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Full text of "Der Urquell"

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Der Urquell 




Verein für 



Verbreitung 
volkstiiümlich 




ftarbarti College l^ibraru 

. FROM TUE HKqj;EST OF 

JOHN AMORY LOWELL, 

(Olnsa of 181S). 

This fund is fao.ooo, and nf its incotne thrcc quarters 
sliiill be spent for books and onc quarter 
he added to Üic principal. 



Q 



DER URQUELL. 



Eine Monatschrift für Volkskunde 



Herausgegeben 



von 



Friedrich S. Krauss. 



Das V'ulkätum ist der V'ölker Jungbrunnen. 



Der neuen Folge Band II. Heft i und 2. 




BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI 

\ ormals 

E. J. BRILL 

LBIDBH — 1898. 



G. KRAMER Verlag 

in HAMBURG. 
St. Paalf , Thabtr. 94 , L 
1898. 



Redaction: Wien, österreicTi, VIT/2. "Nonstirtr:nsse i 



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V 



NOV 23 WÜl ) CTL.^l -U ) 




ves pour servir ä l'etude de l'histoire, des langiie«!, de la 
g^ographie de l'Asie Orientale (Chinaf Japou^ Coree, lodo-Chine, Asie Centrale 
et Malurie) r^dig^es par MM. Gttstftve Schlegel et Henri Cordier. Vol. 8. 
Nr. 4. E. J. Brill. Leide, 1897. (Some moot points in the Giles^Lockhart contxo- 

versv by G. Schlegel). 20 p. S**. 

Chrisman, Oscar: The Secrct Language of Children. (Geheime Sprachweisen). S. A. 
The North Western Monthly. Vol. VIII. N. 3. p. 187 — 193. Lincoln, Nebraska. 

(pvfir'htig). 

Jaworskij, Julian: Gromovyja strelki (Donnerkeile). 12 S. 8°. S. A. Kievskaja 
Starina 1897. 

OßopflHK'b aa napo4BU yMomoopeHUH, HayKa u KHUwuHua 1134. miihhciii. 

Ha HapoiHi» npocB., kh. XIV. L'orjxja 1897 (Sammelwerk f. bulg. Folkloce), Vl> 

732, 224 s. 4". Mit vielen Vollbildern. 

Memoir. Henry Phillips Jr. By Alb. H. Smyth. Philadelpliia 1897. to p. 8*. 

Detttaehe National-Litteratur. Histor.-krit. Ausg. hrg. v. J. Kiirschaex. Stuttg. 
1897. Union. Lieferung 861 — 874. Goethe's Werke hrg. v. A. C. Meyer und 
G. Witkowski. (B. 30). Ii. 36; von Dr. Rud. Steiner. Der Goltinger Dichter- 
bund hrg. V. A. Sauer. — Nachträge /u der D. Nat. Litt. v. P. Piper. (Aus- 

dicsei! Nnc^^ragen las.si sicli mancherlei für die Volkskunde gewinnen). 

Pield Columbian Museum. Vol. i. ü^. 1.: Archeological Studies among the ancient 
Cities of Mexico by William H. Holmes. Part II, Monnmoits of Chiapas, 
Oisaca and the valley of Mexico. Chicago U. S. A. 1897. p, 140 — 338. in 8^. 

WTisia. Warschau 1897. XI. 3: f>opacinski: Legende vom Rüsser, den der Satan 
2U 3 Sünden verleilet j Moszkow: Ein iutemat. Frauenkopfputz. Umfragen, wie 
immer, s^r ergiebig. 

Notes on the Mahäbhärata, with special rcference to Dahlmann's ,MähabliIrata\ by 

M. Wintr rnitz (Junrn of the Royal Asiatic Soc. 1897) p. 713 — 759. 

Ueber germanische Heilkunde von Dr. Max Höf 1er. 30 S. gr. 8^. (S. A.: Janus, 
Amsterdam 1897). 

Dia VOgel als Wetterpropheten, von Robert Eder. (S. A.: Die Schwalbe. XXI.' 

Wien 1897. 14 S. gr. 40.). 

Cava of Loltun, YUcatan by Edward U. Thompson. Memoirs of the Peabody 
Museum. Cambridge 1897. 24 S. Quartfolio, 20 Text* und Tafelbildern. 

Fourteenth Annual Report of the Bureau of Ethnology. In two Parts. I. Washington 

1896. LXI, 637; IL 653—1136. — Fifteenfh A. R. etc. 1897. CXXI, 366 p. fol. 

Zeitechrift für Kulturgeschichte, hrg. v. G. Steiuhausen, Weimar, E. F elber, 

1897. B. V. H. I. 9. 144 S. (Bringt regelmässig eine Bibliographie deutscher 
Folklore). 

Kataloge für Folklore. 

Fflhrer durch die Deutsch^Israelit., unterhaltende (schönwissenschafUiche) geschichtlich- 
belehrende, popular-religiosc und Jugeudschriftliteratur vom Beginn des 18. Jahrh. 
bis heute, zusammengestellt von H. Jacobsohu. 3. verb. Aufl. Breslau 1898. 
W. Jacobsohn & Co. XXIV. 28 S. 8». (Enthält viele Schriften über jüd. Volks- 
tum). (Preise recht bescheiden). — Blätter für Bücherfreunde. Verzeichnis anti- 
quarischer Bücher. . F r an z Felix Kosenberg, Wien VlI/l : Neubaugasse 72. 
S. 32. 8«. (Reisen, Mythologie). (Billig). — Antiqtiarlscher Catalog 227. Slavica. 
Sprachen, Lit. und Gesch. d. slav. Völker. O. H a r r a r, ^ o w i t z , Leipz. Querst. 14, 
1897. 66 S. 8«. mit 1679 Titeln. — Karl Th. Völcker's Verlag und Antiquariat, 
Frankfurt a. M. 1898. Katalog N. 214. Cultur- und Sittengeschichte, I15 S. 8% 
2850 Titel. (Preiswürd^). 



Insertionen - Beilagen. 

Es wird hiif^ich-t <n lieten , sich fiir Inserate und Beilagen nusschliesslich an 
die Buchh^dlung und Druckerei vormals E. J. BRILL in Leiden wenden zu wollen.- 



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Proben von chinesischer Folklore. 



Von Gttstav Schlegel. 

Es ist schon mancherlei über chinesische Folklore veröffentlicht, 
aber das Feld ist unerschöpflich und bei weitem nicht genügend 
berücksichtigt worden. Dr. N. B. Dennys, der in 1876 ein 156 
Seiten dickes Buch darüber veröffentlichte ') , sagte dann auch 
schliesslich: "In concluding these hasty sketches of the various 
departments of Chinese folk-lore, the writer cnnnot but express a 
Hope that each division of the subject will before long receive 
elucidation from competent pens.** 

Ein vollständiges Verzeichnis der über diesen Gegenstand ge- 
schriebenen "Reitrr\<.^<' findet man in H. Cord i er 's Bibliotheca 
Sinica, Spalte S55 — 857 und Spalte 1896. Seitdem habe ich auch 
selbst in den Melanges offerts au jubiU de Mgr. Ch. de Harles 
(Leiden, E. J. Brill, 1896) ein paar Proben unter dem Titel 
< Paralleles en Folklore» veröffentlicht. 

Herr Dennys behauptet in seinem Werke (S. 151), tlass es 
keine populäre Sammlung chinesischer Fabeln gäbe — zumindest, 
dass keiner der chinesischen Gelehrten, mit denen er in Berührung 
kam, solche kamitt ; aber dieser Ausspruch ist nicht <;anz richtig. 
Ich brauche z.B. nur an die von Stanisl as J u 1 i e n übersetzte 
Sammlung von Fabeln, Legenden und Gleichnissen zu erinnern, 
die aus Indischen Quellen herrühren und von Chinesen aus dem 
Sanskrit übersetzt sind , von welchen ich eini^^e näher beleuchtet 
habe^). Es giebt verschiedene derartii^e Sammlungen von chinesischen 
Fabeln, Legenden, Erzählun<^ea und Sagen Eine der reichhal- 
tigsten ist die unter dem Titel Tss puh yü (-^ ^) von Sui 
Yuen-hi veröffentlichte 1 die, laut der Vorrede, eine 



i) The Folk-Iorc of China und its afTinitios with that of the Aryan and Semitic 
races, by N. B. Deanys. London, TrübDer and Co., Hongkong, "China Mair' oiHce 1876. 

3)' Alt Tndiscbe FÄliehi in G«mumisc1iem und Chinesischem Gewände (Bijdr. T.-, 
L.- en Volkeukuiule vaii NeJerl. ImliÜ, Deel Vlll, 1884, Martinas Niilioff. 

3) Ein Verzeichnis findet &ich in Wylie's Notes ou Chinese Literatuie, S. 160 — 162. 



2 



neuere Ausgabe der jetzt verlorenen Sammlung des Tsi-hiai-ki 
(Wylie, Notes, S. 154) ist'). Das Buch trägt diesen merkwürdigen 
Titel, weil K'ong Fu-tsze nie vpn Wundern, Körperkraft, 
Anarchie oder Geistern gesprochen haf). Wylie führt das Buch 
nicht an, obgleich es in China allbekannt ist. 

Ich will heute aus dieser Sammlung einige Frohen mittheilen, 
und, möchten sie den Lesern des ^Urquells" gefallen, mehrere 
aus dieser und anderen i^leicharti*^en ubersetzen. Hemcrkt sei, dass 
sie mehr als 500 dergleichen Sap;^cn und Spukgeschichten enthält 
und für die Kenntnis der chincaischen Foik-lore von grosser 
Wichtigkeit ist. 

I 

S i!t 1» ^ 

Ein Prä-Adamit. 

Nach der Überlieferung rührt das Yin-tschin-Wdiz ( ^ ÖS 
im Dunkeln versunkenes Holz) von einem vorsintiluthlichen Baum 
her, der in den Sand und die Wellen versunken ist. Als nun die 
irsche Umwälzung stattfand» ist er nach vielen Aeonen wieder an 
der Oberfläche erschienen» und aus diesem Grunde fault das Holz 
auch in zehntausend Jahren nicht, wenn man es wieder in die 
Erde vergräbt. Seine Farbe ist dunkelgrün und seine Adern sehen 
aus wie gewobene Seide. Legt man ein Stück davon auf die 
Erde, so können auf mehr denn hundert Schritt Distanz die 
Flie den und Mucken nicht fliegen. 

Im 30^^" Jahre der Epoche K'ang-hi (A.D. 1691) stürzte der 
7^'/^7?-/':'7/-Berg ein , und es quillte aus dem Kies ein Sarg hervor 
von sehr eigenthumlicher Gestalt, vorne spitz zulaufend und hm- 
ten breit, und mehr als sechs Fuss hoch. Die Kenner sagten, es 
sei ein Sarg von Yin-tschin-WoXv. , der gewiss etwas Wunderbares 
enthalte. Man öffnete den Vordertheil und fand darin einen 
Mensclien, dessen Augenbrauen, Augen, Mund und Nase dieselbe 
Farbe hatten, wie die des Holzes, und dieselben Adern auf Armen 
und Beinen zeigte, wie die des Holzes, das auch nicht verwest 
war. Plötzlich öffnete er die Augen und starrte in die Luft, wo- 



^) '13 >tl 81 Ii$ ^ )9r ^ Vgl. die Gespräche des Meisters(Lun-yü), 

Buch Vllf Kap. XX. Legge, Chinese Clas&ics I, S. 65. 



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3 

rauf er frug: ,Was ist das Blaue dort?", und als man ihm ant- 
wortete, es wäre der Himmel, sagte er erschrocken : ^ Als ich früher 
auf der Welt war, war der Himmel nicht so hoch." Als er dies 
gesagt hatte, schluss er die Augen wieder. 

Man hob ihn eiligst auf, und alle Männer und Frauen in der 
ganzen vStadt liefen herbei, um den Prä-Adamitcn zu sehen. Plötz- 
lich jedoch erhob sich ein Sturm und der Mensch ward zu Stein. 
Der Sarg kam in den Besitz des Pracfecten der Stadt, der ihn dem 
Gouverneur anbot. Ich (sei. der Autor) vermuthe, dass dieser Mensch 
ein Individuum aus der Zeit gewesen ist, als in der Urzeit Himmel 
und Erde noch im chaotischen Zustande verkehrten. 

Im IVei-schu sagt man, dass nach zehntausend Jahren der Himmel 
ungefähr so hoch sein würde, wie eine Mörserkeule von Catalpa- 
Holz. Dieser Mensch nun sagte, dass (zu seiner Zeit) der Himmel 
nicht so hoch war. Mir däucht, dass dies glaubwürdig sei. 

II 

Ü % Ii 

Der grünhaarige Spuk. 

Im sechsten Jahre der Regierung Kien-long's (A. D. 1741) 

kam ein gewisser Tung Tschang-gan (K ^) aus Ifu-tsckeu 

nach der District-Stadt Dsui tsehing im Westen des Mok-'Betgts. 
In dieser Stadt war ein Ahnentempel, worin den drei Bildsäulen 
der (patriotischen Helden) Kuan-yü, Tschang-fe'i und Liu- 
pei ') geopfert wurde. 

Das Thor des Tempels war jedoch schon seit Jahren mit einem 
eisernen Schloss verschlossen und wurde nur einmal « gelegentlich 
des Lenz- und Herbstopfers, aufgeschlossen. Die Sage ging, dass 
sich darin ein Spuk befände , so dass selbst der Weihrauch opfernde 
Priester es nicht wagte, einen Tag darin zu verbringen. Eines 
Tages aber kam ein Schaf händler aus SckiH-si, der tausend Stück 
Schafe erstanden hatte, in die Stadt und sagte, er hätte da 
keinen Ort, wo er ausruhen könne, und bat, er möchte in dem 
Tempel übernachten. Die Einwohner öffneten ihm das Schloss und 
Hessen ihn ein, und s^ten ihm überdies die Ursache. Der Schaf- 
händler aber, im Vertrauen auf seine Körperstärke, sagte: ,Da5 
macht nichts aus,** worauf er das Thor öffnete und hineintrat. 



t) Vid. Mayers* Chinese Re*den Maanel N*. 397, 10 & 4>S- 



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4 



Seine Schafe lagerte er in den Galerien, nahm seinen Hirtenstab 
und eine Kerze und legte sich schlafen. Er war aber dennoch 
etwas beunruhigt, so dass er seine Augen bei der dritten Wache 
noch nicht geschlossen hatte. Plötzlich sah er unter dem Altar 
etwas hervorspringen. Der Schafhändler besah es beim Lichte 
seiner Kerze, und sah, dass das Ding sieben bis acht Fuss gross 
war, dass sein Kopf und Gesicht menschenähnlich war und dass 
seine beiden tiefschwarzen Augen leuchteten , und so gross waren, 
wie eine Wallnuss. Endlich , dass von seinem Nacken ab sein 
ganzer Körper mit grünen Haaren bedeckt war, die struppig wie 
ein Regenmantel hingen. 

Es näherte sich dem Schaf Händler , starrte ihn an und beschnüf- 
felte ihn. Mit seinen mit scharfen Nägeln versehenen beiden 
Krallen ging es gerade auf ihn los um ihn zu ergreifen. Der 
Schafhändler schlug mit seinem Stabe darauf, aber es that als ob 
es dies nicht spürte; es entriss ihm aber der Stab und biss darein, 
so dass er wie ein Stück zerrissener Seide entzweibrach. Der 
Schaf händler erschrak darauf so sehr , das er zum Tempel her- 
auseilte, vom Spuk verfolgt. Der Schaf händler erstieg darauf 
einen alten iiaum und kauerte in den höchsten Zweigen nieder. 
Der Spuk erspähte ihn zwar, konnte aber nicht hinaufkommen. 

So währte es nicht lange, bis es im Osten zu tagen begann und 
Leute den Weg entlang kamen. 

Der Schafhändler stieg also vom Baume herunter, um sich nach 
dem Spuk umzusehen ; dieser aber war verschwunden. Er erzählte 
den Leuten seine Erlebnisse und sie durchsuchten den Altar, woran 
nichts besonderes war, als dass in einer Ecke aus einer Steinspalte 
ein .schwarzer Dampf aufstieg. Niemand wagte es aber, sie zu er- 
weitern , sondern man theilte die Sache in einer Denkschrift dem 
Ma£?istrate mit. 

Der Unterpraefect der Stadt Dzui, T'ung-kung gab darauf 
Befehl, den Altar zu entfernen und darunter auszugraben. Als 
man nun mehr als zehn Fuss gegraben hatte, fand man einen ver- 
westen Sarg, worin ein Leiche lag, deren Kleider vollständig ver- 
zehrt waren, und deren Körper ganz mit grünen Haaren bewachsen 
war, genau sowie der .Schafhändler es gesehen hatte. Er liess dar- 
über Brennholz stapeln, um die Leiche zu verbrennen, worauf 
diese aufschrie, ihr Blut hervorspritzte und ihre Knochen knis- 
terten. Seitdem hörte der Spuk auf. 



I) Chin. Regenmäntel werden von zusammengenähten Palmenblättem verfertigt. 



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III 

Die Rache eines Schädels. 

Sun Kinn -scheu von Tschang-schuh hatte einen bösen Cha- 
rakter und liebte es, die Götter und Geister zu schmähen. Als er 
eines i a^c,^ mil liiiil;! ii 1 icunden im (lebir^^e spazieren i<in;^ , 
überkam ihn ein naUirlicher Drang, dem er Fulj^e leistete. Zum 
Scherz raffte er einen Totcnschädcl aus einem verfallenen (irabe 
auf, setzte ihn auf seine Basis und lie.ss ihn seinen Dreck ver- 
schlucken, indem er sagte: ^Schmeckt's gut?'* 

Uer Schädel öffnete den Mund und sagte: ^Gut!" Kiun-scheu 
crschrack sehr und lief schnell davon, aber der Schädel verfolgte 
ihn, indem er wie ein Wagenrad über den Boden rollte. Als nun 
aber Kiun-scheu an eine Brücke kam, konnte der Schädel 
nicht hinaufrollen, und als Kiun-scheu ihm von der Höhe nach- 
sah, bemerkte er, wie der Schädel wieder an seinen früheren Ort 
zurückrollte. 

Kiun-scheu aber kam leichenblass nach Hause und ward 
krank. Täglich wenn er Stuhlgang hatte, griff er mit der Hand 
danach und verschlang ihn, indem er zu sich selbst sagte: 
,Schmeckt's gut?" 

Kaum hatte er gegessen, so hatte er wieder Stuhlgang, und 
nach dem Stuhlgang ass er ihn wieder, bis er innerhalb dreier 
Tage tot war. 



Guslarenlieder. 

MitteUtnige» ▼<» Kraus». 
FRIEDRICH ROEBER zur goldenen Hochzeit gewidmet 

VI. Die Müchbrüder. Die geschlechtgenossenschaftliche Rechts- 
gemeinschaft (bratstvo, pleme, gr. Phratrie, FhylS) geschlecbterrecht- 
lieber Verbände führte zur territorialgenossenschaftlichen Organi- 
sation über. Diese bildete bei Slaven und Germanen gleichermassen 
die Grundlage fiir die darauf sich erhebenden herrschaftlichen 
Verbände, denen sich nach Umständen das Häuptling- und Kö- 
nigtum der daneben einhergehenden kriegerischen Organisation 



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6 



aufnötigte Die geschlcchtcrrechtliche Gemeinschaft braucht zu 
ihrer gedeihlichen Entwicklung und zu ihrem dauernden Bestände 
ungestörten Frieden , die herrschaftliche dagegen erheischt unab- 
lässig Krieg mit den Nachbarn. Fehlt ein solcher, dann macht sie 
sich innerhalb ihres heimischen Gebietes fühlbar der Bevölkerung 
und unterdriickt sie. Es erfolgt ein Gegendruck und es entstehen 
Reibungen, bei denen mitunter die eine der Organisationsformen 
auch völlig in die Brüche geht. 

In Bosnien und dem Herzogtum lastete auf den geschlechter- 
rechtlichen Genossenschaften , die sozial das arbeitende Volk dar- 
stellten, neben der Wucht der kriegerischen Organisation (Königtum 
und Adel) noch die kirchliche, eine unproduktiver als die andere, 
eine mehr als die andere vom Marke des Volkes zehrend, zum 
Uberfluss beide noch milcuiandcr im auli cibcndcii Kample um die 
Herrschaft und die unumschränkte Volksknechtung. Nach der 
jedenfalls auf gründlichem, historischem Material fussenden Ermitt- 
lung des bosnischen Franziskanerfraters Bözic gab es zur Zeit der 
Eroberung Bosniens durch die Türken in dem Gebirgsländchcn 
zweihundert und dreiundsiebenzig (273) Franziskanerklöster, unge- 
rechnet die Zweiganstalten und sonstige Ordensklöster! Man darf 
annehmen, dass das einrückende türkische Heer mit ausgelassenem 
Jubel als ein Befreierheer vom Volke begrüsst worden sei. Dafür 
zeugt mittelbar die Tatsache, dass die Besitzergreifung oder Un- 
terwerfung des Landes buchstäblich ohne Blutvergiessen innerhalb 
dreier Tage erfolgte und an einem einzigen Tage siebenzlg der 
wohlbefestigten Burgen ihre Tore den Türken gastlich aufschlössen. 
Bosnisch-slavisches Königtum mit seiner Adelherrschaft verschwand 
fast spurlos von der Bildfläche, von den Mönchklöstern blieben 
ihrer nur sechs oder acht von der Volkswut verschont und be- 
haupteten sich bis auf unsere Tage. Alle übrigen wurden gründ- 
lich zerstört. Um mit der Vergangenheit völlig zu brechen) nahm 
der grössere Teil der bäuerlichen Bevölkerung freiwillig den Islam an. 

Nicht umsonst; denn unter dieser neuen Decke konnte sich die 
nationale geschlechterrechtliche Organisation weiter behaupten, ja 
auch sogar die altursprüngliche slavische kriegerische Organisation, 
die Volksmiliz, die zur Sicherung der geschlechterrechtlichen diente, 
ohne Eroberungszwecke (Gebieterweiterungen) anzustreben, wie wir 
sie im Hajdukentume erkennen, lebte neu auf. Fast auf zwei 



i) Vrgl. Dr. Alberl iicrmann Fost: Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz. 
OldeDbnri; und Leipdg 1S94. & 327 — ^425. 



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7 



Jahrhunderte hinaus ward dadurch dem Lande ein Frieden erworben, 
der einen noch gar nicht ausreichend gewürdigten Aufschwung 
der in den orientalischen Kulturkreis miteinbezogenen Bosnier und 
Herzogländer hervorrief. 

Dieses Völklein betrachtete sich als des Padiääh getreuestc Ge- 
folgschaft. Eine Änderung in dieser eingewurzelten Überzeugung 
bahnten erst allmähÜch einzelne grossherrUche Statthalter (Vali), 
PaSa's und sonstige Beamten an, die als Hofgünstlinge von Stam- 
bol her in das Land zur Belohnung verschiedener geheimer Tugenden 
versetzt worden waren. Solche Leute verstanden nicht oder woll- 
ten den vorhandenen gesellschaftlichen Zustand nicht verstehen, 
stellten sich in einen schroffen Gegensatz zu ihm und machten 
sowohl sich als des Sultans väterliche Herrschaft verhasst. 

Das ist der soziale Hintergrund, auf dem sich die Hauptbege- 
benheiten unseres nachfolgenden Guslarenliedes abwickeln. Sie 
geben uns ein, wenn auch dichterisch verklärtes, doch immerhin 
überaus lehrreiches Beispiel, wie sich dieser Kampf zweier Organi- 
sationsformen in einzelnen zuweilen abspielt. Beg Ljubovid von 
Nevesinje war in Handelgeschäften — die Begriffe Edelmann und 
Grosshändler decken sich gewöhnlich auf der genossenschaftrecht- 
lichen Stufe — in das venezisch-dalmatische Gebiet gereist und 
hatte einen Abstecher nach Zara gemacht. Der Provveditore gibt den 
Auftrag ihn zu blenden. Der Beg tötet aus Notwehr den Angreifer 
und rettet sich durch die Flucht. Darauf setzt sich der Provve- 
ditore mit dem PaSa von Banjaluka wegen Ermordung Ljuboviö's 
ins Einvernehmen. Das Vorgehen des Italieners widersprach ganz 
und gar den verträgsmässig zwischen der Republik Venedig und 
der Hohen Pforte zu Kraft bestehenden Abmachungen, war aber 
trotzdem dazumal gang und gäbe. Dieses Staatswesen gieng klipp 
und klar seiner dalmatischen Besitzungen vorzüglich durch seine 
hochadeligen militärischen Beamten zu Grunde , die durch sinnlose 
Willkür und Gewaltherrschaft das slavische Volk im Lande und 
in der Grenznachbarschaft ständig in Aufruhr erhielten 

Der gleichfalls namentlich nicht genannte PaSa von Banjaluka 
war des Provveditore's würdiges Seitenstück. Beide, Vertreter zü- 
gelloser Eigenmächtigkeit, fanden sich trotz religiöser und natio- 
naler Verschiedenheit leicht zusammen in ihren Zwecken und 
Zielen. Ljuboviö und das Gebiet von Nevesinje unterstanden 



i) Man lese daifiber du trefiliclie Buch Fompeo Malmenti*« nach: I Banditi 
della Repnbblica Veneta. Firenxe 1896. Bemporad e Figlio. 



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8 



dem Pa§a durchaus nicht. Das beengte ihn aber wenig. Er sandte 
gemütlich eine Mörderschar zur V ollstreckung der Untat ab. Die 
Leute verübten in Abwesenheit des Begs Gräuel und büssten sie 
bald dciiaüf. Den Streit zwischen Ljubovic und dem Pasa , auf 
einmal dem Wahrer des Rechtes und des staathchen Ansehens, 
löst im Liede — ein Wunder. 

Ljubovic's Milchbiader Stefan Majküvic besteht für den 
Sultan gegen einen Araber einen Zweikampf, rettet dem Sultan 
das Leben, rettet den Staat, rettet damit den Beg und erwirbt 
zugleich das Recht, über den Pasa abzuurteilen. Der Araber! Das 
ist ein guter, alter Bekannte. Der muss ebenso in der serbischen 
als der bulgarischen Guslarenepik den Ruhm der heimischen Hel- 
den begründen helfen. Im Kampfe mit Orlovid ist er noch drei- 
köpfig'), in älteren Zeiten und bei älteren Völkern war er ge- 
wöhnlich mehrköpfiger , und eigentlich war er von Ursprung ein 
menschenfressender Drache *). 

Vielleicht trug zur Behauptung dieser Sage im poetischen Volk»- 
bewusstsein auch der im XIV. und XV. Jahrhundert in der Türkei 
übliche Brauch militärischer Bravourduelle bei. «In damaliger Zeit ** 
so schildert der Biograph Skanderbergs die Verhältnisse, ^wo 
die persönliche Kraft des Einzelnen noch häufig massgebend für 
den Si^ war, herrschte auch in Friedenszeiten der Brauch, dass 
einzelne r besonders kampfgeübte Streiter von Stadt zu Stadt 
zogen, um die Tapfersten zum Zweikampfe herauszufordern"*). 

Möglicherweise liegt unserer Liedschlussepisode ein solches Er- 
eignis zu Grunde y nur ist die Sache keineswegs wahrscheinlich. 
Ljubovi^ und Majkoviö übergeben sich ohne Wehr und 
Waffen dem Al^esandten des Sultans» der mit einem Heere ihre 
Burg umlagert: denn gegen den Kaiser gibt es keinen Kampf. 
Der Guslar sagt es selber, und es entspricht dem Gewohnheitrecht 
der Völker. Nicht einmal den Häuptling einer Hajdukenrotte darf 
einer der Pfadgenossen zum Zweikampf herausfordern, um wieviel 
weniger einer aus dem Volke den mit Göttlichkeitmacht ausge- 
statteten Sultan! Das Rechtsprichwort drückt dies so aus: muluö 
samo na muluda! (Der Herrscher kämpft wieder nur mit einem 
Herrscher). Dies gilt schon zu Recht bei der primitiven kriegeri- 



1) ,Orlovic, Der Burggraf von Raab'. Ein moham. slav. Guslarenlied. Freiburg 
i.B. 1889. Herder S. 35. 

2) Vrgl. meinen ^Novak den Heldengreis' im Festbuadel . . . aan Dr. P. J, Veth, 
Leiden 1894, Hrili. S. 100 fif. 

3) Julius Pisko: Skanderbeg. Historisdie Studie. Wien 1894. S. 9. 



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9 



sehen Genossenschaft. Geraten zwei derartige Verbindungen in 
Streit, so kämpfen die Häuptlinge einen Zweikampf aus , während 
die beiderseitigen Rotten müssig zuschauen. (jewolinHch schhesst 
sich dann die Rotte des unterlegenen , der Rotte des obsiegenden 
Häuptlings friedlich an. Erst die spätere Eatwickhing der Orga- 
nisation, wenn einmal die Rottenhäuptlinge zu Landgebictcrn von 
geheiligter und unantastbarer Gestalt geworden , brachte es zu 
Wegen, dass die Hauptinteressenten, selber in gesicherter Ferne, 
mit Hilfe ihrer Getreuen einander bekriegten; dass sich also die 
Untertanen gegenseitig hinschlachteten, um ihre kindische Neugier 
zu befriedigen , für welchen Gebieter sie in Zukunft zu roboten 
und 7.U darben haben werden. 

Üer Bericht leidet auch lai unter, dass ein so unmittelbares 
Eingreifen des Sullan,^ m eine \erhaltnismassig geringe Provinzial- 
angelcgenhcit unglaublich, weil unnötig erscheint. Ljubovic 
konnte sein Recht beim Vali suchen, der es schwerlich geduldet 
haben würde, da.ss ihm der armselige Pasa von Hanjaluka ins 
Handwerk pfusche. War aber der Pasa beim Vali Liebkind, so gab 
es wirksamere Mittel als einen Zweikampf, um ihn umzu.stimmen. 
Zu einem Vali pflegt man mit grossem Nachdruck (von so und 
soviel Beutel Gold) zu reden. Ist die strittige Angelegenheit auf 
diese nicht ungewöhnliche Weise ins Reine gebracht worden, so 
lag es gewiss zunächst im Vorteil Ljubovic's, seinen Hof- und 
Burgguslaren darüber nicht aufzuklären, sondern es vielmehr des- 
sen dichterischer Begabung anheimzustellen , eine minder prosaische 
Lösung zur Aufklärung des Volkes über das Geschehnis zu erfinden. 

Der Christ Majkovi^ als Milchbrader des Moslims Ljuboviö 
und dessen Hausgenosse ist nicht als eine Ausnahmerscheinung 
zu betrachten Die heimischen Moslimen waren auf demselben 
Baum , auf dem ihre christlichen Volksgenossen gewachsen. Sprache, 
Sitte und Brauch, Rechtanschauungen und Religion waren ihnen 
gemeinsam. Man muss ausdrücklich sagen: Religion; denn sowenig 
dem einen der Islam, war dem anderen das Christentum vertraut; 
gottlob, es ist bis auf den heutigen Tag nicht um vieles hierin 
anders geworden, sonst wäre es mir nicht möglich gewesen, mein 
Buch über Volksglauben und religiösen Brauch der Südslaven, so 



i) ijber Milchgeschwit>ter bei dea SUdsUven vergL mein Buch fSiUe und Braach 
der Sadsl.% Wien 1885, S. 14. — Bei «nderea Völkern vergl. A. H. Post: Studien 

zur Entwickluij ' c -schichte des F:\inillL'iut;Lht->. 1S90, S. 41 f., (Jrundriss d. ethn. 
Jurlspr. B. I. S. 9S; A. Wiedemaun: Die Milchverwandtschaft im allen Ägypten^ 
Urqndl 1892, S. 259 — 267. 



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10 



wie es voll Heidentum f:^eratcn ist, zu verfassen. Es steckt eben- 
soviel Bosheit und Tücke als Unverstand in der Behauptung eines 
mir aufsässigen Kritikers, wenn er berichtet (und so mancher 
schreibt es ihm ohne Überprüfung nach), dass die moslimischen 
GuslarenHeder meiner Sammlung christenfeindlich gehalten wären. 
Die Haltlosigkeit dieser Ausstreuung fallt jedermann in die Augen , 
der sich nicht scheut , das eine und das andere Lied durchzulesen. 
Die Helden moslimischer Guslarenlieder fühlten sich nicht als 
Strdter für den Fanatismus irgendwelcher DerviSe berufen, auch 
führten sie keinen Krieg gegen Weiber, Kinder and christliche 
Geistliche und Kirchen. Das galt als unrittedich. Die Anlachung 
des wildgrimmigen Religionshasses geschah und geschieht leider 
noch immer von Vertretern der Nächstenliebe, der Milde, Ver- 
söhnlichkeit und Güte» von Leuten, die das Gelübde der Armut 
und Keuschheit ablegen, aber dem Reichtum nachjagen und in 
Polygamie schwelgen , dann von Politikern und von Lügenhistorio^ 
giaphen, die ihre Unfähigkeit, die Wahrheit zu begreifen und zu 
ergründen, mit erheucheltem Patriotismus und gleichwertiger Treu- 
versicherung für ihren Glauben zu bemänteln suchen. 
Der Liedtitel, wie folgt, vom Guslaren. 

MajkoTiGu Ljabovica pobro. Von Majkovi6 dem WaKlbrader Ljttbovi6*s. 

Gjelep kupi hcic Ljubovicu Beg Ljubovic treibt Rinderherden auf 

po Neretvi, okolo Neretve, an der Narenta, rand um die Narenta, 

po Siijemu, okolo Sriiema. im Syrmium, rundum im Synnium. 

biian bczi gjelep pokupili: Die Hegen brachten auf gar grossen Auftrieb: 

5 pet stotlna krava jalovica, fünf hundert Kflbe, die noch alle gelt, 

pet stotina volov debel^ehj filnf hundert Ochsen, alle feist gefüttert, 

naturise Zadru bijelome. und trieben fort sie nach dem weissen Zara. 

Kada bili nb Neretvu mvnn, Als sie in die NarentapEb'ne kamen, 

izletjc^^e Neretljani mladi, herbei die jungen NarentaL'r liefen, 

10 Neretljani i Nevesiljani: die Nareutacr und die Ncvcsinjer: 

— Ne gon bete voIot u kawre! — Treib, Beg, die Ochsen nicht ins Kafirlandl 
Cnr i ccsar kavgu na£ini1i, Der Kaiser und der Caesar stch'n im Worte, 

da ne igje turdn u kaure! es soll kein Türke geb'n ins Kafirlandl 

0£eS beie izgubiti glavu, Du wirst, o Beg, dabei dein Haupt verlieren, 

Ij ja Ii ces se Ite/e osuznjitil WO nicht, o l^cp, in Sklaverei verf;illcn ! 

AI to be2e oje pa ne ajej Drauf hört der Beg und hört auch nicht darauf; 

gjelep stjera Zadrn bijelome. sum Zara weiss hinab er trieb den Auftrieb. 

S njime ima dvanajes gon&ila Viehtreiber zwölf mit ihm sind im Gefolge 

i pobro mu Majkovic Stjepane. und Stefan Majkovi6, sein Herzensbruder. 

20 Na rudinam gjelep zastavio; Auf fetten Fluren hielt er an die Herde, 

ifljete^e njema5ki trgovci Die deutschen Kaufherrn kamen hcigerannt 

p« kupuju krave i vulove, und kauften auf die Ochsen und die Kühe; 

begtt daju mekane ruSpije. dem Beg dafür sie gaben weiche Rupien. 
Kada be2e gjelep priprodavo Nachdem der Beg den Auftrieb ausverkauft, 

25 on besjcdi Majkovic Stjepanu: zu Stefan Majkovic das Wort ei sprach: 

— ü Stjepauc dragi pobratimel — O Stefan, du mein liebstes. Bi uderherze! 
Cttvaj nama konja na ntdinam behflt uns auf den Fluren wohl die Rosse 



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II 



sa naäijeh dvanajes gonCila, 
dok ja ödem tt TlaSkog« Zedra^ 

da im vidim Zadrn i far&ije 
i u Zadra otkle su tnu vrata, 
da im vidim tabija i topova. 

Onda Sljepan 1)egu besjedio; 



alihicr mit unsren zwölfen Kindertreibem, 
dieweilen icli ins christlich Zata wandre^ 

will deren Zara sehen uml den MarktplatS 
uod auch in Zara seiner Tore Lage, 
besehen die Bastioiien und Kanonen. 

Hierauf das \\'vr{ /um l^e^cn Stefan sprach: 



30 



— Nejgji beie u vlaskoga Zadra I — Du geh nicht, Beg, dahin ins christlich Zaral 



Car i iesar kavgu naSinili, 
da ne igje tur£in u kaurc. 

Oce Ii te vlasi poznavati^ 
ocei Indo izgubiti glavu, 
ja Ii cc§ sc hc}.e usuinjiti! 

AI to beie haje i nc haje, 
vi6 on ode u vlafikoga Zadta. 
A u Zadra otvorena vrata. 
Stade bc2c po &ar&iji odat. 

Beie gleda Zadra i CarSije 
pa on sjede na jednom ducanu 
Stade piti kavu na ducanu. 

Opazi ga Zadranine bane. 
Kad on vidje bcga Ljubovi£a, 
oko bana pet stotin katana^ 
ua koljcno Sekula sestric mu. 

Bane viknu grlom debelijem 



3S 



der Kaiser und der Caesar stehen im Worte, 

es soll kein Türke- tjeh'n ins Kafirland. 

Leicht können da die Christen dich erkennen, 
da wirst nar tollerweis dein Haupt verlieren, 

wo nicht, o Bc^, in Skla\ ei ci verfallen ! 

Drauf hört der Beg und hört auch nicht darauf, 40 
begab vielmehr sich in das christlich Zara, 
von Zara waren offen just die Tore; 
anhub der Beg zu wandeln auf dem Marktplatz. 

Der Beg besichtigt Zara und den Marktplata 
und setzt sich letzt auf einen Ladenflügel 
und fängt am Laden an Kaffee zu trinken. 

Da tnt gewahren ihn der ßao von Zara. 
Als Ljubovic den Beg er hier erblickte, 
(beim Ban fünf hundert Reiter Ehrenwache, 
und Sekula sein Schwestersohn zu Füssen) 5** 
ausrief der Ban mit tiefer Kehlenstimme: 
— Nut turdna u na^emu Zadru! — Schaut mal den Türken an in unsrem Zara! 
Sta ce ture u nascmu Zadru? Was macht der Turkeukerl in unsrem Zara! 
ita Qvodi po nalemu gradn? was schnüffelt der herum in nnsrer l- estung? 

zSr on gleda f^rada i farSije? Beguckt er denn die Burfj nur nnd den Marktplatz? 55 

Bei ne gleda olklcm su mu vrata, Der schaut nicht, traun, wo mau das Tur gelassen, 



4S 



tur&in gleda tabija i topova, 
oce Ii nam na grad udariti ! 

Kije 1 majka rodila junaka, 
tko b turetu snifio na Car^iju, 

osjekn mu u ramenu ruku, 
obadva mu uka izvadio, 
neka slijcp po CarSiji voda! 

Svatko suti a ^leda prida SC 
al ne gleda Sekula dijete, 
vei daigji besjedt Sekula: 



60 



der schaut die Dastion und die Kanon, 
ob wohl die Festung er bercnnen dürfte! 

Gebar denn keine Mutter solchen Kämpen, 
der auf den Markt hinab zum Türken stiege, 
um abzuhau'n die ITand ihm in der Schulter 
und beide Augen ilini herauszubohren, 
dass blind er auf dem Markte wandeln möge ? 

Ein jeder schweigt und schatit vor sich zu Boden, 
doch schaut nicht drein so Sekula der Page, 65 
vielmehr spricht Sekula su seinem Ohme: 



— Moj daigja, od Zadarja banel — O Mutterbruder mein, du Ban von Zara, 



Sta junaka po jabani tcalii 
kat sestii£a us koljena raniS? 

tko c turCinu na Carsiju sni6l, 
oijec desnu u ramenu ruku, 
obadva mu oka isvaditi, 
neka slijep po Car?;ijl oda ! 

Oto TCtc pa na noge skoii, 
gola ma(a turi pod dohuttu 
pa on bcj^u na fcarSiju snigje: 



was forschst du in der Fremde nach dem Kämpen, 
wenn du ra Ffissen deinen Nefüni nälmt, 

der auf den Markt hinab ^um Türken steigt, fo 
die rechte Hand ihm aus der Schulter haut 
und alle beiden Augen ihm herausbohrt, 
damit er auf dem Markt als Blinder wandle! 

Das sprach er und dann sprang er auf die Beine, 
das nackte Schwert er untern Dolman schob 75 
und sticii zum Tieg hinab ^vohl auf den Marktplatz. 



— äta ceä ture u naäemu Zadru? — Was suchst du Türkenkerl in unsrem Zara? 



Ua uvodiS po naSemu Zadru? 

a zär ylcdas Zadra I carsijcr 
zär ti gleda§ tabija i topova? 
Dera pruii svoju desnu ruku, 
da t osjecem u ramenu ruku ! 

Be2e Suti, ni&ta ne besjedi. 

Opef veli Sekula dijete: 



Was sehnttffelst du herum in unsrem Zara? 

ja, schaust du Zara an und schaust den MarktplatS? 

Schaust du die Bastionen imd Kanonen? 3^ 
Geh, strecke dein rechte Hand heraus, 

dass ich die TTand dir aus der Schulter aushau ! 
Der Beg nur schweigt, entgegnet nicht ein Wörtchen. 
Von neuem Sekula der Page spricht : 



— Pruii ture svoju desnu ruku, — Streck, Türkenkerl, heraus die rechte Hand, 85 
da t osje£em u ramenu ruku! dass ich die Hand dir aus der Schulter aushau! 
Be2e Suti, nUta ne besjedi. Der Beg nur schweigt, entgegnet auch kein Würtdiai. 



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12 



Opet reSe Sdcola d^ete: 

— Pniii ture svoju desnu niku, 
90 da t osjeiem u ramenu ruku! 
Kunem ti se i vjeni zadajetn, 
oije^u ti na ramenu glava! 

Railjuti se bete Ljubovi^u 
pa mu pruii svoju desnu ruku. 
95 Tlie djete ma£a ispot skuta, 
oSinu ga po desnici ruci. 

Kako ga je lako udario . 
maia svoga na dvoje pribijo 
a iz Ulke vatni prosipavo ! 
100 Skuci bcic od zemlje na noge 
pa poteie kratku alamanktt 
pa o?.inu Sokulu dtjete — 
povis pa,sa malo oatfatio — ■ 
dvije pole u travu padoSe! 
105 Kada vidje Zadranine bane, 
gje poginu Sckula dijetc^ 
z9r nlini na svoje katanel 
A katane bega opkolise; 
brani jih se beie Ljubovicu. 
110 On ptodrije kroz jednn. Inp^u, 
prodrijcSe za njijem katane. 

On prodrije kroz drugu kapiju, 
prodrijeSe za njijem katane. 

On prodrije kros trccu kapiju, 
1 11^ prodrijeSe za njijem, katane! 
Dok do vrata sokak naCinio 
al na gradu zatvorena vrataj 
ispuscali mandal ot £cUka 
BeSe trZe nadiak ot «elika 
120 pA on pribi mandal ut cclika. 
Pa iz grada belc izletio, 
on izlelje konjma na rudine 
pobri svome Majkovic StjepaDtt 
i svojijem dvanajes goni^ila. 
12^ Na ntdinam konje pojaMie 
pa pogjoSe US poljc zeleno 
a za njima dvanajes goncila'; 
lako ja§e, prida se gledaju. 
Obazrje se Majkovi6 Stjeptae 
l^giniade Ii za njima potjcra — 
jal to bjele za njima potjera! 

U grada se otvoriSe vrata, 
dok izletje junak na alatu, 
na alatu vas u suvu zlatu, 
malo ga le is sedla pomilja. 

Izlijecu za njijem katane, 
sve katane lete na alajc ; 
al svc junak bli;jc le du bUije, 
dok sasti?,e Vicgw Ljuboviea. 
140 J*-'- ''^ bc2c iiL bjc2ali iie ce. 
Jal to bjeSe od Zadarja banel 
Koja fajda, je sasti^no, 
Kad DU njija udarit ne smijc, 
vic on bega iz daldca vi£e: 
l^j — Ja, Boga vam, neznane delije ! 
ütklc jcste, ot koga ste grada? 
ja iijeg ste roda i koljena? 



Von neaem spricht der Page Sekula: 

— Streck deinen rechten Arm, du Türklcm, aus, 
dass ich die Hand dir au« der Schulter aushaul 
Ich schwör* es dir, verpfänd* mein Ehrenwort, 
Das Haupt ich hau' herab dir von der Sdinlterl 

Beg Ljubovid geriet in Grimm darob 
und streckte s^en rechten Arm ihm hin. 
Den Säbel untem Schoss der Page zückte 
und führte auf die rechte Hand den Streich; 
SO leichthin war der Schlag ihm nur geraten, 
dass ihm entzweibrach seines Säbels Klinge 
und aus dem Arm hervor die Funken stoben! 

Aufsprang der ]!cg vom liodeu auf die Beine, 
das kurze Alemannenschwert er zückte 
und traf damit den Pagen Sckula, 
ein wenig oberm Gurte sass der Hieb, 
zwei Hälften kollerten ins Gras hernieder. 

Als da der Ban von Zara ward gewahr, 
wie Sekula der Page kam ums Leben, 
zum Sturm befahl er rasend seine Reiter. 

Die Reiter rasch umzinj^cUen den Beg, 
Beg I^jubovic sich ihrer weiss zu wehren. 

Kaum drang hindurch er darch das eine Burgtor, 
schon drangen hinterdrein ihm nach die Reiter. 

Kaum drang hindurch er durch das andre Burgtor, 
schon drangen hinterdrein ihm nach die Reiter. 

Kaum drang hindurch er durch das drifte P^urgtor, 
schon drangen hinterdrein ihm nach die Reiter, 
bis er gebahnt zum Haupttor eine Gasse ; 
doch war das ITaupttor von der Burg geschlossen, 
aus Stalil den Kiegel hat man vorgeschnellt. 

Den Kolben stahlgetriehen schwang der Beg 

und brach entzwei den staldgcst h\vcii.sten Riegel. 

Und aus der Burg entfloh der Beg von dannen, 
entfloh nun zu den Rossen auf den Auen 

zu Stefan Majkovic, dem Hcrzensbruder 
und auch zu seinen Rindertreibem zwölf. 

Sie stiegen auf den Auen auf zu Rosa 
und zogen aufwärts durch das grün Gefilde, 
zwölf Rindertreiber hinter ihnen nach. 

Gemach sie reiten, schaoen vor sieh hin; 
nach rückwärts blickte Stefan Majkovic, 
ob wohl Verfolger hinter ihnen lüimen; 
fttrwahr, es folgten hinterdrein Verfolger. 

Das Haupttor von der Burg sich tat erößhen: 
da fuhr hervor ein Held auf einem Fuchse, 
auf einem Fuchse, ganz in lautrem Golde, 
ein wenig schaut von ihm heraus vom Sattel. 

Es fliegen hinterdrein Ihm nach die Reiter, 
in hellen Rotten lUegeu all die Reiter, 
und immer näher rückt heran der Held. 

'/ulet/t ereilt er Ljubovic den Beg, 
dcuu gar uichl ist gewillt der Beg fluchten^ 
ja, traun, das war der Ban von Zara selber! 

Was frommt es ihm, dass er sie eingeholt, 
dieweilen er 's nicht wagt, sie anzugreifen, 
von weitem ruft vielmehr er zu dem Beg: 

— So Gott euch helfe, unbekannte Kämpen! 
von wannen seid Ihr, wohl von welcher Burg? 
von welchen Sippen und vod welchen Magen ? 



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13 



ja kako se po imeuu zovei? and wie benamst du dich mit deinem Namen ? 

A hele mu po istini kaSe: Walirheitgetreu bescbeidet ihn der Beg: 

— Jesam junak od Ncretve lavne, — Ich Kämpe bin von dem NarentalAttfe, 



od Neretve i od Nevesiija 
po imenu be2e Ljubovidal 
* 

Ja b.me se natrag povmuo, 
ja za njime banove katane 
pa on ode u bijela Zadra. 

Kako dogje u bljcla Zadia, 
odma sjede, sitnu kujigu pii>e 
pa je ialje §erin Banjojluct 
na koljeno pa5i banjoluCkom : 
,Eto knjiga, pa§a banjalu5ki! 
^Pi^iibi mi bcge Ljubovica 
„jali iive jali mrivc glave! 

,Mogo SU mi kvara po^inili, 
spoCinili kvara i sqana 
ifja po momc hijclomc Zadttt, 
ifpogubili Sekulu dijete! 

,Evo t paSo tri tovara blaga^ 
^i evo ti sluga Nikolica, 
„Bek te dvori 2a Üvota tvoga, 
eTo ti sestra Angjel^ar* 
KaJa pa§i knjiga rlolazila, 
knjige gleda, na Icnjigu se smije 
pa on vikntt Erde delibaSe: 

— Brie k mcni ErJo delibaSa! 
Dera iaäi svojega putalja, 

der izberi tridese delija, 

sve junaka boljeg od boljega! 

Ajde Erdo NcvesUju ravnom, 
pogubi mi bege I.jttbovi6a 
jali iive jali mrtve glave ! 
Ako 1 oto Erdo ne uradi§, 
da£e£ svoju glavu za njegovu ! 

Kada Erdo tuo lakrdiju, 
itro Erdo na noge sko^to, 
opremio sebe i putalja 
pa ttsjali debela patalja 
a t:i njime tridese delija. 
Ode Erdo Nevesilju gradu. 

Kad on dogje Ljubovica kuli 
do avlije bega Ljubovica 
a OQ. bega po imenu vice. 

AI mu bega doma ne b^aSe, 
jer otisli u lov u planinu, 
da ulove siuu jal kosutu, 
i odveli rte i zagare. 

Oziva sc bogovica mlada: 

— Doma nejma bega Ljubovica 



von der Narenta und von Nevcsinje, 
mit Namen hciss' ich Ljubovic der Beg ! 



ISO 



155 



160 



«65 



170 



Allda der Ban rarücke wieder kehrte 
und hintennach sein Keitcrvolkgclciie 
and heim er wieder zog ins weisse Zanu 
Sobald er eintraf in dem weissen Znra, 
gleich seui er sich und schreibt ein zierlich Schreiben 
und sendet 's ah rur Stadt von Banjaluka 
wohl auf das Knie de-, Banjalukcr Pa?;a : 
„Empfang deu Brief, o Hanjaluker t&k&i 
„Vertilge mir die Begen Ljubovid! 
^Stell mir sie lebend oder deren Köpfe! 

pSie haben zugefügt mir grossen Schaden^ 
yja, Schaden and Verlaste sagefitgt 
jfiirwahr rundum in meinem weissen Zara: 
iSie brachten um den Pagen Sekula! 

«Da, Pa§a, nimm drei Maaltierlasten Schätze 
„und nimm dazu den Diener Klaus den kleinen^ 
„er warte dein, solang dein Leben währt, 
„nnä nimm dir auch die Schwester Angelina!" 
Wie nun der Pasa diesen Brief cnipfieng, 
den Brief besah, den Brief belacht' er fröhlich 
und lief herbei den Detibria Erdo: 

— Rasch her zu mir, o Dellljasa Krdo! 
Ei schwing dich mal auf deinen FleckenfUsser 
und kühr dir aus an dreissig ktthne Kämpen, 
nur lauter auserkorne kühnste Kämpen. 

Hei, Erdo, zeuch zum ebnen Nevesinje, 
vertilge mir die Begen Lja1>ovi6, 
stell mir sie lebend oder deren Köpfe! 
Wofern du, Erdo, solches nicht verrichtest, 
vint da *9 mit deinem Haupt f&r seines bU&sen! 

Kaum hatte Erdo den Befehl vernommen, 
aufsprang er auf die Beine gar behende, 
ausrüstete so sich als seinen Fleckfuss ig^ 
und schwang hinauf sich auf den feisten FleckfttSS. 
Fortzog zur Burg von Nevesinje Erdo 
und hinterdrein ihm folgten dreissig Kämpen. 

Als er zu Ljubovicens Warte kam 
zum Btirggohöft von Ljubovic dem Beg, 
da rief er an den Beg beim vollen Namen. 

Jedoch der Beg gerad daheim nicht weilte, 
sie waren auf die Pirsch ins Waldgebirge, 
zu pir.schen Rehe oder eine Iliudlu 
und hatten mit die Rttden und die Bracken. 
Die jnngc Edelfraue tat sich melden: 

Daheim nicht weilt Herr Ljubovic der Beg, 



«75 



tSo 



190 



195 



OtiSo je u lov u planinu. er ist ins Waldgebirg zur Pirsch gezogen! 

Onda Erdo ljubi besjedio: Darauf zum Ehelieb Herr Erdo sprach: 

— Ja, gospojo roda gospockuga, — O Edelfrau, von edlem Stamm entsprossen! 200 



o£e 1 bete u red dölaziti? 

— Oce tamo po ak*,amu dodil 
Ona viknu Usubega sina: 

— UsubeXe moj jedini stne! 

pogj, Erdina pripati putalja! 
Odma sletje djete Usubele 



wird wohl der Beg bei Zeiten wiederkehren} 

— Um den AkSäm er heim wohl kehren dttrfte! 
(sie rief herbei Beg lluscin den Solm): 

— Beg HuseYn, o du mein einziger Sohn, 

abfasse mal des Erdo Flecken fiisser! 
Gleich lief Iiinab der Page Husobeg 



205 



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14 



i pod Erdom prifati putalja, und fasste unter Erdo ab den 1 leckfuss, 

da izvoda Erdina putalja. um aaszufUluen Erdo's Fleckenfllsser. 

Besjedi mu Frdo deliba^n: D» sprach zu ihm Herr DclibaSa Erdo: 

210 — O dijetc, ncjak Usubeie, — Beg Husein, o du umnündiger Knabe! 

gji je babo, o bcg Ljubovicu? WO weilt dein Väterchen Beg Ljuboviö? 

— OtiSo je u lov u pbininu! — Er ist ins Waldgebirg zur Pir rh f^ezo|jen. 

— Oce 1 t u red babo dolaziti? — Kehrt wohl dein Väterchen noch heim bei Zeiten? 

— Oce tamo po ak§amu do£iI — Um den Ak&äm er heim wohl kelimi dürftet 
21$ Erdo viknu tridese del^aj Zurief Herr Erdo seinen drelssig Kämpen. 

saveza^e Usubega sina, Sie schlugen Husobeg den Sohn in Bande^ 

savezata djete otjeraSe. gebunden jagten sie vor sich den Knaben. 

Za njim prista Ljubovica majka: Anschloss sich ihm die Muttor Ljuliovic's: 

— Vrat mi Erdo Usubega moga! — Gib meinen Husobeg zurück mir, Erdo! 
aao Njoj beifedi Erdo delibOa: Herr DelibaSa Eido spricht zu ihr: 

— Vrat sc natragl.juboviöamajko, — Kehr nur zurück, du Mutter T,jubovic'Sj 
posjecu ti Usubega tvoga! sonst sdble deinen Husobeg ich nieder! 

To joj reie, oijede mu glaTut Er spracVs tn ihr und Ueb ihm ab das I&tipt. 
Za njim prista Ljubovica majka: Anschloss sich ihm die Mutter Ljubovic's: 
225 — Vrat mi Erdo odzlatajubuku, — Gib, Erdo, mir zuriick aus Gold den Apfel 
m<^ nnuica Usubega rinal mein Enkelein, das SShnlein Husobeg! 

— Vrat sc natrag I.jubovicamajko, — Kehr nur zuriick, du Mutter T.jubovic's, 
vrat se natrag ^ uäicu ti glavu ! kehr nur zurück, sonst hau ich dir das Haupt ab I 

To joi re(e , osjece joj glavu t Er spraeh*8 zu ihr und hieb ihr ab das Haupt. 
230 Ode Erdo sa trides delija Von dannen Erdo zog mit dreissig Kampen 

i odnese obadvije glave: und trug mit sich fort allebeide Häupter, 

, jedn« glavu Usubega djeta, das eine Haupt des Pagen Husobeg, 

drugu glavtt Ljnbovi£a majke. das andre Hanpt der Mutter Ljubc^f's. 
* • 

Istor Erdo polje prilazio Noch schritt Herr Erdo hin durchs Blachgefilde, 

235 al eto ti bcga Ljubovica ei sieh, es naht schon Ljubovic der Beg, 

i on goni debcla gjogata^ er jagt einher auf seinem feisten Falben 

Usabega is daleka viSe : und ruft heran von Fem schon Husobeg : 

— Oje si sine, Usubeie djete? — Wo bleibst du Söhnchen, Page Husobeg? 
zir mi ne 6e§ pripatit gjogataH magst du nicht ab mir meinen Falben fassen} 

240 Osiva se begoviea mlada, Anmeldet sich die junge Edelfraue, 

ona eist ko §arena guja: sie zischt vor Schmerz, wie eine Natter scheckig: 

— Ja, moj beie mili gospodare! — Ach weh, mein Beg, o teuer<!ter Gebieter, 
ne ce t viSe Usubeie sine dein Söhnchen Husobeg wird nun und nimmer 
ja pot tobom pripatit gjogata. abfassen unter dir den falben Renner; 

d45U8Ubeg je izgubio glavu! ach, Husobeg hat ja sein Haupt verloren! 

— Sa§ta , ljubo, ako Boga znadcS ? — Von was denn, Ehelieb, wenn du an Gott glaubst ! 

— Ovde dogje Erdo delilldla — Da kam gezogen DelibaSa Erdo, 
a ja pnsla Usub<"ga sina, hinab ich sandte Husobeg den Sohn, 
da pod Erdom pripati putalja; den Fleckfuss unter Erdu abzufassen; 

aSOsavesa ga Erdo delibaSa, in Bande schlug ilm Deliba^a Erdo, 

savezana niz avliju zajml. gebunden jagt' er ihn entlang dem Eurghof, 

za njim stara pristajahi majka, aus>chlüss sich ilim die hochbetagte Mutter, 

jal da vrati Usubega moga. rückgeben soll er meinen Husobeg. 

Njoj besjcdi Erdo dcHbasa: Doch sprach zu ihr Herr DcHbaSa Ibro: 

*55 »vrat se natrag Ljubovica majko, „Kehr nur zurücke, Mutter Ljubovic's, 

„vrati s natrag, osicu ti glavu „kehr nur zurück, sonst liau ich dir das Haupt abl** 

To joj reie, osje5e joj glavu. Dies sprach er zu ihr, hieb ihr ab das Haupt, 

ode Erdo sa trides delija Mit dreissig Kämpen Erdo zog von hinnen 

i odnese obadvije glave! und trug mit sich fort allebeide Häupter! 

360 Kada fuo l)C?.c Ljubovicu: Als dies erfuhr Herr ljubovic der Beg: 

— O gospojo roda gospockoga, — O Edelfirau, von edlem Reis entsprossen, 
je ti Erdo davno odlado? ist Erdo lange schon davongezogen? 

je Ii dosad goru prilazio? hat er den Hochwald jetzt schon überschritten? 

— Nije Erdo davno odlazio — 'S ist nicht so lang, dass Erdo abgezogen, 
a6Sa joi nqe gore prilaiio. noch hat er nicht den Hodiwald fiberschrittenl 



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— Ja cujcs inc muja sirua Ijubol — O hör mich mal, du mein getreues Eh'Ueb! 



Ako dogje Majkovic Stjepane 
nek ne \g]e poljem zeleaijem, 
vec nek igje poljem u prijeko 
pa nek igje gorom poprijeko; 
a ja odoh okolo planinc, 
da zavrnem Erdu u planini l 

Oto reCe, okrenn gjogata 
pa okrenu poljem zelenijem. 

Istor be£e poljem samaknuo, 
malo vrime sa dugo ne bilo, 
jal cto tt Majkovic Stjepana, 
jal OQ goni debela dorata, 
Usabega ix daleka vi(e: 

— Gje si bolan Usubeie mali? 
zär mi ae ces pripatit dorataM 

Flrogovan begovica mlada: 

— Gospodare, Majkovic Stjepaae ! 
ae ce t viSe Ustibeie sine 

ja pot tobom piipatit doratal 



270 



275 



Wenn Stefan Majkovic da kommen sollte^ 
so geh' et nicht durchs grüne Blachgefilde, 
vielmehr er nehme querfeldein den Weg 
und soll querwegs ins Hoclkgebii^ sich tummeln, 
ich aber geh' ums Hochgebirg herum, 
um Erdo in dem Hochwald festzustellen I 

Dies spracli er, macbte mit dem Falben kehrt 
und nahm den Lauf durchs grüne Blachgefilde. 

Kaum war der Beg entschwunden im Gefilde, 
naeh kurzer Weile, die nur wenig uriÜute, 
ei sich, da naht auch Stefan Majkovic ! 
Er jagt daher auf seinem dicken Braunen 
und ruft heran von Fem schon Hnsobeg: 

— Wo steckst du, Str){)scl, Iluscibeg du klciner?a8o 
Magst du nicht ab mir meinen Braunen fassen? 

1^ meldet sich die junge EdelÄaue: 

— O mein Clebieter, Stefan Majkovic, 

mein Söhncheu Husobeg wird nun und nimmer 
abfassen unter dir den braunen Renner! 



— Warum, der Tausend, junge Edelfrau?! 
Sie zischt vor Schmerz, wie eine Natter scheckig: 

— Da kamen hergezogen dreissig Kämpen 
und vor der Rotte Dcliba&a Erdo. 
Nach euch befragte DelibaSa Erdo, 
hinab ich sandte Husobeg den Sohn, 
den Fleckfuss unter Erdo abzufassen. 

Hinab zu ihm stieg Husobeg der Page 
und &sste unter ihm den Fleckfuss ab. 
In Bande schlug ihn Deliba§a Ibro, 
gebunden trieb er ihn entlang dem Burghof. 
Za njim prista na§a stara majka, Ihm schloss sich unsre alte Mutter an, 
da ml vrati Usubega sina dass er den Sohn mir, Husobeg xuriickgeb*, 

a na nju se i/adrije Erdo: doch Erdo hat sie grimmig angefahren: 

„Vrat sc natiag Ljubovica majko , „Kehr nur zurücke, Mutter Ljubovic's, 
„posjec cu ti Usubega troga!" „sonst hau ich deinen Husobeg zu Stücken 1** 
To joj refic , osjeCe joj t;lavu ! Sprach so zu ihr und hieb ihm al) das Haupt. 

Za njim prista oslarjela uiajka: Ihm schloss sich an die hochbetagte Mutter: 
— »Vrat mi Erdo zUitenu jd>ttktt, — „Gib Erdo mir zurück den goldnen Apfel, 
^ja jabuku I suTiCga m "' 



Sasta, bolna, bcgovica mlada?! 
Ona ci^i ko iarena guja: 
— Ovde dogje tridese delqa 
i prid njima Erdo delibaSa} 
za vas pita Erdo delibasa, 
a ja pusla Usubega sina, 
da pod Erdom pripata putalja. 

K njemu snigje UsubcJe djete 
i pod njime pripati putalja; 
saveaa ga Erdo delibaia, 
saves^ana niz avliju zajmi. 



290 



295 



300 



— „Vral se uatrag Ljubovica niajko 
„posjedu ti sa ramena glavu!" 
To joj refCi o^jctc joj i^lavul 
Ode Erdo sa trides delija 
i odnese obadvije glave! 

Ciknu Stjepan ko sarcna giija: 
Je Ii doso beie Ljubovicu? 



den Apfel meines TTusobcj:»!"— 
nur /.urücke, Mutter Ljubuvic's 



.. ':t wohl 

„ich hau dir von den Schultern ab das Haupt!" 

Dies sprach er zu ihr, schlug ihr ab das Hauptl 
Von hinnen Erdo zog mit dreissig Kämpen 
und trug mit sich fort allebeidc Häupter. 

Aufzischte Stefan gleich der Xattcr scheckig; 
— Ist hcimgekummen Ljubovic der Beg? 



30s 



310 



— A lest dolo, mili gospodare! — Gekommen heim, o teuerster Gebieterl 



OtiSo je poljem zelenijem, 
da obleti okolo planine, 
ne bi 1 Erdu Üva sastigimo. 

A tebl je be2c besjedio, 
reko ti je beäc Ljubovicu, 
ja da igjeS poljem popr^eko, 
da prisjeies gorom poprijeko, 
ne bi 1 Erdu 2iva sastignuli. 

Nama Stjepan okrenu dorata; 
öde Stepan poljer.i prijeko 
pa masi se gurc i planinc 
pa prisje^ gorom poprijeko. 



Er gieng dahin durchs griine BUichgcfilde, 
um um das Hochgebirg herumzukommen, 
wo mdglieh Erdo lebend einsuholen. 

Dir aber hinterliess der Beg die Weisung, 
es hat dich Ljubovic der Beg geheissen, 
einsdilsgen mögat du queifeld^n den Weg, 
den Weg durchschneiden qucrnur durch den Hochwald 310 
vielleicht lebendig dass Ihr Erdo einholt! 

Gleich machte mit dem Braunen Stefan kehrt. 
Es zog Herr Stefan querfeldein von dannen, 
bog ein ins Hochgebirg und in den Hochwaid 
und schnitt so durch den Hodbwald auf dem Queru eg. 325 



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i6 



Itro hcle goru obletio 
i zavmu u planini Erdu. 

ü ta doba Majkovic Stjcpane, 
Kai se dvije pobre sastavise, 
330 izSjekose tridese delija. 

Oni Erdu ?.iva ujitiSej 
oguliSe Erdi delibasi 
obadvije do ramena ruke^ 
obadvije no^c do koljcna, 
335oguli§e glavu do ociju^ 
digoSe ga na konja putalja, 
na putalju privezase Erdu 
pa pod njime puscase putalja: 

— Ajde, Erdo^ §erin Banjojlud 
340 pa se pali paSi banjolutkom, 

gje gl sjeko djecu kod odiaka, 
gje si ijeko ostaijele majke! 
Ilode Eiilü Jiuinom jadikajn^ 
Kada biu ^eru Banjojluci, 
34$daleko ga pa§a opazio 

pa prid njej^a pasa izletio. 

Kada vldje Erdu delibaäu, 
Sto je bilo s Erde delibaSe, 
jal 011 F.rde iz dalcka vice: 
350 — Sta to, bolan, Erdo delibaSa 

— Evak, pa§o, tebi gore bilol 
Skidofie ga sa konja putalja. 



Gar iUnk der 6eg den Hochwald war umflogen 
und batte Erdo festgestellt im Hochland. 

Zur selben Zeit kam Stefan Majkovic. 
Als sich vereint die beiden Wahlgebrüder, 
zu Stücken hieben sie die dreissig KümpeD* 

Doch Erdo fiengen sie lebendig ab, 
sie schunden al> dem DelibaSa Eido 
die beiden Anne bis zum Schulterblatte, 
die- beiden Fasse bis hinauf zum Knie, 
biä zu dcu Augen schunden sie das Haupt, 
auflegten sie ihn auf den Flcckenfüsser 
und banden Erdo an den Flcckfuss fest 
und liessen unter ihm den Flcckfuss laufen : 

— Zeucb, Erdo, hin zur Stadt yon Banjalnka 
und prahle vor dem Banjalukei Pa5a, 

wie an der Herdstatt Kinder du gemordet, 
wie du gemordet hoebbetagte MUtterl 

Wehklagend Erdo mg des Weges weiter. 

Als er der Stadt genaht von Banjaluka, 
von weitem ihn der "Hi». schon gewahrte; 
entgegen kam der Pa^a ihm geflogen. 

AU er erschaut nun Erdo Delibaia, 
was da geschehen mit Erdo DelibaSa, 
rief er schon Erdo /u von weiter Ferne: 

— Was gibt's, unseliger Erdo DelibaSa?! 

— Das gibt's, o Pa§a, schlimmer sei dein Ted 1 



Man hob ihn ab vom K( 



dem Fleckenfässer. 



Sjede paSa, sitnu knjigu piSe 
pa je Salje Carigradu gradu 
355 na koljeno caru iestitome: 

, Sultan eare, i otac i majkol 

„Pogubi nam bege Ljubovica 
ijali iive, jali mrtve glavet 
„(^ludan jesu zulum poCinili 
360 «po Neretvi i po Nevesilju! 

„Namctnuli namet na vilajet: 
„sjeroma sc oienit ne more, 
„sjerota se udati ne more! 
„Tko s oZcni, po litra je ziata, 
365 »tko s udadc po tri litre zlata! „die sich vennählt, je 

Mütter 



„Ja, koje je sjeroniasna majka 
„a ceri im bje^^" 1 « i'lctu!" 
Kada caru taka kiijigu dogje, 
kada vidje, §ta mu knjiga kaZe, 
3yocare vikou silistar Aüjc: 

— Silisiare, prva moja lalo! 
Dera uzmi njc§to malo vojske, 
nje^to malo. fetiri iljade. 
Vodi vojbku u Erccgovinu 
375 j* Mostaru pa i Nevesilju 
ja bijcloj Ljubovica kuli. 

U ponoci dovodiceS vojsku 
pa okoli Lj«bovi6a kulu. 
Pofalaj mi bege Ejuboviöa 
380 jali 2ive jali mrtve glave! 
I ponesi mojega Cadora, 
na cadoru od zlata jabuku. 

Kada vide careva Cadora, 
sami £e se bed nplaitti; 



Der Fala setzt sich, schreibt ein zierlich Schreiben, 

und sendet's nach Istambol ab der Stadt 
wohl auf das Knie des glückb^abten Kaisers: 
Sultan, Kaiser, Vater uns und Mutter! 
„vertilge uns die Bcgen Ljubovic, 
«es sei lebendig oder tot die Häupterl 

„Ein Wunder, was sie an Gewalt verübten 
„um die Narenta und um Nevesinje! 
,mit einer Auflag sie das Land belegten: 
„Der arme Mann, der kann sich nicht beweiben, 
„das Waisenmädchen kann sich nicht vernkKlilen. 
„Wer sich !)eweibt, je eine Litra Goldes, 

drei der Litren (Woldes! 
ganz in AiTnut leben. 



,Und 



wenn 



die 



„dann deren Tochter weisse Zöpfe tlcchtcn!" 

Als solch ein Ihief dem Kaiser kam vor Augen 
und er ersah, was ihm der Brief vermeldet, 
'rief er herbei den Waffenwahrer Ali: 

— Gcvvatfcuwahrer, du mein Obristlala, 
Geh rafle mal zusammen etwas Truppen; 
ein wenig blos, viertausend !\Ltnn genügen, 
und führ die Truppen nach dem licrzoglande 
gen Mostar hin und auch nach Nevesinje 
7Air wcissgetünchtcn Warte Ljubovic's; 
dahin die Truppen führ* um Mittemacht 
und xingle um die Warte Ljubovi£*s. 

Du fang mir ab die Bcpcn Ljubovi6, 
es sei lebendig oder tot die Häupter. 

Auch nimm du mein Gezelte mit mit dir 
wohl da<; riezclte mit dem goldnen Apfel. 

Wann sie das kaiserlich Gezelt erblicken, 
an sich erschrecken werden schon die Bcgen; 



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»7 



jera s carom niko boja aejma! 

A Al^a na noge skofiio 
I carcvu podignuo vojsku 
pa on pogje ol Stambola gradaj 
od Alija Q Ereegovinu. 

KaJa dogje Xevesilju gradv 
u zla doba dovodio vojsku 
ti po ttoci kad Tremena nge. 
Okolili Ljubovi6a kultt, 
noapeU zelene iadore. 

Kad n jutio jutro osvanulo, 
pomub Ijnba Ljubovi6a 
pa sc §c6e po bijelu dvoru. 

Ja pogleda pod bijelu kulu, 
Ljubovica okoljena kula ! 
Kon! flo konja, cnJi r -Ii cadora. 

Jcdaa cador po najaadai stao, 
ja na ojemu od data jabaka 
i tri puta £icom omotavan. 

Ja, se vrati u bijele dvore 
pa ne smije bega probuditi. 
Ona viknu Majkovic Stjepana: 

— Ustan, bolao, Majkovic Stjcpane! 
odi vidi toda golemoga, 
bgela vam okoljena kula! 

Kada skoii Majkovic Stjepane, 
kad on vidje rilovit« vojsku, 
Stjepan budi bega Ljubovica: 

— Ustan, beie, mili gospodare! 
B^ela nam okoljana knla! 

Kad ustade helc Ljubovidtt 
pa vidje&e sa bijele kule 
odn>a beie Cador pocnavao, 
da je öador cara iestituga. 

Ja, besjedi beie Ljubovicu: 

— Ja, §to cemo, Majkoviö Stjepane ? 
Da b na njija danas udarili — 
8 carom brate niko boja Mjmat 
Da niza [se] oborimo nike, 
da igjemo carevu Sadoru, 
da vidimo §to je i kako je, 
ja ko nas je caru opaujkao? 

Jal besjedi Ljubovica Ijuba: 

— Ja, sto ste se bczi uplaSili?! 
Eva jesam jcdna ienska ßlava, 

ja b na njija udarila sama ! 
Besjedi joj be£e Ljubovicu: 

— Ajd, ne ludi, moja vjema ljubo ! 
s carom nitko boja ne imade! 

Pa rekoSe pa se posluiaie 
ja niza se obori.§e ruke 
a vodoie ü carevu vojsku. 

Careva ji propuscala vofska * 
do tadora silistar Aiije. 

Kad dogjoSe oba prit £adoi«, 
prid Alijom nike prilomi5e 
pa se crnoj zemlji prikloni§e. 

Ja, pita ji silistar Alija, 
ja, kakav su zulum poCinili? 

Onda beie Stade besjediti; 



denn mit dem Kaiser keiner einen Kampf wagtl 385 

AUle knrtig anf cUe B«ine sprang 
und sammelte die kaiserliche Truppe; 
dann zog von dannen er von Stadt Istambol. 
Es zog Alile fort ins Herzogland. 

Als er gelangt zur Burg von Nevesinje, 39** 
tax schlimmen Frist er schaffte hin die Truppen 
am Mittemacht, wann keine Zeit geheuer j 
wnziiigelten die Warte LjttboTi6*s 
und spannten auf die grünen I^gcrzelte. 

Als morgens früh der Morgen angetagt 39S 
erhob sich früh das Eh'lieb Ljubovic's 
unt tat ei^eh'n sich uif der weissen Wartburg. 

Da fiel ihr Blick hinab die weisse Warte: 
ringsum die Warte Ljubovic's umzingelt! 
hier Ross an Ross, hier Zelt an Zelt gedrängtl 400 

Vereinzelt stand allein nur ein Gezelte 
und oben drauf ein goldner Apfel blinkt, 
und dreimal war mit Draht das Zelt umwunden. 

Sie wandte sich zurück xur weissen Warte, 
dodi wagt mit nichten de*s den Beg sa wecken; 40$ 
wachrief sie lieber Stefan Majkovic: 

— Erwach, unseliger Stefan Majkovic! 
Geh hin und schaue ein gewaltig Wunder! 
Umzingelt ward da unsre weisse Warte! 

Im Sprung erhob sich Stefan Majkovic 410 
Und als er nun das mlehtige Heer erblickte, 
wohl that er Ljuliovic den Bog erwecken: 

— Erwach, o Beg, mein teuerster Gebieter! 
nmsingelt ward da unsre wetsse Warte 1 

Vom Lager aufstand Ljubovic der Beg, 415 
und sahen alles von der weissen Warte. 
Sogleich der Beg eikannte das Geselle, 
als das Gezelt des glückbeladenen Kaisers, 
und also sprach Herr Ljubovi6 der Beg: 

— Was sollen nun wir, Stefan Majkovi£? 420 
wenn heute wir den Ausfall gen sie wagten — 
o Bruder, mit dem Kaiser keiner kämpft! 
Lass an die Lende uns die lländc legen, 
lass uns zum kaiserlich Geseke wandeln, 
lass seh'n uns, was da los und wie's geworden, 4^5 
wer wohl uns bei dem Kaiser angeschwärzt. 

Doch spricht das Wort das Ehlieb Ljubovic's: 

— Was seid Ihr denn^ Ihr R''^"'n. erschrocken?! 
da schaut, ich bin ja nur ein i' raucnzimmer, 
ich wollt* allein gen sie den Ausfall wagen! 4^0 

Entgegen spricht ihr Ljubovic der Beg: 

— Treib keine Tollheit, mein getreues Eh'lieb, 
den Kaiser keiner auf zum Kampfe ruft! 

Also sie sprachen, machten ihre Sachen J 
sie legten ihre Hände an die Lende 43J 
nnd giengen ab ins kaiserliche Heer. 

Durchziehen Hess sie frei des Kaisers Heer 
bis zum Gezelt des Waffeuwahrers Ali. 

Als beide hingelangt vor das Gecelte, 
verschränkten sie vor Ali ihre Arme 440 
und beugten sich zur schwarzen Erde nieder. 

Es Inigte sie der Waffenwahrer Ali, 
was für Erpressung sie gemacht sich schuldig? 
Anhub der Beg daraufhin zu erzählen, 



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i8 



445 ja kako je gjelep sakupio, 
Utjero ga bijelmne Zadrn 
i kako je gjelep priprodsvo 
i otiSo u bijela Zadra. 

Sve mu ka2e, §to je i kako je : 

4$okiko doto Eido delibaia, 
posjeko mu sina jedinoga, 
posjeko mu ostarjclu majku. 

Poslo ga je pasa banjalu&kt 
ja, za blnpo z;u!r.i]i -kofja bana 

455 ' njegovu seitru Angjcliju. 
Istor beie Stade kazivati, 
doklc sliic püsta knjif;ono5a 
ot Stambola bijeloga grada; 
knjigu nosi cara Cestitoga, 

46oknjIgu dade silistnr Aliji: 

— £to knjiga, silistar Alija! 
nqe t majln rmlüa junak* 

:i sclcuna brata odgojila, 
ko c za cara na m^dan bici? 
465 Car mu diye dvore kot svoj^e, 
kot svojtjc, bulje ot svojije. 

I daje mu tri bijela grada, 
dva kod mora, [treci] kod Dunova. 

I daje mu cercu sultaniju, 
47°uilogo pusto nebrojeno blago! 

Evo ima nedtljica dana, 
kak u polju arap odja.^io 
pot Stambolom u polju zelenom. 

Pa on cara na megdan zadva, 
475 da mtt care na megdan izigje, 
ja iaigje, ja izmjenu nagje! 

Ako care izi6i ne smge, 
jal iziti, jal izmjenu naä, 
oce cani n Stanibol unici 
4^ pomaknuti cara is stolice 

pa on sjeßti u carsku stolicu, 
prosuditi U Stambolu giadu! 

Kada £uo be^e Ljubuvicu 
on besjedi silistar Aliji: 
4^5 — Evo majka rodila junaka, 
tko c za cara na megdan tzicil 

Ne dade mn Majkovi£ Stjepane: 

— Ne 6c§, brate, beie Ljubovicu! 
Ja c za cara na megdan izi6i, 

49<^jer ja aejiuam svoje yjerne Ijttbe, 
ja nit imam oca nl matere. 

Fa se natmg oba povratUe 
i dogjoSe Ljiibovi^a knli. 

Otlma Stjcpan izvctle dOMta 
495 P^ opremi sebe i dorata 
pa OD begu tijo be^jedio: 

— Alali mi. niili gur.podaru, 
ito si mene nüada odraniol 

Pa n^aSi debela dorata. 

500 Ode Stjepaa od grada do grada, 
doka snigje do Stamliola gra£i 
pot Stambola u polje zeleno. 
Jal u polja tador rasapinjaii, 



wohl, wie er einen Auftrieb aufgesammelt, 
Ilmausgetrieben ihn zum weUften Zara 
und wie den Auftrieb weiter er verbandet 
und sich ins weisse Zara hinbegeben. 

Erzählt ihm alles, was und wie 's geschehen, • 
wie Erdo Deliba^a war erschienen 
und ihm den einzigen Sohn [jchati'n zu Stücken, 
gehau'n zu Stücken seine greise Mutter. 

„Er war gesandt vom Banjaluker Pa^a 
den Schätzen wohl zu I.icb des T?ans von Zara 
und dessen Schwester Angelina halber." 

Noch war der Beg begriffen im Berichten 
als ein Courier mit einem Schreiben eintraf 
daher von Stambol, von der weissen Stadt, 
er bringt des glückbeladneD Kaiseis SehieibeDi 
und übergab's dem Waffenwahrer Ali : 

— Allhier ein Brief, Gewaffen wahrer Ali! 
Gebar denn keine Matter einen Kimpen, 

aufzoj; denn keine Schwester solchen Bruder, 
der für den Kaiser auf die Wahlstatt träte? 

Der Kaiser schenkt ihm eine Burg bei seiner, 
bei seiner Burp doch besser als die seine, 
und gibt ihm zum Geschenk drei weisse Städte, 
am Meere zwei, die dritte an der Donau, 
und schenkt ihm das Prinzesschen Sultanin« 
und unermesslich ungezählter Schätze! 

Es sind daher sdion einer Woche Tage, 
dass ein Araber abstieg im Gefilde, 
im grttnen Blachgedlde unter Stambol 
und der heraus cum Kampf den Kuser fordert, 
der Kaiser auf der Wahlstatt ihm erscheine, 
erscheine oder stelle den Ersatzmann! 

Getrau sich nicht der Kaiser zu erscheinen, 
erscheinen oder doch Ersatz zu stellen, 
eindringen werd in Stambol er zum Kaiser, 
hinab den Kaiser gar vom Throne schupfen, 
sich selber setzen in des Kaisers Throusit» 
und die Gerechtsam üben in I.stambol! 

Als dies vernahm Herr Ljubovic der Beg 
da sprach er zum Gewaffen wahrer Ali: 

— Allhier gebar die Mutter einen Kämpen, 
der fUr den Kaiser auf der Wahlstatt auftritt! 

Nicht gab Gewähr ihm Stefan Majkovic: 

— Du, Bruder, darfst es nicht, T>e\^ IJuboviöl 
ich trete für den Kaiser auf die Wahlstatt; 
denn ich besltxe kein getreues Ehlleb, 

ich hab' auch weder Vater, weder Mutter! 

Und beide wiederum zurücke kehrten 
und kamen hin zur Warte Ljubori^'s. 

Sofort heraus den Braunen ^t. f.ni führte 
und tat sich selber und den Braunen rüsten 
und sprach sodann zum Beg mit leiser Stimme: 

— Sei mir versühnt, mein teuerster Gebieter, 
der du mich junges Blut hast grossgezogen! 

Und schwang hinauf sich atif den dicken Braunen«-- 

Von Burg zu Burg Herr Stefan fürbass zog 
bis er hinab zur Stambolstadt gelangte 
ins grüne Blachfeld unterhalb Istambol. 

Stand ein Gezelt dort im Gefild geschlagen, 



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pot cadorom cma arapioa; sass unter dem Gezelt ein Schwarzaraber, 

al on pije vino pot Eadorom tat ttttter dem Gezelt «m Wein sich gütlich^ 505 

a privero kusu bcdcviju. sein Wüstenross gestutzt war angebunden. 

K njemu Stjepan dotjera dorata^ Zu ihm den Braunen Stefan nahe jagte, 
on anpn bo2ju pomo6 viknu, Zurief er dem Aimber: ,Gott zu Hilfe!* 
j«i aiap njemu boiju pomo£ primiilhm der Araber freundlich: ,Gott zu HiUe!' 

<— Odjak konja^carev megdandiija, — Steig ab vom Rosse, Kaisers Knmpfvertreter.SlO 



da se ladna napqemo vina 
pa cem onda mfydan dtjeliti! 

Ajd otale, cma nmpino! 
ja ne pijem vina ni rakije, 
vec der jaSi kusu bcdcviju, 
da igjemo mejdan dijeliti ! 

Arap skoci od zemlje na noge 
pa uzjaSi kusu bedeviju. 
On besjedi Majkovi6 Stjepanu : 

— Ajd zaodi carev megdandiija 
Onda Stjepan be^edi arapu; 

— Ajd otale, cma nrapino ! 
tvoja zaoka, tvoja t zaotka! 

Kada vidje cma arapina, 
on Stepanu oSi ufatio 
pa poteie sablju ot pojasa, 
da Stjepanu osqeie ^aw. 

Doieka ga Majkovic Stjepane, 
udari ga §akom iza vrataj 
kalco ga je lako udario, 
arap spade s kuse bedevije. 
cma ga je krvca zaljevalaj 
nit se mite, nit on duSom 4Uie. 

Do njeg Stjepan mije dovlafiio 
pa arapa vinom zaljevavo, 
dok s arapu male osv^estl: 

— Stan aiape, to je SaUt bUft! 
Dera ja§i kusu bedeviju, 

da igjemu roejdan dijeliti l 
Odma arap kusu uzjaüo 

pa on odc poljcm zelenijem: 

arap koplje noai u rukama. 
Kada arap do bilje§ke dogle, 

ostadc ga Stjepan £ekajuci. 

On zaiima kopljem i desnicom. 
Kad od ruku koplje poletilO) 

u oko bi zmgu pogodtjo, 

bei* ne bi u £elo junakai 



dass wir uns satt am kalten Weine laben, 
austragen wollen wir hernach den Kampf! 

— Von hinnen pack dich, Srh'.'/nizaraberlümmel! 
Ich trinke weder Wein noch tnuk ich Branntwein! 
Besteig mal dein gestutztes Wüstenross. 

damit den Zweikampf wir zum Austrag bringen I 

Aufsprang vom Boden hurtig der Araber 
und schwang sich aufs gestutzte Wüstenross, 
Zu Stefan Majkovic das Wort er sprach: 

— Ei, nimm den Anlauf, Kaisers Kampfvertreter! 520 
Darattf zn dem .Araber Stefan sprach: 

— Troll dich von hinnen Schwar/araberlümmell 
Dein ist die Fordrung, dein ist auch der Anlauf: 

Als sich durchschaut der Schwarzaraber sah, 
gedacht' er Stefan hinters. Licht zu führen 51$ 
und zog heraus den Säbel aus dem Gürtel, 
um Stefitn abzuslbeln flogs das Haupt. 

Gewärtig war Herr Stefan Majkovic, 
er pAanzt* ihm einen Faustschlag in den Nacken. 
So leiebt nur -war der ScUa^, dUs der Araber 530 
flugs vom gestutzten Wüstenross hinabsank; 
ein schwarzer Blutstxom ganz ihn überquoll, 
er rührt sieb nicht, noch athmet seine Sede. 

Hinzu zu ihm die Schläuche Stefan schleppte 
und goss den Wein hinein in den Araber 535 
bis halbwegs von ihm wieder wich die Ohnmacht 

— Nur auf, Araber, das war blos Gcneckel 
Besteig nur dein gestutztes Wüstenross, 

damit wir doch den Kampf zum Austrag bringen ! 

Gleich sch\> I u^; sich der Araber auf den Stutding 54^ 
und ritt dahin durchs grüne Blachgefilde, 
in Händen trägt die Lanze der Araber. 

Indess zum Standort der Araber kam 
blieb Stefan seiner harrend auf dem 1- lecke; 
der schwingt die Lanze, schwingt den rechten Arm. 545 

Wie da geflogen aus der Hand die Lanse, 
er träfe eine Schlange grad ins Auge, 
wie leicht nicht einen Kämpen in die Stirne! 



Dolmr gjogat bjele pot Stjepanom Das war ein guter Schimmel unter Stefiui, 



jer se svakom boju naufio; 
gjogat pade na prva koljena, 
priko njija koplje priletUol 

PruJi ruku Majkovic Stjepan« 
pa on koplje u ruku ujiti, 
piilomi ga na dvoje, na troje 
i komade u travu jitio. 
Dok doleije cma arapina: 
— Kurro jedna, carev megdand2ija1 



denn jede Art von Kampf war ihm vertraut; 
der Schimmel sank auf seine Vorderfü&se, 
ob ihren Häuptern ftog hinweg die Lanze. 

Die Hand ausstreckte Stefan Majkovic, 
fieng ab die Lanze mit der freien Hand, 
serbrach sie knacks zu zweien, dreien Stttcken 
und schleuderte ins Gras hinweg die Trümmer. 
Inzwischen flog herbei der Schwarzaraber: 
— Du Hure, du des Kaisers Kampfvertreter! 



§ta s doveo bagavu kljusinu Was hast du mitgebracht für lahmen Klepper, 

pa me danas vara na megdauu! der heute mich beschummelt auf der Wahlstatt! 

Stani knrvo, dok se opet zagjem! Steh still, du Hnr*, bis ich von neuem loslcg'l 
Onda Stjepan besjedi arapu: Darauf zu dem Araber Stefan spricht: 

— Ajd arape, ne jedi govana: ~> Geh, du Araber, kau nicht solchen Unflat: 



555 



560 



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20 



Jednosc 6emo pa i drugosc cemo T' ,Wir machen's einmal und zum zweitenmale!' 
565 Ode Stjepan, otjera doiata; Davon sof seinem Bnnisen Stefan, 

ostade ga arap cckaju6i. blieb stehen seiner harrend der Araber. 

Dorat igje dok je njemu diago. Der Braune rennt, soweit es ihm beliebt. 
K«t ae S^epan do biljeSke vrati, Wie nun zurück xnm Standort Stefan kam, 



da war nicht mehr am Flecke der Araber, 
entwichen war durchs Feld ihm der Araber, 
Andferte ihm nach den Braunen Stefan 
und jagte weit dahin den Schwarzaraber. 

Der Braune schneller als die Stute war, 
dieweil man wenig trauen darf den Weibern, 
«nd holte ein 's gestutzte Wüstenross. 

Den nackten Säbel schwang er in den Händen 
und hieb dahiu ihm fliegend ab das Haupt! 

Dann schwang er sich herab vom dicken Bratmen 
«nd nahm an sich dt^^^ Haupt von dem Araber 
und trug es fort zum Kaiser hin nach Stambol, 
trug's in den Reichspalast hinein zum Kaiser, 

Je näher er dxs Haupt zum Kaiser rückt, 
um soviel weiter sich der Kaiser drückt., 
bis er den Kaiser an die Wand getrieben. 
Zu ihm der Kaiser von Istambol spricht: 
— Von wannen bist du junger Grenalandritter? 

— Ja sam Jmiak od Ercegovine, — Ich bin ein KSmpe woU von Henoglande 
od Neretvc i od Nevesilja. von der Narenta und von Nevesinje! 

— ja, kako se po imenu zoveä? — Und wie benamst du dich mit deinem Namen? 
590 — Po imenu b<ai Ljnbovi£al — Dem Namen nach die Begen Ljubovi6 

Nos od mene glavu arapova! • — Hinweg von mir schalt das Araberhaupt! 



ja arapa na biljcsci ncjma! 
570 Arap mu se poljem zamakauoj 
za njim Stjepan natnri dorata 
i otjera cmu arapiuu. 

Brii bjeSe dorat ot kobile, 
jer u iensku pouzdanja nejma, 
^f^i sastiSe kusu bedeviju. 

Golu sablj« nosi u rukama, 
letecivu osje^e mu glavu! 

Pa odjait debela dorata 
pa on uze arapovu glavu, 
58oodne&e je caru u .Stambola 
{M u dvone caru unosio. 

Sve on caru prinücuje glavu, 
ja care se dilje otku5uje, 
dok on cara s^era do duvara. 
^$5 Besjedi mu care ot Stambola: 
— Otkle jesi ser-atliyo mlada? 



Zdrava me jc ujtila groznica 
gledajuci arapove glave. 
Isci sine stot^od ti je dra^o! 

595 — Sultan care, suncc ogrijanol 
Nit 6v tebi nebrojena blaga, 
nit cu tebi dvora kot tvojije, 
nit cu tebi tri bycla grada, 
dva kod mora, trefi kod Doaova, 

600 nit cu tvoje ceri sultanije! 

Vic te moUm, mili gospodarei 
daj ti meni izan i tes^'er 
i daj meni katuli fermana, 
da se vratim Seru Banjojluci, 

605 da pogubim pa§u banjolu£kog! 
I daj meni u Ercegovint, 
u Neretvi I u Nevesin'u. 
tude meni daces spajilukc, 
da ja sudim, da ja razsugjivam! 

5io To jc care jedva docekao, 
na£ini mu sicana fenaaiia. 

Ode Stjepan ot Stambola grada. 
Uvratt se Stjcpau Banjaluci 
pa on paäu 2iva ujitijo 

6151 palu je Ün. ogol^o 

pa ga onda na kolac nabijo. 

Dva nj^ova »Ina pogubijo, 
od sla roda nek n^e porodal 
Ode Stjepan Nevesilju gradu 

6aoi odnese careva fermana. 



Bei heilem Leib mich Schüttelfrost erfasste, 
indem ich schaute des Arabers Haupt 1 

So heisch denn Sohn, was immer dir bchagt! 

— O Sultan, lüdser, Soonenglanz und Glimmen 1 
ich heisdie weder ungeztthlte &hitze, 
noch heisch' ich Burggehiifte nah' den deinen, 
noch heisch' ich von dir drei der weissen Städte, 
am Meere zwei, die dritte an der Donau, 
auch heisch' ich nicht dein Sultanin»Prinies$chen, 
vielmehr ich bitt' dich, teuerster Gebieter, 
bewülig du mir Freiheit und Gewähren, 
gewähr fürs Hochgericht mir einen Ferman, 
dass ich nach Banjaluka-Stadt zurückkehr' 
und töten darf den Banjaluker Pai^! 

Annoch gewähr' mir in dem Herso^andc 
in dem Naren* . .land und Nevesinje, 
allda gewalii luir Reiterlehenguter 
mit voller und mit Schiedsgerichtbarkeit t 

Das kam dem Kaiser Uberaus willkommen, 
und schrieb ihm fertig einen Ferman zierlidl. 

Von daunen Stefan zog von Stadt IstamboL 
In Banjaluka Stefan Einkehr hielt 
und ticQg aiihier lebendig ein den Paäa. 
Dann auch lebendig schund er aib den PaSa 
und pflanzte ihn zuletzt auf einen Pfahl. 

Ums Leben bracht' er seine beiden Sohne, 
von schlimmer Zucht, dass keine Anfaueht bleibet 

Abzog zur Burg von Nevesinje Stefan 
und nahm mit sich den kaiserlichen Feiman. 



Eto pjesoa a od Boga xdravljet Hier mein Gesang, gesegn* uns Gott Gesundheit 1 



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21 



Das war um lo'/s vormittags des 27. Februars 1885. Frühmorgens war ich aus 
der ScMncIlt voa Srebrenica aufge]>rochcn und ritt gerade durch eine Lichtung über 
einen Kammrücken der schneeLcdcckten Trcskavica plantna dahin. Etwa 50 Schritte 
hinter mir trottete zu Ross mein Diener, der Guslar Milovan Ilija Crljic Mar» 
t i n o V i c nach. Auf der Wanderung fxihrten wir nie Gespriche^ sondern jeder «chtete 
awf sich und den Weg und bieng seinen eigenen Gedanken nach. Im AngenMickc 
war ich nur darauf bedacht, meine Nase vor dem Abfrieren zu bewahren, im Übrigen 
Uess ich die EindrOelee der gewaltig nächtigen Gebirgswelt «nf mich einwirken. Ich 
schwärme weder ftir kleine Frostbeule n noch flir die riesigen Buckeln im Antlitz der 
Erde, und doch erfüllte mich mit hehrer Ehrfurcht die stille Grossartigkeit einer von 
Menschenwerlcen «nbedntrSchtigten Winterhochlandidiaft. Auf einmal rief mir Mi- 
lovan zu: ,Wart, Herr, will dich um c'.was befragen!' — ,Redel' — ,Der Frater 
(er meinte den Mönch im Savelande, zu dessen Pfarre er gehört) riet mir ab, mit dir 
zu wandern, weil du, sagte er, ein Ketser wHnt.* — ,HMttest auf ihn gehört!' erwie» 
derte ich \dh aufbrausend, ,habe dich zur r,i.fnlg>chaft nicht gebeten. Schlössest dich 
mir von selber an. Geniessest seit Monaten alles Gute an meiner Seite ohne Gegen- 
letstimg. Wer ledig ist hat keinen Leibhedienerl (n beiara nejma hizmecara). Ich 
bezahle dir deinen Zeitverlust, du zieh deines Weges und lass mich in Frieden T — - 
,Herr, so meine ich 's nicht ; lass mich etwas aassprechen !' — ,Wir haben aasge» 
sprochen!' sagte ich und spornte meinen Schimmel zum scharfen Trab an. 

In schönen, gefallig al)falicndcn Schlangenwindungen verlief der Weg hinab ins 
Tal. Oben knisterte noch unter den Kosshufen der einbrechende, eingefrorene Schnee, 
dann schwand er dahin, der Pfad zeigte sich schneefrei und trocken. Und als ich 
gegen 4 Uhr zur tiefen Mulde und dem Ufer des Drinacatlusscs hinabkam, schmolz 
anch mein Z<irn und weg wnr er. Fi. geriet ich da Mitten im Winter in das Tal des 
sinnerquickcnden, lauen Frühlings mit duftender fUütenpracht, mit duaklcm Laub und 
üppigen Wiesen! Zwei Stunden weit und Stellenweise ein halbe Stunde breit Ist 
dieser lieblichste Fleck Hosniens, den himmelanrngendc, waldbedcckie Berglehnen vor 
Wind und Wetter ewig schützen und das gniue, furellenreiche Wasser der massig 
lanschenden Drina6a fUrsoi^lich befruchtet. An einer Wassermühle, wo iAn altvOmi» 
scher Grabstein halb als Schwelle diente, nahm ich beim BachmttUer, einem Mosliin, 
gastlich angebotene Herberge an. 

Vor aUeni warf icb den PeU, die Astraclianmtitse nAW. ab, stieifte die Gamaacben 
mit den Schuhen von den Füssen und ficng an, mich im saftigen Rasen herumzu- 
wälzen. Den zwei rotharigen, blauäugigen fiengelein des Müllers zeigte ich, wie man 
PuzelbSnme schlägt und Tenncbte ancb, auf dem Kopfe zu stehen. Nein, das miss- 
glückte! Der ältere Junge verstand diese Künste weitaus besser als ich. Fr >ch(iss 
neunmal den Bock und blieb zum zehntenmal gar noch auf dem Kopfe stehen, dazu 
die Anne Aber der Bnist ▼erschrinkt ! Der jüngere Range hatte es «war nocb nicht 
zu so hoher Gewandtheil gebraclit, aber sein Ehrgeiz war scbon geweckt. Kurzum, 
wir vergnügten uns königlich, herumkollerad und juchhezend, bis der Müller mit der 
Meldung erschien, die Müch wäre gar und die Eier gesotten. Tnswlsclien hatten sich 
Leute vom Gelände eingefunden und ich erzählte von Helden aus alten Zeiten und 
wie ich ausgezogen, um deren Taten für die Schwaben aufzuzeichnen. 

Manche meiner Fachgenossen in Folklore eraditen es fiir geboten, sich auf Reisen 
bei Erhebungen zu „verstellen'* und allerlei Kfinste zu gebrauchen, um den „Kundi- 
gen** ihre Weistümer abzuhorchen und herauszulocken. Auf derlei verstehe ich mich 
nicbt, und es geht mir auch wider den Strich. Es ergab sich regelmässig als zweck- 
entsprechend, dass ich den Leuten In ihrer Ausdrucksweise klar und bündig — viel reden 
ist nicht meine Art — darlegte, um was es sich mir handelt. Im Notfall gewann ich 
die Menschen durch meine heitere I.aune und Freigebigkeit. So geschah es, dass ich 
14 Monate lang herumreiste, ohne anch nur ein einzigesmal itgcndwelch enihlen»' 
wertes Abenteuer zu bestehen. 

In dunkler Nacht kam Milovan dahergeritten und kehrte gleichfalls in die Mühle 
ein. Ich tat, als stthe und hörte ich ihn nicht, obwohl ich ihm nicht mehr gram 
war. Er kauerte sich m mir hin und begann: ,llcrr, ich wollte dir blos sagen, was 
fUr ein Mensch der Mönch ist. Die Nichte meines Gevatters sollte kirchlich getraut 
werden, er aber forderte sanichst von der Hausgemeinschaft die Besahlnng alter 
Kirchengebüren von 130 Gulden. Da sie kein Geld bcsassen, musstcn sie es zugeben, 
dass das Mädchen ohne Hochzeitzug und Segen zum Bräutigam ins Heim lief, gleich 



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22 



«hier, die steh selber dem Manne avfdnlngt. So leben sie auf Borg (i. c. in wilder 

Ehe). Nun, ihr Kind musste er doch laufen, ohne Bezahhmg, weil es ihm die Herren 
(die Behörde) gebieten. Vor dir warnte er mich, als ich dir aus Liebe folgte. Ich 
erfiihr mit der Zeit, dass dn mir gütiger als ein Vater und eine Mutter bist, wie das 
Lied von Ljubovic und seinem Wahlbruder Majkovic erzählt. Der war ein 
Türke und der ein Christ und sie wa^en doch Brttder, als ob eine Matter sie geboren 
hätte. Das wollte ich dir auf der Bci^höhe sagen, weil wir allein waren und meine Seele 
deiner Wohltaten gedachte. Deinen Glauben hatte ich nicht die Absicht anzutasten.* 

,M i 1 o V a n . du wähltest zumindest 2^it und Ort fiir deine Erklärung sehr schlecht. 
Merk dir's wie es im Liede heisst : 

pusta gora nije nikat sama Der wüste Wald weilt niemals so verwaist, 

jal Lrcz vuka, jali l>re: hajduka! dass frei von Wolf er war' und Wegelagrer! 

In Hochwald hat man mit der Zunge hinter den Zähnen zu halten. Man se vraga 
ne goni mu traga! Vom Teufel fleuch, verfolg nicht seine Fährte! Erwähn mir auch 
nie wieder deinen und meinen Cilauhen. Du bist Christ für dich und ich ein Gläu- 
biger fiir mich. Scheer dich um das Wohlbefmden unserer Gäule, nicht aber um mein 
Seelenheil. Jetzt iss dich an und sing das Lied, auf das du anspieltest.' 

,Kann ich singen, wenn du mir nicht sagst, dass du mir wieder gut bist?' 

,Bring mich nicht neuerdings in Harnisch! Dass dich das Taschenveitel . . . ! Sing! 
Nimm ans dem Rucksack die Guslen heraus und erheitre die Gesellfchaft, sonst binde 
ich dich den Russen an die Schweife an, dass sie dick lenreissen und ein anderer Guskr 
von dir su singen haben soll!' 

ErwKhnen w^ ich, daas rieh kein einsiger von den Anwesenden (lauter Moslimen) 
in das Gespräch einmengte. Bei den bäuerlichen Moslimen gilt es nämlich für höchst 
unanständig, sowohl über die Gattin als über seine Confession vor Fremden zu reden, 
Indem diese Plnderhösler noch so roh und kulturfremd sind, su glauben, dass Her- 
sensangelegenheiten einer öfTeutlichen Besprechung nicht unterzogen werden dürfen. 

Das Lied nahmen alle Zuhörer beifällig auf j dann liess ich es mir in die Feder 
sagen. Bis zum letzten Buchstaben harrten alle mit aus und schauten mäuschenstill 
zu, und als ich gar das Lied Wort für Wort wieder verlas, waren sie von mir förm- 
lich entzückt und beschenkten mich. Der Müller nahm für die Bewirtung keine Be- 
zahlung an. Die Ehre, dass ich bei ihm geweilt, stand ihm höher als Geld. 

Das Stück erlernte Milovan um das Jahr 1850 als Sauhirtlein von einem älteren 
Gaslaren katholischer Confession, der in Graäaltu zu taglöhnem pflegte. Der Mann 
hatte sieh aus dem Hersogtnm in das Savdaiid Terlanfcn. Weiter ut mir Uber sein 
Sc h icka al nichts belcannt. 

Zu V. I. Von den Ljubovi6 erzfihlt so manches Guslarenlied, was sie für grosse, 
verwegene, sultantreue Helden gewesen. Ein riesig langes Lied meiner Sammlung 
handelt von einem Ljubovic, wie er dem Sultan Bagdad erobert. Welcher es aus 
der langen Reihe der Helden dieser Sippe gewesen, ob gar der unseres Liedes, lässt 
sich nicht bestimmen. Die Lj. waren in allen grossen ]\ mt fen mit. Musta&ga 
Dickwanst schreibt ein Aufgebot aus und sagt im Brief an den Pasa von Mostar: 
,0 turcinc Saric Mahmudaga! Vernimm mal, Türke äaric Mahmudaga 1 
Eto tehi knjige natonme: Empfange hier ein buntbeschrieben &:hreiben: 

Pokupi mi od Mostare turke, biet auf die Türkenmannen mir von Mostar, 
ue ostavi bega Ljubüvica doch lasä daheim nicht Ljubovic den Beg 

sa §iroka polja Nevesinja; vom breiten ßlachgefild von Nevesinje; 

jer brei njega vnjevania nejma! denn ohne ihn kein Feldzug kann gelingen! 
Als Zrinyi Ksseg belagerte, meldete sich ein Beg Ljubovic als freiwilliger 
Kundschafter bei Sil Osmanb^ dem Befehlshaber von Essegg, um durch das Bdage» 
rungsheer durchzudringen und dem PaSa von Ofco M^dung au bringen von der 
Bedrängniä der Festung. 
Osman h^ zagilja^ ljubi Herr Osman kttsst den Beg umschlungen haltend 

a kuca ga po plecima rukora: und schlägt ihn auf die Schultern mit der Hand: 
— Haj aferim be2e Ljubovicul — Traun, wohlgeraten, Ljubovic mein Begl 
Vuk od vuka, hajduk od hajduka Der Wolf vom Wolf, der Hajduk vom Hajduken 
a vazda je soko ot sokola; doch allzeit stammt ein Falke nur vom Fiäkenj 

vazda su se sokolovi l^li noch allzeit wurden ausgebrütet Falken 

« odiaktt bega Ljubovilai wohl in der Begen Ljubovi6en Heimstatt t 



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23 



Ein LjuboTic bewührt sich als Kundwliafter auch bei der Einnahnie von Ofen. 

Vergl. ^Wie Mohammed Koprülü Vezlcr geworden.' Ein Guslarenlied slav. Mohamme- 
dftuer im Uezzogtum. Pioceeding^ Amer. FbUos. Soc Vol. XXXIl. 1894. V. 696 — 746. 
V. 3. Nadi STTimeii kam er -wohl nicbt Dtt müMte sicli auch Milo^an sagen 

als Grenznachbar der Syrmier, wenn er über die Worte seiner Lieder nachdenken 
würde; er plappert aber gedankenlos die erlernten Verse seines Vorläufers nach, der 
auch nicht geistreicher als Milovan war. Wahrscheinlich sang der erste Guslar (der 
Dichter): po Lijevnu, okolo Lijevna. (In Delminiom und um Delminluin herum)^ denn 
auf diesem Hochplateau war die Rinderzucht, mehr als sonst wo im Lande, besonders 
gedeihlich entwickelt. 

V. 10. Es ist ein Unding, die Leute von Neveslnje erst an der Narentamündung 
den Beg von der Reise abmaluien /u lassen. Das konnten sie doch daheim schon 
tun; aber die Verslcchnik uud Poetik erfordert hier eine Wiederholung des Subjektes 
des Nachdrucks wegen und dann einen Reim zur ersten Zeilenhälfte. Ob er den dich» 
terischen Zweck hiu^iibe, lieber widerspricht der Dichter der Wahrheit. 

V. 12 und 35 Kavgu naiinili. Kavga, türkisch Lärm, Streit. Man sagt nicht 
k. n., sondern k. uiiniti einen Lärm machen oder k. zametnuti einen Streit anzetteln 
(gewöhnlicher), doch das passt hier ganr und gar nicht. In einer Novelle bei Bret 
Harte hat ein Goldgräber den Spitznamen Eisenpirat ^ weil er dies Wort für Eisen- 
pyrit gebnmchte, das ihm weuger g^ufig war. So verwechselt auch unser Guslar 
das ihm sonst nicht vertraute türk. kavl^ Wort, Abmachung, mit kavga^ das er tSglich 
hört und äbt. Ich hielt es für unzulässig, den Fehler im Texte zu berichtigen, doch 
in der Verdeutschung vermied ich ilm, weil es keinen Sinn gehabt hKtte, ihn betxu- 
behalten. 

V. 12 und 35 b, Car und cesar sind nur verschiedene siavische Wortformen von 
Caesar^ doch bedeutet car den Sultan, ^esar den „Kaiser von Wien**. „Die türkischen 

Staatsinteressen brachten es mit sich, dass selbst durch Tributzahlungen kein dauernd 
friedliches Verhältnis zu sichern war zwischen dem Sultan und dem „König von 
Wien**, wie der tfirkische Sultan tu seinen Diplomen die Kaiser nannte, hkdem er sie 
offiziell weder als Könige von Ungarn noch .als Kaiser von gleichem Range anerken- 
nen mochte." Salomon, Ungarn im Zeitalter der Türkenherrschaft, deutsch von 
G. Jur&ny. Lpzg. 1887. S. 90. „Im J. 1606 hörte Ungarn auf, dem Tfltken den 
jährlichen Tribut zu zahlen, statt dessen „einmal und nicht wieder" 200,000 Gulden 
in Bargeld, Gold und Silbersachen nach Konstantinopel geschickt wurden. Als inter- 
nationale Errungenschaft kann auch das erscheinen, dass der Sultan den deutschen 
Kaiser nicht mehr „König von Wien", sondern „römischer Kidser'* nennt." Salomon I.e. 

V. 21. Ich übersetzte nach der üblichen Bedeutung: deutsche Kaufleute, aber hier 
waren die Käufer keine Deutsche, sondern gewiss Italiener, vlasi, (siehe V. 29 vlaSki 
Zadar) Njemaiki wird nun hier im ursprüngliche Wortsinne angewandt zur Bezeichnung 
von Leuten, die der slavisclT^n S^^rache unkundig, also gewissermassen sfiimm^ spnnh- 
los sind. Vielleicht wäre darum die Übersetzung „fremdsprachig" auch in meiner Ver- 
dentsdiung anzubringen. 

V. 23. Die Rupien sind ivclch^ weil Gold ein weiches Metall ist. Weiche R. sind 
goldene R. — Mit indischen oder persischen R. zahlte man dazumal in Dalmatien 
nicht, sondern mit Zechinen oder Dukaten, aber dem Moslim ist R. der Begriff von 
Goldgeld. T'ün Dukaten galt zehn Rupien. 

V. 32. Türk, tabja, Schanze j aber im serb. Bastion, Bastei, wofUr ich einmal in 
einem Guslarenliede das serb. Wort taravarndt fand. der Bastei standen die Ksp 
nonen aufgepflanzt: 

ajte suinji gradu po bedenu Eilt, Sklaven, auf dem Wall der Burg dahin 
pa ndrite puSkam od obraza, und feuert drein vom AntUts mit den Bflchsen, 

ja cu biti sa tabalj topnvma! von den Basteien schiess* ich aus Kanonen! 

V. 34. Vla&ki Zadar. Vlah kann hier sowohl den Italiener als den Christen be- 
zeichnen. In den verschiedenen Gebieten des slav. SOdens hat das Wort andi 
verschiedene Bedeutung. Der slavonische Katholik bezeichnet damit vetichtlich den 
Altgläubigen, der Serbe im Königreich den Rumaenen u.s.w. 

V. 45. Die Ladenflfigeln eines tflrk. Geschiftladens sind zwei Klappen; die obere 
wird gehoben und oben an einem Ringe in der Wand eingehängt, so da.ss sie zu- 
gleich in ihrer horizontalen Lage als Schirm gegen die Sonne dient, die untere er- 
seut wieder ein Ladenpult, Sessel und Tisch. "Qvc Kunde setzt sich gelassen anf den 



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24 



nnlerni Flttfel mit imterselilageDen Beinen nieder und der Kanfitnenn ttsst ilun Tor 

allem einen Kaffee reichen. Erst nacbdem man sich eine lange Weile ausgeschwiegen 
oder ausgesprochen hat, sagt der Kunde so nebenher, was er braucht. Das Geschäft 
wicicelt Sieb gewobnBcb glatt ab, denn der Ttttke weiebt Tom festgesefsten Preb 
nicht ab und denkt sich: , Kauft es der nicht, kauf' ein anderer. Ich kann warten. 
Die Zeit kostet ja nichts, und ob die Ware beim Käufer oder bei mir liegt, hält den 
Zeitenlanf docb nicbt auf. Daram soll sie nur bei mir liegen !' Kauft man nidit«, ist *s 
auch gut. Man braucht nicht einmal nach einer Ware zu fragen. Der Moslim bietet 
sie von selber keinem an. Wenn es einmal da» Schicksal bestimmt hat, dass die 
Ware .verkauft werden soll, geht sie schon von sciber ab. Also ist das Reden snr 
Unzeit zweckloses Bemühen. 

V. 56. ,£r schant nicht, wo der Maurer das Loch gelassen hat," würde man bei 
uns sagen. 

V. 65. Dijete ist hier Page. Als solcher ist Sekula ohne Waffen. IHe bdüme er 

erst als Knappe. Nur seine kindliche Unerfahrenheit konnte ihn zu dem Pagenstreich 
verleiten, gegen den wohlbewafTneten Moslim loszugehen. Der straft ihn anfänglich 
auch nur mit stummer Verachtung; denn ein Ritler balgt «dl mit einem Weib, eSiem 
Geistlichen oder einem Kinde nicht herum. 

V. 99. Der Beg war mit einem aus Stahldrat geflochtenen Panzerhemde bekleidet. 

V. loi. Alamanka. Es ist ein alemaaischcr, allgemein bekannter, Stossdegen ge- 
meint^ mit gerader, schmaler, zwei oder dreischncidiger Klinge. Ein moslim. Edelmann 
trug einen solchen gewohnlich mit, um als Kitter keoQtlich^ und nie wehrlos zu sein. 

V. it6. Der Kunstgriff des Beg tiestand darin, dass er einen Amoklauf nachahmte. 
Vor dem Amokläufer, einem Besessenen, läuft alles scheu davon, während man einen 
gewöhnlichen Mörder auf der Flucht auch mit Steinwürfen aus der Feme unschädlich 
tn machen sodit. Der Amoklanf war auch den Serben wohlbdumnt. Ich besitie in 
meiner Sammlung ein Guslarenlied, das den Vorgang sehr klar veranschaulicht. 

V. 118. Der Riegel am Burgtor wurde durch einen Federmechanismus vorgeschoben. 
Der Beg serbricht die Feder vnd Icann dann ohne Anstrengung den Ri^d miilek» 
schieben. Ispuscali (man Hess los) weist damuf hin, dass don GulaxwDichter die Eia^ 
richtung gewiss auch genau bekannt war. 

V. 135. Die Kleidung des Ban war demt «her und fiber mit Gold beladen, dass 
man von ihm zu Ross nur ein wenig heraussah. 

V. 150. ,Das ebene Narentagebiet', eine poetische Figur. Eben ist ist hier ,wegsam' 
im Ge^nsats zu dem unwegsamen Hochgebirge. 

V. 15S. Der Pasa hat seinen Sitz im seher, der (oflenen) Stadt. Wsium der GttSlar 
das Adjektiv serin gebraucht, verstehe ich nicht. 

V. 163. jali [iive] bege jali [njihove] m. g. Entweder liefere mir ^e Begen lebe&> 
dig oder deren tote Köpfe ein. 

V. 173. DelibaSa Zugfüher, Feldwaibl. 

V. 205. Zum Fagendienst gehörte avch die Obliegenheit, die erhitzten Pferde der 

Ritter langsam herumzuführen, damit sie sich abkühlen. Hatte der Junge in solchen 
Fertigkeiten eine Übung erlangt, stieg er auf zum Knappen und ward bewehrt. Als 
vollwehrtiger Genosse wude er vom HSuptling zum Ritter geküsst^ wenn ihm auf 
einem Abentcuerzuge dne Mordtat geglückt war. Anders konnte einer in die Mörder- 
gemeinschaft keinen Etnlass finden. Das Verbrechen eint die Menschen fester als Liebe. 
So ist z. B. zur Aufnahme in die chrowotisch-patriotische Maflfia zumindest die Able- 
gung eines Meineides vor Gericht unerlässlich, wenn sich sonst keine andere Gelegen» 
heit zur Verübung eine«; Verbrechens darbietet, durch dessen Mitwissenschaft die Hättp> 
ter der Maffia über den Anfanger Gewalt erlangen. 

V. 225 u. 304. M ilovan scLber erUärte mir beim Verlesen des V. 304: slaienn 
jabuku mit glavu, das Haupt. 

V. 280; 286; 350 u. 407: boiun ist ein elliptischer Satz; bolan nc bio ! Sollst nicht 
krank sein ! Der AttSmf, um einer bösen Vorbedeutung vorzubeugen. Man sagt audl 
im gleichen Sinne, wenn man wirklich ein I,eiden hat und es erkundigt sich wer dar- 
nach z. B. groznica me, daleko ot tebc, das Fieber schüttelt mich, fern sei es von dir! 
Polnische Juden drttcken sich Ihnlich aus : ,nit Ihnen gesSgt !', um dem Frt^er nichts 
Böses an den T.cib txi wünschen. Der Grossvater unseres Mitarbeiters H. Dr. M. 
Landau war seinerzeit in Lemberg ein berühmter Gelehrte und berühmter WiUkopf. 
£r erreidite ein sehr hohes Alter und konnte snletst die Stab« nidbt mdur verlaMen. 



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25 



Als er so einmal zu Bette lag, kam ein Lemberger Bürger zu ihm zu Besuch and 
fragte ihn: ,Wo8 fehlt euch eigeatlich, Rebelehenf* — Schlagfertig antwortete der 

Greis: , Alterschwäche plögt mcch, nit euch gesögt!' — Da der ursprüngliche Sinn 
von ,bolan' verloren gicng und das Wort zu einer Interjection herabkam, musste ich 
es dnnsch an den einzelnen Stellen Yenchieden ▼eidentacfattn. 

V. 320. Das r.ehendigschinden eil alte Stzafe för Tieabnicli, um den Ehrlosen filr 
alle Zeiten zu kennzeichnen. 

V. 341. OdMak^ odlalclyk, erbliche Familiengflter fttr Untertanen. Vrgl. Hammer, 
Ges L 1 osm. R, VII. 64. 

V. 351. eva& erklärte Milovan unbcfragt mit: evo ovako (siehe, auf solche Weise). 

V. 355. Car Cestiti geben die Übersetzer ständig mit , wackerer Kaiser* wieder. Bmnent 
ein Kaiser gleich einem Bierteutonen ein so nichtssagendes Lobwörtlein ans dem Munde 
eines armseligen BoSnjaken?! Gewiss nicht, und dem Guslaren fällt es auch nicht ein. 
Cestit ist nur durch den Verszwang und den abgeschliffenen Sprachbrauch zum Bei- 
wort von car geworden, ist aber in Wahrheit, wie oben bolan, nur das Bruchstück 
eines elliptischen Satzes. Ks j^eht nicht an., den Namen , Kaiser' aus?Hsprechen, ohne 
ihm einen Segenspruch anzuhängen, wie dies sonst bei festlichen Gelegenheiten im 
Alltagsleben fiblich ist. Man bringt einen Trinkspruch aus: Brate Joco! iestit bio! 
5estita ti na ramenu glava! 5esfit hin ! ko te je rodio u.s.w. ,Bruder Joco! Sollst glück- 
lich sein ! glücklich sei dein Haupt auf deinen SchuUem ! Glücklich sei auch der, so 
dich gezeugt hat!' Ursprünglich lautete also unsere Formel: car, £estit bio! ,der Kai- 
ser, er soll glücklich leben!' oder Vurr, nn^er Kaiserlehcn !' Ob man diese Erklnnmg 
des , — leben' als Anhängsels an Vornamen im judendeutschen Sprachgebrauche nur 
auf ein missverstandenes leve-^ it^ ssrttckswfilliren hat, wie Dr. IC. Güdemann meint 
(in der Geschichte des Erslehungswesens und der Cultur der Juden in Deutschland 
während des XIV u. XV Jahrh. Wien 1888, S. 109 f.), wäre noch im Einzelnen näher 
stt untersuehen. 

V. 371. silistar^ türk. silihdar, Reisig«, Tigl. Hammer I. 95 ; Wafientrüger, Schwert- 
träger 1. 494i II. 234-, 472; V. 450J 464. 
V. 374. Ercef^ovina gebe ich ständig mit ,Herzogtnm* wieder. Indem ich das dent> 

sehe Wort in •r-ne ursprüngliche Fassung rückübersetre. Der Einwand^ dass man 
nicht wisse, welches Herzogtum gemeint sei, ist mit Hinblick auf die Umgebung des 
Wortes, nichtig. Stefan Vultfti£ (1435 — 1466)1 Sohn Sandalj Hrani£*s, Gründers 
der selbständigen Ilcrzogdynastie, nahm im J. 1448 den Titel an; bo?.ljüm mllosti 
humski herc^ (Durch Gottes Gnaden Herzog des Humgebietes). Darnach erhielt das 
Land den Namen hercegova zemlja (Hcrzogland) oder Herccgova, Hercegovina. Vom 
Kegelberg (hum) in der Narenumulde in Mostar hatte das Land seinen älteren Namen 
Humska, Zahiunlje (Hinterhumland). 

V. 401. jan tfiilE. Seite, jandal seitwfirts, po na jandal ziemlidi abseits. 

V. 403. Der Apfel auf der Zeltstange als Zeichen der Reichsmacht; die drei hegen- 
den Drähte um das Zelt herum sollen Neugierige warnen und wohl auch Pferde 
abhalten, am Zelt ihr Gebiss zu versuchen. 

V. 490. Majkovic ist unbeweibt. Obgleich ihn die edelgeborene Frau LjuboTi6 
als ihren Schwager ehrt und Gebieter heisst, weiss er doch in diesem Falle, dass er 
verwaist ist, also, dass niemand seinen Tod so wie den Ljubovic's betrauern würde. 

V. 501. Er fasst die Reise nach Konstantinopel richtig als eine Katabasis auf, er 
hätte sie aber gleich Xenophon auch als eine Anabasis bezeichnen können, 

V. 506. Der Busnier stutzt seines Kusses Schweif nicht; wenn er mit ihm durch 
einen Morast watet, schlägt er ihm in den Schweif blos einen Knoten ein. 

V. 514. Die Behauptung ist unwahr; denn der Herzogländer verschmäht grundsätz- 
lich weder Wein noch Branntwein, letzteren schon gar nicht. Der Vers hat hier kei> 
nen Sinn, ausser man nimmt der Ausfall eines anderen aus der stereotypen, vollen 
Phrase an : s kim sc bljctn s mim Ja tie pijem ^mit wem ich mich schlage, mit dem 
zeche ich nicht", darauf folgt die übliche Wiederholung und Ergänzung: „miV dem 
9uiu ük weder Wdn noch BnumtweinP* Mit dnem Zechbruder ranft man oder balgt 
sich herum und dann ist man wieder gut Freund mit ihm, dagegen im Duell geht es 
auf Leben und Tod. 

V. 530. Das Duell ist ein Gottesurtdl. Der Herausforderer fordert fhr seine gerechte 

Snrbe das Urteil Gottes heraus und setzt sich dadurch von vornherein ins Unrecht 
gegenüber demjenigen, der im Namen Gottes als Partner axiftritt. Der schlaue Araber 



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26 



mSdite di« Sache so wenden^ ab ob An Mfl|kovi£ liemnsforderte imd ffberlMast ihm 

daher den ersten T.anzenwurf, doch lässt sich unser Herzogländer nicht foppen und 
auch Dicht durch die Gaukelei des Arabers, der ihn meuchlings töten will, irre führen. 
Er bestraft ihn snf der Stelle mit einem Fanstsclilag, wie man sonst nur ein bdm 
Diebstahl erwischtes Mensch zi' htigt. Als der Araber bewusstlus zu Boden lag, trollte 
ihn M. nicht umbringen, weil Ermordung eines Wehrlosen unritterlich isU 

V. 534. mqe erklärte MiloTan den Zuhdrem (nicht mir) mit mjehore. 

V, 549 u. 551. Stefan reitet durch das ganze Täed den Braunen, hier infolge eines 
Verredens des Guslaren auf einmal einen Schimmel. Quandoque et bonus dormitatGuslarus. 

V. 563 f.: „Geh, Araber, iss nicht Dreck: ,Wir werden dnmal nnd wir werden zum 
zweitenmale !' " Natürlich plauschte der Araber dummes Zeug zusammen, nachdem ihm 
doch Gott durch den verfehlten Wurf deutlich Unrecht gegeben. Bemerkenswert sind die 
veralteten, seit Jahrhunderten in der Volkssprache nicht mehr gebräuchlichen Wort- 
formen Jt'änosc und drugaic. Die Erhaltung der Phrase kann ich mir nicht anden er* 
klären, als dass sie bei gewissen Ritterspielen des XIV. u. XV. Jahrh. üblich gewesen 
sein muss und der Satz als Wortganzes sich behauptet hat. — In einem anderen Liede 
sagt der Partner zum Araber auf seine gleiche Zumutung: jedanput mc rodila je majka! 
(Nur einmal hat die Mutter mich geboren!). Wie Majkovic hat auch Philipp der Ma- 
gyare in einem Kampfe mit dem Schwarzaraber das Glück des Verfehltwerdens. Der 
ifeisterfehlschütze fordert ihn auf, filr einen awdten Wnrf stille zu stdien, docb Flii- 
lipp erwiedert ihm: 

Stani meni arapine moro, Stell mir dich auf, du Trottel aus Arabien, 

Stani meni kao i ja tebi, stell mir dich auf, wie ich mich dir gestellt, 

stani meni piku na biljegii ! stell auf dem Zielpunkt auf dich hin für michl 

nye mene dvaput porodila majka Die Mutter zweimal bat mich nicht geboren 

n^o jednom jadno i lalosno! vielmehr nor einmal nnter Wehgekrdbsse! 
(Diese Stelle bei Osvctnik, Srpskc n. pj. S. 71). 

V. 574. Das sang der Guslar nicht etwa als eine Sentenz, sondern als ein witziges 
Apergu, das die ZuhOrer als TorsflgUdi gelungen belachten. Man glaubt kanm, wie 
genügsam T,eute in einfach ländlichen Verhältnissen in Bezug auf Witz und Humor sind! 

V. 577 Ute'civ wie spaveciv (Urquell 1897, S, 59, V. 74) gebildet. Milovan spottete 
solange über ^ese Wortform (Kotizip), bis er sieh mit ihr befreundete und sie selber 
nachbildete. Bei antisemistischeu „P'utharkern", den sogenannten „Tintenkulis", die 
ständig über die judendeutsche Mundart spotten, kann man es beobachten, dass sie 
schliesslich weder judendeotsch noch hochdentsch schreiben können. 

V. 590: n^Vh sind die Begen LJubovic", er ist ja Ljubovic's Milchbruder. 

V. 592; gmich, der ich gesund bin, hat der Schüttelfrost erfasst" tt.s. w. 

V. 603. tOrk. Icatl Mord, katil Mörder, Icatl etmek hinridtten. Im seib. neben katol 
auch katal und latur . 

molicu se caru (estitome. Den Kaiser, Glück mit ihm ! den werd' ich bitten, 

nek mi dade tri katnr feimana; er gebe mir drei Hochgerichtfermane; 

ja 6n djecu z glavom rastaviti die Kinder werd* ums Haupt ich kürzer machen, 

a ni tvojoj dobro biti ne ie. und auch dem deinen wird's nicht gut geraten. 

Ktilu bi ti u begluk krenutil Die Warte dein dem Staatsschatz schlag ich zu! 

Unter den achterlei offiziellen Fermanen der Hohen Pforte fehlt der katl f., offenbar, 
weil man mit seiner Ausstellung nicht nach dem Amtschimmel verfuhr. Die anderen 
seien hier ein für allemal genannt, weil die Namen uns noch öfters in den Liedern 
begegnen werden: i) istilam f. Berichtabfordemder, 2) Teekid f. urgirender, 3) tahsil 
f. Steuer eintrcilicndcr, 4) tevdzih f. verleihender, 5) saht f. in Besitz setzender, 6) 
daavet f. einladender, 7) tedzid f. erneuernder und S) ibka fermani Bestätigungsferman. 

Keine Druckfehler sind; 98 ptfbqo, 182 be2e Ljubovic^z, t6l, 179, 357, 379 b^e, 
210 gj/, 228 osic, 234, 275, 456 isto/-, 266 v/rna, 276 vr»me, 320, 325 pr/sjefce, 399, 
409 t'koljena, 580 u Stambok, 583 d/lje, 601 vc, 599 Dun<nra. In V. 423 ist [se] 
und 46S [tieäi] nach V. 599 von mir eingesduütet. 



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V 



Judendeutsche Volkslieder aus Russland. 

Mitteilungen von L. Pcrcz. 
Sie unterlag.... 



I. Oj, oj, oj män 1) liebes Kind 

Vün*) män Reich*) willst dii wissen; 
Ich hob gehat a tajem Wängarten 
Ich flc^ *) ihn than veneUiesien. 



