Der Urquell
Verein für
Verbreitung
volkstiiümlich
ftarbarti College l^ibraru
. FROM TUE HKqj;EST OF
JOHN AMORY LOWELL,
(Olnsa of 181S).
This fund is fao.ooo, and nf its incotne thrcc quarters
sliiill be spent for books and onc quarter
he added to Üic principal.
Q
DER URQUELL.
Eine Monatschrift für Volkskunde
Herausgegeben
von
Friedrich S. Krauss.
Das V'ulkätum ist der V'ölker Jungbrunnen.
Der neuen Folge Band II. Heft i und 2.
BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI
\ ormals
E. J. BRILL
LBIDBH — 1898.
G. KRAMER Verlag
in HAMBURG.
St. Paalf , Thabtr. 94 , L
1898.
Redaction: Wien, österreicTi, VIT/2. "Nonstirtr:nsse i
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V
NOV 23 WÜl ) CTL.^l -U )
ves pour servir ä l'etude de l'histoire, des langiie«!, de la
g^ographie de l'Asie Orientale (Chinaf Japou^ Coree, lodo-Chine, Asie Centrale
et Malurie) r^dig^es par MM. Gttstftve Schlegel et Henri Cordier. Vol. 8.
Nr. 4. E. J. Brill. Leide, 1897. (Some moot points in the Giles^Lockhart contxo-
versv by G. Schlegel). 20 p. S**.
Chrisman, Oscar: The Secrct Language of Children. (Geheime Sprachweisen). S. A.
The North Western Monthly. Vol. VIII. N. 3. p. 187 — 193. Lincoln, Nebraska.
(pvfir'htig).
Jaworskij, Julian: Gromovyja strelki (Donnerkeile). 12 S. 8°. S. A. Kievskaja
Starina 1897.
OßopflHK'b aa napo4BU yMomoopeHUH, HayKa u KHUwuHua 1134. miihhciii.
Ha HapoiHi» npocB., kh. XIV. L'orjxja 1897 (Sammelwerk f. bulg. Folkloce), Vl>
732, 224 s. 4". Mit vielen Vollbildern.
Memoir. Henry Phillips Jr. By Alb. H. Smyth. Philadelpliia 1897. to p. 8*.
Detttaehe National-Litteratur. Histor.-krit. Ausg. hrg. v. J. Kiirschaex. Stuttg.
1897. Union. Lieferung 861 — 874. Goethe's Werke hrg. v. A. C. Meyer und
G. Witkowski. (B. 30). Ii. 36; von Dr. Rud. Steiner. Der Goltinger Dichter-
bund hrg. V. A. Sauer. — Nachträge /u der D. Nat. Litt. v. P. Piper. (Aus-
dicsei! Nnc^^ragen las.si sicli mancherlei für die Volkskunde gewinnen).
Pield Columbian Museum. Vol. i. ü^. 1.: Archeological Studies among the ancient
Cities of Mexico by William H. Holmes. Part II, Monnmoits of Chiapas,
Oisaca and the valley of Mexico. Chicago U. S. A. 1897. p, 140 — 338. in 8^.
WTisia. Warschau 1897. XI. 3: f>opacinski: Legende vom Rüsser, den der Satan
2U 3 Sünden verleilet j Moszkow: Ein iutemat. Frauenkopfputz. Umfragen, wie
immer, s^r ergiebig.
Notes on the Mahäbhärata, with special rcference to Dahlmann's ,MähabliIrata\ by
M. Wintr rnitz (Junrn of the Royal Asiatic Soc. 1897) p. 713 — 759.
Ueber germanische Heilkunde von Dr. Max Höf 1er. 30 S. gr. 8^. (S. A.: Janus,
Amsterdam 1897).
Dia VOgel als Wetterpropheten, von Robert Eder. (S. A.: Die Schwalbe. XXI.'
Wien 1897. 14 S. gr. 40.).
Cava of Loltun, YUcatan by Edward U. Thompson. Memoirs of the Peabody
Museum. Cambridge 1897. 24 S. Quartfolio, 20 Text* und Tafelbildern.
Fourteenth Annual Report of the Bureau of Ethnology. In two Parts. I. Washington
1896. LXI, 637; IL 653—1136. — Fifteenfh A. R. etc. 1897. CXXI, 366 p. fol.
Zeitechrift für Kulturgeschichte, hrg. v. G. Steiuhausen, Weimar, E. F elber,
1897. B. V. H. I. 9. 144 S. (Bringt regelmässig eine Bibliographie deutscher
Folklore).
Kataloge für Folklore.
Fflhrer durch die Deutsch^Israelit., unterhaltende (schönwissenschafUiche) geschichtlich-
belehrende, popular-religiosc und Jugeudschriftliteratur vom Beginn des 18. Jahrh.
bis heute, zusammengestellt von H. Jacobsohu. 3. verb. Aufl. Breslau 1898.
W. Jacobsohn & Co. XXIV. 28 S. 8». (Enthält viele Schriften über jüd. Volks-
tum). (Preise recht bescheiden). — Blätter für Bücherfreunde. Verzeichnis anti-
quarischer Bücher. . F r an z Felix Kosenberg, Wien VlI/l : Neubaugasse 72.
S. 32. 8«. (Reisen, Mythologie). (Billig). — Antiqtiarlscher Catalog 227. Slavica.
Sprachen, Lit. und Gesch. d. slav. Völker. O. H a r r a r, ^ o w i t z , Leipz. Querst. 14,
1897. 66 S. 8«. mit 1679 Titeln. — Karl Th. Völcker's Verlag und Antiquariat,
Frankfurt a. M. 1898. Katalog N. 214. Cultur- und Sittengeschichte, I15 S. 8%
2850 Titel. (Preiswürd^).
Insertionen - Beilagen.
Es wird hiif^ich-t <n lieten , sich fiir Inserate und Beilagen nusschliesslich an
die Buchh^dlung und Druckerei vormals E. J. BRILL in Leiden wenden zu wollen.-
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Proben von chinesischer Folklore.
Von Gttstav Schlegel.
Es ist schon mancherlei über chinesische Folklore veröffentlicht,
aber das Feld ist unerschöpflich und bei weitem nicht genügend
berücksichtigt worden. Dr. N. B. Dennys, der in 1876 ein 156
Seiten dickes Buch darüber veröffentlichte ') , sagte dann auch
schliesslich: "In concluding these hasty sketches of the various
departments of Chinese folk-lore, the writer cnnnot but express a
Hope that each division of the subject will before long receive
elucidation from competent pens.**
Ein vollständiges Verzeichnis der über diesen Gegenstand ge-
schriebenen "Reitrr\<.^<' findet man in H. Cord i er 's Bibliotheca
Sinica, Spalte S55 — 857 und Spalte 1896. Seitdem habe ich auch
selbst in den Melanges offerts au jubiU de Mgr. Ch. de Harles
(Leiden, E. J. Brill, 1896) ein paar Proben unter dem Titel
< Paralleles en Folklore» veröffentlicht.
Herr Dennys behauptet in seinem Werke (S. 151), tlass es
keine populäre Sammlung chinesischer Fabeln gäbe — zumindest,
dass keiner der chinesischen Gelehrten, mit denen er in Berührung
kam, solche kamitt ; aber dieser Ausspruch ist nicht <;anz richtig.
Ich brauche z.B. nur an die von Stanisl as J u 1 i e n übersetzte
Sammlung von Fabeln, Legenden und Gleichnissen zu erinnern,
die aus Indischen Quellen herrühren und von Chinesen aus dem
Sanskrit übersetzt sind , von welchen ich eini^^e näher beleuchtet
habe^). Es giebt verschiedene derartii^e Sammlungen von chinesischen
Fabeln, Legenden, Erzählun<^ea und Sagen Eine der reichhal-
tigsten ist die unter dem Titel Tss puh yü (-^ ^) von Sui
Yuen-hi veröffentlichte 1 die, laut der Vorrede, eine
i) The Folk-Iorc of China und its afTinitios with that of the Aryan and Semitic
races, by N. B. Deanys. London, TrübDer and Co., Hongkong, "China Mair' oiHce 1876.
3)' Alt Tndiscbe FÄliehi in G«mumisc1iem und Chinesischem Gewände (Bijdr. T.-,
L.- en Volkeukuiule vaii NeJerl. ImliÜ, Deel Vlll, 1884, Martinas Niilioff.
3) Ein Verzeichnis findet &ich in Wylie's Notes ou Chinese Literatuie, S. 160 — 162.
2
neuere Ausgabe der jetzt verlorenen Sammlung des Tsi-hiai-ki
(Wylie, Notes, S. 154) ist'). Das Buch trägt diesen merkwürdigen
Titel, weil K'ong Fu-tsze nie vpn Wundern, Körperkraft,
Anarchie oder Geistern gesprochen haf). Wylie führt das Buch
nicht an, obgleich es in China allbekannt ist.
Ich will heute aus dieser Sammlung einige Frohen mittheilen,
und, möchten sie den Lesern des ^Urquells" gefallen, mehrere
aus dieser und anderen i^leicharti*^en ubersetzen. Hemcrkt sei, dass
sie mehr als 500 dergleichen Sap;^cn und Spukgeschichten enthält
und für die Kenntnis der chincaischen Foik-lore von grosser
Wichtigkeit ist.
I
S i!t 1» ^
Ein Prä-Adamit.
Nach der Überlieferung rührt das Yin-tschin-Wdiz ( ^ ÖS
im Dunkeln versunkenes Holz) von einem vorsintiluthlichen Baum
her, der in den Sand und die Wellen versunken ist. Als nun die
irsche Umwälzung stattfand» ist er nach vielen Aeonen wieder an
der Oberfläche erschienen» und aus diesem Grunde fault das Holz
auch in zehntausend Jahren nicht, wenn man es wieder in die
Erde vergräbt. Seine Farbe ist dunkelgrün und seine Adern sehen
aus wie gewobene Seide. Legt man ein Stück davon auf die
Erde, so können auf mehr denn hundert Schritt Distanz die
Flie den und Mucken nicht fliegen.
Im 30^^" Jahre der Epoche K'ang-hi (A.D. 1691) stürzte der
7^'/^7?-/':'7/-Berg ein , und es quillte aus dem Kies ein Sarg hervor
von sehr eigenthumlicher Gestalt, vorne spitz zulaufend und hm-
ten breit, und mehr als sechs Fuss hoch. Die Kenner sagten, es
sei ein Sarg von Yin-tschin-WoXv. , der gewiss etwas Wunderbares
enthalte. Man öffnete den Vordertheil und fand darin einen
Mensclien, dessen Augenbrauen, Augen, Mund und Nase dieselbe
Farbe hatten, wie die des Holzes, und dieselben Adern auf Armen
und Beinen zeigte, wie die des Holzes, das auch nicht verwest
war. Plötzlich öffnete er die Augen und starrte in die Luft, wo-
^) '13 >tl 81 Ii$ ^ )9r ^ Vgl. die Gespräche des Meisters(Lun-yü),
Buch Vllf Kap. XX. Legge, Chinese Clas&ics I, S. 65.
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3
rauf er frug: ,Was ist das Blaue dort?", und als man ihm ant-
wortete, es wäre der Himmel, sagte er erschrocken : ^ Als ich früher
auf der Welt war, war der Himmel nicht so hoch." Als er dies
gesagt hatte, schluss er die Augen wieder.
Man hob ihn eiligst auf, und alle Männer und Frauen in der
ganzen vStadt liefen herbei, um den Prä-Adamitcn zu sehen. Plötz-
lich jedoch erhob sich ein Sturm und der Mensch ward zu Stein.
Der Sarg kam in den Besitz des Pracfecten der Stadt, der ihn dem
Gouverneur anbot. Ich (sei. der Autor) vermuthe, dass dieser Mensch
ein Individuum aus der Zeit gewesen ist, als in der Urzeit Himmel
und Erde noch im chaotischen Zustande verkehrten.
Im IVei-schu sagt man, dass nach zehntausend Jahren der Himmel
ungefähr so hoch sein würde, wie eine Mörserkeule von Catalpa-
Holz. Dieser Mensch nun sagte, dass (zu seiner Zeit) der Himmel
nicht so hoch war. Mir däucht, dass dies glaubwürdig sei.
II
Ü % Ii
Der grünhaarige Spuk.
Im sechsten Jahre der Regierung Kien-long's (A. D. 1741)
kam ein gewisser Tung Tschang-gan (K ^) aus Ifu-tsckeu
nach der District-Stadt Dsui tsehing im Westen des Mok-'Betgts.
In dieser Stadt war ein Ahnentempel, worin den drei Bildsäulen
der (patriotischen Helden) Kuan-yü, Tschang-fe'i und Liu-
pei ') geopfert wurde.
