage fand er dort die Edlen im Schlaf, von Sorgen
unbeschwert. Gierig raffte der heillose Wicht dreißig Degen
vom Lager und eilte stolz mit dem blutigen Fang seiner
Höhle zu.
Als die Ucht den Tag färbte, ward Grendels Untat den
Mannen kund. Wehruf erscholl, schlimmer Morgenruf nach
dem Festjubel, der edle König saß trauernd da, voll Kummer
um seine Krieger, seit er die Fährte des Untiers erspähte.
Hart war die Sorge, weiter ging die Drangsal: schon in der
nächsten Nacht vollführte der Unhold noch mehr des Mordes,
und allen war sein Haß mit blutigen Zeichen verkündet. Da
war mancher, der nun anderswo fern der Halle in den Ge-
bäuden sich die Ruhstatt suchte, fernab schlich sich in sicheren
Schutz/ wer dem Feind entrann, bis der schönste der Säle
verlassen stand zwölf Winter lang. Darob trug der Skylding
Zorn und schweren Kummer, und traurige Lieder kündeten
den Menschen Grendels Toben wider Rodgar, und wie der
grause Todesschatten unheilbrütend über den Dänen lag.
Frevelnd und heerend kam der einsame Gänger aus den
Nebelmooren und bewohnte in schwarzen Nächten Hiorot,
den schönen Saal.
Mit den Mächtigen sann der sorgenvolle Skyldingenfürst
auf Hilfe, und Opfer gelobten die Dänen den Göttern an hei-
ligen Orten. Oft auch vermaßen sich beim Metkrug die
mutigen Mannen, sie wollten im Saale des Unholds harren und
mit dem Schrecken des Schwertes ihn andringen. Dann war im
Morgengrauen die Halle von Blut beronnen, vom Blute troffen
die Bänke, und wieder war die Schar der Mannen gelichtet.
Die grause Kunde von der Not der Dänen drang weit über
die Lande und gelangte auch über das Meer zum Volke der
Gauten, das Hygelak der Degen beherrschte. Dort lebte am
Königshofe Beowulf, den Egthiof, der Held aus dem ruhm-
reichen Stamme der Wägmundinge, mit der einzigen Tochter
des Gautenkönigs Redel gezeugt hatte. Erst sieben Winter
zählte Beowulf, als Redel, Hygelaks Vater, den Knaben
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an den Hof rief. Dort wuchs er auf inmitten der Krieger,
und nicht minder lieb war er dem König als die eignen Söhne.
Doch unter den Gauten war er lange verachtet, sie hielten
ihn für einen untüchtigen Edeling, und ungeehrt saß er auf
der Metbank. Doch dem Knaben, der den Mannen für schwach
und mutlos galt, kam bald die Wende der Not. Alle Schmach
wandte er von sich und erwuchs zu einem kampfberühmten
Jüngling: die Kraft von dreißig Männern war im Griff seiner
Faust, und kaum die härteste Klinge hielt stand, wenn er sie
schwang. In früher Jugend brach er auf zum Kampf mit den
Ungeheuern, fünf der Gramfeinde band er nach blutigem Streite,
dann vertilgte er das Geschlecht der wilden Riesen und schlug
in den nächtigen Wogen die Walrosse: so rächte er seines
Volkes Drangsal an den Unholden von Land und See.
Breka, der Fürst der Brondinge, war sein Altersgenosse,
der beste der Schwimmer. Kaum waren sie mannbar ge-
worden, so verschworen sie einander, im Begang des Meeres
ihr Leben zu wagen. Das nackte Schwert in Händen haltend
zur Wehr gegen die Ungetüme der See, schwammen sie in
den winterkalten Sund hinaus. Nicht wollte Breka im Wogen-
schwall sich weit von dem jungen Helden entfernen noch
Beowulf den Genossen verlassen. Fünf Nächte lang blieben
sie in der See zusammen, bis wallende Flut und erstarrende
Kälte, nebelnde Nacht und wirbelnder Nordwind sie trennte.
Grimmig tobte das Meer, die Ungetüme der See drangen
wütend heran, doch Beowulf schützte der harte Panzer, der
handgewirkte, um die Brust lag ihm die goldgezierte ge-
flochtene Brünne. Da umklammerte ihn ein räuberisches
Meertier mit hartem Griff und zog ihn bis zum Grunde, doch
mit dem Stahle erschlug er das mächtige Scheusal. Immer
neue Plager bedrängten ihn, aber alle erlagen seinem Schwerte
und wurden von 4en Wogen an den Strand geworfen. Als
endlich vom Osten das Licht kam, des Gottes strahlendes
Banner, glättete sich die Brandung, daß Beowulf die Ufer-
höhen und die windigen Wälle gewahren konnte. So rettete
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Urd den Tapferen. Neun Untiere hatte er mit dem Schwerte
gefällt, nie kämpften gefahrumdrohte Männer unter dem
mächtigen Himmelsgewölbe auf strömendem Meere solchen
Kampf. Das Meer trug den müden Schwimmer mit der Flut
an den Strand der Finnen, doch Breka war nur bis zu den
Raumern gelangt, an Norwegens Küste stieg er ans Land.
So bewies Beowulf seine Meisterschaft. Doch immer blieb
sein Sinn milde und fest, nie erschlug er beim Trunk einen
Herdgenossen. War seine Kraft auch die größte unter den
Menschen, immer hielt er sich fern von Übermut.
Als der Gautenheld die Kunde vernahm, wie Grendel, der
schlimme Riese, Rodgars Halle verheere, hieß er ein festes
Meerschiff rüsten, um über die Schwane nstraße hin den
Dänenkönig aufzusuchen. Vierzehn gute Genossen erkor er
aus der Schar der gautischen Mannen. Schnell bestiegen
die Brünnenbewehrten das Wogenroß, das unterm Berge lag.
Die strömende Brandung wogte zum Sande, als die Seehelden
zur Wunschfahrt das wohlgefügte Schiff in die Wogen trieben.
Vom Winde geschwellt, dem Vogel gleich, glitt es schaum-
halsig dahin, bis am nächsten Tage vom gewundenen Steven
die Seefahrer blinkende Brandungsklippen, steiles Ufer und
ragendes Vorgebirg erspähten. Ans Land stiegen die Held'n
der Wettermark und seilten das Seeholz, es klirrten die Brünnen
und Schlachtgewänder.
Vom Walle schaute der Wächter der . Skyldinge, der dort
die Holmklippen hütete. Glänzende Schilde sah er zum
Strande tragen, da lenkte er das Roß zum Ufer hinab und rief,
kräftig den Speer in den Händen schüttelnd: „Wer seid ihr,
Brünnenträger, die den Kiel über die Holmflut zum Hafen
lenkten? Nie landeten lindenbeschildete Männer so offen
hier, als sei ihnen schon Einlaß von unsern Kriegern gewährt.
Doch nie auch sah ich einen herrlicheren Helden als den,
der unter euch im Panzer steht. Das ist kein Dienstmann
in eiserner Rüstung, wenn sein edles Ansehen nicht trügt.
Nennt schnell eure Herkunft." Da sprach Beowulf: „Gautische
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Mannen sind wir und Hygelaks Herdgenossen. Egthiof hieß
mein Vater. Den Dänenherrscher suchen wir auf und die
Kunde von Grendels Wüten trieb uns hierher." — „Seid ihr
freundlich gesinnt dem Sky Idingenfürsten", sprach der Wäch-
ter, „so weise ich euch zu ihm. Nehmt Waffen und Rüstung
und versichert das Schiff, daß es euch wieder heimwärts
trage über das wallende Meer."
Das Schiff lag still vor Anker, ein Edler hielt die Boots-
wache. Eilig stieg die Schar der Degen bergauf, bis sie den
kunstvollen goldschimmernden Saal erblickten, wo der Herr-
scher thronte. Kein Haus unter dem Himmel war damals
berühmter. Dorthin wies sie der Wächter und wandte sich
mit einem Segenswunsche, um wieder Flutwacht zu halten
wider die Feinde. Mit bunten Steinen war der Weg gepflastert,
den die Helden gingen. Die Brünnen schienen, die feuer-
gehärteten Eber glänzten golden auf den Wangenbergen, die
hellen Harnischringe sangen am Schlachtgewand, als die
Krieger zur Halle schritten. Die Wogenmüden setzten die
harten Schilde an des Hauses Wand. Die Kampfgere aus
glatter Esche mit grauen Spitzen stellten sie zusammen.
Dann wandten sie sich zur Bank, und ein Dänenkrieger fragte
die Eisenschar: „Von wannen führt ihr die glänzenden Schilde,
die grauen Brünnen, die hehlenden Helme und den Haufen der
Heerschäfte? So ist euer Aussehen als führe Hochsinn, nicht
Ächtung euch zu Rodgars Halle." Hart unterm Helme hervor
sprach der Wettermär ker kühnes Haupt: „Wir sind Hygelaks
Bankgenossen, Beowulf heiß ich. Dem Skyldingenfürsten will
ich melden, was uns hertrieb, wenn wir ihn grüßen dürfen."
Der Dänenkrieger eilte zum Fürsten, zu melden, wer fern
übers Meer gekommen sei. Der sprach: „Wohl kenne ich
ihn und seine Sippe. Oft meldeten die Seefahrer von seiner
gewaltigen Stärke. Willkommen sei er mit seinen Mannen
dem Dänenvolk."
Mit dem Helm bedeckt und im klirrenden Panzer — die
grauen Speere aber blieben draußen in guter Hut — trat
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Beowulf mit seinen Mannen unter Hiorots Dach. Er schritt
hindurch, bis er am Hochsitz stand. Dann sprach er: „Heil
dir, Rodgar! Dich grüßt Hygelaks Mage und Mann, der
jung schon Ruhm erwarb. Wir vernahmen daheim die Kunde
von Grendels grauser Untat, und daß das hehrste der Häuser
öde steht, wenn die Abendsonne unterm Schirm des Himmels
verhohlen wird. Da rieten mir meine Recken und Mannen,
dich, Rodgar, aufzusuchen, daß ich mit Grendel, dem unge-
stalten Riesen, den Kampf versuche. Nun gewähre mir,
daß ich allein mit meinen harten Genossen Hiorot reinige.
Man sagt, der Unhold verachte verwegen ein Schwert zu
führen: so will auch ich nicht Schwert noch Schild im Kampfe
tragen, mit der Faust allein will ich ihn greifen und Feind
wider Feind um das Leben kämpfen. Siegt er, so mag er
mich und die Meinen zum Fräße fortschleppen, nicht brauchst
du dann mein Haupt zu bergen, in das öde Moor mag
der einsame Gänger uns schleppen zu schaurigem Mahle. '
Doch sende, wenn ich falle, König Hygelak, meinem Freund-
herrn, die herrliche Brünne, die meine Brust umschließt,
Wielands Gewirk, das Redel mir gab. Niemand kann wider
* *
das Schicksal streiten."
Da sprach Rodgar, der Helm der Skyldinge: „Beowulf,
mein Freund, um Kampf zu suchen und hilfbereit hast du
uns heimgesucht. Noch gedenkt mich, wie einst Egthiof,
dein Vater, im Kampf den Hadolaf, den Wylf ingen tötete. '
Da konnten ihn die Volksgenossen nicht schützen, darum
suchte er uns, die Süddänen, auf überm schäumenden Meer.
Damals herrschte ich in erster Jugend über das Dänenreich,
die gemmenreiche Hortburg der Helden. Ich sühnte mit
Gold die blutige Fehde, über das Meer hin sandte ich den
Wylfingen uralte Schätze, und dein Vater schwur mir Eide.
Mit Scham muß ich nun künden, wie mich Grendel höhnt
in der hohen Halle und wie er mir die Mannen zerreißt. Doch
nun setze dich zum Mahle nieder und entbinde den Helden
den Siegesmut, wie dein Sinn dich treibt."
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Da wurde das Mahl gerichtet, und die Mannen setzten sich
rings auf den Bänken. Des Dichters Lied erscholl und Jubel
der Dänen und Gauten.
Während des Gelages löste Unferd, des Königs Sprecher,
der ihm zu Füßen saß, die Streitrunen, denn er neidete Beo-
wulf den Ruhm, den dieser einst in brandenden Wogen er-
warb. Er sprach: „Bist du der Beowulf, der einst mit Breka
schwamm durch die weite See? Wohl vernahm ich, wie ihr
durch den Eisgang im wallenden Ozean glittet, sieben Nächte
die Meeresstraßen mit den Armen maßet: doch der Sieg
blieb dem Brondingenfürsten, im Schwimmspiel überwand
dich der Mächtige. So fürchte ich für dich noch schlimmeren
Ausgang, wenn du die lange Nacht auf Grendel harrst."
Doch Beowulf sprach: „Viel redest du, Freund, vom Biere
berauscht über den Kampf mit Breka, doch wissen die Mannen,
daß mir in der Woge der Sieg zufiel. Von dir aber, Unferd,
vernahm ich nie eine ähnliche Tat. Das aber sage ich: wäre
dein Sinn so kühn wie dein Wort, nie hätte Grendel in Hio-
rot solchen Graus vollführt. Nein, er ward inne, daß er die
Dänenschwerter nicht zu fürchten brauche. Pfänder nimmt
er sich, raubt und mordet nach Lust, keines Kampfes von den
Gerdänen ist er gewärtig. Nun aber soll er der Gauten Stärke
im Kampfe erfahren, dann mag wer da will morgen im Früh-
licht, wenn die Sonne im Süden strahlt, zum Mete kommen."
Freudenvoll war der greise Ringspender, als er des Helden
Entschluß vernahm. Da war wieder Lachen in der Halle
und heitere Rede. Walthiof trat ein, des Königs Gattin,
goldgeschmückt grüßte sie die Gäste. Erst bot sie dem Dänen-
herrscher den vollen Becher, gern empfing er ihn. Dann
ging die Helmingenfrau durch die Halle, hier und dort Klein-
ode verteilend, bis die Ringgeschmückte zu Beowulf tretend
ihm den Becher bot. Sie grüßte den Helden voll Freude und
dankte ihm, daß sie Rettung aus der Not erhoffen dürfte.
Der kühne Kämpe ergriff den Becher und gelobte, das Dänen-
volk von dem Riesen zu befreien oder zu sterben.
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Als dann die Sonne sank und die nebelnde Nacht über alle
fiel und die Wesen, die unter ihrem Schattenhelm wohnen,
geschritten kamen, suchten die Dänen ihr Lager auf, und
Beowulf wußte, daß harter Streit ihm bevorstand. Rodgar
befahl ihm den Saal und schritt mit seiner Schar davon.
Beowulf blieb mit seinem Gefolge allein in der Halle.
Brünne, Helm und Schwert legte er von sich, ehe er sich aufs
Lager streckte, nicht geringer als Grendel fühlte er sich an
Kraft, waffenlos wollte er den Waffenlosen bestehen. Mit ihm
legten sich die Mannen zur Ruhe, keiner von ihnen hoffte je die
Heimat wieder zu sehen, denn sie hatten erfahren, wie viele der
Tod schon im Metsaale fortgerafft hatte. Doch den Wetter-
märkern wirkten die Götter das Gewebe des Kampfglücks.
In der Hornhalle schliefen alle bis auf einen, als der Schatten-
gänger im Dunkel nahte vom Moore her. Er schritt unterm
Wolkendach zum Saale, die Helden zu morden, nie fand der
Meinschädiger zuvor dort so tapfere Kämpen. Das Tor zer-
barst, waren die Riegel gleich geschmiedet, sobald seine
Faust sie berührte. Scheußliches Feuer sprühten seine
Augen, als er in den farbigen Saal trat.
Er sah die Recken in der Halle schlafen, da lachte sein Herz.
Ihrer aller Leben vom Leibe zu scheiden gedachte er, ehe
der Tag erschien, und meinte Fraß die Fülle zu finden.
Schnell ergriff er einen der Schläfer, zerschliß ihn eiligst,
biß in die Glieder und trank das Blut, große Brocken schlin-
gend. Dann schritt er weiter, als er den ersten verzehrt hatte,
und griff mit den Klauen nach Beowulf, der auf dem Lager
ruhte. Doch der Recke packte behende des Untiers Rechte,
fest auf den Arm sich stützend. Da empfand der Frevler,
daß er nie in Mittgarten auf eine festere Faust bei einem
Manne gestoßen sei. Furcht ergriff ihn, doch konnte er nicht
von hinnen. Er sann, wie er in das hüllende Dunkel enteile,
denn solches widerfuhr ihm noch nie. Der Held aber ge-
dachte der Abendrede, hoch stand er und packte den Unhold,
daß seine Finger zerbrachen. Schlimmen Weg war der Riese
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diesmal nach Hiorot gegangen. Er strebte hinaus, aber sein
Arm drehte sich im Griff des ergrimmten Helden. Der Saal
erdröhnte, den Dänen allen, den mutigen Burgbewohnern,
kam banger Schrecken. Unter dem Rasen der Kämpfer er-
krachte der Bau, und gestürzt wäre die funkelnde Halle,
hätten sie nicht innen und außen Eisenbänder fest umschlossen.
Manche Metbank wich von der Stelle, wo die Wilden stritten.
Als sie den Riesen unentrinnbar gefesselt sahen, schwangen
Beowulfs Mannen die Schwerter, des Fürsten Leben zu schir-
men, doch wußten sie nicht, daß den Schädiger kein Schwert
auf Erden beißen konnte, daß er gefeit war wider alle Sieg-
schwerter. Dennoch sollte in selbiger Nacht der schlimme
Widergeist von dannen wandern.
Grendel spürte, daß er sich aus der Umklammerung nicht
lösen könnte. Furchtbar tönte sein Wutgeheul. Im Ringen
ward er endlich wund. An der Achsel klaffte ein mächtiger
Spalt, die Sehnen rissen, die Gelenke barsten. Todwund
flüchtete er zum Moore. Er wußte, daß die Vollzahl seiner
Tage gekommen war. Beowulf aber blieb als Sieger zurück,
froh seines Nachtwerkes und daß er gehalten hatte, was sein
Ruhmwort den Dänen versprochen hatte. Zum sichtbaren
Zeichen befestigte er Grendels Arm mit Achsel und Hand
unter das hochgewölbte Dach.
Am Morgen kamen die Dänenrecken zur Halle, von fern
und nah eilten die Edlen herbei, die Riesenfährte zu sehen.
Sie verfolgten die Spur, die der Wunde geeilt war, und
kamen zum Moorpfuhl, der in blutiger Brandung wallte, der
scheußliche Sud war ganz gemengt mit Eiter, den der Tod-
wunde färbte, als er freudlos im Pfuhl sein Leben ließ.
Auf blanken Rossen ritten die Recken fröhlich heim, alte
und junge, und laut erschallte von ihren Lippen Beowulfs
Lob. Bisweilen ließen sie im Wettlauf die Rosse rennen.
Oft auch fand ein Königsdegen, der Lieder und alten Sagen
kundig, wohlgefügte Heldengesänge und besang Beowulfs Tat
in kunstvollen Worten.
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So ritten die Recken auf falber Straße, da hob das Morgen-
licht sich höher empor. Sie gingen zur Halle, das Wunder
zu schauen. Auch der König kam mit der edlen Walthiof
aus dem Gemache. Er stand am Pfeiler und sah unterm
goldgezierten steilen Dach Grendels Greifer. Da dankte er
den Göttern, staunend pries er des Helden Kraft, nannte ihn
seinen teuren Sohn und versprach, ihm Gold und Schätze zu
geben. Es schwieg aber Unferd, des Eglaf Sohn, als er Gren-
dels Handsporen sah: mit grausigen Krallen gleich starken
aus Stahl geschmiedeten Nägeln war des Feindes Klaue
besetzt, die nun die Dänen schaudernd bestaunten.
Dann wurde die Halle, die vom Kampfe verwüstet war,
mit bunten Geweben festlich verziert. Als die Spuren getilgt
waren und die Stunde kam, schritt Rodgar zum Mahle, und
um ihn scharte sich reiches Gefolge und saß auf den Bänken.
Der König ließ die Geschenke bringen, den Lohn für den Hel-
den: ein goldenes Banner, Helm, Panzer und kostbares Schwert.
Acht Rosse ließ er in die Halle führen, goldverziert war das
Zaumzeug, auf einem ruhte des Königs Sattel, sein Sitz in
der Schlacht. Mit Gold aber wog er den von Grendel getöteten
Degen auf. So lohnte der König den heißen Kampfsturm,
den der Held bestand.
Da tönte Sang und Saitenspiel vor dem Dänenfürsten, die
Harfe wurde zum Heldenliede geschlagen, als der Sänger
längs den Metbänken melden mußte, wie einst Finns Ge-
schlecht vom Geschick betroffen ward und Näf der Skylding
auf friesischer Walstatt fiel. Jubel war auf den Bänken, als
das Lied verstummte, und die Königin reichte dem Gatten
mit freundlichem Zuspruch den Becher, der mit Rodulf,
dem Neffen, dem kühnsten der Helden, unter dem Namen
Rolf Kraki bei den Dänen berühmt, im Hochsitz saß.
Dann schritt sie zur Bank, wo ihre Söhne Redric und Rod-
mund im Kreise der Kinder der Helden weilten. Dort saß
bei den Knaben Beowulf , als die Königin sich nahte, ihm
freundlich den Becher zu füllen und edlen Goldschmuck zu
14 Wolfen u. Petersen, Heldennagen.
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spenden, und sie sprach den Heilwunsch: „Trage den Reif
und die funkelnde Kampfberge, herrlicher Beowulf, genieße
die Kleinode und gedeihe im Glück! Ewig werden die Völker
dich preisen, soweit der Ozean die Dünen bespült. Heil sei
dir, solange du atmest! Sei meinen Söhnen Freund und
Helfer! Treu ist hier ein Edler dem andern, treu ihrem
Herrn sind die Mannen." Dann schritt sie zum Hochsitz.
Herrlich war das Mahl, und der Wein floß in Fülle.
Als dann der König zu seinem Hause gegangen war, legten
sich die Dänenmannen wie einst, ehe der Unhold die Halle
heimsuchte, zur Ruhe längs den Wänden auf Decken und
Polster nieder. Sich zu Haupte n setzten sie die Kampf -
schilde aus blanker Esche, darüber auf der Bank standen
weithin sichtbar die Helme der Mannen, ragend hoch, und
die ringgeschmückten Brünnen samt den glatten Speeren,
immer waren sie zum Streite gerüstet, daheim und im Heere:
bereit zu jeder Stunde, wo der Fürst ihrer bedürfe. Beowulf
und seinen Gautenkriegern war ein anderes Gemach, fern
der Halle, zur Ruhe bereitet.
Schlaf umfing sie, da nahte neues Verderben. Denn
noch war die ganze Sippe der Unholde nicht vertilgt. Es
nahte Grendels Mutter, das schreckliche Weib, das den Wasser-
strudel bewohnen mußte. Finster und grimmig ging sie den
furchtbaren Gang, den Sohn zu rächen.
Wütend drang sie in Hiorot ein und fand die Dänen in
Schlaf versenkt. Da sprangen die Helden auf, als die Pforte
barst, und griffen zu den Schwertern. Schnell wollte sie von
hinnen, ihr Leben zu bergen, denn so viel minder denn Gren-
dels Stärke war ihre, als des Weibes Kraft der des Mannes
nachsteht. Doch im Fliehen noch packte sie einen der Edlen
und schleppte ihn dem Sumpfe zu. Der war dem König unter
den Helden vor allen lieb und ein gewaltiger Kämpe. Auch
Grendels schreckliche Klaue schleppte sie mit hinweg. Da
war der Hof wieder von Jammer erfüllt. Der König saß
trauernd über des Teuren Tod. Im Morgengrauen ward
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Beowulf gerufen, mit der eisernen Schar schritt er klirrend
zum Könige. Der meldete ihm, wie neuer Schrecken die
Halle verheere: „Den Sohn zu rächen, würgte die Riesin mir
den besten Helden, der stets mir an der Schulter stand, wenn
wir zum Kampfe schritten, und auch ferner droht sie mit
grimmiger Fehde. , Oft hörte ich die Bauern sagen, es hausten
zwei Markenumschleicher draußen im Moore, der eine sei
einem Weibe ähnlich, den anderen riesigen Wuchses, ' der die
friedlosen Pfade trat, nannten sie Grendel, doch niemand
weiß, wer die Unholde zeugte. F Wolfshalden bewohnen sie
in entlegenen Schiliften, windige Klippen im düsteren Moor,
wo der Bergstrom unter das Genebel der Felsen stürzt in
den Schlund der Erde. Nur wenig entfernt von hier steht
das Sumpfmeer, reifgrau hangt ein Hain darüber hin, wurzel-
fest das Moor überhelmend. Allnächtlich kann man dort
schauerliches Wunder schauen: in der Flut ist Feuer. Nie-
mand kennt den Grund des Pfuhles. Selbst der gehörnte
Heideläufer, der Hirsch, den die Hunde hetzen: eher läßt er
am Ufer sein Leben, als daß er sein Haupt im Wasser berge.
Nicht geheuer ist der Ort. Oft wirbelt da zu den dunklen
Wolken das Wasser empor, wenn der Sturm die wilden Ge-
witter aufstört, bis die Luft sich schwärzt und die Himmel
weinen. Wieder ist das Heil bei dir allein! Suche die schreck-
liche Stätte, wenn du es wagst, und ich will dir lohnen mit ur-
altem Schatz und gewundenem Golde, falls du wiederkehrst."
Und Beowulf sprach, Egthiofs Sohn: „Schweige die Sorge,
hochweiser Held. Gewiß ist uns allen das Ende, darum sinne
jeder auf große Taten vor seinem Tode, denn dem Manne ist
Nachruhm das beste. Auf denn, folgen wir schnell der Spur
der Riesin! Nicht im Busen der Erde, noch im Berggehölz,
noch auf dem Grunde der Flut soll sie vor mir sich bergen.'*
Der Greis sprang auf und ließ die Rosse zäumen.
Voran ritt Rodgar, die Mannen folgten entlang der Fährte,
die am Walde hin über die Gründe lief. Über Schluchten
und Steinklippen führte der schmale Pfad, bis endlich der
14*
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spähende König überm grauen Fels freudloses Gehäng er-
blickte. Darunter stand die Flut blutig und trüb. Auf stei-
nigem Hang erblickten die Mannen des geraubten Freundes
Haupt. Im Sumpf und am Klippensturz kauerte manch
schreckliches Gewürm, Robben und Drachen und Raub-
gezücht. Zornig entflohen sie, als die Hörner tönten und die
Mannen sich am Ufer lagerten. Beowulf erlegte mit dem
Bogen eines der Untiere, mit den Eberspeeren ward es zum
Ufer gezogen zum Staunen der Mannen.
Nun waffnete sich Beowulf mit Brünne und Helm, um
vor den scharfen Klauen der Riesin den Leib zu schützen,
und ergriff sein herrliches Schwert: in Gift war es geätzt und
im Wundschweiß gehärtet. Dann stieg er ungesäumt in die
Flut, und der Brandungsschwall umfing den Helden.
Lange währte es, bis er den Grund erreichte. Da merkte
die Riesin, die hundert Sonnenwechsel schon gierig und grimm
in der Flut hauste, daß ein Held von oben in der Unholde
Reich eindränge. Sie griff ihm entgegen, packte ihn, doch
vermochten die Klauen den Panzer nicht zu durchdringen.
Zu ihrer Höhle schleppte sie ihn, einem überdachten Gewölbe,
da konnte die Flut dem Helden nicht schaden. Beim Schein
eines bleichen Feuers, das die Höhle erleuchtete, sah Beowulf
die Grundwölfin, das schreckliche Moorweib. Mit mächtigem
Hieb schwang er das Schwert, daß das ringgeschmückte auf
ihrem Haupt ein schrilles Schlachtlied sang, doch die Streit-
flamme wollte nicht beißen und ihre Schärfe versagte in der
Not: zum ersten Male erlag ihre Ehre.
Erbost schleuderte Beowulf die Klinge von sich, und dem
Griff seiner Faust vertrauend, faßte er die Riesin an der Achsel
und rang sie zu Boden. Sie aber vergalt ihm, packte ihn mit
grimmen Griffen, daß der Held zu Fall kam. Auf ihn geneigt
zog sie das Messer, den Sohn zu rächen, doch ihn schirmte
die dichte geflochtene Brünne und wehrte der Schneide
den Eingang. Lange rang er vergeblich mit der Riesin.
Da gewahrte sein Auge in der Höhle unter andern Waffen
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ein altes sieggekröntes Riesenschwert. Es war so gewaltig,
daß kein Mann es geschwungen hätte außer ihm. Das ergriff
er in höchster Not und hob es zu gewaltigem Hiebe, todgrimmig
schlug der Held und trennte der Riesin das Haupt vom Rumpfe,
daß sie tot zu Boden fiel.
Er ging durch die erleuchtete Höhle und fand auf dem Lager
Grendels Leichnam. Auch ihm hieb er den Kopf herunter.
Als oben am Ufer die Harrenden sahen, wie die brandende
Woge mit Blut sich rötete, hofften sie nicht länger auf des
Helden Rückkehr. Bis zum Abend noch harrten sie, dann
kehrten die Dänen mit dem Könige heim, nur Beowulfs Mannen
blieben zurück und starrten traurig und kranken Mutes über
das Moor hin: kaum hofften sie noch den Fürsten zu sehen.
Drunten indes begann dem Helden im Blut der Erschlagenen
das Schwert zu schwinden, die Klinge zerschmolz wie Eis,
wenn der Tauwind bläst. Nur der Griff blieb übrig. Die
kleinodgeschmückte Hilze nahm er und Grendels Haupt, doch
von den reichen Schätzen, welche die Höhle barg, nahm er
nichts. Dann schwamm er zurück. Mit seiner Beute ent-
tauchte er der Flut, und mit Jubel eilte ihm die Schar der
Gauten entgegen. Schnell lösten sie ihm Helm und Brünne,
dann zogen sie heim nach Hiorot. Vier Männer trugen an
der Gerstange mit Mühe das ungeheure Haupt, als die vier-
zehn Recken in die Halle zu den trinkenden Männern traten.
Die staunten ob des grausigen Wunders.
Beowulf sprach: „Hier bringen wir dir, Skyldingenfürst,
die herrliche Beute vom Seegrund. Ohne Sorgen magst du
nun mit der Schar deiner Degen in Hiorot schlafen, den Tod
der Edlen brauchst du nicht mehr zu fürchten." Dann er-
zählte er den schrecklichen Kampf und zeigte Rodgar die
goldene Hilze des Riesenschwertes. Der aber erwiderte:
„Über alle Völker wächst dein Ruhm, du höchster der Helden.
Keiner ist besser geboren als du. Hundert Winter herrschte
ich unter den Wolken und beschützte die Dänen vor Esche
und Eisen, daß ich keinen Gegner meiner mehr mächtig
Gebieter, das Halskleinod aber, das er von Walthiof empfing,
gab er Hygd, dazu auch drei gesattelte Hengste. Einer ge-
dachte der Ehre des andern: so beschenkte der Gautenkönig
den Helden mit dem köstlichsten Schwert aus dem Gauten-
schatz, mit siebzig Hundertschaften, mit Herrschersitz und
Halle. Und seitdem herrschten Hygelak und Beowulf lange
gemeinsam über das Volk der Gauten, dem einen aber war
das breite Reich und die Königswürde angestammt, denn vor-
nehmer war seine Geburt.
32. DER DRACHENKAMPF
Jahre vergingen. Einst zog Hygelak mit gewaltigem Heer-
bann über See, im Lande der Friesen an der Mündung des
Rheines zu heeren. Da hoben Franken aus hetwarischem
Stamm gegen ihn die Schilde, gewaltiger Kampf entbrannte,
und Hygelak, der Freund des Gautenvolkes, erlag dort dem
feindlichen Schwert und mit ihm fast die ganze Schar seiner
Streiter. Beowulf aber entrann, der mächtige Schwimmer.
Mit dreißig Beutebrünnen beladen stieg er ins Meer und ent-
kam den Hetwaren, deren wenige nur vor seinem Schwert
die Heimkehr gewannen. Er überschwamm den Bereich
der Seehunde, einsam erreichte er das Gautenland. Da bot
ihm Hygd Schatz und Herrschaft, Gold und Hochsitz, denn
ihres Knaben Kraft wähnte sie nicht stark genug wider der
Feinde Andrang. Doch wollte Beowulf der Hilflosen nicht
willfahren: dem Königssohne wollte er nicht Gebieter sein,
noch an seiner Statt als König herrschen. Nur dies versprach
er: dem Knaben mit Rat und Schutz zur Seite zu stehen, bis
er heranwüchse und der Gauten waltete.
Doch wollte das Schicksal, daß Hardred, der junge König,
in einer Schwedenfehde vor dem Schwerte fiel. So gewann
Beowulf Krone und Herrschaft. Fünfzig Winter saß er auf
dem Gabenstuhl und waltete über das breite Reich mit starker
Hand, mächtig schützte er das Land vor jedem Feinde.
Als Beowulf alt geworden war, begann in dunklen Nächten
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ein feuerschnaubender Drache durch die Lüfte fliegend das
Gautenland rings zu verheeren. Auf hoher unzugänglicher
Klippe bewachte er einen Hort. Der war einst in dunkler
Vorzeit das reiche Erbe einer edlen Sippe gewesen, ein un-
endlicher Schatz von Gold und Kleinoden. Der letzte des
Geschlechtes hatte ihn in der Klippe verborgen, als alle
Stammesbrüder der Tod dahingenommen hatte. In den Berg
an den Meerklippen trug er die Schätze, und klagend sprach
er: „Nun wahre du, Erde, da die Helden es nicht mehr dürfen,
der Edlen Besitz. Reiche Habe gewannen sie auf dir, doch
schrecklicher Streit und Speerkampftod riß die lieben Gesippen
dahin. Der H allen jubel verklang, niemand wird Schwerter
und Becher mehr pflegen, dem vergoldeten Helm entsinkt
der Zierat . . es schlafen die Helden, die einst ihn schmückten.