II. Er hot sich gur nischt ungefregt, 
Kr is in ihm arftngelumineD ^\ 
lJus schönste Peire'le*) 
VUn'm schönsten Zwägele 
Hot er ba'mir*) sügeniinnien. 



Abschied. 



I. As'") ich bin a ") klein Kind ge wen ") 
Hob ich mich vüd alle ausgelacht, 

Un hänt '■'') wus is var ninne Ojgen'*) 
Was der lieber GuU hol vun imr gemacht ! 

U. Auf dem Bäumele <•), thttt dus Blättele 

[blühen, 

Jedes Zwagele **) get sin »•) Frucht 

[araus ! 

Himmel ün Erd hot f^ewussi vun uns 

[Sekreten ») 

Ün lifint") mtiss incn ^i) sich züscliei- 
[den, losst sich Alles aus! 



III. Och, wi Icän das der lieber Gott züseh'n, 
Wi mir M) beide wellen sich /cschcidcn! 
As män Harz zieht zU dir, wi a*») Magnes 
K'n'ein^") Wort, kän ich zu dir nit reiden! 

IV. Men soll susgein *i) alle Gassen 
Wet«) 



*■) kein so traje*») Liebe 
[nischt gefinen ") 
Ich soll wissen man ganz I^ben zü ver- 

[passen •*) 
Ün dicli mUss ich hüben in Sinnen! 



Die Enttäuschte. 



Bin ich mir a Kaie'') — 
Ach wi wojl 3*) is mir! 
Freien sich mit mir alle, 
Die Freid is nor bei mirl 



4. Ftthrt nen mich zu der Chape^, 

F'iihrt mrn mich /'rück. — 
Steh'n Wäbelech ün .Mcidclcch 
On wttnscben mir Glttck. 



2. Schikt mir derChuti.scn**)a Briwe'Ic^fl)— 5. Zu morgens in der Friih 
Zü küschen") sine Wörter! Is di Simche*®) in Ganzen; 

Ch'wollt noch nischt gewollt schwören, Der Chussen sitzt ba'm Tisch, 
Dus soll sän män Bescherter! I Di Kaie geht sich tanzen! 



3. Schickt mir der Chasen Matttnes — ' 
Ach wi wojl is mir! 
Es freien sich mit mir alle, 
Di Freid is nor bei mirl 



6. Schabe«;*') in der Früh 

Führt man mich in Schul **), 
Steh'n Meidlcch Un Wablecll 
In di Gassen vieL 



i) Mein. 2) von. 3) Reichtum. 4) theaer. 5) Weingarten (symbolisch) 
6) pflag, pfläg, pflegte. 7) hereingekommen. 8) Frudit h. v^. 9) bei mir, 

10) Als. Ii) ein. 12) gewesen. 13) heute. 14) meine. 15) Augen. 
16) Baumchen. 17) Zveigdien. 18) gibt. 19) seine. ao) polnisch: Sekrety 

Geheimnisse. 21) Heute. 22) man. 23) wir. 24) werden. 25) ein 26) l<ein 
ein. 27) ausgehen. 28) wird. 29) uiah, 30) treic. 31) finderi. 32) ver- 
lieren, aufs Spiel setseo. 33) Braut, h. TbO- 34) wohl. 35) Bräutigam h. |nn- 

36) Briefchen. 37) küssen. 3S) Geschenke, h. nliDD« 39) Baldachin nDUl- 

T — T 

40) Freude, h. ni]D^. 41) Sonnabend, b. rO^> 43) Schule - Synagoge. Mäd- 
chen besuchen nie die Synagoge. Die Ncuventtfihlte wird den ersten Sabbat nach der 
Traung mit Pomp ia die ^Schule" gefUhrt. 



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28 



In acht Tilg arüm nemen 
Schwär ün Schwiger of Köst 
Men halt asoj *) mich auf 
Wi*8«) Veigele in Nest. 

In vier Wochen arüm 
Is di Simche aus, — 

Dus Weibele schneppt ') arüm 
Wi a verssam te *) Maus 



9. Kleider fln Nadan •) 

Host dü mir gegel: li. 
A Schlusarz far a Man 
Nemt er mir dus Leben. 

10. Ach wi wollt ich gerin ^ 
Den Schlusarz puter*) 

Ach wi wollt ich gerin 
Zurück a Meidel weren! 



Der Sohn und die Mutter. 



I. Mameniu liubeniu>i), Herzeniu^^) 

[mins •*) 

Var dir well ich mir man Hen ausreiden : 
Ich hob mich verliebt in a**) Meidele 

[a föns '») 

Dü Bolkt Qns nischt beide tttscheiden! 

S. — Wns **) redst dü man Sühn wus 

[sagst dü mSn Kind! 
Hör schojn auf amul i^) vün dem zü reiden! 
Wen ich toll wissen, nSii Leben ztt ver- 
_ [Heren, 
Ach beide müs'ech 20^ züscheiden! 

3. Oj, wen dft fins beide OL sebeiden west 

Der Sohn, die Mu 

1. Tajcr '«) geschätzter Brillant, 

Belächst») mir di ganze Welt! 
Ich nem dich vän uiimen Stand, 
Ün freg nischt auf kern Geldl 

2. D§n») PenimMM)^ db Miene 

Hoben ba »») mir a») Chein»!)! 
Man sugt of dir niess**) un m*gine>*) 
Mir bist dü tajer ün schein! 

3. SfihneniuM), tajerer, geschätzter, 
Bist b« mir einer sUetn! 



Mamenitt, wat nischt sän>^) kein güter 

[Sof"); 

Dil woUst**) doch midi, oh, wei mir, 

[gekojlert ^ 

Asoj») wi der Schojcfaetii) dus Of»). 

4. — Wus redst dü min Sühn, wus sugst dtt 

[man Kind! 

Host da den dus sügesehn ba dän Vuter 

[ün Mütter 

Dtl llOSt doch schojn M), oh, wei mir 
ünsor Punim verschwerzt 
Es is uns schojD finster ün bitter! 



tter und die Braut. 

Kennst hüben a K«le *^ nriit Gdlder, 
Nischt mit a Kabsante^ gein?! 

,. Mameniu ♦*), tajerc, geschätzte 
Bei Gott kein Kontrakt nischt genünunenl 
Idi hob schojn gesdi*n wi Gewirim^ 
Sennen^ «uf Kkwe^*) gekümmcn ! 

. Getreist sollst dü weren vün Gott, 
Däne") Reid") wi Zücker süss! 
Der soll sSn tH Schand ttn Spott 
Wtts macht mich ba dir miess! 



1) So* z) Wie das. 3) Schnappert, lauft herum. 4) sam, h. Qjp Gift, ▼efw 
samt vergiftet. 5) Mitgift, h. ^ ScMossenneister, polnisch Slnsarz, russ. 

CAecapb. 7) gem. 8) los, h. *nüf3. 9J werden. 10) Mama'chen. 11) Lieb- 
chen, polnisch Lnba. 12) IIer7rfirri. 13) meines. 14) ein. 15) feines. 
16) Was. 17"! Sohn. 18) einmal. 19) euch. 20) muss ich. 21) wirst, 
aa) sdn. 23) Ende, h. F)1D' 24) hättest, würdest. 25) keulen, schlachten. 
26) so. 37) Schlachter, h. JäHW' ^S) Geflügel, h. Vf^, 29) Schon. 30) Ge- 
sicht, h. Qi^. 31) Teuer. 31} BeleiditesL 33) Dein. 34) Gesichtchen h. 
Vp^:^. D^;p- 35) bei. 36) ein. 37) Gunst, Huld, Wohlgefallen h. 
38) hSssUch (Miess?) h. DiKD- 39) abscheulich h. n;513)D- 4«>) Söhnchen. 

4») Braut h. H^p. 42) arme, mittellose h. J^tt'^^j?. (D\)|H3i?. ^3) Müt- 

terchen. 44) reiche D^I'Ti^iJ (wörtlich Herr). 4$) sind. 46) Almosen 

« 

h. ilQ^ 



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39 



Scaimsch^le 



I. Hoiss ich mir Schimschde 
Bio ich mir sehr theier ! 
Ach! gei, gcd kein^ Sewastopd, 
In dem erstea Feierl 

s. W ich mir a«) Stflbele, 

Ch'mcin ') nlscht dus Stübele, nur dem 
Gei, gei kein Sewastopel, [Balkea. 
West*) MUehnme^ halten! 

3. Ch'woja^) mir in a Stttbele, 
Die Fensterlech mit Kitt! 

Gei, gei kein Sewastopel 
Bttd«) dich dort in Blatt 1 

Warschau. 



4, Mcila '0)^ Milchume halten 
Nän >»J Eilen '») tief")! 
— Hdr nur sl, min m) teier Leben, 
SoUst mir adiriben Brief t 

5 Brief wel ») icli dir schrSben 

Klug'n west dü, vrie of'n '«) Chorben >*) 
^Hör nur zü, man teier Leben 
„Schimschele is gestorben !" 

6. Wer es sagt, as Schimschele is gestorben. 
Der sott nln Jahr fimlent 

Gei, gei kein Sewastopel 
Schiess mit äseme ») Kolen >*). 



Stolpern und Hinfallen. 

Vim A. Treichel. 

Bei der alten deutschen Sitte, seinem mitgenommenen Kinde bei 
der Weisung der Grenzen seines zum Besitz gehörigen Eigenlandes 
einige Schläge auf die weicheren Teile der Rückseite zu geben, 
damit es diese Stelle desto besser im Gedächtnisse bewahre, kam 
es besonders auf die Schmerzerregung der Schläge an. Ahnlich wird 
CS von Eltern als erziehendes Moment verwertet, dass sie dem 
. Kinde, wenn es aus Unachtsamkeit oder Übereile hinfallt, einen Schlag 
dazu versetzen, damit es sich in Zukunft desto mehr in acht 
nehme. Gleicherweise sollen aber auch einige Redensarten durch 
ihren scherzenden Spott verwunden oder aber durch ihren ironi- 
schen Trost zur grösseren Achtsamkeit beitragen. Ich habe ver- 
sucht, diese, soweit solche bei uns im Schwange sind, nachstehend 
zusammen zu tragen. Teilweise können sie sich auch auf ein Fal- 
lenlassen einer Sache beziehen« andererseits auf das Fallen an sich 



i) Das Lied wurde sicherlich während des Krimlcrieges componirl. Der junge Ehe- 
mann, der sich ein Häuschen baut und bereits bis zum Dache gelaugte und es mit 
Fenster Tersehen, wurde in den Kr!^ consignirt. — Er fürchtet, das während seiner 
Abwesrr.hrit, seinem geliebten Weibe die Nachricht von seinem Tode zukommen wird. 
2) Simson |Vi^DÄ^' 3) g^g^° Nach. 4) Ein. 5) Ich meine. 6) Wirft. 

7) Krieg nDn^JD- Ich wohne. 9) Bade. 10) Nun. 11) Neine. 

12) EOen. 13) ^htffahoi*** 14) Mein. 15) Werde. 16) Auf den. 

T?) Znr tömng CJenuakmi) Omn* Eiserne. 19) Kugeln — polnisch 

— Kule. ^ 



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30 



und nehmen an, dass das Kind, damit es nicht gleich nach meiner 
Art in Weinen und Lamento ausbreche, und später der grössere, 
seinen Schmerz unterdückende Mensch, auf dass ihm wenigstens 
keine Entschuldigung fehle, nur so gethan und sich eigentlich nach 
einem eingebildeten wertvollen Gegenstande (Thaler) gebückt habe. 
Ganz abweichend ist die polnische Fassung dieses Gedankens. Trost- 
gründe liessen sich überall wohl noch mehrere finden. 

Hierher würde auch gehören eine Betrachtung über Le bonhmr 
allemand, wenn Johanna Schopenhauer in ihrem „Jugendle- 
ben, Wandcrbilder" (S. 83) scheibt: „Die Franzosen pflegten spot- 
tend zu behaupten, dass wir Deutschen, wenn irgend Jemand etwa 
em Bein gebrochen hat, ihn immer noch glücklich preisen, weil er 
nicht zugleich den Hals brach, was doch leicht hätte geschehen 
können. Sie nennen das le bonheur allemand und leugnen lässt es 
sich nicht, diese Bemerkung, die obenhin betrachtet nichts weiter 
als ein artiger witziger Einfall zu sein scheint, ist auf eine tief im 
Charakter unseres Volkes liegende, sehr schätzenswerte Eigenheit 
begründet, die uns treibt, auch dem schwersten Missgeschick irgend 
eine leidliche, einigermassen Trost gewährende Seite abzugewinnen/* 

1. Schon don Stolpernden raft man »1: Heissa, Mutter, wsA Bich! (Fr. I. 3163. 
Ffür's Oberland.) 

2. Als Wortspiel gilt: Er hat ^nea anschläg'schen (anscUfigigen) Kopfj wezui er 
die Treppe rnnteTfUnt^ verfeUt er keine Stnfe. (Fr. I. 3121.) 

3. Er ist die Treppe runtergefallen! sagt man von dem, der sich die Haare 1>e» 
schneiden hat lassen. Ungleichen Beschnitt der Haare nennt man Treppen. 

4. Wieder sehn Thaler verdient! (Fr. 11. 2668.) Wenn man beim Ersteigen einer 
Treppe vorwärts stolpert. Es heisst: War treppauf fiillt, bekommt sehn Thaler. 

5. Ungeschickt läszt grilszen ! 

6. Ungeschickt ist (heiszt) mein Bruder. (Fr. R. A. I. 3867.) 

7. Da schlag' Einer lang hin und st^* kun wieder auf! 

8. Steh' auf und sprich anders. 

9. Rufe mich zum Aufslehen. 

10. Das kommt in den betten Familien vor. 

11. Das kann dem Besten passieren. 

12. Wenn ich das noch mal sehe, kann ich's auch. 

13. Wenn dtt's noch mal vormachst, so kann ich's auch. 

14. Da kann noch mehr liegen. 

15. Wie's fällt, so bullert's. 

16. Das kommt woU vor (kann woU vorkommen), das» Einer (der Mensdi) fällt 

und findet nichts. (Fr. R. A. I. 796.) 

17. Hast du was gefunden? 

18. Lag da ein Thaler? 

19. Der nächste Thnlcr ist aber für mich (mein)! 

20. Oddaj mi puiowe! Gieb ab mir die Hälfte! 

21. Tyi sobie pewnie w dupie scklank^ stinkf ! Du schlugst dir sicher 1>ei dir ink 

H ein Glas A ci ! 

22. Zwiebel setzen. Cebulg sadsi^ Volkst. II. 192. Weil man sich dabei meistens 
bficken nrasz. 

23. Das Pferd fällt ttnd hat vier FUsse; warum soll nicht der Mensch fallen, der 
nur zwei FUsze hau (Fr. R. A. 1. 794.) 



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31 



Da:> rford hat vier Füsze und strauchelL Koo laa cztery aogi a si{ postarbuie. 
(Fr. R. A. II. 3130.) Auch der Bestgeartete kann fehlen. 

25. Es ist nocli nicht so gefährlich ; sie (die A backen) hnckcn noch beide zusammen. 

26. Ete p6tCf Krigenföte; morgen ist es bete. Als Zauberformel beim Besprechen 
gedacht and hKvfig unter dreimaligem Bespucken gehandhabt Ki^nfftte ist Kiähenfusz, 
oft bei Verstauchungen gebraucht, und p5tc w'irc abdann poete^ d. h. Pfotehen| Händchen. 

27. Sei man still j bis zur Hochzeit ist's wieder gut. 

28. Das ist noch nicht so schlimm, als wenn der Jud* stirbt. 

29. Falle Sc nich, Herr Leutnant, et hcft yeghulicst. (gc^'lnttelst.) (Fr. I. 798.^ 

30. Falle Se nich, Se hebbe noch schön Geld. (Fr. I. 799.} 

31. Falle Se nich, Se kunne sdck stete! (Fr. I. 800.) 

32. Da Hej^t ein Musikant betjraben ! 

33. Da kannst nach'm Rathaus gehen und Dir fünf Thaler holen. (Beim Herauf* 
Allen der Treppe). (Vergl. N». 4.) 



Lebendige Richtschwerter. 

Von R. Sprenger. 

I. G. Brentano lässt in seiner Geschichte vom braven Kasperl 
und dem schönen Annerl die alte Grossmutter fol<:jendes erzählen: 
,Vor dem Städtchen, durch das ich musste, kam ich an der Scharf- 
richterei vorüber, und weil der Meister berühmt war als ein Vieh- 
doktor, sollte ich einige Arzenei mitnehmen für unseren Schubsen. 
Ich trat in die Stube und sagte dem Meister, was ich wollte, und 
er antwortete, dass ich ihm auf den Boden lolj^en solle, wo er die 
Kräuter liegen habe, und ihm helfen aussuchen. Ich liess Annerl 
in der Stube und folgte ihm. Als wir znrücke in die Stube traten, 
stand Anncrl vor einem kleinen Schranke, der an der Wand be- 
festigt war, und sprach: , Grossmutter, da ist eine Maus drin, hört, 
wie es klappert, da ist eine Maus drin!* — Auf diese Rede des 
Kindes machte der Meister ein sehr ernsthaftes (jesicht , riss den 
Schrank auf und sprach : ,Gott sei uns gnädig!* denn er sah sein 
Richtschwert, das allein in dem Schrank an einem Nagel hing, 
hin und her wanken. Er nahm das Schwert herunter, und mir 
schauderte. , Liebe Frau*, sagte er, ,wenn Ihr das kleine liebe An- 
nerl lieb habt, so erschreckt nicht, wenn ich ihr mit meinem 
Schwerte rings um das Hälschen die Haut ein wenig aufritze*); 
denn das Schwert hat vor ihm gewankt , es hat nach seinem Blute 



i) Sollte hiermit etne merkwürdige Stelle in Lichtenbergs „Beobachtungen über den 
Menschen*'' zusammenhängen? Sie lautet: „Ks fjiht Leute, die werden mit einem 
bösen Gewissen geboren — mit einem roten Strich um den Hals.'''' 



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32 



verlanc^t , und wenn ich ihm den Hais damit nicht ritze, SO Steht 

dem Kinde gross Elend im Leben bevor." 

Ferner berichtet Hein r. Heine in seinen Memuiren (Werke Ham- 
burger Ausg. V. 1884, 5 Bd. S. 254}; „Auch werden solche Schwerter 
(womit hundertmal das hochotpeinliche Amt verrichtet worden), 
meinen viele, durch das viele Blutvergiessen zuletzt grausam und 
sie lechzen manchmal nach Blut , und oft um Mitternacht könne 
man deutlicii hören , wie sie im Schranke , wo sie aufgehenkt sind , 
leidenschaftlich rasseln und rumoren , ja einige werden so tückisch 
und boshaft ganz wie Unsereins und betören den Unglücklichen, 
der sie in Händen hat, so sehr, dass er die besten Freunde damit 
verwundet.** 

Auf diesem Aberglauben vom blutgierigen Rechtschwerte beruhen 
nach meiner Meinung auch die in halbem Wahnsmn £^ethanen 
Äusserungen Margaretes in Goethes Faust I, 4239 ff. (Ausg. v. 
Schröer) : 

,Zuin BlutstttU bin ich schon entrückt, 

Schon Mttckt nach jedem Nackm 

Die Schärfe^ die meh meinem sücit.*' 

Schon den Alten erschienen übrigens Schwerter und Lanzen als 
„blutgierig". So heisst es in Homers Ilias Buch 21, V. 66 ff. 
nach der Übersetzung von J. H, Voss: 

Siehe, den ragenden Sp rr erh I der edle Achilleus, 
Ihn xa durchbohren bereit j doch er eilt' und rnnfaiiste die Kuiee, 
Hctgebttckt; und der, Unweggesatut Uber die Schultern, 
Stand in der Erd\ nnd UeJkM^ im UtensehenMuti tu sekwatgen* 

Vielleicht auf einer Reminiscenz an diese Stelle beruhen die 
Verse in L. Uhlands Ernst, Herzog von Schwaben 3. Aufz. i. 
Scene V. 145 (11 10) ff; 

Giuta. Herr Graf, vergönnt mir, euer Schwert zu sehn! [Sie ninunt es]. 
Und ist denn das die mörderische Spitze | 
Die muh dem Blute meines Söhnet leehxtr 

Northeim. 



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33 



Volksmedizia. 

Von Dr. Emil Fri«dtinder. 

(Bei Galizischen Juden), Bei Gelbsucht (hervorgerufen z. B. durch 
Leberkrankheiten, Gallensteinkrankheiten u. s. w.) werden dem Kran- 
ken cinii^c Schnure Korallen um den Hals gehängt; es soll nämlich 
durch die rothe Farbe der Korallen, die gelbe Hautfarbe paralysirt 
und somit zum Schwinden gebracht werden. 

Bei Augenentzündungen, specicU der Kinder, sah ich in den nie- 
drigen Bevölkerungsschichten die kranken Augen mit irischi^ehs- 
senem Urin auswaschen, was natürlich fast regelmässig die Entzün- 
dung steigerte, wovon jedoch manche, schwer zu iiberzeugen sind. 

Andere wiccierun: legen auf die entzündeten Augen kleine m 
hüchperzentigen Spiritus getauchte Läppchen, in der Absicht Hitze 
(Entzündung) durch Hitze zu vertreiben. 

Bei Eklampsie (Fraisen) der Kinder wird mit lautem Geräusch 
vor dem in Convulsiüiicn liegenden Patienten ein Topf oder eine 
Schüssel zerschmettert ; das Volk glaubt nämlich daran, dass bei 
Convulsionen der Patient vom „Bösen", vom „Dämon"' beses.sen 
sei, den sie nun in der Weise erschrecken, aufscheuchen und ver- 
jagen wollen. — In einer Familie sah ich folgendes Verfahrengegen 
Convulsionen. Die Mutter sticht mit einer Nadel dem in Convul- 
sionen liegenden Kinde die Finp^erbcere an, saugt etwas Blut auf 
und spuckt es 3 Mal aus, während sie ihr eigenes auf dieselbe 
Weise entnommenes Blut dem Kinde in den Mund bringt. 

Auch sah ich, dass über ein solches in einer Wiege liegende 
Kind eine Fensterhälfte gelegt wurde, um die Fraisen zum Schwin- 
den zu bringen. Eine passende Erklärung dieses „Heilmittels'* 
konnte ich von dem Weibe nicht erlangen; es habe ihr so ein 
^Wunderrabbi", deren es ja bei uns in Halb^Asien genug gibt, als 
jySgile" ^) (Zaubermittel) warm empfohlen. 

Obgleich die Zahl der Zusätze zu den sog. medicamentösen Bä- 
dern Legion ist, wie Malz, Kleie, Senf, Salz, Eisen u. s. w., so haben 
erfinderische Weiber noch einen, nach ihrer Erfahrung besonders 
wirksamen Zusatz den obenerwähnten hinzugefügt, nämlich Pferde- 
Kotballen. Solche Bäder sollen die Rhachitis, (engl. Krankheit) 
sehr günstig beeinflussen. 



3 



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34 



Erkrankt jemand sehr gefährlich, so wird ihm zu seinem Vor- 
namen noch ein zweiter, und falls er glücklicher Besitzer zweier 
war, sogar ein dritter Vorname hinzugefügt. Der Zweck dieses Vor- 
gehens ist, dass der Satan resp. der Todesentjel, der den Befehl 
erhalten hat, ihn von der Erde abzuberufen, ihn nicht hnden könne 
da er auf einen andern Rufnamen hört ') ! 

Skole. 



Der Nobelskrug. 

Eäne Umfrage tob R. Sprenger. 

IV. Von meinem Aufenthalt in Münster her, war mir ein in der 
Umgegend befindlicher ^Nobiskrug" in Erinnerung. Ich schrieb 
daher an meinen ortkundigen Freund Hermann Reeker, um von ihm 
auf Grund der von Dr. Casper angegebenen und von R. Sprenger mit- 
geteilten Charakteristiken das Nähere über diesen Krug zu erfahren. 

Mein Freund sandte mir einen Auszug aus dem trefflichen 
«Führer durch das Münsterland. 1. Bearbeitet von Dr. Longinus, 
Münster i/W. 1893", pag. 59/60: 

«Nobiskrug. — Der Nobiskrug ist ein altes Wirtshaus (Krug) 
an der alten Landstrasse Münster-Telgte gelegen, von welcher 
Reste gerade hinter dem Hause noch erkennbar sind. Der Name 
, Nobiskrug" wird (fälschlich) von einem lateinischen Spruche ab- 
geleitet, welcher auch heute noch über dem Eingange des Hauses 
steht. Er lautete früher: Si Deus pro nobis, quas contra nobis, 
jetzt also : Si Deus nobiscum sit , qui est contra nos ? 

Wahrscheinlich ist das Nobis aus Nops entstanden, lautet doch 
auch heute noch im Volksmundc der Name des Hauses ,Nops- 
krog". Nops ist, nach der Ansicht der Gelehrten, eine alte heid« 
nische Gottheit, die dort ihr Unwesen trieb, wo böse Menschen 
vom Leben zum Tode befördert wurden, also an Hinrichtungs- 
stätten. An der Nähe des Nobiskruges aber, etwas oberhalb der 
alten Landstrasse nach Telgte, stand ehemals ein Galgen. Hier in * 
der Nähe befand sich auch der Freistuhl Kasewinkel (alter Name 
Kalweswinkele), der zur Freigrafschaft Vadruss gehörte. Am Über- 

1) Vrgl. über diesen Brauch bei Krauss, Haarschurgodschaft b. d. SUdsl. Leiden 
1894. S. 32. 

2) Der jetzige Spruch cnlliält leider nicht mehr den alten originellen FeUcr: COntnt 
nobis, dafür aber einen neuen, weniger originellen: qui statt quis. 



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35 



gange der Werse bei Nobiskrug war eine Zollstätte des münsterischen 
Domkapitels. Die erste steinerne Brücke der alten unmittelbar 
hinter Nobiskrug herlaufenden Landstrasse wurde anfangs des i8. 
Jahrh. erbaut, aus dem Ergebnisse der Prozesse gegen die , Kipper 
und Wipper" (Münzfalscher). Diese Brücke wurde im 7 jähr. Kriege 
von den Franzosen zerstört, weshalb 1758 die Preussen noch etwas 
weiter oberhalb eine hölzerne Brücke über den Fluss schlugen und 
die Landstrasse verlegten. Spuren dieser Verlegung sind ebenfalls 
heute noch auf beiden Seiten der Werse erkennbar. Der Bau der 
jetzigen Kunststrasse wurde (von Napoleon) Anfang dieses Jahrh, 
begonnen, dieselbe nebst der Brücke erst in den 30« Jahren 
vollendet." 

Soweit Dr. Longinus, hinter dem sich der im Münsterlande 
weit bekannte und äusserst beliebte, leider zu früh ums Leben ge- 
kommene Privatdozent der Zoologie an der Academie zu Münster 
Dr. Westhoft" verbirgt ; der auch neben seiner eigentlichen Wissen- 
schaft eifrig dem Studium von Land und Leuten huldigte, wie 
seine Schriften, namentlich seine Führer durch das Münsterland 
zur Genüge bekunden. 

Nach Reeker, dessen Freund der Verstorbene gewesen , hat er 
, seine kulturgeschichtlichen Anmerkungen nur den Werken zuver- 
lässiger Fachgelehrten entnommen und diesen zur Begutachtung 
vorgelegt." 

Auf meine Anfrage , ob der Nobiskrug eine Gebietsgren/c be- 
deute, erhielt ich zur Antwort, dass gerade vor dem Hause auf 
der Chaussee der Kilometerstein 5,4 stunde. Von einer Gebiets- 
grenze sei hier keine Rede, da Westhoff, der solche stets gewissen- 
haft notiere, bei diesem Krug nichts davon verlauten lasse. 

Düsseldorf. Josef Buchhorn. 



Volksrätsel aus Pomnjem. 

Gesammelt von A s m u s i). 

I. , Krickelkrumm, wo wist du hen?" ,Kähl afgeschären, wat 
geht die dat an!" «Ich bün noch nicht so oft kählschära, as die 

1) Wir bringen diese Sammlung bis auf sechs Rätsel, die bereits im vorigen Jahr- 
gang unserer Zeitscbrift veröffentlicht sind (S. 209 £ N*. 6, 17, 18, 22, 23, 25) un- 
verkürzt zum Abdruck. — Die litterariselien Nachweise und Bemerkungen eind von 
Dr. A. Bionk in Stettin. 



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36 

n 

dei Aes taufrära." — Bach und Wiese. Wossidio, Meckk nburgische Volks- 
überlieferungen. Bd. 1. Rätsel N*. t; Blätter für Pommersche Volkskunde. Bd. III, S. 117. 

2. Ick schmict wat Rors int Wätä, schwät kümmt't rutä. — Feu- 
erkohle. W. 330: B. f. P. V. III 133. 

3. Lope Föfs, fief un söss, fief un drei. Woväl Föt hewwe dei? — 

Vier (hat ein jeder.) 

4. Wo käme d'meistä Sack top? — An der Naht. w. 941: b. f. P. V. V 185. 

5. Ick schmet wat Schwats int Wätä, Rörs kümtärutä. — Krebs. 
W. 329; B. f. P. V. III 133. 

6. Doä liggt wat im Hull (Hok) as en affgegähet Kaub. — Teig 
im Backtrog, w. 309; B. f. P. V. III 114. 

7. Tck schmet wat Runns iipä Dack, wat Längs kam dä runnä. — 
Woliknauel. Vergl. N». 2 und 5. W. 334. 

■ o 

8. Im Säl hängt wat, blitzt as e AI. — Leuchter, w. 303. 

9. Ick was emäl int Hult, däe fund ick e Buffstück as e Finge 
dick; ick meick däe ut twei Dischblär (TischM^ttf ein Papemütz, 
ein Süwwelspitz (Pfriem). Wae dat utrött, dat is e Witz. — Eichel, vv. 58. 

10. Veie rnnn Reil, veie rüg Fell, eie Schibschab, cie Schöll- 
schab, eic Klistebidel. Wat is dat? — Vier Räder, vier Pferde, 
Peitsche, Knecht und Teertonne, w. 119; B. f. P. V. III 131. 

11. Unne breit un bäwen spitz gräd as en Husärenmutz. — Zucker- 
hut. Im ersten Teile ähnlich. W. 247. 

12. Ett un frett un wad nich fett; hätt drei Bein un kann nich 
gähe, hätt ne vSchwanz un kann nich schlähe. — Pfanne. Vergl. W. 387. 

1 3. Wohe wähet (währt, dauert) Schäpfleisch am längsten ? — Wenn 
das Schaf lebt. 

14. Däe geht wat dürcht Dorp, drägt Königs Berr up em Nackä. — 
Gans. w. 112; B. f. P. V. TTT 117. 

15. Doä steht ein Kecl up eim Bern, hätt hunnetdusend Schwien- 
lein. Dei Schwien seige pickschwät, dei Keel is eie Knickstat« — 
Kirschbaum, w. 185; B. f. P. V. TTI 116. 

16. Wat geht eist (zuerst) in d'Kuch? — Schlüssel, w. 5785 B.f.p. v. v 186. 

17. Det Morgens drink ick Thee, det Middags ät ick Reh, det 

o 

Awends fohr ick äuwre See. — Therese. 

18. Klein Fisch in Botte brare, hinne u vöe krumm geräre. Wo 
schrifft ma dat mit drei Baukstäwe? — D-a-t. 

19. Wat löppt ähn Fäut? — Wagen. B. f. P. V. V 186. 

20. Twei Ding stähe, twei Ding gähe, twei Ding käme. Wat is dat? — 

21. Hinne Fleisch un vöe Fleisch, inne Mirr Hult. — Pferd, Pflug, 
Knecht. So wohl kaum richtig. Wossidio 241 : Vorn Fleesch un hinnen Fleesch, in de 
Midd Holt un Isen. Ähnlich aus Frauendorf : Vorn Flesch, hinn Flusch, midden St&hl un Isea. 



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37 



22. Hinne osem Hus sitt Peite Krus ; wähe anfött, dem bitt e. — 
Nessel, w. 51. 

23. Ick was mäl in Eogeland, in Engeland was ick bekannt Däc 
kam eie klein witt Hündke, dem fraug ick, wo sin Nanikc heit. 
Sin Nämke, dei was mi bekannt. Nu hefick juch all dreimal seggt, 
un noch weit ji *t nich ? — Was (= v/uux). Vgl. w. 955; B. f. p. v. 11 63, vi 9. 

24. Kamm « Keel vä Hippen u Pippen, dei herr ne Rock va 
dusend Flicken; dei Keel dei faeir ne rore B&rt; un säed m'eis, 
wo dei Keel rärt. — Hahn. 

25. Daue güng wat uppem Hof im ded sich bücken, dat härr ne 
Rock von hunnitundusend Flicken, härr na sanftna lorä Biet; 
höe eis, wo dei Keel riet Zn 94 vad 35 vergi. w. 31 «nd b. f. p. v. 1 153, iii 1 1 $. 

26. In Zwilipp was 'n Bue, dä ging a Ding int Sehne (- Sduuer, 
Scheuer, Scheune); was witt un schwart un hett na langa Stät. Rät 
taui wat dat wad. » Elster. 

27. In use Stuw stähe twei Barke, up dähe Barke is ein Tunn, 
Up dähe Tunn is ein Trachte, up dem Trachte is ein Kugel, up 
dähe Kugel is ein Hult, dähe spaziere Jung un Ult. — Mensch. 
Vei^ W. 164; B. f. P. V. V 168. 

2^. Veie ranne Ratsches, veie Wäteklatsches, lope alle glik dull; 
keie einzig kriegt sich däe afT. — Wagen und Pferde. VeigLB.f.P.v.mi3i. 

29. In min Vires Gäre stähe 32 Polasaäre (P«Ui«ulen). Dat regcnt 
nich, dat sehniegt nich, un doch sünd's imme natt. — ^Uine. w. 4». 

30. Raue raue rip, wo ein gäl Piep in dem schwäte Sap, wo dei 
gäl Piep in Stack. (Rdm »un Buddacn). — Mohrrübe. So «aventiadUch. 

/\ NVudaige liegt folgende Fassung vor: Rue nie rtp^ gil 1« de FIp; wdbmttt iM de 

Sack, wo de gäl Hp c stack (B. f. P. V. III 116). W. 121. 

31. Veie Madamen gripen sich, dei krigen sich im ewgen Lewen 
nich. — Windmühlenflügel, w 156- b f. p v in 114. 

32. Kümmt ein Mann vom Himmel mit m witta Schimmel. — 
Schnee. 

33. Ein Soldat mutt Schildwach stähe, hett kein Föt un mutt 

doch gähc. — Uhr. Vergl. N". 36. 

34. Klippermann un Klappcrmann, dei leipe beer (beide) anne 
Barg heran. Klappermnnn leip noch so sehe, Klippermann kämm 
doch noch ehe. — Pferd und Wagen. W. 117. 

35. Eia Twcibcin satt up Dreibein un herr cia Bein. Doa kämm 
eia Veiebcin un namm Tvveibein dat Fiebern weg. Doa namm 
Tweibein dära Dreibein un schmct Vciebem, so dat dci Vi u Hein 
dat Eicheln faila leit. — Schuster sitzt auf seinem Schemel mit 
einem Hasenfuss, den ihm ein Hund entreissen will. W. 15; veigl, 
B. f. F. V. m 43. 



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3» 



36. Ick mutt Schildwach stäha, Heff kein Föt un nitttt doch 
gaha. Up da Arm mutt'ck Stein dräga. Heff kein Mund un mutt 

doch säga (sagen). — Uhr. W. 87. 

37. Rod gebore, gröen erköre, gris gebära, mutt dei ganz Wilt 
ernähra. — Roggen. 

38. Isern Väre, hultern Mutte, hewwa lute hol! Kinne. ^ Schnei- 
demesser, Häcksellade, Häcksel. B. f. P. v. iii 133. 

39. Wat denkt de Storch, wenn hei ein dodg Pogg findt? — Na, 
so wat lewt nich. b. f. P. v. iii 129. 

40. Half Kalf half, viertel dävon aif, wufäl bliwwt dat ? — Nichts. 
B. f. P, V. V 185. 

41. Däe güng a Vigel schnurre von hie, hätt a Röcke van Fapie, 
hätt a Schötke (Schfine) van bruna Läka. We dat utrött, scha bi 
mi schläpa. Wat hätt hei an eim Bein? Schee (Scheie) un Schliep- 
stein. Wat hätt e am andra? Häme un Tang. Wat hätt eupKopp? 
Näga (neun) Drömt Hopp. Wat hätt hei am Niwwe (Schmbel)? Sieben 
Fass Wein. Wie kann das wohl ein Vogel sein? — Schiff. Unprüng. 

lieh, wie auch die vierte Zeile beweist, zwei Rätsel. Urquell IV S. 14S. 1^. 6; W. loi. 

42. Wat is inne ganze Wilt vä acht («verachtet" oder ,vor acht**) ? — 
Sieben, w. 909. 

43. As ick klein was, kunn ick veie betwinga; as ick grot was, 
kunn ick Barg un Grünn ümbringa. As ick dod was, kunn ick vöe 
Herre un Fürsta stäha un kunn mit de Brut uppa Danzplatz gäha. — 
Ochse, w. 76. 

44. Dei Söhn ging tau Böhna (Boden), ehe dei Vaure jung wäed. — 
Rauch und Feuer, w. 148. 

45. Ich weiss ein Tierlein; ein Tierlein, das ich weiss, hat Kno- 
chen überm Fleisch. Wer sich's kann raten, dem will ich's braten; 
wer sich's kann denken, dem will ich's schenken. — Krebs, w. 174. 

46. In meines Vaters Garten stehen sieben Kameraden. Es sind 
keine Buchen und keine Eichen, doch sind sie alle eines gleichen. 
Siebengestirn, w. 40. 

47 Ich weiss ein bunt bemaltes Haus, ein Tier mit Hörnern 
schaut heraus; das nimmt bei jedem Schritt sein Häuschen mit. — 
Schnecke. 

48. Worum löppt d* Häs öwre Barg? — Weil er nicht durch 
den Berg laufen kann. W. 775 ; B. f. P. V. III 130. 

49. Worüm kikt sich de Häs um, (wenn hei öwre Barg löppt) ? — 
Weil er hinten keine Augen hat. So wohl nicht nchtig. Gilow, De Diere, 
S. 215 : Worüm süt sich de IlRs um, wenn 'n de Hunn jägen ? W. 769; B. f. P. V. III 130. 

50. Kaiser Karol hatte einen Hund; er gab ihm Namen nach 



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seinem Mund. Also hiess Kaiser Karol sein Hund i — Also W. 954; 
B. f. P. V. II 144, VI 9. 

51* Keiner und Niemand bauten sich ein Haus. Keiner ging vorae 
raus, Niemand ging hinten raus, und wer blieb drinn im Haus^ — Und. 
w. 960; B. f. P. V. VI 9. 

52. Keiner ging über die Brücke, Keiner ging vorne. Keiner ging 
hinten. Wer ging in der Mitte ? — Keiner; es waren drei Brüder 
namens Keiner, w. 959. 

53. Auf einem weissen See ist eine rote Ros' gewachsen. Wer 
den weissen See will sprechen, muss die rote Rose brechen. — 
Brief und Siegel, w. 33; B. f. F. v. iii 132. 

54. Wat ist drist inne Kirch? — Fliege, w. $74. 

55. Welcher Monat ist der kürzeste ^ — M-a-i. 

56. Wann ist dem Bauer verboten ein Kalb zu verkaufen? — 
Wenn er keins hat. W. 672; B. f. P. v. V 18$. 

$y. Ich steh' in Gründen und weh' mit den Winden, mein Rock 
ist grün und blau, und diene Mann und Frau. — Flachs. 
$8. Welcher Ring ist nicht rund? — Häring. 

59. Zwei Madamen greifen sich und kriegen sich im Leben nicht. — 
,Flüchtatüg*' am Spinnrad, w. 159 (veigi. 158). 

60. Grün wie Gras, sag' mir das; weiss wie Schnee, sag* mir we 
(wie); rot wie Blut, sag' mir's gut; schwarz wie Teer, sag' mir 's ganze 
Rätsel her. — Kirsche, w. 217; B. f. F. v. in 116. 

61. Vier Pferde ohne Futter, zwei Kinder ohne Mutter, zwei 
Brüder ohne Liebe, zwei Städte voller Diebe. — Elias feurige Rosse, 
Adam und Eva, Kain und Abel, Sodom und Gomorrha. Veigl. w. 407. 

62. Us Knecht Hippehappe wull eis inne Emma kacke; was dat 
Make nicht so flink, schlaug em vöre Ding, dat em d' Pissen un 
Kacken verging. — Bierfass. Vergl. Am Ui^ueU Bd. IV, & 148. N*. 7. 



Das Kind in Glaube und Brauch der Völker. 

Eine Umfrage. 



XVII. (Wiegenlieder), 

Schluf 2i, schluf 2i, schlaf gssmd 
in a gitar SchS ^, 

Schluf liy schluf 1^, sclilnf ntas Kpd. 
EUu, lu-lu, lu. 



D| Lwuni') spay.irl scbcun auch 
Araus vm ihr Gozelt^ 
Es soll dän MasI') in dsr Ueuch*) 
Schänan of dar Welu 



i) blunde (hebr.). 



2) Mond (hebr.). 3) Glüdowtem (hebr.). 4) Höhe. 



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40 



Wie IS ut amül alles still, | 
Dl Erd varschleft, verwigt 

jn mtt Briliantnn ün a ZOl 
Dar Hunmsl ausgsstiki. 

intsrn Kynds Wtgalt 
Seh ich eppis stein, 
Es IS a gold» Z^alf, 
D| sisse Hofnoag alldn. 

Dis Zigah wet mit dir handlao, 
Git zl schlecht, wer weiss? 
St wet dir brengdo Roz|nkalach Mandlan, 
jyüB wet sin dSn sisse Treist. 

Biody. 

XVm». Spi muj synku, na zahridce | 
ttSDUli jfi kvftkove, 

/.• a vefcm: spSji sladce 
na vStvickach dechove. ./ 

Vii jak dobrd tv-i ?»?stricka 
na sv^ni luiku jiz haja. 
/.- Jeji dobrd je duliCka 
hvisdidca ji riäa. mk. .•/ 

Ale tebe nendluje, 

pryC odvracl o5ka svd, 
/.- synek muj mnö zarmucuje, 
JeÜlek 1m> potrestft. ;/ 

K\11V>, Spi detitko, spi, 
savH otkn vrf. 
Pan Buh bude steboa spaü| 
andilkove kolibati. — 
Spi d«tät1co, spi. 

Spala bych, spala, 
iÜe 116 sama, 
S mil^m Je2i§kem 
A s andiliikama. 

Gegend von Mdaik, Bölnneii. 



Schluf ii, schlut zu iclilul gasind, 
Dar Huhn ot scheun gakrelt, 
Satnmdl Keuchss') zt dsrtmgan, 

wüs dir Ii» uugagreit. 

Dl Jüren leufan dir akSgon, 
Dech ZT grissen, dech zi sehn, 
Obar Wüs si bieogan vpi duftw^gan. 
Weiss Bor Gott allein. 

Schlaf Si, sdihif Jh, seUnf gasmd, 

in a gitar Sehn, 

Schlaf ti, schluf it, schluf mSn Kind, 
Eflu, ln>la, In. 

Isaak Robinsohn. 

Schlaf, mein Kindlein, in dem Garten 
Schlummern schon die Blümeleinf 

/• Die Abendlüfte auf den Ästen 
Eingewiegt, schon schliefen ein. .-/ 

Sieh, wie dein braves Schwesterchen 
In ihrem Beliehen schlummcri süss. 
/; Gut und rein ist ihre Seele 
Der helle Stern liebt sie gewiss, ./ 

Aber dich kann er nicht lieben 

Wendet weg sein Aug' von dir, 

/; Mein Sohnchen mag mich oft betrüben 

Das Jesvsldnd ihn straft dafllr.;/ 

j Schlaf, mein Kind, in Ruh, 

Mach* die Äuglein zu. 
' Der Hebe Gott wird bei dir liegen 
' Die Engelein dich sanft einwiegen. 

Schlaf mein Kind, in Roh, 

Ich schliefe gerne än, 

Aber nicht allein, 
I Mit dem lieben Jesns 
' Und den Engelein. ' 

Josefine Kopecky. 



XIX. Niederdeutsche Frost- und Schoosslieder aus Lübeck und 
Umgegend, 



a. 



Höte böte 
Kreienföte, 
Klapp vor 't Gatt, 
Beter is dat. 

Hdte böte 
Kreienföte, 



Hasensteert, 
Beter weerd't. 

3. ötc petöte 
Kreienföte, 

MoT^ is 'tan wedder göte. 
(Gebraucht, wenn das Kind wdie 
gethan hat). 



i) etwas. 



2) Rosinen. 



3) Kräfte (hebr.). 



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41 



4> Ik ei di, 
Ik klei di, 
Tk kratz di, 
Ik knip di, 
De Bor de bitt, 
De Hamer de bttmnit. 

5. Hest en Daler in de Hand, 

Dor kannstu köpen Land und Sand 
En Peerd, en Swin en Koh 
Un en Itttt Risfthlen dorto. 

6. Hest CD Daler, 
Geh to Maark, 

Köp en Kaarp, 

Köp en Fisch, 

Wo *n tiltten Steert an is, 

Un lat di 'n beten Didellidclllt togc1)cn. 
(Bei den leUten Worten kitzelt man das 
Kind in die Hand). 

7. Baben upp'n Böhn steibt en Kttfferf 
In den KuiTer is ne Kist, 

In de Kist is en Kasten, 
In den Kasten is ne Schachtel, 
In de Schachtel is ne Tut, 
In de Tüt is Sand, 
In den Sand is en Dieling, 
Den sasl du hcbbcn. 
(Bei jeder Zeile klopft man dem Kinde 
in die Hand, und zuleUt kiuelt man diese). 

8. Tfonunel up'n Buk, 
Trommel up*n Buk, 
Smoltpott de miitt dansen. 
Le^'n vp*n Block, 
Hau*n \ip'n Kopp, 

Dat verdrifift dat Kwansen. 
(Wenn dem Kinde anfstossen aoU). 

9. Hör, hör, hör, 

Wat steiht vor unse Dör? 

Dor f.t"ih' cn Mann mit sine Kipen, 

Pe will uTiö lutt Heine gripen. 

10. Hör, hör, hör, 

Wer kloppt an unse Dör? 

De oll Mann, de mit de Fidel ümgeihl. 

De all de lütten Kinner sleit. 

11. Hör, hör, hör, 
Muskatt sitt in de Röhr, 
Mit en Semmel Hnrebrod, 
Sla mi dmt Ifltt Mnskatt dod. 

12. Pulipp nich beten will, 

PuHpp dnrh is, 
Söben i'und Lippentleesch 
Hett he gewiss. 
(Das schmollende Kind macht eine dicke 
Lippe), 



13. (iram di mau nich. 
Gräm di man nich, 

Ik heflf noch drc Sössling, 
Dat weest du man nich. 

14. Na, wene man nich. 
Na, wene man nicli. 

In de R^re staht KIttmpe, 
Du stthat le man nich. 

15. KaUkopp Gdöschen, 

'n Pott vull Mööschen. 
(Päppelbrei für das zahnende Kind). 

16. Prööschen, 
Lütt Gööschen! 

(Beim |Niesen). 

17. HUck ttp, 

. Lop 't Stack up, 

Lop Ungelangs den Rodder, 
Kamm min Lefdag nich wedder! 

18. Hückup un ik 
Cüng'n ober den Steg, 
Ilückup füll "rin 

Un ik löp weg. 
(Gegen den Schlndcen). 

19. Bimmel bammel bei er, 
De Höhner leggl Eier, 
Bimmel bammel bam, 
Hett Samt nn Siden an. 

20. Bimmel bammel beier, 

De Köster mag ken' Eier. 

Wat mag he dann? 

Speck in de Pann. 

O, wat is *tvör *n Leckemannl 

91. De is in't Water foUen, 

De lictt em 'rut trocken, 

De hett em afdröögt, 

De hett em to Bed bröcht, 

Un de Itttt Schelm hett allen« naacggt 

22. Backe, backe Koken, 
Bäcker de hett ropen. 

Wer will söten Koken backen. 

De mfltt hebben sSben Saken: 

Eier un Smolt, 

Botter un Solt, 

Melk un MeU, 

Saflran maakt den Kokm gel. 

23. Sig', sag', 

011 Hans Grag' 
Treckt de Sag' 
Dörch den Knast, 
Dat seggt riss rass 
Dörch den Knast, 



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42 



24. Sig\ sag', 
Alle Dag' 
En Kros Ber 
Un denn nich mehr. 

«5- Sig', sag', 
Alle Dag' 
Speck in de M«f\ 
Dörch en Born im durch en Knast 
RUch rasch, risch rasch, 
AU dat Geld in Kiaa sin Tasch. 

26. Sig', sag', 
Water dng% 

Wölt en groten Born afsagen, 
Wölt dorup na Lübeck jagen, 
Wait uns Stuten un Twelwck balen. 

27. Sig', sag', 
Water drag', 

Wölt 'n lütten Jungen iit Hamburg 
De sali uns den Born afsagen, [halen, 
Dat sali butscher liataeter gähn. 

28. Si, sa, up de Kar, 

Vader hett sin Maria verlar'n, 
Up den widcn Felde, 
Mit en Sack vull Oelde. 
Hadden wl liitt Maria iiian wedder, 
Sack vull Geld kern ok woU wedder. 
(Karrenschieben). 

29. Hai mi den Salhnnd, den Salhttttd to 
Tie hett mi de Fisch upfreten, [Land! 
He hett mi dat Nett terrcten. 

Hai mi den Salhand, den Salhund to 

[Landl 

30. Hott, hott, hott, ho. 
Na Hamboq; hentol 

Wat wölt wi dor don? 
Dor slacht wi en Hohn, 
Dor steekt wi en Swin 

Un drünkt en Glas Win, 

Dor sali min Heine recht lustig sin. 

31. En twe dre ver fif, 
Kumm mit mi to Krieg, 

Lübeck. 



Kumm mit mi na Engelland, 

Engelland is toslaten. 

Slötel is in 't Lock afbcaken* 

Fett an 'n Wagen, 

Hulterdipttlter, wat wölt wi jagien 

Hamborg up un Lübeck dal! 

Degen bi Sid', 

Brod inne Kip, 

Botter inne Nasch, 

Speck inne Tasch, 

Ber inne Kann, 

Zucker doran, 

Un so to LannM 

32. Husorcn de knnt riden. 
Den Säbel an de Siden^ 

Smit den Keerl Ton HPeerd *raf. 
Hau cm ok en Ohr af, 
Lat em aber en Stückschen an, 
Dat ik *n wedder kennen kann! 

33. Fiddelbum, tiddelbum, 
Spefanann sin Jung, 
Speimann sin Sadelpeerd, 
Is -ken* dre Daler weerd. 

34. Zuck, zuck, zuck, zuck, Habermann^ 

Treck den Bur de Stebcl an, 
Treck se em god slur an, 
Ritt he as en Eddelmann. 

35. Hopp, hopp, hopp, hopp. Habermann, 
Treck den Herrn de Stebcl an, 

Rid dorinil na Amsterdam, 
Von Amsterdam na Spanien, 
Von Spanien na Oranien, 
Our riden s* all to Gast, to Gast. 

36. Zuck, suck, xuck, na MöUigen, 

Min Anna up dat Föhligen, 
Min Heine up de bunte Koh, 
So Tiden s* na de Möhl hento. 
Mit en Schepel Weten, 
Den sali de Möller upgeten, 
Un as de Weten kern up den Rump, 
Dnnn seggt de tüöVL^ rapnmp, ra- 

[pump. 

Colmar Schumann. 



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43 



Tierstimmen im Volksmunde« 



Eine Umfrage von Dr. A. Brunk. 
III. Das Lied der Sdraklbe {Zmaluw, Kemp. ^mIm, Zm/m): 



I. 



3. 



6. 



Als ik orer jaar hier was, 

Vond ik nog 'nen korcntas 

En 'oen deelt met vlas. 

*tlB nu al Tttrintadd en venroereii. 

W«t voor *ne vnUen boer i» d«t?>). 

(Ntveliy Frovitu Osi-FUuider»J. 



Toen ik nog kier was, 

Vond ik nog 'nen korcnlas^ 
Maar nu is hij al verteerd, 
VeismeenL, 
Verfirleftird, 
Fiferd, ftörd, ftird! 

(Zotrsel^ Antmerpmtr Kmpen). 

Als W Iii er lestmaal was, 
Vond ik hier koom en vlas; 
Maar nu en vind ik niks: 
*tls allemaal vertieieltefdl 

("Klein Br«Am$t^ ProvittM Antwerpen). 

Verleden jaar als ik hier was, 
Dan was er 'ncn ta«, *neik taa, *aen tas, 

'Ne korcntas^ 
"Nen ten.'entas, 
*Nc schelft v'jI v1:ls, 
En nu is 't al verkwittcrd, verkwetterd, 
Door 't gat gespetterd, 
Verdestmweeid I 

(Opwfk^ MaaunsLÜe^ Prewm SraiantJ. 

Als ik verleen jaar vertrok, 
I/ict ik hier ^en erwtentas, 

'Nen korentas, 

*Nen schelft vol vlaa, 
En nu is *tal verdistmweeid, 

Wet, wit, wiet ! ») 

(Petyttteiüandy Previnä BraSrnttJ' 

Als ik hier vertrokken was, 

Vond ik hier 'nen koreataa, 

*Nen vlassentas, 

'Nen haverentas, 
En B« is alles Terkvitterd, verkwet- 
[terd, verkwietom ! 2) 

CNinove^ Provinz Ost-Flandern). 
Der Zaunkönig ( Winter koninkje^ Kemp. JCömngsken^ Winter koningsken^ Retter) singt: 



7. LaatstRuud. als iV lUer mSf 
Vond ik hier 'nen ItorentaSf 

*Nen haverentas, 
*Nen vlassentas, 
En nu vind ik hier ntet: 
Alles is verkwiet! 
Kwittcr-kwetter, kwitter-kwetter, kwiet- 

[kwiet-kwiet ! 

'k En zie het niet, 'k en vind bet niet. 

En waar is dat gebleven ? 
'tis naar de mer(k)t 
En door de kcrt (Mühlstein) 
Verfrutseld en venvrrreven *). 

( Wcst-l-landcrn ). 

8. In West-Flandern, nach de Bo: 

Wanneer ik weg^ng, xaten de schüren 

[vol koom. 

Wanneer ik wederkwam, was alles ver- 
[swiesdd, verswanseld en verteerd* 

9. In Friesland, nach Johan Winkler: 

Abs ik uttog (his)^ 
Hadd' ick kisten en kästen vull, 
A&S ick wedderkam, wedderkam, 
Har de tperlingi 
De dickkop (bh) 
Alles vertährt. 



I* In ons land daar stoken ze vieren ? 
Halfhouten zoo dik als mijn beeaen 
En die geUoven in vieren, 
En daar nog veel don hout bij ! 

(Brecht^ Aniwerptner Kempen), 



Ne klippel zoo dik als mijn been 
En dieiin in splinsters gekloven, 
En daar wa' klein hout onder, 
Da' brandt 'lijk den donder. 

(Jffeitt-ep-deit-Berg^ Frev. Aniw.), 



I) Voikekunde, I, bL 82. 
1879 — 1880, bl. 190. 



a) Ibid. 



3) Ibid. 



4) S!»nd dm Heerde 



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44 



Hier 

In ons kwaitier 

Maken ze vier, 

VaD mutsaardkluppels mijn bille dik, 
M^n bffle dik<). 

1 (West'BrakatHj. 



In mijn kwartier 

Maken zc vier 

Met klippels van een bille dikke 
En wat rigshoni, 



Wat rijshout 

W«t rijshout dttibqis) 

(Wat-FUaüUm). 

Titirekkelek ! 
Toorlem van sln-sinl 

AI onzcn kant maken re vierstokkeo 

Als beenen dik, dik, dik 



( Denderiuindeke^ Ost-Flandern ). 
Lied des Rohrsperlings (Rietmusch^ Kemp. Kerrekh-f) : 



I. Kerre kerre kiet, 
'k Woon in 't riet, 
Ge kunt me vinden 
Otn den duvel niet! 

CSU AmandSy Prov. Antmrpm), 

%, Kern kerre kerre kiet kiet kieti 
Ik woon in 'triet, riet, riet. 



Ge kunt mij niet vinden 

Om den dwekote niet, niet, niet! 

3. Wedde, wedde wiet! 

Mijne nest Staat in 't riet, 

Niemand en kan 'm nie' vinden, 
Nog den duvel zelf niet! 



Die Wachtel ffTwakkelJ nStx 

Kwit kwit kwit kwidit! ] Kwakkel die in *t koren dtl (Xmpm), 

Die Nachtigall singt: 

Mebke, zieU ziet, ziet 

Wat dat ge doet, doet, doet, 

De jongena zijn niet goed, goed, goed. (KtmptHj, 

Der Knckack mft: 

Dat singt en Unit dat wil, | Ik roep toch niet Y66r Hatf^ApiüI (IKd,). 
In KleinoBrabant ruft er beim Anfange von März: 

Wdkom, Meert, laat niij leven, | Ik aal u te Md een van m^n jongskens geven. 

Beim Ausgange dieses Monats aber sagt er: 

Adieu, Meert! | Ik geef u gcen pluim uit mijnen steert! 

Wenn die Lerche (Lmmirtky Kemp. Ltemotrk) sich in die Luft erhebt, bitt sie 
flehend: 

I. Lieven Heerken, laat m^ eens drniken, | Ik zal van mfn kren niet meec vlodcen ! 

Wenn sie aber niederstreicht. flucht sie tansend Mal: 

Sakkerdit! sakkerditi sakkerdit! (St. Antonius^ Kempe»)* 

In der Umgegend von Antwerpen sagt sie: 
8. Aufsteigend; Deezeken, !aat mij nog een trappeken hooger, 



Herabsinkend : 



Deezeken, laat mij nog een trappeken leeger! 
Dum Deezeke, Deezeke dum! 



3. Aufsteigend: Deezeken, mag 'k naar boven komen? 

*kZal nooit of uooit meer vloeken. 



t) Volktkunde^ \ bl. 79. 2) Ibid. 3) Ibid. 



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45 



Hinabsteigend : 
4. Ansteigend: 



Do^mme, doSmme,, dodmme! (KempenJ. 



Zee/ekcu, Zeezcken, 
Opent dea hemel iaai mij in ! 
*k Zal van 01911 levea niet meer vloeken of zweren 1 

Heiabsteigend: ZtelegodSf zielegoda, «elegods! ■) (Ost'FUmdirn). 

Die Meise (Kemp. KcismetsJ singt: 

Kock en k^s, koek en koek en kitel 
Obwobl: Tiwa p aijc^! tieu pintjesl tien pinijes! (St, AntotüusJ, 

Der Sperling ruft: 



Diefl dief! diefl 

kZing, 'kzing, 'kzing van Suskc Wiet! (löiJ.J 

Driok 'et nit en tapt nog eenl CIHd,J 
Der Emmediag (Kemp. Gett weehoMti): 



Der Fink: 

Die Merle 



1. Gele weewaal, kerzen rijp? 
Zet er de leer aan, 

Ik zalder opgaan. (lbid,J 

2. PopnHeienliont, 

Lcpclhout, 

Lepelhout! (Brabant), 

3. Alle bottt en is geen timmeiliont ! C^bid., 

4. Populierenhout, 
Lepelhont, 

Schrepelliont!«) (West-Flandtm)* 

5. Wie gaat er mee naar Ninof (Ninove): 
iLHeb er nl geweest. — 

Die Turteltaube ruft: 



Zgn de kerzekens al r^p? — 

Neen ze, Mcneer, z' en bloeien nog 
[maar')! (Ost-FianderaJ, 

6. Poepelierenhout 
Es goe lepelhout^ 
Maar abeelenbout 

Ea nog beter hont. (West'Ptatider»), 

7. Ciis, Ciis, Ciis, 
G'haalt er eer of! 
G*haalt er eer of (Uiä.J 

8. 'k Heb vijf kinderen en een w^f. 

Steel ik zcven kriekcn, 

'k En heb er nog maar 6cne voor my. 



Doet de deur toe, zoetelief! | Doet de deur toe, zoetelief ! 



St. Antonitis>Brecht 



Jozef Cornellssen. 



t) Volkskunde, I, bl. 77. 2) Ibid^ bL 80. 3) Ibid, 



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46 



Folkloristische Findlinge. 

V 

1. Cechischer Alltags glaube. Brüllt die Leitkuh lustig beim ersten 
Austrieb der Herde auf die Weide, so bedeutet das Glück und 
Segen fiir den Rinderstand. 

2. Wenn das Fohlen beim erstmaligen Eingespannt wer den mit 
der Mutterstute das Zugseil überreisst, so wird der Besitzer ein- 
mal für das junge Pferd den zehnfachen Wert der Stute als Preis 
erhalten. 

3. Befindet sich der Bräutigam auf Besuch bei seiner Braut und 
der Haushahn kräht sechsmal hintereinander, so stirbt die Braut 
als junge Frau im ersten Wochenbette. 

KardaS R^c, Böhmen. Moria Frankenstein. 

WitderkehretuU GHster, Um zwölf Uhr Nachts ist es gefährlich 
die Schulgasse (d.h. die Gasse, wo die Synagoge sich befindet) zu 
passieren. Die Toten nämlich fliehen die in der Nacht tätigen 
Teufel (Ruchos) und suchen vor ihnen Schutz in der .Schul**. 
Dort bleiben sie, bis es zu tagen beginnt. Wer also um jene 
Stunde durch die Schulgasse geht der wird von den Toten zur 
Thora aufgerufen, muss eintreten, die Augen schliessen und den 
Segen über die Thora sprechen; sonst stirbt er sicher im sel- 
ben Jahre. 

Skole, Karpathen. Dr. Emil Friedländer. 

Die Froschhexe. Das 19 jährige Dienstmädchen Katharina Wot- 
tawa schrieb der Franziska Holzhackcr, bei der sie früher zu 
Bette war, eine offene Correspondcnzkarte , in der sie die l^oliaup- 
tung aufstellte, die Holzhacker habe einen Frosch im Leibe und 
wolle sie und ihren Geliebten verhexen. Frau Holzharker, die sich 
durch diese Anschuldigung in ihrer Ehre gekränkt glaubte , erstat- 
tete die Anzeige. Katharina Wottawa wurde vom Strafrichter des 
zehnten Bezirkes Dr. Höfner zu einer Geldstrafe im Betrage von 
fünf Gulden , im Uneinbringlichkeitfaile zu einer Arreststrafe von 
24 Stunden verurteilt. 

Wien am 9. November. IC 



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47 



Vom Büchertisch. 

Der Palm'Esety eine cultur-bistomchc Skizxe von R. von Strelc 
Zeitschrift d. D. n. Owt. AlpenTereins, 1S97, XXVIU a S. 135. 

Das mit vieler Sorgfalt ttnd GewisKobaftigkcit ge>aaimelte Material sii obigem 
Thema^ das den Lesern der Alpenverein-Zeitschrift als ein Beitrag zur Volkskunde 
▼orgelegt wird, bringt wieder einen G^^nstand zur Besprechung, über den die Mei- 
nungen bisher geteilt waren. Die Einen sehen in dem Palmesel nur eine Ausartung 
^nes rein christlichen Volksbrauches am Falmenfeste, die Andern greifen tiefer and 
suchen den Ursprung in heiJuischen Zeiten. Auffällig ist jedenfalls, dass der Umzug 
auf dem „hukeraen" P.almesel sich vorzugsweise im allemanischen Gebiete iindetj 
dass im deutschen Volks)Kauche auch ein Pfingstesel bekannt ist, dass man ^dl in 
Tllereichen spöttisch am P:ilmest;l- ufdi Prni^stescltaj^'c Hlück wünscht, dass ninn -mi 
uralten, unheimlich geltenden l'latlen am l'aliniiouuLagc den HrcUel-.Markt anhait 
(conf. Birlinger, Sitten und Rechtsbräuche II, 65, 66), dass man in Oberstdorf 
den Palmesel schon am Palmabend (wie auch anderwärts) von der ,Hexcn"-Kapelle 
abholt und dass der am Palmesei mitziehende Verbannte wieder ehrbar und straffrei 
wird. Aber die Isolierung dieser Feierzeit im Knltkalender von den übrigen heidni- 
schen Festtagen spricht scheinbar doch filr einen ausserfjewöhnlichen Hintergrund, 
der nichts mit dem Heidentum zu thun habe. Mag auch immerhin im Laufe der Zeit 
eine ernstere dem Cliristentnrae würdigere Anl&ssang der Passionsseit im Volke durch* 
gedrungen sein und mnpen auch die unkirchlichen Bei^'alien zum Palmcsel-Zugc zurück- 
gedrängt worden sein, sicher ist es, dass sich die Kutenweibe, die Eier» und Bretsel« 
Geschenke, die Verpfliehtung der Metzger (und BMeker) tum Ziehen des Pabnesels 
leichter aus einem zeitlich verschobenen heidnischen Frühlingsfeste erklären lassen. 
Wie der erste Apriltag der letzte Rest eines zu Anfang April mit Possen, Spösscn 
tmd lustigen Schwinkra gefeierten FrttUingsfestes sdn Icann, so mag ^an?. wohl sich 
auf diesen Blühen-Ostcrtag, grünen Sonntuj,', Blumentng, Blumen-Sonntag, blauen 
Ostertag oder Palm-Tag Verschiedenes aus einer heidnischen Frühlingsfeier übertragen 
haben, die je nach der Lokalität verschieden frilh oder spltt nut einem gemeinsamen 
Knitmahle begangen wurde, weshalb Bäcker und Bretzelnoarkt, Metzger und Hexen, 
sowie unheimliche Stätten an diesem Palmta^e eine fortdauernde Rolle spielten. Ver- 
mutlich war dabei eine zur Dämonenvertreibung, d.h. zur Erhaltung von Fruchtbarkeit 
und Gesundheit einmal im Jahre (im PrOhjahie) sichtbare hölzerne Figur einer Gott« 
heit auft^cbtellt und durch die Felder gezogen worden, die später dem Strassenspotte 
preisgegeben und noch später mit dem biblischen I'almesel vereinigt wurde, den die 
Kirche aber allmählich aus ihren Räumen wieder wegnahm. — Erfreulich ist es, das« 
der so hochangesehene D. O. Alpen-Verein bestrebt ist, dem Volkstume in seiner 
Zeitschrift die gebührende Berücksichtigung zu erhalten und begrüsscn wir diesen 
Beitrag des Sakbntgcr BibliolÜidian ▼on Stf ele «b dne wertvotte Befetchening der 
Volkskunde. — r. 

Btrgische Sir^eu. Gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben 

von Otto S* li" 11 fünf 1 iclitdruckbildcrn, Elberfeld 1897. Ban- 

deker (A. Martini und Grüttefien). XXXiV, 608 S. gr. 8". 

Zur Zeit, als die Volkskunde in verschiedenen Ländern noch ein literarisch Nach- 
geschlumper anderer, älterer Disziplinen war, hätte „man" es als eine Lächerlichkeit, 
wo Tiirht als eine Frechheit bezeichnet, wenn es sich ein Spe/ialisl für slavische Völ- 
kerkunde erlaubt haben wurde, ein urwüchsig deutsches Buch, eine Sageusammlung 
ans dem deutschesten Gebiete, zu bevorworten. Auch dem Bevorworteten hätte „man" 
nicht artig die Meinung ausgedrückt. Seitdem wir Volksforscher so und so vieler 
Sprachvölker uns (ohne jede ministerielle Sprachenverordnung) verstehen und kennen 
Imten, fisnden wir uns am Urquell des Völkergedankens, als Detailfoischer der Völ- 
kerkunde zus.ammen und sind einträchtiglich bemüht, unsere 'Wissenschaft, die sich 
weder um nationale, noch politische, noch confessionelle Abgrenzungen das geringste 
schert, nach Kräften au fördern. Diesem Bestreben, das leider noch nicht weit über 
die Schwelleu unserer Studirstuben hinaus gedrungen ist. verdankt auch unser UrqucU 
seine Daseinsbedingung, die Möglichkeit seines wissenschaftlichen Fortbestandes. 



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4« 



All idi jBach vor acht Jahren «nf Zureden meines Vaters zur Rettung des nach dem 

I. Hefte dem Untergang verfallenden Urquells entschloss (der dem „Urdsbrunnen" 
entsprungen war), nahm ich mir vor, die Welt nach Gesinnung»- und Fachgenossen 
abzusuchen und mir welche im schlimmsten Falle heranzubilden. Die Aufgabe war 
um so schwieriger, als man mich gerade dazumal schwer anfeindete und mein bür- 
gerlicher Erwerb durch die in Wien grassirende geistige Epidemie fast ins Stocken 
gcralcQ vfax. Mit Hingabe meiner spärlichen Mitlei machte ich das über und über 
bankrotte Blatt wieder flott und gieng auf die Mitarbeitersuche aus. In Sachen der 
Volkskunde und des Urquells schreibe ich seit Jahren Tag für Tag mindestens drei 
Briefe, und dazu üugcn ständig viele Tausende von Probeexemplaren noch allen Lan- 
den ans. Oft erhielt ich Antworten von nur wildfremden Leuten, die mit dem Urquell 
sozusagen ihr Herz fUr die Volkslcunde erst entdeckten. Aber, viele sind berufen, 
wenige auserlesen! 

Zu den auserlesenen Urquelljflngem zählt auch mein wackerer Freund Herr Otto 
Schell in Elberfeld. Er ist am Urquell und durch den Urquell zu einem Volksfor- 
scher geworden. Sein Buch ist gleichsam eine Ergänzung zu unserem Urquell, und 
ich bekli^ dabei nur eines, dasa es mir mein bescheidenes Einkommen idcht gestattet, 
jedem Urquellkunden ein Exemplar dieses Buches als unentgeltliche Beigabe zum 
Blatte zu 'liefern. Als mich Herr Schell nach Fertigstellung seines Baches um ein 
Vorwort ersuchte, erachtete ich es für meine Pflicht, sdnem Wunsche zu entsprechen. 

Die Sammlung ist nämlich ausgezeichnet gut und zeigt Seite für Seite den in un- 
serer Umfragenschale ausgebildeten Forscher. An Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit 
und einer fttr den Niditfiachmann warscheinlich zuweilen ermüdenden UmsttndlicUceit 
lässt die Arbeit nichts zu wünschen übrig. Alles ist darnach angetan, dass man diese 
Sammlang als ein für die Sagenforschung Deutschlands grundlegendes Quellenwerk 
ansehen muss. Die literarhistorischen Nachweise im Anhange sind eine dimkenswerte 
und willkommene Beigabe. Hie und da kann ich einigen Deutungen nicht beipflichten, 
doch mochte ich Herrn Schell in Einzelheiten nicht dreinreden, weil doch wohl 
auch andere anderer Ansicht als ich sein dürften und ich weder ein Schulfuchs bin 
noch Herr Schell mein Zögling bt, den ich auf meinn Lehrmmnungen abzuprüfen 
hätte. Mein Vorwort soll dazu dienen, die Fachgenossen, die gewohnt sind meine 
Empfehlung zu beachten, auf dieses Buch auf kürzestem Wege aufmerksam /.u machen. 
Mit solchen Volksüberlieferungen beschäftige ich mich, seit dem ich angefangen, mit 
der Feder in der Hand nachzudenken. Daher leite ich für mich die Befugnis ab, 
über ein derartiges Buch auch einmal ein vorgreifendes Urteil gegenüber den Fach- 
genoesen abzageben. Man schaiTe es sicli an, urteile selber und schöpfe daxans den 
Nutzen, den es nnserer wisseMchaftlichen Richtung gewähren kann. Krnuss. 

TAe Elevation and Procession of Th« Ceri at Gukbio. An Account 
of the Ceremonies Together with some Suggeslions as to their Origiin 

And an Appendix consisting of the Iguvine Loitntion in English By 

Herbert M. Bower M. A., London 1897. David Nutt, XIT, 146 p. 

Wilhelm Meyer (der g Urania-Meyer^') setzte vor Jahren in einem Feuilleton 
auseinander, dass die bedeutendsten Errungenschaften und Fortschritte in der Him- 
melkunde von Luen, von nichtberufmässigen Astronomen ausgegangen seien. Fast 
das Gleiche dürfte einer von der Volkskunde behaupten. Carrington H. Bolton, 
einer der namhaftesten Chemiker Nordamerikas erzählte mir, wie er zum Folkloristen 
geworden. Einmal sah er aus seinem Labontorinm Kindern zu, die Abzählreime im 
Spiel hersagten. Solche Verse kannte er aus eigener Kindheit, und er fragte sich, 
nach dem yVarum der ErscheiQung und suchte es herauszubekommen. Seine Schrift 
darttber schätze ich als eine Musterleistung unserer Methode und Disziplin. Bower, 
dessen sonstigen Beruf ich nicht kenne, ist auch nur ehs Diletto zu unserem Fach- 
genossen geworden, aber sein Üucu als eine dilettantische Arbeit hinzustellen, wäre 
eine Dummheit; denn, die Nase eingespannt, es ist beinshe ein Seiteustück zu Bol> 
ton 's Counting out Rhymes, nur von anderer Art. Da sass er im Frühjahr 1894 an 
einem Wirtshaustische zu Mailand und neben ihm ein fremder, gesprächiger Herr, der 
ihm voU Entzttcken von einem Volksfest zu Gnbbio cnKhlte. Wer der Herr war, 
weiss B. nicht, was Schade ist, denn er verdient auch unseren aufrichtigen Dank. 
Bower machte sich nämlich spornstreichs nach Gubbio auf, widmete volle zwei 



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49 



Jahre der Erforschung des Festhrauchc^ um! sehiMerte ihn des LaQf;en und Bretten 
in diesem von prickelnder Lebensfreude und Feiertagsstimmuug UbcrlUcssenden g€- 
lehrten Werke. Die Daratellttng des Festumzuges (Cap. i. S. i — 18) würde jedem 
Lesebuche für höhere Unterrichtanstalten zum Schmuck dienen. Auch die elf Photo- 
graphieu unterstützen wirksam das Wort. Die Auflassung des Festpatrones (St. Ubaldo) 
und die Parallelen sind zweckmässig^ die Beschreibung der Gilden und der Sommer« 
festlichkeiten sehr bcfricdij^Lud, doch hätte ich eine Herbeizichung ähnlicher Gebräuche 
aus Tirol, Steiermark und Baiem gewünscht; denn den Sprung über die klaffende 
Lücke zweier Jahrtausende zurück auf die Betbruderschaft von Eugubium bin ich zu 
kurzatmig ihm nachzuwagen. I^t er wirklich notwendig? Er ist auch rein unmogUcll. 
Nirgends im Europa hnt sicli ein \\\\x\\<i\\ au c'ntin Orte in j^leicher Weise durch einen 
so gewaltig laugen Zeitraum Ijcliauptcl. Auch der Hinweis uuf die ühnlichcu Maifest- 
gebrSucIie zur Erklärung des Brauches ist nicht unerl isslich. Näher liegt eine Iler- 
leitung von mittelalterlichclnistlichen KirchenreiSpielen. Dieser hunuirlstische Teil 
gehörte, wie ich vermute, schon vom allerersten Anfang an unzertrennlich mit zum Kult 
des Heiligen. Der Kultdienst ist seinem Gnindzug nach einer Lustbarkeit gleich. 
Wertvolle Belege für diese Auffa-^sung enüuilt m)\\o1i1 von Strele's obgenannte 
Abhandlung als auch Brinton's hier weiterbin angezeigtes Buch S. l8o — 186. Auf 
die F^rm der Tragsäulen, die bizarr genug ausschauen, kann man kein grosses Gewicht 
legen; sie mögen am letzten Ende ihre Entstehung einer launigen Schrulle verdanken. 
Wer vermag alles zu ergründen? Das ist eine Kleinigkeit, die neben den zahlreichen, 
höchst gelungenen Ausftlhrnngen kaum eine Erwähnung verdiente, hätte ihr B. keine 
unverdient grosse Betrachtung gewidmet. Dieses Werk ist der XXXIX. Bd. der neben 
der Zeitschrift cinhergehendcn Veröffentlichungen der Londoner Folk-Lorc Society, 
mit der auch die amerilcanische in rühmlichen Wetteifer getreten ist. Wir Deutschen 
konnten es ihnen nachmachen, wenn, — ja, ,wenn's Wenn nit Wär,* sagte der Bauer, 
,hätt' der Pfarrer a a Weibi' Krauss. 

Religions 0/ primitive peoples by Daniel G. Brinton. New York 
& London, 1897. G. P. Futnam's Sons. XVI, 264, 8*. 

Der Übersetzer dieses Buches soll den Titel mit ,Grundriss des ethnologischen 
Volksglauliens' verdeutschen, damit es gleich augenfällig wird, dass hier im kleineren 
Massstabe ein Scitenstück zu A. II. Po st 's ,Grundriss der ethnologischen Jurisitrudenz' 
vorliegt (Vergl. Urquell 1895, S. 4SfO* Ks ist eben, wie dieses, ein I.chrbuch im 
besten Sinne de> Wortes, nur war Post ein trocken schematisirendcr Rcchtsgelehrte, 
Brinton dagegen ist ein künstlerisch sprachgewandter Darsteller, der selbst den 
schwierigsten Gegenstand in anmutiger und leibhafter Art zu behandeln versteht. Um 
ganz gerecht zu sein, inuss man hcrvrirheben, dass Pust sein Wcuk für ausdauernde 
Leser vcrfasste, Hrintou aber sein P>uch in sechs öffentlichen Vorträgen einem Zu- 
hörerkreis betzubringen hatte. Für die Bildungsstufe der höheren Schichte der sieben 
amerikanischen Grnssstädlc, wo im vorigen Winter diese I.ccturcs on the ITistory of 
Religions abgehalten wurden, ist es ein wahrhaft ehrendes Zeugnis, dass sie für solche 
tiefsinnige Auseinandersetzungen Verständnis besitzt. In mancher europäischen Gross- 
stadt spräche der Redner vielleiehf nur an einem Abende zu einem vollen Sale. 
Brinton ist einer von jenen seltenen Forschern, die selbst vor grosser Gesellschaft 
in voller wissenschaftlicher RiEstung eigener Geistes- und Gedankenarbeit auftreten. 
Kr lusst die Zuhörer (oder uns die Leser) mitdenken und uiitschaiTen, indem er die 
Irrtümer früherer J^'orscher dartut und dann mit bündigen Strichen den richtigen Weg 
zur Wahrheit zeichnet. £r ist in der fachwissenschaf^lichen WeltKteratur (die der 
slavischen Völker ausgenommen) aller Zeiten ei i^ lisch, wie wenige sonst, am 
meisten jedoch in der Überlieferung der Indianer. Ei schöpft aus überschäumendem 
Strom mit weiser Umsicht, wie einer, der sich seines Reichtums bewusst ist. Nur 
entsteht dabei, besorge ich, für den Anfönger in der Volkskunde, ein einseitiges Bild 
des Entwicklungszustantles der Keligionc'n. indem das Schwergewicht in Brinfnns 
Darlegung immer auf den (jlauben der Indianer fälk; wir in Europa, die wir unter 
weisshäutigen Indianern, will sagen unter weissen Völkern forschen, wissen aber, dass 
unsere Volkstümer nn wichen T'.ewtisstiickpn, wi«" die von Brinton angeführten, auch 
keinen Mangel leiden. Unsere europäischen, landläufigen Mythologien sind nur etwas 
zu landsmännisch-national gehalten, so dass die religionswissenschafUicben, allgemeia 



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50 



menschlichen nesichtspunlctc dadurch verschoben werden. Wir müssen uns darum die 
amerikanische Methode, die Briatoa im ersten Vortrage beleuchtet, mehr anzueignen 
tiachteiL, dann liat der zweite Vortrag über den Ursprung und den Inhalt der primi« 
tiven Relifrionen, der TIT. TV. und V. über die primitive religiöse Ausdrucksweise 
durch das Wort, den Gegenstand und den Brauch, und schliesslich der Vi., der die 
Entwicktttn^hicbten primitiver Religionen blosslegt, fttr uns nichts fremdartiges mehr. 
Diese Vorträge hat Brinton auch Ülr uns gehalten. Kranss. 



VII. Ausweis 

über dte zur Grfindung einer Urquellstiftung von 10,000 Fl. mr Förderung der 

VolksfoTschung eingeflossenen Spenden: 

Stand des Fonds (vrgl. Urquell, N. F. Band I. S. 360) 734 Fl. 6.W, 

^Zur Abrundung" spendete Börsenrat Herr LeopoldLanger . . 66 , 

Zusammen 800 « j» n 

Weitere Spenden übernimmt der derzeitige Verwalter der ürquellstifitung 

Wim VIT/2. Neustlfteasse la. r* • j ■ u o 

20. Der. 1897 I'»»«^"«»» S. Kranss. 



Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals £. J. BRILL. 

INDUSTRIE DES CAFRES 

DU SUD-EST DE L*AFRIQUE. 



COLLECTION RECUEILLIE SUR LES LIEUX 

CT 

NOTICE ETHNOGRAPHIQUE 

PAK 

HENDRIK P. N. MULLER. 



DESCRIPTION DES OBJETS REPRESENTÄS 

PAR 

JOH. F. SNELLEMAN. 

(X, 50, 6 ff. musique, 27 planchcs noir et col. avec explication, 

108 paedes), gr. in-4''. 

Portefeuille en toile dor6 et coul / 17.50 



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Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals £. j. BRILL. 

i^rchiv für Etbnographie (Internationales), hrsg. voq Dr. Krist. Bahnson, Copen- 
hagcn : Prof. F. Boas, Worcester, U. S. A.; Dr. G. J. Doiy, im Haa^; Prof. E. H. 
Giglioli, Floreoz; A. C.iif^driLf, St. Petersburg; Prof. E. T. Ilumy, Paris; Prof. H. 
Kern, Leideoj J. J. Meyer, Oeogarang (J^^^)) l*rof. G. Schlegel, Leiden: Dr.j.D. £. 
Schmelts, Leiden; Dr. Hjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. £. B. Tylor, Oxford. — 
RedactioH : Dr. J. D. E. Schmelts. -1887 — 1897. Vol. I — ^X. (Mttcctaw. u. col. Taf.). 4«, 
Vannee de 6 lirr ...........y* 12.— 

Supplement zu Band I; 

Otto Stoll, l^e Ethnologie der Isdi«nersiäinne von Gostemala. 1889. (Mit s 
col. T«f.). / 4.— 

Supplement zu Band ITT : 

Max Weber, Ethnographische Notizen über Flores und Celebes. 1890. (Mit 8 
col. T«f.), 4». • • / 9.— 

Supplement zn Baad IV: 

D«Tid M%c Ritchie, The Atnos. 1 892. (Mit 1 7 col. u. 2 schw. Taf.). 4*. / 1 

Supplement zu Band V : 

W. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893. (Mit 2 col. u. 6 
schw. Taf.). 4". . » . ♦ « , . . / 6. — 

Supplement zu Band VII: 

F. W. K. Müller, Nang, Siamesische Schattenfiguren im Kgl. Musenm für Völ« 
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit 4 SChw. «. 8 COl. Taf.). 4^ / 9. — 

Supplement zu Band IX: 

Ethnographische Beitrage. Festgabe zur Feier des yoM^n Geburtstages Ton 
Ftof. Ad. B«sii«n. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4*. / 6. — 

l'm Museen, Bibliothckcu und Privatpersonen. \\elLlic die Zeitschrift bis jct/t 
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecuniä- 
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern^ habe ich mich entschlossen, den neuen 

S'iibscribenfen auf den XI Band die l)i>!ier erschienenen Pamle, so lange der 
noch vorhandene geringe Vorrath dies gestattet, zu ennassigten Preisen zu über- 
lassen, und zwar: 

Bd. I — X (Ladenpreis 210 Mark) zu M. 150. — . 

Bd. I — X mit sämmtlichen Supplementen (Ladenpreis 288 Mark) zu M. 170.<>-. 
Da von den letztgenannten sieben Bänden mit !älmmtlichen Supplementen nur 

noch sehr wenige vullstandi^e Exemplare abzugeben sind, dttrfte CS sich emp- 
fehlen, etwaige Jicstcliungeu darauf baldigst zu crtheilen. 

Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inncr-Arabieu.J 1896. Theil I. 8*. Mrk. 7.50 

Jacobs, J., Het Familie- en Kamponglcven op Groot-Atjeh. Eeue bijdrage tot de 
ethnographie van Noord-Snmatra. Uitg^. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk. 
Genootsehap. 1894. 2 dln. (Met 17 photlith. en 6 geld. plateu) gr. in-8<*. Mrk. 25.50 

gebunden . . Mrk. 28.90 

{.»andb^g, C. de, B4sim le forgeron et Harun Er-Rdchid. Texte Arabe en dialecte 
d*£gypte et de Syrie. Publik d^aprb lea Mss. de Leyde, de Gotha et du Catre et 
accümpagn£ d'une ttadttction et d^iin glossaire. I: Texte, tradition et proverbes« 

18SS. S" Mrk. 5.— 

Martin , K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf 
gc^iuodete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-S**. Mrk. 34.-^ 

Martin, K., Reisen tn den Molukken, in Ambön, den Ultassem, Seran (Ceran) und 
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung 
der Niederländischen Regierung^. 1894. a Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf., 
I color. Karte und 18 Textbildcru). gr. in-8*. Mrk. 21. — 

Spitta-Bey, G., Contes arahes modernes recueillis et traduits* Texte arabe en caract. 
at.^avec la ttadnction fianf. 1883. 8* Mrk. 6.50 



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INHALT. 



Proben von chinesischer Folklore. Von Gustav Schlegel I. 

Guslareniieder. VI. Die Milchbriider. Mitteilungen von Krauss 5. 

Judendeutsche VoUnlieder aus Russbtod. Mitteilungen von L. Peres . . . . 27. 

Stolpern und Hiafiälen. Von A. Treichel . . . 

Lebendige Richlschwerter. Von R. Sprenger 31. 

Volksmedizin (hcl galizischen Juden). Von Dr. E m i 1 F r i e dl ä n c3 e r . . • • 33* 

Der Nohelskrug. Finc Umfrage von R. Sprenger. Beitrag von Josef 
Buchhorn Z4' 

VolksrKtsel aus Pommern. Gesammelt von Asmus. Litenuriscbe Anmerkungen 
von Dr. A. Brunk .... i .... ^ 35' 

Das Kind in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beitrige VOn 

Isaak Robinsohn, Josefine Kopccky und Colmar Schumann. . 39»' *^ 

Tierstimmen im Voiksmunde. Eine Umfrage von Dr. A. Brunk. Beiträge von 
Jozef Cornelisscn * 43* 

Folklotutische Findlinge, i. Öechischer Alltagsg^ube. Von Moris Franken- 
stein. — 2. Wiedokelirende Geister in Galinen. Von Dr. Emil Frted- 
l an der. — 3. Die Froschhexe. Von K 4Ä. 

Vom Büchertisch: R. von Strclc's Skizze über den „Palm-F.ser'. Angezeigt 
von — r. — O. Schell Bergische Sagen j H. M. Bower's Procession of 
the Ceii at Gubbio und D. G. Brinton's Religions of primitive peoples. 
Angescigt von Krauss 47* - 



Wir hitten unsere Mifarbeiti'r^ sich aus Rücksicht für unsere hollandischen SetSCT 

in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lateinschrift zu bedienen. 

♦ 

Jeder Milarhtiter hat Anspruch auf 25 Sonderablttge seines Beitn^es; bedarf er 
ihrer mehr^ mag er sich deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einvei;;^ i< 

nehmen actzen. ^ • 

Der Urquell erscheint regelmassig in Doppclheften. Der Sii^srt !pti0»tprtis ftor ■ 
ganzen Jahrgang beträgt: 4 Mark. = 5 K. = 5 frcs = 2.50 fl. « i /. 

Abonnements können auch bei der Redaktion des Urquells, Wien VI^^. NeuBtütr 
gasse 12 angemeldet werden. . ,• 



Druck der , Buchhandlung und Druckerei vormals £. J. Brill" in Leiden. 



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DER URQUELL. 



Eine Monatschnft für Volkskunde. 



Herausgegeben 



Friedrich S. Krauss. 



Das Volkstum ist der Völker Jungbrunnen. 



« • 



Der neuen Folge Band II. Heft 3 und 4. 




liUCilllANDLUNG U. DRUCKEREI 

E. J. BRILL 

LEIDEN — 1898. 



G. KRAMER Verlag 

in HAMBURG. 
St. rauli, Th.il>ir. »4 , I. 
1898. 



Sedaetioa: Wien, Üstenreicbf Vll/a. K«ustiftgasse 12. 



Einläufe. 

*' • •• 

{A* Bastian]: Lose Blätter aus Indieii. II. Batana. ^897, Alb r «eilt ft C». 140 

112 + XXXVI + 8 S., gr. 8»._ ^ 

Knecht Ruprecht und seine nenonen. Von Frans Weliitek(S. A. Ndl. MitU). Guben 

1898. 56 S. 80. Sell.stvcrhiy. • ' - 

ManasÜr Kalenic zadu2biaa de^pota Slefana La£arevica.(i405 — 1427) napisao M. Cy. 
MUUattt. BcogCMl 1897. XVI, 54 S. 8*. serb. Akttoie). 

0a0Ml und Erzählungen aus dem Kreise Kolbei^ — Körlin. GeHurndt und hrigi 

P. Aamus und O. Knoop. Kolberg 1898. C. F. Post. 100 S. 8».', 

Das St. Martins- und St Nicola«sfiBat in Dttsseldotf, von Kleialer. 8 S. 8«. A. 

Schneider, Düsseldorf 1897. 

KIu o bum bsdus pai siiin po. Eine verkürzte. Veraon des Werices von den Hun- 
' dertuusend Näga^s. Tibetischer Text mit graphischea imd kritisGlwn Erliatemngen. 
Von Bathold Laufer. Berlin 1897. G. Unger. 39 S. gr. 8«. 

Sder, Robert: Sonderabdrttcke: Der Sagenkreis vom Zaunkönig, Ii S. Der Kuckuck^ 
in Dichtung und Glauben der Völker, 1 7 S. ^ — Die Bedentung des Stieglitzes auf 
alten Madonnenbtldem. — Der Seideniehwans (BonA^pUaglhmUa); 

Boas, Franz: Northern Clements in the mytboli^ of die NaTsIio. (Am Antbt.). ~ 

Eiikinva tales and songs (Folklore Journal). 

Hötler, M.: Die geschlossene Zeit. (Big. AUg. Ztg. Mttnchen, 1897, Nr. 286, S. 7). 
Pitre, G. : Motti dialogati siciliani. 7 p. 

Wlislockl, H. 7.: Das sogenannte ,Pl)araonsUed" der Zigeuner. Z. D. M. G. 1897, p. 
485—498. ' 

Sartori, P.: Glockensagen and (Mockenabergkube. S. A. ZtMhr. d. Vcr. f. V. 1897, 
870—86; 385—69. 

Rogasener Familienblatt, bisg« v. fiioop. i. Jahrg. (EntiOlt vorwiegend ^oUdote). 

Niederl ausitzer Mitteilungep, Guben 1897. V B. (K* GflOdar: Ans dem Gebiete der 

Viehzucht, S. 57 — 67). 

Antiquarische Kataloge für Folklore. ' 

Catal(^ue de Livres d'Occasion Anciens et Modernes relatifs aux Sciences Occultes 
etc. ete. III. Pub i898..Lacian Bodin, 43. Qu4 ^ts Grands Augustins. &i£hilt 
917 Bflcbertitel. Preise aooebrnber. ' * ' 



Insertionen — Beilagen 

Es wird höflichst gebeten, sich für Inserate und Beilagen ausschliesslich an 
die BvdiluiMliiiag und Dradceni vcrmala B. J. BRILl^ in Leiden wenden sn wdle«. 



Socialpsychologische und geographische Perspektive. 

Von T h. A c h e 1 i s. 

Wir stehen jetzt in dem ganzen Gebiet wissenschaftlicher For- 
schung unter dem Zeichen der Arbeitsteilung, das erfährt auch 
zu ihrem Heile die Völkerkunde; in der Tat kann es ihrer Ent- 
wicklung nur förderlich sein, wenn möglichst eingehende Special- 
Untersuchungen ihre Basis immer mehr festigen. In dem Gefühl 
dieser steigenden Consolidirung, die selbstverständlich ihrerseits wie- 
der eine günstige Wirkung auf die Methodik ausübt, vergisst man 
gelegentlich die Bedeutung der allgemeinen Principien, der leitenden 
Grundsätze der ganzen Untersuchung oder man construirt wohl 
einen scheinbar unversöhnlichen Gegensatz zwischen beiden Auf- 
fassungen. Das ist unseres Erachtens der Fall bei der Polemik 
gegen den B ast i a n 'sehen »Vöikergedanken*, der, nachdem er 
vielleicht für eine Zeit lanj^ seine Dienste getan, zum alten Eisen 
geworfen werden könne. Wie so häufii^ in der Geschichte der 
Wissenschaft droht der übelberatene Eifer kühner Reformatoren 
den ruhigen Gang sachlicher Prüfung im Frage zu stellen. 

Zunächst suche man sich unbefangen die Situation zu veigegen- 
wärtigen, aus der jene socialpsychologische Anschauung als schärf- 
ster Ausdruck für die geistige Einheit des Menschengeschlechts sich 
mit Notwendigkeit ergab. Nachdem bekanntlich Max Müller 
schon mit äusserstem Erstaunen afrikanische Märchen und Fabein 
bei den Zulus constatirt hatte, die unseren allbeicanntcn auf ein 
Haar glichen, sammelte sich im Lauf der Jahre ein solcher Schatz 
übereinstimmender Sitten, Gewohnheiten, m)rthologischen und reli- 
giösen Glaubens, künstlerischer und rechtlicher Vorstellungen bei 
den stammfremdesten Völkerschaften an, dass (wenigstens bei dem 
zeitigen Stande der Forschung) an keine directe Übertragung und 
Entlehnung gedacht werden konnte. Ich begnüge mich aus der 
schier unübersehbaren Fülle des Materials nur auf die schlagenden 
Parallelen im Rechtsgebiet hinzuweisen. Blutrache, Brautkauf, Frauen- 
raub, das sog. Männerkindbett, Mutterrecht, Consolidarität des Stam- 
mes in Vermögensverhäiitnissen u. s. w. sind derartige gleichartige 

4 



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Tatsachen im Völkerleben, die man beliebig vermehren könnte. 
,Was will die historische oder ethnographische Methode mit der 
seltsamen Erscheinung anfangen' (ruft Post aus), »dass bei mehre- 
ren Kaukasusvölkern, den Reddies in Südindien und den Chibchas 
in Neugranada gleichmässig sich der Brauch findet, dass unmündige 
Knaben mit erwachsenen Mädchen verheiratet werden, welche so- 
lange mit Männer leben, bis der Knabe zu seinen Jahren kommt, 
und dass die Kinder, welche aus diesem Zusammenleben hervor- 
gehen, zum Teil als Kinder dieses Knaben angesehen werden? 
Wir werden nicht zu erwarten haben, dass uns je eine historische 
Kunde darüber zu Teil wird, wie dieser Brauch entstanden ist' 
Es hat sich, wie schon angedeutet, unwiderleglich herausgestellt, 
dass auch hier keine ethnographische Verwandtschaft, keine sog. 
völkerpsychische Individualität irgendwie bestimmend ist, sondern 
lediglich die betreffende Organisationsstufe, das sociale Milieu, das 
mit organischer Notwendigkeit überall und zu jeder Zeit dieselbe 
Institution, dieselbe Anschauung hervortreibt. Diese Universalität 
rechtlicher Vorstellungen, welche bis auf einen ziemlich genau 
bestimmbaren Kreis sich als ein Gemeingut des Genus Homo 
sapiens verfolgen lässt, wird nun gar nicht dadurch erschüttert, 
wie man gelegentlich meint, dass in der Tat directe Übertragungen 
und Entlehnungen von einem Völkergebiet aus dem anderen vor- 
gekommen sind, wie die Reception des römischen Rechts von uns 
Deutschen oder das Eindringen islamitischen Rechts in Afrika oder 
des indischen in Birma; hier handelt es sich um einen historisch 
nachweisbaren Process, wo im Folge überlegener Cultur eine Fer- 
mentirung des socialen Lebens stattgefunden hat, die öfter auch 
nicht unbedenkliche Gährungen nach uch zieht. Aber auch hier würde 
diese Übernahme nicht erfolgreich sein und den ganzen Volks- 
organismus umwandeln, falls nicht eine gewisse psychische Gleich- 
artigkeit, eine annähernd ähnliche Stufe des Bewusstseins erreicht 
wäre; auch hier tritt jede individuelle Bedeutung gegenüber den 
grossen socialen Strömungen völlig zurück. Ahnlich liegt der Fall 
in Mythologie und Religion, wo die früheren durch die Sprach- 
wissenschaft gezogenen Grenzen ethnographischer Verwandtschaft 
weit, weit übersprungen sind. Auch dieses Factum gehört trotz 
aller Fehlgrifte im Einzelnen zu den unerschütterlichen Documenten 
der Völkerkunde, und sie werden nicht irgendwie in Frage gestellt 
durch die kühne Vermutung Ratzel's: ,Wir wagen voraus zu 



t) Bnitune filr «iike «Ug. RecbtswiM. I, 16. 



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53 



sagen, daas in der religiösen Sphäre der entferntesten afrikanischen 
und australischen Völker Keime oder Reste indischer oder ägypti- 
scher Überlieferungen zu finden sein werden, gerade wie in ihrem 
übrigen Culturbesitz. Die indischen Elemente im malayischen Glau- 
ben gehören schon heute zu den fest bewiesenen Tatsachen und 
reichen vielleicht bis nach Hawaii und darüber hinaus nach Ame- 
rika' '). Wir können von unserem Standpunkt aus uns nur auf 
das Entschiedenste gegen eine solche verhängnissvolle speculative 
Behandlung nach gewissen allgemeinen fadenscheinigen Möglich- 
keiten bei Problemen erklären, die nur (für die ethnographisch- 
geogpraphische Perspektive) durch exacte Nachweise sich lösen 
lassen. Ratzel, der hervorragendste Vertreter dieser genauen 
topographischen Forschung und ebenso erklärte Feind des sozial- 
psychologischen Standpunktes, äusserst sich folgendermaassen : ,Die 
Lehre von der Entwicklung des geographischen Besitzes wird nicht 
geschaffen werden, solange der Völkergedanke die Geister beherrscht. 
Denn dieser lenkt vom Studium der geographischen Verbreitung 
ab. Wenn Stäbchenpanzer im Tschuktschenlande, auf den Aleuten, 
in Japan und in Polynesien gleichsam durch eine generatio aequi- 
voca des menschlichen Intellects in's Dasein treten, so genügt die 
Untersuchung eines einzigen Falles dieser Art, alle anderen zu 
verstehen. Dann ist es mehr der Geist des Menschen als die Er- 
zeugnisse dieses Geistes, welche die Ethnographie interessiren ; 
dann hat es geringen Wert, die geographische Verbrc^itung irgend 
eines ethnographischen Gegenstandes sorgsam zu untersuchen, und 
die Völkerkunde kann die Hülfe der Erdkunde entbehren. Man 
sieht, wie äusserlich die Verbindung zwischen Ethnographie und 
Geographie sein mviss, wenn die ungeographische Scheu vor gros- 
sen Entfernungen dazu fuhrt, eine ganze Anzahl besonderer Schöp- 
fungsmittelpunkte von Waffen, Geräten, Sitten und Gebräuchen zu 
schaffen, statt zu fragen : ,Wie konnte die Entfernung zwischen 
zwei Erdstellen, wo ähnliche Varietäten desselben ethnographischen 
Gegenstandes erscheinen, überbrückt werden' ^) ? Ein fest unaus- 
rottbares Vorurteil versteckt sich in dieser unfreundlichen Verur- 
teilung, nämlich der seltsame Gedanke, dass die socialpsychologische 
Perspektive völlig und auf jeden Fall mit der geographischen 
Untersuchung unverträglich wäre: Umgekehrt, sie ergänzen einander 
auf das beste. Ist bei irgend einer auffallenden Übereinstimmung 
zwischen Angehörigen fremder Rassen das Problem zur Beantwortung 



I) Vttlkerk. I, 38, 2» Aufl. a) AnÜuopogMp. II, loi. 



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%4 

gestellt» so wird zunächst eine vorsichtige geographisch-historlsclie 
Untersuchung über die etwaigen Berührungen dieser beiden hete- 
rogenen Völkerschaften (mit allen Zwischenstation der Übermitte- 
lung) einzusetzen haben, und gelingt es ihr, den exacten Nachweis 
zu liefern, so wird schwerlich irgend eine Theorie des Völkerge- 
dankens dies Ergebniss in Zweifel ziehen wollen. Aber wo dies 
inductive Mittel versagt, wo nach Lage der Sache niemals eine 
solche Construction gelingen kann und in Folge dessen abenteuer- 
liche Phantasien entstehen (wie die Hypothese A. Fornander's 
über einen etwaigen Zusammenhang zwischen den Hawaiiern und 
den Cushiten), was bleibt da für die Kritik Anders übrig, als zu 
der doch gewiss nicht von vorneherein unglaubwürdigen Annahme 
von der selbständigen Entstehung gleicher Gefühle und Gedanken 
bei ähnlichen Zuständen und äusseren Reizen zu greifen, die schon 
der ahnungsvolle Geist Sc hiller 's empfahl und der die meisten 
bedeutenden Ethnologen gefolgt sind? Wir können uns nur aus 
vollem Herzen der besonnenen Auseinandersetzung Altmeister 
Basti an 's ausschliessen, der so den bedrohlichen Streit der An- 
sichten zu vermitteln sucht: ,Der Völkergedanke wurzelt in den 
geographischen Provinzen, unter topischen Wancklunocn der psy- 
chisch begründeten Elernentargcdanken , und insofern besteht in der 
Ethnologie kein Gegensatz zwischen psychologischer und geographi- 
scher Richtung. Auf den historisch dem Globus längs geographischen 
Bahnen eingegrabenen Geschichtsw^egen mögen die hin und her 
strömenden Einflüsse auf weiteste Entfernungen hin verfolgbar sein, 
auf unbestimmt weiteste a priori; aber deshalb desto unverbrüch- 
licher, strenger wird eben postulirt, dass nur uns so genauer (a 
posteriori) die Behauptung zu pracisiren sei. Je mehr Möglichkeiten 
möglich sind, desto schärfer wird die Beweisführung verlangt, damit 
sie beweisend ausfalle. Immanent einwohnend verbleiben dabei die 
Elementargedanken im ethno-psychischen Wachstum, dessen Gesetz- 
lichkeiten ebenso unab weislich an sich bereits vorauszusetzen sind, 
wie die der Zelle als Elemente im pflanzlichen '). Es ist in der 
Tat ja recht wohl denkbar (obwohl auch dieser Punkt schwer fest- 
zustellen ist), dass, wie Ratzel betont, die menschliche Technik 
und Phantasie sich im Ganzen und Grossen von einer erstaunlichen 
Beschränktheit und Enge zeigt, dass wenig originelle Erfindungen 
an verschiedenen Stellen des Globus gemacht werden, aber es ist 
doch anderseits höchst bezeichnend, dass gegenüber den grossen 



l) Controversen in der Etbnol. I, 53. 



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SS 



Parallelen im Glauben der Völker selbst Ratzel sich zu folgendem 
Zugeständnis veranlasst sieht: ,\\ cnn wir höher steigen' (es handelt 
sich vorher um künstlerische Übereinstimmungen in der Ornamentik), 
,so kommen wir zu jenen mythologischen Entwicklungen der Götter- 
und Seelenlehren und der Kosmogonien, welche Pflanzen vergleich- 
bar, deren Samen der Wind verträgt, uberall wo Menschen sind, 
gleich in Grundgedanken, aber auch erstaunlich ähnlich in Einzel- 
heiten aufspriessen und oft wuchernd sich entfalten. Die Überein- 
stiiuniungcn und Ähn'iclikeiten sind auf diesem Gebiete so häufig, 
das selbst Beobachtern, \\elche i^ar nicht einmal weit uin sich 
sahen^ solche Anklänge aultlclcn, IlarlL, der eine Satfensamnilung 
des Amazonengebietes anlegte, fand sofort die :scluvauenjun;jfraLi, 
den Werwolf, das Überholen im Wettlauf eines schnellen '1 icrcs 
(Hirsch) durch ein langsames (Schildkröte) heraus. Und sie sind 
nicht vereinzelt, sondern treten in ganzen Mythenbauten und Sagen- 
kreisen auf, wie Bleek einen im Reineke Fuchs in Afrika darge- 
stellt hat. Natürlich liegen auf diesem Fade die Verwandtschaften 
nicht so offen vor Augen, me wenn wir Urnen oder Panzer, Ver- 
körperungen von vergldchsweb einfu^hen Formgedanken vor uns 
haben. Die Phantasie arbeitet ungestaltend an den Vorstellungen, 
die ein Geschlecht dem anderen in leicht veränderlichen und selbst 
dem Missverstande nicht ganz entzogenen Worten überliefert. Die 
Einkleidungen mögen von Ort zu Ort wechseln» wesentlich bleiben 
zwei Dinge bestehen: der unverwüstliche Grundgedanke und die 
zufällig in diesem oder jenem Teil unveriindert erhaltenen Einzel- 
heiten der Einkleidung' '). Zu solchen unverwüstlichen, elementaren 
Ideen rechnen wir den grossen, fast unübersehbaren Complex des 
Animismus, um mit Tylor zu sprechen, ,des Ahnencultus, der 
Dämonologie, der Vorstellungen über die Schicksale der Seele, der 
Entwicklungsphasen des religiösen Bewusstseins überhaupt' u. s.w. — 
Wer hier noch Hoss mit Entlehnung und Übertragung auskommen 
kann, mit dem ist nicht zu streiten, weil er sich absichtlich die 
Augen verschliesst. Mit vollem Recht entgegnet R. Andree den 
Fanatikern der geographischen Methode (es handelt sich um die 
Verbreitung oder etwaige selbständige Erfindung der Masken): 
,Man sieht, wohin man schliesslich mit dem Wandern aus einem 
Centraipunkt anlangt und letzterer kann dann endgültig nur auf 
ein einziges Individuum zurückgeführt werden, in dessen Gehirn 
die erste Conception der Masken entstand. X, ein ägyptischer 



l) AnOuop. II, 718. 



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56 



Priester zur Zeit der so und so vielsten Dynastie, erfand die 
Maske. So ungefähr würde im Verfolg die Wandertheorie sich 
gestalten, wenn der historische Reweis zu erbringen und die Mö- 
gh'chkeit dai t niciit ■^v^kugncL werden. Alle Eisenbahnen der Welt 
führen auf das Histörchen vom Theetopf Watt's zurück' 

Auch eine wichtige philosophische Erwägung zwingt uns zur 
principiellen Anerkennung des socialpsychologischen Gedankens. 
Wer in der geistigen Entwicklung der Menschheit mit uns das 
inductive Material zum Aufbau einer umfassenden Psychologie 
sieht, um die stufenweise Entfaltung des Bewusstseins empirisch 
zu erfassen, der kann unmöglich in dem Individuum, in der plan- 
mässigen, überlegten Erzeugung geistigen Lebens (sei es nun irgend 
eines Werkzeuges, einer Institution oder einer Vorstellung) den 
Gipfel und die Kroae des ganzen Vorganges erblicken. Wenden 
vnr nur jenen mechanischen Gesichtspunkt äusserer Mitteilung und 
Aneignung an, so fallen die grossen treibenden socialpsychischen 
Factoren, welche Tun und Treiben- des Menschen und ganz be- 
sonders des primitiven Naturmenschen beherrschen, fort, mindestens 
kommen sie nicht zu ihrem Recht. Wer sich aber nicht durch 
blendende Phrasen täuschen lässt; wer sich klar macht, dass unsere 
Seele einen unendlich verschlungenen Complex psychischer Tätig- 
keiten darstellt und insbesonders» wer sich dessen gewiss wird, dass 
unser persönliches Bewusstsein nur einen spärlichen Ausschnitt 
unseres gesammten seelischen Lebens überhaupt ausmacht, der 
kann sich auch nicht mit dem landläufigen individualpsychologi- 
schen Standpunkt begnügen. ,Nur der Denkproces,' bemerkt Post, 
»verläuft vollständig im Bewussten. Alle Gefühle und Begehrungen 
werden uns nur als Resultat bewusst, und eine Menge von Urteilen 
sind nicht logische, sondern unvollständige, mit der Norm, auf 
deren Grund sie gefallt werden, im Unbewussten liegende. Ist dies 
richtig, so ist Idar, dass unser Bewusstsein fiir die tiefere Erkennt- 
niss des menschlichen Wesens durchaus nicht ausreicht, weil nur 
ein ganz kleiner Teil unseres Seelenlebens uns überhaupt unmittel- 
bar bewusst wird. Was wir durch Hineinschauen in unsere eigene 
Seele ergründen können, ist bald erschöpft. Unendlich aber dehnt 
sich das Erkenntnissgebiet aus, wenn man neben der inneren Selbst- 
beobachtung die Beobachtung mittels der Sinne zur Erkenntnis 
der menschlichen Seele heranzieht, mit anderen Worten, wenn man 
aus den Erscheinungen des unbewussten Seelenlebens in der Welt 

i) Ethnognph. Fandlelen, N. F. S. loS. 



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57 



unserer Sinne Rückschlüsse auf die in uns wirksamen unbewussten 
SeeleutciLigkcilcn macht' '). Dass deshalb unsere persönliche Wert- 
schätzung irgend welcher ethnologischer Tatsachen weit entfernt 
von der wünschenswerten Objectivität eines wissenschaftlichen Ur- 
teils ist, leuchtet von selbst ein, und die im Werden begriffene 
Social-Ethik wird daher nicht ohne Grund ihr wesentliches Mate- 
rial aus dem überreichen Arsenal der Völkerkunde entnehmen 
müssen; Derselbe Grundsatz gilt aber mit ungeschmälerter Kraft 
für das Verständnis und die Analyse der grossen mythologischen 
und religiösen Ideenwelt, die vollends über den beschränkten 
Rahmen individueller Kraft und Erfindung hinausreicht. Die Zei- 
ten, wo man sich in dieser Beziehung mit dem schönen Bilde der 
, Religionsstifter' begnügte, — in ihnen wahre Titanen und selbst- 
schöpferische Genies verehrend — sind wohl auf immer dahin. 



Ein altägyptischer Weltscliöpfungsmythus. 

Von A. W i e d e m a n n. 

Auf das Engste hängt im alten Ägypten das religiöse Empfin- 
den des Volkes mit seinem gesammten Fühlen und Denken zu- 
sammen. Der Ägypter zeichnete sich, wie dies bereits den Völkern 
des klassischen Alterthums auffiel, durch seine grosse Frömmigkeit 
aus; in jeder seiner Verrichtungen, auch der alltäglichsten, spielten 
die Götter oder Dämonen eine Rolle; im Wachen wie im Schlafen, 
von der Geburt bis zum Grabe und weit über dieses hinaus um- 
schwebten ihn Geister, bald gutherzige, die ihm hülfreich zur Seite 
standen, bald bösartige, die ihn und sein Glück zu verderben 
strebten. Ihrer musste er Herr werden und bleiben, wollte er irgend 
ein Ziel erreichen, sollte seine Gesundheit und sein Leben nicht 
Gre&hr laufen, wollte er nicht auf ein Fortleben in einem Jenseits 
voll Glück und Befriedigung verzichten. Dieses innige Band zwi- 
schen Glauben und Leben wurde dadurch noch fester geknüpft, 
dass die Religion nie zum abgeschlossenen Dogma ward, sondern 
Hand in Hand mit der übrigen Kulturentwicklung in stetem Flusse 
blieb. Im Nilthale gab es keine heiligen Schriften, denen jede 
Glaubenslehre ihre Grundl^e und Berechtigung entnehmen musste, 



t) Einleitinig in 4m Studium der ethnol. Jumprudenz, S. 14. 



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58 



an deren Inhalt jeder Ägypter fest zu halten gehabt hiitte, wollte 
er nicht als Abtrunniger vom (ila-uben der Väter erscheinen. Hier 
traten keine Dichter auf, deren mythologische Ausführungen das 
religiöse Denken hätten beherrschen und systematisieren können. 
Solchen Ausweg hatte das Hellenenthum gefunden, um zu einem 
einheitlichen Glauben zu gelangen, ohne denselben in die Fesseln 
eines Systems zu schlagen. Ihnen schufen Homer und Hesiod, wie 
Herodot II. 53, Xenophanes u. a. mit Recht hervorheben, ihre 
mythologischen Vorstellungen. Naturgemäss geschah dies nicht in 
dem Sinne, dass sie ihre Lehre frei erfanden, wohl aber in dem, 
dass sie die Widersprüche der ihnen vorliegenden Mythen aus- 
glichen, die Legenden in Verbindung setzten und so Götterge- 
schichten und Göttergenealogien feststellten, auf welche die Nach- 
welt immer und immer wieder zurückgriff. Dies hat nicht zu ver- 
hindern vermocht, dass auf den Boden des alten Hellas, wie später 
auf dem Roms, als dieses in historischer Zeit Griechenland die 
homerische Götterwelt als eigenen Besitz entlehnte, die alten lo- 
kalen Kulte bestehn blieben und sich weiter entwickelten. Die 
homerisch-hesiodeische Mythologie war trotzdem der gemeinsame 
Boden, auf dem das innerste Empfinden der gräco-italischen Stämme 
sich zusammen fand ; allen Wucherungen des Volksglaubens gegen- 
über bildete sie ein festes, unerschütterliches Ganzes. 

In Ägypten war dies anders. Hier fehlte jede wie nur immer 
geartete Dogmensammlung, jeder Versuch einer zusammenfassenden 
Darstellung der Mythologie, ja sogar jede Möglichkeit, eine Art 
Katechismus herzustellen, dessen Inhalt als die ägyptische Religion 
hätte gelten können. Nur einmal im Verlaufe der Jahrtausende 
langen Geschichte des Pharaonenreiches ist der Versuch gemacht 
worden, dem gesammten Volke einen einheitlichen Glauben auf- 
zudrängen. Es geschah dies, als der König Amenophis IV um ' 
1450 v. Chr. zwangsweise die Verehrung seiner henotheistischen 
Gottheit, des AUn, der Sonnenscheibe, einzuführen trachtete. Ihr 
sollten alle andern Götter weichen oder in ihr aufgehn; mit ihnen 
auch der Gott, der damals seit einigen Jahrhunderten, zwar nicht 
dem Namen nach, aber doch thatsächlich das ganze ägyptische 
Pantheon zu durchdringen begonnen hatte, der Sonnengott Ra, 
der, im Gegensatze zu der reinen Naturgottheit des Aten, einer die 
Sonne beherrschenden intelligenten, anthropomorph gedachten Kraft 
entsprach. 

Der Versuch des Königs, der soweit ging, dass er seinen eigenen 
Namen Amenophis ,Gabe des Amon*' abstreifte, da er den Namen 



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59 



eines der alten Götter, des Amon, enthielt, und der sich nunmehr 
Chu-n-aten ^Glanz der Sonnenscheibe" nannte, misslang. Der 
Aten-Kult ward nach seinem Tode durch eine priesterliche Reak- 
tion unS'idrückt, de Ra-Glaube begann von Neuem seine Sieges- 
bahn. Em Gott nach dem andern ward ihm verschmolzen, aus 
Amon ward Amon-Ra, aus Chnuni Chnum-Rä, u. s. f. Die Götter, 
die den Namen des Ka vci schmähten , n ihmen doch seine Kigen- 
schaften an, so dass zu der Zeit, als die Griechen Ägyptens Boden 
besetzten, hier so gut wie alle Gottheiten mehr oder weniger zu 
Göttern der Sonne und ihrer Eigenschaften geworden waren, der 
Sonne an sich, der Morgen-, Mittag- oder Abendsonne, der ver- 
sengenden Sonnengluth, der befruchtenden und ernährenden Son- 
nenwärme, und ähnlicher Begriffe. Dieser Prozess war ein durchaus 
freiwilliger, der sich wie mit Natumothwendigkeit im Denken des 
Volkes vollzog, kein aufgezwungener. Ein Ägypter, auch der helle- 
nistischen Zeit» hätte sich sehr gewundert, hätte man ihm gesagt, 
sein Glaube sei eine Sonnenreligion. Zwar waren seine Götter in 
ihren Lebens- und Machtaäusserungen identisch geworden, allein 
soweit ging man nicht, sie einander nunmehr auch dogmatisch 
gleichzustellen. Jeder unter ihnen fristete ein selbständiges Dasein 
fort, bis das Ägypterthum überhaupt zu Grunde ging und 'das 
christliche Kreuz die eingestandenen und die nicht eingestandenen 
Sonnengötter zu Boden warf. Nur als Kobolde, Riesen, Schlangen 
und sonstige dämonische Wesen von sehr beschränkter Macht haben 
sie neben dem Christenthume und später neben dem Islam sich 
zu erhalten vermocht. Der alte Glaube ward in den ersten Jahr- 
hunderten unserer Zeitrechnung zum Abei^lauben herabgewürdigt, 
dem der Priester und dann auch der Ulama feindlich gegenüber 
trat 

Die Innigkeit, mit welcher dergestalt im Nilthale der Glauben 
das Volksleben durchsetzt, zwingt den Forscher, wenn er dem 
Äg>'pterthume volkskundlich näher zu treten sucht, stets bei der 
Religion den Hebel anzusetzen. Sie ist hier nicht nur eine mehr 
oder weniger wichtige unter den mannigfaltigen Erscheinungsformen 
des Volkslebens; sie ist unter allen Äusserungen der Volksseele bei 
weitem die wesentlichste, ein Gedankenkreis, der alles Dichten 
und Trachten, alle Sitten und Gebräuche durchdringt und beherrscht. 
Dabei ist die Religion aber, wie bereits angedeutet, keine einheit- 
liche, sie setzt sich aus den heterogensten Bestandtheilen zusam- 
men, die dem Ägypter alle gleich berechtigt erscheinen. Ihm gilt 
es gleich, ob eine Lehre oder ein Mythus auf Grund unserer mo- 



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6o 



dernen Schultemtinologie in das Gebiet des Glaubens oder Aber« 
glaubens gehört, ob wir ihn als Religion oder Magie, als Gottes- 
erkenntnis oder Zauberei einordnen würden. Ihm sind alle der- 
artigen Klassificationen fremd, für ihn giebt es keine mehr, keine 
weniger berechtigte Lehren. Dabei geht der Ägypter so weit, dass 
er auch die schroffsten Widersprüche ruhig neben einander duldet, 
dass jeder Vorstellungskreis in mehreren verschiedenen Auffassungen 
und Abänderungen vertreten sein kann. 

Derartige Widersprüche und Abarten der Lehren mussten sich 
naturgemäss eigeben, denn Jahrtausende haben an der Bildung des- 
sen gearbeitet, was jetzt als ägyptische Religion der Forschung 
vorliegt Männer aus allen Volksschichten, vom Könige und Ge- 
lehrten beginnend bis hinab zu dem Handwerker und Ackersmann 
haben ihr Scherflein beigetragen um im Spiegel des Glaubens ein 
Abbild ihres Denkens und Fühlens der Nachwelt zu hinterlassen. 
Dabei blieb jeder Beitrag erhalten; nie hat der Ägypter versucht 
sjrstematisch alte Lehren auszumerzen, um Raum fiir neue Ge> 
dankenkreise zu gewinnen. Die neuen setzte er unvermittelt neben 
die alten oder pfropfte sie auf diese in häufig sehr wenig logischer 
Weise auf. 

Diese Entstehungsweise der ägj^tischen Glaubenslehren hat den 
religiösen Vorstellungen des Volkes ihren unverwischbaren Stempel 
aufgedrückt. Unmittelbar neben den erhabensten Ideen finden sich 
die rohesten und ursprünglichsten Gedankengänge. In ein und 
demselben Texte begegnen uns geistige Errungenschaften der ver- 
schiedensten Jahrtausende, unbekümmert darum, ob sie zusammen- 
passen oder nicht. 
' In Folge hiervon tritt die ägyptische religiöse Überlieferung dem 
modernen Forscher als ein Chaos entg^en, und es kostet zunächst 
einige Überwindung, sich in die Irrgänge dieses Labyrinths hinein 
zu wagen. Hat man es aber gethan, hat man sich von dem aprio- 
ristischen Wunsche frei gemacht, ein einheitliches ägyptisches Re- 
ligionssystem zu finden, wie ein solches eben niemals bestand, und 
geht den einzelnen Gedankengängen nach, so gewinnen die Texte 
von Tag zu Tag an Interesse. Aus diesen religiösen Texten er- 
wächst ein Bild des Sinnens und innern Lebens, der gesammten 
Volkskunde im weitesten Sinne des Wortes der Menschen, welche 
an den Ufern des Niles weilten von der Zeit der Pyramiden, also 
mindestens dem vierten Jahrtausend v. Ch. an bis in die Zeiten 
der Griechen und Römer, wie ein solches von gleicher Reich- 
haltigkeit und Farbenpracht kein anderes Volk des Alterthumes 



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6i 

aufzuweisen hat. Jeder ncuerschlosscne Text gicbt dem Bilde neue 
Lichter, und neues, frisches Leben erblüht aus jedem Bruchsteine 
der ägyptischen Überlieferung. Einem dieser Bruchsteine sollen die 
folgenden Seiten gewidmet sein, einem eigenartigen, bisher nicht 
im Zusammenhange behandelten und entsprechend gewürdigten 
uralten Weltschöpfungsmythus. 

Die Zahl der theils vollständig, theils nur bruchstücksweise be- 
kannten ägyptischen Schöpfungsmythen ist gross. Eine lange Reihe 
von Gottheiten wird gelegentlich als Schöpfer der Welt bezeichnet; 
Ra, Osiris, Chnum, Ftah und andere machen sich diese Ehre streitig. 
Bald hat ein Gott allein das Werk vollbracht, bald ward er dabei 
von andern Gestalten unterstützt, sei es, dass diese als Diener mit 
Hand anlegten, sei es, dass sie selbständig die von dem ersten 
Gotte begonnene Schöpfung weiter itihrten. Auch die zur Erzeugung 
neuer Wesen und Gegenstände ai^ewendeten Mittel sind verschie- 
denartig. Bald sind es materielle Kräfte, welche die Götter aus- 
lösen; mit Gewalt zerreissen sie das AU und trennen den Himmel 
von der Erde. Ein anderes Mal formen sie die Welt auf der Tö- 
pferscheibe, dann wieder bilden sie ein Weltei, aus dem alles ent- 
steht. Andere Gewährsmänner kennen als Schöpfungsmittel nicht 
die Kraft, sondern das Wort. Der Gott sprach den Namen eines 
Dinges aus und das Ding ward. Wieder andern erschien auch dieser 
Weg noch zu mühselig und einer Gottheit nicht entsprechend wür- 
dig. Nach ihnen begnügte sich der Gott damit. Laute auszustossen, 
die an sich jeden Zusammenhanges mit dem Dinge entbehrten, 
welches bei ihrem Klange entstand; ein Vorstellungskreis, welches 
später von den gräco-ägyptischen Gnostikern bis in das Einzelste 
durchgearbeitet worden ist Aber auch er bietet wieder Ver- 
schiedenheiten dar. Bald sind es beliebige Buchstaben, insbesondere 
Vokal-Reihen, welche ertönen, bald wurden diese durch Naturlaute, 
ein Lachen, ein Schmalzen mit den Lippen und andere mehr ersetzt. 
Auch die eigenthümliche Behauptung, die Pelusier hätten die Blähung 
als Gott verehrt scheint in diese Anschauungen hinein zu gehören. 
Wenn die dem Munde entspringenden Laute schöpfende Wirkung be- 
sitzen konnten, so konnte man eine solche ebensogut jeglichem andern 
Naturlaute zuschreiben. Selbst das Weinen der Götter wird in gleichem 



1) Vgl. hierzu Dieterich, Abraxas. Leipzig 1891 und Maspero^ Creation by 
tbe voice aod the Ennead of Hennopolis in The 9'^ intern. Congress of Orientalists. 
Communications. WokiDg 1892, Stüdes de mythol. II p. 372 flf. 

2) Hieron. 13 in Jes. c. 46 j cf. Clementin. X. 76; Minucius Felix, Oct. 28^ 
Tbeoph. Aat. Oct. 1. 15; Orig. c. Geis. V. 36. 



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62 



Zusammenhange oft erwähnt. Insbesondere den dem Horus-Auge 
entströmenden Thränen verdankte die Menschheit zahlreiche Ge- 
genstände, vor allem Weihraucharten und derartiges mehr. Dass 
ein Mythus selbst die Menschen aus Thränen entstehn lässt, wird 
weiter unten des Naiicin auszuführen sein. 

Die gewöhnlichste Weise, in welcher die Texte Götter entstehn 
lassen, ist die einfach natürliche, dass sie von einem Vater erzeugt, 
von einer Mutter geboren werden. Um dies zu ermöglichen, musste 
selbstverständlich die Präexistenz zweier Gottheiten, einer männ- 
lichen und einer weiblichen, angenommen werden, wie dies denn 
in der That in zahlreichen ägyptischen Mythen geschieht. Gele- 
gentlich hat man die Zahl der präexistierenden Wesen aber noch 
verringert und nur einen Gott bestehn lassen, der allein den 
Schöpfungsakt vollzog. 

Die Art und Weise, in der sich der Ägypter in einem solchen 
Falle den Hergang bei der Schöpfung dachte, schildert am ein- 
gehendsten der umfangreiche hieratische, aus dem Jahre 306/5 v. 
Chr. datierte Papyrus nr. 10188 des British Museums zu London, 
der 1860 in Theben entdeckt erst in die SaninilmiL KhiiiU unci dann 
an Uas gcaumile Museum gelangte. Der Inhalt des I'apyrus ') ist 
sehr verschiedenartig, — er cntliait Festgesänge der Göttinnen Isis 
und Nephthys, Litaneien des Gottes Sokaris, das Buch von Nieder- 
werfen des Apcpi — uns interessirt hier zunächst aui eine der m 
ihm verzeichneten Legenden, die sich im Texte zweimal (p. 26, 
I. 21 ff. und p. 28, 1. 20 ff.) verzeichnet findet. 

Das Auftreten eines derartigen Duplikates in einem ägyptischen 
religiösen Papyrus hat nichts Auffallendes. Diese Texte enthalten 
nicht zusammenhängende Werke, sondern Compilationen aus den 
verschiedensten Schriften, aus denen der jeweilige Schreiber oder 
sein Auftraggeber bald das eine, bald das andere Capitel zur Auf- 
zeichnung in seinem Papyrus sich auswählte. Dabei geschah es 
nicht selten, dass der Schreiber, wenn sich zufällig in zwei der 
von ihm benutzten Vorlagen ein und derselben Tesct fand, den- 
selben gedankenlos zweimal abschrieb, unbekümmert um den wie- 
derkehrenden gleichen Inhalt Er konnte dies um so unbesorgter 
thun, als sein Werk gleich nach dem Abschlüsse einem Todten mit 



l) In hieroglyphischer Umschrift mit Übersetzung herausgegeben von Budge in 
Archäologia LII^ Westminster, 1891. Kurse Bemerkungen ttber der Text bei Pleyte 

in Ree. de trav. rel. h. l'Egypt. III p. 57—64 und Budge in Pioc. Soc. Bibl. Arch. 
IX p. Jti — 2Ö. Ein StUck in poetischer Weise übersetzt von Brugsch, Religion der 
alten Ägypter S. 740 ü 



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«3 



in die Gruft gegeben werden sollte, und somit die Wahrschein- 
lichkeit verschwindend klein war, dass je ein sterbliches Auge 
seine Leichtfertigkeit entdeckte. Aus demselben Grunde, in dem 
Gefühl der Sicherheit vor jeder Nachprüfung ihrer Arbeit, gaben 
sich die Schreiber überhaupt bei ihrer Thätigkeit wenig Mühe. 
Die für die Todten bestimmten Texte pflegen von den gröbsten 
Fehlern, Verschreibungen, Weglassungen von Buchstaben, Worten 
und ganzen Sätzen geradezu zu wimmeln. So bewahrt beispielsweise 
das Mus^e Guimet zu Paris ein Papyrusblatt der thebanischen 
Zeit (etwa 1200 v. Chr.), welches ein Todtenbuchstück vorstellen 
soll, thatsächlich aber nur ein Conglomerat zusammenhangsloser 
Satzbruchstücke und Buchstaben bildet. Die Un Zuverlässigkeit selbst 
der Texte, die auf den ersten Blick sorgsam geschrieben erscheinen 
und künstlerisch schöne Vignetten zeigen, geht so weit, dass es 
häufig unmöglich ist, ohne zu Ratheziehung mehrerer Abschriften 
des gleichen Textes seinen Sinn zu erkennen, seinen Inhalt zu 
übersetzen. 