Das Thor des Tempels war jedoch schon seit Jahren mit einem
eisernen Schloss verschlossen und wurde nur einmal « gelegentlich
des Lenz- und Herbstopfers, aufgeschlossen. Die Sage ging, dass
sich darin ein Spuk befände , so dass selbst der Weihrauch opfernde
Priester es nicht wagte, einen Tag darin zu verbringen. Eines
Tages aber kam ein Schaf händler aus SckiH-si, der tausend Stück
Schafe erstanden hatte, in die Stadt und sagte, er hätte da
keinen Ort, wo er ausruhen könne, und bat, er möchte in dem
Tempel übernachten. Die Einwohner öffneten ihm das Schloss und
Hessen ihn ein, und s^ten ihm überdies die Ursache. Der Schaf-
händler aber, im Vertrauen auf seine Körperstärke, sagte: ,Da5
macht nichts aus,** worauf er das Thor öffnete und hineintrat.
t) Vid. Mayers* Chinese Re*den Maanel N*. 397, 10 & 4>S-
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Seine Schafe lagerte er in den Galerien, nahm seinen Hirtenstab
und eine Kerze und legte sich schlafen. Er war aber dennoch
etwas beunruhigt, so dass er seine Augen bei der dritten Wache
noch nicht geschlossen hatte. Plötzlich sah er unter dem Altar
etwas hervorspringen. Der Schafhändler besah es beim Lichte
seiner Kerze, und sah, dass das Ding sieben bis acht Fuss gross
war, dass sein Kopf und Gesicht menschenähnlich war und dass
seine beiden tiefschwarzen Augen leuchteten , und so gross waren,
wie eine Wallnuss. Endlich , dass von seinem Nacken ab sein
ganzer Körper mit grünen Haaren bedeckt war, die struppig wie
ein Regenmantel hingen.
Es näherte sich dem Schaf Händler , starrte ihn an und beschnüf-
felte ihn. Mit seinen mit scharfen Nägeln versehenen beiden
Krallen ging es gerade auf ihn los um ihn zu ergreifen. Der
Schafhändler schlug mit seinem Stabe darauf, aber es that als ob
es dies nicht spürte; es entriss ihm aber der Stab und biss darein,
so dass er wie ein Stück zerrissener Seide entzweibrach. Der
Schaf händler erschrak darauf so sehr , das er zum Tempel her-
auseilte, vom Spuk verfolgt. Der Schaf händler erstieg darauf
einen alten iiaum und kauerte in den höchsten Zweigen nieder.
Der Spuk erspähte ihn zwar, konnte aber nicht hinaufkommen.
So währte es nicht lange, bis es im Osten zu tagen begann und
Leute den Weg entlang kamen.
Der Schafhändler stieg also vom Baume herunter, um sich nach
dem Spuk umzusehen ; dieser aber war verschwunden. Er erzählte
den Leuten seine Erlebnisse und sie durchsuchten den Altar, woran
nichts besonderes war, als dass in einer Ecke aus einer Steinspalte
ein .schwarzer Dampf aufstieg. Niemand wagte es aber, sie zu er-
weitern , sondern man theilte die Sache in einer Denkschrift dem
Ma£?istrate mit.
Der Unterpraefect der Stadt Dzui, T'ung-kung gab darauf
Befehl, den Altar zu entfernen und darunter auszugraben. Als
man nun mehr als zehn Fuss gegraben hatte, fand man einen ver-
westen Sarg, worin ein Leiche lag, deren Kleider vollständig ver-
zehrt waren, und deren Körper ganz mit grünen Haaren bewachsen
war, genau sowie der .Schafhändler es gesehen hatte. Er liess dar-
über Brennholz stapeln, um die Leiche zu verbrennen, worauf
diese aufschrie, ihr Blut hervorspritzte und ihre Knochen knis-
terten. Seitdem hörte der Spuk auf.
I) Chin. Regenmäntel werden von zusammengenähten Palmenblättem verfertigt.
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III
Die Rache eines Schädels.
Sun Kinn -scheu von Tschang-schuh hatte einen bösen Cha-
rakter und liebte es, die Götter und Geister zu schmähen. Als er
eines i a^c,^ mil liiiil;! ii 1 icunden im (lebir^^e spazieren i<in;^ ,
überkam ihn ein naUirlicher Drang, dem er Fulj^e leistete. Zum
Scherz raffte er einen Totcnschädcl aus einem verfallenen (irabe
auf, setzte ihn auf seine Basis und lie.ss ihn seinen Dreck ver-
schlucken, indem er sagte: ^Schmeckt's gut?'*
Uer Schädel öffnete den Mund und sagte: ^Gut!" Kiun-scheu
crschrack sehr und lief schnell davon, aber der Schädel verfolgte
ihn, indem er wie ein Wagenrad über den Boden rollte. Als nun
aber Kiun-scheu an eine Brücke kam, konnte der Schädel
nicht hinaufrollen, und als Kiun-scheu ihm von der Höhe nach-
sah, bemerkte er, wie der Schädel wieder an seinen früheren Ort
zurückrollte.
Kiun-scheu aber kam leichenblass nach Hause und ward
krank. Täglich wenn er Stuhlgang hatte, griff er mit der Hand
danach und verschlang ihn, indem er zu sich selbst sagte:
,Schmeckt's gut?"
Kaum hatte er gegessen, so hatte er wieder Stuhlgang, und
nach dem Stuhlgang ass er ihn wieder, bis er innerhalb dreier
Tage tot war.
Guslarenlieder.
MitteUtnige» ▼<» Kraus».
FRIEDRICH ROEBER zur goldenen Hochzeit gewidmet
VI. Die Müchbrüder. Die geschlechtgenossenschaftliche Rechts-
gemeinschaft (bratstvo, pleme, gr. Phratrie, FhylS) geschlecbterrecht-
lieber Verbände führte zur territorialgenossenschaftlichen Organi-
sation über. Diese bildete bei Slaven und Germanen gleichermassen
die Grundlage fiir die darauf sich erhebenden herrschaftlichen
Verbände, denen sich nach Umständen das Häuptling- und Kö-
nigtum der daneben einhergehenden kriegerischen Organisation
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aufnötigte Die geschlcchtcrrechtliche Gemeinschaft braucht zu
ihrer gedeihlichen Entwicklung und zu ihrem dauernden Bestände
ungestörten Frieden , die herrschaftliche dagegen erheischt unab-
lässig Krieg mit den Nachbarn. Fehlt ein solcher, dann macht sie
sich innerhalb ihres heimischen Gebietes fühlbar der Bevölkerung
und unterdriickt sie. Es erfolgt ein Gegendruck und es entstehen
Reibungen, bei denen mitunter die eine der Organisationsformen
auch völlig in die Brüche geht.
In Bosnien und dem Herzogtum lastete auf den geschlechter-
rechtlichen Genossenschaften , die sozial das arbeitende Volk dar-
stellten, neben der Wucht der kriegerischen Organisation (Königtum
und Adel) noch die kirchliche, eine unproduktiver als die andere,
eine mehr als die andere vom Marke des Volkes zehrend, zum
Uberfluss beide noch milcuiandcr im auli cibcndcii Kample um die
Herrschaft und die unumschränkte Volksknechtung. Nach der
jedenfalls auf gründlichem, historischem Material fussenden Ermitt-
lung des bosnischen Franziskanerfraters Bözic gab es zur Zeit der
Eroberung Bosniens durch die Türken in dem Gebirgsländchcn
zweihundert und dreiundsiebenzig (273) Franziskanerklöster, unge-
rechnet die Zweiganstalten und sonstige Ordensklöster! Man darf
annehmen, dass das einrückende türkische Heer mit ausgelassenem
Jubel als ein Befreierheer vom Volke begrüsst worden sei. Dafür
zeugt mittelbar die Tatsache, dass die Besitzergreifung oder Un-
terwerfung des Landes buchstäblich ohne Blutvergiessen innerhalb
dreier Tage erfolgte und an einem einzigen Tage siebenzlg der
wohlbefestigten Burgen ihre Tore den Türken gastlich aufschlössen.
Bosnisch-slavisches Königtum mit seiner Adelherrschaft verschwand
fast spurlos von der Bildfläche, von den Mönchklöstern blieben
ihrer nur sechs oder acht von der Volkswut verschont und be-
haupteten sich bis auf unsere Tage. Alle übrigen wurden gründ-
lich zerstört. Um mit der Vergangenheit völlig zu brechen) nahm
der grössere Teil der bäuerlichen Bevölkerung freiwillig den Islam an.
Nicht umsonst; denn unter dieser neuen Decke konnte sich die
nationale geschlechterrechtliche Organisation weiter behaupten, ja
auch sogar die altursprüngliche slavische kriegerische Organisation,
die Volksmiliz, die zur Sicherung der geschlechterrechtlichen diente,
ohne Eroberungszwecke (Gebieterweiterungen) anzustreben, wie wir
sie im Hajdukentume erkennen, lebte neu auf. Fast auf zwei
i) Vrgl. Dr. Alberl iicrmann Fost: Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz.
OldeDbnri; und Leipdg 1S94. & 327 — ^425.
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Jahrhunderte hinaus ward dadurch dem Lande ein Frieden erworben,
der einen noch gar nicht ausreichend gewürdigten Aufschwung
der in den orientalischen Kulturkreis miteinbezogenen Bosnier und
Herzogländer hervorrief.
Dieses Völklein betrachtete sich als des Padiääh getreuestc Ge-
folgschaft. Eine Änderung in dieser eingewurzelten Überzeugung
bahnten erst allmähÜch einzelne grossherrUche Statthalter (Vali),
PaSa's und sonstige Beamten an, die als Hofgünstlinge von Stam-
bol her in das Land zur Belohnung verschiedener geheimer Tugenden
versetzt worden waren. Solche Leute verstanden nicht oder woll-
ten den vorhandenen gesellschaftlichen Zustand nicht verstehen,
stellten sich in einen schroffen Gegensatz zu ihm und machten
sowohl sich als des Sultans väterliche Herrschaft verhasst.
Das ist der soziale Hintergrund, auf dem sich die Hauptbege-
benheiten unseres nachfolgenden Guslarenliedes abwickeln. Sie
geben uns ein, wenn auch dichterisch verklärtes, doch immerhin
überaus lehrreiches Beispiel, wie sich dieser Kampf zweier Organi-
sationsformen in einzelnen zuweilen abspielt. Beg Ljubovid von
Nevesinje war in Handelgeschäften — die Begriffe Edelmann und
Grosshändler decken sich gewöhnlich auf der genossenschaftrecht-
lichen Stufe — in das venezisch-dalmatische Gebiet gereist und
hatte einen Abstecher nach Zara gemacht. Der Provveditore gibt den
Auftrag ihn zu blenden. Der Beg tötet aus Notwehr den Angreifer
und rettet sich durch die Flucht. Darauf setzt sich der Provve-
ditore mit dem PaSa von Banjaluka wegen Ermordung Ljuboviö's
ins Einvernehmen. Das Vorgehen des Italieners widersprach ganz
und gar den verträgsmässig zwischen der Republik Venedig und
der Hohen Pforte zu Kraft bestehenden Abmachungen, war aber
trotzdem dazumal gang und gäbe. Dieses Staatswesen gieng klipp
und klar seiner dalmatischen Besitzungen vorzüglich durch seine
hochadeligen militärischen Beamten zu Grunde , die durch sinnlose
Willkür und Gewaltherrschaft das slavische Volk im Lande und
in der Grenznachbarschaft ständig in Aufruhr erhielten
Der gleichfalls namentlich nicht genannte PaSa von Banjaluka
war des Provveditore's würdiges Seitenstück. Beide, Vertreter zü-
gelloser Eigenmächtigkeit, fanden sich trotz religiöser und natio-
naler Verschiedenheit leicht zusammen in ihren Zwecken und
Zielen. Ljuboviö und das Gebiet von Nevesinje unterstanden
i) Man lese daifiber du trefiliclie Buch Fompeo Malmenti*« nach: I Banditi
della Repnbblica Veneta. Firenxe 1896. Bemporad e Figlio.
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dem Pa§a durchaus nicht. Das beengte ihn aber wenig. Er sandte
gemütlich eine Mörderschar zur V ollstreckung der Untat ab. Die
Leute verübten in Abwesenheit des Begs Gräuel und büssten sie
bald dciiaüf. Den Streit zwischen Ljubovic und dem Pasa , auf
einmal dem Wahrer des Rechtes und des staathchen Ansehens,
löst im Liede — ein Wunder.
Ljubovic's Milchbiader Stefan Majküvic besteht für den
Sultan gegen einen Araber einen Zweikampf, rettet dem Sultan
das Leben, rettet den Staat, rettet damit den Beg und erwirbt
zugleich das Recht, über den Pasa abzuurteilen. Der Araber! Das
ist ein guter, alter Bekannte. Der muss ebenso in der serbischen
als der bulgarischen Guslarenepik den Ruhm der heimischen Hel-
den begründen helfen. Im Kampfe mit Orlovid ist er noch drei-
köpfig'), in älteren Zeiten und bei älteren Völkern war er ge-
wöhnlich mehrköpfiger , und eigentlich war er von Ursprung ein
menschenfressender Drache *).