Auch die Brünne, die im Schildgekrach dem Bisse der Schwer-
ter stand hielt, wird zerfallen wie ihre Träger, nie mehr fährt
der Ringpanzer mit dem Helden zum Streit. Nicht tönt mehr
die wonnevolle Harfe, der Klang der Saiten verstummte,
durch die Halle schwingt nicht mehr der Flügel des guten
Habichts, noch stampft das mutige Roß den Burghof. Der
Kampf tod raffte zu viele des Stammes dahin." So klagte
der Mann und jammerte im Unmut, bis des Todes Wallen
ihm das Herz anrührte. — Den Hort aber fand unbewacht
der alte Uchträuber, der feurig die Berge umschweift und
in den Nächten schnaubend einherfliegt: der Kampfdrache.
Seitdem bewachte der Uralte nutzlos das Gold.
Dreimal hundert Winter brütete er auf dem Horte. Da
geschah es einst, daß ein Mann, der vor seines Herrn Ver-
folgung floh, den Steig unter dem Felsen fand, den noch nie
eines Menschen Fuß vor ihm betrat, und in seiner Not sich
in der Drachenhöhle barg. Wohl packte ihn Schrecken, als
er das schlafende Untier sah, doch da Armut ihn drückte,
raubte er aus dem funkelnden Hort eine goldene Metschale,
damit er seines Herrn Groll sänftige und sich Frieden erkaufe.
So ward die Höhle entdeckt.
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Als der Wurm erwachte und den Raub bemerkte, brach
seine Wut hervor. Er fuhr spürend um den Stein, den Dieb
zu suchen, doch fand er ihn nicht. Da begann er haßgemut
das Werk der Verheerung. Brand und Brunst speiend fuhr
er bei Nacht über das Land hin,, rings brannten die Höfe,
und feurige Lohe schoß auf. Nichts Lebendes wollte er übrig-
lassen, und grimmerfüllt wütete er wider das Volk der Gauten.
Wenn morgens Qualm das Land verhüllte, eilte er zurück
zum Felsenversteck, das er sicher wähnte.
Auch Beowulfs Erbsitz und die Halle mit dem Gabenstuhl
der Gauten sank im Brande nieder. Da beschloß der alte
Held in düsterem Grimme die Seinen zu rächen und das Land
von der schrecklichen Plage zu reinigen.
Er ließ sich einen Schild schmieden, ganz aus Eisen, denn
wohl wußte er, daß das Holz der Linde ihn wider die Lohe
nicht schützen werde. Er verschmähte, den Drachen mit
Heeresmacht zu bekämpfen. So schwere Kämpfe hatte er
bestanden, daß ihm vor der Stärke des Wurmes nicht bangte.
Nur elf Recken erlas er zum Geleit. Dazu mußte der Knecht
ihm gefesselt folgen, der dieses Kampfes Urheber war, da
er die Höhle nahe der Meeresbrandung den Edlen allein zu
zeigen vermochte.
Sie kamen zur goldgefüllten Wölbung: kampfbereit lag
im Stein der unheimliche Wächter des Hortes. Auf der
Klippe saß der König nieder, Heil entbot er den Herdgenossen,
der Goldfreund der Gauten. Das Herz war ihm betrübt,
ahnungsvoll zuckend und todbereit, schon stand Urd ihm
zur Seite, sein Leben dahinzunehmen. Sinnend redete er
zu seinen Genossen von der Gauten Geschicken, die er in
früher Jugend sah, von seinen Taten in Hygelaks Schar
wider Franken und Friesen, als der König fiel. Dann sprach
er: „Kampferfüllt war meine Jugend. Jetzt will ich noch
einmal als greiser Volkswart Fehde beginnen und Ruhm
erlangen, wenn der Verderber mich hier draußen sucht.
Nicht eines Fußes Breite will ich vor dem Bergwart weichen,
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am Felsen ende Urd den Kampf, wie sie es beschlossen hat.
Ihr aber, meine Genossen im Panzer, harret am Berg hier, bis
der Kampf sich entscheide. Es ist nicht euer Werk noch eines
andern, nur meines allein, wider so grimmen Gegner zu
streiten. Ich töte den Schädiger oder falle im Kampfe."
Der Held erhob sich unterm Helme, auf den Schildrand
gestützt und schritt unter die Steinklippen. Da sah er unter
einem Steingewölbe hervor einen Strom aus dem Felsen
brechen, heiß wie Feuer war der brausende Brunnen: der
hinderte ihn zum Horte zu dringen. Zornige Rufe stieß er aus,
gellend und kampfhell scholl die Stimme in den grauen Stein.
Den Ruf vernahm der Hortwart. Heraus fuhr ein feuriger
Brodem sein Atem, und der Berg schlitterte. Dem grauen-
vollen Gast schwang der Held den Schild entgegen, als er
zum Streite herauskroch. Das Untier krümmte sich und
schnellte lohend heran, den Helden zu packen, der hinter dem
Eisenschild mit geschwungenem Schwert ihn erwartete.
Doch wenig nur schützte ihn der Schild vor dem Brande.
Nun ließ er den Hieb auf den Drachen niedersausen, doch
die graue Klinge glitt ab und wollte nicht beißen, wie die
Not ihres Herrn es erheischte. Da geriet der Bergwart in
rasende Wut, fernhin spie er feurige Garben, und Beowulf
fühlte den Siegruhm weichen, als die edle Klinge versagte,
nicht leicht ward ihm, von den Gefilden der Erde zu scheiden.
Von neuem rannten die Gegner aufeinander, und wieder
stand Beowulf in großer Not vom Feuer umwallt. Da flohen
die Genossen voll Schrecken und bargen im Holze ihr Leben.
Nur einer wich nicht, ihm wallte das Herz von Sorgen um
den Herrn, und das Band der Sippe, das Edle unlöslich bindet,
zwang ihn auszuharren.
Wiglaf hieß er, Beowulfs Mage, der seinen Herrn in der
Not des Feuers sah. Der gedachte der huldvollen Gaben,
die er von dem milden Herrn empfing: des reichen Erbsitzes
der Wägmundinge und der Volksrechte, die er und sein Vater
besessen. Da hielt es ihn nicht: den Schild ergriff er, die
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graue Linde, aus der Scheide riß er das Schwert, das in vielen
Kämpfen erprobte, und rief den fliehenden Genossen zu:
„Ich denke der Stunde, wo man uns Met reichte und wir
dem Ringspender in der Halle gelobten, daß wir ihm die
Rüstungen und reichen Gaben, die Helme und Schwerter
lohnen wollten, wenn seine Not es erheischte. Nun erkor er
uns zu dieser Fahrt, der reich uns beschenkte, weil er uns
für tapfere Speerkämpfer hielt, wenn er gleich das Helden-
werk allein zu vollbringen gedachte. Nun aber ist der Tag
gekommen, wo unser Gefolgsherr tüchtiger Mannen bedarf:
eilen wir denn, dem Fürsten zu helfen, den die grimmige
Glut versengt. Besser ist uns, mit ihm in den Flammen zu
sterben, als untätig ihn fallen zu sehen. Schmachvoll wäre
es uns, die Schilde heim zur Burg zu tragen, wenn wir nicht
erst den Feind fällten und den Herrn retteten. Seit wann
ist es Brauch, daß der Herr allein im Streite litte und den
Tod fände? Schwert und Helm, Harnisch und Schild sind
uns allen gemeinsam."
Er drang durch den Qualm zu Beowulf hin und rief ihm
zu: „Gedenke dessen, was du früh gelobtest: nie wolltest du
deine Ehre sinken lassen. Schirme dein Leben, tapferer Held,
ich stehe dir bei."
Schon nahte der Drache zum dritten Male. Im Feuer
verschwelte des Jünglings Schild. Da sprang er hinter
Beowulf s Eisenwehr, j Der gedachte seiner Schlachtehre:
mächtig schlug er mit dem Schwert, daß es in den Nacken
des Drachen eindrang. Doch Nägling, die harte, graue
Klinge zerbarst unter der Wucht des Hiebes, zu stark war
Beowulfs Faust für jede Waffe.
Der Drache raste heran, er überrannte den Helden und
grub ihm die furchtbaren Zähne in den Hals, wo sich Raum
bot: in sprudelnden Wogen entströmte das Blut der Wunde.
Da bewies Wiglaf sein Heldentum. Unbesorgt um Leben
und Leib traf er von unten her den Drachen, ob auch die
Hand ihm verkohlte, und trieb ihm bis ans Heft die Klinge
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in den Leib. Alsbald begann die Hitze zu schwinden. So
ward auch der König seiner Sinne wieder Herr, er riß ein
kurzes Saxschwert hervor, haarscharf war es geschliffen, und
schnitt mitten durch den schrecklichen Wurm, daß ihm das
Leben entfloh.
Der Wurm war gefällt, doch war es Beowulfs letzter Sieg.
Seine Wunde begann zu schwären und zu schwellen, die ihm
des Erddrachen Zähne schlugen, und er fühlte, wie ihm das
tödliche Gift in der Brust zu wallen begann. Zum Steinwall
ging der weise Greis und ließ sich hin. Wiglaf labte den Wun-
den mit Wasser und löste ihm den Helm.
Da sprach Beowulf — nicht achtete er der tödlichen Wunde,
wußte er doch, daß er bis zu Ende die Erdenwonne genossen
hatte und daß ihm das Leben schnell zerrann : „Nun ließe
ich gern einem Sohne das Kampf kleid, wenn mir ein Erbe
beschieden wäre. Fünfzig Winter saß ich im Hochsitz, und
keiner der Nachbarn wagte mit Krieg mich heimzusuchen. Nie
schwur ich falsche Eide, noch rötete ich mein Schwert im Blute
der Gesippen. Du, Wiglaf, eile nun zum grauen Stein, daß ich
den schimmernden Schatz noch sehe, die lichten Gemmen und
das funkelnde Gold: so ende ich sanfter mein Leben und
scheide leichter von den Meinen, die ich lange beherrschte."
Wiglaf gehorchte. Er fand in der Höhle am Boden köst-
liche Schätze, Krüge und Schalen, auch ihrer Zierde beraubte
rostige Helme, und künstlich verschlungene Spangen und
ein Banner aus Goldstoff.
Schnell raffte er den Hort zusammen, das alte Riesenwerk,
er füllte den Schoß mit Bechern und Kannen, ergriff auch
das Banner und eilte zu dem wunden Herrn zurück.
Den fand er dem Tode nah. Doch noch einmal kehrte
ihm das Leben zurück, und er sprach: „Mich freut, daß ich
dem Volk meiner Helden an meinem letzten Tage noch so
köstlichen Schatz erwerben durfte. Ich aber will nun nicht
länger hier weilen. Laßt die Mannen mir den Hügel wölben,
wenn mein Scheiterhaufen verloht ist, auf hoher Klippe über
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der Brandung, der soll zum Gedächtnis dem Volk meiner
Mannen weithin ragen auf »dem Walfischfels. Ihn werden
die Schiffer künftig heißen Beowulfs Berg, wenn sie das
Wogenroß fernher führen auf dem Nebelgewall der Flut."
Den goldenen Halsschmuck streifte er ab und gab ihn
Wiglaf, dazu den goldbunten Helm und die schimmernde
Brünne und sprach: „Du bist der Letzte unseres Geschlechtes
der Wägmundinge, alle Magen, die edlen Helden, fegte Urd
hinweg — nun muß ich ihnen nach." Das war sein letztes Wort.
Schmerzerfüllt saß Wiglaf bei seinem toten Herrn. Bald
wagten sich aus dem Holze die treulosen Zehn, die den Ge-
f olgsherrn in der Not verließen: schamvoll schlichen sie hinter
den Schilden herbei, hin wo der Herrscher im Blute lag.
Grimmigen Gruß bot ihnen Wiglaf: „Das Wort soll gelten:
schnöde verschleuderte an euch der König die Schlacht-
gewänder und kostbaren Schmuck, womit er oft auf der
Metbank euch ehrte, die Mutigsten, die er finden konnte.
Keiner Genossen durfte er sich rühmen, doch war ihm ver-
gönnt, sich mit eignem Schwert zu rächen. Meine Hilfe war
ihm nur wenig nütze, zu klein war die Zahl der Streiter in
der Not. Ihr aber habt alle Gunst verscherzt, eurer Erb-
sitze Wonne, Ar und Halm verliert ihr mit Recht, wenn die
Edlen eure Flucht erfahren, die ehrlose Tat. Der Tod ist
besser als ein Leben in Schmach."
Zum Königshof hieß er Botschaft tragen, zu den Meeres-
klippen, wo die Mannen morgenlang in Sorgen harrten,
noch beides erwartend: den Untergang oder die Wiederkehr
ihres Herrn. Der Bote sprach: „Gefällt ist nun der Gauten-
fürst, kalt bewohnt die Walstatt der Gabenspender durch die
Wut des Wurmes. Doch liegt ihm zur Seite der grimmige
Drache, durch Beowulfs Saxschwert gefällt. Wiglaf sitzt
trauernd über der Leiche. Nun haben wir Kriegszeit zu
erwarten, wenn zu Friesen und Franken die Kunde dringt,
und zu den Hetwaren, deren Macht einst Hygelak erlag:
seitdem verloren wir der Merowinge Huld. Auch die Feind-
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schaft der Schweden wird wieder erwachen, die wir einst
am Rabenholz schlugen, der alte* Haß zwischen Gauten und
Schweden wird sich erneuen, wenn die Kunde Beowulfs Tod
vermeldet. — Eilen wir nun, den Helden zum Holzstoß zu
bringen. Nicht ein Kleinod nur soll mit ihm in der Lohe
schmelzen, nein der ganze Hort: die Menge des schim-
mernden Goldes, das mit seinem Leben so grimmig erkauft
ist, soll der lodernde Brand verzehren. Kein Krieger trage
der Kleinode eines, noch sollen sie den Mädchen am Halse
leuchten, denn jammernd und des Goldes beraubt muß manche
nun ins Elend hinaus, da der Lenker des Heervolkes das
Lachen aufgab. Künftig wird mancher Speer noch morgen-
kalt von den Fäusten gepackt werden, nicht mehr wird
Harfenklang die Kämpen wecken, sondern der dunkle Rabe,
der gierige, wird krächzen über Leichen und dem Adler
melden, wie ihm die Atzung glückte, da er mit dem Wolf
den Raub der Walstatt teilte."
Klagend eilten die Mannen zur Adler klippe, als sie die
Kunde vernahmen. Da fanden sie den Ringspender wunden-
tot liegen, fanden auch das gefällte Untier und den alten Erb-
schatz, seit undenklichen Tagen im Ringsaal verschlossen:
nun lag er im Lichte, von den Menschen bestaunt. Man
lud ihn auf Wagen und schaffte ihn fort, den König aber
trugen die Edlen zum Walfischfels. Dort schichteten sie
einen mächtigen Holzstoß, behängten ihn mit Helmen und
Brünnen und bunten Schilden, betteten klagend den König
darauf und ließen mächtig den Brand aufflammen, brausende
Lohe stieg mit dem Wehruf in die stille Luft, bis der Leib
zerfiel. Dann wölbten sie den Hügel am Hange, hoch und
breit und weithin sichtbar den Wogenfahrern. In zehn
Tagen war das Werk vollendet. Was die Flammen ließen,
umschlossen sie in dem Walle. In den Hügel legten sie Ringe
und goldene Scheiben und Rüstungen, den ganzen Hort: die
Erde nahm das rote Gold, dort mag es noch ruhen, den
Menschen so nutzlos, wie es immer war.
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Dann umritten den Hügel die Kampfhelden aus edlem
Geschlecht, zwölf an der Zahl, sie sangen die Totenklage um
den König und redeten ihm zum Preise. Sie rühmten laut
sein Heldentum und seine Taten nach altem Brauch. Und
rings klagten die Gautenkrieger, die Herdgenossen, ihres
Herrn Ende und sprachen: „Nun fraß die Glut und schmolz
die dunkle Lohe den Herrn der Krieger, ihn, der oft dem Eisen-
schauer trotzte, wenn von den Strängen geschnellt der Sturm
der Geschosse über den Schildwall fegte, der Schaft zum Ziel
drang und der gefiederte Pfeil seine Bahn zog. Er war von
den erdbeherrschenden Männern der mildeste und liebreichste,
seinen Mannen der freundlichste und der lobbegierigste Held."
HILDE
33- NORDISCHE ÜBERLIEFERUNG: HEDIN UND HILD
Ein König mit Namen Högni herrschte im Norden. Er
besaß eine Tochter, die Hild hieß. König Hedin, der Sohn
Hjarrandis, raubte sie, als Högni zu einem Königsthing ge-
fahren war. Als dieser erfuhr, daß in seinem Lande geheert
worden und seine Tochter als Kriegsbeute fortgeführt sei,
machte er sich mit seinen Mannen auf, den Hedin zu ver-
folgen, der dem Ufer folgend nach Norden gesegelt war. In
Norwegen aber mußte König Högni erfahren, daß der Räuber
westwärts über das Meer gefahren sei. Er folgte ihm, und als
er zu einer der Orkneys kam, welche die hohe Insel genannt
wird, fand er dort Hedin mit den Seinen. Der sandte seinem
Verfolger die Geraubte entgegen, damit sie durch ein köst-
liches Halsband den Vater zum Vergleich bewege. Aber Hild
war bösen Sinnes, begehrte den Kampf mehr als Frieden und
wollte ihres Vaters Verderben. Trügerisch bot sie Högni das
Kleinod, doch reizte sie zugleich durch Worte den Kampfzorn
des Helden: Hedin sei zum Kampfe bereit und werde seinem
Verfolger keine Schonung gönnen. Da wies der Vater den
Vergleich zurück, schwichtigte die Wildheit der Seinen nicht
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mehr, sondern stachelte sie an. Hild aber brachte Hedin
die Kunde, Högni weigere den gebotenen Frieden, er möge
sich zum Kampfe bereiten. Darauf rüsteten sich beide
Könige und gingen mit ihren Mannen auf die Insel.
Nochmals rief Hedin seinen Gegner an, der ihm einst
Freund und Blutsbruder war, bot ihm Frieden und viel Gold
zur Buße. Högni aber sprach: ,,Zu spät botest du mir Frieden
und Sühne, denn jetzt habe ich Dalnsleif, mein Schwert,
aus der Scheide gezogen, und ist es gezogen, muß es einem
Manne den Tod bringen: nie versagt sein Hieb, und keine
Wunde heilt, die es schlägt." Da antwortete Hedin: „Deines
Schwertes rühmst du dich, doch nicht des Sieges. Jedes
Schwert nenne ich gut, das seinem Herrn die Treue hält."
So begannen sie die Schlacht, die man das Unwetter der
Hedininge nennt, und stritten ergrimmt den ganzen Tag.
Am Abend war der Strand von Toten bedeckt. Keiner der
Helden stand mehr, aufrecht, und die Schwertwunden ver-
bluteten. Als aber die Nacht herabgesunken war, ging Hild
auf die Walstatt und weckte mit ihrem Zaubergesang die
Toten: da erhoben sich die Gefallenen zu neuem Kampfe,
Hedin stritt wider Högni und jeder grollend wider seinen
alten Gegner.
So ging es einen Tag wie den andern: am tage lagen die
Gefallenen und ihre Waffen zu Stein verwandelt am Ufer,
nachts aber erhoben sie sich, gewannen Leben und erneuten
die Schlacht. Und so, melden die Lieder, müssen die Hedi-
ninge den Untergang der Götter ewig kämpfend erwarten.
34- DEUTSCHE ÜBERLIEFERUNG: HETEL UND HILDE
König Hetel herrschte über das mächtige Nordreich Hege-
lingen, darin umschlossen waren Dänemark, Friesland,
Dithmarsen, Wallis, Livland und Ostland. Viele reiche
Gesippen waren ihm Untertan, denen er Burgen und Lande
in seinem Reiche gegeben hatte: Wate, der alte Recke und
sein Waffenmeister, herrschte über Sturmland, Horand der
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Blühende, der Freund der Frauen und Meister des Gesanges,
und Frute, der reichste an Schätzen und im Rate der Weiseste,
walteten über die Dänenmark, Morung war über Livland,
Irold über Ostland gesetzt.
Dem Könige mangelte es nicht an Freunden, doch wurde
ihm endlich leid, mit ihnen allein zu leben, und er beschloß,
ein Weib zu nehmen. Man riet ihm, Hilde, die Tochter des
wilden Königs Hagen, der über Irland herrschte, zu freien.
Doch wußte die Mär zu melden, daß Hagen seine Tochter
niemandem zum Weibe gönne und jeder Freier um sie das
Leben lassen müsse. Horand widerriet die Werbung, Frute
aber sprach: „Kannst du Wate den Alten zum Boten gewinnen,
so gelänge es wohl, die Maid ins Land zu bringen."
Man sandte nach Sturmland, Wate zu holen. Als er in
Hetels Burg eingeritten war und den Plan vernommen hatte,
brauste sein Zorn auf: „Wer dir das riet", sprach er zum
Könige, „der wünschte meinen Tod. Seid ihr aber, Horand
und Frute, so besorgt darum, daß ich Ehre gewinne, müßt
ihr auch meine Genossen sein und die Mühsal teilen, die ihr
mir zugedacht habt." Die beiden weigerten sich nicht.
Frute riet, wie man sich zur Werbung rüste: ein prächtiges
Schiff aus Zypressenholz, fest und gut, mit silbernen Spangen
beschlagen, mit goldumwundenen Rudern und seidenschim-
mernden Segeln, mit Ankern aus purem Silber und Seilen
aus arabischer Seide hieß er den König richten und mit Kost-
barkeiten den Bauch des Schiffes füllen: Spangen und Ringe,
Gold und Edelgestein, wie sie reiche Kaufleute führen, auch
Helme, Brünnen und Halsberge hieß er bereiten, damit man
sie täuschend feilhalten könne an Hagens Hofe. Wate aber
verachtete so niedere List, nichts wollte er von Kaufmann-
schaft und Kostbarkeiten hören. Er kannte König Hagens
grimme Kraft und ahnte, man werde schweren Kampf zu
bestehen haben, wenn man um Hilde werbe. Darum riet er,
das Schiff mit Brettern und Balken zu decken, damit man
darunter die besten Recken wohlgerüstet zum Streite vor aller
IS Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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Blicken hehlen könne. „Mögen Hör and und Frute", sprach
er, „ihre Kleinode feilhalten und so die Frauen anlocken:
ich aber will Hagen melden, wir seien geächtete Recken und
mit Mühe der Verfolgung des Königs Hetel entronnen. Bieten
wir dann noch reiche Geschenke, wird Hagen den Vertriebenen
Frieden und Herberge gewähren."
Den Winter über ließ Hetel alles bereiten, dessen die Recken
zur Fahrt bedurften: das Prunkschiff mit reichem Inhalt,
drei Lastschiffe für die Wegzehrung und die schön gezäumten
Rosse. Als der Frühling nahte, rüsteten sich die Helden zur
Reise. Hundert der besten Recken wurden im Schiffe ver-
borgen, damit man zum Streite gerüstet sei, wenn die Listen
fehlschlügen. Über die Recken gebot Wate. Frute, dem
Kämmerer, lag die Sorge für alle Köstlichkeiten ob, mit
denen man die Frauen in Irland gewinnen wollte. Auch
Horand, Morung und Irold bestiegen das Schiff und vertrauten
auf glückliche Heimkehr.
Vor frischem Nordwind glitten die Schiffe dahin, sechsund-
dreißig Tage währte die Meerfahrt, bis sie zu König Hagens
Burg gelangten. Sobald sie Anker geworfen hatten, trugen
sie ihre Waren auf den Strand und hielten sie den neugierigen
Burgbewohnern feil. Frute stand in prächtigem Gewände
als reicher Kaufmann mitten unter seinen Mannen. Wate
aber wurde auf sein Begehren vor den Herrn des Landes
gebracht und erbat den Frieden des grimmen Königs. „Sicher-
heit und Frieden gewähre ich euch", sprach Hagen. Da
brachten ihm die Recken kostbare Kleinodien, Ringe, goldene
Spangen und edelsteinverzierten Putz zum Geschenke dar,
glänzende Stoffe, Seide, Purpur und weiße Leinwand, dazu
strahlende Waffen, goldgefaßte Schilde und zwölf kastilische
Rosse. Als Horand mit so reichen Gaben bei Hofe erschien,
wurde er vom Könige mit hoher Gunst empfangen. Auf
die Frage, woher die Gäste kämen, erwiderte er: „Wir be-
sitzen daheim Land und Burgen, doch nun sind wir von
unserem Erbe vertrieben als die Opfer des Unmuts eines
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mächtigen Königs." — „Wer ist es", fragte Hagen, „der euch
ächtete und von Land und Burgen trieb?" Horand sprach:
„Hetel von Hegelingen." Hagen bot den Recken reichen
Ersatz für alles, was Hetel ihnen genommen habe, wenn sie
bei ihm bleiben wollten, Land und Leute versprach er ihnen
zu geben. In der Stadt gab er ihnen die besten Häuser zur
Herberge und bat sie, sein Brot und seinen Wein zu genießen,
bis er ihnen die versprochenen Lehen zuteile. Das aber wiesen
sie ab, denn reicher seien sie, als er sie zu machen vermöge.
Nun brachte man die Ladung der Schiffe zur Stadt, und
Frute ließ die Warenzelte aufschlagen. Nie kaufte man dort
so wohlfeil Steine und goldenes Geschmeide. Wer aber ohne
Kauf eine Gabe begehrte, dem gewährte man sie freundlich.
Der Ruf solcher Freigebigkeit drang auch zu Hilde. Sie
bat ihren Vater, er möge die Gäste zu Hofe fordern, damit
sie die Hochgemuten kennen lerne. Gern willfahrte Hagen
der Bitte. Prunkvoll gekleidet erschienen die Recken am
Hofe, nie sah man zu Irland so prachtvolle Mäntel als die
Hegelinge trugen: mit Gold und Gestein waren die Gewänder
übersät. Hagen und die Königin empfingen die Hochgemuten
mit freundlichem Gruße. Den Frauen hatte der Ruf gemeldet,
wie grimmig Wate, der alte Recke, mit wallendem Bart und
golddurchflochtenem Grauhaar einherschreite. Nun scherzte
die schöne Jungfrau mit dem trotzigen Unfreund der Frauen,
und die Königin bat ihn, im Lande zu bleiben und die Ächtung
zu verschmerzen. Doch stolz verschmähte von fremden Fürsten
Lehen zu verdienen, der einst selber Landbeherrscher war.
Mit Brettspiel und Waffenwerk und Scherzen der Frauen
vergingen den Gästen am Hofe die Tage. Hagen selbst ver-
suchte sich im Kampfspiel mit Wate, doch bald geriet er vor
ihm in Not und mußte des Recken Meisterschaft erkennen.
Eines Abends ließ Horand so süßen Gesang ertönen, daß
die Vögel auf dem Burghofe ihr Lied vergaßen. Die Tiere
im Walde ließen ihre Weide stehen, das Gewürm im Grase
und die Fische in der Flut, hielten an auf ihrem Weg. Neben
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diesen Tönen verloren die Glocken ihren Klang, Kranke ge-
nasen und Trauernden schwand Sorge und Leid.
Auch Hilde hatte den süßen Sang vernommen und wünschte,
den Sänger mehr zu hören. Sie sandte nach ihm, ließ ihn
heimlich in ihr Gemach kommen und bat ihn zu singen.
Da stimmte er eine Weise an, die noch nie zuvor ein Mensch
gehört hatte. Auf der wilden Flut hatte er sie einst von
Meerfrauen gelernt. Voll Entzücken bot die Jungfrau dem
Geächteten Schutz und Schirm und was sein Wunsch begehre,
wenn er bei ihr bleibe, daß sie täglich solchen Gesang hören
könne. Horand aber sprach: | „Nichts will ich von allem,
was ihr mir bieten mögt, nur um euren Gürtel bitte ich euch,
daß ich ihn meinem Herrn zum Zeichen eurer Huld bringe:;
so wird er seines Zornes wider mich vergessen." 1 Sie sprach: L
„Wer ist denn dein Herr? Und trägt er in einem Lande
die Krone?' 4 4- „Verriete uns niemand", sprach Horand,
so will ich euch sagen, mit welcher Botschaft mich mein
Herr um euretwillen hergesandt hat . . So hört denn: Zu
euch trägt sein Herz Minne, und euch allein begehrt er von
allen Frauen." Hilde erwiderte: „Gern wollte ich dir von
hinnen folgen und deinem Herrn lohnen, daß er nach meiner
Minne begehrt, dürfte ich es nur vor meinem Vater wagen."
Doch Horand sprach: „In Bälde nehmen wir Urlaub. Dann
bittet Hagen, daß er euch und eurer Mutter gewähre, unsere
Schiffe und ihre kostbare Fracht zu schauen." Das versprach
Hilde, und Horand wurde heimlich und unvermerkt aus der
Kemenate in die Herberge zurückgebracht.
Voll Freude meldete er den Recken, daß Hilde König Hetel
liebe und ihnen zu folgen gewillt sei, und sie berieten den Plan
der Entführung.
Am vierten Morgen begehrten die Recken Urlaub von König
Hagen. Ungern sah er sie scheiden, doch Wate sprach:
„König Hetel hat nach uns gesandt, er bietet uns Sühne,
darum eilen wir von hinnen. Nur um eines bitten wir, ehe
wir dein Land räumen: daß du an das Gestade kommst, die
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Schiffe und ihre reiche Zurüstung zu schauen. Auch deine
schöne Tochter und die Königin sollen dich begleiten. Das
ist uns höhere Ehre als all deine Gaben, die wir nicht begehren."
Gern sagte Hagen das zu.
Am nächsten Morgen begab er sich mit den Frauen zum
Strande hinab. Während der König dort noch die aus-
gelegten Waren und Kostbarkeiten besichtigte, war Hilde
auf das Schiff gestiegen, die Kleinode zu betrachten, die
Frute da zur Schau gestellt hatte. Da flogen im Augenblick
die Anker vom Grunde, die Mannen, die im Schiffe verborgen
gelegen hatten, sprangen auf und die Segel wurden gehißt.
In wilden Zorn brach Hagen aus, als er die Gewaffneten
sah. Tobend rief er nach seiner Gerstange. Doch nichts
half es, daß seine Mannen das Schiff mit Speeren überschüt-
teten: unaufhaltsam enteilte es dem Gestade, und als Hagen
den Scharen, die am Ufer standen, befahl, die Schiffe zu
besteigen, um den Flüchtigen nachzusetzen, fanden sie die
Kiele durchbohrt und leck.
Als die dänischen Recken an König Hetels Küste gelandet
waren, sandten sie ihrem Herrn die Kunde, daß sie König
Hagens Tochter ins Land brächten. Er eilte fröhlich mit
großer Gefolgschaft ans Meer hinab, der Braut prächtigen
Empfang zu bereiten. Für die wassermüden Frauen wurden
Zelte gespannt, und nachdem die Recken ihrem Herrn die
schöne Hilde zugeführt hatten, wurde das glückliche Ende
der Fahrt mit festlichem Mahle und Kampfspielen am Meeres-
strande gefeiert.
Noch hatte man das Lager am Strande nicht geräumt,
noch saßen nach süßem Schlummer Hilde und ihre Frauen
auf lichten Blumen unter seidenem Gezelt, da tönte Morungs
Ruf: „Ich sehe Schiffe und in den Segeln Hagens Wappen.
Wachet auf! Zu lange haben wir geschlafen."
Mit vielen Recken war der grimme Hagen den Entführern
seiner Tochter nachgeeilt. Wate barg die Jungfrau mit
ihrem Gefolge auf einem Schiff am Ufer, während sich Hetels
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Mannen eilends wappneten. Zwischen den nahenden Schiffen
und den Hegelingen am Ufer entspann sich ein Speerkampf,
doch Hagen, unfähig seinen Zorn zu bemeistern, sprang aus
dem Schiff in die Flut und stapfte, von Pfeilen wie von Flocken
eines Schneesturmes umtanzt, durch das Wasser zum Ufer.
Dort begann eine wilde Schlacht. Hetel an der Spitze seiner
Mannen traf auf Hagen und empfing von ihm in schwerem
Kampfe eine Wunde. Wate aber drang durch das Getümmel
zu seinem Herrn und schied die Kämpfenden. Gleich lohen
Bränden stob das Feuer aus den Helmen, als Hagen und der
alte Held aus Sturmland aufeinander eindrangen. Nach
langem Kampfe traf Wate mit gewaltigem Hieb des Königs
Helm, daß er zerbrach und dem Getroffenen fast die Sinne
schwanden. Da rief Hilde jammernd den Geliebten an, daß
er ihren Vater aus der Hand des grauen Recken rette. Hetel
drang zu Hagen vor und rief ihm zu: „Bei deiner Ehre be-
schwöre ich dich: endige Streit und Haß!" Hagen sprach:
,,Wer heißt mich den Kampf scheiden?" — „Ich bin es, der
Hegelingenfürst", sprach Hetel und sprang zwischen die
Kämpfenden. Widerstrebend trennten sich die Gegner.
Dann band Hetel den Helm ab, und man rief Friede über das
Land. Wate, in der Heilkunst erfahren, half den Schwert-
wunden. Zagend trat Hilde zu ihrem Vater, um ihn mit König
Hetel zu versöhnen. Da schwand dem Grimmen der Groll,
und er fuhr mit Hetel heim in seine Burg. Hilde ward mit
der Krone geschmückt und dem jungen Könige vermählt.