So muss es denn auch bei unserem Schöpfungsmythus mit Freude 
begrüsst werden, dass ein glückliches Ungefähr den Schreiber des 
Papyrus veranlasste, in seiner Flüchtigkeit den Bericht doppelt zu 
verzeichnen und so dass Verständnis seiner Gedanken zu ermög- 
lichen oder doch zu erleichtern. Die Fassung, in welclie er das 
erste Mal seinen Bericiit kleidet, lautet in möglichst wortgetreuer 
Ubersetzung folgendermassen, wobei wir die für des Verständnis 
des Textes nothwendigen Erläuterungen demselben etwas eingerückt 
gedruckt beifügen: 

.,Das Buch von Kennen die Werdungen des Ra, von Nieder- 
werfen den Apepi'*. 

Der Stamm cheper, zuelcher im Folgenden regelmässig mit 
Werden und den davon abgeleiteten Substantiven wiedergegeben 
wird, bedeutet: werden^ sein, existiren, dann werden lassen, u. s.f. 
Von ihm leitet sich u. a. der Name des Gottes Chepera ab, 
eigentlich der Werdende, dann die tuerdende Sonne, die Mor- 
gensonne, die sich der Aegypter, wie die Sonne überhaupt, männ- 
lich dachte. Im Gegensatze zu Chepera gilt bistveilen Tum als 
Gott der Abendsonne ; meist ist Tum ebenso wie Rä im Allge- 
meinen ein Sonnengott, zuelcher unter dem Namen Tum insbe' 
sondere in Heliopolis Verehrung fand. 

Apepi ist eine grosse Schlange, welche als Hauptfeind der 
Sonne aufgefasst die Mächte der Finsternis und des Bosen 
darzustellen berufen ist. Täglich muss sie besiegt werden, soll 



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«4 



die Samte nicht zu Grunde gehn, und demzufolge wimmeln die 
Texte von Beschwörungsformeln, welche diese Niederwerfung 
des Apepi ermöglichen und erleichtern sollen. Zu vernichten ver- 
mochte man ihn freiUch auch mit deren Hülfe nicht; kaum 
besiegt^ erhob er sich wieder, um am neuen Tage von Neuetn 
die Samte zu bedräuen. Wie der Wechsel von Licht und Dunkel 
nie sein Ende findet, so dauert auch der Kampf zwischen Rä 
und Apepi fort bis in alle Ewigkeit, und dies um so mehr, 
als der ägyptischen Mythologie der Gedanke an einen Weltun- 
tergang gefehlt zu haben scheint, 
„Worte des Herrn des All": 

Herr des All ist ein häufiger Titel für verschiedene Götter. 
Meist wird er m den auf das Jenseits bezüglichen Texten für 
Osiris, den Herrn der Unterwelt verivendet. Daneben aber ist 
er, wie in diesem Texte, auch eine Bezeichnung des Sonnengot- 
tes, der als Schopf er der Welt auch den ersten Anspruch auf 
deren Beherrschung haben musste. 
„Er sprach, nachdem er ward: Ich bin der Werdende als 
Chepera. Als ich ward, wurden die Werdimgen, es ward alles 
Werdende nach meinem Werden. Znhireirh waren die Werdungen 
(d. h. Gestaltungen), die hervorgingen aus meinem Munde. Nicht 
ward der Himmel, nicht ward die Erde, nicht waren geschaffen 
die guten uad die bösen Schlangen an dieser Stelle (d. h. auf 
der Erde).'* 

Eine älinlicJie Schilderung des Zustandes vor der ScJiopfung 
findet sich in der Grabpyraniide des Königs Fepi I aus der 
^ten Dynastie [um jooo v. Chr.) Z. ööj — ^ ; „Pepi ward gebo- 
ren von seinen Vater Tum. Damals ward noch nicht der Him- 
mel, nicht ward die Erde, nicht ivurdcn die Menschen^ nicht 
wurden geboren die (lOtter, nicht ward der Tod.^* 

Der Satz, der mit .„die guten und die bösen Schlattgen' wie- 
dergegeben ist, laufet ägyptisch sata-n fedfet-u. Erster es 
Wort ist mit dem Deutzeichen der Schrif trolle versehen, so dass 
es genau genommen mit Erdbodengegenstände übersetzt werden 
müsste. Die Zusammenstellung mit fedfet ^^Reptir zeigt je- 
doch, dass hier ein Versehn vorliegt und dass das Deutzeichen 
in die Schlange zu verbessern ist. sata bezeichnet nämlich auch 
speziell die Schlange und zwar insbesondere die gute Schlange, 
den Agathodämon des Tempels. Der Schlangen wird bei duser 
Gelegenheit vor allen Wesen gedacht, wie diese Thiere überhaupt 
in dem ägyptischen Gedankenkreis eine ungetnetn grosse Rolle 



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65 



sfuUn* Immer und immer wieder treten sie in den Texten 
auf. Beschwörungen der Reptilien bilden v<m der Zeit der Py- 
ramidenerbauer bis zu der der Griechen und Römer den Haupt- 
bestandtheü der manchen Formeln; in den Darstellungen des 
Jenseits begegnen sie auf Schritt und Tritt, Offenbar waren 
die Thiere im Alterthum im Nilthale noch weit verbreiteter als 
jettt und wurden dadurch so gefährlich, dass sich die Volks- 
Phantasie nothgedrungen immer und immer wieder mit ihnen 
beschäftigte. 

,Ich erhob sie (d. h. Himmel, Krclc und Reptile) aus dem ür- 
gewässer Nu, aus der Unthätigkeit. Nicht fand ich einen Platz, an 
dem ich stehn konnte. Ich strahlte in meinem Herzen, ich plante 
Schu, ich machte alle Grestalten. Ich war allein. Nicht hatte ich 
mich ausfliessen lassen inschcsch) als Schu, nicht hatte ich mich 
austräufeln lassen [tef) als Tefnut." 

Der Gott Schu und seine Schwester Tcfnut spielen in den 
ägyptischen Texten eine ziemlich grosse Rolle. Sie stehn in den 
Götterdynastien in Memphis hinter Ptah und Ra, in Theben 
hinter Amon-Rä und Tum. Abgebildet tu er den sie bisweilen als 
zwei Löwen oder als Doppellöwe und gelten in später Zeit als 
Sternbild der Zwillinge, Vor allem ist in Heliopolis von ihnen 
die Rede, zusammen mit Tum bilden sie dessen grosse Herrn 
{Todtenbuch 88. 4), zusammen mit Rä dessen Geister [l. c. iiß. 
7). Dem Todten brachten sie frischen Hauche besonders den 
Hauch des Nordwindes. Mythologisch gelten sie zumeist als 
Sonnengottheiten. In der Sage von der Vernichtung des Men^ 
schenge schlechtes setzt beispielweise Ra, als er die Regierung 
niederlegt, Schu als neue Sonne für die Menschen ein (vgl, 
Wiedemann, Religion der alten Aegypter, S. daher zvird 
der Gott auch häufig mit der Sonnenscheibe auf dem Haupte 
dargestellt i auch seine Incorporationsform, der Löwe, weistauf 
einen Zusammenhang mit dem Tagesgestirn hin. Das Todten- 
buch gedenkt seiner schöpferischen Thätigkeit, Er erhob die 
Sonne {ly. 50), die Pfeiler des Himmels {lop. j), u, s. f. Für 
den eigentlichen Kult kommen Schu und Tefnut weniger in Be- 
tracht, in ihm erscheinen sie stets erst an zweiter und dritter 
Stelle hinter den Lokalgottern, von denen sie an Bedeutung weit 
überragt iverden. 
„Nicht ward ein anderer, der arbeitete mit mir. Ich plante in 
meinem eigenen Herzen, dass werde eine Fülle der Werdungen, der 
Werdungen in Werdungen von Geborenen, in Werdungen von 



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66 



ihnen Geborenen. — Ich begattete mit meiner Faust, ich trieb 
Unzucht mit meinem Schatten, ich liess Flüssigkeit aus meiner 
Öffnung flicssen [eher), ich selbst." 

Der 'Schatten bildet nach altägyptischer Anschauung einen 
Theil des nnsterbliclien Ichs des Menschen und des Gottes {vgl. 
Birch in Transactions of the Soc. of Bibl. Arch. VTII, p. ^Sö ff.; 
Wiedemanu, the ancient Egyptian doctrme of the tmmortalUy 
of the soul. London i8<^5). 

Für' Oeffnung hat das Original das Wort re, welches ge- 
wöhnlich den Mund bedeutet, daneben aber auch die Mundartige 
Oeffnung anderer KörpertJieile und Dinge, hier dem Ztisam- 
menhange nach die des nuuudichen Gliedes. 

Das Deutzeichen hinter dem Worte eher ist eine ausßiessende 
Wunde. Dies zeigt, dass das Wort hier nicht tu seinem üblich- 
sten Sinne sprechen aufgefasst werden darft sondern fliessen 
bedeuten niuss. 

„Ich floss aus [aschesch] als Schu, ich tropf aus [tefnut] als Tef- 
nut. — Es sprach mein Vater Nu : Sie zittern." 

Wir haben hier eine echtägyptische Inconsequenz vor uns. 
Eben noch war Rä der Gott, der alles schuf, jetzt ist unver- 
mittelt von seinem Vater Nu die Rede, d. h. von dem personi- 
fizirten Urgewässer, bez. dem als Flüssigkeit gedachten Chaos, 
aus luelchem andere Legenden die Welt und die Götter cntstehn 
lassen. Unser Text fasst dagegen ini Allgetneinen diesen Xn 
nur als die präexistirende Materie auf^ tteben welcher der euie 
Gott gleiclifülls präexistirt. 
^Mein Auge war inntcr ihnen seit Jahrhunderten. Sie trennten 
sich von mir, nachdem ich ward aus eiueni Gott diei GoUer in 
Bezug auf mich. Ich ward in diesem Lande. Es freuten sich dar- 
über Schu und Tefnut in dem ruhigen Wasser, in weichem sie 
waren. Sie brachten mir mein Auge in ihrem Gefolge.** 

Der Sinn dieses auf den ersten Blick unklar erscheinenden 
Satzes ist: Als ich Schu U7id Tefnut erschaffen hatte, zitterten sie — 
wohl niejkt aus Ehrfurcht vor ihrem Schöpfer, sondern als Beiveis 
ihrer Lebensfähigkeit, wie auch Batau in dem um i joo v. Chr. 
niedergeschriebenen Mährchin des Pap. d'Orbiney XIV, i als sein 
Leben ihm zurückgegeben wird^ zunächst an allen Gliedern zit- 
tert — und mein Auge, die Sonne, war Jahrhunderte lang hinter 
ihnen und leuchtete ihnen. Dam aber wurden sie selbstständig, 
so dass es nunmehr drei selbstständige Götter gab. Als dies 
Ereignis eingetreten war, begab ich mich auf die neu erschaff 



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«7 



fefie Erde, und als dies Sehn und Tefnut, die zunächst in dem 
regungslosen Urgezvässer geblieben zuaren , bemerkten, freuten 
sie sich, kamen zu )nir und brachten mir in ihreni Gefolge mein 
Auge, die Sonne, die zuerst bei ihnen geblieben zvar, wieder zurück, 
„Darauf sammelte ich meine Glieder, icli weinte über sie, da 

wurden die Menschen aus den Thränen, die hervorgingen aus 

meinem Auge." 

Der Gedanke, dass die Menschen aus den Thränen des Son- 
nengottes entstanden, begegnet uns öfters in den Texten. In der 
Darstellung der vier Menschenracen im Grabe Seti I (um 14^00 
V. Chr. — Leps. Denhn. III. 136^'. Z. 10 — 12) sagt der hier 
als Horns ber.eichnete Sonnengott von den Aegyptern: Ihr sind 
eine Thräne [remitj meiner glänzenden Persönlichkeit in Euerm 
Namen als Menschen (ret-u). Der Sonnengott fiiJirt denn auch 
den Namen des Weiners (roni. — Naville, Litanies du soleil, 
nr. 21, p. ^0), und wird ^.der zveinende Gott'' (remiuti) im 
Grabe Ramses IV (um i2§o v. Chr.) angerufen, dem Könige 
Leben zu verleihen; es heisst von derselben Gestalt, sie habe 
sich durch ihre Thränen gebildet, u. s. f. — Auch andere 
Dinge entstanden aus der Thrätien der Sonne; so bemerk! der 
magische Papyrus Salt nr. 825 in London, der aus der ersten 
Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. stammt (übersetzt von 
Birch, Ree. of the Past VI, p. 115)1 ^JVenn die Sonne zum 
zweiten Male — das erste Mal fehlt in dem unvollständigen 
Texte — weint und Wasser aus ihren Augen fallen lässt, so 
verzvandelt dieses sich in Arbeitsbienen, die arbeiten in Blumen aller 
Art und Honig und l \ achs zvird hervorgebracht statt Wasser'^ 
Die Kraft der Thränen schöpfend zu wirken, findet ihre 
Begründung darm, dass in ihnen, tvie in jedem Körperiheile 
und in jeder Ausscheidung ein Theil des Ichs, dem er zugehört 
oder von dem sie ausgeht, sich befindet. Daher verwendet der 
uitagyptische Magier geradeso wie dies die Beschwörer in an* 
dem Ländern zu thun pflegen, für seine Zauberkünste gern 
etwas von dem zu beschwörenden Menschen oder Ding Her- 
stammendes um hierdurch seinem Zcmber die fii&thige Unterlage 
oder eine vermehrte Kraft zu verleihen. So knetet nach einer 
altägyptischen Sage {übersetzt Wiedemann, ReL der Aegypter, 
5. 2g ff.) Isis aus Erde und dem Speichel, der aus dem Munde 
des Sonnengottes geflossen war, eine Schlange, deren Biss so 
verderblich tu werden vermag, dass er den Sonnengott seWst 
mit dem Untergänge bedrohte* Nur durch eine Gegenbeschwö- 

S 



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6S 

rung, die er sich von Isis tJieuer erkaufen musste, vermochte 
er sich zu retten. Konnte man keines Theilcs des betreffenden 
Wesens habhaft ivcrden, so zeichnete inan zvenigsiens dessen 
Bild und zauberte an und Uber diesem, denn auch für den 
Aegypter verkörperte sich im Bilde ein Theil des dutgcstellten 
Wesens. Wer das Bild schädigt, schädigt dessen Urbild, die 
Vernichtung des Bildes kann sogar die des Urbildes zur Folge 
haben. Statt des Bildes kann endlich beim Zauber auch der 
Name des Gottes oder Menschen Verwendung finden, auch er 
gilt als ein integrirender BestandtJieil des durch ihn Bezeichne- 
ten. Seine Kenntnis und damit seine Besitz kann gegebenen" 
falls Macht über den Träger des Namens gewähren ^ ). 
,Da ward es (mein Auge) wüthend gegen mich, als es kam und 
fand, dass ich mir ein anderes (Auge) gemacht hatte an seiner 
Statt» es ausstattend mit Glanz. Ich that es in seinen Platz an 
meinem Kopfe. Nachher beherrschte es diese ganze Erde.'* 

Rä hat sieht als ir sein Auge im Urgewässer Burüekliess, 
ein neues, also eine zweite Sonne, geschaffen. Als die erste Sonne 
ihm wieder gebracht wird und dies steht, wird sie Ober den 
ErsaU ergiimi, dock gelingt es Ra, sie dadurch gu besänftigen, 
dass er sie wieder an ihre alte Stelle in seinem Haupte einsetzt. 
,Es fiel ihre (der Augen) Wuth (?) auf ihre Pflanzen» ich ordnete 
wieder, was sie (die Wuth) in ihr (der Erde) fortnahm. Ich ging 
hervor aus den Pflanzen ; ich schuf alle Reptilien, alles Werdende 
in ihnen. Es gebaren Schu und Tefnut den [Seb] und die Nut*). 
Es gebaren Seb und Nut den Osiris, den Hor-chent-nen*ma, den 
Set, die Isis, die Nephthys aus ihrem Leibe, einen nach dem 
andern von ihnen. Ihre Kinder mehrten sich auf dieser Erde.'* 

Hor-chent-nen-ma ist eine besonders m der Stadt LetopoUs 
verehrte, als bUnd gedachte Form des älteren Horns, des Aro'eris 
der Griechen (der jüngere Morus ist ein Sohn der Isis und des 
Osiris), welche die Sonnenfinsternis symbolisirt, Ihr war die 
Spitzmaus heiäg, die nach Plutarch, Symp, IV. j in Aegypten 
gbttUch verehrt ward, weil sie als blind galt und die Finsternis 
älter war, als das lacht s). 



1) rii 1 rüesen Zusammenhang von Bild und dargestelltem Gegenstand vgl. Wie« 
de mann, Image et Mot dans TEgypte ancienne iu der Zeitschrift L'Egypte I p. 
573 — 80; ttber die Bedeutung des Namens u. ». Wiedemann, Le livre des Morts 
in Le Mus6on XV p. 49 fT. 

2) Der zweite Text hat hier nur »Nut", der erste „und Nut" ; die Ergänzung „Seb" 
ergiebt sldi daiavs, dass «ndere Urlomden ihn stets mit Nat »1 einem Paar verbinden. 

3) Wiedenaaa, Herodots Zweites Buch S. »89 f. 



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69 



Nach den Angaben des Mythus glühten anfangs die Sonnen 
zu heftig auf die neu er grünten P flammen, so dass Rä sich ge- 
swungen sah , einzugreifen und die verdorrten und damU von 
der Erde fortgenonunenen Gewächse neu zu ordnen, d. h. wie- 
derzubeleben. Dann kam er aus den Pflanzen hervor und 
erschuf die Reptile, deren liier aus denselben Gründen besondere 
Erwähnung geschieht, wie am Anfange der Legende. 

Die Reihenfolge der Schöpfung ist demnach diesem Mythus 
zufolge: Präexistenz des Rä und der Materie Nu, Rä erschafft 
Schu und Tefnut, dann die Erde mit ihrer Sonne, letztere er- 
schafft die Alenschen, Schu und Tefnut treten aus dem Urge- 
Wasser, die untere und die obere Sonne vereinigen sich, Entste- 
hung und Rettung der Pflanzen vor der Sonnengliiih, Schaffung 
der Reptilien, Geburt der Götter des Osiriskreises. — Letztere 
sind dannach jiuiger als die Pflanzen und Reptile, zcas andern 
Legenden widerspricht, die Osiris als ihren Schopf er preisen. 
So bemerkt beispielsweise ein der i6'^'" Dynastie entstammender 
Hymnus an Osiris ^ ) : „er ( Osiris ) machte mit seiner Hand die 
Erde, ihr Wasser, ihre Luft (wörtlich: ihren Wind), ihre 
Pflanzen, alle ihr Vieh, all ihre Vogel, all ihr Geflügel, alle ihn 
Reptilien^ alle ihre Vierfüssler (wörtlich: ihre Ziegen)" 



Die zweite Version, in welclier der zu besprechende M3^hus im 
Papyrus auftritt, erscheint zunächst fast doppelt so lang, als die 
erste es war; allein bei näherer Durchsicht erkennt man bald, dass 
dies nur scheinbar ist. Der Schreiber hat bei ihrer Aufzeichnung 
höchst unsorgsam gearbeitet und lange Stücke doppelt aufgenom- 
men. Diese Stücke finden sich einmal an der logisch richtigen 
Stelle, an welcher sie der erste Text enthält, und dann vorher 
oder nachher an irgend einer Stelle, an der der Schreiber durch 
irgend ein ähnliches Wort im Texte bewogen, unbekümmert um 
den Gesammtsinn, den Satz nochmals aus seiner Vorlage abschrieb. 
Auf diese Weise entstand ein wirres, unklares Durcheinander, 
welches jedoch immerhin an einzelnen Stellen Versehn des ersten 
Textes richtig zu stellen gestattet und die Übersetzung durch 
kleine Zusätze philologisch fester zu begründen erlaubt. Ausserdem 
aber, und dies ist liir uns hier von fast grösserer Bedeutung, hat 



l) Siele zu Paris, Bibl. nat., pnW. T r irain, Mon. Egypt. de la Bibl. nat pl. 
21—265 vgl. Chabas, R6v. arch. XIV i p. 65 ff., 193 flF. 1857. Obige Stelle 
stdit Z. II. 



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17b 



der Autor den Wunsch gehabt, emeii neuen mythologischen Ge- 
danken in die Composition einzuführen : Er hat zahlreiche Anspie- 
lungen auf die Namen der Götter und ihre Zauberkraft angebracht, 
um so der Magic und dem Beschwörungswesen mehr Förderung 
angcdcihcn zu lassen, als dies durch den Zusammensteller des 
ersten, nüchterneren Textes geschah. 

Der Beginn dieser zweiten Version, der zum Vergleiche mit der 
Fa^sun^^r der ersten hier in Ubersetzung folgt, bietet gleich ein 
Beispiel für dieses stärkere Vorwiegen solcher magisch-mystischen 
Bestrebungen : 

„Als ich ward, wurden die Werdungen, ich ward in den Wer- 
dungen des Chepera (d. h. ich nahm dessen Gestaltungen an), 
werdend zum ersten Male. Ich ward in den Werdungen des 
Chepera. Als ich ward, wurden die Werdungen meines Seins (?) 
zu den Götterkreisen, die ich machte. Ich ward zu den Götter- 
kreisen in meinem Namen Ausars, die Götterneunheit der Götter- 
neunheiten.** 

Ausars ist ein sonst unbekannter Götter name oder Beiname. 
Man hat an einen Zusammenhang mit dem Namen Osiris ge- 
dacht, allein dieser wird in dieser Zeit Usar oder ähnlich 
geschrieben und besitzt niemals ein s am Schlüsse, Eher könnte 
man, zvenn auch ziveifelnd, in ihm eine Verbalform sehn wollen 
au-se-ar-s ^man ituukl ihn'' d. h. den Götterkreis. 
^Ich mache alles, was ich wünsche in diesem Lande, ich mache 
es breit, ich ordne mit meiner Hand. Ich war allein, nicht waren 
sie (die übrigen Götter) geboren, nicht war ich ausgeflossen als 
Schu, nicht war ich ausgeträufelt als Tcfnut. Ich biaciite mich 
selbst herbei, nämlich meinen Zaubernamen." 

Die Schöpfung von Schu und Tefnut wird zweimal hinter ein- 
ander wörtlich gleich berichtet: „Ich begattete mit meiner Faust. 
Ich brachte mein Innerstes (wörtlich: mein Herz) aus dem männ- 
lichen Gliedei es fiel aus meiner Öffnung (re),"' 

Das Wort für dtu mätmOeke GUed lautet hier äaä, was auf 
den Stamm äa gross sein zurUckgekt, den genauen Sinn zeigt 
das Deutzeichen des Phallus, was darum wichtig ist, weil das 
Wort sonst nur sehr selten eine entsprechende Bedeutung hat, 
doch bezeichnet es immerhin eine ithyphalle Erscheinungsform des 
Sonnengottes (NaviUe, Litanies du soleil nr. j^, 44; p. jo, jjj 
und mit gleichem Deutöild den als besonders lasciv geltenden EseL 
„Ich floss aus als Schu, ich tropf aus als Tefnut, ich ward in 
Bezug auf mich aus einem Gotte drei Götter» die "da wurden in 



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7> 

diesem Lande* Da freuten sich Selm und Tefnut in dem ruhenden 
Gewässer, in dem sie sich befanden", u. s. f. 

Der Kern dieses Schöpfungsmythus, der Punkt, der sein Haupt- 
interesse bedingt, ist die eigenthümliche Art und Weise, in wel- 
cher derselbe Schu und Tefnut entstehen lässt *). Die älteste An- 
spielung auf eine derartige Schöpfung durch Masturbation *) findet 
sich in den Inschriften der Königs-Pyramiden der 6ten Dynastie 
(um 3000 V. Chr.), in denen ^) es heisst: „Tum ward ein Onanist*) 
in Heliopolis. Er dehnte aus seinen Phallus mit seiner Hand, er 
machte sich ein Vergnügen ') mit ihm, es wurden geboren die 
Zwillinge Schu und Tefnut." — Im Todtenbuche ist an einer 
bereits in den thebanischen Texten häu6g auftretenden Stelle®) die 
Rede von Rä, der Unzucht treibt in Bezug auf sich selbst. — In 
den Ritualbüchern der Götter Osiris, Amon-Rä, Tum, Ptah und 
der Isis, die wir beispielsweise in Abschriften aus der Zeit Seti I 
(um 1400 V. Chr.) besitzen '), bemerkt man von Tum „Du fliesst 
aus als Schu, Du tropfst aus als Tefnut," ein Satz, der sich in 
gleicher Form bereits in den Pyramidentcxten ') vorfindet. — Ein 
pantheistischer Hymnus in Hibis aus der Zeit des Königs Darius ') 
besagt: ^Die Götter gingen aus Dir, oh Amon, hervor. Du fliesst 
aus als Schu, Du tropfst aus als Tefnut um Dir zu formen die 
neun Götter am Anfange des Werdens, Du bist das Zwillingspaar 
der beiden T.nwen," d. h. Schu und Tefnut. — Etwas jünger ist 
ein der Ftokmäerzeit entstammender Text zu Kdfu '*^}, in dem der 

1) Nach andern Texten waren Schu nnd Tefilvt die Kinder des RA und der IbUiw 

(vgl. z.B. Maspero, Huide de Boulaq p. 157"), und nach einer Pyramiden-Inschrift 
(Unas Z. 558 f.) bUdetcB die beiden Gutter des Doppellowen, Schu und Tefnut, selbst 
ihre Körper. 

2) Nicht in diesen Kreis darf man die häufig ithyphall dargestellten Götter Amon- 
Ri, Chem u. a. stehnj sie sind als Götter einer natu^emässen Zeugung gedacht und 
auch in den FUlen^ in welchen ihre Bilder mit einer Hand nach den Geschlechts* 

theilen greifen (T^eps. Dcnkm. III, 275r) oder diese umspannen (I.eps. Denkm. III, 
189^) ist nicht an Masturbation, sondern an eine Begleiterscheinung des natürlichen 
Akts an denkra. 

3) Pepi I Z. 465—6 = Mer-en-rÄ Z. 528 — 9. 

4) Das Wort sau bedeutet eigentlich : von hinten etwas than, hinter jemanden sein, 
oder handeln. Es wird an dieser Stdle mit den Bilde eines Mannes, der sein Glied 

mit der Hand umspannt, determinirt, so dass über den einzusetzenden Sinu kein 
Zweifel bestehn kann. Ursprünglich mag es der Grundbedeutung entsprechend den 
FSderasten oder etwas Shnliches beseichnet haben, wie denn Anspielungen atif homo» 
sexuale Beziehungen zwischen Männern auch sonst bereits in alten ägj'ptischen Texten 
auftreten, wie s. B. Pyramide Teta Z. 286 » Pepi 1 Z. 38 = Mer-en^rä Z. 48. 

5) Das Wort ist mit dem Glied detemunirt 

6) Turiner Text 17 Z. 9; vgl. Navillc, Todtcnbuch II p. 39. 

7) Publ. Marie ttc, Abydos I p. 51; cf. pl. 47/'. Ein unedirter Text der glei- 
chen Zeit steht an der Ost-Wand des grossen hypostylen Saals zu Kamak. 

8) z. B. Pepi II Z. 663. 9) Brugsch, lliesannis p. 634 Z. a$— 6. 
10) Brugsch, DicL g^r. p. 1387 nr. 6. 



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72 

Gott Amon-Rä von Chois angeredet wird : „Du bist der eine Gott, 
der da ward zwei Götter, der Fertiger des Eies, der erzeugte sein 
Zwillingspaar," also wiederum Schu und Tefnut. 

Unter diesen aus den verschiedensten Perioden der ägyptischen 
Geschichte herstammenden Anspielungen auf den in Rede stehenden 
Mythus ist von besonderer Bedeutung die zuerst angeführte , nicht 
nur wegen ihres hohen Alters, sondern vor allem, weil gerade sie 
nur von der Erzeugung des Schu und der Tefnut spricht, und 
noch nicht das Ausfliessen des Schu mit dem Zeitwort aschesch, 
das der Tefnut mit dem tef, tefen zusammenbringt, die beide aus- 
fliessen, bez. austräufeln bedeuten. Es geht hieraus hervor, dass 
der Mythus nicht in ätiologischer Weise entstanden ist, um die 
Namen der beiden Gottheiten durch eine etymologische Deutung 
zu erklären, dass vielmehr dieses Wortspiel erst später in den 
Mythus hineingetragen wurde, dessen Grundgedanken beträchtlich 
älter sind, als diese Ausschmückung. 

Die den modernen Menschen auf den ersten Blick befremdende 
Vorstellung, dass der männliche Samen allein zur Erzeugung der 
Götter genügt, hat unter Berücksichtigung der antiken und mittel- 
alterlichen Vorstellungen von den physiologischen Vorgängen bei 
der Zeugung nichts auffallendes. Hat man doch noch nach dem 
Jahre 1677, nachdem Ludwig von Ham die sog. Samenthiere in 
männlichen Samen entdeckt hatte, die Grundlage der Zeugung und 
Entwicklung in diese allein gesetzt, so dass die weiblichen Ge- 
schlechtsorgane nur zu Brutbehältern wurden Dass noch damals 
eine solche Ansicht laut ward, lag freilich mit an dem Hinein- 
spielen einer halbreligiösen Vorstellung in die Erklärung des phy- 
siologischen Vorganges. Der noch im I7ten Jahrhundert herrschen- 
den Theorie der Evolution oder Präformation zu folge fand bei 
der Entwicklung eines Organismus keinerlei wirkliche Neubildung 
statt, sondern nur ein Wachsthum oder eine Entfaltung bereits 
seit Ewigkeit vorgebildeter und fertiger, nur noch verschwindend 
kleiner Theile. Für die Anhänger dieser Lehre konnte es nur frag- 
lich sein, ob diese präformirten Wesen im Ei vorhanden waren 
und durch die Befruchtung den Anstoss zu ihrer Entwicklung be- 
kamen, wie dies die Ovulisten behaupteten, oder ob sie sich, wie 
die Animalculisten ausführten, in den Samenfäden befanden und 
im Weibe den geeigneten Boden fiir ihre Entwicklung erhielten 

1) Carus, Geschichte der Zoologie, S. 400. 

2) Vgl. z.B. Haeckel, Anthropogenie S. 27 iT. — Bei Aristoteles, de gener. 
Miitt. I. 80 ff. «nd toott, enthilt dM Wdbcben den Stoff, d«r Siuim des MäandMM di« 



I 



73 

Derartige mystische Nebengedanken lagen dem frühen Alter- 
thume fern, aber auf Grund seiner Naturkenntnis oder richtiger 
iresagt Naturunkenntnis konnte es sehr wohl zu der Annahme ge- 
langen, der männliche Samen könne sich nicht nur im Weibe, 
sondern gegebenen falls auch sonst in einem andern günstigen 
Nährboden zu einem Lebewesen entwickeln, eine Vorstellung, 
die der behandelte Mythus voraussetzt. Für den so denkenden 
Ägypter wird naturgemäss die von einem Papyrus der saitischen 
Zeit (um 500 v. Chr.) auf 10 Monate veranschlagte Zeit der 
Schwangerschaft ') zur Zeit des Aufenthaltes des Kindes in seinem 
üblichen Behälter für den jedoch gelegentlich ein anderweitiger 
Ersatz möglich war. 

In seinen Grund zügen trägt der besprochene Schopfungsmythus 
alle Kennzeichen sehr alten Ursprunges an sich ; er erscheint be- 
deutend älter als die sonstigen bisher bekannt gewordenen, das 
gleiche Thema behandelnden Legenden der Ägypter. Dies ergiebt 
sich vor allem aus .seiner einfachen erzählenden Form, die sich 
fern hält von dem Göttersynkretismus, den die übrigen Schöp- 
fungsmythen in reichlichem Maasse zu enthalten pflegen, und durch 
welchen diese von panthcistischen Vorhidlungen ausgehend alle 
Götter dem Schöpfer gleichstellen, um dieselben dann nur als 
seine Eaianationcn, nicht als freie Geschöpfe gellen zu lassen. 
Meist lernen wir diese Legenden durch Hymnen auf den heno- 
theistisch dargestellten Schöpfer kennen und wird es sich em- 
pfehlen, einen charakteristischen derartigen Text hier beizufügen, 
welcher in einem Papyrus') der Zeit Ramses IX (um 1200 v. Chr.) 
erhalten geblieben ist: 

„Wachender, Wachender, Du wachst in Ruhe, Wachender, der 
sich selbst zeugt. Nicht wird irgend eine Weidung auf Erden 
ausser durch die Pläne seines Herzens. Er lässt werden seine 
Werdungen; er ist die Gestalt, welche gebiert alles Seiende, der 
Zeuger, welcher schafft die Wesen. Preis sei Dir, oh Fta^-Tatimen, 
grosser Gott, der verbirgt seine Gestalt, der eröffnet seine Seele. 



KxvSt und Bewegung, welche den Anstow zur Entotehnog des netten . LebeweseM 

giebt. Der Körper kommt vom Wcilnhen, die Seele aber vom Männchen, denn die 
Seele ist die Grundlage und Wesenheit eines Körpers. Nach II, 23 hat der Same 
selbst eine Seele, n. t. f. 

0 Pap. Lon<vie nr. 3118 pl. 11 Z. 9; pubL und ttben. Pierret, ^tndes ^gypt. 
I. S. 42 ff. 

3) VgL UerAr an^ die Mmliebett Anscluninngen bd den Urröllcern Bndliens bei 

Karl V. d. Steinen, Unter den Naturvölkern Zcntral-Brasiliens, S. 336 f. 

3) Leps. Denkm. VI pl. ii8j die vorläufige Übersetzung bei Fierret, Etudes 
€gfpt. I p. I ff. mnis ab venlttt angesehen werden» 



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74 



Du wachst in Frieden, oh Vater der Väter aller Götter. Die Son- 
nenscheibe des Himmels [ist der Glanz] seines Auges, erleuchtend 
die Länder mit ihren Strahlen in Frieden. Preis sei Nut, dem 
Beginn alles Seienden auf Erden in Frieden. Oh Chnum, Du 
Mutter, die gebar die Götter, Zeuger aller Menschen, der sie leben 
lässt in Frieden. Grosser Nu (Urgewässer), der Gaben gicbt [den 
Menschen], der grünen lässt die Felder in Frieden. Der Du hervor- 
brechen (?) lässt die Bitterseen, das Meer, das Überschwemmungs- 

vvasser in Frieden. Begründer der Länder, Berge, Inseln, 

Bergländer, der ihnen Blüthe giebt durch die Wasser, die da 
kamen vom Himmel, in Frieden. Er macht den süssen Wind, [der 
da niildet] die Hitze durcli den Hauch, der ausgeht [von Norden]. 
Wachender, Ruhender, Du wachst im Ruhen. Wachender, der da 
durchschreitet die Ewigkeit, ILcn der Nahrungsmittel, der da 
spendet den Überfluss durch seine Liebe in Frieden. Er hört, 
wenn ihn irgend Jemand anfleht; vor ihm zittern alle; ihn ver- 
ehren die Geister in allen Ländern in Frieden. Es kommt zu Dir 
der Pharao, zu Dir, oh Gott Ptah, er kommt zu Dir, Du Gott, 
Schöpfer der Gestalten. Preis sei Dir angesichts Deines Götter- 
kreises, den Du machtest, nachdeoi du wardst ein Gott der Glie- 
der, der da baut selbst seine Glieder. Nicht ward der Himmel, 
nicht ward die Erde, nicht kam die Überschwemmung. Du hast 
geordnet die Erde, Du vereintest Deine Glieder, Du ordnetest 
Deine Glieder. Was Du allein fandest, dem machtest Du einen 
Platz, oh Gott, Schöpfer der Länder. Nicht hast Du einen Vater, 
der Dich zeugte, als Du wardst; nicht hast Du eine Mutter, die 
Dich gebar, als Du Dich erneutest. Oh Ordnung, die hervorging 
als Ordnung. Du bist erhaben über die Erde in ihren Wesen, die 
sie sich vereinte, nachdem Du wardst in Deiner Gestalt als Tatu- 
nen, in Deinem Werden zum Vereiniger der Länder, in Deinem 
Zeugen Dich. Das, was Deine Hände erschufen, trenntest Du los 
aus dem Urgewässer,*' u. s. f. 

Auch aus diesem Hymnus lässt sich ein Schöpfungsmythus aus- 
schälen, als dessen Held dann Ftah-Tatunen, eine unter anderem 
in Memphis verehrte Form des Gottes Pta^, den die Griechen 
ihrem Hephästos verglichen, erscheint. Aber, von der Klarheit 
der erst behandelten Legende bleibt er weit entfernt. Vor allem 
die Identifizierungen des Ptab mit allerhand andern Göttern, der 
Sonnenscheibe, der Himmelsgöttin Nut, dem mannweiblichen, wid- 
derköpfigen Chnum, dem Nu, u. s. f. zeigen, dass seine Fassung 
einer Zeit entstammt, in welcher die Priester sich nicht mehr auf 



75 



den Kult ihres Lokalgottes beschränken konnten, sondern auch die 
Götter anderer Städte und Bezirke in den Kreis ihrer Verehrung 
hinein zu ziehn sich fjcnöthigt sahen. Freilich sind die Gedanken 
dieses Hymnus poetischer und erhabener als die der ersten T^e- 
gende, aber gerade die roh materielle Auft'assung, welche in dieser 
herrscht und die so voll und ganz der Denkweise des allem 
Abstiakten abholden Ägypterthumes entspricht, zeugt für ihr 
hohes Alter. 

Wann sie entstand, das wird sich wohl nie mit Sicherheit fest- 
stellen lassen, wie sich ja überhaupt die Anfange der ägyptischen 
Religion einstweilen noch grösstentheils im Dunkel der Vorzeit 
verlieren. In der Zeit der Pyramiden, in welcher das Ägypterthum 
in das volle Licht der Geschichte eintritt, in dem Augenblicke, 
in welchem die ersten erhaltenen Texte grösserer religiöser Werke 
aufgezeichnet wurden, bildete die bchandcite Legende bereits einen 
Theil des religiösen Vorstcllungskreises der Nilthalbewohner. Von 
diesem Zeitpunkte an ist sie dem Volke gegenwärtig geblieben bis 
in die Periode der Herrschaft der PtoleriKu r. in welcher das 
Agyptcrthum allmählig abzusterben beginnt. Mahezu drei J.ihrt iu- 
sende ist sie dcmnacli lyer^laubt und wiederholt worden und eine 
Mythe von solcher Lcbcn^taliigkeit, so innig mit dem Volksleben 
verwachsen, dass alle Sturme der Zeit sie nicht auszurotten ver- 
mögen, verdient melir als andere, nur gelegentlich auftretende 
Kulturerscheinungen zu Rathe gezogen zu werden , wenn es gilt , 
von dem Fühlen und Denken der alten Ägypter, von der Volks- 
kunde des Stammes, der an dem Ufern des Niles in fernen 
Jahrtausenden seine Wohnsitze aufschlug, ein Bild zu entwerfen. 



La festa di Sa Lucia in Siracusa. 

Appuati di G. Pitrö in Palermo. 

lo non tornerö a discorrere di Lucia per il culto che essa 
ha nel popolo siciliano, e per le tradizioni ed usanze che al suo 
giorno si legano qua e lä nell* iso!a tutta. Mi restringo soltanto 
alle feste che in onore di lei rinnova annualmente il popolo di 
Siracusa. 

Dico /esU, perchö due e in due tempi diverst son quelle che la 
cittä solenntzza in Dicembre e in Maggio« 



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76 



"Raccontano i vecchi che quando Lucia fu morta, una im- 
provvisa c tcrribilc carestia dcsolo la citta c che avrebbe menata 
una vera strage sc non fossero approdate nel porto varie navi 
cariche di frumento, le quali, sbarcato rimmenso carico, si allonta- 
narono, anzi sparirono come per incanto senza chiedere n^ottenere 
COnipenso da ncssuno. 

La Icf^f^enda aggiunge che le preghiere dei Siracusani valsero 
ad intcnerire la Santa, la quäle affermö la sua protezione Sulla 
cittä con quello inattcso miracolo. 

Gli eruditi potrebbero forsc vcdcrc in questo fatto la ragione 
dclla cuccia, c\oh dcl frumento cotto, che i Siracusani, anzi i 
Siciliani tutti mangiano il giorno di S» Lucia. lo, senza escludere 
la possibilitä dclla origine, rilcvo la idcntita del prodigioso avve- 
nimcnto con quello attribuito a S. Nicola in Giojosa Marca. 

E rilevo altresi come la medesima leggenda, con cangiamenti di 
particolari, corra anche in qucsta forma: 

"Narrasi in Siracusa, da tcmpo immeniorabilc, che essendo la 
Cittä vittima di una fiera carestia, non sapendo piü che fare, nel 
mese di maggio fu esposta alle preghiere pubbliche la Santa, onde 
poncsse finc al malore. E narrasi che una grandissima, immensa 
copia di quaglie venne a cadere sulle banchine della marina c per 
le vic dclla Cittä. Cadevano le poverine stanche, inanimatc pcl 
lungo viaggio, si che i Siracusani non avevano che a stendere la 
mano per prcndcrle." 

Lasciamo per un istautc questa curiosa leggenda e veniamo alla 
festa di Dicembre. 

La Cattedrale, che fu giä tcmpio di I\lincrva, e picna zeppa di 
devoti, i quali dalle prime ora dcl mattino son Ii per assistere al 
trasporto delle reliquie di Santa Luciuzza' come la chiamano, 
dalla nicchia della sua cappella riservata, all' altare maggiore : 
trasporto che giä prima del mezzogiorno del 13 bell' e compiuto. 
& la ripetizione del consimile transporto della statua di S. Fran- 
cesco di Paola in Palermo» di Sant* Agata in Catania, e via dia» 
correndo. L'eccitamento di quel quarto d'ora h, al colmo, e solo 
quando si seda un minuto, una voce di mezzo 'alla folla erompe : 
Viva Santa Lucia I E, sentita, si ripete: Saragusani, oviH ancara 
tmd? E il popolo: Sif e tutti insieme: Viva Santa Lucia! 

Finite le funzioni di rito, il simulacro sopra una pesantissima 
bara vien messo fuori nella piazza, per esser portato nel sobborgo 
di Lucia, ove rimane tre giomi. 

Fu giä notato da un visitatore di quella festa che il direttorc 



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77 



della bara b im uomo in tuba, abito nero, guanti bianchi ed il 
solito campanello in mano. Ma ü rilievo in Sicilia non colpisce 
nessuno, perch^ la guida di codcstc statuc in processione h sem- 
pre un laico. N^? fa meraviglia che csso, comc nel caso in fönte, 
abbia quel privilegio per una offerta rilevante fatta all' asta, ondc, 
superando gli altri offerenti, pote avere aggiudicata — e la fräse 
legale, in proposito — il diritto dcl campanello; perche anche 
quest' uso ä comunissimo in Sicilia. Quel che mi sorprcnde h 
comc mai si sia potuto affermare che '*l'aggiudicatario fa fermare 
la Santa davanti a quelli (proprietarii o negozianti) che piü gli 
son cari, o che ne lo hano pregato o ne 1' han par^ato." No, caro 
anonimo di quest' ultima capestreria! II conduttore dclla bara 
puo far delle fermate innanzi ad amici, a parenti, a chiunque 
voglia o vogliate, ma non g\k innanzi a chi Tabbia pagato per 
questo! La firezza d' un devoto, per quanto vahitoso, rifuggc da 
grettezze cosi disoneste ! 

Nel sobborgo di Lucia la statua rimane tre giorni : e in 
quei tre giorni i cittadini si riversano fuori la cittä forsc per la 
divozione verso la Santa, ma certo per la bella occasione di fare 
una passeggiata di piacere a piedi, una corsa per mare (giacche in 
quel sobborgo si va in tiitti e due i modi) c Ü sul posto, uno 
spuntino, se non una scampagnata in piena regola. 

Quel che divenga il 5?obborgü allora non 6 a dire. Baracche e 
tende occupano qualunque metro di spazio libero; e venditori, 
soiialüii, funamboli, pulcinclli e persone d' ogni gcnere e d* ogni conio, 
vi accorrono, o avide di guadagno, o desiderose di divertimento, o 
spinte dal bisogno di adorare la santa vergine, che h per esse 

Principio e cagion di tutta gioia, 
come direbbe il sommo Poeta. 

I tre giorni sono passati, c Santa Luciuzza ricntra, sul cadere 
del sole, nella sua casa, nella sua amata cittä, cui ella guarda 
sempre con occhio vigile e benevolo. Quel che accade allora ^ 
piü facile ad immaginare che a descrivere. 

La festa di Dicembre si ripete o ha la sua appendice in Maggio 
con la "Sa Lucia delle quaglie". 

La Satita ^ tratta, come sei mesi fa, dalla sua cappella, rip<»rtafa. 
sull' altare maggiorei rimessa fiiori la Cattedrale, coperta degli 
eterni ewwa tradizionali. Tutto viene ripetuto come innanzi; ma 
c* h un* usanza, che h quella appunto la quäle dä tl titolo alla 
festa : tl getto delle quaglie. 

Nella piazza della Cattedrale (scrivevo io nel i88i) sorge il 



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7» 



monastero di Lucia, e le monacelle piü giovani, avvenenti 
ragazze come quasi tutte le siracusane, vestite di bianco, perche 
deir ordinc cistcrciense, si affacciano al vasto loggiato del mo- 
nastero c buttano sulla immcnsa folla plaudente centinaia di qua- 
glie, di colombe, di tortorc, di uccclli d' ogni specie ; e gli spctta- 
tori a disputarseli , ad acchiapparli coi cappelli, coi fazzolctti. 
Molti uccclli sfuggoao volandoi molti aitri vengono presi o ammac- 
cati o uccisi. 

Suir efFetto che codesto volo d] uccclli, quasi sempre dalle aü 
tarpate, deve produrre sullc anime gcntili non si discute. 

"E una Seena — si dice — straziante e ributtante ad un tempo, 
in quantochc c facile comprendere che sempre la preda e contcsa 
fra due o tre prctcndcnti e che ha terminc n^prc con un som- 
mario giudizio di Salomoiie! Ne io la difendo; ma noto com* 
essa sia fatta con intendimenti ben diversi dagli efifetti, e come 
per segno di gioia. 

Circa al significato deli' usanza poi, non s' ha a durar fatica a 
trovarlo nella leggenda della pioggia delle quagUe nei giorni piü 
spaventevoli della carestia. 



Die wilde Frau. 

(Aus dem Volksglauben der Südrussen in Galizien). 

Von Jnljan Jawortkij. 

So heisst hier eine weibliche mythische oder dämonische Gestalt, 
die jedoch bereits nur in verschwommenen und halbvergessenen 
Umrissen dem Volksglauben vorschwebt. Sie heisst auch litawycia, 
untrenycia oder pereUstnycia, ohne dass diese verschiedenen Be- 
nennungen nach irgend welchem inneren oder topographischen 
Gesetze abgesondert werden könnten. 

Die wenigen Mitteilungen über die wilde Frau, die unten ange- 
führt folgen, stammen alle au.s dem Skolcr Gebirgsrayon, wo ich 
sie teils selber gesammelt, teils in den 70-ger Jahren Herr Anton 
Aleksiewicz, der mir seine reiche folkloristische Sammlung 
freundlich zur Verfügung gestellt hat. 

Die wilde Frau ist gewöhnlich sehr hübsch; besonders berückend 
sind ihre langen, flachsgelben und goldschimmernden Haare. 

Am liebsten zeigt sie sich jungen Burschen, die sich dann in 



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79 



sie bis zur Verrücktheit verlieben und aus Sehnsucht nach ihr 
dahinsiechen. Solche verunglückte Junglinge fuhrt man gewöhnlich 
in die Kirche und besprengt sie mit Weihwasser, oder man 
ruft zu Hilfe Walirsagerinnen, die Zauber- und Besprechungs- 
formeln wissen, was auch mitunter, wenn der Liebekranke nicht 
stirbt, sicher hilft. Aber die dämonische Koketterie der wilden 
Frauen beschränkt sich nu ht nur aiil unverheiratete Burschen. Sie 
verursachen oft auch Khcti iL;ödieeiK indem sil mauchen braven 
Ehemann derart mit ihren Reizen uaiati ickcii, dass er auf einmal 
seiner Frau abspenstig wird und sie verstosst. Ks k*»niriit zu ihm, 
sagt man dann, die wilde 1 lau. Sie kommt jede Naclit und legt 
sich zu ihm, gewöhnlich zu seinen Fussen, schlafen. Bis sie ihn 
selbst aus ihrer Macht nicht freilässt, so lange ist er ihr Sciave 
und will von seiner Familie nichts wissen. 

^Zu einem Bauer," so erzählt man, „kam immer eine wilde Frau, 
und iianier, indem sie seine eheliche Frau vom Bette verjagt, legte 
sie sich zu ihm schlafen. Doch einmal riet jemand der Frau, dass 
sie sich wo anders schlafen lege und wache; wenn die wilde Frau 
kommt, dann soll sie ihr das Haar, das wunderschön und lang 
bis zur Erde ist, abschneiden. Da, in der Nacht klopfte etwas 
an das Fenster, der Mann murmelte etwas im Schlafe und dann 
wurde wieder alles still. Die Frau stand auf und machte Licht, 
denn die wilde Frau war schon eingeschlafen und hörte nichts* 
Sie sieht, die ist so wunderschön zum Verschauen, und hält den 
' Mann um den Hals umarmt. Da tat es ihr leid und sie hat sie 
nur auseinander getrieben. Ab aber die wilde Frau erwachte, 
sagte sie zu ihr: da du mich nicht verunstaltet und entehrt hast, 
so wirtschafte hier schon allein und ich werde nicht mehr kom- 
men! Dann ist ein starker Wind entstanden und die wilde Frau 
verschwand. Und nichts mehr hat man von ihr gehört." (Aus 
Oporetz. Aufgeschrieben von A. Aleksiewicz). 

Die wilde Frau hat Erbsen sehr lieb, und man kann sie dabei, 
wie sie sie im Garten oder auf dem Felde isst, oft ertappen. 

Sie hat auch solche Schuhe, dass sie einige Meilen mit einem 
Schritt zurücklegen kann. Ohne sie verliert sie ihre ganze über- 
natürliche Macht und kann unsere Erde nicht verlassen. 

Darum kann man ne, wenn man ihr die Zauberschuhe stiehlt, 
leicht iangen. Dann folgt sie dem Menschen in's Haus, dient ihm 
treu und redlich, oder wird, wenn er es wünscht, sogar zu seiner 
Frau. 

,Ein Bursche hatte auf dem Felde Erbsen und da hat ihm 



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8o 



darin jemand grossen Schaden gemacht, er wusstc nur nicht, wer. 
Endlich einmal gieng er auf das Feld und crbHcktc neben den 
Erbsen Schuhe. Und in den Erbsen stand so eine wunderschöne 
wilde Frau, dass er seine Augen im Kopfe vergass. Er erwischte 
dann einen Schuh und sagte: ,Also du machst mir den Schaden? 
nun, jetzt musst du mit mir gehen!* Also kamen sie nach Hause, 
dann hat er den Schuh schnell versteckt, so dass sie nicht sah, 
wohin, und darnach musste sie schon seine Frau werden. Sie 
lebten gut mit einander und hatten solch ein schönes Kind, dass 
ein schöneres nirgends zu finden war. Aber die Zeit kam und 
das Kind starb. Alle jammerten und weinten, nur sie sprach: 
»Weswegen jammert ihr denn? hier soll man sich doch freuen t' 
Und dann Hess sie die Musikanten aufspielen, also nach dem 
Kinde. Alle haben sich gewundert, aber niemand sagte was. In 
kurzer Zeit starb wieder der alte Vater ihres Mannes, und da hat 
sie so gejammert, dass man's nicht anhören konnte. Das hat schon 
ihr Mann nicht aushalten können und er fragte: ,Warum weinst 
du jetzt so schrecklich, obzwar das mein Vater ist und nicht der 
deine? und nach deinem Kinde hast dich gefreut, obgleich du ihm 
Mutter warst?' Sie wollte ihm darauf nicht antworten. — «Du 
verstehst es nicht,* sagte sie nur, ,und wirst es nie verstehen 1' — 
Er sah, dass sie es ihm nicht sagen will, und so versprach er ihr 
schon, ihr den Schuh zurückzugeben. — ,Nun, wenn so, so werde 
ich's dir wohl sagen: Du hast nicht gesehen, wie deines Vaters 
Seele von Sünden belastet und von Teufeln belagert war, so dass 
nicht einmal für jeden ein Knöchlein geblieben wäre; wie ich 
aber zu jammern begann, da sind sie alle durchgegangen. Und 
wie das Kind gestorben, da war so eine Freude um ihn herum, 
dass ich keinen Grund gehabt habe, nach ihm zu trauern.* — 
Dann erzählte sie ihm noch vieles andere und er musste ihr den 
Schuh zurückgeben. Darauf entstand ein grosser Wind, und nie 
mehr hat er sie gesehen. Und als der Fasching kam, da hat er 
ein Mädchen geheiratet.** (Aus Jalenkowate. Angeschrieben von 
Aleksiewicz). 

^Ein Bauer hatte eine wilde Frau in seinen Erbsen gefangen, 
nahm ihr die Schuhe weg und versteckte sie in der Kammer. Sie 
bat ihn sehr, ihr sie zurückzugeben, aber da er*s nicht tat, so 
gii^ sie zu ihm nach Hause und diente bei ihm, wie der treueste 
Dienstbote. Sie verrichtete jede wirtschaftliche Arbeit sehr flink, 
so dass der Wirt sie nicht genug loben konnte. So diente sie 
dort bis zu Weihnachten. Am heiligen Abend half sie der Hausfrau 



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Si 

beim Kochen; und wie das Naclilniahl fertig war, sagte die Haus- 
frau zum Gesinde: ,bitte euch alle zum Nachtmahl!' Alle setzten 
sich zu Tisch, nur die wilde Frau setzte sich in den Winkel und 
lachte während des ganzen Nachtmales, ass nichts, laciiLc nur. 
Man fragte sie, warum sie lache, aber sie wollte es nicht sagen. 
Erst nach dem Nachtmahl, als man sie mit Fragen noch mehr 
bestürmte, versprach sie zu sagen, wenn man ihr die Schuhe aus- 
folgte. Der Wirt versprach ihr das und da erzählte sie: ,wenn ihr 
gesehen hättet, was mit eurem Nachtmahl war, so hättet ihr sel- 
ber auch nicht gegessen nur gelacht. Die Frau hat anstatt zu 
sagen: ,bitte euch alle Getauf ttn zum Nachtmahl,** nur einfach: 
„bitte euch alW gesagt, und da sind alle Teufel zusammengeflo- 
gen, machten verschiedene Hetzen, sprangen auf dem Tisch 
herum, spuckten in die Schüsseln u. s. w.' — Die Hausleute haben 
sie noch um manches andere, um verschiedene Arzeneien, Zauber- 
mittel und dergl. gefragt und sie hat ihnen alles mitgetheilt. Dann 
nahm sie ihre Schuhe und gieng fort. Wie sie aber schon auf der 
Strasse war, hat sich noch der Wirt erinnert, dass er sie um 
ein Mittel gegen die Wurmkrankheit der Schafe nicht befragt hat 
Er lief ihr nach und fragte dies, jedoch erhielt er so eine Ant- 
wort: ,nimm das Messer, schlachte und iss!"' (Aus Kruszelnitza. 
Au%eschrieben von mir). 

Im allgemeinen, wie es aus den oben angeführten Motiven der 
Vorstellung folgt, wird die wilde Frau garnicht als schlecht und 
schädlich gedacht Im Gegenteil, sie besitzt viele sympathische 
und lichte Characterztige. Schon ihre äussere Schönheit allein be- 
zeugt hinlänglich, dass sie mit den bösen, schwarzen Geistern 
nichts zu schalTen hat; ganz deutlich spricht das die Erzählung 
aus Jalenkowate aus, indem sie ihr die Macht, von einer sündigen 
Seele die bösen Geister zu verbannen, zuschreibt. 

Nichtdestoweniger beschuldigt man in manchen Fällen die wilde 
Frau, dass sie an den Brustkindern säugt, weswegen sie blass 
und mager werden und wunde Brüste bekämen. Auch spielt 
sie manchmal den nachlässigen Müttern einen anderen bösen 
Streich. Sie stielt ihnen nämlich das Kind und schiebt ihnen 
ihres, das man «widmina** (Wechselbalg} nennt, unter. So ein 
Wechselbalg ist gewöhnlich sehr schlimm und dumm, aber er lebt 
nicht länger ab 7 Jahre. Am leichtesten kann die wilde Frau ein 
Kind umtauschen, wenn in der Nacht im Zimmer kein Licht 
brennt 

Die wilden Frauen hält man an manchen Orten sogar direkt 



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82 



für böse Wesen und man glaubt, dass sie von Hexen und Zau- 
berern unter die Menschen geschickt werden, um unter ihnen 
allerlei Unheil zu stiften und ihnen Bosheiten anzuLun. 

Lemberg. 



Volkstümliches aus rutenischen Apokryphen. 

Von Dr. Iwan Ff anko. 

Apokryphen nannte man ursprünglich religiöse Bücher, welche 
geheimgehalten wurden und deren Lesen nur Eingeweihten ge- 
stattet war. In der Bibelforschung bezeichnet man mit diesem 
Namen einige sowohl alt- als neu-testamentliche Bücher, die ur- 
sprünglich nicht zum Kanon gehörten und als zweifelhaft galten, 
später aber doch in den Kanon aufgenommen wurden. Jetzt nennt 
man „Apokryphen" eine grosse Anzahl vun Schriften sowohl alt- 
als auch neu-testamentlichen Inhalts, die zum Theil zwar auf alten 
Traditionen beruhen, ci wiesenermassen aber ziemlich spät, zwischen 
dem zweiten vorchristlichen und fünften nachchristlichen Jahrhundert 
entstaiulcn, eine Menge erdichteter Eiiizellieiten und heterodoxer 
Lehren cntlialten und entweder offenbar zum Zwecke häretischer 
Propaganda zusammengestellt, oder erst in späteren Bearbeitungen 
im Geiste der kirchlichen Orthodoxie halbwegs umgearbeitet und 
^gereinigt", den Anforderungen frommer Erbauung angepasst wur- 
den. Einige wenige dieser Werke waren ursprünglich aramäisch, 
die meisten griechisch geschrieben und haben sodann im Mittel- 
alter in' lateinischen, kirchenslavischen, koptischen, arabischen, 
armenischen, grusinischen und anderen Übersetzungen und Um- 
arbeitungen ihre grosse Rundreise um die ganze civilisierte Welt 
gemacht und auf die Getnüther zahlloser Generationen einen 
grossen, bisher in allen seinen Einzelheiten kaum gewürdigten 
Einfluss ausgeübt. Natürlich können wir auch umgekehrte Falle 
beobachten, indem sich bei verschiedenen Völkern unabhängig von 
den Apokryphen entwickelte volkstümliche Elemente um diesen 
hebräisch^griechlschen Kern gruppierten, sich gleichsam an ihn 
herankrystallisierten und so entweder neue, griechisch nie bestan- 
dene Apokryphen oder in den aus dem griechischen übersetzten 
Texten nette, im Urtext nicht vorhandene Episoden und Exkurse 
bildeten. Und wenn wir alle Apokryphen überhaupt als einen 



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«3 

Ausfluss der Volkstraditioiii wenn auch in schulmässiger Bearbeitung 
und manchmals doctrinär und dogmatisch zugestutzt, betrachten 
müssen und also ihr Studium für jeden Volksforscher, der, so zu 
sagen, nicht an der Scholle kleben und sich im Unbedeutenden 
verlieren, sondern weite culturgeschichtliche Horizonte umspannen 
will, als unentbehrlich und sehr lohnend anerkennen müssen, so 
sind diese neueren Umarbeitungen und Einschaltungen zweifach 
interessant, indem sie uns den lebendigen Verkehr der modernen 
Volksphantasie und des Volksglaubens mit jenen alten Erzeugnis- 
sen vor Augen fuiiren. 

Ich habe im vorigen Jahre im Verlage des „Wissenschaftlichen 
Scvcenko- Vereins in Lemberg" den ersten Band einer umfassenden 
Apokryphen-Sammlung aus den südrussisclien (rutenischen) Hand- 
schriften veröftentlicht, der die alttestamentlichen Apokryphen 
umfasst und in mancher Hinsicht als ein Supplement zu den älteren 
derartigen Sammlungen russischer Gelehrten Pypin, Tichonranow, 
Porfirjew, Popow betrachtet werden kann. Aus diesem Buche 
will ich nun Einiges herausgreifen und in deutscher Übersetzung 
dem grösseren Kreise der Fachgenossen zugänglich machen. Ich 
beginne gleich mit dem Interessantesten, mit einem Beitrag zum 
rutenischen Dämonenglauben, der in einer rutenischen Handschrift 
aus Nordungarn in die apokryphe Erzählung von der Revolte und 
dem Sturze der Engel eingeschaltet ist. 

Nachdem der rutenische Umarbeiter ziemlich conform der griechi- 
schen Sage erzählt hatte, wie Lucifer sich aus Stolz gegen Gott 
empörte und einen Engclchor mit sich zur Meuterei fortriss, wie 
die Meuti^rer von Gott niedergeworfen und verflucht wurden (hier 
giebt es schon Manches, was im griechischen Apocryphum nicht 
enthalten ist z. B. der Fluch, Lucifer solle schwarz und hässlich 
und die anderen Teufel sollen geflügelt sein) und wie sie 40 Tage 
und 40 Nächte wie ein Regenschauer hinabflogen, heisst es weiter: 

„Auch dies brauchen wir zu wissen, meine liebsten Christen» 
dass nicht alle diese verfluchten Engel in die allertiefete Tiefe (d. 
h. in die HöUe) hinabgestürzt sind, sondern hört nur fleissig, wo 
verschiedene von ihnen geblieben sind. Die einen, die Vordersten, 
stürzten mit ihrem stolzen Herrn durch die Erde in den Al^rund, 
in die Hölle und werden dort sitzen in alle Ewigkeit, als Ver- 
bannte und Verbrecher an der Gottheit, denn sie haben schon für 
alle Ewigkeit die göttliche Gnade verloren, denn der Stolz war 
die Ursache ihres Elends« Diese Teufel sind die grimmigsten, 
welche unter der Erde sind, damit die Menschen ihr Antlitz nicht 

6 



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84 



schauen. Die Anderen aber, die Mittleren, stürzten auf die Erde. 
Diese erscheinen manchmals den Menschen von Angesicht zu 
Angesicht und thun den Menschen Böses an und verführen sie zu 
verschiedenen Sünden und Versuchungen : Manche verführen und 
versuchen sie zur Sünde, Manche nehmen Besitz von Menschen, 
wohnen in ihnen und hetzen sie und werfen sie herum und quakn 
sie; sie schlai^ca auch ihre Wohnung auf in den Thierea, in den 
Vögehi, in den Hunden, in den Scliweinen und im Vieh und 
richten bösen Schabernak an. 

„Wir müssen auch dieses wissen: wo nur einer von diesen bösen 
Geistern an irgend einem Orte auf die Erde hinabgestürzt ist, und 
wenn ein Mensch zufäUig auf diesem Orte schläft, so ergreift ihn 
der böse Geist. Oder wenn man auf diesem Platz ein Haus, eine 
Scheune, einen Viehstall oder einen Garten anlegt, oder einen 
Obstgarten oder einen Hof, so wird es dort kein Glück geben und 
kein Heil Itir diesen Menschen. Sogar wenn man auf diesem 
Platz eine Kirche, ein Kloster oder eine Festung baute, so werden 
sie (d. h. die bösen Geister) Böses anrichten, weil es ihr Platz ist 
für alle Ewigkeit. 

,Noch Andere blieben in der Luit, in den Wolken hängen; sie 
fliegen herum in den Wolken, nachdem sie dort stecken geblieben 
sind — die Einen mit den Füssen, die Anderen mit den Flügeln, 
die Anderen mit den Händen, wieder Andere mit der Seite und 
Etwelche kopfüber. Diese haben sich selbst nach göttlichem Be- 
fehl aufgehängt bis zum jüngsten göttlichen Gerichte. Auch diese 
Teufel thun den Menschen Böses an mit Sturm, bösem Wetter, 
Hagel, Wirbelwinde, und die (Teufel) heissen LunoHker, Auch 
das ist ein Lunatiker, was man einen Monatswandler nennt, wer 
einen Monat als Weib, und den zweiten Monat als Mann herum- 
geht. Und wer unter einem solchen Planeten geboren wird, wenn 
es ein Knabe ist und heranwächst, so wird ein solcher Mensch 
ein Lunatiker, und wenn es ein Mädchen ist, so wird sie eine 
Lunatikerin. In solchen Menschen wird der todbringende Teufel 
leben und sie quälen, und bis an ihren Tod sind sie unheilbar. 
Das sind bösartige Satane, die Lunatiker, und diese Teufel reissen 
sich auch jetzt los in der himmlischen Luft, und wenn sich (so 
einer) losreisst, so fliegt er durch die Wolke entweder als Feuer 
oder als Funken oder als Stern, und diese Teufel fallen auf die 
Erde herab. 

,Auch dieses müssen wir noch wissen von diesen bösen Geis^ 
tem, die uch losreissen und als Sterne auf die Erde herabfliegen. 



S5 

Jetzt höre Jedermann fleissig zu und liihr* es sich zu Gemüte! Es 
gibt unter uns solche Leute: wenn sie sehen» dass ein Stern vom 
Himmel zur Erde herabfliegt, so sagen sie» der Stern habe sich 
losgerissen. Das ist aber eine Fabel der Ungebildeten, denn wisse 
wohl, elender Mensch: wenn nur ein Stern vom Himmel auf die 
Erde herabfiele, so würde er diese ganze sichtbare Welt vernichten. 
Aber kein Stern kann von seiner Bewegung abweichen, wo ihn 
Gott hingestellt hat bis zum jüngsten göttlichen Gerichte. Dieses 
aber möge ein Jeder wissen und aus der heutigen Predigt lernen 
aus der heiligen hochweisen Theologie: es sind jene Teufel, die 
sich losreissen und sich losreissen werden bis zum jüngsten göttlichen 
Gerichte. Er erscheint als ein Stern, denn der Teufel kann sich 
umgestalten, wie er will. Wenn er will, so verwandelt er sich in 
einen Stern, verwandelt sich in Feuer, in einen Vogel, in ein 
Thier oder ein Vieh, oder in einen Menschen und ein Kind, sogar 
in einen Engel, wie wir das aus verschiedenen Schriften und an 
verschiedenen Orten erfahren. Denn auch die Teufel haben keinen 
Körper an sich und keine Knochen und kein Blut, sondern nur 
den Geist, und heissen böse Geister, verworfene Engel, verführeri- 
sche, dunkle Sterne. Uns aber, Brüder, belehrt die heilige Schrift: 
wenn du, gläubiger Mensch, einen herabfliegenden Stern oder 
Funken in der Luft siehst, so halte still und schlage ein Kreuz 
und spucke auf das G^penst, denn es ist der Drache, und dann 
wird er verenden und verschwinden. Und wo dieser fliegende 
Drache hinstürzt, dort ist ein böser, abscheulicher Ort, der Unglück 
bringt den Menschen und dem Vieh" '). 

Ich habe mich bemüht, bei der Übersetzung die Unbeholfenheit 
der alten Sprache beizubehalten. Die Handschrift, der die.se Er- 
zählnnc; entnommen ist, stammt ans dem Anfang des XVIII. 
Jahrhunderts und es ist interessant zu erfahren, dass unsere Erzäh- 
lung einen Theil einer wirklich gehaltenen Predigt bildete. Wir 
sehen also, dass die Vorstellungen und Gestalten des Volksglaubens 
bei den Rutenen noch im XVIII. Jahrhundert von der ungebil- 
deten und durchaus im Volksglauben auf^nnvachsenen Geistlichkeit 
von der Kanzel gepredigt und mit einem naiven Aufputz ortho- 
doxer Theologie vorgetragen und erhärtet wurden. 



x) Dr. 1. Franko, Apoknfy i Legendy x okninsldch rnkopysiw, t. 326 — 328. 



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S6 



Blumen, die unter den Tritten von Menschen 

hervorsprossen. 

Eine Umfraee von B. Läufer. 

I. Die Vorstellung, dass unter den Tritten dahinwandelnder 
Menschen, besonders edler Frauen, Blumen hervorsprossen, scheint 
ziemlich weit verbreitet zu sein; freilich bin ich vorläufig nicht 
imstande, die Ausdehnung dieses Gedankens auch nur annähernd 
zu bestimmen an der Hand einer grossen Zahl von Beispielen. 
Meine Absicht ist nur, die Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung 
zu lenken und zum Sammeln gleicher oder ähnlicher Ideen anzu- 
regen. Ich führe zwei Citate aus der europäischen Litteratur an, 
um dann auf Indien überzustehen. In Clemens Brentano 's 
Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf heisst es im 
dritten Stücke, als der Müller die Prinzessin, hinter ihr hergehend, 
nach seiner Mühle führt: „Er aber sah ganz beschämt an den 
Boden, und wie erstaunte er nicht, als er überall, wo die schöne 
Amcleya ihren Fuss auf der Wiese hinsetzte, lauter Ehrenpreis 
und Königskerzen und Rittersporn und andere adelige Blumen 
aufblühen sah, worauf er wieder sehr an seinen Traum gedachte.'* 
Calderon dichtet in seinem Drama , Meine Herrin über alles" 
(Antes que todo es mi dama), Act I: 

War *c ein Wander, Fetix, wenn ich Sie ihr das Geständnis mecbten, 
An noch lieblichem Gestaden Ihr entglimm' ihr Frtihlingslebeni 

Als £lysiums Gefilde Weil ihr Fuss sie hergetragen 

Venns sali, wie sie mit saiten Sanften Tritts — 

Blumen spidt* und insgesamt 

Dass den Fusstritten einer schönen Dame Blumen entspriessen, 
bemerkt dazu der Übersetzer K. Pasch (Ausgew. Schauspiele des 
Don Pedro Calderon de la Barca, zum i. Mal aus dem 
Span, übersetzt. II. Bd., Freiburg 1892, S. 143) ist ein mehrfach 
gebrauchter poetischer Ausdruck Caldeion's: in dem Drama 
„La senora y la criada" (Frau und Magd) haben der schönen 
Diana nn t ihren Begleiterinnen Rosen utu; Jasmin Schnee und 
ruipLii zu vrirLiiilven; in Fincza contra tincza (Aufopferung gegen 
Aufopkiuiii^y vcikiliL eine Schöne mit ihrem „Kothuin" dem 
Lenze Blumen, während sie von ihrem Kranze aus Steine 
spendet. Das in demselben Bande übersetzte Stück „Morgen 
des April und Mai*' (Mananas de abril y mayo) hat den Passus 
(S. 4S): 



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»7 



Dass man in deo Blumeogärten 
Rosen sich gepflückt^ erblieVt' ieh 
Oft; dnss Rosen ninn zurücklässt, 
Heut' erst: eines Fusses Tritte 
Dankte j« der Hain die Blumen, 
Die von der Berfllmng fielen, 



Hier der schneeige Jasmin, 

Dort die sdnnaebtend blatten Lilien. 

Einen Utipel kam herab 

Eine Dame, — nein, nicht richtig! 

Ein vencUeieit Zanberweaen, 

Ein verkletdet Blendwerk i^ien sie*). 



Gehen wir nun in den Orient, so finden wir im 3. Märchen des 
Siddhi-Kür (Jülg, Die Mädchen des S., Kalmukischer Text etc. 
S. 70) eine mit dem Citat aus Brentano autiallcnd übereinstim- 
mende Stelle. Der von einer Kuh geborene Massang mit dem 
Rindskopf traf auf seiner Wanderung ein ici/xades Mädchen, das 
aus einer Quelle Wasser t^^cholt ; indem sie dahin wandelte, sah er 
mit Verwunderung, wie unter jedem ihrer Tritte eine Blume nach 
der andern hervorsprosste. Ihr folgend gelangte Massang in den 
Göttcrhimmel. Daraus geht wohl hervor, dass es sich um eine 
Apsaras handelt. In der Buddhalegende wird erzählt, dass der 
Knabe kurz nach seiner Geburt, nachdem er ein Bad genommen» 
sieben Schritte machte ; auf jedem spiosste schleich eine Padma- 
blume (Lotus) hervor, und er recitierte laut folgende Stelle aus 
einem alten Lobgesang: „Wenn du, erster der Menschen, chubil- 
ghanisch (d.h. durch eine Verwandlung) wiedergeboren und sogleich 
auf dieser Erde sieben Schritte schreitend sagen wirst: ,Ich bin 
der Oberherr dieses Weltalls*, dann. Trefflichster, werde ich dich 
anbeten." Diese Version entstammt einer mongolischen Quelle 
und findet sich bei L J. Schmidt, Forschungen im Gebiete der 
älteren religiösen, politischen und literarischen Bildungsgeschichte 
der Völker Mittelasiens, Petersburg 1824, S. lyi. In andern Bud- 
dhabiographien findet sich der Zug der Blumenentstehung unter 
den Schritten nicht. Nach Agvaghosha's Buddhacarita macht 
Buddha behutsam sieben Schritte, deren Spuren glänzend wie sie- 
ben Sterne zurückbleiben. Nach den gewöhnlichen Berichten stellte 
er sich auf den Boden, schaute nach allen Richtungen, that sieben 
Schritte nach Norden und rief triumphierend aus: «Ich bin der 
Höchste in dieser Welt" (s. Kern, Der Buddhismus I, 31, Manual 
of Indian Buddhism S. 14). Dem Lalitavistara (7. Kapitel) zufolge 
erschien gleich nach seiner Ankunft in der Welt ein grosser Lotus, 
auf den er sich setzte und die vier Himmelsgegenden mit dem 
Auge des Löwen betrachtete. Diese Erscheinung wie der Bericht, 
dass unter den Schritten Buddha*s Lotusblumen hervorkommen. 



i) Bei Arlost und Tas- -ind ganz ähnliche Dinge zu finden, wie ich mich aus 
ehemaliger Beschäftigung mit ihuen wohl ehonere; ich vermag aber augenblicklich 
IteiDC genauen Citate s« geben. 



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88 



erinnern an das Motiv der indischen Kunst, das die Lotus als 
Sitz oder zwei Lotusblumen unter den Füssen des stehenden 
Buddha verwendet (s. Grünwedel, Buddhistische Kunst in Indien, 
Berlin 1893, S. 150)'). Ich vermute, dass diese bildnerische Dar- 
stellung ihren Ursprung jener literarischen Conception verdankt; 
diese Vorstellung lässt sich, nach beiden Seiten hin weiter ent- 
wickelt, in der tibetischen Litteratur und lamaistischen Ikonographie 
verfolgen, was indessen ausserhalb des Rahmens dieser wenigen 
Andeutungen liegt. 



Woher kommen die Kinder? 

Eine Umfrage von O. Schell. 

XL VI. In deutschen G^enden bringt der Storch die junge 
Bevölkerung. Auch in böhmischen Bezirken hört man manchmal 
seinen Namen in diesem Zusammenhange, aber selten. Hier spielt 
auf diesem Gebiete die Hauptrolle der Rabe oder eigentlich die 
Rabin. Man hört oft die Mutter zu ihren neugierigen Sprösslingen 
sagen: ,Der Nachbarin hat die Rabin einen Buben (oder Mädchen) 
gebracht. Sie warf das Kindlein durch den Rauchfang in die 
Stube direct unter die Bank. Darüber ist die Frau so erschrocken^ 
dass sie krank liegt.*' 

Das eigenthümliche Geschrei der Raben ist den böhmischen 
Kindern eine Bestätigung dieser Wahrheit Im bekannten kri-krä 
glaubt das Kind die böhmischen Worte kvim, kvim (zu euch, zu 
euch) zu hören. Ist es ein Kind, das gern noch länger alleiniger 
Liebling der Mutter bleiben möchte, ruft es dem schreienden 
Vogel weinerlich zu: Ach n6 knäm! (Ach, nicht zu uns!). Andere 
dagegen, die die Rabin schon mit Geschwistern beschenkt hatte, rufen: 



Vrilaa leti, 
nese dCti, 

my je marae, 
neprodimef 



Die Rabin fliegt. 
Bringt die Kindlein, 

Wir haben sie, 

Doch verkaufen sie nicht 

Um zwei Gulden. 



Als ich noch klein war, erzählte mir eine meiner Freundinnen, 
dass die Kinder in einem kleinen Bache, Jalovina genannt, der 



i) Vergl. auch Waddell, The Buddhism of Tibet, Lond. 1895, S. 338, 



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t 



8» 

durch eine Vorstadt von Melnik fliesst, unter einem Steine wachsen. 

Eine komische und für eine unweit Melnik gelegene kleine Ort- 
schaft höchst ärgerliche Bemerkung kann man oft hören, wenn 
man jemanden fragt, woher er ist. Er antwortet oft scherzend; 
,Aus Zitau" (Z Citova). 

Mit dieser Geschichte hat es folgende Bewandtnis. 

Einer Zitauer Familie brachte einst die Rabin ein Kind. Als 
nun die Zeit der Taufe kam, stellten sich die Patinnen und die 
Geburtsflau {uiiik'Jich ein. Nun ward in die Kirche gefahren. 
Nach vüllzc^ciicr CciLmonie begab sich die ganze Gesellschaft 
bestehend aus zwei Patinnen, dem Vater des Kindes und der 
Hebamme in das Wirthshaus, da ward ein zweites Frühstück ein- 
genommen, und der glückliche Vater vcrgass nicht, auch seine 
Gäste reichlich mit süssem Schnapse zu bewirten. Die Gesellschaft 
bestieg dann wieder den Wagen und unter lustigem Geplauder 
gieng es der Behausung des Bauers zu. Am Hausthorc angelangt, 
stiegen zuerst die Patinnen aus, dann der Vater, welcher die 
Hände der Hebamme entgegen streckte, um sein Kind von ihr zu 
empfangen, damit sie leichter hinunter steigen könne. 

Aber . — o Schrecken! Die Hebamme hob die seidene, mit 
einem Kreuz gezierte Decke (Plentu) in die Höhe und — fand 
nichts darunter. 

Die ganze Gesellschaft war plötzlich von ihrem Rausche geheilt. 
Man setzte sich schnell wieder in den Wagen und fuhr auf die Suche. 

Zum Glücke war das Auge des unglücklichen Vaters durch die 
Angst so geschärft, dsas er ein schönes Stück Weges vor sich 
bald einen Wanderer erblickte, der ein Kind, festlich angezogen, 
auf dem Armen trug. 

Nun ward dem Wanderer zugesteuert. Die ganze Geselbchaft 
überschüttete ihn' mit Danksagungen und verlangte das Kind. 
Dieser aber wollte den Fund nicht so leicht hergeben, sondern 
verlangte Finderlohn. Die Gesellschaft sackte alles, was sie bei 
sich, hatte für den Wanderer aus. Es waren f Kreuzer und ein 
Buchterl (Kuchen). 

Seit der Zeit heisst es aber: ,Du bist aus Zitau.*' Oder Leuten, 
die keine Kinder haben sagt man: ,Geht nach Zitau. Dort kann 
man die Kinder um 7 Kreuzer und ein Buchterl kaufen." 

Die Zitauer aber sind sehr darüber ungehalten, wenn man diese 

Geschichte aufwärmt* 1^ r 1 

Josefine Kopecky. 



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90 



Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst. 

Urninge von R. Sprenger. 

V. Ein Tabuletkrämer, gewöhnlich der Hausierer aus Gudum 
genannt, wurde mittelst eines Besemers totgeschlagen und alle im 
Hause, die Tochter ausgenommen, sind wol damals mitschuldig 
gewesen. Den ersten Tag, da sie seiner nicht los werden konnten, 
schoben sie ihn unter das Bett hinunter. Zufällige Besucher mein- 
ten, sie hörten den Laut eines Seufzers; die Leute sagten, es sei 
die Katze, die unter dem Bette sprudelt Die Sache war aber, 
dass der arme Mensch nicht ganz tot war. In der nächsten Nacht 
führten sie ihn weg, indem sie die Leiche nach Himmelgaards 
Hügel hinfuhren, und begruben ihn in einem Sandgraben. Sie 
konnten ihn dort nicht bleiben lassen, denn so oft er auch ver- 
scharrt wurde, seine Hand kam beständig wieder zum Vorschein. 
Zuletzt nahmen sie ihn wieder aus dem Sandgraben heraus und 
fuhren ihn so weit in den Fjord, wie sie nur vermochten, hinaus; 
dort warfen sie ihn ins Wasser. Am Ende trieb die Leiche 
an der Insel Mors ans Land. Unter den vielen, die sie sahen, 
war ein Mann, Andreas Primdal genannt. Sobald er aber den 
Toten anrührte, quoll flüssiges Blut aus der Nase der Leiche. Die 
Versammelten wollten augenblicklich Andreas als den Mörder 
ergreifen, er war doch unschuldig, da er aber etwas von der Sache 
wusste, sagte er: „ich habe es nicht getan, irre ich aber nicht, 
ist ein Hausierer im Hause meiner Schwester ermordet** So ward 
die Sache ruchbar; der Sohn, der der Hauptmann gewesen war, 
flüchtete, wahrscheinlich nach Hamburg, denn sie war eine freie 
Stadt; die Alten im Hause kamen ins Zuchthaus« (E. T. Kris* 
tensen, Danske Sagn IV. 442. 1379). 

VL Es wird erzahlt, dass zwei Männer in Sveistrup sich immer 
zankten. Am Ende starben sie und wurden begraben; aus den 
Gräbern beider aber wuchsen Hände heraus, deren jede der andern 
drohte. Den Dorfleuten schien dies ein hässücher Anblick; sie 
hieben die Hände ab, Hessen einen kleinen Kasten 'machen, in den 
sie die Hände legten. Dort wollten sie aber auch nicht Frieden 
halten. Jede Hand wollte die obere sein, und so oft sie auch 
eingelegt wurden, man konnte tun wie man wollte, am nächsten 
Tage lagen sie immer anders, die eine wollte immer der andern 
Meister sein. (Kr ist Sagn V. 245. 87s). 



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91 



Ich verweise noch auf Liebrecht, Zur Volksk. S. 343. 6. — Wuttkc, Aber- 
glaube nr. 307. — Knoop, Sagen ans Poten S. 129. 5. Knoop, Sagen aus 
Hinterpommern & s6. 45. — Deecke, Lflbecker Geschidhten und Sagen, $<• Anfl. 
S. 202. 156. 

Askov, Dänemark. H. F. Feilberg. 



Die Nadel ohne Faden. 

Von A. Treichel. 

Die Nadel ohne Faden gehört zu den Vexieraufgaben. Es hält 
lange an, ehe man auf das Richtige kommt. Meist wird die Lösung 
dieser Aufgabe einem Mädchen übertragen. Wenn man einem 
Mädchen auftrs^» ,eine Nadel ohne Faden" herbeizubringen, so 
ist das gar nicht so einfach, als es scheint, und nur Wenige kom- 
men auf das Richtige dabei. Es genügt nicht, dass man nur eine 
uneingefödelte Nadel herbeiträgt, sondern die Auflösui^ dieser 
volkstümlichen Vexieraufgabe ist die, dass das betreffende Mädchen 
sich völlig entkleidet und so die blanke Nähnadel herbeibringt, 
also im Evakostüme ohne jeglichen Faden; denn auch die Klei- 
dungsstücke bestehen sämmtlich aus Fäden. Man sagt ja auch, 
man habe keinen trockenen Faden am Leibe, bei nassen Kleidern, 
oder keinen ganzen Faden, bei zerrissenen Kleidern. In dieser 
zwiefachen Bedeutung oder vielmehr in der Amplification von 
Faden zu Kleid und Körperhülle überhaupt (pars pro toto) liegt 
ja eben das Wesen dieses Witzes. 

Einmal wetteten zwei Männer um diesen Funkt. Der Eine be- 
hauptete, es würde einem Mädchen sehr schwer fallen, eine Nadel 
ohne Faden herbeizubringen, während der Zweite, der die Pointe 
nicht kannte, nichts wäre, doch leichter, als das, und zur Probe 
nach geschlossener Wette ein herangerufenes Mädchen damit be- 
auftr^e. Diese aber, welche wusste, worauf es hierbei ankam, 
weigerte sich dessen gar sehr zu seinem Erstaunen. Erst als der 
Andere, welcher seine Behauptung doch gleich handgreiflich be- 
wiesen hatte, ihr einen Thaler ab Belohnung versprach, führte sie 
es aus und erhielt darauf ihr Geld von der Summe, welche der 
Verlierer der Wette bezahlen musste. 

Dieselbe sonderbare Wette kam Anfangs 1897 in der Gemeinde- 
versammlung eines Dorfes P. bei Lyck in Ostpreussen zum Aus- 
trage, welche zeigt, dass die Dorfväter nach ihren das Wohl der 



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9» 



Gemeinde betreffenden Beratuogen auch einem derben Scherze 
nicht abgeneigt sind. Gegen ein Liter Branntwein als Preis erbot 
sich ein Mitglied der Versammlung, dieses gemäss der Behauptung 
auszuführen, und überlegen lächelnd kleidete er sich bis zum Hemde 
aus und beugte sich, jetzt sicher, dass kein loser Faden auf dem 
Körper haftete, zur Nadel nieder. Der Gegner aber, welcher sah, 
dass die Wette verloren, spendete dem Sieger nicht den Preis, 
sondern goss ihm ein Gefäss mit eiskaltem Wasser über den Kör- 
per. Die Folge dieses überaus leichtsinnigen und schlechten Strei- 
ches war, da allerdings der Durchnäste die weitere Unvorsichtigkeit 
beging, auf seine Gesundheit trotzend, die Kleider über das nasse 
Hemde anzuziehen, eine starke Erkältung, welche in ein heftiges 
Fieber ausartete, von dem er nur schwer genesen ist. 



Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre. 

(Grafschaft Hohnstein). 

Gesammelt vou Fr. Kiünig, erläuicrl von O. Schell. 

1. ifF/V die Gehradörfer gegründet 'wurden. Vor etwa looo Ja^iren lebte zwischen 
Ober- uod Niedergebra ein Fischer, der sich von den Fischen nährte, die er in der 
Wipper fing. War der Fischfang nicht ergiebig, so ging er mit Spiess und Kenle auf 
die Jagd und suchte den Auerochs oder den trrimmigen Bären zu erlegen, dessen 
Lendenstücke er in seiner Lehmhütte röstete und verzehrte. Der nahe Wald lieferte 
Eicheln und Bnchedceln und das offene Feld bnehte nUeilei KoUarten «ad Wvneln 
hervor, überall sprossten saftige Kräuter und wohlriechende Gräser auf den Wiesen. 
Aber ungeachtet aller Fruchtbarkeit und Anmut lebte ausser dem Fischer keine Men- 
schenseele in der Gegend. Da traf es sich im Jahre 911, dass ein Jude, namens 
Gebra^ aus seiner Vaterstadt Boniiabor (Brandenburg) fliehen mussfe und nach vielen 
Irrfahrten und Mühsalen in das Wipperthal gelangte. Überrascht von der Anmut und 
Fraehtburkeit doselben, beschloss er, sich hier ftlr immer niedersolassen «nd sein 
lieben in dieser Gegend zu beschliessen. In geringer Entfernung von einander baute 
er zwei Höfe, und die sich später allmählich Dörfer bildeten, welche den Namen des 
Gründers Gebra annahmen. Die eine Niederlassung erhielt den Namen „Blauer Hof" 
nnd wurde der Anfang des Dorfes Niedergebra, iräirend sich um die andern das Dorf 
Obergebra bildet 

2. Drei Zwergsagen, a. In einem kleinen Seitenthale der Wipper, nördlich von 

Niedergebra, befinden sich einige Zwerp;löcher, aus denen unter lautem Getöse der 
Sülzenbach entspringt. In dieser Löchern hausteu vor Zeiten Zwerge. Einstmals 
pflügte ein Gebraischer Einwohner Namens Schneider in der Nähe, wobei ihm sein 
TTund Gesellschaft leistete. Der Boden war hart und darum die Arbeit sehr anstren- 
gend, so dass er öfter ruhen musste. Als er wieder einmal ruhte, hörte er unter sich 
eine feine Stimme rufen: „Ihr sollt mengen.'* El, denkt der Mann, will man hier 
Kuchen einmengen, so willst du dir auch ein Stück bestellen und ruft laut: „Ihr 
könntet mir wohl auch ein Stück bringen." Bald darauf war es Mittag und es zog 



2. Drei Zwergsagen, a. In dieser Sage erscheint ein deutlicher Nachklang des Ge- 
gensatses zwischen Menschen und Zwergen, weldier nicht selten, wie hier, die Form 



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93 



mit den Tieren ins Uorf. Als er wieder auf den Acker kam, sah er auf dem zurück« 
gelassenen Pfluge ein StUck Kttcben liegen, schön fett und zum Anbcissen einladend. 
Der vorsichtige Bauer aber traute der Sache nicht recht und reichte erst seinem 
Hunde einen Teil davon, um den Kuchen su prüfen. Der Ilund verzehrte den Ku« 
chen. Doch kaum hatte er das gethan, als ei unter heftigen Scbmenen verendete. 

Man erzählt, dass die Zwerglöcher von einem früheren Bewohner der Sühemühle, 
Andreas Ackermann, untersucht worden seien. Derselbe soll in einer Höhle einen 
steinernen Tiscb, auf dem ein Wetzstein gelegen, sowie eine steinerne Bank voi^e- 
fanden haben. Angeregt durch diese Mitteilung hat der noch jetzt leben le Mühlbauer 
Karl Ackermann im Jahre 1879 eine der Höhlen untersucht. Die erweitert sich in 
einer Entfernung yon 50 — 60 zu einem stubengrossen Raum mit e1}enem Boden vnd 
ebener Decke. Doch von irgendwelchem Funde war keine Rede; nur ein grosses 
tropfsteinähnliches Gebilde befand sich an der Decke^ das in den Besitz des Bauers 
von Witzleben gelangte. 

Das Wasser des Sülzenbacfaes hat Sommer und Winter die gleiclie Teokpeiatiir, 
friert nie zu und fliesst immer in gleicher Menge, ein Beweis, dass es aus grosser 
Tiefe kommen muss. Bald, nachdem der Bach zu Tage getreten, bildet er den Sül- 
zenteich, aus dem der Storch die kleinen Kinder holen soll. Dann treibt das klare 
frische Wasser die Sülzenmuhle. In der vor dem Hause stehenden Lindenlaube hat sich 
schon öfter die weisse Frau sehen lassen, um einen dort vergrabenen Schatz anzuzeigen. 

b. Der Einwohner Müller zu Niedergebra besass über den Zwerglöchem einen 
Acker, den er mit Roggen besäet hatte. Während er blüthe, trat noch ein starker 
Frost mit etwas Schnee ein. Damit die Blüten nicht dadurch beschädigt würden, 
lässt Müller durch eine Leine den Schnee von den Ähren abstreifen. Bei dieser 
Gelegenheit wnrde einem Zwerge, der sich im Getreide verborgen gehalten, die Kappe 
abgerissen, die ihn tinsichtbar machte. Verwirrt und erschrocken eilte BUn der kltine 
Mann den Berg hinab und verschwand in den Zwerglöchem. 

c. In einem Hause auf der Hintergasse, dem Bodungerhofe gegenüber, wurde 
Kindtanfe gehalten. Die ' Paten nnd Gevattern hatten sich versammelt, Braten und 

Bier war aufgetragen. Indem nun die G.Tstc sich zu Tische setzen wollen, werden sie 
plötzlich gewahr, dass alles vom Tische verschwunden ist. Zwerge hatten es verzehrt. 



der Feindschaft annimmt. Die unterweltlichen Schntre, gehütet von den Zwergen, 
werden nur dem Landmann vergönnt. Aber verwegenes Kindringen (der Boden war 
bart und darum die Arbeit sehr anstrengend) zieht auch einen Fluch nach sich, wie 
in unserer Sage, wo der Tod dem Landmann selbst droht, durch seine Klugheit aber 
auf seinen Hund abgelenkt wird. 

Die Unteiirdiacben erseheinen aber aadi hier, wie sehr oft, als verzwergte Men- 
schen, ihnen in ihrer Lebensweise ähnelnd (sie mengen Kuchen ein); dazu vergl. 
man Simrock, Handbuch, 6. Aufl., S. 426, 429 ff. 

Interessant ist noch die Verbindung dieser Zwerghöhlen durch einen Bach, welcher 
ihnen entströmt, mit dem Slllzcnteich, welcher ein Kinderteich ist. Auch darüber 
giebt Simrock, Handb., S. 431, 436 Aufschluss. Vergl. ferner Schell, Bergische 
Sagen I, 17; VlI, 28 nebst Anmerkungen-, Grimm, Deutsche Mythologie, 3. Aufl., 
S. 428; Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 99 f.; Scham b a c h - M u 1 1 e r, N». 143. 

b. Flut, Kappe oder Zipfelmütze sind dem Zwerg unentbehrlich, denn dieses Stück 
seiner Kleidung macht ihn unsichtbar, so dass er unter den Menschen weilen kann, 
nngesdben von diesen, ihnen vielfach wesentliche Dienste leistend. Die Zahl der 
Sagen, welche derartige Züge enthalten, sind Legion. Schon König Goldcmar (Zim- 
mersche Chronik, Ausgabe von Barack, III, 84 ff.) ist hierfür ein Beleg. Weitere 
Erörterungen und Literaturnachweise siehe Schell, Bergische Sagen VI, 194 etcj 
Simrock, Handbuch, S. 435; S c h a m h a c h - M u 1 1 c r , N«. 146, 147. 

f. Es ist der häuhg wiederkehrende, hier allerdings etwas humoristisch ausgestaltete 
Zug der Zweigensage, nach welcher die Zwei^ unsichtbar von den Speisen der 
Menschen geniessen. Auch dadurch (wie durch vieles Andere) suchen sie offenbar ihr 
Geschlecht zu erhalten und zu regeneriren. Es ist nach Grimm ein Grundzug aller, 
Elben, die Mensdien au necken, wie es hier geschieht. Man vergl. Simrock 
Handbuch, S. 436} Grimm, D. Myth., S. 427; Schambach*Mttller, N*. 146. 



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94 



3. Der blutende Weulmbaum. In früheren Zeiten hüteten einmal zwei Knaben die 
Gänse auf der Bache, einer an der Wipper gelegenen Weide. Beim Frühstück be- 
merkte der ärmere von ihnen, dass sein Kamerad köstliches Welssbiot verzehrte, 
während er sich mit einem Stück trockenen Schwarzbrotes begnügen musste. Unmutig 
darüber, band er sein Brot an einen Weidenbaum und schlug mit einer Rute so lange 
danuif, 1^ es in Stflcke ceifi^. Kaum war das geschelien, so begann der Baiun su 
bl«ten und der Frevler stilnte tot snr Erde niedn:. 

4. Die versunkene Kutsche. Auf dem zu Gebra gehörenden Pfingstriethe befanden 
sich bis zum Jahre 1866 einzelne umfangreiche, tiefe T.öcher, welche mit klarem 
Wasser gefüllt waren. Von dem grössten erzählt die Sage: Einst kam ein vornehmer 
Herr in einer mit vier sdiwareen Pferden bespannten Kntscbe vom Mordtbale 
her über das Pfmgstrieth gefahren. Da er wegen des sumpfiger Untergrundes nicht 
rasch genug vorwärts konnte, so fing er an, mit schrecklichen Worten Gott und 
die HeUigen zu lästern. Doch Imum waren die ruchlosen Worte dem Munde entflohen, 
als Mann und Gefährt mit lautem Krache in die Tiefe versanken. Das entstandene 
Loch füllte sich mit Wasser an und war, wie schon erwähnt, bis in die neueste Zeit 
sichtbar. 

Ebenso soll eine Kutsche mit vier Pferden von der Hainleite und «war oben am 
Osterstiegswege in die grausige Tiefe gefahren und verunglttckt sein. 

5. Sage vom Mordthal. In der Umgegend wohnte vor Zeiten ein Glockengiesser, 
der überall als ein tüchtiger \md rechtschaffener Meister bekannt war. Seine Glocken 
zeichnete sich durch edle Form und vollen, schönen Klang aus und wurden weit und 
breit begehrt. 



Er hatte schon gegossen 
Viel Glocken, gelb und weiss, 
Fttr Kirdien und Kapellen 
Zu Gottes Lob und Preis* 



Und seine Glocken klangen 
So voll, so hell und rein^ 
Er goss auch Lieb* und Glanben 
Mit in der Form hinein. 



In der nahe gelegenen Stadt wünschte man auch ein Werk von seiner Hand, und 
der Meister bot alles auf, eine vorzügliche Glocke zu liefern, welche ihm zur Ehre 
und der Gemeinde zur Freude genesen sollte. Frisch ging er an die Arbeit, um den 
Guss vorsichtig zu vollenden. Doch wie viel Mühe und Sorgfalt er auch darauf ver» 
wendete — der Cuf;s wollte nicht gelingen. Mis.smut'h'r; vf>rlicss der Meister die 
Werkstatt. Kurz darauf trat er eine nothwcndigc Reise au, nachdem er vorher dem 
I.chrjungea aufgetragen hatte, verschiedene Vorbereitungen zu einem neuen Gusse za 
treffen. Wahrend dieser nun allein in der Werkstatt schaltete, sann er beständig 
darüber nach, warum doch seinem sonst so klugen Meister der Guss nicht gelingen 
wollte. Endlidi hatte er*8 gefunden! 

Ohne Zögern machte er sich ans Werk und siehe da! — nach Verlauf von einigen 
Tagen war die Glocke tadellos vollendet. Überglücklich eilte er dem Meister entgegen, 
die an diesem Tage surflckkehren urdlte. Im Mordthsle traf er ihn und verkündete 



3. Der blutende Weidenbaum. Der Frevel am heiligen Brot, in dieser oder jener 
Form verübt, wird schwer gerächt. Am bekanntesten dürfte in dieser Richtung wohl 
die Sage von Frau Hütt (Grimm, Deutsche Sagen, N*>. 233) sein, wenn sie auch 
den Riesensagen (Grimm, D. Myth,, S. 499; Simrock, Handbndi, S. 410) sngesKhlt 

werden muss. 

4. Die versunkene Kutsche. Vom „Mordlhal her kam der vornehme Herr gefahren, 
scheint also böse Thaten auf dem Kerbholz zu haben (wenn auch eine andere Sage 
den Namen anders deutet). Er lästert Gott mit schrecklichen Worten und schliesst 
sich damit aus seiner Gemeinschaft aus. Darum fährt er hinab ins Gewässer und ge- 
langt damit in die Gewalt der Kixen und Seegeister, wridie dort herrschen im Ge- 
gensat?; rw Gott und seinen Heiligen. Die Sage kann kein hohes Alter beanspruchen, 
sondern ist unter christlichem Einfiuss entstanden. Man vergl. Grimm, D. Myth*, 
S. 933; Bartsch I, 373; Annale» des Niederrheins 41, S. 18; Laistner, Nebd- 
sagen, S. 173; Kuhn, Märkische Sagen, N». 131, V^unkene Kutschen und ver- 
sunkene Burgen enthalten dasselbe Gnmdmotiv. 

$. S^e vom Mordtkal» Das allbekannte Motiv vom Glockenguss. Blan veigl. ti. A. 



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9S 



Jhm voll Stolz und Freude das frohe Ereigniss. Kaum hatte aber der Meister die 
Kmde vernommen, so übermannte ihn eine fnichtbare Wut, dass ihm nicht gelungen 
mUTi was der Lehrjunge auf leichte Art erreicht hatte. Drohend erhob er seinen 
schweren Reisestock und Hess ihn mit voller Wucht auf das Haupt des Knaben 
niederfallen, so dass der zur Erde sank und das rote Blut das Gras benetzte. Das 
Blut und das brechende Auge des Erschlagenen brachten den Meister aber wieder zur 
Besinnung. Eine fuiclitbarc Angst ergriff ihn, und mit .atemloser Spannung lauschte 
er, ob nicht doch noch ein Lebensfunken iu dem schuldlosen Opfer vorhanden sei. 
Doch das Leben war entflohen. 

Er hört' und sah nicht mehr; | Ach Meister, wilder Meister, 

Der Knabe lag am Boden, | Du schlugst auch gar z\i sehr. 

Und wie sich draussen die Dunkelheit auf Berg und Thal herahsenkte, so finster und 
dttnkel wurde es in sdnem Innern. Von innerer Unruhe getrieben, entfloh er dem 

Schreckensorte und durchritt Feld und Wald ohne Ziel und Zweck, unstät und ruche^ 
los. Endlich kam er zu einem bestimmten Entschlüsse : Er stellte sich selber dem 
Gerichte. Den Richtern that der Meister leid, aber helfen konnten sie ihm nicht. 

Es kann ihn keiner retten, 1 Er hSrt sein Todesnrteil 

Dosn Blnt will wieder Blut. | Mit ungebeugtem Mut. 

Auf die Bitte des Meisters begleitete ihn das Geläut der verhängnissvollen Glocke 
auf seinem letzten Gange. Von der sagenhaften Mordthat soll das Thal seinen 
Namen bekommen haben. In Wirklichkeit aber irUgi es ihn von der frttheren nioo> 
rigen BeschafTenheit, so dass es eigentlich ^Moorthal" heissen mttSSte, Wte es im 
Flurbuche von 1683 auch wirklich „Mohrthal" genannt wird. 

CFwtutwtMgen folgen). 



Folklolistische Findlinge. 

Hexengesang. Untt r dieser Überschrift findet sich im ^Korre- 
spondcnzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung", 
V. 1880. S. 33, 43 ff. ein Aufsatz, über einen alten Volksvers 
(in mehreren Lesarten), den die Hexen in der Walbur^isnacht 
(i. Mai) auf dem Blocksberge (Brocken) bei ihrem wüsten Trei- 
ben mit dem Teufel singen sollten. Ein Harzer Fremdenfuhrer 
aus Harzburg hat folgenden Vers mündlich überliefert: 

„Trümpfig ist das Hündeleln} 

TMmpfig ist der Hund; 

Trümpfig geht's zum Fenster aus und ein; 

Trümpfig ist das Hündeleia; 

Trümpfig ist der Hund." 

Nach der Mittheilung aus einem Dieburger Hexenprocess im 
Jahre 1627 (Steiner, Geschichte der Stadt Dieburg. Darmstadt 
ig29} lautet der Reim; 

Schell, Bergische Sagen IV, 70 nebst Anmerkungen. Iteidm Quellennuiterial 
steuert auch Kuhn (Westfälische Sagen, 340) bei. Die Glocke erscheint in allen 
diesen Sagen als ein hervorragendes Kunstwerk, was sehr zu beachten und für die 
Deutung wichtig ist. — Die noch für des Jahr 1683 nachweisbaren Namensform 
„Mohrthal" fMoorthal) lässt den Schluss zu, dass diese Sage hier nicht ursprünglich 
heimisch war, sondern Erldärung des später in „Mordthal" verwandelten Namens von 
■ndmnro fibertcagen wude* 



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96 



^Soll der Hund mt stumpfig sein? 
Kreucht zum Hünerloch au& und ein. 
Stump&g ist der Hund iu «. w. 
Dass dich der Hagel erschlage u. s. w.** 

Für die Auffassung des „Stumphiiun les'" als Tanzliedes — schreibt 
C. Wendeler in oben benanntem Aufsatze — bietet der Zusam- 
menhang einer Anführung bei I. Praetorius (Satyrus etymolo- . 
gicus sampt dem sonderbahren Anhange der kleine Blocks- 

Berg genannt. 1672) S. 491 genügende Gewähr. Es wird dort 
erzählt, dass ein zum Hexenconvent auf dem Blocksberg geschleppter 
^Pfeiffer" nach der Mahlzeit angereizt wurde zum Springen und 
Hüpfen zu geigen. „Da hat er gefraget, was er denn geigen 
solte . . . . Da soll der Teuffcl ihm dieses vorgesungen haben: 

Solt der Hund nicht strümpficht seyni 
Fährt zum Fenster aus und ein. 
Strflmpficht ist der Hund. 

Wie er dies Lied ohne Ende gefiedelt, da hatten sie alle gesprun- 
gen, als ob sie toll und thöricht wären," Aus der Verwendbarkeit 
des , Stumpfhundes'' für die buhlerischen Ausschweifungen unsau- 
berer Geister wird man auf seinen zotit^en Inhalt schliessen müssen. 
Das Wort Strumpf ist nur eine Nebenform von Stumpf. (Die 
Bekleidung des menschhchen Unterschenkels ist nur der , Hosen- 
strumpf", d. h. der Stumpf der mittelalterlichen, eng anliegenden, 
für den ganzen Schenkel und Fuss einheitlichen Hose). Im obigen 
Hexengesange ist unter Stumpf oder Strurniif offenbar Penis 
caninus zu verstehen; da<:^cgen scheint „trümphg"' irrthümlich auf 
neuerer Verwechselung mit ^strümpfig" oder „strümpficht" zu 
beruhen. Der Unterzeichnete entsinnt sich aus seiner Jugendzeit 
in Dessau die volkshumoristische Redensart aus dem Munde des 
gemeinen Mannes gehört zu haben: „Seinen Strümp ausringen" 
(— mingere). Wendeler fährt dann a.a.O. fort: Die Beziehnug 
auf den „hellenhunt" (J. Grimm 's D. Myth. Il4, 832), den „hunds- 
brautläufigen Teufel" liegt nahe, — und wer den mythologischen 
Spuren noch weiter rückwärts folgen will, wird sich mit E. JL Roch- 
holz (Drei Gaugöttinnen u. s. w. 1870) vergegenwärtigen müssen, 
dass die in der Walburgisnacht auf den Wiesen tanzenden und auf 
den Blocksberg fahrenden Hexen ^arge Trübungen einer ursprünglich 
edleren Vorstellung sind von gütig gesinnten und ftir das Ernten- 
wachsthum bemüht gewesenen Geistern." 

Arnstadt. Dr. med. F. Ahrendts. 



biyilizüü by GoOgle 



97 



(Aus dem bukozviner AUtagsglaubcn). i. Wenn es hagelt, so wirft 
man auf den Hof Schierhaken, Bürsten und dergl. hinaus. (Czudin 
in der Bukowina, rumänisch). 

2. Man darf nicht die Hagelkörner in die Hand nehmen, denn 
es wird noch länger hageln. (Dortselbst). 

3. Nach der Entbindung, bis die Nachgeburt nirbt herauskommt, 
darf die Hebamme niemanden sagen, ob ein Bub oder Mädchen 
geboren wurde, denn es könnte dem Kinde schaden. (Czudin, jüdisch). 

4. Man darf das Kind fremden Besuchern nicht zeigen. In alten 
Büchern steht geschrieben, dass unter 100 Kindern 10 durch bösen 
Blick sterben. (Dortselbst). 

5. Wenn die Wöchnerin von Frauen, die Regel haben, besucht 
wird, davon aber nichts weiss, so bekommt das Kind Vierziger. 
Um dem vorzubeugen, soll man unter das Bett etwas Wagen- 
schmiere legen. (Dortselbst). ^ * t • • 

* * ' J. Jaworskij. 



Vom Bücher tisch. 

Die Lebendigen und die Toten im Volksglauben, Religion und Sage. 
Von Rudolf Kleinpaul. Leipzig 1898. G. J. Göschen, VI, 

293, gr- 80. 

Ob durch Fund bei einem BUchertrödler oder durch ein Geschenk oder eine Erb- 
icbaft oder durch einen Zufall, bleibt unentschieden^ gelangte Kleinpaul in den 
Be?itr eines Buches von Rippert und eines von Laistner. Er las sie flüchtig 
durch, fand, da^s er sie nicht verstand und setzte sich hin, um davon als FeuiUeto- 
niit in mehreren Zeitangen Zeugnis abzulegen. Dm genttgte ihm nodi nicht. Er 
sammelte seine Auslassungen und gab sie unter dem volltönenden Titel, wie oben, in 
Buchform heraus. Ich hielt Kleinpaul nach seinen früheren Büchern, die mir zu 
Gencht kamen, für einen Sprachfoncher, der weder die Sprachen noch die Forschung 
genügend kennt, jetzt, wo er sich auf Volkskunde verlegt, sehe Ich aber, dass er auch 
vom Volke keine ausreichende Kunde hat. Für ihn haben die Volksibrscher nicht 
gedacht und nicht geschrieben. Et weiss von der ungeheueren Arbeitleittung, die 
gerade auf dem Soudergehietc, das er l)ehandeln wollte, seit einem Jahrzehnt voll- 
bracht worden, rein nichts. Dafür macht er mitunter Spassetteln über Din^e, die 
aichts weniger als spasshaft sind. Er ist zu häufig weder witzig noch geistreich, er 
vitwlt und geistreichclt nur; er schmÖckelt zu oft, wo er mit Tatsachen des VoUtSf 
glaubens fir kiü lische Behauptungen auch blos den Schein eines Beweises erbringen 
sollte. Wiu, liuijior und Satire sind wohl auch in gelehrten Arbeiten zulässig, doch 
dflffen sie nur persönlich polemischer Natur sein, ohne den (icgenstand der Erörte- 
ning ins Triviale hinabzuzerren. Freunde leichter, wissenschaftelnder l.eklUrc mögen 
bei alledem KleinpauTs Wortgelenkigkeit bewundem und sich seiner erkünstelten 
Lustigkeit und schöngeistigen, bftrgerlteh ehrbaren Gescheitheit erfreuen. Er Tersteht 
sich auf angenehmes, fiiessendes Salongeplaudcr un ! hat ab und zu auch gute Eilfc« 
fälle, ob eigene oder die Anderer, was kümmert es unterhaltungsbedürftige Leser? 

Krauss. 



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9» 



MitUilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde unter Mitwir- 
"kxoLg hervorragender Gelehrter hng. von M. Grunwatd. Heft I. H«ni- 
bttfg 1898. S. 120. 8*. Selbstverlag. 

Die jjüdisch( Volkskunde'"', die ^slovcnischc Gerechtigkeit", ^zionistisches Juden- 
tum", und die jfihristliche ChemikaUcnhaadlung" gehören zu einer und derselben 
Gruppe von Erscheinungen, deren nähere Besprechung in einer wtssenscliafllichen 
Zeitschrift für Volkskunde nicht zulässig 1 lieint. Der Hamburger Verein, von dem 
im I. B. des Urquells schon zweimal die Rede war, segelt unter seltsamer Flagge, 
sonst aber muss man seine Bestrebungen, Materialien zur Kenntnis jüdischen Volks- 
tums oder besser, des Volkstums von Juden aufzusammeln, nur freudig begriissen» 
Insbesondere habe ich dazu begründeten Anlass, weil ich als einer der ersten — was 
aber Herrn M. Grunwald nicht bekannt zu sein scheint — auf dieses, arg vernach- 
lässigte Gebiet die Fachgenossen seit vielen Jahren hinweise und mehr als gmug 
Verunglimpfung hiefiir eingchclmüt habe, und dann, weil ich hoffe, dass der neue 
Verein mit seinen Mitteilungen unseren Urquell einigermaassen entlasten wird. Die 
Einleitung* G.*s lisst den Kern der Aufgabe fast unberührt, denn sie rtthrt von einem 
Laien in der Volkskunde her. Das Heft enthält vielen, jedoch meist schon bekannten 
und sowohl in ,Am Ur-Quell' als im ,Urquell' veröffentlichten und daraus unkritisch 
entlehnten Stoff und einige Bildchen von fragwürdigem Werte. Erläuterungen, die dem 
der judendeutschen Mundarten Unkundigen das Verständnis der Texte erschliessen sollen, 
fehlen. In ihrer gegenwärtigen Gestalt ist die neue Zeitschrift doch nur für einen 
engeren Kreis von Juden berechnet. Der Zusatz im Titel: ,unter Mitwirkung hervor* 
ragender Gelehrter' ist unpassend, solang als dem der Inhalt der Beitiige nicht 
entspricht. Krauss. 

£7Mfr i£w FoHuuaius-Märchm. Von Prof. Dr. B£lft LisAr. Ldp- 
lig 1897. G. Foch. 139 S. IcL 8*. 

Es ist eine lichtvolle, mit Hinblick auf die reiche, erwiesene Literaturkenntnis des 
Verfassers auch gründliche und den Stoff vielseitig behandelnde Sonderuntersuchung, 
die als Vorbild für ähnliche Arbeiten dienen kann. Nach einer etwas zu sehr lücken- 
haften Sicizze über die Entstehung der schönen Prosa in der westlichen Literatur ei^ 
örtert L. die Geschichte Fortunat's, den Ursprung des Märchens, das Volksbuch von 
F., das historische Lied und F. im Drama uud der Epik bis auf Chamisso und 
U bland. F. in der slavisehen Volksttberliefentng fdüt. K. 



VIII. Ausweis 

über die zur Gründung einer Urquellstlftung von 10,000 Fl. eingeflossenen Spenden: 

Stand des Fonds (vrgl. Urquell, N. F. Band IL S. 50) 800 FL ö. W. 

Herr Hofrat Dr. M. Höfler in T»U 6,,, 

Herr Sigmund Neustadtl in Prag 25 „ ^ „ 

Herr Dr. Arnold Rosenbacher iu Trag ^Snn» 

Dr. F. S. Krauss, Sachverständigengebühr in der Schwurgericht« 

Verhandlung Budin c« Condutti (25. I. 1898) 4 » a « 

Zusammen 860 Fl. 5« W. 

Wdtere Speiden flbemimmt der deneitige Verwalter der Ur^ellstiftnng 

Wien VII/2« Neustifteasse 12. rv. • j 1 «. e v 

^ ^ i Dr. Friedrich S. Krauss. 

1 



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■ 



Verlag der Buciihandiuiig und Druckerei vormals E. J. BRILL. 

• 

AnIdV für Ethnographie (I n tenurtteaales) , hng» von Dr. KtbC BaIiaioa, Copen- 
hagen ; Prof. F, Boas, Worcestcr, U. S. A.; Dr. G, J. Dozy, im Haag; Ttof. E. H. 

GiglioH, Florenz; A. Grigorief, St. Petersbnrg; Prof. E. T. Hamy, Paris; Prof. H. 
Kera, Leiden; J. J. Meyer, Ocagarang ü^^^)^ Prof- Schlegel, Leiden; Dr. J. D.E. 
«Schmeltz, Leiden; Dr. Hjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. B. Tylor, Oxford. — 
Kedaction'. Dr. J. D. E. Schmeltz. 1887— 1897. Vol. I— X. (Mit schw. u. col. Taf.). 4«. 
Vannie de 6 livr. . ' / la. — • 

Supplement" zu Band I ; - . ■ , 
Otto St oll, Die Btlmotogie der ladianerstäntnie Ton 'Guatemala. 18S9. (Mit a 
col. Taf.). 4" / 4.— 

Supplement zu Band III: 

Max Weber, Ethnographische Notizen Uber Flores und Celebes. iS^. (Mit 8 
'col Tai:). 4». ..... , . . / 9.— 

SupptomMit sn Baad IV; 
David Mac Ritchie, The Aluos. 189a. (Miti7eol«tuaMAw.Taf.>4*. / S9^- 

Supplemcnt zu Band V : 

W. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893. (Mit 2 coL u. 6 
seh«. Taf.). 4». .... -..../ 6^ 

Supplement tn Baad VIT : 

F. W. K. Müller, Naog, Siamesische Schattenfiguren im Kgh Mttseiiin Ar Völ- 
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit 4 »chw. ^^ 8 Col. Taf.). 4*. , , . . / 9.— 

Supplement zu Baad IX: ^ * ' - 

£tl»ik«graphis«1itt BeUrttge* Festgabe aar Feier des fo^^tn Gebartstages voti 
FMtf. .Ad, .Ba8liatt. 1896. (MH $ etfl. Taf.) 4*. . . . , . . . ^ , f 6^ 

Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeitschrif' hh jetzt 
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecuniä» 
ren Opfer so viel möglich sv erleiditem, habe ich mich entsdilosseB, den neuen 
Subscribenten auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der 
noch vorhandene, geringe Vorrath dies ge8tatte.t, zu ermässigten Preisen s«k über» 
' lassen, und swar: ' \ ; 

Bd. t — (Ladeapreis aio Mark) zu M. 150. — . 

Bd. I — X mit sämmtlichen Supplementen (Ladenpreis 288 Mark) zu M. 170. — . 

Da von den letztgenannten sieben Banden mit sämmtUchen Supplementen nur 
noch sehr -wenige vollständige I x u plare abaageben siäd, durfte es sich emp-' 
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zu ertheilen. 

Ettting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner-Arabien. 1896. Theil I. 8°. Mrk. 7.50 

Jacobs, J, Het Familie- en Karapongleven op Groot-Atjeh. Eene bijdrage tot de 
ethaographie van Noord-Sumatra. Uitgeg. vanwege het Kon. NederL Aardrijksk. 
Genootschap. 1894. a dln. (Met 17 pholklith. eii6gekI.phiten)gr.iii-8^. Mric 35.50 

gebanden . . Mik. 38190 

Landberg, C. de, Bäsim le forgeron et HSrun Er-RSchid. Texte Arabe en dialecte 
d*]^pte et de Syrie. Publi6 d'apr^s les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et 
aecompagn^. d^une tiaductieii et d*iin glossaire. I: Texte, tradition et pröveibca. 
1888. V. Milc 5-— 

M^artin , K., T^ci icht uLer eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf 
gegründete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-8°. Mrk. 34. — 

MarÜQ, K.| Reisen in den Molukken, in Ambon, den U Hassern , Seran (Ceran) und 
Bure. Eine Schilderung von X.snd und Leuten. (Herausgegeben mit Untersttttsang 

der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf.^ 
I color. Karte und 18 Textbildern), gr. in-8** Mrk. 21. — 

Spitta-Bey, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits. Texte arabe en caragt. 
. at. avec la traduction fran;;. 1883. 8** Mrk. 6.50 



oogle 



INHALT. 



Scke 

Socialpsychologische und geographische Perspektive. Von Thomas Achelis . 51. 

Ein 'altägypUscIier WdtschöpfaogsmythYW. Von A. W ledern ttnft . . i ' . . 57. 

La feMa di S«- Lucia in SLrojcusa; Appinttl di G. Patr^. . .. . ..... .. 7$. 

Die n Wilde Frau'*. . Ans dem Vol1ii^toit]»en der Südnuaen. Von Jnljan Ja- 
worskij . . 73* 

Volkstümliches aus ruteniscfaen Apokryphen. Von r>r Twan Franko . . . S2» 

Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorspioaeen. Eine Umfrage voix 
B. Laafer . . . . .... . ... * . . . > . . . , , S6. 

Wober kommen die Kinder? Eine Umfiage von O. Sellen. Beitn^-von Joae* 
jTine Kopecky. ... . , ........ . . ~. . 88. 

Von der Hand, die aus dem Grabe h^miiawftdist Eine Untfnge «pn B. -Spren- 
ger, "^itrag von Tl. F. F^ilberg ..... 90. 

Die Nadel ohne Faden. Von A.Tieilchel. 9*« 

Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre. Gesammelt von Fr. Krouig, er- 
lintert vi O. SckeU . . .' .* . . ... 4 . . . 92. 

Folkloristisc&e Findlinge, i. Hejtei^esattg. Von Dr. 'med. F. Abrendts. 

2. Rumämspher und galizischer Volksglaube. Von J. Jaworskij 95'. 

Vom Buclicriischc. Kleinpaul: Die Lebendigen und die Toten im Volksglau- 
ben etc. — Mitteilungen der Gesellschaft f. jiidisclio Volkskunde in Hsunbur^. — 
über das Fortunatus-Märchen. Von B. Ldiar. — Angezeigt von Krauäs . 97. 

VlU* Ausweis %ur Urquellstiftung 98. 



Wir bitten mm ifitarteihr^ sieb aas RüekMcht für nnsere hoIUindischea Setser 
in iliren Bntzägen nur einer kabsck leserlichen LMtmue&rift an bedienen. 

* 

Jeder Mitarbtiter bat Ansprach anf 25 Sooderabsttg« seines Betrages; bedarf er 
ihrer mdir, mag er »ch deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einverw 
nehmen setzen. 



Utqnell erscheint regelmässig in Doppelheften. D«r SuhuriptUnspreis für ätn 
gamm yakrgaag beträgt: 4 Mark. = $ K. * 5 ftes = a.50 fl. «• i /. 

Abonnmtnts können auch bei der Redaktion des Urquells, Wien VII/2. Neustift- 
gasse 12 angemeldet werden. 



Druck der ^Buchhandlung und Druckeret vormals E. J. Brill** in Leiden. 



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DER URQUELL. 



Eine Monatschrift für Volkskunde, 



Heraufigc^eben 



von 



Friedrich S. Krauss. 



Das Volkstum ist der Völker Jungbrunnen. 



Der neuen Folge Band II. Heft 5 und 6. 




BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI 

Tormals 

E. J. BRILL 
xj;iDSN — 1898. 



G. KRAMER Verlag 

in HAMBURG. 
SU Pauli, Thalstr. 9^, I. 



Radbidioa: Wien, Österreich, VIV2. -Nenstiftguse ta. 



Einlaufe. . 

Wossidlo, R. : VolkstUmlichss aus Meckleaburg. Vom Trinken. S. A. Rostocker 
Z«itung 1S98. . • 

Bolton, H. Carrington: The Revival'of Alcbemy. S. A. Science Vol. VI. 

BoUöttr B. Catrlng^; Mora eounting-out rhymes. S. A. Folklore Journal 1897. - 

fidtr, Robett: Zur VogeUuma von Gastein. S. A« Omith. Jrb. 1898. (Eiogestreat 
foUdoiUtiache Beobaditimgen). • * 

Seldal« A«: lEvIeospiesdeien aua Tunis «nd In^en. Ncdd. AUg. Ztg. 26. II. 98. 

MddL, Hkt D«f Si^neeschnlr.iiDd seine geognpli. Verbrctitang. &' A. Glolms. LXXill. 

Ifellbtrg, H. F.: Der Kobold in nordischer Überlieferung.' S. A. Zeitadir. f. Völkerk. 9B. 

Observations on a coUection of Papuan Crania by G. A. Dorsey, witb notes on 
preservation and decorative features by W. H. Holmes. Chicago^ 1897* (Field 
Columbian Museum^ Vol. II. i) p. 48. 

The province of South Australia, written for the South Australian Government by 
James Do mi nick Woods J. P., with a sketch Öf Th» northem Territofy, by 

H. D. Wilson. Adelaide, C. E. Bristow. p. 446 8«.- 

Danon, Abraham: Recueil des Romances Judöo-espagnoles chantees en Turquie avec 
la traduction frangaise, ime introductio^ et deä notes. Paris 1896. Durlacher, 

6r p. 8». 

Zbomik za narodni iivot i obi6aje juSnilk sUvena, Svez. IL nredio Dr.^Ant. Radi€. 
Zagreb 1897. 515 p. ^. (Sammelwerk f. sftdslaT. Folklore). 

Sbornik za narodni umotvoraoy« etc. Kn. XIV. (Sammelwerk f. bulg. Folklore). 

Sofija 1897. 

Archiv für Religionswissenschaft f hrsg. von Th. Achelis in Bremen. I. B, i. II. 
Xia S. gr. 8«; Freibug i. 6. J. C. B.. Mohr (F.- Siebeck). 1898. 
Atif dieser grosstügige^ tmter JUtfmiriung der namhaftesten Forscher unserer Ztit 

erscheinende Unternehmen^ kommen -d'ir im fiHch^tm Hefte zu sprechen. Den 
Fachgenossen sei es schon jetzt auf das eindringlichste em^fohienj, Preis 14 M. 
ganzjährig.' 



Insertionen — Beilagen. 

^^^^^^^^^ 

höflichst, gebeten , sich für Inserate und Beilagen ansschli^lich an 
die BttcUundliuig vad Drackerei vormals B. J. BRILL in Leiden vendfiu au wollen. 



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Das Hirnweh. 



Von Dr. Höfler. 

St Cornelius ist in Flandern Patron für das Hirn(Hürn)-Weh 
(fland, hoarnvie) und zwar zunächst aus Volksetymologie; denn 
Corn-elius hat anlautendes corne (= koorne = Blasinstrument) ^ 
wie ja u. A. auch St. Valentin för die , fallende'* Krankheit Patron 
war. Solche etymologische Patronate weisen Flandern und Frank- 
reich mehrere auf. Dieser St. Cornelius hilft nun dort gc^cn die 
jScssens", (auch ^Seskes** nach De Cock*s Volksgeneeskunde in 
Viaanderen S. pj. los), womit wol die »besessen" machenden 
Dämonen und weiterhin die Besessenheit und die Besessenen selbst 
gemeint sein dürften (und kaum die lateinischen Aceessus), Gerade 
bei solchen Volksgebräuchen bildet ein bestimmtes altes, später 
nicht mehr verstandenes Schlagwort oft den Kern zu weiteren 
volksüblichen Vorstellungen, die durch Volksetymologie sich hin- 
zugesellen. 

Das, was uns De C o c k tl.c.) und A. Fauwcls (Volkskunde 
X. i8g8 121. ff.) über St. Cornelius in Flandern berichten, stimmt 
ganz gut uberein mit dem, was im übrigen Deutschland bei der 
Besessenheit, die das Hirnweh mit einschliesst, gebräuchliche 
Volksmedizin ist. Zum Beispiel : Die Wallfahrt oder Bet-Fahrt zu 
St. Cornelius in Machelen, welche die Machelen-Gilde, eine 1323 
gestiftete Bruderschaft, am ersten Sonntage nach Johannes so un- 
ternimmt, dass sie mit dem ersten Morgengrauen zu Machelen 
ankommt; dieser Sippengang entspricht genau den Wallfahrtsge- 
bräuchen, welche in Oberbayern bei uralten Kultorten, wie z. B. 
St. Leonhard in Tnchenhofen (vergl. Beiträge z. Anthropologie, 
Ethnologie u. UrgeschuJitc Bayerns 18(^1. IX. log u. i8g^. XII.) 
gäng und gäbe sind hv/.. waren. Das silberne Horn 'mniu}, in 
dem St. Cornelius Reliquien geborgen sind , ist das Substitut des 
germanischen Hirn-Schadels, der an vielen Kultorten als Trinkschale 
ins Christentum übernommen wurde z. B. in St. Nantwein bei Nan- 
desbuch, St. Sebastian in Ebersberg, St. Vitalis in Au am Inn, 

7 



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100 



St. Marinus in Rott am Inn, St. Alto in Altomünster ( VergL des 
Verf. Baum- rtnd Waldkult S. ^6. fg. Sj ). Man gab an sol- 
chen Orten bis auf unsere Tage den Minnevvein aus der silber- 
gefassten Hirn-(Hürn-)Schale zu trinken (Ueber dieses germanische 
Trinken aus menschlichen Sc/iääeln s. Correspondenzblatt f. Anthrof. 
J882. S. 46). 

Für Heilungszwecke opferte man da wie dort lebende Opfer- 
tiere, schwarzes Huhn (in Flandern ^PilgrinC' genannt }y auch 
Pferde und (dieses stellvertretendes) Reitzeug. Trink- und Ess- 
gelage (Minnetrunk) gehören da wie dort zum Kulttage, Kultorte 
und zur Kultzeit. Sicher übernahm am Niederrhein St. Cornelius 
als Kalenderheiliger die Rolle einer heidnischen Kultpersönlich- 
keit; er ist in vielen Kirchen der Hauptpatron gegen Epilepsie 
oder wie man früher sagte, gegen das Vergicht. 

St. Johannes-Übel und St Cornelius-Siechtum sind identisch und 
zwar deswegen, weil die Sonnenkultzeit (Johannes) von jeher eine 
Zeit der Heilung der von Dämonen Besessenen war, die man 
durch Reigentänze im Anblicke der Morgensonne vertreiben 
wollte und zu diesen Besessenen gehörten auch die an Epilepsie 
(St. Johannes-Übel und St. Cornelius-Siechtum) Leidenden. 

Das universelle Allheilmittel, die Wärme des Himmel-Elementes, 
der die nächtlichen Alp- Wesen (Dunkel-Elben) vertreibenden Sonne 
und das Tageslicht, dessen höchsten Stand man in der Sommer- 
Sonnenwende feierte (St. Johannes) und das als Einauge Wodans 
vorgestellt wurde, die Sonne war es, der man die von Dämonen 
besessenen Unsinnigen im Reigentanze entgegenfiihrte. Darum ge- 
schieht auch die Bet-Fahrt der Machelen-Gilde in der Nacht der 
Johanneswoche, um am herkömmlichen Kultorte, der gewiss noch 
andere Volksbräuche und Sagen aufzuweisen hat, der aufgehenden 
Sonne entgegen zu schauen, die dann ihre höchste Kraft in der 
Vertreibung der Sesschen (seskes) hat; die elfenvertreibende Macht 
der Sonne gab dieser den Namen Alp-Verdruss (Edda: grae^alfa). 
Der Donnerstagssonne führte man darum auch das vom Bürzelwurm 
besessene Pferd entgegen; darum hiess auch bei der Armorikanem 
(Normannen) die Epilepsie: drouk sant Jann (Ducange V, jij) 
d. h. Druck durch die besessen machenden, au&itzenden Alpdä- 
monen, welche am St. Johannestage durch den St. Johannestanz 
vertrieben werden sollten. Die Sonne ist auch der ^glühende 
Cornelius" der bergischen Volkssage (s. 0. Schell^ bergische Sagen 
S. jgs, 196), der auch die Gestalt des einäugigen Feuermanns 
und des einäugigen Jägers Wodan) im Volksglauben am Nie- 



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lOl 

derrhein ist. Kurz die Analofriecn zwischen dem deutschen St. Jo- 
hannes und dem St. Cornelius des Niederrheins sind so vielfache, 
dass wir nicht irre flehen, wenn wir auch die „sessens" der Flam- 
länder für germanische besessen-machende elbische Wesen halten, 
die das Vergicht, (Gichtern, Epilepsie, Hundswut, Staupe, Convul- 
sionen etc.) veranlassen bei den von ihnen bese.ssenen Kranken. 
Germanische Heilgebräuche decken sich dort, wie durch ganz 
Deutschland, auch mit einem germanischen Namen für die betr. 
Krankheit. 