Vielleicht trug zur Behauptung dieser Sage im poetischen Volk»-
bewusstsein auch der im XIV. und XV. Jahrhundert in der Türkei
übliche Brauch militärischer Bravourduelle bei. «In damaliger Zeit **
so schildert der Biograph Skanderbergs die Verhältnisse, ^wo
die persönliche Kraft des Einzelnen noch häufig massgebend für
den Si^ war, herrschte auch in Friedenszeiten der Brauch, dass
einzelne r besonders kampfgeübte Streiter von Stadt zu Stadt
zogen, um die Tapfersten zum Zweikampfe herauszufordern"*).
Möglicherweise liegt unserer Liedschlussepisode ein solches Er-
eignis zu Grunde y nur ist die Sache keineswegs wahrscheinlich.
Ljubovi^ und Majkoviö übergeben sich ohne Wehr und
Waffen dem Al^esandten des Sultans» der mit einem Heere ihre
Burg umlagert: denn gegen den Kaiser gibt es keinen Kampf.
Der Guslar sagt es selber, und es entspricht dem Gewohnheitrecht
der Völker. Nicht einmal den Häuptling einer Hajdukenrotte darf
einer der Pfadgenossen zum Zweikampf herausfordern, um wieviel
weniger einer aus dem Volke den mit Göttlichkeitmacht ausge-
statteten Sultan! Das Rechtsprichwort drückt dies so aus: muluö
samo na muluda! (Der Herrscher kämpft wieder nur mit einem
Herrscher). Dies gilt schon zu Recht bei der primitiven kriegeri-
1) ,Orlovic, Der Burggraf von Raab'. Ein moham. slav. Guslarenlied. Freiburg
i.B. 1889. Herder S. 35.
2) Vrgl. meinen ^Novak den Heldengreis' im Festbuadel . . . aan Dr. P. J, Veth,
Leiden 1894, Hrili. S. 100 fif.
3) Julius Pisko: Skanderbeg. Historisdie Studie. Wien 1894. S. 9.
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9
sehen Genossenschaft. Geraten zwei derartige Verbindungen in
Streit, so kämpfen die Häuptlinge einen Zweikampf aus , während
die beiderseitigen Rotten müssig zuschauen. (jewolinHch schhesst
sich dann die Rotte des unterlegenen , der Rotte des obsiegenden
Häuptlings friedlich an. Erst die spätere Eatwickhing der Orga-
nisation, wenn einmal die Rottenhäuptlinge zu Landgebictcrn von
geheiligter und unantastbarer Gestalt geworden , brachte es zu
Wegen, dass die Hauptinteressenten, selber in gesicherter Ferne,
mit Hilfe ihrer Getreuen einander bekriegten; dass sich also die
Untertanen gegenseitig hinschlachteten, um ihre kindische Neugier
zu befriedigen , für welchen Gebieter sie in Zukunft zu roboten
und 7.U darben haben werden.
Üer Bericht leidet auch lai unter, dass ein so unmittelbares
Eingreifen des Sullan,^ m eine \erhaltnismassig geringe Provinzial-
angelcgenhcit unglaublich, weil unnötig erscheint. Ljubovic
konnte sein Recht beim Vali suchen, der es schwerlich geduldet
haben würde, da.ss ihm der armselige Pasa von Hanjaluka ins
Handwerk pfusche. War aber der Pasa beim Vali Liebkind, so gab
es wirksamere Mittel als einen Zweikampf, um ihn umzu.stimmen.
Zu einem Vali pflegt man mit grossem Nachdruck (von so und
soviel Beutel Gold) zu reden. Ist die strittige Angelegenheit auf
diese nicht ungewöhnliche Weise ins Reine gebracht worden, so
lag es gewiss zunächst im Vorteil Ljubovic's, seinen Hof- und
Burgguslaren darüber nicht aufzuklären, sondern es vielmehr des-
sen dichterischer Begabung anheimzustellen , eine minder prosaische
Lösung zur Aufklärung des Volkes über das Geschehnis zu erfinden.
Der Christ Majkovi^ als Milchbrader des Moslims Ljuboviö
und dessen Hausgenosse ist nicht als eine Ausnahmerscheinung
zu betrachten Die heimischen Moslimen waren auf demselben
Baum , auf dem ihre christlichen Volksgenossen gewachsen. Sprache,
Sitte und Brauch, Rechtanschauungen und Religion waren ihnen
gemeinsam. Man muss ausdrücklich sagen: Religion; denn sowenig
dem einen der Islam, war dem anderen das Christentum vertraut;
gottlob, es ist bis auf den heutigen Tag nicht um vieles hierin
anders geworden, sonst wäre es mir nicht möglich gewesen, mein
Buch über Volksglauben und religiösen Brauch der Südslaven, so
i) ijber Milchgeschwit>ter bei dea SUdsUven vergL mein Buch fSiUe und Braach
der Sadsl.% Wien 1885, S. 14. — Bei «nderea Völkern vergl. A. H. Post: Studien
zur Entwickluij ' c -schichte des F:\inillL'iut;Lht->. 1S90, S. 41 f., (Jrundriss d. ethn.
Jurlspr. B. I. S. 9S; A. Wiedemaun: Die Milchverwandtschaft im allen Ägypten^
Urqndl 1892, S. 259 — 267.
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wie es voll Heidentum f:^eratcn ist, zu verfassen. Es steckt eben-
soviel Bosheit und Tücke als Unverstand in der Behauptung eines
mir aufsässigen Kritikers, wenn er berichtet (und so mancher
schreibt es ihm ohne Überprüfung nach), dass die moslimischen
GuslarenHeder meiner Sammlung christenfeindlich gehalten wären.
Die Haltlosigkeit dieser Ausstreuung fallt jedermann in die Augen ,
der sich nicht scheut , das eine und das andere Lied durchzulesen.
Die Helden moslimischer Guslarenlieder fühlten sich nicht als
Strdter für den Fanatismus irgendwelcher DerviSe berufen, auch
führten sie keinen Krieg gegen Weiber, Kinder and christliche
Geistliche und Kirchen. Das galt als unrittedich. Die Anlachung
des wildgrimmigen Religionshasses geschah und geschieht leider
noch immer von Vertretern der Nächstenliebe, der Milde, Ver-
söhnlichkeit und Güte» von Leuten, die das Gelübde der Armut
und Keuschheit ablegen, aber dem Reichtum nachjagen und in
Polygamie schwelgen , dann von Politikern und von Lügenhistorio^
giaphen, die ihre Unfähigkeit, die Wahrheit zu begreifen und zu
ergründen, mit erheucheltem Patriotismus und gleichwertiger Treu-
versicherung für ihren Glauben zu bemänteln suchen.
Der Liedtitel, wie folgt, vom Guslaren.
MajkoTiGu Ljabovica pobro. Von Majkovi6 dem WaKlbrader Ljttbovi6*s.
Gjelep kupi hcic Ljubovicu Beg Ljubovic treibt Rinderherden auf
po Neretvi, okolo Neretve, an der Narenta, rand um die Narenta,
po Siijemu, okolo Sriiema. im Syrmium, rundum im Synnium.
biian bczi gjelep pokupili: Die Hegen brachten auf gar grossen Auftrieb:
5 pet stotlna krava jalovica, fünf hundert Kflbe, die noch alle gelt,
pet stotina volov debel^ehj filnf hundert Ochsen, alle feist gefüttert,
naturise Zadru bijelome. und trieben fort sie nach dem weissen Zara.
Kada bili nb Neretvu mvnn, Als sie in die NarentapEb'ne kamen,
izletjc^^e Neretljani mladi, herbei die jungen NarentaL'r liefen,
10 Neretljani i Nevesiljani: die Nareutacr und die Ncvcsinjer:
— Ne gon bete voIot u kawre! — Treib, Beg, die Ochsen nicht ins Kafirlandl
Cnr i ccsar kavgu na£ini1i, Der Kaiser und der Caesar stch'n im Worte,
da ne igje turdn u kaure! es soll kein Türke geb'n ins Kafirlandl
0£eS beie izgubiti glavu, Du wirst, o Beg, dabei dein Haupt verlieren,
Ij ja Ii ces se Ite/e osuznjitil WO nicht, o l^cp, in Sklaverei verf;illcn !
AI to be2e oje pa ne ajej Drauf hört der Beg und hört auch nicht darauf;
gjelep stjera Zadrn bijelome. sum Zara weiss hinab er trieb den Auftrieb.
S njime ima dvanajes gon&ila Viehtreiber zwölf mit ihm sind im Gefolge
i pobro mu Majkovic Stjepane. und Stefan Majkovi6, sein Herzensbruder.
20 Na rudinam gjelep zastavio; Auf fetten Fluren hielt er an die Herde,
ifljete^e njema5ki trgovci Die deutschen Kaufherrn kamen hcigerannt
p« kupuju krave i vulove, und kauften auf die Ochsen und die Kühe;
begtt daju mekane ruSpije. dem Beg dafür sie gaben weiche Rupien.
Kada be2e gjelep priprodavo Nachdem der Beg den Auftrieb ausverkauft,
25 on besjcdi Majkovic Stjepanu: zu Stefan Majkovic das Wort ei sprach:
— ü Stjepauc dragi pobratimel — O Stefan, du mein liebstes. Bi uderherze!
Cttvaj nama konja na ntdinam behflt uns auf den Fluren wohl die Rosse
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II
sa naäijeh dvanajes gonCila,
dok ja ödem tt TlaSkog« Zedra^
da im vidim Zadrn i far&ije
i u Zadra otkle su tnu vrata,
da im vidim tabija i topova.
Onda Sljepan 1)egu besjedio;
alihicr mit unsren zwölfen Kindertreibem,
dieweilen icli ins christlich Zata wandre^
will deren Zara sehen uml den MarktplatS
uod auch in Zara seiner Tore Lage,
besehen die Bastioiien und Kanonen.
Hierauf das \\'vr{ /um l^e^cn Stefan sprach:
30
— Nejgji beie u vlaskoga Zadra I — Du geh nicht, Beg, dahin ins christlich Zaral
Car i iesar kavgu naSinili,
da ne igje tur£in u kaurc.
Oce Ii te vlasi poznavati^
ocei Indo izgubiti glavu,
ja Ii cc§ sc hc}.e usuinjiti!
AI to beie haje i nc haje,
vi6 on ode u vlafikoga Zadta.
A u Zadra otvorena vrata.
Stade bc2c po &ar&iji odat.
Beie gleda Zadra i CarSije
pa on sjede na jednom ducanu
Stade piti kavu na ducanu.
Opazi ga Zadranine bane.
Kad on vidje bcga Ljubovi£a,
oko bana pet stotin katana^
ua koljcno Sekula sestric mu.
Bane viknu grlom debelijem
3S
der Kaiser und der Caesar stehen im Worte,
es soll kein Türke- tjeh'n ins Kafirland.
Leicht können da die Christen dich erkennen,
da wirst nar tollerweis dein Haupt verlieren,
wo nicht, o Bc^, in Skla\ ei ci verfallen !
Drauf hört der Beg und hört auch nicht darauf, 40
begab vielmehr sich in das christlich Zara,
von Zara waren offen just die Tore;
anhub der Beg zu wandeln auf dem Marktplatz.
Der Beg besichtigt Zara und den Marktplata
und setzt sich letzt auf einen Ladenflügel
und fängt am Laden an Kaffee zu trinken.
Da tnt gewahren ihn der ßao von Zara.
Als Ljubovic den Beg er hier erblickte,
(beim Ban fünf hundert Reiter Ehrenwache,
und Sekula sein Schwestersohn zu Füssen) 5**
ausrief der Ban mit tiefer Kehlenstimme:
— Nut turdna u na^emu Zadru! — Schaut mal den Türken an in unsrem Zara!
Sta ce ture u nascmu Zadru? Was macht der Turkeukerl in unsrem Zara!
ita Qvodi po nalemu gradn? was schnüffelt der herum in nnsrer l- estung?
zSr on gleda f^rada i farSije? Beguckt er denn die Burfj nur nnd den Marktplatz? 55
Bei ne gleda olklcm su mu vrata, Der schaut nicht, traun, wo mau das Tur gelassen,
4S
tur&in gleda tabija i topova,
oce Ii nam na grad udariti !
Kije 1 majka rodila junaka,
tko b turetu snifio na Car^iju,
osjekn mu u ramenu ruku,
obadva mu uka izvadio,
neka slijcp po CarSiji voda!
Svatko suti a ^leda prida SC
al ne gleda Sekula dijete,
vei daigji besjedt Sekula:
60
der schaut die Dastion und die Kanon,
ob wohl die Festung er bercnnen dürfte!
Gebar denn keine Mutter solchen Kämpen,
der auf den Markt hinab zum Türken stiege,
um abzuhau'n die ITand ihm in der Schulter
und beide Augen ilini herauszubohren,
dass blind er auf dem Markte wandeln möge ?