Hagen aber, als er die Macht und den Reichtum des Hege-
lingenfürsten sah, fuhr versöhnt in sein Land.
König Hetel von Hegelingen gewann von Hilde zwei Kinder,
Gudrun und Ortwin. Als die Tochter heranwuchs, wurde sie
schöner als ihre Mutter je gewesen war. Im Dänenland bei
Horand wurde sie erzogen, bis sie eine Jungfrau geworden
35. GUDRUN
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war. Da warben viel mächtige Fürsten um ihre Liebe. Allen
aber versagte Hetel die Tochter.
In der Normandie herrschte König Hartmut. Zu ihm
drang der Ruf von Gudruns Schöne, und seine Mutter Gerlind
riet ihm, um die Hegelingenmaid zu werben. Ungern ver-
nahm Ludwig, Hartmuts Vater, den Plan: „Übermütig sind
ihre Magen", sprach er, „und wir werden Schande erben."
Hartmut aber wollte nicht ruhen, bis er die Maid gewönne.
Er sandte sechzig seiner Mannen mit Briefen zu Hetel, der
sie freundlich empfing. Als er aber vernommen hatte, daß
sie um Gudrun würben, rief er: „Nur daß Horand euch ins
Land geleitet hat, schützt euch vor schwerem Schaden. Mich
und Frau Hilde verdrießt eure Botschaft sehr." Und Hilde
fügte hinzu: „Nie kann Hartmut unsere Tochter gewinnen.
Mag er sich ein Weib suchen, das seinem Heerschild ent-
spricht." Unmutig zogen die Boten heim, Hartmut aber
sprach voll Grimm, als er die Kunde vernahm: „Nimmer will
ich ohne Gudrun leben."
Bald darauf warb König Herwig von Seeland um Gudruns
Hand. Auch ihm wurde die Maid versagt, und er gewann
von Hetel und seinem Weibe nichts als Hoffahrt und Ver-
achtung. Da übermannte ihn der Zorn. Er sammelte seine
Mannen und Freunde um sich, fiel in das Hegelingenland ein
und stand eines Morgens unerwartet mit seinem Heer vor König
Hetels Burg. Schnell sprangen die Hegelingen vom Lager und
der Kampf begann. Hetel selbst kämpfte an ihrer Spitze,
während die Frauen durch das Fenster dem Streite zuschauten.
Bald aber geriet Hetel durch Herwigs Kampfzorn in schwere
Not. Er wurde mit seinen Mannen in die Burg zurück-
getrieben, und die Angreifer folgten durch das Tor.
Gudrun hatte voll Bewunderung die heldenhafte Kraft
und den Mut Herwigs im Kampfe gewahrt. Als sie nun ihren
Vater unter seinen sprühenden Schwerthieben erliegen und
die Hegelingen um ihn her fallen sah, rief sie: "Hetel, mein
Vater, schon sind die Mauern vom Kampfblute rot. Um
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meinetwillen laßt eine Weile die Waffen ruhen, damit ich
euern Streit scheide." Ihrer Bitte willfahrten die Gegner.
Vor die Maid hintretend, sprach Herwig: „Mir ist gesagt,
verächtlich sei ich euch um meines geringen Geschlechtes
willen." — »»Wie könnte ein Weib", sprach Gudrun, „einen
Helden wie dich verachten. Holder war dir nie eine Maid
als ich. Gönnten es mir, meine Freunde, gern wollte ich dir
gehören." Da willigten auch Hetel und Hilde ein, dem
Helden ihre Tochter zu geben, und der Bund wurde gefestet.
Aber kaum war der Friede geschlossen, als Boten meldeten,
daß ein starker Feind mit Sengen und Brennen in Herwigs
Land eingefallen sei und die Seinen hart bedränge. Da bat
Herwig die Hegelinge, zur Hilfe mit ihm zu ziehen, und
Hetel entbot seine kampferprobten Mannen und zog mit Wate,
Hör and und all seinem Heerbann gegen den neuen Feind.
In drei Heerschlachten wurde der Eindringling geschlagen,
in eine Veste geworfen und dort von Herwig und den Hege-
lingen belagert.
Hartmut von der Normandie hatte die Demütigung nicht
vergessen, die er vom König Hetel erfahren hatte. Als seine
Späher ihm meldeten, daß das Hegelingenland von Mannen
entblößt und Hetel auf Heerfahrt sei, beschloß er, sich zu
rächen. Gerlind reizte ihn und König Ludwig zu schneller
Tat. Mit großem Heerbann fuhren Ludwig und Hartmut
über See und landeten heimlich an König Hetels Küste.
Ehe sie aber zum Angriff auf die Burg schritten, sandten
sie Boten an Hilde, um sie zu bewegen, ohne Kampf in den
Bund Hartmuts mit Gudrun zu willigen. Er habe sich ver-
schworen, das ließ er den Frauen sagen, nicht ohne die
Jungfrau heimzukehren, und koste es ihm zwanzigtausend
Krieger. Auf solche Botschaft erwiderte Gudrun: „Nie werde
ich Hartmuts Weib. Herwig bin ich durch Eide ver-
sprochen, ihn wählte ich zum Manne, und keinem andern
werde ich je gehören." Hartmuts Drohung aber verlachte
sie höhnisch.
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Als dieser Gudruns stolze Antwort erfuhr, rief er: „Weh
meiner Schande! Nun helft mir streiten, meine Freunde!"
Voll Zorn führte er das Heer gegen die Burg. Grimmiger
Kampf begann, die Bürger und Mannen, die zur Landwacht
geblieben waren, wollten ihre Herrin schützen. Doch die
Zahl der Friedebrecher war zu groß, und bald drangen sie
in die Burg ein. Hartmut trat vor Gudrun hin und sprach:
„Edle, stets habt ihr mich verachtet, nun müßten auch wir
verschmähen, hier Gefangene zu machen, alle müßten wir
schlagen oder hängen. " Gudrun aber sprach kein Wort als
dies: „Weh mir, mein Vater! Wüßtest du, daß man deine
Tochter gewaltsam aus dem Lande führte, mir armen
Königin geschähe weder Schade noch Schande/'
Das Land wurde geplündert und verheert, die Burg aber
gebrochen, Gudrun mit ihrer Gespielin Hildeburg und zahl-
reichen Jungfrauen hinweggeführt. Eilig verließ dann Hart-
mut mit der Beute und den Geiseln das Land. Hilde, die
Königin, blieb allein und trauernd zurück. Eilige Boten
sandte sie an Hetel mit der schlimmen Kunde, die sprachen:
„Daheim liegen deine Ritter tot, Hartmut fing deine Tochter
und führte sie hinweg, voll Hochmut fährt Ludwig mit reicher
Beute heim, tausend oder mehr liegen vor der Burg jämmerlich
erschlagen."
Als Hetel diese Botschaft empfing, schloß er auf Wates
Rat mit den Belagerten Frieden und begab sich mit Herwig
und all seinen Mannen auf das Meer zur Verfolgung der Räuber.
Weit von Hetels Burg, auf einem öden Strande, den man
den Wülpensand nennt, hatten Hartmut und die Seinen sich
gelagert, um von langer Meer fahrt zu ruhen. Hier fürchteten
sie keine Verfolger mehr, darum wollten sie sieben Tage
lang in dem wilden Hafen verweilen. Eines Morgens aber
sahen sie auf den Wogen Schiffe nahen, und bald erkannten
sie die Verfolger. Nun begann ein wilder Kampf auf dem
grauen Strande und in den Wogen der Brandung. Die Hege-
linge drangen auf das Land, wie sehr auch Hartmuts Mannen
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es ihnen mit Speerschüssen zu wehren suchten. Bis zu den
Achseln gingen Herwig die Wogen, als er vom Schiffe ans
Ufer sprang, und ab der Schwertkampf am Strande begann,
färbte sich das Wasser so weit hin rot, daß niemand den Blut-
see mit seinem Speer Überschossen hätte. Unter wütendem
Streiten verrann der Tag, der Abend sank, und noch war
der Kampf nicht entschieden. Schon begannen die von der
Normandie zu wanken, als Ludwig plötzlich auf König Hetel
eindrang und ihm die Todeswunde schlug. Laut jammerte
Gudrun, als sie den Vater fallen sah, Wate aber stieß ein
Gebrüll aus wie ein wütender Stier, unter seinen Schlägen
leuchteten die zerhauenen Helme wie ein Abendrot. Schreck-
lich rächten die Hegelinge ihres Königs Fall, bis die Dunkel-
heit die Streiter trennte und Freund und Feind sich nicht
mehr unterschieden. Nahe beieinander legten sich die kampfes-
müden Gegner zur Ruhe.
Im Lager der Normannen berieten sich Ludwig und Hart-
mut, wie man dem Wüten Wates entrinnen könne. Der Alte
riet, die Hegelinge durch Wachtfeuer und Lagerlärm zu
täuschen, im Dunkel der Nacht heimlich und verstohlen die
Schiffe zu besteigen und mit den Jungfrauen zu entfliehen.
Also geschah es. Als am frühen Morgen Wate das Heerhorn
gewaltig gellen ließ und die Hetelsmannen zum feindlichen
Lager eilten, fanden sie es leer, nur rings den Strand von
Waffen und Sturmtoten übersät. Laut klagten da Wate und
Ortwin, daß sie des Königs Tod nicht an Ludwig gerächt
hätten. Ohne Säumen wollten sie den Flüchtigen nachsetzen,
doch Frute sprach: „Schon sind sie dreißig Meilen von hinnen.
Wir holen ihre flinken Schiffe nicht ein. Auch gebricht
es uns an Mannschaft für einen Kampf im Lande des Feindes
selbst." In ohnmächtigem Zorn standen die Helden und
klagten. Die ihre junge Königin verloren hatten, mußten
nun noch ihres Königs Tod Frau Hilde melden. Sie bestatte-
ten ihre Toten und segelten traurig heim vom Wülpensande.
Wate allein mit wenigen Mannen ritt voll Zagen zu Hilde,
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ihr die Botschaft zu bringen. Die brach in Jammer aus, als
sie vernahm, daß sie nun auch noch ihren Herrn verloren
habe. Wate aber sprach: „Herrin, laßt das Klagen! Sind
erst schwertmäßige Krieger, die jetzt in unserm Lande Waisen
sind, so vergelten wir Ludwig und Hartmut ihre Tat." Da
rief Hilde: „Das lasse mich Gott erleben! Alles, was ich habe,
will ich drangeben, daß mir Rache wird und ich meine Tochter
wiedersehe." Im Rate der Hegelingenhelden wurde be-
schlossen, das Heranwachsen der jungen Mannschaft zu
erwarten und unterdessen fleißig den Rachezug zu rüsten.
Als Hartmut mit seiner Schar der Heimat nahte und man
die Königsburg ragen sah, sprach Ludwig zur Gefangenen:
„Herrin, seht ihr die Burg? Seid fröhlich, reiche Lande sind
euer, wenn ihr uns eure Gunst schenkt." Doch traurig
sprach die Maid: „Von aller Gunst bin ich geschieden. Doch
ehe ich mich Hartmut ergebe, will ich lieber sterben."
Fröhlich und prächtig empfing Gerlind die Heimkehrenden,
freundlich wollte sie Gudrun nahen. Doch die weigerte ihr
Kuß und Umarmung und sprach: „Eurem Rate danke ich
arme Maid all mein Leid und meine Schande." Lange
dachte die Böse durch Güte die Gunst der Fremden zu er-
ringen und sie zu bewegen, ihres Sohnes Weib zu werden.
Sie Heß sie gleich einer Königin pflegen, und alle dienten ihr
voll Eifer. Doch Gudrun blieb bei ihrem Weigern und sprach
zu Gerlind: „Wie wäre euch, Herrin, wenn man euch zwänge,
den zum Manne zu nehmen, durch dessen Schuld eure näch-
sten Gesippen starben? Nimmer will ich eure Krone tragen,
nichts sinne ich, als euch zu verlassen."
Da bat Gerlind ihren Sohn, er möge die Trotzige ihr über-
lassen, denn sie getraue sich, ihren Hochmut zu brechen.
Das ließ Hartmut geschehen, doch bat er seine Mutter, sie
gütlich zu lehren. „Tut nach ihrer und eurer Ehre", sprach
er. Aber schlimme Lehre hatte Gerlind der Verlassenen zu-
gedacht. Sie sprach zu ihr: „Willst du nicht Freude haben,
so soll dir Leid werden" und befahl ihr, die Kammer zu heizen
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und die Brände zu schüren. Gudrun erwiderte: „Ich muß
deinen Willen tun, hat auch noch nie meiner Mutter Kind die
Brände geschürt." — „So mußt du beginnen", sprach Gerlind,
,,was andere Königinnen noch nicht taten. Ich will deine
Hof fahrt brechen und dich von allen hohen Dingen scheiden."
Die edlen Jungfrauen, die mit Gudrun geraubt worden
waren, teilten das Schicksal ihrer Herrin, und die einst Gold
und Edelgestein in Seide wirkten, mußten nun Garn winden,
Flachs hecheln und Wasser tragen. Gudrun aber peinigte
die schlimme Königin mit immer härteren Fronden. Nur
Ortrun, Hartmuts Schwester, sah mit tiefem Schmerze die
Leiden der Heimatlosen und suchte sie nach Kräften zu
lindern. Aber nicht Gerlinds Härte noch Ortruns Güte
konnten sie bewegen, des Feindes Krone zu tragen und ihr
Leid zu vergessen. Sie sprach: „Laßt mich weiter Magddienste
tun. Da Gott mein vergessen hat, will ich alles gern leiden."
Da ließ endlich im neunten Jahre auch Hartmut seiner
Mutter den Willen, und nun ersann die alte Wölfin für Gudrun
die schlimmste und entehrendste Plage und sprach: „Täglich
sollst du mein Linnen zum Strande hinabtragen und für mich
und mein Gesinde waschen. Hüte dich, daß man dich nicht
müßig findet." Auch das ertrug die Königstochter in stolzer
Geduld, und Hildeburg, die edelste aus der Schar der ge-
fangenen Jungfrauen, wusch mit ihr am Strande. Sie standen
auf dem Schnee, von kalten Winden umweht und teilten alles
Leid. Sie schliefen zusammen auf hartem Lager in rauhen
Hemden, und ihre Speise war trockenes Brot und Quellwasser.
Wieder waren fünf Jahre vergangen, da war im Hegelingen-
lande die Jugend herangewachsen. Um Mittwinter besandte
Frau Hilde ihre Mannen, Wate, Horand und alle bewährten
Recken, auch Herwig und ihrem Sohne Ortwin ließ sie sagen,
Schiffe und Mannschaft seien zum Rachezuge bereit. Eilig
versammelten sich die Helden, bestiegen mit ihren Mannen
die Schiffe und fuhren hinaus auf das winterliche Meer.
Nach schwerer Seefahrt kamen sie zu Hartmuts Reich und
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bargen sich an felsiger und waldbekrönter Küste. Während das
Heer am Strande von langer Meerfahrt ruhte, machten sich
Herwig und Ortwin auf, um zu erkunden, ob Gudrun noch lebe.
An einem frühen Morgen im Marz erhoben sich beim ersten
Lichte Gudrun und Hildeburg von ihrem harten Lager und
gingen barfuß — denn Schuhe zu tragen verwehrte ihnen
die grimme Wölfin — durch den frischgefallenen Schnee
zum Ufer, um Leinen zu waschen. Sehnsüchtig und vor
Kälte zitternd blickten sie über die weite Flut. Da nahten
in einer Barke zwei Männer: Herwig und Ortwin auf ihrer
Kundschaft. Scham ergriff die armen edlen Wäscherinnen,
durch ihre triefenden Hemden schien ihr weißer Leib, und
ihre wirren Haare wehten im Märzwind und Nachwinter-
schnee. Sie wollten sich vom Ufer hinwegwenden, doch die
Kundschafter riefen:' „Ihr schönen Wäscherinnen, warum
enteilt ihr? Sagt uns doch, wessen Linnen ihr wascht,] und
wer so erbarmungslos ist, daß er euch kaum bekleidet im
eisigen Wasser waschen läßt. Eure Schönheit ist eine Krone
wert. Bei aller Frauen Ehre, kehrt euch um!" Vor so freund-
licher Beschwörung überwanden die Mädchen ihre Scham
und gaben Kunde, wessen Land und Burg sei, und daß sie
von zahlreichen Recken gehütet werde. Obwohl Gudrun im
Gespräche ahnte, wer vor ihnen stehe, versuchte sie die beiden
doch mit versteckter Rede, bis Ortwin nach der geraubten
Schwester fragte. Diese erwiderte, sie erinnere sich wohl,
daß vor einigen Jahren eine fremde Jungfrau mit Namen
Gudrun ins Land gekommen, aber längst vor Gram gestorben
sei. Erst als darauf die Recken in Klagen und Tränen aus-
brachen, gab sie sich ihnen zu erkennen. Die Ringe, die
Gudrun und Herwig an den Händen trugen, bannten den
letzten Zweifel, und voll Freude umschlossen und küßten
sich die Langgetrennten. Herwig wollte die Braut mit sich
zu den Schiffen führen, Ortwin aber sprach: „Nie will ich
mich in Feindesland ängstlich verbergen. Die man mir
im Sturm entriß, will ich meinen Feinden nicht stehlen."
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Unwillig bat Gudrun, sie nicht länger in der Gewalt ihrer
Feinde zu lassen, doch Ortwin beharrte auf seinem Willen:
nicht seine Schwester allein, auch die anderen Gefangenen]
wolle er ihrem schlimmen Geschick entreißen. Er befahl der
Schwester, seine Ankunft klug zu verhehlen und versprach,
ihr beim Scheiden, ehe der Morgen scheine, werde er mit
seinem Heere vor der Burg stehen. ,
Schnell ruderten die Recken davon. Gudrun und Hildeburg
jammerten laut, und so lange die Stimme hallte, riefen Gudrun
und Herwig einander sehnende Klagen zu, dann folgten die
Augen den Scheidenden, bis sie dem Blick entschwanden.
Hildeburg raffte ängstlich das Linnen auf, aber Gudrun
sprach :! „Nie wieder will ich für Gerlind waschen. Mir ziemt
kein gemeiner Dienst mehr, denn mich küßten heute zwei
Könige und schlössen mich in ihre Arme."; Zornig warf sie
das Linnen ins Meer und ging ledig mit Hildeburg zur Burg
zurück.
Spät am Abend erst langten sie an. Mit giftigen Reden
wurden sie von Gerlind empfangen. „Wo hast du mein
Linnen?" rief sie. Und Gudrun sprach: „Ich ließ es am
Gestade, zu schwer war es mir. Nicht kümmert mich, was
daraus wird." Da hieß Gerlind sie an den Bettpfosten binden
und mit dornigen Ruten streichen. Doch die Maid sprach
mit geheimem Doppelsinn: „Erlaßt ihr mir das nicht, so
wird euch einst bitter vergolten, wenn ich die Krone trage.
Wollt ihr es mir erlassen, so will ich dessen Weib werden,
dem ich bestimmt bin und will als Königin in der Normandie
herrschen." Da ließ Gerlind von ihrem Zorn ab. Sie ließ
Hartmut rufen und melden, endlich wolle die Maid ihm ge-
hören. Er eilte herbei, als er aber Gudrun in seine Arme
schließen wollte, wehrte sie es ihm und sprach: „Noch bin
ich die arme Wäscherin. Nicht eher sollt ihr mich umfangen,
als bis ich unter der Krone stehe." Hartmut befahl, ihr jeden
Wunsch zu erfüllen. Da hieß sie alle Genossinnen herbei-
holen, für alle Bäder bereiten und köstliche Gewänder bringen,
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ließ weiche Lager in einem reichen Gemache aufschlagen
und Wein und Met bringen.
Ortrun, Hartmuts Schwester, die allein in all der Zeit voll
Mitleid das Los der Gefangenen zu lindern gesucht hatte,
hielt freudevoll die schöne Gudrun umschlungen, während
Schenken und Truchsesse für ein reiches Mahl sorgten. Als
aber eine der Hegelingenmaide traurig klagte, daß sie nun
immer fern der Heimat in der Gewalt der Entführer bleiben
müßten, da lachte Gudrun grell auf, und das war seit vierzehn
Jahren ihr erstes Lachen. Als Gerlind es hörte, sprach sie
zu Hartmut: „Mein Sohn, mir ahnt, dies Lachen bringt unser
Land und uns alle in schwere Not." Doch Hartmut besorgte
kein Unheil mehr.
Im Schlaf gemach sprach Gudrun zu ihren Jungfrauen:
„Seid froh nach eurem Leide, morgen werdet ihr schauen,
wonach ihr begehrt. Heute habe ich Herwig und Ortwin geküßt.
Wer mir zuerst den Morgen kündet, den will ich vor allen
reich machen. " Da legten sie sich frohen Mutes schlafen.
Beim Aufgang des Morgensternes trat eine der Jungfrauen
an das Fenster, nach dem ersten Tagesgrauen zu spähen.
Da sah sie gegen den Spiegel des Meeres hin lichte Helme
und Schilde und das ganze Gefild von Waffen lohen und auf
dem Meere eine Schar von Segeln. | Schnell weckte sie die
Herrin, die sprang vom Lager und sah die Burg umlagert
von ihren Freunden,] die über Nacht gekommen waren, um
das Linnen rot zu färben, das ihre Hand weiß gewaschen
hatte. Bald rief auch der Burgwächter zu den Waffen.
Voll Schrecken sprangen die Königin und die beiden Könige
auf, und Gerlind rief Ludwig zu: „Nun werden deine Recken
Gudruns Lachen teuer entgelten!" Schnell erkannte Hart-
mut, wer vor der Burg lagerte. Er weckte seine Mannen,
um vor den Toren der Burg dem Gegner in offenem Kampfe
zu begegnen. Das widerriet Ger lind: man solle die Angreifer
in der Burg erwarten, zu stark und ergrimmt seien die Hege-
linge, doch würden sie die feste Burg nicht bezwingen. Aber
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Hartmut wies alles Zagen von sich. Lieber wollte er draußen den
Hegelingen erliegen als sich feige in der Burg verschließen. Er
ließ die vier Burgtore öffnen und ritt mit seinen Mannen hinaus.
Da erdröhnte Wates Heerhorn gewaltig über das Feld hin,
die Hegelinge sprangen auf und scharten sich um das Banner.
Zum zweiten Male dröhnte das Horn, und die Recken saßen
im Sattel. Dann brüllte es zum dritten Male mit solcher
Kraft, daß Strand und Meer erbebten und die Steine aus der
Burgmauer fielen. Das war das Zeichen zum Sturm :]Horand
trug das Banner wider Hartmuts Mannen.
Auf der Burgzinne stand Gudrun mit ihren Frauen, als
die Heere aufeinander stießen. Wie ein Kaiser brüstete sich
Hartmut vor seiner Schar. Als Ortwin den Räuber seiner
Schwester sah, erwachte sein Zorn, beide rannten mit den
Speeren einander an, daß die Rosse in die Knie brachen.!
Doch Hartmut schlug Ortwin durch den Helm eine Wunde. |
Als das Horand sah, drang er auf den Normannenkönig ein,
doch vermochte er ihn nicht zu bestehen und empfing von
ihm eine schwere Wunde, daß er aus der Schlacht weichen
mußte. Mit starker Schar drang Herwig gegen Ludwig vor,
doch im Kampfe mit dem alten Recken drohte er zu Boden
zu fallen und wurde nur durch seine Mannen aus Ludwigs
Hand errettet. Schnell blickte er zur Zinne, ob Gudrun seine
Bedrängnis gesehen habe: „Sah sie wie mich der Graubart
niederschlug, immer müßte ich mich schämen." ! Wieder
rannte er Ludwig an, und nun traf er ihn zwischen Helm
und Schildesrand, daß ihm das Haupt von der Achsel sprang. ;
Verwirrt vom Angstgeschrei der Weiber wollte Hartmut mit
den Seinen in die Burg zurückkehren. Doch am Tor trat
ihm Wate entgegen. Da auch die andern Tore schon von
Hegelingenhelden besetzt waren, rannte er den alten Kämpen
an, doch geriet er durch seine Riesenkraft bald in arge Not.
Da flehte Ortrun zu Gudrun, daß sie ihren Bruder aus der
Hand des grimmen Alten rette. Der erwiesenen Treue der
schwesterlichen Feindin gedenkend, rief Gudrun Herwig zu,
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er möge den Streit zwischen Wate und Hartmut scheiden, j
Dieser harte Dienst, den Herwig der Geliebten tat, trug ihm
bittere Worte von Wate ein: | „Wollt ihr, daß ich den Frevler
um Frauenwort schone?"] rief er und ließ sein Schwert ge-
waltig auf Herwig niederfallen, als er zwischen die Kämpfenden
sprang und sie trennte. Hartmut ward mit allen seinen
Mannen gefangen und gebunden zu den Schiffen geführt.
Wate aber brach tobend in die Burg ein. j Drinnen zer-
trümmerte er alle Riegel, [raste durch die Gemächer und hieb
nieder, wen er fand. ; Selbst der Kinder in der Wiege schonte
der Wüterich nicht, [damit sie nicht zu Rächern ihrer Eltern
erwüchsen. Mit knirschenden Zähnen und feuersprühenden
Augen, den ellenbreiten Bart und alles Gewand von Blut
beronnen, stand der riesige Kämpe vor Gudrun, in deren
Schutz die normannischen Frauen und Recken sich geflüchtet
hatten. Auch Gerlind kam herbei, von Gudrun Schutz vor
Wate zu erflehen. Ihr allein versagte ihn die Jungfrau, und
als die alte Wölfin sich dennoch unter die Frauen mischen
wollte, zog Wate sie mit den Worten: „Euch soll meine Herrin
kein Linnen mehr waschen", hervor und hieb ihr das Haupt ab.
Damit hatte das Blutbad ein Ende. Wate und Frute aber
durchzogen heerend das Land, brachen die Burgen und mach-
ten reiche Beute. Während Horand mit tausend Recken
zurückblieb als Fronherr des Landes, fuhren die übrigen mit
den Geiseln ins Hegelingenland zurück. Dort empfing Frau
Hilde voll Freude die siegreiche Schar, und jubelnd, daß ihrer
Rache nun Genüge geschehen, umarmte sie die gerettete
Tochter. Auf Gudruns Bitten nahm sie auch Hartmut gnädig
auf und vergaß ihres Hasses. Als Gudrun Herwigs Weib
wurde, vermählte sich auch Ortwin mit Ortrun und Hartmut
mit Hildeburg, damit die Versöhnung befestigt und neuer
Haß beschwichtigt werde.
16 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
241
VIII. DÄNEN UND JÜTEN
DIE SKJÖLDUNGE
36. SKJÖLD
In ferner Vorzeit lebten die Dänen lange Zeit herrscherlos
und in tiefem Elend. Einst trieb zu ihrem Strande über die
Meerflut ein Nachen: darin saß ein kleiner Knabe, umgeben
von Kriegswaffen und Streitgewand, von Schwert und Har-
nisch und vielerlei edlem Gestein. Sie nahmen das Kind,
dessen Name Skjöld war, bei sich auf und zogen den Hilflosen
groß. Das ward ihnen zum Heil. Denn unter den Wolken
wuchs der Knabe und gedieh an Würde, bis ihm alle Nachbarn
am Walfischweg unterworfen waren, und er wurde ihnen
ein guter König. Ein Sohn wurde ihm geboren zum Trost
denen, die lange ohne Herrscher waren. Als aber die Stunde
seines Schicksals kam, mußte er wieder von hinnen fahren.
Zur Brandung trugen ihn seine Getreuen, wie er selbst ge-
beten hatte, als er der Rede noch waltete. Im Hafen ruhte
des Edlen beringtes Meerschiff, eisglänzend zur Fahrt bereit.
Sie legten den Herrscher in das hohle Schiff neben den Mast. [
Herrliche Kleinode brachten sie herbei, Kriegswaffen und
Streitgewand, die mit ihm über Meer fahren sollten. Nicht
ärmer statteten sie den Hehren aus, als jene, die ihn einst
zur Dänenküste sandten. Ein goldenes Banner flatterte ihm
hoch über dem Haupte, als sie voll Trauer und Leid der Flut
die Gabe preisgaben. Niemand der saalbewohnenden Männer
wüßte zu sagen, wer die Last empfing.
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37- FRODI UND DIE SCHICKSALSMÜHLE
Der Enkel des Skjöld war Frodi, der glücklichste Nordland-
herrscher. Unter seiner Herrschaft ruhten die Lande rings
in tiefem Frieden, der Krieg war unbekannt, und kein Mensch
tat dem andern ein Leid. Groß war das Glück der Menschen,
und damals geschah es, daß ein goldener Ring in Jütland
auf offener Straße jahrelang unberührt liegenblieb. Die Zeit
wurde der Frodifrieden genannt.
In jener Zeit wurden in Dänemark zwei Mühlsteine gefun-
den, die Heil und Unheil mahlen konnten, wie der Mahlende
es bestimmte. Frodi ließ aus ihnen die Mühle Grotti bauen, doch
waren die Steine so schwer, daß niemand stark genug war, sie zu
drehen. Der König aber sann darauf, wie er Glück und Wohl-
stand seines Landes durch die Zaubermühle noch vermehren
könnte. Als er einst zum Gelage bei König Fjölnir von
Schweden war und dort zwei Mägde von gewaltiger Größe
und Stärke sah, kaufte er sie ohne Besinnen. Sie waren aber
Riesentöchter und hießen Fenia und Menia.
Zum Könighause kamen die beiden Frauen, künftiger
Dinge waren sie kundig. Frodi aber hielt die mächtigen
Jungfrauen als Mägde. Zur Mühle hieß er sie führen, Gold,
Frieden und Glück sollten die Starken ihm mahlen. Die grauen
Blöcke mußten sie in Gang setzen, nicht gönnte er ihnen zu
ruhen noch zu weilen, immer wollte er den Mühlensang der
Mahlmägde hören. So setzten sie die knirschende Mühle in
Gang und ließen sie gehen den ganzen Tag. Doch als der
Abend sich senkte, sangen sie: „Nun mögen ruhen Mühle und
Stein." Doch befahl ihnen Frodi, mehr zu mahlen, immer
mehr des roten Goldes begehrte sein Sinn. Und die Mädchen
sangen: „Wir mahlen Reichtum, wir mahlen Glück, wir
mahlen auf der Freudenmühle für Frodi glänzende Schätze.
Er sitze im Reichtum, schlafe auf Daunen, wache auf zur
Freude: so ist recht gemahlen. Niemand soll hier den andern
kränken, Frevel sinnen oder zur Bluttat schreiten, niemand
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auch schwinge das scharfe Schwert, fände er gleich wehrlos
seines Bruders Mörder."
Matt wurde der Sang und müde der Arm, in tiefer Nacht
schwieg der Mühlenlärm. Doch Frodi rief zu den Mägden
hinab: „Nicht länger sollt ihr schlafen, als das Rufen des
Kuckucks schweigt, nicht länger als der Gesang einer Lied-
strophe währt." Wieder sangen die Mädchen und schwangen
den rollenden Stein, längst schon schliefen Frodis Knechte
und Mannen. Und Menia sang zum Schall der Mühle: „Nicht
warst du, Frodi, weisheitsvoll, du Freund deiner Scharen, als
du die Mägde kauftest. Wuchs und Stärke leitete deine Wahl,
doch nach unserer Herkunft fragtest du nicht. Hart waren
Rungnir, der Thurse, und sein Vater, sie übertraf noch Thiazi
an Stärke, die stärksten Idi und Ornir sind unsere Väter,
die Bergriesenbrüder, aus deren Stamm wir entsprangen.
Nie wären Grottis Mahlblöcke vom Felsen herabgekommen,
nie wären die harten Mühlsteine der Erde enttaucht, nie
mahlten hier die Bergriesenmädchen, wenn jemand wüßte,
von wannen wir kamen. Neun Winter wuchsen wir spielend
zusammen, mächtige Schwestern im Innern der Erde. Bei
großem Werke standen wir Jungfrauen, wir selber verrückten
Kuppen und Berge. Wir wälzten Felsen zur Riesenumwal-
lung, daß rings die Fluren schütterten, so schleuderten wir
die rollenden Blöcke, mächtige Klippen herab, daß die Men-
schen sie nähmen zu Heil oder Unheil. Dann schritten wir
zwei der Zukunft Kundige zum Schwedenvolk in die Krieger-
schar, Brünnen zerkloben wir und brachen Schilde, schritten
entgegen den Reihen der Grauhemder. Wir stürzten den
Fürsten, wir stützten den andern, hilfreich waren wir Gut-
horm dem Guten, es tobte der Kampf, bis Knui fiel. So
trieben wir es die Jahre hindurch, daß von unserer Kraft der
Ruhm erscholl. Blut schlug unser scharfer Speer aus den
Wunden der Krieger, und rot war unser Schwert. Nun sind
wir zum Hause des Friedenkönigs gekommen, mitleidslos
zum Frondienst gezwungen. Im Schmutz watet unser Fuß,
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den Leib peitscht eisiger Wind, so müssen wir die Friedens-
mühle drehen, schlimm ergehts uns bei Frodi. Rasten soll nun
die Hand, stehen mag nun der Stein, mein mühvolles Tagwerk
mahlte ich nun." Da sang Fenia: „Nicht sei der Hand Ruhe
vergönnt, bis unser Mahlen Frodi genug dünkt., Nun sollen
hier Krieger harte Speerspitzen schwingen, walblutige Waffen
sollen ihre Hände halten. Wache du, Frodi, wache, willst
du lauschen' unserm Sang und Sagen der Vorzeit. Feuer seh
ich entflammen im Osten der Burg, die Kriegsfackel springt
auf und ruft von Hügel zu Hügel. Feindesheer soll kommen —
schon ist es nahe! Brennen soll die Burg über dem Fürsten.'