Das Hirnweh, ein Symptom der Besessenen (— Geisteskranken), 
musste demnach zu dem Heilgebiete der St. Cornelius mit dem 
silbernen Hürn oder Horn fallen. 

Volksetymologie schuf später manche Volkssagen-Beigabc ; auch 
St. Cornelius musste sich solche Etymologie gefallen lassen, aber 
nicht blos diese wurde ihm zu Teil; er erhielt auch, wie jeder 
Heilkünstler seit Urzeiten, seine Concurrenten ; in Flandern stellte 
man ihm den St Ghislenus (St. Ghele3ms, St. Ghilleyn, St. Gislene, 
St. Gillis) zur Seite, unseren oberdeutschen St. Gilgen, der zum 
sogenannten Nagelpatron (mtU de St* Gillis = Kanker und Schanker) 
sich ausbildete, wie St. Leonhard (eonf. Beiir» Anthrop. Bayerns 
18^1, IX, S. 114, ff,) 

So kommt hinter der oberflächlichen und lokal verschieden ge- 
färbten Hülle, die solche Kalenderheilige tragen, immer wieder der 
eigentliche heidnisch^germanische Stoff zum Vorschein, der selbst 
wieder einen universellen Urkem hat, d. h. Reste der mit der 
Naturverehrung zusammenhängenden Urreügion (c<mf, KuluCaUn- 
darium in Zeitschr, d, D, u. Oe, Alp, Vereins iS^j S, igs ff,), 

Tölz (Oberbayern). 



Alte Segen. 

MitgeteUt von Otto Heilig. 

L Blutsegen aus dem XVI, Jahrhundert (Nach Cod. Pal. 
germ. 264). — Cod. Pal. germ. 264, der nach K. Bartsch, «Die 

l) über gertnan. Zauberliedci und altd. Segen vergl. Kuhn, Zelts, f. vergl. Spr. 
'3» 49 ff« ^-j Grundriss der germ. Phil. II. i6o. Eine beachtenswerte 

psychologisdie Wttvdigung der Bedeutung von Segesnsprttchen in deutscher Volks- 
medizin liefert Dr. Max Hejfler in seiner Studie ,ÜbeT germanische Volksmediun' 
S. 10 — 15. Amsterdam 1897. (S. A. a. Janus'). 



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I02 



altdeutschen Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidel- 
berg", Heidelberg 1887, dem XVI. Jahrb. angehört, enthält eine 
Menge altdeutscher Segen. Sie sind zwischen Abhandlungen medi- 
zinischen Inhalts eingefügt. Den über 40 Segen bliiet zu stellen, 
von denen hier nur die wichtigsten zur Veröffentlichung kommen 
Süllen, folgen in der Handschr. Pfeil- Wund- und Wassersegen. Die 
manche Segenssprüche begleitenden Formahtäten, volkskundlichen 
Heilmittel, Gebetsaufforderungen u. s. w. sind hier weggelassen, da 
sie für die Segensformel als solche von geringer Bedeutung zu 
sein scheinen. 

Am Schlüsse der einzelnen Segen (einigemale auch schon in der 
Überschrift) stehen die Namen von Gewährsmännen, auf die die 
Proben zurückgehen sollen. Es werden für die Blutsegcn genannt: 
Franz Brack, Castner barbirer, Johan Kastner Frotonotarien, barbirer 
Dreutwein, Erpach, Hanaw, Hensell von Schifferstat, zinmaister zu 
Hepffenheim, Fe. Herman, Hurlewegin, Jilge, ph. Leonhardi, Pfef- 
finger und Sigersdörffer. 

Der Cod. enthält keine Interpunktion. Die Segen haben wir 
nach Stoffen geordnet. 

yestis, — Cod. S. 9* Staudt bluet in deinen Steden, Als vnser 
herr Jhesus cristus stunde in seinen nodten. f Staudt bluet 
in deinem lauff, Als vnser herr . . . stunde an seiner marter. f 
Stand bluet in deinen ädern. Als vnser stunde in sei- 
nem dodte. 

S. 9* Godt ist mensch. Das ist gudt. Dem warde gestochen ein 
wunden. Das ist gudt. Ich beschwere dich, bluet, f Mit 
dem hailigen bluet, f das du stil stehest vnd nümmer gehest 

S. 9t» Godt wardt vnindt. Das warde in den hiemell kundt. Durch 
sein hailig (linff wunden gesegen ich die sechst die weder 
geschwollen noch geschworen. Als wolle dise auch thun...« 
Aue on wehe, Aue on .wehe, Aue on wehe. Als wore Maria 
gebare vnsern lieben herren . . . Als wole hailen diese wun- 
den on alle wehe vnd schmerczen .... Standt, wehtagen, still 
vmb des hailigen bluets wille . . . 

S. 10* N. Du solt als w^enig gcschwellen oder schweren. Als Godt 
dem herren die nagell, die im würden durch sein hailig hende 



i) Darüber (von der selben Hand?): ^echs'. 



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I03 

vnd fiis geschlagen. Das helfT mir Godt, der man, der den 
. dodt am hailigen Creucz name .... Das sei dir N. gezelt 
oder gesprochen. 

S, II» Vnscrs Herren fiinff wunden die wurden nie verbunden; die 
verstellen dis menschen N. sechst wunden .... 

S. 11* Crist warde geornet zu nazaret vnd geborn zu betlahem 
vnd gedaufft aus des Jordans sehe, vnd warde gemartert 
zu Jherusalem. Als wore diese vvordt sein, als wore be- 
schwere ich dich, bluet, bei im, Das du verstest vnd nüm- 
mer gest. 

Ahnlich S. ii^ Cristus warde geborn zu betlahem 

S. IX* Gudt was die stunde, Do Godt geborn warde; zwirnet als 
gudt, Do er gedaufit warde; Drei stund als gudt, do er ge- 
martert warde. Gudt woren die stunde; die wollen verstellen 
das bluet vnd die wunde. 

S. IIb In sanguine Ade orta est mors, In sanguinc Cristi Mors re- 
tenta est, In eodem sanguine Cristi precipio tibi, o sanguis, 
vt fluxum tuum contineas '). 

S. 11^ Gudt sei die stunde, hailig sei die wunde. Nun mus dir als 
wenig wehe sein, als der Kelch vnd der wein vnd das 
hailig hiemelbrodt, als vnser herr sein zwölff Jungern gäbe 
oder bodt. 

S. 12* Godtes sune warde fünff wunden geschlagen mit dreien na- 
geln vnd mit etm sper. Doraus ranne wasser vnd bluet 
Durch des wassers vnd bluets ere. So blude du, blude in 
diesem menschen nit mere. Das gebeut ich dir Bei Godtes 
hailigem wasser vnd bluet, das du als worlichen bleibest in 
in diesem menschen als die milde maget Maria jh. Cristum 
gebar. 

S. I2b Ich beudt deim bluete Bei dem hailigen roscnfarben bluet, 
Das vnserm lieben herren jhesu Cristo durch sein hailig 
funff wunden wndt, das du still stest vnd an der Stadt nit 
mer gest. 

S. 13a Es wachsen drei rosen we aus vnsers herr Godts herzen. 
Das ein ist sein giidte, das ander ist sein demudt, das dritt 
ist sein gudter will. Bluet, stände still .... 



i) Übenchrieben: ,Wem die nase bluet zu sere.' 



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I04 

S.' 13A Standt stiller, Wan Cristus stunde an dem stam des hailigen 
Creucz gekreucziget. In dem namen des vatters . . , vnd in 
der ere der hailigen drei künig Caspar, Melchor, Balthazar. 

Johannes. — S. 9^ Stand bluet in dir, Also Johannes stunde in 
im Stand bluet in deiner ädern, Also Johannes stunde in 
seinem dodt. Stand bluet still, Also Johannes stunde ge- 1 
kreucziget. 

S. 12» Cristus vnd Sant Johannes gingen zu dem Jordan. Do sprach 
Jhesus, der gudt man: dauff du mich, Johannes. Er sprach: 
Ich enmage, herr. Der bach fleust zu sere. — VfT hübe 
Cristus sein handt. Also müs dem menschen geschehen. 

Das helflf mir der gudt Crist. 

Varianten: S. 14'' «... Do sprach J. Cristus: Wonuub dau&tu nit? Da 

sprach der gudt Sunt Johannes baptist: Sie, lieber herre neinster mein; Nnn fleust 

der Jordan. — VfT hub unser lieber herre Jhesus Cristus sein gridtlich handt vnd thet 
sein Segen über den Jordan, das er gestände. — Also gestand dir, N., dein vnge- 
rechtes bittet 

S. 13» Do sie zu dem «asser konen, do gestünde das wasser. Also gestaad 

des menschen N. bluet. 

Longimis. — S. q^» Longinus Cristuni stach — Ich wais nit, was 
er an im räch — Viel dicft* durch sein Seiten. Das bluet 
flos viel • weidte. Stande, bluet, stille durch des hailigen 
Cristus willen. 

S. 10» Longinus der man, f Der vnserm herren Godt Jhesu 
Cristo sein recht selten vfT gewan. f Doraus ran vrasser vnd 
bluet. f Durch desselben hailigen biuets ere so verstehe, 
wund, vnd bluet nit mere. 

S. ic^ Longinus der man, Der Godt seine selten vfT gewan. 
Doraus rann wasser vnd bluet. Ich gebeut dir Bei dem hai- 
ligen bluet, Das du nümmer fangest vnnd still standest. 

S. Ilt» Longinus ein Jude vnd ein ritter was, Der vnserm herren 
Jhesu Cristo durch sein rechte sciten stach. Die stunde was 
gudt. Doraus ranne . wasser vnd bluet. Durch des haili- 
gen biuets ere .... 
Ähnlich S. 13a anfangend: Longinus^) der gudt in sein hailig 

Seiten stach .... 

S. 12h Longinus miles latus Jhesu Cristi perforauit. Continuo exuit 



i) Zu e^nzen ,hics\ 2) Am Rande (von derselben Hand?) die Eifünsnng 

jüdling'. 3) Am Rande: ,EUas\ 



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I05 



sanguis et aqua; sanguis in redemtioncm pannendi, aqua 
in baptismate. Sanguis sibi restet £t Spiritus sancti non 
exeat de corpore vel decumque membro corporis non exeat. 

S. 14« Longtnus miles percussit latus domini nostri Jhesu Cristi. 
Cessa a punctione Et stedt sangwis iste Et stetit sangwis 
iste Sicut sangwis ist 

Zacharias, — S. iol> Stedt fluxus sanguinis istius mulieris^) Et 
reuificet nostram naturam f amen. Sanctus Zacharias decol- 
latus fuit coram altare, Et sanguis eius quieuit. Ita f San- 
guis f fluxus istius, tu N. euanescanescat. amen. 

S. 9a Fax, max, rcx, Zacharias dccolatus est uitcr templum et 
altare. Et sangwis suiis ^} Ecce coagulatus in testimonium 
domini nostri .... 

Elias, — S. I2l> Santus helias in heremo sas vnd fios im das 
bluet zu baiden naslöchern aus. Do b^unde er ruffen zu 
Godt vnd sprach: herr Godt, nun hilflf mir vnd bezwinge 
das bluet. Als du bezwungst den Jordan, Do dich Sant 
Johans doraus dauflfet. 

Variante: lob Sant helias sass in der wttnsten. Dem flos das bluet aus den nas- 
IScbem beden., Do sprach er: Ehe dich .... 

S. 14« Helias in turri sedebat; ambulare eius sangwinabat. Et dixit 
Helias: Oro, domine, vt stedt sangwis iste; sicut stetit san- 
gwis Alle, sie stedt sangwis iste. 

Maria, — S. 11« Also liebe sei dir wunde zu bindende, als 
vnser lieben frawen vnd vnserm herren Godt ist der man, 
der ein recht vrthell kan vnd des niement entgan. 

S. 13a Bluet, vergis deins gangs, Als vnser liebe fraw des maus, 
der an dem Suntag ätill stedt vnd nit mit dem Weihwasser 
vmb die Kirchen gcdt. 

S. 13b In dem hailigen Jordan, do stene drei edeler brunnen. Der 
ein flos, Der ander gos, Der dritt stunde still. Also verstehe 
die blutig rinnen durch Maria willen. 



i) ,iste' zu lesen. 2) Dieser Segen ist Überschrieben: Ad restringendum 

sanguinem seu fluxum muUerum per mulierem Veronicam. 3) Schreibfehler fUr 

,eius' ? 



io6 



Menschenvergöttening. 

Eine Umfinge von A. Wiedemann. 

IL Die aitheidnische Theorie, wonach es den Göttern anhcim- 
gestellt war, sich nach Belieben in Lebewesen und Pflanzen zu 
verwandeln, muss in uralter Zeit häufig zur Vergöttlichung von 
Menschen geführt haben. Davon sind mehr oder minder deutliche 
Spuren in den Mythologien aller Völker vorhanden ; auch die 
biblische Mitteilung, wonach sich Söhne der Götter der Töchter 
der Menschen bemächtigt, handelt von solchen Vergötterten. In 
den historischen Zeiten, wo bereits einzelne Personen mit grosser 
MachtfüUe ausgestattet waren, durften sich nur die Gebieter auf 
Thronen einen solchen Luxus erlauben; andere die sich für Gott- 
heiten auszugeben wagten, nahmen gewöhnlich, als Hochverräter, 
ein böses Ende. Dem ist es zuzuschreiben, dass der Geneigtheit, 
Menschen, die Ausserordentliches geleistet, für Incarnationen der 
Götter zu halten, Unjgrekrönten gegenüber, nun hie und da ent- 
sprochen wurde. Au^i^^l^men haben indess auch in vollkommen 
historischen Zeiten häufiger stattgefunden, als man annimmt. Simon 
Magus und ApoIIonius von Tyana wurden als Götter ver- 
ehrt. Die haben anderthalb Jahrtausemle nach jenem Amenophis 
gelebt, dessen Vergöttlichung A. Wiedemann dargel^t (Urquell 
Band L Heft ii); das zeigt, dass es bezüglich sehr lange ziemlich 
gleich geblieben. 

Und warum sollte es wundernehmen, dass in den Zeiten eines 
Nero und Domitian, auch Schwarzkünstler, deren Taten die unwissen- 
den Massen in Staunen versetzt, solcher Ehren teilhaftig wurden? 
Merkwürdig ist, dass auch das Mitleid mit einem Hingerichteten, 
das seinerzeit die Phantasien sehr erhitzt, einen Gott geschaffen : Die 
Hellenen hatten einen Gott, den sie Adonis hiessen. Dem wurde 
alljährlich ein Fest gefeiert, an dem die Weiber seinen Tod be- 
klagten und Körbe voll Blumen ins Wasser stürzend des Lebens 
kurze Blüte beweinten. Die griechischen Mythographen gaben ihn 
für einen Liebling der Aphrodite aus und führten die Klskge auf 
den Umstand zurück, dass er durch einen ergrimmten Eber getötet 
und von den Göttin betrauert und beweint wurde. Das ist als 
Mythe gut genug, es fällt jedoch auf, dass der Gott den Hellenen 
nur unter seinem phönizischen Beinamen Adon (Herr) bekannt 
war, während ihn phönizische und israelitische Frauen unter dem 



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I07 

wirklichen Namen „Tamus" verehrten und beweinten (Movers, 
Phönizien I. 191 , F/echiel 8. 14). Eine eigenartige arabische Le- 
gende, die sich die Erklärung der Trauer um Tamus zur Aufgabe 
stellt, gibt der jüdische Philosoph Maimonides, in seinem Werke 
»Führer der Verirrten', III. Teil Cap. 29: ,Es wird erzählt: Ein 
heidnischer Prophet Namens Tamus, hatte einen König aufgefordert 
den sieben Planeten und den zwölf Sternbildern zu dienen, worauf 
ihn diesen auf sehr grausame Weise hingerichtet. Über den marter- 
vollen Tod ihres Lieblings, aufs Tiefste betrübt, kamen die Götter 
von allen Teilen der Erde daher und versammelten sich im Son- 
nentempel zu Babylon, wo sich das grosse goldene Bild der Sonne 
zwischen Himmel und Erde hängend befand. Das Bild fiel zu 
Boden, wo es in der Mitte des Tempels, von den herbeigekom- 
menen Götterstatuen umringt, vom grossen Unglücke, das Tamus 
zugestossen, erzählte, worauf alle Götterbilder wehklagten und die 
ganze Nacht weinten; als jedoch der Moigen anbrach, flogen sie 
nach allen Richtungen auseinander und kehrten in die Tempel zu- 
rück, woher sie gekommen waren. Darauf gründet sich der Brauch, 
am ersten Tage des Monates Tamus zu trauern und über Tamus 
zu weinen und zu klagen.** 

Den Namen führte der vierte der babylonischen Monate und 
fuhrt, seitdem die Israeliten die Benennungen der Monate im Exil 
den Babyloniern entlehnt, auch der achte der jüdischen. Der 
Monat Tamus fällt auf die Zeit von ^Juni — Juli" und seine Be- 
nennung nach einem Menschen erinnert an die Ehrung der ver- 
götterten Cäsaren, durch die Bezeichnung der Zeitabschnitte Julius — 
Augustus. 

Darauf passt auffallend der Ausspiucli \\ iclniids Alles Ver- 
gangene kommt, wie es scheint, in einer Art von Kreislauf der 
Zt'iLen, in mehr oder minder veränderter Gestalt wieder. 

Leopold Mandl. 



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io8 



Der Tote in Glaube und Brauch der Völker. 

Eine Umfitage. 

I. (Aus Ostgalizien). Sobald der Schwerkranke das Nahen sei- 
nes Lebensendes fiihlt, greift er nach dem Gebetbuche und ver- 
richtet das sogenannte „AI Cheit" Gebet, das man am Versöh- 
nungstage liest und eine Zusammen&ssung aller möglichen Sünden 
und Vergehen enthält. 

Hierauf bescheidet der Kranke alle Familienglieder zu sich, um 
segnend von ihnen den letzten Abschied zu nehmen. Die näch> 
sten Verwandten verlassen nicht mehr das Krankenlager und die 
männlichen lesen im Vereine mit den hiezu geladenen frommen 
Juden Psalmen ; die Frauen dagegen, gewöhnlich die Frau und die 
Mutter weichen bei drückender Todesnot vom Kranken» eilen in 
die Synagoge um an der heiligen Lade, oder auf die Gräber von 
Verwandten oder frommer Juden, Rettung zu erflehen. 

Wenn nun der Tod eintritt, wird der Tote rein gewaschen, in 
weisse Leinen, der Mann noch dazu in seinen „Talys" (Gebet- 
mantel) gehüllt und überdies mit einem weissen Leüach ganz 
bedeckt auf den Fussboden derart gelegt, dass seine Füsse zur 
Thüre gerichtet dnd. Zu Raupten brennen zwei Kerzen und um 
ihn herum lesen fromme erwachsene Männer Psalmen. 

Im Wohnhause des Verstorbenen muss man alles vorrätige 
Trinkwasser ausschütten und in der Wohnung alle Spiegel um- 
wenden. 

Die Beerdigung soll noch am selben Tage vor Sonnenuntergang 
stattfinden. Die nächsten männlichen Verwandten und Freunde 
des Verstorbenen tragen den Leichnam auf einer Bahre bis zur 
nächsten Synagoge, an deren Eingangsthur man ein kurzes Gebet 
vor der Bahre verrichtet. Dasselbe wiederholt sich vor jeder Sy- 
nagoge, die der Leichenzug passirt. Während der Leichenzug 
durch die Strasse zieht, darf man aus den Fenstern nicht auf den 
Leichenwagen hinunterschauen. 

Am Friedhofe spricht man in der Leichenhalle „Bejs Ojlom" 
(d. h. Haus der Welt) abermals ein Gebet, und trägt dann den 
Toten zu Grabe. Dies niuss 7 Fuss tief sein, und der in Leinen 
gehüllte Leichnam wird nur an den Seiten und der nach der Ober- 
fläche gerichteten Vorderseite mit dünnen Brettchen belegt, die 
ihn vor den Erdmassen schützen sollen. 

Am Grabe betet man wieder, schneidet den männlichen näch- 



...... ^le 



109 

sten Verwandten die »Krije** d. i. einen Einschnitt in das Ober* 
kleid und die Söhne sagen, in Ermanglung solcher, der Vater oder 
andere fromme erwachsene Juden «Kadisch**, ein Gebet, das über- 
dies die nämlichen Personen noch ein ganzes Jahr dreimal täglich 
verrichten. 

Im Trauerhause nimmt man das aus Beugel und Eiern beste- 
hende Totenmal ein und von da ab beginnen die sieben Buss^ 
tage, die einzig und allein dem Andenken des Verstorbenen 
geweiht sind. Am Fenster brennt während dieser Zeit ein öllämp- 
chen und darüber hängt ein kleines weisses Tuch von Leinen. 

Der Ehegatte und die erwachsenen Geschwister, sowie die Eltern 
und die über dreizehn Jahre alten Kinder müssen diese 7 Tage zu 
Hause bleiben; die Männer im „Minjan**, einer Gemeinschaft von 
10 erwachsenen Männern, dreimal täglich beten. Keiner der ,Schiwu 
sitzenden" d. i. der trauernden Familienglieder darf lederne Schuhe 
tragen oder einen gewöhnlichen Sessel zum Sitzen benützen; nur 
auf dem Boden oder einem ganz niedrigen Stockerl ist das Sitzen 
gestattet. 

Auch im Verkehr mit der Aussenwelt bekundet sich diese sie- 
bentägige Trauer m ganz In stuiimter Weise. So darf die Trauern- 
den Niemand begrüssen, auch soll keiner einem Geschäfte während 
dieser Zeit nachgehen; nur der Samstag oder ein Feiertag unter- 
bricht die Trauerzeit. 

Nach Ablauf der 7 Tage wird das sogenannte „Ewige Lämp- 
chen" ausgelöscht und die trauernden Verwandten gehen auf den 
Friedhof, um die Seele des Verstorbenen, die während der 7 
Busstage, noch zu Hause unter den ihrigen geweilt haben soll, in 
ihre ewige Ruhestätte zu begleiten. 

Dann verrichtet man noch am Grabe Gebete und mit dem Ver- 
lassen des Friedhofes endet die s-chwere ^Schiwutrauer" um der 
leichteren, die noch ein Jahr dauert, Platz zu machen. Innerhalb 
dieser sind sämmtliche Vergnügungen zu meiden; doch können 
sich die Kinder und der hinterbliebene Ehegatte schon nach (den) 
«Dreissig" Tagen verehelichen, was aber beim Volke allgemein 
verpönt wird. jjoriz Nadel, 

IL Ach soll asoi hüben*) Chibet^ a Kewer^! Der gläubige Jude 
legt grossen Wert auf die Ehrung des Toten, namentlich auf 



1) Ittben. 3) heb. Ehrang. 3) Grab. 



Digitizeu Lj oOOgle 



HO 

die Lewaje d. i. das Totengeleite zum Beth aulam = zur ewigen 
Ruhestätte (auch Beth hachaim = Haus des Lebens; euphemistisch 
genannt). Es gilt als gottgefällige Handlung, einem Toten das 
Geleite zu geben. Die Menschenmenge ist der jüdische Leichen« 
pomp. Jeder andere ist strenge untersagt, kein Sarg, keine Kränze. 
Auf einer Bahre wird der Tote getragen — das Fahren ist ver* 
boten, in weisses, leinenes Gewand gehüllt in {das Grab gesenkt; 
zu Häupten und zu den Füssen ein Holzbrett, in der Hand eine 
kleine Schaufel, mit irdenen Scherben auf den Augen. 

Es geht die Sage, dass der Tote im Himmel von ebensovielen 
Geistern Verstorbener empfangen wird, als ihn Menschen zu Grabe 
geleitet haben. 

Bukowina. A Brod. 

III. Grabgeträuke, Die Kölnische Zeitung von 20. December 
1897 (Abend'Ausgabe) brachte folgende, dem «Hamburg. Corresp." 
entnommene Mitteilung: 

«In Fischerwiet wurde kürzlich ein alter Matrose begraben. An 
dem Grabe standen neben seiner Witwe ein paar alte Freunde. 
Einer, Thomas Nurse, war ganz aufgelöst in Thränen über den 
Heimgang seines alten Kameraden. Als die Gruft sich schliessen 
sollte, trat er noch einmal feierlich heran, zog eine mächtige 
Schnapsflasche hervor und senkte sie in das Grab. Der Küster 
wies ihn zurück und holte die Flasche hervor. ,Er soll aber 
seinen letzten Willen haben I" rief der brave Thomas und goss 
den duftenden Inhalt über den Sarg aus. Das brachte ihm eine 
Anklage wegen groben Unfugs ein. Vor dem Schöffengerichte 
sagte der Angeklagte aus, dass er und der Verstorbene viele 
Jahre hindurch auf demselben Schiffe gefahren und durch innige 
Freundschaft verbunden gewesen seien. Freund Paddy habe ihn 
auf dem Totenbette dringend gebeten, ihm eine gute Flasche 
seines Lieblingsgetränkes „auf den Weg" zu geben, und er habe 
diesen letzten Wunsch seines Kameraden erfüllen müssen. Kirch- 
lichen Brauch habe er nicht verspotten wollen; im übrigen sei 
es Matrosensitte, den toten Kameraden einen Lieblingsgegenstand, 
eine Tabakdose oder so etwas, mitzugeben. Da die Witwe des 
alten Seebären sich nicht für beleidigt erklärte, im Gegenteil die 
Sache sehr richtig fand, so sprach das Gericht, «da auch keine 
Beschwerde des Toten vorlag," den braven Thomas frei.'* 

Die Mitgabe von allerlei Gegenständen namentlich von Nah- 
rungsmitteln ins Grab ist ja eine in der ganzen Welt, und nicht 

I 



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III 



nur unter Matrosen, verbreitete Sitte und reicht auch in Kuropa 
bis in die neueste Zeit. Es seien nur einige dem obigen am 
nächsten kommende Beispiele erwähnt. In Neusohl in Ungarn 
legte man früher den alteren Leichen ein Flaschchen mit gutem 
Branntwein oder altem Methe bei, damit es dem Verstorbenen an 
nichts fehle. (Vernaleken, Mythen etc. in Österreich S. 312). 
Bei den Permiern im Kreise Ssolikamsk bekam der Verstorbene 
früher eine Flasche Branntwein, ein Gcfäss mit Bier und eine 
Pastete mit in den Sarg. (Globus 71, S. 372). Bei den Lappländern 
am Flusse Kola lag an der Seite des Leichnams eine flasche 
Branntwein, Fisch und Fleisch. (Mone, Gesch. d. Heident. im 
nördl. Europa, I, S. 29). In Schweden legte man vor noch nicht 
langer Zeit mitunter die gefüllte Branntweinflasche in den Sarg. 
(Weinhold, Altnord. Leben, S. 493). Ebenso bei den Esthen. 
(Schwenck, MythoL d. Slaven, S. 429). In Kurland, (ebda, S. 302), 
Bei den Kaschuben am Lebasee. (Globus, 70, S. 283). Im Slove- 
nischen legte man noch vor kurzem den Toten ein Laib Brot und 
eine Flasche Wein unter den Kopf; ebenso bei Polen und Rute> 
nen in Galizien. (Lippert, D. Relig. d. europ. Kulturvölker, S. 82). 
Ähnlich in Serbien. (Krauss, VolksgL etc. d. Südslaven, S. 149). 
Die Litauer setzten dem Toten Brot und eine Flasche Bier zu 
Häupten, damit er nicht Hunger und Dui^t leide. (Globus» g6, S. 375 ; 
vgl. Schwenck» .a. a. O. S. 304). Die Wanyamwesi begruben 
nach Burton mit einem toten «Sultan** eine Schale des geliebten 
yPombe*' (Bier). (Lippert, D. Seelencult etc. S. 29 f.). Auf den 
Key-Inseln erhielt der Tote u. A. eine Flasche Palmwein mit auf 
den Weg. (Ztschr. f. Ethnol. XVII (1885), VerhandL S. 409). Bei 
den alten Mexikanern musste sich der Tote mit einem Gefass mit 
Wasser begnügen. (Klemm, Allg. Culturgesch. V, S. 49). 

Im übrigen ist es nicht uninteressant, wie uns das Verfahren 
des wackeren Thomas Nurse zwei Stufen der Totenpflege in einer 
Handlung vereinigt zeigt. Denn das Begiessen des Sarges ist of- 
fenbar schon ein bischen weniger materiell. Der Tote geniesst 
hierbei statt des Stofles selbst doch eigentlich nur den Duft, die 
Essenz, den Geist des Getränkes. Auch diese Art des ,Überleb- 
, sels*', wenn man es schon so nennen kann, finden wir nicht selten. 

Bei den Bewohnern von Jabel war es noch um 1520 üblich bei 
den Beerdigungen zu singen und zu tanzen und die Gräber mit 
Getränk zu benetzen. (Bartsch, Mecklenb. Sagen II, S. 98). 
Wenn im Dorfe Schönborn bei Neustadt an der Orla eine Beerdi* 
gung bevorstand, so gössen die Nachbarn und Verwandten des 



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112 



Verstorbenen, die das Grab bereiteten, einen Teil des von ihnen 
bei dieser Arbeit genossenen Branntweins in das fertig gewordene 
Grab (Kitzschel, Sagen etc. aus Thüringen, II, S. 2sK f.l Von 
den Liven sagt Münster: „Und wenn sie ihre Gestorbenen zu 
der Erden bestatten wollen, setzen sie sich umb den Toten, heben 
an zu trinken und bringcns dem Toten auch und giessen sein 
Teil über ihn." (Lippert, Relig. d. europ. Kulturvölker, S. 73; 
vgl. Schwende, Mythol. d. Slawen, S. 302). Die russischen Dorf- 
leute tragen an bestimmten Seelengedenktagen Speisen auf die 
Gräber ihrer Toten und begiessen sie mit Wein und Honi^. (Lip- 
pert a.a.O. S. 84). Bei den Mohammedanern in Bosnien und im 
Herzögischen ist es Brauch, dass der Hausvorstand, sobald die 
Grube zugeschüttet ist, einen Krug frisches Wasser nimmt und 
vom Fussende des Grabes anfangend das Wasser auf die Mitte 
des Grabes ausschüttet und mit dem Rest bis zu Häupten des 
Grabes fährt. In der Libation darf keine Unterbrechung stattfin- 
den. (Kr au SS, Volksglaube etc. d. Südslaven, S. 152). In Arauco 
nimmt man nach Beendigung der Bestattung , von dem Toten 
Abschied und bedeckt das Ganze mit Erde und Steinen in Ge- 
stalt einer Pyramide, die mit Getränk übergössen wird. (Klemm, 
Allg. Culturgesch. V, S. 52). Wenn bei den Wanika das Grab 
geschlossen ist, schüttet man i — 2 Mass Sorghum oder Mais auf 
das Grab, giesst auch wohl eine fiasche Palmwein darüber aus 
und begiebt sich nach Hause, um den Totenschmaus fortzusetzen. 
(Ztschr. f. Ethnologie X (1878), S. 403). 

Auf einer weiteren Stufe der Entwicklung wird der früher auf 
die Gräber gegossene Wein den Geistlichen als Opfer zuteil. (Vgl. 
darüber Kr 1 e g k , Deutsches Bürgertum im Mittelalter. N. F. S. 182). 

Faul Sartori. 



Der Nobelskrug. 

Eine Umfinge von R. Sprenger. 

V. Bei Hildesheim in der Provinz Hannover, zwischen Emmerke 
und Elze, findet sich ebenfalls ein Nobiskrug. Der Name lautet 
auch im Volksmunde so. Seifart, Sagen und Märchen von Hil- 
desheim, bemerkt darüber: ^Zwischen Emmerke und Elze liegt 



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"3 



der Nobiskrug. Dies Wirthshau.s hat seinen Namen von dem 
grammatischen Schnitzer, welchen eine früher über der Hausthiir 
angebrachte Inschrift enthielt. Dieselbe lautete nämlich: „Sic Deus 
est pro nobis qui55 contra nobis?" Wie ich nachträglich erfahre, 
findet sich die Inschrift heute noch daselbst. 

Was den Schnitzer betrifft, so möchte ich ihn nicht zu tragisch 
nehmen. Die vuvtx^pofiTi erzeugt in allen Sprachen Seltsamkeiten , 
und so TSk2% auch hier der Volksmund dem Gleichklang zu Liebe 
nach pro nobis die Form contra nobis gebildet haben. Den Namen 
möchte ich aber nicht vom Ende des Spruchs, sondern von dessen 
Anfang ableiten. Pro nobis war durch das Ora pro nobis der 
Litanei Jedermann geläufig. Die Juden in Mähren sagen von 
Einem, der *müssig hinbriitet: er singt Aprenobis, d. i. ora pro 
nobis. Sie können diese sprüchwörtliche Wendung nur aus christ- 
lichem Munde empfangen haben, was auf der Hand liegt. Bei der 
Geläufigkeit der Phrase lässt sich unschwer denken, das der l^rug 
statt pro nobis*Krug allmälig bloss Nobisknig genannt wurden. Die 
Inschrift aber an solchen einsamen Häusern sollte das böse Geschick 
abwehren. Dergleichen Inschriften trägt übrigens in Hildesheim 
iast jedes Haus." 

Wien. G. 



St. Andreas als Heiratstifter. 

Eine Umfrage von A. Treichel. 

III, An seiner Stelle gab ich zum Schlüsse meiner Arbeit nur 

den Keim des Echo wieder, das auf die Fragen des jungen Mädchens 
antwortet. Es ist clami aber die Beziehung unklar und so will ich 
denn das ganze Lied hergeben. Es geschieht das in einer Fassung 
aus dem Ermlande in Ostpreussen. Herr Benchciat F. J. Braun an 
der St. Annakirche in l'raucnburg schreibt mir darüber: .^Die 
Bruchstücke dieses Liedes, welche meine 86jahrige Mutter noch 
im Gedächtnisse hat, musste icii zusammentraj^en, auch durch un- 
wesentliche Ik'ifugungen ergänzen. Das war nicht so leicht, da 
fast jedesmal, so oft meine Mutter sie recitirte, sie anders und in 
anderer Reihenfolge herauskamen, sodass ich zuletzt mich nur an 
das zu binden entschloss, was ich selbst aus meiner Kindheit her 
noch im Gedächtnisse hatte von dem, was uns damals vor 50 



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114 



jähren die Mutter so manchesmal spasseshalber vorsang. Sie selbst 
hat das Lied in Wormditt (Ostpr.) um 1820 — 30 von ihren Ver- 
kehrs- und Schulschwestern gelernt, die es häufig sangen." Das 
Lied wird wohl gleichen Inhalt und gleiche Form haben mit dem, 
welches Brentano und Arnim im Wunderhorn abgedruckt 
haben. Das Wort »geistlich' in der zweiten Strophe zeigt wohl ge- 
nugsam an, dass das Lied in einer katholischen Gegend nicht ent- 
standen ist, weil katholische Geistliche nicht heirathen. Mir selbst 
ist die Feststellung, dass es im Ermlandc früher wenigstens gesun- 
gen wurde, sehr wichtig, weil ich es anfänglich für kein Singlied 
hielt wegen seines ernsten Inhaltes und weil es aus Westpreussen 
nicht bekannt geworden ist. 

Einen Bezug auf den h. Andreas muss dann auch eine pol- 
nische Redensart haben, die ich aus Rehden, W. Pr., vernahm: 
Swiftego Andrzeja spelniia sif moja nadzieja. (Am h, Andreas hat 
sich meine Hoffnung erfüllt.) Das sagt natürlich ein junges Mäd- 
chen, welchem der grosse Wurf gelang. — Andererseits scheint der 
h. Jacob seine Stelle zu vertreten. Aus Alt-Paleschken, Kr. Berent, 
hörte ich die polnische Redensart: Modi sif do swi^tego Jopa, Dos- 
taniesz dobrego chlopa. (Bete zum h. Jacob und du bekommst 
einen , guten Mann.) 



I. Andreas^ lieber Schntspatron, 
Gieb mir doch einen Mann ; 
Brich doch endlich meinen Hohn, 
Sid» mein Atter an! 
Giebst dtt einen oder keinen? 



Antwort: ,£inen!" 



2. „Einen!** das ist wunderschön — 
ist er jung und wohlgestnlU'? 

Ist er lieblich auzu&chcu, 
Ist er Jüngling oder alt? 
Ist er gütlich oder weltlich? 

Antwort: .Ältlich 1" 

3. „Ältlich" — aber doch galant? 
Wohl ein Mann, der viel erduldet! 
Wier ist ihm denn anverwandt? 
Hat er Freunde seinesgleichen? 

Antwort: ^Leichen!" 



4. Hat er auch sein eignes Hans, 

Wo ich mit ihm wohnen kann? 
Sieht es hübsch und freundlich aus, 
Ist ein Lustesgarten dran? 
Ist es gross, von rechter Länge? 

Antwort: ^Enge!" 

5. „Enge" — aber niedlich doch? — 
Fein die Mübel, Linnen fein? 

U .Vudrcas, sag" mir noch: 
Wie die Bett beschaffen sein. 
Wo ich mit ihm schlafen werde? 

Antwort: „Erde!" 

6. „Freie" — das klingt wuuderUdi» 
, Enges Haus" so räthselhaft! 
Andreas, o ich bitte dich: 

Soll dann meine Jungferschaft 

Im «Sarg'" verblühen und verlahmen? 

Antwort: .Amen!" 



IV. In der Wisla, XL (1897) S. 641—645 gibt H. LopaciAski 
eine Nachricht über ,das älteste polnische S^ugnis von Zaubereien 
in der St. Andreasnacht*'. Viele, wertvolle Literaturnachweise. K. 



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'15 



Zum Vogel Hein. 

Eine Umfrage von Franz B r a o k y. 

II. Nach den Kennzeichen, die uns in der Beschreibung dieses 
Vogels (Urquell I. S. 304 fg.) gegeben sind, vermuthe ich, dass 
darunter der Bienenfresser (Merops apiaster, L.) gemeint sei. Seine 
Vulgärnamen sind: Heuvogel, Heumäher, Seeschwalme u.a.; auf 
Teichen Icann er erlegt werden, weil er gern Libellen, Käfer und 
dergl. jagt. Wenn er auch mehr dem südlichen Europa angehört, 
so kommt es doch vor, dass er bis in den Norden Deutschlands 
zuweilen streift, wo er dann als seltener Vogel angesehen wird. 
Das Abmalen auf einem Laken fände dann ganz natürliche 
Erklärung. 

Der Bienenfresser lässt sich auch im Käüch halten. Bei seinen 

Nordlandsausflügen kann es vorgekommen sein, dass es gerade zu 
der Zeit die Reise machte, als auch Kaiser Maximilian I in 
Deutschland von Ort zu Ort zo^, so dass dieser Vogel von Kaiser 

und Gefolgschaft beobachtet worden ist. Das schöne Gefieder des 
Bienenfressers, sein gewandter Mug ziehen augenbHcklich die Auf- 
merksamkeit der Menschen an sich. Da mag schon ein Exemplar 
dieses Vogels gefangen und als Rarität im Auftrage des Kaisers 
verflegt worden sein. 

Die alten Vogelkenner wie Gesner, Aldravandi, Reyer, 
Colerus, u.a. geben über diese Hein- Vogel-Frage keinen Aufschhiss; 
aber schiessiich sei noch bemerkt dass man dem Bienenfresser allerlei 
Schönes nachsagte, so besondere Liebe der Jungen zu den Eltern, 
wie das im Physiologus dem Wiedehopfe und auch dem Storche 
zugesprochen wird. Er verplegt seine Eltern, wenn sie dessen be- 
dürftig sind und trägt sie sogar auf dem Rücken, wenn sie nicht 
üi^en können. 

Neustadtl bei Friedland in Robert Eder. 

Böhmen, 1898. 



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ii6 



Arabische Sprichwörter aus Egypten. 

Von A. SeideL 

Mul^ammad *Ajjäd ef-Tantäwl hat in seinem «Tratte de la 
langue arabe vulgaire (Leipzig 1848)*' eine Anzahl von cgyptisch- 
arabischen Sprichwörtern mi^eteilt (c« 400), die im egyptischen ' 
Volksidiom abgefasst und dadurch als echte Volkssprichwörter 
characterisiert sind. Dies war bisher die einzige umfängreichere 
Sammlung von Sprichwörtern in egyptisch-arabischer Volkssprache. 
Lane in seinen »Manners and Customs of the modern Egyptians*' 
giebt hier und da ein paar zerstreute Proben; auch Burckhardts 
Sammlung ist sehr mager und mit vielem der litterarischen Sphäre 
angehörigen Material durchsetzt Auch et-TantäwT giebt ein- 
zelne Sprichwörter, die ihrer sprachlichen Form nach wohl nur 
von litterarisch p^ebildeten Leuten t^ebraucht werden. Dahin gehört 
z. B. ettälibuii kcLii welwäsilun kalil ') (der Suchenden sind viel, 
aber der Anlangenden wenig). Im Grossen und Ganzen sind die 
von ihm überlieferten Sprichwörter aber offenbar wirkliches Eigen- 
tum des Volkes. Für die Zwecke des Folkloristen ist indessen seine 
Sammlung ebenso schwer verwertbar, wie sie es für die Erforschung 
der egyptischen Volkssprache gewesen ist. Er giebt den Text 
der Sprichwörter in arabischer Schrift und ohne Vokalbezeichnung. 
Bei dem Mangel eines Wörterbuchs der Vulgärsprache — ich habe 
ein solches im Anhange zu meinem Handbuch geliefert — war es 
daher lange Zeit unmöglich, diese Texte richtig zu lesen und zu 
deuten. Zwar ist dem Text eine französische Übersetzung beige- 
geben ; es stellt sich aber heraus, dass dieselbe weit davon entfernt 
ist, treu zu sein. Meist beschrankt er sich darauf, ohne Rück- 
sicht auf den Wortlaut des Originals im Allgemeinen den Sinn 
wiederzugeben, und häufig sind die Fälle, wo er einfach ein ver- 
wandtes Sprichwort der Franzosen statt einer Übersetzung dar- 
bietet. 

Neuerdings ist sein Material durch mehrere andere Sammlungen 
reich vermehrt worden. Ich hatte im Jahre 1896 Gelegenheit eine 
grosse Menge von Sprichwörtern von mehreren Egyptern zu er- 
fahren, die Gelegentlich der Berliner Gewerbeausstellung in Deutsch- 



i) Hinsichtlicli der Transkription befolge ich hier das System, das idi in. meinem 
Handbuch der egyptisch-arabischen UmgangsspfiLChe angewendet habe. Nnr schreibe 

ich hier s und $ für scA und g. 



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117 

land waren. Ferner enthalten die zu Boläl^ ohne Übersetzung er- 
sehen l^atä'if ellatä^if (Pflückobst aus der ErgötzHchkeiten, seil, der 
Volkslitteratur) eine Sammlung. Ein grössere Zahl findet sich auch 
zerstreut im „Kitäb tarwih ennuftls wSmu^^ik el ^abüs vom §Sch 
Hasan erälätl (Kairo 1889)." 

Die reichste Sammlung — gleichfalls ohne Übersetzung — findet 
sich aber in N. Scha^ir's: ,ain^l el ''auwäm ii ma^r wessGdän 
wcssära (Kairo 13 12 d. H.)." 

Dies gesammte Material habe ich bearbeitet, nach dem Inhalt 
geordnet» mit sprachlichen und folkloristischen Kommentar versehen 
und werde es im Laufe des Herbstes 1898 veröffentlichen. 

Eine- Blätenlese der schönsten und interessantesten Sprichwörter 
möchte ich aber jetzt schon den Folkloristen zugänglich machen, 
um ihre Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Material zu lenken. 
Dabei berücksichtige ich vornehmlich solche Sprichwörter, die bis- 
her nicht bekannt waren. 

Bei den sprachlichen Bemerkungen verweise ich auf mein , Hand- 
buch der egyptisch-arabischen Umgangssprache (Berlin 1895)** 

Sprichwörter. 

1. bint elfSra ^affära. Die Tochter der Ratte ist eine Grä- 
berin ^ Der Apfel fallt nicht weit vom Stamme. 

j4iim. httffära von haht (graben); die Fonn bezeichnet ein gewerba- oder gewohn- 

hcitsinä-ssigcs Thun. In demselben Sinne sagt der Kairenser: l)int clwizze "auwäme 
(die Tochter der Gans ist eine .Schwimmerin). — In Syrien lautet das Sprichwort: 
ihn ilwazz ^uwSin (der Sohn der Gans ist ein Schwimmer). — Im Südfin sagt 
man : ihn elu izz '^auwäm w2bint elchauwäda tfichüd (der Sohn der Gans ist ein 
Schwimmer und die Tochter der Taucherin taucht). Deutsch : Wie die Alten 
sungeu^ so zwitschern die Jungen. — Franz.: Bon chicu chassc de race. — Engl.: 
like father, like son. - Ahnliche Bedeutung hat auch das Sprichwort eddik elfaslh 
min elbeda jeslh (der beredte Hahn schreit vom Ei an). Die Suaheli in OstaTrika 
sagen: „Ein Küchlein braucht man nicht scharren zu lehren." Dieselbe Ausdrucks- 
wdse haben die Bantn am Nyassatee. Im Türkischen' drückt man sieh ähnlich 
aus wie im Deutschen: ,,Der ApfA fallt nicht weit vom Baume, der ihn meagt 
hat" (Decourd.). 

2. iza käii elkamar ma^ak, la tebäli binnu^Qm. Wenn der 
Mond bei dir ist, so kummcrc dich nicht iim die Sterne. 

D. h. Wenn das Wichtigere zu deiner Verfügung, in deiner Macht ist, so 
bwttchst du auf das weniger Wichtige keinen grossen Wert zu legen. 

Tanf. giebt auf S. 224 folgenden Vienceiler, in de» das Sprichwort Verwertet ist: 

In kuntS rädl "^aleje, 1 Welli ma'^äh elkamar 

Challi-l'^awäzil t!<knm; j Mä-loh wHmä linnugüm. 

d. i. Wenn äu mit mir zufrieden bist, so lasst die Tadler sich (gegen mich) erhe- 
ben; wer den Mond bei sich hat, was gehen den du» Sterne an«). 

l) Ich zitiere dasselbe mit TTdb. — R. ist Reinhardts Grammatik des Oman- 
Arabischen. 2) über die Wendung mä Ii — w^mä loh vergl. mein Hdb. S. 297. 



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Ii8 



3. ibta wcla tichta. Sei (mache) langsam, und du wirst nicht 

falsch handeln. 

Anm. biti (langsam sein) und chitT (sich verfehlen), nachzutragen im Wörterbuch, 
wie misi (gehen), ridi (zustimmen) u. s. w. — Zu sprechen ist ibta und tichu (Cf. 
Hdb. S. 3, Anm. 2). 

Vergl. das Sprichwort der '^Omän- Araber : ijäk wel'a^le (Hüte dich vor der Eile. 
(Reinhardt N<*. 198). — Der Syrer sagt: il "^agli mniiäaitän witta^anni mninal^mäii 
(Die Efle ist vom Teufel, «nd die Bedftchtigkeit vom Bannlierxigeik seil. Gott. N. 
Sch.). — Ital.: chi va piano, va sano. — Franz.: hate-tollentement. ■■ Engl.: the niore 
haste, the worse speed, oder fair and softly goes far. — Suaheli (in Deutsch-O&tafrika): 
bankft, bmdca hain« banlca (Eile, Eile luit keinen Segen). — Deütscli: Eile mit 
Weile! — die Wolof (in Westafrika): Eile und Überstürzung gebären die Rene 
(Boilat). — Die Ösbegen (in Asien) sagen: y,Zur Eile pflegt sich der Teufel zu ge- 
sellen." — Im Hindustani heisst es: „Eile ist Torheit, Geduld ist Weisheit.'' 

4. ishad-li bikahke, bashad-lak bTrarif. Zeuge fiir mich 
(in einem Rechtsstreit) um eine Bretzel, so werde ich für dich um 
ein Laib zeugen. 

D. h. Erweise du mir einen l<leinen Gefallen, so erweise ich dir gelegentlich 
einen grösseren, denn eine Hand wäscht die andere und Wohlthun bringt Zinsen. 
Statt bIVahke gicbt et-Tant. btlu^me (um einen Bissen). Der Syrer dentet anf 
die Möglichkeit einer gelegentlichen Vergeltung hin, wenn er sagt: „Ein Berg und 
ein Berg begegnen sich (zwar) nicht, aber ein Mensch und ein Mensch begegnen 
sich." Der dem Sprichwort zu Grunde liegende Gedanke wird von den Amlmndii 
(in Portugiesisch-Westafrika) folgendermassen ausgedriickt: „Kaufe deinem Freunde 
ein Rasiermesser; eines Tages wird er dich damit rasieren." — Im Hindustani 
sagt man: ^Was du giebst, wird dir zum Schilde." 

5. iddi ''eSak lilfairän welö akal nussoh. Gieb dein Brot 
dem Bäcker (zu backen), selbst wenn er die Hälfte davon isst. 

D. h. Lass deine Arbeiten von Sachverständigen verrichten, und scheue dabei 
sdliet eine erhebliche Eintnisse nicht; denn du ftiirst immer noch besser dabei, als 
wenn ein Pfuscher dir alles verdirbt. 

iddi nach N. Sch. Gewöhnlich lautet der Imp. mit Aufgabe der Verdoppelung 
(tachfif) idi oder verkflrzt di. fiurSn — chabbSz, von fum, Backofen, nuss duiA 
Assimilation aus nusf (— nisf) entstanden. Statt akal und achad sagt man häufig 
kal und chad (ebenso auch im Syrisch-.\raT). und im '^Om∋ im Tunistsiüien sind 
die umgesprungenen Formen klä und chdä üblich). 

Der Gedanken des Sprichworts drttckt der Ägypter auch folgendeimassen aus: 8 
ramäk "^alä elmurr? käl: amarr minnoh = „Was hat dich zu dem Bittern geführt 
(wörtlich: geworfen)? — Antwort: Etwas, das noch bitterer war." In Syrien sagt 
man mit einer leichten Nuance, die den Bäcker weniger gefrässig als ungeschickt 
erscheinen lässt : Gieb dein Brot dem Bäcker, und wenn er auch die Hälfte ver- 
brennt. (So nach Harfouch in seinem drogman arabej N. Scha^^Ir giebt das 
Sprichwort genau so wie es in Egypten üblich ist). 

6. achras w^'^ämil kädi. (Er ist) stumm und spielt Kadi. 

D. h. Er mengt sich in Dinge, für die ihm die wichtigsten Fähigkeiten mangeln. 
Man sagt auch: thxO, w8Hüml sarrtf » (Er ist) bUnd und spielt den Wechsler. — 
Im Hindustam: «Ein lahmes Eidihörnchen, und das Nest ist im Himmel.** 

7. elmerkeb elll-loh raijisSn jirral;. Das Schilf, welches zwei 
Kapitäne hat, geht unter. 

Die 'Oinän- Araber sagen in demselben Sinne: f,Der Topf der Genossen kocht 
nicht ruhig." (R.) Deux cuisiniers gdtent la sauce. Viele Köche verderben den Btei. 
Der Chinese sagt: „Tausend Arbeiter, lausend Pläne" (Scarb.). 



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119 

8. g^5zi rä^i» we'^es t^kQn inte, ja l^ä^i? Mein Mann ist 
zufrieden, und was bist du, o Kadi? 

Der Sinn wird klar durch das syrische Seitenstück: irä kän zau'^T räffT, c> fudnl 
ilf^l? Wenn mein Gatte sufrieden ist, was (soll) das Geschwätz des Kadi? d. h. 
Wenn die nXchstbeteiUgten einventsnden sind, so siemt es fementehenden nicht, 
Schwierigkeiten zu maclien. 

9. ela^war fi bilad el^omjän (urfa. Der Einäugige ist im 
Lande der Blinden eine Rarität. 

Vergl. Fmna. an royatune des avcu^Us les bofignes aont rois. Die Tttrken »agen: 
,In der Ebene dünkt skik ein kleiner Httgel Berg.** 

la ibnoh *ala kitfoh wejdauwar ^alsh. Sein Sohn (ist) auf 
seiner Schulter, und er sucht nach ihm. 

Bei T»nt. aach in der Form: ibnoh 'ali kitfoh wWir jCdOr *al«b. Vergl. Er 
siebt den Wald vor Bännien ntdit. 

II. igü j^na^^alO chel essultän, maddet el^chunfuse 
rigfIThä. Sie kamen zu beschlagen die Pferde des Sultans, (da) 
streckte der Mistkäfer sein Bein hin. 

Wird von jemandem gesagt, der sich überhobt und Ansprüche macht, die ihm 
nicht zustehen. Der Syrer s&gi ähnlich: igü ta ji^baitrü chSl ilbäsä, maddit umm 
Vüwail^ riglhä =■ sie kamen zu beschlagen die Pferde des Paschas, (da) streckte die 
Rabenmutter (?) ihr Bein hin. 

(Fortsetzung folgt,) 



Übernamen. 

Eine Umfrage von Frana Branky. 

IV, Asgeur ist das Schimpfwort für die Wanderzigeuner, die das 
Hintaus der Marchfeld-Dörfer inspiciren und mit Gerten in frisch 
aufgeworfene Krdhüj^el stechen, in der Vermutung, es sei dahinter 
ein Cadaver verscliarrt, den sie braten und verzehren können. 

Beinmarder sind die von Dorßes^ weil sie fremde Bienenschwärme 
aus den Heidefeldern einhausten. 

Boanlstira heissen die armen Vorörtler von Dotiau/eld, die in 
Kehrichthaufen nacli Sudknochen suchen. 

Feuerspucker ist das Spottwort für die jildischen Kranimerleute 
im March fcld. Sie sollen nämlich «gelegentlich eines Dorfbrandes, 
statt Wassereimer zu schleppen, untätig dagestanden und , ihrem 
Glauben gemäss" ins Feuer gespuckt haben. 

Fdlb^rkocker sind die Dimburger an der Marchs weil sie ein 



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120 



mal eine Nacht, im Weidengestrüppe sitzend, mit Krebseiang stt- 
gebracht und dennoch nichts gefangen haben. 

GolUngdiab ist ein Neckwort fiir die slowakischen Bauern^ 
knechte» die dem Gerichte den Galgen, worauf einer ihrer Lands- 
leute sollte gehenkt werden, gestohlen haben. 

Katstlmach^r heissen die italienischen Tagarbeiter der Nordbahn. 

Kibitgl sind die von Angem, weil sie im Frühjahr in der «Ki- 
bitzau" gern nach Eiern suchen. 

KirchengHgiter neckt man die OlUrsdorfer Kirchtagmusikanten, 
weil sie auf ihrem Kirchenchor einen Engel haben malen lassen, 
der den Geigenbogen mit der linken Hand fuhrt. 

KolaiSenfresser heissen die Ostnachbarn der Marchfeldler, weil 
ihre Nationalspeise, KolaÖ genannt, andern nicht munden soll. 

IManeibrUder schknpft man die Messner der nördlichen March- 
ebene. 

Oxenschnäpsler ') ist das Stichelwort fiir die kroaHschen Bewohner 
der Umgebung von Loimersdarf, weil sie auf ihren Gründen 
keinen Wein fechsen und darum mit Wasser vorlieb nehmen müssen. 

Flüig^lbnmger heissen die von Wugeiöurg am Rifckusberg\ sie 
haben keine Hausbrunnen und holen sich in Henkelkrügcn (Plüt- 
zerln) das Trinkwasser von der Agnesquelle. 

Schilfgucker sind die Bewohner von Baumgarten an der March, 
die im Spätsommer den Rohrdommeln nachstellen. 

Schindeyhuibn heissen die Jungen von Prottes^ weil hier der Be- 
zirkswasenmeister (Schinder) seinen Sitz hat. 

Schlitzkrozvoden sind die Nordnachbarn der Marchfelder um 
Themenau scherzhaft benannt. 

^Sieben Häuser und vierzehn Dieb" sagt man, wenn man von dem 
winzigen Filialorte Wuzelhiirg bei Mannersdorf spricht. Ehedem 
sollen dessen Bewohner als Langfinger verrufen gewesen sein. 

Stclzfüssler ist das Neckwort für die Slowaken jenseits der 
March, die infolge der Machart ihrer Beinkleider einfussig zu uri- 
niren pflegen. 

Vogclbeisser heissen die Tallesbrunner Kinder, weil eines von 
ihnen einmal einen Wespenstich für einen Vogelbiss gehalten hat. 

Wasser heilige werden die Pyraiuarter geneckt; sie sollen sich 
seinerzeit auf die Heilkraft ihrer Badequellen soviel eingebildet 
haben. 



l) Als „Oxeoschoaps" bezeichuet man auch sonst in Nied. Ost. das Wasser. 



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121 



Weinprotzcr auch Weinschartkr neckt man die Winzer der 
Matzner Gegend. 

Zeilbesen ist ein Schimpfwort für die armen magyarischen Dienst- 
mädchen, die ob ihres leichten Blutes viel gefreit werden. 

Graz, Steiermark. Dr. Hans Schukowitz. 



Zaubergeld. 

Eine Umürage von Dr. Franz Ahiendts. 

XV. flDie Bauern gehen um zwölf Uhr in der Nacht am heiligen 
Abend auf einen Kreuzweg. Da kommt Er (der Teufel) und fragt 
der Bauer, was er will. Und dieser 9,zgt : Ich will Geld haben. 
Und da fragt Er, was er ihm dafür versprechen will. Da verspricht 
ihm der Bauer sein Weib oder ein Kind, denn der Teufel geht 
nur auf Menschen aus. Da giebt ihm der Teufel Geld, und wenn 
die Zeit aus ist, holt der Teufel die Person und geht mit ihr weg. 

Da war einmal ein armer Bauer, der kein Geld hatte. Der gieng 
am heiligen Abend auf den Kreuzweg und wartete um zwölf Uhr 
auf den Teufel. Wie der Teufel kommt, fragt er ihn : Was willst 
Du denn hier? Der Bauer antwortet: Ich will Geld. Da sagt der 
Teufel: Was wirst Du mir geben, wenn ich Dir Geld gebe. Der 
Bauer erwidert ihm: Ein Weib mitsammt ihren Kindern. Der 
Teufel giebt ihm nun recht viel Geld, und der Bauer geht damit 
nach Hause. In Haus zeigt er das Geld seinem Weibe und sagt: 
Dafür habe ich Dich und die Kinder dem Teufel versprochen. Aber 
furchte Dich nicht. Setzt eine Henne auf. und leg ihr recht viele 
Eier unter. Als schon die Zeit um war und der Teufel erschien, 
waren die Küchlein schon ausgekrochen, und der Bauer gab jetzt 
dem Teufel die Henne mitsammt ihren Jungen. Als nun der Teufel 
Henne und Küchlein bekam, schleuderte er sie zu Boden, ver- 
schwand und ward nie mehr gesehen." 

Nach der Erzählung eines Schlossers slovenischer Abkunft aus 

St. Maren in Untersteiermark. i^^u i?^k;«o^i,« 

isak Kobinsonn. 



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122 



Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre. 

(Grafschaft Hohnstein). 

Gesammelt von Fr. Kränig, erläutert von O, SchelL 

6. Der Kobold im Weher sch'iJT. Tn Niedergebra war schon von Alters her die 
Leinweberei ein sehr einbringUcher Erwerbszweig, and viele fremde Gesellen fanden 
hier Beschäftigung. Aber kdner von allen den Gesellen im Dorfe vermochte wöchent* 
lieh soviel Leinwand anzufertigen int Rossbach, der aus fernen Landen hereingewan* 
dcrt war. Kein Fiidchen riss während seiner Arbeit, vinablassig und schnell wie ein 
Blitz schnellte das Weberschifflein hin und hei, und an jedem Sonntage waren sechs 
Schock Leinwand fertig. Natürlich hielt der Mcistir einen solchen Gesellen wohl io 
F.hren und zahlte ihm manchen (Tulden übt-r den bedingten T.ohn aus. ,\bcr keiner 
verthat auch mehr Geld, keiner war mehr auf dem ranzpiatze und in der Schenke 
unter den Instigen Brttdem vol blicken als unser Rossbaeh, der vom Sonntag gewöhn- 
lieh bis Dienstag Mittag feierte und Sommer und Winter hindurch schon 6 Uhr 
abends Feierabend machte. Aber ehe es noch wieder Sonntag war, hatte er scheu 
auft Neue 6 Schock Leinwand fertig gestellt. Sonst war an dem Gesellen wdter 
nichts auflallend, als dass er bei jedem Gelage, sogar in der Kirche und während des 
Tanzes das Weberschtfflein in der Tasche bei sich trug, und auf manche neugierige 
Frage, warum er tbue, die ausweichende Antwort gab, das sei so der Webergesellen 
Sitte und Brauch ! Einst aber war Rossbach stt Spiel und Gelag gegangen und hatte 
sein Schifllein oder Schützen einzustecken vergessen. Da spielten des Meisters Kinder 
mit Rossbachs Schützen, der auf dem Webestuhle lag, und während sie so tändelten 
nnd das platte Werkzeug mit ihren unsauberen Händlein besudelten, da entschlSpft 
ein kleines fingerlanges menschenähnliches Wesen aus der engen Behausung und ge- 
winnt durch ein Mäuseloch in der Wand das Freie. Kossbach kommt vom Tanze und 
Trinkvergnügen halb berauscht nnd wohlgemut nach Hause und setzt sich, die Arbeit 
beginnend an den Webestuhl, aber Tritt und Schlag gerät nicht, die Fäden reissen 
unaufhörlich und das Schifllein schwirrt so träge in der Lade einher — mit einem 
Schrei des Entsetzeus vermisst Rossbach seinen Kobold und sinkt tot vom Stuhle 
hernieder. Noch jetzt ermahnt der Meister den neuankommenden Gesellea, so sn 
welien wie RosslMch. Th. Rfimpler. 

Als Ergänzung mag noch folgende Sage hier stehen: 

7. Dtr Weber Rossbaeh. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts erregte ein in 

Niedergebra fremd zugereister Webergesell Namens Rossbach allgemeines Aufsehen. 

wird erzählt, dass er mit Hülfe eines Kobolds, den er in Gestalt einer Hummef 
stets bei sich trug, in einem Tage mehr schaffte, als andere in wochenlanger Arbeit. 
Die ersten Tage der Woche machte er regelmässig blau, dafür arbeitete er aber 
in den letzten Tagen so emsig, dass für den Meister ein schönes Stück Geld abfiel 
und auch sein eigener Beutel nicht zu kurz dabei kam. Im Wirtshause war er ein 
gern gesehener Gast, denn nicht nur, dass er selbst dem Kruge fleissig zusprach, 
auch die Freunde wusste er dort festzuhalten, indem er ihre Zeche oft bei Heller und 



6. Der Kohohl im Webersekiffchen. 

7. Der Weher Rossbaeh, 

Diese Sagen 1»ehandeln das etwas dunkle Gebiet der vielfach abgestuften Hans* 

geis'cr. .\m nächsten kommt des Webers „Hummel" oder sein „kleines fingerlanges, 
menschenähnliches Wesen" dem Alraun, allerdings in freier Umbildung. Über den 
Alraun vergleiche man Simrock, Handbuch, S. 459 fl".; Grimm, D. Myth., 
S. IIS3 ff.; Grimm, D. Sagen I, 124. Veth, Intern. Arch. f. Ethn. Leiden, 1895 
grundlegende Abhandlung. 



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123 



Pfennig bezahlte. Konte er jemand mit Rath und That unter die ^Vrme greifen^ so 
that er es in uneigennützige Weise. Das erfuhr auch ein Weber^ der sAon wodienlaiig 
an einem Stück Leinwand webte, ohne damit zu Ende zu kommen, dn die Fäden 
dutzendweise rissen. Auf dessen Bitten erschien Rossbuch bei ihm, um <;ein I'rteil 
darüber abzugeben, ob es möglich und ratsam sei, das Gewebe fertig zu stellen, oder 
ob es sich empfehle, es im unfertigen Zustande wieder abzuziehen. Mit dem langen 
Kirchenrock bekleidet, den hohen Dreieck auf dem Kopfe, trat Rossbach In die Woh- 
nung. Nachdem er das Gewebe in Augenschein genommen, stellte er seinen Hut auf. 
die Fäden und sagte: „ Leute, das Garn ist nicht schlecht, es trSgt ja meinen Hut.*' 
Auf den dringenden Wunsch des Webers setzte er sich auf den Webstuhl und bo- 
eadete die Arbeit in kurzer Zeit. Er pflegte sein WeberscbiOchen immer bei sich ZU 
föhren ; eines Tages aber hatte er es im Hause vergessen, and als er heim kam, fnid 
er, dass die Kinder des Meisters damit gespielt hatten und den Kobold in Gestalt 
einer Hummel hatten entweichen lassen. Darauf packte er sein Bttndel und verlies« 
auf Nimmerwiedersehen das Dorf. 

Rossbach ist nicht etwa eine sagenhafte Figur, sondern eine wirkliche Persönlich- 
keit. Er hat jahrelang bei dem Weber Göttling in der Schäfereigasse N^'. 58 als 
Geselle gearbeitet. Wie es kommt, dass sich die Sage seiner bemächtigt hat, lässt 
dch nur Termnthen. Seine dnnkle Herkunft, über die er nie sprach , sein ausserat^ 
dentlicher Fleiss, dazu gchelmnissvolle AndcutunL;en, die er dann und wann über sein 
Vermugeu fallen Hess, sowie sein plötzliches Verschwinden werden die Veran l as s u n g 
dazu gegeben haben. Noch lange nach seinem Weggange aas dem Dorf wurde er als 
Master eines fleissigen Webers genannt. 

8. Das Goldmäntuktn, In Niedergebra stand in dem Garten des Wolfram Wisozky 
eine alte dicke Birke. Allenuil in der Fabian-SebastiansiMcht (20. Januar) hatte man 
neben diesem Baume einen Mann arbeiten und verschvdnden sehen. Da wurde der 

Bauer neufjierig, und da er '-in ^ehr unerschrockener Mann war. fasste er den ge- 
heimniss vollen Fiemdcu einmal al». l)icsci bat ilin , er solle ihn nur loslassen, er 
wolle ihm das Geheimniss des Baumes verrathcn. Die lürkc sei die Wohnung eines 
Goldmännchens und treibe jedes Jahr eine goldene Wurzel in die Erde. Es habe seine 
Wohnung hier aufgeschlagen, weil es die Grossmutter und die Mutter des Bauern, die 
schöne MSdchen gewesen, geliebt habe, und es bliebe so lange hier wohnen, als es 
nicht durch Habsucht daraus vertriel)en würde. Der Bauer fand richticj jeden Fabian- 
Sebastianstag eine Goldstange unter dem Baume. Einmal aber erfa&ste ihn die Hab- 
sncht, und in der Hoffnung, noch mehr su ünden, hieb er den Baum nm. In dem- 
selben Augenblicke aber sass ihm ein gewaltiger Höcker zwischen beiden Schultern, 
und das freigewordene Goldmännchen verliess unter heiserem Hohnlachen seine 
Wohnung. Th. Riimpler. 

Diese Sage ist sehr lehrreich. Sie zeigt nämlich erstens, dass alle Kobolde, gleich- 
viel oh sie in der Luft fliegen, oder in der Erde wohnen oder in einem Kasten sich 
befinden, Gold bringen, /weiten^ geht daraus hervor, dass die Kobolde eine Nci^riing 
für das warmblütige Menschengeschlecht haben, und drittens, dass die eine Art der 
Kobolde immer wieder au ihrem Besitzer kommt, wfthrend die andere Art sich von 
deren Herrschaft frei »u madien sucht. 

9. Der verliebte Koboiä. Vor Zeiten wohnte in Untcrgebra ein Leinweber Namens 
GottUng. Einst ruhte er noch im sftssen MorgenscUnmmer auf seinem armsdigen 



S. Das Goldmännchen. Das Goldmännchen ist ein an (Jold reicher Zwerg, der d'e 
elbische Natxir, sich mit den Menschen durch die Ehe zu verbinden, keineswegs ver- 
leugnet, diesen dafür aber einen Teil seines Überflusses an Gold zukommen lässt. 
Goldni innchen gerät dafür in die Abhängigkdt der Menschen, ans welcher er durch 
deren Habsucht befreit wird. 

9. Der verliebte Kobold. Bezüglich dieser Sage sei auf die .\nmerkungen zu N*. 
vnd.S verwiesen; femer auf Schell, Bcrgische Sagen II, 96*' b (nebst Anmerkungen) 
und VI, 194 (mit Anmerkungen). 



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124 



Lager, da geht es auf dem Webestuhl klipp Irbpp! klipp klapp l und das Schifflein 
mischt emsig durch den wohlgeglätteten Auh:üj^. Guttling wacht aaf von dem Lärm 
und sieht mit Erstaunen, wie der Stuhl ohne alle menschliche Hülfe arbeitet, und 
das so schnell und kuustj^erccht, wie er es noch nie gesehen. Ehe er sich noch von 
seinem Erstaunen erholen kann, Mstert ihm ein feines Stimmchen zu : „Gbttling, 
steh a»^ mache Spulen !" Nub, wenn du so gdit, denkt der anue Weber, so mag 
ich es wohl leiden. Unverdrossen spult er mit seiner Familie den ganzen Tag an 
den schnurrenden Rädern, aber kaum schaffen sie genug für den unsichtbaren Aibei« 
ter, der nicht müde wird nnd das feinste Linnen liefert. In der folgenden Nacht, als 
die Famillcnglicder sich von dem anhaltenden Spulen erholt haben, tönt es schon 
wieder wie den Tag zuvor ganz leise: „Göttling, stehe auf, mache Spulen" und so 
geht es Tag fUr Tag, und verwundert sehen die Nachbarn das Gut de« armen Webeis 
schnell sich mehren, fünf Kühe, rund, mit strotzenden Eutern, blöken im Stalle; im 
stattlichsten Kleide sitzt Göttling in der Schenke und lässt einen harten Thalcr nnch 
dem andcru springen, und sein vormaliges so armseliges und baufälliges Häuschen 
giebt bald dem schönsten Bauemgnte nichts nach. Der Weber aber Glitte eine gar 
holdselige Tochter, die hiess Maria, und ihres Gleichen war nicht mehr zu finden in 
Untergebra und in den Dörfern umher. Aber ihrem Vater, der nun schon ein reicher 
Mann war, stand keiner an von den stattlichen Burschen, die um das Mägdlein freiten. 
Einst war Göttling mit seiner Frau nach Bleichrode zum Jahrmarkt gegangen, die 
schöne Maria aber plagten Vorwitz und Langeweile, und sie hätte gern gewusst. was 
IHr ein Wesen den rastlos arbeitenden Webestuhl regiere. Sie trat heran und be* 
betrachtete den sieh eben bewegenden We1>ebaum : erschrocken fuhr sie zurück, denn 
ihrer lebcn'^warmeTi Hand begegnete eine ganz kleine, aber eiskalte; aber Maria 
fasste sich ein ilcrz und fragte: „bist du ein böser Geist?" »Mit nichten!" erwie- 
derte das unsichtbare Wesen. „So bist da also ein guter Geist?'* Ihhr das Mädchen 
fort. — • „Mit nichten!" lautete die Antwort wie vorhin. — - „Ntm, was bist du dann?" — 
«Ein Mittelding, ein Mittelding! Ich liebe dich, schöne Maria!" — , Warum fühlt 
uian didi und sieht dich doch nicht? Wovon kommt das?" — »Von der Tarnkappe, 
von der Tarnkappe! Ich liebe dich, schöne Maria!" — »^^er hat dich in das Haus 
gebracht?" . — »Die Butterbarbe, die Butterbarbe aus Gross-Berndten 1 Ich liebe dich, 
schone Maria 1** Der arme Kobold war wirklich verliebt; der Webestuhl stand jetzt 
manches StBndchen still, und der schönen Maria wisperte es während dieser Zeit 
immer in die Ohren: „Ich liebe dich, schüne Maria!" Da ward sie endlich unwillig 
und klagte ihr Leid dem Vater, der schon lange unzufrieden war mit dem Kobolde, 
weil er jetzt viel seltener rief : „Göttling, stehe auf, mache Spulen." Da verfluchte 
Göttling den Kobold und drohte ihm mit diesem und jenem. Ein leises Hohngeläch- 
ter war die Antwort auf die Drohungen und Schmähungen des Webermeisters, and 
bald stand der Webestuhl ganz verlassen, «nd Mariachen hörte keine iLiebeserklärang 
mehr. Aber bald darauf zog das Unglück in das seit einigen Jahren so gesegnete 
Haus ein. Das Vieh ging in kurzer Zeit darauf, ein Wetterstrahl ruinirte das schöne 
Haus, der Webestuhl fiel zusammen, das baare Geld im Kasten ward diebischer Weise 
entwendet, der Acker gab Icaum die Aussaat wieder, und schön Mariechen ging um- 
her wie ein Schemen, denn der böse Kobold hatte ihr es angethan, dass sie bald 
darauf zu Grabe getragen ward. Th. Rumple r. 

IG. Der webende Kobold. Im Jahre 1740 lebte in dem Kirchhof 'sehen Hause an 
der Steil ein Weber mit Namen Vollmar. Dieser Mann nährte sich von seinem 
Handwerk schlecht und recht und lebte in Rvih und Frieden iu seiuca vier Wänden: 
diese hausliche Ruhe sollte aber eine unliebsamen Störung erfahren. Eines Tages 
hören die Eheleute ein starkes Rumoren im Ofen, das längere Zeit anliält. Sie an« 



10. Der weimde JMold, In den wesentlichsten Punkten berührt sich dieser Sage 
mit der vorigen. Das Zeichen des christlichen Kreuzes vertreibt den heidnischen 
Gast, der sich selbst für ein Mittelding austriebt. Doch ist dieser Kobold nicht mehr 
der gutmütige Hausgeist, sondern trägt schon man che Züge vom „Mönch'' und 
„Drak" (Simrock, Handbuch, S. 4SS). Man vergL auch Gonsenbach, Sicil. 
Märchen II, 22. 



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125 



(ersuchen den Ofen in- und axiswendig, finden aber die Ursache nicht. Sie la&sen ihn 
abreissen und lunsetzen. Da hört der Spektakel wohl im Ofen auf, erwacht aber 

dafir am so lebhafter in der Stube. Die geplagten Leute wissen nicht, was sie be> 

ginnen sollen. Fragt Vollmar: „Bist du ein guter oder ein böser Heist-" so antwortet 
der uügebetcuc Gcisl : »Ich bin weder ein guter noch ein büscr Cicibt. ' — «Nun, 
was bist du denn?" — „Ein Mittelding, ein Mittelding." — „Wer hat dich hierher 
gebracht?" — „Butterbarbe hat mich im Korbe hergebracht und noch einen Wickel 
Werg dazu." — , Butterbarbe soll dich auch wieder forttragen^ ich will dich nicht 
behalten." — |,Butterbarbe will mich nicht wieder haben/* — »Was hat sie denn 
mit dir gemacht?" — Wir sind auf Lohra gewesen und haben Schratmehl für das 
Vieh geholt." — »Wie seid hier hinein gekommen?" — »Wir sind durchs Fenster 
gegangen." — »Bist du allein gewesen?" — n^'^^^) Butterbarbe hat noch den 
Grössten und den Kleinsten, ich war der Mittelste." — Alle Anstrengungen, den 
Kobold loszuwerden, waren vergeblich; derselbe dachte gar nicht an ein Fort|;ehen. 
Nun setzte er sich auf den Webstuhl und webte wie der geübteste Meister, Tag fUr 
Tag und Nacht für Nacht. Was der Vorrath von Spulen erschöpft, so klapperte er 
nach Weberbrauch mit der Seele. Vollmar aber weigerte sich, neue Spulen zu machen 
und hoffte, durch diese Weigerung den unheimlichen (Gesellen zu einem freiwilligen 
For^ehen bewegen zu können. Doch weit gefehlt! Machte der Hanswirth keine Spu- 
Icn, so musste der Kobold selber an die Arbeit gehen. Und bald schnurrte denn 
auch das Spulrad, dass man seine Lust daran hätte haben können. War der Vorrath 
verarbeitet, so schnurrte das Rad wieder. Noch einmal suchte der Kobold den Voll* 
mar zum Spulenmachen anzuregen^ indem er sprach: ^ Bediene mich nur, ich will 
dich auch reich machen." „Ich will durcii dich nicht reich werden," erwiederte der 
geplagte Meister und Hess .sich auf gar nichts ein. So ging die Arbeit fort, bald auf 
dem Webstuhle, bald auf dem Spulrade. 

Die Koljoldgcschichtc wurde schnell in der ganzen Oegend bekannt und Scharen 
vou Neugierigen slrumteii herbei, >.ic sich in der Nähe anzusehen. Sogar aus ent- 
fernteren Orten kamen Leute zu Pferd und zu Wagen und boten mitunter sogar, den 
Vollmarschen Eheleuten Geschenke und Unterstützungen an, was aber von diesen 
abgelehnt wurde. Einmal befand sich unter den Neugierigen ein wohlbeleibter Mann, 
der den Kobold swingen wollte, die Arbeit auf dem Webstuhle einsnstellen, indem 
er die Weberlade festhielt. Die Strafe folgte jedoch sogleich nach. Der unsichtbare 
Arbeiter warf ihm nämlich das Weberschifilein so heftig gegen den Leib, dass er sich 
vor Schmerzen krttmmte. Am Spulrade hielt man das Rad fest, aber der Kobold be- 
wegte die eiserne Welle so heftig, dass sie sich noch im Holze herumdrehte. Als 
der gestrafte Zuschauer ihn fragte, ob er auch Schaden anrichten könne, antwortete 
er damit, dass er das Schifllein durchs Fenster in den Hof warf, so dass die Fenster- 
scheibe klirrend an Boden fiel. Darüber bricht Frau Vollmar in lautes Klagen aus. 
Ks sei nicht genug, dass sie von fremden Leuten in ihren häuslichen Arbeiten tag- 
täglich gestört würden, so müssten sie auch noch direkten .Schaden erleiden; Armut 
vmä. Not wflrden hold hei ihnen einkehren. Doch der Kobold tröstete sie, indem er 
bemerkte, dass der Herr von Götz (Besitzer des rothen Hofes) so eben draussen vor 
der Thür stehe und geäusserst habe, den angerichteten Schaden ersetzen zu wollen. 
Und wirklich tritt der Erwähnte ins Haus. Ein Blick auf die zerbrochene Fenster» 
Scheibe und auf das kummervolle Besicht der Frau macht ihm den Zusammenhang 
der Angelegenheit klar und erklart, die Scheibe bezahlen zu wollen. Der Edelmann 
erkundigt sich bei dem Quälgeiste, wo er sich Aufgehalten habe, als der Ofen umge- 
setzt sei. „Im Bett in der Stube," war die Antwort, „mich fror so." Herr von Gätse, 
bemüht, den armen Leuten wieder Ruhe 7U verscIialTcn, fuchtelt mit seinem Degen 
unter dem Bette herum, nur womöglich den Kobuld zu töten. Das gelaug ihm zwar 
nicht, erreichte aber soviel, dass derselbe von nun nicht mehr redet. Der Spektakel 
in der Stube hatte al>cr seinen ungestörten Fortganc;. 

t)'x geplagten Eheleute versuchten alle angerathenen Mittel, um den hässUchcn 
Gast loszuwerden, doch ohne Erfolg. Da rieth ihnen eine alte Frau, sie möchten 
einen Topf voll Kohl im Ofen kochen und diesen dann herausnehmen, aber bei 
Ge£shr ihres Lebens keinen Blick darauf werfen. Den Topf solle man auf den sogen. 
Krenzfleck tragen und dort umstfllpen. Wflrde man genau nach der Vorschrift Ter^ 
fahren, so würde man den Kobold los. Die Frau Vollmar that, wie ihr gerathen 
war, konnte aber doch beim Heraustragen des Topfes der Neugierde nicht wieder- 




126 



sieben, einen Seitenblicke darauf zu werfen. Und da erblickte nie eine hä&äliche 
Kröte mit feurigen Augen. Der Topf waide anf dem bezeiclmeten Flurdielle umge- 
stülpt und der Kotx>ld kam nicht wieder. Ruhe und Frieden kehrten im Hanse 

wieder ein. 

Diese Koboldgeschichte erregte damals ein allgemeines Aufsehen. Der Amtmann 
Windler auf Lohra forderte Bericht darüber von dem Ortsschuizen Jos. Caspar Schnei- 
der und yerhörte die Butterbarbe, eine übelbeläumdete Butterfrau, Albrecht Schusters 
Frau, selbst, musstc sie aber wegen mangelnder Beweise endlich wieder freigeben. 
Ja sogar der Kirchenvorstaud nahm sich der Sache an und legte das Ergebniss seiner 
Eimittelnngen in emem Schriftstficke nieder, das noch jetzt im Pfarrarchive aufbe* 
wihrt wird und also lautet: 

„Anno 1740 begnhs sich im Monath Martii (März) zu Niedergebra in einem Hause, 
dass es von 6 Ulireu Abends im Ofen iruinmelie als mit einer trummel. Viel Volk 
kam hin, solches zu hören. Das Ambt Lohra Hess den Ofen abreissen, da es denn 
«lufgchörrt. Das Haus hörte den» Leinweber Vellmar zu und liegt vorn am Dorfe und 
die Striegel (Steil) geht durcbhin. Als der Ofen abgenommen, eignet sichs unter des 
Hauswirths Bette in die Stube, fing an tn. leinwebem, schmiss das Spulrad entewei, 
wurlT dem TTerm von Götzen mit dem Scbiitzen vor den lA-ib, und Diakono Müller 
aus Bleichrode den hölzernen Teller durch die Beine hin. Endlich £iug es als ein 
klein Kind an tn reden^ rief den Hauswirth mit Namen und wollte, er sollte et 
aufnehmen, es wollte ihnen Nahrung bringen. Albrecht Schusters Fratt, die Bntter- 
barbe, hätte es im Sack in den Ofen gebracht. Sic hätte einen be<;seren Kobold, 
darum hätte es fortgemüsst. E.s halle von Lohra 3 Marktscheffel Korn, Buller, Geld 
und von der PCurre zu Wülfingerode Borstenäpfel, Kom, Geld, wie auch vom Elendi* 
sehen und Grosswendischen Pfarrer geliolet. Ueber die^e Aussagen sind 10 Personen 
eydlich abgehört worden. Endlich ist der Butterbarbe vom Herrn Ambtmann Windler 
aufgdeget worden, diesen Kobold wieder aus des Mannes Hause nt schaffen, welches 
denn auch geschehen sein mag, indem von 6. April an Niemand mehr etwas von Ihm 
gehört hat. Die Winsel aus dem Elende hat ausgesagt, dass dieser Kobold ihr an die 
blossen Knie gegriffen, und wäre es wie eines Kind handi als Sammt so weich, doch 
kald dabei gewesen. Andere wunderliche Begebenheiten hierbey zu geschweigen.** 

Vier Jahre spiter starb die Butter Barbe. Der auf ihr ruhende Verdacht kommt 

selbst im Kirchenbuche zum ;\usdruck. Es heisst dort: „1744 ist Barbara Elisabeth 
Schusters Ehefrau begraben, 50 Jahr alt. Diese Frau ist wegen des Kobolds, der 
sich in Christopf VoUmars Hause hören lassen, sehr verdftchtig gewesen, inmassen 
der Kobold sclb.'it in Gegenwart vieler Menschen auf sie bekannt, dass sie ihn TOrher 
in ihrem Hause gehabt. Sed de occultis non indicat ecclesia." 

Wie der Pfarrer nicht an dem Teufelspuk zweifelte, so noch weniger seine Beicht- 
kinder. Das bestätigt eine mündliche Mittheilung, die ich meinem Gewährsmann, 
einem bejahrten Manne, verdanke. Diesem hatte seine Grossmutter, eine 9ojfthrige 
Frau, versichert, dass die Knboldsgcschichtc sich wirklich in der oben erzählten Weise 
zugetragen habe. Sie selber habe als Kind den Vorgang mit erlebt. Nicht ein Jota 
sei anders gewesen, das wolle sie hoch und hdlig versicheren. 

II. fVir cfie Gebradörfer zu ihrem Waltlc hauten. Der (<raf von Lohra und der 
Ritter von Keula lagen in Fehde miteinander. Beide boten alle ihre Vasallen und 
Lehnsleute auf, um sich gegenseitig an Streitkräften zu übertrefien. Im Helbetfaale 
kam es zwischen ihnen zu einem heftigen Kampfe, wobei auf beiden Seiten soviel 
Blut floss, dass die Helbe geröthet war. Die Lohraischen wehrten sich tapfer, mussten 
aber endlich, von der Übermacht gedrängt, bis an den Reinhardsberg zurückweichen. 
Unter den Mäuem des Schlosses Lohra erneuerte sich der Kampf noch einmal. Der 
Graf und seine Männer kämpften wie die Löwen, konnten aber nichts gegen den 



II. Wit dU Gebradörfer sw ihrem Walde kamen. Eine Sage in etwas fragwürdigem 
historischem Gewände. Zur nähern Kommentierung würden eingehende historische 
Untersuchungen erforderlich sein. Man vergl. unter And. Schambach-MüllerN<>. 5. 



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127 



Keulascheu Ritter ausrichten, der mit seiucr 60 Pfund schweren Keule alles vor sich 
her niederschmetterte. Da, im letzten Augenblicke, ab man den Kampf schon ytx- 
loren gab und die gräflichen Streiter im Bcgriif waren, das Feld zu räumen, erschien 
UDerwartete Hülfe. Als nämlich die Einwohner von Ober- und Untergebra vernahmen, 
m welch schlimmer Lage sich ihr Herr, der Graf von Lohra, befinde, eilten sie in 
hellen Haufen mit Wehr und Waffen herbei, stür/tcn sich mit Ungestüm auf den 
Feind uml trieben ihn bis Keula /uriick. Aus Dankbarkeit schenkten ihnen der Graf 
den auf der Hainleite gelegenen Wald, den sie noch heute besitzen. — Nach einer 
«ndem Überlieferung soll diie Grttfin Adelheid oder Laura die Gebeiin gewesen sein. 
In Wirklichkeit ist aber der Wald kein Geschenk, sondern ein altes Erbe der Väter. 

12. Der Xitter Reinhard. In früheren Zeiten stand anf dem sa Untergebra gehö- 
rigen Reinhardsberge eine stolze Burg, die dem Ritter Reinhard gehörte I c k lag 
in bestandiger Fehde mit dem benachbarten Lohraischen Cirafen, weil ihm dieser 
die Hand seiner Tochter Adelheid verweigert hatte. Da niemand vor dem Störenfried 
seines Lebens sicher war, verbanden sich viele Ritter und Herren, erstürmten die Bnrg 
und machten sie der Erde },'leich. Der Weinkeller des Ritters befand sich unter der 
Burg, während sein Weinberg am Rotheu Üwcr lag. 

Als Überrest der Ritterburg gilt noch eine etwa */9 Morgen umbssende Umwallung 
auf der Spitze dt s Bernes. TMe rmwalhinf; hat jedoch mit einer mittelalterlichen Burg 
nichts SU thun, sondern ist eine vorhistorische Wallburg, deren Entstehung vielleicht 
m die Zdt des Heilandes surttckreicbt. 

Am Keinhardsberge und in dessen Umgebung sind verschiedentlich alte Wftffeu« 
stficke, als Lanzenspitzen, Sporen, Dolche, Messer etc. gefunden worden. 

13. yakoll Immernüchttrn. An dem Abhänge des bei Sollstedt gelegenen Katzensteins 
befindet sich eine Hub]»- w welcher der Räuber Jakcib Iininerniichtcrn lange Zeit 
gehaust haben soll. Sie war früher sehr geräumig, ist aber jetzt grosstentheib mit 
Laub und Erde ar^eMllt. Das Versteck war gflnstig gelegen. Denn bei einem über- 
falle konnte sein Bewohner nach verschiedenen Seiten hin freien Ausp;anp gewinnen. 
Wurde ein Angriff von oben herab versucht, so stand ihm das Thal offen, während im 
umgekekrten Falle die Ebene der Hdnleite unschwer su erreichen war. Ausserdem 
gewährte die Höhle einen freien Überblick über die vorüberfühl ende Heerstrasse. 

Immemüchtern hatte es bei seinen Raubzügen hauptsächlich auf die grösseren 
llausthierc abgesehen. In dunkler Nacht, am liebsten beim Sturm und Wetter, pflegte 
er mit seinen. Diebsgesellen die umliegenden Gehöfte heimzusuchen. Weder Pferde 
noch Kühe waren in ihren Verstecken sicher, mochten sie auch noch so fest ver- 
wahrt sein. Die geraubten Kühe pflegte er in eine nahe bei Gcrterodc gelegenen 
Höhle zu bringen, die noch heute Immemachterens Kuhstall genannt wird. Die 
Pferde, als den wertvolleren Besitz, verbarg er in der Höhle am Katzensteine. Das 

war sein Pferdestall. 

Dabei beging er die Vorsicht, den Pferden die Hufe verkehrt anfimadilagen. Wurde 
seine Spur bis zur Höhle verfolgt, ><> nuisste man glauben, er habe sie verlassen; 
entfernte er sich daraus, so wiesen die Spuren hinein. 

Aber nicht nur Pferde und Kühe, auch die Güter, welche der Kaufmann auf der 
Strasse transportirte, waren Gegenstände seiner Diebsgier. Ein sehr lebhafter Verkehr 
bewecjte sich zu iencr /dt auf der durch das ohcrc Wipperthal ziehenden Heerstrasse, 
auf welcher die Waren von Braunschweig über Duderstadt, Worbis durch den Pass 
bd Lohra nach Erfurt geftthrt wurden. Um die ÜberfiUle auf dieselben recht sieher 
ausführen können. Icf^e er auf dem Reinhardskopfe eine Schanze an, von welcher 
aus er die arglos ankommenden Kaufleute beraubte. Die gestohlenen Gegenstände 
worden in der Feme wieder verkauft. 



12. Der Ritter Reinhard, Ein sagenhafter Niederschlag der Ritterzeit, vor allen 
Bingen der spätem, verwilderten Epoche. 

13. "yahoh Int>iu-> nuihtcrn. Kine Räubersage mit meist alllickanntcn Ausschmück- 
kungen. Über verkehrt aufgeschlagene Hufeisen vergl. man Schell, Bergische .Sagen, 
S. 565, Anmerkung 4. Der Umstand, dass Räuber Armen Wohlthaten erweisen, ist ein 
ständiges Requisit der Räubersagen, welches bis zur Neuzeit beibehalten wurde. 




I 



128 

Die zahlreichen Diebstähle machtea in der Umgegend böses Blut. Man gab sich 
grbsste Mflhe, den IHeb xii fangen, doch umsonct! Glaubte man, ihn an diesem Orte 
sicher zu erwischen, so raubte er einen entfernten Bauernhof aus. Alle Nachstellungen 
waren vergebens. Niemand kam auf dem Gedanken, dass lauuernüchtcrn der Gesuchte 
sei. Derselbe wusste sich im täglichen Verkehr den Anschein eines braven, redlichen 
Mannes zu geben. Des Sonntags besuchte er regelmässig die Kirche und erwies den 
Armen Wohlthaten, sobald er sicher war, dass sie bekannt würden. Endlich aber 
wurde der geheimnisvolle ÜbelthSter ergri&n. Die ganze Bauernschaft der umliegen- 
den Dürfer bewaffnete sich nun und umstellte des Nachts den Wald, in dem er sldi 
versteckt hatte. Nachdem man stundenlang mit Faekeln gesucht hatte, vernahm man 
beim ersten Hahnenschrei das Wiehern seines Rosses, auf dem der Gesuchte davon 
reiten wollte. Augenblicklich entsfiann sich ein harter Kampf, In welchem das Diebs* 
geliebter nach harter Gegenwehr endlich besiegt wurde. Tmmernüchtern saink, von 
einem wuchtigen Keulenschlage getroffen, mit den Worten: „Ich komme nächstens 
wieder** tot vom Kerde. 

Noch heute hdsst die Muttor ihten liederlichen Jungen einen Immemflehtem. 

14. Der Sehatg unter der heilen Klippe. An den Abhängen der Hainleite hütete 
vor Zelten ein schmucker Schäferbursche aus Untergebra in aller Einfalt und Treue 
die ihm anvertraute Herde. Eines Nachts nun, als er längst die müden Glieder auf 
seinen Lager hingestreckt hatte und bereits in tiefen Schlummer versunken war, 
wurde er plötzlich auf seltsame Weise aus seinen fnedlichen Träumen erweckt. Die 
Gräfin Adelheid von Lohra, angethan mit fahlem, seidenem Gewände und das Antlitz 
mit einem schwarzen Schleier verhüllt, erschien dem erschrockenen Schäfer und for- 
derte ihn auf, einen unter der hellen Klippe verborgen liegenden Scltatz zu heben. 
Sie sei dahin verbannt, und nur die freiwillige That eines keuschen Jünglings vermöge 
den Bann zu lösen. Er brauche sich nicht von ihr zu fürchten, denn auch seine 
Hunde hätten keine Scheu gezeigt und sie ungehindert passieren lassen. Dem Schäfer, 
der ob dieser Erscheinung vor Staunen und Angst nicht wusste, wie ilun wsr, 
schien solches Unterfangen trotz des verheissenen Lohnes doch allzu gewagt; mit 
alier Kraft sich vuu äciucm Lager erhebend, lehnte er mit kurzen Worten seine Hülfe 
entschieden ab. Darauf verschwand die Gräfin. Noch zweimal kam ste wieder und 
bat in immer dringlicherer Weise um Beistand. Da jedoch der Schäfer c-itschlossen 
war, das Wagstück nicht auszuführen und ihm der nächtliche Besuch immer unheim- 
licher wurde, entfernte er sich aus der . Gegend und suchte einen Dienst an einem 
andern Orte. 

15. Der Sekatugräher^ An einem schSnen Sommertagc ging ein Knabe von Lohra 
auf den nahe gelegenen Reinhardsberg, um Erdbeeren zu suchen. Da trat ihm plöts^ 
lieh ein fremder Mann entgegen, der sich nach dem dort früher befindlichen Brunnen 
erkundigte. Bereitwillig lühile ihn der Kuabc dahin. Erfreut darüber, lud der Fremde 
ihn ein, - fibers Jahr, doch genau um dieselbe Stunde, wieder an Ort zu ^elle sn 
kommen, dann solle er sein Lohn empfangen. Nachdem der Knabe noch gesehen, dass 
sich der Unbekannte an einen um einen Baum gebundenen Stricke in den Brunnen 
hinab gelassen hatte, eilte er nach Hause und theilte seinen Eltern das Eflehniss 
mit Diese merkten sich sorgKltig Tag und Stande, damit der Knabe anr rechten 



14. Der Schatz unier der hellen Klippe. Eine etwas abgeblasste Form des sehr 
verbreiteten Sagen von den Schatzjungfrauen. Man vergl. Simrock, Handbuch, 
S. 356; Lymker, Hessische Sagen, N«. 128. 

15. Der Schatzgräber. Vonhun (Sagen 16) erklärt wohl mit Recht die Venediger 
trotz ihres nebeln, der Lagunenstadt entlehnten Namens für verkappte germanische 
Zwerge (man ver^. auch Zingerle, Sagen 70). Die Sinnen von den Venedigein 
haften fast ausschliesslich in Tyrol. Der Brunnen ist für den Venediger nur der Ein- 
gang zum unterirdischen Reiche. Er ist aber fremd am Harz und bedarf darum der 
menschllelien Ftthraag. Eine grosse Rdhe sicilianiseher Itirehen von L. Gonaen* 
bach nebst den betreffenden Anmerkungen von R. Köhler verdienen bei dieser 
Si^e Beachtung. 



...... ^le 



129 



Zeil der versprochenen Lohn holen könne. Als das Jahr um war und die erwartete 
Stunde nahte, eiliob sich ein heftiges, von Sturm und Regen begleitetes (iewitter, das 
den ganzen Tag anhielt. Da es dem Kji:ii>en unter diesen I mständen nictil inuglich 
war, auf den Berg zu geben, uateruahm er den Gang am folgenden Tage, fand aber 
Statt des Fremden nur einen Zettel, auf den die Worte standen: »Ich bin festem 
zur beistimmten Stunde hier gewesen; warum bist da nicht gekommen ) Dein Lohn ist 
aun verfalleri." 

Bin Sojahriger Mann aas Gebra theilte mir vor längerer Zeit mit, dass sehk Vater 

am Ausgänge des vorigen Jahrhunderts noch einen Schat/'graI)crT einen „Venediger", 
auf dem Reinhardsberge gesehen habe, der sich vermittelst eines Strickes in den ehe- 
mals dort befindlichen, jetzt aber verschütteten Brunnen hinab gelassen habe. 

16. Po Schatz auf dem Ri-inhai a'.d-opfi-. An einem sonnigen Herbsttage ging ein 
Eänwühner von i.ohra auf den Reiuhaidskopf, um trockQei> Laub zur Streu fUr seine 
Ziege zu holen. Wie er eben beschäftigt ist, das Laub aus dem Gebüsch so haifeen, 
bemerkt er mit erstaunen, dass eine Frau, in eigenthümlicher alter Tracht auf einem 
nahe liegenden freien Platze emsig Heu wendet. War ihm schon aufTäUig, dass die 
Frau an diesem Orte henete, wo doch niemals Heu gewonnen wurde, so war es die 
Person in ihrer schweigsamen Geschäftigkeit niich viel mehr. Furcht und Entsetzen 
ergriff ihn, und er eilte in voller Hast den Bcfg hinab seiner Wohnun]|' zu. Sogleich 
Üieilte er seiner Frau das Erlebniss mit. Doch diese glaubte ihm nicht und schalt 
ihn atts, dass er die Zeit unnütz v ibr.icht habe. Auf ihr Zureden ging er am fol- 
genden Tage auf den Berg, um da-. \'ersäumte nach/uhulcn. \) -rh V unn hat er zu 
harken begonnen, als die seltsame l'rau wieder cr.<.chuint. Zum z^wciteuiuaie ergriff er 
die Flucht. Als ihm seine Frau auch diesmal keinen Glauben schenkt, vertraut er 
sich einem Freunde an, die ihm den Rath gicbt, die Person nach ihrem Begehr zu 
in^pssi. Diesen Rath führte er auch aus, als er sie am dritten Tage wieder erblickt. 
Darauf erklärte sie, dass sie erschienen sei, ihm einen Schate su zeigen, der unter 
einer nahen Buclie vergraben liege; er könne üin ohne (lefalir heben. Damit ver- 
schwand sie für immer. Zutraulich berichtete der Mann seinem Freunde den Verlauf 
der Sache. Dieser ging in der Nacht mn die bcMichnete Stelle und hob den Schatz, 
wodurch er sehr ifidt wurde. 

17. Aus neuerer Z.eii. Im Somraei des Jahres 1853 arbeiteten drei aus Niedergebra 
^bürtige Mtthlbauer, Karl Hause, und die Gebrüder Karl und Friedrich Ackermann^ 
in der an den Austrut gelegenen Thalmühle rw Silberhauseu. Bei der weiten Entfer- 
nung war es nicht gut möglich, allabendlich den Heimweg anzutreten, und so gingen 
iä/t Männer nur jeden Sonnabend nach Hause, um wenigstens den Sonntag bei den 

Ihrigen verbringen zu können. 

So hatten die drei an einem schönen Sommerabend nach vollbrachtem Tagwerk 
wiederum gemeinschaftlich d«i Heimweg angetreten. Unter munteren Gesprächen 
hatte man bald das zum ( 'rebraischen Gefolge gehörige Mackcnhagen erreicht und 
darchschnitt nun ohne I' i 1 die schattige Waldung, um noch bei hellem S nnenschein 
den Abstieg vom Berge /u erreichen. Da plötzlich blieb Haasc, der voran ging, wie 
festgebannt auf dem Wege stehen, unverwandten KUckes das vor ihm befindliche 
Gesträuch anstarrend. .Auf den Zuruf der Begleiter, doch vorwärts ni gehen, braclitc 
jener mit ängstlichen Gebärden nur die Worte hervor: »Die Frau, eine Frau, sa&s 
doch, wdsse Hemd&rmel, schwarser Kopftuch und strickt rasend schnell; o, wie sie 



t6. Der Schatz auf dem Reinhard l> ff-:. Man vergl. die Bemerkungen zu N". 14. 

17. Aus neuerer Zeit. Im Norden zog man um dünne Haselstäbe heilige Schnüre 
(vfibünd); man vergl. Rechts- Altertümer 182, 203, Sic. Diese ThaUache erinnert an 
den dünnen Seidenfaden der beiden Rosedgirten» Die seltsame Frau erscheint als 
Hüterin des althcldnischen Waldheiligtums, repräsentiert durch die Haselstunde. Ihr 
Stricken weist deutlich auf die schützende Einfriedigung hin. Man vergl. Simrock, 
Handbuch, S. $14; die Abhandlung »Der beende Faden" in F. Liebrecht, Zur 
Volkskunde, S. 305 ff. Avch der Name ,Markenhegen" und die Tracht der Frau 
verdienen Beachtung. 



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I30 

mich anstarrt!" Die Freunde, über dca uiiheimlicheu Zwischenfall bestürzt, obschon 
sie nichts erblickten, traten näher herzu und ttherzeugten sich, dass kein lebendes 
Wesen im Busche war. Nachdem man sich vom ersten Schreck einigermassen erholt^ 
beschwichtigte einer den andern, so gut er dies vermochte, und bald schritten alle 
drei schweigend nebeneinander, bis der Anblick des heimatlichen Dorfes das Baad 
der Zunge wieder löste. 

Einige Zeit nach diesem Vorfalle ging Haase denselben Weg, jedoch für diesmal 
allein. Im Mackenhagen angelangt, fiel Dim eine schlanke Haselnussgerte auf. Kxm 
entschlossen, steckt er sein Richtscheit, das er bei sich führte, in den Boden und 
begann sie it^7i5srhneiden. Kaum, dass er damit angefangen hatte, so stand auch jene 
rätselhafte !> raucugestalt wieder vor ihm, aucli diesmal mit geisterhafter Geschwindig- 
keit die Stricknadeln hörbar bewegend. Zu Tode erschrocken, ergriff Haa&e das 
Richtscheit und eilte von dennen, von der gespenstischen Frau verfolgt. F.r-,t auf 
der Schneide des Berges war er allein. Von diesem Tage an betrat er jenen Weg 
nicht wieder. 

Bei der Wahrheitsliebe und ernsten Natur Haases ist jeder Zweifel an dessen Aus- 
sage ausgeschlossen, kann auch was den ersten Vorfall anbetrifft, von dem noch 
lebenden Karl Ackermann beietigt werden. 

18. Das Schloss Sihirmer. An den südlichen Grenze des fiebraischen Gcmeinde- 
waldes stand früher ein kleines Dorf, da^ etwa ums Jahr 1500 wüst geworden ist 
Wir wissen von dem Dörfchen nur, dass es eine Kirche hatte. Die Ursache seines 
Verschwinden? ist nur gänzlich unbekannt. Der Ort hiess Schierenberg, was im 
Volksmunde bchirmer lautete. Die Sage erzählt von einem prächtigen Schloss, das im 
Orte Schimer gestanden hat. Seine Bewohner lebten in Sans und Braus, bis ein 
starkes Gewitter das stolse Schloss verwfistete und seine gotdosen Bewohner tötete. 

19. Der Mann ohne Kopf, Zu Anfang diese« Jahrhunderts wohnte auf dem 
Blauen Hofe in Niedergci>ra der Amtmann Hauenschild, ein gar stolzer und gestrenger 
Herr. Auf dessen \'eranlassung miisste der Nachtwächter des Dorfes die Stunde auch 
vor dem Herrenhause abrufen. Als dies wieder einmal geschah und Mitternacht heran 
nahte, — es war in der Adventszeit — sah der Wächter von den Ställen her einen 
grünen Mann auf sich zukommen. In der Meinung, es sei der ihm befreundete Knecht 
Neithardt, ruft er: „Neithardt, bist du es?" Als er aber auf mehrmaliges AnrufcB 
keine Antwort erhält, beobachtet er die Gestalt schfirfer und sieht mit Schrecken, dsss 
ihr der Kopf fehlt. Doch verlor er den Muth nicht, sondern griff herzhaft nach 
seinem Spiesse und stach darnach, traf aber nur eine leere Stelle. Am andern Morgen 
meldete er dem Herrn, was vorgefallen war. Dieser befahl, ihn auf der Stelle zu be* 
nachrichtigen, falls sich das Gespenst noch einmal zeigen sollte. In der folgenden 
Nacht, als oben von den Kirchturme die 12. Stunde ertönte, erschien der Graue wie- 
der. Sobald der Wächter den Amtmann davon in Kenntniss gesetzt hatte, erschien 
dieser mit einem gelade) i i ' lewehr am Fenster* Auf seinen Zuruf musste der Nacht» 
Wächter bei seit treten. Kaum war das geschehen, so krachte auch der Schuss, ohne 
jedoch getroffen zu haben. 

Am folgenden Tage und swar am hellen Mittage erscheint der Graue nun dritten- 
male und nimmt seinen Weg gerade ins Herrenhaus. Nachdem er dreimal angeklopft 
hat, tritt er ins Zimmer, in dem sich Hauenschild befindet. Das Gespenst umfasst 
ihn, kneift und drtlckt ihn der Art, dass er von Schreck und Schmerz augenblicklieh 
seinen Geist aufgiebt. An seinem Körper fand die Todtenfrau überall Spuren von 
Fingern und Nägeln, so dass sie es für ratsam hielt, die Leiche nicht mit einem 
Totenhemd zu bekleiden, sondern das alte Hemd am Körper zu lassen. 

Thatsache ist, dass Hauenschild, der ums Jahr 1820 starb, ganz plötzlich s«neD 



18. Das Schloss Sekirmer. Allem Anschein nach ein dürftiger Rest der vielseitigen 
Sagen von versunkenen Orten, namentlich Burgen. Man vergl. Schell, Beimische 
Sagen IX, 57 nebst Anmerkung. 

19. Der Man» ohne Kopf. Eine natttrliche Dentin^ der Sage ist so leidit, dass 
sie hier nicht versucht zu werden braucht. Man vergL u. And. Schambach' Müller 
NO. 217— 220 j ür-QueU IV, 8, V, 78. 



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131 

Geist aufgegeben hat. £s ist ferner wahr, dass die Totenfrau viele blaue Flecke an 
der Leiche gefimden hat. 

20. Der nächtlkhe Kobold. Der Futterknecht Gottfried Aderhaid in Niedergebra 
kam aD eiaem mundhellen Herbstabeud dei Jahres 1830 von einem Besuche zurück, 
den er seinem Freunde im Dorfe gemacht hatte. Sofort begab er sich zu Bett, das 
in einem zum Blaueu Hofe gehörigen Stalle stand. Kr hatte nur kurze Zelt gelegen, 
als die Pferde unruhig wurden und wild an den Ketten rissen. Da sah Aderhaid denn 
im Scheine des Mondes ein rauh behaartes Tier von biannw Farbe auf der Krippe 
cinherschreiten, das die Richtung auf sein Bett nahm. Die Haare standen ihm zu 
Beige, als sich der unheimliche Gast auf ihn legte. Er wollte schreien, konnte aber 
nur ichsen und stöhnen unter der unerträglichen Bddem m ung. Nach einher Zeit 
entfernte sich die Gestalt, kam aber schon am fol^okden Abende wieder. Dann blieb 
sie ganz aus, 

21. Ein Vor spuk. Vor etwa 70 Jahren plünderten eines Abends mehrere Burschen 
einen Birnbaum des Pfarrgartens. Wie sie wieder von dem Baume herunter klettern 
wollen, gewahren sie zu ihrem Schreck einen Leichenzug, der sich lang!>am im Garleu 
Üntbewegt. Kurze 2Seit darauf starb ehier der Thdlnehmer. 

22. Die Zehntdörfer, Wie bei Niedergebra so stehen auch bei den meisten andern 
benachbarten Dörfern steinerne Kreuse. Auf meine Frage über den Grand dieser 

Ers heinung erwiderte mir kürzlich ein alter Mann Folgendes; Die Kreuze bezeichnen 
die sogen. Zehntdörfer, welche dem Grafen von Ilohnstein den 10. Teil des Getreides 
alljihilich entrichten massten. Im Herbste schickte der Graf seine Wagen aus, um 
die Frftchte abholen sn lassen. Die Kreuze waren gesetzt worden, damit die Fuhr'* 

leute die Zehntdörfer von den andern unterscheiden konnten. 

Die gewöhnliche Deutung der sieiuurnc Kreuze ist jedoch die, dass man sagt, 
Bonifwil» habe solche an die Orte gesetzt, an denen er gepredigt habe. Diese An- 
gaben entsprechen indessen den Thatsachen nicht. Fs sind einfache Mordkreuze, die 
der Mörder zur Sühne seiner That musste setzen lassen. 

23. Die verstopfte Quellt'. Die Quelle des Sülzenbaches soll mit einer seidenen 
Jacke verstopft sein. Wer diese herauszieht, bringt grosses Unglück über das Dorf, 
denn eine ungdieuere Überschwemmung wird erfolgen, und das Dorf in ihren 
Finten b^raben. 

24. Stippehtn in Niedergebra. Vor mehr als 100 Jahren wohnte in Gebra ein Ehe- 
paar, das nicht einmal soviel besass, um sich täglich satt essen zu können. Alle 
Mühe und Arbeit war umsonst, die Notli blieb immer dieselbe. An die Nachbarn 
mochten sich die Leute nicht um Hülfe wenden, denn sie scheuten die üble Nach- 

20. Der nächtliche Kobold. Eine Mahrlensage. Über die Mahrt, und die ihr ver- 
wandten Wesen verbreitet sich u. And. Simrock, Handbuch, S. 438; man vergl. 
femer Grimm, D. Myth., S. 41 1 (f.; Ba r t s c h I, 2515 Schell, Beimische Sagen 
VI, 233 mit Anmerkung; Gonzenbach, Sicilian. Märchen II, S. 22. 

21. Ein Verspuk. Derartige Züge dUrfen mit Recht den Sagen sugezMhlt werden. 
Man vergl. Zimmerische Chronik II. 131. 

23. Dit verstopfte Quelle. Zur Erläuterung dieser Sage vermag ich vorläufig nur auf 
Simrock, Handbuch, S. 475/6 und Grimm, D. Mykologie, S. 550 fr. zu verweisen. 

24. Steppchen in Niedergebra. Diese wertvolle Sage führt den von Stephan 
(vergl. dazu die gegensätzliche Meinung von Grimm, D. Myth., S. 965) abgeleiteten 
Namen Steppchen (auch Stepche, Stepke) für Dräk auf. Unverkennbar ist der Über- 
gang des Drak zum Teufel hier zum Ausdruck gebracht, namentlich dadurch, dass 
man ihn zu einem Bündnis zwingen kann (man vergl. Simrock, Handbuch, S. 458/9). 
Die Beziehungen Steppchen zu Ullrich vermag ich mcht anzudeuten. In mythischer 
Benehnng sd daran erinnert, dass es ein Birnbaum ist, der auf dem Wolserfelde 
steht. Man vergL Gonsenbach, Sicil. Märchen II, S. 22; Schambach- Maller 
N«. iS2, 184. 

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132 



rede. Auf die Dauer jedoch besagte diese Lage weder dem Manne noch der Frau. 
Als daher letztere den Vorschlag machte, Steppchen in das Haus einzuladen, um sich 
mit dessen Hülfe bessere Tage zu verschaffen, war der Mann damit elnvoistanden, 
und schon in der nächsten Nacht stand er unter einem alten Birnbäume im Garten, 
warf ein Messer dreimal in die Iluhe und rief den Namen „Ulrich" laut in die 
nichdiche Stille hinaus. FlötiUeh entstand ein gewaltiges Sausen und Brausen in der 
Luft, und der Geiufene stand unter dem Baume. Auf die Frage nach seinem Begehren 
erwiderte der Mann, da&s er jetzt genug gehungert habe und Hülfe von ihm erwarte. 
Diese verspracli Steppchen auch, wenn er ihm seine Seele verschreiben woHe. Der 
Pakt war beiderseits bald geschlossen und der Gast zog Ins TTaus. Hatte vorher die 
Armuth aus allen Ecken herausgeschaut, so sah man bald Wohlstand einziehen. In 
Küche und Keller häuften sich iSlerld LebenmütteL nm den Icommenden Tagen mit 
Ruhe entgegen sehen zu können. Wollte die Fnit nische Butter haben, so setzte sie 
sich mit einer leeren Schüssel nnter den Birnbaum und qui-^lf" darin, und im Nu war 
die gewünschte Butter da. Regnete es, so begab sich die hrau in den Stall und 
wiederholte dasselbe Manöver. War es Zeit zum Mittagessai, so klopfte man an den 
Ofen und erbat sich eine beliebige Speise, .^m Sonntage setzte es gewöhnlich Klös^e 
mit Hotzeln. Letztere waren eigentlich nur Mäuse, aber sie schmeckten so köstlich, 
dass man sie fiir das schönste Obst hielt. Suchte die Frau auf dem Felde Futter für 
die Ziege, so ging sie auf den ersten besten Acker und nahm, was sie brauchte. 
Ertappt konnte sie von den Eigenthümem nicht werden, denn sie besass die Gabe, 
sich nnsiditbar zu machen, und diese Uniicbibnilceit erlangte sie dadurch, dass sie 
drei Knoten ins Taschentuch knUfifte. Wir Steppchen übler Laune, so machte er 
allerlei Rumor im Hause. Dann klang es vom Hausboden herunter, als wenn fort- 
während grosse Ketten über den Fussbodeu geschleift wurden, oder als ob trocknes 
Laub auf das Dach rieselte. ^ erliess er das Haus, so kehrte er nachts in Gestalt 
einer Feuerkugel wieder ins Haus zurück. Nach einer Reihe von Jahren, in denen 
der häusliche Wohlstand sichtlich zugenommen hatte, suchten die Eheleute den all- 
mählich recht unbequem gewordenen Gast 'vrieder loszuwerden. Sie streuten Erbsen 
auf den Hausbodcn und hingen an allen Ecken und Kanten Dill auf, dessen Geruch 
ihm arg zuwider war. Längere Zeit schienen diese Mittel ihren Zweck zu verfehlen, 
endlich aber vediess Steppchen, der fortwlhrenden Belästigungen müde, die undanic« 
baren Leute, die schon nach kurzer Zeit wieder so arm waren, wie sie vorher gewe- 
sen waren* 



Sagen von der Burg Lohra (Grafschaft IJohnsteinJ, Die Burg Lohra liegt auf 
einem Bergvorsprunge der Hunleite. Ehemals war sie der Sitz des I^astengeseUeehts 

der lohraischen und später der hohnsteinschen Grafen, bis i\\c-c T;^f)3 ausstarlien. 
Jetzt wird die alte Vestc von einem Pächter bewohnt. Die Sage erzählt von der Burg 
Folgendes: 

1. Die Riesen erbauen die Burg Lohra. Auf dem Berge auf welchem Lohra liegt, 
hausten vor Zeiten Riesen. Es gefiel ihnen hier so wohl, dass sie beschlossen, da- 
selbst eine Burg zu erbauen. Diesen Entschluss führten sie auch bald aus und nann- 
ten die Burg nach einer schönen Ricsentochter „Lohra". Während des Baues kam es 
aber zwischen ihnen zu einem heftigen Kampfe, wobei soviel Blut vergossen wurde, 
dass es an der Buigmauer hexabfloss. Noch heute soU das Blut an der nördlichen 
Mauer sichtbar sein. 



I. Die Riesen erbauen die Bur-^ Lohra. Besondei-s charakteristische Zuge fehlen 
dieser Bergriesen-Sage. So wohnen sie z. B. meistens in Erdhöhlen, wenn auch in der 
durch Chamisso's poetische Bearbeitung allgemein bekannt gewordenen Sage von der 
Burg Niedeck die B^[riesen ein Schloss bewohnen. Der berichtete Kampf entspricht 
mehr ihrer innersten ungestümen Natur. 



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a. Das eingemauerte Kind auf Lohra. Am Fusse des Burgberges steht auf einem 
kaum mehr erkeanbarcn Grabhügel ein aus rotem Sandfelsen gehauener Gedenkstein. 
An diesen Stein knüpft das Volk folgende Sage: Bei Erbauung des Hauptturmes auf 
der Burir Lohra tnicjs sich dass allemal über Nacht einstürzte, was am Tacfe zuvor 
mit Fkish und Muhe war aufgebaut worden. Doch wusste niemand von dem unge- 
wöhnlichen Vorgange mehr zu sagen, als was sich dem Auge aller an Ort und Stelle 
täglich bot. Den Werklenten aber wollte schier die Lust vergehen, weiter su schaffen, 
was sichtlich keinen Bestand gewinnen sollte. 

Nun wohnte in der Nahe ein alter Meister,' der bei Alt und Jung hoch angesd^ 
war, weil wohl erfahren in allen Nöten des Trebens. Zu dem y'ing man, sich Rats 
erbittend. Von ihm erfuhr man, dass hier der Teufel seine Spiel treibe und dass die 
Foitf&hrung des Baues nur dann gesichert sei, wenn ein unschuldiges Kind mit ein- 
gemauert würde. Sogleich brachte man diese Kunde vor den Grafen von Lohra, der 
Geld über Geld bot, ein Opfer für den ersehnten Turmbau zu gewinnen. Allein, 
soviel man auch fragte und forschte, in weiter Runde war kein Mutterherz zu finden, 
das seines Kindes Leben für noch so vieles Geld hätte opfern wollen. 

Woche auf Woche, Monde auf Monde verstrichen. Schon glaubte man die Wieder- 
aufnahme des Baues für immer preisgegeben. Da eines iages sprach auf Luhra ein 
von Hanger und Kummer abgebänntes Weib vor um ein Almosen für sich und sein 
Kind, das es in den Armen trug bittend. Der Graf, statt durch eine Gabe die Not 
der Frau zu lindern, nützte unbarmherzig deren Elend aus, indem er sie zu bereden 
sochte, ihm ihr Kind ittr Geld zu fiberlassen. Die bittere Not machte die Frau 
zaghaft und Hess sie für einen Augenblick wie nicht ungewillt erscheinen. Ein 
Haufe blanken Silbergeldes ward von den Augen der Erschrockenen ausgeschüttet, 
doch zögernd trat sie zurück. Unwillig schlug der Graf auf den Tisch, kurzen Ent> 
scheid fordernd, ob Geld oder Kind! Da liess sich die schwache Frau bethören — 
und schlnss den armseligen Handel ab. Hastig Strich sie das Geld in die Schürze und 
verliess erregten Herzens die 15urg. 

Rüstig nahmen nun die P>auleute das Werk wieder in Angriff. Sogleich richtete 
man ein viereckiges I,och her, legte das Kind hinein und vermauerte es, nachdem 
man ihm noch eine Semmel in das Händchen gegeben hatte. Eine weisse Taube 
brachte ihm dann durdi ein in der Mauer befin&ches Loch tügllch etwas Nahrang. 
Dieses merkend, verschlossen die harten Menschen die Stätte, und Ruf und Kind 
erstarben gar bald. Von nun an nahm der Bau seinen ungestörten Fortgang und 
wurde ohne Unfall beendet. 

Nur kurze Zeit hatte der Glanz des Geldes das],Mutterherz bethört. Je weiter sich 
die Arme von der Burg entfernte, desto mehr gedachte sie ihres Kindes. Mit einem 
wilden Fluche warf sie die Silberstücke von sich und stürzte auf der Stelle, auf der 
»cb später ein steinernes Denkmal erhob, entseelt 7u Boden. 

Als der .\mtmann Smalian 1780 den C 100 Fuss hohen Turm wegen BaufrilliL'koit 
bis zur Hälfte abtragen Hess, will man in der Mauer ein Kinderskelett uebsl ciuei 
Schrift gefunden haben, aus der zu ersehen gewesen, dass die Mutter des Kindes eine 
gebofene Schrecke aus Niedergebra sei. 

3. Der Ritt auf der Bergmauer. Die Grifin Adelheid von Lohra hatte ihren Vater 



2. Das eingeptauerie Kind auf Lohra. Die vielfach auftretende Sage von der Ein- 
mauerung eines Kindes bertthrt sich in den wesentlichsten Punkten mit den Sagen, 
in welchen der Teufel einen Bau (selbst Kirchen) ausführt, dafür aber eine Seele 
verlangt. Man vergl. dazu Schell, Bergische Sagen XI, 23 mit den reichen Quellen- 
nachweisen. Über Einmauern von Tieren und Kindern handelt Grimm, D. Myth. 
S. 1095. ^^^^ trefüiche Abhandlung dazu bringt ferner Fei. Liebrecht, Zur Volks- 
kunde, S. 284 ff.; man vergL noch S c h a mb ach -M ü ] 1 er N*. 6, I4, 16, «3, 24; 
Kraus s, Das Bauopfer bei den Südslaven, Wien 1SS6. 

3. Der Ritt auf der ßergnumer. Diese Sage hat sehr interessante, offenbar echt 
mythische Bezüge zum Glasberg, welcher namentlich in deutschen Märchen auftritt. 
Man vergL dazu Simrock, Handbuch, S. 49, 145, 183, 184, 428; Grimm, D. 
Myth., S. 781, 796; Sommer, 99; Mannhardt, German. Mythen, S. 330C; 
Landau, die Quellen des Dekameron, 2. Aull« S. 30, loi ; Felix Liebrecht, 
Zur Volkskunde, S. 100, 133. 



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in einer blutigen Fehde verloren. Da fasste die den Entschluss, imvermählt zu blei- 
ben, tim ihr ganzes Leben dem Aadenken ilires betss geliebten Vaters widmen nt 
können. Auf der Stelle, wo er den Tod gefuudca hatte, Hess sie ein steinernes 
Kreuz errichten, das sie täglich besuchte. In ihrem Schmerze verlor sie aber das 
Wohl ihrer Unterthanen nicht aus den Augen, sondern sucbte Not und Elend nach 
KittfteD zu lindem. So lebte sie längere 2S«it ruhig und in Frieden. Den beutegieri- 
gen Nachbarn war ein solch mildes Frauenregiment sehr willkommen : konnten sie 
doch ungestraft in der Grafschaft Lohra rauben uad plündern. Die armeu Uaterthaoen 
mnisten diesen Frevel nthig Aber sich ergehen lassen, da sie von ihrer Herrin keinen 
thatkräftigen Schutz erwarten durften. In ihrer Bedrängiilss eilten die T.cutc zur Burg 
und ßehten die Gräfin an, ihnen einen Herrn zu geben, der sie gegen die Feinde 
beschfitzen könnte. Lange weigerte sie sich; endlich aber willigte sie ein, den Wtmsdi 
zu erfüllen. Sie erklärte aber, nur den als Gemahl annehmen zu wollen, der dreimal 
die Ringmauer der Burg umritte. Schnell wurde dieser Entschluss bekannt, und es eilten 
▼ide Grafen nnd edle Herren borbei, den boben Preis zn erwerben. Nun war Lohn* 
damals eine gar prächtige Bnrg, rings von eine gläsernen Mauer umgeben. Der Ritt 
auf der hohen platten Rahn war ein gefährliches Unternehmen, wenn auf den Pferden 
gestattet war, die Mauer ohne Hufeisen zu betreten. In der Mitte des Burghofes 
wurde eine Burg erbaut, vaa welche dn Balkon angebracht war. Von hier aus sollten 
Pauken und Trompeten ertönen, wenn ein Ritter den kühnen Ritt wagte. Ein 
eichsfeldischer Ritter eröffnete den Reigen. Als er in prächtiger Rüstung erschien, 
empfing ihn lauter Zuruf der Zuschuer. Die Trompeten scbmetterten; der Ritter 
schwang sich auf sein Ross und begann das gefährliche Wagstück. 

Nur erst einige Schritte hatte das Ross gethan, als ein Vogel aus dem nahen 
Walde sich näherte. Hocbauf bäumte sich das edle Tier nnd stflrzte mit dem Reiter 
in die Tiefe. 

Voller Hoffnung bestieg der zweite Ritter die Mauer. Sein Pferd stand ruhig und 
fest. Wiederum schmetterten Pauken und Trompeten. Die ersten Zinnen waren be* 
reits umritten, da glitt das Ross anf einer spiegelglatten Marmortafel, welche die 
Gräfin heimlich hatte anbringen lassen, aus — und der kühne Reiter lag zerachmet- 

Icrl am Felsen. 

Bald meldete sich eine andere Ritter in rostiger Rüstung und mit geschlossenem 

Visir, der von einem schönen, lockigen Jüngling begleitet war. Der Ritter erbot sich 
zu dem kühnen Unternehmen, behielt sich aber im Falle des Gelingens vor, das Visir 
erst nach beendigten Ritte zu öffnen. Die Gräfin betrachtete mit Widerwillen den 
Fremden, willigte aber in dessen Begehr. Unter Trompetengeschmetter bestieg der 
Ritter $ein Ross. Rasch umritt er die ersten Zinnen, dann die folgenden und so fort 
Als er an die glatte Marmortafel kam, streute er eine Hand voH Asche darauf, ^Btt 
glücklich darüber hin und beendete die gefährliche Bahn. Zitternd vor Aufregung 
empfing ihn Adelheid, die in ihm den alten Grafen von Cletlenberg erkennte. „Nicht 
für mich," sagte der Graf, „habe ich die Ge&hr gesucht, sondern für meinen Sohn, 
den Ihr hier vor Euch seht. Nehmt ihn zu Euerem Gemahl." Mit Freuden willigte 
Adelheid ein, und bald wurde unter dem Jubel der fröhlichen Unterthanen die Hoch^ 
zeit auf Lohra in aller Pracht gefeiert. 

4. />/> z<erzauberte CrSßn. F/in junger schmucker Mofknecht, Namens Andreas, 
hörte eines Nachts seinen Namen zweimal in klagendem Tone rufen. Da er von der 
Tagesarbeit sehr ermüdet war, achtete er nicht sonderlich darauf und schlief wieder 
ein. Als sich aber in der folgenden Nacht die Stimme in noch beweglicherer Weise 
vernehmen liess, erregte es seine Aufmerksamkeit, und er fragte einen Freund, was 
der von Aia Sache denke und wie er sich dabei zu verhalten habe. IMeser bedeutete 
ihn, den Rufenden auf alle Fälle nach seinen Wünschen zu fragen. Das that er auch 
in der dritten Nacht, in der er seinen Namen wieder ganz deutlich nennen hörte. Da 
vernahm er denn, dass er mit der Gräfin Adelheid rede, welche in der Nähe der 
Bu^ und awar bei einer am Wendischen W^ befindlichen Hainbuche veifaannt 



4. IHt verzauberte Gräfin. Das viel varierte Schatzgräbersagen«Motiv ndt etvis 
anderem Aufputz. Man vergL Simrock, Handbuch, & 351, 374; Lymker, Hes» 

sische Sagen W^. 128. 



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«35 



worden sei. Dorl lagere ein schwarzer Hund, welcher einen kostbaren Schatz von 
Gold und Silber bewache. Sobald der gehoben, sei der Bann von ihr genommen. 
Ihn habe sie ausersehen, das Werk zu vollbringen. Er möge in der Mitternachtsstunde 
des dritten Tages sich bei der Hainbuche einfinden und ein rotes Tuch über den 
Hund werfen. Damit wefde ihm der Schatz zufallen und mit diesem auch ihre Hand. 
Der Knecht teilte das merkwürdige Erlebnis dem Burgborni Hiit, der ihn ermunterte, 
(las Verlangen der Gräfin zu erfüllen. Auch lieas er ihm, da er dem Burschen gewo- 
gen war, das erforderliche rote Tuch geben. 

Zur bestimmten Stunde begab sich Andreas auf den Wendischen Weg. Da sah er 
gewaltige blaue Feuerflammen aus der Erde herausschlagen und mitten drin einen 
grossen schwarzen Hund liegen, aus dessen Augen und Rachen Feuer sprühte. Sobald 
er sich dem Ungetüm näherte, das Tuch darüber su werfen, zeigte es die Zähne und 
wollte auf ihn lossprint^on. Das geschah mehrmals. Da sank dem Knechte der Mut. 
Der Angstschweiß stand auf seiner Stirn, es däuchtc ihm das Unterfixnfjcn doch j^ar 
SU gewagt. Er stand davon ab und wollte sich entfernen. Da rief es ihn wieder bei 
seinem Namen, und noch einmal wurde sein Vorsatz fttr wenige Augenblicken wan* 
kend, rasch jedoch hatte er seine Fa^isunp wieder, stand von jedem Versuche ah and 
eilte nach der Burg zurück. Noch ein Mark und Bein erschütternder Aufschrei — 
and alles war verschwunden. Kurze zeit darauf aber fand Andreas bei der Hainbuche 
seinen Tod. 