Ein jeder schweigt und schatit vor sich zu Boden,
doch schaut nicht drein so Sekula der Page, 65
vielmehr spricht Sekula su seinem Ohme:
— Moj daigja, od Zadarja banel — O Mutterbruder mein, du Ban von Zara,
Sta junaka po jabani tcalii
kat sestii£a us koljena raniS?
tko c turCinu na Carsiju sni6l,
oijec desnu u ramenu ruku,
obadva mu oka isvaditi,
neka slijep po Car?;ijl oda !
Oto TCtc pa na noge skoii,
gola ma(a turi pod dohuttu
pa on bcj^u na fcarSiju snigje:
was forschst du in der Fremde nach dem Kämpen,
wenn du ra Ffissen deinen Nefüni nälmt,
der auf den Markt hinab ^um Türken steigt, fo
die rechte Hand ihm aus der Schulter haut
und alle beiden Augen ihm herausbohrt,
damit er auf dem Markt als Blinder wandle!
Das sprach er und dann sprang er auf die Beine,
das nackte Schwert er untern Dolman schob 75
und sticii zum Tieg hinab ^vohl auf den Marktplatz.
— äta ceä ture u naäemu Zadru? — Was suchst du Türkenkerl in unsrem Zara?
Ua uvodiS po naSemu Zadru?
a zär ylcdas Zadra I carsijcr
zär ti gleda§ tabija i topova?
Dera pruii svoju desnu ruku,
da t osjecem u ramenu ruku !
Be2e Suti, ni&ta ne besjedi.
Opef veli Sekula dijete:
Was sehnttffelst du herum in unsrem Zara?
ja, schaust du Zara an und schaust den MarktplatS?
Schaust du die Bastionen imd Kanonen? 3^
Geh, strecke dein rechte Hand heraus,
dass ich die TTand dir aus der Schulter aushau !
Der Beg nur schweigt, entgegnet nicht ein Wörtchen.
Von neuem Sekula der Page spricht :
— Pruii ture svoju desnu ruku, — Streck, Türkenkerl, heraus die rechte Hand, 85
da t osje£em u ramenu ruku! dass ich die Hand dir aus der Schulter aushau!
Be2e Suti, nUta ne besjedi. Der Beg nur schweigt, entgegnet auch kein Würtdiai.
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12
Opet reSe Sdcola d^ete:
— Pniii ture svoju desnu niku,
90 da t osjeiem u ramenu ruku!
Kunem ti se i vjeni zadajetn,
oije^u ti na ramenu glava!
Railjuti se bete Ljubovi^u
pa mu pruii svoju desnu ruku.
95 Tlie djete ma£a ispot skuta,
oSinu ga po desnici ruci.
Kako ga je lako udario .
maia svoga na dvoje pribijo
a iz Ulke vatni prosipavo !
100 Skuci bcic od zemlje na noge
pa poteie kratku alamanktt
pa o?.inu Sokulu dtjete —
povis pa,sa malo oatfatio — ■
dvije pole u travu padoSe!
105 Kada vidje Zadranine bane,
gje poginu Sckula dijetc^
z9r nlini na svoje katanel
A katane bega opkolise;
brani jih se beie Ljubovicu.
110 On ptodrije kroz jednn. Inp^u,
prodrijcSe za njijem katane.
On prodrije kroz drugu kapiju,
prodrijeSe za njijem katane.
On prodrije kros trccu kapiju,
1 11^ prodrijeSe za njijem, katane!
Dok do vrata sokak naCinio
al na gradu zatvorena vrataj
ispuscali mandal ot £cUka
BeSe trZe nadiak ot «elika
120 pA on pribi mandal ut cclika.
Pa iz grada belc izletio,
on izlelje konjma na rudine
pobri svome Majkovic StjepaDtt
i svojijem dvanajes goni^ila.
12^ Na ntdinam konje pojaMie
pa pogjoSe US poljc zeleno
a za njima dvanajes goncila';
lako ja§e, prida se gledaju.
Obazrje se Majkovi6 Stjeptae
l^giniade Ii za njima potjcra —
jal to bjele za njima potjera!
U grada se otvoriSe vrata,
dok izletje junak na alatu,
na alatu vas u suvu zlatu,
malo ga le is sedla pomilja.
Izlijecu za njijem katane,
sve katane lete na alajc ;
al svc junak bli;jc le du bUije,
dok sasti?,e Vicgw Ljuboviea.
140 J*-'- ''^ bc2c iiL bjc2ali iie ce.
Jal to bjeSe od Zadarja banel
Koja fajda, je sasti^no,
Kad DU njija udarit ne smijc,
vic on bega iz daldca vi£e:
l^j — Ja, Boga vam, neznane delije !
ütklc jcste, ot koga ste grada?
ja iijeg ste roda i koljena?
Von neaem spricht der Page Sekula:
— Streck deinen rechten Arm, du Türklcm, aus,
dass ich die Hand dir au« der Schulter aushaul
Ich schwör* es dir, verpfänd* mein Ehrenwort,
Das Haupt ich hau' herab dir von der Sdinlterl
Beg Ljubovid geriet in Grimm darob
und streckte s^en rechten Arm ihm hin.
Den Säbel untem Schoss der Page zückte
und führte auf die rechte Hand den Streich;
SO leichthin war der Schlag ihm nur geraten,
dass ihm entzweibrach seines Säbels Klinge
und aus dem Arm hervor die Funken stoben!
Aufsprang der ]!cg vom liodeu auf die Beine,
das kurze Alemannenschwert er zückte
und traf damit den Pagen Sckula,
ein wenig oberm Gurte sass der Hieb,
zwei Hälften kollerten ins Gras hernieder.
Als da der Ban von Zara ward gewahr,
wie Sekula der Page kam ums Leben,
zum Sturm befahl er rasend seine Reiter.
Die Reiter rasch umzinj^cUen den Beg,
Beg I^jubovic sich ihrer weiss zu wehren.
Kaum drang hindurch er darch das eine Burgtor,
schon drangen hinterdrein ihm nach die Reiter.
Kaum drang hindurch er durch das andre Burgtor,
schon drangen hinterdrein ihm nach die Reiter.
Kaum drang hindurch er durch das drifte P^urgtor,
schon drangen hinterdrein ihm nach die Reiter,
bis er gebahnt zum Haupttor eine Gasse ;
doch war das ITaupttor von der Burg geschlossen,
aus Stalil den Kiegel hat man vorgeschnellt.
Den Kolben stahlgetriehen schwang der Beg
und brach entzwei den staldgcst h\vcii.sten Riegel.
Und aus der Burg entfloh der Beg von dannen,
entfloh nun zu den Rossen auf den Auen
zu Stefan Majkovic, dem Hcrzensbruder
und auch zu seinen Rindertreibem zwölf.
Sie stiegen auf den Auen auf zu Rosa
und zogen aufwärts durch das grün Gefilde,
zwölf Rindertreiber hinter ihnen nach.
Gemach sie reiten, schaoen vor sieh hin;
nach rückwärts blickte Stefan Majkovic,
ob wohl Verfolger hinter ihnen lüimen;
fttrwahr, es folgten hinterdrein Verfolger.
Das Haupttor von der Burg sich tat erößhen:
da fuhr hervor ein Held auf einem Fuchse,
auf einem Fuchse, ganz in lautrem Golde,
ein wenig schaut von ihm heraus vom Sattel.
Es fliegen hinterdrein Ihm nach die Reiter,
in hellen Rotten lUegeu all die Reiter,
und immer näher rückt heran der Held.
'/ulet/t ereilt er Ljubovic den Beg,
dcuu gar uichl ist gewillt der Beg fluchten^
ja, traun, das war der Ban von Zara selber!
Was frommt es ihm, dass er sie eingeholt,
dieweilen er 's nicht wagt, sie anzugreifen,
von weitem ruft vielmehr er zu dem Beg:
— So Gott euch helfe, unbekannte Kämpen!
von wannen seid Ihr, wohl von welcher Burg?
von welchen Sippen und vod welchen Magen ?
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13
ja kako se po imeuu zovei? and wie benamst du dich mit deinem Namen ?
A hele mu po istini kaSe: Walirheitgetreu bescbeidet ihn der Beg:
— Jesam junak od Ncretve lavne, — Ich Kämpe bin von dem NarentalAttfe,
od Neretve i od Nevesiija
po imenu be2e Ljubovidal
*
Ja b.me se natrag povmuo,
ja za njime banove katane
pa on ode u bijela Zadra.
Kako dogje u bljcla Zadia,
odma sjede, sitnu kujigu pii>e
pa je ialje §erin Banjojluct
na koljeno pa5i banjoluCkom :
,Eto knjiga, pa§a banjalu5ki!
^Pi^iibi mi bcge Ljubovica
„jali iive jali mrivc glave!
,Mogo SU mi kvara po^inili,
spoCinili kvara i sqana
ifja po momc hijclomc Zadttt,
ifpogubili Sekulu dijete!
,Evo t paSo tri tovara blaga^
^i evo ti sluga Nikolica,
„Bek te dvori 2a Üvota tvoga,
eTo ti sestra Angjel^ar*
KaJa pa§i knjiga rlolazila,
knjige gleda, na Icnjigu se smije
pa on vikntt Erde delibaSe:
— Brie k mcni ErJo delibaSa!
Dera iaäi svojega putalja,
der izberi tridese delija,
sve junaka boljeg od boljega!
Ajde Erdo NcvesUju ravnom,
pogubi mi bege I.jttbovi6a
jali iive jali mrtve glave !
Ako 1 oto Erdo ne uradi§,
da£e£ svoju glavu za njegovu !
Kada Erdo tuo lakrdiju,
itro Erdo na noge sko^to,
opremio sebe i putalja
pa ttsjali debela patalja
a t:i njime tridese delija.
Ode Erdo Nevesilju gradu.
Kad on dogje Ljubovica kuli
do avlije bega Ljubovica
a OQ. bega po imenu vice.
AI mu bega doma ne b^aSe,
jer otisli u lov u planinu,
da ulove siuu jal kosutu,
i odveli rte i zagare.
Oziva sc bogovica mlada:
— Doma nejma bega Ljubovica
von der Narenta und von Nevcsinje,
mit Namen hciss' ich Ljubovic der Beg !
ISO
155
160
«65
170
Allda der Ban rarücke wieder kehrte
und hintennach sein Keitcrvolkgclciie
and heim er wieder zog ins weisse Zanu
Sobald er eintraf in dem weissen Znra,
gleich seui er sich und schreibt ein zierlich Schreiben
und sendet 's ah rur Stadt von Banjaluka
wohl auf das Knie de-, Banjalukcr Pa?;a :
„Empfang deu Brief, o Hanjaluker t&k&i
„Vertilge mir die Begen Ljubovid!
^Stell mir sie lebend oder deren Köpfe!
pSie haben zugefügt mir grossen Schaden^
yja, Schaden and Verlaste sagefitgt
jfiirwahr rundum in meinem weissen Zara:
iSie brachten um den Pagen Sekula!
«Da, Pa§a, nimm drei Maaltierlasten Schätze
„und nimm dazu den Diener Klaus den kleinen^
„er warte dein, solang dein Leben währt,
„nnä nimm dir auch die Schwester Angelina!"
Wie nun der Pasa diesen Brief cnipfieng,
den Brief besah, den Brief belacht' er fröhlich
und lief herbei den Detibria Erdo:
— Rasch her zu mir, o Dellljasa Krdo!
Ei schwing dich mal auf deinen FleckenfUsser
und kühr dir aus an dreissig ktthne Kämpen,
nur lauter auserkorne kühnste Kämpen.
Hei, Erdo, zeuch zum ebnen Nevesinje,
vertilge mir die Begen Lja1>ovi6,
stell mir sie lebend oder deren Köpfe!
Wofern du, Erdo, solches nicht verrichtest,
vint da *9 mit deinem Haupt f&r seines bU&sen!
Kaum hatte Erdo den Befehl vernommen,
aufsprang er auf die Beine gar behende,
ausrüstete so sich als seinen Fleckfuss ig^
und schwang hinauf sich auf den feisten FleckfttSS.
Fortzog zur Burg von Nevesinje Erdo
und hinterdrein ihm folgten dreissig Kämpen.
Als er zu Ljubovicens Warte kam
zum Btirggohöft von Ljubovic dem Beg,
da rief er an den Beg beim vollen Namen.
Jedoch der Beg gerad daheim nicht weilte,
sie waren auf die Pirsch ins Waldgebirge,
zu pir.schen Rehe oder eine Iliudlu
und hatten mit die Rttden und die Bracken.
Die jnngc Edelfraue tat sich melden:
Daheim nicht weilt Herr Ljubovic der Beg,
«75
tSo
190
195
OtiSo je u lov u planinu. er ist ins Waldgebirg zur Pirsch gezogen!