Nicht mehr sollst du halten den Stuhl zu Leidra, nicht rote
Ringe noch die Reichtumsmühle. Mit festerem Griff nun
packe, Schwester, die Stange, denn hier wärmt uns Wunden -
tau nicht die Hand. Nun mahlte gewaltig meines Vaters Maid,
denn vieler Tapferen Fall sah ihr vorausschauender Blick.
Vom Mühlgebälk bersten die schweren Stützen, die eisernen
Haften zerspringen. Laß uns weitermahlen." — „Ja mahlen
wir weiter", sang Menia, „Krieg gebiert Krieg, bis einst der
Yrsa Sohn aus Halfdans Geschlecht den Frodi sühnt, den wird
man nennen Yrsas Bruder und Sohn — wir wissen es beide."
Die Mädchen mahlten, sie strafften sich mächtig, jung waren
sie und in Riesenzorn. Das Gestänge brach, krachend stürzte
die Mühle, der wuchtige Stein barst mitten entzwei. Doch
die Maid der Bergriesen sang: „Frodi, wir mahlten, was
Freude uns schuf, aus ist die Zeit, da wir am Mahlwerk
standen."
38. HALFDANS TOD UND ROARS UND HELGIS RACHE
Halfdan und Frodi, die Skjöldungenbrüder, beherrschten
zusammen Dänemark. Doch Frodi mißgönnte seinem Bruder
seinen Teil am Reiche, er wollte es allein beherrschen. Darum
sammelte er ein Heer und überfiel in der Nacht König Halfdans
Hof. Der ging in Flammen auf, Halfdan und seine wenigen
Mannen fielen nach kurzer Gegenwehr, nur wenige entkamen.
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Am nächsten Tage ergriff Frodi die Herrschaft und zwang
die Dänen zum Treueide.
Halfdan hatte zwei Söhne Roar und Helgi und eine Tochter
Signy. Die Knaben waren noch im Kindesalter und einem
Edlen des Königs mit Namen Regin anvertraut. Während
des Überfalls hatte der treue Regin seine Pflegesöhne vor der
Wut ihres Oheims auf eine öde und einsame, mit Wald be-
deckte Insel nicht weit von der Königsburg zu einem alten
geheimnisvollen Bauern geflüchtet, der sich Wifil nannte und
von alters her ein Freund König Halfdans gewesen war.
Der Bauer war bereit die Knaben zu bergen und führte sie
in eine Erdhöhle, in der sie die Nächte zubrachten, während
sie bei Tage den dichten Wald durchstreiften. Ihr Pflegevater
Regin mußte sie verlassen, um ihren Aufenthalt nicht zu
verraten. König Frodi zwang ihn zum Treueide und ließ
ihn schwören, die Knaben nie mit Rat zu unterstützen und
seinem Herrn alle Anschläge der Halfdansöhne zu melden,
wenn er davon erführe.
Frodi vermählte Signy mit dem Jarl Sävil, der in seine
Dienste getreten war und sich ihm zinspflichtig gemacht hatte.
Doch fürchtete er die Rache der verschwundenen Knaben
für ihren Vater. Darum ließ er sie überall im Lande durch
seine Späher suchen, alle Inseln, Wälder und Buchten, alle
Dörfer und Höfe ließ er nach allen vier Winden durchstreifen
und versprach dem reiches Gut, der ihm den Schlupfwinkel
der Knaben verriete. Als das vergeblich war, berief er die
Wala mit Seherblick und die runenkundigen Zauberer, die
verborgener Dinge Ahndung hatten. Von ihnen erhielt er
diese Kunde: „Nicht sind die Knaben auf festem Lande und
doch in des Königs Nähe." Da sprach der König: „Weit
und breit haben wir gesucht, und am wenigsten hoffte ich, sie
hier in der Nähe zu finden. Doch liegt hier eine öde Insel,
auf der nur ein armer Greis wohnt, die wollen wir noch durch-
forschen." — „Tut das", sprachen die Zauberer, „denn viel
Nebel und Düster liegt über der Insel, und wir können des
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Alten Behausung nicht durchschauen. Vielleicht ist er ein
Hellseher und ein anderer als er scheint."
Als aber des Königs Sendlinge unversehens die Insel be-
traten, hatte Wifil schon ihr Kommen vorgeschaut und die
jungen Königssöhne im dichtesten Gestrüpp verborgen. Jene
mußten heimkehren ohne die erhoffte Beute. Wifil hatte den
Knaben die Namen seiner Hunde beigelegt: bei nahender
Gefahr wollte er sie laut bei ihren Hundenamen rufen, damit
sie schnell in ihre Höhle kriechen könnten. Eines Tages,
als er am Ufer seine Schafe hintrieb, landete das Königs-
schiff: Frodi hatte beschlossen, selbst die Insel zu durch-
suchen. Er ließ den Bauern greifen, der ganz mit der Hütung
seines Viehes beschäftigt schien, und fuhr ihn an: „Du listiger
Alter, sage mir, wo die Königssöhne sind, denn du weißt es."
Der Alte erwiderte: „Heil dir, Herr, Heil auf all deinen
Wegen! Nur halte mich nicht zurück, sonst wird der Wolf
meine Herde reißen." Und laut rief er: „Hopp und Ho,
meine Hunde, schützt die Herde." Voll Argwohn drohte
der König dem geheimnisvollen Alten mit dem Tode, doch
verließ er endlich, nach vergeblichem Suchen, zornig die
Insel. Wifil aber ging zu den Knaben und sprach: „Ich
kann euch hier nicht länger bergen, einmal wird man doch
eure Höhle finden. Geht zu Sävil, eurem Schwäher, und
wenn euch nur das Leben bleibt, ihr Söhne Halfdans, so
werdet ihr erlauchte Helden." Damals war Roar zwölf
Winter alt, doch Helgi, obgleich zwei Jahre jünger, über-
ragte ihn an Kraft und Kühnheit.
Sie machten sich auf und kamen in bäurischen Kutten und
mit bäurischen Sitten zu Sävil. Unerkannt baten sie ihn
bleiben zu dürfen. Der Jarl sprach: „Wenig Mannheit spüre
ich an euch, doch will ich eine Weile die Speise an euch nicht
sparen." So blieben sie im Hause, nannten sich Ham und
Rani, zeigten ungeschliffene Sitten und hielten sich von der
Dienerschaft fern, damit man ihre Herkunft und Geschlecht
nicht entdecke. Stets trugen sie zu ihren Kutten Kapuzen auf
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dem Kopfe und ließen den Spott des Gesindes über sich er-
gehen. So blieben sie drei Jahre unerkannt bei Schwester
und Schwäher.
Da lud Frodi einst Sävil und Signy zu einem großen Gast-
mahl. Insgeheim war er noch immer von der Furcht vor
den Knaben erfüllt und wollte erforschen, ob ihre Verwandten
sie verborgen hielten. Mit großem Gefolge brachen Sävil
und Signy auf, den Knaben aber verboten sie, mitzufahren.
Doch unterwegs sah der Jarl, wie sie auf rauhhaarigen und
ungezähmten Fohlen, die sie sich gegriffen hatten, dem Zuge
nachjagten. Des Reitens ungewohnt waren sie der Pferde
nicht Herr, Roar wurde von den wilden Sätzen seines Fohlens
hin und her geschleudert, die Kapuze glitt ihm vom Haupte,
und sogleich erkannte seine Schwester Signy ihn. Sie brach in
bittere Tränen aus und sprach, als der Jarl sie nach dem
Grunde ihrer Trauer fragte: „Wie ist der SkjÖldunge könig-
licher Baum entwipfelt und gebeugt! Meine Brüder, Halfdans
Söhne, sah ich auf nacktem Pferderücken, während Sävils
Knechte in Sätteln reiten." — „Große Zeitung! " sprach
Sävil, „doch laß es nicht ruchbar werden am Königshofe,
sonst sind die Knaben und wir selbst verloren." Er rief die
Knaben und befahl ihnen umzukehren: „Solche Flegel wie
ihr zieren keines edlen Mannes Gefolge." Doch folgten sie
heimlich am Ende des Zuges.
In der Königshalle setzten Roar und Helgi sich unten
neben die Kochfeuer. Um Sävil und Signy zu prüfen, gelobte
König Frodi beim Festmahl in der Halle, den Mann mit reichen
Gaben zu überhäufen, der ihm den Zufluchtsort der Knaben
verrate. Dann ließ er eine Seherin holen und bat sie, mit
ihrer Weisheit den Aufenthalt der Knaben zu erforschen. (
Unter hohen Ehren geleitete er sie zum Zauberstuhl. Bald
begann sie zu zucken und tief aufzustöhnen, dann kam dieser
Sang von ihren Lippen: „Zwei sind drinnen, ihnen trau ich
nicht. Zu äußerst am Feuer sitzen sie." — „Sind es die
Knaben oder die sie bergen?" rief der König. „Die sind
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es, die einst auf Wifils Holm lange sich bargen und die man
rief mit Hundenamen." Heimlich war Signy zu der Seherin
getreten und hatte ihr einen kostbaren Goldring zugeworfen.
Da stockte sie verwirrt und wollte abbrechen: „Wie ward nun
das?" rief sie, „trügerisch ist, was ich sprach und nun ver-
wirrt sich all mein Sagen." Der König aber rief: „Warum
ist Signy nicht auf ihrem Sitz? Gehen hier Füchse zu Rat
mit den Wölfen?" Und drohend sprach er zu der Seherin:
„Mit Martern zwinge ich dich, deine Gesichte zu verkünden,
wenn du mich jetzt verrätst, denn noch weiß ich nicht besser
als zuvor, was deine Worte besagen, da solche Menge die
Halle erfüllt." Schwer wurde der Wala ihr Zauber, und
röchelnd stöhnte sie diesen Sang hervor: „Ich sehe sie sitzen,
Halfdans Söhne Roar und Helgi, heil sind noch beide. Sie
werden Frodis Leben rauben." Dann sprang sie vom Zauber-
stuhl und rief: „Kühn blitzen die Augen Harns und Ranis.
Edlinge sind sie und wunderkühn!" und lief durch die Halle
zur Tür hinaus.
Eilig verließen die Knaben während dieser Worte der
Seherin die Halle, denn sie hatten ihren Sprung vom Zauber-
stuhl als Warnung gedeutet. Frodi aber rief: „Auf ihr Mannen,
setzt den Knaben nach!" Doch auch Regin hatte seine Pflege-
söhne erkannt. Er löschte schnell die Lichter in der Halle
und vermehrte so das Gedränge der Mannen, von denen viele
gern sahen, daß die Knaben entschlüpften. So erreichten
diese im Lauf den nächtigen Wald, ehe die Verfolger sie greifen
konnten. Nach vergeblicher Jagd sprach Frodi drinnen:
„Diesmal waren sie mir nahe, und manche sind in der Halle,
die mit ihnen im verräterischen Bunde sind. Das will ich
grausam rächen, sobald die Zeit dazu gekommen ist. Jetzt laßt
uns trinken den Abend lang, die Bälge haben an eigne Rettung
zu denken, und wir brauchen sie heute nicht zu fürchten."
Regin ging zu den Schenken und half ihnen eifrig bei
ihrem Amte, damit die Mannen bald von Trunkenheit und
Schlaf überwältigt würden. Er sann aber, wie er den Knaben
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helfen könne, ihre Rache zu vollbringen, ohne daß er den
Eid verletze, den er einst Frodi hatte schwören müssen. Als
Wirt und Gäste in der Halle in Schlaf zu sinken begannen,
stahl er sich hinaus und ritt dem Walde zu. Die Knaben
in ihrem Versteck erkannten in dem Nahenden ihren Pflege-
vater und liefen ihm voll Freude entgegen. Regin erwiderte
ihren Gruß nicht, wandte nur schweigend sein Roß und ritt
zum Königshofe zurück. Voll Staunen standen die Knaben,
doch bald erkannte Helgi die verborgene Meinung des treuen
Regin. Sie folgten ihm zögernd zur Halle. Nahe der Königs-
burg stand ein Hain. Als Regin sich dem Gehölze nahte,
sprach er vor sich hin: „Hätte ich eine Blutsfehde mit König
Frodi, so müßte dieses trockne Holz mir im Feuer brennen."
Mehr sprach er nicht. ,,Was mag er meinen?" sprach Roar.
„Er will", entgegnete Helgi, „daß wir die Halle in Brand
setzen und so Rache nehmen für unsern Vater." — „Was
vermöchten wir zwei Knaben wider so große Übermacht?"
sprach Roar. „Wir müssen es wagen", entgegnete Helgi,
„wenn wir unsern Harm je rächen wollen." Nun begannen
sie, Holz aus dem Hain herbeizuschleppen und es rings um
die Halle und vor den Türen aufzuschichten.
Regin aber gedachte wieder seines Eides, daß er dem Könige
alle Anschläge der Halfdansöhne melden wolle. An Frodis
Hof lebten zwei kunstreiche Schmiede, die hatten einst Half-
dans Waffen und Geschmeide geschmiedet und hießen beide
War. Nun trat Regin in die Tür der Halle und rief: „Meldet,
ihr Mannen, meine Worte dem König: Draußen ist Regin
mit Halfdans Mannen, kühnen Helfern. War schlug Nägel
und War setzte Köpfe drauf. Der sich wahrt, schlug für den
Wahrsamen Warnungsnägel." Der König lag in tiefem
Schlaf, die Mannen aber glaubten, Halfdans Schmiede seien
an der Arbeit für Frodi, und weckten den König nicht. Doch
Sävil wachte und verstand den geheimen Sinn der Worte, er
führte all seine Mannen hinaus und befahl ihnen: „Schürt das
Feuer und helft den Knaben bei ihrem Werk. Kein Band
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fesselt mich an König Frodi." Da loderte die Flamme hoch
auf, die Roar und Helgi entzündet hatten, und ergriff schnell
den ganzen Bau.
In der Halle war Frodi erwacht. Er stöhnte aus tiefer
Brust und sprach: „Ein Traum hielt mich gefangen, ihr
Mannen, kein freundlicher. Hört was mir träumte: mir war
als riefe mich jemand und spräche zu mir: ,Nun bist du heim-
gekommen, König, mit deinen Mannen. 1 Zornig fragte ich:
,Heim — wohin?' Da hörte ich Antwort, und das so nahe,
daß ich den Atem des Rufenden spürte: ,Heim zu Hels Gästen,
heim zu Hels Gästen 1* dann erwachte ich. Was ist geschehen
während ich schlief?"
Die Mannen sagten ihm, was Regin gerufen hätte, und daß
Halfdans Schmiede an der Arbeit seien. Da sprach der König:
,, Haltet ihr das für geringe Zeitung? Schweres sagt sie uns
an. Regin hat uns gewarnt vor den Halfdanssöhnen." Der
König ging zur Tür der Halle, sah den Bau in Flammen ge-
hüllt und die Türen von Bewaffneten verschlossen. Er fragte,
wer dieses Werkes Meister sei, und erhielt die Antwort: Roar
und Helgi. Der König fragte die Knaben, ob sie Mordbuße
nehmen wollten, und legte das Urteil darüber in ihre Hand.
Doch Helgi erwiderte: „Dir ist nicht zu trauen. Du würdest
auch uns verraten, wie du einst unseren Vater verrietest.
Nun entgelte mit dem Leben die Untat an Halfdan."
Da wandte sich Frodi in die Halle zurück und verbrannte
mit vielen seiner Mannen. Roar und Helgi aber nahmen das
Königtum und Erbe ihres Vaters in Besitz. ,
m ■
39. HELGI UND YRSA
Roar und Helgi beherrschten zusammen Dänemark. Helgi
aber war unruhigen Sinnes, er liebte es, auf weiten Heerzügen und
Seefahrten umherzuschweifen, Beute und Abenteuer zu suchen.
Einst auf einem seiner Züge landete er in einer Bucht am
Gestade des fränkischen Landes, wo Olöf, die goldmächtige
Königin herrschte. Helgi begab sich vom Strande mit seinen
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Mannen zur Halle der Königin. Ohne große Gefolgschaft,
mit der sie hätte Widerstand leisten können, und voll Schrecken
über so unerwartete Heimsuchung, bot Olöf dem Fremdling
freundlichen Willkomm und lud ihn mit seinen Mannen zu
festlichem Mahle. Helgi saß im Hochsitz neben der Königin,
Zorn und Furcht verhehlte sie klug, wie Freunde tranken sie
miteinander. Endlich sprach Helgi: „Gewähre mir, diese
Nacht dein Lager zu teilen." Sie entgegnete: „Gemach, Herr!
Fahrt nicht so stürmisch zu! Doch will es das Geschick nicht
anders, so muß ich mich fügen, denn ihr seid hier der Herr,
da es mir an Wehr gebricht."
Nach schwerem Trunk geleitete man König Helgi zur Ruhe.
Olöf aber zögerte, bis er auf dem Lager entschlafen war.
Dann trat sie heran, schor ihm die Haare vom Haupte, begoß
es mit Teer und beklebte es mit Federn. Also geschändet ließ
sie ihn heimlich zu den Schiffen tragen. Dann weckte sie
die Dänen und sandte sie ihrem Herrn nach, als habe er
befohlen, den guten Wind zur Fahrt zu nutzen. Am Strande
fanden sie ihren Herrn schändlich mißhandelt und entehrt.
Bevor sie aber an Vergeltung denken konnten, hörten sie die
Hörner und Rufe vieler Franken, die Olöf bei Nacht heimlich
zusammengerufen hatte. So blieb ihnen nichts, als mit frisch
erwachtem Winde davonzusegeln. Helgi begab sich heim,
die Schande, die ihm angetan worden, nagte an ihm, und er
sann auf Rache.
Im folgenden Jahre machte er sich wieder auf und segelte
zur fränkischen Küste. Doch Olöf war von großer Gefolg-
schaft umgeben. Da wählte er eine List. Er legte seine
Schiffe in eine verborgene Bucht, hüllte sich selbst in ein
Bettlergewand und begab sich mit zwei schweren Kisten voll
Gold in den dichten Wald. Dort barg er die Kostbarkeiten,
machte sich an einen Diener der Königin, den er bewog, ihr
vorzuspiegeln, er habe im Walde einen Schatz gefunden, sie
möge selber kommen, um ihn zu sehen. Die Neugier trieb
sie, und allein mit dem Knechte ging sie in den Wald, um die
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Nachricht zu prüfen. Da griff Helgi die Arglose und sprach:
„Nun wird mir Rache für die Schande, die du mir antatest."
Als sie flehte, wenn er sie raube, möge er sie doch zu seiner
Gemahlin machen, erwiderte er: „Nein, du sollst mit zu meinen
Schiffen gehen und so lange bei mir weilen, als mich gelüstet,
meine Ehre duldet nicht, daß dein Hohn und deine Mißachtung
ungerächt bleiben." Er nahm sie mit sich und teilte viele Nächte
ihr Lager, dann sandte er sie heim und segelte von dannen.
Olöf gebar eine Tochter, die nannte sie Yrsa. Sie war von
großer Lieblichkeit, doch war sie ihrer Mutter verhaßt und
erduldete all ihren Groll. Als wäre sie armer Leute Kind,
mußte sie die Herde hüten. Nur wenige wußten ihre Her-
kunft. Als das Mädchen dreizehn Jahre alt war, geschah es
einst, daß Helgi auf einem seiner Züge wieder in das Land
der Königin kam. Da sandte Olöf das Kind an den Strand
hinab, damit seine Schönheit die Begierde des Vaters reize:
so wollte sie ihre Rache vollbringen, indem sie den in Blut-
schande triebe, der sie einst geschändet hatte. Als Helgi die
liebliche Hirtin sah, fragte er sie nach ihrem Geschlecht.
Sie antwortete, sie sei armer Leute Kind. „Keine Knechts-
augen hast du", sagte Helgi. Trotz ihres Sträubens nahm
er sie mit sich zu den Schiffen und segelte heim in sein Reich.
Dort vermählte er sich mit ihr, ohne auf den Rat seines
Bruders Roar zu hören, der im Antlitz der Geraubten die
Augen der Skjöldunge zu erkennen meinte. Olöf aber ließ
dies alles geschehen, als wisse sie nichts davon.
Yrsa gebar dem Könige einen Sohn, der wurde Rolf ge-
nannt: ein glückhafter Sproß verruchten Bettes tilgte er
durch seine Taten den Makel seiner Geburt, und der Preis
seines Heldentums wird leben bis ans Ende der Tage. Als
aber Olöf erfuhr, daß Helgi und Yrsa einander in großer
Liebe zugetan seien, beschloß sie, zu ihrer Tochter zu reisen
und ihre Rache zu vollenden. Als sie gelandet war, sandte
sie Boten zu Yrsa. Die kam zum Schiffe und bat die Königin,
ihr zur Halle zu folgen. Olöf aber sprach: „Ich will dir nicht
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zu König Helgis Halle folgen, denn keine Ehre habe ich ihm
zu lohnen." — „Schlecht ehrtest du mich, als ich bei dir
war", sprach Yrsa, „doch bitte ich dich nun, mir zu sagen,
welches Geschlechtes ich bin, denn mir ahnt, daß ich nicht
armer Leute Kind bin." — „Wohl kann ich dir davon Kunde
geben", sprach die Mutter, „und um das zu tun bin ich her-
gekommen. Doch sage mir erst, ob du deines Bundes^ mit
Helgi froh bist." — „Wohl muß ich mich des Bundes freuen",
sprach Yrsa, „da ich dem heldenhaftesten und berühmtesten
Könige vermählt bin." — „So wisse denn, worauf dein Glück
gebaut ist", rief Olöf, „Helgi ist dein Vater und ich bin deine
Mutter." — Da sprach Yrsa: „So ist meine Mutter das schlimmste
und grausamste Weib und hat eine Schandtat vollbracht, die
nie vergessen wird." — »Helgi hast du zu danken, was dir
widerfährt", erwiderte die Mutter, „und meinem Zorne.
Nun aber will ich dich mit mir heimnehmen mit königlichen
Ehren und will dir wohltun, soviel ich vermag." — „Nicht
weiß ich, was werden mag", sprach Yrsa, „dir will ich nicht
folgen, und hier darf ich nicht bleiben, seit ich weiß, daß
dieses grause Schicksal auf mir ruht."
Sie ging zu Helgi und sagte ihm, welch furchtbares Los sie
betroffen habe. Der König sprach: „Maßlos grausam ist
deine Mutter. Doch will ich, daß es bleibe, wie es ist." Yrsa
aber sprach: „Nein, so soll es nicht bleiben, und wir können
fürder nicht zusammen leben." Voll Trauer ging sie von
dannen und blieb lange einsam. Später aber vermählte sie
sich mit König Adils von Schweden. Helgi trug schwer an
dem Schicksal, das ihn betroffen hatte, und fiel bald danach
auf einer seiner Fahrten.
ROLF KRAKI
40. ROLF UND SEINE KÄMPEN
Als König Helgi gestorben war, folgte ihm sein mit Yrsa
gezeugter Sohn Rolf. Der war der hochherzigste, tapferste
und freigebigste von allen Dänenherrschern, die Blüte der
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Skjöldunge. Seine männlichen Tugenden lockten weit und
breit die Kämpen des Nordlandes an, seine Halle zu Leidra
umschloß die erlesenste Heldenschar. Von Rolfs Helden hieß
es in allen Landen, daß sie nie vor Feuer noch Eisen geflohen,
daß sie ihrem goldspendenden Herrn treu seien bis in den Tod.
Die berühmtesten Helden dieser Schar waren Rolfs zwölf
Kämpen oder Berserker, unter diesen wieder waren Bjarki
und sein Genosse Hjalti die unüberwindlichsten. Bjarki war
nach manchen Fahrten auf der Suche nach dem mächtigsten
Herrscher zu Rolf gekommen und hatte Hjalti, der damals
den ungefügen Berserkern in Rolfs Halle zu Schimpf und
Spott diente, mit Heldenkraft erfüllt, indem er ihn aus der
Wunde eines von ihm erlegten Untiers trinken ließ.
Eines Tages, als Rolf im Kreise seiner Kämpen im Hoch-
sitz saß, betrat ein Junge die Halle, der hieß Wögg und war
von geringer Herkunft, armer Bauern Kind. Er stand vor
dem König, sah ihn lange an. Endlich fragte Rolf: „Was
willst du, Knabe, warum schaust du mich so an?" Der ant-
wortete: „Als ich daheim war, hörte ich immer sagen, König
Rolf sei der größte Mann in den Nordlanden, nun sehe ich
eine schmächtige Krake im Hochsitz, die sich König nennen
läßt." Damals war Rolf noch jung und von schmächtiger
Gestalt. Da antwortete der König: „Du hast mir einen Namen
gegeben, Knabe, nun muß ich fortan Rolf Kraki heißen.
Doch ist es Brauch, daß jede Namensbindung ein Angebinde
begleitet. Was gibst du mir?" Der Knabe aber besaß nichts,
das er ihm hätte geben können. Da sprach Rolf: „Da du
keine Gabe für mich zur Namensbindung hast, so soll der
geben, der dazu Rat weiß." Er zog einen schönen Goldreif
vom Arme und gab ihn dem Wögg. Mit dem Ringe schmückte
sich der Knabe und hielt den beringten Arm hoch empor,
während er den unberingten hinter dem Rücken barg. Als
er gefragt wurde, was dieser Aufzug bedeute, antwortete er:
„Der ungeschmückte Arm errötet vor Scham ob seiner Armut".
Da gab Rolf dem Knaben eine zweite Spange, damit sich auch
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der andere Arm hervorwage. Wögg aber rief: „Heil sei dir,
König Rolf, vor allen Königen! Nun schwöre ich dir: wer
dich einst erschlägt, der wird von meiner Hand seinen Tod
finden." Lächelnd sprach Rolf: „Kleine Gabe macht den
Kleinen froh." Und dieses Wort wurde zum Sprüchwort.
41. ROLFS UPSALAZUG
Damals herrschte in Schweden König Adils, der hatte nach
König Helgis Tode Rolfs Mutter Yrsa zum Weibe genommen.
Adils geriet mit Ali, dem König der Norweger, in Krieg, es
kam zu einer winterlichen Schlacht auf dem Eise des Wener-
sees. Auf Adils Bitten hatte ihm Rolf, obwohl er selbst mit
sächsischen Völkern im Kriege lag, seine zwölf Kämpen zur
Hilfe geschickt gegen das Versprechen, daß jeder der Kämpen
nach siegreicher Schlacht drei Pfund Goldes, Rolf selbst aber
nach eigener Wahl die drei kostbarsten Kleinodien, die er
im Schwedenreiche fände, empfangen solle. In der Schlacht
auf dem Wenersee fiel König Ali, sein Heer wurde durch
die Hilfe der dänischen Kämpen besiegt. Da forderten die
Berserker den bedungenen Sold: für jeden von ihnen drei
Pfund Goldes, für König Rolf die drei Kleinodien, die sie für
ihn gewählt hätten: den Helm „Kampf eber", die Brünne
,, Finnserbe", die kein Eisen durchbrechen konnte, und den
Armschmuck „ Schwedenkeiler' ': das alles stammte aus dem
Ynglingenerbe der Schwedenkönige. Doch König Adils,
der vom Geize besessen war, verweigerte die Herausgabe des
Bedungenen. Da kehrten die Berserker zornig zu König
Rolf zurück und meldeten ihm Adils Wortbruch.
Rolf rüstete sich sogleich, mit seinen Kämpen nach Schwe-
den zu fahren. Zu Schiff fuhren sie bis in den Fyrisfluß bei
Upsala. Dann setzten sie sich zu Pferde und ritten zur
Königshalle, um von Adils ihr Recht zu heischen, niemand
begleitete den kühnen Herrscher als seine zwölf Berserker.
Freundlich empfing ihn Yrsa, seine Mutter, und geleitete ihn
und die Kämpen in eine Halle zum Trünke, König Adils aber
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sann auf Verrat. Er ließ die Feuer in der Halle, wo die Käm-
pen saßen, so gewaltig schüren, daß die Lohe bis zu ihnen
hinauf leckte und ihre Kleider zu brennen begannen. Da
höhnten die Schweden: „König Rolf und ihr Kämpen, oft
habt ihr euch gerühmt, ihr würdet nie weder Feuer noch
Eisen fliehen. Nun müßt ihr brennen oder euer Gelübde
brechen." Da sprang Rolf auf, warf seinen Schild auf das
Feuer und setzte in gewaltigem Sprunge hinüber, indem er
rief: „Der flieht nicht das Feuer, der hindurchspringt", und
ihm nach warfen alle seine Kämpen die Schilde in die Glut
und sprangen durch die züngelnde Flamme. Dann griffen
sie die fliehenden Schweden und schleuderten sie in die Lohe
mit dem Rufe: „Laßt uns die Glut noch schüren in Adils Halle."
Als sie den Saal verließen, begegneten sie der Königin Yrsa.
Die gab Rolf ein großes Horn, angefüllt mit den schönsten
Kleinodien des Königs, dabei war auch der Armring „Schwe-
denkeiler", den Rolf sich ausbedungen hatte. Yrsa riet den
Kämpen, sich eiligst zu den Schiffen aufzumachen, denn
Adils rufe sein Heer zusammen und drohe Rolf und seinen
Berserkern den Tod.
Sie bestiegen ihre Pferde und ritten hinab auf die Fyris-
ebene, um zu Schiff zu gehen. Doch schon hatte König Adils
seine Mannen versammelt und setzte mit gerüsteter Schar
eiligst den Dänen nach. Bald wurde Rolf gewahr, daß sich
die Schweden näherten. Schon wollten die Kämpen sich
zum Kampfe stellen, da rief Rolf: „Seid ohne Sorge, ich
hemme ihren Lauf". Er griff in das goldgefüllte Horn, das
vor ihm am Sattel hing, säte Ringe und Kleinodien weit und
breit über den Pfad und über die ganze Fyrisebene, so daß sie
weithin golden gleißte. Als das die Schweden sahen, sprangen
sie von den Pferden, fielen gierig, miteinander raufend über
die Schätze her und vergaßen die Verfolgung. Voll Wut
befahl ihnen Adils, den Flüchtigen nachzusetzen und rief:
„Schande über euch, daß ein solches Heer in blinder
Gier zwölf Männer entkommen läßt." Zornig sprengte er
17 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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selbst allen voran. Als aber Rolf sah, daß Adils ihm schon
ganz nahe war, nahm er den Armring „Schwedenkeiler" aus
dem Hörne, warf ihn~vor seinem Verfolger auf den Weg und
rief: „Nimm das von mir als Gabe." In Adils erwachte der
Geiz, als erj&as köstlichste Kleinod auf der Fyrisheide liegen
sah: er hemmte sein Roß und beugte sich tief hinab, um den
Ring mit der Speerspitze zu fassen. Das sah Rolf, sich auf
dem Rosse wendend, und rief: „Nun habe ich den in den
Staub gebeugt wie ein* Schwein, der unter den Schweden
der Mächtigste heißt." Damit schieden sie voneinander.
Mit seinen Zwölfen erreichte Rolf unbehelligt das Schiff.
Auf dem" Heimwege durch Seeland kamen Rolf und seine
Kämpen im sinkenden Abend an ein Bauerngehöft. Vor
dem Gehöft stand ein alter Bauer namens Rani, der Rolf mit
seiner Schar oft auf diesem Wege beherbergt und ihm weise
Ratschläge gegeben hatte. Auch jetzt lud ihn der Bauer ein,
in seinem Gehöft zu übernachten. Als er sie freundlich
bewirtet hatte, brachte er Waffen herbei, einen Schild, ein
Schwert und eine Brünne, und bat Rolf, sie als Geschenk
von ihm anzunehmen. Lachend sprach Rolf: „Fürchterlich
sind deine Waffen, Alter, doch ich brauche sie nicht." Diese
Zurückweisung schien der Greis als Entehrung zu empfinden,
und zornig rief er: „Nicht zum Heil wird dir dein Hochmut
gereichen, König Rolf, und nicht immer seid ihr so weise
wie ihr denkt." Im Unmut entließ sie der Bauer, und sie
mußten ohne Nachtherberge reiten. Als sie in die dunkle
Nacht hineinritten, lagerte unheimliches Dunkel unter Ranis
Brauen, denn wenig fühlte er sich von den Gästen geehrt,
die seine Gaben verschmäht hatten. Ohne Abschied ließ er
sie von dannen reiten.
Nach kurzem Ritt hielt Bjarki an und sprach: „Spät findet
der Tor guten Rat: so geht es nun mir. Mir schwant, daß
wir nicht weise taten, die Waffen zurückzuweisen, denn so
wiesen wir auch den Sieg zurück." Und Rolf erwiderte:
„Das ahnt auch mir, denn jener Alte muß Odin gewesen
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sein, ich sah, daß er einäugig war." — „Kehren wir um",
sprach ein anderer Kämpe, „daß uns Gewißheit werde."
Doch als sie zurückritten, waren Hof und Greis verschwun-
den. Auf dem Heimwege sprach Bjarki: „Schlimme Ahnung
sagt mir, König Rolf, daß böses Geschick uns treffen wird,
und daß du künftig nicht mehr siegreich sein wirst." — „In
des Schicksals Hand ist jedes Mannes Leben", entgegnete
der König. „Das deine wollen wir zuletzt verlieren, soviel
an unserer Faust liegt", sprach Bjarki.
42. ROLFS TOD
Lange saß Rolf Kraki, der größte der Dänenherrscher, im
Kreise seiner treuen Kämpen in der Halle zu Leidra und
beherrschte sein Land in Frieden. Niemand griff ihn an, und
alle seine Zinskönige verharrten im Gehorsam.