5. Deu Comtesschen auf Lohra. Das Comtesschen — so wird Gräfin Adelheid ge- 
wöhnlich genannt — waltet und schaltet seit unvordenklichen Zeiten als freundlicher 
Hausgeist auf der Bur^ Lohra. Es füttert das Vieh im Stalle, melkt die Kühe, macht 
Butter und Kase und halt auf Ordnung im Hause. Es weckt die Mägde frühzeitig 
und wehe deijenigen, die den Weckruf unbeachtet vorttber gehen lassen wollte. Das 
Comtesschen würde sie mit Ruten aus dem Bette treiben. 

Zu gewissen Zeiten erscheint es io einem fahlseidenen Kleide, mit dem Schlüssel- 
bunde an der Seite und das Gesicht mit einem weissen Schleier verhUUt. Mit Httlfe 
eines auf der Burg befindlichen Zauberbuches war es mfiglicli, das riusclhafte Wesen 
nach Belieben sichtbar zu machen. Man musste nur in dem Zauberbuche lesen und 
sofort war die Gewünschte da; las man rttck^rts, so verschwand sie wieder. Ein 
Bewohner der Burg war einst so vorwitzig., aus reiner Neugierde den Besuch der 
Ciräfin zu veranlassen. Ernsten, vorwurfsvollen Blickes stand sie i>l()tzlic]i vor ihm, 
und er fand kaum die Besonnenheit, durch Ruckwarlslcse» den unheimlichen Gast 
verschwinden zu lassen. 

Ein junger Bursche von unbescholtenem Rufe wollte das ComtcsscTicn erlösen, aber 
dass hielt ihm vor, dass er sich einmal eine Stecknadel unrechtmässig angeeignet 
habe, und so musste sein Vorhaben unausgeführt bleiben. 

.■\uf dem der Berg Lohra *^ey;cnüberliegenden ReinhardtsVicri^e blüht alle 7 J^hre 
am Johannistage von 12 — i Uhr eine blaue Blume. Wer sie findet, kann damit die 
Schatzkammer der Grafin öffnen und sich Gold und Silber nach Betie1»en aneignen. 
Veigisst er aber, die Blume wieder mitzunehmen, so ists um ihn geschehen; er muss 
dann für immer in den unterirdischen Kämen verbleiben. 

6. Der Zauba ^^ai toi. Kin Bauer aus dem unter der Burg Lohra gelegenen Dorfe 
Wenden, der Hochzeit machen wollte, suchte im Walde ein Keh zu erjagen, um es 
als Hochzeilsbraten zuzurichten. Nach langem Suchen traf er endlich eins, das er 
über Belg und Thal verfolgte, ohne es jedoch erreichen zu können. Plötzlich ver> 
schwand es in einer Felsspalte, in die auch der Bauer kurz entschlossen eintrat. 



5. Das Comti'':s<-/'tc'i auf Lohra. T^Icse Sage enthält viele Züge der guten Haus- 
geister, mutmasslich unter Anlehnung an eine wirtschaftliche, historische PersoQ. 

Der verzauberte Wesen erlösen will, mu» makellos sein; dazu vergl. man Scham> 
bach-Müller, N". 240 mit Anmcrkunt;; Firmen ich I, 332. — Die blane Blume, 
welche hier erscheint, vertritt in den Ürtsagen dif bekannte SprinRWHryel. Näheres 
sehe man in Simrock; Haiidl)uch, S. 397J Gnmm, D. Myth., .S. 924 ff. 

6. Dar Zaubergarttn, Eine etwas märchenhafte AvsschmUckung der Sagen von den 
Schatzjungfrauen, welche überall begegnen. 



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I3Ö 



Da erschieu ihm ein Zwerg, der ihn aufforderte, ihm zu seiner Gebieterin, der Gräfin 
Adelheid, welche in einem prächtigen Schlosse wohne, zu folgen. Mit Stannen und 

Bewunderung betrachtete der T?aucr den Wundergarten, in dem alle kostbaren Blumen 
und Bäume des Südens, mit den herrlichsten Früchten behangen, zu erblicken waren, 
während drausseu Eis und Schnee die Erde bedeckten. Zwischen den Beeten und 
Baumgruppen schlängelten sich soviel Wege in den mannigfaltigsten Windungen 
dahin, dass niemand ohne sichere Führung den (iarten zu durchschreiten vermochte. 
Nach mehrstündiger Wanderung erreichten die beiden die Gräfin, welche soeben mit 
goldduichwirkten Kleidern angethan aus dem Sdilosse trat. Ihre freundlichen Augen 
ruhten mit Wohlgefallen auf dem schmucken Burschen, den sie mit einer Menge 
schöner Früchte beschenkte und ersuchte, wiederzukommen, wenn er in Not gerate, 
doch mflsse er ttber den Besuch des Gartens nnverbrilchliches Stillschweigen beob- 
achten. Von dem Zwerge geleitet, kehrte der Bursche, erfreut über die seltenen 
Früchte, welche er in der Tasche trug, in seine Wohnung zurück. Wie erstaunte er 
aber, als er statt der Früchte edles Gold darin fand. 

Lange Zeit hindurch blieb er durch das kostbare Cieschenk von jeder Not geschUtit, 
als aber Sorge und Elend bei ihm einkehrten, erinnerte er sich der freundlichen 
Gräfin, ging abermals in den Wald und suchte die Felsspalte, fand sie aber nicht — 
er hatte das Geheimnis seiner Frau mitgeteilt I 

7. />/V beiden Ih iiJcr. Vor vielen Jahren lebten in der Nähe von Lohra zwei 
Brüder, die an Gesinnung sehr ungleich waren. Der ältere strebte nur nach Reichtum, 
wahrend der jüngere im häuslichen Glücke das Ziel seiner Wttnsche fand. £r hatte 
eine Braut, schön und gut, abi;r ohne alles Vermögen, weshalb der Bruder ihn auf 
alle Weise von der Geliebten abwendig zu machen suchte. 

Einst ging der jüngere Bruder in dem Walde, wdcher an der Burg Lohra nch 
hinzieht, auf und ab, als er plötzlich vor einer Felsenspaltc stand, die er noch nie 
gesehen hatte. Kr trat naher, und ehe er sie erreichte, schritt aus ihr ein niedlicher 
Zwerg heraus, der ihn mit den Worten einlud, näher zu treten : 



Überrascht folgte er dem Zwerge, der ihn vor eine Thür von glänzendem Metall 
führte. Der Führer zog einen goldenen Schlüssel hervor und öffnete sie. Der Jung- 
lii^ stand wie verzaubert, denn er schaute in einen Garten, in dem die herrlidisten 
Blumen dufteten und sich Vögel mit [^oldgrünen Schwingen auf den l^aumen wiegten 
und mit verständlicher Stimme unter einander plauderten. Der Zwerg Hess ihm aber 
nicht lange Zeit, all die Herrlichkeiten zu betrachten, sondern sehritt auf eine Rosen- 
laube zu, in der die Göttin Lohra seiner harrte. Mit freundlicher Augen betrachtete 
sie der Jüngling und reichte ihm eine dunkelblaue Blume mit den Worten : „Du liebst 
treu und aufrichtig ein armes Mädchen, du wirst von ihr wieder geliebt — hier nimm 
diese Blume und l)ewahre sie wohl; so wirst du das höchste häu.sliche Glück gcnies- 
sen. In Eintracht werdet ihr eure Tage verleben, blühende Kinder werde euch um- 
spielen, und am späten Abend eures Lebens werdet ihr vereint in das Grab sinken. 
Gehe und sei glflcklicfa." 

Der Jüngling nahm dankbar das Geschenk an und entfernte sich unter Führung 
des Zwerges aus dem Garten. ,Du betrachtest diese Früchte so neugierig," sprach 
dieser, „warte ein wenig, dass ich dir einige pflücke." Schnell waren die schönsten 
Früchte herabgeschüttelt und des Jünglings Taschen damit angefüllt, der fvoh /u sei- 
ner Geliebten eilte, .\tcmlos erzählte er ihr, was ihm begegnet sei, und da sie ihn 
ungläubig anblickte, griff er in die Tasche, um sie durch den Anblick der schönen 
Früchte zu überzeugen: aber wie erstaunten beide, als sich alles in Gold verwandelt 
hatte. Die Freude der Liebenden war ohne Grenxen. Pankbar priesen sie die 



7. Die hciih'ri Bi itder. Man vergl. hierzu die vorstehenden Anmerkungen zu N'^. 5 
und 6; ferner Schell, Bergische Sagen I, 15; Grimm, Kinder- und Hausmärchen, 
20. Aufl., S. 104; Linnig, Mythen-Märchen, S. lOofT^ Landau, Quellen des De- 
kameron, S. 1 50 : Offenbar hat unsere Sage eine starke Anleihe bei der »Fran Holle** 
unserer deutschen Märchen gemacht. 



Guter Jiingliiig, komm herein, 
nimmer soll es dich geieun ! 




137 



rcundliche Göttin, kauften sich einen schönen Bauernhof und fanden in ihrem gegen- 
seitigen Besitze den Himmel auf Erden. 

Der ältere Bruder hörte mit Verwunderung von den günstigen Umständen des jün- 
geren. Von Neugierde getrieben, machte er sich auf den Weg zu ihm. Kr fand alles 
bestätigt, was man ihm mitgeteilt hatte, und konnte sich nicht enthatten, ihn nach 
der Quelle seines Glücks zu fragen. Da die Göttin keine Verschwiegenheit verlangt 
hvtlef so konnte er alles mitteilen. Der Geldgierige horchte hoch auf und er machte 
sich sogleich aaf, den Eingang to den Berg; tu suchen. Er stand, so fögt die Sage 
hinzu, cV)cn Im BegrifT aus Nut ein altes zanksücliti^es, aber reiches Weib zu heiraten. 
Ha, dachte er, wenn dir Lohra ebenso günstig ist wie deinem Bruder, so lasse ich 
die Alte sitzen und nehme mir eine Junge! — Sorgsam forschte er nach der Hohle 
und nach langem Sachen fimd er sie denn auch. Ein hässlich gestalteter Zwerg be- 
wachte den Eingang. Auf seine Bitte erhob sich das kleine Ungetüm und führte ihn 
in den Berg hinein^ aber der Wep war so dunkel, dasis er bald zu Boden fiel. End- 
lich gelangten sie in den Oarten. und er sah bald die I^ube, in welcher die Outtin 
sass. Keck trat er vor sie hin und verbeugte sich nicht ohne Anrnut. „Elender," rief 
die Göttin, ^du wagst es, mit unreinem Herzen vor mir zu erscheinen!' Du, der du 
die heilige Liebe missbrauehst und anter ihrem Namen nur deine Geldgier befriedigen 
willst!' Du hoffst von mir Schätze zu erhalten? Auf, ihr meine licn tbaren (Icister, 
straft ihn für seinen frechen Übermut und werft ihn aus meinem Gebiete!*' Da eilten 
viele Zvretgt herbei, stiessen, schlagen und krattten ihn und warfen ihn endlich d«a 
Berg hinunter, und mit donnerühnlichem Krachen schloss sich der Eingang su der 
Höhle hinter ihm. 

Wfltend eilte der Getäuschte nach Hause und nach einigen Wochen sah er sich 
genötigt, sein altes Liebchen xu heiraten. Es war aber kein Glück in der Ehe. 
Schon in den Flitterwochen rumorte die Alte grimmiger als der Teufel, und cl.-xs er- 
hebliche Vermögen verschwand unter ihren I landen wie Wasser. Jel^l war der Mann 
inner wie vorher. Von seinem ganzen Besitztum war ihm nichts weiter übrig geblieben 
sls seine ~ Alte. C. Dnval. 

8. Dat Zatiker^h, Auf Lohra be&nd sich vormals ein seltsames Buch, in wel- 
chem für alle künftigen Zeiten festgesetzt war. wie viel Dienstleute, Gesinde und 
Pferde gehalten werden sollten, und es durfte kein Bui*gherr ohne schweren Schaden von 
dieser Bestimmung abweichen. Es war aber dieses Buch ein Zauberbach, das an 
einem geheimen Orte aufbewahrt wurde, damit es kein Uneingeweihter missbrauche. 
Ein Lohraischer Einwohner, der davon gehört halle, brannte vor Begierde, das Buch 
einmal zu sehen. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, den heimlichen 
Aufbewahrungsort zu erspähen. Eifrig begann er in dem Buche zu lesen. Kaum hatte 
er aber einige Seiten gelesen, als die Pferde im Stalle unruhig wurde, an den Ketten 
zerrten und sich wild aufbäumten. Die Burgherr, welcher der I.,ärm vernahm, erriet 
sofort, dass nur das geheimnisvolle Buch die Veranlassung dasu sein könne. Schnell 
eilte er herbei, las einige Seiten rückwärts und der Lfirm hörte auf. 

9w Der silberne Sarg. Ein Graf von Lohra hatte bei Lebzeiten einen grossen 

Reichtum an goldenen und silbernen Geräten In der Schatzkammer der Burg aufge- 
häuft. Kurz vor seinem Ende bestimmte er in einem Testamente, dass ein Teil des 
Themen Schatzes eingeschmolzen und daratts ein Sarg hergestellt würde, in dem er 
einst begraben sein wollte. Bd seinem Tode fertigte man auch den silbernen Sarg an, 
legte den toten Herrn hinein und begrub ihn unter ein Thor der Barg, wo er heute 
auch ruhen soll. 

In früheren Jahren hat man Nachgrabungen veranstaltet, aber nichts gefunden, an- 
geblich, weil man das rechte Thor nicht kennt, unter dem der Sarg ruhen soll. 

lo. Das VermäehtHis, Ein frttherer Graf von Lohra bestimmte anf seinem Toten- 



S. Das Zauteriuek. In den Grundsügen identisdi mit N<*. 5 der vorstehenden Sagen. 

9. Per silberni- Sarg. Man vergl. Schell., Bergischc Sagen IX, 45, X, 33, XllI, 31. 

10. Dm VerBüUhlnis. Der Sqgen des Wohlthuns und der Heilighaltung des Ver- 
nächtnis^ der Ahnen erscheint hier mit sagenhaftem Aufputz. 




138 



bette, da&s seine Nachfolger auf ewige Seiten verpflichtet sein sollten, zwei arme Leute 
mit Speise und Trank zu unterhalten. Segen nnd Gedeihen werde dann liir immer 

auf der Burg ruhen, während im andern Falle über die Burgbewohner wie auch über 
Haus und Hof allerlei Unglücksfälle gewisslich hereinbrechen würden. 

Getreulich erfüllten die Nachfolger den letzten Willen des Ahnherrn und alles, was 
sie unternahmen, gedieh sichtlich. Da kam ein Burgherr auf, der kehrte sich nicht 
an jene Anordnunj^, sondern «;ah in den herkümmlicheii Gaben nur eine Schädigung 
seiner Wirtschaft und erbot deren weitere Verabreichung. Wohl baten die Armen, die 
wegen ihres hohen Alten ni jedem Erwerbe unfähig waren, ihnen die bisherige 
Untcrstiirüung zu belassen, Verwandte und Freunde de; Burgherrn n-.^.chten auf die 
Folgen aufmerksam, doch alles umsonst j der Graf blieb bei seiner Weigerung. 

Die angekündigten Unglücksftlle liessen nicht auf sich warten. Im Felde trat 
Dürre und Misswachs ein; die Pferde im Stalle wurden ohne sichtbare Ursache un- 
ruhig und bäumten wild auf, so dass sie oft die Nacht über mit Schweiss bedeckt 
waren. In der Milchkammer nahm die Milch eine blaue Farbe an und wurde so zu 
jeglichem Gebrauche ungeeiget. Und nicht nur das, auch die Ruhe des Hauses erlitt 
eine bedenkliche Störung. Allnächtlich wurden die Thüren von unsichtbarer Hand 
auf- und zugeschlagen und Kisten und Kasten geöffnet. In der Schlafkammer ver- 
nahm man oft das Rauschen eines Kleides, ohne doch jemand zu erblicken. Ab der 
Graf einst um Mitternacht nach Hause kam, sah er eine seltsame Frauengestalt die 
Treppe herabkommen und in der Küche verschwinden. Das totenbleiche Gesicht der 
Fnu war von etner altertümlichen Haarfrisur umgeben, und ein seidenes, schwarees 
Kleid rauschte hörbar auf dem Fussboden, während die linke Hand viele Schlüssel 
trug, die an einem gelben Ringe befestigt, in beständiger Bewegung waren. In der 
KUche warf der unheimliche Gast das vorhandene irdene Geschirr, doch ohne Scha- 
den zu verursachen, cur Erde, schlug mit der Hand auf das in einem Fasse befind- 
liche Wasser nnd verschwand endlich durch eine Thür, die sich gerftusciüos von selbst 
öffnete. 

Alle diese Vot^nge jedoeh vermochten keine Sinnei^nderung des Herrn herbeheo- 

führcn. Die Anordnung in BctvefT der alten Leute blieb unverändert bestehen. Da 
endlich sollte sich Jene Verheissung des Ahnherrn im vollen Umfange erfüllen. Eines 
Nachts, als der Graf schlaflos auf seinem Bette lag, sah er, wie durch eine ihm gegen* 
über befindliche Thiir ein Mann kam, der ganz aus Spinngewebe zu bestehen schien, 
bis an sein Bett trat und sich über ihn streckte. Grauen und Entsetzen ergriff Um 
unter der unheimlichen Last; tags darauf verfiel er in eine heftige Krankheit, die 
r u h bald seinen Tod herbeifOhrte. Die überlebenden Bnrgbewolmer kannten gar 
wohl Ursache und Zusammenhang all der eingetretenen Unglücksfalle und liessen es 
sich daher .angelegen sein, den so schnöde vernachlässigten Bestimmungen ihres Vor- 
fahren aufs gewissenhafteste wieder nachzuleben. Spuk und Unruhe sdiwanden, und 
Wohlergehen und sorglose Freude kehrten wieder auf die Bnig ein. 

11. Der SchlangenkSnig. Im Bnrggarten zu Lohra lässt sich alle sieben Jahre ein 

Schlangcnkönig sehen, der eine goldene Krone trägt. Wer diese haben will, muss ein 
seidenes Tuch über die Schlange werfen. Die legt die Krone darauf und verschwindet 
dann für sieben Jahre. Auf der Burg soll eine solche Krone aufbewahrt werden. 

12. Der Lnchemti^. Auf dem von dem Schlosse Lohra nach Wenden führenden 
Burgstiege bewegt sich oft nachts unter Trauergesang ein Leichenzug thalabwärts, 
der von kopflosen Mitnnchen, die Lichter in den Hfinden tragen, begleitet wird. 

13. Der Schweinehirt. Ein Burgherr auf Lohia befahl seinem Schweinehirt, mit 

11. Dtr Schlangenkönig. Man vergl. Schell, Bergische Sagen VIII, 10 mit An- 
merkung, wo ausiführliche Quellennaehwdse etc^ Simrock, Handbuch, S. 503; 
Grimm, D. Myth., S. 650, 929. 

12. Der Leichenzug. Eine Variante der ungeheuer zahlreichen Sagen von kopflosen 
Geistern. Zu letztern vergl. man u. And. die Umfrage von H. F. F e i l b e r g im 4. 
und 5. Jahrgange des Ur-Quell. 

13. Der Schvtftnehirt, Eine Sage ohne tiefere Gehalt. 



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139 



der Herde nicht eher wieder zurückzukommea, bis die Sonne untergegangen sei. 
,Ei," antwortete der einftlttge Mann, ^da mag der Teufel Schweinehirt sein. Wenn 

ihr n wrl^t, Herr, so komme ich mein T.ebtig nicht wieder heim^ denn wenn die eine 
Sonne untergegangen ist, geht die andere wieder auf/' Am andern Morgen trieb er 
die Herde aber doch in den Wald und war noch dort, als der Mond schon längst 
am Himmel stand und ihn der Hunger arg plagte. In dieser verdriesslichen Stirn* 
mung traf ihn ein Riese, der in der Gegend sein Unwesen trieb. ^Nun, was machst 
du jetzt noch hier?" redete ihn der an. «Ach, ich darf nicht eher wieder heimkom- 
men, bis die Sonne untergegangen ist^ und wenn die eine verschwunden ist. geht 
die andere wieder auf." „Dummer Kerl, das ist ja der Mond ; jjeh nur getrost nach 
Hause." Darauf hin trieb er die Herde nach der Burg, wurde aber von dem Herrn 
flbd mpfangen, da dieser ihn schon lange vergeblich erwartet hatte. Als er aber von 
der Begegnung; mit dem Riesen erzählte, den er einen pressen stocksteifen Kerl 
nannte, erheiterte sich das Gesicht des Herrn wieder auf, weil sich ihm hier eine 
Gelegenheit bot, den Terhassten Riesen unschftdlich zn machen. Vertraulich legte er 
dem Hirten seine Hand auf die Schulter und sagte, dass er ihm seine einzige Tochter 
zur Frau geben wolle, wenn er den Riesen, der die Burg Lohra fortwährend drang- 
salierte, beiseit bringe. Der Schweinehirt kratzte sich verlegen hinter den Ohren, 
meinte aber doch siMiesslich, dass er die That wohl ausfuhren könne, wenn ihm die 
Jungfrau nur zum Manne nehmen wolle. Diese beruhigte ihn aber mit den Worten : 
..Was mein lieber Vater wünscht, ihue ich jeder Zeit." So zufriedengestellt überlegte 
der Schweinehirt wie er am sichersten den Riesen zu Fall bringen könne. Wenige 
Tage später fand er ihn auf der Burgmauer stehen. Geschickt trieb er seine Heerde 
in die Nähe und gab dem Kiesen einen gewaltigen Stoss in den Kücken, dass er in 
die Tiefe hinabstürzte und alle Knochen in Leibe zerbrach. Voller Freude begab er 
sich nun zu dem Burgherrn und forderte seinen Lohn. Doch der erklärte ihm rund 
heraus, dass er seine Tochter nie und nimmer bekommen könne, er bot ihm aber so- 
viel Geld, als er in der Schürze fortzutragen imstande würe. Wohl oder Übel musste 
er sich damit begnügen, bedingte sich aber den Besitz der Burg nach des Herrn Tode 
aus, was ihm der auch mit einem feierlichen Eide zusagte. Und so kam es, dass 
später ein Schweinehirt Herr auf Lohra wurde. 

14. Die Geisterkut.u he. Fin f.ohraischer Kinwohner hörte sich in verschiedenen 
Nächten .nach einander von einer ihm gänzlich fremden Stimme anrufen. Auf die i' rage 
nach dem Begehr des Rufenden wurde ihm bedeutet, sich zur Mittemacht bei der 
Cebraischen Holzecke einzufinden und der Weisungen zu harren, die ihm dort zugehen 
würden. Führe er diese stillschweigend aus, so solle ihm ein grosser Schatz von 
Gold und Silber zufallra. Der Angerufene aber fand den nächdichen Gang doch 
:illzu gewagt und bat daher einen vertrauten Freud. Ihn zu begleiten. Dieser willigte 
auch ein, und beide traten stillschweigend «u der bezeichneten Zeit den Weg nach 
der Holzecice an, sich nur durch Zeichen und Geberden verstinddgend. Als sie dne 
kurze Zeit daselbst gewartet hatten, hörten sie durch die Stille der Nacht aus der 
Feme das dumpfe Rollen einer Kutsche, die von vier kohlschwarzen Pferden gezogen, 
baldwie auf Flügeln des Sturmes getragen, an ihnen vovübereilte, ohne dass die 
Kader den Boden berührten. Gespenstisch leuchtete das falbe Mondlicht in das toten- 
bleiche Antlitz eines grossen Mannes, der regungslos in der Kutsche sass, während 
ein Kutscher von rätselhaftem Anblick wie mit Geisterhänden das Gefährt lenkte. 
Hinter dem Wagen aber pfiff und sauste es unheimlich drein, wie wenn eine zahllose 
wilde Meute lo: gelassen sei. nützlich ertönte aus dem Hrdlcnlärm eine scharfe, durch- 
dringende Stimme, welche fragte, ob dieser Weg dem Grafenschlosse von Lohra zu- 
führe. Kaum hatten jedoch die MSnner <fie Frage beantwortet, als ein furchtbarer 
Donnerschlag erfolgte, mit dem Wagen und Rosse verschwanden. Zu Tode erschrock- 
ken eilten die Männer ihren Hütten zu, ohne sich später auch nur die leisesten Vor- 
würfe darüber zu machen, durch ihre laute Antwort das ihnen zugedachte Glück ver- 
scherzt zu haben. 



14. Die Geisterkutsrhe. Man vcrgl. Schell, ßergische Sagen II, 68; III, 6; IX1 
41; XIV, S mit Anmerkung; Scham bach- M üller 227. 



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140 



15. Der nächtliche Räuber, Ein J^mdmaun aus der Umgegead vou Lohra halte 
sich an den Hnnden des Lohratschen Grafen vei^ffen und war zur Strafe dafür in 

den Tuini f^esperrt worden. Nach etlichen vergeblichen Versuchen gelang es ihm 
schliesslich, zu entfliehen. Aber wohin? Nach Hause durfte er nicht zurückkehren, 
weil ihn dort die Häscher des Grafen sicher aufgespürt hätten. So zog er es vor, 
seinen Aufenthalt in einer Höhle zu nehmen, die sich oberlulb des Dorfes Sollstedt 
befand. Die Höhle war nur von einem Felsvorsprunge flus zugänglich und war daher 
ein sicherer und jederzeit geschützter Zufluchtsort. Um sich die notigen Lebensmittel 
zu verschaffen, sah er sich gezwungen, in der Umgegend zu stehlen. Zur besseren Er- 
reichung dieses Zweckes hing er sich ein Schaffell um und licfestigte auf dem Kopfe 
zwei Hörner j setzte auch wohl, wenn die Beute schwierig zu erlangen war, eine 
eiserne Pfanne mit glühenden Kohlen dazwischen. So ausgerüstet ging er unter lau- 
tem Geschrei auf sein Ziel los, mochte er nun in dunklen Nacht ein Bauernhaus 
plündern oder ein Schaf aus der Hürde stehlen. Als er einstmals an einem warmen 
Sommertage im Walde nach WUd umherstreifte, bdt sich ihm ein seltsamer Anblick 
dar. Auf einem freien Platze fand er die Grafentochter, eben von einem Jagdzuge 
zurückgekehrt, mit ihren Dienern und Jägern im tiefen Schlafe liegen, w.ihrend die 
Pferde angcbuudexi in der Nähe standen. Leise schlich er heran, nahm der Grätin 
Jagdhorn und Jagdross, kenntlich an der edlen Gestalt und dem kostbaren Reitzeuge, 
und eilte davon. Das Ross übte er nun ein, sicher seine Höhle von der vorliegenden 
Felsplatte aus durch einen Sprung zu erreichen. Nachdem diese Sicherheit erlangt 
war, eilt er in dunkler Nacht nach der Bnr^ Lohra nnd sprengte um Mitternacht Uber 
den Sclilossplatz, Indem er dabei laut ins Horn sliess. Diesen nächtlichen Ritt hatte 
er mehrmals unternommen, bis der Graf, auf ihn aufmerksam geworden, die Verfol- 
gung be&hl. Der Verfolgte eilte auf bekannten Wegen seiner Höhle zu und gelangte 
durch einen sicheren Sprung glücklich hinein. Der Graf beteiligte sich lebhaft an der 
f.ilLriuHj^. alxr obwohl er den besten Renner aus seinem Marstall ritt und wie der 
biurmwiud einlierjagte, gelang es ihm doch nicht, den Flüchtigen einzuholen. Er 
konnte nur eben noch sehen, wie der in der Höhle verschwand. In seinem 
Eifer vereuchte der Graf den kühnen Sprung ebenfalls; aber sein Ross strauchelte, er 
selbst fiel in den Abgrund und brach ein Bein. Mit Hülfe seiner Diener wurde er 
cur Burg zurttckgebtacht. Nachdem so der geheime Schlupfwinkel des Verfolgten ent- 
deckt worden war, hielt es dieser für ratsam, sich aus der Gegend zu entfernen. Er 
begab sich in die Umgegend von Artem, wo er mit seinen Söhnen zusammen- 
traf, welche im Dienste eines Raubritters gewesen waren und dcb in mannigfach«i 
Fehden durch Mut und Tollkühnheit hervorgethan hatten. Jetzt vereinigten sie sidi 
mit ihrem Vater ?u einer zwar kleinen aber gefürchteten Räuberbande, die in kurzer 
Zeit Schrecken und Furcht in ganz Thüringen verbreitete. 

Bremen« 



15. Der iiliih (liebe Räuber. Die Sage hat viel geschichtliches Kolorit angenommen, 
ob vorwiegend allgemein geschichtlichen oder ein lokalgeschichtlichen Charakters soll 
hier nicht entschieden werden. 



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141 



Folkloristische Findlinge. 

Die Tetifehgcburt, Vor einigen Monaten wurde die [yjaliri^e 
Arbeitergattin Marie Schönhein von mir entbunden. Infolge ihres 
sehr engen Beckens und der UnmöL,^lichkeit der Entfernung der 
Frucht in toto wurde der Schädel enthirnt. Auf ein der zufällig 
anwesenden Weiber mochte der ungewohnte Anblick dieser entstell- 
ten Frucht einen grausigen Eindruck gemacht haben. Vor einigen 
Wochen nämlich erschien bei mir die von der Operation völlig 
hergestellte Schönbein mit dem Wunsche, ich möchte ihr schwarz 
auf weiss bestätigen, sie hatte nicht den Teufel geboren, sondern 
ein iL'irkliches Kind; ihre Nachbarin, die Frau Hagemann habe 
nämlich überall erzählt, es habe der Uoctor F. bei ihr (der Schön- 
bein), den Teufel herausgenommen und sie habe ihn selbst gesehen. 
Es glaube schon, klagte mir die untröstliche Schönbein, die ganze 
Arbeiterbevölkerung der Dampfbrettsäge daran und sie werde von 
Allen gemieden. Sie habe deshalb eine Anklage gegen die Urhe- 
berin des Gerüchtes erhoben und verlange, ich m(^e ihr ein Zeug- 
nis ausstellen, damit der Richter daraus ersehe, dass sie einem 
wirklichen Kinde das Leben geschenkt und nicht die „Teufelsmutter" 
sei, wie sie schon von allen Nachbarn genannt werde. Alle meine 
Einwendungen, dass es doch lächerlich sei, darüber ein Zeugnis 
auszustellen, da doch Teufel überhaupt nicht existieren, blieben 
erfolglos; sie müsse es haben, meinte sie, um die närrischen Weiber 
vom Gegentheil zu überzeugen. Ich musste ihrem Wunsche willfahren. 
Auch vertraute sie mir an, ihr Mann zögere mit ihr ^zusammen- 
zukommen", weil er furchte, sie könnte wieder einem Teufel das 
Leben schenken. Die geklagte Hagemann bezahlte ihren Glauben 
an den Teufel mit 5 il. Geldstrafe. 

Skoic, Karpaten, 27/1 *98. Dr. Emil Friedländer. 

Das Erntt-kind. In Theodor Storms Novelle „Waldwinkel" 
Hd 4, S. 135 (Neue Ausgabe in acht Randen, Hraunschweig 1898) 
lesen wir: Wie hingezogen von den Fauten schritt Franziska in das 
wogende Ährenfeld hinein, während Richard, an einen Baum gelehnt, 
ihr nachblickte. — Immer weiter' schritt sie; es wallte und fluthete 
um sie her; und immer ferner sah er ihr Köpfchen über dem un- 
bekannten Meere schwimmen. Da überficrs ihn plötzlich als könne 
sie ihm durch irgend welche heimliche Gewalt darin verloren gehen. 
Was mochte auf dem unsichtbaren Grunde liegen, den ihre kleinen 



142 

Füsse jetzt berührten? — Vielieicht war es keine blosse Fabel, das 
Erntekind, von dem die alte Leute reden, das dem^ der es im Korne 
liegen^ sah, die Augen brechen macht. 

Weder in Wutkes vortrefflichem Buche über den deutschen 
Volksaberglauben 2 (S. 659), noch in sonstigen mir zugänglichen 
Büchern finde ich etwas über das Erntekind. Doch beruht Storms 
Bericht unzweifelhaft auf Volksüberlieferung. Weiss jemand aus dem 
Leserkreise näheres über diese Form des Volksglaubens zu berichten? 
Northeim. R. Sprenger. 



Vom Büchertisch. 

Knecht RupTHhi und seine Gencseen. Von Frans Weineck. Nie- 
derlausitzer Mitteilungen 1898 (Guben). 

"Wiilirend A. Tille (Deutsche Weihnachten, Leipzig 1893) in Jem weihnäclitlichcn 
Kiudersclirecken „Knecht Ruprecht" ,den volkstümlichen Typus eines Knechtes 
sdilechthin" sieht, kommt Weineck zu der Annahme, in Ruprecht (oder Pelzinärtel, 
Märte, Bartel, Grampus, Klaubauf, Putenmandl, Schnittt«, Hanns Trapp, Rüpelz, 
Schandeklus, Sunnerklaus und Erbsbär) erscheine eine von unseren Urvätern in heid- 
nischen Zeiten verehrte Gottheit, nämlich Donar mit dem Bocke (Klapperbock, 
Schnabbuck, Ziege, Habersack, Habergeiss). Wie ist es möglich, dass zwei Forscher 
in einer solclu'n l'rage r.u ^zn? entgegengesetzten Annahmen [gelangen - Vermutlich, 
weil sich beide von dem Grundboden des V^olkstumes zu weit entfernten. Nur auf 
Grand des gesamten, volkstümlichen Btanches lassen sieh solche einzelne Figuren erldKren. 

Wer an dem Hcstande der winterlichen Sonnenwendfeier zweifelt, der müsste an 
dem Dämonenglaube ebenfalls zweifeln. Wie die einzelne Nacht die Schwärmzeit der 
elbischen Geister ist, so ist es auch die Jahresnacht, jene Zeit, in der die Sonne am 
längsten ausbleibt, die Nächte am längsten sind, in welcher auch die Kraft der elbi- 
schen Nachtgeister am stärksten ist. (So entspricht auch anderseits dem Mittagsalp 
die Schwarmzeit der elbischcn Geister in der sommerlichen Sonnenwende). 

Die überwiegende Mehrzahl der Volksgebriluche in den winterlichen 12 Zwischen- 
oder Rauchnächten (im Gegensatze zu den ^.anderen Zwölffen" der Maizelt) besteht in 
Ehrung der günstig gesinnten Elben durch Kultopfer (Kultspcisen, Erbsen z. B.) oder 
in vetsdiiedenartig durchgeführter Vertreibung der bösen Elben. Kultseit, Knltmittel 
und Kultort sind universell; je nach Lokalität gicbt es auch kleinere Abwechselungen 
bei den verschiedensten Völkern. Überall aber finden wir das täglich aufgehende 
wärmespendende Element des Sonnengesttmes als Vertreiberin der KSlte (= Qual, 
Alpqual, Marenqual); ein Sonnenkult ist überall, damit auch eine Feier der Sonnen- 
wende. Die Zeit, in welcher der Weltlauf der tiefsten oder längsten Nacht entgegen- 
geht, ist die „gesdüossene Zeit** in der der elbische Einfluss auf die zukünftige Frudit 
und Fruchtbarkeit am höchsten ist, in der die Kinder a]s Gabe („Göb", vom Storche) 
eingelegt werden: es ?;ind dies die fiübnachtc de«; sog, Kindflmönaf-. in dem der 
Kiaderfrcund und Bischof Sl. Nicolaus und das Fest dcv uaschuldigeü Kii.der gefeiert 
wird. Dem Einflüsse der bösen Dämonen wird diese Zeit verschlossen durch das 
Verbot der Hochzeiten; sonst kommen aus solchen Ehen in der geschlossenen Zeit 
eingelegte Wechselbäige zum Vorscheine. Die elbiscben Dämonen, die in der wilden 
Jagd oder im wütenden Heere durch die Lüfte Aber die Häuser weg fahren, erhalten 
noch ihre Kultspcisen ^'ausgestreute Erbsen, die den Elben gehören); In den Rauch- 
nächten darf man darum keine Erbsen oder liuhnen essen, sonst bekonuut man Hanl» 



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143 



schwären (Erbflecken) oder wird clbisch verwirrt (= „er hat Bohnen gegesseo" d. h. 
tat unrechten 2^t und wird so von den Elben bestraft). Die elbischen Unholden 

werden similia similibus vertrieben durch Lärm. (Schlagen, Peitschen, Schiessen, Pol- 
tern, Brüllen, Vermummung in zottiger Tiei^estsilt (Erbsenbär z. B.). — Aus diesem 
Elbensch warme in der Zeit der Sonnenwende ragen nun zwei Gestalten besonders her- 
vor: der mlnnliche Schimmelreiter (Wode), der Sturmgeist „dessen Name zu Wodan 
ebenso sich verhält wie im Norden Od zix Odin" (Colt her, Myth. 285) „als der 
wutige, als Wode wurde bchoa in Liicilcn der Siuriuwiud persönlich gedacht" (1. 
cod.); «nderseits: die weibliche Perchta mit dem clbisch deformierten und mit der 
Fusse Fiss (oder Schrecken) Nase, die Krau Precht, der ebenfalls Essen und Trinken 
zugerichtet wird, die aber keine Göttin ist, sie entspricht der Holda>Hera. Stampa- 
Tierapa; und hierbei ist zu vermuten, das« die tretende Elben- Anftthrerin mit dem 
Kosenamen Perchta (Precht) im VolksVjrauche zum Hans Trapp und damit zum Precht 
fRupaprecht") geworden ist, wie auch die Unholdin zum männlichen Teufel sich um- 
gebildet hat. Neben dieser Perchta (Preebt) hat der die stürmische wütende Seelen- 
schaar (Elben) anführende sich nur der männliche Wode, der sich zum Gotte Wodan 
entwickelte, der aber von diesem getrennt zu behandeln ist, im Volksbraucho der 
Weihnachten erlialleu. Die clbischen Wesen dauerten aui h im Christentume uuch an j 
sie wurden eben zum Anhange des Teufels. Solche Gesellen des erniedrigten Höllen- 
fürsten konnten gnnz wohl im Volksbrauche auch zum Knechte eines Kalenderheiligcn, 
zur Kinderscheuche werden; die germanisch-deutschen Gottheiten jedoch waren vom 
Christentnme beseitigt worden. 

Man darf darum nicht „finster aussehende Gestalten, sch'A i-'c Gesichter, grossen 
Uart, Poltern, Kcttengera&sel, Klingeln, knatternde Geräusche, rauhe Stimme, zorniges 
Auftreten, heftiges Brummen" oder Hahnopfer, Bockgestalten, Besen, Raten, Beigaben 
etc. als Beweise für die Göttlichkeit der weihnachtlichen Gestalten, hier für den ger- 
manischen Gott Donar aufführen; denn dass sind alles nur dämonenvertreibende Mittel. 

Im Übrigen aber ist Weineck 's „Knecht Ruprecht^' eine mit viel Umsicht und 
Verständnis bearbeitete Studie. — r. 



Die rjahlbauern. Silhouetten au55 slavonischen IVsitzen. VonVilim 
Korajac. Frei verdeutscht von Friedrich S. Krauss. Wien 1898. 
S. 84. Daberkow*s Verlag. (Heft 193—193 d. Allgem. National- 
bibliothek). — 

Die Wahrheit über Bulgarien dargestellt von Josef Beckmann. 
Leipzig 1898. IV, 141 S. 8*. G. H. Meyer. 



Die Erwägungen, die mich trotz aller Überlastung mit wichtigen Arbeiten, be- 
stimmten, „die Pfahlbauern" des Pfarrers von Semlin zu verdeutschen, erlauben mir 
auch, das Werkchen im Urquell anzuzeigen. Folkloresammlungen schildern durch- 
schnittlich das Volk, wie es sich in gehobener Stimmung von der Wiege bis zum 
Grabe gehabt, seltener den Alltagsmenschen in seiner geschäftigen Gewöhnlichkeit. 
Darum gleichen so viele gelehrte Berichte altegyptischen Wandgcmdldcn, denen die 
Perspektive mangelt. Korajac 's Arbeit ist aber lauter Perspektive, die nur ein zum 
Volksforscher geborener, literarisch treflllich veranlagter Mann Hefern konnte. Man 
gewinnt durch sie einen weiten Einblick in das südslavischc Volksleben während 
eines jähen Verfalls altslavischer, väterrechtlicher Organisation. Man stelle sich mal 
die Nachkommen der Guslarenliederhelden und deren Gefolgschaften, die noch nicht 
Anschauungen des epischen Zeitalter-, gän/.lich entfremdet sind, in deren TTerzen noch 
immer die Sehnsucht nach Abenteuern und ia:»chem Gewinn wacht, durch den Zwang 
westeuropäisch>staatlicher Ordnung eingeengt vor, wie sie nunmelir unternehmende 
Handelsleute werden; wie sie auf dem neuen, ungewolmten Arbeitfelde von Dummheit 
zu Dummheit eilen, weder Helden noch Ackerbauer und am allerwenigsten verstän- 
dige Haudclsleule sind; man stelle sich diese Leute vor und man hat die Pfahlbauern 
vor sich. In der Vorrede sagte ich, dass midi die Gcschichtchen traurig stimmen und 
nur die witzigen, geistspriihcnden Bemerkungen des Erzählers erheitern, aber, wer 
nicht, wie ich in diesem l<alle, Parteimann ist, wird aus den ,Pfahlbauern' eine gute 
Dosis nrwttchsiger Komik, von jener echten, tmverwttsttichen Komik schöpfen, die 
dem tiefen Gegensatze unserer eigenen Kultur und jener der Pfahlbaucrn entspringt. 
Korajac und ich entstammen demselben Pfahlbauernbezirke ; er schildert hier meine 




144 



und seine Freunde, denen wir, jeder in seiner Art, eine treue Liebe im Leben bewah- 
ren. Ich lege einen Stolz darein, meinen ehemaligen Gangenossen Korajac als einen 

klassischen Volksbchilderer für das Abendland zu entdecken. Ob ich meint: Sache gut 
gemacht ? — Korajac war von meiner Verdeutschung derart befriedigt, dass er mir 
fiir unsere Urquellstiftung 50 Gnlden^ „die Hälfte des Monatgehaltes als Zeichen der 
Anerkennung" zusandte. Er habe, schrieb er mir, brüderlich (bratinski) geteilt. Wie 
schade, dass er nur ein slavonischer Landpfaner und nicht ein Fttrsterzbischof VOB 
Wien mit einem Mouatgehalt von iSo,ooo dulden geworden! 

Beckmanns Werk gibt sich als eine staatspolitische Schrift, doch geht dabei die 
Volkskunde nicht leer aus. Weil wir schon bei den Vorstellungen sind, stelle man 
sich vor, unsere Pfahlbauem wäxen mit einem Ruck Gesetaigeber, Diplomaten, Beftmle, 
OiRdere, Künstler, Schriftsteller, Zeitungs-, Bahn- und Fabriksuntemehmer geworden, 
die den P>enif in sich fühlen, Furopa in die Schranken zu fordern, und man hat das 
moderne Bulgarien vur sich, wie es Beckmann darstellt. Den blaublütigsten Prinzen, 
Att cur Zeit ttber Bulgarien als Fürst henscht, betrachtet Beckmann durdt die 
Kultlirbrille, nicht zum Vorteil des Betrachteten und dessen höfischer Umgebung, gc> 
wiss aber zum Ergetzen des unbeteilii;tcn Lesers, der hier a!h- Ali^fufungen feiner 
Ironie und giftiger Satire lachend durchgeniesscn kann. Wenn mau dcu IJegrilT eines 
deutschen, politischen Schriftstellers haben will, mag man Beckmann lesen, vinso- 
mehr als er augleich mit seiner Art im deutschen Volkstum wurzelt. 

Krauss. 

Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprticken, Mit besonderer 
Beriicksichtigunj; der Deutschen Kolonien, hrsg, von A. SeideU 

Berlin 1897. i>. Reimer. ITL Jrg. H. I— Iii. 

Zur Empfehlung dieser unter Mitwirkung der gelehrtesten Afrikaforscher der Gegen* 
wart erscheinenden Zeitschrift viele Worte su gebrauchen, ist vom Obetlus; denn sie 

empfielilt sicli von selbst. Sie birgt ungemein viel wertvolles Material für die Volks- 
forschung als einer Wissenschaft vom Menschen. Sogar von einer Inhaltangabe der 
vorliegenden Hefte will ich hier absehen, finde es aber dabei mit meinem Gewissen 
unvereinbar, mit Schweigen Uber den Aufeats H. Seidels (S. 157 — 185) betreffe 
des Y"'''^^ niicnsies im TogoIanJc hinwoL'^/uf^ehen, den er nach einem Manuskripte des 
chcniaiigen Yew epriesters und jetzigen ^i'.vangelisten" Stephau Hiob Kuadzu aus 
We verfasste. Wir alle, die wir den Menschen nicht bloss erforschen, sondern auch 
als Menschen lieben, miisscn Herrn II. Seidel für diese Mitteilungen herzlichst dank- 
bar sein. Alles, was Schlechtigkeit und Ruchlosigkeit in den ersten vier Jahrhunderten 
unserer Zeitrechnting zum Vorwand fttr Christenverfolgungen, alles, was das bliftge- 
tränkte Mittelalter zur Schande und zum Schaden der Juden tückisch ersann, aU<!s dies 
wird von den schmachvollen Erdichtungen übertrumpft, die der Renegat oder Convertit 
Kuadso in seinem Veri>recherge1iinie ausbrfitete, um seine Stammgenosten einem 
Schicksal zu überliefern, wie eines einmal die Indianer Amerikas heimgesucht hat. 
Kuadzo^s Angaben sind durchwegs handgreifliche Verliiumdungen, die zur Ausrottung 
der Neger aufreizen sollen. Seine schmachvollen Klucubratiuncu werden iu den 
Missionskirchen verlesen und damit diese zu Lasterstätten herabgewürdigt! Ich bin 
kein reichsdcutscher Staatsbürger und daher nicht berechtigt, die deutsche Colonia!- 
r^erung auf die Umtriebe Kuadzo's hinweisen, ich fühle mich auch gar nicht 
bnufen, fUr cUe Missionskirchen einzutreten, nur als Philanthrop erhebe ich meine Stimme 
gegen die beginnenden Negerhexenprozesse. Eine Organisation, wie sie uns Kuadzo 
weiss machen will, könnte nirgends in der Welt acht Tage lang bestehen; hätte je- 
doch eine auch nur einen Tag lang bestanden, an diesem Tage wäre ein Kuadzo zu 
Brei zerstampft und zermalmt worden, so aber darf er ungestraft grässliches Elend 
einleiten. Was er an glaubwürdigen Tatsachen vorbringt, kennen wir Ethnologen schon 
seit langem weitaus besser aus den Schriften Livingstuns, Bastians und vieler 
Anderen. Deutschland würde sich mit einem unendlichen Fluch belasten, sollte es nach 
dem Willen eines Kuadzo gegen die Neger vorgehen. Negcr\'ölkcr sind widerstands- 
kräfiiger als Indianer; eines Tages konnte in den Colonien eine Christenverfolgung 
ausbrechen und tausende Mtttter in Deutschland würden wehekbgend Tranerkleidcr 
anlegen — und alles dies, wdl man einem Kuadzo nicht rechtzeitig das Handwerk 
zu legen verstand! Krauss. 



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Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals £. }. BRIlt'l'. 



Archiv für Ethnographie (Internationales), hrsg. von Dr. Krist. Bahnsen, Copen- 
hagen ; Prof. F.' Boas, Worcestei, U. S. A.; Dr. G. Ji, Doxy, im Haag; Prof. E. H. 
(liglioli, Floren/:; A. Grigorief, St. Fetefsburg; Ptof. E. T. Hamy, Paris; Prof. H. 
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Oengarang Qiiva); Prof. G. Schlegel, Leiden; Dr.J.D.E. 
Scbmeltz, Leiden; Dr. Hjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. £. B. Tylor, Oxford. — 
RtAtcHmx t)r. J. Dl E. Sdunelti. 1BS7— 1897. Vot. I— X. (M U scbw. n. col. Taf.). 4«. 



Vtamie eU 6 livr» - . . / xa.^ 

Supplement zu Band I: 

Otto St oll, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. (Mit 2 
ccl. Taf.). 4O / 4.— 

Supplement zu Band III: 
Max Weber, Ethikogrftpliisclie Notisen Uber Flores und Celebes. 1890. (Mit 8 
col. Taf.). 4^ ; ......./ 9.— 



Supplement zu Band IV: 
David Mac R i t c h i e , The Ainos. 1 892. (Mit 1 7 col. u. 2 schw. Taf.). 40. / 13. — 

Supplement zu Band V: 
W. Joest, Ethnogzaphischet und Verwandtes «us Quyan«. 1893". (Mit 2 col. «. 6 
schw. Taf.). 40 / 6.— 

Supplement zu Band VII: 
F. W. K. Müller, Nang, Siamesische Schatten Figuren im Kgl. Museum für Völ- 
kerkunde su'BerUti. 1894. (Mit 4 schw. n. 8 coL Taf.). 40. . . . . / 9. — 

Supplement za Band IX: ^ 

Ethnograph isclie Beitrüge. Festgabe zur Feier des yo****» Geburtstages von 

Prüf. Ad. Bastian. i%()6. (Mit 5 col. Taf.) 4» . . / 6.— 

Um Museen, Bibliotheken und l'rivatperäonen, welche die Zeitschrift bis jetzt 
noph nicht besitzen, die .\nschaffung derselben durch Verringerung der pecunUl- 
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen 
Subscribenten auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der 
nocb voxiuaidene geringe Vorratb dies gestattet, zU ennässlgten Freisen sn.übei^ 
. lassen, und zwar : 

Bd. I — X (Ladenpreis 210 Maxk) zu M. 159. — . 

Bd. i— X mit stiwntliclien Supplementen (Ladenprds 288 Mark) zu M. 170. — . 

Da. von den letztgenannten sieben Banden mit sämmtlichen Supplementen nur 
noch sehr wenige vollständige Exemplare abzugeben sind, dürfte es &ich emp- 
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zn ertheilen. 

Suting, Jul., Tagbucb einer Reise in Inaer<Arabien. 1896. Theil I. 8". Mrk. 7.50 

Jacobs, J., Het Faniilie- en Kampongleven op G(Oot«Atfeh. Eene bijdrage tot de 
ethnographie van Noord-Sumatra. Uitgeg. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk. 
, Genootscliap. 1894. 2 dln. (Met 17 phot lith. en 6 gekl. platen) gr. in-S". Mrk. 25.50 

gebunden . . Mrk. 28.90 

Landberg, C. de, Bdsim le forgeron et Härun Er-Rdchid. Texte Arabc en dialecte 
d*£^pte et de Syrie. Publik d'apres les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et 
accompagn^ d'une traduction et d'un glossaire. 1: Texte, tradition et proverbes. 
1888. 8» Mrk. 5.— 

Martin, K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf 
gegründete Studien. 1888, 9 Bde; (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-8*. Mrk. 34. — 

Maithl, K./ Reisen in den Molukken, in Amben, den Uliassern, Seran (Cetan) und 
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung 
der Niederlandischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf., 
T color. Kaste und 18 Textbildem). gr. in-8* Mrk. 21. — 

Spifül«Bey, G., Contea arabes modernes recueillis et traduits. Texte ambe en caiact. 
tCL «vec la traduotion fran^ 1883. 8^ Mrk. 6.50 



INHALT. 



Seile 

Das Ilirnweh. Von Dr, Höf 1er (Tölz) . . . 99. 

Alte Segen. Mitgeteilt von Dr. Otto Heilig ........... lOX- 

MenschfuvergötteiuQg. Eine Umfrage von A. Wie de mann. Beitrag von 

Leop old Mftii^l ^ .*.*... ^ ...*»*•:•->,• 106. 
Der Toto'fn Gknbe und Bnocli der V^er. Eine Urninge^ BcfittiB« «Ott 

Moriz Nadel, A. Brod und Faul SartOfi . . , 108. 

Der Nobelskrug. Eine Umfrage von R. Sprenger. Beitrag von G. in Wien,. 112. 

St. Andreas als Ileiratstifter. Kinp Umfrage von A. Trcichel . . ' 1x3. 

Zum Vogel Heii^ Eine Umfrage von Franz Branky. Beitrag von Robert 

Eder \ . 1x5. 

Anbisclie Sprichwörter «as Egypten. Bdtng yon A. Seidel ' . . . . . . St6. 

Übernamen. Eine Umfrage von Frans Branky. Beitrag Von Dr. Hans 

Schukowitz 119* 

Zaubergcld. Eine Urofoige von Dr. Fran« Ahrendts. Beitrag von Isaak 

Robinsohn X2I. 

Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre. Gesammelt von Fr. Krönig, £r< 

Htutert V. O. Se^ell (Fortaetiong)r . . . . . . .. . . ...... 12a. 

FolUolistische .Fittdiiage. 1. Die Tfsufdsgelnnt. Von Dr. Emil Friedliln» 

der. — 2. Das Erntekiud, Von lUSprenger 141." 

Vom Büchertisch. F. Weineck's Knecht Ruprecht. Angezeigt v6n — r. — 
Korajac's Pfahlbauern, Beckmanns 's Wahrheit über Bulgarien und A. 
Seidel 's Zeitschrift f. afrikanische und oceanische Sprache. Angezeigt von 
Kranas ....•..*.....*....• 142. 



Wir bitten »ins^rf Mttarbtiter^ sich aus Rücksicht fUr unsere holländischen Sctser 
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lattimchrift zu bedienen. 

* ■ • 

Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf 25 Sonderabzüge seines Beitnqses; bedarf er 
ihrer mehr, mag er Stell deslialb vor dm Abdruck mit denr .Vetleger ins £iav«r» 

nehmen setzen. 

Der Urquell erscheint regelmässig in Doppelheften. Der Suhttripticm^tis für tlem 
ganun Jahrgang beträgt: 4 Mark. 5 K. «■ 5 ftcs = a.50 fl. 



Iis können auch hei der Redaktion des UrqudUs, Wien VII/3. Nenstif^ 
gasse 12 angemeldet werden. 



Druck der ^Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. B&ILl" i" T <»;»<»n 



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DER URQUELL. 



Eine Monatschrift für Volkskunde 



'Herausgegeben 



von 



Friedrich S. Krauss. 



Das Volkstum ist der Völker Jungbrunnen. 



Der neuen Folge Band II. Heft 7 und 8. 





BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI 

Torni(tU 

E. J. BRILL 

LEIDEN — 1898. 



G. KRAM ER Verlag 

in HAMBURG. 
St. Pauli , ThaUtr. 34 , I. 
1898. 



Redactioa: Wien, Österreich, VII/2. Neustiftgasse 12. 



Einläufe.. 

[Bastian, A.] Lose Bttttcir an» indiea. III. Batayia 1898^ Albra«Ait & G*. 136 + 

68 -\- XXV. (Mft einem Excurs über deii „schmlthlichrtett Sp<irt"» d.i. das Bad- 

fabren im Spiegel des Väll^ergcdankcns). 

MeiCTi Dr. John : Volkslied und Kunstlied in Deutschland. Miinphen iä9& 34 S. 8<>. S. A. 
twaboLtM, C. ft JU«& HeHükmi IMEed Hornau Bones Crom « Preldstaric Taiasoo 
Indian Burial Place in the State «f Miehoacan, Uea^ NeWY. 1898. 24 p. 8^ S. A, 

SosonoviS, I.: K voprosu 0 zapadnom vlijanii na slavjanskuju I russkuju poeziju (Zur 
Frage ül?eT den wert. Einfluss auf die slavische u. russische Poesie). Warschau 
• , 1898, XX + 568. gr. 8». 

(ÖM SriMke Kr. aXademlje. LIII. Belgr. 1898. 231 5. 8«. (Kost ic, Geheimschriften 

in serb. Denkmälern. Gjorgjevic, P. P.: Die Wortfolge In der '^erb. Sprache). 
Zbornik za narodni iivot 1 obi^aje Juioih slavena. B. II. hrg. y. A. Radi^. Agr.. 
. l$9f S. 515. 80. ^• 

SkräuM, Ad<M (Hehuleli voa WUsIpdd?!) Die Bolgaien. EthiMerapUBclie Stuaen. 

Lzg. T.. Fern au, Griebens Verlag. 1898. VII^ 477. 8«. 

Fewkes, J. Walter: The Wifiter Solstioe ceveoBony at Walpi. Wash. .1898. Am. Aa- 

thropologist. . • 

VehMUf KmAi Erstes BeOieft an Über Plan ima EtiiTiclititiq; des Romaniactieii 
. Jahresbtuichtes. Erlangen, Fr. Junge. 1897. p. 88. S». 

Hautteeeotir, Heniy: Le Folklore de VUe de Rythnos. Bruxelles, X. ^aTermans. 

• 1898. p. 40. . 

BtüMit H.: Der Jerlie-Kult in Togo und seine ADhKngcr» Nadi Sltenn nnd neaemi' 

Quellen geschildert. S. A. „Afrika", Neuhotdeoileben, C. A. Eyrand. 13 & 8". 

Seidel, A.: Ein Suaheligedicht über die Vot|^Uige beim letxten Thronwedndl in San- 
sibar. S. A. „Kolonialzeitung". 7. 1898. 

Vuletic, Vid Vukasovic: Starina Novak, Bosanska VUa i. XUI. 1898. Sarajevo. 

Maain, Dr. Sioum: Der Bann. Beitrag sam moaaiseli-n^binuebea- Sinfirechi dai^ 
gestdlt nach der Bibd imd der rabfainisehen. liteiatnr. Brfinn •X898. B. £pa.teia 

& C». 51 S. 80. * ' 

Treichel, A.: Der Thiergarten zu Stuhm nach dem D. O. Tresslerbuche. S, A. 17,8.— 
Locationsprivileg für die Stadt Bereut. S. A. 3 S. — Sagen 16 S. — Von der 

Pidch'-n- ndrr Hclltafel. S.- A. Altpr. Mtsch. XXXV. l u. 2. • 

Jaworai^i» Juljan: St. Stölprian. S. A. Zt. f. Vlkk. 1898. 5 S. 

j 

Folklore Kataloge. 

I. Pierre LedMntsax, 65, Rue de Ridtelie«^ F^. Catalogne Nr. 34, p. 24. Nvr 

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Hebraica & Judaica. 2x55 Nrn. — 3. Von Zahn & Jttoacb, Dresden, Waisen hausstr. 
10. Kat Nr. 98: Occnlismus, Mystik, 1901 Nrn. — 4. Jos. Bftr 4t O*., Frankf. a. M. 

Rossmarkt 18. Kat. Xr. 397. Folklore. 1607 Nrn. — 5. K. Th. Völker, FtanVT. M. 
Rümerberg 3, Kat. 216: Culturr u. Sittengeschichte. 2175 Nrn. — 6. Gilhoüer V. 
Ranschburg, Wien 1, Bogncrg. a, Kat. 45 — 46, Nr. 2572 — 31 17. 



Insertionen — Beilagen. 

119^ ^ wird höSicikst gebeten, sicb,fUr Inserate mxd Beilagen «iriksdiüesaUdi an 
die BnäblMfidliliic imd SnielBerel Tonrndi E. J. BRILL in Leiden wenden su «oBea* 



über eine Gattung mongolischer Volkslieder und ihre 
Verwandschait mit türkischen Liedern. 

Von B. Lauf er. 

Die mongolischen Stämme erfreuen sich nicht nur einer religiö- 
sen und historischen, sondern auch einer epischen und lyrischen 
Litteratur. Ihre Annalen berichten, dass es bereits im Anfang des 
dreizehnten Jahrhunderts Dichter und Sänger von Beruf gab. Das 
Wort chürdi bedeutet , Lautenschläger", von chür, contrahiert aus 
chughur ') „Laute" und war der officielle Titel eines wichtigen 
und ziemlich geschätzten Hofamtes , der von den mongolischen 
Herrschern veritehen wurde Die Namen zweier mit diesem 
Epitheton geschmückten Männer sind uns ausdrücklich überliefert 
worden. Der eine ist Arghasun Chüröi, der am Hofe des Chinggis 
Chan gelebt und sehr lange zu dessen Gefolge gehört hat. Er 
muss bei dem Machthaber in grosser Gunst gestanden haben, denn 
man pflegte ihn in vertrauten diplomatischen Angelegenheiten, die 
viel Takt und Zartgefühl erforderten , mit Erfolg zu verwenden ^) , 
und in einem Falle nahm Chint^gis ein über ihn verhängtes Todes- 
urteil wieder grossmütig zuriick *). Der Sänger hatte eines Abends 
mit seiner goldenen Laute die Ürdu des Herrschers heimlich 
verlassen und anderwärts übernachtet, woraui dieser in heftigem 
Zorne zweien seiner Feldherrn befahl, Ai^iiasun zu töten. Die nun 
geschickt gespielte Comödie , die den Mächtigen wieder versöhnt, 
erzählt der mongolische Geschichtschreiber nicht ohne einen An- 
flug von Humor. In den Versen , die hier der Sänger zum besten 
gibt, bietet er eine naive Charakterschilderung seiher Person, welche 



i) Über diese Lauterscheinung vei^l. Bobrownikow, Grammatik der moagolisch- 
kalrnttklsclien Sprache (russisch), Kasan 1849, S. 17; Radioff, Phonetik der nördli* 
chen Türksprachcu, I.clpzij; 18S2. S. 102 — 104; Grunzel, Entwurf einer verglei- 
chenden Grammatik der altaischen Sprachen, Leipzig 1895, 3^) ^ ^' Müller, 
Grandriss der Sprachwissenschaft, II. Bd., 2. Abt., S. 263. 2) 1. J. Schmidt, 

Philologisch-kritische Zugabe zu den zwei mongolischen Originalbriefen der Könige 
von Persien Argun und üldshäitu an Philipp den Schönen, Petersburg 1824, S. 24. 
3) Geschichte der Ostmongolen und ihres Fürstenhauses verfasst von Sanang Setses 
ttb. V. L J. Schmidt, Pet. 1829, S. 77. 4) Sanang Selsen, S. 79 — 81. 

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146 



vielleicht für den ganzen Stand typisch «rewesen sein mag: „Seit 
zwanzig Jahren bin ich in deinem Gefolge, aber an schlechte 
Streiche habe ich nie gedacht; es ist wahr, ich liebe berauschende 
Getränke, aber Arges kam mir nie in den Sinn; seit zwanzig 
Jaliren bin ich in deinem Gefolge, aber boshafte Tücke ist mir 
unbewusst; zwar liebe ich starke Getränke, aber nie war mein 
Gemüt zur Bosheit geneigt." Überwältigt jedenfalls von der in 
diesen Worten steckenden Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe ruft 
der Herrscher: „Mein redseliger Arghasun, mein plauderhafter 
Chüröi!" und begnadigt ihn. Das ist alles, was wir über die 
Lebensschicksale dieses Mannes erfahren. Wie Chinggis seinen 
Hofmusiker und -dichter als Gesandten verwandte, so auch der 
mongolisch-persische Argun Chan seinen poeta laureatus Muskeril 
Chürci. Diesen schickte er im Jahre I304 mit einem Schreiben an 
König Philipp IV. von Frankreich, vor welchem Muskeril Gelegen- 
heit fand, von seinen Talenten als Dichter, Redner und Improvi- 
sator in seiner Note diplomatique Proben abzulegen Doch ausser 
diesen officiellen Vertretern der schönen Kunst gab es im alten 
Mongolenreich auch andre Männer, darunter Krieger und Helden, 
welche Gesang und Dichtui^ pflegten* So hat uns SanangSet> 
sen drei Lieder des Kiluken Baghatur, eines Feldherrn von 
Chinggis Chan, mitgeteilt, ein Trost- und Ermahnungslied an seinen 
klagenden, im Sterben liegenden Herrn und zwei Klagegesänge auf 
den dahingeschiedenen Weiterobrer'), die ein ergreifendes, edles 
und einfaches Pathos auszeichnet; was Rythmus und Formenschön- 
heit angeht, so dürften sie sich vielleicht mit Manzoni's Ode Ii 
Cinque Maggio messen, wiewohl es mir natürlich fern liegt, dem 
hohen Gedankenschwung dieses Meisterwerkes die mongolischen 
Erzeugnisse zur Seite stellen zu wollen. Auch die Epik, deren 
Betrachtung wir an dieser Stelle ausschliessen , birgt manche lyri- 
sche Bestandteile. In der Heldensage von Geser Chan treibt 
loro — so heisst Geser in seiner Jugend — die Viehherde mit 
Gesang und Geräusch vor sich nach Hause'). Als er eines Tages 
in Begleitung seines Vaters eine Elster und einen Fuchs sieht, 
wettet er mit dem Alten, der aber jedesmal fehlschiesst und nun 



i) Scliinidt, Mong. Originalbriefe, S. 5, 24. Diese Briefe hat neuerdings Prinz 
Roland Bon aparte in seinem grossartig ausgestattcicii Atlas Documents deTipoque 

mongolc reproducieren lassen. Sannng Setsen, S. 3S1. 2) Sanang Set- 

sen, S. 104—109. 3) I)ic Thatcu Bogda Gcsci Chan's, des Vertilgers der 

Wvnel der sehn Übel in den zehn Gegenden. Kinc ostasiatische Heldensage, aas 
dem Mong. üb. v. I. J Schmidt. Pet. 1839, S. «7. Schmidt hat das Beiwort aöta 
^wohlthätig" in der Überschrift vergessen. 



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147 



durch die magischen Kräfte seines Sohnes regungslos festgebannt 
wird, indessen dieser auf Grund der Wette ein Rind und ein Pferd 
schlachtet und allein verzehrt; darauf singt er ein Spottlied: «Was 
verdient wohl mehr Schande und Spott als die Elster, welche die 
Rückenwunden der Pferde aufhacken, als der Fuchs, welcher die 
Kühe vergiften und als der Alte, welcher beide totschiessen 
wollte }** Auch bei primitiven Stämmen, wie Australiern und 
Eskimos, sind bekanntlich satirische Stoffe äusserst beliebt'). Zu 
dieser Gattung gehören auch die Spottlieder, welche Geser auf den 
Chan singt, der ihn in die Schlangengrube, die Ameisen-, Läuse-, 
Wespen- und Raubtierhöhle u. s. w. werfen lässt *)* Es ist natur- 
gemäss, dass satirische Ausfalle Folge und Wirkung von bestimm- 
ten Geschehnissen darstellen. Wie aber, nach Goethe 's Ausspruch 
jedes Lied ein Gelegenheit^edicht ist, so wurzelt schliesslich alle 
"Lyrik in Ereignissen, d. h. also in epischen Stoffen und Darstel- 
lungen. Diese geben dem Dichter die Veranlassung, seinen Em- 
pfindungen lyrischen Ausdruck zu verleihen. Besingt ein Poet die 
Schönheit des Frühlings und beginnt mit den Worten: ,Der Lenz 
ist gekommen !*', so ist eben die Ankunft des Lenzes das zeitliche 
Ereignis, welches ihn zu seiner Betrachtung inspiriert; diese Worte 
enthalten ein Factum, einen Bericht, werden aber dadurch, dass 
sie unmittelbar aus dem Gefühl kommen und zum Gefühl sprechen, 
gleichzeitig lyrisch wirksam. Bei der fast zur Eintönigkeit gewor- 
denen typischen Beschaffenheit der europäischen Lyrik gelangt uns 
ihre schildernde Grundlage, ihr epischer Ausgangspunkt wenig 
oder fast gar nicht mehr zum Bewusstsein, aber in einem ursprung- 
licheren Entwicklungsstadium ist noch deutlich zu erkennen, wie 
sich der lyrische Gedanke aus dem epischen entwickelt. Die mon- 
golische Poesie knüpft jede Gemütsverfassung, jede Seelenstim- 
mung, Trauer oder Fröhlichkeit, unmittelbar an ein Ereignis des 
Menschen- oder Naturlebens an, und diese Erscheinung wirkt auf 
die gesamte Gestaltung der Metrik zurück. 

Die Quellen, auf welche die alten mongolischen Chroniken zu- 
rückgehen, sind meist grosse Fragmente dereinst im Volke leben- 
dig gewesener epischer Lieder, die in ihren schwachen Bruchstücken 
auch jetzt auch erkenntlich sind. Bereits H. C. v. d. Gabelen tz 

i) Der Fndit bdsst in dts Gras und begeifert es; firessen es dann die Kühe, so 

wirl<t es bei ihnen allmählich wie Cift unrl bringt Hincn den Tod. 2) Ccscr 

Chan, S. 32. 3) £. Grosse^ Die Anfänge der Kunst, Freiburg 1894, S. 

238 — 231. Vergl. auch Pallas, Reise durch verschiedene Provtnsen des russisclien 
Reiches III, 67 über die Ostjaken. 4) Geser Chan, S. I04~I07. 5) Zeit- 
schrift fUr die Kunde des Morgenlandes Bd I, Heft i. 



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148 



hat den Versuch unternommen, die dichterischen Bestandteile aus 
Sanang Setsen auszuscheiden. Aber Sanang Setsen ist entschie- 
den ein Tendenzhistoriker gewesen, am ehesten den Annalisten 
der römischen gentes vergleichbar, und hat zudem, wie wir noch 
erkennen werden, manche Züge der ursprünglichen Tradition gar 
nicht mehr verstanden, was ihn verleitet hat, das bequeme Ver- 
fahren einzuschlagen, welches man den von Friedrich dem Grossen 
nach dem siebenjährigen Kriege als Schullchrern angestellten pen- 
sionierten Unteroüicieren nachrühmte, die ihren Schülern, sobald 
sie auf einen unverständlichen Ausdruck oder Begriff trafen, »l^üpf 
über" zugerufen haben sollen. Die relativ reinste und treueste Quelle 
für die alten Sagenbildungen des Volksgeistes ist das Mtan Tadä 
d. h. wörtlich «goldener Knopf", mit der Bezeichnung , mongolische 
Chronik" herausgegeben von dem Burjaten Galsang Gombojew 
mit nissischer Übersetzung in den , Arbeiten der orientalischen 
Abteilung der Kais, archäologischen Gesellschaft", Teil VI, Peters- 
burg 1858. Ich greife aus diesem Werke eine um den Vater 
Chinggis Chan's gebildete Sage heraus, um daran zu zeigen, wie 
sich in den Anfangen der mongolischen Dichtung an ein Stück 
von ausgesprochen epischem Charakter ein lyrischer Erguss an* 
reiht, wie sich aus der Erzählung das singbare und gesungene Lied 
abschält; ich übersetze ausschliesslich nach dem mongolischen 
Original, das leider von Druckfehlern wimmelt. 

«Jisugei Baghatur nahm eines Tages seine beiden jüngeren 
Brüder Daritäi und Utsukun ^) und ging mit ihnen auf die Jagd. 
Da sprach er: «Ist das nicht ein weisser Hase?" und schoss. 
Siehe, da erwies sich das, was er geschossen, als der Urin eines 
Weibes. Indem er diesem auf der Spur eines Wagens nachging, 
sagte Jisugei zu seinen jüngeren Brüdern: «Jene Frau wird einen 
wackeren Knaben gebären." Der Spur des Wagens folgend, er- 
kannte er, während er weiter ging, dass es ölatu von den Taitsut 
war, der mit der ÖgMen Eke in die Heimat zurückkehrte. Als er 
sie auf seiner Verfolgung eingeholt hatte, sprach Jisugei zu seinen 
beiden jüngeren Brüdern: , Dieser da wollen wir uns bemächtigen.** 
Indem sie herankamen, sagte (^elen Eke zu ihrem Manne ölatu: 
,Du, bemerkst du nicht die böse Absicht der drei Männer? Mach 
dich davon !" Mit diesen Worten zog sie ihr Hemd aus und 



1) abCu, wie das indische ftdftya und das griechische Mtß6v. a) Bei Sanang 

Setsen heissen sie Negun Tai§i und Daritä ÜtSÜken. Vergl. aucli Erdmann,Te- 
mudschin der Unerschütterliche S. 252, 253. 3) Vielleicht an dieser Stelle, wie 

sonst bei den KalmükcD, Symbol der ehelichen Treue. 



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149 



übergab es ihm. Die Brüder bemächtigten sich ihrer zu dritt. 
Obwohl sie Cilatu über drei Flüsse nachsetzten und über ebenso 
viele Höhen verfolgten, vermochten sie ihn nicht einzuholen. Die 
Ögelen Eke machte Jisugci zu seinem Weibe. Als sie darauf auf 
dem Rückwege in die Heimat begriffen waren, weinte seine 
Gemahlin Ögeien unablässig. Da sprachen Daritai und Utsukun zu 
ihr das Wort: 

Drei Flisse liaben wir ttberacinitten, 

Drei Höhen haben wir überstiegen ! 
Sucht man, so ist keine Spur mehr da, 
Hilt man Umschau, nichts ist su erspähen, 
Weinst du auch, so hört man dich nicht i 

Als Ögdlen Eke dieses Wort vernommen, schritt sie lautlos 
weiter dahin.'* 

Dieser Schlusspassus ist in Versen verfasst, während das übrige 
in Prosa geschrieben ist. Die Strophe lautet im Original : 



ghnrhan glifl! gotulkobe 
ghurban ghurbi tabagliiilaba 
charifaAsn mar ugei 



charabdsu l)avagha uizci 
chailabäsu uhi sonoaunam. 



Sanang Selsen überliefert gleichfalls die Versform (S. 62) mit 
folgenden Varianten: t^etulbe, tababa, chaibäsu „wenn man sucht'*, 
was ich für richtiger halte als charibäsu „wenn man zurückkehrt", 
was sicher auf das kurz vorhergehende chariju irekui dur zurückzu- 
führen ist, endlich sonosom. Man erkennt hier bereits, wie der Inhalt 
auf die metrische Beschaffenheit der Verse wirkt; die inhaltlich zu 
einander gehörigen beiden ersten Verse sind durch die gleichen 
Alliterationen verbunden, ebenso die drei letzten Verse. Ich muss 
es mir leider an dieser Stelle versagen, auf den Inhalt dieses, einen 
Frauenraub schildernden Stückes näher einzugehen, ebenso auf 
einen Vergleich mit anderen Versionen; ich bemerke nur, dass 
Sanang Setsen die dichterische Stelle gar nicht verstanden hat, 
da er die Verfolgung des Cilatu mit keinem Worte erwähnt, die 
zu berichten selbst der verständig nüchterne und die alte mongo* 
tische Legende sonst stark abkürzende Jigs med nam mk'^a nicht 
umhin kann 

Gehen wir zur modernen Lyrik der Mongolen über, soweit wir 
sie aus einigen wenigen Sammlungen kennen, so dürfte es wohl 
am zweckmässigsten sein, dem Inhalte und seiner Behandlung nach 
drei Gruppen zu scheiden, i) Lieder, die an historische Begeben- 



1} Hath, Geschichte des Buddhismus in der Mongolei II, 14. 



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ISO 

heiten oder bestimmte Verhältnisse des täglichen Lebens anknüpfen 
und Empfindungen in mehr oder weniger breiter und malerischer 
Darstellung dahinströmen lassen. Zu dieser Klasse gehören die 
Klagelieder auf den Tod Chinggis Chan's, zwei Elegieen auf 
den Abzug der wolgischen Horde » die Pallas, Sammlungen 
historischer Nachrichten über die mongolischen Völkerschaften I 
^77^1 P* ^5^/7 niitcreteilt hat, ferner zahlreiche Stücke in der 
Sammlung von A. Posdnejew, Proben der Volkslitteratur der 
mongolischen Stämme I, Pet. 1880. 2) Mehrstrophige Lieder, wel- 
che ein- und denselben Grundgedanken mit nur leichten Verände- 
rungen durch sämtliche Strophen variieren. Als Beispiel übertrage 
ich das erste Lied aus Posdnejew in deutschen Trochäen; es 
kann als Typus einer ganzen Gattung gelten, in weicher sich das 
tiefe Heimatsgeiiihl, die oft fast zur Sentimentalität gesteigerte 
Liebe zu Eltern, Geschwistern, Gattin, Kindern und Freunden 
kundgibt (vergl. das Lied bei Pallas, S. 155). 



An des Changi^ltai-flusses i) Quelle 

Schallt der Ruf des Königs Kuckuck 
Meiaen treugeliebteu Freunden 
Send' icli Grttsse, also singt er. 

Auf des hohen KekCi Gipfel 
Schült der Ruf des Jungherm Kuckuck: 
Meinem MUtterlein, dem grauen 
Send' ich Grusse, also singt er. 

An des Nordstroms QucUcnrande 
Schallt der Ruf des Gold-Gbutghultai : 



Meinen ruhmesstarken Vater 
Send' ich Grttsse, also singt er. 

An des Kerolttng-stfoms Quelle 

Schallt das Lied des Kuckuckvögleins; 
Meinen Kindern, meinen Brüdern 
Send' ich Grüsse, also singt er. 

An des Kräuternusses Quelle 
Schalk der Ruf des bunten Vogels: 
Meinen trauten Jugendfreunden 
Send' ich Grflsse, also singt er. 



5) Kurze, epigrammatisch zugespitzte, meist zweistrophige Lieder 
von höchst eigenartiger Beschaffenheit. Zu diesen gehören die fünf 
Gesänge, welche ich an dieser Stelle mitteilen will. Annahemd 
verwandte Stücke sind bereits von C. Stumpft) veröffentlicht 
worden. Freilich scheinen die Texte zu den hier mitgeteilten 
Noten meist unvollständig zu sein, in manchen Fällen nur die 
erste Strophe zu enthalten, wie in Nr. 3, wo von 20 Strophen 
leider nur eine einzige bekannt gegeben wird, ebenso in Nr. i; 
es ist daher schwer, sich über den Inhalt und die litterarische 
Stellung dieser Lieder ein festes Urteil zu bilden. Das zweite 



l) Der Orchon, der an dem Berge Changghai entspringt. Timkowski, Reisenach 
China durch die Mongolei I, 140. 2) Über die Sagen vom Kuckuk, der sich 

nach der Heimat selint und durch seinen Ruf die Wanderer zur Heimkehr mahnt s. 
Schott^ Einiges zur japanischen Dicht- und Verskunst, Abh. Berl. Akad. 1878,8. 
160. Zu dem hier gegebenen Citat aus Wells- Williams veigl. den norwegisclxeo 
Volksglauben bei Lieb recht, Zur Volkskunde S. 332. 3) Mongolische Ge- 

sänge in Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft III 1887, S. 297 — 304. 



...... ^le 



151 



antiphonische Lied: „Liebesbotschaft", in welchem der Liebende 
in einem Verse die Geliebte grusst und diese ihn als Antwort zu 
sich entbieten lässt, erinnert stark an die türkischen Gedanken- 
lieder mit welchen es unzweifelhaft in einem bestimmten Zusam- • 
menhange stehen muss. Die Nr. 4 und 5 sind Trinklieder, die im 
Leben des Mongolen keine unwichtige Rolle spielen; man ver- 
gleiche mit diesen ein von Castren') aufgezeichnetes burjatisches 
Lied und ein hochpoetisches, welches Timkowski') mitgeteilt 
hat »Der fröhliche Bacchus/' bemerkt der russische Missionar *), 
,hat nicht selten in den mongolischen Wüsten seine eifrigen An- 
hänger, die ihm, besonders zur Sommerzeit, mit Airak (Brannt- 
wein aus Schaf- und Kuhmilch), Kumys und Branntwein, den sie 
bei den Chinesen kaufen, Ehre erweisen. In Unterhaltungen wahrer 
Freundschaft, im Kreise sitzend um den immer glimmenden Argal 
in der Mitte der Jurte, bringen die Mongolen in Stunden der 
Müsse, die für sie so gewöhnlich sind, und noch mehr bei Über* 
fluss von Milchbranntwein, die Zeit zu in schwermütigen Erinne- 
rungen an den Ruhm entwichener Zeiten und die Thaten ihrer 
vaterländischen Helden und vergessen die Beschwerden des Lebens 
und die Last des mandschurischen Scepters. Aus dem Munde der 
von Branntwein Begeisterten strömen scharfsinnige Scherze, unter- 
haltende Geschichten oder Erzählungen von der Kühnheit und dem 
Glücke der Jäger, von der Schnelligkeit berühmter Renner u. s. w. 
Dann erklingen auch die melancholischen Töne ihres Gesanges, 
bisweilen von einer Flöte und Balalaika (Art Zither mit drei Sai- 
ten) begleitet.'* Das sechste Lied bei Stumpf gehört in die von 
mir unter Nr. i rubricierte Gattung; es enthält die rührende 
Klage eines sterbenden Kriegers und soll aus der Heldenzeit des 
Cbinggis und Ttmur stammen. 

Doch keines dieser Stücke stimmt genau in Inhalt und Form 
mit den im Folgenden mitgeteilten fünf Liedern, überein, die ich 
der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Gabriel Bälint, ord. 
Professor an der Universität zu Koloszvär (Klausenburg), verdanke; 
er hat sie zwar bereits vor Jahren unter dem Titel: Tabun Khä- 
lymik dün^), öt Khälymik dana in einer magyarischen Zeitschrift 
in Transcription mit ungarischer Übersetzung veröffentlicht, und 



i) !. Kitnos, Türkische Gedankcnlicdcr au> Ada-Kulc. Ethnologische Mitteilungen 
aui Lagara Ii, 51. 2) Versuch cinci buijatischcu Sprachlehre, VcL 1857, S. 227« 

3) Reise nftch Chin» dnrch die Mongolei in den Jahren 1820 und t82I. Aus dem 
Kussischen Übersetzt von Schmidt. Leipzig 1825 — 26. III. 13d., S. 295. 4) 1. C. 
S. 293. 5) Aus daghun »Ton, Lied, Gesaog' eutsUnden. 



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was von grossem Werte ist, die Noten mit ansprechender Klavier- 
begleitung hinzugefügt. Da es mir zunächst darauf ankam, Material 
zum Studium der mongolischen Volkssprachen zu erlangen, sandte 
mir Dr. Bälint eine erneute bedeutend verbesserte Umschrift der 
Originaltexte zu mit der gütigen Erlaubnis, sie nach Belieben wie- 
der zu veröffentlichen ; auf Grund dieser Mitteilungen versuchte ich 
denn mit den uns zu Gebote stehenden grammatischen und lexi- 
kogrsiphischen Hülfsmitteln eine Übertragung ins Deutsche zu er- 
zielenj für die ich schliesslich natürlich auch die schon vorhandene 
ungarische Übersetzung verglich und zu Rate zog. Dem zweiten 
Ltede bei Bälint habe ich seine Stelle vor dessen fünftem Liede 
angewiesen, weil mir diese beiden inhaltlich in engem Zusammenhang 
zu stehen scheinen. Die Umschrift der Texte ist nach Möglichkeit 
der in Kowalewski's grossem Wörterbuch befolgten angepasst. 



1. £iktnni urghukson äalugi 
einin töle chadlabi, 

ti mana clioyorSgi 
dsayän fcigi charghülchuS. 

ulftson du urghukson alimaigi 
uichon camdäD ügblebi, 
uiehoii temtdln dglibötigi 
urida-ln dsayftn dutrghfllclittS. 

a. El Sikirtei nftr-tn köbe dfl 

Sil Gharklä bäiJin dü 
Sibbildsekscn Charla Site 
melmeldseji slldak böi. 

E ! örkö-!n Colöger chäliächuni 
ölü sobüni liäidältäi 
öbörölji süchuni 
örbölg^tt jölökdn. 

3. dsachan gburban gennttd tfl 

d'salayha mnlaghata Chalghi 
dsalagha malaghata Chalghäin öiresü 
dnttn ttnflr küngküned. 

ghügin ghurban germüd tü 
ghuljing biiiken CUalgha 
ghuljing biiiken ChalgMin öirfatt 
ghügin Uottr kUngkttned. 

4. nomoghon boro morin (ini morin Sini 

nnson t^iilbmighÄii unjuilSd 
uoyuu diin chairtäi Jojä-gi 
noghona tflrttnleni SukSflUUU 



Den im Teich gewachsnen Schilf 
Hab* ich dir zu lieb' geschnitten; 
Doch un«; beiden zürnt das Schicksal, 
Will uus nimmermehr verbinden. 

Apfel «) den die Pappel trug, 
Hab' ich, Holde, dir gegeben; 
Ob Ich ^ek^ ilm dir gegeben, 
Will das SchidcMl nna nicht binden. 

An dem Hand des Sees von Zucker, 

In dem Phönix-GIas-Palaste 
Weilt erregt die Charla Sise, 
ThiSnen immerdar vergiessend. 

Schaut man durch des Rauchlochs ÖfTnang, 
Ist sie gleich dem llabichtvogel; 
Aber weilt sie in Umarmung, 
Ist sie weicher noch als Flaum. 

In den drei Hflnsem am Rande des Weges, 

Da %vohnt die Chalgha mit quastiger Mütze 
Nahe der Chalgba mit quastiger Mütze 
Lässt sich Tcmehmen Muskatnnssgeracb. 

In den drei Häusern unten im Thale, 
Da wohnt die kleine, liebliche Chalgba; 
Nahe der kleinen, lieblichen Chalgha 
Lässt sich vernehmen Melonengeruch. 

Ach, deinen zahmen grauen Schimmel 

lAsst man da^ wollene T.citseil tragen; 

Die ihrem Fürsten liebe Joja 

LKsst man im Lens von dannen sieheo. 



l) Der Apfel als bekanntes Symbol der Liebe; vergl. auch Schott in den Sit- 
zungsberichten der Berl. Akademie 1S86, p. 1220. Krauss in öittc und Brauch der 
Sttdsl. p. 53, 181, 220 usw. 



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153 



neriken kendir kiligi tini kUigi iini 
neigini olji saghulna sagholna 
neirsek bäidältei Jojdgi 
neqi Namjiivti8u>mcholjiül&d,cholji&lid. 



Nun wird dein liemd von zartem Hanf 
Gesponnen erst und dann genaht, 
Doch Joja, ach, bereit zur Liebe, 
Entreisst man ihrem lieben Namjir. 



5. Berim i^'te chanjal 5im 
Basang-in Cok&d dsokiUtai 
bacban kuken Jojäigi 
bar* nftsu sugh ab'labi. 



Dein mit GriflF geschmückter Dolch 
Zicinl sich Basang''^ Sohn, dem Cokaj 
Doch die liebe kleine joja 
Nahm ich weg aas ihrer Htttte. 



öndör tsaghan jolm' l^ini 
örkdni tsömörktt boltogha 

örifjg'te cir'tc Jojaigi 



Deines hohen, weissen Zeltdachs 
Rauchfang soll ausammenstttrsen ; 

Denn die glanzgcslchtlge Joja 



öb'r^üu sugh' ^d ab'labi. 



Riss ich weg von seinem Busen. 



Prof. B dl int hat den einzelrun Stücken Icüler keine Erläuterungen beigefügt, ja 
nicht einmal den Ort näher bezeichnet, an dem er sie gesammelt: indessen lässt die 
Sprache der Texte keinen Zweifel darflber zu, dass sie ihren Ursprung den wolgischen 
Kalmüken zu verdanken haben. Ich selbst bin ebensowenig in der Lage Erklärungen 
zu geben, die dem Gesamtinhalt völlig gerecht werden und für alle Einzelheiten be- 
friedigen ; die Übersetzung des zweiten Liedes scheint mir durchaus nicht einwandfrei 
zu sein und noch mancher Berichtigung zu bedürfen. Die Erwähnung des Vogels 
{}hari<lri (= Caruda) mochte auf Indien hinweisen, ist aber immerhin kein vollgültiger 
Beweib dafiir, dasü der SlotT des Liedes aus Indien entlehnt ist, so lange es sich nicht 
genau darlegen lässt, dass es einen solchen indischen Stoff tatsächlidi gibt; dass kal» 
mükische T.icder vorkommen, die indische Erzählungen behandeln, werde ich am 
Schlüsse dieser Ausführungen zeigen. Wie wir aus zahlreichen Stellen bei Pallas 
«nd Bergmann, den besten und bisher unerreichten Kennern des mongolischen 
Volkslebens, entnehmen können, hat sich der f.aruda -o tief in das allgemeine Bc- 
wusstsein festgesetzt, dass er aus dem Rahmen buddhistischer Gedankenkreise heraus- 
tritt und in die Erzeugnisse einheimischen Geistes verquickt wird, ein Fall, der wohl 
auch in unserem zweiten Liede zur Anwendung gelangen dürfte. Die epische Voraus- 
setzung des Gedichts scheint mir die zu sein, dass der Vogel ein Mädchen geraubt 
und in seinen Palast gebracht hat, wo sie nun ihr Schicksal beweint, ohne sich gegen 
die Umarmungen ihres Liebhabers zu sträuben wieder ein vollgültiger Beweis dafür, 
dass das Ijcd gleichsam eine Schale vorstellt, die einen epischen Kern einschliesst. 
Als rein lyrisch wäre streng genommen nur das cr.sic Lied bezetchueu : Thema ist 
wie in allen diesen Stucken die Liebe; Grundmotiv: Klage um die Trennung von der 
Geliebten, durchgeführt in zwei Variationen nach den strengen Knn<;tgcsct7.en, denen 
diese Liedchen folgen müssen j variiert wird nur die epische Basis: i. Schilf habe ich 
ittr dich geschnitten, 2. Apfel habe ich für dich gepflflckt, während düe lyrisch« 
Sdllussfolgerung : „dennoch steht uns ein grausames Schicksal entgegen," beide Male 
die nämliche bleibt. In musikalischer Hinsicht ist m bemerken, dass dieses Lied wie 
alle anderen durchkomponiert ist, die zweiten Strophen also nach der Melodie der 
ersten gesungen werden: Nr. i und 4 schlicssen auf der Sekunde, Xr. 2 auf der 
Quinte, Nr. 3 auf dem Grundton, und Nr. 5 auf der Quarte; die beiden letzteren 
Fälle sind meines Wissens bisher noch nicht beobachtet worden (s. Stumpf 1. c. 304). 
Der Bau des dritten Liedes stimmt mit dem des ersten genau überein; der einzige 
Unterschied besteht darin, dass nicht der Inhalt der beiden Strophen variiert wird, 
sondern nur je ein Attribut der erzählenden Überschrift und der lyrischen Nachschrift. 
Dass der Liebhaber den Wohlgeruch seiner Angebeteten verherrlicht, ist im Hinblick 
atif die nicht gerade einschmeichelnden Düfte der mongoli.scher Jurte doppelt wirk- 
sam. In einem barmanischeu Poem wird der auf Reisen befindliche Jüngling senti- 
mental, wenn er das Taschentuch zur Nase zieht, in dem das am Mittag verzehrte 
Huhn, ein Geschenk seiner Donna, eingewickelt gewesen ist. Zwischen 4 und 5 muss, 
wie gesagt, inhaltlich ein Zusammenhang bestehen. Das beweist schon der in beiden 
Uedem auftretende Name Joja ; sie ist die ^Heldin". Beide Lieder tragen ausgespro- 



t) Man vergleiche übrigens die 7. Erzählung des Siddhi-Kür (cd. Jülg). 




154 



chea epischen Charakter und scheinen entweder einer aus quasi Romanzen bestehendeu 
grösseren RhajModie anzugehören oder abgekflnete Versbearbeitungen längerer Prosa- 
erzählungen, wenn nicht in solche eingestreute Strophen darzustellen. Die Cleschichtc, 
auf die das Lied Nr. 4 anspielt, ist ohne Zweifel so zu fassen: Joja Liebt Namjir, 
einen Mann ans dem Volke; doch ein Fürst vernarrt sich in sie, dem sie im Lent 
vermählt werden soll. Die Phrase „man lässt sie im Lenz von dannen ziehen," drückt 
das Original mit den Worten aus „man lässt sie im Anfang des Grases weinen." 
Wlhrend über den Inhalt des 5. Liedes an sich kaum Meinungsverschiedenheiten 
herrschen können, Hessen sich hinsichtlich seiner Verknüpfung mit dem vorausgehen- 
den nlnvciclieiidc Anschauungen geltend machen. Meine Anffnssnng is' ■ Xnmjir nicht 
sich, raubt dem Fürsten die Geliebte und singt nun ein Spülllied auf ihn. Üb Coka 
der Name des Fiirsten ist, mag dahingestellt bleiben. In monkalis^cher Beziehung 
unterscheiden sich die beiden cyklischen Slücke durch einen wesentlichen Zug von 
den drei übrigen. Während in diesen die Melodie die ganze Strophe umspannt, reicht 
sie hier nur bis zum Schluss des zweiten Verses und wird in den beiden folgenden 
Versen einfach wiederholt, in Nr. 5 rnit der Abweichung am Ende, dass auf n statt 
d d die Sekunde g g folgt. Ich möchte daraus schliessen, dass diese antiphonischen 
Lieder von zwei Stimmen oder Chören, die beiden ersten Verse etwa von minnli- 
chen, die lielden letzten von weiblichen Stimmen gesungen werden (vergl. das zweite 
Lied bei Stumpf S. 299). Der eigenartige Rhythmus des fünften Gesanges scheint 
einem Tanzscliritt zu entsprechen: 





































• 




1 • 











Die musikali^iche Beschaffenheit scheint mir ebenfalls für die Zusammengehörigkeit 
der Stanzen 4 und 5 zu sprechen. Wer nur einen oberflächlichen Blick auf den Inlialt 

und insbesondere die Form der wenigen hier mitgeteilten Lieder wirft, wird ogleich 
erkennen, dass wir es mit einer hoch entwickelten Kunstpoesie zu thun haben, der 
ein feines Gefühl für die Schönheit der Formen und Linien anerzogen ist. Diese 
Eigenschaften sind aber, soweit wir sie bisher kennen, allen mongolischen Liedero 
beizulegen. Höchst naiv mu'^?; daher das Urteil eines neueren, sonst nicht ungeschick- 
ten Litterarhiätorikers, A. Baumgartner, berühren, der in seiner Geschichte der 
Weltlittcratur, Freiburg 1897, Bd. II S. 445 den Mongoloi «^iiic ziemlich primitive 
Vollvspoesle, wie sie sich bei allen Völkern wiederfindet,'^ zuschreiben zu müssen 
glaubt. Freilich mögen die Herren von der Ästhetik, dem Ruin aller wahren Wissen- 
schaft, vbvr den Begnff des „Primitiven" und ^ des „ziemlich Primitiven** ihre 
eigenen Ansichten haben. 

Ich will nun versuchen, die historische Stellung jener fünf Lie- 
der, die offenbar zu ein- und derselben Klasse oder Kategorie von 
Kunstdichtung zu zählen sind, annähernd dadurch zu bestimmen, 
dass ich sie zu Liedern derselben Art eines türkischen Volksstam- 
mes in Beziehung setze. Es ist hier nicht meine Aufgabe, auf die 
Verwandtschaftsverhältnisse und den Fonds gemeinsamen Kultu^ 
besitzes von Mongolen und Türken des näheren einzugehen; es 
genüge für unsere Zwecke, auf die Analogieen hinzuweisen, die 
Schiefner in der Vorrede zu seinen Heldensagen der minussin- 
schen Tataren, Pet. 1859, zwischen den Epen beider Gruppen ge- 
zogen hat. Radioff, Über die Formen der gebundenen Rede 
bei den altaischen Tataren in der Zeitschrift ftir Völkerpsychologie 
und Sprachwissenschaft, Bd. IV, S. 103, beschreibt folgendermassen 
die vierzeilige Strophe: 



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155 



„Sie ist die verbreitetste von allen Versarten; in allen Liedern, 
sowohl in Improvisationen wie auch in historischen Liedern ist sie 
fast ausschliesslich allein angewendet. Jede Strophe besteht aus 
vier Versen und zwei dieser Strophen gehören stets zusammen. 
Improvisationen und kleinere Lieder bestehen eben nur aus zwei 
Strophen, während die längeren historischen Lieder eine Anzahl 
von Strophen paaren bilden. Sowohl dem Inhalt, wie auch der 
Form nach stehen die einzelnen Verse der Strophen in gewisser 
Beziehung. Bei den Versen ist zu bemerken, dass je zwei dem 
Inhalt nach ein Ganzes bilden, die letzten beiden Verse der 
Strophe sind entweder eine Vergleichung oder eine Nutzanwen* 
dung der ersten beiden. Die zweite Strophe wiederholt im allge- 
meinen mit anderen Worten den Inhalt der ersten." Und weiter 
heisst es auf S. 104: „Da der Inhalt zweier zusammengehörigen 
Strophen tast derselbe ist, so bemüht man sich auch, der Form 
nach sie entsprechend einzurichten, die Art aber, wie dies hervor- 
gerufen wird, ist durchaus dem Dichter überlassen, und lassen sich 
darüber keine genaueren Regeln angeben; gewöhnlich geschieht es 
durch Versreim in den entsprechenden Versen der beiden Stro- 
phen, oder auch durch correspondierende vokalische Gleichklänge 
und Alliterationen." Diese Bemerkungen müssen ohne jede Ver* 
änderung auch fiir die mongolischen Versformen in Anspruch ge- 
nommen werden, und fugen wir noch das auf S. 105 citierte 
Beispiel an» 



Mein debenjähriger Fuchs 
hatte Heimweh und wieherte, 

die sielicn^igjährige Alte 

dachte an frühere Freuden und haimtc ^ich. 



Mein scchjuhrigcr webser Schimmel 
dachte an den Altai und schrie, 

'Ii" ';*".-l!7i._'';>lir'igc Alte 

dachte an Ii uhere Freuden und härmte sich. 



SO ei^bt es sich klar, dass sich Form, Gegenstand und Behand- 
lung dieser Strophen mit den oben mitgeteilten völlig decken. 
Weitere Lieder dieser Art findet man in Radioff *s Proben der 
Volkslitteratur der türkischen Stämme Südsibiriens, I. Teil, S. 
246—260. Ich beschränke mich auf die Anführung zweier Lieder: 



I Wenn von links ein Wind weht, 
Bew^t er die Häupter des Schilfes; 
Wenn ich all meiner Vcrwaiulten gedenke. 
Kommen Thränen mir aus den tiefen Augen. 

Wenn von rechts ein Wind weht, 
Biegen sich die Häupter des Schilfes; 
Wenn ich all meiner Verwandten gedenke, 
Kommen Thränen mir ans den tiefen Augen. 



2 Meine Gans, wohin flatterst du 

l'nd ermattest deine Flügel? 

Mein Geliebter, wohir) lachst du, 
Entzündend das cnlbrauulc Ilerx? 

Mein Schwan, wohin nattcrst du 
Und ermüdest den Flügelknochen? 
Mein Freund, wohin gehst du. 
Entzündend das entbrannte Hers? 



Diese Gattung der Poesie in ihrer strengsten Form beschränkt 



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156 

sich nun auf die Altajer und Teleuten des Altai. Da die Kalmii- 
ken ihnen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert benachbart 
wohnten, so ist mit dieser Tatsache auch der historische Beweis 
geliefert, dass die in Rede stehenden Geisteserzeugnisse beider 
Völker derselben Richtung anirehören, den gleichen Verhältnissen 
entwachsen, der nämlichen Quelle entsprungen sind. Wer der Ur- 
heber, der Schöpfer, wer der Entleliner, der Empfangende gewesen 
sei, ist eine Frage, die sich vor der Hand nicht im geringsten 
entscheiden lässt. Es käme zunächst insbesondere darauf an, zu 
zeigen, ob der geographische Verbreitungsbezirk jener Liedform 
in Wirklichkeit nicht grösser ist als uns bisher bekannt, und zu 
diesem wie für alle übrigen Zwecke muss sowohl mehr mongoli- 
sches als tiirkisches Material gesammelt werden. Jedenfalls ist ein 
kleiner Fingerzeig gegeben und in chronologischer Hinsicht fest- 
gestellt, dass die oben mitgeteilten fünf epigrammatischen lyrisch- 
epischen Lieder, deren Form man annähernd mit unserm Distichen 
oder den altjapanischen Uta's vergleichen könnte, nicht modernen 
Ursprungs sein können» sondern in eine Periode zurückreichen, die 
vor der Einwanderung der Kalmüken auf russisches Gebiet liegt. 
Ist dieser Gewinn auch vorläufig gering, so ist es darum nicht 
augeschlossen, dass er für eine an Sammlungen reichere Zukunft 
an Bedeutung zunehmen kann. 

Anhang. H. A. Zwick teilt am Schlüsse seiner „Grammatik der 
West-Mongolischen, das ist Oirad oder Kalmükischen Sprache", 
Königsfeld 185 1, den Text eines siebenstrophigen Gedichtes nebst 
Übersetzung mit. Es ist in ein Märchen eingeschaltet und gibt die 
Klageworte eines herumirrenden Königs wieder, der auf der Suche 
nach der ihm geraubten Gattin ist. Zwick glaubt hierbei Ähnlich« 
keiten mit der Qakuntalä herauszufinden, allein er hat den wahres 
Sachverhalt verkannt Das Gedicht ist nämlich nichts anderes als 
eine Nachahmung des vierten Aktes von Kälidäsa's Vikramorvagt, 
wo der König PurOravas im Walde umherirrt und alle ihm begeg- 
nenden Tiere und Pflanzen anfleht, ihm zur Erlangung seiner ent- 
schwundenen Apsaras Urva^i beizustehen. Den Mongolen ist diese 
Geschichte, wie der grösste Teil ihrer Litteratur, auf dem Wege 
über Tibet zugekommen; denn sie findet sich im tibetischen 
Kandjur, aus dem sie Foucaux mit der Bezeichnung Elegie unter 
dem Titel Plaintes de Norzang ä la recherche de Yidphroma in 
seinem Buche Le tr^r des belles paroles, Paris 1858, S. 45, über- 
setzt hat. Inhaltlich deckt sich diese Version genau mit der kal- 



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157 



mükischen; die angeredeten Tiere und Gegenstände werden in 
derselben Weise und Reihenfolge abgehandelt, und zwar i. Mond, 
2. Gazelle, 3. Biene, 4. Schlange, 5. Kuckuck, 6. Baum. Im indi- 
schen Drama ist die Zahl dieser Wesen noch weit grosser* Das 
tibetische Yfd*op*^ro>ma (d. h. die Herzerfreuende) ist wörtliche 
Übersetzung des Sanskritnamens Manohari, was die Kalmüken als 
Manuhari beibehalten haben. Die wertvollste Beobachtung nun, 
die wir bei Gelegenheit dieser Zusammenstellung — es ist zu ver- 
wundern, dass sie niemand zuvor gefunden hat — machen können, 
ist die, zunächst, dass auch nicht-buddhistische Stoffe der indischen 
Litteratur zu den lamaistischen Völkern gedrungen sind, sodann 
dass solche Stoffe nicht in ängstlich wörtlich-sklavischer Überset- 
zung, wie dies in der religiösen Litteratur der Fall ist, sondern in 
freier Souveränität, in dichterischem Waltenlassen eigener Phantasie, 
die alles dem Volksgeist Fremde entfernte oder diesem assimilierte, 
herübergenommen worden sind. Die Mongolen vollends copierten 
nicht, sondern schufen nach, dichteten nach. Was ihre Märchen 
betriflflt, so hat bereits die Sammlung des Siddhi-Kür fiir diesen 
Zug beredtes Zeugnis abgelegt; so ist nunmehr auch ein Beispiel 
erbracht, das fiir ihre poetische Litteratur dieselben Kräfte wirk- 
sam zu sein scheinen. Denn das fragliche Lied ist in strengge- 
bauten Alliterationsstrophen nach allen Regeln der Kunst abgefasst 
und formell nicht von einheimischen Produkten zu unterscheiden; 
daher ist es Blut von ihrem Blut und Fleisch von ihrem Fleisch 
geworden. 



Chinesische geheime Gesellschaften. 

Von Wilhelm Gruner. 

Dieser Gegenstand ist äusserst merkwürdig. Die Anzahl der 
Geheimbünde ist sehr gross, und obzwar der grösste Teil mit öf- 
fentlichen Angelegenheiten nichts zu tun Iiat, und die mcissten 
von ihnen verfolgt werden, so ist jedenfalls auch nicht ein einziger 
darunter der regi« 1 u:i;^sfreundlich waix. Die grössten dieser „Ge- 
sellschaften" sind aber der Regierung besonders feindlich gesinnt. 
Austreibung der 'iatai\jii, uiul, wie wir es nennen würden, »China 
für die Chinesen' ist ihr Feldgeschrei. Sie arbeiten ohne Aufhören 
an dem Umsturz der Dynastie; jedes Jahr erheben sie Revolten 



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iSB 

und in Intervallen grosse Revolutionen. Die Taiping Revolution 
war das Werk der T'^ien-Ti^Hwey ^itk'^* und kein anderer 
„Geheimbund" hatte eine solche Macht bewiesen. Es ist wenig- 
stens gewiss, dass die Unruhen, die den fürchterlichen Ausbruch im 
J. 1849 erregten, durch Hung Sin-Tsiuen ^ ^ einem 
Grossmeister der T'^ien-Ti-Hwey hervorf^erufen wurden. 

Wo immer Chinesen leben, luLbcn :3ie ihre Gehcinibundc, unter- 
geordnet der Muttcrloge und der Hauptzweck besteht meistens 
darin, die Mandschu Dynastie zu stürzen. Es ist zweiielhatt ob 
die Emigranten von San Francisco oder Melbourne sich um die 
heimatliche Politik bekümmern, aber ein Teil der Beiträge wird 
der Muttcrh^ge in China übermittelt. Kurz, den, der mit den Ver- 
hältnissen bekannt ist, wird eine Revolution in China gewiss nie 
überra-schen. 

Die erste dieser Gesellschaften in jeder Hinsicht ist die der 

THen- Ti-Hiuey. 

Frappirend ist die Ähnlichkeit der Gebräuche und Rituale die- 
ser Gesellschaft mit jenen der Freimaurer, und ich kann nur auf 
das berühmte englische Werk Dr. Schlegel 's „The Thian-Ti- 
Hwey or Hung Leagiie in 1866" hinweisen. 

Seine Forschungen waren durch einen glücklichen Zufall unter- 
stützt. Ein Chinese wohnhaft in Padang, auf Sumatra, war eines 
Diebstahls verdächtigt und die Polizei hielt bei ihm eine Haus- 
durchsuchung ab. Sic fanden dort eine Menge Bücher und Docu- 
mente, die erwiesen, dass in Padang eine Loge der T^ien-Ti mit 
circa 200 Mitgliedern existirte. Schlegel erhielt diese Documente 
und alle andern Beweismittel vom Governement zu seiner Ver- 
fügung. Auf Grund dessen verÖHentlichte er sein obgenanntcs 
berühmtes Werk, wozu er jedoch nicht die geringste Unterstützung 
seitens der Chinesen erhielt. ^Ich konnte keinen einzigen unter ihnen 
finden" sagt er, „der mir auch nur die allergeringste Äusserui^ 
hierüber geben wollte." 

Nichtsdestoweniger gelang es doch später dem Mr. W. A. Pi- 
ckering, Protector der Chinesen und Registrator der Geheimen 
Gesellschaften in Singapore bei den Häuptern der «Hung" Lt^ 
ein solches Vertrauen zu gewinnen, dass sie ihm erlaubten an 
einigen ihrer Versammhmgen teilzunehmen, aber er schmeichelt 
sich nicht mit dem Glauben, dass der Ritus, der in seiner Gegen- 
wart vollzogen wurde, derselbe sei, der unter andern Umständen, 
d. h. bei seiner Abwesenheit ausgeführt worden wäre. 



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159 



Die T^ien-Ti, oder ^Htmg" Lo<^c beansprucht ein undenkliches 
Alter. ^Seit der Erschaffung der Welt" sa^t der Catcchismus, 
„trai^en wir den Namen „//////^<,'-"." Als Hauptbeweis des hohen 
Alters dieser Loge gilt die Ehruns^f der Helden Liu-pi, Tchang- 
fi, und Kwan-yü, deren Ruhm im Jahre 184 a. blühte. 

T^ien-Ti'Hiuey bezeichnet soviel als Vereinigung von Himmel 
und Erde. Ihr Symbol ist das Dreieck. Auffallend ist die Rein- 
heit ihres Moral Codex: Gleichheit der Menschen, Wohlwollen, 
die Vergebung von Beleidigungen, werden darin immer und immer 
erwähnt. Wie es jedoch in der Wirklichkeit damit steht, werden 
wir gleich hören. 

Dieser Bund besitzt noch einen andern Namen, Savi-hap, über- 
setzt „Dreiheit", mit welchem Namen er mehr unter Ausländern 
bekannt ist; aber die Bedeutung ist dieselbe, — Himmel, Erde, 
Mensch. Praktischer bezeichnend ist der Titel „Hung" Loge. 
jHun^;*' -teilt für „Wasser", auch „viel" also figürlich ^allesumfas- 
send*'. Auf Grund dieser bezeichnenden Titel beansprucht der 
Bund Treue und Hingebung von alUn Chinesen. Er hält sich be- 
rechtigt jedes Mittel anzuwenden, um sich der Bekehrten zu ver- 
sichern und jene zu strafen, welche den Bund verwerfen. Die 
, Rechte" der katholischen Kirche im Mittelalter sind eine genaue 
Parallele. Die , Einführungen" erfolgen daher weniger freiwillig, 
meist gezwungen. Jede Loge hat eine Anzahl Tai-ma ^ ||| , 
deren Pflicht darin besteht, Rekruten zu erjagen. Nachdem eine 
Person herausgefunden wurde, deren Beitritt aus einem oder dem 
andern Grunde erwünscht oder von Vorteil wäre, so wird sie durch 
eine kurze Notiz aufgefordert, sich an den und den Ort zu bege- 
ben. Der es unterlässt, dieser Aufforderung nachzukommen, thut 
am besten die Nachbarschaft zu verlassen und seine neue Adresse 
zu verheimlichen. Prügel oder eine falsche Anklage würden ihn 
sicher treffen und er könnte von Glück sagen wenn ihn nichts 
ärgeres träfe. Aber Niemand wird sich weigern dem Befehle nach- 
zukommen, ausser er zieht ein Exil vor. Jedoch, wenn es schon 
sein muss, so bringt auch die Mitgliedschaft Ersatz dafür. Oder, 
der vom „Schicksal" bestimmte wird in einem öffentlicher Locale 
angehalten und aufgefordert, dort und dem zu folgen. Ja, wenn 
sich Gelei^enheit bietet, so wird er auch mit Gewalt an den be 
stimmten Ort gebracht. Eine beliebte Weise ist auch die: Der 
Aufgeforderte erhält einen Schlag ins Gesicht. Er verfolgt seinen 
Angreifer und eine Anzahl eingeweihter Spaziergänger beteiligen 



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i6o 

sich an der Verfolgung, welche sie zu einem entlegenen Platze 
führt, wo sie plötzHch den Angegriffenen anfallen. 

In allen Ländern wo die T^ien-Ti bestehen, befinden sich ihre 
Logen an den geheimsten, unauffindbarsten Plätzen. Der Eingang 
ist so compUcirt wie nur möglich, jeder Zugang ist mit Fallen, 
Fallgruben, etc. unter Aufsicht bewaffneten Manner umgeben, j 
welche sich verborgen im Busch, zwischen den Bäumen etc. auf- 
halten, natürlich nur wenn eine ^Versammlung" abgehalten wird. 
Das erste Thor welches zur Loge führt heisst «Ang" jjjOC* Gegen^ 

über dem ,Ang" Thore liegt das Ost Portal mit den bewaffneten 
Wachen und Officiren. Nord, Süd und West sind ebenso bewacht, ^ 
jedes Thor unter der Aufsicht eines , Generals" mit seiner Flagge7*< 
Wenn man von Osten die Loge betritt, so kommt man in den '■ 
, Rothen Blumen Pavillon" fk't^i^f wo ein Bassin mit Wasseryj 

aus dem «heiligen Sam-ho" ^ jgf Flusse zur Reinigung der „See- 1| 
len*' gehalten wird. Dann passirt man durch den Kreis des , Him- 
mels und der Erde" zur Brücke, an welcher der «Rothe Jünger" 
mit einem Speere bewaffnet sitzt, um jene Unwürdigen nieder- | 
zustechen die der Wachsamkeit des So-Ang-Kuang am «Angf" j 
Thore entgangen Nächst der Brücke liegt der «Markt des Welt- 1 
friedens" und der Tempel «des Friedens und der Glückseligkeit'*. 
Hier sind wir nun in der «Statt der Weiden" oder «Pfirsich Garten" ' 
genannt, in der Loge selbst. Wenn jemand dies liest und glaubt 
im Geiste, ein mit vierfachen Wällen umgebenes Gebäude zu sehen, 
der ist im Irrthum. So sind sie in Singapore, wo sich die Geheimen 
Gesellschaften ohne Furcht schöne Logenhäuser erbauen konnten. 
Aber anderswo ist alles viel ernster: Die Gitter solid, die Brücke 
gefährlich, die Schwerter scharf und die Wachen nur zu bereit, 
sie benützen. Eine Loge der «T^ien-Ti" ist ein kleines befestigtes 
Lager. Vom. »Ang'* Thore «bis zur Stadt der Weiden" sind es 
mehrere Kilometer, verderbenbringend und verhängnissvoll mit 
jedem Schritte für den Uneingeweihten. — Um die Ceremonien 
der «Einführung" zu beschreiben, die ausserordentlich interessant 
sind und einige Ähnlichkeit mit jenen der Freimaurer haben, 
müsste man ein dickes Buch liefern. Kurz: der Novize wird von 
dem «General" ausserhalb des «Ang" Thores empfangen. Er muss 
entweder mit ganz neuen weissen Kleidern, oder wenn davon 
dispensirt, mit frisch gewaschenen Kleidern versehen sein. Der Zopf 
ist lose, als Zeichen des Widerstandes gegen die Mandschu Dynastie; 
seine Taschen geleert, seine rechte Schulter und seine Knie nackt. 



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t6i 

So vorbereitet muss er seinen Namen, Geburtsort, etc., dem 
jRegistrator** angeben, einen Betrag von circa lo fl. entrichten 
^ '■' und kniend warten. Der Wache-General des »Vau" Theres hat 
unterdessen den „ Meister*' um die Erlaubniss gebeten, einen No- 
^ vizen einitihren zu dürfen, welcher sodann sofort durch's Thor, 
und einen aus Schwerten gebildeten Gang, und unzähligen For- 
malitäten zur , Stadt der Weiden'* gebracht werd. Der Spektakel 
^ nun ist hier unbeschreiblich. Nach Abnahme eines feierlichen 
^ Eides in 36 Artilden, die Gesetze und Vorschriften der Loge zu 
mütt befolgen, erklärt der Novize, dass alle seine Verwandten, etc. für 
2cr ihn „tot** sind, weil die Mitglieder durch keine verwandschaftlichen 
Bande gebunden sein dürfen. Vor dem Throne des , Meisters'* 
dei liegt der Novize nun hingestreckt, die Schwerter der 8 »Ritter** 
berühren seine nackte Schulter, bis seine Aufnahme ausgesprochen 
ist. Dann wird ihm eine Tasse mit »Arrack" gereicht, er ritzt 
seinen Arm und lässt ein bisschen Blut in die Tasse tropfen, 
worauf er selbe austrinkt. Nächsten Tag erhält er vom Logen- 
SekreÜlr die einfachen Fassworte und. Zeichen, sowie ein Instruc- 
tionsbuch, — aber die noch zu erlernenden , Geheimnisse** sind 
endlos. 

Die T^ien-Ti bestehen aus 5 Grosslogen — in Fuk-kien, Kwang- 
tung, Yun-nan, Hunan, und Tsche-kiang — einer von diesen sind 
alle Zweiglogen unterf2;eordnet. Die , Meister" dei i^ciicuinten Logen 
haben als „hoher Rat" die Z\veiglü<^en in allen Teilen der Krde 
zu leiten, wenigstens ist dies die Theorie. Jede Localloge hat 
ihren Präsidenten, zwei Vice-Präsidenten, einen Meister, zwei Ein- 
führer, einen Cassier, und 13 Berater (Ritter), von welchen acht (8) 
ein „quorum" formiren. Die Mitgliedcrzahl wird auf mehrere Mil- 
lionen c^eschätzt. Nachdem wir auf die Or<:^anisation der T'^ien-Ti 
einen l<urzen Überblick geworfen haben, müssen wir noch ihren 
wirklichen Einfluss in Betracht ziehen. Gewisse Artikel ihrer 
Eidformel unterstützen uns hier. Einer der ersten Artikel darin, 
•'^1 befiehlt jedem Mitgliede sich bloss um seine eigenen Angelegen- 
heiten zu kümmern, der zweite verbietet unter Strafandrohung 
j einem iV^'cÄ Mitgliede Vertrauen 7,u schenken; der 34. Artikel 
■\ verurteilt ihn zu einem grausamen Tode, wenn er Polizei, Magistrat 
• i oder sonst eine Regierungspersönlichkeit in irgend einem Ealle 
•I anruft, unter allen Umstanden; der 35. verspricht ihm ein fürch- 
terliches Loos wenn er Zeugenschaft vor Gericht ablegt — ausser, 
: wohlverstanden, auf Befehl seiner Vorgesetzten — das ist gewöhn- 
lich für falsches Zeugniss. 

II 



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l62 



In der Ansprache des „Meisters" an die Candidaten wird schon 
gesagt, dass alle Klagen, Beschwerden, u. s. w. dem „Meister" vor- 
zul^en sind, welcher Recht und Urteil schaft — niemals aber 
sich an ein Gericht gewendet werden darf. — Diese Grundsätze, 
die Verwerfung der ganzen öffentlichen Gerichtsbarkeit und die 
Ausübung ihrer Macht durch ein unverantwortliches Tribunal hat 
ein „imperium in imperio" hervorgebracht das faulste, blutigste 
und drückendste, was in dieser Hinsicht bestehen kann; die ,Hung" 
Loge hat Bruderkrieg und Mord noch überall hingebracht, wo sie 
besteht. 

Die Colonial Filiallogen der T^ien-Ti sind gegeneinander mörde- 
risch feindlich gestirnt. Sie haben, faktisch, kein raison d*^e — 
ausser der Feindschaft gegen die Mandschu, sehr unbestimmt in 
Wirklichkeit, ausser interne Kri^e. — Ihre Häupter besitzen 
enorme Reichtümer. Chang Ah Kwi, ein Hauptmitglied der 
Gin-seng Zweigloge in Penang, besass 2 Millionen Pfund Sterling, 
als er wegen eines Mordes hingerichtet wurde. Sein Complice, 
der zugleich mit ihm in Untersuchung sass, war ebenso reich; der 
Districts-Grossmeister Khu-Than^Tek, welcher vom obersten 
Gerichtshofe ebenfalls formell verurteilt wurde, erklärte, dass das 
Governement ihn nicht hängen dürfe — und er bewies insofeme 
dass er Recht hatte, weil er begnadigt werden musste. 

Die Arbeit dieser Wühler in China ist unnötig zu detaillieren; 
Fast zwei Jahrhunderte kämpft die kaiserliche Regierung gegen sie, 
und mit welcher Strenge, ist daraus zu ersehen, das in CanUm an 
einem Tage 3000 Mitglieder geköpft, und circa 10000 in die Ge- 
fängnisse bei Peking gesteckt wurden, wo die meisten von ihnen 
in Folge der Unruhen im Jahre 18 17 zu Grunde gi engen. 

Die nächste grosse geheime Gesellschaft nach der T^ien-Ti ist 

die tlcr ^Wn-Wci-Kiao''^ 5^ Das hcisst „Thue Nichts, 

Lehre" oder ^Lehre der Enthaltsamkeit". UiT^cre Bekanntschaft 
mit ihr ist nicht gross, weil sie in den Colonien, soviel ich weiss, 
fast gar nicht vertreten sind, und sie in China mehr c^efiirchtet 
und gehasst als die TSen-Ti Loge ist. Trotzdem gelang es mir 
während meines Aufenthaltes in China einiges über sie zu ergrün- 
den. Es erscheint als gewiss, dass die Wu-Wei-Kiao die directen 
Abkömmlinge der „Weissen Lotus" Loge sind, einer Gesellschaft 
welche eine furchbare Rolle in der chinesischen Geschichte spielte. 
Zu allererst wird ihrer in einem Edikt des Kaisers Yung 
Tching, 1727, gedacht, das gerichtet ist gegen geheime Gesell« 



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163 

schaden und falsche Gesetze, .welche," sagt das Edikt, Jene 
sind die das Volks aufreizen zur Rebellion, unter dem Vorwand, 
ihm Tugenden gleich den Gesetzen der «Weissen Lotus*' einzu> 
prägen* 

Ich vermute, dass die Religion in diesem Bunde einen grössern 
Einfluss hat als bei andern. Färbige Kleider sind verboten. Die 
Mitglieder gehören zu den allerstrengsten Vegetarianern ; sie be- 
nützen keine spitzigen Instrumente; ja noch mehr, ihr ganzes Hab 
und Gut wird dem Bunde zur Verfügung gestellt. Auch Frauen 
können beitreten. Eine ^osse Anzahl der Mitglieder gehört der 
reichen Classe an, wodurch die Loge über grosse Summen verfugt. 
Wie es auch immer mit der T^ien-Ti Loge bestellt sein mag, ge- 
wiss ist es, dass die Wu-Wei-Kiao Loge nur durch eine Person 
geleitet wird. Ein gewisser Fang Yung-Chen war Grossmeister 
wahrend der Regierung des Kia-king, und er fasst, angestiftet 
von seiner Gattin Ma.-erh Ku-liang den Plan, den Palast in 
Peking in die Luft zu sprengen. Viele Monate wurde der Plan 
ausgebrütet, und obzwar dabei mehrere tausend Personen, männ- 
lich und weiblich, beteiligt waren, so erfuhr die Regierung doch 
nicht die geringste Andeutung davon. Erst als die Verschworenen 
den Palast betraten, verlöschte plötzlich ein starker Windstoss die 
Lichter, und einige der Verschworenen, von panikartiger Furcht 
gepackt, schrien auf, wodurch die Wachen alarmirt wurden; so 
kam das projectierte Attentat zur Kenntnis der Regierung. Dies 
geschah im Jahre 18 10. Kaiser Kia-king übte von nun an seine 
volle Macht zur Vernichtung der „Weissen Lotus" Bruder aus. 
Ihr Hauptquartier war damals gerade wie jetzt in der Provinz 
Nanking, wo die Brüder zu den Waffen griffen und sich durch 
einige Monate verteidigten. Doch die Gefangennahme des Gross- 
mcisters Fang-Yung-Chen nach einer verzweifelten Sclilacht 
beendete die Revolte. Viele Tausende wurden i^afangen, so viele 
dass sogar ein chinesischer Vicekönig geneigt war, gnädig gegen 
selbe zu verfahren. Er machte ihnen den Vorschlag, sammtlichc 
Todesurteile über jene aufzuheben, welche einwilligen wurden, 
Fleisch zu essen. Sehr wenige gingen darauf ein. Aber der l^und 
prahlt, cLl'^'s jeder dieser Wenigen vom „Bunde" nachher gefangen, 
verurteilt und gemäss den ^Bedingungen" des verletzten Eides 
hingerichtet worden sind. 

So heiss und so lang wurde nun die Verfolgung der „Lotus" 
Brüder fortgesetzt dass sie sich ent.schlo.s.sen, den Namen ihrer 
Loge von ^Weisse Lotus" in , Wu-Wei-Kiao" (D. h. ,Thue Nichts") 



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1^4 

abzuändern. Es ist mir nicht bekannt dass sie seit dieser Zeit eine 
offene Bewegung gegen die Mandschu Dynastie versucht hätten. 
Aber der Einfluss dieser Loge ist gross und scheint sich fort aus- 
zubreiten. Sie arbeiten mit der Furcht der Bevölkerung, welche 
die ,Wu-Wei-Kiao" als eine Bande von unheimlichen Zauberern 
betrachten. Alle Arten von Teufelsg^ewalt werden ihnen beigelegt. 
Ich wurde von erfahrenen und intelligenten Chinesen allen Ernstes 
versichert, dass die Genannten im Stande seien, aus Papier Vögel 
herauszuschneiden, und sie mittelst einer gewissen Hexerei mit 
Leben und Bewegung zu erfüllen. Durch eigene Anschauung 
glaube ich, dass einige der „Häupter** es durch fortgesetzte Übung 
dahin gebracht haben, ihren Atem eine unglaublich lange Zeit 
zuzückzuhalten. Sie werden dann ganz schwarz im Gesichte und 
fallen in eine Art Starrheit; „inzwischen** heisst es, „verlässt die 
Seele den Körper und sammelt Informationen über alle möglichen 
und unmöglichen Sachen ein.'* Wenn die Starrheit vorüber ist 
kommt die „Seele** zurück, der Atem funktionirt wieder und die 
„Offenbarung** wird verbreitet. Einmal versäumtes ein Mann seine 
„wandernde Seele** zurückzurufen, und er starb — zum grossen 
Missbehagen seiner „Brüder**. 

Eine andere mächtige Gesellschaft ist die Ko-Lao-Hwey'^ ^ 
oder Loge des Altern Bruders. Sie besteht erst seit der Taiping 
Revolution; wie der Bericht lautet, errichtete sie General Tseng- 
Kuo-fan ^ ^ während der Belagerung von Nanking, Es 
ist dies ein sehr gefahrlicher „Bund", mit immer mehr zunehmen- 
der Stärke. Nachdem die T^ien-Ti ihren Sitz in Hok-kien, und 
die Wu«Wet-Kiao in Nanking haben, so errichtete die Ko-Lao ihr 
Hauptquartier in Hunan und Honan, den Centraiprovinzen. Sie 
geben sich als „Vertreter der reinen chinesischen Rasse", den 
Söhnen Han*s, aus, zu welchen die Einwohner des Südens und 
Westens so entfernt stehen wie die Tataren. Diese Unzufriedenen 
stehen hinter der Ming Dynastie, wie schon der Name der Loge 
„Altere Brüder*' sagt, zur Hauptlinie des Tang, welche schon 
längst als ausgestorben vermutet wird, aber zweifellos wird ein 
„Propfreis vorkommen, wenn der Thron mal erledigt sein wird. 

Dieser Bund besteht meist aus Soldaten, einer desperaten und 
missachteten Bande; dort wo sie Einfluss haben bestehen sie aus 
einer colossalen Anzahl schlechter Charactere. Der „Ko-Lao** ist 
faktisch ein Militärbund. Ihre Agenten reisen gewöhnlich als 
„Arzte**, Nachrichten bringend von einem Punkte zum andern. 



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i65 

und machen auf ihren Wegen Proselytcn. Eine (jcscilschaft von 
alten Soldaten, die den Zweck verfolgt die Civil-Macht zu stürzen 
ist natürlich sturmbewegt. Die Ko-Lao haben auch während ihrer 
kurzen Existenz bereits mehrere Revolten anq^efacht. Im Jahre 
1870 und 1871 veranstalteten sie frcfahrliche Unruhen in Hunan, 
aber die grosse Bewegung wurde durch einen glücklichen Zufall 
niedergeworfen. Ein geheimer Brief, welcher den Plan enthielt das 
Pulver-Magazin in Hukow in die Luft zu sprengen, gelangte aus 
Versehen an eine falsche Adresse. In diesem Briefe waren mehrere 
der Hauptanstifter mit Namen genannt, welche sodann ergriffen 
und promptest enthauptet wurden, und es gelang für eine Zeit 
diese »Loge" zu unterdrücken. 

Es giebt noch viele andere Geheimbünde, die ich hier gar nicht 
anfuhren kann. Die Mohammedaner, die officiell mit 20 — 25 MiU 
Honen angenommen werden, haben einen geheimen Bund, den 

^Hwuy-Hwuy'Jin/^^ [eI ImI ^ • ^^'^ Neuaufgenommener muss sich 
vor der Einfuhrung einer gründlichen Reinigung unterziehen und dies 
geschieht durch — tüchtige Prügel! Nachher wird über ihn die 
^qucstion de l'eau" verhängt, — indem er eine ungeheure Quan- 
tität Wassers mit Seife trinken muss — damit alles Schweinefleisch 
und »Unreine" aus ihm herausgetrieben wird. Aber seit den furcht- 
baren Massacres zu Kaschgar sind diese Sektirer eingeschüchtert. 

Tientsin hat die Tsai-U-Hwey, augenscheinlich eine religiöse 
Loge. Die Mitglieder kleiden sich nur in Weiss, sogar weisse Hüte 
und Schuhe müssen sie tragen j sie enthalten sich aller geistigen 
Getränke, Opium, Tabak, und fallen in Extase, wenn sie beten. 
Nachdem sie leicht erkennbar sind, so werden sie sehr verfolgt. 