Onda Erdo ljubi besjedio: Darauf zum Ehelieb Herr Erdo sprach:
— Ja, gospojo roda gospockuga, — O Edelfrau, von edlem Stamm entsprossen! 200
o£e 1 bete u red dölaziti?
— Oce tamo po ak*,amu dodil
Ona viknu Usubega sina:
— UsubeXe moj jedini stne!
pogj, Erdina pripati putalja!
Odma sletje djete Usubele
wird wohl der Beg bei Zeiten wiederkehren}
— Um den AkSäm er heim wohl kehren dttrfte!
(sie rief herbei Beg lluscin den Solm):
— Beg HuseYn, o du mein einziger Sohn,
abfasse mal des Erdo Flecken fiisser!
Gleich lief Iiinab der Page Husobeg
205
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14
i pod Erdom prifati putalja, und fasste unter Erdo ab den 1 leckfuss,
da izvoda Erdina putalja. um aaszufUluen Erdo's Fleckenfllsser.
Besjedi mu Frdo deliba^n: D» sprach zu ihm Herr DclibaSa Erdo:
210 — O dijetc, ncjak Usubeie, — Beg Husein, o du umnündiger Knabe!
gji je babo, o bcg Ljubovicu? WO weilt dein Väterchen Beg Ljuboviö?
— OtiSo je u lov u pbininu! — Er ist ins Waldgebirg zur Pir rh f^ezo|jen.
— Oce 1 t u red babo dolaziti? — Kehrt wohl dein Väterchen noch heim bei Zeiten?
— Oce tamo po ak§amu do£iI — Um den Ak&äm er heim wohl kelimi dürftet
21$ Erdo viknu tridese del^aj Zurief Herr Erdo seinen drelssig Kämpen.
saveza^e Usubega sina, Sie schlugen Husobeg den Sohn in Bande^
savezata djete otjeraSe. gebunden jagten sie vor sich den Knaben.
Za njim prista Ljubovica majka: Anschloss sich ihm die Muttor Ljuliovic's:
— Vrat mi Erdo Usubega moga! — Gib meinen Husobeg zurück mir, Erdo!
aao Njoj beifedi Erdo delibOa: Herr DelibaSa Eido spricht zu ihr:
— Vrat sc natragl.juboviöamajko, — Kehr nur zurück, du Mutter T,jubovic'Sj
posjecu ti Usubega tvoga! sonst sdble deinen Husobeg ich nieder!
To joj reie, oijede mu glaTut Er spracVs tn ihr und Ueb ihm ab das I&tipt.
Za njim prista Ljubovica majka: Anschloss sich ihm die Mutter Ljubovic's:
225 — Vrat mi Erdo odzlatajubuku, — Gib, Erdo, mir zuriick aus Gold den Apfel
m<^ nnuica Usubega rinal mein Enkelein, das SShnlein Husobeg!
— Vrat sc natrag I.jubovicamajko, — Kehr nur zuriick, du Mutter T.jubovic's,
vrat se natrag ^ uäicu ti glavu ! kehr nur zurück, sonst hau ich dir das Haupt ab I
To joi re(e , osjece joj glavu t Er spraeh*8 zu ihr und hieb ihr ab das Haupt.
230 Ode Erdo sa trides delija Von dannen Erdo zog mit dreissig Kampen
i odnese obadvije glave: und trug mit sich fort allebeide Häupter,
, jedn« glavu Usubega djeta, das eine Haupt des Pagen Husobeg,
drugu glavtt Ljnbovi£a majke. das andre Hanpt der Mutter Ljubc^f's.
* •
Istor Erdo polje prilazio Noch schritt Herr Erdo hin durchs Blachgefilde,
235 al eto ti bcga Ljubovica ei sieh, es naht schon Ljubovic der Beg,
i on goni debcla gjogata^ er jagt einher auf seinem feisten Falben
Usabega is daleka viSe : und ruft heran von Fem schon Husobeg :
— Oje si sine, Usubeie djete? — Wo bleibst du Söhnchen, Page Husobeg?
zir mi ne 6e§ pripatit gjogataH magst du nicht ab mir meinen Falben fassen}
240 Osiva se begoviea mlada, Anmeldet sich die junge Edelfraue,
ona eist ko §arena guja: sie zischt vor Schmerz, wie eine Natter scheckig:
— Ja, moj beie mili gospodare! — Ach weh, mein Beg, o teuer<!ter Gebieter,
ne ce t viSe Usubeie sine dein Söhnchen Husobeg wird nun und nimmer
ja pot tobom pripatit gjogata. abfassen unter dir den falben Renner;
d45U8Ubeg je izgubio glavu! ach, Husobeg hat ja sein Haupt verloren!
— Sa§ta , ljubo, ako Boga znadcS ? — Von was denn, Ehelieb, wenn du an Gott glaubst !
— Ovde dogje Erdo delilldla — Da kam gezogen DelibaSa Erdo,
a ja pnsla Usub<"ga sina, hinab ich sandte Husobeg den Sohn,
da pod Erdom pripati putalja; den Fleckfuss unter Erdu abzufassen;
aSOsavesa ga Erdo delibaSa, in Bande schlug ilm Deliba^a Erdo,
savezana niz avliju zajml. gebunden jagt' er ihn entlang dem Eurghof,
za njim stara pristajahi majka, aus>chlüss sich ilim die hochbetagte Mutter,
jal da vrati Usubega moga. rückgeben soll er meinen Husobeg.
Njoj besjcdi Erdo dcHbasa: Doch sprach zu ihr Herr DcHbaSa Ibro:
*55 »vrat se natrag Ljubovica majko, „Kehr nur zurücke, Mutter Ljubovic's,
„vrati s natrag, osicu ti glavu „kehr nur zurück, sonst liau ich dir das Haupt abl**
To joj reie, osje5e joj glavu. Dies sprach er zu ihr, hieb ihr ab das Haupt,
ode Erdo sa trides delija Mit dreissig Kämpen Erdo zog von hinnen
i odnese obadvije glave! und trug mit sich fort allebeide Häupter!
360 Kada fuo l)C?.c Ljubovicu: Als dies erfuhr Herr ljubovic der Beg:
— O gospojo roda gospockoga, — O Edelfirau, von edlem Reis entsprossen,
je ti Erdo davno odlado? ist Erdo lange schon davongezogen?
je Ii dosad goru prilazio? hat er den Hochwald jetzt schon überschritten?
— Nije Erdo davno odlazio — 'S ist nicht so lang, dass Erdo abgezogen,
a6Sa joi nqe gore prilaiio. noch hat er nicht den Hodiwald fiberschrittenl
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15
— Ja cujcs inc muja sirua Ijubol — O hör mich mal, du mein getreues Eh'Ueb!
Ako dogje Majkovic Stjepane
nek ne \g]e poljem zeleaijem,
vec nek igje poljem u prijeko
pa nek igje gorom poprijeko;
a ja odoh okolo planinc,
da zavrnem Erdu u planini l
Oto reCe, okrenn gjogata
pa okrenu poljem zelenijem.
Istor be£e poljem samaknuo,
malo vrime sa dugo ne bilo,
jal cto tt Majkovic Stjepana,
jal OQ goni debela dorata,
Usabega ix daleka vi(e:
— Gje si bolan Usubeie mali?
zär mi ae ces pripatit dorataM
Flrogovan begovica mlada:
— Gospodare, Majkovic Stjepaae !
ae ce t viSe Ustibeie sine
ja pot tobom piipatit doratal
270
275
Wenn Stefan Majkovic da kommen sollte^
so geh' et nicht durchs grüne Blachgefilde,
vielmehr er nehme querfeldein den Weg
und soll querwegs ins Hoclkgebii^ sich tummeln,
ich aber geh' ums Hochgebirg herum,
um Erdo in dem Hochwald festzustellen I
Dies spracli er, macbte mit dem Falben kehrt
und nahm den Lauf durchs grüne Blachgefilde.
Kaum war der Beg entschwunden im Gefilde,
naeh kurzer Weile, die nur wenig uriÜute,
ei sich, da naht auch Stefan Majkovic !
Er jagt daher auf seinem dicken Braunen
und ruft heran von Fem schon Hnsobeg:
— Wo steckst du, Str){)scl, Iluscibeg du klciner?a8o
Magst du nicht ab mir meinen Braunen fassen?
1^ meldet sich die junge EdelÄaue:
— O mein Clebieter, Stefan Majkovic,
mein Söhncheu Husobeg wird nun und nimmer
abfassen unter dir den braunen Renner!
— Warum, der Tausend, junge Edelfrau?!
Sie zischt vor Schmerz, wie eine Natter scheckig:
— Da kamen hergezogen dreissig Kämpen
und vor der Rotte Dcliba&a Erdo.
Nach euch befragte DelibaSa Erdo,
hinab ich sandte Husobeg den Sohn,
den Fleckfuss unter Erdo abzufassen.
Hinab zu ihm stieg Husobeg der Page
und &sste unter ihm den Fleckfuss ab.
In Bande schlug ihn Deliba§a Ibro,
gebunden trieb er ihn entlang dem Burghof.
Za njim prista na§a stara majka, Ihm schloss sich unsre alte Mutter an,
da ml vrati Usubega sina dass er den Sohn mir, Husobeg xuriickgeb*,
a na nju se i/adrije Erdo: doch Erdo hat sie grimmig angefahren:
„Vrat sc natiag Ljubovica majko , „Kehr nur zurücke, Mutter Ljubovic's,
„posjec cu ti Usubega troga!" „sonst hau ich deinen Husobeg zu Stücken 1**
To joj refic , osjeCe joj t;lavu ! Sprach so zu ihr und hieb ihm al) das Haupt.
Za njim prista oslarjela uiajka: Ihm schloss sich an die hochbetagte Mutter:
— »Vrat mi Erdo zUitenu jd>ttktt, — „Gib Erdo mir zurück den goldnen Apfel,
^ja jabuku I suTiCga m "'
Sasta, bolna, bcgovica mlada?!
Ona ci^i ko iarena guja:
— Ovde dogje tridese delqa
i prid njima Erdo delibaSa}
za vas pita Erdo delibasa,
a ja pusla Usubega sina,
da pod Erdom pripata putalja.
K njemu snigje UsubcJe djete
i pod njime pripati putalja;
saveaa ga Erdo delibaia,
saves^ana niz avliju zajmi.
290
295
300
— „Vral se uatrag Ljubovica niajko
„posjedu ti sa ramena glavu!"
To joj refCi o^jctc joj i^lavul
Ode Erdo sa trides delija
i odnese obadvije glave!
Ciknu Stjepan ko sarcna giija:
Je Ii doso beie Ljubovicu?
den Apfel meines TTusobcj:»!"—
nur /.urücke, Mutter Ljubuvic's
.. ':t wohl
„ich hau dir von den Schultern ab das Haupt!"
Dies sprach er zu ihr, schlug ihr ab das Hauptl
Von hinnen Erdo zog mit dreissig Kämpen
und trug mit sich fort allebeidc Häupter.
Aufzischte Stefan gleich der Xattcr scheckig;
— Ist hcimgekummen Ljubovic der Beg?
30s
310
— A lest dolo, mili gospodare! — Gekommen heim, o teuerster Gebieterl
OtiSo je poljem zelenijem,
da obleti okolo planine,
ne bi 1 Erdu Üva sastigimo.
A tebl je be2c besjedio,
reko ti je beäc Ljubovicu,
ja da igjeS poljem popr^eko,
da prisjeies gorom poprijeko,
ne bi 1 Erdu 2iva sastignuli.
Nama Stjepan okrenu dorata;
öde Stepan poljer.i prijeko
pa masi se gurc i planinc
pa prisje^ gorom poprijeko.
Er gieng dahin durchs griine BUichgcfilde,
um um das Hochgebirg herumzukommen,
wo mdglieh Erdo lebend einsuholen.
Dir aber hinterliess der Beg die Weisung,
es hat dich Ljubovic der Beg geheissen,
einsdilsgen mögat du queifeld^n den Weg,
den Weg durchschneiden qucrnur durch den Hochwald 310
vielleicht lebendig dass Ihr Erdo einholt!
Gleich machte mit dem Braunen Stefan kehrt.
Es zog Herr Stefan querfeldein von dannen,
bog ein ins Hochgebirg und in den Hochwaid
und schnitt so durch den Hodbwald auf dem Queru eg. 325
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i6
Itro hcle goru obletio
i zavmu u planini Erdu.
ü ta doba Majkovic Stjcpane,
Kai se dvije pobre sastavise,
330 izSjekose tridese delija.
Oni Erdu ?.iva ujitiSej
oguliSe Erdi delibasi
obadvije do ramena ruke^
obadvije no^c do koljcna,
335oguli§e glavu do ociju^
digoSe ga na konja putalja,
na putalju privezase Erdu
pa pod njime puscase putalja:
— Ajde, Erdo^ §erin Banjojlud
340 pa se pali paSi banjolutkom,
gje gl sjeko djecu kod odiaka,
gje si ijeko ostaijele majke!