Auch Hjörward, den er zum Jarl von Schweden gemacht
hatte, war ihm zinspflichtig, doch hatte ihm Rolf seine Schwe-
ster Skuld zur Ehe gegeben, die Helgi einst mit einer Albin
gezeugt hatte.
Skuld aber schämte sich ihres zinspflichtigen Mannes.
Sie selber wollte als Königin auf dem Dänenthrone sitzen.
Darum begann sie, Hjörward wider Rolf, ihren Bruder, auf-
zureizen, er solle das Joch abschütteln. Mit schwerem Seuf-
zer sprach sie zu ihm: „Unerträglich ist mir, daß wir König
Rolf Zins geben müssen und leibeigen unter seinem Joche
leben. Nicht länger sollst du sein Untertan sein." Hjörward
antwortete: „Uns dient am besten, uns darein zu finden, wie
es die andern tun, und in Ruhe zu leben." — „Niedrig bist
du gesinnt", sprach sie, „schämst du dich nicht deiner
Schande?" Er sprach: „Es ist ja unmöglich, wider König
Rolf und seine Kämpen zu streiten, niemand ist kühn genug,
gegen ihn den Schild zu heben." — „Kleinmütig bist du",
wiederholte sie, „und keine Mannheit ist in dir. Wer kann
vor der Tat schon wissen, ob er dem Gegner nicht widerstehen
kann? Ich kenne besser Rolf Krakis Geschick: er wird
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künftig sieglos sein. Wir wollen ihn drum nicht schonen,
weil er mein Bruder ist. Einen Plan will ich schmieden und
mit listiger Hehle vollführen." Auf ihren Rat wurden Boten
zu König Rolf gesandt, die mußten ihn bitten, daß er dem
Schwedenkönig drei Jahre lang den Zins erlasse: nach Ver-
lauf dieser Zeit wolle er die ganze Summe zahlen. Diesem
Verlangen willfahrte König Rolf.
Während dieser drei Jahre sammelten Hjörward und Skuld
die trefflichsten Männer aus den umliegenden Ländern und
schufen sich mit dem zurückgehaltenen Zins eine mächtige
Gefolgschaft. So heimlich rüsteten sie ihre verräterische
Tat, daß weder Rolf noch seine Kämpen es bemerkten. Als
alles bereit war, brachen sie mit ihrem ungeheuren Gefolge
nach Leidra auf und erreichten die Königshalle um die Jul-
zeit. Rings waren die Schiffe mit Tüchern umhüllt, als
trügen sie reiche Schätze, den Zins für Rolf, doch bargen sie
böse Last. Rolf und seine Mannen saßen beim Julmahl und
hatten schwer getrunken, als die Schweden landeten. Der
König ahnte den Verrat nicht, er sann nur, die Ankömmlinge
zu ehren und ihnen seine Freigebigkeit zu beweisen, damit
sein Ruhm sich über die Lande dehne, denn alles besaß er,
was einen Herrscher ziert. Hochgeehrt saßen Hjörward und
Skuld auf dem königlichen Hochsitz beim feierlichen Mahle.
Bald waren die Dänen vom Julmet schwer, die Schweden aber
hüteten sich vor Trunkenheit. In tiefem Schlafe lag alles,
als die Schweden sich erhoben und zu den Schiffen schlichen.
Dort waffneten sie sich in aller Heimlichkeit und rüsteten
sich zum Überfall auf die schlafenden Dänen.
Hjalti, ein junger Kämpe aus Rolfs Gefolge, hatte in tiefer
Nacht das Haus seiner Buhlin aufgesucht. Heimkehrend sah
er, daß rings um die Burg das Gefilde voll brünnenbekleideter
Mannen war. Er erkannte den Verrat und die äußerste
Gefahr für seinen König, lief zur Halle, darin er mit seinen
Kämpen weilte, und während schon die gewaffnete Schar der
Schweden gegen die Burg drängte, in die Gemächer einbrach
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und mit den Schwertern auf die Schlafenden einzudringen
begann, rief Hjalti mit schallender Stimme:
„Es naht der Tag, der Hahnenschrei tönt, schlimme Stunde
den Leidvollen droht. Erwacht, erwacht, gefreundete Häupter,
ihr Edlen alle, des Herrschers Gefolgschaft! Ihr eisenherzigen
und kühnen Gefährten, Sprossen edler Geschlechter, die' sich nie
zur Flucht wandten! Nicht zum Wein wecke ich euch, noch zu
der Weiber heimlichem Geraun: nein ich wecke euch zu Hildes
grausem Spiel. Ergreift die Waffen und faßt den Schild, die
ihr dem König einst Treue schwurt, bangt nicht vor des
Schwertes eisiger Schärfe. Ruhm und Ehre ruht nun in eines
jeden eigener Hand. Kampfzorn fülle eure Herzen, damit ihr
das nahende Unheil wendet oder im Tode eure Treue bewährt."
Von Hjaltis Ruf erwachte Bjarki, Rolfs gewaltigster Kämpe, .
aus tiefem Schlaf. Er wähnte, zum Hofe seien Gäste ge-
kommen und rief seinem Knaben: „Auf, Knappe, zum Herde!
Fache das Feuer in der glimmenden Asche! Knorren und
Reisig laß in der Lohe prasseln! Warm sei die Hand, mit der
man Gästen den Willkomm bietet." jj
Doch von den Runen zauberischen Schlafes gefesselt sank
Bjarki wieder in tiefen Schlummer zurück. Hjaltis Stimme
aber begann wieder zu tönen: „Heran nun, wer sich tapfer
nennt, schart euch um Rolf den Ringespender, ihr alle, die
er sich erwählte! Nun weist sich, wer Mut in der Brust birgt
und wer feige entweicht. Sicher schreitet durch das Kampf-
getöse der Herrscher, den seiner treuen Mannen Scharen
umgeben, und Sieg ist ihm auf der Walstatt beschieden, den
der mutige Haufe seiner Gefolgschaft umdrängt. Packt denn,
ihr Männer, mit der Faust den Schwertknauf, fasset den Schild
und stürzt in den Kampf! Die offene Brust bietet dem feind-
lichen Schwert, doch nimmer den Rücken, gleich den Adlern
mit stoßenden Schnäbeln kämpft Auge in Auge und scheut
keine Wunden! Denn gern vergilt der treue Gefolgsmann
auf blutiger Walstatt, was er einst an reichen Gaben vom
goldspendenden Herrscher empfing: nun lohnen wir ihm die
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herrlichen Schwerter, lange lichte Brünnen und schimmernde
Helme und die Ringe, die wir beim festlichen Gelage empfingen.
Nun lösen wir treu die Gelübde, die wir beim kreisenden
Becher dem mildesten Herrscher schwuren bei Freyr und
Njörd, beim furchtbaren Thor, daß wir in Tagen der Not ihn
nicht verlassen würden, der unser Leben freudevoll gemacht
hat. Seht, dort schreitet voran im Feindesheere Hjörward
eisenbewehrt, auf dem Haupte leuchtet der Goldhelm, er
freut sich am Kampfe. Ihm folgen die Gauten, helmbusch-
geschmückt, mit gellenden Speeren. Trotzig und wild ist
ihr Blick und Ströme von Blut schlagen ihre Streitäxte aus
den Dänenkämpen. Hjörward du Untreuer, reizte dich Skuld
zum Verrat, hat sie dir den Sinn verblendet, daß du treulos
den Blutsfreund täuschtest und den gütigsten Herrn verrietest?
Verrucht ist sie und sinnbetörend, zum Unheil erschufen sie
schlimme Nornen. Weh, immer mehr bedrängt uns der Feinde
Übermacht. Die Panzer brechen unter sausenden Hieben, es
bersten die Glieder der Brünne, den Pfeilen bietet sich die nackte
Brust. Schon zerkloben die gewaltigen Beile des Königs Schild.
Krachend fällt die Streitaxt auf der Kämpen Brust und Haupt."
Blutig kämpfend nahte Hjalti wieder dem Gemach des
Bjarki. Da sah er den Kämpen immer noch in tiefem Schlafe
liegen und rief: „Fehlst du immer noch, Bjarki, und binden
dich Schlaf runen? Säumt immer noch der beste der Kämpen?
Sieh, schon gähnt weit offen das Tor der Halle, das kein
Däne mehr schützen kann, und von feindlichem Gewimmel
ist es erfüllt. Vor dem Anprall der Feinde weicht Rolfs
tapferes Heer. Auf denn, Bjarki, du Kämpe mit Bärenstärke !
Hinaus in den Kampf, ehe dich feurige Lohe zwingt! Mit
dem Brand scheucht man ja Bären, komm heraus oder ver-
brenne drinnen! Denn nun scheuchen wir mit der Lohe die
Feinde. So flamme denn der hohe Bau, legt Feuer an die
Pforten, und das stürzende Dach nähre die gierigen Flammen.
Werft Brände auf das verruchte Tor, das dem Einbruch der
Feinde nicht wehrte! In Schutt stürze die ragende Burg.
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„Weh, nun sank Rolf, der hochherzige König, dahin, in-
mitten der grimmigen Not umspielt fröhliches Lächeln den
Mund von Frodis Enkel. Heute tranken Rolfs Mannen den
letzten Becher in schimmernder Halle, nach diesem Tag soll
keiner der Edlen leben, außer wem Furcht die Wange bleicht
und der Mut fehlt, seinen Herrn zu rächen. Denn nun ist
ein Leben dahin, das herrlichste, dessen Gedächtnis dauern
wird, so lange die Erde steht. So stürmte der Held glühend
seinen Mannen vorauf, wie der geschwollene Strom zu Tal
stürzt, so eilte er wider den Feind, schnell wie der stolze
Hirsch mit gespaltenem Hufe. Wohlan denn, Genossen,
laßt uns seiner wert sein und den Erlauchten rächend den
Kampf zum bittern Ende führen. Schließt euch fest zum
Keile und ordnet die Scharen, wie Rolf es uns lehrte. Er
erschlug einst Rörik, den geizigen, der in schmutziger Hab-
gier nur auf Gold, doch nicht auf Treue und tapfere Mannen
seine Macht baute: so blieb er arm an Gefolgschaft, wie reich
auch an Gold. Als aber Rolf ihn mit seinen Kämpen heim-
suchte, streute er den lange gesparten Schatz dem gabefreu-
digen Könige vor dem Burgtor hin, so hoffte sich mit schimpf-
lichem Schatz Frieden zu kaufen, der der Kämpen entbehrte.
Doch die Flut seiner Ringe half ihm nichts, noch das macht-
los gehäufte Erz^i ihn fällte Rolf und nahm ihm mit dem
Schatze Leben und Burg. Den Schatz verteilte er unter die
treuen Krieger, nichts nahm er für sich, er gab das Gold,
wie einst, als er es achtlos auf der Fyrisheide säte.
„Aus den Wunden rinnt unaufhörlich der rote Quell, aus
schäumenden Adern dringt die Flut, ohne Rast treibt Hjör-
ward, im Heere der Dänen wütend, der Hilde Spiel. So laßt
uns Gefährten unsern Herrn freudig zur Hei geleiten, kein
zages Wort entfliehe der Zunge, kein feiger Gedanke befalle
den Sinn. Nie stirbt mit der verglimmenden Asche der Ruhm
des Mannes, und der Preis der Taten folgt dem Toten übers
Grab, nie sinkt der Tüchtigen Gedächtnis in den Staub.
„Doch Bjarki, wo bleibst du? Dein Ruhm war unter den
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Kämpen der höchste, nun sinkt er dahin. Noch ist die Tür
verschlossen, noch sperrt sie der Riegel, zum dritten Male
ruf ich dich, Bjarki!"
Da rief Bjarki: „Mit harter Stimme reizest du mich, Hjalti,
du kampffroher Held, mich, des Königs Gesippen. Gleicht
so großem Worte auch deine Tat? Warte nur bis ich mich
waffne und die Brust mit der Brünne umschließe. Schon
gürte ich mich mit dem Schwert, schon decken mich Helm
und Panzer. Nie floh ich Eisen noch Feuer, doch will ich
nicht im Hause brennen. Einst ward ich geboren auf ein-
samem Holm, in armer Hütte kam ich zur Welt, doch zwölf
Höfe gab mir der König, dazu rotes Gold und seine Schwester.
Das alles muß meine Tat nun lohnen/' Dann rief Bjarki,
in wildem Kampf zorn rings im Getümmel die Feinde fällend:
„Werft ab die Brünnen, ihr Todgeweihten, auf den Rücken
schleudert den Schild und bietet dem Feinde schutzlos die
Brust, doch bekleidet mit den Spangen den Arm, die ihr einst
von dem Goldspender empfingt: den wuchtigsten Hieb gibt
ein goldbeschwerter Arm.
„Nun räche ich den teuren Herrn und strafe die Neidings-
tat. Schon schlug ich Hjörward sausend, den wilden Hirsch,
mit Snirtir, meinem guten Schwert. Das erwarb mir einst
den Namen ,Bjarki der Kämpe', als ich es fest umspannend
im Zweikampf den Agnar fällte, den Sohn des Ingeld, und
reiche Beute heimtrug. Agnars Streich traf mein Haupt, doch
sein Schwert Höking zerschellte. Es brach, als es den Helm
mir beißen sollte. Doch mein schärferes Schwert durchschlug
ihm die Seite, trennte Hand und Fuß ihm vom Leibe und
durchbrach ihm die Rippen. Wahrlich, nie sah ich härteren
Kämpen, als da Agnar todwund zur Erde gesunken auf den
Arm sich stützte und lachend den Todstreich empfing: so
ging er fröhlich zur Hei hinab, und den nahenden Tod ver-
barg sein heiter lachendes Antlitz. — Auch du warst edel,
dessen Brust jetzt eben Snirtir spaltete, aus königlichem
Blut warst du entsprossen, leuchtender Ahnen mutvolles
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Kind, nicht halfen dir die Ringe der Brünne, noch der ge-
buckelte Schild, denn niemand hemmt meines Schwertes
Bahn. Heran nun, ihr tapferen Häupter der Gauten, daß
} wir mit Blut die Kräfte wägen. Nur Edle führen hier den
Kampf, nur ihre Kraft entscheidet. Nun sinken deine Ge-
treuen, König Rolf, nun fallen die Blüten ganzer Geschlechter,
was gilt hier namenlos Volk, was Knechte von dunkler Ge-
burt, wo Odin erlauchte Helden nach Walhall holt. Nie
sah ich dichter die Hiebe fallen, mit dreien entgelten die
Gauten mir einen. Allein stehe ich nun im stürmischen
Männerfall, kämpfend häufte ich aus dem Hügel der Leiber
einen hochragenden Damm. Wo aber ist er, der jüngst mit
herrischem Wort mich reizte, mich mit schmähendem Wort
aus der Kammer rief und mit preisendem Worte sich brüstete,
als umschlösse er zwölf Leben in einem Leibe?'*
Da rief Hjalti: „Ist auch die Schar meiner Gefolgschaft
klein geworden, doch stehe ich fest und bin dir nahe. Sieh
her, wie meine Hiebe fallen, wenn ihr Schall dein Ohr nicht
erreicht. Hilfe, tapferer Kämpfer, ist uns hier not. In Splitter
ging mir der Schild bis zum Handgriff. Jetzt weiß ich, daß
wir noch diesen Abend Odins Gäste sind. Nun sühne mit
schnellerem Schlag dein langes Zaudern."
Doch Bjarki erwiderte: „Willst du noch immer mit Schelten
und Vorwurf mich reizen? Grund genug habe ich jetzt,
wenn ich matter kämpfe, denn auf meine Brust lenkte der
Schwede mit wuchtigem Stoße sein Schwert, da war mir
meine schwere Brünne kein Schutz mehr: wie flüssiges
Wasser durchrannte die Schneide die harte Wehr."
Todwund lag der Kämpe auf der Walstatt. Da rief er sein
Weib, während der Kampflärm verebbte. Zu ihr sprach er:
„Erhebe nun, Hrut, das blondlockige Haupt, tritt aus der
Kammer in den brausenden Kampf und sage mir, wo ist
Odin? Sahst du ihn nicht, den einäugigen Greis, der im
Streite sich von uns wandte?" Ihm erwiderte Hrut, indem
sie sich über den Sterbenden neigte: „Senke dein Auge und
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blicke mir durch den gerundeten Arm, zuvor aber segne die
Augen mit dem Zeichen der Siegrunen. Hefte ruhig den
gefeiten Blick hinaus, so erschaust du Siegvater auf brau-
sendem Roß mit leuchtendem Schilde." Da sprach Bjarki:
„Könnte ich ihn treffen, den treulosen Gatten der Frigg, nicht
sollte er heil von Leidra entkommen, mag auch der weiße
Schild ihn decken, und mag er Sleipnir, das hohe Roß lenken:
Schande brächte ihm diese Schlacht, Rache nähme ich an
dem Kampfasen, würgen wollte ich ihn, wie die Katze die
Maus. Wir aber wollen getreu über unserem Könige fallen
und ein herrliches Ende nehmen. Bald wird uns der Adler
mit gieriger Klaue zerreißen, raublustige Raben zanken sich
um das Mahl, bald sind wir die Beute der Tiere der Wal-
statt. Ich aber sterbe nun zu Häupten Rolfs, meines Königs,
du, Hjalti, liege im Tode zu Füßen des Herrschers. So wird,
wer die Stätte des Kampfes durchspäht, gewahr, wie auch
im Tode dem Herrn, dem Spender, wir die Goldringe lohnten." ,
43. WÖGGS RACHE FÜR KÖNIG ROLF
Nach der Schlacht ließ Hjörward ein großes Freudenmahl
anrichten, um den Sieg und die Eroberung des Dänenreiches
festlich zu begehen. Während des Gelages sprach er: „Es
heischt unsere Bewunderung, daß aus der großen Gefolgschaft
König Rolfs nicht einer durch Flucht oder Ergebung sein
Leben zu retten suchte. So groß war ihre Liebe und Treue
zu ihrem Herrn, daß keiner nach seinem Falle leben mochte.
Übel wollte mir das Geschick, daß es ihrer keinen übrig ließ,
denn gern sähe ich solche Mannen in meinem Dienst."
Während Hjörward dann zum Dänenkönig ausgerufen
wurde und im Hochsitz die Treueide der Dänen empfing,
trat ein Mann herbei, der sich Wögg nannte und sagte, er
sei der einzige, der aus der Zahl der Rolfsmannen übrig ge-
blieben sei. Voll Freude fragte ihn Hjörward, ob er in seinen
Dienst treten wolle. Als Wögg das bejahte, reckte ihm der
König die Klinge seines Schwertes entgegen, damit er darauf
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den Treueid schwöre. Doch jener sprach: „So war es bei
König Rolf nicht der Brauch, nicht die Spitze, sondern den
Griff reichte er seinen Mannen zum Schwüre dar." Da
wandte Hjörward das Schwert und reichte dem Wögg den
Griff. Der riß das Schwert an sich und durchbohrte den
König, indem er rief: „Einst schwurst du König Rolf diesen
Eid: fallen wolltest du durch dein eignes Schwert und nicht
wehren solle dich dein Schild, wenn du deine Treue brächest.
Ich aber schwur, meinen Herrn zu rächen, wenn er durch
eines Mannes Schwert falle. Nun hielt ich die Eide." Als
dann Hjörwards Mannen auf ihn einstürmten, bot er ihnen
jubelnd seine Brust dar und rief ihnen zu: „Ich fürchte eure
Schwerter nicht. Nun, da ich meinen Herrn gerächt habe,
ist mir der Tod nicht bitter." So währte König Hjörwards
Herrschaft über das Dänenreich nicht länger als vom Morgen
bis zum Mittag, und von treuer Hand empfing er den Lohn
seiner Untreue. Die schwedischen Mannen aber wurden
nach ihres Königs Tode von den Seeländern erschlagen.
STARKAD
44. STARKADS JUGEND
In den Nordlanden lebte ein achtarmiger Riese mit Namen
Starkad Aludreng. Heimlich raubte er Alfhild, die Tochter
König Alfs. Der bat Thor um Hilfe wider den Räuber, und
Thor, der Alfhild liebte, riß dem Riesen sechs Arme aus
und tötete ihn. Alfhild aber hatte von Aludreng den Storwerk
empfangen, der zu gewaltiger Größe wuchs und ein furchtbarer
Kämpe wurde. Er kam zu König Harald, der damals über
Agde in Norwegen herrschte, und wurde sein Gefolgsmann.
Lange war er des Königs Begleiter auf seinen Heerzügen,
bis ihm dieser die Insel Thruma zum bleibenden Wohnsitz
schenkte. Von dort raubte er Unni, die Tochter des Jarls
Freki in Halogaland, und zeugte mit ihr einen Sohn, den er
Starkad nannte.
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Starkad war noch ein Kind, als sein Vater mit seinem
Kriegsvolk den Flammentod in der eigenen Halle starb:
Frekis Söhne hatten tückisch das Gehöft in Brand gesteckt.
Den Knaben nahm König Harald bei sich auf und ließ ihn
mit Wikar, seinem Sohne, aufziehen.
Von Wikars Geburt berichtet die Sage: Geirhild, Drifs
Tochter, war ob ihrer Schönheit weit berühmt. Zu ihr kam
einst ein Mann, der sich Hött nannte — es war aber Odin —
und versprach ihr, sie solle König Haralds, des Egdenfürsten,
Weib werden, wenn sie künftig in aller Bedrängnis niemanden
anrufen wolle als ihn. Bald erfuhr König Harald von der
Schönheit des Mädchens, er sah sie, führte sie mit sich heim
und vermählte sich mit ihr. Doch hatte er schon ein Weib
namens Signy , und da bald Zwist zwischen den beiden Frauen
ausbrach, den er nicht zu stillen vermochte, traf er die Ent-
scheidung, er wolle die behalten, die ihm das beste Bier zu
brauen vermöge. Da rief Signy die Freya an, Geirhild aber
den Hött. Der befahl ihr, statt der Hefe seinen Speichel in
das Braufaß zu legen, forderte aber für seine Hilfe von Geir-
hild das zum Lohne, was zwischen ihr und der Kufe sei. Als
König Harald das Bier trank, sprach er: „Gut ist dein Bier,
doch ahnt mir, daß Unheil folgt. Hangen seh ich am hohen
Galgen deines Leibes Frucht, Weib, dem Odin verkauft."
Bald darauf gebar Geirhild den Wikar.
Nicht lange weilte der Knabe Starkad an Haralds Hof,
als Herthjof, der König von Hördaland, den Egdenfürsten
treulos überfiel, ihn in dunkler Nacht tötete und Wikar,
seinen jungen Sohn, als Geisel mit sich führte, nachdem er
sich das Land Agde unterworfen hatte. Ein Edler aus Her-
thjof s Gefolge aber, der sich Roßhaar grani — das war Odin —
nannte, flüchtete den Knaben Starkad und brachte ihn auf
den Hof Ask auf der Jnsel Fenring in Hördaland. Dort wuchs
der Knabe im Verborgenen auf, bis er zwölf Winter zählte.
Neun Sommer lang sah er seine Sippe nicht. Er gewann
ungeheure Kraft, sehnig wuchs ihm der Arm und über
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langen Gliedern ein grimmiges Haupt. Doch dumpf und
tatenlos saß er auf der niederen Bank am Herde, schürte das
Feuer und fragte nach nichts.
Wikar, sein Ziehbruder, mußte in Herthjofs Dienst auf der
Warte, die Fenrings Felsen krönte, über das Meer spähen
und mit Flammenzeichen die nahenden Feinde melden. Einst
kam er von der Warte nach Ask hinab. Er sah und erkannte
Starkad und hieß ihn vom Herde aufstehen und Antwort
geben. Mit der Spanne der Hand maß er ihm Arm, Brust
und Haupt, staunend über den gewaltigen Wuchs und das
schon bärtige Haupt des Knaben. Er nahm ihn auf in die
Schar der furchtlosen Kämpen, die er zum Rachewerk er-
lesen hatte, und Starkad, der zwölfte der Genossen, erhielt
Waffen und Heergewand.
Zu Schiff gelangte Wikars Schar zum Königshof, einer
festen Burg. Sie rüttelten am Gitter, zerbrachen die Pfosten,
sprengten die Riegel der Feste. Unter die Mannen des Königs,
sie benzig an der Zahl, fuhren die blitzenden Schwerter.
Kampf gierig stürzten sich Wikars Mannen in das Getümmel,
brünnenlos hieb Starkard um sich, mit beiden Händen das
Schwert packend. Nicht war es leicht, Wikar zu folgen, der
immer als vorderster im Haufen stand, doch Helme zerbarsten
und darunter die Stirnen, Brünnen zerschlissen und Schilde
brachen unter den Hieben der Wikarshelden. In diesem
Kampf wuchs Wikars Ruhm, an Herthjof aber ward die
Rache vollendet. Blutige Wunden trugen die Feinde und
mancher fiel, bis Starkad dem Herthjof die Todeswunde gab.
Siegreich kehrte Wikar mit seinen Helden nach Agde in
die Heimat zurück. Dort wurde er zum Könige erhoben und
legte unter sich Hördaland und allen Besitz, König Herthjofs
Eigen. Dann heerte er mit seinen Kämpen ostwärts an den
Küsten. Am Wenersee stieß er auf König Sisar. Da ge-
schahen mächtige Taten der Männer. Starkad erlitt hier die
schrecklichste Wunde, die je ihn traf: ganz wurde ihm der
Schädel zerhauen, als Schild und Helm zerborsten waren,
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Sisars Schwert durchhieb ihm von oben die Weiche, die
andere Weiche durchstieß sein Schwert, daß sich das kalte
Eisen in den Leib grub. Doch zum Lohne hieb Starkad dem
König quer durch den Leib mit beißender Klinge und behielt den
Sieg. Reich lohnte ihm Wikar die Tat, und fünfzehn Sommer
folgte Starkad ihm auf seinen Fahrten. Er wurde der berühm-
teste von allen Wikarskämpen und der geliebteste Freund
des Königs. Sein Ratgeber war er, sein Nachbar im Hochsitz
und der Vogt des Landes. Darum empfing er manchen roten
Ring aus seiner Hand. Es war die Frohzeit seiner Fahrten.
45. DAS GÖTTERTHING UND STARKADS ERSTE
NEIDIN GST AT
Einst segelte König Wikar mit großer Mannschaft von Agde
nordwärts nach Hördaland. Unterwegs überfielen ihn widrige
Winde, und lange mußte er zwischen den Holmen liegen.
Da fällten sie den Span, des Gottes Willen zu erforschen, und
sein Fall verkündete Odins Forderung: der Loswurf solle einen
aus den Mannen bezeichnen, der als sein Opfer am Galgen
hange und mit dem Speerstich geweiht werde. Als sie das Los
warfen, sprang das des Königs heraus. Alle schwiegen in rat-
losem Schrecken, und man verschob den Beschluß der Mannen
über diesen dunklen Spruch auf den nächsten Morgen.
Um Mitternacht weckte den Starkad Roßhaargrani, sein
einstiger Retter, und befahl ihm zu folgen. Sie bestiegen ein
Boot und ruderten zu einer Insel zwischen den Holmen.
Vom Ufer stiegen sie zum Walde hinauf und fanden im
Dickicht eine Lichtung von einer schweigenden Thinggemeinde
erfüllt. In ihrer Mitte sahen sie elf Männer auf Stühlen
sitzen, der zwölfte Stuhl war leer. Auf den setzte sich Starkads
Begleiter, und alle begrüßten Odin. Er verkündete, das Thing
solle über Starkads Schicksal Urteil finden.
Da nahm Thor das Wort und sprach: ,, Einst zog Alfhild,
Starkads Ahne, mir, dem Asen, den weisen Jöten vor: ich
verhänge dem Starkad, daß er weder Sohn noch Tochter
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I
haben und sein Geschlecht enden soll." Odin erwiderte: „So
verhänge ich ihm, daß er drei Menschenalter leben soll."
Thor sprach: „Ein Neidingswerk soll er begehen in jedem
Mannesalter." Odin erwiderte: „Ich verhänge ihm, daß er
die besten Wehren und Waffen besitzen soll." Thor sprach:
„So soll er nie Land noch Scholle sein eigen nennen." Odin
erwiderte: „Ich verleihe ihm, daß er stets überreich an Fahr-
habe sei." Doch Thor sprach: „So lege ich auf ihn, daß er
an dem, was er besitzt, nie ein Genügen habe." Odin sprach:
„Sieg und Ruhm gebe ich ihm in jedem Kampfe." Und Thor:
„So lege ich auf ihn, daß er aus jedem Kampfe ein schweres
Gebrechen heimtrage." Odin sprach: „Ich schenke ihm die
Dichtkunst, daß ihm die Verse so leicht seien wie die Rede."
Thor sprach: „Nie soll sein Gedächtnis festhalten, was er
dichtet." Odin erwiderte: „Das verleihe ich ihm, daß er bei den
edelsten und erlauchtesten Männern vor allen hochgeehrt sein
soll." Und Thor: „Verhaßt soll er überall beim Volke sein."
Das alles erhoben die Richter zum Schicksalsspruch über
Starkad, dann war das Thing beendet.
Roßhaargrani ging mit Starkad zum Boot hinab. Er sprach:
„Fürwahr mein Sohn, du mußt mir den Beistand lohnen, den
ich dir im Thing geleistet habe." — „Wohl", sprach Starkad.
„So sollst du mir König Wikar senden", sprach jener, „und
ich will dir raten, wie es geschehen mag." Starkad versprach
zu gehorchen. Da gab ihm Roßhaargrani seine Weisungen
und lieh ihm seinen Speer, der einem Rohrstengel glich.
Im Morgengrauen kam Starkad zu den Seinen. Im Rat
der Königsmannen sprach er: „Wir wollen mit dem Könige
so tun, als ob wir das Odinsopfer an ihm vollzögen." Dem
stimmten alle zu. Es stand eine Föhre dort und darunter
ein hoher Baumstumpf. Unten an der Föhre war ein schwanker
Ast, der aber aufwärts in die Krone strebte. Starkad bog ihn
heimlich nieder, knüpfte eine Weidenschlinge an ihn und
sprach: „Hier ist dein Galgen gebaut, König, du siehst, die
Gefahr ist nicht groß. Tritt auf den Baumstumpf, damit ich
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die Schlinge um deinen Hals lege." Der König sprach: „Ist
diese Zurichtung nicht gefährlicher als mir scheint, so wird
sie mir nicht schaden, ist es aber anders, mag das Geschick
raten." Darauf stieg er auf den Baumstumpf, und Starkad
legte die Schlinge um seinen Hals. Er stach mit dem Speer, den
Odin ihm gegeben hatte, nach dem König und sprach: „So
opfere ich dich Odin!" Damit ließ er den Föhrenast fahren.
Der Rohrstab aber ward zum Speere und durchbohrte den
König, der geschmeidige Föhrenast schnellte in die Höhe,
den erhängten König in die Krone hebend. So starb er.
Durch diese leidige Tat wurde Starkad bei allem Volke
verhaßt, er ward landflüchtig und mußte Hördaland meiden:
Thor hatte ihm den Namen Neiding geschaffen, und Schande
lag auf ihm. Finster irrte er durch die Wildnis, herrenlos und
gramverzehrt, ein Treubrüchiger an seinem geliebten Herrn.
Endlich richtete er den Weg zum Schwedenvolk nach Upsala,
dem Sitze der Ynglinge, und kam zur Halle des Königs. Die
ließen den schweigenden Sänger dort weilen, so lange es ihm
gefiel. Stumm saß er in der Halle unter den hellbrauigen
jungen Kriegern, und der düstere Kämpe mit wildem Auge,
mit langem Ebergebiß und wolfsgrauem Haar, mit hängenden
Schultern und rauhem Hals diente ihnen zu leichtem Spott.
An seinem Leibe meinten sie zu erspähen das alte Riesenmal
der acht Hände, die Thor einst seinem Ahnen ausriß auf den
Klippen des Nordlands. Doch schweigte er die Spötter durch den
Sang von dem Schicksal, das die Götter ihm einst verhängten.
Bald trieb ihn sein ruheloser Geist wieder in sein Kämpen-
leben zurück. Er durchfuhr alle Meere und durchsegelte
rings die Lande, Mühsal und rauhe Not war sein Leben, doch
siegreich war er in jedem Kampfe.
46. STARKADS ZWEITE NEIDING ST AT
Im zweiten Menschenalter Starkads herrschte König Frid-
leif über Dänemark, und Starkad war der mächtigste seiner
Kämpen. Fridleif raubte die Hild, Tochter des Königs der
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Uplande in Norwegen. Mit ihr zeugte er einen Sohn AU,
mit einer anderen Frau aber den Frodi.
Nach Fridleifs Tode konnte Ali dem Vater nicht folgen, da
er einer erbeuteten Frau entsprungen war. So wurde Frodi
König. Ali begab sich auf Wikingerzüge und gewann durch
seine Taten den Beinamen der Beherzte. Frodi, dessen Helden-
mut ihm den Beinamen des Weitberühmten schuf, herrschte
zu Leidra und hatte eine kühne Kriegerschar. Starkad war
deren Oberster. Zwölf Jarle waren dem König unterworfen.
Ali gewann mit Heerschild das Schwedenreich. Da stachel-
ten den Frodi seine Jarle auf: der Held, der sich Schweden
unterworfen habe, werde nun kommen und mit den Waffen
in der Hand in Dänemark Erbe fordern. Frodi ließ sich be-
reden, und Starkad als der kühnste und dem Könige am
treuesten ergebene der dänischen Mannen wurde ausersehen
Ali zu töten. Lange weigerte er sich, den Sohn Fridleifs ver-
räterisch umzubringen, aber für den Preis von einhundertund-
zwanzig Pfund Goldes beschloß er endlich die Tat zu voll-
bringen und zog zum schwedischen Königsitze. König AH
empfing ihn freundlich, ehrte ihn hoch und überhäufte ihn
mit Geschenken. Er wandte ihm all seine Gunst und Liebe zu.