Andere Gesellschaften, deren Geheimnisse voUstandii; unbekannt, 
sind die Tsze-T^ivan-Kiao, und die Tan-Pei-Kiao. Uber die erste- 
rcn konnte blos das ermittelt werden, dass sie fast nur kleine 
KIÖHse essen, jedenfalls hat dies eine symbolische Bedeutung. Die 
Letzteren knien auf einem i^rossen Teppich uiui beten; in einem 
gewissen Momente werden die 4 Ecken des Teppichs gehoben, 
über die Köpfe gezogen, und festgemacht. Der in Verzückung 
geratene „Inhalt" verfällt in Starrsucht und prophezeit. Unser 
Wissen über diesen Punkt ist sehr gering und dieses Wenige 
wurde nur durch ihre Feinde, die Mandarinen, der Öffentlichkeit 
bekannt gegeben. 

Was die einzelnen »Logen für gute Werke" anbelangt, so giebt 
es deren eine Legion. 



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i66 



Der Tote in Glaube und Brauch der Völker. 

Eine Umfrage. 

II. In Portugal. Theophilo Braga schildert in seinem Werke 
„Ethnographia Portugutv.a" Lissabon i886, livraria Ferreira, in 
einer historischen Zusammenstellung die Trauerriten in Portugal. 
Der Ritus der Totenbestattung lässt sich nach seiner Zusammen- 
setzung und Verschiedenheit der Ausiibungen beim Tode und 
beim Gedenken der Verstorben cn , in drei Gruppen einteilen ^ 
l) Was die Beisetzung der Vcr t iDenen betrifft. 2) Was sich auf 
die Hcilighaltung seines Gedächtnisses an den Jahrestagen bezieht. 
3) Was aus dem Aufgeben des Kultus entspringt, wenn die Toten 
böse Geister werden, die Furcht erregen, und nur durch, bestimmte 
Handlungen wieder zu versöhnen sind. 

Der Gebrauch, die Alten oder Unheilbaren durch die Hand der 
eigenen Verwandten zu töten, gehört den Zeiten an, wo Mangel 
an Existenzmitteln oder Kriegszufälle den Stamm zu diesem ge- 
waltsamen Hilfsmittel nötigten. 

Diese Sitte muss demnach tiefe ethnologische Wurzeln haben, 
da sie noch in volkstümlicher Erinnerung besteht uud auch aus- 
nahmsweise noch geübt wird 

In den Dörfern giebt es gewisse Weiber, die in die Häuser 
gehen, um den Leidenden „beim Sterben zu helfen" und die beim 
Todeskampf am Kopfende des Lagers rufen, um den Teufel zu 
verjagen: „Sprecht mit mir aus dem Grunde der Seele: Hilf 
Jesus, ich sterbe!" ! 

Dieser Zug findet sich noch primitiver in Nisa, wo diese Weiber 
die Schmerzstillenden (despenadeiras) genannt, zur Beschleunigung 
des Todeskampfes dem Sterbenden den Brustkorb eindrucken. ' 
Manchmal bitten sc^r dann die Kranken »ihnen noch nicht die 
Schmerzen zu stillen." 1 

Von der Gemeinde in Cabreira wird berichtet: ,In den ersten 
Zeiten der christlichen Kirche führten die Söhne, wenn die Eltern 
nicht mehr arbeiten konnten, diese an eine abschüssige Stelle des , 
Berges und stürzten sie in den Fluss." \ 

Die Behandlungsweise der Leichen, das Beerdigen, Verbrennen 



1) Daiübei vcrgl. T. Sartori's gruudlegende Untersuchung: Die Sitte der Alten 
tötung. (Globus). 



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167 



oder Aussetzen, 'entspricht den verschiedenen Racen und Kultur- 
epochcn. 

Die Verbrennuiiä^^ der bekleideten, juwelcngeschmückten Leiche 
herrschte bei den Lusitaniern und Galliziern und ist echt celtisch. 

Es werden Aschenurnen erwähnt, die sich in Gallizien in den 
Tumuli gefunden haben. 

Die Grabhügel — die von einer prähistorischen Bevölkerung 
hinterlassen wurden, finden sich noch häufig in Portugal, (in der 
Volkssprache heissen sie mamoas, antellas, und antinhas), trotz- 
dem schon ein grosser Teil durch Ackerbau oder gelegentliche 
Schatzgräbereien zerstört wurde. 

Dr. Martins Sarmcnto giebt eine Notiz über die Hügel im 
Valle Ancora, von denen einige gruppenweise zusannnenliegen : 
„Die Prüfung der Dolmen und der Tumuli in Ancora zeigte, dass 
sie immer einen kleinen Hügel bildete, der Grösse des Grabes ent- 
sprechend, und der immer in derselben Weise aus Erde und 
Kiessand bestand." (Revista „O Pantheon" pag. 4). 

Die Gegend zwischen Citania und Sabroso, wo sich ehemals ein 
solcher Grabhügel befand, heisst noch immer Monte d'Antella; in 
Pampolide hat das Campo das Antinhas verschiedene in den Fel- 
sen sich fortsetzende, offene Grabstätten. 

In der christlichen Zeit begrub man in Portugal nur an ge- 
weihten Plätzen, also in den Kirchen oder auf dem Vorplatz der 
Kirche — man warf Steine auf die Gräber und nannte die Hügel 
a Gläubige in Gott" oder „Montes Gaudios". Im Elucidario des 
Viterbo ist davon die Rede: „In dem ganzen Reich sieht man 
diese Steinhaufen auf den Strassen, und es besteht kein Zweifel, 
dass sie absichtlich und nicht zufällig errichtet wurden.*' 

Viterbo führt den Brauch auf griechischen Ursprung zurück, 
von der Sitte abgeleitet zu Ehren von Hermes oder Merkur Steine 
zu werfen, um die Reise glücklich zu vollenden — aber der Gott 
der Reisenden war ursprünglich ein Psychopompus, der Seelen- 
fiihrer der Toten, und daher muss man auf den mythischen Ur- 
sprung dieses Bestattungsbrauches zurückgehen. 

Aus der Provinz Minho bemerkt Teixeira Bastos: ,Wenn 
ein Dorfbewohner an einem Kreuz vorübergeht, das an eine 
Mordthat erinnern soll, betet er fUr die Ruhe des Toten und wirft 
einen Stein zu dem Hügel des Kreuzes zu. Zuweilen trägt er 
wohl auch solchen Stein von weither zu, wenn in der Nähe keiner 
mehr zu finden ist, um dem Brauch nachzukommen. Wenn nun 
die Sitte des Steinwerfen's auf die Gräber gegenwärtig nicht mehr 



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i68 



besteht, -,o halt doch in den landHchcn Distrikten die Trauerbe- 
glcitung für relij^iösc Pflicht dem Verstorbenen eine Piand voll 
Erde in 's Grab zu werfen. 

In den Volkssagen Portugals finden sich noch Spuren von 
GrabbaunT.-n, vulüg in einer mythisch anthropoloc^dschen Bedeutung. 
Man pflanzt in der Gegenwart die Cy presse in dem gleichen Gefühl 
der Trauer auf die Graber, wie sie einst in römischer Zeit vor 
dem Hause des Patriziers das Zeichen der Trauer bedeutete. 

Der Baum des Grabes ist in der Romanze vom Conde Ninho 
beschrieben : 



Hincr starb und dann die andere, 
L'nd man eilt .sie zu bestatten. 
Aus diesem wächst ein Fichtenbaum 
Aus jener dort die zarte Finte. 
Einer wäch>it und auch die andere 
Und die Gipfel einen beide. 
Als der Kihtig geht snr Messe 



Sie den Weg ihm hindernd schrankeil. 

Flugs befiehlt der böse Herrscher 

Dass man alsobald sie fälle. 

Aus dem einen lautre Milch fliesst, 

Aus dem andren echtem Blut. 

Fluchtet hier die scheue Taube 

Und der Tanber von den andrai • • • • 



Wir sehen hier wichtige mystische Zuge, der Baum der Blut 
flicssen lässt, der Fichtenbaum als den Toten heilig, und die Taube 
als konkrete Form der abgeschiedenen Seele. Die gleiche Wech- 
.selbcziehung zwischen Leben und Tod die sich durch die gewor- 
fenen Steine und die totenheili^^en Bäume ausspricht, ist es auch, 
die flie Gesänge und Trauertanze bei der antiken Leichenverbren^ 
nung und Bestattung veranlasste. 

„Nenias"-Klagclieder , hiessen die von Tänzen begleiteten Ge- 
sänge, die man bei den Scheiterhaufen anstimmte» und die die 
Römer laudes nannten. Titus Livius bezeichnet sie als tripudia 
Hispanorum; Silvis Italico bringt eine Anspielung auf die 
barbara carmina der Lusitaner, die den Römern so eigenartig er- 
schien, dass sie solche als Hiberae naeniae bezeichneten. 

Diese Gesänge herrschten in der Tradition des Westen's und 
gingen in die volkstümlichen Gebräuche der „Voceros Clamorcs" 
(Klagelieder) und der Klageweiber (^Carpideiras" über. Die Kirche, 
die die Volkssitten unterdrückte, verbot diese Ceremonien, die das 
moralische Bindeglied zwischen Familie und Vaterland darstellen. 

Costa, in Foesia populär espaiihola stellt fest: ,An den Seiten 
der Pyrenäen giebt es noch heute Teile der Bevölkerung, die bei 
dem Tode der Kinder, der Eltern, Gatten, öffentlich den Schmerz 
ausdrücken, indem sie die Vorzüge des Verstorbenen hervorheben/* 

Der frühzeitige Tod des Kronprinzen und einzigen Sohnes von 



l) Man vei^l. die Umfrage Les arbtes culrekcees in Gaidoz* Melusine. 



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169 



Alfonso VI im XI. Jahrhundert, veranlasst den eigenen Vater zu 
dem folgenden Klagelied, von Sandoval überliefert: 



Weh! mein^Sohn! Weh! mein Sohn! 
Du Freude meines Herzen*»! 
Licht meiner Augen! 
Trost meines Alters l 

Ach! mein Spiegel 
In dem ich mich sah. 



An dem idi hatte 
Vid grosse Freude! 

Ach! Du mein Erbe! 

Ritterl wo licssot Ihr Ihn? 

Giebt mir meinen äohn wieder, Fürsten! 



Auch bei dem Tode des Königs Don Diniz, des Troubadours» 
machte ein fahrender Sänger folgende Reime: 



Verliebte, die vereinigt Liebesband, 
Wie müssen sie fühlen so grosses Leid, 
Und nimmermehr haben etliche Freud', 
Da sie verloren den. Herrn, den so gut 

[man erfand, 

Wie den König Dou Diniz von Portugal. 



Das Adelsgeschlecht und der Bürgerst and 
Die vom Könige hatten gar reichen Schoss, 
Die Herren und der Knappen Tross 
Sic müsslen sich töten mit eigner Hand, 
Sie verloren den Herrn, den so gut man 

[erfand. 



Hier ist eine Anspielung auf die Totenopfer der Barbarenkönige, 
bei denen Frauen, Freunde und Sklaven geopfert wurden. 

Die Totenlieder und Tänze haben ähnliche Züge mit den Wall- 
fahrtsfesten, die die Bevölkerung aus der Umgegend Lissabon *s 
alljährlich nach der Grabstätte des Condestavel, Nuno Alvares 
de Ferreira, führt. 

Der brado, die Veranstaltungen des Volkes bei der Totenklage 
erscheint in der Form des baladro, eine Dichtungsart, die sich in 
der portugiesischen Literatur zu einer Art Spezialität herausgebil- 
det hat; ein Beispiel davon bietet der baladro des Merlim 
Garcia de Resende beschreibt die Vorgänge beim Tode des 
Fürsten Alfonso am 12. Juli 149 1. 

,Und dadurch erhob sich unter Allen ein sehr grosses, trauriges 
unglückseliges Leid. Man gab sich viele Backenstreiche, viele 
ehrenwerte Bärte und Haare wurden abgeschnitten. Die Frauen 
zerkratzten mit ihren Händen die Schönheit des Antlitzes, dass 
das Blut floss, eine so erstaunliche und traurige Sache, die man 
niemals sah, noch vermutete. Der König Hess sich des grossen 
Verlustes und der grossen Trauer wegen scheeren. Und die 
Prinzessin schnitt ihr kostbares Haar ab, kleidete sich ganz in 
grobes Zeug und bedeckte den Kopf mit schwarzem Stoff. Und 
am Hofe und im ganzen Reich war kein Herr noch vornehme 
Person, die sich nicht scheeren Hess. Und das arme Volk, das 



i) So ist die Balata eine dramatische Totenfeier der Griechen, die durch ein Geseta 
des Solon verboten wurde — ebenso der Lessus, der als barbarische Sitte von den 
Zwölf Tafelgesetzen aufgehoben wurde. 



I/o 

nicht Geld hatte, um grobes Sacktuch zu kaufen, wovon die Elle 
3CX) Reis kostete, ging die Zeit über mit umgewendeten Klei- 
dern .... und weil nicht soviel Sacktuch vorhanden war, verkauf- 
ten die Bauern und niederen Leute ihre Bettücher im Preise von 
feinem Tuch» und die Leute hüllten sich in Säcke und Decken 
vom Vieh." 

Über die Leidtragenden vom Kloster äussert er sich: «Und 
viele sah man, die auf dem Leichengerüst sich grausam den Kopf 
schlugen, dass es war, als ob die Köpfe zerbrachen, und hatten 
alle Haar und Bart geschnitten und gaben sich viele Backenstreiche. 
So thaten es Männer wie Weiber etc." 

Die Totenklage, die man über den Tod des Fürsten Don Al- 
fonso sang, von Gaston Paris in einem Manuscript des XVI. 
Jahrhunderts aufgefunden, lautete: 

Weh! Weh! Weh! Welch grosser SchineR! In ihzem KonigsscUosse 
Weh! Weh! Weh! Welch grossei Leid! Mit der Infantin von CastiUen 
So sprach die Königin Prinzessin von PortngaL 

Vier weiter erzählende Strophen folgen, immer von dem düstren 
Refrain begleitet. Gregorovius beschreibt diese Gebräuche und 
sagt, dass die Frauen dythriambisch improvisierten, und der Chor 
bei jeder Strophe schrie: 

Deh! Deh! Deh! 

Bei der Totenkiage um den Fürsten Don Alfonso: 

Weinten alle Frauen ) Difi Verheimteten und Unverheirateten. 

Im löten Jahrhundert wiederholt sich die Ceremonie der Toten- 
klage, und wenn sie sich auch etwas verwischte, so erhielt sich 
doch auf den Dörfern die Sitte und wurde am Hofe durch die 

starre Etiquette festgehalten. 

Frei Luis de Susa schreibt von dem Tode des Königs Don 
Manuel: „Am vierlen Tage nach dem Tode wurden die Trauercere- 
monien angeordnet von denen, die der Stadtver ualtuiig vorstanden. 
Geordnet schnUen die Schoppen zu Fuss einher, in grosse Traucf- 
kapuzcn gehüllt, mit schwarzen Stäben in den Händen. Sie be- 
gleiteten ein langes schwarzes Banner, das der Stadtbannerträger 
trug, der auf dem Pferde ritt und die Zipfel des Tuches auf der 
Erde nachschleppen Hess. In solcher Ordnung zogen sie durch die 
Hauptstrassen der Stadt, von den Herren und vornehmsten Edci- 
leuten des Hofes gefolgt. An drei besonderen Plätzen zogen sie 
vorüber, wo sie die Schilde zerbrachen, die von ehrenwerten Kam- 
merherren auf dem Kopfe getragen werden mussten. Diese schwarzen 



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171 



Wappenschilder sahen traurig aus und das Zerbrechen derselben 
sollte dem Volke das Fehlen eines Herrn versinnbildlichen, der 
mit tapferem Schild seine Länder geschützt und die Fahne immer 
hoch gegen die Feinde getragen hatte '). 

In den Volksliedern sind noch Reminiscenzen der teilweis ver- 
schwundenen Bräuche enthalten. In der „wunderbaren Geschichte 
meines Alten" ist eine Art Parodie der Klagelieder oder Toten- 
gesänge mit Beziehung auf die Schmerzstillenden" die Klageweiber 
und die auf die Gräber geworfenen Steine, erkennbar: 



Ich limd meinen Alten tot 

Tn der Kelter vor dem Stein 
Mit einer Heugabel warf ich UuHf 
Und ntaclite ilin gant tot. 
Dann holt ich die Klageweiber 
Dass er beweint werde. 



Gut oder scUeclit geweinet 
Der Alte wird b^raben. 

Der Stein, den ich ihm werfe 
Sei hundert Centner schwer. 



Im Kirchspiel von Suajo (Arcos) pflegen die Klageweiber, den 
Rock über den Kopf geschlagen, zu Füssen des Toten zu weinen, 
damit sie ein Stück Kabeljau, Brod und ein Quart Wein, oder 
statt dessen baares Geld erhalten. Der Rock über dem Kopf, ent- 
spricht dem alten Trauergebrauch den Kopf zu verhüllen. 

In der Gemeinde von Deäo ist es üblich, dass beim Todes&U 
die Verwandten am nächsten Tage in die Kirche gehen. In Ka- 
puzen gehüllt, die Ränder der Hüte niedergebogen, die Arme 
gekreuzt, d. h. die Hände unter die Achseln gesteckt, bleiben sie 
sitzen ohne das Haupt zu entblössen, resp. aufzustehen, wenn 
Hostie und Kelch hochgehalten wird. Die Frauen klagen laut, 
rufen San Pedro an, dass er den Verstorbenen so früh von dieser 
Welt genommen. 

In einem Dokument aus dem 14. Jahrhundert werden zwei 
Arten der Trauer erwähnt, die eine, ein Jahr lang von der Diener- 
schaft gehalten, heisst: Die Sacktrauer oder weisse und grobe 
Zeugtrauer; die Stammtrauer, die den nächsten Verwandten zu- 
kam, ist die eigentliche Trauer. Hieraus erklärt sich aucli die für 
die Könige festgesetzte Trauer, die ihr Volk als Vasalien be- 
trachteten 

Nach dem Tode Don Joäo am 31 Juli 1750 verordnete der 
Senat von Lissaboi! im i. August, dass arme Männer Kappen 
und die Frauen Hauben, aber nicht gekräuselte, tragen sollten. 



1) Annaes de Don Joau pag. 20. Wie Spencer fcisthlelU, geschah das (ilciche 
noch bei dem Tode der Donna Maria II, und bei Don Pedro V, 1861. 

2) Im Vertrage von C>oa mit den Engländen werden die Portugiesen Vasallen des 
Königs von Portugal genannt. 



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1/2 



Ausserdem musste die Trauer zwei Jahre dauern. Das erste Jahr 
tief, dann Halbtrauer; ebenfalls bestimmte dann noch die Kammer 
am I, Aug. d. J. 1750, dass alle Bürger dem Schildbrechen beizu- 
wohnen hätten, in tiefer Trauerkleidung, bei Strafe von 2000 Reis. 
Beim Tode des Königs Don }os6 wurde die Geldstrafe auf 400 
Reis herabgesetzt. 

Wenn jemand stirbt, wird das Signal mit der Kirchenglocke der 
Gremeinde kundgegeben, und das Lauten bei dem Begräbniss heisst: 
die Signale. 

In Beira Alta läutet man drdmal beim Manne, zweimal bei der 
Frau und das Festgeläut beim Kinde 

Die Glocke spielt eine wichtige Rolle bei den Riten. 

In Basto giebt es zwei aneinandergrenzende Kirchspiele, zwischen 
denen ein Pfahl für die Fahne steht, die man beim Todesfall her- 
auszuhängen pflegt. Stirbt nun Jemand in dem einen Kirchspiel, 
so hängt das andere die Fahne heraus, und zwar ist sie schwarz 
fUr einen männlichen Verstorbenen, weiss ttir die Frau und rot iiir 
das Kind. Wer nun zuerst in diesem selben Kirchspiel die Sterbe- 
glocke läutet, gewinnt dadurch die ewige* Seligkeit. 

Auch der Aberglauben spielt dabei seine Rolle. Wenn die 
Glocke beim Totengeläut lange nachhallt, „so ruft sie nach einem 
andren Toten.** (Sckluss folgt.) 

M. Abeking. 



Alte Segen. 

Mitgeteilt von Otto Heilig. 

II. Aus Cod. Pal. germ. 255*), S. 193^ Vor el bogen. So 
solltu nemen vff ein samstag zu morgen vnd sollt abschneiden ein 
heselen ruet, die in dem selben jor gewachsen sej, vnd sprich 
also, wan du sie schneitst: f In dem namen des vatters, vnd als 
vor vnd am andern ende dar gegen ein schnit in der mos, als 
vnser her in der alten che beschnitten wart, auch in dem namen 
des vatters . . . . , vnd bestreich es an eim morgen am samstag do 

1) Davon ausgehend, dass ein Engel in den Himmel kommt. 

2) Über diesen Codex, der dem XVI. Jahrh. angehört, vgl. K. Bartsch, »Die 
altd. liandschr. der Univenitätsbibl. in Ileidelbetg," Heidelberg 1887. — Die Hs. 
ohne InterpunktioB. Kttnungen hier au^elöst. 



"73 



mit vnd sprich diese vvort als hcrnoch [geschrieben stett : Do 
vnser here das heilig kreucz vmbvieng, dornoch wuchs nie 
kein berg noch stein. Also soll dir thun dis gebein. Also wor das 
ist, so hillff vnd gott vnd der heilig krist, Dornoch vnser her 
gott warde geborn zu bethlahcm, er wurt gemarthelt zu Jherusa- 
lem. Das geschieht nun furter nimermer. Also soll dir, pfert, die- 
ser schad vergen. Die wort seint wor in dem namen etc. Das thu 
iij samstag noch ein ander vnd almol ein frisch holcz, als ob ge- 
schrieben stett, vnd lege das alt in den stall in ein loch, das durch 
aus geth vnd leg sie bej ein ander, vnd wan die hölczer dorren, 
so soU der schade auch dorren, es sein elbogen, schin, vbcrbein, 
leist oder spatten, die anders nit vber das jor seind. Hillfft es 
aber nit, so los es brennen oder ein rimen stossen; das kreucz 
Ix xi der schnit; also soUtu das holcz schneiden mit dem 

kreucz. 

S. 194A. Vor elbogen, Sprich: elbogen, also sej dir hie zu 
wachsend, alls vnserm herren gott ist ein man, der ein recht zu 
eim vnrecht macht vnd ein bessers kan. Hie mit soUtu ein iglich 
pfert segen, dass den elbogen hott; vnd segen es hiemit zu einem 
mol, domit ist es genug, an einer haseln hursjt» die do wachsend 
ist; vnd soll nemen also ein rut, die des johr gewachsen ist, mitt 
beden henden vnd soll die ruten streichen vber den elbogen zwi- 
schen den zweien henden vnd sollt den segen domit sprechen vnd 
ein pater noster vnd aue maria vnd nim dan die ruet zwischen 
den zweien henden in ein hant vnd schneid die ruet mit der 
andern hant tndenan vnd obenan ab vnd nim das stück, das dir 
in der hant bleibt, vnd Spalt es mitten von ein ander, so du glei- 
chest magst, vnd nim dan die zwejstück vnd leg sie kreuczweis 
zu samen vnd streich sie aber vber den elbogen vnd sprich den 
segen domit noch eimmol vnnd sprich ein pater noster vnd ein aue 
maria vnd nim die zwejstück vnd lege sie wider zu samen vnd 
schlug ein fadem dorumb, als dick du willt, vnd nim die bcde 
hende vnd drehe sie vnd krüni sie mit vnd sprich v pater noster 
vnd V aue maria vnd nim dan das vnd heis es le<^en vber die 
thür, do dds pfert aus vnd ein geth. So das holcz durr wirt, so 
ist das pfert genesen. 

S. 195. Ein segen vor den elbogen. Zu dem ersten so zihc 
das pfert drcw mol umb ein hasellbusch vnd schneid zu idem 
mol drej zweig, die in dem jor gewachsen sein, vnd sollt zu dem 
ersten, so man das pfert vmb den haselbusch zeucht, sprechen: f 
in dem namen des vatters, zu dem andern mol sprechen: in dem 



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174 



namen des Suns, vnd zu dem dritten mol: in dem namen des 
hailigen geists. Vnd nim dan die neun zweig vnd bind sie kreucz- 
weis zu samen vnd knie nieder, wan du in s^st, vnd hebe das f 
mit den zweigen vif den elbogen vnd sprich neun pater noster 
vnd neun aue maria, vnd wend es dan zu dem andern mol vmb, 
vnd sollt aber also viel sprechen, vnd wend es dan zu dem drit- 
ten mol vmb, vnd sprich aber so viel das wirt xxvij pater noster 
vnd souiel aue maria, vnd nem ein pfennig vnd opfTer den in St. 
Stef&ns ere oder namen, vnd löse den wider mit eim andern % vnd 
kauff dan ein weck vmb den selben pfennig vnd schneid den weck 
in vier stück vnd geb das armen leuten vnd streich dem pfert 
den elbogen last vnder sich mit den zweigen. Ye dicker man das 
thut, ye besser das ist, vnd stos das f von den zweigen allw^en 
vber die thür, do das pfert vnder aus vnd ein geth. 

S. 196». Wer einem pfert ein elbogen ab will segen, der soll 
im thun, als hernoch geschrieben stett. Zum ersten soll man vfiT 
einen samstag zu obent drej heselen schüssling, die von dem Jor 
gewachsen sein, die man nent sumer latten, nemen vnd soll die 
an eim suntag, ehe die sunn vfT geth, vff die erden seczen vnd 
dem pfert messen bis an den elbogen, vnd dan oben abschneiden 
vnd spalten vnd in jglichen ein guten pfennig stecken, vnd soll 
das pfert mit dem elbogen gegen der sunnen stellen vnd soll im 
den pfennig vnd die sumer latten an den elbogen heben vnd soll 

sprechen: f Ich beschwer dich Sunnen bej vnsers 

hern gots heiligen funff wunden, das du nimer mer bescheinest 
das holcz, du büssest dan das wunder. Das dem pferde an das 
bein ist gebunden. — Das soll man mit jglicher sumerlatten be- 
sunder thun vnd zu jglicher also sprechen, vnd soll die drei pfen- 
nig dreien armen menschen durch gottes willen geben, vnd soll 
der des das pfert eichen ist, vnsers Iv riLj] j^ots v wunden, v pater 
noster vnd v aue auuia sprechen zu lobe vnd zu crcn, daz soll 
man iij suntag noch ein ander in obgeschricbenem mos thun, vnd 
soll man die sumerlatten alzuhin (?) bej dem pfert haben. Dan als 
lang das holcz dort, als lang dorret der elbogen auch. 

S. 289''. her Jörgen von ebe leben segen zu den wun- 
den vor gestochen, gehawen, geschossen, gebrochen, vnd vor ge- 
schnitten. Wan es aber gebrochen ist vnd allt, so mach den 
bruch wider new oder frisch, vnd der segen soll drew mol gespro- 
chen werden also, vnd grabe ein gebiesterten stein aus vnd nim in 
zu dem kraut, genant rötich, und sprich: Röttich, ich plantz dich 
im namen des vatters vnd des suns vnd des heiligen geists amen, 



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Das du aiissdreibest die maden vnd das faul fleisch vnd heilest 

von grund heraus. Sprich ein pater noster , vnd so solcher 

segenn gesprochen wirt» so nim das kraut vnd den kisellstein vnd 
grabe das kraut vnder den kisellstein» do er vor ist gestanden 
vnd du in aus host graben, das er versorgt sej» das man in nit 
aus grabe, vnd wan das krautt fault, so heilt die wunde; das ist 
pferden vnd hunden gut. Probatum est vere. 

S. 290K Item ein wunt segen. Sprich: Ich heb an in dem 

namen des vatters ; ich segen dich heut, vermaledeit 

wund, vnd gebeut dir bei der rechten trinitatt, das du lossest dein 
riesen sein, das du lossest dein schiessen sein, das du lossest dein 
schwellen sein, das du lossest dein schweren sein, das du lossest 
dein sauren sein, das du lossest dein faulen sein, das du lossest 
dein schmacken sein. Alle vnkeusch müssestu vermeiden, es sein 
spinnen oder Aigen oder ander vngenant würm, die müssen al dot 
sein in gottes namen amen. Vnsers herren gebenedeite wunden, 
die heilten aus zu grunt; sie entrusent noch entschussent, sie 
entsawerten noch entfaulten, sie entschwuUent noch entschwurent. 
Do schlug kein vnglück dozu. Also mus auch zu dieser wunden 
thun in gottes namen, amen; vnd sprich xv pater noster vnd xv 
auc maria vnsers herren v wunden 7ai lobe vnd cre. Hie mit 
segen alle vihe, das wund ist. Ks geniest, vnd Iiciss nit anders 
dorzu thun, vnd wan du es anfachst zu segen, so nim wasser 
etwar ein vnd segen es drew mol, wie vor oben geschrieben stett 
noch ein ander, vnd zu idem mol so geus im das wusser mit der 
rechten hant in die wund vnd schütt zu hinderst das vberig wasser 
in die wunden, vnd so du anhebst zu seilen, so heis die wund 
schön weschen vnd ausschneiden, was bös dorin ist. 

S. 370'^. Wann ein mensch oder vihe maditj wunden 
hot, die heraus zu treiben. So nimm ein distell die allein 
stett. Die dreib oder reibe drew mol vnd sprich: Distell kraut, 
Ich reibe dir umb deinen kragen, das du aus dreibst dem men- 
schen die maden. Im namen .... vnd los die distel! sten dorufT 
vnd bett Dornoch j pater noster . . . ; doch mustu vorhin zu den 
disteln räumen, vnd daz sie dannoch nit vmbfall. 

Des meczlers kunst zu Freising. 



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176 



Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst. 

Eine Umfrage von R. Sprenger. 

VIL In der Selbstbiographie, die Heinrich Schliemann 
seinem Werke: »Uias, Stadt und Land der Trojaner* vorangehen 
lässt theilt er eine Reihe örtlicher Sagen des Dorfes Ankershagen 
in Mecklenburg-Schwerin mit, wo er die ersten Jahre seines Lebens 
verbrachte. Unter diesen steht auch ein Beitrag zu Sprengers 
Umfr^e wie folgt: 

„ Auch ein altes mittelalterliches Schloss befand sich in 

Ankershs^en mit geheimen Gängen in seinen sechs Fuss starken 
Mauern und einem unterirdischen Wege, der eine starke deutsche 
Meile lang sein und unter dem tiefen See bei Speck durchführen 
sollte; es hiess, furchtbare Gespenster gingen da um, und alle 
Dorileute sprachen nur mit Zittern von diesen Schrecknissen. Einer 
alten Sage nach war dieses Schloss einst von einem Raubritter, 
Namens Henning von Holstein, bewohnt worden, der, im Volke 
, Henning Bradenkirl" genannt, weit und breit im Lande gefürch- 
tet wurde, da er, wo er nur konnte, zu rauben und zu plündern 
pflegte. So verdross es ihn auch nicht wenig, dass der Herzog von 
Mecklenburg manchen Kaufinann, der an seinem Schlosse vorbei- 
ziehen musste, durch einen Geleitbrief gegen seine Vergewaltigung 
gen schützte, und um dafür an dem Herzog Rache nehmen zu 
können , lud er ihn einst mit heuchlerischer Demut auf sein Schloss 
zu Gaste. Der Herzog nahm die Einladung an und machte sich an 
dem bestimmten Tage mit einem grossen Gefolge auf den Weg. 
Des Ritters Kuhhirte jedoch, der von seines Herrn Absicht, den 
Gast 7.U ermorden, Kunde erlangt hatte, verbarg sich in dem Ge- 
büsche am Wege, erwartete hier hinter einem, etwa eine viertel 
Meile von unserem Hause geles^enen Hijgel den Herzog und ver- 
riet ihm Hennings verbrecherischen Plan. Der Herzog kehrte augen- 
blicklich um. Von diesem Ereignis sollte der Hügel seinen jetzigen 
Namen „der Wartensberg" erhalten haben. Als aber der Ritter 
entdeckte, dass der Kuhhirte seine Pläne durchkreuzt hatte, liess 
er den Mann bei lebendigem Leibe langsam in einer grossen eisernen 
Pfanne braten, und gab dem Unglücklichen, erzahlt die Sage weiter, 
als er in Todesqualen sich wand, noch einen letzten grausamen 
Stoss mit dem linken Fusse. Bald danach kam der Herzog mit 
einem Regiment Soldaten, belagerte und stürmte das Schloss, und, 
als Ritter Henning sah, dass an kein Entrinnen mehr für ihn zu 



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177 



denken sei» packte er alle seine Schätze in einen grossen Kasten 
und vergrab ihn dicht neben dem runden Turme in seinem Garten , 
dessen Ruinen heute noch zu sehen sind. Dann gab er sich selbst 
den Tod. Eine lange Reihe flacher Steine auf unserem Kirchhofe 
sollte des Missetäters Grab bezeichnen, aus dem Jahrhunderte lang 
sein linkes mit einem sckwareen Seiäensirumpfe bekleidetes Bein im- 
mer wieder herausgewachsen war. Einer späteren Tradition nach 
sollte eines dieser aus der Erde gewachsenen Beine dicht vor dem 
Altar begraben worden sein. Seltsamerweise nun wurde, wie mir 
mein Vetter, Fastor Hans Becker, gegenwärtig Pfarrer von An- 
kershagen, mitteilt, bei einer vor wenigen Jahren vorgenommenen 
Ausbesserung der Kirche in geringer Tiefe unter dem Boden und 
dicht vor dem Altar ein einzelner Beinknochen aufgefunden. So< 
wohl der Küster Prange als auch der Totengräber Wöllert be- 
schworen hoch und teuer, dass sie als Knaben selbst das Bein 
abgeschnitten und mit dem Knochen Birnen von den Bäumen ab- 
geschlagen hätten, dass aber im Anfange dieses Jahrhunderts das 
Bein plötzlich zu wachsen au%ehört habe. Natürlich glaubte ich 
auch all dies in kindischer Einlädt , ja bat sogar oft genug meinen 
Vater , dass er das Grab selber öffnen oder auch mir nur erlauben 
möge, dies zu tun, um endlich sehen zu können, warum das Bein 
nicht mehr herauswachsen wolle." 

Wien. . Isak Robinsohn. 

Vlll. ilcinrich v. \V 1 i s 1 o c k i teilt in seinem Aufsatze „Aus 
dem Leben der ur>L,ui laiKÜschen Zigeuner" in Reclam's Universum 
14. Jahrg. S. 30 folgende Verse eines eingekerkerten Zigeunerkna- 
ben in deutscher Übersetzung mit: 

Jene Hand wachs' aus dem Grabt ^ j Blau und blutig hat geschlagen 

Die mich mit dem HaseUtabe | Und vermehrt hat meine Piagent tt. s. w. 

Northeim. ■ R. Sprenger. 



Lebendige Richtschwerter. 

Eine Umfrage von R. Sprenger. 

Dass die Hieb- und Stichwaffe Blut trinkt, nach Bhit lechzt, 
ist eine aligemein verbreitete Vorstellung. In den meisten h'ällen 
ist es wohl nur eine poetische Figur, steigert sich aber oft zur 

13 



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178 



ausgefuhrteren Personification. In der Volkspoesie mag bei diesem 
nicht seltenen Bilde mitunter eine Anlehnung an einen concreten 
Volksglauben stattfinden. 

Besonders praegnant gelangt die Anschauung vom blutgierigen 
Eisen zum Ausdruck in einigen rumänischen Zigeunerliedern der 
Sammlung : „Lieder aus dem Dimbovitzathale. Aus dem Volksmunde 
gesammelt von Helene Vacaresco, ins Deutsche übertragen 
von Carmen Sylva, Bonn, 1889". Ich hatte die Zigeunerlieder 
dieser höchst eigentümlichen Sammlung in ungarischer Übersetzung 
im Jahrgang 1891 der magyarischen Zeitung „Brass6" veröffentlicht, 
dieselben dabei charakterisiert und ihre Echtheit nachdrücklich 
bezweifelt. Nun, ob genuin oder nicht, für unser gegenwärtiges 
Thema sind diese Poesien recht interessant. 

Kinc besonders ausgeführte, zum Dialog und Drama dämonisch 
gesteigerte Personification des blutdurstit;cn Messers zeigt das 
^Mcsserlied" (S. 8i — 82), das wohl ebenso angeführt 7a\ werden 
verdient, wie die bezeichnende Stelle aus Brcntano's berühmter 
Geschichte: 

Messerlied. (Zigeunerlied). 



Das Messer tanzt im Gttrtel mir, 

Sobald ich tanze. 

Doch wenn den Wein ich trinken geh\ 
So wird es traurig. 

Venn es hat .scl1>cr Durst , das Messer: 

Es trinkt gern Blut. 

Gieb mir xu trinken, Henri so spricht es, 

Denn bleib' ich ohne rotlie Flecken, 

So schämt steh ja der Sonnenscliein, 

In mir sich abiUbpicgeln, 

Gieb her, dass ich am warmen Trank 

Mich auch betrinke , 

Der aus den Wunden quillt. 

Dem Mägdlein wird dein Kttssen sttsser, 

Wenn du gestillt mein Dflrsten, 



Und luät'gcr werd' ich dir im Gttrtet 

liei deinem Tanze. [tanzen 
Und hört' ich auf mein Messer, ging 

[ich Nachts 

Dich aufzusuchen. T.ii-hchen, 
Und unter deinem Hemde sucht ich fein 

[die Stelle, 
Wo dir das Herschen schlägt. 
Und schenkte meinem Messer 
Die Wärme deines BluLcs, 
\Vcil du mir deinen Kuss verweigert; 
Und nach dem Knss hab' ich gedürstet, 
Sowie mein Messer nach dem Blute 

[dürstet. 

u. s. w. 



Auch in einem andern Ziegeunerlied ,Die beiden Messer" (S. 109) 
spielt das Eisen eine bedeutsame Rolle, doch tritt es nicht spontan 
selbsttätig blutdürstig auf. Es heisst da: 

Wenn in der Kammer sehr schwarz die Nacht, 
Hör' ich reden die Messer zusammen. 
Spricht's eine: Die Ehefrau hab' ich erstochen. 
Sj.iicht's andre : Ich habe den Mann getödtet. 



Da sprachen die Seelen: 

Was hallt ihr mit unserem Blute gemacht? 
Wir haben's getrunken und glänzen. 



Auch sonst kommt das Messer noch häufig in Verbindung mit 



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dem Blute vor* Ich will nur noch eine Stelle aniiihren, aus dem 
Drama: Herbst (S. 403). 
Das Messer: 

Das Blut, das ich getrunken, | Das war dein eigen Blut. 

Budapest. Anton Herrmann. 



Wie viel ist die Uhr? 

VolksthUmliche Plauderei von A. Treichel. 

Es ist ein alter und landläufiger Fehler, auf dessen Ausmerzung 
die Herren Lehrer schon bei der Jugend bedacht und beflissen sein 
sollten, dass man seinen Dank in die Worte kleidet: Ich danke 
schön! Wo ich's bieten kann, ist, um zu unterweisen, meine Ant- 
wort darauf: „Schön — dankt der Pudel!" denn es soll nicht die 
Art und Weise, sondern der Grad des Dankens ausgedrückt werden. 
Es muss also heissen: Ich danke j^Är! Auch würde das einfache 
^Tch danke" f:^eniif^en. Übrigens dürfte bekannt sein, dass der Eng- 
länder, wird ilini etwa von der Hausfrau noclr ein Glas Thee an- 
geboten, sei^ien Dank der Frage an und für sich gelten lässt, ein 
folgendes Ja oder Nein aber erst seinen Entschluss der Bejahung 
oder Verneinung kund thut. „Ich danke, jai" hiesse also: ich bitte! 
,Ich danke, nein!" ist unser: ich danke. 

Ebenso landläufig und falsch ist auch , dass man die Frage nach 
der Zeit in die Form kleidet: j,lVas ist die Uhr?" Um nun zu 
zeigen, dass diese Frageform nur der Erklärung der Gegenstandes 
gelten darf und auf die gewünschte Wissenschaft der Zeit gänzlich 
ohne Einfluss ist, giebt es dann mehrere hinweisend-belehrende 
Antworten, als da sind: i. Ein Zeitmesser. 2. Ein Instrument zur 
Zeitmessung. 3. Ein Kunstwerk, 4. Ein künstliches Räderwerk. 
5. Eine runde Figur. 6. Ein Instrument aus Metall und Glas (Holz 
bei Wanduhren) zum Bestimmen der Zeit. 7. Was sie gestern um 
diese Zeit war. Die letztere Antwort wird aber auch gegeben, wenn 
richtig gefragt wurde: Wieviel ist die Uhr? Man fühlt sich einfach 
nicht bemüssigt, die Uhr hervor zu holen und nachzusehen. Auch 
hierin kamen mir die Bl. f. Pomm. V. K. IV. 1896. S. 15. mit 
dortigen Beiträgen zuvor. Es giebt Leute, welche, um doch die 
Zeit zu füllen, tagsüber jeden Ankömmling wohl mehrmals nach 



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i8o 

der Zeit befragen, um jedes Mal ihre Uhr getreulich immer anders, 
aber „auf die Minute" zu stellen. Ein Dienstmädchen wollte sich 
sogar ein paar Lorbeerblätter „zugeben" lassen, als sie im Kauf- 
mannsladen jene Frage that. Eine andere Geschichte ist die zeitig 
zutreffende Antwort: Eins hat's geschlagen! indem man dem Frager 
einen (leichten) Schlag giebt. Übler wäre dieser bei einer solchen 
Behandlung der Sache dran gewesen, wenn es die zwölfte Stunde 
geschlagen hätte. 

Es kann nun aber auch sein, dass man eine Uhr hat, die un- 
richtig, ungenau, falsch geht. Da heisst es denn: i. Seine Uhr 
geht nach Erbsen. 2. Sie ist dreiviertel auf graue Erbsen. 5. Drei 
Veerdel op e Böxeknop. (Fr. R. A. I. 3857). 4. De Glock geiht na 
Schemper (Dünnbier). (Elbinger Niederung. Werder.) 5. Die Uhr 
geht nach Buttermilch. (Fr. I. 5S56). 6. Seine Uhr geht nach*m 
Chausseegraben und wenn sie schlägt, schlägt sie Hammelfleisch. 
Letzteres so im Kr. Putzig. So unverständlich das ist, so scheint 
diese Redensart einer vergessenen Thatsache ihre Entstehung zu 
verdanken. Wer aber gar keine Uhr besitzt und aus Eitelkeit als> 
dann vielleicht nur den Uhrschlüssel an der härenen Kette in der 
Tasche trägt, da heisst es dann: , Meine Uhr ist beim Klempner!*' 
oder: ,sie ist beim Stellmacher!" um spassig das richtige Hand- 
werk zu verdrehen, wiewohl der Stellmacher als eine mehr sprack- 
Uche Verstellung erscheint. Beim Bruder Studio allerdings lautet die * 
vorgebrachte Ausrede und Entschuldigung ganz anders; dessen Uhr 
, lernt hebräisch", da sie gewöhnlich bei einem jüdischen Pfandleiher 
versetzt ist. Selbstverständlich giebt es auch manche volkstüm- 
liche Ausdrücke, selbst spasshafter Art, für die Uhr selbst. Ich 
führe deren einige an: Kartojjcl (von der runden Form), Knarre 
(von dem Ton beim Aufziehen), Ztineback (von der Form), Butter^ 
büchse (vom regelmässigen Räderwerk), die Bimm (malend vom 
Tone einer Schlaguhr) und die Ticketacke (vom Geräusch). Kinder- 
rätsel: ,Es hängt an der Wand und macht Ticktack." Von der 
Form her hiessen die Taschenuren bald nach ihren Erfindung, wie 
bekannt, Nürnberger Eier. In unseren Schöffenakten heist die 
tragbare Uhr, Pectorate, weil sie am Bande um die Brust ge- 
tr£^en wurde. Auch im Marienburger Tresslerbuche (1399 — 1409) 
kommen für den Deutschen Orden schon Uhren vor. 1399 wurde 
dafür I m. (heutige 13 m.) ; gegeben doch wohl nur für Reparatur. 
Es waren mechanische Uhren, die auch damals nach ihrer Thä- 
tigkeit zeiger oder seiger hiessen. 140 1 kostete eine solche Uhr 
„an aclit steyne ungerisch ysen, vor dy spera (Zifferblatt) zum 



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zcij^er (hier also der wirkliche Zeiger) das koperynnc blech, für den 
cieynsmedc, der den zci<^er hat [^emachet, dem smede, dem zci- 
germaclier , als er wce^zo^^ , dy sjjera zu molen (malen, anstreichen) 
und [3 tirdungj vor den stern an der spera" fast 33 preuss. Mark 
und wird die Angabe sich wohl auf eine Thurmuhr beziehen, 
zumal da noch von einer Glocke die Rede ist. 1409 kostete eine 
Besserung desseygers dem Groskompthur abermals i preuss. M. 

Vor Erfindung der Taschenuhren wurden früher die Zeiten, na- 
mentlich in Klöstern, durch eine Glocke kund gethan. Noch heute 
wird durch Glockenton vielfach Zeichen gegeben. Stellt man damit 
ein Uhrwerk in Verbindung, wie bei der Schlaguhr, so wird durch 
den Ton die Zeit anc^ezeigt. Kommen daher die Redensarten .von 
«an die grosse Glocke hängen" (unter die Leute bringen, auspo- 
saunen) und „die grosse Glocke ziehen" (laut sprechen oder schreien, 
um sich Gehör zu verschaffen), so ist noch erklärlicher die Über- 
tragung des Wortes Glocke auf die Uhr selbst. Man fragt: „Wat 
ÖS de Klock?" „Die Glocke schlägt!" Der Volksmund reimt: „Schlaf* 
sacht, Bis Morgen früh Klock acht !" Dass die Klock* nach Schem- 
per geht, ist schon oben angegeben. Bei Frischbier heisst's in 
V. R. : Klock Sechsen fangt man an zu hexen, Klock sieben wird 
er (der Kaffee) gerieben; und in R. A. I. 1305: Klock ös Klock, 
Mutter göft Etel Es heisst ferner: ,Er wird ihm zeigen, was die 
Glocke geschlagen hat!**, wenn Jemand Strafe verdient hat. Als 
früher Nachtwächter mit Spiess und Knarre von 10 Uhr abends an 
die Zeit verkündeten, war ihr Begleitgesang: ,,Hört, Ihr Herren, 
und lasst Euch sagen, Die Glocke, die hat . . . geschlagen; Bewahrt 
das Feuer und das Licht, Damit kein Schade nicht geschieht!** 
Ähnlich bei^nnt auch C. F. Scherenberg *s tiefernstes Gedicht 
vom Thürmer: «Zwölf hat die Glock geschlagen! Lobet den Herrn! 
Mitternacht! ringsum die Thürme sagen; Mitternacht! tÖnt*s nah 
und fern!** — Glocken-Kapitän soll nach G. E. S. Hennig (Preuss. 
W. B. 1785. S. 85) eine (scherzhafte) Benennung illr den Aufseher 
über die Glocken und das Geläute gewesen sein. In alten Stadt- 
ordnungen und- Rechnungen finden wir, dass dem, der die Thurm- 
uhren aufzuziehen hat, ein kleines Jahrgehalt zugewiesen wird. 
Wiser heisst die Uhr, weil sie zeigt; dieses weisen, pltd. wisen, 
ist tn der Bedeutung von dirigere, conducere zu nehmen. Nach 
Frischbier, Preuss. W. B, II. 336 ist Seger ^ Sega, Söger , m., als 
Seiger die Uhr, weil sie zeigt. Im Platt des Samlands heisst die 
Taschenuhr Fupkeseger* Die Fupp ist die Tasche. Der Ausdruck 
seger, Seiger kommt her vom ahd. stkan, stgan, nhd. sigen, sin- 



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l82 



ken (auch vom Tage oder Schatten), tropfenweise oder tröpfelnd 
sich abwärts bewegen, bei der (Sand- oder Wasser-) Uhr also von 
dem Sinken (Abwärtsrinnen) des Sandes oder Wassers. Vgl. Wei- 
gand, D.W.B. II. 682, An Beispielen führt Fr. an: DeSigaschlog 
ent. Volksr. 10 1, 450. De SSger ös e Lüdbedreger Sprw. I. 3462. 
Wieveel mach doch de Seeger sön ? Volksr. 264, 922. Möt Hot on 
Tasches^er de Lehrer vär di steit. Lehrerzei*^^^^ 4, 355^. Nu geit 
de S^ger recht, wenn etwas verkehrt ausgeführt wird. Wie der 
Seger gehet, so gehet das Regiment. Stein, Peregrinus XVII. 14. 
W. Mtsbl. VI. 189. 

Oft hört man auch die Frage, wieviel denn eigentlich eine rich^ 
tig .gehende Uhr sei! Als die richtigstgehende wird die Bahnuhr 
angenommen, weil Jeder, der reisen thut, sich nach ihr richten 
muss. Der nun geltenden , mitteleuropäischen" Zeit wird bei der 
Frage nach der Tageszeit jetzt auch meistens speciell noch Er- 
währung gethan, einmal um seine Kenntnis von allen Neuerungen 
zu zeigen und dann, um auch recht berichtet zu werden. Die 
Wirtschaftsuhr wird gewöhnlich eine Stunde vorgestellt, damit 
die Zeit der Arbeit desto früher beginnen soll; hiernach heisst so 
eine viel zu früh gehende Uhr auf dem Lande, wo man aber noch 
vielfach die Zeit nach dem Laufe der Sonne bestimmt, und die 
Uhr nach der meistens im Kalender angegebenen Stunde des Son> 
nenauf* und Unterganges gestellt wird. Im Werder heisst es, wenn 
die Uhr vorgerückt wird: „Middäg m6k wie, wenn wi wille; de 
Awend kümmt von selwst." Hier ist zu erinnern an die Antwort 
eines berühmten Mannes auf die Frage, um wie viel Uhr man 
seine Mahlzeit einnehmen solle: ,Die Reichen, wenn sie m<^en, 
und die Armen, wenn sie etwas haben!** „Es ist die höchste 
Eisenbahn!** oder: „Es ist der höchste Omnibus!*' sagt man 
scherzhaft für: „es ist die höchste Zeit!", weil jene (Eisenbahn und 
Omnibus zum Bahnhofe hin), ebenso wie die frleichmässij^ vorrückende 
Uhr durch ihre Regehiiässigkeit zur l'unkLlichkeit aidialLen. Noch 
zu Anfang unseres Jahrhunderts war eine Uhr in der Tasche ein 
seltenes Besitztum. Daher stammt die polnische Redensart: Wer 
Uhren trägt, muss Rittergüter (Vorwerke) haben. (Kto nosi zegarki, 
musi miec folwarki.) Dann kamen sie als Geschenke zur Einsegnung 
oder zum Geburtstage bei höheren Semestern. Heutzutage hat sich 
ihr Besitz sehr stark verallgemeinert. Eine Uhr trägt schon der 
Quintaner, wie auf dem Lande eine solche eher zukommt dem 
Hofmeister als Leutebcsteller und Arbeitsuhr und dem Kutscher 
als etwaigem Bahnfahrer, während früher kaum der Inspector eine 



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183 

solche besass. Jetzt macht nur noch das Metall einen Unterschied 
und bei bevorzugteren Gelegenheiten c^eht es selbst in minder gut 
situirten Kreisen kaum ohne goldene Uhr ab. Früher war sie die 
höchste Gabe an die Frau bei der Iloch/.cit als dem bedeutsamsten 
Lebensabschnitte, ein Nonplusultra, wenn i^ar mit goldener, ver- 
erbbarer Kette, heute beim Uhrmacher ein leiclit gekauftes „Stuck 
in die Wirtschaft", das man sich für baares Geld und sonst auch 
auf Pump schon bei Verlobungen leisten kann. Die Uhr des Bauern 
war ausser dem Laufe der SonnC, sowie dem Mondschein, der 
häufig nur im Kalender steht, aber in Wirklichkeit nicht vorhan- 
den ist, früher insbesondere auch das Krähen des Hahnes, das zu 
dreien Malen über Nacht zu bestimmten Stunden eintritt, der oder 
das Hahnenkräh\ doch richtet er sich auch sonderbarerweise, aber 
häufig wohl durch die Wirklichkeit und Regelfolge bedingt, in 
recht derber Art — dass ich's nicht verhehlen darf nach den 
Bedürfnissen seiner eigenen menschlichen Natur. 

Wie machen es aber die Indianer, wenn sie wissen wollen, wie 
viel die Uhr ist? Die scherzhafte Antwort lautet: Sie gehen in den 
Urwald. — Die Kinder endlich pusten über die abgeblühte Butter- 
blume, Taraxacum officinaU Web., hinweg, aber nur einmal, und 
sagen, soviel grosse Löcher von den weggeflogenen Samen auf dem 
Blütenboden nachzuweisen sind, «soviel is use UhrT* (Saalfeid. £. 
Lemke). 

In alten Standuhren (Gehäuse oder Hotzkleid) wurde früher Geld 
verwahrt, wie heutzutage rundgeschntttene Fahrpläne oder Brief- 
marken unter dem Gehäuse von Taschenuhren. Sonnenuhren stel^ 
len sich noch die Lehrer auf dem Lande mit Leichtigkeit her, 
sowie ebenda die Kinder mittelst zweier in den Sand gesteckter 
Hölzchen. Vor Zeiten traf man sie häufig an Pfarrhäusen und bei 
Kirchen, als deren Besatzstücke sie inventarisirt und dann als Merk- 
würdigkeit aufbewahrt wurden. Eine Art kleiner Sanduhren gebraucht 
man noch heute beim Kochen von Eiern; dabei heisst es auch, 
wenn sie pflaumenweich werden sollen, dürfen sie nur so lange 
in heissem Wasser kochen, als wie man drei Vaterunser zu beten 
vermag. Noch weise ich auf die Sanduhren hin, die noch in 
heutiger Zeit beim Loggen der (Segel-)Schiffe in Gebrauch sind, 
um zu erfahren, wie viel Meilen das Schiff zurückgelegt hat. 

Endlich noch eine scherzhafte Aufgabe: man soll die Stunden- 
zahlziffern der Uhr richtig aufschreiben. Ob geradeaus oder in 
der Runde geschrieben, gemeinhin wird man die römische Ziffer 
IV und nicht IUI, wie sie doch wirklich zu finden, schreiben, 



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sowie auch die vielfach bei einem Minutenzifferblatt aus Platz- 
mangel fast fortgefallene VI nicht fehlen lassen. Es ist diese 
Aufgabe gerade so verzwickt, als die Zahl eilftauscnd eilf hundert 
und eilf zu schreiben, was in den meisten Fällen mit ii iii 
fälschlich ausgeführt wird (statt 12 iix). 



Ruthenische Sagen. 

Mit^^etheilt von Dr. £. Friedländer. 

I. Am I. April fallt ein Sternlein vom Himmel zur Erde nieder. 
Der Vülksmund weiss Wunder von diesem Sternlall zu erzählen. 
Auf Veranlassung der heiligen ]3albina, der bäuerlichen Schutz- 
patrüiün dieses Tages, die der Sage gemäss dem Bauernstände 
entstammen soll, fällt jedes Jahr am i. April eine menschliche 
Seele in der (restalt eines leuchtenden, glitzernden Stcrnleins zur 
Erde nieder. Diese Seele wählt sich auf dem ganzen Eidcaiuadc 
nur ein Dorf aus, jedes Jahr ein anderes. Sie fällt gleich bei An- 
bruch der Nacht nieder. War es bei Lebzeiten in der udisclien 
vergänglichen Hülle eine Bauernseele, so fallt der Stern auf einen 
Kirchhof, war es aber die Seele eines (jutsherrn oder Gutspäch- 
ters, so iaiU das Sternlein mitten auf dem Herrnhof der Pfarrei 
nieder. — Was sie nachher auf dieser Erde treibt — das weiss 
niemand und darf auch niemand wissen. Das Eine nur wissen die 
Dorfbewohner bestimmt, dass jene Seele bei Lebzeiten viel, sogar 
sehr viel Arges jenem Dorfchen zugefügt habe, auf dessen Terri- 
torium sie nun in Gestalt eines Sternleins niederfallt. Auch das ist 
sicher, dass diesem Dorfe in demselben Jahre sein Gliickstern 
leuchten wird, weil es weder von einer Überschwemmung noch von 
einer Feuerbrunst heimgesuchr werden darf und kann. Das bewirkt 
bei allen Heiligen die heilige Balbina für das unter ihrem beson- 
dern Schutze stehende Landvolk. Aber bewahre Euch der Himmel, 
auf jenen Stern hinzusehen, sobald er über dem Dorfe schwebt, 
um niederzufallen ! ! Ansehen dürfen ihn nur ausnahmsweise Kinder , 
die noch unschuldig und frei von Sünden sind; ein Erwachsener 
hingegen soll , sobald er von einem Kinde an diesem Tage ver-* • 
nimmt, dass ein Stern fallt, sich sofort schnell auf der Fusssohle 
stehend mit geschlossenen Augen umdrehen, drei Mal das Kreuz 
schlagen und zur heiligen Balbina beten. 



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II. Sagen der Bojko*s (der südruthcnischen Bauern) über die 
Entstehung eines Berges in den Karpaten. — Der „mittlere Beskid", 
wo eben das Städtchen Skole, der Sitz meiner Praxis, Hegt, ist im 
Verhältnis zu den übrigen Beskiden, die mehr nach Westen sich 
hinziehen, niedrig, da ein Gebirgszug über 1500 Meter hoch zu 
den Seltenheiten gehört. — Der höchste Berg in diesem Gebirrrs- 
rayon ist die sogen. Paraszka, eine kleine Meile von meinem vSitze 
entfernt, wohin die hier im Sommer weilenden Curgäste und Tou- 
risten häufig Ausflüge machen. — Da dieser Berg der höchste und 
zugleich von der Natur mit ungeheuren nackten Felsen, Schluchten 
und Quellen ausgestattet ist, so betrachten ihn die Bojko's mit 
Ehrfurcht und Bewunderung und bringen dessen Entstehung mit 
verschiedenen Sagen in Verbindung. 

Besonders interessirten mich zwei. Die eine Sage lautet; Als 
Danilo, der Fürst von Halicz (nach dem Fürstenthum Halicz wurde 
später das Land Haiizien oder Galizien genannt) vor den Horden 
der Tataren über die Karpaten nach Ungarn fliehen musste , da 
licss er im Schlösse bei Skole seine Schätze und seine Tochter 
Frakseda oder Paraszka zurück. Die Tataren, die davon Wind be- 
kamen» eilten herbei, zerstörten das Schloss, raubten die Schätze, 
ermordeten die junge Fürstentochter und an der Stelle, wo diese 
von den Urahnen pietätvoll begraben wurde, erhebt sich heute die 
prachtvolle Paraszka. — Diese Sage hat einen geschichtlichen Zug. 

Eine andere Sage lautet: In dieser Gegend wohnte vor vielen 
Jahren ein Riese, der seine hübsche Tochter Paraszka dem in der 
Nachbarschaft wohnenden Riesen keinesfalls zur Frau geben wollte. 
Als aber diese gegen den Willen des Vaters zu ihrem Geliebten 
floh , da schleppte der Gewaltige einige Berge zusammen , mit denen 
er die beiden bei einem trauten Stelldichein bedeckte. Seit also 
unter diesen Bergen die liebliche Paraszka ruht, wird dieser Berg 
so benannt. 

III. Ausser dieser Sagen über die Paraszka fand ich noch hier in 
der Gegend eine Sage, die mich deshalb interessirte, weil sie Bezug 
hat auf die sogen, und bei dem Landvolke bestgehasste ,paÄszc- 
zyzna" oder »Robot". — So hört man von vielen alten Bauern 
Reminiscenzen an einen berühmten Banditenhäuptling Dobosz, der 
seine geraubten Schätze in den Höhlen zwischen den Felsen in den 
Dörfern Bubniszcze und Urycz versteckt haben sollte. Die Gestalt 
dieses Banditen wird noch heute mit der Aureole des Volkshelden- 
thums umgeben. 



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Dobosz soll der mutigste Verthcidiger der Bauern gegenüber den 
^Herren" gewesen und stets für die Befreiung der armen Hauern 
von dem Joch der sie zu Frohndiensten zwingenden ^Herren" ein- 
getreten sein. Deshalb erfreute er sich der Sympathie der Hauern , 
während ihn die Herren fürchteten und ihm wegen seines tollen 
Muthes doch nichts anhaben konten. 

IV. üic Sage vom Veilclien. In Muszyna am Poprad im westlichen 
Galizien ist beim Bauernvolke seit altersher eine Sage über die 
Entdeckung resp. Auffindung der ersten Veilchen verbreitet, die 
ich des Interesses wegen hier nach dem „Siowo polskie" (Lemberg 
1898, Nr. 84, S. 3) mittheile. 

Ais auf dem polnischen Throne 111 Krakau König, namens 
Surowy regierte, brach ein neuer Krieg in Holen aus. — Der Kö- 
nig war schon sehr alt, er blieb daher diesmal, trotzdem er sein 
ganzes Leben in Schlachten zugebracht, zu iiausc, während er sei- 
nen Sohn, den Prinzen Fioiek (Veilchen) auf's Schlachtfeld schickte. 
Das Prinzlein, das noch jung war und kaum einen Anflug von 
Schnurrbart hatte, wurde von seiner Mutter, während der Ab- 
wesenheit des Vaters sehr verweichlicht und war auch in seiner 
physischen Entwicklung sehr zurückgeblieben. Da der Alte aber 
dabei blieb, dass der Prinz hinaus müsse, so musste er sein Ross 
besteigen und mit den Reitern zwischen Bergen und Schluchten 
dem Feind entgegenziehen. — Man schlug das Lager am Poprad, 
hinter dem Walde auf. Der Prinz befand sich das erste Mal in 
dunkler Nacht unter freiem Himmel — in einem Zelte. Er wurde 
deshalb sehr traurig. Auf Geheiss seines Vaters behandelte man 
ihn als einfachen Krieger und man befahl ihm daher beim Kessel 
zu stehen, um den die Ritter lagen und der Ruhe pflegten. Fioiek 
nahm nun Gerüche und Ausdünstungen wahr, an die er nicht 
gewöhnt war: theils vom Kessel, theils vom Pech» mit dem man 
die Stiefel schmierte. Er bekam Kopfschwindel — bis er endlich 
ohnmachtete und zur Erde fiel. Die Kriegsgenossen sprangen 
erschreckt herbeii hoben ihn vom Boden auf und trugen ihn vom 
Zelte weg. Alsdann legten sie ihn am Rande des Waldes nieder, 
auf den kühlen, grünen Rasen. Es nützte jedoch dies nicht viel, 
es gelang durch nichte den Prinzen in*s Leben zurückzurufen. 

Die altern Genossen schüttelten betrübt die Köpfe, und mein- 
ten , dass hier alles Bemühen vergeblich sei . . . Inzwischen liess 
sich in der Umgebung des Halbtoten ein wunderbar angenehmer 
Geruch wahrnehmen, wovon die Luft geschwängert war. Der Prinz 



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begann zu athmen und kam aihnalii; zu sich dank dem starken , 
angenehmen Dufte, den auch die Ritter spurten. — Darüber ver- 
wundert, beginnen sie die Ursache dessen zu suchen — luid sie 
fanden im Grase bescheiden versteckt eine Menge kleiner, schöner 
Blümchen , die sie früher nie gesehen hatten. Sie sammelten nun 
i^anze Strausse dieser liebliclien , wonnigen Blümlein und steckten 
SU sich in die Panzer. Zur Erinnerung aber, dass durch diese 
i>lumchen der Prinz Fioiek seine Gesundheit wieder erlangte — 
nannten sie sie .fiolki" (Veilchen). Das erste Strausslcin dieser 
neuen Blumlcin vua besonders angenehmen Dufte brachte der Prinz 
Fiotck seiner Mutter. Die Königin Hess sie im Garten pflaa/cn 
und seit der Zeit verbreiteten sie sich in ganz Polen, von wo sie 
später Ausländer in die Fremde trugen. 



Polkloristische Findlinge. 

Das Ernte Kind, [zu S. 141]. Das Erntekind ist das Kornkind, 
Ahrcnkind, der Kornengel, ein elbischer Geist, der die Ernteleute 
im Mittagsschlafe beängstigt, erschreckt, blendet (durch Sonnenstich) 
und Kinder entführt. Wie Fan mit dem Pan'schen Schrecken den 
griechischen Hirten im Mittagsschlafe plagte, so beängstigen die 
Mittagsgeister (meist als Korngeister) die deutschen Erntearbeiter 
und deren Kinder, die im Freien schlafen. Der Dämon meridianus 
spielt namentlich bei den sudlichen Völkern eine grössere Rolle, 
als bei den nördliche und ist identisch mit dem Mittai^salp. 

Vergl. Manniiardt, Die Korndamonc. HerHn 1 867 i Golther, 
Mytholog. 156^ Roch holz, Deutsch Gl. u. Br. I. 67. — r, 

Mittel gegen Regen. Im Diarium Parmense (bei Muratori Scrip- 
tores rerum ital. lom. 22) wird erzählt: 

„Sepultus fuit anno 1478 niense Junio in ccclesia S. Francisci 
quidam cives nomine Franciscus de Pizzicardis, maximus et cru- 
delis usurarius cum veste, berrettina et cordone S. P'rancisci. Cum 
pluvia foret ingens et continuata, orta est iar.ia in popuU) , quod 
dicta pluvia numquam cessaret , donec cor[)us dicti usurarii esset 
in sacrato. Pueri civitatis, tjuasi omnes dicto corpore ab episcopo 
requisito, eoque recusante, iverunt simul uhili ad dictam ecclesiam, 
portas dejecerunt, ipsumque corpus e sepulcro avulserunt et dicto 



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cordone quo cinctus erat appenso ad Collum , per civitatem ti axc- 
runt... et fuit dejectus tandem in flumine Padi, et fuit mirabiie quod 
pluvius illico cessavit." Mitgeteilt voß Dr. M. Landau. 

Zu Urquell IL S. 114.. — - Verfasser des Liedes .Andreas, lieber 
Schutzpatron' ist J. W. von Beust, 1772. Als Volkslied bei 
Iloffmann v. F. VL.3 iii, Nr. 49. Böhme VL. 511, Nr. 683. 
Vcrgl. Spitt a VfMG. i, 65, Anm. 5. W. Ohorn, 3, 270. Erk- 
Irmer 4, 56, Nr. 51. Bernhardi l, 4, Nr. 7. Die Volksharfe 3. 
Bdchen (1838) S. 65. Kretzschmer i, 257, Nr. 146. Steiermark 
(Schlossar 388, Nr. 351)« üstpreusseii (F r i sc h b i e r- S c m- 
brzycki 90, Nr. 73), Kgl. Bibl. Berlin Yd 7902 und 7904. 

Halle a. d. S. Dr. John Meier. 

Zu II. Iltfi 1 ti. 2 fiSc^i?) S. ^j. — • In Wien ruft dci <:jemeine 
Sperling (Spatz): ^Diab, diab!" (dieb); die Wachtel: „Wau, wau , 
wau, findst mi-net !" daran schlicsscn sich auch die Verse: „Hin- 
tern Bett bin i nct, hätt' i a wen*;" fürigschaut, hast nii brav aufig- 
haut!" Diese Annahmen gelten übrigens' auch für Niederösterreich, 
oder vielmehr, sie gelangten wol vom Lande in die Residenz. — Die 
Oberö.sterreicher legen der Goldamsel folgendes in den Schnabel : 
gSetz die Kugl auf, wirf die Kugl var (herab)." Die Niederöster- 
reicher ähnlich lautendes, aber nicht leicht zu erklärendes. 

Zu Bd* L Heft 10. i8gf, S, 264., — In Wien (mir seit den 
Sechziger-Jahren bekannt) sagen die Kinder auf ,Was?" .Alfs 
Fass!** Das geschieht manchmal ärgerlichi manchmal um seinen 
Kameraden „aufsitzen" zu lassen. Im letzteren Falle wird etwas 
undeutlich gesprochen und wenn dann der so Angeredete Was? 
fragt, die obige Antwort gegeben, worauf der Missethäter sofort 
reissaus nimmt. — Aber auch Erwachsene gestatten sich diese 
Antwort. Eine übermüthige Dame, die stets rasch Reime zur Ver- 
fügung hat, setzte noch hierzu ,,G'faults Gras!** 

5. 266. — Eine Dame in Wien verliess den gastlichen Tisch 
meist mit den Worten „Bitt' nur christlich." Angeblich soll dies 
in Tirol der Brauch sein, wenn man sich von einer Gesellschaft 
entfernt; man bittet damit, nicht allzu schlimm durchgehechelt 
(, ausgerichtet") zu werden. 

30/3 1898. Böck. 



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Friedrich Müller. 

In der Nacht vom 24. auf den 25. Mai verlöschte zu Wien diese 
Leuchte neuzeitlicher Sprachenforschung. Geboren ward F. M. am 
5. III. 1834 zu Jemnik in Böhmen von sehr armen Eltern. Von 
den ersten Entbehrungen der Jugendzeit abgesehen» war seine Lauf- 
bahn nach aussen hin sonnig. Sein Leben bewegte sich nur zwischen 
Wien und Jemnik. Das war sein bürgerlicher Horizont, trotzdem er 
zu den bedeutendsten Ethnographen volle zwei Jahrzehnte hindurch 
zählte. Seine Werke findet man in jedem Konversationslexikon ver- 
zeichnet, so dass deren Anfuhrung hier entfallen mag. Als Folk- 
lorist trat er einmal mit der Herausgabe ihm von anderer Seite 
gelieferter Zigeunermärchen hervor. Ich war vier Jahre lang sein 
Schüler, sogar sein Lieblingsschüler (ein Semester hindurch allein 
sein Hörer), und er blieb der einzige von allen meinen Lehrern, 
mit dem ich auch nach zurückgelegten Universitätstudien Bezie- 
hungen unterhielt. Wenn einer, so bestärkte er mich seinerzeit 
in meinem Entschlüsse, mich der Volkskunde als einem Lebensbe- 
rufe zuzuwenden. Dies mögen ihm diejenigen nachtragen, die an 
meinen Bemühungen kein Vergnügen finden. Er selber verübelte 
es mir, dass ich nicht sein Jünger geworden, sondern mich der 
Richtung eines A. H. Post, A. Bastian, Gaidoz, der Eng- 
länder und Amerikaner angeschlossen. Er verkannte, dass seine 
sprachwissenschaftliche Methode nicht ohne weiteres für die Volks- 
künde tauge und dass der Wert seiner Systematik der Völker- und 
Racenkunde ftir mich rein imaginär sein musste. Nach drei Dispu- 
tationen, die er mit mir darüber führte, veröffentlichte er jedesmal 
im «Ausland" und später in , Globus** geharnischte Aufsätze zum 
Schutz seiner Theorien. Bekehrt hat er vielleicht andere, und meine 
Verehrung fiir ihn bewies ich damit, dass ich niemals mit ihm 
öffentlich stritt. Er war ein Mann voller Extrav^anzen, die man 
als Originalität auslegte, es waren aber nichts denn beklagenswerte 
Äusserungen seines Gedärmekrebsleidens, das ihn mindestens fünfzehn 
Jahre lang gegen so manchen gesunden und lebensfrohen Menschen 
verbitterte, ungerecht und erbarmungslos grausam machte. Er war 
von der übertriebensten Sparsamkeit und besass einen ungemein 
entwickelten Erwerbsinn, so dass er ein namhaftes Vermögen an- 
sammeln konnte. 

Er ruhe in Frieden! Seine Forscherarbeit verbleibt in Ehren 
hochgehalten ! K r a u s s. 



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Vom Büchertisch. 

C Roll de, Psyche. Seelencult und Unsterbliclikeitsglaube der Grie- 
chen. Zweite verbesserte Auflage. Zwei Hände. J. C. H. Mohr (P. 

Sieheck). Frcihurt; i. I?r. iSqS. l'reis 20 M. 

Nicht um den eigentlichen fachwissenschaftlichen Werth des vorliegenden Buches 
zu würdigen, Wfts wir gern den Herren Philologen Überlassen, sondern wesentlich aus 

methodischen Rücksichten möchten wir mit eini^'cn Worten diese letzte Arlicit des für 
die Wissenschaft leider viel zu früh verstorbenen Verfassers besprechen. Wir begrüs- 
sen darin, kurz gesagt, den erfreulichen nnd erfolgreichen Versuch, den engen Hori« 
w>nt der classischen Alterthumswissenschaft zu durchbrechen und die Grundsätze der 
vergleichenden Völkerkunde auch für das ,geheiligte' Areal griechischer Entwicklung 
in Anwendung zu bringen. Es mag viel mit unzutreffenden Analogien gesündigt s«in 
~ das wollen wir rückhaltlos zugeben — , aber, dass sich anderseits dieselben Gesetse 
des psychischen Wachsthums, besonders in den primären Stadien, ebenso in dem er- 
leuchteten Volk der Hellenen bekunden müssen, wie bei irgend einem Naturvolk, 
scheint uns ein so sehr durch die übereinstimmenden Ergebnisse der vergleichenden 
Mythologie bcsi-itigtes Axiom, dass wir darüber unbefangenen Eeurtheilern des Sach- 
verhalts gegenüber kein Wort mehr zu verlieren brauchen. Soll überhaupt vou einer 
indudiven Payehologie die Rede sein, von Eleraentargedanken im Basti an 'sehen 
Sinne, <;o kann von dieser schlcclithin allgemeinen Perspektive nicht iri;end ein 
Stamm, und sei er noch s» hervorragend beanlagt^ ausgenommen werden — oder die 
Rechnung stimmt überhaupt nicht und das Get^ude bricht in sich zusammen. Um 
dns an einem conrrctcn Beispie! zu erläutern, sei es uns gestattet, auf die Kigentüm- 
lichkeit des primitiven homerischen Seelenbegriffs mit einigen Worten einzugehen. 
Diese Psyche ist, kurz gesagt, das unsichtbare Abbild des Menschen, welches nach 
dem Tode völlig frei wird, w-ihrend cs im psychophysischen Zusammenhange nur hin 
nnd wieder sich von seinen Beziehungen zu lösen vermag. Mit vollem Recht hat sich 
Rohde^ um seinen Fachgenossen das Befremdliche dieser Vorstellung zu benehmen, 
auf die alHiekannten Ausführungen HerV)erl Spencer's berufen, in welchen dieser 
denselben Glauben bei den Naturvölkern darlegt. Ich erlaube mir, diese Analogien 
durch den Hinweis auf die völlig entsprechende hawaiische Anschauung zu vervoll» 
ständit:;en, nach welcher wir gleichfalL ein solches andere Ich in der I'hane ola be- 
sitzen, welche besonders in Träumen und Ekstasen den Leib zu verstarren im Stande 
ist im Gegensatz zu der Uhane make, welche an den Leib gebunden ist. Ebenso 
steht für Homer, wie für die ganze primitive Theologie, die Realität der Traumer- 
scbeinungen ohne Weiteres fort, kein fressender Skepticismus hat den schlimmen Un- 
terschied des Ideellen und Realen aufgedeckt. Nun ist das Seltsame, das Homer 
einen eigentlichen Seelencult in der bekannten religiösen Observanz nicht kennt, die 
Psyche losgelöst von den leiblichen l eben ist ohnmachtig und vermag keinen Schaden 
anzustiften, — sobald der Leib verbrannt ist uänilich — , hier wurden alle Parallelen 
mit den Naturvölkern versagen, wenn es uns nicht gelänge, einem tieferen, nur in 
den grossen epischeii * i'i'ichten schon verdunkelten, überwucherten Zusammenhange 
auf die Spur zu kommen. Auch au diesem Punkte setzt die ethnologische Methode 
ein; es gilt nur, sagt der Verfiisser sehr richtig, die Augen nicht in vorgefasster Mei- 
nung zu verschliessen vor den Rudimenten (survivals nennen sie deutlicher englische 
Gelehrte) einer abgethanen Culturstufe mitten in Homer (S. 14), und nun wird höchst 
einsichtsvoll aus diesen spfirlichen Reden und unter Benutzung älterer Ideen, wie sie 
noch bei dem vom Wellenschlag höherer Civilisation nicht berührten Hesiod zu er- 
kennen sind, der allbekannte Seelencult entwickelt, der uns, ebenfalls gleichartig in 
seinen Grundzfigen bd allerhöchster Diiferenrirung, überall auf niederen Entwicklnngs» 
stufen entgegentritt. Dieser Beleg mag für unsere Behauptung geniigen, für den ver- 
ständnissvollen Leser ist damit das Princip der Forschung genügend veranschaulicht. 
Wie bereits bemerkt, wir halten es im Interesse einer gedeihliehen wissensehufUichen 
Entwicklung, welche doch überall auf einen möglichst harmonischen Ab-,chluss der 
Forschung abzielt, für äusserst wichtig, wenn gerade für das Studium mythologischer 
und religionswissenschaftlicher Probleme sich Sprachwissenschaft und Völkericunde 
immer enger an einander schlicssen. Die öde, unfruchtbare Polemik hat gerade lange 



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191 



gcnup c^c «lauert und da" gegenseitige blinde Anschuldigen kaum einen nenncnsweithen 
melhodischcQ Gcwiua emelt, es wird Zeit fUr eine grundsätzliche Umwandlung der 
VetfaKltnlsse/die beiden Ittterresseaten mu zu Gute konnnen kann. Dass dabei eine 
ehrliche, sachliche Polemik nicht ausgeschlossen, sondern umgekehrt geboten ist, veT^ 
steht sich von selbst. Th. Achelis. 

Archiv für Rellgionmmtmchaft^ in Verbindung mit vielen Fach* 
gelehrten hrsg. v. Dr. Th. Achelis. Freibarg i. B. J. C. B. Mohr, 
(Paul Siebeck). Preis 14 M. ganzjährig, i H. 112 S. 8«. 

Man mag sich verwundert fragen, warum denn die prachtvollen Studien und Auf- 
sätzchen dieses Heftes nicht etwa in unserem Urquell oder im Intern. Archiv f. 
Ethnographie oder in der Zeitschrift f. Ethnologie, denen sie auch zur Zierde gereicht 

haben würden, erschienen sind. Die Antwort ist einfach die, dass man sie den gje- 
nannten drei Redactionen nicht eingeschiekt hatte. Die Mitarbeiter des neuen Archivs 
sind durchaus keine Sczessionistcn, die einen Salon der Zurückgewiesenen gründen 
wollen, sondern selbstbownsste. tücLtigc l'orschcr, die der Ansieht sind, dnsf; die 
Volks- und Vollverkunde einer Spciialisiiung in Bezug axif Religionsvvis^cn.schaft 
bedarf. Das trifft zu, und es spricht manches dafür, dass die Mutter Ethnologie bald 
auch noch andere Kinder sel!>st>t:indig sehen wird. Ich denke z. T?. an eine Zeitschrift 
für epische und lyrische Volksdichtung, die die Sonderforscher auf diesem Gebiete zu 
regerem Gedankenanstausch sammeln wird. Es wird einmal auch die Zeit kommen, 
wo sogar der Begriff Religionswissenschaft als 7x\ vag gelten und die vierzehn Diszi- 
plinen, die Achelis im Prospekt als zur Rlgw. gehörig abgrenzt, unter eigenen 
Namen auftreten werden. Achelis möchte ^die so wünschenswerte Fühlung zwischen 
Sprachwissenschaft und Völkerkunde, rds den zunächst !)citciligten Disziplinen wieder- 
herstellen,'' ein ganz vergebliches Beginnen ; vergeblich darum, weil es bei einer 
Zeitschrift selten auf den Wunsch des Herausgebers, immer aber auf die Neigung der 
Mitarbeiter ankommt. Der Redaeleur sehiel^l nicht, er wird geschoben. Freilieh, bei 
Achelis sind alle Vorbedingungen für einen der besten Redacteure gegeben, und 
vielleidit erreicht er das Unverhoffte, aber es frägt sich ernstlich, ob die erwähnte 
Wiederherstellung sachgcmäss durch ihre Methoden getrennter Disziplinen wirklich 
ein Ziel fttr die Religionsmssenschaft sein muss. Ich verneine es und halte mich 
dabei an das, was uns das Archiv tatsächlich darbietet, und das ist sehr viel und sehr 
wertvoll. Sollte es sich, was ich für allein wünschenswert halte, auf der Höhe der 
Beitrage E. Hardy's, W. H. Roscher's, Seler's, Vicrkandt's und Fr. 
Branky's (im I. H.) auch weiterhin behaupten, dann können wir uns einer Zeil- 
schrift bcrühmen, die eine unentbehrliche Ergänzung zu jeder ethnologischen Revue 
bildet: d.h. wenn der Verleger, Herr Siebcck von seinen moralischen Gnindsätren 
nach- und die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge den .Tutoren und dem 
Redakteur allein überlässt. Mich nötigte er, aus einer Studie einen Passus zu 
streichen, der ihm unsittlich vorkam, such wollte er, dass ich Verstümmelungen an 
einem Guslarenliede vurnelmic. Zu Ausnierzungen aus Texten der Volksüberliefcrung 
ist niemand berechtigt. Soweit ich meine Fachgenossen kenne, wird jeder solche 
Zumutungen ab\scisen und seine Beitrüge lielier unkeuschen ethnologischen Zeitschrif- 
ten zuwenden als sie im Archiv versittlicht sehen. Herr Siebcck möge sich glück- 
lich schätzen, dass er das Archiv besitzt und dessen Bestand nicht aus hinfälligen 
Rücksichten auf ein Publikum, das bei einer solchen Zeitschrift gar nicht in Betracht 
kommt, gefährden. Krauss. 

Utbtr das Bampfer, Von Faul Sartori. S. A. Zeitsch. f. Ethn. 
1898. S. i~$4. 

F.ines der ersten Guslarenlieder meiner Sammlungen, das ich mit Erläuterungen ver- 
sah und herausgab, handelte vom Bauopfer. Der Gegenstand bot den Anstoss zur 
Entstehung einer nicht geringen Literatur aus aller Welt, so dass ich den Vorsatz 
fasste, die .\rbeit wieder gelegentlich aufzugreifen. Sartori kam mir zuvor, und 
zwar löste er seine Aufgabe so mustcrgiitig und meisterhaft, dass ich neidlos erkläre, 
ich würde sie schwerlich sauberer ausgeführt haben. Auch knüpfe ich daran den 
Wnnach, die Fachgenossen mögen diese Studie fleissig lesen, um daraus zu lernen, 



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192 



wie man folkloristische Materialen psychologisch zu ergründen habe. Uns drückt 
leider kein Übcrfluss an so gediegenen Monographien. Kranss. 

Es liegt mir nua der II. B. der ccchiscben Zeitschrift f. Ethnologie (Ndrodopisny 
Sbornfk Ceskoslovansky, hrsg. v. Pastrnek nnd E. Kovdf, Prag 1898, 
130 S. I.cx. Form.) vor. Wilhrend für die Zagrebaekcr südslav. Akarlemie die cluu- 
wotische Sprache eigens erfunden werden mü&stc, falls nie unglücklicherweise nicht 
schon bestSnde, nm den grösseren Teil ihrer Publikationen vor dem Hohngelächter 
urteilsfähiger Menschen zu bewahren, darf man ruhig sagen, dass der Inhalt dieser 
£echischen Zeitschrift in jeder modernen Kultursprachc Anerkennung und Beachtung 
bei den Forschem fände. Cechi&ch-national oder slavisch ist hier nur die Sprache und 
mmeist der Forschungsg^enstand, die Forschungsmethode und Kritik darin aber 
international, ich meine wissenschaftlich. Man täte den Mitarbeitern an den zwei 
ersten liändcu dieses Sborm'k sündhaftes Unrecht an, wurde man ihnen den Deutschen- 
und Vülkerhass des Cechischen Pöbels vorhalten, mit dem sie offenbar in keinerlei 
r^eziehung stehen. Sehr beachtenswert ist in vorliegenden B. S. i — 49 PoHvka's 
Studie über die vergleichende Folkloreforschung und desselben produktive Referate 
S. 93 — 112. Algemeineres Interesse verdient A. Kraus' kleine Abhandlung über 
den Gott Pcrun, worin er wieder den slavischcn Mythomancn Krek und Nodilo 
(der Ausdruck Mythomanen für diese zwei Herren ist von Polivka) einen Tritt ver- 
setst. Gut ist auch Holuby's Aufsats ftber Schlangen, Drachen usw. Krek und 
Nndiln sind eigentlich keine Mythomanen, sondern eher Rcltgion?;stifter, wie Joe 
Smith, der Vater nf the Latter Day saints und ihre Werke sind nur scheinbar vom 
Book 4^ Mormon verschieden. Zu ihrer Sekte zahlen die heiUgen Schwärmer, die 
nicht alle werden. Die Mitarbeiter des cechischen Sbornfk tjchören nicht dazu, und 
dies macht sie mir, dem Feinde alles Mystizismus und jeglichen Schwindels, lieb und 
teuer. Kranss. 

TAe sociai organizations and the seertt societics 0/ the KivakiuÜ 
Indiatty von Franz Boas (Smithsonian Institution. U. S. Nat. Mus.). 

Wash. 1897. 427 p. 

Will einer ernstlich in der Volks- und Völkerforschung wissenschaftlich emporkom- 
men, lerne er mit aller Emsigkeit aus den Werken der amerikanischen Fachgenossen. 
In dieser Hinsicht gilt auch der Deutsche Boas als ein echter Nordamerikancr für 
uns. Er ist ein ausgezeichnet gut geschulter Beobachter^ ein rastlos tätiger Sammler, 
ein gewandter Schriftsteller und über alles dies ein merlcwürdig kritischer Kopf. Ich 
habe eine Reihe kleiner kritischer Aufsät/c aus seiner Feder über die Methodik und 
Systematik unserer Wissenschaft gelegen, die im einzelnen mehr positiver und anre- 
gender Gedanken enthalten, als so manches dickleibige Buch, das unter dem hoch- 
trabenden Titel anthropologischer, oder ethnographischer, Studien erschienen ist. Die 
seltenen Vorzüge einfacher, wissenschafilieher Darstellung Boas' kommen im vorlie- 
genden Werke ganz besonders zur Gellung und man kann es in gewissem Sinne als 
eine Ergänzung zu Mooney*» Geistertanz der Indianer betrachten. Die von 6. 
klarf:;elcc;tcn primitiven Sippen- und Stammeinrichtungen, das Vater- und Mutterrecht, 
die iiochzeitsgcbrauche, die Stammsagen, der Geisterglaube, die Riten der verschiede- 
nen Jabrseiten und die Schilderung der Geheiragesellschaften sind im Werte Entdeck* 
ungen gleich- ich ineine, T. oas entdeckt für unsere Wissenschaft einen guten Teil 
Amerikas aufs neue. Von der Fülle gelungen ausgeführter Bilder, die das Buch 
schmucken nnd die Worte wirksam erlSntem, sowie von der wunderbaren Ausstattung, 
ist nichts tu Mgen, als dass uns die Amerikaner auch in diesen Dingen überlegen 
sind. Kranss. 



B e r i c h t i g u n c;; e n. 

S. loi. Z. II. v.o. lies; des^ statt: der. — S. 143. Z. i. v.o. lies: Olfleckenj statt: 
Erbflecken. — Z. 9 v. o.: lies: mit dem elbisch deformierten Fusse nnd mit der Eiss* 

(Schrecken-)>.*ase. — Z. 16 v. o. lies: Nelnn dieser Perchta hat sich der die wütende 
Seclcnschar anführende männliche Wode, der sich zum Gotte Wodan entwickelte, er- 
halten. — Z. 35 o.: lies: Ruten Beigaben. 



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Verlag der T^uchhandlung, und Druckerei vormals E. J. l^RILL. 



Archiv für Ethnographie (Internationales), lirsg. von Dr. Krist. Bahnsen, Copeu 
hagcn; Prof. F. Boos, Worcestcr, U. S. A.; Dr. G. J. Dory, im Haag; Prof. E. H. 
CiigUoli, Floren/.; A. Grigorief, St. Petersburg; Prof. E. T. Hamy, Paris; Prof. H. 
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Oengarang (Java); Prof. G. Schlegel, Leiden; Dr. J. D.E. 
Schmeltz, Leiden; Dr. Mjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. E. B. Tylor, Oxford. — 
AV : Dr. J. D. E. Schmeltz. 1887—1897. Vol. I— X. (Mit schw. u. col. Taf.). 4«. 



L\: . V 6 /izT /- 12. — 

.-upplement zu Band I: 

Otto StoU, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. (Mit 2 

col, /■ 

uppleniciiL zu liaud III: 
Max Weber, Ethnographische Notizen über Flores und Celcbe^. iSqo. 'Mit 8 
col. Taf.). 4» — 

--iipplcment zu Band IV : 



David Mac Ritchie, The .\inos. 1^92. (.Mit 1 7 col. u. 2 schw. Taf.). 4O, / 12. — 

buppleraent zu Band V: 

\V. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893. CSVn 2 col. u. 6 
.schw. Taf.). 40 • . . . 

Supplement zu Band VII: 

F. W. K. Müller, Nang, Siamesische Schatlentigurcn im Kgl. Museum lur Völ- 
kerkunde zu Herlin. 1894. (Mit 4 schw. u. 8 col. Taf.). 4*' / 9. — 

Supplement zu Band IX : 

Ethnographische Beitrttge. Festgabe zur Feier des 70»'*" Geburtstages von 
Prof. Ad. Bastian. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4<». . . / 6.— 

Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeitschrift bis jetzt 
noch nicht besitzen, die .Anschaffung derselben durch Verringerung der pccunia- 
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen 
Subscribcnlcn auf den XI Band die bisher rrschienencn B.inde, so lange der 
noch vorhandene geringe' Vorrath dies gestattet, zu ermässigten Preisen zu über- 
lassen, und zwar : 

Bd. I — X (Ladt iij/icii 210 Mark) zu M. 150. — . * 
Bd. I — X mit siimmtlichen Sui^plemcnten (Ladenpreis 28^ Mark) zu M. 170. — . 
Da von den letztgenannten sieben Bände«, mit sämmtllchen Supplementen nur 
noch sehr wenige vollbtändige E.xemplarc abzugeben sind, dürfte es sich emp- 
fehlen, etwaige IJcstcllungon darauf baldigst zu ertheilen. 

Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner-Arabien. 1S96. Theil I. 8*. Mrk. 7.50 

Jacobs, J., Het Familie- en Kampongleven op Groot-Atjeh. Eene bijdrage tot de 
ethnographie van Nöord-Sumatra. Uitgeg. vanwegc het Kon. Nederl. Aardrijksk.- 
Genootschap. 1894. 2 dln. (Met 17 phot. lith. en 6 gekl. platen) gr. in-S". Mrk. 25.50 

gebunden . . Mrk. 2S.90 

Landberg, C. de, Bäsim le forgeron et Hflrün Er-Rächid. Texte Arabe en diaJecte 
d'Iigypte et de Syrie. Publik d'aprcs Ics Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et 
accompagn6 d'une traduction et d'un glossaire. I : Texte , tradition et proverbcs. 
1888. 8° •. . Mrk. 5.— 

Martin , K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf 
gegründete Studien. 1888, 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-S*. Mrk. 34. — 

Martin, K., Reisen in den Molukkcn, in Ambon, den Uliassem, Seran (Ceran) und 
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung 
der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf., 
1 color. Karte und 18 Textbildem). gr. in-S* Mrk. 21. — 

Spitta-Bey, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits. Texte arabe en caract. 
at. avec la traduction franq. 1883. 8° Mrk. 6.50 



INHALT. 



(, ' ■ • ' * 

• • • : - - -• . ■. - ■ .'. - i- ' Stile 

über eine Gattung mongolischer Volkslieder und ihre Verwandtschaft mit tür- 
kischen lAedern. Von B. Läufer " 145. 

Chinesische geheime Gesellschaften, Von WilhelmGrüner . . . . . . 157. 

Der Tote in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beitrag aus Por- 
tugal. Von M. Abeking '. . . . . . 166. 

Alte'Segen. II. Mitgeteilt von Otto Heilig '.. . . i «'■172. 

Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst. Eine Umfrage von R. Spren- 
ger. Beiträge von I. Robinsohn und R. Sprenger 176. 

Lebendige Richtschwerter. Eine Umfrage von R. Sprenger. Beitrag von A. 

Herrmann 177. 

Wieviel ist die Uhr? Eine volkstümliche PLiuderei. Von A. Treichel . . 179. 

Ruthenische Sagen. Von Dr. E. Friedländer 184. 

FolklQristische Findlinge, i. Das Emtekind. Von — r. — Mittel gegen Regen. 
Von Dr. M. Landau. — Zu Urquell II. S. 114. Von Dr. John Meier. — 
Nachträge. Von Böck . . 187. 

Friedrich Müller. Von Dr. Krauss 189. 

Vom Büchertisch. Roh de 's Psyche. Angezeigt von Th. Achelis. — Ache- 
lis' Archiv für Religionswissenschaft; Über das Bauopfer, von Paul Sar- 
tori; F. Pastrnek und E. Kovdf 's Cechische Zeitschrift für Ethnologie; 
Franz Boas, The spcial Organisation and the secret societies of the Kwa- 
kiut! Indians. Angezeigt von Krauss , 190. 

Berichtigungen . I'-^/iJ . 192. 

■ . ■ • •. . " 1 ...7.- % 

. •■ • • ■ . - V • „• ^" • - - 

■ ■' ... ■ v - " - ' ■•• ' 

-» ■ . .- ,• ■ • -. ' ■ : 

* Wir bitten unsere Mitarbeiter^ sich aus Rücksicht für unsere holländischen Setzer 
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lateinschrift »u bedienen. 

Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf 25 Sonderabzüge seines Beitrages; bedarf er 
ihrer mehr, mag er sich deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einver- 
nehmen setzen. 

* ■ , . - ■ - ' 

Der Urquell erscheint regelmässig in Doppelheften. Der Subscripticnspreis für den 
i^anzen Jahrgang beträgt: 4 Mark. = 5 K. = 5 frcs = 2.50 fl. i /. 

Abonnements können auch bei der Redaktion des Urquells, Wien VII/2. Neustift- 
gasse 12 angemeldet werden. 



Druck der „Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. Brill" 



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DER URQUELL. 



Eine Monatschrift für Volkskunde. 



Herausgegeben 



Friedrich S. Krauss. 



Das VoHistoiB ist du Vdllcer Jungbrunnen. 



# • ■ 



Der neuen Foige Band II. Heft 9 und 10. 




BUCIIHAMDUJNG U* DRUCKEREI 



£. J. BRILL 

XJ3DBir«^i898. 



G. KR AM ER Verlag 

in HAMBURG. 
St. Paidi, Ihalstr. «4, L 
1898. 



Redaction: Wien, Osterreich, VII/2. Neusüflgasse la. 



Einlaufe. 



Löwy, Dr. Albert: Midas jomünu. The mcasurc day-;. A tri-lingual suu-. i >>n 

don 1S97, p. II. S*". 

Caland, Dr. W.: Die altindischen Todlcn- und IJestattungsgebräuchc. Mit Benützung 
handschrifilicher Quellen dargestellt. (Verh. d. kgl. Ak. d. Wiss. zu Amsterdam). 
1896. J. Müller. XIV, 194. gr. 8». 

Wiener, Leo: Populär poetry of the RiLs.sian Jews. S. A. Amcricana — Germanica, 
Vol. II. Nr. I. 26 p. 8'. — On the Hebrcw element in Slavo-Judaeo-German. 14 
p. gr. 80. (Zwei der besten Studien über juddeutsch. Volkstum). — America's sbare 
in the regencration of Bulgaria (Mod. Lang. Notes. XIII. 1898. 8 p. gr. 8",). 

Frankl — Grün, Dr. Ad.: Geschichte der Juden in Kremsier mit Rücksicht auf die 
Nachbargemeinden. Nach Original-Urkunden. Frankf. a. M. 1898. J. Kauffmann. 
VI, 180 S. gr. 80. 

Winternitz, Dr. M. : Georg Bühler und die Indologie. In memoriam. München 1898. 

S. A. xMlg. Ztg. 23 S, 80. 
Wiedemann, Dr. A. : Obscrvations on the Nagadah period. London 1898. p. 16. — La 

Stele d lsrael et sa valcur historique. 19 p. 8*. 

Mahler, Richard: Siedelungsgebiel und Sicdelungslage in Oceanten unter Berücksich- 
tigung der Sicdelungen in Indonesien. Suppl. zu B. XI. des Intern. Archives f. 
Ethnographie. Leiden, E. J. Brill. 1898. 72 S. gr. 4O. (Eine treffliche Leistung). 

Boas, Franz: The Jesup North Pacific Expedition. I. Facial Paintings of the Indians 
of Northern British Columbia. Memoirs of the American Museum of Natural History. 
Vol. II. 24 p. 4O and 6 plates. 

Jaworskij, Juljan: Südrussische Vampyre. S. A. Zeitschr. f. Volksk. 
Bastian, Dr. A. : Die Aufga!ipn der Fthnolnrr;,. I^atnvin 1898. Albi . 
23 S. 80. 

Lose Blätter- aus Indien. IV. 144. Ebenda. V. Colombio, Ceylon, A. M. & J. 

Ferguson. 1898. 53 S. 80. 

Maurmann, Emil : Grammatik der Mundart von Mülheim a. d. Ruhr. Grammatiken 
deutscher Mundarten. B. IV. Lpzg. 1898. Breilkopf & HärteL 108 S. (S. 81 — 85 

Volksüberlicferungen). 

Cemy, Adolf: Mylhiske bytosce lu^iskich Serbow. Budysiii 1898 M. il cu 
Dr. E. Muka). 1898. S. '239— 462. 

British Association for the Advancement of Science. Toronto Meeting, 1897. 
Report on Üie Elhuographical Survey uf the United Kingdom. p. 452 — 511. 

La Tradition en Poitou et Charentes. Art populaire. — Ethnographie. — Kolk- 
Lorc. — Hagiographie. — Histoire. Paris, Niort. 1897. XXI, 416. gr. 80. 

Glavic, Baldo Melkov; Narodne pjesme iz naroda za narod. D«brovnik 1897. II. kn. 
Str. 208. 8-«. 

Archiv für Religionswissenschaft hrsg. v. Dr. Thomas Achelis, Freiburg i. Lii. 
lieft 2 und 3 (bis S. 304) bringt eine weitere Reihe äusserst gediegener .\bhand- 
luiigen, die für die Völks- und V^olkcrforschung von grossem Belang sind. 



Insertionen — Beilagen. 

1^^^* Es wird höflichst gebeten , sich für Inserate und Beilageil ausschliesslich an 
die Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. BRILL in Leiden wenden zu wollen. 



Von der Wiedergeburt Totgesagter 



Eine Umfrage yon W. Catand. 

Bei den alten Indern war es für die Seeligkeit, d. h. um die 
Seele die Wohnung des Gotte«? Yama erreichen zu lassen, uner- 
lässlich, dass die sterbliche Hülle nach ausführlichem Ritual zu 
Asche gemacht wurde. Sogar ein Abwesender, dessen Überreste 
man nicht hatte finden können, wurde /// effigie verbrannt; an 
einer aus 360 Blattstielchen dargestellten menschhchen Figur wur- 
den alle die erforderten rituellen Handlungen vollzogen. Nun 
konnte es sich aber später heraustellen, dass der Totgci^laubte in 
der Tat nicht tot war und zu seinen Verwandten zurückkehrte. 
Da fand sich der Hindu vor einem nicht leicht zu lösenden 
Dilemma gestellt: der Mann war tot gewesen und nun wieder 
lebendig; das Geschehene konnte aber nicht ungeschehen gemacht 
werden und so wurden denn nach gewissen Ritualtcxten die fol- 
genden Massregeln genommen. Wenn ein Feuer durch Reibung 
erzeugt war und darin nach den gewöhnlichen fürs häusliche Opfer 
geltenden Vorschriften gewisse Spenden dargebracht waren, wurde 
hinter dem Feuer (d. h. westlich davon) ein goldenes Fass oder 
ein grosser irdener Topf hingestellt und mit tlussiger Butter und 
Wasser gefüllt. Der Vater des Totgeglaubten spricht über dem 
mit Fett gefüllten Topfeinen Vedaspruch aus, ans dessen Inhalt 
hervorgeht, dass der Topf als der Mutterschoss betrachtet wurde. 
Der aus dem Tode Zurückgekommene nimmt nun, gleichfalls wah- 
rend ein passender Spruch ausgesprochen wird, in dem Topf Platz 
und bringt, wie ein Embryo die Fauste ballend und ohne zu spre- 
chen, eine Nacht in der Flüssigkeit zu. Am nächsten Morgen 
werden vom Vater oder dessen Stellvertreter alle die Ceremonien 
(Sacramente) an ihm vollzogen, welche an einer schwangeren Frau 
verrichtet zu werden pflegen, dann mu.ss er aufs Neue geboren 
werden, indem er das Fass an der Hintenseite verlässt. Nun wer- 
den noch die Geburts-, Tonsur-, ILinfuhrungs- und andere Sacra- 
mente an ihm verrichtet, er niuss seine frühere Gattin in optima 

13 



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forma wieder heiraten oder sich eine andere nehmen und endlich 
seine Opferfeuer wieder gründen. Erst dann ist er seinen Mitt- 
menschen gleichgestellt und darf den Göttern wieder opfern. 

Eine Parallele dieses merkwürdigen Rituals hndet sich bei den 
alten Griechen. Plutarch berichtet uns in seinen Quaestiones 
Romanae (V) das Folgende. Dicjeni<^fen für die, weil man sie tot 
geglaubt, die Ausfahrt statt<::^cfunden hatte und ein Grab errichtet 
worden war, hielten die Griechen für unrein und schlössen sie 
vom Verkehr und von den Tempeln und Opfern aus. Es wird 
nun erzählt, dass ein gewisser Aristinos, ein Opfer dieses Aber- 
glaubens, nach Delphi sandte und den Gott bat ihm einen 
Ausweg aus den Unangenehmheiten zu zeigen» die dieser Brauch 
ihm verursache. Die Pythia antwortete; 

d.h. ifAUe Handlungen, die im Bette an einer schwangeren Frau 
verrichtet werden, die sollst du wieder verrichten und dann (darfst 
du) den Göttern opfern." 

Aristinos soll dies Orakel begriffen haben und sich, wie einer, 
der aufs Neues geboren wird, von den Frauen haben waschen, 
einwickeln und säugen lassen. In gleicher Weise sollen von da ab 
alle sogenannte ^mpiireTßoi (aus dem Tode Zurückgekehrten) ver- 
fahren haben. Einige berichten, dass man schon vor Aristinos die 
^ip6iroTfAct so zu behandeln pHegte und dass der Brauch aus alter 
Zeit herrühre. So Plutarch. 

Die Übereinstimmung zwischen der indischen und griechischen 
Sitte, wie auflfallend sie sein möge, zwingt uns doch noch nicht 
anzunehmen, dass die Sitte aus der proethnischen Zeit stamme und 
schon den arischen Urstämmen bekannt gewesen sei. Bei jedem 
der beiden Völker kann der beschriebene Ritus eine natürliche 
Consequenz der Überzeugung gewesen sein, dass sein Totenritual 
die Seele des Verstorbenen wohlbehalten ins Jenseits hinüberzu- 
bringen vermochte. Es kommt drauf an, ob noch bei anderen 
Völkern sich Derartiges findet. Ist vielleicht den Lesern des , Ur- 
quells" Ähnliches bekannt^ 

Breda. 



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Notizen zur Geschichte der Märchen und Schwanke. 

Von Juljan Jaworskij. 

I. Drei Orangen. Ein Prinz sucht für sich die Frau. Er be- 
kommt drei Orangen, aus denen drei Jungfrauen herauskommen 
sollen. Er darf sie aber nicht eher aufschneiden, als bis er nicht 
ans Wasser kommt. Unterwegs macht er eine, dann die andere 
Orange auf; aus diesen kommt j'e ein Mädchen heraus und ruft: 
Wasser! Da keins in der Nähe ist, sterben beide Mädchen von 
Durst. Nur die letzte Orange bringt der Held glücklich an eine 
Quelle. Die Jungfrau kommt aus der Orange heraus, bekommt 
Wasser zu trinken und wird dann seine Frau. So erzählt Basile 
im Pentamerone Nr« 49 (cd. Liebrecht, Bd. II, S. 237 — 239). 
Das Märchen ist weit verbreitet. So kennen es die Griechen (Beruh. 
Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder S. 71 — 72), 
Türken (Ungarische Revue, IX, 37 — 38), Ungarn (Stier-Erdelyi, 
Ungarische Sagen und Märchen, 84 — 86), Korsikaner (Ortoli , Contes 
populatres de l'Ile de Corse, 76 — 78), Rumänen (Säincnu, Basmeie 
romdne, 330 — 3 10), Slovenen (D o b ä i n s k i , Prostonärodnie sl v cnske 
povesti, VII, 67 — 69), Kroaten (Valjavec, Narodne pripovjesti 
(i8go), 212 — 214)' und Polen in Galizien (Ciszevvski, Krakowiacy, 
I, N«> 57, und Zbiör wiadomo^ci de antropologii krajowej, V, 224). 
Vei^l. auch die Parallelen, welche Prof. Polivka zu Ciszewski 
Nro 57 im Archiv für slavische Philologie, XVII, 573, mitge- 
theilt hat. 

II. Der Schultheis und der Bauer. In Kirchhofs Wendunmuth 
(Buch I, Nro 64) wird erzählt, dass ein, seines Amtes enthobener 
Schultheis über einen Räch zu gehen hatte, er blieb aber vor 
ihm ^anz verlegen stehen, als er wahrnahm, dass das Hochwasser 
die Brücke wcgejci issen hatte. Da kam ein Bauer, welcher von 
der Absetzung des Schultheises noch nichts wusstc, und als er 
ihn in solch' einer Verleihen heit sah, bat er ihn, ihn über das 
Wasser zu tragen. Inmitten des Baches wurde aber der Schultlieis 
von Dankbarkeit gerührt und sagte, dass wenn er nur wieder 
einmal Schultheis werden wird, so wird er schon dem Bauer 
seinen Dienst vergelten. — So bist du jetzt nicht melir Schul- 
theis? — Nein! — Was trage ich denn au dir Schehiien r sagte 
der Hauer und warf den gestürzten Würdenträger ins Wasser. 
(Wendunmuth, ed. Ocsterlcy, Bd. I, S. 79 — 80). Im V-ten 



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Bande (S. 35) führt Oesterlcy zu diesen Schwanke viele ältere 
mitteleuropäischen Parallelen an; in der zeitgenössischen Volks- 
überlieferung scheint er aber schon vergessen zu sein. 

Nur bei den Südrussen bei Kiew fand ich den Schwank wieder. 
Ein Dorfschreiber gieng in neuen Stiefeln 7ai Besuch. Auf dem 
Wege traf er auf eine grosse Kothlake und konnte in den neuen 
Stiefeln nicht herüberkommen. Da musste ihn ein Bauer tragen. 
Der dankbare Schreiber äusserte in der Mitte des Kothes das 
Versprechen, dass wie er nur witrder sein Amt bekommt, wird er 
dem Bauer die Gefälligkeit nicht vergessen. — Bist du denn nicht 
mehr Dorfsciireiber ? — Ach nein! heute hat man mich entlassen. — 
Als der Bauer dies hörte, warf er den Schreiber sammt neuen 
Stiefeln in den Koth herunter. (Cubinskij, Trudy etnograf*- 
Statist, ekspeditzji, Bd. II. S. 623}. 

III. Die Augeyi herausnehrtien. In den Gesta Romanorum (Cap. 
76, De concordia, ed. Oesterley, S. 393) wetteifern zwei be- 
rühmten Ärzte in ihrer Kunst. Da nimmt einer dem andern die 
Augen heraus, dann setzt er sie ihm geschickt wieder ein. 

In einem niingrelischen Märchen legt ein Zögling der Ndemi 
(Riesen) zwei Finger an die Augen einem Ndemi; dav'^on springen 
dem die Augen heraus. (Sbornik niaterjalow dla opisania mjestnostej 
i plemen Kawkaza, Bd. X, Abth. 2, S. 281). 

Bei den Südrussen erzählt man auch vom Wetteifern zweier 
Zauberer. Gewöhnlich geschieht es bei einer Hochzeit; einer will 
den liochzeitsleuten Schaden anthun, der andere vertheidigt sie. 
Dabei nimmt er dem Gegner durch Zauberworte oder mit blossem 
Blick die Augen heraus. (Vergl. Manzura, Skazki, poslovicy i t. p. 
S. 69 — 70; Etnografiöeskoje Obozrenie, Bd. 29 — 30, S. 119 — 120 
und 171 — 172). 

IV. Warum die Juden kein Schwein fleisch essend Als noch 
Jesus Christus auf Erden wandeile, kam er einmal in ein Judcii- 
haus zu Besuch. Die Juden wollten ihn überführen und, nachdem 
sie die Hausfrau mit den Kindern unter einer grossen Molter ver- 
steckt haben, fragten sie Jesus, ob er weiss, was unter der Molter 
versteckt liegt? — Eine Sau mit Ferkeln, antwortete Jesus. Die 
Juden lachten darüber, als sie jedoch die Molter aufgehoben haben, 
fanden sie dort wirklich anstatt der Frau und der Kinder nur 
eine Sau mit den Ferkeln. Deshalb essen jetzt die Juden kein 
Schweinfleisch mehr. — Über diese Legende eröfTnete die Revue 



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197 



des traditions populaires eine Umfrage und brachte viele west- 
europäische Varianten zusammen. (Bd. IV, 362, 409, V, 435, VI, 
727, VII, 487, 717, X, 120). Vergl. noch dazu Zeitschrift des 
Vereins für Volkskunde, V, lOi ; Bartsch, Sagen, Märchen und 
Gebräuche aus Meklcnburg, I, 523 — 524; Merkens, Was sich das 
Volk erzählt, I, 69. 

Die Legende ist auch bei den Slavcn, besonders bei den Russen 
sehr verbreitet. V^ergl. Atanasjew, Narodnyja russkija legendy, 
S. X XI; Uragomanow, Malorusskija nar. predania, S. 4; Cu- 
ljins]:ii, 'irudy, I, 49 — 50; Kiewskaja starini, XXI II, 143; XXXII, 
.14;' 449; Zytje i slowo, 1894, Ii, 102, Eiaugiaficeskoje obozrcnie 
Xlll — XIV, 251 — 252, Zapiski gcograf. obsdestvva po otd. etno- 
grafii, V, 715; Romanow, Bjelorusskij sbornik, IV, 159; D o- 
browolskij, Smolenskij ctnograf. sbonuk, 1, 243; Dikarew, 
Cornomorski narod. kazki i anckdoty, S. 5; 2iwaja starina, 
1895, H. 3 — 4, S. 441; Mrocko, Sniatyhszczyzna, I, 62, Kel- 
berg, Chcimskie, II, 157, Swietek, Lud nadrabski, 583 — 584; 
Zbiör wiadomosci do antropologii krajowej, II, 130 — 131, V, 167, 
VII, 108—109, XI, 39, XV, 265. 

V. Die wunderbaren Brautiverber. An das bekannte Märchen 
von den Brüdern mit wunderbaren Eigenschaften, welches Benfe y 
eingehend untersucht hat (Kleinere Schriften, B. II), scliliesst sich 
ein anderes, von der Brautwerbung mit Hilfe wunderbarer Gesellen, 
an. Der Held will die Tochter eines Königs oder Zauberers heim* 
fuhren. Unterwegs begegnet er einigen wunderbaren Gesellen; der 
eine lauft sehr schnell, der zweite sieht sehr weit, der dritte isst 
sehr viel, der vierte ist ein ausgezeichneter Schütze, der fünfte 
blast sehr stark u. s.w. Die alle nimmt der Held mit. Der Vater 
der Braut verlangt vom Bräutigam die Erfüllung einiger schwierigen 
Aufgaben. Zuerst muss er ihm in einer sehr kurzen Zeit irgend 
einen Gegenstand aus weitentferntem Orte bringen. Der Weitläufer 
ist mit einem Satze dort, auf dem Rückwege schläft er jedoch ein. 
Der Weitseher sieht dies, der Schütze schiesst und weckt den 
Boten auf. In einem Nu ist dieser zurück. Dann sollen die Braut- 
werber eine ungeheuere Menge Fleisch und anderer Speisen auf- 
essen. Der Vielesser tsst das alles auf und schreit dabei: „gebt 
noch, wir sind hungrig !" Endlich müssen sie auf einem eisernen 
sehr angeheizten Ofen sitzen. Vom Blasen des letzten Gesellen 
wird der Ofen ganz kalt und die Brautwerber überstehen die 
Probe. Der König muss die Tochter geben und der Held heirathet 



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198 



sie. Manchmal sind die Eigenschaften der Brautwerber anders und 
dementsprechend ändern sich auch die Aufgaben, welche sie er- 
füllen. Vergl. Orient und Occident, II, 296 — 299; Archiv für slavische 
Philologie, II, 639 — 640 ; Dragomanow, Malorusskija predania, 
274 — 278; Nowosielski, Lud ukrainski, I, 270 — 276; Roma- 
now, Bjclor. sbornik, III, 118 — 119, 131 — 132; Man£ura, Skazki, 
26—27; Ungarische Revue, V, 735—739; Beneä-Tf ebizsky, 
Nirodni pohädky a povesti, 2. Aufl. 94 — 99; Ciszewski, Kra- 
kowiacy, I, 189 — 190; Etnogr. obozrenie, XII, 42 ff.; Germania, 
XV, 186 — 187; Sbornik materjalow dla opisania Kawkaza« XIV, 
Abth. 2. S. 206—208, XVIII, Abth. i. S. 64—69, XIX, Abth. 2. 
S. 4 — 7; Zbiör wiadomosci, IX, 81 — 84, iio — iii; Säin^nu, Ba- 
smeie romäne, 914 — 915; Carnoy und Nicolaides, Traditions 
populaircs de TAsic Mineure, 49 — 56. 

VI. Eine alte Legende. G. Cederschiöld theilt in der Ger- 
mania (XXV, S. 135) aus einer isländischen Handschrift des XIV. 
Jahrhundertes folgende Legende mit: Ein Landmann führte ein 
rechtschaffenes und frommes Leben; als er aber starb, da wurde 
ein furchtbares Gewitter und die Leiche begann gleich zu faulen 
und zu stinken. Alle Leute dachten deswegen, dass er ein sehr 
grosser Sünder gewesen sein muss, und wollten ihn nicht einmal 
auf dem Friedhofe begraben. Die Wittwe lebte lustig und sünden- 
haft, jedoch bei ihrem Tode war ein wunderschönes Wetter. Die 
Leute hielten sie darum für heilig. Nach diesen Eltern ist aber 
eine Tochter geblieben. Diese wurde über die Naturerscheinungen 
beim Tode ihrer Eltern betroffen und dachte darüber viel nach. 
Sie kam zur Überzeugung, dass die Lebensweise der Mutter bes- 
ser sein muss, als die ihres Vaters, und entschied sich so zu leben, 
wie die Mutter gelebt hat. Da nahm sie im Traume ein Engel, 
führte sie in den Himmel und in die Hölle und zeigte ihr die 
Himmelsfreuden des Vaters und die Höllenqualen der Mutter. 
Das Mädchen begann nun ein rechtschaffenes und frommes Leben, 
wie es ihr Vater geführt hat 

Dieselbe Legende befindet sich auch in einem galizisch-russischen 
handschriftlichen Sammelwerke aus der Mitte des XVIII. Jahr- 
hundertes (Bibliothek des Ossolinskischen Institutes in Lemberg, 
N° 2189). Ein alter Einsiedler verirrte sich einmal im Walde und 
nach einigen Tagen kam er zu einer Höhle, in welcher er eine 
heilige Einsiedlerin fand. Diese erzählte ihm ihre Lebensgeschichte. 
3ie stammte aus dem Dorfe Enom in Palestina und war Tochter 



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199 



eines Landmanns, der hiess Theodor. Ihr Vater war schwach und 
kränkhch, dennoch aber arbeitete er sein ganzes Leben scliwer 
und war rechtschaffen und fromm. Die Mutter hingegen, Namens 
Marianna, war immer gesund und schön, sie war aber sclilcchL und 
gottlos und führte ein liederliches Leben. Als der Vater starb, 
war durch einige Tage solch ein schreckliches Gewitter, dass man 
ihn nicht begraben konnte. Die heute fluchten ihm, da sie ihn 
für einen grossen Sünder hielten. Die Mutter lebte noch in Sün- 
den zwei Jahre, als ae aber starb da war ein sehr schönes Wetter ; 
zum Begräbnis sind viele Leute zusammengekommen und sie 
priesen sie alle för heilig. Die Tochter dachte nach alle dem, 
dass es doch besser sein muss, liederlich und sündenhaiti wie ihre 
Mutter, zu leben. Im Traume aber zeigte ihr ein Engel das 
Glück des Vaters im Himmel und die Qualen der Mutter in der 
Hölle, so dass sie sich bekehrt und beschlossen hat, fromm und 
rechtschaffen, wie ihr Vater, zu leben. Sie verschenkte alle ihre 
Habe den Armen, gicng in diese Wüste und blieb da vierzig 
Jahre, ohne je einen Menschen zu sehen. Nachdem sie dem Ein- 
Siedler ihre Geschichte erzählt hat, betete sie zusammen mit ihm 
und dann starb sie (pag. 48 V. — 52 V.). Vergl. auch 2urnal minis- 
terstwa narodnaho proswjeSj^enia, Bd. 217, S. 94 — Ii 2. 

Lemberg. 



Perchta. 

Von Dr. M. Höf 1er. 

Früher machte man die Perchta zu einer germanischen Göttin, 
was sie sicherlich nicht ist. Dass sie aber nur aus dem Kalender- 
namen (Perktennaht = Nacht der Perhte = Perchtag, Prechtag 
= Epipkania, befama) entsprungen sein soll, ist ebenso zweifelhaft 
als dass sie blosse Kinderscheuche im Gespensterglauben des deut- 
schen Volkes war. 

Wie Trud (Drude) auf eine Koseform trüt = die Traute, Ge- 
liebte zurückgeht, so beruht auch Perchta auf demselben Frinzipe 
der Namenbildung wie etwa die griechischen Eumeniden; akd* 
prehan = glänzen, leuchten, giperahta naht = die leuchtende Nacht. 
Perchta = die Leuchtende, Glänzende. Gleichwie Frau Holle 
einzeln aus der Schar der Hollen (Holden) ragt, so ist auch die 



20O 



Perchta die Anführerin der Elbenschar. Sie ist eine weibliche 
Elbenügar. Das Kinderheer der Percht ist der Schwärm der nächt- 
lich einkehrenden Alpvvesen, die das Volk als ungetaufte oder 
unzeitig geborene (unschuldige) Kinder annahm und die zur Berch- 
telnschar wurden, zum Schwarme der in den Rauch« oder Göb- 
Nächten ausfahrenden Geister Gdbnackt'Perchtl , Sechst, Alpög, 
öj), Perchta trägt nur elbische Gestalt : i) sie schwärmt zur Zeit 
des niedersten Sonnenstandes in der Herbstnachtgleiche und in 
der Winter-Sonnenwende; 2) sie erhält eine Kultspeise (Berchten- 
mtlch) (Sckmeller L ^70. 271); 3) sie wird durch den Berchtentanz 
(ßercht'Laufen) verscheucht; 4) sie wird durch Bercht-Runen (aus 
dem ahd. Personennamen Berktrün wie Alumnat AdalrUm etc, zu 
erscMiessen) weggezaubert; 5) sie lebt wie andere Elbengestalten 
auf Wiesen (lo, Jahrh.) perten wisun (0, B. V, A. i8gf, 3S3), 
Perehiwiese (Heyl 660)* 

[Zum Vergleiche seien hier angeführt: Idisia-viso — Idisen- Wiese 
( Goltk. iio), Engel- Wiesen (Ingelwis) (Sepp 2j6), Elben- und Butten- 
Wiesen (Buch 42, 56)^ Zwergen- Wiese ( Vemaleken 202 Hexen- 
wiesen^ Trudenwiesen, Teufelwiesen ( Schell s^sh ^^^^ ^ 

verschiedenen verwunscßtenen, verschworenen (Schwur-), Fiuch^Wiesen 
etc.]* Auch im Loh: Berchten-,Loh" (Berahti-Loh) (Bechst. Alpbg, 
yp) und auf , Steinen" (Berchtenstain) (Verf, Baum- und Wald- 
kult S, 10) tritt sie wie andere Elbengestalten euf. 

6) sie hat elbtsche Körperzeichen an sich: 

a) Fussgebrechen: la reine Berte au grand pied (i2'js)t l^ reine 
pidoque (= cum pede aucae = Gänsefuss, Entenfuss), behrte mit 
dem fuoze (H* A. Rh. sS)' 

b) Nasengebrechen: die fraiwu die do haiszent Precht mit der 
eysnen Nas (Zingerle 18g) ^= Eiss-, Schreck-Nase) (Schmeller /. 
2jo), yahn 2S2; Z, d. D, Oe. A, V. jSSi, iSp. ipj) = Potz-Nase; 
eiserne Beata; Frau Precht mit der langen nas (H, A. Rh, js)' 

1) sie bringt wie alle elbischen Gestalten bei Menschen Krank- 
heiten: 

a) sie schlägt mit Blindheit, blendet anblasend d.h. macht Blat- 
tern (Variola) mit nachfolgender Erblindung (Köhler Vb. ^p/; 

A, Rh. ^3). 

b) sie nistet als Perchte in ungekamten Haaren (Wichtelzopf, 
Weichselzopf, Holdenzopf) (Alpbg. Sjo), 

5) sie tritt die Kinder d. h. macht Alpdruck und Eiss d. h. 
Nachtschrecken (Pavor nocturnus) (Golth. 4.^3, Schmeller /. 272) 
= Eisender tha (Rüchh. /. 6$), 



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20I 



d) sie hackt mit einem Beile in Schulter und Knie d. h. macht 
rheumatischen Gliederschmerz (Manvh. öy. H, A. Rh. sSj). 

e) erzeugt die berchtischc Truden-Phantasie (= Wahnvorstellung) 
(Schmeller 1. 2'] 2}. 

f) macht geschwollene Köpfe — Parotitis epidemica (Z, d, D. 
Oe. A. V. j88i. 183). 

g) sie entführt Kinder und Wöchncrinen (= Eclampsia). 

8) sie ist wie andere weibliche Dämonengcstalten geburtshilflich 
thätig und wird im Volksglauben zur , Hebamme", „Wehmutter'* 
(Panzer 24.']}. 

a) sie schneidet den Bauch auf (Kaiserschnitt?) 

b) sie hat einen grossen Kindsfuss (Uterus-Compression) (s. Janus 
iSgy. S. 146) und nach ihr hiess das Schlossbein (Geburtsschloss) 
os Bertram bei den alten französischen Hebammen). 

c) sie trägt blutige Hände (als Hebamme) (Kuhn I. 6i }. 

d) sie trägt eine Kuhhaut (Geburtslager) (Z. </. D, Oe. A, V* 
188 1. J82). 

e) sie bringt Kinder durch das ^berchtelnde" anklopfende elbi- 
sche Kleinvolk, das in den Rauchnächten, 12 heiligen Nächten 
(zc wlhen nahten umgeht). 

f) Die Lebensrute wird zum Berchtelboschen dem Vorläufer des 
Weihnachtsbaumes (Allg. Zeitung. i8g^. No, jj6, Jjj, Jj^. Verf, 
Baiwi- und Waldkult S. iio). 

Wie alle elbischen Gestalten hat Pcrchta demnach eine holde, 
milde Seite imltcn Rehte) und eine unheimliche, schreckliche Seite 
(wilde, Ein , l'iss-Berta). 

Aus der i'erchtenschar, dem Schwarme elbischer (jeister oder 
dem Kinderheere der Percht bildeten sich 3 Pcrchten aus (die den 
3 spinnenden Basen, 3 tieilrätinen, 3 Schwestern etc. entsprechend) 
zu Schicksalfrauen wurden, welche zu den seelischen Geistern ge- 
hören wie die nordischen Nornen. Die eine hiess Ein-Perta (— 
egin, agin — erschreckmidt: , Laistncr II. 400) = Einbet (Einbeht, 
Aünbert); die zweite hiess: Wil-Perta {ivila = Weile, Stunde) die 
die Schicksalsstunde bestimmende Wilbeht, Wilipeht; die dritte 
hiess: War-i^tx-, Ger-, Gwer-, Wer-, Bor-, Wal-, Bar-)i'^/a (Beht-, 
-Bert) = die wahrnemende Perta. 

Diese 3 Fräulein gehen in den Weihnächten um und gehören 
im Volksglauben auch zum Gefolge der h. Ursula mit den 11,000 
Jungfrauen (= Elbenschwarm, der im Altweibersommer oder in der 
Galluswoche durch die Lüfte fliegt und dann besonders rührig ist). 

Aus diesen Haupttypen der Perchta ei^bt sich, dass sie keine 



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202 



Göttin war. Ganz unglaublich ist es aber aucli, dass Pcrchta 
nur die Personifikation des Epiphanien- oder Prcch-Tagcs wäre 
und erst aus christlicher Zeit und l^irchh'chcn Kreisen entstamme. 
Kein einziger K.ilenderheihge träfet so deuthclic Elbengestalt wie 
Perchta; keiner hat nur irgendwie solche verbreitete Volkstümlich- 
keit als Elbenschwai iiituiirer wie Perchta, die schon die Germanen 
nach Frankreich und Italien verpflanzt zu haben scheinen. 

Eine geburtshilflich gütige P>au des Volksglaubens kann nie aus 
ihm ganz verschwinden; dass aber ein christlicher Kalender-Tag 
zum Namen einer solchen geworden sein sollte, glaube, wer es 
glauben kann. 

Litteratur. Mythen und Sagen Tirols von v. Alpenburg ( Beck' 
stein) ( iS^y ). — War /er buch, bar er. v. Schmeller-Fromann^ { i86g). — 
Ober-Bayer. Vereins-Archiv für Geschichte. — Duck, Flurnanien 
(1880). — Heyl, Volkssagen {18^"]}. — Henne Am R/iyn, deutsche 
Volkssagen (i8']g}. — Golther, gertn. Hfythologie (iSq^). — Kohler, 
Volksbrauch (i86j). — Sepp: Altbayerischer Sagensc/iats. — Laist' 
ner, Rätsel der Sphinx (iSS(;). — Vernalecken, Alpensagen (18^8). — 
Pamer, Sagen. — Jahn, deutsche Opfergebrauche (iSS^). — Roch- 
holz, deutscher Glaube (186^). — Zeitschrift des Deutschen und 
Oester r. Alpen-Vereins. — Kuhn, Westphäluche Sagen {18^9). 

Tölz. 



Der Tote in Glaube und Brauch der Völker« 

Eine Umfrage. 

IV. In Portugal, (Schluss). In der Umgegend von Porto lässt 
man, wenn der Todeskampf bei einem Sterbenden lange anhält, 
zur Beschleunigung die Kirchenglocke siebenmal anschlagen. Dies 
ist noch eine Erinnerung an die alte heidnische Sitte der ^Tod- 
Vollstreckung seitens der Verwandten.*' 

In Braganza wiederum meint man, dass Reisende eine Münze 
mit einem Kreuzzeichen bei sich tragen sollen, um bei {»lötzlichem 
Tod ihre Zugehörigkeit zum Christentum darzuthun, und auch um 
in geweihter Erde bestattet zu werden. Ebenfalls soll dann San 
Pedro die Himmelsthür auch ohne das letzte Sakrament auüschlies- 
sen, wenn der Verstorbene im Übrigen ein gerechter Mann gewesen. 



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203 



Eigentlich ist dies nur das Begräbnissgeld im katholischen Sinn, 
immcrliin liegt auch der Mythus darin, den Eintritt in den Him- 
mel dadurch zu erhalten. 

Leite de Vasconcellos, der sorgsame Erforscher der Sitten 
Portugals, bezieht obiges auf das „Geld für Charon" erwähnt auch, 
dass man Geld in den Sarg thut, damit die Verstorbenen den 
Totenfluss passieren können. 

In der Gemeinde von Guifoes (bei Mathosinho) legt man den 
Toten Kreuzergeld in den Sarg, damit der Verstorbene San Thiago 
de Galliza passieren kann, daselbst soll sich auch ein Höhle be- 
finden, durch die jederman ob lebend ob tot dermaleinst gehen 
müsse. 

Im Cimbres wirft man ebenfalls Geld in den Sarg, damit der 
Tote zur Harke (oder Brücke) gelange. Ähnlich ist es in Sinfaes 
und auch in Minho. In Porto und Villa Real sticht man eine 
Nadel in das Gewand des Toten, damit er droben vor Gottes 
Thron der Lebenden gedenke. 

Durch den Glauben an die Totenbarke veranlasst, entstanden in 
der portugiesische Literatur die kirchlichen Festspiele des Gil 
Viccnte, die Barke der Hölle, des Purgatoriums und des Paradieses. 
Der Glaube von der Brücke bezieht sich auf die Milchstrasse, 
volkstümlich ^San Tliiago's Weg" genannt. Die Psychotasia, oder 
das Wagen der Seelen um ihre Verdienste abzuschätzen, vom 
Erzengel Michael vollzogen, ist beim Volke allgemein geglaubt, 
und in einem traditionellen Gebet (Porto) beschrieben: 

San Miguel wägt die Seelen, I>egt Unsere Liebe Frau den Mantel sa^ 

Legt Gewichte in die Waage, Die Gewichte bleiben schweben: 

So viel sind der Sünden drin Durch Maria's Gnade 

Dass sie mit zu Boden üakx. Ist meine Seele gerettet. 