Ilode Eiilü Jiuinom jadikajn^
Kada biu ^eru Banjojluci,
34$daleko ga pa§a opazio
pa prid njej^a pasa izletio.
Kada vldje Erdu delibaäu,
Sto je bilo s Erde delibaSe,
jal 011 F.rde iz dalcka vice:
350 — Sta to, bolan, Erdo delibaSa
— Evak, pa§o, tebi gore bilol
Skidofie ga sa konja putalja.
Gar iUnk der 6eg den Hochwald war umflogen
und batte Erdo festgestellt im Hochland.
Zur selben Zeit kam Stefan Majkovic.
Als sich vereint die beiden Wahlgebrüder,
zu Stücken hieben sie die dreissig KümpeD*
Doch Erdo fiengen sie lebendig ab,
sie schunden al> dem DelibaSa Eido
die beiden Anne bis zum Schulterblatte,
die- beiden Fasse bis hinauf zum Knie,
biä zu dcu Augen schunden sie das Haupt,
auflegten sie ihn auf den Flcckenfüsser
und banden Erdo an den Flcckfuss fest
und liessen unter ihm den Flcckfuss laufen :
— Zeucb, Erdo, hin zur Stadt yon Banjalnka
und prahle vor dem Banjalukei Pa5a,
wie an der Herdstatt Kinder du gemordet,
wie du gemordet hoebbetagte MUtterl
Wehklagend Erdo mg des Weges weiter.
Als er der Stadt genaht von Banjaluka,
von weitem ihn der "Hi». schon gewahrte;
entgegen kam der Pa^a ihm geflogen.
AU er erschaut nun Erdo Delibaia,
was da geschehen mit Erdo DelibaSa,
rief er schon Erdo /u von weiter Ferne:
— Was gibt's, unseliger Erdo DelibaSa?!
— Das gibt's, o Pa§a, schlimmer sei dein Ted 1
Man hob ihn ab vom K(
dem Fleckenfässer.
Sjede paSa, sitnu knjigu piSe
pa je Salje Carigradu gradu
355 na koljeno caru iestitome:
, Sultan eare, i otac i majkol
„Pogubi nam bege Ljubovica
ijali iive, jali mrtve glavet
„(^ludan jesu zulum poCinili
360 «po Neretvi i po Nevesilju!
„Namctnuli namet na vilajet:
„sjeroma sc oienit ne more,
„sjerota se udati ne more!
„Tko s oZcni, po litra je ziata,
365 »tko s udadc po tri litre zlata! „die sich vennählt, je
Mütter
„Ja, koje je sjeroniasna majka
„a ceri im bje^^" 1 « i'lctu!"
Kada caru taka kiijigu dogje,
kada vidje, §ta mu knjiga kaZe,
3yocare vikou silistar Aüjc:
— Silisiare, prva moja lalo!
Dera uzmi njc§to malo vojske,
nje^to malo. fetiri iljade.
Vodi vojbku u Erccgovinu
375 j* Mostaru pa i Nevesilju
ja bijcloj Ljubovica kuli.
U ponoci dovodiceS vojsku
pa okoli Lj«bovi6a kulu.
Pofalaj mi bege Ejuboviöa
380 jali 2ive jali mrtve glave!
I ponesi mojega Cadora,
na cadoru od zlata jabuku.
Kada vide careva Cadora,
sami £e se bed nplaitti;
Der Fala setzt sich, schreibt ein zierlich Schreiben,
und sendet's nach Istambol ab der Stadt
wohl auf das Knie des glückb^abten Kaisers:
Sultan, Kaiser, Vater uns und Mutter!
„vertilge uns die Bcgen Ljubovic,
«es sei lebendig oder tot die Häupterl
„Ein Wunder, was sie an Gewalt verübten
„um die Narenta und um Nevesinje!
,mit einer Auflag sie das Land belegten:
„Der arme Mann, der kann sich nicht beweiben,
„das Waisenmädchen kann sich nicht vernkKlilen.
„Wer sich !)eweibt, je eine Litra Goldes,
drei der Litren (Woldes!
ganz in AiTnut leben.
,Und
wenn
die
„dann deren Tochter weisse Zöpfe tlcchtcn!"
Als solch ein Ihief dem Kaiser kam vor Augen
und er ersah, was ihm der Brief vermeldet,
'rief er herbei den Waffenwahrer Ali:
— Gcvvatfcuwahrer, du mein Obristlala,
Geh rafle mal zusammen etwas Truppen;
ein wenig blos, viertausend !\Ltnn genügen,
und führ die Truppen nach dem licrzoglande
gen Mostar hin und auch nach Nevesinje
7Air wcissgetünchtcn Warte Ljubovic's;
dahin die Truppen führ* um Mittemacht
und xingle um die Warte Ljubovi£*s.
Du fang mir ab die Bcpcn Ljubovi6,
es sei lebendig oder tot die Häupter.
Auch nimm du mein Gezelte mit mit dir
wohl da<; riezclte mit dem goldnen Apfel.
Wann sie das kaiserlich Gezelt erblicken,
an sich erschrecken werden schon die Bcgen;
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»7
jera s carom niko boja aejma!
A Al^a na noge skofiio
I carcvu podignuo vojsku
pa on pogje ol Stambola gradaj
od Alija Q Ereegovinu.
KaJa dogje Xevesilju gradv
u zla doba dovodio vojsku
ti po ttoci kad Tremena nge.
Okolili Ljubovi6a kultt,
noapeU zelene iadore.
Kad n jutio jutro osvanulo,
pomub Ijnba Ljubovi6a
pa sc §c6e po bijelu dvoru.
Ja pogleda pod bijelu kulu,
Ljubovica okoljena kula !
Kon! flo konja, cnJi r -Ii cadora.
Jcdaa cador po najaadai stao,
ja na ojemu od data jabaka
i tri puta £icom omotavan.
Ja, se vrati u bijele dvore
pa ne smije bega probuditi.
Ona viknu Majkovic Stjepana:
— Ustan, bolao, Majkovic Stjcpane!
odi vidi toda golemoga,
bgela vam okoljena kula!
Kada skoii Majkovic Stjepane,
kad on vidje rilovit« vojsku,
Stjepan budi bega Ljubovica:
— Ustan, beie, mili gospodare!
B^ela nam okoljana knla!
Kad ustade helc Ljubovidtt
pa vidje&e sa bijele kule
odn>a beie Cador pocnavao,
da je öador cara iestituga.
Ja, besjedi beie Ljubovicu:
— Ja, §to cemo, Majkoviö Stjepane ?
Da b na njija danas udarili —
8 carom brate niko boja Mjmat
Da niza [se] oborimo nike,
da igjemo carevu Sadoru,
da vidimo §to je i kako je,
ja ko nas je caru opaujkao?
Jal besjedi Ljubovica Ijuba:
— Ja, sto ste se bczi uplaSili?!
Eva jesam jcdna ienska ßlava,
ja b na njija udarila sama !
Besjedi joj be£e Ljubovicu:
— Ajd, ne ludi, moja vjema ljubo !
s carom nitko boja ne imade!
Pa rekoSe pa se posluiaie
ja niza se obori.§e ruke
a vodoie ü carevu vojsku.
Careva ji propuscala vofska *
do tadora silistar Aiije.
Kad dogjoSe oba prit £adoi«,
prid Alijom nike prilomi5e
pa se crnoj zemlji prikloni§e.
Ja, pita ji silistar Alija,
ja, kakav su zulum poCinili?
Onda beie Stade besjediti;
denn mit dem Kaiser keiner einen Kampf wagtl 385
AUle knrtig anf cUe B«ine sprang
und sammelte die kaiserliche Truppe;
dann zog von dannen er von Stadt Istambol.
Es zog Alile fort ins Herzogland.
Als er gelangt zur Burg von Nevesinje, 39**
tax schlimmen Frist er schaffte hin die Truppen
am Mittemacht, wann keine Zeit geheuer j
wnziiigelten die Warte LjttboTi6*s
und spannten auf die grünen I^gcrzelte.
Als morgens früh der Morgen angetagt 39S
erhob sich früh das Eh'lieb Ljubovic's
unt tat ei^eh'n sich uif der weissen Wartburg.
Da fiel ihr Blick hinab die weisse Warte:
ringsum die Warte Ljubovic's umzingelt!
hier Ross an Ross, hier Zelt an Zelt gedrängtl 400
Vereinzelt stand allein nur ein Gezelte
und oben drauf ein goldner Apfel blinkt,
und dreimal war mit Draht das Zelt umwunden.
Sie wandte sich zurück xur weissen Warte,
dodi wagt mit nichten de*s den Beg sa wecken; 40$
wachrief sie lieber Stefan Majkovic:
— Erwach, unseliger Stefan Majkovic!
Geh hin und schaue ein gewaltig Wunder!
Umzingelt ward da unsre weisse Warte!
Im Sprung erhob sich Stefan Majkovic 410
Und als er nun das mlehtige Heer erblickte,
wohl that er Ljuliovic den Bog erwecken:
— Erwach, o Beg, mein teuerster Gebieter!
nmsingelt ward da unsre wetsse Warte 1
Vom Lager aufstand Ljubovic der Beg, 415
und sahen alles von der weissen Warte.
Sogleich der Beg eikannte das Geselle,
als das Gezelt des glückbeladenen Kaisers,
und also sprach Herr Ljubovi6 der Beg:
— Was sollen nun wir, Stefan Majkovi£? 420
wenn heute wir den Ausfall gen sie wagten —
o Bruder, mit dem Kaiser keiner kämpft!
Lass an die Lende uns die lländc legen,
lass uns zum kaiserlich Geseke wandeln,
lass seh'n uns, was da los und wie's geworden, 4^5
wer wohl uns bei dem Kaiser angeschwärzt.
Doch spricht das Wort das Ehlieb Ljubovic's:
— Was seid Ihr denn^ Ihr R''^"'n. erschrocken?!
da schaut, ich bin ja nur ein i' raucnzimmer,
ich wollt* allein gen sie den Ausfall wagen! 4^0
Entgegen spricht ihr Ljubovic der Beg:
— Treib keine Tollheit, mein getreues Eh'lieb,
den Kaiser keiner auf zum Kampfe ruft!
Also sie sprachen, machten ihre Sachen J
sie legten ihre Hände an die Lende 43J
nnd giengen ab ins kaiserliche Heer.
Durchziehen Hess sie frei des Kaisers Heer
bis zum Gezelt des Waffeuwahrers Ali.
Als beide hingelangt vor das Gecelte,
verschränkten sie vor Ali ihre Arme 440
und beugten sich zur schwarzen Erde nieder.
Es Inigte sie der Waffenwahrer Ali,
was für Erpressung sie gemacht sich schuldig?
Anhub der Beg daraufhin zu erzählen,
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i8
445 ja kako je gjelep sakupio,
Utjero ga bijelmne Zadrn
i kako je gjelep priprodsvo
i otiSo u bijela Zadra.
Sve mu ka2e, §to je i kako je :
4$okiko doto Eido delibaia,
posjeko mu sina jedinoga,
posjeko mu ostarjclu majku.
Poslo ga je pasa banjalu&kt
ja, za blnpo z;u!r.i]i -kofja bana
455 ' njegovu seitru Angjcliju.
Istor beie Stade kazivati,
doklc sliic püsta knjif;ono5a
ot Stambola bijeloga grada;
knjigu nosi cara Cestitoga,
46oknjIgu dade silistnr Aliji:
— £to knjiga, silistar Alija!
nqe t majln rmlüa junak*
:i sclcuna brata odgojila,
ko c za cara na m^dan bici?
465 Car mu diye dvore kot svoj^e,
kot svojtjc, bulje ot svojije.
I daje mu tri bijela grada,
dva kod mora, [treci] kod Dunova.
I daje mu cercu sultaniju,
47°uilogo pusto nebrojeno blago!
Evo ima nedtljica dana,
kak u polju arap odja.^io
pot Stambolom u polju zelenom.
Pa on cara na megdan zadva,
475 da mtt care na megdan izigje,
ja iaigje, ja izmjenu nagje!
Ako care izi6i ne smge,
jal iziti, jal izmjenu naä,
oce cani n Stanibol unici
4^ pomaknuti cara is stolice
pa on sjeßti u carsku stolicu,
prosuditi U Stambolu giadu!
Kada £uo be^e Ljubuvicu
on besjedi silistar Aliji:
4^5 — Evo majka rodila junaka,
tko c za cara na megdan tzicil
Ne dade mn Majkovi£ Stjepane:
— Ne 6c§, brate, beie Ljubovicu!
Ja c za cara na megdan izi6i,
49<^jer ja aejiuam svoje yjerne Ijttbe,
ja nit imam oca nl matere.
Fa se natmg oba povratUe
i dogjoSe Ljiibovi^a knli.
Otlma Stjcpan izvctle dOMta
495 P^ opremi sebe i dorata
pa OD begu tijo be^jedio:
— Alali mi. niili gur.podaru,
ito si mene nüada odraniol
Pa n^aSi debela dorata.