Eines Tages, als der König ins Bad ging, hieß er Starkad
ihm folgen, denn ihm vertraute er von allen am meisten,
als Wache für seine Sicherheit. Da gedachte Starkad seines
verruchten Vorsatzes. Als er aber in das Badegemach des
Königs trat, blendete ihn der leuchtende Blick und der durch-
dringende und lebendige Glanz der Augen des Königs, heim-
licher Schauder lähmte seine Glieder, er hemmte den Schritt.
Als aber der König nach dem Bade ermattet und seine Augen
müde geschlossen waren, stieß Starkad ihm sein Schwert in
die Brust. Da rief Ali, schon verscheidend: „Die Tat ist
dein, doch Frodi, mein Bruder, hat sie geraten !" Und lachend
gab er den Geist auf.
Starkad empfing einhundertundzwanzig Pfund Goldes,
nachdem er den Frevel vollbracht hatte. Doch nagte ihn
l8 Wolter« u. Petersen, Heldensagen.
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Reue und Schmerz so sehr, daß er seines Lebens nie wieder^
froh ward. Auch erschlug er einige von denen, die ihn zu H
der Schandtat angestiftet hatten, und rächte so die Tat, der 1
er seinen Arm geliehen hatte.
47- DER FALL KÖNIG FRODIS UND INGELDS RACHE 1
Auf den Fahrten seines dritten Alters kam Starkad zu
König Frodi von Dänemark, der vor allen Herrschern wegen
seines Mutes und seiner Standhaftigkeit, seiner Milde und
Güte hoch gepriesen wurde. Frodi nahm den greisen Kämpen,
dessen Ruhm sich über alle Nordlande verbreitet hatte, unter
seine Helden auf. Es ist aber nicht überliefert, welche Neidings-
tat Starkad in diesem Alter beging.
Frodis Vater hatte die Sachsen unterworfen und zur Dienst-
barkeit gezwungen. Nach seinem Tode wollte deren König,
Swärting, das Joch abschütteln. Doch der jugendliche Frodi
besiegte sie mit Starkads Hilfe und richtete seine Herrschaft
über sie fester auf als zuvor.
Da griff Swärting, der Sachsenkönig, zur List. Er lud
Frodi unter dem Schein der Freundschaft zum Gastmahl in
der heimlichen Absicht, ihn in der Halle zu verbrennen. Dieser
aber entdeckte den Plan, griff den verräterischen Sachsen
an, und beide fanden in diesem Kampfe den Tod.
Damals war Ingeld, Frodis Sohn, noch jung und schien
ein Weichling zu werden. Waffen und Waffenwerk liebte
er nicht, und über den Freuden der Gelage säumte er den
Vater zu rächen. Swärtings Söhne aber nutzten seinen
schwachen Sinn, und um ganz die Rache in ihm zu ertöten,
gaben sie dem Jüngling ihre Schwester zum Weibe. Nun
überließ sich Ingeld völlig der Lust des Lagers und dem Schwel-
gen bei Tische, und am Dänenhofe, wo früher Zucht und
Schlichtheit galt, herrschten die üppigen und weichlichen
Bräuche der Sachsen. Starkad aber und die alten Kampf-
genossen des Frodi verließen die Halle zu Leidra, der alte
Kämpe begab sich wieder auf rauhe Fahrten.
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Ein halbes Menschenalter war seit Frodis Fall vergangen.
Da hörte Starkad, als er einst zu Upsala weilte, daß Ingeld
die Swärtingsöhne freundlich zu sich geladen habe und in der
Halle fröhlich mit ihnen schmause. Sein Zorn wallte auf.
Mit einem großen Bündel auf dem Rücken, den schweren Leib
auf einen mächtigen Stab gestützt, wanderte er über Land
nach Leidra. Wer ihn unterwegs fragte, welch seltsame Last
er auf dem Rücken trage, dem antwortete er: „Ich trage
Kohlen, um den weichen Sinn des Königs im Feuer zu
härten und seinen stumpfen Mut zu schärfen."
Ohne zu rasten durchwanderte er den langen Weg und
betrat abends die Halle zu Leidra, als man den König zum
Gelage erwartete. Er ging zum Hochsitz hinauf und ließ
sich auf der Ehrenbank nieder, auf der ihm früher der erste
Platz gebührte. Als die Königin den Alten, der vom Kot
der Straße beschmutzt und in grobes Bauerngewand gehüllt
war, auf dem Hochsitz gewahrte, verwies sie ihm hochmütig
solchen Platz, der den Edlen, nicht aber einem struppigen
Bettler mit schmutzigen Kleidern gebühre und befahl ihm,
den Sitz zu räumen. Starkad erhob sich stumm und schritt
ohne Wort noch Seufzer zum unteren Ende der Halle. Als
er sich dort auf die niedere Bank hinließ, erschütterte die
Wucht seines gewaltigen Körpers die starke Bohlenwand so
sehr, daß Pfosten und Dach ins Schwanken kamen. In diesem
Augenblicke trat Ingeld ein, sein Auge fiel auf den düster
blickenden Greis, der sich nicht zur Begrüßung des Königs
erhob, sondern stumm auf seinem Sitze verharrte. Er er-
kannte Starkad an den finsteren Mienen, den rauhen Krieger-
händen, den Narben auf der Brust und der durchdringenden
Macht seiner Augen und gebot seinem Weibe, den Gekränkten
mit Speise und Trank zu laben. Doch wie sich die Königin
auch mühte, der rauhe Kämpe wies alles von sich und ver-
harrte in dunklem Schweigen. Als dann zur Nacht ein
schwelgerisches Mahl die Tische deckte, wie der sächsische j
Brauch am Hofe es wollte, und man dem Helden von den
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üppigen Speisen bot, wies der Alte die Leckerbissen barsch
zurück und stillte seinen Hunger mit grobem Rauchfleisch
und bäurischer Speise.
Lange saß Starkad unbeweglich da, die Wut bemeisternd,
die ihn erfüllte, wenn er die Swärtingsöhne auf dem Hochsitz
neben dem jungen Könige schmausen sah. Nur die Glut
seiner Augen, die starr auf jene gerichtet waren, verrieten
seinen Ingrimm. Endlich stand er vom Sitze auf, und seine
rauhe Stimme erhebend, brach er in diese Worte aus:
„Einstmals, als ich Frodi auf seinen Fahrten folgte,' saß ich
im Hochsitz in der Edelsten Mitte,! der Erste am Tisch der
Gefolgsmannen. Jetzt hocke ich unten im äußersten Winkel, j
ungeehrt und dem Fische gleich, der zur Ebbe sich in der
Lache birgt. Der einst den Ehrensitz einnahm, sitzt unter
den Letzten, von niemandem gegrüßt, dem Hohne der Knechte
preisgegeben, und wohl würde ich aus der Halle gedrängt,
wenn die Giebelwand mich nicht hielte.
„Von Schweden kam ich, weite Wege durchmaß mein Fuß.
Den Brauch in der Skjöldunge Königsburg wollte ich kennen und
Leidras neue Sitte. Einen Helden dachte ich in Frodis Halle zu
finden, einen schlaffen Feigling fand ich auf Frodis Hochsitz.
„Wie kannst du bei frohem Gelage die Zeit versitzen, Ingeld?
Gedenkst du nicht, daß noch immer ungerächt dein erschla-
gener Vater liegt?
„Weh, daß ich dem Herrn nicht zur Seite stand, als die
treulosen Wirte ihn niederhieben, daß ich auf fernster Heer-
fahrt stritt! Sonst stünde ich als sein Rächer hier oder hätte
sein Geschick geteilt, wäre dem Herrscher im Tode gefolgt.
„Nun wird wahr, was zu Upsala der König sprach, heldischem
Vater werde folgen ein entherzter Sproß und entarteter Erbe.
Doch ich dulde nicht, daß Frodis Lande den fremden Räubern
zur Beute werden."
Voll Schrecken ob solcher Rede nahm die Königin ein
kostbar geflochtenes Stirnband von ihrem Haupte und reichte
es dem Sänger, als könne sie ihn durch solche Gnade
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beschwichtigen. Doch er warf es ihr voll Verachtung zurück
und begann von neuem:
„Hinweg, Fürstin, mit dem Weibergeschenk,' dem Tapferen
ziemt der Helm, nicht zartes Gewebe. Oder bring deinem
Gatten das weiche Gespinst, ! dem Lüstling mag es gefallen,
der den Dänen sächsische Sitten bringt.)
„Ehre brächte dir, König, wenn du im Kampfsturm grimmig
in den straffen Bart dir bissest, statt den Wein in Kübeln zu
schlingen, und zartes Geflügel in den Fingern zu drehen.
„Elf Kämpen waren wir einst, als wir mit Haki das Haffroß
lenkten, am Schiffsbord saßen Beigad und Helgi. Damals
galt als echter Kämpe allein, wer mit trockner Keule und
hartem Brot den Hunger zähmte, wer an Bier und rohem
Fleisch sich genügen ließ. Wer hätte damals Geld für des
Vaters Tod genommen oder seinen Bruder im Beutel getragen?
Welcher Erbe und mannhafte Sproß hätte solchen an seiner
Seite gelitten?
„Drum, wenn in der Halle der Sänger von Königstaten singt
und die Namen der Kämpen nennt, verhülle ich vor Scham das
Haupt im Mantel, denn von Frodis Erben meldet kein Lied.
„Was verschlingt mich dein Auge mit wildem Blick, der du
Freund bist deines Vaters Mördern? Wo man je preist die
Rächer der Blutschuld, solltest du wünschen taub zu sein,
daß nicht des Sängers Lied die Scham dir, Neiding, errege.
„Einem feilen Knechte gleichst du an Mut, magst du gleich
stolz dich Skjöldung nennen. Eine stumpfe Klinge streckt dich
zu Boden, wie man Schafe fällt, so schlägt man dich nieder.
„Bald gewinnt Swärtings Brut das Dänenreich als feile Beute,
indes du die kleinodschimmernde Frau mit goldenen Ringen
zu ergötzen dich mühst.
„Gram und Zorn ergreift die alten Kämpen, die einst Frodis
Zügen folgten, Scham und Schmerz zwingt mich die Not zu
nennen. Das wäre mein höchstes Glück, sähe ich Frodis
Tod endlich gerächt durch des Sohnes Hand.'*
Anfangs hatte Ingeld mit tauben Ohren gesessen, allmählich
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aber schlug brennendes Feuer auf in seiner Seele, als er solche
Mahnung hörte, und die Rache erwachte in ihm. Endlich
sprang er vom Tische auf, zog das Schwert, nicht achtend
des Gastrechts, und stieß es den Swärtingsöhnen in die Brust.
Alle sieben streckte er nieder und Starkad half ihm mit Tat
und entzündendem Wort:
„Heil dir, Ingeld, dein Mut ist erwacht! Zu Ende ist nun
schlaffes Zaudern, du Schlachtenlenker. Fälle sie alle, die
Söhne Swärtings, keiner entfliehe, denn alle sind Buße schuldig.
Ihr Knechte, tragt die Toten aus der Halle, schleppt sie hinaus
auf den Königshof! Werft auf die Heide die Leiber, den
Raben und Wölfen zum Fräße, kein Hügel noch Scheiterhaufen
werde ihnen zuteil.
„Du aber, König, sei weise und fliehe das Weib, das
tückische, daß nicht die Wölfin den Wolf dir gebäre und aus
dir selbst nicht dein eigener Rächer erwachse.
„Schau her, Odin, Vernichter im Kampfe und Höhner der
Feigen, dünkt dich vollbracht die Rache für Frodi, da sieben
Brüder fallen mußten für den trefflichen Fürsten?
„Nie welkte die Hoffnung dem Greise, einst werde Frodis
Sproß dem Vater gleichen. Nun erst, Ingeld, gebührt dir, des
Erbes zu walten, auf Leidras Stuhl zu sitzen und Herr der
Dänen zu heißen."
Als Starkad so alt und müde geworden war, daß er zu
Heerzügen und Schwerterstreit nicht mehr taugte, beschloß
er, um nicht den schmählichen Strohtod zu sterben, freiwillig
einen Tod zu suchen, der seiner Taten würdig sei und sein
vergangenes Leben verherrliche. So zog er aus, um einen
Edelgeborenen zu finden, von dessen Schwert er fallen könne.
Das Gold, das ihm für die Ermordung des Ali zuteil geworden
war, trug er in einem Beutel am Halse, um damit den zu
kaufen, der ihm den Tod gebe: so meinte er den Frevel seiner
Neidingstat zu sühnen, wenn er die Mordbuße für die Ver-
48. STARKADS ENDE
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nichtung seines eigenen Lebens verwende. Mit zwei Schwertern
umgürtet und gestützt auf zwei Stäbe wanderte er durch die
Lande und kam wieder nach Dänemark. Ein Bauer, der
dem Greise begegnete, rief ihn spottend an: „Was sollen dir
zwei Schwerter? Gib mir das eine." Starkad, als wolle er die
Bitte gewähren, hieß ihn näher kommen, zog ein Schwert
von der Hüfte und hieb ihn mitten durch. Darauf begegnete
er einem Jüngling namens Hather, der war ein Sohn eines
jener Edlen, die einst Starkad zum Verrat an Ali bewogen
hatten und von dem Betörten nachher erschlagen worden
waren. Hather befand sich eben auf der Jagd. Er ließ zwei
seiner Begleiter unversehens wider den Greis anreiten, um
ihn zu erschrecken. Als sie auf ihn eingesprengt waren und
sich zurückwandten, gab Starkad mit seinen Krückstöcken
ihnen beiden den Fang. Voll Schrecken über solche Kraft
des hinfälligen Greises kam Hather herbei und sah, daß es
Starkad sei. Als dieser wahrnahm, daß der Sohn jenes Jarls
vor ihm stehe, den er erschlagen hatte, und daß also der
Jüngling von edelster Geburt sei, bot er ihm das Gold, das
er einst von seinem Vater empfangen hatte, wenn er ihm den
Todesstreich versetzte und sprach: „Deinen Vater habe ich
erschlagen, nun nimm du an mir Rache, damit ich von der
Hand eines Helden den Tod finde und dem mühevollen Alter
entrinne." Den Hather bewog sowohl sein Racheverlangen
wie der Wunsch, das Gold zu gewinnen, daß er die Bitte des
Alten zu erfüllen versprach. Schnell reichte ihm Starkad
sein Schwert, und tief sich neigend bot er ihm den Nacken
dar, um den Hieb zu empfangen, indem er den Jüngling bat,
nicht zaghaft und weibisch das Schwert zu führen und hinzu-
fügte, wenn er es vermöge, zwischen Haupt und Rumpf
hineinzuspringen, ehe der Körper zu Boden falle, so werde er
unverwundbar werden. Da führte Hather den Hieb wider
Starkads Nacken und trennte das Haupt von den Schultern.
Als es, schon abgehauen, zur Erde fiel, biß es mit den Kiefern
in die Erdscholle: so groß war die Wildheit des Kämpen.
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Hather aber unterließ den Sprung zwischen Leib und Kopf,
den ihm Starkad geraten, fürchtend, es möge der Greis hinter
der Verheißung eine List verborgen haben. Wäre er gesprungen,
so hätte der Kämpenleib ihn unter seiner gewaltigen Last
erdrückt und der fallende Körper hätte den gefällten Helden
selbst gerächt.
Hather ließ Starkad auf der Roijungheide den Hügel wölben,
denn er wollte nicht, daß ein so gewaltiger Kämpe unbestattet
am Wege liege. Das Gold und Starkads Schwert Skum,
d. i. das Finstere, nahm er zu eigen.
49. HARALD KAMPFZAHNS HEIMHOLUNG IN DER
BRAWALLASCHLACHT
König Haidan von Dänemark war lange kinderlos. Als
er aber dem Odin geopfert hatte, ward ihm durch dessen
Gunst ein Sohn zuteil. Der empfing den Namen Harald und
später wegen seiner gewaltigen Zähne den Beinamen Kampf-
zahn. Harald erwuchs früh zu großer Schönheit und Stärke
und überragte alle seine Genossen an Kraft und Körperbau.
Überdies beschenkte ihn Odin, durch dessen Willen er ent-
sprungen war, mit dem Zauber, daß sein Leib durch Eisen
nicht verletzt werden konnte: Geschosse, die anderen Wunden
schlugen, schadeten ihm nicht. Zum Dank für diese Gnade
weihte Harald alle Seelen, die er mit der Waffe vom Leibe
schied, dem Odin.
Als Haidan bei dem Versuche, das verfallene Dänenreich
zur alten Einheit zurückzubringen, seinen Tod gefunden
hatte, trat Harald sein Erbe an und übernahm das begonnene
Werk. In gewaltigen Heerzügen unterwarf er die abgefallenen
Landesteile, besiegte die Teilkönige, richtete die alte Herr-
schaft zu Leidra wieder auf und fügte den zerrissenen Körper
des Reiches wieder zusammen. Dann bekriegte er die Friede-
brecher in den Nachbarländern.
Bevor er wider den Schwedenkönig Ingo und seine Brüder,
die ihm den Frieden aufgekündigt hatten, zu Felde zog,
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suchte er durch Opfer den Ausgang des Zuges zu erkunden.
Da begegnete ihm ein alter Mann von gewaltiger Größe, der
war einäugig und in einen rauhen Mantel gehüllt. Er ge-
sellte sich zu Harald, sprach mit ihm von den Geheimnissen
der Kriegskunst und lehrte ihn die beste Schlachtordnung
für sein Heer. Er riet ihm nämlich, seine Streitmacht in drei
keilförmig nach vorn verlaufende Geschwader so zu ordnen,
daß das mittlere Geschwader die anderen gleich einem Eber-
rüssel nach vorn überrage und so die Flügel auf beiden Seiten
schräg verlaufend allmählich ausschweiften. Hinter die so
geordneten Geschwader solle er die mit Wurfgeschossen aus-
gerüsteten Jünglinge stellen, hinter diese aber den Haufen
der alten Männer, damit ihre erprobte Tüchtigkeit der Jünge-
ren wankende Kräfte stütze. Auf den Flügeln aber solle er
die Schleuderer so aufstellen, daß sie noch günstig aus der
Ferne wirken könnten.
Es war aber Odin, der ihn so belehrte, und mit diesem gött-
lichen Wissen ausgerüstet besiegte Harald Kampfzahn die
Schwedenkönige Ingo und Olaf. Den dritten Bruder Ingeld
aber, der ihn einst durch den Raub einer Schwester gereizt
hatte, machte er endlich zu seinem Bundesgenossen und
setzte nach Ingelds Tode seinen Schwestersohn Ring in die
väterliche Herrschaft über Schweden ein. Stets siegreich
zog Harald in kühnen Zügen gegen die Friesen, die Slawen,
die Aquitanier der Normandie, die Humbrer in Britannien
und vermehrte auf jeder Heerfahrt die Schar seiner Helden
mit den besten der unterworfenen Gegner. Auch lockte er
durch den Ruhm seiner Taten Kämpen aus allen Landen
herbei und schuf sich eine mächtige Gefolgschaft.
So unterwarf Harald alle Länder und Fürsten, nirgends
mehr erstand ihm ein Feind, und fünfzig Jahre lang beherrschte
er sein weites Reich in kampflosem Frieden.
Als den greisen und schon erblindeten König die Last des
Alters zu drücken begann, gedachte Odin seinen Erwählten
heimzuholen. Damals hatte Harald zum Freund und Rat-
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geber einen Mann namens Bruni, der von frühester Kindheit
an sein vertrauter Genosse gewesen war und dem alle geheimen
Botschaften zwischen Harald und Ring anvertraut wurden.
Auf einer solchen Gesandtschaft verlor Bruni einst in einem
reißenden Flusse sein Leben. Da legte Odin seine Gestalt
und seinen Namen an und erschütterte durch listige Botschaft
die vertraute Eintracht der Könige. Mit solchem Truge
säte er Feindschaft zwischen ihnen und entflammte die durch
Freundschaft und Sippe Verbundenen zu so wildem Haß, daß
nur der Kampf seine Glut löschen konnte. Noch eine Weile
verhehlten die Könige ihren Ingrimm, dann brach der giftige
Haß offen hervor.
In Harald lohte der alte Kampfzorn noch einmal auf:
er wollte lieber in offener Schlacht als elend im Bette sterben.
Damit der Ruhm seines Endes heller als der seines Lebens
strahle, wünschte Odin ihm viele Genossen seines Schicksals
zu geben: er rüstete eine gewaltige Schlacht, lehrte auch
König Ring heimlich die Kunst der keilförmigen Schlacht-
ordnung und machte so die Kräfte der Gegner einander gleich.
Endlich, nachdem beide Könige lange Zeit mit allem Eifer
ihre Heere gerüstet hatten, waren auf beiden Seiten die Heer-
haufen bereit. Harald wollte die Feinde nicht überraschen.
Er kündigte König Ring den Frieden auf und vereinbarte
mit ihm durch Boten den Ort des Kampfes. Von allen Landen
des Nordens waren die Kämpen herbeigeeilt, um in der ge-
waltigen Schlacht mitzukämpfen. Unter Haralds Fahnen
standen seine treuen Dänen in drei Heerhaufen, dazu in drei
weiteren Haufen, von den drei kampferprobten Schildjung-
frauen Hetha, Wisna und Webjorg geführt, Kämpfer aus
Schleswig, Friesland, den slawischen Landen und berühmte
Helden aus Norwegen, und als das Heer aufbrach, stieß noch
eine Flotte mit Sachsen, Slawen und Liven zu den Dänen.
So groß war die Menge der Schiffe, die dieses dänische Heer
von Seeland nach Schonen hinüberführte, daß sie die Ufer
des dazwischen liegenden Meerstroms wie eine Brücke zu
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verbinden schienen. Wer den Sund überschreiten wollte,
dem bot der gedrängte Knäuel der Schiffe einen Fußweg.
Auch Ring hatte gewaltig gerüstet. Den Kern seiner Macht
bildeten die Mannen aus den schwedischen Landschaften und
aus Gautland, doch auch aus Norwegen und aus den russischen
Landen * waren zahlreiche Kämpfer erschienen. Zwischen
Wald und Bucht auf der Brawallaebene, wo die Schlacht
geschlagen werden sollte, vereinigten sich die schwedischen
Haufen, die zur See und zu Lande herbeieilten. Weithin
sah man das Meer von Kielen durchpflügt und den Blick
auf das Wasser hemmten die ringsum aufgespannten Segel.
Die schwedische Flotte aber hatte früh mit günstigem Winde
den Schlachtort erreicht, während die Dänen noch mit widri-
gen Stürmen kämpften. Darum hieß Ring die Streiter von
den Schiffen ans Land gehen und stellte sie mit den zu Lande
gekommenen auf der Brawallaebene in Schlachtordnung auf.
Er ordnete die besten Streiter keilförmig im Mitteltreffen
und die übrige Mannschaft in zwei bogenförmig geschwunge-
nen Flügeln, daß das Ganze einem Eberhaupte glich, wie
Odin auch ihm geraten hatte.
Als endlich nach sieben Tagen die dänische Flotte mit
günstigem Winde sich dem Schlachtorte näherte, befahl
König Ring den Seinen, in Ruhe zu verharren, bis Harald
seine Schlachtordnung aufgestellt habe, und die Luren erst
zu blasen, wenn sie den König neben den Feldzeichen auf
seinem Streitwagen sitzen sähen. Er sprach: „Bald muß
das Heer zerbrechen, das sich auf eines Blinden Führung
verläßt. König Harald ist am Geiste nicht minder blind als
an den Augen, ihm sollte bei seinen Jahren ein Grab genügen.
Nun müßt ihr Schweden für eure Freiheit kämpfen. Nur
wenig Dänen stützen die feindliche Streitmacht. Die Sachsen
und Slawen aber, die im Dänenheere kämpfen, sollt ihr nicht
fürchten: stets zeigten sich die Normannen den Germanen
und Slawen überlegen."
Die Schlachtreihe der Dänen ordnete Bruni an des blinden
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Harald Statt. Er türmte sie keilförmig auf und ordnete die
Flügelhaufen. Dann sprach Harald, dessen ragende Gestalt
auf dem Streitwagen weithin sichtbar war, mit schallender
Stimme zu seinen Mannen: „Mit Undank vergilt König Ring
meine Wohltaten. Der sein Königtum von mir zum Geschenk
erhielt, erregt mir nun Krieg, da ich ein Greis bin. Gedenket,
ihr Dänen, unserer zahlreichen Siege über die Nachbarn und
duldet nicht, daß die Herrschaft, die ihr mit dem Jüngling
erstrittet, jetzt dem Greise entrissen werde."
Dann bliesen die Luren, und mit äußerster Kraft begannen
die Heere den gewaltigsten Kampf, der je auf nordischer
Erde gefochten wurde. Da schien es als stürze der Himmel
auf die Erde, als versänken Wälder und Felder, als kehre
die alte Urnacht mit ungeheurer Verwirrung zurück, als
risse ein brausender Sturm zugleich das Werk der Götter
und der Menschen in Abgrund und Vernichtung. Der An-
prall und das Prasseln der Geschosse erschütterte die Luft
mit unerträglichen Stößen, der Blutdunst der Wunden spannte
sich über den Himmel wie ein Nebel und der Hagelschauer
der Pfeile verhüllte das Tageslicht. Als aber die Geschosse
aus der Ferne versendet waren, griffen die Streiter zu den
Schwertern und Keulen. Da floß das Blut in Strömen unter
den krachenden Schwerthieben. Der mächtigste der dänischen
Kämpen war Ubbi der Friese. Er drang in den Rüssel der
schwedischen Aufstellung ein, schlug die besten Helden
nieder, die dort standen, und brachte durch seine wilde
Kampfeswut die Schlachtordnung in solche Verwirrung, daß
schon die Schweden zu wanken begannen. Als König Ring
die Gefahr erkannte, rief er Starkad, den erprobtesten Helden,
herbei: „Dich verließ noch nie das Glück im Kampfe: nun
gewinne uns den Sieg." Doch auch Starkad konnte den
Friesen nicht überwinden, durch die andrängenden Reihen
wurde er von ihm getrennt. Endlich aber wandte die gewal-
tige Kraft der Bogenschützen die Gefahr vom Schwedenheere
ab. Die Schützen aus Gautland und Telemarken spannten
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die Bogen mit solcher Kraft, daß sie mit ihren Pfeilen die
Schilde nicht nur, sondern auch Brünnen und Helme durch-
schlugen und die Dänen wie nackte Leiber ihnen preis-
gegeben waren. Von ihnen wurde aus der Ferne (denn zu
nahen wagte ihm niemand) auch Ubbi mit zahllosen Pfeilen
durchbohrt, so daß er endlich das Knie zur Erde senkte.
Wechselweise siegten die Heere. Als aber Starkad unauf-
haltsam wider die Dänen vordrang und in maßloser Wut
durch die Reihen fahrend ihre besten Helden fällte, begannen
die Dänen zu wanken. Dem alten Kämpen trat Wisna, des
Königs Bannerträgerin, entgegen und rief ihm zu: „Todes-
wut ist über dich gekommen, nun mußt du sterben, Unhold!"
— ,, Zuvor mußt du des Königs Banner senken", antwortete
Starkad. Und mit dem Schwerte hieb er ihr nach schwerem
Kampfe eine Hand ab. Schon türmten sich die Leichen-
haufen, als er von Gnepia so schreckliche Wunden empfing,
daß ihm die Lunge aus der Brust stürzte und er die Schlacht
verlassen mußte. Dennoch wurden die Schweden durch die
Kraft ihrer Bogenschützen den Dänen immer überlegener
und trugen immer schrecklicheres Verderben in ihre Reihen.
Harald Kampf zahn saß auf seinem Streitwagen und Bruni
mit geheimnisvollem Antlitz als Wagenlenker vor ihm. Der
blinde König spürte bald am finstern Raunen, das sein Heer
durchflog, daß das Schlachtglück sich dem Feinde zuneige.
Er fragte Bruni, in welcher Ordnung König Ring sein Heer
aufgestellt habe. Der antwortete, indem ein leises Lächeln
sein Antlitz überflog: „Die Schweden kämpfen in Form eines
Eberhauptes." Als der König das hörte, entsetzte er sich
und rief: „Wer hat den König Ring solche Schlachtordnung
gelehrt? Ich glaubte, die kenne niemand als Odin und ich
allein. Denn er erfand die Kunst und vertraute nur mir das
Geheimnis an." Bruni schwieg. Harald aber fühlte in
diesem Augenblick, daß Odin vor ihm sitze. „Herr und Freund",
flehte er ihn an, „da du mir immer hilfreich warst, entziehe
mir und den Dänen den Sieg nicht in dieser entscheidenden
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Stunde. Willst du mir aber deine Hilfe versagen, so laß
mich mit meinem ganzen Heer im Kampfe fallen, und alle
Toten sollen dir wie früher geweiht sein." Bruni schwieg
abermals, aber lenkte den Streitwagen wider die Feinde.
Harald erhob sich auf die Knie, nahm seine Keule in beide
Hände und erschlug mit ihr, wen von den andrängenden
Feinden er vom Wagen aus erreichen konnte. Schrecken
ergriff die Schweden, denn kein Eisen konnte Harald Kampf-
zahn verwunden, der Sieg schien sich ihm noch einmal zu-
zuneigen. Aber mitten im Kampfe wandte Bruni sich plötz-
lich um, stürzte den König aus dem Wagen, entriß dem
Stürzenden seine Streitkeule und zerschmetterte ihm mit
seiner eigenen Keule das Haupt.
Als König Ring den Fall seines großen Gegners erfuhr,
befahl er seinem Heere, sich vom Feinde zu lösen und dem
Kämpfen Einhalt zu tun und schloß mit den Feinden Frieden.
Am folgenden Morgen ließ er seine Schweden überall unter
den Leichenhaufen den königlichen Leichnam suchen, denn
er gedachte dem Helden eine herrliche Totenfeier zu rüsten.
Endlich fand man den toten König und die Keule, die ihn
erschlagen hatte. Ring wollte mit den höchsten Feiern den
gefallenen Helden ehren. Er ließ das Roß, auf dem er ritt,
mit goldverzierten Decken schmücken, vor den Königs-
wagen spannen und weihte es seinem erlauchten Namen.
Er sprach Gelübde und flehte, Harald möge auf diesem Roß
an der Spitze der unabsehbaren Schar seiner Genossen im
Tode in Walhall einreiten und bei Odin, dem Herrn der Helden,
für Freunde und Feinde, die der Schlachtentod vereint habe,
selige Sitze erwirken. Dann hieß er den Scheiterhaufen
errichten und heischte von den Dänen, daß sie das goldbeschla-
gene Schiff ihres Königs darauf brächten, damit die Flamme
um so höher aufrausche. Und während die Lohe den Leich-
nam verzehrte, mahnte König Ring die trauernden Dänen-
helden, sie möchten Waffen, Kleinode und was jedem das
Liebste sei, freiwillig als Totengabe zu Ehren eines so großen
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und heldenhaften Königs auf den Scheiterhaufen legen.
Und so geschah es.
Die Asche des Königs aber ließ Ring in eine Urne ver-
schließen, nach Leidra schaffen und dort nach Königsweise
feierlich bestatten.
50. HELGI UND SIGRUN
Uralter wars, als die Adler schrieen und heilige Wasser
vom Himmelsfelsen rannen: da hatte Borghild zu Bralund
Helgi den Großherzigen geboren. Nacht war in der Burg,
da kamen die Nomen, dem edlen Sproß das Schicksal zu
weben. Sie gewährten ihm, der Kühnste zu werden und als
Besten der Fürsten sich zu fühlen. Mächtig schnürten sie
die Schicksalsfäden, goldenes Gespinst breiteten sie aus und
festeten es mitten im Mondsaal. Im Osten und Westen
bargen sie die Enden: so grenzten sie dem Könige sein Land.
Ein Seil knüpfte die Norn unlöslich an den Nordweg, dem
befahl sie ewig zu halten. Da sprach auf dem Baum ein
Rabe zum andern: „Ich weiß etwas. Zur Brünne geboren
wurde der Königssproß: nun kommt unser Tag. Sein Auge
strahlt nach Heldenart. Den Wölfen wird er lieb sein:
freuen wir uns!"
Schön wuchs Helgi gleich der jungen Ulme in der Hut
der Freunde, er begab sich früh auf Heerfahrten und siegte
in allen Kämpfen. Mit Gold beschenkte er seine Mannen
und spendete reichen Kampflohn. Er traf auf einem seiner
Züge mit König Hunding, einem mächtigen Herrscher in
den Nordlanden, zusammen und fällte ihn im Kampfe. Da-
von empfing er den Namen „Hundingstöter". Und noch oft
kämpfte er mit Hundings Sippe.
Einst saß er abends nach der Schlacht am Aarstein, da
brach Leuchten aus den Logafelsen, aus dem roten Himmel
schössen Blitze und über das Himmelsgefild sah der Held
behelmte Frauen heranjagen. Blutgerötet waren die Brünnen
der Walküren und von den Speerspitzen sprühten Funken.