Die Idee, dass der Tote in einer anderen Welt wieder auflebe, 
veranlasste die Urvölker dem Leichnam die Geräte seiner irdischen 
Thätigkeit mit ins Grab zu geben, damit er sie im Jenseits wieder 
gebrauchen könne 

Eine Spur solcher ani mistischen Vorstellung besteht noch heute 
in Portugal bei der Beisetzung des Königs. Bei der Überführung 
der Leiche aus dem könighchen Palast, sagt der draussen wartende, 



l) Johannes Müller erwähnt in seiner Weltgeschichte den chinesischen Brauch, 
dem toten Künig die Tafel zu decken, und sagt: „Diese Sitte, die sich nodi heute 
in China findet, bestand in Frankreich bis zu Zeiten Ludwigs XIV, wo man den 
Königen noch vierzig Tage lang nach ihrem Tode, die Tafel deckte." 



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204 

nächste Verwandte zu der königlichen Leiche; „Eure Majestät 
kann abreisen." 

Das Banket für den Toten oder die Mahlzeit die man ihm mit 
ins Grab gab, wurde dann später an die Leidtragenden verteilt 
Als die Sitte des Totenbankettes in irgend einer Form zu katho- 
lischen Bevölkerungen gelange, war es der Priester, der das Mahl 
als ,Mes50pfer oder Altaropfer*' schliesslich empfing 

Im 14. Jahrhundert bestimmte ein gewisser JoSo ^Barbadäo in 
seinem Testamente: Am Tage meiner Beisetzung mache man mir 
den Totendienst mit drei Lektionen und Messe mit ihrer Verrich- 
tung und ich befehle, sie zu halten mit Brot und Wein und Lich- 
tern nach dem Gebrauch." Und weiter unten steht: «Und ein 
Jahr danach, zu meinem Gedächtniss sollen angeordnete Messen 
gelesen werden, und ich befehle, sie auszurichten mit Brot und 
Wein und Lichtem nach meinem Testament.'* 

Hier ist das Erinnerungsmahl mit dem Totenkultus verbunden. 
In Minho ist das Messopfer bei Begräbnissen noch heute üblich, 
wobei dem Gemeindeabt ein Korb mit einem Stockfiigh (dessen 
Schwanzstück sichtbar sein muss) überreicht wird. Die leidtragende 
Familie giebt den Teilnehmern ein Essen, wofür diese ein Toten- 
amt lesen lassen, das man ,Clamores" nennt. Weissbrot wird an 
die Anwesenden verteilt, und das Essen besteht meistens aus 
Bohnen oder andren Pflanzen *, *). 

In Coimbra nehmen auch die Kinder an den traditionellen 
Erinnerungszeremonien teil, und betteln eifrig an den Thüren. 

Auch Viterbo spricht von den Totenmessen: In den Minho, 
Beira, Tras os Montes Provinzen, hat man die Regel der Wachs- 
kerzen und Kirchenopfer noch nicht völlig vergessen, denn nicht 
nur wenn Jemand stirbt, bringen sie Wachs, Brod und Wein und 
andre Dinge dem Pfarrer, sondern auch an Sonn- und Festtagen 



1) Die Egypter pflegten Trauerbaakette bei Bestattungen abzuhalten; die Griechen 
hatten dafür die Colyben (Verteilung von Pflanzen und Früchten). Auch die römische 
Bestattxing endete mit einem Gastmahl, und man verteilte Fleisch unter das Volk. 
Bei den Lithauem wurde Meth, Milch und Bier vor dem Scheiterhaufen getrunken, 

um den man tanzte. Tn Russland Lcslclit noch das Banket unter dem Namen „trigna". 

2) Gubernatis erwähnt die Verwendung vou Gemüse (Erbsen), bei Begräbnis- 
zeremonien, im vedischen Ritual; in der griechischen Glaubenslehre zur Bezahlung der 
Fahrt und als Reisekost. Im Piemout ist am 2 Novemher (Totenfest) eine Verteilung 
von Bohncu an Arme üblich, um für das Seelenheil Verstorbener zu beten. 

3) Auf den Azoren San Miguel wird am Totenfest Linsensuppe gegessen. 

4) Vom y^Brod der Toten" schreibt Labrös in Rivista di lelteratura popolare de 
Sabatini pag. 53. Roma. In Catalonien verwendet man beim Totenfestmahl das Mehl 
der Kichererbse. 



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205 



tragen sie bestimmte Brode, Kannen oder Flaschen Wein zusam- 
men mit einem brennenden Licht auf das mit einem Tischtuch 
bedeckte Grab. Der P&rrer liest das Kesponsorium und sammelt 
die Gaben ein. 

Diese Zeremonie heisst „Ementar", vermutlich eine Verstümme- 
lung des Wortes „Memento" mit dem das Responsorittm b^innt. 

Auch Ribeiro (Elucidario t. I. pag. 139 Ed. Innocencio) 
bestätigt diese Beobachtungen: Bei den Begräbnissen auf den 
Dörfern findet man eigenartige Sitten, ebenso lächerlich wie aber- 
gläubisch. Manchmal wird die Altargabe von einem Manne dem 
Leichenzuge vorangetragen, der in einen Mantel gehüllt, die Hut- 
ränder niedergekrempt, auf der Spitze seines Stockes eine Orange 
aufgespiesst hat, die die Altargabe in baarem Gelde enthält. 

Bei andren wird die Spende von einer Frau getragen, die Maria 
heisst und Kinder ausser der Ehe haben muss. 

Wieder in andren Gemeinden besteht das Opfer aus Brod, Wein 
und einem lebenden, männhchen Lamm, das in einem Korbe ge- 
tragen wird, wobei man die TLtiquette beobachtet, die zusammen- 
gebundenen Beine des Lammes unter dem bedeckenden Tuche 
vorsehen zu lassen. 

Bei dem Beerdigungsbankett verzehrte man ehemals einen ein- 
jährigen Ziegenbock oder ein Lamm. 

Bei Ar^ueda bezahlt die Familie des Verstorbenen den Wert 
eines Hammels für den Mann, eines Huhnes für die Frau, an den 
Gemeindegeistlichen. 

Auch der Weg zur Beerdigung hat seine ganz bestimmten Vor- 
schriften. Wenn in Basto ( Minhoprovinz) die Leiche eine Brücke 
passieren muss, um im benachbarten Kirchspiel begraben zu wer- 
den, geht der eine Pfarrer mit bis zu der Brücke. Die Begleitung 
(nur Männer) nehmen händevoll feinen Sandes, werfen ihn ins 
Was'^cr und sprechen dabei: „Soviel Engel sollen dich in den 
Himmel begleiten, wie Sand ins Wasser fällt." Dabei halten sie 
sich die Ohren zu um nicht das Geräusch im Wasser zu hören. 
Der Pfarrer aus dem andren Kirchspiel nimmt dann die Leiche 
in Empfang und führt sie zur Kirche (Leite de Vasconcellos, 
Tradicoes pag. 243). 

In Paraduga (Lcomil) tragt der Trauernde .sein Hemd während 
eines Monats. Danach begleitet ihn die Gemeinde zur Messe. In 
Gondifellos (Famalicäo) rasiert sich der Leidtragende einen Monat 
nicht. 

Wenn auf den Azoren (Insel Maio) jemand stirbt, wird das 



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206 



Klagen „o coro" unmittelbar veranstaltet, ebenso wie auf dem 
Capverdischen Archipel, (beides sind portug. Colonien). Auf den 
letzteren ist die Sitte der „esteira" (Matte, weil der Tote auf einer 
Matte liegt) gebräuchlich, die je nach dem Reichtum 8 — -14 Tage 
dauert. Das Bec^räbnisfest heist csteira. In einem Winkel des 
Hauses kauert in völliger Dunkelheit die Witwe, den Kopf ver- 
hüllt. Die zahlreichen Besucher spielen Karten und die Verluste 
werden in Paternostern vor dem Kreuz wett gemacht. Zugleich 
ist das Haus der esteira der Rendez-vous Platz der jungen Welt 
und beim Beten nächtlicher Weile verabsäumt man nicht die zärt- 
lichen Gespräche. Der letzte Trauertag ist die eigenthche esteira; . 
es giebt ein grosses Festmahl, dessen Menu aus Ziegenbraten, 
Kürbis und dem nicht zu vergessenden Branntwein, ohne den kein 
Fest möglich ist, besteht. 

W^enn auf Madeira in Louracs eine Kind stirbt, hüllt man es 
weiss ein, befestigt es mit Bändern und Schleifen auf einem Tisch 
und ladet die Nachbaren zum Tanz bei dem Engelchcn ein. Die 
Geige wird gespielt, und bis zum andren Tage — dem Begräbnisse 
getanzt. (Almanach de Lembrangas 1877, pag. 263). Den Stcrbe- 
und Begräbnisgebräuchen entsprechen die jährlichen Gedenkfeiern 
— die letzten Reste des Totenkuitus, von der Kirche als Toten- 
fest sanktionirt. 

Auch diese Riten bestehen in Gesängen, Tänzen und Festmäh- 
lern an den Gräbern 

In der ersten Kirchenzeit erhielt sich auch noch der Brauch, 
wie das Wort des San Agostinho beweist: „Non sint sumptuo sac", 
empfiehlt er in Bezug auf die Trauerbankette. 

Bei den skandinavischen Völkern scheinen die Grabbankette ein 
Teil der religiösen Feste gewesen zu sein. 

Thierry leitet diesen Brauch der gemeinsamen Gastmähler der 
Brüderschaften vom Mittelalter her, bei denen sich der Vertei- 
digungsbund erneute. Das dritte Glas war Verwandten und Freunden 
geweiht, deren Graber kleine Rasenhügel in der Ebene bezeichneten. 
Zuweilen trug solche Vereinigung die gemeinsame Gedenkopfer 
darbrachte, den Namen der Freundschaft „Minne", doch meistens 



1) Die Gnbges&nge und die Totenmahle waren die gallische Dadsila (DihsUa wie 

Bcllogitet verbessert), von den Kapiteln Karls des (liosscn verboten, sie sollten 
nach Gregorius von Tours in der Auvergne noch existiren, ebenso im XI. Jahrhundert 
in Deutschland (Ethnoginie gaulolse t. I, pag. 316). 

2) T5ei den Uidcn der Gedenkritus aus Tobias IV, V. 18: Gieb Almosen von dei- 
nem. Brod und Wein bei dem Begräbnis der Frommen !.... ' 



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207 



hiessen sie , Gilde", d. h. gemeinsam bezahltes Mahl, ein Wort, 
welches ebensowohl Genossenschaft wie Brüderschaft bedeutete» 
weil die Opfernden durch Eid gelobten einander beizustehen wie 
Brüder. (Considerations sur l'Hist. de France, cap. 6). 

Die Toaste mit Wein gelten auch heute noch als Zeichen der 
Freundschaft, ebenso wie die Festmahlzeiten bei den Heiligenfesten» 
die Spuren des Heldenkultus aus den alten Gildenfesten sind. 

Thicrry beschreibt die Wandlung der Sitte, wie sie sich auf 
der iberischen Halbinsel an die bestehenden Brüderschaften schloss. 
Die Germanen brachten diesen Brauch auf ihren Wanderungen 
. überall mit, er erhielt sich auch noch nach ihrer Bekehrung zum 
Christentum, indem die Anrufung der Hcih'gen an Stelle der von 
Göttern und Helden trat und fromme Werke den positiven Interes- 
sen zugefügt wurden, die ursprünglich der Zweck dieser Verbindung 
gewesen waren. Der „Becher für die Tapferen" wurde iri^end einem 
besonderen Heiligen dargebracht, oder einem irdischen Herrn; den 
„Becher für die Freunde" trank man im (iedenken der Toten, für 
deren Seelenheil man «gemeinsam nach der Festfröhlichkeit betete. 

Die Geschichte der bri.iderlicht:n Verbindungen der ^Irmanandades" 
und „Confrarias" ist noch mit dieser Sitte die in den Trauerge- 
bräuchen erhalten ist, verknüpft, aber ohne dass man sich des 
eigentlichen Zweckes ihrer Entstehung mehr bewusst ist. Indessen 
muss man die Altaropfer, die „Übradorios" oder ^Oblatas", die bei 
Messen, Begräbnissen üblich sind, von den „Banketten an den 
(Trabern" unterscheiden j die einer höheren sozialen Phase ent- 
sprechen. 

Am deutlichsten erkennt man den Charakter der letzteren in 
den gesungenen „Seguidilhas" am Grabe des Condcstavel Nuno Alves 
de Ferreira, die mithin zu rehgiösen Tänzen Veranlassung gaben. 

In Santarem hnden wir auch die Übereinstimmung mit den 
Dadsila. 

In der Fastenzeit singen neun Landleute nachts vor den Thüren 
und bitten um Gaben für die Seelen. Von dem Oelde muss der 
Prior Messen für die Seelen im hegefeucr lesen und ausserdem 
den Sängern eine Mahl geben. Diese Trauerbankette bestanden in 
Lissabon noch ums Jahr 1872. 

Auch Viterbo im Elucidario t. I. pag. 140 beschreibt die 
Bankette die man an den Tagen der Heiligen unter dem Namen 
„Bodos" veranstaltete: Die Mitglieder der Trmandades und Con- 
frarias vereinigten sich an bestimmten Jahrestagen zu Gastmählern, 
wo von den Einkünften der Gesellschaften die Armen gespeist 



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208 



wurden. Auch Legate wurden für solchen Zweck gestiftet. Viterbo 
führt den Namen „bodos" auf „bodano«;" zurück, die germanischen 
Bankette, die zu Ehren des Wodan jj^efeiert wurden. 

So wie bei den arischen Völkern die Toten einen heiligen 
Charakter darstellten, der angebetet und verehrt wurde*), fürchtete 
man sie auch andrerseits als böse Wesen, wenn verabsäumt worden, 
die Trauer- und Erinnerungsriten in der vorgeschriebenen Weise 
auszuführen. 

Die ruhelose büssende Seele, ist solch übelwollendes Wesen, 
weil ihr lester Wille nicht erfüllt wurde. 

Nach Fustel de Coulangc hat sich diese Seite des Toten- 
kultus am meisten bei der portugiesischen Race als „Furcht vor 
den Seelen des Jenseits" erhalten. 

Unzählig sind die Beispiele des Aberglaubens, die sich an den 
Weg, die Bestattung und die Fürbitten für die Seelen im Fege- 
feuer knüpfen. 

Einige solche Beispiele sind von Consiglieri Pedroso ge- 
sammelt: W^enn jemand stirbt, ist es gut sein Bett zu verbrennen, 
damit er nicht in die Welt zurückkehre. 

Wenn jemand im Sterben liegt, soll man das Fenster im Zim- 
mer öffnen. 

Wenn jemand stirbt muss man die Lichter die bei ihm brennen 
nicht eher auslöschen, als bis die Leiche in der Kirche ist. 

Manchmal erscheint die Seele des Verstorbenen in Gestalt eines 
schwarzen Hundes. Wenn ein Kind mit offnen Augen stirbt, 
stirbt auch der, den es am meisten liebte. Es ist gut Stecknadeln 
in das Sterbekleid des Engelchens (junge Kinder) zu stecken, 
denn es betet dann für den Betreffenden. Wer eine Wunde hat, 
soll ein Tuch nehmen, sie abwischen und das 1 uch unter den 
Kopf des Toten legen und dabei spreciien; ^ühDui maim mir das 
mit ins Jenseits.'* 

Das Volk kuriert auch Skropheln, indem es diese mit den 
Nägeln des Toten kratzt. 

Damit der Tote nicht wiederkomme giebt es auch verschiedene 
Vorschriften. 

So die Zeremonie des „Totensäen". 

Dazu muss man dem Sarge folgen bis auf den Kirchhof und 
geglühtes Salz mit Gerste vermischt, heimlich fallen lassen. Wenn 



i) Bei dcu kriechen: „die Unterirdischen", bei den Römern «die Maneii"| b« 

Christi. Völkera j^dit ScUgea, Verklärten". 



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209 



der Verstorbene einen Lebenden vielfach beunruhigte, mnss der 
letztere Lupinen, Salz und Gerste dorren und dem Leichenzug 
folgend, wie ein Säemann davon auf den Weg streuen, und dabei 
sprechen : 



Dieses S«lz wieder ulng wird, 

In Minho streut man einen Scheffel Hirse um den beunruhigen- 
den Geist zu versorgen; da er im Jahr ein Körnchen braucht, ist 
er für lange Zeit versehen. 

Auch viele andre Erscheinung von Toten giebt es nach dem 
Aberglauben des Volkes, die Veranlassung zu einem ganzen 
grossen Cyklus von Legenden und Geschichten über die Seelen 
des Jenseits geworden sind. 

So z. B. „vom Sturme" nimmt man an, dass die aufgewirbelten 
und wieder niederfallenden Blätter und Halme den Ort anzeigen, 
an dem Verstorbene Diebstahl begingen. 

Die Proz-ession der Toten (wohl der Ursprung der Tradition 
vom Totentanz), an die man besonders in Guimaraes, Valenga und 
Gallizien glaubt, vollzieht sich alltäglich beim Ave Maria (um die 
Vesperzeit). Wer sterben wird, sieht sich sieben Jahre vorher in 
dieser l'rozession. Aber nur die können es sehen, die ein Wort 
zu wenig bei der Taufe erhielten, diese wissen aber auch, wer 
sterben wird. 

Eine andere Vorstellung von ruhelosen Seelen wird mit einem 
angeblichen V^ogel in Verbindung gebracht, der sich alle 7 Jahre 
in Alemtejo und Algarve hören lässt, der Zorra da üdeloca heisst, 
und um Mitternacht oder um Mittag schreien soll. 

Viel häufiger als man annimmt, kommt noch das Töten von 
Sterbenden vor. 

In einem Dorfe bei Tondello wurde eine alte Frau, als angeb- 
liche He.xe, als sie im Sterben lag, kräftig mit dem Kreuz geschla- 
gen, damit der Teufel durch die Berührung mit dem heiligen Holz 
entweiche. Ebenso wird oft den Sterbenden das Kopfkissen weg- 
gezogen, um den Todeskampf zu beendigen. 

Die Beziehung zwischen Trauer- und Hochzeitsgebräuchen, be- 
stätigt sich im Sprichwort: „Hochzeits- und Totenkleid wird im 
Himmel zugeschnitten" und in ländlichen Sitten: In Tras es Montes 
wird seit undenklichen Zeit der Gebrauch befolgt bei Hochzeiten die 
Sterbeglocke zu läuten. Abeking. 



Wenn diese Lupine kelmea wird, 
Diese Gerste wachsen^ 



Sei es, dass Du wiederkehrest 
Mich zu quälen. 



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2IO 



Volksmedizin und Volksrätsel aus Niederdsterreich. 

Von Josef Böck-Gnadenan* 

(Zu S. jj, j^J. Zu diesem Thema vermag ich einiges aus Nie- 
derösterreich und Wien beizubringen und zwar überwiegend aus 
dem ^ Wissensschatzc" meiner Mutter Aloisia geb. Kranzer, Mül- 
lerstochter aus Hadersdorf am Kamp, politischer Bezirk Krems an 
der Donau; meine Mutter wurde 1825 geboren, lebte, mit ganz 
kurzer Unterbrechung, bis zum 25, Jahre in ihrer Heimat, lieiratete 
1830 und siedelte aus diesem Anlasse nach W ien über. Was sie 
reproduciert stammt, wie sie selbst behauptet, aus ihrer Heimat, 
selbst dasjenige kannte sie, was sie erst als Muttergevvordene in 
Wien anzuwenden in die Lage kam und rührt von den „verheira- 
teten Weibern" her, die ins Vaterhaus kamen; es macht auch auf 
mich den Eindruck, dass sie in ihrer neuen Heimat nur mehr 
wenig in sich aufgenommen hat, obgleich die Versuchung nahe 
liegt, da ja das Zusammenströmen der verschiedensten Kiemente 
in der Residenz unwillkürlich die Einwohner gegenseitig beeinflus- 
sen muss. 

Theils aus den Mittheilungen tlieils aus Erinnerungen schöpfe ich 
also folgende Volksheilmittcl : Wenn Kinder „unterwachsen" sind. 
Leider vermochte ich nicht zu constatiren, welcher gelehrte Name 
für diese Kianklieit der Kinder existirt; ob es sich um Muskel- 
schmerzen des Oberkörpers oder um eine Rippenfellentzündung 
odci alinhches hcuidelt vermag ich nicht zu sagen ; um die Krank- 
heit zu constatiren, werden dem Kindlein im Hade z. B. der rechte 
Fuss gegen die linke Brustscite gedrückt, schreit der oder die 
Kleine, so ist das Kind unterwachsen. Man nimmt nun Kohlblätter, 
entfernt die Blattrippen, streicht Butter darauf, legt dies auf die 
Rippentheile (Brustkorb) und lässt dies „Medicament" so lange 
liegen, bis es vollständig dürr geworden ist; die „Entzündung" 
ist dann behoben oder „die Hitze ist ausgezogen". Andere Mütter 
verwenden in solchen Fällen ihren eigenen warmen Urin; es muss 
zu diesem Zwecke jedoch ein Stück von einem blauleinenen Fürtuch 
(Schürze) verwendet werden. — Ohrringe gibt man den Kindern 
schon frühzeitig, um Augenkrankheiten zu verhüten. Mein Bruder 
{geb. 1865) lag noch im „Deckerl", als ihm das rechte Ohrläpp- 
chen durchstochen wurde. Bei diesem Anlasse wurde mir, dem 
allerdings schon Sechs- bis Achtjährigen, gleichfalls das rechte 
Ohr mit einem Goldringlein versehen; als ich jedoch das 18. 



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211 



Lebensjahr erreicht hatte, entfernte ich dasselbe auf Anrathen 
eines Herrn Rudolf Schcier (Chemiker und Journalist) in Wien; 
ich war damals eben im l^cgriffe nach Paris zu i,a:hen und Herr 
Scherer meinte, die Franzosen erblickten in einer männlichen 
Person mit OhrrinLien einen beschränkten Menschen; da ich offen- 
bar als solcher nicht gelten wollte, obgleich ich mich an meinen 
damaligen Gedankengang nicht im Geringsten erinnere, entfernte 
ich den Goldring und heute ist keine Spur weder vom Ring noch 
von der Ohrläppchen- Verletzung übrig. Mein Vater (182 3--- 1890) 
erhielt in Gemeinschaft mit seinen zaheichen Geschwistern auch 
frühzeitig ein Ohrringlein; er trug dasselbe bis zu seinem Tode. 
Der Vorgang wie man in seiner Jugend das Ohr durchbohrte 
erschreckt uns allerdings heute, in der Zeit der Antistjptik. Man 
beniitzte damals weder eine gemeine Stecknadel noch eine soge- 
nannte Stechmaschine, wie sie auch der Goklarbeiter schon 1865 
oder 1866 verwendete, sondern man gebrauchte einen Ring, der 
angeblich aus Blei war; dieser Ring wurde in das Fleisch gedrückt 
und ätzte das Läppchen nach und nach durch ; natürlich giengen 
Entzündungen und Eiterungen Hand in Hand; hatte sich das Blei- 
ringlein durchgefressen, so wurde ein Seidenfaden in die Wunde 
eingezogen und dieser erst spater durch ein Goldringlein oder ein 
„Flinserl" mit Schräubchen ersetzt. — Da wir bei den Augenkrank- 
heiten sind, sei auch des Volksmittels „Krebsenaugen" erwähnt, 
welche man in die Augenhöhle einführt, sobald sich ein fremder 
Körper, ein Staubkorn etc. hinein verirrt hat; angeblich unischleimt 
sich dieses Krebsenauge und nimmt dann auch den fremden Kör- 
per mit; ich bin der Meinung dass zu dieser Procedur auch eine 
robuste Natur gehört. Man kennt dieses Mittel auch in Wien und 
schon als Knabe hatte ich in meiner „Naturalien-Sammlung" solche 
Krebsenaugen. Eines Tages glaubte ich das Mittel anwenden zu 
sollen; doch kam mir .so ein „Auge" doch zu gross vor und ich 
pulverisierte es daher, gab aber sofort nach der ersten Dosis die 
Absichten, auf diese Art mein verunreinigtes Auge zu retten auf; 
später holte ich fremde Korper miL Anwendung eines Spiegels und 
eines Taschentuchzipfcls heraus. Meine Mutter erzäldt übrigens, 
dass bei ihr zuhau.se nur die ganz kleinen „Augen" der sog. 
Weichkrebsen verwendet wurden. — Gegen einen schuppenartigen 
Gesichtshautausschlag, „Zitterich" genannt, wird h^enstcrsch weiss 
(dialectisch — schwitz) verwendet. In Wien wendete eine jüngere 
Frau gegen einen Gesichtsausschlag auch ihren eigenen Urin an; 
sie wusch sich damit. Der Urin .scheint übrigens für allerlei gut zu 



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212 



sein, auch zur Hciluuf^^ von wenigstens kleinen Verwundungen ; ein 
in Wien lebender bekannter Gelehrter, k. k. Hofrath und Director 
eines berühmten Institute, weigerte sich beharrlich, für eine kleine 
Verwundung an einem Finger Carbolwasser zu verwenden ; er 
gieng zum Pot de chambre und „wischerlte" sich auf die Wunde, 
in der Uberzeugung dies sei das trefflichste Heihiiittel in solchen 
Fällen. Die chemische Analyse des Urins weist nach: Harnstoff, 
Harnsäure, Hippursäure, Milchsäure, Kreatinin, Farbstoffe, flüchtige 
Säuren, Salze etc. Ob hievon etwas antiseptisch wirkt vermag icli 
nicht zu sagen, ein oder der andere chemische Theil wird wol 
zusammenr/iehend wirken. — Ein recht unappetitliches Heilmittel 
sah ich als Knabe längere Zeit verwenden j eine Frau (Nieder- 
österreicherin) hatte einen wunden Fuss, den musste „Mylord" der 
Hund, täglich schlecken; angeblich gereichte dies der Wunde zum 
grossen Vortheil. — Gegen die sog. engli.sche Krankheit (Rhachitis), 
zu der mein Bruder hinneigte, verwendete meine Mutter Tropfwein 
und rohes Mark vom Rind. Wein der von der Fasspippe abtropft 
wird mit feingeschabten rohem Mark in der Wärme destilliert 
und das Product zur Einreibung der betreffenden Glieder ver- 
wendet. — Gegen Skropheln wird in Niederosterreich ein Abguss 
des wilden Wermuth (Artemisia absinthium) verwendet. — Gegen 
Frostbeulen, die wir uns auf der „Schleifen" (Eisbahn) holten, er- 
hielten wir einen Absud von den Schalen der sü.ssen weissen Rübe 
(Teltower etc.). — Gegen Nasenbluten sah ich zwei Mittel in Wien 
anwenden: den Nasenblutenden wird entweder heimlich ein eiser- 
ner Schlüssel in den Nacken gelegt oder es werden ihm an die- 
selbe Stelle einige Tropfen kalten Wassers getropft; in beiden 
Fällen handelt es sich um ein Erschrecken. Ich sah selbst, wie 
das Nasenbluten sofort aufhörte. — Ein merkwürdiges Heilmittel 
gegen Kolik thcilt mir meine Mutter aus ihrer heimatlichen Mühle 
mit. Ein Müllerknecht litt an dieser abscheulichen Krankheit ; als 
der Anfall einmal besonders stark war, sammelte ein älterer Knecht 
das Ohrenschmalz sämmtlicher in der Mühle anwesenden Personen; 
jeder gab was er eben besass. Zwischen zwei Brotschnitten auf- 
gestrcichen, musste es der Kranke verzehren. Der Erfolg ist nicht 
mehr in Erinnerung; gestorben ist der Mann damals allerdings 
nicht. — Ein etwas ekliches Heilmittel, welches aber offenbar 
mehr in die Categorie der ^Synipathiemittel ' gehört, lernte ich 
vor einem Jahre kennen; den Jkricht erstattete eine in Wien in 
aristokratischen Kreisen lebende Dame. Zwischen zwei Brotschnitt- 
chen, einen Bissen bildend, wird eine lebende Bett-Wanze einge- 



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213 



presst; diese Geschichte verspeist, hilft gcf^en Epilepsie; die Ver- 
speisung des HalblliiL^lers geschieht ohne Wissen des Kranken. — 
Zum Schlüsse sei endlich erwähnt, dass auch frischer Kuhkoth, 
angeblich gegen Entzündungen verwendet wird; ich erinnere mich 
auch, dass speziell gegen Erkrankungen der Lunge Umschläge mit 
Kuhkoth gemacht worden sind. 

Volksrätsel aus Pommern (zu S. — 3g}. Hier handelt es sich 
vornehmlich um Beiträge, welche die Verbreitung einiger Volks- 
räthsel betreffen. Zu Nr, Ii sei bemerkt, dass wir als Kinder das 
Räthsel kannten: „Oben spitzig, unten breit, durch und durch 
voll Süssigkeit" {Zuckerhut). Zu Nr. 30. Auch in Oberösterreich 
kennt man ein Rätsel, dessen Auflösung die Mohr-(gelbe) Rübe 
ist; es lautet: ^Eier rei rippn | Wie gelb ist die Pippn | Wie 
schwarz ist der Sack | Wo die Eier rei rippn | Sein' Pippn drin hat.'* 
In der Heimat meiner Mutter (s. vorig. Art.) existiert Folgendes: 
,Rirum-ra-ripfel | Schwarz ist das Zipfel | Schwarz ist das Loch | 
WoderRinim-ra-ripfel ausser schlof." (Schwarzer Rettich). Es herrscht 
kein Zweifel, dass ältere Personen diesem Räthsel einen lasciven 
Schein geben. Zu Nr. 33 und 36. In Niederösterreich und Wien 
ist folgendes Rätsel (Uhr) bekannt: ,Es timmerlt und tammerlt | 
In meinem Schlafkammerl | A Wippn a Wappn | a eiserne (glä- 
serne) Kappn." Frau Karolina Grädinger geb. Rasch deutscher 
Abkunft, in Semlin geboren, in Temesvar verheiratet, im '74. Jahre 
1868 zu Wien gestorben, hat ihrer noch lebenden Nichte dasselbe 
Räthsel mitgeteilt; die erste Zeile lautet nur: ,£s timmerlt, tim, 
tammerlt." — Nr. 48 ist auch hier bekannt, gilt aber nicht als 
Rätsel, sondern als „Aufsitzer**. — Auch Nr. 50 ist in Wien be- 
kannt; eine Dame (1840 geboren) berichtet, dass sie es als Kind 
unter Kindern kannte. — Zum Schluss sei ein Volksrätsel aus der 
G^end meiner Mutter mitgeteilt, welches in den Rahmen dieser 
Mitteilungen passen dürfte: «Ari botari ober der Bank | Aribotari 
unter der Bank | Ist kein Doctor im ganzen Land | der das Ari 
botari curieren kann. (Auflösung : das Ei). Dunkel erinnere ich mich, 
das whr das Rätsel als Kinder mit „Wigele, wagele'* hersagten. 



Wien. 



Böck. 



214 



Unbestimmte Zeit 

(Volkssprachliche Parallelen.) 

Von A. Treichel. 

a. Läny^stvergangen. — i. Anno Kent, als der j^rosse Wind war! 
(Fr. R. A. I. 88.) So sagt man in Konii^sberj^, wenn man ausser 
Stande ist, eine i^cforderte Zeitani^abe ^L-uaii zu machen. Man 
meint damit den am 3. November 1801 in Könit^sberg wüthcndeii 
Orkan, der dort vielfach beträchtliche Beschädigungen anrichtete 
und an den noch heute eine Denkmünze erinnert. 2. Auch mit dem 
scherzhaften Zusätze : on de Sparling' Sevel droge (Säbel trugen) ! 
3. Anno als de grote Wind blies. 4. Abgekürzt: Anno Wind. (Fr. 
W. B. I. 28.) 5. Anno Schnee. (Als ein grosser Schneefall stattfand. 
6. Anno als de Wiszel (Weichsel) brennd'. 7. Anno Damals, als 
die Warthe brannte und die Hunde mit den Strohwischen rannten. 
(Jerrentowitz. Fr. W. B. I. 28). 8. Anno Dazumal. 9. Anno Tid 
(Zeit). 10. Anno Krück. Krücke nennt man einen gehenkelten 
Steinkrugf in Cylinderform oder bauchig mit engem Halse j davon 
übertragen auf einen etwa so gestalteten Menschen; hier sogar ein 
Ereignis, vielleicht die Zeit von deren Erfindung, vielleicht ganz 
unbestimmter Natur. 11. Von Anno Krupp (Kr. Lauenburg i/P.). 
12. Anno Schniefke. (Fr. R. A. X. 89.) 13. Von Anno Schniefke 
her. (Schniefke ist Schnupftaback). 14. Von Anno Toback. (Fr. R. 
A. I. 90.) 15. Wt de Tater (Tartar) önt Land k£m on w! et 
Kringel regend'. (Labiau. Fr, IL 2623.) 16. Als de ohl Fritz Ge- 
freiter wär! (Fr. L 1002.) 17. Das ist alt von höne hönel (wer 
weiss, wie alt). Höne heisst etwa: siehe da! Als Ausdruck der 
Überraschung. 18, 19. Das ist noch von Grossvatern — Grossmuttern 
her (längst gewesen). 20. Von der Kurrenpest her! (Mohrungen* 
Fleischer) d. h. als ein Sterben war unter den Kurren ; dies entweder 
Pute, Truthahn, Mekagris gaihpavo, oder aber Huhn, vom poln. 
kur, Hahn, kura, Henne. 21. Seit Olim's Zeiten. (Olim, latein. 
ehemals). 22. Von Adams Zeiten. (Adam, der erste Mensch.) 
23. Vorsindflutlich. 

Christkünftig (um einen älteren, mir eigentlich nur literarisch 
belcannten Provinzialismus zu gebrauchen, auch im Sinne von 
niemals oder ungewiss); sckirskünftig dagegen nach pommerschen 
Tagebüchern (Genskow) ist nächstkunftig. — i. Up Uhlepingste 
(Eulenpfingsten), wenn dem Buur sin A.... bleegt (blüht). (Fr. R. A. 
\. 775.) 2. Op Flumepingste (Pflaumenpfingsten)! (Fr. L 2930) d. 



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215 



h. wenn's zu Pfingsten schon Pflaumen geben wird, 3. Auf weisse 
Pfingsten. (Fr. I. 2924). Liegt zu Weihnachten Schnee, so spricht 
man von weissem Weihnachten; fehlt derselbe aber, so aber von 
schwarzem Weihnachten ; ebenso von schwarzen oder weissen Ostern, 
je nachdem der Schnee foi tgcschmolzen ist oder nicht; auch von 
grünen Ostern, wenn schon die Gräser auf befreiter Erde sprossen. 
Weisse Weihnacht soll im Volksaberglauben grüne Ostern geben 
und umgekehrt schwarze Weihnacht weisse Ostern. Weil es aber 
ganz gegen die Naturregel wäre, wenn selbst das sieben Wochen 
nach Ostern fallende Pfingsten ein weisses, also mit Schneelage 
begabtes wäre, so steht hier weisse Pfingsten für den Nimmerstag. 
4. Wenn Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen. 5. Wenn de 

Uhl ehr A..« bleegt. (Fr. I. 1238.) 6. Wenn de Uhl ehr A 

Knoppes (Knospen) kiöggt. 7. Op e Nömmersdag. Auch mit den 
beiden obigen Zusätzen. (Fr. I. 2792.) 8. Auf den heiligen Nim* 
merstag. (Mewe. Fr. W. 6. IL 100.) 9. Er bezahlt's am Nimmer- 
mehrstage. 10. Am zweiunddreissigsten. (Fr. L 1234.) 11. Es ge^ 
schiebt, wenn die Katze ein Spretuch (Spreittuch) trägt. (Fr. W. 
B. IL 356. Vgl. R. A. 1. 2644.) 12. Wenn der Kater Junge 
kriegt. (Fr. I. 1236.) Daher der häufige scherzhafte Stammbuchvers: 
Unsre Liebe, die soll brennen | Wie ein dickes Dreierlicht; | 
Freunde wollen wir uns nennen, | Bis der Kater Junge kriegt. 
13. Bis der Kater Eier legt. 14. Wenn die Katze ein Ei legt. 
(Fr. L 1234.) 15. Öss dat eine Mäglichkeit, Dat de Katt op Schlorre 
geit. (Fr. I. 2650.) 16. Dat öss doch de reine aschgraue Möglich- 
keit! (Fr. I. 264.) 17. Bis in die aschgraue Unmöglichkeit. 18. Bis 
zur Unkenntlichkeit. 19. Bis in die Pechhütte. 20. Im Sommer, 
wenn es Sonntag ist. 21. Op em Sommer, op em Sonndag, wenn 
de Schotte käme. (Samland. Fr. I. 3532.) 22. Warte, bis die 
Schotten kommen ! d. h. bis es Gelegenheit giebt. Aber auch als 
Trost oder als Aufmunterung, das Heute zu gentessen: morgen 
kommen die Schotten .... Schotten oder Schottenhändler sind 
Krämer oder Händler, welche mit kurzen Waren auf dem Lande 
umherziehen. Nach Kenn ig, 244 kommt das Wort von (Alt-) 
Schottland, einer Vorstadt Danzigs. 23. Op em Sommer op em 
Sinndag, wenn de lange Dag' sönd. (F. L 3532). 24. Op em 
grote Sinndag, wenn twee ön £nem sön. (Natangen. Fr* L 3531.) 
Wenn eine Angelegenheit in's Ungewisse verschoben werden soll, 
ein Versprechen in das Ungewisse. 25. Op em Samer op em 
Sinndag, wenn twee ön enem sön. (Fr. I. 353i>) 26. Am grossen 
Sonntag, wenn*s Keilchen regnet! Das ist der Sonntag nach 



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2l6 

Trinitatis. 27. Das kömmt nach, wie bei der alten Frau dat Sogg. 
(Gesäuge). (Fr. I. ?). Niemals. 28. Ja, in der Woche Nachmittags. 
Ganz unbestimmt nach Tag und Stunde. 29. Und wenn er sich 
99 mal auf'n Kopf stellt. (Fr. I. 1237.) 30. Ewi^^ und drei Tage. 
(Langes Andauern). 31. Bis man schwarz wird. 32. Uas dauert 
'ne halbe Ewigkeit. 33. Ein halbes Jahr länger als die Ewigkeit. 
34. Bet de Sparling sine graue Rock uttitt. (Fr. II. 2512. Samland, 
Littauen). Zur Bezeichnung ewiger Dauer, z. B. beim Briiderschaft- 
trinken. 35. Ein neuzeitiger Trinkspruch beim Anstosscn (studen- 
tisch) lautet: Das soll uns aber weiter nicht abhalten, vertrauensvoll 
in die Zukunft zu blicken und die Fahne der Wissenschaft hoch 
zu heben, bis zur Barriere der Unniöt^iichkeit ; denn wer weiss wie? 

In diesem Kaluncn könnten allerdings die ausschliesscnden Be- 
zeichnungen oder komischen Umstellungen leicht auch wechselsweise 
für vergangen und küntti^^ m Betrachtung genommen werden. Ich 
bescluankte mich bloss auf die beiden Fruvinzen Preussen. Sonst 
führe ich als hergeluuig nur an: Wenn's Kirschkuchen regnet und 
Bratwürste schneit, Dann werden die Jena'schen Macchcn gescheid. 
Ahnlich heist's bei uns, wenn sich's weniger um die Zeit handelt, 
zur Abwehr: Ja Kuchen, aber nicht London I oder zum Spotte: 
Ja, wenn's Kirschkuchen wär' ! 

Es giebt also zahlreiche Redensarten, um eine Zeit anzudeuten, 
welche niemals recht gewesen ist und welche niemals kommen 
soll. Dabei nimmt der Volksgcist oft seine Zuflucht zu kirchlichen 
Festen, denen man in komischer Weise eine Unmöglichkeit hinzu- 
fügt. Darüber hat auch A, Gitt^e Manches in seinen „Scherzhaft 
gebildete und angewandte Eigennamen im Niederländischen" (Z. S. 
d. V. f. V. K. 1893. III. S. 433) vorgebracht. Mein Pflaumen- 
pfingsten ist dort Fruimpaschen, also Pflaumenostem. Er hat itir 
die Niederlande noch dabei den Zusatz : wenn die Kälber auf dem 
Eise tanzen („als de kalveren op 't ijs dansen"). Er kennt auch 
das Zusammen&llen von Ostern und Pfingsten. Neu ist: wenn 
Ostern auf einen Montag föllt („als Paschen op een maandag valt**). 
Aus dem Französischen führt er an: wenn die Fasten sieben Jahre 
dauern („st la careme dure sept ans"); auch: die Woche der drei 
Donnerstage („la semaine des trois jeudis"), oft mit dem Zusätze: 
vierzig Tage nach Nimmer („quarante jours apres jamais"). Der 
Italiener antwortet alsdann: II di di San Belltno, Tre di dopo il 
giudidio, d. h. am Tage des S. Bellino (ersonnener Heiliger), drei 
Tage nach dem letzten Urteil. Weiter (S. 434) lässt Herr Gitt^e 
sich aus über das Niemals. Um Lüttich hört man daltir: wenn 



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21/ 



der Klee aus dem Felde sein wird (als de klaver uit *t veld is). 
Auch das Jahr Eins kommt vor. Flandern spricht und schreibt: 
im Jahre Eins, wo die Eulen predigen (in 't jaar Een, als de uilen 
preeken). Es ähnelt also schon der Name der Eule. In Maastricht 
weicht es etwas ab: in et jaar ein, esten uil prcck. 

Die Ausdrücke Krück, Tied, Toback meiner längst vergangenen 
Zeit verwandeln sich nach ihm für das künftige Nimmer in West- 
flandern in das Jahr Block, das wieder mit der Eule zusammen 
kommt: im Jahr Block, wo die Eulen krähen und die Kühe mit 
Holzschuhen gehen (in 't jaar blök, als de uilcn kraaien en de 
koeien met patijnen gaan). Nach Gittec hat man auch sonst in 
Deutschland das Jaar Een, da C. M ü 1 1 e r- 1'" r a u r c u th (Lügen- 
dichtungen S. 104) bemerkt: „das Jahr Eins, wo die Elbe brannte 
und die Bauern mit Strohwischen löschen kamen." Also ein Non- 
sens. Auch vor drei Jahrhunderten stellte schon Fischart (Binen- 
korb 200) um: „Zur zeit da die bach branten und man mit stroh 
leschte, die bauren boUen, die hund mit spissen herausloffcn, nem- 
lich zur zeit des strengen Finkenritters." Diese ähnliche Fassung 
war also schon damals nicht neu. 

Dergleichen Naturereignisse, wie grosser Wind, Sturmflut, Was- 
sersgefahr, Feuersbrunst, Kriege und Schlachten, plötzlich und 
mächtig und voll Wirkung aufgetreten, prägten sich früher noch 
mehr wie jetzt dem Gedächtnisse und der Erinnerung der Menschen 
ein und wurden Ausgangspunkte für zeitliche Bezeichnungen von 
Grossvater auf Vater zu Sohn und Enkel. Ähnlich hcisst der 
„ Wustrow'sche Wassertag" der 10. Februar, weil für jene 1 ialhinsel 
die grosse Stuimilut jenes Tages 1625 kaum minder verderblich 
gewirkt hatte, wie die Nacht des 12/13. Novembers gleichen Jahres 
ebenda für die mecklenburgischen Küsten, Vergl. Quartalbericht 
d. \ . t. lueckl. Gesch. u. A. K. 1894. S. 24. Der Seebär kommt! 
So heisst es im Munde des erschreckten Volkes an den Küsten 
des Ralticum, wenn zum Lande wehende stärkste Winde die brau- 
send tönenden und so der Stimme eines Bären, der da brummt und 
gurgelt, ähnlichen Wasser des grossen Seebeckens auf die Lande 
zujagen, verderbnissvoll und zum Untergange des namentlich platten 
Vorlandes, das in die Wogen rückläufig hineingezogen oder übersandet 
wird, jedenfalls untergeht nach menschlichem Sprechen, und wohl 
ebenso oft in früheren Jahrhunderten, als die Sage davon meldet. Ben 
frühesten historischen Beispielen von Vineta und lulin reihen sich öst- 
lich an, falls ich alle weiss, Leba, ein Dorf am Chaustbach, Karwen, 
Heia. Aus neuester Zeit erinnere ich an die Sturmfluth fUr Grreifswald. 



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2lS 

Knicker-Kugel-Steinis. 

Eine Umfrage von Josef Buchhorn. 

Umfragen, mögen sie ein noch so beschränktes Gebiet umfassen; 
mag der Gegenstand, um den es sich handelt, ein noch so unbe- 
deutender sein (oder besser gesagt: als solcher scheinen) — nie 
werden sie ihren Zweck verfehlen, Bausteine zu sein zum grossen 
Gebäude der Volkskunde. Das mag deshalb betont werden, wdl 
sich so manche, selbst akademisch Gebildete lächelnd von derarti- 
gen Untersuchungen abwenden und sie unter die Rubrik der Zeit- 
verschwendung reihen* 

Als ob nicht alles Grosse stets aus Kleinem hervorgegangen ist! 

Die Umfrage, die ich veranstalten möchte, betriffl: einen kieinen 
Gegenstand, ein Spielzeug der Kinder oder genauer der Knaben. 

Wer kennt nicht die kleinen Kugeln, zum Teil aus Thon geformt, 
zum Teil aus Glas gegossen, in der Grösse variierend von etwa i 
cm. Durchmesser bis zu einem solchen von 7, 8 oder gar noch 
mehr cm., mit denen die Knaben (meistens wenigstens) zur Herbst- 
zeit eifrig hantieren I 

Das Spiel ist verschiedenartig. Am gebräuchlichsten und häufig- 
sten wohl in folgender Ordnung: 

II III 

I 

d e 




a Standort der Mitwirkenden beim Beginn des Spieles; b eine 
kleine Grube*); I, II, III Standort nach dem ersten Wurf^). 

I hat begonnen; seine Kugel ist bis c gelaufen; II folgte und 
gelangte bis di III endlich bis e. Nun kann I entweder in die 
Grube oder auf d ziehen; beides zählt 10 ; I spielt, bis er eins 
von beiden verfehlt. Dann folgt II (in derselben Weise); zuletzt III. 

Wer von den dreien zuerst bei der Zahl 100 anlangt, hat ge- 
wonnen. 

Eine andere Art des Spieles ist die: I wirft die Kugel gegen 
eine Mauer; II folgt und sucht möglichst nahe an I heranzukommen. 

1) Im ndrheinischen „KuUe" genannt, die Diminutivform laiitet „KüUeken". 

2) Wurf ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, da die Kugel an den Zeigefinger 
gelegt und mit dem Damnen ftbgestoBsen wird. 



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219 



Kann er die Entfernung der beiden Kugeln mit dem Daumen und 
Zeigefinger umspannen, so gehört die Kugel des I ihm. Und so fort. 

Der erste Teil meiner Umfrage sucht die Arten der Spiele zu 
sammeln; der zweite die Bezeichnungen für diese Kugeln zu no- 
tieren. Ich bemerke, dass Kugel der gebräuchliche Ausdruck in 
Mecklenburg ist, natürlich im Hochdeutschen. Wie es mit dem 
Niederdeutschen steht, vermag ich nicht zu entscheiden. Knicker ') 
ist im Rheinland üblich; Steinis in einem Teile Süddeutschlands. 
Ausserdem ist mir noch bekannt, dass man in Ulm a. d. Donau 
Marbel^ in Nagold i. W. Schneller, in einem Dorfe bei Nagold 
Ballettle, in Cöln a. Rh. Oemmer, an der holländischen Grenze (in 
der Nähe von Geldern) Steene sagt. Auch kommt in Süddeutsch- 
land der Name Glugger vor 

Tübingen, Juni 1898. 



Der Nobelskrug. 

Eine Umfrage Ton R. Sprenger. 

VI. Die in N*^ V geschilderte Verdrehung des ora pro nobis ge- 
mahnt mich an ein Spässchen des Volkes in einem mehr polnischen 
Thcile von Westpreussen. Auch hier betete der katholische Priester 
das Ora pro nobis. Da war nun ein Bäuerlein in dem Kirchdorfe, 
das Nobis hiess. Es muss nun noch bemerkt werden, dass ora 
auch ist die 3. Fers. Sing. Ind. Praes. von orad« pflügen, also auch 
heissen kann: er pflügt. Somit entstand ein grosses Wundern 
unter den lateinlosen polnischen Bauern, dass der Pfarrer von 
einem unter ihnen, dem Collegen Nobis, besonders hervorheben 
konnte, dass er pflüge. Es beweist diese Geschichte, ob nun wahr 
oder erfunden, wie leicht aus sprachlichem Gleichklang durch 
Missverständniss eine Seltsamkeit entstehen kann. Jedenfalls hörte 
ich sie als Witz erzählen. 

VII. Nobiskrug. Vergl. Dr. Richard A n d r e e : Rraunschwei- 
gische Volkskunde, wo auf S. 65 darüber gehandelt wird. 

A. Treichel. 

1) Statt K/ficker auch Kicker. 

2) Cfr. F. M. Böhme „Deutsch. Kinderlied und Kinderspiel. Leipzig 1897" P*8» 
615* B.'s Ausführungea sind 7.iemltch oberflächlich uud uichl uricntierend. 



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220 



VIII. Ein Nübishaus ist auch die kaiserliche Hofburg in Wien. 
In den ersten grün angestrichenen Stiegenpfeiler im Torwege zum 
Schweizerhofe ist unser Spruch so eingegraben zu lesen: 

i6 IDMVN E 
SIDENS PRONOBIS QUIS 
CONTRA NOS 1660 
Dens ist für Deus! K. 



Blumen, die unter den Tritten von Menschen 

tiervorsprossen. 

Eine Umfrage Yon B. Laufer. 

II. Georg Ebers lä^^t m seinem historischen Roman ^Eine 
ägyptische Königstochter" von Kambyses, dem König von Persien, 
folgendes erzählen. ^Thm hatte geträumt, dass er sich inmitten 
einer dürren Ebene b< finde, die, dem Boden eine Tenne ähnlich, 
keinen Halm erzeugte. Missgcstimmt über den öden, traurigen 
Anblick des Platzes, wollte er soeben andere, fruchtbarere Orte 
aufsuchen, als Atossa (des Königs Schwester) erschien und, ohne 
ihn zu bemerken, einer Quelle entgegenlief, die plötzlich, wie durch 
Zauberei mit fröhlichem Gemurmel aus dem dürren Boden empor- 
quoll. Staunend sah er diesem Schauspiele zu und bemerkte, wie 
sich überall, wo der Fuss seiner Schwester das versengte Land 
berührt hatte, schlanke Terebinthen erhoben, die sich, da sie 
grösser wurden, in Cyprcssenbaume verwandelten, deren Gipfel bis 
in den Himmel ragten." 

Wien. Adolph Löwy. 

III. U bland hat im Ver sacriim diese besonders bei romani- 
schen Dichtern sich findende Vorstellung so weiter gebildet, dass 
er sogar unter den Hufen der Rosse der siegend heimziehenden 
Latiner Blumen emporsprossen lässt: 

Und jene zogen heim im Siegesruf, 1 Feldblumen sprossten unter jedem Huf i 

Und wo sie jauchxten, wud die Gegend grün ; | Wo Speere strdften, sah man ßHnm* erblfin. 

Northeim. R. Sprenger. 



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221 



Judendeutsche Sprichwörter aus Ostgalizien. 

Gesammelt von Isaak Robinsohn. 

I. Der ErUiukardar chapt 'j sach ün la a Scharf vm a Schwert. — 2. Wenn freit- 
sech a Urim-maan*)? As 9t verliert m gcfmt. — 3. As dar Won» totschit*) ;m 
Chrein *), meint ar as dus ts Anj^Dmachts *). Var. — , nv int nr, as kein Bcssers is 
nii>cbt du. — 4. Bessar mit akltg.)u zi variieren^ wie mii a Narr zi gawinnan. — 
5. As a Narr warft arSn a Stein in GQrtan arSn, konnsn em kan zehn kliga niseht 
arausnemmcn. — 6. As a Chasir ') kricht tn Gurtan arän, totschit ar di Beitan 8). — 
7. As mi schert di Schuf, zittaru di Lemmalach. — 8. As das Ferd esst Hubar 
brtkiwtt *) 9S. — 9. As zwei 'sugsn sckikar M), geit dar drittar sehluran. Var. — mn 
sach dar drUtor leigan. — 10. A Tlind, wüs ar hauktt bässt ntscht. — 11. As 
a-sach Balbustis is di Stib ntscht ausgekehrt. — 12. AfUi a Katz konn auch 
kali t*) machsQ. — 13. A Kate ktmmt mscht sink m Haus aran^ wie man bot 
ir dam Schwonz ubgahakt. — 14. Vin jnnsr Welt is keiner nischt zmk gaktmmon. — 
15. Gil bei a Chasjr a Hur vjn ira Schwonz ausgartsseD. — 16. A Ferd fürt kan '*) 
Lapsk*'«), in ktmmt ztrik a Ferd. — 17. A(n) Ocbs blÄbt a(n) Ocbs. — 18. Red 
\veinig:ir wct mon mein.-)n bist a Cliutlum ''•). — 19. Wüs weintgar mi ret, ts 
gasinder. — 20. A-sach '8) Maluchjs m weinig Bruchjs — 31. Aseu wi mi git 
dl Teudti^i) z, cssan, asl Punim**) (h)obtn st. — 22. Var a Ganiw ä3) tar man 
nischt sugan : hengan. — 23. Of'n Gauiw brennt is IlittiPS). — 24. Dom 
Ganiw stdh man var dar Thir (um ihn unschädlich zu macheu). — 25. As si 
bittlit ofn beissan, hlTlst man ofn kaltan. — 26. As mi scbmirt di Redar, furt der 
Wugan. — 27. Si git zt hubtn a Maki 2«) ba jenam tntarn l'rm 27). — 28. Vin a 
Chasar-schweozal konn man kan Stramal nischt machan. — 29. Jeder Wu» 
rnn bot san Dürim — 30. Aseu lang dar Stelmach **) sitst oft» Benkal, bot er 
cbotschi ") Späncr. — 31. Jedes Mos *♦) is scbein of dar Mazeiwi — 32. As a Narr 
geiht ofn Mark, freien sach di Krämers. — 33. A Barg mit a Barg begegaut sech 
nischt, ober a Mensch mit a Menschan jo. — 34. Wie a-seu mi leigt am Cheuli*") 
thiit in weib. — V.n Fingar konn man kein Faust nischt machon. — 36. Mit a 
Jüden is nor git Kignl 7.1 essan. — 37. Alle Schister gelan bürwis^S)^ tn alle Schnä- 
dar geian nackjt. — 38. A Schiksa ^i^) ba a Ruw konn auch paskiaau Schä- 
lt» M). — 39) Geld geit st Geld. — 40. Geld is kakcbtg«*). — 41. Der Seichal«*) 



i) packt. 2) arme Mann. 3) tocxe (rutb.) wühlt, frisst. 

4) cbrzan (poln.) — Kren, Meerrettich. 5) Eingemachtes. 6) Schwein. 

7) wie 3. Beete. 9) boryka (poln.) = bäumt sich, wird wild. 10) besof- 

fen (bebr.). 11) bellt. 12) Ilausfraoea, Wirtbinnen (bebr.). 13) sogar 
(talm.). 14) verderben, schaden (hebr.). 15) gen, nach. 16) Leipzig. 

(Eine Reise zur Messe nach Leipzig bedeutete für den Juden in Galizien dasselbe, 
was die Wanderseit für den Wanderburscben. 17) V^'m Klager (bebr.). 18) viel 
(hebr.). 19) Handwerk (hcbr ). 20) Segen (hebr.). 21) Todte. 22) Aus- 
sehen (hcbr.). 23^ Dieb (hebr). 24) Auf dem. 35) der Hut. Das 
Spricbwort besiebt sieb auf folgende Anekdote. Ebi Herr mntmasste, daas einer seiner 
Diener der Urheber eines bei ihm vorgekommenen Diebstahles sei. Um den Dieb zu 
entlarven liess er seine Dienerschaft sich in Reih und Glied vor ihm hinstellen und 
rief plötslicb: „Auf dem Dieb brennt der Hut." Der flberrampelte Schuldige griff 
nach dem ITut Und wurde so erkannt. Vergl. L. Mandl, ,Am Urquell' IV. S. 75 f. 
26) 1 unmkel. 27) Arm. 28) Schwcincschwanz. 29) ScbabbesdeckeU 
wird gewöbnlicb aus feinerem Pelzwerk verfertigt. 30), 31) Jedes Warum, hat 
•ein Darum. 32) Tischler (slav."). 33) wenigstens (slav.). 34) Todter 
(bebr.). 35) Gral)stcia (hebr.). Die Crabschriften der galizischeu Juden sind ge- 
wöbnlicb übertriebene panegyriscbe Verse. De mortufe nfl nisi bene. 36) Kranke. 
37) Kugel. Nach ihrer Form benannte Samstagsmehlspeise. 38) barfuss. 
39) Dienstmädchen. 40) Rabbiner (hebr.). 41) beantworten, entscheiden (hebr.). 
42) rituelle Fragen (hebr.). 43) rund. 44) Verstand. 



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222 



k;mmt nuch di Juran. — 4a. Ddr Wintsr kimmt nuch di Kleidsr. — 43. Vm sugsn, 
werd mon nischt trugan '). — 44. As mi esst Chasir, soll rinnen jher di Ptskis '). — - 
45. Jings Chachumim 3) sansn alte Nanmim *). — 46. Haadalschaft ts ka Bridsr- 
schaft. — 47. Of dar Eck Zmg wenhnt di ganzs Stndt. ^ 48. Der Raw*) kenn im 

Schamis in dar Schamis kenn di ganzs Studt. — 49. Pirim ■>) is nischt ka Jon- 
tiw 8), in Kaduchis ') is nischt ka Krenk •). — 50. Var a Ganiw ">) helft uischt ka 
Schloss^ in a(n) Ehrlachsr bsdarf nischt ka Schloss. — S^- ^ ganzer Narr is a haibar 
Nuwi "). - - 52. A iiiul senan dl Maluchim >3) arim gigaugan of dar Erd, hant geian 
sei afili ofn Himninl nischt anm. — 5;^. Si!ni is a l.igind'*). — 54. AsdarWugin 
fallt, scnan di Kedor schwer. — 55. As di Mcidlach konnan nischt tanzou, sugon sei 
as dl Klesmar'*) konnan nisckt spielsn. — 56. Bessar a Jid un a Büid '8), wieaBürd 
ün a Jid. — 57. A Narr is a cibigsr Zaar '*). — 58. As ']• I i': 1 ti is Schllm^'^al- 
nui is dl Katz a Berjj ^*). — 59. \u trgslou lluid Ktmmt un dis besto Stick 
Flelfldl. — 60. As si nisckt du kein Meidlach, tanzt man mit Schiksis^'). — 61. Far 
Pamüsi wegan tanrt mnn mu JaSkin 2*). — 62. Jeder Sclienknr Icubt san Wan. — 
63. Be&ssr zehn Schlössdr^ eidar ein Dalis ^*). — 64. Besser zehn Frand eidar ein 
SeuBi — 65. Dis andsrs Wlb^ hot a goiden Lab. — 66. D|s Epal| &1lt ntscht 
wat fin im Bcimali. — 67. Bcssnr n Quint Masl*^), eid»r a Centnar Gold. — • 68. A 
lechangsn Sack ksn man nischt ünfillan. 



Beiträge zur Volk^ustiz im Bergischen. 

Von Otto Schell. 

Die Rechtspflege des Volkes ist wesentlich anders geartet, als 
die der rechtskundigen Gelehrten. Vor allen Dingen fallt bei den 
volkstümlichen Rechtsäusserungen eine weit grössere Mannigfal« 
tigkeit, eine strengere Individualisierung und stärkere Anlehnung 
an die jeweilig gegebenen Umstände und Verhältnisse auf. Aber 
von einer Justiz darf man doch insofern reden, als in einer und 
derselben Gegend fiir dieselben Vergehen, welche nach dem 
Rechtsgefühl des Volkes der Ahndung bedürfen, dieselben Strafen 
festgesetzt sind. Er ist also im Volksbewusstsein ein gewisser 



i) tragend, schwanger. 2) pysk (poln.) = Wund. Wange. 3) Kluge (hebr.). 

4) Narren (hebr,). Sinn: Altkluge Kinder stellen sich spätera Is dumm heraus. 

5) Rabbiner (hebr.). 6) Synagogendiener (M>r.). 7) Purimfest (hebr.). 
8) Feiertag (hebr.). 9) Fieber, lo) Krankheit. 11) Prophet, fhebr.). 
12^ Engel (hebr.). 13) sogar (hebr.). 14) Legende = Lügende, Lüge. 
15) Eigentlich Musikinstrumente, hier und sonst nur Musikanten, (hebr.). 16) Bart. 
17) KränkuiiLj, Herzleid (hehr.). iS) ITausfrau (liclfr.). 19) Entstanden aus: 
sclilimm und Masl *) ^ Glück, Geschick, bezeichnet das Wort regelmässig eine un- 
geschickte, nach1i(8sige Frau^ unp^cfähr wie das Wienerische ^schlampert". 20) Wört- 
lieh: Geschöpf (hebr.) = fieissirre. geschickte Hausfrau. 21) r.auennnäJcl. 
22) slav. Jaiko, häufiger Bauernname. 23} eickr = ender, (ebendcr) als. 
24) (hebr.) Personificirte Armuth. 25) Feind. 26) Apfelchen. 27) Glttck). 

*) Im Ungar, jdd. slamazl, §lumazl und ^lemazl weisen auf hebr.: §e lo mazol (was 
kein Gluck ist) hin. K. 



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223 



Codex des Rechts ausgebildet; und dieser Umstand eben, der 
also jede Willkür pewissermassen ausschliesst, berechti<][t uns, von 
einer Volksjustiz in diesem oder jenem durch die ^atur oder 
Geschichte t;ezogenen Rahmen zu reden. 

Nur eini<^e Beispiele für das ehcinalij^e Bergische. 

Bis in die 60«^ jähre unsers Jahrhunderts war es in der Um- 
gegend von MeUwann übHch, dass man einem Bauer, der sich 
durch Strenge und Harte gegen seine Knechte und Mägde aus- 
zeichnete, in einer Naciit einen Wagen .iUhcinandernahm und dessen 
einzelne Teile auf das Dach des Hauses, der Scheune oder des 
Stalles praktizierte. .Man musste eben uul der östachcn Lage des 
Schlafzimmers des Bauern bei dieser Unternehmung rechnen. Oft 
versammelten sich zu diesem gewiss mühsamen W'erk 12 — 20 und 
noch meiir junge Burschen. Alles ging lautlos und still zu und 
ein Verräter fand sich nie. Auch hält es heute, wo dieser Brauch 
nicht mehr in Übung ist, sehr scliwer, nähere Einzelheiten zu 
erfahren. 

Bis zur Stunde ist es in des Krei.sstadt Mettmann selbst noch 
üblich, dass man zur Herbstzeit, wenn Rübstiele eingemacht wer- 
den, den Abfall des Gemüses vor die Thür eines Mädchens oder 
eines Burschen streut, die sich bei Anbahnung eines Verkehrs mit 
dem andern Geschlecht zu viel Freiheiten herausnahmen und nicht 
den althergebrachten strengen Sitten treu blieben. 

Einem von seinem Burschen verlassenen Mädchen oder einem 
Burschen, dem sein Schatz untreu wurde, stellt man in Mettmann 
einen bekleideten Strohmann oder eine Strohfrau hinter das Haus. 
Das besorgen die um das Verhältnis wissenden jungen Leute, aber 
auch hier mit der grössten Heimlichkeit. Auch im ehemaligen 
Amt Steinbach setzt man dem getäuschten Freier eine Strohfrau 
vors Fenster des Schlafzimmers oder an die Hausthür. 

Der Zug der Geheimhaltung ist überhaupt charakteristisch für 
diese Zweige der Bergischen Volksjustiz. 

Am bekanntesten ist in der Bergischen Volksjustiz das „Tier- 
jagen'*. Es dürfte kaum eine Gegend des Bergischen zu finden 
sein, wo nicht diese Sitte, auch , Austrommeln'* genannt, geübt 
würde. Selbst in den grossen Industriestädten Elberfeld und Bar- 
men hat sich dieser Brauch bis heute erhalten, und kaum vergeht 
ein Jahr, dass nicht hier oder dort der Spektakel losgeht, dem die 
Polizei meist machtlos gegenübersteht. Der betreffende Übelthäter 
— meist sind es Männer und junge Burschen — ist bekannt. Am 
Abend versammelt sich Gross und Klein vor seiner Wohnung und 



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224' 



bcj^nnnt einen ohrzerrcisscnden Laim mit Pfeifen, Johlen und Be- 
arbeiten tler verschicdcnartifTstcn Blechinstrumente. Stundenlang 
wird der Lärm fortgesetzt. Das ijeschieht an drei aufeinandt;rfol- 
genden Abenden. An eine bestimmte Jahrzeit ist die Ausübung 
dieses Brauche.s nicht gebunden; ebensowenig an gewisse Wochen- 
tage. Geübt wird er meistens gegen Männer, welche ihre Frauen 
geschlagen oder das 6. Gebot übertreten haben. 

Früher wurden dem armen Sünder auch in derben Knittelversen 
seine Verbrechen vorgehalten. Solche Verse lauten: 

Hört, ihr Leute! ich will euch was sagen, 

Der Spass-Pitter bat das Fraumensch vernagelt j 

He het et em Ferkesstall verneit. 

Bewahret das Feuer und das T.uht, 

Dass dem Spass-Pitter kein Unglück geschieht. 

In dem vorliegenden konkreten Falle hatte sich der erwähnte 
, Spass-Pitter" mit der Frau eines Nachbars im Schweinestall ver- 
gangen. 

Eine andere Strophe lautet: 

Der N. N. hat seine Frau geschlagen, 
Das wollen wir dem Richter klagen. 

Der Richter dacht' in seinem Sinn: 
In der Frau, da steckt der Teufel drin. 

Was Montanus (,Die deutschen Volksfeste" etc.) darüber 
schreibt, S. 95 ff., sie hier nur erwähnt. 

Über die Art und Weise des Tierjagens im Amt Steinbach 
folge ich einer Mitteilung aus dem Anfang der 6o^r Jahre, welche 
lautet: „Das früher übliche Tierjagen war dem Haberfeldttreiben , 
welches die bairische Regierung vor einigen Jahren unterdrückt 
hat D. Verf.), sehr ähnlich. Verbrecherische, besonders ehebre- 
cherische Liebschaft war die Veranlassung. Wenn der Attentöter 
grade in dem betreffenden Hause war, wurde es plötzlich von 
einer grossen Schar umstellt. Es wurde sogleich ein Höllenlärm 
gemacht mit Schreien, Rufen und allerhand Instrumenten, wodurch 
noch mehr Menschen herbeigerufen wurden. Nachdem sich der 
Lärm gelegt, wurden die erschreckten und bestürzten Übelthäter 
aufgefordert, herauszukommen; wurde keine Folge geleistet, so 
fing man an, Schlagladen und Thüren, Fenster und Wände einzu- 
schlagen. Mittelst Rauch und Gewalt wurden sie aus dem Hause 
getrieben und nun gejagt, gestossen und geschleift, bis man sie in 
einer Mistjauche oder in einem Weiher hatte; es ging aber nicht 
ums Leben.*' 



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325 



Ahnlich berichtet Ernst Wey den (»Das Siegthal" etc., Bonn 
1865) von der Sieg: ^Auch üben die Burschen noch zuweilen in 
den Gemeinden die altherkömmliche Volksjustiz des „Tierja^ens" 
wider Ehemänner, die nicht allzu zärtlich gegen ihre Ehehälften. 
Mit allen nur denkbaren lärmmachenden Instrumenten ziehen die 
Burschen in der Nacht vor die Wohnung des zu ZAichtigenden. Je 
toller das Peitschengeknalle, das Kettengerassel, das Schallen der 
Pfannen und Kessel, je ungestümer das Heulen und Toben und 
Brüllen, als wenn das wilde Heer im Anzüge, um so grösser ist 
das Vergnügen, von dem aber die Ortspt^lizei nichts wissen will." 

Am besten entwickelt hat sich diese Volksjustiz im sogenannten 
Haberfeldtreibcn Oberbayerns erhalten. Da dieses allgemein be- 
kannt sein durfte (siehe unter andern die treffliche Arbeit im 
Sonntags-Anzeiger der Elberfelder Zeitung vom 26. November 
1893), so wollen wir hier einen kurzen Vergleich zwi.sclien dein 
Ilaberfeldtreiben in Bayern und dem Tierjagen im Bergischen, 
soweit letzteres mit seinen dürftigen Zügen dieses gestattet, an- 
stellen. 

Das Habern geschieht nur im Herbst; das Tierjagen zu allen 
Zeiten. 

Jenes wird sehr geheim ausgeführt, dieses vollständig Öflentlich. 

Das Haberfeldtreiben wird als bäuerliche k'ortsetzimg des \'on 
Carl dem Grossen eingeführten und durch geistliche und weltliche 
Sendboten in den einzelnen Grafschaften abgehaltenen Rügegerichts 
aufgefasst. Eine solche Verbindung ist beim Tierjagen nicht mehr 
erkennbar. 

Beides — Haberfeldtreiben und Tierjagen — ist Volksjustiz in 
uralter Form. Darum stehen sich Volksforscher und Jurist bei der 
Beurtheilung dieses Brauches, wie gar oft, als geschworene Feinde 
gegenüber. 

Die Haberer beziehen sich immer auf das alte Herkommen und 
erwähnen stets Carl den Grossen. Es hat sich dabei ein gewisses 
gerichtsmässiges Verfahren erhalten, was wenigstens in der äussern 
Form bei unserm Austrommeln nicht mehr erscheint. 

Das Gebiet, in welchem das Haberfeldtreiben noch üblich ist, 
beschränkt sich heutzutage auf die Gerichtssprengel von Tegernsee 
und Miessbach. Das Tier jagen hat sich in einem weit ausgedehn- 
teren Bezirk erhalten und war nach Schmitz, Sitten, Sagen und 
Legenden des Eifler Volkes I, S. 63, beispielsweise auch in der 
Eifel bekannt; auch heute noch wird dieser Brauch, doch verein- 
zelt geübt. 

"5 



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226 



Der Name des Brauches ist noch nicht genügend gedeutet, doch 
werden wir diesen Punkt weiter unten noch berühren. 

In Rayern sowohl als am Niederrhein <^ilt der für entehrt, der 
in dieser Weise vom Volke justifiziert wurde. 

Die Habercr bilden einen festgeschlossenen Bund ; am Austrom- 
meln lind Tierjarrcu kann jedermann Anteil nehmen. 

Auch steckt das Haberfeldtreiben seine Grenzen weiter, als das 
Tierjagen. Ihm verfallen alle, welche von der weltlichen Gerichts- 
barkeit schwer erreichbar sind: Guterzcrtrummerer, Mädchenvxr- 
führer, Wucherer, leichtfertige Mädchen, Prozesssüchlige, Betrüger, 
sehr oft die Köchinnen der Geistlichen, strenge Beambte und dergl. 

Die Haberer tauchen heimhch im Schleier dunkler 1 lerbstnächte, 
auf. Darauf nimmt man beim Tierjagen keine Rücksicht. 

Lärminstrumente aller Art sind hier wie dort gebräuchlich. 

Knittelverse mit einem Sündenregi.ster sind hüben wie drüben 
üblich. Aber in Oberbayern werden .sie durch einen sogenannten 
Sekretär, hier vom ganzen Volkshaufen in wildem Gejohle vorge- 
tragen. 

Das bayrische Ilaberfeldtreiben lässt deutlich den alten Ursprung 
erkennen, und die Berufung auf Carl den Grossen ist vielleicht 
buch.stäblich zu nehmen. Bestehen nun aber auch zwischen dem 
Haberfehltreiben und dem Tierjagen manche Verschiedenheiten, 
so i.st doch die Übereinstimmung der Grundzüge unverkennbar. 

Aber wir können den Ursprung dieses Volksgerichts noch hinter 
Carl den Crossen zurückverfolgen. Aus dem 6. und y. Jahrhundert 
besitzen wir Bu.ssordnungen, welche wiederholt eindringlich gegen 
einen Brauch eifern, bei dem man sich in Tierfell hüllte und Tier- 
haupter aufsetzte. Eine Verordnung des Bischofs Hugo von Bcrry 
aus dem Jahre 1338 redet von einem a]ii;lichen Brauch, welcher 
Charawall (woraus Carne\'all wurde:) genannt wird. Die Teilnehmer 
dieses Charawalls erschienen in Tierfellen; s])e/.iell werden genannt 
Hirsche, Kälber. Auch wurden die Stimmen verschiedener Tiere 
nachgeahmt. Da dieser Gebrauch von Montan us beim Tierjagen 
am Niederrhein ausdrucklich bezeugt wird (welcher Mittcikmg 
man wold (ilauben schenken darf), so ist damit der Nauic „Tier- 
jagen" hinlänglich gedeutet. Mit Simrock zu reden, hat der 
Brauch deswegen diesen Namen erhalten, „weil er unter Ticrlarven 
gegen das Hervortreten des Tierischen im Menschen gerichtet ist." 
Dafür, dass dieser Brauch, das alte Charawall, schon in den ältesten 
Zeiten gegen das Obscöne gerichtet war, haben wir genügende 
Anhaltspunkte. 



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22/ 



Der Brauch scheint ehemals unter allen deutschen Volksstämmen 
im Schwani^^e gewesen zu sein. Und Sh.ilvC:3peare hat in seinen 
„Lustigen Weibern von Windsor" das Tierjagen auf die Bühne 
gebracht. Aus diesem Teil des Shakespearschen Buhnenwerkes er- 
sehen wir auch den innigen Zusammenhang zwischen dem Haber- 
feldtreiben und den Redensarten : ins Bockshorn jagen, Hörner 
aufsetzen etc. Man vergl. dazu Sirarock, Handbuch der deut- 
schen Mythologie, 6. Aufl. S. 553, 



Fabeltiere im altjüdischen Volksglauben. 

Von Leopold Mandl. 

Wie alle Völker wussten auch die Israeliten viel von Wunder- 
wesen 7.U erzählen. Thre be/ui^lichen Sagen sind zum Teile Scliöp- 
fungen der eigenen Phantasie und andern Teils fremder Fabulistik 
entnommen. 

Besonders merkwürdig ist, was in de Talmud und Midrasch- 
T.iteratur von dem Schamir und vom Salamander erzählt wird. 
Von un verbrennbaren Wesen, dessen Namen die bekannte harm- 
lose Eidechse trägt, hatte man grundverschiedene Vorstellungen. 
Nach den Einen war es eine Art Amphibium '), nach Andern 
eine Maus und nach Ansicht Dritter hatte es die Gestalt einer 
Spinne 

Die verschiedenen Vorstelluni^en von einem Wesen, das eigent- 
lich niemand gesehen, sind nur natürlich; minder natürlich ist, 
was uns über die Entstehungs- und Eigenart des Salamanders er- 
zählt wird. Sein Werden wird der Feuersglut zut^eschrieben. Wenn 
die Glaserzeu<(er sieben Tage und sieben Nachte ununterbrochen 
heizen, entsteht im Ofen jenes Wundertier, das weil durchs Feuer 
entstanden, unverbrennbar ist und ein Schutzmittel gegen Ver- 
brennung bietet *). 

Der Judäerkönig Achas hatte den Kronprinzen, seinen Sohn 
Hiskia, dem Moloch geopfert; doch der (jeopferte verbrannte 
nicht, weil ihn seine Mutter vorher mit dem Blute eines Salaman- 
der cingeschmiert -"j. 



i) Talmud, Chulin. 2) Targum, Jeruschalmi. 3) Midrasch Tatsche, 

4) Daselbst. 5) Talnmd S«nhedrin, 63. 



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228 



Das hebräische Wort Schamir, Dorn, später auch Bezeichnung 
des Diamanten, hat die israelitische Volksphantasie zur Benennung 
eines einzigen Wandet wcsens gebraucht, das am sechsten Tage, 
knapp vor Eintritt des Sabbathes, erschaffen worden sein soll 

Von dem wird erzählt, da'^s es Steine und Balken, auf die man 
es gelegt, gespalten und selbst Eisen geteilt, und dass man es, 
weil nichts davor Bestand hatte, nur in weiche Wolle gewickelt, 
in einem mit Gerstenkieic gefüllten bleiernen Gefasse aufbewahren 
konnte 

Eine Sage berichtet, dass ein Adler das Tierchen, das nicht 
grösser als ein Gerstenkorn gewesen, aus dem Paradiese geholt 
und dem Könige Salomo gebracht, der es beim Baue des Hei- 
ligtumes, weil kein Eisen gebraucht werden durfte, zum Spalten der 
Steine verwendet habe 



Zum Vogel Hein. 

Eine Umfrage von Franz Branky. 

III. Ich meine hier zunächst den Vogel des Kaisers Maximilian. — 
Dieser Vogel war entweder Fregilus graculus, die Alpen- oder 
Steinkrähe, der Gebirgs> oder Feuerrabe, die Krähendohle, der 
Eremit, Klausrabe oder Turmwiedehopf (alles Namen für denselben 
Vogel), oder Fyrrhocorax alptnus die dem vorigen naheverwandte 
Alpendohle od^r Schneekrähe, die Berg- und Steindohle, die 
Flütäfie oder Alpenamsel. (Das Nähere s. im Brehm.) 

Nun der Name! Dieser entstammt unserer keltischen Vorzeit, 
ist also keltisch und bedeutet Feuervogcl; irisch can, eun, en, 
gälisch ean, eun, bedeutet Vogel, ebenso die mankischen Wörter 
eean, yeen (N. B. mankisch ist der Dialekt der Insel Man, altgä- 
lisch) und irisch, ain Feuer; ain-en ist Feuervogel. 

Nun ist merkwürdig, dass Fregilus graculus Feuerrabe heisst 
und über Fyrrhocorax alpinus im Brehm sich folgendes findet: 
, Dieser Vogel ist einer von denjenigen (sagt Sa vi), welche sich 
am leichtesten zähmen lassen und die grüsste Anhänglichkeit an 
ihren Pfleger zeigen, — — — — Er hat ein seltsames Gelüste 



i) Sprüche der Väter. 2) Tosefta su Sota Cap. 15. 3) Midrasch Jalkut 

zom «tsten Buche der Koaigc. 



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229 



zum Feuer, zieht oft den brennenden Docht aus den Lampen und 
verschluckt denselben, holt ebenso des Winters kleine Gluten aus 
dem Kamin, ohne dass es ihm im geringsten schadet. Er hat eine 
besondere Freude, den Rauch aufsteigen zu sehen, und so oft er 
ein Kohlenbecken wahrnimmt, sucht er ein Stück Papier, einen 
Lumpen oder einen Splitter, wirft es hinein und stellt sich dann 
davor, um den Rauch anzusehen. Sollte man daher nicht vermu- 
then, dass dieser der „ brandstiftende" Vogel (Avis icendiaria) der 
Alten sei?" 

[N. B. : In der Magdeburf^er Chronik von Pomarius aus dem 
l6. Jahrhundert heisst es (wie mir erinnerlich) an einer Stelle: In 
diesem Jahre (? Jahreszahl liabc ich vergessen) sah man Krähen (?) 
und andere Vögel mit glühenden Kohlen in den Schnäbeln her- 
umfliegen, die steckten Häuser und Scheunen an.] 

Ich erkläre mir die Sache so : beide oben genannte Vögel (Krä- 
henvögel) sind einander sehr ähnlich, und so konnte es kommen, 
dass Brehm vom Volke der falsche Vogel als Feuerrabe ge- 
nannt wurde; so scharf als der Vogeikenner unterscheidet das 
Volk nicht. 

Nun der Mecklenburger Hein. 

Hein (Hein'n) halte ich für eine gekürzte Form von Heinen. 
Entweder ist das derselbe Vogel (dass er er auf einem Teich ge- 
schossen wurde, kann auch bedeuten auf einem Ikiume etc. im 
Teiche ') oder es war ein (seltenes?!) Wasserhuhn. In diesem Fall 
wäre der Name abzuleiten von irisch ean, eun Vogel und ir. en 
Wasser (en bezeichnet sowolil einen Vogel als auch das Wasser); 
ean(eun)-en = Wasservogel (der Kelte setzt das Bestimmungs- 
wort oft hinten hin); oder noch besser abgeleitet: mankisch eean, 
yeen Vogel, das Junge eines Vogels und — das junge Huhn und 
ir. en Wasser; eean(yeen)-en also Wasserhuhn. 

Biere bei Schönebeck a. d. £. Rabe, Lehrer. 

IV. Noch ein Nachtrag bezüglich des Namens Hcun als Be- 
zeichnung des Uhu. In diesem Falle durfte der Name zusammen- 
gewachsen sein aus irisch ai weise und irisch en, ean, eim Vogel. 
Heun also weiser Vugel. Die Kuie war bekanntlich das Sinnbild 
der Weisheit. Rabe. 

i) Kdnnte oidit «Tdcli** oder «Teiche^* bedeuten} 



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230 

Polklorisüsche Findlinge. 

Lebende Tieropfcr. — Von einer Volksbräuche genau beobach- 
tenden Dame, Frl. E. in Salzburg, erhielt ich jüngst die Mittei- 
lung, ^dass nahe bei Reiclienhall noch lebende Opfer von schwarzen 
Hennen vorkommen. Auch viele ... ex voto giebt es noch dort, 
worauf es stets hcisst: und verlobten sich mit einem lebendigen 
Opfer. Unsere eigene alte Köchin aber erinnert sich noch, wie 
sie als Kind einst ihre Mutter eine Henne schlachten sah, der 
Vater einige Ziegel aus der Fesselgrube riess, die Henae hinein- 
legte und das Loch wieder vermauerte." 

Solche Mitteilungen, die die Andauer des lebenden Tieropfers 
bis auf unsere Tage bezeugen, sind wert der Veröffentlichung im 
,Urquell'. 

Tölz 1898. — r. 

Blauer Safran (Urquell 1897, S, 249 U. 352). — Seite 352 soll es 
imstatt „erster": erster Safran heissen. Bei diesem Anlasse kann 
mitgeteilt werden, dass gedruckte Preis- Verzeichnisse speziell fol- 
gende markante Sorten von Crocus anbieten: „König der Blauen**, 
„Himmelblau (Lilaceus)" und „Lilaceus (hellblau)". Erwähnenswert 
ist vielleicht auch die im Herbste blühende blaue Sorte „Safifran." 

Wien. Bk. 

Dtmnerkeile. — In einem alten Buche „dem Boten aus Thürin- 
gen*' vom Verfasser Carl von Carlsberg, 1789, fand ich auf 
S. 47 über Donnerkeile : 

Schul m.: „Glaubt er denn im Ernste, dass es mit Donnerkeilen 
einschlägt ?" 

Hann: Und warum nicht? — Nachbar Christoph hat zwei Sor- 
ten Donnerkeile, die er ausgeackert hat; die will ich holen 

Nun ihr Herren was ist denn das? — Das ist ein rechter und das 
ein linker Donnerkeil, mit jenem schlägt es warm ein und mit 
diesem kalt." 

(Hierauf belehrt der Bote den Mann, das der eine Donnerkeil 
eine Streitaxt und der andere ein Belemnit ist). 

D. Giesshübei. Josef Stibitz. 



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231 



Vom Büchertisch. 



Saj^en unJ Erzahiungen aus dem Kreise Koiiterg-h'orlin. Gesammelt 
und herausgaben von F. Asmns und O. Knoop. Kolbei^ 1898. 



F. c. Posi. 100 a 8«. 



Kcidc Herren sind den Lesern unseres Urquells als dc?sen Mitarbeiter woM vertraut 
und CS ist kaum nötig, irgend etwas noch zur Empfehlung ikrer Gcsclhchaftarbcit 
hervorauheben ; denn sie ist, wie dies nicht anders zu erwarten war, trefilich. Die 
Sammlung cnthrilt geschichtliche Sagen und Erzählungen, Wassergeister-, Wildejagd-^ 
Teufel- und Kobold- und Doppelgängersagen, Diebsegen, Hexenzauber, Mahrgeschichten, 
Gespensterglauben, und Uber vergrabene Sehäue, Gebäude, Bäume) Berge^ Steine, Seen, 
Grenzen, (»cstirnc, Tiere usw. Mitteilangen, die vielen Fonchern vieles von Belang 
aas unseren Tagen darbieten. Krauss. 



Beide Sammler sind den Vachgenossen in Folklore längst aufs Vorteilhafteste be- 
kannt; ihre Zeitschrift ,Vulkskundc', die nun schon im II":" Jahrgänge erscheint, ist 
für jeden, der sich luit inoJcrlamlist her Folklore befasst, unentl)chrlich und für unsere 
Disziplin höchst schäubai als cice un^cmciu reiche l uudbtattc bestens erhobener 
Tatsachen. De Cock verdankt man ausserdem ein vorzügliches Werk zur Volks- 
medizin, das leider nur seiner Sprache halber nf<Lh nicht allgemein gewürdigt wird. 
Es sollten sich zumindest deutsche Volksforscher die kleine Muhe der Erlernung des 
Holländischen nicht verdriessen lassen, um vom Fleiss unserer niederdeutschen Sprach- 
brücler den entsprechenden Nutzen zu ziehen. .\uch das vorliegende Buch, das iGq 
Numern zahlt, drängt einen dazu. £s sind vorwiegend StoHe, die der europäischen 
Folklore Oberhaupt angehören, von den Klabaateraiannsagen abgesehen. So manches 
Stück liest sich, wie ein neugriechisches oder bulgarisches Märchen in fremder 
Sprache. Eigentlich nationalniederländisch ist darunter fast nichts zu hndeo, was ja 
bei dieser Art Wandergut von vornherein zu erwarten war. Auf eine stattliche AnsiÄI 
Parallelen verwciscti schon die Herausgeber in ihrer sehr lehrreichen Kiuleituug. 
Bemerken möchte ich, dass das Märchen vom Bauer, der mit seinen Lügen die 
Königstochter gewinnt (S. 32 ff.) auch bei den Südslaven sehr beliebt ist. Eine Fas- 
sung brachte die Zeitschrift von Praus. die in den öc^"" Jahren in Agram deutsch 
erschien. De Kerkzaugers van Sintcr-Goclcn (S. 47 ff.}, sind uns als die Bremer 
Stadtmusikanten altbekannt. Sehr vertraut ist den Südslaven auch ,St. Pieter krijgt 
klop' (S. 150 f.) und nicht minder der Schwank vom Schmieden, der den Teufel 
festsetzt (289 IT.), d. t. die Geschichte vom Gevatter Tod, die Gustav Meyer als 
international nachgewiesen. Von der allgemeinen Verbreitung der beigebrachten Her- 
sagen ist nichts zu sagen, nur muss man sich wundern, dass im Ursprungslande 
einer der ältesten gedruckten Fassungen der Rcineckesagen die Tiersagen keine be- 
sondere Ausbildung erfahren haben. Es scheint, als ob die mündliche Überlieferung 
von Volk zu Volk nachhaltiger die Folklore der Niederlande beelnSttSSte als das ge- 
druckte und leicht vergessene Büchlein, das der Gelehrtenfleis neuwieder ans Taglicht 
gezogen. — Die Stoffanordnung ist übersichtlich, beweist aber mit dem Anhang, dass 
die übliche Katalogisirung der Erzählungen in Rubriken, deren Namen die Volks- 
kunde der alteicn läteiargeschichte entlehnt, nn/urciclund ist und dass bei solchen 
Materialien ein ausfahrliclies Schlagwörterverzeichuis am ehesten unseren Bedürfnissen 
gerecht wird, man mauste denn ( ine international gütige Nomenklatur fttr immertPirie- 
derkehrende Sagen uml Märchen feststellen. l>as Hesse sich machen. 

Die Bilder, die in altniederländischer Holzschnittmanicr gehalten sind, liefern einen 
anmutigen Schmuck des prächtig ausgestatteten Buches, das jedem Folkloristen eine 
Freude bereiten muss. Krauss. 



Pol De Mont & Alfons De Cock: Dit sij'n Vlaamseke VerteU 
seh uit Jett Volksmond opgeschrenen. Met 30 Teekeningsn van Karcl 
Doudelct. Gent, Van Der Poorten & Deventer, Kluwer & Co. 
l8g8. XVI, 452 .S. gr. S". 




232 



Dr. Simon Mandl, Rabbiner in Kostel : Der Bann. Ein Bdirag 
zum mosaisch-rabbinischcn Straf recht dargestellt nach der Bibel und der 
rabbinischen Literatur. Brünn 1898. B. Epstein & Co. 51 S. gr. 8". 

Die Türken haben auf der Balkanhalhinsel den Christen den Popen und den 
Franziskaner zum Kadi aufgenutigt, in Mitteleuropa dagegen die römischen Kaiser 
deutschen Reiches den Juden den Rabbiner ab einen Seelsorger nach Art katholischer 
Pfarrer. Das Rabbinat ist seinem Ursprung nach gar keine iüdische Institution und 
daher nehmen im Grossen und Ganzen die Rabbinen in den judi^clien Gemeinden 
keine beneidenswerte Stellung ein. Eine Ausnahme bilden jene Ralibinen, die sich 
mit der Tliora, d. Ii. der Wissenschaft heschSftii^en und sieh als Gelehrte ein Ansehen 
zu vcrscliafleii vcrmugcu. 1 reilich sind die BcgrilYc der Menge der stimm- und wahl- 
berechtigten Gemeindemitglieder von der Wissenschaft grundverschieden von den 
«nsrigen , die wir den Feinheiten und Schönheiten der Theologie und Kanzclbered- 
samkeil nicht nachgehen, aber auclr die Rabbinen kümmern sich durchschnittlich um 
die Volks- und Völkerkunde nicht. Das muss man lebhaft bedauern; denn die sehr 
umfangreiche jüdische Literatur, die einen Zeitranm von mindestens 25CO Jahren um- 
fasst und das Volksleben der Juden nahezu auf der ganzen Ökumene böten ergiebigen 
Stoff für ethnologische Untersncliangen dar. Das zeigt auch vorliegende, mit vielem 

Fleiss und soweit ich mir ein Urteil darüber erlaaben darf, mit grosser Gewissenhaf- 
tigkeit verfasste, von theologi-sch-rabulistischen Streifzügcn freie Untersuchung. Der Vf. 
strebte eine möglichst erschöpfende Zusammenstellung aller in der IJteratur vorhanden 
nen Angaben an, um ein Bild der geschich'liehen F.ntwicklung des Bannes zu liefern. 
Die Geschichte des Bannes kann nur vom ethnologischen Gesichtspunkte aus erörtert 
werden, etwa im Anschluss an Dr. A. H. Postas Schriften. Die drei Kapitel (der 
Bann im biblischen und im talmudisthrn Schrifttum, in den rabbini>ehcn Codices) 
geben scheinbar einheitliche Gruppen, während es sich im Einzelnen um verwickelte 
Probleme handelt, die ein Theologe mit seinen isoltrten Mitteln unmöglich lösen 
kann. Eine brauchbare und hübsche Vorarbeit für den Erforscher ethnologischer 
Jurisprudenz ist die Schrift zu nennen, und darum ist sie nützlich. 

Auf S. 17, Anm. erörtert Vf. die Etymologie von Cherem-Bann. Der Verweis auf 
das griech. charme(?) ist unzulässig. Aus karma entstand (H)armatol = der Krieger, 
aber das arab.-türk. Aramija oder Haramija = der Räuber (auch bei den Siidslaven) 
ist der Vervehmte, der aus der Gesellschaft Ausgesto.ssenc, der mit Rann Belegte. Im 
Guslarenliede unterscheidet der Sprachgebrauch ziemlich genau zwischen Hajduken, den 
unabhängigen Mili/ni'inncrn des TT>)eh\valdes und den arainije prokletnici Aramis den 
Vertiuchlen, mit denen selbst die Hajduken auf Kriegsfuss stehen, .\raoibasa ist türk. 
ein Räubcrhäuptling, und dieser Ausdruck verdrängte den altslav. Cetovogja und 
vojvoda fiir Rottenhauptmann. Kraasa. 



IX. Ausweis 

über die zur Gründung einer Urquellstiftung von 10,000 Fl, eingeflossenen Spenden; 

Stand des Fonds (vrgl. Urquell, N. F. Band II. S. 98) S60 Fl. ö. W. 

Herr F. D. Mocalta in l.ondun .. 200 « n Ji 

Hoch würden Herr Vilim Korajac, Stadtp&rrer in Semlin ... SO « » » 

Herr Josef Reckmann in Wien ^ -n ■» 9 

Herr 11. N. in Wieu 10,,ig 

Herr W i 1 h e 1 m W o 1 f g a n g , 7 ■ » » 

Herr Kariolics in Wien (einen Fundgewinn) X«»« 



Zusammen 1136 Fl. ö.W. 

Weitere Spenden ilberoimmt der derzeitige Verwalter der Urqtiellstiflttng 

Wien Vll/a. Neustiftgasse l«. n- ir • j • t. e ir 

' * Dr. Friedrich S. Kraus«. 



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Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. THRILL. 



Archiv für Ethnographie (Internationales), hrsg. von Dr. Krist. Bahnson, Copen- 
hagen; Prof. F. Boas, Worcester, U. S. A.; Dr. G. J. Dozy, im Haag; Prof. E. H. 
Gii;lioU, Florenz: A. Grigorlefi St. Petersburg: Prof. E. T. Hamy. Paris; Prof. H. 
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Ocngarang ÖJ»'^^)' Prof. G. Schlegel, Leiden; Dr. J. D.E. 
Schnleltz, Leiden ; Dr. HJalmar Stolpe, Stockholm ; Prof. E. B. Tylor, Oxford. — 
Redaction: Dr. J. D. JE. Schmeltz. 1887—1897. Vol. I— X. (Mit schw. u. coL Taf.). 40. 
Vannee Je 6 livr. /' 12. — 

Supplement zu Band 1 : 

Otto Stoll, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. 2 
cül. Taf.). 40 / 4.— 

Supplciucut zu Band III : 

Max Weber, Ethnographische Notizen über Fliires nnd Celcbcs. 1S90. (Mit 8 
col. Taf.). 40 y y — 

Supplement zu Band IV: 

David Mac Ritchie, The Ainos. 1892. (Mit 1 7 col. ui 2 schw. Taf.). 4". / 12. — 

Supplement zu Band V : 

\V. Jücst, Ethnographisches und Vei"wandtcs aus Guyana.' 1S93. (Mit 2 cöl. u. 6 
schw. Taf.). 4O / 6.— 

Supplement zu Band VII : 

F. W. K. Müller, Nang, .Siamesische Schattenfiguren im Kgl. Museum für Völ- 
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit 4 schw. u. 8 col. Taf.). 4t* f 9. — 

Supplement zu Band IX: 
•^Ethnographische Beitrüge. Festgabe zur Feier des 70*'«n Geburtstages von 
Prof. Ad. Bastian. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4» . . . / 6.— 

Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeitschrift bis jetzt 
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecuniä- 
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen 
Subscribcntcn auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der 
noch vorhandene geringe Vorrath dies gestattet, zu ermässigten Preisen zu über- 
lassen, und zwar: 

Bd. I — X (Ladenpreis 210 Mark) zu M. 150. — . 

Bd. 1 — X mit sämmtlicheu Supplementen (Ladenpreis 28S Mark) zu M. 170. — . 

Da von den letztgenannten sieben Bänden mit sammtlichen Supplementen nur 
noch sehr wenige vollständige Exemplare abzugeben sind, dürfte es sich emp- 
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zu ertheilen. 

Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner- Arabien. 1896. Theil I. 8*. Mrk. 7.50 

Jacobs , J., llet Familie- en Kamponglevcn op Groot-.\tjeh. Eene bijdrage tot de 
ethnographie van Noord-Sumatra. Uitgeg. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk. 
Geuootscbap. 1894. 2 dln. (Met 17 phot. lith. en 6 gekl. platen) gr. in-8°. Mrk. 25.50 

gebunden . . Mrk. 28.90 

Landberg, C. de, Bdsim le forgeron et Hdrön Er-Rächid. Texte Arabe en dialecte 
d'lSgypte et de Syrie. Public d'apres les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et 
accompagn^ d'une traduction et d'un glossaire. I: Texte, tradition et proverbes. 
1S88. 8"» Mrk. 5.— 

Martin , K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf 
gegründete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-8°. Mrk. 34., — 

Martin, K., Reisen in den Molukken, in Ambon, den UUassem, Seran (Ceran) und 
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung 
der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf., 
I color. Karte und 18 Textbildern), gr. in-8° Mik. 21. — 

Spitta-Bcy, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits. Texte arabe en caract. 
l:it. avec la traduction frang. 1883. 8* Mrk. 6.50 



INHALT. 



- " • * ■ ' . Seile 

Von der Wiedergeburt Totgesagter Von W. Caland. .' , . 193. 

Notizen zur Geschichte der Märchen und Schwanke. Von Juljanjaworskij . 195. 

Perchta. Von Dr. M. Höfler 199. 

Der Tote in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beitrag aus Por- 
tugal. Von M. Abeking , 202. 

Volksmedizin aus Niederösterreicli. Von J. Bök 210. 

Unbestimmte Zeit. Von A* Treijchel 214. 

Knicker — Kugel — ^teinis. Eine Umfrage. Von Jos. Buchhorn . . . 218. 

Der Nobelskrug. Eine Umfrage von R. Sprenger. Beitrage von A. T rei- 
che! und Krauss 219. 

Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorsprossen. Eine Umfrage von 

B. Lauf er. Beiträge von Adolph Löwy und R. Sprenger . . . . 220. 

Judendeutsche Sprichwörter aus Ostgalizien. Von Isaak Robinsohn . . . 221. 

Beiträge zur Volksjustiz im Bergischen. Von Otto Schell 222. 

Fabeltiere im altjUdiftchen Volksglauben Von L. Mandl 227. 

Zum Vogel Hein. Eine Umfrage von Franz Branky. Beitrag von Lehrer 

Rabe 228. 

Folkloristische Findlinge. l. Lebende Tieropfer. Von — r. — 2. Blauer Safran. 

Von Bk. — 3. Donnerkeile. Von Jos. Stibitz 230. 

Vom Büchertisch. Werke von Asmus und Knoop, Pol de Mont und A. 

De Cock, S. Mandl. Angezeigt von Krauss 331. 

IX. Ausweis zur Urquellstiftung . 232. 



Wir bitten unsere Mitarbeiter^ sich aus Röcksicht für unsere holländischen Setzer 
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lateinschrift zu bedienen. 

Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf 25 Sonderabzüge seines Beitrages; bedarf er 
ihrer mehr, mag er sich deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einver- 
nehmen setzen. . • ^ 

Der Urquell erscheint regelmässig in Doppelheften. Der Suhscriptionspreis für den 
ganzen Jahrgang beträgt: 4 Mark. = 5 K. = 5 frcs = 2.50 fl. l /. 

Abonnements können auch bei der Redaktion des Urquells, Wien VII/2. Xeustift- 
gasse 12 angemeldet werden. 



Druck der „Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. Brill' 



DER URQUELL. 



Eine Monatsckrift für Volkskunde. 

Herausgegeben 
. Friedrich S. Krauss. 



Dm Volkitiwi- S«t der-Vtaicer Jungbraimeiu 



Der neuen Folge Baad IL Heft ii und 13. 




BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI 

Tormala 

E. J. BRILL 



G. KRAMER Verlag 
in HAMBURG. 

St. Emvli, Thalstr. «4, t 



RrtM tto i; Wien, Ottendchf vn/a» NeasUftguM is. 



An die Freunde des Urquells! 



pg;^ Es liegt mir die Verpflichtung ob, ein umfangreiches Werk über die pri- 
mitiven kriegerischen Organisationen der Slaven, als eine Fortsetzung zu meinem 
Buche tiber , Sitte und Brauch der Südslaven' zu vollenden. Ueberdics muss ich 
meiner Zusage gemäss, eine Gesamtausgabe der besten Schriften meines verewig- 
ten Freundes Eduard Kulke veranstalten. Um Müsse zur Erledigung beider 
Aufgaben zu gewinnen, sehe ich mich genötigt, im Erscheinen des Urquells eine 
Unterbrechung eintreten zu lassen. Die Freunde der Volkskunde werden voraus- 
sichtlich dabei nach keiner Richtung hin zu kurz kommen, denn auch Kulke's 
Nachlass birgt manchen für unseren Wissenszweig kostbaren Stoff. 

Wien im Dezember 1898. Friedrich S. Krauss. 



Einläufe. 

Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn, hrsg. v. Prof. Dr. Anton Hermann, 

Budapest 1898. 13. VI.' [Sehr reicher Inhalt]. 
Letopis Matice Srpske (Jahrbuch der serbischen Bienenkönigin). 1891 — 1898. (Heft 

166 — 196). Eine Fundgrube für die Serbenkunde. Red. Milan Savic. 
Grünhut, Dr. L. : Midras Sir Ha Sirim. Zum i. mal nach einer aus d. 12. Jahrh. 

stammenden, in Egypten Hs. edirt usw. usw. Jerusalem 1898. 
Godisnjak Srpske Kr. Akademije (Jahrl). der Srb. kgl. .\kad.) 1897. S. 274. Belgrad 1898. 
[Bastian] : Lose Blätter aus Indien, VI. Berlin, D. Reimer, 1898. 151 S. gr. 8*. 
Bjerge, Poul: Aarbog for Dansk Kulturhistorie, Aarhus 1898. S. 191 (Enthalt S. 

lo — 76 eine Abhandlung über Gäder [Rätsel] von H. F. Feilberg). 
Gavrilovic, A.: Spomcnica o prenosu praha Vuka Stef. Karadiica iz Beca u Beograd 

(Gedeukschrift von der Überführung der Überreste Wolf St. K. aus Wien nach 

Belgrad) 1898. 384 S. gr. 8«. Ed. v. d. Scrb. kgl. Akademie. 
Höfler, Dr. M. : La pcsic di Freto. Amsterdam 1898. 5 S. 
Winternitz, M. : Witchcraft in Ancicnt India. 20 S. 
Brunk, August: Plattüeutsche Volkslieder aus Pommern. S. 31. Lex. 1 . 
Brinton, D. G. (Separatabdrücke): The factors of heredity and cnvironmcui in man. — 

The peoples of the Philippines. — The archaeology of Cuha. — Note on thc cri- 

teria of Wampum. — The Dwarftribe of thc Upper Amazon. 
Schwarzfeld, M. : Evrei in literatura lor popularä sau cum sc judecä evrei insusi 

studiu elnico-psichologic. Bucaresti 1898. — Chazari sau Evrei? Rcflcxii critice pe 

tärlmul folkloric. — Poesiile populäre, Colcctia Alecsandri sau cum trebue culese 

si puhlicate canticele populäre. Jasi. — Llt. pop. Israclita ca elementi etn.-psich. — 

Scrisoare c&tre dumnezeu cercetare folcloristica. — Evrei in Literatura populari 

Rom.mä. Buc. — Basmul cu pantoful. studiu folkloristic. 
Saineanu, Lazar: Jidovii sau Tatarii sau Uriasii. 8 S. 

Gaster, Dr. M.: Basme evreesti de o mie pe ani. 1S96. 16 S. — T i'en'Mra popularä 
evreo-spaniolä.. 13 S. 

Strele, Richard von: Wetierläuten und Wetterschiessen. 1898. 24 S. .München. 

Boas, Franz: Traditions of the Tillamook Indians, S. .\. 127 p. — Introduction to tradi- 
lions of the Thompson river Indians of British Columbia. S. A. Amer. F. L. Soc. VL 

Treichel, A. : Fleischpilze aus dem Kreise Berent. S. A. — Nachtrag zur Pielchcn 
oder lielltafel. — Volkstümliche Bruchrechnung usw. — „Bubeschenkel". — Pilz- 
Destillate als Rauschmittel. 

Laufer, B. : Studien zur Sprachwissenschaft der Tibeter. Zamatog. München l8g8, 73 S. S", 



Insertionen — Beilagen. 

Es wird höflichst gebeten, sich für Inserate und Beilagen ausschliesslich an 
die Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. BRILL in Leiden wenden zu wollen. 



Ein Vorrecht der Volkskunde. 

Ein Bericht von Krauss. 

Die Zeufitr^ in Siife^ Bratuk und Glauben der Sädtlawn, 1. TeiL 
Lieder. Verlag von H. Welter. Paris, 1899. ULftnrrdtsn, t. VL 

Vor anonym erscheinenden Schriften muss man auf der Hut sein; 
denn es ist oft der Fall, dass der Verfasser guten Grund hat, 
Versteckens zu spielen und den Leser zu narren. Bei diesem Werke, 
das mich zum Urheber hat, entfiel die Namensnennung nur mit 
Hinweis auf die früheren Bande der Kryptadien^ammlung, die auch 
namenlos erschienen sind. Armut und einen dicken Bauch kann man 
nicht verbergen, sagt das Sprichwort, uiul ich fuge hinzu, auch seine 
wissenschaftliche Methode und seinen Stil nicht. Ich hatte mich sonst 
genannt, denn ich fürchte niemand und brauche mich meiner Arbeit 
nicht zu schämen, so s^^handlich und siebenfachen Eckel erregend 
stellenweise ihr Stoff dem einen und dem anderen Neuling in der 
Volkskunde auch vorkommen mag. Bastian bemerkt in seinen 
»Losen Blättern aus Indien' (VI. 1898, S. 16. Berk Dietr. Reimer) 
mit Hinblick auf derartige Untersuchungen: „So widrig abstossend 
auch diese Dinge sind, so wenig dürfen sie doch ausser Beacht 
gelassen werden. Der Arzt wird sich durch stinkende Jauche nicht 
abschrecken lassen, einen Eiterungsprozess zu untersuchen, und so 
muss die ethnologische Sonde zur Erprobung eingesenkt werden, 
wo es solcher bedarf." 

Sehr schön, verehrter Altmeister, aber dem Arzt muss sich der 
Kranke anvertrauen, uns aber hält er in diesem Falle för müs^e 
Vorwitdinge, die ihn unnütz behelligen. Si duo idem faciunt, non 
est idem vor dem Tribunal des grossen Publikums mit gesundem 
Menschenunverstande. Dann wird auch mancher verblüfft fragen: 
Ja, wo hast du, Krauss, alle diese unerhörten Säuereien aufge- 
klaubt^^ Du musst dich wohl jahrelang unter dem Abschaum der 
Gesellschaft bewegt haben, um derlei so genau zu erkunden!' 
ßtwas wahres ist vielleicht daran, denn man kann sich Tatsachen 

16 



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^34 

des Volkslebens nicht aus dem kleinen Finger heraussuzcln, nur 
gilt auch hier das Wort vom Reinen, dem alles rein ist. Der Arzt, 
der ein Buch über die sogenannten geheimen Krankheiten veröf- 
fentlicht, braucht nicht ein einziges von den beschriebenen Leiden 
am eigenen Leibe durchgeprüft zu haben, um deren berufener 
Kenner zu heissen. Umständliches, wissenschaftHches Beobachten 
der Erscheinungen bei den Rehafteten, Befallenen und Belasteten 
reicht zu dem Forschungszwecke vollkommen aus. 

Auf die Gabe der Bcobachtun«/ und die darin durch Selb.st- 
zucht gewonnene Kunst fertii^kcit kommt es an. Wer unbefangen 
ist, wird bald herausfinden, dass meine bescheidene Arbeit dem 
Ethnologen reichlich mehr und ergiebigeres Material liefert als 
R. V. K ra fft- E b i n s klinisch-forensische, dicke Studie: ,Psy- 
chopathia scxualis mit besonderer Berücksichtigung der conträren 
Sexualempfindung'. Er hat den kranken Menschen vor sich, die 
anwidernde Ausnahme. Er urteilt schier, wie einer, der in jedem 
Menschen einen Kranken wittert. Und dabei sind ihm doch 
einige Formen sinnlicher Verirrung, so z. B. die chrowotische 
Triebe, die ich beschreibe, unbekannt geblieben. Und weil er es 
als Arzt nur mit vereinzelten Individuen jeweilig zu tun hat, die 
er heilen oder vor der Wucht unserer veralteten Strafgesetze 
verschont wissen möchte, entgeht ihm das ethnologische Moment, 
das bedeutsamer ist. Die ihn oder einen anderen Arzt seines 
Sonderfaches aufsuchen und jene, die vors (Bericht gelangen, sind 
schon auf den letzten Taken, wir Folkloristen dagegen suchen 
das Volk auf und stellen die Xorm, das allgemein giltige fest, 
wobei es für unsere Forsc hu nijsz wecke ohne Belang ist, ob dieser 
oder jener Brauch gesundheitgefahrdcnd sei oder im Widerspruch 
mit dem Oesterr. Stgsb. § 128. 132, ]). Stgsb. § 174. 176^ steht. 
Es wäre daher durchaus falsch, die Südslaven von unserem geläu- 
terten und verfeinerten moralischen Gesichtspunkte aus zu beur- 
teilen. Man muss sich solcher konventionellen Anschauungen be- 
geben und ohne Voreingenommenheit in den Gedankenkreis des 
uns scheinbar urfremden Milieu's hineinleben iiucsentlich fremd sind 
ja derlei Dinge auch dem deutschen Bauernvolke nicht) ; so kann 
man gerecht sein, ohne zu richten, denn zu richten utui rw rech- 
ten, ist nicht Saclie des Ethnoh^L^en. Ich will rl inii: nur sagen, 
dass unsere Methode zu forscheu nicht minder unanfechtlMr ist als 
die des Psychiaters und dass man sich am Geiste der freien Wis- 
senschaft versündigt, wenn man just unsere einschlägigen I-'orschun- 
gen schmählt und schilt. „Das traurige Vorrecht der Medicin und 



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235 



speziell der Psychiatrie, dass sie beständig die Kehrseite des Le- 
bens, menschlicher Schwäche und Armseligkeit schauen muss»" 
geniesst im vollen Maassc auch die Volksforschung. Wer, als nur 
ein Dummkopf oder ein Böswilliger, kann die Richtigkeit dieser 
altbackenen Wahrheit bestreiten ? 

jetzt vor 12 Jahren schrieb mir aus Marienbad mein seither 
verewigte Freund Prof. Isidor Kopernicky, dass er an den 
damals bei den Gebrüdern Henninger in Heilbronn verlegten 
Kryptadien mitarbeite und lud mich ein mitzutun. Er wollte 
mir die bis dahin veröffentlichten Bande leihen. Ich lehnte aus 
Schonung der Vorurteile gewisser Leute alles ab und auch, weil 
mir vor den Sachen graute. Da er wusste, dass ich mich als 
Sammler um derlei emsig bekümmert hatte, verlangte er Aufzeich- 
nungen und ich überliess ihm beiläufiL; 150 zwei- und eindeutige 
Rätsel und etwa 30 Lieder, von deren Verbleib ieh seither nichts 
mehr erfuhr. Ich wollte daniit wirklich nichts zu schafTen haben, 
doch im Rntc slovenischer und chrowotischer Göttermacher und 
Antiquitätenerhnder ward der Heschluss gcfasst worden, mir Ehre 
und Seele und bürgerlichen Erwerb al)zu.schneiden. Literarische 
Gaukler, die ich niemals gekannt und genannt, denen ich mein 
Lebtag auch nicht das allergeringste in den Weg gelegt, streuten 
über mich die abscheuiiclisten und nichtswürdigsten Verläumdun- 
gen aus, die meinen greisen Eltern schweren Kummer bereiteten. 
Aus Notwehr fasste ich den Vorsatz, das Treiben dieser seltsamen 
Biedermänner näher kennen zu lernen und aufzudecken. ,Die Böh- 
mischen Korallen aus der Götterwelt' '), mit denen ich die Taten 
und Meinungen der Afterfolkloristen beleuchtete, bewirkten, dass 
die Kläffer von mir abliessen, weil sie mit sich zu tun bekamen. 
Die Cardinalluge der sudslavischcn Schwindler, dass von ihrem 
Humbug Ehre und Ansehen des Slaventums abhänge, fieng man 
nun zu wmrdigen an. Vollends brach über meine Schrift unter 
der studircnden Jugend ein Jubel aus, weil sie sich dadurch 
der gehirnerweichenden Verpflichtung entbunden sah, die öden 
Phantastereien der Gdtterfabnkanten zu buft'eln. So unsittlich und 
schmachvoll das Gotter- und Antiquitätenerzeugen auch ist, über- 
troffen wird es noch von der verwerflichen Lebens- und Schreib- 
weise der Fabrikanten. Nachdem ich diese übelriechende Campagne 
durchgemacht, konnte ich leicht jede Scheu vor einer Publizirung 
meiner Kryptadiensammlung bezwingen, und dies um so mehr, als 



i) Zweites Tausend. Verlag von Low it. Wien, 1897. 



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236 

auch diese Arbeit dazu beiträgt, mit den in die slavistische Lite- 
ratur eingeschmuggelten Alfanzereien aufzuräumen. 

Wenn man den wunderlichen Oft'enbarungcn der bewussten 
Mythenerdichter lauscht, muss man glauben, dass es bei den 
„alten" Slaven noch langweiliger und verlogener zugieng als in 
den G e s s n e fischen Idyllen, in denen freilich noch ein Hauch 
sentimentaler Salonpoesie weht. Der Unterschied zwischen Männlein 
und Weiblein bestand darnach blos darin, dass die Manner 
keine Kitteln trugen , und wie die Volksvermehrung denn doch 
erfolgte, bliebe ein ewiges Geheimnis, hätte nicht die südslavische 
Akademie durch Propagirung einer „himmlischen Schwerenots- 
mutter" den Schleier ein klein wenig gelüftet. Wollte es einer 
unternehmen, unter klassischen Philologen oder unter Chenukcni 
mit Fälschungen und nichtigen Erdichtungen vorwärts zu kom- 
men, er würde gar bald unter der Last allgemeiner Verachtung 
zusammenknicken. In der .slavischen Folkloristik war dies bis vor 
kurzem ganz anders. Wer sich für einen Retter und eine Stutze 
des Slavcntuin-. ausgab oder als Sprössliiig urslovcniscliei oder ur- 
chrowotischer Aliucn erklärte, gewann damit einen Freibriet, allen 
erdenklichen Unfug auch auf dem Gebiete der Volkskunde straflos 
zu verüben. 

Die ernüchterten und ernsten F.icligenossen, die es satt bekom- 
men, sich unter dem Vorwande des slavischen Patriotismus und 
der Wahrung slavischer Nationalität ulken zu lassen, werden aner- 
kennen, dass meine Publikation, obwohl ihr Inhalt nur unmoralische 
Sitten und Gebräuche behandelt, durchaus moralisch zu nennen 
ist; denn das Suchen nach der Wahrheit und dem Zusammenhang 
der Dinge ist der vornehmste Ausdruck der Sittlichkeit. 

Das Werk bringt neben den einleitenden Abschnitten, die man 
aus Rücksicht auf das Pressgesetz in einer jedermann zugänglichen 
Zeitschrift nicht besprechen darf, hundert und fünfzig chrowotische, 
serbische und bulgarische Volksliedertexte mit Verdeutschungen. 
Es ist zum Teil wichtiges Material für die vergleichende Literatur- 
geschichte und namentlich Poesie. Das Nachtigallenmännchen schlägt 
die entzückendsten Triller an, wenn es um das Weibchen wirbt. So 
zählt auch so manches unter den erotischen Liedern dieser Samm- 
lung zu den lieblichsten und vollendetsten Blüten südslavi scher 
Volksdichtung. Der feinste und der gröbste Witz, übermütiger, 
launigster Humor des Liebegirrenden, der Jammeraufechrei der 
Entehrten, das Gewinsel des Angesteckten, die Verspottung der 
Männersüchtigen, die Neckreden der Urninge und das Geprahle der 



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237 



Päederasten, sprudelnde Lebenslust und viehische Brunft kommen 
in diesen Liedern kräftij^ und klar verständlich zur Aussprache. In 
gewissem Sinne sind auch die Südslaven vom Stamme jener Asra, 
welche sterben, wenn sie lieben. Sie heben im Übermaasse tollen 
Genuss; sie entarten leiblich und geistig und verkommen wirtschaftlich. 

Nach diesen Texten, in denen sich un verhüllt das Volk selber 
schildert, erscheint ein von dem landläufigen wesentlich verschie- 
denes Bild der sexuellen Verhältnisse bei den Sudslaven. Von der 
berüchtigten Sittenverlotterung und -Fäulnis der sogenannten guten 
Gesellschaft bei den Chrowoten soll hier ebensowenig als in meiner 
Schrift eine Rede sein; das raffinirt gezüchtete Laster, das im Sumpf- 
luftbereich chrowotischer Bolitik üppig gedeiht, liegt ja ausserhalb 
unserer Betrachtung^. Wir sprechen vom Bauernvolke. Unter den 
unverheirateten LcL.tc!i herrscht vor der Rheschlicssung, bis sich das 
Frauenzimmer in die Mundschaft eines Mannes begibt. L/clcLientlich 
eine Art freier Liebe oder geschlechtlicher Promiscuität innerhalb des 
Dorfbezirkes vor. Aus manchen Gründen könnte man der Ansicht 
sein, dass diese Erscheinung grösstenteils ein verhältnismässig junges 
Entwickiungsergebnis sei, das nach dem Zerfall der alten väter- 
rechtlichen Hausgemeinschaft und StammgHederung, sowie der Ab- 
schwächung der patria potestas von selber eintrat. Ich bleibe indess 
mit der Formulirung meines Endurteiles noch zurück; denn man 
hat sich unter anderem vor Augen zu halten, dass der Bestand der 
väterrechtUchen Hausgemeinschaft keineswegs die geschlechtliche 
Promiscuität unter ledigen Leuten ausschüessen muss und dass sich 
geschlechtlicher Umgang dieser Art noch lange nicht mit dem 
Begriff der Prostitution deckt, ja dass er sogar mit Ehrbarkeit, fast 
möchte ich sagen, mit Keuschheit, nicht unvereinbar ist. 

Die eigentlichen, geschlechtlichen Ausschreitungen unter den 
jungen Leuten sind, was auch besonders angemerkt zu werden ver- 
dient, nicht endlos, sondern fallen hauptsächlich in die erste Herbst« 
zeit nach erledigter Einheimsung der Feldfrüchte. Es kommt einem 
vor, als ob sich die mannbare Jugend während zweier, dreier Wochen 
im Jahre, wie liebestoll geberdete. Sie stampfen ganze Nächte hin- 
durch den Reigen bis zur Erschöpfung und singen bis zur Heiser- 
keit vorwiegend die obszoensten Lieder. In Grossstädten hatte ich 
einigemal Gelegenheit, den übel berufenen Cancan tanzen zu sehen, 
aber ich meine, dass ihm ein herbstlicher Kolotanz, den hochge- 
schürzte Mädchen, den Busen voll stark duftender Blumen und 
Kräuter, mit angetrunkenen Burschen im fahlen Mondschein auf- 
fuhren, an sinnlich aufregender Macht erheblich überlegen ist. Es 



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238 

ist auch ein bedeutender Unterschied, ob nian einem Cancan zu- 
schaut, den gemietete Personen protessionell tanzen, oder ob man 
Junglinge und Mädchen vor sich sieht, die sich im wilden Kolotanz 
schwingen, weil sie dem Ansturm des Geschlechtstriebes gehorchen 
und den ererbten Brauch befolgen. Entschieden hat man es mit 
einem ererbten Brauch zu tun, und ich möchte nicht von vornher- 
ein die Vermutung abweisen, dass diesen herbstÜchen Tänzen ur- 
sprünglich irgendwelche reHgiöse Motive mit zu Grunde gelegen 
seien. Recht anschaulich bei aller Knappheit und Zurückhaltung 
schildert Vuk Vröeviö im Niz srpskih pripovjcdaka (PanCevo 
1881, S. 326 f.) aus dem Herzogtum einen Herbstreigen, den Mäd- 
chen einberufen hatten. Es kam damals zu einer blutigen Schlägerei 
unter den Burschen, die sich in Liebeswut um die Mädchen rissen 
und sie einander streitig machten. Mit einer nicht geringen litera- 
rischen Feinföhltgkeit weiss Vr£evi£ das punctum saliens des 
Vorfalles, der so schlimm zu der als Vorbild fiir die Städter an- 
gepriesenen Sittenstrenge und -Reinheit seiner Gestalten passt, zu 
umgehen und das Hauptgewicht auf die nachträgliche Vermittlung 
der Friedensrichter zu legen, lässt es aber auch auf der Andeutung 
des Verlaufs beruhen. Ein Folklorist unserer Richtung würde den 
Voigang zweifellos umständlich beschrieben und ebenso zweifellos 
im Süden keinen Drucker und Verleger für seinen Bericht gefunden 
haben. 

Nicht blos der Reigen, auch die fiir den Reigen bezeichnenden 
Lieder sind nicht von gestern und heute. Der im Reigentanze häufig 
bis zur Raserei aufgestachelte Geschlechtstrieb erheischte auch in 
«alter Zeit** naturgemässe Befriedigung, und da verheiratete, unter 
Mundschaft eines Gatten befindliche Frauen vom Reigen ausge- 
schlossen waren, durften nur die Teilnehmer des Reigens, also die 
ledigen Leute einander froh werden. Ihre Lieder konnten unmög- 
lich in Vei^essenheit geraten. Man bewahrt ja zum Gebrauch gern 
das altüberkommene, zumal da, wo es mit der Erfindergabe happert. 
Im alten Volke ersinnt man nicht sobald neue Lieder. Es hat 
darum wenig zu bedeuten, dass die mechanische Niederschrift der 
Texte metner Sammlung gar nicht alt ist und dass die anderweitigen 
,alten*', publizirten Texte diese Seite des Volkstums kaum berühren. 
Die früheren Sammler gaben im Grund genommen blos ausgewählte 
Proben der Volksdichtung zum Besten, die die Sittlichkeit, oder 
was man darunter verstand, nicht grob verletzen. Die Guslaren- 
lieder, auf die es hauptsächlich ankommt, wurden sogar kastrirt 
edirt; zudem erzählen sie in erster Reihe von der Lebensführung 



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239 

der bevorzugten ritterlichen Klasse, der Kriegerkaste der Bevölke- 
rung, nicht aber von der Durch.schnittsmenge des Volkes. Das geht 
soweit, dass man z. B. nur auf Grundlage der Guslarenlieder schwer- 
lich in der Lage wäre, ein halbwegs zutreffendes Gemälde der 
Hausgemeinschaft und der Stamnigliederung zu gewinnen, und ein 
grosser Teil des bäuerhchcn Volksglaubens bliebe uns ohne sonstige 
Quellen und Belege für immer unbekannt. 

Es ist vielleicht nicht überflüssig, bei dieser Gelegenheit hervor- 
zuheben, dass den Texten meiner Sammlung zufolge, die Anmaas- 
sung eines ius primae noctis, die von Chrowoten den bosnischen, 
moslimischen Edelleuten verläumderisch nachgesagt wird, nichts 
anderes, denn eine der abendländischen Literatur entlehnte Mythe 
ist. DieseFrage ist für die Südslaven, wie sich dies auch sonst 
harschan dartun lässt, rein gegenstandlos. 

Der zweite Teil dieser Schrift wird Sprichwörter, Rätsel, Zau- 
bersprüche, Sagen, Märchen, Schnurren und Schnaken enthalten. 

Damit das Buch nicht unter unreife Leute komme und Unheil 
stifte, ist die Auflage blos auf 150 Exemplare beschränkt. Zudem 
kostet jedes Exemplar 25 fr. Zum Überfluss wird es mit Vorzug 
an Universitätsbibliotheken und auch nur an Männer abgegeben, 
die es zu wissenschattiichen Zwecken studircn wollen. 

Ich wurde es neben der Anerkennung meiner Fachgenossen als 
den schönsten Lohn meiner Bemühung erachten, sollten sich ehrliche 
(veiinullich gibt es welche) SozialpulililvCi der Südslaven din'ch mein 
Buch angeregt fühlen, über die Mittel und Wege nachzusinnen, wie 
den angedeuteten, unsäglich beklagenswerten Misständcn, die den 
Chrowoten und Serben auf das Aussterbeetat setzen, wirksam ab- 
zuhelfen wäre. 



Knicker-Kugel-Steinis. 

Ein Umfrage ▼on Josef Buchhorn. 

IL Die Kugelspiele sind uralt und sehr weit verbreitet. Das unter 
der Kinderwelt von Niederösterreich allgemein bekannte Paschen, 
war schon, wie Grasberger bezeugt, auch den Kindern der alten 
Griechen ganz geläufig, nur warfen diese auch Würfel, Knöchel, 
Eicheln u. dgl. ins Grübchen. S. Dr. Karl Schmidt, Geschichte 
der Pädagogik, 1. B. S. 465 (Göthen 1886). 

Kugelspiele, denen sich unsere Jugend mit Eifer wiedmet, sind 
in ähnlicher Weise unter den Kindern der Polynesier heimisch, 
bemerkt Dr. H. Floss (Das Kind in Brauch und Sitte der Völker 



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240 



II. 294), wobei er zugleich auf Gerland, Die Völker der Südsee 
(S. 103) verweist. 

Die Knicker, kleine Kugeln von Thon, Sandstein, Marmor oder 
gar Alabaster, heissen im 01denbur<;ischen Murmel. Auch das 
Spiel wird so benannt: „Z?/V MKrinf! sind des letzte Spiel im 
Freien." (Aus dem Kindericben. Ohlcnburg 1S51. S. 17). 

Die Stcinkugel, die zum Auf tatzeles, { Auf tätscher Ics, Balletle 
oder Stemles) in Verwendung kommt, heisst in Heidelberg Ha- 
cker, am Rhein Bopser, in Tubingen dw Scklagerin, in Bühl Hopper. 
(Ernst Meier, Deutsche Kinder- Reime und Kinder Spiele aus 
Schwaben. Tübingen, 185 1, p. 145.) 

Einige Knopf und Kugelspiele habe ich in den Spielen und 
Reimen der Kinder in Österreich (Wien, Sallmayer und Komp. 
1876, S. 25) beschrieben: das DtinscJirollen, Bockscheiberiy Simmein, 
Tiktfiki, Patoky und das bereits erwähnte Paschen. 

Die interessantesten Thatsachen über die Kugelspiele bringt 
E. L. Roch holz im Alemanuischen Kinderlied und Kinderspiel 
bei, p. 420 fg.: 

Ovid und Philo erwähnen ein Spiel, das an das Spicken, ital. 
spiccare erinnert. Eine Papier-Handschrift aus dem 15. Jahrhundert 
meldet wie die GlasscJiusser gemacht werden. Hugo von Trim- 
berg spricht im Renner über die Trieb kugeln. Züricherische Sit- 
tenmandate verboten im 16. Jahrhundert sogar das Kluckern mit 
steinernen Kügelchen bei Strafe der Gätterei ; letzteres \\ar eine 
hölzerne Drehmaschine, in welcher der Sträfling bis zum Erbrechen 
herumgewirbelt wurde. Das Nordlinger Spielgesetz vom Jahre 
1426 erlaubt der Jugend u. A. auch Topfspiel imd SchellkügLichen. 
Der Name des Schncllkugelchens Glucker, holländ. klikker, scliemt 
dem Schall zu gelten, den es beim Aneinanderstossen macht, 

Klippel ist sein verwandter Name an Main und Donau. 

Fischart führt unter den 620 Spielen des Gargantua c. 25 
auch die des Grübleins und des Gluckerns und der breiten und 
halben Kugel an. 

Von Kugelspielen beschreibt noch Rochholz a.a.O. Schlosslein, 
Zeilt Grübli und Kugelitrölen. 

Aus Mones Anzeiger teilt J. V. Zingerle, Das deutsche Kin- 
derspiel im Mittelalter 2, Innsbruck, 1873, S, 28 die Stelle mit: „das 
sint du gelben kugelin, do die schuler mit spilen, und sint gar 
wolfcl." 

„Im Kleiderbuche der beiden Schwarz," heisst es weiter a. a. O. 
„spielt der kleine Mathias 1508 mit ScknellkügelckeH und der kleine 



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241 



Veit wirft etliche marmorne Klunkern in ein Grübchen mit der 
Beischrift : Es <^elt zwei Marbel, ich tuollt grad einschiessen. 

Das Kugelspicl hat in Wien auch den plastischen Darsteller ge- 
funden, Wol^^ang Schmält zl, der Schottenschulmeistcr, schil- 
dert im Lobspruch der hochloblichcn weitberuhmtcn königlichen 
Stadt Wien in Österreich den Predigtstuhl in der Stephanskirche, 
wobei er bewundernd ausruft: 



. . . . wo lebt ein mensch, der knn 
Von staiawerg so subtil ding machen? 
Mein hertz vor frendn tntr thet lachen. 