500 Ode Stjepaa od grada do grada,
doka snigje do Stamliola gra£i
pot Stambola u polje zeleno.
Jal u polja tador rasapinjaii,
wohl, wie er einen Auftrieb aufgesammelt,
Ilmausgetrieben ihn zum weUften Zara
und wie den Auftrieb weiter er verbandet
und sich ins weisse Zara hinbegeben.
Erzählt ihm alles, was und wie 's geschehen, •
wie Erdo Deliba^a war erschienen
und ihm den einzigen Sohn [jchati'n zu Stücken,
gehau'n zu Stücken seine greise Mutter.
„Er war gesandt vom Banjaluker Pa^a
den Schätzen wohl zu I.icb des T?ans von Zara
und dessen Schwester Angelina halber."
Noch war der Beg begriffen im Berichten
als ein Courier mit einem Schreiben eintraf
daher von Stambol, von der weissen Stadt,
er bringt des glückbeladneD Kaiseis SehieibeDi
und übergab's dem Waffenwahrer Ali :
— Allhier ein Brief, Gewaffen wahrer Ali!
Gebar denn keine Matter einen Kimpen,
aufzoj; denn keine Schwester solchen Bruder,
der für den Kaiser auf die Wahlstatt träte?
Der Kaiser schenkt ihm eine Burg bei seiner,
bei seiner Burp doch besser als die seine,
und gibt ihm zum Geschenk drei weisse Städte,
am Meere zwei, die dritte an der Donau,
und schenkt ihm das Prinzesschen Sultanin«
und unermesslich ungezählter Schätze!
Es sind daher sdion einer Woche Tage,
dass ein Araber abstieg im Gefilde,
im grttnen Blachgedlde unter Stambol
und der heraus cum Kampf den Kuser fordert,
der Kaiser auf der Wahlstatt ihm erscheine,
erscheine oder stelle den Ersatzmann!
Getrau sich nicht der Kaiser zu erscheinen,
erscheinen oder doch Ersatz zu stellen,
eindringen werd in Stambol er zum Kaiser,
hinab den Kaiser gar vom Throne schupfen,
sich selber setzen in des Kaisers Throusit»
und die Gerechtsam üben in I.stambol!
Als dies vernahm Herr Ljubovic der Beg
da sprach er zum Gewaffen wahrer Ali:
— Allhier gebar die Mutter einen Kämpen,
der fUr den Kaiser auf der Wahlstatt auftritt!
Nicht gab Gewähr ihm Stefan Majkovic:
— Du, Bruder, darfst es nicht, T>e\^ IJuboviöl
ich trete für den Kaiser auf die Wahlstatt;
denn ich besltxe kein getreues Ehlleb,
ich hab' auch weder Vater, weder Mutter!
Und beide wiederum zurücke kehrten
und kamen hin zur Warte Ljubori^'s.
Sofort heraus den Braunen ^t. f.ni führte
und tat sich selber und den Braunen rüsten
und sprach sodann zum Beg mit leiser Stimme:
— Sei mir versühnt, mein teuerster Gebieter,
der du mich junges Blut hast grossgezogen!
Und schwang hinauf sich atif den dicken Braunen«--
Von Burg zu Burg Herr Stefan fürbass zog
bis er hinab zur Stambolstadt gelangte
ins grüne Blachfeld unterhalb Istambol.
Stand ein Gezelt dort im Gefild geschlagen,
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pot cadorom cma arapioa; sass unter dem Gezelt ein Schwarzaraber,
al on pije vino pot Eadorom tat ttttter dem Gezelt «m Wein sich gütlich^ 505
a privero kusu bcdcviju. sein Wüstenross gestutzt war angebunden.
K njemu Stjepan dotjera dorata^ Zu ihm den Braunen Stefan nahe jagte,
on anpn bo2ju pomo6 viknu, Zurief er dem Aimber: ,Gott zu Hilfe!*
j«i aiap njemu boiju pomo£ primiilhm der Araber freundlich: ,Gott zu HiUe!'
<— Odjak konja^carev megdandiija, — Steig ab vom Rosse, Kaisers Knmpfvertreter.SlO
da se ladna napqemo vina
pa cem onda mfydan dtjeliti!
Ajd otale, cma nmpino!
ja ne pijem vina ni rakije,
vec der jaSi kusu bcdcviju,
da igjemo mejdan dijeliti !
Arap skoci od zemlje na noge
pa uzjaSi kusu bedeviju.
On besjedi Majkovi6 Stjepanu :
— Ajd zaodi carev megdandiija
Onda Stjepan be^edi arapu;
— Ajd otale, cma nrapino !
tvoja zaoka, tvoja t zaotka!
Kada vidje cma arapina,
on Stepanu oSi ufatio
pa poteie sablju ot pojasa,
da Stjepanu osqeie ^aw.
Doieka ga Majkovic Stjepane,
udari ga §akom iza vrataj
kalco ga je lako udario,
arap spade s kuse bedevije.
cma ga je krvca zaljevalaj
nit se mite, nit on duSom 4Uie.
Do njeg Stjepan mije dovlafiio
pa arapa vinom zaljevavo,
dok s arapu male osv^estl:
— Stan aiape, to je SaUt bUft!
Dera ja§i kusu bedeviju,
da igjemu roejdan dijeliti l
Odma arap kusu uzjaüo
pa on odc poljcm zelenijem:
arap koplje noai u rukama.
Kada arap do bilje§ke dogle,
ostadc ga Stjepan £ekajuci.
On zaiima kopljem i desnicom.
Kad od ruku koplje poletilO)
u oko bi zmgu pogodtjo,
bei* ne bi u £elo junakai
dass wir uns satt am kalten Weine laben,
austragen wollen wir hernach den Kampf!
— Von hinnen pack dich, Srh'.'/nizaraberlümmel!
Ich trinke weder Wein noch tnuk ich Branntwein!
Besteig mal dein gestutztes Wüstenross.
damit den Zweikampf wir zum Austrag bringen I
Aufsprang vom Boden hurtig der Araber
und schwang sich aufs gestutzte Wüstenross,
Zu Stefan Majkovic das Wort er sprach:
— Ei, nimm den Anlauf, Kaisers Kampfvertreter! 520
Darattf zn dem .Araber Stefan sprach:
— Troll dich von hinnen Schwar/araberlümmell
Dein ist die Fordrung, dein ist auch der Anlauf:
Als sich durchschaut der Schwarzaraber sah,
gedacht' er Stefan hinters. Licht zu führen 51$
und zog heraus den Säbel aus dem Gürtel,
um Stefitn abzuslbeln flogs das Haupt.
Gewärtig war Herr Stefan Majkovic,
er pAanzt* ihm einen Faustschlag in den Nacken.
So leiebt nur -war der ScUa^, dUs der Araber 530
flugs vom gestutzten Wüstenross hinabsank;
ein schwarzer Blutstxom ganz ihn überquoll,
er rührt sieb nicht, noch athmet seine Sede.
Hinzu zu ihm die Schläuche Stefan schleppte
und goss den Wein hinein in den Araber 535
bis halbwegs von ihm wieder wich die Ohnmacht
— Nur auf, Araber, das war blos Gcneckel
Besteig nur dein gestutztes Wüstenross,
damit wir doch den Kampf zum Austrag bringen !
Gleich sch\> I u^; sich der Araber auf den Stutding 54^
und ritt dahin durchs grüne Blachgefilde,
in Händen trägt die Lanze der Araber.
Indess zum Standort der Araber kam
blieb Stefan seiner harrend auf dem 1- lecke;
der schwingt die Lanze, schwingt den rechten Arm. 545
Wie da geflogen aus der Hand die Lanse,
er träfe eine Schlange grad ins Auge,
wie leicht nicht einen Kämpen in die Stirne!
Dolmr gjogat bjele pot Stjepanom Das war ein guter Schimmel unter Stefiui,
jer se svakom boju naufio;
gjogat pade na prva koljena,
priko njija koplje priletUol
PruJi ruku Majkovic Stjepan«
pa on koplje u ruku ujiti,
piilomi ga na dvoje, na troje
i komade u travu jitio.
Dok doleije cma arapina:
— Kurro jedna, carev megdand2ija1
denn jede Art von Kampf war ihm vertraut;
der Schimmel sank auf seine Vorderfü&se,
ob ihren Häuptern ftog hinweg die Lanze.
Die Hand ausstreckte Stefan Majkovic,
fieng ab die Lanze mit der freien Hand,
serbrach sie knacks zu zweien, dreien Stttcken
und schleuderte ins Gras hinweg die Trümmer.
Inzwischen flog herbei der Schwarzaraber:
— Du Hure, du des Kaisers Kampfvertreter!
§ta s doveo bagavu kljusinu Was hast du mitgebracht für lahmen Klepper,
pa me danas vara na megdauu! der heute mich beschummelt auf der Wahlstatt!
Stani knrvo, dok se opet zagjem! Steh still, du Hnr*, bis ich von neuem loslcg'l
Onda Stjepan besjedi arapu: Darauf zu dem Araber Stefan spricht:
— Ajd arape, ne jedi govana: ~> Geh, du Araber, kau nicht solchen Unflat:
555
560
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20
Jednosc 6emo pa i drugosc cemo T' ,Wir machen's einmal und zum zweitenmale!'
565 Ode Stjepan, otjera doiata; Davon sof seinem Bnnisen Stefan,
ostade ga arap cckaju6i. blieb stehen seiner harrend der Araber.
Dorat igje dok je njemu diago. Der Braune rennt, soweit es ihm beliebt.
K«t ae S^epan do biljeSke vrati, Wie nun zurück xnm Standort Stefan kam,
da war nicht mehr am Flecke der Araber,
entwichen war durchs Feld ihm der Araber,
Andferte ihm nach den Braunen Stefan
und jagte weit dahin den Schwarzaraber.
Der Braune schneller als die Stute war,
dieweil man wenig trauen darf den Weibern,
«nd holte ein 's gestutzte Wüstenross.
Den nackten Säbel schwang er in den Händen
und hieb dahiu ihm fliegend ab das Haupt!
Dann schwang er sich herab vom dicken Bratmen
«nd nahm an sich dt^^^ Haupt von dem Araber
und trug es fort zum Kaiser hin nach Stambol,
trug's in den Reichspalast hinein zum Kaiser,
Je näher er dxs Haupt zum Kaiser rückt,
um soviel weiter sich der Kaiser drückt.,
bis er den Kaiser an die Wand getrieben.
Zu ihm der Kaiser von Istambol spricht:
— Von wannen bist du junger Grenalandritter?
— Ja sam Jmiak od Ercegovine, — Ich bin ein KSmpe woU von Henoglande
od Neretvc i od Nevesilja. von der Narenta und von Nevesinje!
— ja, kako se po imenu zoveä? — Und wie benamst du dich mit deinem Namen?
590 — Po imenu b<ai Ljnbovi£al — Dem Namen nach die Begen Ljubovi6
Nos od mene glavu arapova! • — Hinweg von mir schalt das Araberhaupt!
ja arapa na biljcsci ncjma!
570 Arap mu se poljem zamakauoj
za njim Stjepan natnri dorata
i otjera cmu arapiuu.
Brii bjeSe dorat ot kobile,
jer u iensku pouzdanja nejma,
^f^i sastiSe kusu bedeviju.
Golu sablj« nosi u rukama,
letecivu osje^e mu glavu!
Pa odjait debela dorata
pa on uze arapovu glavu,
58oodne&e je caru u .Stambola
{M u dvone caru unosio.
Sve on caru prinücuje glavu,
ja care se dilje otku5uje,
dok on cara s^era do duvara.
^$5 Besjedi mu care ot Stambola:
— Otkle jesi ser-atliyo mlada?
Zdrava me jc ujtila groznica
gledajuci arapove glave.
Isci sine stot^od ti je dra^o!
595 — Sultan care, suncc ogrijanol
Nit 6v tebi nebrojena blaga,
nit cu tebi dvora kot tvojije,
nit cu tebi tri bycla grada,
dva kod mora, trefi kod Doaova,
600 nit cu tvoje ceri sultanije!
Vic te moUm, mili gospodarei
daj ti meni izan i tes^'er
i daj meni katuli fermana,
da se vratim Seru Banjojluci,
605 da pogubim pa§u banjolu£kog!
I daj meni u Ercegovint,
u Neretvi I u Nevesin'u.
tude meni daces spajilukc,
da ja sudim, da ja razsugjivam!
5io To jc care jedva docekao,
na£ini mu sicana fenaaiia.
Ode Stjepan ot Stambola grada.
Uvratt se Stjcpau Banjaluci
pa on paäu 2iva ujitijo
6151 palu je Ün. ogol^o
pa ga onda na kolac nabijo.
Dva nj^ova »Ina pogubijo,
od sla roda nek n^e porodal
Ode Stjepan Nevesilju gradu
6aoi odnese careva fermana.