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Sigrun hieß die hehrste der Walküren. Die Herrliche ritt
auf Helgi zu, grüßte und küßte den König, der unterm Helme
stand, weckte Weibesliebe in ihm und sprach: „Längst war
ich dir nah in deinen Kämpfen, Helgi. Auf dem Meerschiff
sah ich dich fahren, als du am blutigen Steven standest im
eiskalten Wogenschwall. Mein Herz kann ich nicht bergen:
deine Gunst will ich gewinnen. Schon ehe ich dich sah,
trug ich dich allein im Herzen. Darum höre: Högni, mein
Vater, versprach mich Hödbrodd vor dem Heer seiner Mannen,
doch ich sprach: ,Einen andern Helden habe ich mir ge-
wählt'. Nun droht mir der Sippe Zorn, da ich des Vaters
Willen brach. Nach wenig Nächten holt mich Hödbrodd
heim, wenn du ihn nicht zur Walstatt entbietest oder ihm
die Jungfrau raubst." Helgi sah ihre Schönheit und sprach:
„Fürchte du nicht Hödbrodds Zorn, noch drohenden Sinn
deiner Sippe! Mit mir sollst du leben, junge Maid, und wenig
sorgt mich dein Geschlecht."
Er sandte Boten über Meer und Mark, seine Mannen zu
entbieten, goldene Schätze bot er. Zahllose Scharen kamen
zur Fahrt, sie bestiegen die schwarzen Schiffe, die gold-
geschmückten, und hißten die Segel. Auf dem Meere über-
fiel sie verderblicher Sturm, drohend leuchteten die Wolken
und Blitze fuhren auf die Schiffe herab. Doch den Händen
der Ran entrangen sich die Gischtpflüger und landeten abends
in Unawag.
Hödbrodd blickte mit Gudmund, seinem Bruder, über
das Meer. Er sah an der Raa des Königsschiffes den roten
Schild mit goldenem Rand, das Zeichen des Krieges, empor-
steigen und rief: „Wer ist der Fürst, der dem Heere gebietet
und die Kriegsschar zum Lande führt? Die Kampf fahne
flattert am Steven, nicht Frieden scheint mir das Schiff zu
bergen: Walröte flammt um die Meerfahrer." Da antwortete
einer von Helgis Kämpen: „Hier mag Hödbrodd Helgi schauen
inmitten der Flotte. Ihm wird zu eigen alles Erbe deiner
Sippe." Gudmund erwiderte: „Zuvor wird am Wolfsteine
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der Schwerter Sausen den Spruch fällen. Nun kam die Zeit,
Hödbrodd, mein Bruder, zu rächen, daß unlängst uns das
schlechtere Los fiel." Doch Helgis Kämpe sprach: „Lieber
magst du, Gudmund, Geißen hüten und in Bergklüften um-
herklimmen, in der Hand haltend den Haselstab. Sanfter
tut das als der Losspruch der Schwerter." Da verwies Helgi
seinem Kämpen den Zank: „Besser wäre dir, zur Freude der
Adler zum Kampf zu eilen als unnütz zu schelten, wenn auch
der Haß euch Helden entzweit. Auch mich dünken Granmars
Söhne nicht besser als wir, doch dem Fürsten ziemt es, Wahr-
heit zu reden, und Mannesmut bewiesen sie einst zu Moins-
heim im Schwertkampf mit uns."
Da eilten die Granmarssöhne, ihre Schar zu entbieten.
Auch König Högni nahte mit allen seinen Mannen und mit
seinen Söhnen Bragi und Dag. In mächtiger Schlacht fällte
Helgi alle Fürsten, die in Hödbrodds Heere kämpften, die
Granmarssöhne und Högni mit seinem Sohne Bragi. Nur
Dag allein entrann dem Verderben. Ihm wurde Frieden ge-
währt, und er schwur Helgi Treueide.
Nach dem Kampfe ging Sigrun auf die Walstatt und fand
Hödbrodd im Sterben. Sie sprach: „Nicht wird dir, Edler,
Sigrun von Sewafjöll im Arme liegen. Dahin ist Granmars
Geschlecht. Reiche Atzung gewann der Grauwolf." Darauf
suchte sie Helgi und freute sich sehr, als sie ihn lebend
fand. Der aber sprach: „Nicht in allem, Herrliche, gelang
dein Wunsch: das schufen dir die Nomen. Am Wolf steine
sanken Högni und Bragi von meiner Hand. In der Kampf-
kluft und am Seegebirg sanken die übrigen der Helden und
die meisten deiner Gesippen zur Erde. Du konntest das Ge-
schick nicht wenden, dir fiel das Los, daß du unter Fürsten
Streit erweckest. Nun aber sänftige deinen Kummer, Sigrun 1
Siegbringerin warst du mir, das Schicksal kann auch der Held
nicht hemmen." Sie erwiderte: „Zum Leben möchte ich
jene nur wecken, die hier tot liegen, wenn ich auch dann
dir im Arme ruhen dürfte."
19 Wolter« u. Petersen, Heldensagen.
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So gewann Helgi Sigrun zum Weibe, und sie gebar ihm
Söhne, doch früh war ihm Tod beschieden. Denn Dag, der
einzige von Högnis Söhnen, den Helgi geschont hatte, sann
auf Rache für seinen Vater. Ihn reizte Odin und lieh ihm
seinen Speer. Damit durchbohrte er Helgi im Fesselwalde.
So fiel der Held. Dag aber ritt nach Sewafjöll und sprach
zu Sigrun: „Ungern nahe ich dir, Schwester, mit leidvoller
Kunde. Not zwang mich, der Blutsverbundenen Weh zu
schaffen: am Morgen fiel im Fesselwalde der König, der auf
der Welt der hehrste war." Da rief Sigrun: I „Dich sollen
alle Eide beißen, die du Helgi geschworen hast, bei des Leipt-
stromes bleichschimmernden Wassern und beim eisigen
Steine der Unn. Nicht fahre das Schiff, das unter dir fährt,
füllt gleich der Sturm seine Segel prall! Nicht renne das Roß,
das unter dir rennt, wärest du gleich auf der Flucht vor dem
Feinde! Nicht beiße das Schwert, das du schwingst, es singe
denn dir selber ums Haupt! Das dünkte mich Rache für
Helgis Ermordung, wärst du doch ein Wolf im Holze draußen,
fern von Reichtum, fern von Freude, ohne Nahrung, du
platzest denn vor Leichenfraß." Da sprach Dag: „Rasend
bist du, Schwester, und wahnbetört, daß du deinen Bruder
unselig verwünschest. Odins Werk ist alles Unheil, der
zwischen Gesippen Streitrunen warf. Dir bietet dein Bruder
goldene Ringe, des Wanderers geweihte Stätte und die Fluren
von Wig. Die Hälfte des Reiches soll dein sein, den Harm
zu büßen, du Spangengeschmückte, dein und deiner Söhne."
Doch Sigrun sprach: „Nie mehr sitze ich selig zu Sewafjöll,
nicht früh noch spät, des Lebens froh, es sei denn, daß dort
im Waffenglanz aufleuchte des Helden Schar, unter dem
Fürsten das Kampf roß sich bäume, knirschend im Goldgebiß,
und ich den Herrscher grüßen könnte mit froher Umarmung.
So hielt Helgi in Furcht all seine Feinde samt ihren Ge-
nossen, wie vor dem Wolfe die Geißen sinnlos entspringen
den Berghang hinab in grausigem Schrecken. So ragte Helgi
über alle Helden, wie die edle Esche über niederes Gedörn oder
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wie der Hirsch, feucht vom Morgentau, höher einherschreitet als
das Getier des Waldes und zum Himmel aufglüht sein Geweih."
Sigrun höhte dem Toten einen gewaltigen Hügel, unstill-
bar rannen nächtens ihre Tränen. Einst ging im Abend-
dämmer ihre Magd am Grabhügel vorüber. Da sah sie, wie
König Helgi mit großem Gefolge durch die Luft zum Hügel
ritt. Sie rief: „Ist Blendwerk, was ich zu schauen meine,
oder Götterdämmerung — Tote reiten? Mit spitzem Dorn
stachelt ihr die Rosse. Oder ist den Helden Heimkehr ver-
gönnt?" Und Helgi sprach: „Kein* Blendwerk ist es, das
deine Augen schauen, noch ist Ende der Weltzeit, siehst du
gleich Tote mit spitzem Dorn die Rosse stacheln. Auch ist
nicht Heimkehr den Helden vergönnt."
Da eilte die Magd heim und sprach zu ihrer Herrin: „Geh
hinaus, Sigrun, wenn dich lüstet, den Volksherrn zu schauen.
Der Hügel steht offen, Helgi ist da! Die Speerwunde blutet.
Dich bittet der Herrscher, daß du die rinnenden Tropfen ihm
stillen mögest." Da eilte Sigrun zum Grabhügel, fand Helgi
und sprach: „So freudvoll bin ich, dich zu finden, wie Odins
Falken, die Atzunggierigen, wenn sie Wal wittern, warme
Speise, oder feucht vom Nachttau den Tag braunrot dämmern
sehen. Erst will ich küssen meinen toten König, ehe du die
blutige Brünne abwirfst. Dein Haar, Helgi, ist mit Reif
bedeckt, von Waltau ist ganz der Fürst benetzt, eisig sind die
Hände von Högnis Eidam. Wie kann ich dir Hilfe und Heilung
bringen, mein Held?" Helgi erwiderte: „Du allein, Sigrun von
Sewafjöll, schufst, daß Helgi so vom Harmtau beträuft ist.
Grimme Tränen weinst du, Goldgeschmückte, du Sonnenhelle,
du Maid vom Süden, wenn du zur Ruhe gehst. Jede Träne
fällt blutig auf deines Helden Brust, feuchtkalt und bohrend
und schwer von Leid. Doch auf nun, laß uns köstlichen Trank
trinken, müssen wir auch das holde Leben und unsere Lande
missen. Keiner singe mir Klagelieder, sieht er gleich auf der
Brust mir die Speerwunde klaffen. Nun birgt mein Hügel
das junge Weib, die Königstochter mir, dem Toten."
19*
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Sigrun bot ihm das Methorn, dann bereitete sie im Hügel
ein Lager und sprach: „Hier habe ich dir, Helgi, eine Ruh-
statt bereitet, 1 eine sorgenlose, du Ylfingensproß. j Im Arme
will ich dir ruhen, König, wie ich einst bei dem Lebenden
lag." j Und Helgi sprach: „Nun will ich nichts mehr unmög-
lich nennen, nicht früh noch spät, da du Leuchtende dem
Toten im Arme liegst in der Grabkammer und selbst noch
lebst, du Fürstenmaid."
Als der Morgen graute, erhob sich Helgi und sprach: „Zeit
ist zu reiten gerötete Wege, den Flugsteg hinan das fahle Roß
zu lenken. Westlich muß ich sein von Windhelms Brücke,
ehe im Saale der Hahn die Helden weckt." Da ritt Helgi
mit seinem Gefolge von dannen.
Am nächsten Abend ließ Sigrun die Magd am Hügel Wache
halten. Als die Dunkelheit herabgesunken war, schritt sie
selbst zum Grabe und sprach: „Gekommen wäre mein herr-
licher König, wenn er kommen wollte aus Odins Saal. Grau
wird die Hoffnung auf die Rückkehr des Fürsten, da im
Eschengezweig schon die Adler sitzen * und alles Volk dem
Traumthing zutreibt."
Sigrun lebte nicht mehr lange vor Harm und Trauer.
Si. HAGBARD UND SIGNE '"T*
König Sigar von Dänemark hatte drei Söhne und eine
Tochter mit Namen Signe. Unter den Söhnen überragte Alf
an Seele und Leib seine Brüder. Sein leuchtendes Haupthaar
war von solchem Schimmer Übergossen, daß seine Locken
von silbernen Strahlen umflossen schienen. Alf begab sich
auf Wikingerfahrten.
Einst bei Frühlingsanfang, als er mit seinem Bruder Alger
zu neuen Zügen ausgefahren war und hin und her über das
Meer schweifte, traf er mit seinen hundert Schiffen auf die
Söhne des Seekönigs Hamund mit Namen Helwin, Hagbard
und Hamund. Da entspann sich ein heftiger Kampf, doch
der hereindunkelnde Abend schied die streitmüden Hände,
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und die Nacht zwang die Kämpfer zur Ruhe. Am folgenden
Tage sahen sie sich durch Tod und Wunden sehr geschwächt,
und da die gleiche Tapferkeit sie in gleiche Not geführt hatte,
schlössen sie miteinander Frieden.
Damals warb Hildigisel, ein Teutone von edler Geburt,
allein auf Schönheit und Adel pochend, um Signe, König
Sigars Tochter. Sie aber verschmähte einen Mann, von dem
keiner heldische Taten zu rühmen wußte, und der auf anderer
Kühnheit sein Glück zu gründen schien. Vielmehr ent-
zündete das berühmte Heldentum des Hagbard das Mädchen
zur Liebe. Nach der Seeschlacht kam Hagbard mit den
Söhnen des Sigar nach Dänemark und gewann eine heimliche
Zwiesprache mit Signe: sie versprach ihm, heimlich sein eigen
zu werden und befestigte es durch feierlichen Eid. Als die
Dienerinnen im Frauenhaus über den Wert der beiden Freier
stritten, sprach die Jungfrau: „Einer wirbt um mich, der ist
leuchtender Schönheit bar, doch strahlt auf seinem Antlitz
des Mutes Blume und heldischer Sinn. Der andere Werber
hat zierliche Locken, Blondhaar schimmert auf seinem
Scheitel, schneeweiß ist sein Antlitz. Bald bleicht das Locken-
haupt und niemand denkt seiner mehr. Kühnheit aber um-
panzert das Herz, und ihre Taten bleiben unvergessen."
Als Hildigisel erfuhr, daß Signe ihm Hagbard vorziehe,
bewog er den blinden Bölwis, Feindschaft zwischen den Söhnen
des Sigar und des Hamund zu stiften. Bölwis war einer der
Ratgeber, auf die König Sigar hörte. Er sann aber immer
Freundschaften in Haß zu verkehren und durch zwieträchtiges
Spiel Feindschaft zu entzünden. Er verleumdete die Hamund-
söhne und die Sigarsöhne wechselseitig und zerstörte den
Bund der Jünglinge bald. Alf und Alger griffen die Hamund-
söhne an und erschlugen sie, doch war Hagbard damals fern.
Der rächte den Tod seiner Brüder, indem er die Sigarsöhne
im Kampfe erschlug. Hildigisel aber empfing in der Schlacht
eine schimpfliche Wunde ins Gesäß, die ihn für immer dem
Gelächter der Helden preisgab.
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Hagbard wollte Signe gewinnen, denn er vertraute ihrem
Treuschwur und fürchtete ihre Rache für den Tod ihrer
Brüder nicht. Bald nach dem Kampfe legte er Weiberkleider
an und begab sich allein zur Halle des Sigar. Er nannte sich
eine Kampf maid des Haki und sagte, er bringe von ihm eine
Botschaft für Sigar. Zur Nacht gab man ihm sein Lager
bei den Mägden. Als diese ihm beim Waschen die Füße
abrieben, fragten sie ihn, warum denn seine Schenkel so rauh
und die Hände so hart wären. Da antwortete er: „Wundert
ihr euch, daß mir die Sohle hart wurde und rauhe Haare
meine Schenkel bekleiden? Auf weiten Fahrten scheuert Sand
die Sohle und der Dorn der Heide zerfetzt den Wanderer. Bald
durchdringe ich den dichten Wald, bald durchfurche ich die
graue Flut. Nicht Rocken und Korb ist meine Hand zu fassen
gewohnt sondern blutige Pfeile."
Als sich die Frauen zur Ruhe legten, empfing die Schild-
maid den Ehrenplatz als Bettgenossin der Königstochter. So
ward Signe heimlich Hagbards Weib, wie sie einst geschworen
hatte. Unter Liebkosungen sprach Hagbard zu ihr: „Sage
mir Signe, du Sonnenhelle, da ich ohne der Sippe Rat und
deines Vaters Willen dich auf dem Lager umfangen halte, ich
der Sohn des Hamund die Edle, deren Brüder ich schlug:' wenn
mich dein Vater hier fängt, mir schrecklichen Tod bereitet}
und Rache nimmt für seiner Söhne Tod: welches Los er-
kiesest du dir, die ich dann nicht mehr umfangen halte? '
Wird mein Weib mich vergessen oder ihrem Eide Treue
wahren?" Ihm antwortete die Maid: „Teurer, mit dir zu
sterben bin ich stets bereit und leid ist mir, länger zu leben,
wenn dich der traurige Hügel umschließt. Wenn du dem süßen
Lichte entrissen wirst, ob durch Gift oder Schwert, ob in
strudelnder See oder auf der Erde, bin auch ich dem Tode
geweiht. Da ein Lager uns einte, soll auch ein Geschick
uns hinraffen. Dem die ersten Küsse der Skjöldungenjungfrau
wurden, hält sie auch im Tode die Treue."
Solche Worte der Geliebten gaben Hagbard unbeugsamen
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Mut. Eine von den Mägden verriet ihn, eine große Schar
drang in das Frauengemach, doch wehrte er sich gegen Sigars
Mannen mit wilder Kraft, bis er ergriffen und vor den König
geschleppt wurde. Der befahl, dem Töter seiner Söhne und
Schänder seiner Tochter den Galgen aufzurichten.
Zu dem Todgeweihten trat die Königin, reichte ihm einen
Becher, daß er seinen Durst lösche, und sprach voll Hohn:
„Hagbard, du wilder, nimm aus eschenem Becher den Trunk,
den ich zum Abschied dir biete. Setze furchtlos den Heibecher
an deine mutigen Lippen. Wenn du ihn getrunken hast,
fährst du gestärkt zur Hei in das finstere Reich. Dein Leib
aber wird am Galgen den Raben zur Speise." Der Jüngling
ergriff den dargereichten Becher und sprach: „Ich nehme den
Trank, der zur weiten Fahrt mir die Lippen kühle, mit der-
selben Hand, die dir beide Söhne erschlug. Nicht ungerächt
wandere ich zur Hei: vor mir sandte Jene meine Hand hinab.
Sieh! sie trieft von eurem Blut, mein Schwert raffte eure Erben.
Die Pfänder der Hei bringt dir, Kinderlose, keine Ewigkeit
wieder."
So rächte er die höhnische Todesdrohung der Königin und
schleuderte ihr den Becher ins Gesicht. Als man ihn zum
Galgenhügel führte, fragte Signe ihre Dienerinnen, ob sie ihre
Genossinnen im Schicksal sein wollten. Das bekräftigten sie
mit heiligem Eid. Von Tränen überströmt sprach die Herr-
liche: „Ihm will ich mit euch im Tode folgen, der allein mein
Lager teilte. Wenn ihr von der Warte das Zeichen seines
Todes seht, so werft Fackeln in unser Gemach: dann erdrosseln
wir uns in Schlingen, die wir aus unsern Kleidern fertigen."
Als Hagbard zum Todeshügel kam, hieß er die Schergen
zuerst seinen Mantel am Galgen emporziehen. „Gern", rief
er, „sähe ich meinen nahen Tod im Bilde vor mir." Das
gewährte man ihm. Der Burgwächter aber, der von seiner
Warte den Mantel am Galgen flattern sah, wähnte Hagbard
selbst zu sehen und rief was er geschaut den Mädchen zu,
die wartend im Frauengemache saßen. Da gaben sie das
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Haus dem Feuer preis und töteten sich mit den Schlingen.
Als Hagbard die Königshalle in Flammen gehüllt und die ge-
meinsame Lagerstatt feurig auflodern sah, drängte er jubelnd
die Mannen, ihm den Tod zu geben und rief: „Schnell ihr
Mannen, hebt mich empor! Freudig folge ich der Treuen,
die mir im Tode vorausging. Prasselndes Feuer sehe ich
lodern, in Flammen stürzt die stolze Halle, Signes Treue
brennt gleich einer Fackel zum Himmel. Nie wahrte ein
Weib die Eide wie sie, die selbst sich den Scheiterhaufen ent-
fachte, und dem Geliebten die Flügel des Heitores öffnend
mit ihm die weite Fahrt beginnt. Die der Tod hier nicht
schied, kann er auch dort nicht trennen. In Heiheim wie
auf Erden teilt Signe das Lager mit mir." Und als er solches
gesprochen hatte, nahm ihn der Tod hinweg.
-«•• t- i..L '»»«8 Kfm'x. /*•**«<
;,**.y! '• * 52- AMLETH
Als Gerwendill, der Jarl von Jütland, gestorben war, machte
der Dänenkönig Rörik dessen Söhne, Horwendill und Fengi,
zu seinen Nachfolgern. Horwendill wurde bald ein weit-
berühmter Seekönig. Er besiegte den König der Norweger
im Zweikampf auf einer frühlingsgrünen Insel und erhielt
für diese Tat die Tochter des Dänenkönigs, Gertrud, zum Weibe.
Mit ihr zeugte er einen Sohn mit Namen Amleth.
Fengi neidete seinem Bruder solchen Ruhm und solches
Glück. Er ermordete heimlich Horwendill und nahm sich das
Weib des Erschlagenen zu eigen. Am Königshofe reinigte er
sich durch lügenhafte Worte, trat in die Herrschaft des Bruders
ein und genoß ungestraft die Umarmungen seines Weibes.
Als Amleth solches sah, nahm er den Schein der Torheit
an, um ein Leben, das dem Mörder seines Vaters gefährlicher
dünken mußte als alle Feinde, zu schützen und Zeit zur Rache
zu gewinnen. Er wälzte sich im Kot und ahmte die Gebärden
und Reden eines Blödsinnigen nach. All sein Tun schien
von völligem Wahnwitz zu zeugen. Oft saß er am Herde,
wühlte mit den Händen in der Asche, schnitzte hölzerne
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Klammern, härtete sie im Feuer und bildete ihre Enden zu
Widerhaken aus. Als die Zuschauenden über solches Ge-
schick seiner Hände Verdacht schöpften, seine Torheit möge
eine verschlagene List sein und ihn fragten, was er treibe,
erwiderte er, er fertige scharfe Speere zur Rache für seinen
Vater. Durch diese Worte zerstreute er den Verdacht und
erregte lautes Lachen, doch sprach er in der Hülle der Torheit
die Wahrheit, denn jene Klammern sollten künftig dem Werk
seiner Rache dienen.
Einige aber glaubten immer noch kluge Verstellung hinter
seiner Torheit zu spüren und rieten daher, ihn an einem ver-
borgenen Ort durch ein schönes Weib versuchen zu lassen:
solche Verführung werde die Verstellung unmöglich machen,
denn der natürliche Trieb sei zu stark, als daß schlaue Über-
legung ihn hemmen könne. Wenn also der Stumpfsinn des
Jünglings erheuchelt sei, so werde er der Verführung erliegen.
Also wurde Amleth mit zahlreicher Begleitung in einen ent-
legenen Wald geführt. Unter den Gefährten befand sich aber
sein Milchbruder, der stellte seine frühere Freundschaft mit
Amleth höher als den Befehl seines Herrn und beschloß ihn
zu warnen. Er band eine Bremse an einen Strohhalm und
schob, wie um ihn zu necken, sie Amleth zu. Der verstand,
als er die Bremse sah, daß man ihn vor Heimtücke warne,
und durchschaute bald den ganzen Plan. Als man ihn zu
Pferde steigen hieß, setzte er sich daher so, daß er dem Pferde-
nacken den Rücken zuwandte, zäumte den Schwanz statt des
Kopfes auf, und unter dem Gelächter der Männer schoß der
Reiter dahin, den Schweif des Rosses lenkend.
Im Dickicht kreuzte ein Wolf seinen Weg. Da sprachen
die Begleiter, es sei ein Füllen gewesen. Amleth aber er-
widerte: „Solcher Pferde sind wenige in Fengis Herde." So
mischte er immer wieder List und Wahrheit. Als sie am
Ufer vorüberritten, nannten seine Begleiter das Ruder eines
gestrandeten Schiffes ein ungeheures Messer. „Wohl",
sprach Amleth, „einen ungeheuren Schinken kann man
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■ >. f *«*» . ,. t" * v-r.'K/nf^- yvj^jcv ry-rticfnr**
damit schneiden/ 1 Er meinte aber das Meer. Den Sand der
| Dünen hieß man ihn für Mehl ansehen. „Gewiß", sprach
er, haben es die schäumenden Meeresstürme so weiß ge-
mahlen." Dann ließen ihn die Genossen zurück und sandten
ihm, als er sich allein glaubte, jenes Mädchen entgegen, das
König Fengi bestimmt hatte und das dem Amleth von Jugend
auf durch gemeinsame Spiele vertraut war. Er nahm das
Mädchen in seine Arme und trug es zu einem weit entlegenen
Sumpf. Dort vereinte er sich mit ihr, beschwor sie aber es
niemandem zu sagen. Das versprach sie ihm feierlich, denn
seit ihrer Jugend war sie ihm in Liebe ergeben.
Als auf dem Heimwege alle ihn fragten, ob er die Liebe
des Mädchens genossen habe, gestand er den Begleitern, er
habe mit dem Mädchen gebuhlt. Auf die Frage, wo er das
getan und auf welchem Lager er geruht, erwiderte er: „Auf
eines Rindes Huf, auf eines Hahnes Kamm, auf eines Daches
Getäfel." Da brachen seine Begleiter in Gelächter aus, denn
sie verstanden nicht, daß er Huflattich, Hahnenkamm und
Schilfrohr meinte und unter listiger Verhüllung die Wahr-
heit sprach. Die Maid aber leugnete, daß er solches mit ihr
getrieben habe. Ihr schenkten die Begleiter Glauben, denn
niemand von ihnen war Zeuge des Geschehenen gewesen.
So hatte auch diese List nicht vermocht, den versteckten
Riegel zu öffnen, der den Sinn des Jünglings verschloß. Da
riet ein Freund des Fengi, der sich klüger dünkte als die
anderen, die ungreifbare Klugheit und den viel verschlungenen
Witz eines so beharrlichen Jünglings auf schwierigere Proben
zu stellen, denn allzu leicht seien ihm die gebräuchlichen
Schliche. Während der König sich vom Hofe entferne, solle
man Amleth mit seiner Mutter allein lassen, insgeheim aber
solle jemand das Gespräch belauschen, wenn sie sich ohne
Beobachtung wähnten. Denn ohne Furcht werde der Sohn
vor der Mutter seinen gesunden Sinn zu erkennen geben,
wenn solcher irgend in ihm sei. Der den Vorschlag riet,
führte ihn auch aus. Als sich der König entfernt hatte, ver-
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steckte er sich im Gemach, worin Amleth mit der Mutter
zusammenkommen sollte, unter dem Lagerstroh. Amleth
aber, der Lauscherohren fürchtete, griff anfangs zu seiner
gewöhnlichen Narrheit: er krähte wie ein Hahn und schlug
mit den Armen, als seien es Flügel. Dann sprang er auf das
Stroh, um zu entdecken, ob sich etwas darunter verberge.
Und als er unter den Füßen einen Körper spürte, stieß er sein
Schwert hinein, zog den Lauscher aus dem Versteck und
schlug ihn nieder. Den Leichnam zerstückelte und sott er
und warf ihn den Schweinen vor.
Die Mutter bejammerte laut den verdunkelten Geist ihres
Sohnes. Amleth aber sprach zu ihr: „Was suchst du, Ver-
worfene, mit heuchlerischem Jammern deinen Frevel zu ver-
decken? Du hegst gleich einer Dirne den Mörder deines
Herrn am Busen. Den Tieren gleich hast du deines ersten
Mannes vergessen. Ich schütze mit meinem Wahnwitz mein
Leben vor der wütenden Grausamkeit dessen, der meinen
Vater erschlug. In meinem Herzen aber lebt unauslöschlich
der Wunsch nach Rache für meinen Vater. Klage du lieber
über deine Schande als über meinen Wahnsinn. Doch denke
daran zu schweigen." Durch solchen Tadel führte er die
Mutter zu ihrer Pflicht zurück und lehrte sie, die alte Treue
den neuen Verlockungen vorzuziehen.
Als Fengi heimkehrte, fand er den Lauscher nirgends. Da
niemand etwas um sein Verschwinden wußte, fragte man
endlich spottend auch Amleth, ob er von ihm wisse. Er er-
widerte, jener sei von den Schweinen gefressen worden. Die
Wahrheit dieser Antwort blieb den Fragern verborgen.
Fengi aber, der bei seinem Stiefsohn dennoch einen ver-
steckten Anschlag fürchtete, wollte ihn heimlich aus dem
Wege räumen und die Tat durch einen anderen ausführen
lassen. Er sandte Amleth zum Könige von England und
gab ihm zwei seiner Edlen mit, die führten Runenstäbe bei
sich, auf denen der König gebeten wurde, den übersandten
Jüngling zu töten. Beim Scheiden sagte Amleth seiner Mutter
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insgeheim, er werde nach einem Jahre wiederkehren. Zu
dieser Zeit befahl er ihr, sein Erbmahl zu richten und die
Halle innen mit geknoteten Behängen auszuschlagen. Auf der
Reise entdeckte Amleth die Runenstäbe, während seine Be-
gleiter schliefen. Er las den Auftrag, schabte die Runen von
den Stäben und ritzte neue ein. Dadurch änderte er den Auftrag
so, daß er das Todesurteil von sich auf die Gefährten wandte.
In England angelangt übergaben Amleths Begleiter dem
Könige die Runen: ihr eigenes Todesurteil. Der König
nahm sie freundlich auf und ehrte sie durch ein Festmahl.
Am folgenden Tage aber erfüllte er die Bitte des Fengi, mit
dem er durch lange Freundschaft verbunden war, indem er
die beiden Begleiter Amleths töten ließ. Dieser heuchelte
Zorn und Entrüstung über die Tat, als habe man an ihm
schweren Frevel verübt, daher zahlte ihm der König für die
Getöteten Wergeid. Amleth schmolz das Gold im Feuer
und goß es heimlich in ausgehöhlte Stöcke.
Nach Jahresfrist kehrte er nach Jütland heim, ohne von
den Reichtümern des Königs etwas anderes mitzunehmen
als die goldbergenden Stäbe. In der Heimat legte er das
königliche Gebaren, das er am englischen Hof zur Schau
getragen hatte, ab und nahm seine alten närrischen Gewohn-
heiten wieder an. Als er schmutzbedeckt in die Halle trat,
in der man eben sein Erbmahl trank, saßen die Mannen vor
Schrecken starr, denn ein Gerücht hatte seinen Tod gemeldet.
Schließlich löste sich das Grausen in Lachen darüber, daß der
lebendig vor ihnen stehe, dessen Erbmahl sie feierten. Als
man ihn nach seinen Gefährten fragte, wies er seine Stäbe
und sprach: „Das ist der eine und das ist der andere,* 1 denn
sie enthielten ja das Wergeid für die erschlagenen Männer.
Amleth gesellte sich nun zu den Schenken und half ihnen
eifrig die Becher füllen, damit er die Heiterkeit der Gäste
mehre. Er gürtete sich mit dem Schwert, daß sein weites
Gewand ihm den Schritt nicht hemme. Oft zog er es aus der
Scheide und verletzte sich wie aus törichtem Ungeschick die
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Hände, bis die Umstehenden ihm Schwert und Scheide mit
einem Nagel durchschlugen. Vom Rausch überwältigt, sanken
endlich die Mannen in der Halle in Schlaf. Da glaubte Amleth
die Zeit für sein Werk gekommen. Er nahm die einstmals
gefertigten hölzernen Klammern, die er sorglich aufbewahrt
hatte, trat in die Halle, wo die Mannen des Königs rings auf
den Boden gestreckt ihren Rausch verschliefen, durchschnitt
die Halter des von der Mutter angefertigten Behanges, der
die Hallenwände bekleidete, und ließ ihn herabfallen. Er
warf ihn über die Trunkenen und nestelte ihn mit seinen
krummen Widerhaken kunstvoll so unentwirrbar zusammen,
daß niemand der Ruhenden sich zu erheben vermochte. Dann
warf er Feuer auf das Dach der Halle, und schnell hüllte die
Lohe das ganze Haus ein und verzehrte alle, die in tiefem
Schlafe lagen oder erwachend vergeblich versuchten sich aus
dem Netz zu entwirren. Dann ging er in das Gemach des
Fengi, der sich schon früher von dem Gefolge zurückgezogen
hatte, und vertauschte das Schwert, das am Bette hing, mit
seinem eigenen. Er weckte seinen Oheim und schrie ihm
zu: „Sieh wie deine ganze Gefolgschaft im Feuer vergeht!
Amleth ist da, bewaffnet mit seinen alten Haken, und brennt
vor Gier, die Rache am Mörder seines Vaters zu vollziehen."
Eilig sprang Fengi vom Lager, doch während er das fremde
Schwert vergeblich zu ziehen versuchte, traf ihn schon von
seinem eigenen Schwerte der Todesstreich.
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IX.
GAUTEN, SCHWEDEN, NORWEGER
53. KÖNIG REDEL UND SEINE SÖHNE
Uber das Volk der Gauten herrschte einst König Redel. Bei
ihm wuchs Beowulf auf, der berühmt ist durch seinen
Kampf mit Grendel am Dänenhofe und durch den Drachen-
kampf, in dem er den Tod fand.
Redel hatte drei Söhne: Herebald, Hädkyn und Hygelak.
Den Hädkyn traf böses Geschick: beim Schießen mit dem
Hornbogen tötete er, das Ziel fehlend, mit dem Pfeile seinen
Bruder und Freund. Kein Gold konnte die schreckliche Tat
sühnen noch das Leid löschen, das König Redel geschehen
war. Dennoch mußte ungerächt bleiben der Tod des jungen
Königssohnes: zu furchtbar deuchte der Gram den alten
Vater, daß sein eigner Sohn am Galgen reite, ohne Hilfe,
den Raben zur Weide im Winde schaukelnd. Schmerz ergriff
ihn, wenn er gedachte, wie nach des zweiten Sohnes Tod auch
in dessen Hof der Metsaal wüst und öde stehen werde, durch-
fegt von den Winden: denn verstummt ist der Lärm der Feste
im Hause, die Harfe schweigt und der frohe Jubel, wenn der
herrliche Held im Grabe schläft.