Die kitulltnn gleich wie in den lanff 
Sich narten, kherlen gugcl auff j 



Auch manche krot, Hdcr vnd schlang 
In stain gehaweu aufT dem gaug, 
Sich luttmbten, paumpten v^rs ich 
So frey als werens lebendig. 

(V. 460—468). 



Den Simplicissimus verdross es über die Massen dass er in 
schwedischer Gefangenschaft von dem Regimentsschulzen mit »Kind" 
angeredet worden ist: „Kind, was hat dir der Schwed gethan, dass 
du wider ihn kriegest?" Darauf ontwortete Simplicissimus: »Die 
schwedischen Krieger haben mir meine Schnellkugeln oder Klicker 
genommen; die wolle ich gern wieder holen. (Der abenteuerhche 
Simplicissimis, ed. j. Tittmann, 1. 245.) 

Franz Branky. 

III. Über dieses und verwandte Spiele im fernsten Ostasien 
handelt mit umständlichster Gründlichkeit Stewart Culin in 
seinem für die methodische Erforschung der Spiele überhaupt 
grundlegenden Werke: Korean Games with notes on the Corres^ 
ponding games of China and Japan. Philadelphia iii95> 

Krauss. 



Alte Segen. 

Mitgeteilt vou Otto Heilig. 

III, Pfeil- Sthuss- und Wvnäsegen nach Cod. l'al. gcrm. 264. Vgl. Iber diese 
Handschrift Urquell, der neuen Folge Band 11, Heft 5 und 6. Seite lOI. 

1 8<3t. Ein segen ein p/eil zu ziehen, N i c o d e m u s ein i u d e vnd r i 1 1 e r was, 
Der vnscrm herren Jhcsu Cristo die drei nageil aus henden vnd füsscn 7och. Als das 
ist, Als die wordt <^tnd, Also helff mir die waich saiu ta Maria vnd all hailigen gudt 
Kind, die in dem hicmmell vnd vff ertrich sind, Das ich diü eisen vnd schafft aus 
bluet vnd aus bain gedegen mUge vnd mas. In godtes namen amen; vnd sprich iij 
pater nostcr vnd iii nne mnrin vnd \ f^lauben. Wer nun diesen segen sprechen will, 
der soll verloben den suntag kain fläische zu essen. Des gleichen der man auch, dem 
man den pfeil zeucht, Vnd soll die xwen daumen gestreckt halten fftr die andern 
fin^'ci kreuc/weis vIrt ein ander T'uv den pfeü schus, auch wanden. Diesen segen 
soll man drew mol sprechen. — Dreutwcin. 

190 und Ein se^en^ -ioa» «iner mU eim pfeil ist geschossen. Sprich: Ich gebeut 



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242 



dir, pfeil, ia flatsch, in bluet, in gebain. Tch gebeat dir in dem namen des ▼atters 

vnd des suns vnd iU> hailigen gaists vnd dir lieben mutUr ^Taria, vnd liei den vier 
ewaogelisten vud bei dem längsten gericht, Das du herausgangest ou aller bandt 
scimierczen, Als vnser lieber berr ging aus seins vatters bercsen, Do in Maria ent- 
pfing. Tn dem namen etc — Jilg<-'- 

19^. f/ei/ vnä hoicz aus den wunden zu bringen. So Re recipe^ bloe wegrosen 
blnmen, zeidosen blumen, hirscben unscblit^ hasen scbmalcz vnd birschwnrcz. Das 
stos vnder ein ander vnd mach ein blaster doraus. Doruff nwe dan bullaer, gemacht 
aus hirechwurcz vnd magnetenstain, auch widcrthadt, vnd segen im vorhien die wund 
mit diesem segen vnd spricb: Ich gebeut dir, pfeil vnd stumpff^ in diesem 
blttcdt, flaisch. ^e1>ain vnd geeder. Bei godt dem matter vnd dem sune vnnd dem 
hailigen gaist, I)a> du heraus {»est nn allen schmcrczcn, Als mein frawe Santa Maria 
vnsern herren Jhesum Cristura gebar on allen schmcrczcn. Vnd als wor vnser herr 
Jhesns Cristus gienge aus sein vctterlicben herczen vnd sie in gebar on allen 
schmerc7en, Also wor mustu, pfeil oder sfumpff. au«; diesem bluet vnd flai^chc. Tn 
dem namen Godt des vatters vnd des sun> vnd dct. hailigen Ciaists, Amen. I diesen 
segen sprich alwegen zu dreien moln vnnd zu ieder fart. Bedt j pater noster vnd j 
anp Maria vnd gibe dem wunden zu drincken WL-in, dorinne hirschwurcz, diptam vnd 
hidw urcz gesotten sei. Gibc im auch zu essen hirschwurcz vnd eberwurcz. — M. w. Cal. 

21J. Wer geschossen vnrdt^ ein segen. Sprich: Longinus, Der was ein Jfide; 
da!> isi war, Vnd Longinus wn'« blint; das ist wore. Vnd Longinus stach vn?;ern 
herren Jhesum Crislum mit einem sper in sein kailig seitenn. Doraus ran wasser vnd 
bluet. Das ist wäre. Vnd Longinus der begert applas aller seiner sttnden. Das ist 
v arc. \x\i\ nl> warr da^; alles ist, als wäre gebe du pfeil heraus zn dieser firischL 
dem namen ... — Canczlcr. 

Anm. Fast wörtlich so ztb Bin pfeil segen. 

2\ti. Jfu'/i tirjcr gescfiossert wirJt mit ilm pf'U.^ ein segen. Sprich: In dem 
namen.... so hebe ich an: Crist ward geboren; das ist wore. Crist ward ver> 
loren; das ist wore. Crist ward wieder gefunden; das ist wäre. Vnd Crist warde an 
das hailig fron CrciK/ genagelt vnd j^i ljundcn : das ist wäre. Vnd als wäre das alles ist, 
als wore gehe du, pfeil, heraus zu dieser frischt. In gottcs namen Amen. — Canczler. 

22*. Ein segen ein pfeil aus tu tiegen mit den vtoaien vngenanten fingern. Sprich: 
In Godtes namen, amen. Nicodcmus was der man, der vnsmm herren die hai- 
ligen drei negell aus benden vnd ans füssen gewan. Also müssestu mir, pfeil, her- 
noch gan. Das helfT mir der man, der den vnschüldigen dodt an dem heiligen krencs 
namc. In Godtes namen amen. Vnd sprich v pater noster den v minnenden zaichen 
zu lobe vnd ere. Gibe auch v den vmh godtes willen. Wan du nun den segen 
sprichst, So lege die zwen nechsten finger bei den klain an den pfeile vnd zeuch 
domit. Er fulj^t. — C. barbirer, Dreutwein. 

23a. Ein Pfeil Segen. Also thu im : Setze die zwen namlosen finger, Idtweder halb 
dere wunden, Do der pfeil ein geschossen ist, ihc ein fmger vflF blosse handt vnd 
sprich: Das ist an; In Godtes namen, amen. Nun walt sein GodL Sanctus 
Longinus, der TiMisch rittcr der stach Hudt ein wunden. Doraus so gienge mensch- 
lichs bluet vnd ü jdtlicha wasscr. Sauet Longinus was bei im gar on hass. Sanctus 
Benedictns, der Godt aus seinen hcnden vnd füssen brach die nageil., die Godt durch 
sein hend vnd fii^s wurden geschlagen. Doraus gtcnge ein geruch, Der was gar 
zuekcr .süsse. Al.su gen aus eisen vnd bain vud aus flaisch. Das gebeudt dir der 
hailig her. Sant I,oni;inus Stach Godt ein wunden. Ist das wore. So gehe du eisen 
heran.-.! T>re\v mole sprich da«;: Nun gehe eisen heraus. Das r^ebeudt ich dir Bei 
der gebuit, die Maria vnder irem herczen druge, Vnd bei der hailigen weaterbare, 
Die Maria druge an irem Arm, vnd dem woren keuschen magdum, den Maria hedt. 
Iren ♦) herczon lieben *) sune vor mir an die erden, T>as du kainem menschen nilmmer 
schadest. Daz hei ff mir, Mein fraw Sancta Maria vnd mein fraw Sant feie vnd alle 
die hailigen, Die mit Godt seiot, Amen. Das ist gar ein gndter segen. Wisse auch 
für war. Das über hundertt mnlc vcrsüecht ist. — Durst. 

Anm. *) Über n der Worte ,Iren' und ,lieben' steht ein r, Satz lückenhaft. 

24<r. Ein Segen ein pfeile m aihen. Diesen segen sprich drew mole mit iij pater 
noster vnd iij aue maria. Vnd ziege In ans mit den zwaicn Godtfingera. Vnd wer 
dobei ist, Der Ilaisch gessen hodt an samstage oder vnkeuschhait uieben, Den hais 
wieder flaisch essen oder hien wc^c gen. Vnd [sprich] also: Longinus [was] der 



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243 



Jüde, Der vusein licrrcn Jhc^um Cristum slacli. Ich wais nit was er an 
im nch« Durch sein redUe seilen Er in stach. Doraus flösse wasser vnd bluet; Das 
was allcf; f^nr hailig vnd gudt. Das brocht vn^ hailes vrif! wunder ijros. Ich p;cbeut 
dir^ pfcile vud auch geschos, Bei der selben wunden vnd blutes ere, Das du gangcst 
vnd grusest sere aus diesem menschen vnd flaiscli vnd on bain, durch Maria die magt 
rahi. Die Jhcsum vnsem herren on wc genas, Der vatter gudt vnd mensch was vnd 
durch den hailigen laichnam fron, die nageli vnd ein krön vnd ein scharpfes 
eisercn sper — durch das alles vnd durch des hailigen dages ere, dü Godt die inarter 
an laidt. Das hclfT vns die hailig dreifaltickait, der vatter vnd der sone vnd der 
hailig gaist Amen. — Sigersdörffer. 

iii. Em foundt segen. Sprich: Drei seligen brttder gingen ein seligen 
Wege. Do begegnet in vnser her Jhesus Cristus. F!r sprach: „war wolt ir seligen 
brQder drei?" Sic sprechen: „berr vnd mainsler, wir süechea kraut, Das zu den 
wunden gut ist Er sprach: „keret wieder, ir seligen brilder; folgt mir vnd der 
rnuttei mein \''nd [Tücke] den berg oliiu'ti: nenipt die woW von den schoff vnd den 
öle vuii dem bäum vnd drücks vff die wunden. Die wund sei gehaweu oder geschla- 
gen, geschossen oder gestochen; Die wunde sei wie sie sei; Der wanden geschehe 
als der wunden geschach, Als I.onginus vnscnn liericii Durch ^ein rechten seilen 
stach. Die Schwall oder kall, nie schwur oder schlug kain vugcvell zu!" Also müs 
dieser wunden auch geschehen. In namen .... Du solt niemants verhalten diesen 
segon noch verschweigen, Gab oder miedt douon nemenn .... 

Ein uiundt stgen^ drew mal %u sprechen. Sprich: In dem namen 'ih 

rain müs sei» diese wmnde^ Als was die statt, do Maria Cristum gebar. Die cntphng 
weder aiter noch bluet. Also müs diese wunde auch thun. Das werde woi in Cristi 
namen, Amen. Dornoch sprich v pater noster vnd v aue maria Den balligen wunden 
gottes zu lobe vnd ercn. p. 

82a. Ein guter segen zu wunden^ Auch zu dem Dritt. Sprich: V'nserm herren 
Jhesu Cristo wurden drei nageil durch hend vnd füs geschlagen. Die selben 
drei nageli mochten *') im vier wunden. Die selbenn vier wunden Gesegen dir die 
lUnlften von gmndt bis oben aus. Im namen .... 

A n m. *) machten ? 

84«. Ein ii-Htuil 'ivasitr zu J<^'f«, vom Lantschreiher. Sprich also: Du müsseüt 
gesegnet sein^ Als der Jordan was; vnd ist Godt dorlt^ i^ednufTi; im namen.... 
Das sprich drew mol vnd wirff das wnsser aus drew niol, Wie der brister den sogen 

gibt vnd du wol gesehen host. ] 'an sprich xv pater noster So ist das wasser 

beraidt vnd ist allwegen gudt. Du magst es auch mit eim andern wasser mercn vnd 
du must drew Ijundl kreucz weis <lon:lier legen von Icinem ducli, nko wasser in der 
form ♦ Vnd in die wunden schlissen legen, Daz es nit zu bald hitilc. Lege diiu ein 
driffachs duch vber die drew kreucz weis bandt vnd binde es mit eim andern bandt 
zu. Es mus auch allwcf^en nas sain. Vnd an dem andern dage binde es vff vnd 
luge, das die schlissen recht liegen, Das es> nil zu bald oben zu hail. Binde es dau 
wieder su, wie vor. So hailt es on beißen vnd on maissein. Wer aber die wunde 
verbunden gewesen. So wesch die salb sauber herab Vnd verbinde es, wie ob 
stett. h. J. T. 

S7ff. Vor gesckwulst der wunden. Sprich: Vnser lieber herr Jhesus Cristus 

Wardt w u n d t. Das ward in dem hiemcll kvmdt. Vl\\ den haili<;en fünff wunden 
gesegen ich die sechst. Die weder schwollen noch schwuren i also müs die auch thun 
in dem namen .... v pater noster vnd v aue maria sprich drew mol vnd kg« ein 
rainen flachs mit wasser doruff. Wan du es dan wiUt vff binden, So waiches vff mit 
warmen conent. — Churfürst. 

99^. Ein wasser segen. Alf seheden damit xtt hailen. Thu rin frisch bmnnen was- 
ser in rin schiissell vnd halt dich dorüber, Mach ein Creucz vnd blos dorein mit 
deim adtem. In dem namen.... Crist ward geborn; Crist ward verlorn; 
Crist ward wieder funden. Nun f hai! mir daz wasser die plog vnd die wunden vnd 
den bruch von bain vnd vom grundt. Das helff mir die hailig Güdllich krafTt, die 
Godt selber hodt, do er himmel vnd erden vber sach vnd alles hiemelisch her. Nun 
mfiss das wasser als wol gesegnet f sein, Als der hailig iordan was, do Godt selber in 
gedauK warde. helffen mir die ballige Gödllichen wordt, die vnser lieber herr 
Jhesus Cristus am stammen des hailigen t sprach, amen: Aue on wej Aue on we; 
Aue on we. Vnd wo das wasser hien kumme zu andern wassern. Das sie dan baide 



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244 



als wol ge t segnet sein als der liulig iord&n was, Do Godt sdlier in gedaafft 
warde. t Nun hclffen mir die Gödtlichen wordt, die vnser lieber heir an dem stam- 
men des hailigen f sprach, Amen: Aue on wc; Aue on we; Aue on we. Ich ge f 
segen dich, edels wasser, durch die krafft Godtes vnd durch die hilff Godtes — Es 
sein Würm oder spinnen oder welcherlai das sei, — das es Ton den woidteil dodt 
sei, Die ich hic ge f segnet habe durch die krafft Godtes, amen. Aue on we; Aue 
on WC. Das sprich zu dreien moln Vnd alwcgen iij pater nostcr, iij aue maria vnd j 
glauben. Würff dan doretn Geweicht saU/. krcucz weis. Im namen.... amen — viT 
den knien. — Dmton mnch dan ein lilaster mit newen schönem flachs vnd doruff 
gelegt vüd ein audei düciüen oben duiuff; hanf werck oder düchlen ist auch gudt. 
Doch wirff die blaster nit vndcr die füs. Das thu Godt vnd den wordten zu eren. 
Hedt aber der schad faul llaisch^ So mach IniMucr au«5 rohen aier schalen. Das sewe 
dorein. Es vergedt, Wan es zu nas woh sein, vnder dem blaster. — Dretuwein. 



Nachträge zu W o 1 f s Niederländischen Sagen. 

Von Dr. W. Zuidema. 

1. Das Frauensand. (Beide TOB Wolf au^gClxnamenen Gestalten sind unvollständig. 
Dem Befehl das Getreide ins Meer zu werfen, muss folgen :) Da .sprach der Schiffer; 
,Edle Frau, es könnte noch vvol einmal so kommen, dass Ihr selber des Brotes Man- 
gel hättet." Erzürnt zog die Wittwe ehien kostbaren Ring vom Finger und schleu- 
derte ihn in die Wellen, mit den Worten: .,So wenig wie jener Ring jemals zurück 
kommen kann, kann icli jemals Mangel cmplludeu. " Der Schiffer wagte nun nicht 
meliT ihr zn widersprechen : und das Korn wurde iu's Meer geworfen. Allein schon 
am nächsten Tage fand ihr Koch den Ring in einem eben gekauften Fisclic. 

Und am Eingang des Hafens stieg eine Saudbank empor; und auf ihr ein unbe- 
kanntes Gewächs, dem Waizen ganz ähnlich, nur ohne Kömer. Dem Handel der 
Stadt war der Nerv abgeschnitten ; und sie verfiel gans und gar. Die Wittwe aber hat 
in ihren alten Tagen ihr Brott betteln müssen. 

(Mündlich. — Verg. Kuhn und Schwarts, Norddeutsche Sagen W. 339, 347.* 
Zur Ringepisode vcrgl. Wolf 152 und Polykrates. Der „Waizen ohne Korn" 
wächst noch heute auf dem Frauensande, ist aber nichts als der j^helrn"' (arundo 
arenaria L.) der^ in den holländischen Dunen sehr gewöhnlich^ in Friesland eben 
nur hier vorkommt. Das Versinken der Stadt in Simrocks Gedicht ist von ihm 
hinzugesetzt, wol aus ahuUehen Sagen wie Wolfs NO. 4, 8 und 306.) 

2. Vor Gottes Geruht icrnfen. Die grausame Ketzerverfolgung des i6cn Jahrhun- 
derts traf auch einen schlichten frommen Bürger in Beverwijk, Namens Augustiu und 
seines Zeichens Backermeister. Als er sum Holzstoss geitthrt wurde, rief er unterwegs 
einem seiner Bekannten „I.ebewol" zu. Dieser antwortete: «Auf Wiedcr?;chn in der 
Ewigkeit." Da fuhr ihn der Bürgermeister an: «Dort wo Ihr kommen werdet, kommt 
er nicht, sondern geht von diesem in*$ ewige Feuer.** Fldtzlidi wandte sich Augustin 
zum Wütcricli und sprach: „Innerhalii dreier Tage lade icli Euch vor Gottes Gericht." 
Und kaum hatte er in den Flammen seinen Geist aufgegeben, als der Bürgermeister 
wie von einer Raserei ergriffen wurde, in der er nur rief; „Torf und Holz, Torf und 
Holz"; und am dritten Ta^c Immer noch ganz ;iusser sich, verendete. {Hist. der 
Doopsgezinde Martelaren 245; und ihr entnoraraen bei Brandt, Hist. der Rejormatic 
I, 197. Vcrgl. Wolff 313; und die von ihm Zitirten; über Dumolay jetzt auch 
Hocker, Templersaj^cn, Ztschr. f. deutsch. Myth. II, 1855). 

Ähnliches wird erzahlt von Nanniag Koppersz., einem Mitgliede der römischen 
Kirche in Boom, der auf einem (wie sich zu spät ergab, unbegründeten) Verdacht 
der Verschwürung wider den Prinzen von Oranien hin, auf die Folter gespannt und 
hingerichtet wurde, obgleich der Prinz selber sich für ihn einlegte. (Brandt I, 563). 

3. Unverwestcr [ cuhnam. Bei einer Aushcsscrun;^ des Fussbodcus in der Kirche 
zu Franeker sticssen die Arbeiter auf einen Sarg, dessen Deckel so vermorscht war, 
dass er bei der Berührung gleich in Trümmer zerfiel; allein der Leichnam drin, ein 



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245 



junger Maua, sah noch aus als wäre er erst eben verstorben j auch die unteren 
Bretter des Sargs waren wie neu. Die Kunde von diesem Wunder rief bald eine grosse 

Menge herbei : uiui auch t inc alte Krau. (V\c im Toten den ^Tann wiedererkannte, der 
sich vor langen Jahren mit ihi* verlobt, Kluge gewechselt, sie verführt und dann ver- 
lassen. Und sie sprach: „Wenn Diess ein Zeichen des göttlichen Zornes sei über das, 
was er ihr angetan, so verzeihe sie es ihm vom ganzen Herzen und bete, dass auch Gott 
ihm verzeihe/' Gleich ging die Leiche in Verwesung über und war nach wenigen Tagen 
bis auf die Gebeine verschwunden. (Winsemius, Chroni(jue van Frieslami^ 518.) 

4. Verschlossenes Zimmer. lu einem der alten Häuser am Ossenmarkt in Groningen, 
die schon seit Jahrhunderten von den nSmlichen Patrizicrgeschlechten bewohnt wer- 
den (nur weiiis man nicht recht, in welchem';. giel)t es ein verschlossenes Zimmer, das 
niemals geöffnet werden darf. Und den Grund dazu darf auch immer nur ein leben- 
diger Mensch wissen. Wenn der jeweilige Herr des Hauses im Sterben U^t, vertraut 
er das Geheimniss seinem ältesten Sohne; und Dieser verschweigt es wieder, bis 
auch an ihn der Tod herantritt. (Aus eigener Jugenderinnerung). 

5. Unschuldig Cehcnhtcr ; und iinhcit>tlu hcr ßatitn. Tin englischen Wäldchen (Ster' 
renhoschj bei Groningen stand noch vor etwa 35 Jahren eine sehr schwere Buche, in 
deren Rinde einige gar grosse, aber unleserlich verwachsene und bemooste Buchstaben 
geschnitten waren. Unter ihr (so erzählte man sich) hatte sich einmal ein Knabe aus 
dem städtischen VVaisenhause zu schlafen hingelegt; und schlief so ruhig, dass er nicht 
einmal erwachte, als ganz in der Nähe ein Mord verübt wurde. Das benutzte der 
Mörder und steckte zur Ablenkung des Verdachts dem Knaben das blutige Messer in 
die Tasche. Und richtig, man fand den Ermordeten, den noch immer schlafenden 
Knaben, und in seiner Tasche das Messer; er wurde verurteilt und au der Buche ge- 
henkt. In seiner letzten Stunde erbat er sich die Erluubniss, Etwas in die Riiule zu 
schneiden ; man kann es aber nicht mehr lesen. Allein noch heule dürfen die Wai- 
senkinder, weou !>ie im Wäldchen oder an ihm entlang spazieren, nicht singen; es 
würde eine Stimme ans dem Baume sich in ihren Gesang mischen. (Wie oben). 

6. Marienbild geht umher. Im Hofe eines Hauses in Her/.ogeubusch steht eiu 
altes holzgcschnitztes Marienbild. Als einmal eine Pest in der Stadt grassirte, bat das 
Bild seine Stelle verlassen und ist herumgegangen. Und überall wo es hinkam, vep« 
schwnad sogleich die Seuche. (Mündlich. — Vergl. Wolf 345). 

7. Das Spiel vom Jüngsten Gericht. Zur Turmuhr der Johanneskirche in Herzogen- 
busch gehörte vordem ein gar künstliches Puppenspiel. Wenn die Uhr schlug, öiTuete 
sich eine Türe und es erschienen Gottvater und Sohn, die Engel und Teufel, der 
Tod, die Auferstehenden; und das ganze jüngste Gericht spielte sich ab. Jetzt <;ind 
aber nur noch Trümmer vorhanden. Das Volk erzählt sich davon: Der Magistrat habe 
dem Künstler, der es gemacht, die .Augen ausstechen lassen, damit er niemals ein 
Gleiches machen könne Dann sagte er, das Spiel sei noch nicht ganz vollkommen ; 
und bat, dass man ihn hinanführe, die letzte Hand dran zu legen. Dies geschah; 
und nun zerschnitt er den Faden, der das Ganze in Bewegung setzte. Seitdem hat 
es stille gestanden; alle Versuche es wieder in Gang zu bringen, waren umsonst; 
und zuletzt ist.es vor Alter ganz verfallen. (Mündlich. — VergU Wolf 372; Kuhn 
und Schwarte, 78, 81, 166. 

8. Das Ameiander Wappen '). Die Amelander wollten einen Galgen errichten, 
hatten aber kein Holz. Da fuhren sie in einer Mondnacht zum benachbarten Ter- 
schelling hinüber und raubten drei Balken. Diese bilden jetzt mit dem Halbmonde 
Oir Wapen.p 

9. Schwarzes Friittlein. Unfern der Stadt Groningen an der Ueerstrasse nach Fries- 
land hin steht inmitten der Wiesenfelder eine Mtthle. Dort geht ein schwarzes 
Fräulein herum; und zwar am hellen Tage. Meine eigene Mutter hat es gesebn, als 
sie noch ein Mädchen war. (Mündlich). 



i) Ameland ist eine friesische Nordseein&el. 



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246 



10. Turm auf RindshäuUn. Der Turm der Sankt-Martinskirche iu Groningen 
steht auf einer Grundlage von Rtndsliftttten ; darum (?) scliw«»kt er ein wenig, wenn 
es sehr stark weht; wird «her niemals fallen. (Aus etgener Jttgenderinnerane. Vergl. 
Wolf 37). 

11. f.ln ^i Spenstiges Gtrippi' hat man (noch um 1S65!) hin- und hergehend gCSChn 
am Festuagwall in Groningen, nahe an der Steentilpoort\ was es damit fttr eine 
Bewandtnis habe, weiss a1>er Niemand. (Wie oben). 

12. Herzogin Eleamra. Herzog Reinhold II von Geldern hatte in zweiter Ehe 
Eleanora von England, die ihm zwei Söhne Reinhold und Eduard gehar. Dann aber 
raunten ihre Feinde ihm zu, sie sei mit Aussatz behaftet: und er entfernte >Ie vom 
Hofe. Als er nun einmal mit seinen Edeln festlich zusammen war, trat plötzlich Eleanora 
in den Saal, nur mit einem seidenen Hemde und einem Mantel darüber beldeidet; ihre 
beiden Knaben führte sie an der Hand. Ocrade von dem Herzog stellte sie sich hin, 
warf den Mantel ab, eutbiösste sich biä i^ur Scham (nach anderer Lesart war ihr Unter- 
kleid ganz durchsichtig) und sprach : »Sieh', lieber Herr, wie man mich verleumdet 
hat; und wie ich am gan/cn l eihe gesund liin. Hier stehen an?.re Kinder, zwei 
frische Knaben; es könnten ihrer mehr sein, wenn Du nicht auf Verleumder gehört 
hättest. Ich ftirchte, Geldern wird Diess noch einmal beklagen, wenn es keinen Herrn 
ans unserem Samen mehr hat." Da ging der Herzog in sich und nahm sie wieder 
an als sein Weib. Allein ihre Furcht ward nur so sehr bestätigt; denn ihre beide 
Söhne starben nach einem greulichen Brttderstreit ohne Kinder; und erst nach einem 
Jahrhundert bekam Geldern wieder einen Hersog aus Nassanischem Geschlcchte 
(Slichtenhorst, Geld. Geachiedenissen, u.a.). 

• 

13. Der Ausgang Wilhc'ni VI von Holland. Als dieser Graf mittelst Hinterlist und 
Verrat den Herrn von Arkel iu Haft bekommen und seine Stadt Gorinchem erobert, 
geschah es daselbst nicht lange nachher, dass vier ganz junge Bürgerssöhne gegen 
Mittemacht aus dem Wirtshause kamen und über dem Friedhof heim gingen. Da 
sahen sie auf einmal ein Licht wie ein Blitz; und hörten eine deutliche Stimme: 
„Verflucht sei Gott, der micli geschaffen! Verflucht Vater und Mutter, die mich ge- 
wonnen! Verflucht dieses Land, das ich es je gesehn !"' Von Schrecken gelahmt, 
blieben sie stchn; rannten aber, als dasi Licht sich ihnen näherte, zum Wirtshaus 
znrück und fielen daselbst erschöpft in Ohnmacht. Man brachte Jeden nach seiuem 
Hanse; dort erwachten sie und erzählten Alle genau Dasselbe. Am nächsten Tage 
aber erschien ein Fllbotc aus dem Haag mit Befehl vom Rate, die Toren zu schlles- 
sen und gute Wacht zu halten; denn der Graf sei um die Mitternacht gestorben. 
(Slichtenhorst). 

Amsterdam. 



Jüdisch^deutsche Schnurren. 

Von Max W e i s s b e r g. 

Maase bo'siJc.'CfCi- A'/rri' '). Tn Ri,>lsch\vcc ist der Ruw niftar ') g'worn. 

'Ot men arümgeschickl a Krus''), üu ut uuychujlien zu suchen a Ruw. 'Ob'u sech 
g'mold'n ') asach •) Rhunim ün taki ^) auch der krisnnpoler Kuw. 'Ot men ungefragt 
die KilU") m'Krisrino]>ol '), wüs var a Min Brie '"j düs isr 'Ob'n sei 5:nickgeschrieben: 
,Er ist Mojsche Kabeinü •'), er is Schiller, er is Gott." 'Obn sei ehtu lajkif imijad ") 
anngeschickt a Konsens. Is er gekümmen zu fuhren, *ob'n sei geseh'n, as er is än 
Am-htturec ■*) mi-do-raisn >*). 'Ob'n sei geschrieben mit a Gewalt Icein Kristinopol : 



i) hcbr. Rabbiner. 2) Bolschowce, ein Städtchen in Ostgalizien. 3) neuhebr. 
gestorben. 4J talmud. Ausruf. 5) gemeldet. 6) neuhebr. viel. 7) slav. auch. 
8) hebr. Gemeinde. 9) me, hebr. Butikel — von. 10) hebr. Art Geschöpf. 
Ii) helir. l'nser Lehrer. 12) nciihel«. so|^eich. 13) liebr. RttsCicns. 14) tal- 
mud. wie er in der Thora steht. 



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„S'tätscb? *) was 'ot ihr uns dü geschickt?" 'Ob'n sei geenfert: m'o'mer 
g'schrieb^n is emes-w^usehet" MVmcr (geschrieben, er is Mojsche Rabentt. Mojsche 
Rabenü 'ot nischt j^ekünnt kaan Dätsch, er kenn auch nischt kän Dälsch. 'M'omLr 
geschrieben, er U Schiller. Schiller 'ot nischt gekonnt kän Jüdisch, er kenn auch 
kSn Jüdisch nischt. M*om*r geschrieb*n, er b Gott. Gott is nischt kän Mensch, er is 
«neh nischt kSn Mensch. Er is & pttschite Bebeitne *). 

Maase vun'm «bgekimmen *) G*wir Reb Todros der Studg^wir is loj aleicbem 

ubgeklmen. 'Ot Kühl ün^ehojben zu l aileu eii '') . nrsoirin such'n :i Icuschcrc 
Famusse'i). 'Ot einer gesugt, 'swoU g'wfin a Jojscher '2), m'soll'm mach'n var Stud< 
chasen wSl er 'ot a schein Kol ^) Un a Madras puniin Rüft sieb un der an- 
dere: »Reb Todros varhikct sech lamchile bam daw'ncn '*)" Git wieder einer än 
£ize reb Todros sol w6ru a dardike Melamed Halt er ober düs Sider var- 
kehrt, is wieder kin Geschäft nischt. Aklal*') mMcQlt sech iln kQlt sech^) Ün 
schmüsf ■^^) über, ünser Upgekimencr soll wcr'n :i starszy Molojczy Will men 
Unser Reb Todros überprüwca, cy '^^) er is nischt kän liälpached stellt men ün a 
Burlak, tut ehm ün Tachrichim ^i) Un leigt ehm in a Haasel er^z in mitt Feld ün 
rilft reb Todros'n, er soll a ganze Nacht bäm Mes auf san ün Tilem 'O) sögen. 
Wie er sitzt etscher a halbe Schu ") sugendig'*), heibt ün düs Mes zu trcsscn 
mit die Füss. Zittert of reb Todros'n 's Pelzel ün er sügt zün M5s bsch halu- 
schen •^*). leben, 5ch bin nischt kän hantiger'*), ech hob übergeschn milias- 

sea 5®) Meisim ^^), ober jeder is sech {;elegen ordentlich i iihiL,^ bis er is gekümen zü 
Kciwcr Jisruel**^). Lieg i:e 39) auch ruhig.*' Is taki a Sehn anderhalben rühig, der 
nuch heibt s'Mess auf a Hand ün a füss im m Kwp un tut a Glotz mit die Ojgen. 
werd reb Todre«; puschit heis, er f^cii zu dem Mes mit uiii Kaas*^): „Kch seh 
azünd, as man Habe Zurtel IVanf, .^ichrojno liwrucho ut taki rechtgehäi, as zwi- 
schen die Meisim günen sech nuch verschärte Schkuizm <*). Bgt cch doch noch 
a mül, o!) ()ci\x tn Harz, as nischt istü 'uhn' ♦"') a Mapule **) ün a schwarzen 
Sof **) darzü. is wieder abissl rühig, darnüch heibt sech 's Mes auf bis lix die Plei- 
ds**) an tat a Ritsch»), as 's bot at») getrasket»). Wert flnser starssy Molojczy 
ftngezttnen wie a hollisch Feuer: „Bistü a Mes, licg-'ie rühic; /lun schwarzen Juhr**)!" 
Ün git ehm a pur Lims mit'ra grob'n Stocka. Düs Mess tut a Sifz ün bl&bt 
Still li<^^. Is sech reb Todros gSr mchajeSi) ttn sSgt: ,,Bch bet dech aber Mes 
leben var die FVr Stork UEh seh taki, as da-bist e Baal-derech-erec h).» Ganz 



l) Was, wie ZU deutsch? = wie heisst? 2) hebr. wahihaftitj und gerade. 

3) neuhebr. einfach. 4) Vieh. 5) part. perf von üpkiaunca = abkommen 

= herabkommen. 6) hebr. Gewaltiger, Reicher. 7) hebr. nicht euch gesagt 
= mög's euch nicht treffen. S) hcln". die f'cmcindc, lesj). die Gemeindever- 

tretung. 9) slav. rathea. 10) hebr. saubere, reinliche = anständige. 11) hebr. 
Versorgung. 12) hebr. recht tind billig. 13) hebr. Gemeinde-Cantor. 14) hebr. 
Stimme. 15) hebr. stattliches .\\issehei). 16). slav. stottert. 17) Wort 

unbek. Urspr. beten. iS) hebr. Rath. 19) Aram. und iiebr. Elementar- 

lehrer. so) hebr. Gebetbuch. 31) hebr. schliesslich. 2S) Verb. der. 

von Kuhl-Gemeinde, berathen. 23) bespricht. 24) slav. Vorsteher der Todten- 
gräberzunft. 35) slav. Partikel. 26) hebr. furchtsam. 27) hebr. Lei- 

chengewänder. a8) hebr. Todter. 29) Auf sSn » wachen. 30) hebr. 

Psalmen. 31) hebr. Stunde. 32) part. praes. act. v. sügen » sagen, beten. 

33) slav. schütteln. 34) hebr. mit dieser Zunge, — folgendennassen.. 35) Icein 
heutiger = keiner von der jetzigen Generation. 36) Millionen. 37) plur. 

V. Mes. 38) hebr. israelitisches Grab «* rituelle Beerdigung. 39) fee = le, 

slav. Partikel, doch. 40) >lav. scdchennasscn. 41) hebr. ctiifach. 42) hebr. 
Zorn. 43j altdeutsch und slav. Grossmultcr. 44) unbek. L'rspr. wild, 

sachtlos. 45) hebr. eig. Verwahrloste, fibertr. gottlos, ungezogen. 46) Zusam- 
mengez. aus: wirst du. 47) haben. 48) hebr. Niederlage. 49) hebr. Ende. 
50) slav. Schultern. 51) slav. Gebrüll. 52) slav. Partikel, fast, beinahe. 

53) gekracht. 54) « zum TeufeL $5) unbek. Ursprunges: SchlSge. 56) Seufzer. 
57) hebr. erquickt sich. 58) slav. Rlppenstösse. 59) hebr. Mann von Le- 

bensart. 



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24S 



früh, l'ojr hajojm ') fallt der Ojlam *) arSn iin wfll secli machen a KennescU *). Is 

sech mja-schew ♦) "s Mes ün rührt sech gür uischl. Wert a Gewalt, a Gcpilder ün 
m'schleppt dem mascldigeu Hüs zum Schojfet Tnanct ^) reb Todros : „Rabosaj 8) 
ecli weiss kein Chochmes*) nischt. Vün Uwos-awojsei weiss ech, as in ordentlech 
Mcss darf liegen rühig. 'Ot der Schkuz ") üngehojbea sech zu machen Ktuweslech '2), 
'ob-'ch-'m a pur mül derlangt, as er 'ot sech beleckt." 'Oba-s'm araosgelost >*) ttn mUs 
vän'm demach tiimid söer ittfrieden gwCn. 

Stanislau. • 



Bauernanekdoten aus dem Marchfeld. 

MitgeteUt von Dr. Hans Schukowitz. 

1. Trmnff auf Trumpf. — Zu mein' Aehnl seinen Zeiten ist der RaJics Ilonziagl ") 
Nachtwächter zu ßockßUss gewesen. Aus sein' feuerroten G'sicht hat a grossmächtige 
Bimnasen g'laclit und sein kugelrands Wambarl >*) haben ein paar grStenkrumme Beine 
'tragen. Auch sonst ist der Honziagl ein recht putziger KaxU? g'wesen. Hat 'n eins 
g'neckt^ SU ist er ihm trefflich über'u Rüssel gTahr'n, dass 's gn'ug gehabt hat für sein 
Lebtag. Einmal hat er nun Matten vor GVicht steh'n müssen. SpringgifUg rennt er 
halt in der .\nklagstu!i'n auf und ab. Meint einer von den Selireihern, der merkt, dass 
kein Stuhl an der Stcir ist zum Sitzen, wegen was sich der Vetter nit niedersitzen 
thät. «Ja.,'* sagt der Honziagl drauf schelmisch, „auf was denn, wann i bitten dSrf." 
Jetzi schmunzeln die Herrn, was 'n TToii/iau;! harbt. „Ver/eih'n die Herrn schon," meint 
er dann boshaft. ^Däs Sluberl da kimmt mV v'oUi wia mein Ileustadl >'') dahuam vur; 
dsem sand a Roani Bänk, awar desto mehr Flögt 

2. Der Krowoden-Sehuss. — Im Jägcrlcxicon der MarchfeldUr ist das ein ganz ge- 
läufiges Stichelwörtchen. Herrtthrt es aber von einem Meisterschuss, den einmal ein 
kroatischer Protz aus Lohnersdorf geleistet haben soll. Er hat nämlich mit einem SchUM 
einen Hascn^ einen Hund und einen Treiber angeschossen. Der Treiber wurde dann ins 
Spital überfuhrt, der Hund dem Bader Übergeben, Meister Lampe hat bei Mutter Grün 
Schutz gesucht und der Meisterschtttz ist vor*s Bezirk^erlcht geladen worden. 

3. Ein guter Rat. — Mit kläglichen Worten erzählte einmal ein einfältiger March- 
feldler einem witzigen Studenten, der just durch's Hcidcfeld hingieng, dass ihm die 
Maulvsürfe alle seine l eider zugrunderichteten. „Na," meint der junge Mann ernst, 
„und da weiss i>ich der Vetter kein Gegenmittel?'' »Mir is koans bekannt!'' erwidert 
der Hauer. „Weiss gar Er eins?" „Ja wohll'* Bchloss der Student lackend: ,|lch liesse 
mir einfach meine Felder pflastern t" 

4. Ein Strich durch die Rechnung. — In Tasthelbach hat 's schon in alten Zeiten 
viel Schulkinder gegeben und bloss äiwn Lehrer und der hat also viel Flag g'habt, 
aber verflucht wenig Einkommen. Einmal sagt er nun zum kleinen Krauthofer Sepp : 
,Jetzt mflss'n wir a bissl kopfrechnen, Seppl! Fa» also auf! Ich geh' zu dein* Vatem 



kebr. mit Tagesanbruch. 2) hebr. das Publicum. 3) slavisirtes deut 

aches Wort, Kirchmess, ünterhaltunt^, Hetze. 4) hehr, überlegt sich. 5) mascl- 
dig, hebr. glücklich. 6) hebr. Richter. I) lalmud. mus einer man setzen. 

8) kebr. meine Herrn. 9) 1kd>r. Spitzfindigkeiten. 10) hebr. yon Uriiltem her. 
ii> Vgl. Anm. 45, S. 247). 12) hebr. Spässe. 13) = herausgelassen, befreit. 
14) immer. 15) Honziagl >= Hans Georg. i6) Wambarl = Bäuchlein. 

17) Heustadl - Scheune. 18) Flögl - Diiachl [Dveschflögel]. 



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■'nauf Ins Wirtshaus ünd trink a Mass Bier, die kosf 7 Kreuzer unJ iss dazu nm 2 
Kreuzer Biot. 7 und 2 macht 9. Verstehst 's Seppl r" „0 ja, Herr Lehrer!" „Na, jetzt 
668* ich aber noch um 5 Kreuzer Kfts dazu; wieviel macht mein Rechnung jetzt aus ? 
Na, weisst 's noch nit? Zähl' nur nach! 7 und 2 macht 9 und 5 dazu, na?" Drauf 
antwortet der kleine Sepp, der die Auspielung schier verstanden hat: „Ah geht der 
Lelirer nur aufit Der Vodar lasst Eng ja so nix laU^nl** 

5. Der verkaufte Jude, — Ein GaunersJor/er^ der sich rühmte» klüger zu sein als 
der klügste Jude, kam einmal beim Weinglas mit einem Nacbbarörtler tflchtig ttber^s 
Kreuz. Keiner wollte nachgeben. Endlich schrie der Gaunersdorfer höhnisch: „Glaub 
m'r's, Freundarl, dass i di zehnmal vakaf, eh du mt nir >} oamall" „Recht hastl" fiel 
ihm sein G^er frohlockend in die Rede. «Ganz recht, denn fiir kein* elnxig'n aus 
Euem Ort geb' eins a nnr ein rot*n Pfennig herl** 

6. EHe Gebetprobe. — Tm Marchfeld ist *s noch heute Brauch, dass die Kleinsten der 

Familie, die nooh nicht in die Schule gehen, vor Fremden häufig Proben ihrer Geliet- 
kenutnisse ablegen mUsscn War da auch ein menschenfreundlicher Dorfpädagoge zu 
Sekönksrcken^ der ab und zu in eine gastliche Batiemstube einkehrte. nFranel," fragte 
er einmal des Ürtsschreiners Söhnchen, „kannst schon 's Vaterunser beten?" Kränzchen 
schwieg scheu. „Na geh, Franzerl," redete ihm jetzt die Mutter zu, „zeig doch 'n Herrn 
Lehrer, was D' g'lernt hast!" „Vater, Vater unser — '* begann das Knäblein verlegen 
nnd schwieg dann. Da wurde aber unser Schulmonarch ob des axigenscheinlichen Eigen- 
sinnes des Kleinen aufgebracht. Was Wunder also, dass er ihn anfuhr: „Bet' doch 
weiter, Esell" ^Der, der, der Du bist!" führ der Kaabe schelmisch fort und lief 
kichernd aus der Stube. 

7. Das beant'vo) tt'te Gebet. — In den teueren Zeilen anno 1S16 uud 17 hatte ein 
Bauer seinen Dienstleuten allzuwcnig Brocken in die Suppe gegeben. Allabendlich 
pflegte er nun in der hölzernen Martyrerkapelle zu Le;en. Einmal versteckte sich aber 
der Knecht unter m Kapellendach. Der Bauer kommt, kniet nieder, hebt die Hände 
auf tmd sagt laut: 

„Gelt, liawar Ilergod, i bin halt der Dein, 
Und du bleibst, wiax immer, der Mein?" 
Dwnmf der Knecht mit hohler Stimme : 

„Na., na, Frcundarl, du bist nimmer der Mein^ 
Weilst dein' Leut'n so sparli brockst ein!" 
' Ersdueckt rennt der Ksanser heim, holt allsogleich die zwei grössten Laibe aus der 
Kammer und sagt zu seinem Weib: 

„Waberl, brock ja 'n Leut'n ein, 
Sonst bin i nimmer der Seinl** 

8. Das Stegl ins Sthla/kammerl. — Die Mädchen der Matzner Gegend sind hie und 
da unter dem Spitznamen „harbe Weinschartl** bekannt, weil sie. wie man weiss, auf 

Neckereien so schlagfertig herauszugeben wissen. Wollte da auch einmal ein stutziges, 
junges Stadtherrlein so ein i^rar schwarzäugige MatsMerV\xi.^tx auf die Redeprobe stellen 
und fragte sie arglos: „Heda, schöne Kinder, könnt Ihr mir nicht das Stegl zeigen, 
auf dem ich in Euer Schlafkammerl gelangen konnte'?"' „Warum nit!*' entgegneten die 
Mädchen etwas verlegen. „Das Kircharl am Bergl droben 1" Und hicbei deuteten sie 
lachend mit den Sichdn über die blähenden Komfdder. 

9. Die müde Taschenuhr. — Es ist noch nicht gar so lang her, dass unsere Lands» 
leute ihre Einkäufe mit Vorliebe auf den Wochenmärkten „am Spitz" ') besorgt haben. 
Heute fahren sie lieber gleich mit der Nordbahn nach Wien hinein. War da auch in 

jenen guten alten Zeiten ein Liedere^ Bäuerlcin, da.s sich einmal gegen seine paar sauer 
erworbenen I/uhugruschen bei einem Krämer „am Spitz" eine silberne Taschenuhr 



1} nir — nur. 2) Über Kiudergebete vgl. Z. f. öst. V^kde. Wien u. Prag, 1897. 

S. aSo — 283. 3) „Am Spitz** ist eine Localbezeichnung für den grossen Markt» 

plAts in Fioridsdorf» 

17 



&50 



erstand. „Und gellt 's a guat?" fragte es nochmal beim Fortgehen. gewiss!" lautete 
die Antwort. rennt wie ein RehT* Wolgemut trabbte nan das Bäuerlein heim und 

war froh, ein treffliches Horolog zu besitzen. Aber siehe ! Nach zehn Stunden verstummte 
plötzlich das zierliche Tik-tak im Gehäuse, und es konnte trotz alles ,Aufuehens^' 
nicht wieder wach gernfen werden. Verzweifelt eilt jetzt unser betrogenes BSuerlein zum 

Kramer Zunick und macht ihm darob d'ic ^röl)Sten Vorwürfe. „Ki, ei," erwidert der 
Verkäufer kühl und kalt. , Lauft der Vetter einmal zehn Stunden, ohne steh'n z'bleib'n!'* 

lo. DU Ehe ein K'arUnsph-L — - „Wa?; hör' ich, Michl, du lebst in Unfried mit dein' 
Weib? Mass eins denn gleich d' Faust brauchen gegen ein z'widers Weibsbild! Das 
schickt sich wahrlich nit ffir ein christgläubigs MannerletttT* »Was gar, Pfarrer, hast 
do varwichen selber d' Eh' mit 'n Karteugspiel verglichen!" „Das wol, Michl — aber 
dann hast du 's nit verstanden, was ich hab' sagn woll'ni D' junga Leut, hab i 
gemeint, rennen oft z' samm% g'rad wie der Pickbub und *s Herzass im Kartenspiel!** 
,Kreazhimmel, Pfarrer, musst schon anhörn, wia i m'r do's Ding z'recht glegt hab in 
mein viercckign Hirn!" „Na, wie denn, Michl:" ,Mann und Weib, hab i m'r denkt, 
sollen sein wie Herzass und Pickbua. Bein Tag than's streitn, dass der Wirtshaustisch 
wackelt und — und bei der nacht liegani* halt friedlich und fein stad *) wieder beiaamm' l 

II /)' Bibl geht um! — „Ja!" schreit der Knecht. „Na!" schreit die Dim. Und 
nomal y)^" . sagt der Knecht und wieder »na" meint die Dirn. Drauf sind sie sich 
handgreillich gegeiif^citi^ In d' Haar g'fahren \md haV)C'n sich winiJeUveich durchprügelt. 
Kommt ju.st der Hochvsiirdcu des Wegs uud fragt nacli der bösen l'rsach. Trulzig 
meint der Knecht: .,Z'samm that m'r g'hörn wia Healinl und Hahn, awar na sagt die 
Dirn, i mag kau Man!" Drauf pfiffig der Hochwürden: „Wisst s denn nit, junge Leut, 
was in der Hibl slehn thut?" „Was denn, HeiT Tfarrei „Na, was uuser Herrgott hat 
*bttnden auf Erden, bleibt 'bunden für 'n Himmel!" „Bunden", meint drauf der Knecht, 
„das tnöcht i ja sein!" „Na. so hol halt ein Strick aus der Kammerl" sagt der Pfarrer, 
g's kann gleich sein!" Flugs ist der Strick da, aber der Hochwürden ist stark und 
g*waehtfen wie ein Waldbaum. Behutsam faltet er den Strick dvdmal und -viermal, dass 
'n Dirnd! schier die Grausbirn aufsteigen — ■ und pumps! haut er lustig drauf los auf 
'u Bugl ^} und auf d' Gugl dass alsogleich die Zwei auf andre Gedanken sind' 
kommen. Seit dem Streich klagen aber die Dörfler nicht wieder so leicht was ihrem 
Seelcnliirlen. Sie halten 's lieber geheim, und .,pst! pst!" heisst 's gleich, sobald nur 
ein verliebtes Pärchen 'u Hochwürden daherkommen sieht. «Pst, pstl d' Bibl geht um!" 

12. .Ins dem Jinsdts %oieder gekommen. — Zwei Fuhrleute, die sich ab und zu gern 
neckten, kamen beim Glase Wein auch auf ihre Todten zu reden. nAb," meinte der 
eine, der nicht als der dämmere gelten wollte, „'s geht ihnen droben bestimmt besser 
wie da unter uns!" „Ja, woraus schlicsst, denn das ;^" fragte ihn der andere, stutzig 
gemacht. , Woraus? Freundchen, das ist ja einfach: Weil keiner zurückkommt, wenn 
er einmal dort istl" ^Ah wol,^* fiel ihm der Zweite rasch ins Wort «Einer iat doch 
wiederkommen!" ^Wer denn, ha?" „Na, dein SchurschH)!** „Pa, weil — der Lump 
selbst für d' Holl drenten /'schlecht g'wesen ist!" 

Man muss nämlich wissen, dass des Fuhrmanns Söbnlein Schurschi fUnficehn Jahre 
im Kerker abgesessen hat. 

13. Z)' Brockhul pi-. — Die Bäuerin hat 's ja nur ihren Hausleulen gut gemeint, 
wenn sie heut die \ cspersuppe ein wenig vor die Tür hinausgestellt hat zum Aus- 
kühlen. A!>er sieli, da hüpft jubt ein hungriges Erdkrötlcin herbei. Phinips, liegt 's 
auch schon in der Schussel. „Ei, Mullerl,'' mciut dann die kleine Kati, wie alle recht 
appetitlich draus löffeln, hat denn 's Broekerl a Angln?** 

14. Ein scltiamet- ihlfeshelfer, — JedUrsdorf hat in den dreissiger Jahren einen 
herzensguten Caplan gehabt, den jedermann geschätzt hat. So hat er nicht einmttl 
Handwerksburschen auf offener Strasse sein gutes Schuhwerk ga«henkt. Einmal brachen 



i) Stad ^ still. 2) Bugl ^ Rücken. 3) Gugl hdpt das Kopftttch der Midchen. 
4) Schurschi — Georg. 5) drenten = jenseits. 




«51 



nun des Nachts Diebe ein in seinea Hauskeller. Der Pfarrer kam gerade zur Stelle, 
sciüoss rasch die Tür, und so sass einer von den Strolchen hinterem Riegel. Nun that 

der Pfarrer einen Pfiff und üffnetc sachte ein Kellerfenstcr. T'ter Gefangene meinte, es 
sei sein Kamerad und bat, ihm nur die Hand zu reichen, damit er entweichen könne* 
Der Pfarrer liess sich *s nicht zweimal sagen, und so ward der Dieb ins freie gesetzt. 
Wie ersclirak aber dicker, als er sich pluizlich dem Eigentümer gcgenübersnh. Voll 
Milde erkundigte sich nun der Pfarrer bei dem Diebe um die Ursache dieses Einbruches, 
und wie er erfuhr, dass ihn die Not der Seinen hiezu gezwungen, holte er schnell die 
xwei letzten Laibe aus der Kammer und Ubergab sie dem reuigen Diebe mit den Wor- 
ten : „Schau, Kammer und Keller sind nun leer. Du suchest dnrinen vergeblich ! 
Sag es auch deinem Genossen und gib ihm diesen Laib! Den da aber trag Deiner 
hungr^oi Familie heim!" Sprach's nnd entUess ihn in gewohnter SamaritennUde. 

15. Unter der Blume. — Dass der Marchfelder seine Jiingen in die „Studie" schickt, 
ist heute noch was Seltsames. Kiner hat 's vor Zeiten über's Herz gebracht, obgleich 
er auf die studirten Herrn „nie nix" gehalten hat. Das war der Hufschmied von 
Zwerndorf. So hat er hali i ag für Tag unverdro-sacu auf seinen Ambuss niedergehäm- 
mert, dass ihm die hellen Schweissperlen herabtroffen. „Wo hat er denn i^einc Jungans, 
dass er allein ist"? fragte da eines Tages der Gutsherr des nahen Herrschaf lliof es zum 
Fenster hinein. ,Ei, Euer Gnaden," antwortete der Schmied etwas verlegen, „die bilden 
sich alle zwei eu Mördern ausP* »Wie? was? Ist er von Sinnen?" „Gott beileibe nichtl" 
fuhr der biedere Handwerker erklärend fort: „Der Grössere will nSmlich Menschen — , 
der Jüngere aber Vieharzt werden. Euer Gnaden!" — 



Das Kind in Glaube und Brauch der Völker. 

Eine ümfnge. 



XX. Kinder- und Volksreime aus der Grafschaft Rappin, gesammelt von K. Ed. 
Haase zu Neu-Kuppin. — 1. Aus der Kinderstube. 

I. Wiegenlieder. 



0. Bi bi bi betchen, 

Kocht dem Kind ein Breichen (oder: Ei- 
Legt ein Stückchen Hutter dran, [chen, 
Dass das Kindchen schlafen kann (oder: 
[kosten kann). — Neu-Ruppin. 

b. Variationen zu , Schlaf, Kindchen, schlaf." 

Schlaf, Kindchen, schlaf! 

Der Vater hüt' die Schaf, 

Die Mutter schüttelt's Bäumelein, 

Da fallt herab ein Träumelein. 

Schlaf. Kindchen, schlaf! 

Schläp, Kindckcn. schläp ! 

Där büten gähn twei Schäp, 

Dir bftten gRhn twei ULmmerlcens, 

De häl)b>"i fi^'l-r: dragenl bunte Bännerkens. 
Schiäp, Kindekeu, schlapl 

Schlaf, mein Kindchen, schlafe, . 
Dein Vater hut* die Schafe, | 



Deine Mutter hüt' die Lämmerchen, 
Mit den bunten Bünderchen. 
Schlaf, mein Kindchen, schlafe! 

Schlaf, mein Kindchen, schlaf! 

Da draussen gehn zwei Schaf, 

Ein schwarzes und ein weisses, 

Und wenn das Kind nicht schlafen will, 

Dann kommt das schwane und beint es. 

Schlaf, mein Kindchen, schlaft 
Dein Vater ist ein Graf, 
Deine Mutter ist 'ne gnädige Frau, 
Und du bist eine kleine Sau. 
Schlaf, Kindchen, schlaf ! 

Schlaf, Kindchen, schlaf! 

Deine Mutter ist ein Schaf. 
Dein Vater ist ein grosses Tier (oder: ein 

[Dusseltier); 
Was kannst du, armes Kind, daflür? 
Schlaf, Kindlein, schlaf! 



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2$» 



2a. Grete wollte Ixjckcn trugen. 
Musst' sie erst Mamachen fragen. 
Mamachen sagte : „Nein 
Da fing sie an xu ächieia. 

Neu-Ruppin, FrotKn. 
bm Emma wollte Locken tragen, 

Muäät äie ersl den Wilhelm fiageo. 
Wilhelm sagte: nNein, 
O, du holdes Mädel, lass das sein." 
Emma wollte Wilhelm haben, 
Muss tde tote BSnder tngen. 
Rote Bänder trägt sie nicht : 
Kriegt sie auch den Wilhelm nicht. 

Langen^)* 

3. Ztbel, zahel, 
Entenschnabel, 

Wenn icb dici im Himmel habe, 

Zieh ich dir ein PötcTicn aus, 
Mache mir eine Flöte draus. 

Neu-Kuppin. 

4. Da hast du einen Thaleti 
Geh nach dem Markt, 
Kauf dir eine Kuh^ 

Ein Kälbchen da/u, 

Kälbchen mit dem Schwänzchen, 

Dideldideldänzchen. Neu-Ruppin. 

5. Salz und Brot 

Macht die Wangen rot, 
Aber Butterbröter 
Machen sie noch röter, 
Und belegtes Butterbrot 
Giebt das beate Wangenrot. 

Nm'Ruppin. 

6a. Det is de Ddm, 

De schdildelt de PUbs, 

De lest se up, 
De frätt se up, 

Un de seggt aUens nah. NtuRuppin, 
oder: 

Un de klene seggt allens nah. 
Miitt Hau himm (Schläge haben). 

rrotzen »). 
b. De Kleine is in 't Wäter fallen, 
De Hübsche het'n rüter treckt, 
De Lange het'n nah H«s dräggt, 
De Starke het'n iu't Bett leggt, 
Un de Dicke 1iet*n todeckt. 

yiu-Riippin, 
•Ja. Hopp, hopp, hopp, hopp, Reiter, 
Wemi er filllt, da scbreit er; 

Fällt er in das Gras, 

Macht er sich sein Röckchen nassj 
FUlt er itt dem Graben, 



Dann fressen ihn die Raben; 

FMUt er in den Sumpf, 

Dann maicht der Reiter plump. 

Neu-Ruppin. 

b. Hopp, hopp, Reiter, 

Wenn er fült, dann schreit erj 
Fallt er in den Graben, 
Fressen ihn die Raben; 
Fällt er in den weissen Klee, 
Schreit er gleich: „Au weh! Auweh!" 

MtU'Rupptn, 

8. Hopp, hopp näh de Möllen, 
Unse Erich sitt up *t Folien, 
Lida up de bunte Koh, 

So jeiht H Qminer nSh de Höllen to. 

Frotun, 

9. Eins, zwei, drei und vier, 

Mutter, mRlv de Husdöhr np, 

De Leiermann is hier. Neu-Ruppin. 

10. Indem man das Gesicht kleiner Kin- 
der von unten nach oben mit dem 
Finger berührt, sagt man: Kitne Wipp- 
ken, rote I.ippken, Näse Drüppken, 
Auge Thraneken, Stime Wtthmeken, 
ziep, ziep, ziep in *t Häreken. 

Nm-Ruppm* 

11. Backe, backe Kuchen! 
Der Bäcker hat gerufen, 

Hat gerufen die ganze Nacht, 
N. (Vorname) bat keinen I>:;^ gebracht} 
Bekommt sie auch keinen Kuchen. 
Schief in*t, schief in*t Ofeken. 

NetfRuppin. 

12. Der Wundergarten. 

Hinterm Hause war ein Garten, hier 
[ein Garten und da ein Garten, 
und das war ein Wundergarten. 
In dem Garten stand ein Baum, hier 
[ein Raum nnd da ein Baun, 
und das war ein Wunderbaum. 
Auf dem Baume war ein Nest usw. 
In dem Neste war ein Fi usw. 
Aus dem Ei, da flog ein Vogel usw. 
Aus dem Vogel flog *ne Feder usw. 

\ ; den Federn ward ein Bett USW* 

in dem Bette lag ein Kind usw. 
Vor dem Bette stand ein Tisch usw. 
Auf dem Tische lag ein Brief usw. 
In dem Briefe stand geschrieben: 
*Änndien soll die Mama lieben. 

io dem Bett, da lag 'ne Muhme usw. 
Vor dem Bett, da stand ein Tisch usw. 



l) Hier anch als Abzählreim; dann lautete der Schluss: i, a, u. Weg bist du; | 
i, a, i, Weg sind sie; | i, a, n, du kannst rennen. 2) Die Namen der Fiiq^er 

sind der Reihe nach; Kleinfinger, Goldfinger, Lang David, Botterlecker, Lüsen- 
knicker. — ProtMm. 



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253 



Auf dem Tisch, da lag ein Buch usw. 
In dem Buch da stand geschrieben: 
Du sollst Vater und Mutter lieben, 
oder: 

Ich will eiKh was erzühleDf 
Von der Mnhme Rdilen. 



Muhme Kehlen hatt' einen Garten usw. 



In dem Buche sland geschrieben: 
Morgen essen wir weisse Rüben. 



XXL Aus dem Sckwadenianäe, Böhme giebt in seinem bereits 
oft citierten Buche „Deutsches Kinderlied und Kinderspiel** auf 
pag. 297 ff, Sätze zu schnellen und wiederholtem Nachsprechen, 
die zu ergänzen ich schon Gelegenheit hatte. 

Hier mögen noch einige Nachträge folgen: 

1. Es liegt e Klutzle Ulei glei bei Blaubeure 

2. Z* Altensteig ^) auf der Steig do hot mer alts guts Gaisilaisch feil. 

3. Jetzt gang i an Urcidebach un brich mcr e brelts Bieidebach (= Pappslblatt) ab. 

4. Metzger wets dei Metzgermesser, dass de känscht dei Säule steche. 

Den a. a. O. pag. 389 milgeteilten ^Ausgäkireimen** fiige ich 
noch an: 



I. Enzeric, Zcnzcrle, 

Zizcrle Zä — 
£ichele, Beichele 
Knell. 

im Eenc dene dus, 

Kappennalle nds, 



Isefallc bumbenalle 
2jechepfanne düs. 

(Wagold im Schwarzwald). 

Eine alte Frau kocht Speck. 
Ick oder du mvsst weg» 



Zu den im Abschnitt ^Das Kind im Verkehr mit der Naiur, A. 
Verkehr mit der Tierweif* a. a. O. auf pag. 155 notierten Sprü- 
chen bringe ich: 



Habs, Habs, dei Häusle brennt, 
Sind siebe Junge drin. 



Siebe Junge sind net gnuag, 
Kommt en alte Hex dasa. 



Zu demselben Abschnitt, Unterabteilung C: y,Das Kind und die 
Naturerscheinungen pag. 199 ff. mögen folgen: 



I. Heile, heile Segen, 
Drei Tag Regen, 
Drei Tag Schnee, 
Bis Morgen tbut's nimmer weh. 



Und 2. Es regelet, es tröpfelet, 
Es g6ht e kftler Wind, 
Un wenn der Teufel d' MädleS)holt 
N6 isch 's kei arge Sünd. 



Hierhin dürfte auch folgendes gehören: 

Wenn ein Kind auf den Regenbogen deutet, wird es von seinen 
Mitgespielen verprügelt, wobei sie rufen: „Nicht deuten, nicht deu- 
ten** in der Annahme» dass der Regenbogen verschwindet, sobald 
auf ihn hinggewiesen wird. 



l) Blaubeuren, Obcramisstadt bei Ulm, 
gehörig. 3) Kesp. „Buble", 



2) Altensteig, »um Obeiamt Nagold 



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254 



Wenn der Schäfer mit seiner Herde ins Dorf zurückkehrt, fra- 
gen die Kinder: 



Hanimelc mäh, 
Wo bisch gwäh? 
Auf der Weide} 



Was hoscht gsäh? 
Lauter Hammele mäh. 



Der Kaminfeger wird mit folgendem Spruch begnisst: 



KamenßLger kreideweiss 

Hat n Sricklc voller Latts, 
Kanns nemme trage, 



Sehmeisst *s uf de Wage, 

Un wenn der Wnj^e bricht, 

Daun sehmeisst er's auf den Mischt. 



Hört jemand auf den schönen Namen Gottii^ oder Gottlob, so 
erfreut man ihn durch den Zuruf: 



Gotiliebele, Gottlebele, 
Was machet deine G€s *)? 



Se päunderet, se pHaderet, 
So wüschet ihre SchwSnz. 



Recht schmeichelhaft für die Stuttgarter Mädchen ist folgender 
Gesang: 



Welast du nicht, wo Stuttgart liegt? 

Stuttgart liegt im Thalc. 
Wo so schöne Mädchen sind, 
Aber so brutale. 

Krüpf und Buckele hahcft sie 
Wie die Pomeraiuenj 



Waschen dch mit Eieiscfaalen, 
Dass de besser glansen. 

Gan^ iner weg met Sametschühle, 
Gang mer weg mit Bändele. 

Bauiemkdle sen mer lieber 
Als so Kaffeebemmbele. 



Den Schluss dieser Mitteilungen, für deren Vervollständigung 
ich meinem lieber Freunde G. Schuon recht herzlich zu Dank 
verpflichtet bin, mögen zwei KreisUeder machen, die hier zu Lande 
viel gesungen werden: 



Ringe, Ringe, Rcle — 
Kinder gehn in Schleie. 
Kinder gehn in Holderbnsch, 
hbkchet alle husch, husch, husch. 



Tübingen, Würtemberg. 



Unda.Muss wandern, muss wandern. 
Von einer Stadt zur andern. 
Da kommt ein lustiger Butsch*) herein, 
SchüllL'lt den Kopf, 
Stampft mit dem Fuss, 
Komm wir woU^ springen gehm — 
Andre mttssen stille stehen. 

Josef Buchhorn. 



XX. H. Zu: ZiiHi^t nubungoi an< I reitssen, (Urquell i'öij^.. Ii. 5 — «lo). 

1. Ich nun aber jedoch für iiiein Teil wenigstens also.... 

2. Assessors Antritts-Audienz. 

3. Der vom Präfect plötzlich entdeckte Dcfcct eines Confccts ist 
der schmerzlichste Affect eines pcrfcctcn Conditors. 



l) Ges = (iänsc. 



2) Sonst: ^ein muntrer Springer". 



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255 



4- Feuerwehr. 

Es kommt gerasselt die Feuerwehr, I Und nicht zu lan^^e das Feuer währ'; 
Zu sebeO) wo deno das Feuer war'. Denn wer löscht am schnellsten das Feuer, 

Sie «iltf damit sie dem Feuer wehr* [ Die tapfere Berliner Feuerwdir! [wer^ 

(Berl. Volks^Zeitung 1880. Nr. 19 t. 17. August.) 

5. Ein Kater ist ein durch Superlative Absorbierung von Fluidums- 
quantitatcn procrcitcr, abnormal provisorischer Übergangszustand, 
dessen generelle Corporalniiserabilitätsschwäche sich von der all- 
gemeinen Stomachalcerebralpatientiabiiität zu deliberieren sucht. 
(K, V. Z.) 

6. Hinter Hanses Hinterthür hängen hundert Hasen, (Hosen, 
Hemden, Hammel) aus; hundert Hasen (Hosen u. o. w.) hängen 
aus hinter Hansens Hinterhaus. 

7. Hitzpickel aufm Puckel, Hitzpickel aufm Puckel, 

8. Maxens Wachsmaske, Mäxchens Messwechsel. 

9. Mainzer Weinmanscher. 

10. Glatteis für Znns^en. Den Züricher Schützen widmet ein 
Schützenbruder in der „Schweiz-Schützen Zeitung" nachstehenden 
Spruch zum Schncllsprechen bei — wie er sich discret ausdrückt — 
„später Abendstunde" : 

Dass die Schützen Schützenlebeil SChätsen, Schätzen Schützen ihre Schätze, 
Das ist gaos am Platz; Jeder Schütz den Schatz beschützt; 

Doch ne icliBtaen aaeh dtnebeB Hoch der'i.Schfttz den Schtttsen schätze, 

Ihren treuen Schütsen^Schatz. Schfitsen<Sdiatz schätzt seinen Schütz. 

11. Schnief ke schnuwe bchnuwt hei nich, ma Priemke priemen 
prömmt hei sehr. 

12. Wenn i Kimm, Kimm i, aber [faus] i Kimm Kam [Kaum]. 
13 Wenn i Kimme K6, Kimm i scho; i glab, aber Kam, dass 

i Kimme K6. 

14. 's Milimadl hat a Mi Ii lad 1 und a Macaroninudelladl a. (Milch- 
mädchen, — Milchladen, — auch). 

15. 's e is' eh' ä; jetzt is's a ä ä. (Das E ist eher ä; jetzt is 

das a auch ä). 

16. Springt der Hirsch übern Zaun, brockt si* drei dridoppelte 
schone grüne braune Birnbleckerblattln ä (ab); sagt der Hirsch: 
dös is' a MÖr, der si' drei dridoppelte schöne grüne braune Birn- 
bleckerblattln abbrecken kä. (Diese fünf aus Süddeutschland). 

17. Ich stand mal am Rheinfall, | War* dieser Rheinfall ein 
Wcinfall, I Da hatt' ich 'nen Einfall, | Das war* so mein Fall! 

18. Gruss, Kuss, Schluss! 

19. Urcn kelchen, stiefen Kelchen sassen in dem Pelzer melchen. 



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256 



20. „Wackerer Wecker, wecke pünktlich den wampigen Weckerle 
als wackerer Wächter!" Aufschrift einer alten Weckeruhr des un- 
garischen Ministerpräsidenten Weckerle, welche derselbe s*Z. im 
Obergymnasium von einem seiner Professoren als Geschenk erhal- 
ten hatte und die jetzt auf dem Schreibtische auf seiner Besitzung 
in Danos sich befindet. 

21. Die Zehe zählt zehn. 

22. Vers auf einer illustrirte Postkarte für die Bastei, Sächs. Schweiz: 

Wer da will auf die Bastei, Weg vom , Wehlen" wohl zu wählen j 

Hat dei' Wege vielerlei. Regnet*» «lier, kann man tratsclien 

Weg von „Lohmen" ist zu loben, Und vergnügt dutch «Pötache** patscliai. 
Weg von »Rathen" anzuraten, 

23. Was ist ein Stammtisch? Eine Antwort auf diese Frage hat 
ein moderner Philosoph in diesen Worten gefunden: ^Ein Stamm- 
tisch ist ein bestimmter Tisch in einem bestimmten Winkel eines 
bestimmten Locab, an dem zur bestimmten Stunde bestimmte 
Gäste auf bestimmten Plätzen bestimmt sich niederlassen, um aus 
bestimmten Gläsern bestimmte Mengen eines bestimmten Getränkes 
zu vertilgen, dabei über bestimmte Themata zu sprechen und dann 
zur bestimmten Stunde aufzubrechen, weil man zu Hause zur be- 
stimmten Zeit bestimmt erwartet wird. 

A. Treichel. 



Der Tote in Glaube und Brauch der Volker* 

Eine Umfrage. 

V. Bei den Ceehen, — Im Glauben des Volkes gibt es unzählige 
Zeichen, die dem Menschen den Tod verkünden. Ein Todesfall 
tritt fast nie unangemeldet ein, ein Traum oder ein anderes Zeichen 
war fast immer da, wenn ein Erwachsener gestorben bt. Anders ist 
es freilich bei Kindern, obwohl auch bei ihrem Tode Zeichen auf- 
tauchen, aber viel seltener. 

Das gewittsel eines Hundes darf nie fehlen. Ist kein Hund im 
Hause, so ist ein solcher nicht weit. Der Hund winsel, weil er den 
vorüberziehenden Tod sehen soll. 

Das Aufgehen der Thüre, ohne dass Jemand eingetreten wäre, 
ein Krachen in der Stube, ohne dass man weiss, woher es kommt, 
plötzliches Stehenbleiben einer sonst gutgehenden Uhr und viele 
andere Zeichen, werden als Vorboten des Todes bezeichnet. 



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257 

Ich hörte oft erzählen, dass wer einen Sterbenskranken pflege, 
dessen Namen um zwölfe in der Nacht von einer unbekannten 
Stimme rufen höre; dann sterbe der Kranke noch in derselben Nacht. 

Träumt Jemand vom Herausfallen eines Zahnes aus dem eichenen 
Munde, von einer Hochzeit, einem Priester oder einem weissen 
Pferde, so muss er sich auf einen Todesfall in der Familie ;^'efasst 
machen. Die weisse Farbe im Traume ist überhaupt von sciilimraer 
Bedeutung. 

Auf Hühnerfedern dauert der Todeskampf lange, darum werden 
sie auch wenig gebraucht. Ein Mensch, den sein böses Gewissen 
drückt, kann im Bette nicht sterben, sonder nur auf dem Strohsack, 

auf dem Fussboden, oder anderswo. 

Ein Stück Brod muss ininiLi vom Laibe ganz weggeschnitten 
werden. Hat jemand ein Brod bloss an<4eschnitten, so dauert einmal 
sein Todeskampf so lange, als die angeschnittene Brodkrume am 
Laibe noch haften bleibt. 

Dem Toten werden die Augen mit grosser Sore^falt zugedrückt, 
denn bleibt ihm ein Auge eine wenig offen, so muss ihm bald 
Jemand aus der Familie nachsterben, den er sich .,ausgeschaut" hat. 

So lange der Tote im Hause weilt, weiss er alles, was um ihn 
geschieht. .Sowie man die Leiche aus dem Trauerhause hinausge- 
tragen hört dieser Zustand auf. 

iVuch keine Thränc soll auf den toten Körper fallen, denn die 
'i hi anea brennen den Verstorbenen und rauben ihm im Grabe die Ruhe. 

Wie ie.,t dieser glaube im Volke eingewurzelt ist. beweist ein 
Traum einer Frau, den sie meiner Mutter erzählt luit, und Träume 
spiegeln, wie be]::inni, Gedanken und Sorgen der Menschen wieder. 

Dieser Frau war Mädchen, das einzige Kind, das sie beses- 
sen hatte, gestorben und darum war lar Schmerz noch grösser. Sie 
weinte, wo sie gieng und einmal kam sie zu meiner ^Iuttcr und 
erzählte, dass sie von ihrem Madchen geträumt habe. Es erschien 
in seinem Totengewande, das es in den Händen aufgehoben hielt 
und sprach: „Sieh, Mutter, das sind die Thränen, die du ausge- 
weint hast. Die brennen so sehr und ich habe im Grabe keine 
Ruh." Dabei faltete sie das Hcmdchen auseinander, das mit Thrä- 
nen beperl war. 

Alles, was der Mensch bei Lebzeiten geliebt hat, soll ihm ins 
Grab mitgegeben werden. Manche Familien halten noch jetzt an 
diesem Brauche fest. Als Kind gieng ich einmal die Leiche eines 
Mädchens anschauen, in dessen Sarg zu Füssen Fuppe, Fingerhut 
und Nadel lagen. 



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25» 

Eine Frau in der Melniker Vorstadt Podol trug bei jedem Wet- 
ter, ob schön oder regnerisch, ob es warm war oder fror, so lange 
sie lebte, einen Regenmantel. Als sie gestorben war, legte man sie 
im Mantel ins Grab. 

Kleider eines Verstorbenen sollen nicht getragen werden. Ein 
Kleid beginnt sofort auseinanderzufallen, sobald der Körper im 
Grabe zu faulen anfangt. 

Hat ein Jüngeres von Greschwistern, das Ältere geschlagen, so ver- 
fault die Hand, die schlug, nicht im Grabe. Dieser Glaube schützte 
oft meine Schwester vor meinem Jähzorn. 

Am Friedhofe werden die Blumen, obwohl untersucht, nicht berührt. 
Gieng vom Grabe etwas verloren, holt es sich der Tote. Auch 
gerochen wird zu Grabblumen nicht ; wer es thut verliert den Geruch. 

Jeder Mensch hat am Himmel sein Stemlein. Wir schauten oft 
gegen den Himmel und suchten das unsere. Erlosch ein Stern im 
Augenblicke, wo wir ihn ansahen (Sternschnuppe), betrübte es uns» 
denn die Mutter pflegte es uns so zu erklären: «Ist ein Sternlein 
vom Himmel gefallen, ist ein Mensch auf der Welt gestorben." 

Erlischt eine Kerre am Hochaltare während der Messe, dann 
stirbt ein Mitglied des Regentenhauses. 

Schauerliche Sagen erzählt sich das Volk von den Seelen der 
Leute, die im Leben nicht ganz recht gehandelt haben. 

Eine alte Frau erzählte uns einst folgendes: 

In einem kleinen böhmischen Dorfe starb ein Bauer. Bald fürch- 
teten die Leute an des Verstorbenen Feldern in der Nacht vorüber- 
zugehen. Denn es spukte dort, so erzählten viele Dorfleute, gar 
ungeheuer. Die Bauern, die dort in der Nacht vorbeigiengen, sahen 
hinter sich eine Mannesgestalt, die einen Grenzstein in den Händen 
trug und beständig vor sich hinmurmelte: , Wohin mit ihm, wohin 
mit ihm?"*£rfasst vom Grausen, liefen gewöhnlich die Leute davon 
ohne sich umzusehen. So dauerte es längere Zeit. Einmal gieng 
aber ein Betrunkener an diesen Feldern vorüber und sah und hörte 
dasselbe, was schon so viele vor ihm gesehen und gehört. «Wohin 
mit ihm, wohin mit ihm?" murmelte die wunderbare Gestalt. Der 
Betrunkene wandte sich rasch um und sprach: ,Nun wohin, mein 
Lieber? Dorthin, woher du ihn genommen." „Ich danke dir," sprach 
die Stimme, „nun erst werde ich Ruhe in meinem Grabe haben." 
Seit der Zeit, ward dort nichts Wunderliches mehr gesehen. Daiiir 
aber sass der Grenzstein seit jenem Tage ein hübsches Stück im 
Felde des Verstorbenen, dem Nachbar einen guten Theil seines 
Ackers zuweisend. 



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259 

Von einem Erhängten erzählt ein Märchen: 

Eine Frau gieng in den Wald, um Holz zu sammeln. Da, als sie 
einen dürren Ast abbrechen wollte, sah sie einen Erhan^^ten daran. 
Die Frau nahm nun ihr Taschenmesser heraus, schHtzte ihm den 
Körper auf, riss ihm die Lunge heraus und gieng nach Hause. Dort 
stellte sie einen Topf aus Feuer, gab die Lunge hinein und kochte. 
Als die Lunge zu sieden begann, kroch sie in die Höhe und lief 
über. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thure und auf der 
Schwelle stand der Erhängte und murmelte: 



Moje plice 
lezou z hruce. 



Meine Lunge 

kricht zum Topf hinaus. 



Dabei gieng er auf die bleich dastehende Frau los, zerriss sie 
in Stücke, nahm seine Lunge wieder und verschwand. 

Wien. Josefine Kopecky. 



Besprechungen aus Lübeck. 

Von C. Schumann. 

1. Gegen Muncilaule (Foss). Der Fuchs und der Mund, die 
fallen ins Meer, | Der Fuchs ziehe hin, und der Verschwund 
komm' her. 

2. Gegen Rose. Rose, ich verbinde dich. Rose, mit unsern 
Herrn Christus seiner Hand stille ich dich. Rose, der heilige 
Geist fahr' über dich ! 

3. Gegen Magenschmerzen (Rewko un Hartspann). Herr Jesus, 
ich komm' in der Nacht, | Nimm von dem Kind die Schmerzen ab! 

4. Gegen Schmerzen (Schrinen) in der Brust. Schreien, ich ver- 
binde dich mit unsern Herrn Cristus seiner Hand. Der heilige 
Geist fahr' über dich. 

5) Gegen Brand. Wie rot ist der Heben (Himmel), | Wie kalt 
der Nebel, | Wie eiskalt die Totenhand! | Damit still' ich die- 
sen Brand. 

6. (iegen Ausschhig. In dieses Wasser hat sich versoffen | So 
manche Katz und so mancher Hund. | Damit stille ich diesen 
Beingrund. 

Eine Schüssel mit Traveuasser wird auf den Tisch gestellt, drei 
Butterbrude daneben gelegt. Einer wird ins Wasser getaucht und 



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26o 



damit die leidende Stelle bestrichen während des Sprechens. Dann 
giebt man Brod und Wasser einem Hunde oder einer Katze zu 

geniessen. 

7. Gegen das Verfangen eines Pferdes oder Rindes. (Gestörte Ver- 
dauung). Hast du dich verfangen in Wasser, Futter oder Wind, | 
So still' ich dich mit unsern Herrn Christus sein Kind. 

8. Zum Blutstillen. Blut steh' in deinen Wunden, j wie bei 
unserm Herrn Cristus in seinen letzten Stunden! 

Zu allen Sprüchen wird hinzugefugt : Im Namen Gottes des 
Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. 

9. Gegen Ungeziefer. Fest ist das Haupt, was ich angreife. Zehn 
Jahre sollst du sicher sein vor Ratten und Mäusen und endlich 
auch vor Kopfläusen. 

10. Gegen Brandwunden. Hoch ist der Heben, rot is de Krew 
(Krebs), kolt is Dotmanns Hand. Damit still ik Hitt un Brand. 

11. Gegen ein stal auf dem Auge. | Pus (blase) dat Mal von't Og, | 
Pus dat Mal von't Og, | Pus dat Mal von't Og. 

12. Gegen allerlei Süchten. Fruchtbom, ik klag di de Gelsucht, 
de Bähsucht, de Lungsucht, Rewko un Hartspann, dat plagt mi. 

13. Gegen Warzen. Wat ik ankiek, dat gewinnt, Wat ik öberstriek, 
dat versvvindt. 

Lübeck. 



Der Nobelskrug. 

Eine Umfrage von R. Sprenger. 

IX. Aux environs d'Eecloo — ville de la I I andre Orientale, si- 
tuee au nord-oucst de Gand — on raconte cc qui suit : 

Nobus etait un am iteur de Bacchus. Un jour il avait vendu 
son amc au liiable pour pouvoir paycr ses dettes. Apres dix ans, 
il devait I.i livrer. Le tcmps ccoule, notre soülard, au lieu de 
ceder son anu a Satan, lui caressa Techine a coups de baton. 
Depuis ce teuips-la Nobus se soüla tous Ics jouio. .Mais les bcllcs 
choses n'ont pas de longue duree .... Nobus mourut. II s'en alla 
vers le ciel, mais il y trouva visagc de bois. Alors il s'en fut a 
l'enfcr, et la porte s'ouvrit . . , — ^Nobus" cria le diable. C'etait 
justement celui auquel notre ivrogne avait administre une volee de 
coups. La encore, on l'cnvoya promener. Que faire iiiciiutcaant r 

Nobus üuvrit un cabaret, entre le ciel et Penfer, et ecrivit sur 



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26l 



Venseigne: In Halfweg woont Nobus {— Dans Mi-chemin habite 
Nobus). 

La il enivre tous ceux qui entrent. Ceci explique pourquoi un 
cabaret, situe a ögalc distance de deux communes, est appele: 
halfiveg- ou hahcrweghuiseken (= maisonnette ä mi-chemin). Voilä 
pourquoi aussi on dit d'un honime qui est dans les vignes: Hij 
keeft in Halfweg gezeten (= II a ete au Mi-chemin). 

Comp, les provcrbes neerlandais : Hij zit in nobiskrocg, onder 
Lucifers Stuart (II est au cabarct de nobis, sous la qucue de Lu- 
cifcr). Eer en tromu is in noluskroeg verzopen (= Le cabaret de 
nobis lui a fait perdre l'honneur et la probit^). 

A. de Cock. 



Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst. 

Eine Umfrage von R. Sprenger. 

Herr Lehrer a. D. Schatz zu Suderode a* Harz erzählte mir: 
Zu Rosenburg a. d. Saale lebte ein junger Mann, der seinen alten 
Vater aufe übekte behandelte und sich wiederholt thätUch an ihm 
verging. Als bald nach dem Vater auch der ungeratene Sohn ge- 
storben war, bemerkten die Bewohner des Orts mit Grausen, dass 
eine Hand aus seinem Grabe herauswuchs* Es wurde nach langer 
Beratung beschlossen, dass sie mit einer Sense abgeschnitten werden 
sollte. Nachdem dies geschehen, erschien das Wunderding nicht 
wieder. Die vertrocknete Hand wurde in der Kirche aufgehängt 
und dort lange Jahre zur Warnung für ungeratene Kinder aufbewahrt, 
bis die Kirche durch -eine Feuersbrunst vernichtet wurde. 

Northeim. R. Sprenger. 

^Aus dem Grabe wachsen solche Hände" (siehe ,das Friedens- 
fest. Eine Familienkatastrophe". Bühnendichtung von Gerhard 
Hauptmann. Berlin, 1894. V. Fischer. Die Vorgänge spielen 
steh ab in den 80^ Jahren in einem Landhaus auf dem Schützen- 
hügel bei Erkner, Mark Brandenburg. (Seite 11, dann 29, 35, 38, 
39> 48)- Bök. 



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262 

Obernamen. 

Eine Umfrage von Frans Brankj. 

V. Beinamen russisch-judischcr StadthcwoJiner . r. Gouv. Bessa- 
rabien : Ik-ssaraber maineliznikcs ') ; Hricaner jabednikes ; Lipka- 
ner durakcs ''); Skuljener pekelmachcr ^ Telesiter pelcn ^ji Uriwer 
mesigene"). 2. Gouv. Cernigow: Njczener §ikurim'); Osterer-mir iz 
sem alc ejus wi der Ostercr mojd 3. Gouv. Chcrson: üdesser 
Soltekcs''); Rowncr lojzakcs '"^) ; Salasncr inglach 4. Gouv. 
Grodnö: Janewer labrcs'^); Malier soloduchcs ; Rogiöener bck 
5. Gouv. Kalis: Klcccwcr farbrcntc farfl '^); Kuniner loksnfrcser ; 
Slipcer ganowim ''^). 6. Gouv. Kanicncc-Fodolsk : Orinjener ganü- 
wim"); Fikcwcr pelcn 7. (touv. Kiew: Buziwkcr sisters '^); 
Kiewer bosckamandc sarLatancs -'^) und izwoäöikes Motesier 
ejer ") ; Omaner naronim^^); Fawclicer kase mit fislach"); Pjatcrer 
balagules ^'j ; Stawisccr pipkes *") und griwn"); ^tipeniccr rOw "-^"); 
Teticweser sikirim'); Wolodcrkcr smoljarcs Zaskewer gano- 
vvim"); ^^iwctower pelcn 8. Gouv. Kowiio; Abolniker morcr^'^jj 
Cajkcsiker bek ") und oign^'); Kadaner krjuike.s ; Keim -~ in 
Keim Sloft nien "); Xa jstetcr danoscikes ; Ncmokstcr derwcr- 
gers ; Regok^r \varcmcs^"|; Ritcwcr nczcr '*'); Sader farfioimes ") ; 
Salaler Putrcnikcs '''^j ; Sniargoner bcrntrajber ; Soloker lewones ■*') j 
Suwajnikcr skichtes ; Weger strejenc dcchlach ; Widukler 
oign 9. Gouv. Lomza: jedwabner krichers*^)j Makewer chl'a- 



l) Maisesscr^ v. russ. mamaliga) Maispolenta. 2) russ. jabeduik, DeuuDCÜuit. 

3) nus. darak, Narr. 4) Schmuggler, Teigl. bayr. ptickeln, heimlich than 

(Schmeller, Bayr. Wtb.). 5) Pelze. 6) h. '^g^gf^t^ Wahnsinnige. 7) h. 

Q<n!|3^, Betrunkene. S) Ist mir ganz gleich, wie den Mädchen Ton Ostnu 

9) ? Spitxbuben. 10) Lausbuben. 11) Jungens. 12 ^ 13) russ, 

soloducha, siisslicher Brei aus gegohrenem Roggen oder Haidekommehl. 14) Böcke. 
15) Verbrannte Farbel (vergl. Farfelsuppe in Schmeller). 16) russ. lapla(^). 

Nudel? also: Nudelfresser. 17) h. Diebe. 18) Schuster. 19) russ. 

bosaja komauda, Baarfussarm6e. 20) Chariatane. 21) russ. izwozCik, Kut- 

scher. 22) E^er. 23) Narren. 24) russ. ka&a, Grütze, und kleine 

Fische. 35) h. ^3 Wagentretber. jt6) russ. pupok, Leber. 27) Giie* 

ben. 28) h. 3% Rabiner. 29) russ. smoljar*, Tbeerbrenner. 30) h. *^f^, 

Bitterspeise. 31) Ziegen. 32) russ. krju6ek, Haken. 33) In Keim 

schlaft man. 34) russ. donoscik, Denuncianten. 35) Erwürger. 36) CWarme) 
Mi Itagsmahlzeit. 37) Nasen. 38) Farbelgemuse (vergl. Zimmes bei Schmeller). 
39) Butterkuichen. 40) BKrentreiber. 41) h. niD^i Monde. 4a) poL 

szlachta, Edelleute. 43) Strohdücher. 44) Kriecher. 



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263 



pes ■''"') ; Stawjc^^kcr cimbakes lO. Gouv. Minske: Kapulcr na- 
ronim*'); Klccker ganowim'^); Mirer krupriikes * ; Ncswizer la- 
suncs ''^). II. Gouv. Flock: Drobniner kozes ; Mlawcr frcscrs "''). 

12. Gouv. Poltawa : I ladjiccr jabcdnik ^) ; Lochwecer zadi ipkes 
und ganowim'^); Piratcncr oifrn"); Poltawer apikorsim Prilu- 
ker chazejrim ; Romener hultjajes ; Zinkewer kartjoznikes *®). 

13. Gouv. Suwalk: Kalwarier kakikotkes ; Lazdcjer linzn '^^j; 
Libovvcr oign^'); Marienpoler ganowim '"^) ; Najstoter smotres^^); 
Prener plotkes *^") und jachsonim ; Simmer mejsim ; .Suwalker 
pricim^'); Wolkowisker hcncr*'*). 14. Gouv. Warschau: Makewer 
malcliemowesn ) ; Nasielsker chajsck *'^) ; Praeter nasers '^^); WarSe- 
wer fl'aders *'^). 1$. Gouv. Wilno: Aiiter holcpjatriikes •'^) ; Araner 
mejsim"); Dojger oign^'); Drajni^oker latusnikes "°) ; Janewer fur- 
manes^'); läeSker kanewodes ; Mechalisckcr srumpers ; Lider 
pjanices '^*) ; Namenajcer pjanices ; Punjer batlonim^*); Radiner 
äwenc''"); Skuder farflcimes ^'"'j ; Swirjer zgures"); Walkinikcr dra- 
Aices^'). 16. Gouv. ^itomir: Altkosentiner balagules ; Mezirccer 
nisrufim Tiöener warnickes 17. Verschiedenes: Petersburger, 
Deneborger zulikcs ; Razaner kosepuzcs "*) ; Piltener (Kurland) 
najnougn'*); Litwak cejlemkop ^'). 

Gesammelt von Leo Wiener. 

Harvard University» Cambridge, Mass. 



45) pol. chlapac, schlampem; VerschUtmperte. 46) Cymbalisten. 47) wie 23. 
48) russ. Krupnik, Graupen. 49) russ. lasun, Nascher. 50) russ. koza, Ziegen. 
51; Fresser. 52) kl. ni^s. zadripa, Weib mit zerlumpten, unten aufgedrieseltem 

Kleid. 53) h. 2^Cn.P"'St«i Abtrünnige. 54) h. njn, Schweine. 55) kl. 

russ. hultaj, liederlicher Kerl, Gauner. 56) russ. karteinik, (falscher) Kartenspieler. 
57) PurimscluuuTe, vgl. klokotat*, brodeln. 58) Linsen. 59) russ. smotr, Fkrade. 
60) pol. plotka, Intrigue. 6t) Qlj^}||^ guter Abstammung. 6a) b. Q^r)l^> 

Tote. 63) b. D^itnp» Edellente. 64) HiOme. 65) h. npn"'^N7D. 

Totesengel. 66) p^n, Ltetender. 67) Nascher. 68) pol. flader(^), 

flatterhafte Person. 69) kl. russ. holopjatmk. Haderlump. 70) pol. latacz, 

Altflicker. 71) Fuhrleute. 72) russ. konowod, Pflerdexficbter. 73) Schlamper. 
74) pjanica, fiesoffene. 75) b. □>;^3i Mttssigganger. 76) Schwänze. 

77) ? Art kleiner Fische. 78) russ. drjan* Nichtsnutz. 79) h. T)by^ b}l^ 

Wi^entreiber. 80) h. D^p'l'ltC^:, Abgebrannte. 81) mss. vatenik, Kloss. 

82) mss. SttUk, Spitzbube. 83) mss. kosapuza, Krummbauch. 84) Neunaugen. 
^5) ^' — Krenz, also Kreuzkopf. 



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264 



Posener Verwandtschaft des Dessauer Mellespiels. 

Zu dem von mir beschriebenen Mellespiclc („Am Urquell" Bd. 6. 
S. l84.)i welches ebenso oder ähnlich im östlichen Deutschland 
unter verschiedenen Namen von den Kindern gespielt wird (vgl. 
,Der Urquell" Bd. i. S. 212.) theilt Hr. Sanitätsrath Dr. Köhler 

zu Posen mir noch Folgendes mit. 

„Das Spiel, welches in der Stadt und der Provinz Posen viel in ' 
Übung ist, wird hier ^Paliint", ^Steckoipferd''' und y^Ktöcki'' (— ' 
Klötzchen) sowohl von Deutschen, als auch von Polen genannt. 
Das Spielviereck (in Dcs<?au : Poske) wird vom Volke ^ni^nta" (eigent- 
lich ^meta" ~ Ziel), wohl auch ^Mcnte" von Deutschen genannt; ^ 
die Grenze des Vierecks hcisst (auch im Polnischen) der ^ Kesser. 
Von den beiden Spielern steht der erste gory" {^^ oben), d. h. 1 
am Kessel, der andere ^doli^ (— unten), d.h. entfernt von der 
menta. Spieler I. hält ein kurzes an beiden Enden zuj^espitztcs 
Stäbchen, ^Klocck'' ( - Klötzchen; in Dessau: Melle) mit der linken 
Hand, mit der rechten den andern, länj^crn Stock, Der Spieler 

sucht nun das Klötzchen durch Anschlagen mit dem Stocke in der 
Luft nach der Mitte, d. h. in den abgeschlossenen Raum zu treiben. 
Gelingt es ihm, so ist das Spiel gewonnen, und man sagt dann : „Tot". 
(Letzteres Wort ist wiederum ursprunglich deutsch.) Ist aber das 
Klötzchen über die Grenze hinausgeflt>gen, so geht 1. hin und 
schlägt dreimal auf das eine Ende des Klotzchens, damit es jedesmal 
ein Stückchen weiter von dem Kessel entfernt wird. Nun kommt 
N" IT. an die Reihe und sucht von dieser Stelle aus das Klötzchen 
durch Anschlagen in der Luft in die m^'nta zu treiben. Gelingt ihm 
dies, so hat er gewonnen. Wenn nicht, so misst man mit dem 
Stocke, wie viele Längen das Klötzchen von dem Kessel entfernt 
blieb ; diese Zahl wird der II. zugute gerechnet. Wer gewonnen 
hat, der spielt weiter. Man pflegt um 50 oder 100 Stocklängen zu 
spielen ohne Einsatz und ohne Strafe, nur um die Ehre des Ge- 
winnens. 

Zu meiner Knabenzeit gab es dieses Spiel in Posen noch nicht; 
es kann hier höchstens seit 40 Jahren eingeführt worden sein und 
zwar nur aus Deutschland, was die deutschen, nun auch in's Polni- 
sche eingedrungenen Spiclausdrückc beweisen.*' 

Arnstadt i./Thüringen. Dr. med. Franz Ähren dt s. 



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265 

Polkloristische Findlinge. 

Zur Namen gebung bei Juden, Es ist in meiner Heimat Bukowina 
Sitte, die ersti,^eborenen und Lieblingskinder nicht nach den ihnen 
bei der Geburt gegebenen Namen, sondern mit dem Prädicate 
„Alter" zu benennen, resp. „Alte" bei Mädchen. Gewöhnlich * 
wurden auch solchen Kindern die Ohren mit einem goldenem 
Reife versehen. Es ist mir erinnerlich, dass einer meiner Freunde, 
mit dem Namen „Alterl" von seiner verstorbenen Grossmutter bis 
in seine alten Tage angesprochen wurde. 

Wien. Moriz Amster. 

Ein Lebcnsmass. — Die Genfer Schreckensthat fand, natiirlich, auch 
in den weitesten Volksschicliten einen tiefen Wiederhall. Inden ver- 
borgensten Winkeln wurde darüber nachgedacht, discutirt, mitgefühlt. 

— Und man hat die arme Kaiserin auch so geschnitten, wie die 
anderen Leute? fragte einmal unser Dienstmädel, Ilana Kejuk aus 
Oschechleby in der Bukowina, welches unserem Tiscligespräche un- 
bemerkt zugehört hat. — Ja, antwortete man ihr. — Nun, und 
wie lange hätte sie noch leben sollen ? fragte sie weiter. — Das 
kann man ja nicht wi.ssen ! — Warum nicht gar, die Arzte wissen 
es schon! sagte sie überzeugt. — Nun, wie so? — Die Ärzte neh- 
men dem Ermordeten das Gehirn heraus und legen es in eine 
Schüssel mit Wasser. Wenn ihm nicht länger zu leben bestimmt 
war, so geht das Gehirn unter, wenn er aber noch zu leben hatte, 
so schwimmt es oben und dreht sich. Da halten die Ärzte solche 
„Grade** und messen ab: wie viele male das Gehirn sich umdreht, 
so viel hätte dieser Mensch noch leben können ! — 

Gisela Jaworskij. 

Die wunderbaren Brautwerber, (Nachträge zu Bd. II. S. 197 — 198). — 
Bei meinen weiteren Märchen.studien fand ich noch einige Parallelen 
zu diesem stark verbreiteten Märchen. Es sind dies: Chudjakow, 

Wclikorusskija skazki, I, 118 — -i2i; Sapkarcw, Sbornik ot bolgarski 
narodni umot uorcnija, VIII, 14 — 16, IX, 399 — 400; Dobros.iwlewic, 
Pripowctkc iz srpskoga naroda, 78 — Si; Sbornik materjalow po et- 
nografii, izdawajem\'j pri daskowskom muzeje, III, 151 — 153; Blade, 
Contes populaires de la (jascognc, III, 18 — 22, 38 — 40; Radioff, 
Proben der VolkslitleraUu der türkischen Stämme Südsibiriens, 
IV, 460 — 469; Potanin, Ocerki sjewero-zapadnoj IMongolii, IV, 
201 — 203, 303 — 504, 787 — 788. J. Jaworskij. 

18 



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266 



Vom Büchertisch. 



Klu oBum ßsdus Fat Shin Fo. Eine vcrkurzie Version des Werkes 
▼on den tranderttatisend Näga's. Ein Beitrag zur Kointniss der Tibetischen 
Volksrelifjion von Dr. Berthold Laufer. Einleitung, Text. Cbetseinmg 
und Glossar. Plclsingfors (M^moires de la soci^t^ Finno-Oagrienne. 
XI), pp. V, (20), 120, lex. 8*. 



Es ist ein erfrenticties Zeichen der Zeit, dass die Philologie sich immer enger mit 

der ethnologisichen Forschung verbindet. Frazer auf dem Gebiete der cla^si^chen 
Philologie. Robertson Smith auf dem der semitischen, Oldenberg und eine 
ganze Reihe hervorragender .Sanskritisten anf dem der Sanskrit pbilologie haben hoch- 
wichtige Beiträge zur Ethnologie, namentlich snr Religionswissenschaft, geliefert. Mit 
Freuden begrüssen wir ein Werk, in welchem ein trclllichcr Kenner des Tibetischen 
uns die tibetische Literatur fiir ethnologische Zwecke zugänglich macht. 

Was nns bisher über die tibetische Volksreligion, die sogenannte Bon-Rilipon^ be- 
kannt i^ewordrn, i>t ;^li'^he^st dürftig und spärlich und, tia es fast au5sch!ie>>lich aus 
buddhiaLiichcii und daher gelrublcn '^'uellen entstammt, keiaeswegs sehr zuverlässig. 
In einer wertvollen Einleitung [pp. lo ff.] hat Laufer die Literatnr aber die Bon- 
Rclij^i jn übersichtlich zusammengestellt. I>:i^ Werk -elbst. .scIches un< Lnnfer in 
Text und Übersetzung mit wertvollen Auuicrkuugeu i,ibi . ist p. (iSjif. nachge- 

wiesen wird] eine ziemlich plump durchgeführte buddhistische Umarbeitung eines ur- 
spriinf^'lichen Werkes der Bon-RellgL n. Wir 1 rauchen aber bloss die Uebersetzung zu 
leseuj um zu sehen, wie viel Volkstümliches in dem uberiicizten Text trotz des budd- 
histischen Gewandes nodi erhalten geblieben ist. 

Wir sehen hier den Schlav.-^^ncuJt bi=: an die ritiv^crstc Grenze der .Möglichkeit ent- 
wickelt. Die Nägas oder Schlangcngottheitcn werden als Elementargeister angerufen, 
^hausend auf den im Kosmos, Erddl und In der SdiÖpfnngswelt gelagerten Meeren 
und Strömen, Flussufem, Seeen, Quellet V ictcn. Bachen, Teichen und andern Gewäs- 
sern, auf den sieben Bergen, Felsenbergen und erdigen bteinen, in Wind, Feuer, Wal- 
ser, Aedter, in allen jenen Elementen". AUe Arten von Opfer werden ihnen darge- 
bracht: man fleht sie i;m Schutz und Schirm in allen Lebenslagen an, naniendich 
erbittet man von ihnen Regen (p. 57). Ja, man beichtet den Nägas alle Sünden und 
bringt ihnen Suhnopfer dar (pp. 46, 50, 55). 

Wie beim indischen Schlangcncuh den Schlangen nicht nur Opfcr<;al len. wie Speise 
und Trank, sondern auch Wasser zum Baden, Salbe zur Toilette u. dgL dargebracht 
werden, so werden in dem vorliegenden tibetischen Text den ScUaogen auch alle Arten 
von .\rzncimitte!n dargebracht, und bei dieser Gelegenheit gewinnen wir einen über- 
aus interessanten Einblick in die tibetische Volksmedizin. 

Einige Partien des Werkes werfen ein wertvolles Licht auf die primitiven Ideen vom 
Opf n- vmd vom Gebet. Wenn wir solche Formeln lesen wie: „Weil ich alle Arten von 
K^auchcrwerk dargebracht habe, möchte ich wohlriechend und beliebt werden. Weil ich 
alle Arten von Arzeneien dargebracht habe, möge ich von den . . . vier Krankheilen 
befreit werden. W'eil ich alle Arten von Getreide dargebracht habe, möge ich vom 
Elend der Hungersnut, des Grasmisswuchses und der Missernte befreit werden," u. s. w. 
(pp. 45, 57) — wenn wir dies lesen, können wir allerdings an die buddhistische Lehre 
vom Karman (der That, welche unabwendbar ihre Folgen iiaben mnss) denken; es 
drängt sich uns aber auch die Verglcichung mit dem sogenannten „Sympath-czaubei " 
auf. So wie man in der Volksmedizin .A.chnlichcs mit Aehnlichem heilt (sinulia simi- 
lilnis curantur), so ist es auch mit dem Opfer: .Aehnliches bringt Aelinliche- hervor. 

Laufer ist ein tiichtii;er Plaloli ij^e, der aber auch ein scharfes Auge für alle> Eth- 
nologische hatj und auch mauch feine \ <ilkerpsychologische Anmerkung findet sich in 
dem „Glossar", welches nicht bloss ein Wörterverzeichnis ist, sondern auch eine Fülle 
von philologischen und ethnologi clien I j iHiiterungen zu dem übersetzten Text bietet. 

Wir hofien dem gelehrten Verfasaci auf diesem so wenig bebauten Gebiete noch oft 
zu begegnen. Ethnologen und Religionsforscher werden weitere Aufschlüsse Uber die 
til et! che Volksreligion und deren Literatur el>en$o dankbar b^rüssen, wie die vor> 
liegende Schrift. 



Prag. 



M. Winternita. 




26/ 



D«r Privatlehrer. Bilder aus dem jüdischen galizischea Leben. Von 
M. M. Oiserkis. In 4 Bänden. 8<>. Drobobycz 1897 u. 1898. 

Die jüdisch-deutsche Litteratur ist das Verständigungsmittel, durch das die Juden des 
Ghetto auf allen Gebieten des Wissens mit modernen Bestrebungen zunächst in Ver- 
kehr treten. Mit jüdischem Wite und jttdiscber Tronic werden häufig die alten Zustände 
gegeisselt. Es wird dem Juden gezeigt, wie er sein soll, und entgegengehalten, wie er 
ist. Gerade der letzte Umstand macht aber diese Litteratur für die Folklore bedeutsam. 
In diesen Werken bleibt jüdisches Volkstum in seiner natürlichen Gestalt dauernd 
aufbewahrt: jüdische Sagen, Bräuche, Sprichwörter, Redensarten und nicht zuletzt spe- 
cihsch jüdischer Witz. Da/u nicht !o5;^;el^)^t vom Zusammenhange und in ermüdenden 
Colonncn hintereinander gereiht, simderu im l)unten Wechsel Icbcuswarm aus dem 
Munde <lcr Menschen kommend, die uns vor Augen geführt werden. So bewahrt das 
jüdisch-deutsche Schrifttum die Denkmale eines in seiner Art eif;cnthümlichen deutscheu 
Volkstums, desäCD Zerstörung es sich zur Aufgabe inaeh;. Lad wie man cgyptische 
Volkskunde wohl aus Hieroglyphen-Inschriften auf Pyran^dcn und Obelisken aber nicht 
aus Romanen von Ebers kennen lernen kann, ebenso wird man einst jüdische Volks- 
kunde aus den Werken des jüdisch deutschen Schrifttums schöpfen und nicht aus Er- 
Zählungen eines Kompert, Auerbach, Sacher-Masoch, wie gediegen diese auch 
sein möc^en. 

Mit diesen allgemeinen Ausführungen ist zugleich der vorliegende Komap chaiacterisirt. 
Der Privatlehrer, ein fein gebiltleter, armer Mensch wird Cultvrträger in einem kleinen 

galizischen Ort. Wie Regen auf Frühlingsaat wirkt sein Wort auf die wissensdurstigen 
Seelen der jungen Generation. Aber die Alten haben die Gefahr bald erkannt. Sic 
sehen etwas zu spät ein,, dass man nicht fremdes Wissen und Wesen ohne Übergänge 

auf seine Cullur pfropfen kann. Es beginnt der Kampf der alten Zeit gegen die neue, 
der wie überall mit dem Siege der Jugend endigt. Das werk würde eine Verhochdcut- 
schung verlohnen. 

Wien. I. Robinsohn. 

Dennett, R. E.: Notes on ike folklore of the Fjort (Frenek Congo). 
With an Introduction by Mary II. Kingsley. London 1S9S. XXIV, 
XXXII, 170 p. 8f. Published for the Folk-Lore Society by David Nutt. 

Das ist der 41. B. der für die Volks- und Völkerkunde früchtereichen Schriften 
dieser vorbildlichen Gesellschaft, mit der die nordamerikanische wetteifert. Beide leisten 
vortrefllichcs, weil jedes Werk als eine Ehrensache der Societät aufgcfasst wird und 
alle nächsten Fachgenussen des Urhebers einer Arbeit pilichtgemäss zu deren Vollendung 
beitragen. So stellt man eine Sache in die richtige Beleuchtung und der Lernende, 
d.h. der Leser, der lernen will, weiss gleich woran er ist. An diesem Buche beteiligte 
sich auch E. Siduey Hartlau d, der das Rohmaterial des im fernen Afrika hausenden 
Sammlers in brauchbare Ordnung brachte. Frau Kingsley lieferte auch noeh den 
Anhang von S. 116 bis zum Schlüsse, der mehrere Totenklagelieder im Text, teilweise 
mit luf cint'^cher Dulmetschung bringt. Wozu wäre denn die lateinische Spraehe erfunden, 
sagt der Sehulmeisler bei Müller von Itzehoe, als für solche Dinger Die Einleitung 
orienlirt uns in vollkommen befriedigender Weise, sowohl über die Art der bisherigen 
Sammler als über die Ertjelsnisse ihrer Tnligkeit. Heli Chatclains vorziigüchc Folk- 
Tales of Angola und die Zeitschrift f. afrik. u. oeean. Sprachen werden darin auffälli- 
gerweise nicht erwähnt. Hübsch ist die Würdigunj/ des Volk^laubens und der Über- 
lieferungen. Die Frage, woher zu den Negern der I ndinesagenstoff und andere uns 
bekannte Motive gelangt sind, beantwurict .-.ich leicht, woferu überhaupt eine Ent- 
lehnung angenommen werden muss. Frau K. gibt sich ja selber Antwort, indem sie 
die Geschichte der sichtlich crgckmislosen Ikkehrunf^en duieli portugicsI^Lhe Missionare 
des XVL u. XVII. Jahr, skizzirt. Man braucht auf die katholischen Missionare keinen 
Stein zu werfen; die christliche Kirche hat ja bei den SQdslaven nicht einmal im Laufe 
eine- Tahrtan«scnd> einen bedeutend tieferen Frfulg crrnni^en. Mit Fabeln und Mythen 
können die Völker selber im Cberlluss aufwarten und mit religiösen Vorstellungen nicht 
minder. Was sie brauchen, ist Sicherheit der Person und des Eigentums, Agrikultur, 
Technik, Handel und Verkehr. O, diese Neger sind gar feine und witzige Kujife, wie 
man aus den XXX Erzählungen dieser Sammlung ersieht (mehrere sind zudem noch 
in die Schilderung mit hioeinverwohen). Die Tiergeschichten Übenviegen \ sie sind vom 



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268 



Teil gar luitig und anmutii^, rech: gefällige Seitenstücke zu unseren Tiersagen. Maa 
mnss diesen Dingen mit Eifer und Aufmerksamkeit nachgehen. Die afrikanische Folk- 
lore i'^t f'ir die Fürschung beinahe so wichtig als die australische. Hier, an diesem 
Material tnuss man sich schulen, um un.ser eigenes, europäische^ Volkstum ohne ge- 
schichtlich-literarische Vorurteile in seiner ge.schichtlichen Entwicklung zu erkennen. 
Selbstverständlich weist das Buch ein gutes ScUagwöitareffeichnis auf. 

Kr auss. 

Dr. W. Caland: Die altindischen Toten- und Bestattungsgehxäuche, 
Mit Benützung handschriftlicher Quellen dargestellt, Amsterdam 1896. 
J. Müller. 192 S. 8». 

So oft ich ein gutes, wissenschaftliches Werk fiher die Inder sur Hand nehme und 
drin lese^ was öfters geschiehti befallt mich eine Art Heiterkeit; denn ich muss dabei 
immer an das Göttermacherpaar Krek und Nodtlo und an deren religiöse Glau» 
bcnsartikel von der indischen Abstammung der Slorenen und Chrowoten denken. 
Beide Herren emp&nden das Bedürfnis gleich so manchen Parvenüs, die von ihnen 
entdeckten Urslovenen und Urchrowolcn mit einer Ahnengallerie anrustattcn. Tm vo- 
rigen Jahrhundert war es noch Mode, den Ursprung europäischer Volker von dunkler 
Vergangenheit auf die zehn verlorenen Stilmme Israels zurückzuführen; in unserem 
Jahrhundert der Antiscmitorci kam man von die«;er Narretei wohl ab, aber weil man- 
che Leute ohne Possen sulchei Art die Welt zu langweilig finden, machten sie die 
indischen Eroberer (Aryas) zu Stammvitem oder Stammväterbrudern des grössten 
Teils der europäischen l'evölkerun<T. Wer tanzen will, dem ist bald gefiedelt, und der 
Parvenü lässt sich leicht ciaeu Stammbaum aufschwindeln. Die Slovenen sowohl als 
die Chrowoten sind ein herrlich schöner Menschenschlag; man kann in diesen swei 
kleinen Gebieten zahlreiche prächtigen Typen des europäischen — meinetwegen des 
germanischen, romanischen oder slavischen — Menschen tinden, aber nur, wenn man 
sehr eifrig und ausdauernd sucht, hie und da welche, die nach unseren Begriffen 
ebenso hässlich und abstosscnd ausschauen, wie das Gros der Inder. Eine leibliche 
Abstammung der Slaven von den Indern zu behaupten, wäre augenscheinliche Toll- 
heit. Das ficht einen Krek natürlich nicht an. Ihm genttgt es, dass im Anfange des 
X. Jahrhunderts ein arabischer Reisende in 'Russland einer fürstlichen Leichenver- 
brennung beigewohnt hat, um i. diesen Brauch trotz allen gegenseitigen Zeugnissen 
för ursprünglich und allgemein slavisch und 2. die Slaven als Indersprösslinge für 
erwiesen hinzustellen. Wie hinfällig und nichtig seine Deduction i-t, ersieht man 
aus Calands grundlegender, den indischen Brauch in erwünschtester Weise beleuch- 
tenden Monographie. Mit der Untersuchung slavischer Totengebiüuche habe ich mich 
schon viel beschäftigt, mehr als einen .\bschnitt darüber veröffentlicht und habe Stoff 
für ein Buch beisammen; auf Grund dieser Kenntnis beliaupte ich angesichts des 
Cal an di sehen Werkes, dass die slavischen Totengebriluche ebensoviel und eben« 
sowenig als die deutschen irgend etwas für die Hypothese des Indogermanentums 
oder Indoeuropäertums beweisen. Die Verschiedenheiten bind nicht viel kleiner als 
die zwischen unseren und indianbchen entsprechenden Gebräuchen. Das, was allen 
gemeinsam ist, muss man hier vorzüglich innerhalb des Rahmens des Völkergedan- 
kens suchen. Calands Arbeit gibt sich zunächst als eine gewissenhafte philologische 
Leistung, ist aber dabei von bedeutendem Werte für die Volksforschung und reiht 
sich bestens Lucian Scherman's ^Materialien zur Geschichte der ind. Visionslitte- 
ratur' (Leipzig 1892) an, die es nach einer bestimmten Richtung hin erfolgreich 
er^nzt. 

Einen prächtigen Nachtrag zu seiner Arbeit liefert Caland i^elber mit der eben 
erschienen Untersuchung: Een indogermaansch l.iisf/ otii-qcöruik ^ Amsterdam 1898, 
P- 5*> ßf. 8*. Es wird sich mir noch eine Gelegenheit darbieten, beide Leistungen 
Calands eingehend zu würdigen, sobald ich meine einschlägige Monographie fiber 
südslavische Totengchräuchc wieder vornehme. Vorläufii; mache ich die Fachc;enos';en 
auf Calands Bemüliungen nachdrücklichst aufmerksam. Kr auss. 



X. 



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INHALT. 



[Nach Abschluss von zehn Banden soll für alle ein genaues Schlagwörterverzeichnis 

angefertigt werden]. 

Abeking, M.: Totengebräuche in Portugal, i66 — 172*, 202 — 209. 

Achelis, Th. : Socialpsychologische und geographische Perspektive, 51 — 57. — E. 
Roh de 's Psyche (Anzeige), 190 — 191. 

Ahrendts, Dr. med. F.: Hexengesang, 95 — 96; — Zaubergeld (Umfrage), L2J- — 
Poscner Verwandtschaft des Dessauer Mellespieles, 264. 

Amster, Moriz: Zur Namengebung der Juden, 26s. 

Asmus: Volksrätsel aus Pommern, (mit literar. Nachweisen von Dr. A. Brunk in 
Stettin), 35—39- 

Böck-Gnadenau, Josef: Zu Urquell II. S. 4^ — LS. 264; afiiL auf S. 188; — 
Volksmedizin und Volksrätsel aus Niederüsterreich, 210 — 213; — Blauer Safran, 
230. — Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst, 26L. 

Branky, Franz: Zum Vogel Hein (l'mfrage), 115: 228 — 229. — Übernamen (Um- 
frage), 119 — 121; 262 — 263. — Knickcr-Kugel-Stcinis, 239 — 241. 

Brod, A. : Jüdische Totengebräuche in Ostgalizien, 109 — iio. 

Brunk, Dr. A. : Tierstimmen im Volksmunde, 43 — 45. — Literar. Nachweise zu 
Volksrätseln aus Pommern, 35 — 39. 

Buchhorn, Josef: Knicker-Kugel-Stcinis (Umfrage), 218 — 219; 239 — 241. — Kinder, 
lieder aus dem Schwabenlande, 253 — 254. 

Caland, W. : Von der Wiedergeburt Totgesagter, 193 — 194. 

Cock, A. de: Der Nobelskrug, 260 — 261. 

Eder, Robert: Zum Vogel Hein, iitj. 

Feilberg, H» F.: Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst, 90 — 91. 
Frankenstein, Moriz: ^echischer AlUagsglaubc, 46. 

Franko, Dr. Iwan : Volkstümliches aus rutenischen Apokryphen, 82 — 85. 

Friedländer, Dr. Emil: Volksmedizin bei galizischen Juden, 33 — 34. — Wiederkeh- 
rende Geister, 46. — Die Teufelsgcburt, 141. — Ruthenische Sagen, 184 — 187. 

Grüner, Wilhelm: Chinesische geheime Gesellschaften, 157 — 165. 

Güdemann, Dr. M. : Der Nobelskrug, 112 — 113. 

Haase, K. Ed.: Kinder- und Volksreime aus dem Grafschaft Ruppin, 251 — 253. 
Heilig, Otto: Alte Segen, loi — 105; 172 — 175; 241 — 244. 



270 

Hennann, Anton: Lebendige Richtschwerter, 177 — 179. 
Höfler, Dr. M.: Das Hirnweh, 99 — 101. — Perchta, 199 — 202. 
Jaworskij, Gisela: Ein Lebensmaass, 265. 

Jaworskij, Juljaii: Die wilde Frau (Volksglauben der Südrussen), 78 — 82. — Aus 
dem bukowiner Alltagsglauben, 92i — Notizen zur Geschichte der Märchen und 
Schwanke, 195 — 199. — Die wunderbarer Brautwerber, 265. 

Kopecky, Frl. Joseflne: Cechisches Wiegenlied, 40. — Woher kommen die Kinder, 
88 — 89. — Totengebräuche bei den Cechen, 256 — 2SQ. 

Krauss: Die Milchbrüder. Ein Guslarenlied, 5 — 26. — Die Froschhexe, ^ — Frie- 
drich Müller (NachruQ, i8q. — Der Nobclskrug, 220. — Ein Vorrecht der Volks- 
kunde, 233 — 239. — Knicker-Kugel-Steinis, 241. — Referate über Schell, 47 ; 

M. Bower, 48 f.; D. G. Brinton, ^ f.; Kleinpaul, 97 ; M. Grunwald, 
98 ; B. Ldzdr; V. Korajac; J. Beckmann; A. Seidel; Achclis (Archiv f. 
Rel. Wiss.) 191 ; Sartori (Bauopfer); Pastrnck und Kovdf (Narod. C. Sb) 192; 
Asm US und Knoop, 231 ; P. de Mont und A. De Cock, 231 ; S. Mandl, 
232; R. E. Dennet, 267 ; W. Caland. 

Krönig, Fr. : Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre, 92 — 95 ; 122; 140. 

Landau, Dr. M.: Mittel gegen Regen, 187 — 188. 

Laufer, B. : Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorsprossen, 86 — 88; 
221L. — über eine Gattung mongolischer Volkslieder und ihre Verwandtschaft mit 
türk. Liedern, 146 — 157. 

Mandl, Leopold: Menschenvergötterung, 106 — 107; Fabeltiere im altjüdischen Volks- 
glauben, 227 — 228. 

Meier, Dr. John: Zu Urquell IL S. 114, iM. 

Nadel, Moriz: Jüdische Totengebräuche in Ostgalizien, 108 — 109. 

Perez, L. : Judendeutsche Volkslieder aus Russland, 27 — 29. 

Pitre, G. : La festa di Lucia in Siracusa, 75 — 78. 

— r: Referat über R. v. Strcle's ,Palmeser, 4^ — Wein eck 's ,Knecht Ruprecht'; 
Das Emtekind, 187. — Lebende Tieropfer, 230. 

Rabe, Lehrer: Zum Vogel Hein, 228 — 229. 

Robinsohn, Isaak: Judendeutsche Wiegenlieder, 39 — 40. — Zaubergeld, tai- — Von 
der Hand, die aus dem Grabe herauswächst, 176 — 177. — Judendeutsche Sprich- 
wörter aus Ostgalizien, 221 — 222. — Referat über M. Sl. Oiserkis, 267. 

Sartori, Paul: Grabgetränke, 110 — 112. 

Schell, O. : Woher kommen die Kinder (Umfrage), 88 — 89. — Erläuterungen zu 
Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre, 92 — 95, 122 — 140. — Beiträge zur 
Volksjusliz im Bergischen, 222 — 227. 

Schlegel, Gustav: Proben von chinesischer Folklore, i — 5. 

Schukowitz, Dr. Hans: Übernamen, 119 — 121. — Bauernanekdoten aus dem March- 
feld, 248—257. 

Schumann, Colmar: Niederdeutsche Frost- und Schoosslieder aus Lübeck und Um- 
gegend, 40 — 42. — Besprechungen aus Lübeck, 259 — 260. 

Seidel, A. : Arabische Sprichwörter aus Egypten, 116 — 119. 

Sprenger, R. : Lebendige Richtschwerter, 31 — 32; 177 — 179. — Der Nobelskrug 
(eine Umfrage), 34 — 35; 112; 219 — 220; 260 — 261. — Von der Hand, die aus dem 
Grabe herauswächst, 90 — 91; 176 — 177; — Das Emtekind, 141 — 142. — 

Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorsprossen, 220. 

Stibitz, Josef: Donnerkeile, 230« 

Treichel, A. : Stolpern und Hinfallen, 29 — 31. — Die Nadel ohne Faden, 91 — 92. — 



271 



St. Andreas als Heiratstifter, 113 — 114. — Wieviel ist die Uhr, 179 — 184. — Un- 
bestimmte Zeit, 214 — 217. — Der Nobelskrug, 219. — Zungenübungen; Glatteis 
für Zungen usw., 254 — 256. 

Weissberg, Max: Jüdisch-deutsche Schnurren, 246 — 248. 

Wiedemann, A. : Ein altägyptischer Weltschöpfungsmythus, 57 — 75. — Menschenver- 
götterung, 106 — 107. 

Wiener, Leo : Übernamen russ.-jüd. Stadtbewohner, 262 — 263. 

Winternitz, M. : Referat über B. Laufer's Klu o Bum Bsud etc. 266., 

Zuidema, Dr. W. : Nachträge zu Wolfs Niederländischen Sagen, 244 — 246. 

Vom Büchertisch. — Achelis, 191. — Asmus und Knoop, 231. — Beck- 
mann, J., 144 f. — Boas, Fr., 192. — Bower, ^f. — Brinton, D. G., — 
Caland, W., 2ßiL — Dcnuett, R. E., 267. — Grunwald, M., 38. — Klein- 
paul, R., q2i — Korajac, V., 143. — Lauf er, B., 266. — Läzär, B., 38. — 
Mandl, S., 232. — Mont, P. De und Cock, A. De, 231. — Oiserkis, M., 
267. — Pastrnek und Koväf , 192. — Rohde, E. 190 — 191. — Sartori, P., 
191 f. — Schell, O., 4^ f. — Seidel, A., 144. — Slrele, R. von, ^ — 
Weineck, F., 142 f. 



Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. BRILL. 



Archiv für Ethnographie (Internationales), hrsg. von Dr. Krist. Rahnson, Copcu- 
hagen; Prof. F. Boas, Worcester, U. S. .A.: Dr. G. J. Dozy, im Haag; Prof. E. LL 
Giglioli, Florenz; A. Grigorief, St. Petersburg; Prof. E. T. Hamy.^ Paris; Prof. LL 
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Oengarang (Java): Prof. G. Schlegel^ Leiden; Dr. J. D.E. 
Schmeltz, Leiden; Dr. Iljalmar Stolpe, Stockholm; Prof. E. B. Tylor, Oxford. — 
Itedaction\ Dr. J. D. E. Schmeltz. 1887 — 1897. VoL I — X. (Mit schw. u. coL Taf.). 4«. 



Vannie de L livr / — 

Supplement zu Band I : 

Otto Stull, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. (Mit 2, 
col. Taf.). 40 / 4-— 

Supplement zu Band III : 

Max Weber, Ethnographische Notizen über Florcs und Celebes. 1890. (Mit Ü 
col. Taf.). 4O. / 9.— 

Supplement zu Band IV: 



David Mac Ritchie, The Ainos. 1892. (Mit 17 col. u. 2 schw. Taf.). 4®. / LZ. — 

Supplement zu Band V : 

W. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893« (Mit .1 col. u. ü 
schw. Taf.). 40 ' / {L=^ 

Supplement zu Band VII : 

F. W. K: Müller, Nang, Siamesische Schattenfiguren im Kgl. Museum für Völ- 
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit ^ schw. u. Ü col. Taf.). 4" / — 

Supplement zu Band IX : 

Ethnographische Beiträge. Festgabe zur Feier des 7o=>'«" Geburtstages von 
Prof. Ad. Bastian. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4^. / 

Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeilschrift bi jetzt 
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecunia- 
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen 
Subscribenten auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der 
noch vorhandene geringe Vorrath dies gestattet, zu ermässigten Preisen zu über- 
lassen, und zwar: ' 

Bd. I — X (Ladenpreis ^ »n Mark) zu M. 150. — . 

Bd. I — X mit sämmtlichen Supplementen (Ladenpreis 28S Mark) zu M. i 70. — . 

Da von den letztgenannten sieben Bänden mit sämmtlichen Supplementen nur 
noch sehr wenige vollständige Exemplare abzugeben, sind, dürfte es sich emp- 
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zu ertheilen. 

Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner-Arabien. 1896. Theil L 8". Mrk. 7.50 

Jacobs, J., Het Familie- en Kampongleven op Groot-Atjeh. Ecne bijdrage tot de 
ethnographie van Noord-Suinatra. Uitgeg. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk. 
Genoolschap, 1894. z. dln. (Met \j_ phot. lith. en ö gekl. platen) gr. in-8®. Mrk. as.jjo 

' gebunden . . Mrk. 28.90 

Landberg, C. de, Bäsim le forgeron et HArun Er-Rächid. Texte Arabe en diaiccte 
d'Egypte et de Syrie. Public d'apres les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et 
accumpagnd d'une iraduction et d'un glossaire. I: Texte, tradition et proverbes. 
1888. 8° Mrk- 

Martin, K., Bericht über ein.. ixci.-<e nach Niederländisch West-Indien und darauf 
gegründete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und ^ col. Karten), gr. in-8''. Mrk. — 

Martin, K., Reisen in den Molukken, in Ambon, den Uliassem, Sejan (Ceran) und 
Buru. Eine Schildemng von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung 
der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf., 
I color. Karte und iS Textbildern), gr. in-8** Mrk. Ul, — 

Spitta-Bey, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits, Texte arabe en caract. 
lat. avec la traduction fran^. 1883. 8° Mrk. 6. so 



t 



INHALT. 



Seite 

Ein Vorrecht der Volkskunde. Ein Bericht von Krauss 233, 

Knicker-Kttgel-Steints. Eine Umfrage von J. Buchhorn. Beitrag von Franz 

Branky Z39» 

Alte Segen. Von Otto Heilig '. 24.1 ♦ 

Nachtrage zu Wolfs Niederländischen Sagen. Von W. Zuidema .... 244. . 

Jüdisch-deutsche Schnurren. Von M. Weissbetg 246. 

Bauenmnekdoten aus dem Marchfeld. Von HansSchukowitz " 248. 

Das ' Kind in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beiträge von 

K. E. HaasCf Ji Buchhorn und A. Treichel 251. 

Der Tote in Glaube nnd' Brauch der Völker. Ein^ Umfrage. Beitrag von Jo* 

sefine Kopecky 256. 

Besprechungen aus Lübeck. Von C. Schumann '. 259. 



Der Nobelskrug. Eine Umfrage von R Sprenger. Beitrag von A. De Cock afio. 
Von der Hand die aus dem Grabe herauswächst. Eine Umfrage von R. Spren- 
ger. Beiträge von R. Sprenger und Böck 261* 

Übernamen. Eine Umfrage vön Franz Branky. Beitrag von Leo Wiener 2dr. 

Poseacr Verwandtschaft des Dessauer Mellespiels. Von Franz Ahrendts' . 263. ' 
Folkloristische Findlinge, Znr Namengebung bei den Juden. Von M. Am- 



ster. — 2a Ein Lebensmaass. Von Gisela Jaworskij. — 3. Die wun- 

dejbaren Brautwerber. Von J. Jaworskij 264. 

Vom Büchertisch. Lanferts Klu o Bum Bsdus Pai Snin Po. Angezeigt von ' 
M. Win-tcrnitz. — Oiserkis* Privatlehrer. Angezeigt von L Robin- 
sohn. -r- Donnet 's Folklore of the Fjort und Ca Und 's Indische Toten- 
gebräuche. Angezeigt von Krauss 266. 



Wir bitten unsere Mitarbeiter^ sich aus Rücksicht für unsere holländischen Setzer 
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lateinschrift zu bedienen. 

Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf 25 Sonderabzüge seines Beitrages; bedarf er 
ihrer mehr, mag er sich deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einver- 
nehmen setzen. 

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