So schmerzvoll bedenkend, was ihn betraf, klagte Redel ein-
sam auf dem Lager sein Leid. Flur und Haus, alles schien
ihm weit und leer. Schweren Gram trug er um den getöteten
Sohn, und konnte doch den Totschlag nicht rächen, nicht ein-
mal hassen konnte er den Sohn, ob die Schuld gleich seine
Liebe brach.
Der grimme Zwiespalt kürzte sein Leben. Er schied aus
dem Licht, den Söhnen Land und Hochsitz lassend.
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54. DAS ENDE DER YNGLINGE
Über Schweden herrschte lange Zeit das Geschlecht der
Ynglinge. Es war von Yngwi-Frey entsprungen und hatte
seinen Sitz zu Upsala, der heiligen Opferstätte des Gottes. Dort
war auch das Thing aller Schweden. In langer Reihe saßen
die Ynglinge auf dem Upsalastuhl als Herren des ganzen
Schwedenreiches und vollbrachten manche berühmte Tat.
Als aber Ingjald, den die Nachwelt den Unheilstifter genannt
hat, den Upsalastuhl bestieg, hatten sich ringsum in den schwe-
dischen Harden Kleinkönige aufgeworfen, sieben an der Zahl,
die wollten die Herrschaft der Upsalakönige nicht anerkennen.
Ingjald war in seiner Jugend minder stark als seine Genossen.
Als das Swipdag der Blinde, sein Ziehvater, sah, gab er ihm
ein Wolfsherz zu essen, davon wurde er der grimmigste und
bösartigste der Menschen. Als nun König ömund, sein Vater,
gestorben war, beschloß Ingjald, den Upsalastuhl wieder zu
seinem alten Glänze zu erheben und die Kleinkönige zu ver-
nichten. Er richtete zu Upsala ein großes Gelage, um das
Erbmahl seines Vaters zu feiern und baute eine neue Halle,
nicht minder groß und prächtig als die berühmte hohe Halle
zu Upsala. Darin ließ er sieben Hochsitze errichten und nannte
sie den Saal der sieben Könige. Dann sandte er Boten durch
das Land und lud die Könige, Jarle und Edelleute zum Erb-
mahl. Sechs Könige folgten der Ladung und nahmen ihre
Hochsitze in der Halle ein, nur König Granmar von Söderman-
land war nicht erschienen, und sein Hochsitz blieb leer. Alle
Gäste, die gekommen waren, ließ Ingjald in die neue Halle ge-
leiten. Sein eigenes Gefolge aber und die Schar seiner Mannen
saßen in der alten Halle.
Dann tat Ingjald, wie der alte Brauch es wollte, wenn man
das Erbmahl eines Fürsten feierte: er saß auf dem Schemel
vor dem Hochsitze, bis man das gewaltige Horn in die Halle
trug, das man den Bragibecher nennt. Er erhob sich, nahm
den Becher und tat das Gelübde, er wolle sein Reich nach
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jeder Himmelsrichtung noch einmal so groß machen oder
darüber sterben. Darauf trank er das Horn aus, wurde auf
den Hochsitz geführt, den einst sein Vater innegehabt hatte,
und damit war er der rechte Erbe seines Vaters geworden.
Als am Abend alle trunken waren, rief Ingjald die Söhne
des Swipdag und befahl ihnen, sich und ihr Gefolge zu wappnen
und zu tun, wie er ihnen zuvor gesagt hatte. Sie umstellten
die Halle der sieben Könige und zündeten sie an. Wem es
glückte, aus dem Feuer zu entrinnen, der wurde draußen er-
schlagen. So verbrannten die sechs Könige mit ihrem ganzen
Gefolge, und Ingjald unterwarf sich alle Königreiche, die sie
besessen hatten, und machte sie zinspflichtig.
Als Granmar von Södermanland erkannte, welchem Ge-
schick er entronnen war, und das Gelübde erfuhr, das Ingjald
beim Bragibecher getan hatte, fürchtete auch er seinen Unter-
gang. Er verband sich daher mit Hjörward, einem mächtigen
Seekönige, vermählte ihm seine Tochter und versprach ihm
für seine Hilfe nach seinem Tode sein ganzes Reich. Wirklich
sammelte Ingjald noch im selben Herbst ein Heer, um Granmar
zu bekriegen. Aus allen sechs Königreichen hatte er die
Mannen zusammengerufen, und als er mit seinem mächtigen
Heere in Södermanland einbrach, kam es zur Schlacht. Doch
die Häuptlinge und Mannen aus den Landen, deren Könige
Ingjald verräterisch getötet hatte, flohen, obwohl sie in der
Überzahl waren, und eilten zu den Schiffen, und der König,
von seinem Heere verlassen, rettete sich mit Mühe und schwer
verwundet auf sein Schiff. Bald darauf schloß er mit Granmar
Frieden und besiegelte den Vertrag mit Eiden.
Als aber im Herbst König Granmar mit seinem Eidam zum
Gastgelage auf einem seiner Höfe weilte, überfiel ihn Ingjald
in dunkler Nacht mit seinem Heer, umringte das Haus und
verbrannte ihn darin mit seinem ganzen Gefolge. Er besetzte
sein Reich, und nun war ganz Schweden wieder dem Upsala-
stuhl unterworfen. Ob dieser Taten aber hieß er seitdem im
Lande der Unheilstifter.
304
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I
Ingjald hatte eine Tochter mit Namen Osa. Die vermählte
er mit König Gudröd von Schonen. Sie hatte die Sinnesart des
Vaters und stiftete nichts denn Böses. So bewirkte sie, daß Gudröd
seinen Bruder Halfdan erschlug. Dann riet sie auch ihrem
Gatten den Tod und floh zu ihrem Vater nach Schweden.
Iwar aber, des erschlagenen Halfdan Sohn, zog mit Heeres-
macht wider Schweden. Ingjald saß beim Gelage, als er
den Einfall Iwars erfuhr, und hatte keine Streitmacht bei sich,
die Feinde zu bestehen. Die Flucht aber war ihm nach allen
Seiten verlegt. Da folgte er dem Rat seiner Tochter: er machte
alles Volk tottrunken und zündete selber die Halle an. So kam
er mit allem Gesinde im Feuer um.
Seit dieser Zeit saß kein Yngling mehr auf dem Stuhl zu Upsala.
TYRFINGSAGEN
SS. DER KAMPF AUF SAMSÖ
Arngrim hieß ein gewaltiger Kämpe und Berserker. Der
wohnte zu Bolm in Schweden. Einst hatte er im Kampfe das
Schwert Tyrfing gewonnen: das war ein herrliches Siegschwert.
Zwerge hatten es geschmiedet, doch mit dem Fluche belegt, daß ein
Mann ihm zum Opfer fallen mußte, so oft es aus der Scheide fuhr.
Arngrim hatte zwölf Söhne, die waren gleich ihm gewaltige
Berserker, der älteste aber, Angantyr, hatte zweier Männer
Stärke. Früh gingen sie auf Kriegszüge und bald vermochte
ihnen niemand mehr zu widerstehen. Alle hatten von ihrem
Vater kostbare Schwerter erhalten, Angantyr aber empfing
Tyrfing, das Siegschwert.
Einst, als man zu Bolm das Julfest beim Gelage feierte,
hüben die Söhne an, beim Bragibecher Gelübde zu tun. Und
Hjörward, einer der Arngrimsöhne, gelobte, er wolle die Jung-
frau Ingebjörg gewinnen, des Schwedenkönigs Yngwi Tochter
zu Upsala, die schönste und verständigste von allen Frauen
in den Nordlanden — sie und keine andere wollte er zu eigen,
oder im Kampfe um sie fallen.
20 Wolters u. Petersen, Heldensagen.
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Als der Frühling kam, machten sich alle zwölf Brüder nach
Upsala auf. Sie traten in die Königshalle und fanden Inge-
björg an König Yngwis Seite sitzen. Hjörward sagte dem
König sein Gelübde und bat ihn, schnell zu antworten. Wäh-
rend Yngwi, von seinen Mannen umgeben, auf Antwort sann—
denn wohl kannte er den Todesmut und Ruhm der Brüder —
trat vor den Tisch des Königs Hjalmar, der Heldenherzige ge-
nannt, und rief : „Gedenke, Herr, wie viel Ruhm ich dir erwarb,
seit ich in dein Land kam, und wie oft ich für dich mein Leben
gewagt habe, um dein Reich und deinen Reichtum zu vergrößern.
Darum bitte ich dich: gib mir deine Tochter zum Weibe. Denn
ich dünke mir würdiger sie zu empfangen, als diese Berserker,
von denen der Ruf nichts denn Frevel kündet." In schweren
Gedanken saß der König, voll Sorge, daß seine Antwort Unheil
wirke. Endlich sprach er: „Beide seid ihr große und edle
Männer. Drum ist mein Wille, daß Ingebjörg selbst küre, wer
ihr Herr sein soll." — „So will ich den zum Manne," sprach
Ingebjörg, „dessen edlen Sinn ich seit langem kenne, aber keinen,
von dem ich nichts kenne, als so schlimmen Ruf, wie er von den
Arngrimsöhnen umgeht." Da sprach Angantyr, der gewaltigste
der zwölf Arngrimsöhne: „Ich sehe wohl, daß du ihn liebst.
Du aber, Hjalmar, triff mich zum Holmgang südwärts auf Samsö
und sei jedermanns Neiding, wenn du zum Mittsommer nicht
kommst oder die Jungfrau freist, ehe der Zweikampf ent-
schieden hat." Hjalmar versprach, nicht zu zaudern.
Heim fuhren die Arngrimsöhne und erzählten dem Vater,
was ihnen die Fahrt gebracht hatte. „Nie vor diesem fürchtete
ich für euch", sprach Arngrim, „denn furchtbar ist Hjalmar
an eiserner Kraft."
Diesen Winter blieben die Berserker daheim. Im Frühling
aber brachen sie auf und richteten die Fahrt nach Samsö.
Als sie zur Insel kamen und in der Bucht Munarwag ihre
Schiffe bergen wollten, fanden sie dort am anderen Ufer der
Bucht Hjalmars Schiffe. Der Held selbst war mit seinem ver-
trauten Genossen, Örwar-Odd, dem Weitfahr, auf die Insel
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gegangen, zu spähen, ob seine Feinde noch nicht angelangt
seien. Er hatte seine zwei Schiffe, jedes mit einhundert Krie-
gern, am Strande zurückgelassen. Als aber die Arngrimsöhne
die Schiffe ihrer Feinde erkannten, packte sie der Berserkerzorn.
Sie fielen die Besatzung an, die sich tapfer wehrte, und machten
nach heftigem Kampfe alle, die auf den Schiffen waren, nieder.
Als die beiden Helden auf der Insel die schrecklichen Stim-
men der Berserker hörten, stiegen sie zum Strande hinab und
erkannten, was geschehen war. Da sprach Odd: „Männer
sehe ich schreiten von Munarwag, nach Kampf lechzend,
graubehemdet. Die Wilden haben den Streit erhoben, leer
liegen unsere Schiffe am Strand." Und Hjalmar sprach:
„Mächtige Kämpen fahren her von den Heerschiffen, zwölf
sind sie, die zuchtlosen. Bange Ahnung ergreift mich heute
zum erstenmal, da ich sie brüllend zur Insel steigen sehe.
Zwei werden heute abend Odins Gäste sein, Blutsbrüder, zwölf
aber werden leben." — „Nein, weichen wir nicht den Kampf-
bäumen", sprach Odd, „mag noch so schrecklich ihre Zahl uns
dünken. Sie werden heute abend Odins Gäste sein, die zwölf Ber-
serker, wir zwei aber leben." Sie sahen Tyrfing in Angantyrs
Händen leuchten gleich den Strahlen der Sonne. Da fragte Hjal-
mar den Odd: „Willst du mit Angantyr kämpfen, oder mit seinen
elf Brüdern?" Odd wählte Angantyr, denn der war der gefähr-
lichste Gegner, doch Hjalmar sprach: „In welchem Kampfe
gingst du mir je voran ? Du willst mich an Heldenmut übertreffen.
Doch bin ich das Haupt in diesem Holmgang, darum gilt mein
Wort. Anderes gelobte ich der Königstochter, als daß mir jemand
im Streit vorangehen solle. Ich will mit Angantyr streiten."
Als sie mit den Berserkern zusammentrafen, rief Angantyr:
„Harte Kämpen kamt ihr her, mutvolle Helden in hölzernen
Meerschiffen. Von unserer Hand fielen all eure Gefährten. Leer
liegen eure Schiffe am Strande." Und Odd erwiderte: „Wilde
Kämpen seid ihr gekommen, zuchtlose, zwölf an der Zahl.
Einer wider Einen soll zum Kampfe schreiten, Held wider Held,
wenn Mut ihn beseelt."
20*
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Dann gingen Hjalmar und Angantyr mit geschwungenem
Schwert aufeinander los, und beide wiesen sich den Weg nach
Walhall. Odd aber ging mit den elf Berserkern abseits und
focht mit ihnen allen nacheinander, und alle fielen von seiner
Hand, so wild und grimmig sie sich wehrten. Als alle seine
Gegner den Boden deckten, ging Odd zum Kampfplatz der
beiden. Er fand Angantyr von Hjalmars Hand gefällt, der
aber blutete aus sechzehn Wunden. Odd sprach zu ihm:
„Hjalmar, Hjalmar! Dahin ist die Farbe. Von vielen Wunden
seh ich dich müd. Zerhauen dein Helm, die Brünne zerspellt:
dein Leben verrinnti" Und Hjalmar erwiderte: „Von Wunden
bin ich zerfleischt, meine Brünne zerschliß, umdunkelt sind
meine Augen, es schwankt mein Fuß. Zum Herzen schnitt
mir Angantyrs Schwert, der scharfe Blutzweig, in Gift gehärtet.
Aber nie vernehmen daheim die Frauen, daß ich mich ängst-
lich vor Hieben barg, und nie soll zu Sigtunir eine verständige
Maid von mir sagen, daß ich im Kampfe wich. Geschwellt von
Sehnen zog ich von den Blühenden, Schönen, mit Odd ins
Weite. Schnell fuhr ich von dannen, von Freunden umgeben,
zum letztenmal schied ich von lieben Genossen. Mir gab Geleit
die schimmernde Königsmaid bis hinaus auf Agnafits Strand.
Das Wort war das wahrste, das sie zu mir sprach: ,Nie wirst
du mir wiederkehren*. Ich schied von der jungen Ingebjörg —
schnell war die Trennung — am Schicksalstage. Trauer wird
sie überwältigen, daß wir uns niemals wiedersehen.
„Fünf Höfe besaß ich daheim, doch nie genoß ich sie in
Frieden. Nun muß ich liegen, des Lebens beraubt auf Samsö,
vom Schwerte durchbohrt. Du trage zum Zeichen — so will
ich es — Helm und Brünne zur Königshalle. Der Sinn wird
dem Fürstenkinde schwinden, sieht sie zerhauen die Brust der
Brünne. Zieh mir den roten Ring von der Hand und bring
ihn der jungen Ingebjörg. Jammer wird ihr Herz erfüllen,
daß wir uns niemals wiedersehen. Die Schar seh ich sitzen
zu Sigtunir, die ungern jüngst mich fahren ließ. Nie wieder
freut sich im Königssaal Hjalmar mit den Helden am Methorn.
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Mit den Fürsten trinkt die Schar der Jarle fröhlich Met zu Up-
sala, dort überwältigt manchen der Met, mich martert auf dem
Eiland des Eisens Spur. Südenab streicht der Rabe vom Baum.
Ihm nach streicht eilig der Adler. Letzte Atzung biete ich ihm
heute, die mag er schlürfen in meinem Blut. 4 4
Nach diesen Worten starb Hjalmar. Da trug Odd die toten
Arngrimsöhne zusammen und schichtete um sie und ihre
Waffen einen Hügel. Dann trug er Hjalmar auf dem Rücken
zum Meere hinab und legte ihn auf dem Strande nieder. Alle
Mannen, die von den Berserkern auf den Schiffen gefällt wor-
den waren, bettete er in einem anderen Hügel, der noch heute
weithin den Seefahrern sichtbar am Strande aufragt. Als er
dies Werk vollbracht hatte, trug er seines Freundes Leichnam
ins Schiff und segelte mit ihm heim nach Schweden. Vor der
Halle legte er ihn nieder, trat hinein und legte Brünne und Helm
des Gefällten vor dem Hochsitz des Königs auf den Estrich nieder.
Dann berichtete er den Verlauf des Kampfes. Er trat zu Inge-
björg und sprach: ,,Nimm diesen Ring, den sandte dir Hjalmar
an seinem Schicksalstag. 11 Sie nahm den Ring, erwiderte nichts
und sank tot in den Sessel zurück. Da lachte Odd gellend auf
und rief: „Nun sollen doch im Tode die einander besitzen, denen
im Leben das Schicksal es wehrte." Er nahm Ingebjörgs Leib,
trug ihn hinaus, wo Hjalmar lag und legte sie ihm in die Arme.
Der König aber ließ einen hohen Hügel wölben, dahinein
wurden Hjalmar und Ingebjörg zusammen gebettet.
56. WIE HERWÖR DAS SCHWERT TYRFING GEWANN
Bevor Angantyr mit seinen Brüdern zum Kampf auf Samsö
zog, hatte er sich mit Swafa, der Tochter des Jarls Bjartmar,
vermählt. Als Swafa den Tod des Angantyr erfuhr, ging sie
mit einem Kinde, und bald gebar sie eine Tochter, die den
Namen Herwör empfing. Das Kind war stark und schön, und
Bjartmar sprach: „Nun wird sich zeigen, daß die Arngrim-
söhne nicht ganz dahin sind."
Als Herwör heranwuchs, wurde sie stark wie ein Jüngling.
Wolters u. Petersen, Heldensagen. ^OQ
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Sie gewöhnte sich an Schild und Speer und bewies gewalt-
tätigen und ungebändigten Sinn. Sie ließ sich Männerkleidung
fertigen, verließ den Hof ihrer Sippe und begab sich zu einer
Wikingerschar. Auf ihren Zügen bewies sie solche Kühnheit
und Stärke, daß die Wikinger sie zu ihrem Häuptling wählten.
Sie nannte sich Herward.
Einst kam Herwör mit ihren Schiffen nach Samsö. Sie wollte
mit ihrer Mannschaft ans Land gehen und sagte, reiche Schätze
seien in den Grabhügeln verborgen, die von der Insel aufragten.
Doch niemand von der Schiffsmannschaft wollte sie begleiten.
Sie sprachen, das Eiland sei von grausigen Wiedergängern
bevölkert, und schlimmer sei es dort bei Tage als bei anderen
Grabstätten zu nächtlicher Weile. Da ruderte Herwör, wäh-
rend die Schiffe über Nacht in der Bucht ankerten, allein in
einem Boot zur Insel und landete in Munarwag bei sinkender
Sonne. Sie fand einen Hirten, der rief ihr zu: „Wer bist du,
der einsam zur Insel kam? Schnell eile der Herberge zu!"
Herwör sprach: „Nicht will ich zur Herberge eilen, und ich
kenne nicht das Volk der Insel. Hurtig melde mir, ehe du
entfliehst: wo liegen Hjörwards Grabhügel?" Der Hirt ant-
wortete: ,,Das frage nicht, unklug bist du, junger Wikingl
Schlimmen Weg fuhrst du. Laß uns enteilen, so schnell uns
die Füße tragen, aller Schrecken geht um auf nächtlichen
Pfaden." Herwör sprach: „Kleinode biete ich, wenn du mir
Rede stehst. Den schreckt man nicht so leicht, der im Kampfe
erprobt ward, nicht reiche Schätze noch rote Ringe bringen
mich ab von meiner Fahrt." Doch der Hirt sprach: „Mit
Wahnsinn dünkt mich der Mann geschlagen, der einsam her-
fuhr zu nächtigen Geistern. Es hüpfen die Hügelfeuer, die
Gräber stehen offen, es brennen Feld und Sumpf — laß uns
eilen." — „Mag auch die ganze Insel im Feuer brennen: ich
erbleiche nicht vor solchem Schnauben. Tote Recken sollen
mich nicht vertreiben. Mich verlangt, mit ihnen zu reden."
Da enteilte der Hirt zu seiner Hütte, Herwör aber sah auf
der Insel die Hügelfeuer brennen, furchtlos nahte sie den
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Grabhügeln, die flammend lohten. Sie schritt dahin wie durch
lohenden Nebel, bis sie zu den Hügeln der Berserker kam.
Dann rief sie: „Erwache Angantyr! Dich weckt Herwör, deiner
Swafa einziges Kind. Gib mir aus dem Hügel das beißende
Schwert, das einst die Zwerge künstlich schlugen. Hjörward!
Herward! Rani! Angantyr! Euch alle rufe ich auf unter den
Wurzeln des Waldes, mit Helm und Brünne und scharfem
Schwert, mit beschlagenem Schild und rotem Schaft. Seid
ihr denn alle, Arngrims Söhne, meintätige Helden, zu Moder
geworden, da keiner von euch allen mir Rede steht zu Munar-
wag? Euch alle soll im Busen Verwesung zernagen, als
modertet ihr im Ameisenhügel, gebt ihr mir nicht das Schwert
zurück, das Dwalin der Zwerg einst schmiedete! Dem Wieder-
gänger ziemt nicht kostbarer Waffen Besitz." Da rief Angan-
tyr: „Herwör, Tochter, was rufst du? Zu schlimmem Geschick
führte dein Weg dich her. Betört bist du und wirren Sinns,
wild ist dein Mut, da du tote Kämpen weckst. Mich umhügelte
nicht Vater noch Freund. Tyrfing umschließt mein Grabmal
nicht. Das Schwert nahmen hinweg die zwei, die am Leben
blieben. Einer von ihnen besitzt es seither." Herwör erwiderte:
„Sprich mir die Wahrheit, dann lasse der Ase dich heil im
Grabe, wenn es Tyrfing nicht birgt, wenn du nicht das scharfe
Schwert deiner einzigen Erbin vorenthältst." Und Angantyr
sprach: „Das Heitor ist gesunken, die Hügel stehen offen zur
unteren Welt, und lohendes Feuer entfährt ihrem Grunde. Der
Inselrand steht rings in Flammen, gefährlich ist es, draußen
zu weilen! Eile, Maid, wenn du noch vermagst, eile zu deinen
Schiffen!" Sie sprach: „Nicht schrecken mich eure nächtigen
Feuerbrände. Das Herz erbebt der Jungfrau nicht, sieht sie
gleich Tote am Tore des Hügels stehen." Angantyr sprach;
„Nicht dünkst du mir, Jungfrau, menschengleich, die du nächt-
lich die Hügel umschweifst mit geschnitztem Speer und goti-
schem Schwert, mit Helm und Brünne vor dem Tor der Halle." —
„Menschlicher Kämpe dünkte ich mich sonst", sprach Herwör,
„bis ich eure Säle besuchte. Du gib aus dem Hügel mir das
Schwert, den Brünnenhasser, Hjalmars Mörder." Und Angan-
tyr: „Unter den Schultern liegt mir Hjalmars Mörder, ganz
ist er in Feuer gehüllt. Keine Jungfrau weiß ich über der Erde,
die ihn mit den Händen zu fassen sich traute." Doch Herwör
sprach: „Mit den Händen will ich das Schwert ergreifen. Ich
scheue kein Feuer, es legt sich die Flamme, die mein Blick
umfängt." Und Angantyr: „Ich sage dir, Herwör, und du
lausche meinem Worte, weise Tochter, was künftig sein wird:
Tyrfing wird — glaub meinem Wort — einst dein ganzes Ge-
schlecht vertilgen." Wieder sprach Herwör: „So verfeme ich euch,
ihr toten Kämpen: ewig liegt tot bei Wiedergängern in modern-
dem Hügel, wenn du nicht, Angantyr, aus dem Hügel mir gibst
das Gewirk der Zwerge." Da rief Angantyr: „So will ich es denn
nicht länger weigern! Hier nimm aus dem Hügel das Schwert."
Als Tyrfing in Herwörs Hand lag, sprach sie: „Wohl tatest
du, Wikingersproß, daß du das Schwert mir aus dem Hügel
gabst. Mich dünkt, mit ihm gewann ich bessere Habe, als
wäre mir ganz Norwegen eigen geworden." — „Verblendet
bist du, sinnloses Weib", sprach Angantyr, „da solches Unheil
dein Wunsch begehrt. Tyrfing wird — glaub meinem Wort —
einst dein ganzes Geschlecht vertilgen."
Dann sprach Herwör: „Zu den Schaumpflügern will ich nun
hinab. Fröhlich ist der Sinn der Fürstenmaid. Keine Sorge soll mir
wecken, wie einst meine Söhne sich um das Erbe entzweien."
Und Angantyr erwiderte: „So magst du ihn haben und lange
seiner dich freuen. Halt in der Scheide Hjalmars Töter! Nie
berühre die Schneiden: in Gift sind sie gehärtet. Schlimmes Ver-
derben bringt das Schwert. Einen Sohn wirst du gebären, der
wird künftig Tyrfing tragen. Ihn werden die Mannen Heidrek
nennen, der mächtigste Fürst wird er sein unterm Zelt des Him-
mels. — Leb wohl, Tochter, gern gäb ich dir die Kraft von zwölf
Männern, Stärke und Kühnheit, den stolzen Besitz der Arngrim-
söhne." Herwör wandte, sich und sprach: „So wohnt denn alle
heil im Hügel. Mich drängt es von hinnen. Mir schien, ich weile
am Rande des Weltrunds, als die Glut mich umflammte.*'
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57- KÖNIG HALFS ENDE
König Hjörleif herrschte über Hördaland in Norwegen. Als
er nach vielen kühnen Kriegszügen auf einer Wikingerfahrt
gefallen war, vermählte sich die Königin, Hilde die Schlanke,
mit dem Seekönige Asmund. Hjörleifs Sohn Half aber begab
sich, fast noch ein Knabe, mit einer erlesenen Kämpenschar
auf Seefahrten. Lange Jahre führte er ein Wikingerleben und
war immer siegreich.
Endlich beschloß er, in sein Reich heimzukehren, das As-
mund, sein Stiefvater, während seiner Züge beherrscht hatte.
Als er nach Hördaland kam, zog ihm Asmund entgegen, unter-
warf sich ihm, schwur ihm Treueide und lud ihn mit der Hälfte
seiner Mannen zum Gelage in die Königshalle.
Am anderen Morgen befahl Half der Hälfte seiner Kämpen,
bei den Schiffen zu bleiben, während er mit der anderen Hälfte
der Ladung folge. Innstein aber, unter den Halfskriegern
der kühnste und mächtigste, sprach: „Gehen wir alle zur Halle
hinauf von den Schiffen, weihen wir dem Feuer die Schar der
Männer, töten wir des Asmund Gefolgschaft". Doch Half
sprach: „Nein, friedlich will ich mit der Hälfte der Mannen
vom Strande zur Halle gehen. Asmund bot uns rote Ringe,
die wollen wir gewinnen." Innstein aber erwiderte: „Nicht
weißt du, König, Asmunds Sinn, Verrat birgt der Fürst in der
Brust. Wenig würdest du ihm trauen, hörtest du unseren
Rat." Darauf der König: „Manchen Treueid schwur uns
Asmund, das wissen die Mannen. Kein edler Fürst bricht die
Verträge, kein Fürst trügt den anderen, ist Friede gelobt."
Doch Innstein sprach: „Dir ist Odin gram geworden, da du
Asmund so sehr vertraust. Sein Trug wird uns alle vernichten,
wenn du nicht Vorsicht walten läßt." Half erwiderte: „Immer
gelüstet dich, ängstlich zu warnen. Nie wird der König Ver-
träge brechen. Gold und Kleinode winken uns, goldene Ringe
aus seinem Schatz." Und Innstein: „Mir träumte, König,
— bedenke dies — daß die Flamme über unseren Mannen
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leckte. Schwerlich werden wir daraus entkommen. Wie deu-
test du diesen Traum?" — „Ich gebe jedem der kühnen Ge-
nossen, die mir folgen", sprach Half, „einen goldroten Helm,
dann wird es scheinen, als umbrenne die Lohe das Haupthaar *
der Königsmannen." Doch Innstein beharrte: „Noch eines
träumte mir: mir schien, daß Feuer auf der Kämpen Schultern
schwebte. Nicht dünkt mich, daß dies Gutes bedeute. Wie
deutest du diesen Traum?" — „Goldene Brünnen", sprach
Half, „umblinken die Schultern der Mannen, die sich zum
Keile ordnen, des Königs Gefolgschaft. Das wird scheinen,
als ob Lohe die Schultern der Königsgenossen umbrenne."
Wieder sprach Innstein: „Zum dritten träumte mir: in des
Meeres Tiefe wären wir versunken. Großes Geschick steht
uns bevor. Wie deutest du diesen Traum?" — „Genug der
Narrheit ist nun geredet", rief Half, „keine Deutung suche ich
mehr. Hör auf, mein Ohr mit deinen Träumen zu füllen." »
Als sich der König unwillig vom Gestade zum Lande wandte,
rief Innstein seinen Genossen zu: „Hört mich, ihr Mannen im
Königsgefolge, ihr, Rok der Schwarze und Rok der Weiße,
und du, Utstein: gehen wir alle vom Strande hinauf, achten wir
nicht des Königs Befehl! " Doch Utstein, sein Bruder, sprach:
„Wir wollen den König in der Heerschar unsere Züge lenken
lassen. Wenn er es will, Bruder, setzen wir unser Leben mit
dem kühnsten Führer aufs Spiel." Da ließ Innstein ab und
sprach: „Oft folgte auf unserer Heerfahrt der Herrscher meinem
Rate. Nun dünkt mich, seit wir hierher kamen, mag er meinem
Wort nicht mehr lauschen."
König Half zog mit der Hälfte der Mannen zur Halle hinauf.
Utstein aber blieb mit der anderen Hälfte am Strande. Viel
Volk trafen Asmunds Gäste, und reich war das Mahl. Nach
schwerem Trunk entschliefen die Halfsrecken. Da legten
Asmund und sein Gefolge Feuer an die Halle. Innstein er-
wachte zuerst und rief: „Qualm umhüllt die Edelfalken in der
Halle, mich dünkt, das Wachs träufelt von den Schwertern.
Hohe Zeit ists nun, Gold und Kleinod, Zeit auch, die Helme
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I
den Halfsrecken zu spenden. Nicht klein ist das Feuer, das
uns umbrandet. Erwache, König Half! Jetzt hast du, Gaben-
spender, deinem grimmgesinnten Stiefvater Gaben zu vergelten.
Möchte es uns gelingen, den Giebel der Halle zu durchbrechen!
Schon knicken die Pfosten. Ewig, solange die Erde steht, wird
man der Fahrt der Halfsrecken zu König Asmund gedenken.
Brechen wir mutig vor und weichen wir nicht! Weisen wir
im Schwertkampf unsere Kraft. Blutige Wunden soll die
Schar der Feinde davontragen, ehe der Kampf verebbt. Schnell,
rüstige Krieger, eilt mit dem Herrn aus dem Feuer. Keines
Mannes Leben kann ewig währen, seht, nicht fürchtet den
Tod der Ringespender."
Als sie die Giebelwand gesprengt hatten und aus der lodern-
den Halle hervorgebrochen waren, rief Innstein: „Hier sehe
ich alle an Mut wetteifernd dem einen folgen, dem Edelings-
sproß. Mögen wir uns glücklich wiederfinden nach unserem
Heimgang! So leicht wie das Leben ist auch der Tod!"
In tapferem Kampfe fiel Half mit all seinen Mannen. Bis
die Nacht herabsank währte das Streiten. Da war nur Innstein
noch am Leben. Er sprach: „Rok ist gefallen mit dem Heer-
fürsten, es liegt der Held zu Füßen des Königs. Schlimme
Vergeltung schulden wir Odin, der solchen König des Sieges
beraubte. Achtzehn Sommer folgte ich dem Kühnen über
See, die Pfeile rötend. Keinem anderen kampffrohen Herrn
will ich mehr folgen, noch alternd dahinsiechen. Hier wird
Innstein zur Erde sinken, der weise Rater zu Häupten des
Heerkönigs. Von diesem Tage werden die Helden sagen,
daß König Half lachend verschied."
Das war König Halfs Ende. Zwei seiner Kämpen aber,
Rok der Schwarze und Utstein, waren dem Verderben ent-
ronnen. Sie sammelten neue Mannschaft, zogen im nächsten
Sommer nach Norwegen, fällten König Asmund und rächten
so den Tod ihres Herrn an dem Ungetreuen.
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WERKE VON
FRIEDRICH WOLTERS
a) Verlag der Blätter für die Kunst:
WANDEL UND GLAUBE, Berlin 1911
Übertragungen:
MINNELIEDER UND SPRÜCHE aus dem
12.— 14. Jahrhundert, Berlin 1909
HYMNEN UND SEQUENZEN aus den latei-
nischen Dichtern des 4. — 15. Jahrhunderts,
Berlin 1914
b) Werke der Wissenschaft aus dem
Kreise der Blätter für die Kunst im Verlag
Georg Bondi:
HERRSCHAFT UND DIENST, Berlin 1920
t
c) Werke der Schau und Forschung
aus dem Kreise der Blätter für die Kunst
im Verlag Ferdinand Hirt:
HELDENSAGEN DER GERMANISCHEN
FRÜHZEIT, Breslau 1922 (mit Carl Petersen)
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY
BERKELEY
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APRl 0 1953 ÜJ
LD 21-100m-7, , 52(A2528sl6)476
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Vs
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