Bei heilem Leib mich Schüttelfrost erfasste,
indem ich schaute des Arabers Haupt 1
So heisch denn Sohn, was immer dir bchagt!
— O Sultan, lüdser, Soonenglanz und Glimmen 1
ich heisdie weder ungeztthlte &hitze,
noch heisch' ich Burggehiifte nah' den deinen,
noch heisch' ich von dir drei der weissen Städte,
am Meere zwei, die dritte an der Donau,
auch heisch' ich nicht dein Sultanin»Prinies$chen,
vielmehr ich bitt' dich, teuerster Gebieter,
bewülig du mir Freiheit und Gewähren,
gewähr fürs Hochgericht mir einen Ferman,
dass ich nach Banjaluka-Stadt zurückkehr'
und töten darf den Banjaluker Pai^!
Annoch gewähr' mir in dem Herso^andc
in dem Naren* . .land und Nevesinje,
allda gewalii luir Reiterlehenguter
mit voller und mit Schiedsgerichtbarkeit t
Das kam dem Kaiser Uberaus willkommen,
und schrieb ihm fertig einen Ferman zierlidl.
Von daunen Stefan zog von Stadt IstamboL
In Banjaluka Stefan Einkehr hielt
und ticQg aiihier lebendig ein den Paäa.
Dann auch lebendig schund er aib den PaSa
und pflanzte ihn zuletzt auf einen Pfahl.
Ums Leben bracht' er seine beiden Sohne,
von schlimmer Zucht, dass keine Anfaueht bleibet
Abzog zur Burg von Nevesinje Stefan
und nahm mit sich den kaiserlichen Feiman.
Eto pjesoa a od Boga xdravljet Hier mein Gesang, gesegn* uns Gott Gesundheit 1
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Das war um lo'/s vormittags des 27. Februars 1885. Frühmorgens war ich aus
der ScMncIlt voa Srebrenica aufge]>rochcn und ritt gerade durch eine Lichtung über
einen Kammrücken der schneeLcdcckten Trcskavica plantna dahin. Etwa 50 Schritte
hinter mir trottete zu Ross mein Diener, der Guslar Milovan Ilija Crljic Mar»
t i n o V i c nach. Auf der Wanderung fxihrten wir nie Gespriche^ sondern jeder «chtete
awf sich und den Weg und bieng seinen eigenen Gedanken nach. Im AngenMickc
war ich nur darauf bedacht, meine Nase vor dem Abfrieren zu bewahren, im Übrigen
Uess ich die EindrOelee der gewaltig nächtigen Gebirgswelt «nf mich einwirken. Ich
schwärme weder ftir kleine Frostbeule n noch flir die riesigen Buckeln im Antlitz der
Erde, und doch erfüllte mich mit hehrer Ehrfurcht die stille Grossartigkeit einer von
Menschenwerlcen «nbedntrSchtigten Winterhochlandidiaft. Auf einmal rief mir Mi-
lovan zu: ,Wart, Herr, will dich um c'.was befragen!' — ,Redel' — ,Der Frater
(er meinte den Mönch im Savelande, zu dessen Pfarre er gehört) riet mir ab, mit dir
zu wandern, weil du, sagte er, ein Ketser wHnt.* — ,HMttest auf ihn gehört!' erwie»
derte ich \dh aufbrausend, ,habe dich zur r,i.fnlg>chaft nicht gebeten. Schlössest dich
mir von selber an. Geniessest seit Monaten alles Gute an meiner Seite ohne Gegen-
letstimg. Wer ledig ist hat keinen Leibhedienerl (n beiara nejma hizmecara). Ich
bezahle dir deinen Zeitverlust, du zieh deines Weges und lass mich in Frieden T — -
,Herr, so meine ich 's nicht ; lass mich etwas aassprechen !' — ,Wir haben aasge»
sprochen!' sagte ich und spornte meinen Schimmel zum scharfen Trab an.
In schönen, gefallig al)falicndcn Schlangenwindungen verlief der Weg hinab ins
Tal. Oben knisterte noch unter den Kosshufen der einbrechende, eingefrorene Schnee,
dann schwand er dahin, der Pfad zeigte sich schneefrei und trocken. Und als ich
gegen 4 Uhr zur tiefen Mulde und dem Ufer des Drinacatlusscs hinabkam, schmolz
anch mein Z<irn und weg wnr er. Fi. geriet ich da Mitten im Winter in das Tal des
sinnerquickcnden, lauen Frühlings mit duftender fUütenpracht, mit duaklcm Laub und
üppigen Wiesen! Zwei Stunden weit und Stellenweise ein halbe Stunde breit Ist
dieser lieblichste Fleck Hosniens, den himmelanrngendc, waldbedcckie Berglehnen vor
Wind und Wetter ewig schützen und das gniue, furellenreiche Wasser der massig
lanschenden Drina6a fUrsoi^lich befruchtet. An einer Wassermühle, wo iAn altvOmi»
scher Grabstein halb als Schwelle diente, nahm ich beim BachmttUer, einem Mosliin,
gastlich angebotene Herberge an.
Vor aUeni warf icb den PeU, die Astraclianmtitse nAW. ab, stieifte die Gamaacben
mit den Schuhen von den Füssen und ficng an, mich im saftigen Rasen herumzu-
wälzen. Den zwei rotharigen, blauäugigen fiengelein des Müllers zeigte ich, wie man
PuzelbSnme schlägt und Tenncbte ancb, auf dem Kopfe zu stehen. Nein, das miss-
glückte! Der ältere Junge verstand diese Künste weitaus besser als ich. Fr >ch(iss
neunmal den Bock und blieb zum zehntenmal gar noch auf dem Kopfe stehen, dazu
die Anne Aber der Bnist ▼erschrinkt ! Der jüngere Range hatte es «war nocb nicht
zu so hoher Gewandtheil gebraclit, aber sein Ehrgeiz war scbon geweckt. Kurzum,
wir vergnügten uns königlich, herumkollerad und juchhezend, bis der Müller mit der
Meldung erschien, die Müch wäre gar und die Eier gesotten. Tnswlsclien hatten sich
Leute vom Gelände eingefunden und ich erzählte von Helden aus alten Zeiten und
wie ich ausgezogen, um deren Taten für die Schwaben aufzuzeichnen.
Manche meiner Fachgenossen in Folklore eraditen es fiir geboten, sich auf Reisen
bei Erhebungen zu „verstellen'* und allerlei Kfinste zu gebrauchen, um den „Kundi-
gen** ihre Weistümer abzuhorchen und herauszulocken. Auf derlei verstehe ich mich
nicbt, und es geht mir auch wider den Strich. Es ergab sich regelmässig als zweck-
entsprechend, dass ich den Leuten In ihrer Ausdrucksweise klar und bündig — viel reden
ist nicht meine Art — darlegte, um was es sich mir handelt. Im Notfall gewann ich
die Menschen durch meine heitere I.aune und Freigebigkeit. So geschah es, dass ich
14 Monate lang herumreiste, ohne anch nur ein einzigesmal itgcndwelch enihlen»'
wertes Abenteuer zu bestehen.
In dunkler Nacht kam Milovan dahergeritten und kehrte gleichfalls in die Mühle
ein. Ich tat, als stthe und hörte ich ihn nicht, obwohl ich ihm nicht mehr gram
war. Er kauerte sich m mir hin und begann: ,llcrr, ich wollte dir blos sagen, was
fUr ein Mensch der Mönch ist. Die Nichte meines Gevatters sollte kirchlich getraut
werden, er aber forderte sanichst von der Hausgemeinschaft die Besahlnng alter
Kirchengebüren von 130 Gulden. Da sie kein Geld bcsassen, musstcn sie es zugeben,
dass das Mädchen ohne Hochzeitzug und Segen zum Bräutigam ins Heim lief, gleich
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«hier, die steh selber dem Manne avfdnlngt. So leben sie auf Borg (i. c. in wilder
Ehe). Nun, ihr Kind musste er doch laufen, ohne Bezahhmg, weil es ihm die Herren
(die Behörde) gebieten. Vor dir warnte er mich, als ich dir aus Liebe folgte. Ich
erfiihr mit der Zeit, dass dn mir gütiger als ein Vater und eine Mutter bist, wie das
Lied von Ljubovic und seinem Wahlbruder Majkovic erzählt. Der war ein
Türke und der ein Christ und sie wa^en doch Brttder, als ob eine Matter sie geboren
hätte. Das wollte ich dir auf der Bci^höhe sagen, weil wir allein waren und meine Seele
deiner Wohltaten gedachte. Deinen Glauben hatte ich nicht die Absicht anzutasten.*
,M i 1 o V a n . du wähltest zumindest 2^it und Ort fiir deine Erklärung sehr schlecht.
Merk dir's wie es im Liede heisst :
pusta gora nije nikat sama Der wüste Wald weilt niemals so verwaist,
jal Lrcz vuka, jali l>re: hajduka! dass frei von Wolf er war' und Wegelagrer!
In Hochwald hat man mit der Zunge hinter den Zähnen zu halten. Man se vraga
ne goni mu traga! Vom Teufel fleuch, verfolg nicht seine Fährte! Erwähn mir auch
nie wieder deinen und meinen Cilauhen. Du bist Christ für dich und ich ein Gläu-
biger fiir mich. Scheer dich um das Wohlbefmden unserer Gäule, nicht aber um mein
Seelenheil. Jetzt iss dich an und sing das Lied, auf das du anspieltest.'
,Kann ich singen, wenn du mir nicht sagst, dass du mir wieder gut bist?'
,Bring mich nicht neuerdings in Harnisch! Dass dich das Taschenveitel . . . ! Sing!
Nimm ans dem Rucksack die Guslen heraus und erheitre die Gesellfchaft, sonst binde
ich dich den Russen an die Schweife an, dass sie dick lenreissen und ein anderer Guskr
von dir su singen haben soll!'
ErwKhnen w^ ich, daas rieh kein einsiger von den Anwesenden (lauter Moslimen)
in das Gespräch einmengte. Bei den bäuerlichen Moslimen gilt es nämlich für höchst
unanständig, sowohl über die Gattin als über seine Confession vor Fremden zu reden,
Indem diese Plnderhösler noch so roh und kulturfremd sind, su glauben, dass Her-
sensangelegenheiten einer öfTeutlichen Besprechung nicht unterzogen werden dürfen.
Das Lied nahmen alle Zuhörer beifällig auf j dann liess ich es mir in die Feder
sagen. Bis zum letzten Buchstaben harrten alle mit aus und schauten mäuschenstill
zu, und als ich gar das Lied Wort für Wort wieder verlas, waren sie von mir förm-
lich entzückt und beschenkten mich. Der Müller nahm für die Bewirtung keine Be-
zahlung an. Die Ehre, dass ich bei ihm geweilt, stand ihm höher als Geld.
Das Stück erlernte Milovan um das Jahr 1850 als Sauhirtlein von einem älteren
Gaslaren katholischer Confession, der in Graäaltu zu taglöhnem pflegte. Der Mann
hatte sieh aus dem Hersogtnm in das Savdaiid Terlanfcn. Weiter ut mir Uber sein
Sc h icka al nichts belcannt.
Zu V. I. Von den Ljubovi6 erzfihlt so manches Guslarenlied, was sie für grosse,
verwegene, sultantreue Helden gewesen. Ein riesig langes Lied meiner Sammlung
handelt von einem Ljubovic, wie er dem Sultan Bagdad erobert. Welcher es aus
der langen Reihe der Helden dieser Sippe gewesen, ob gar der unseres Liedes, lässt
sich nicht bestimmen. Die Lj. waren in allen grossen ]\ mt fen mit. Musta&ga
Dickwanst schreibt ein Aufgebot aus und sagt im Brief an den Pasa von Mostar:
,0 turcinc Saric Mahmudaga! Vernimm mal, Türke äaric Mahmudaga 1
Eto tehi knjige natonme: Empfange hier ein buntbeschrieben &:hreiben:
Pokupi mi od Mostare turke, biet auf die Türkenmannen mir von Mostar,
ue ostavi bega Ljubüvica doch lasä daheim nicht Ljubovic den Beg
sa §iroka polja Nevesinja; vom breiten ßlachgefild von Nevesinje;
jer brei njega vnjevania nejma! denn ohne ihn kein Feldzug kann gelingen!
Als Zrinyi Ksseg belagerte, meldete sich ein Beg Ljubovic als freiwilliger
Kundschafter bei Sil Osmanb^ dem Befehlshaber von Essegg, um durch das Bdage»
rungsheer durchzudringen und dem PaSa von Ofco M^dung au bringen von der
Bedrängniä der Festung.
Osman h^ zagilja^ ljubi Herr Osman kttsst den Beg umschlungen haltend
a kuca ga po plecima rukora: und schlägt ihn auf die Schultern mit der Hand:
— Haj aferim be2e Ljubovicul — Traun, wohlgeraten, Ljubovic mein Begl
Vuk od vuka, hajduk od hajduka Der Wolf vom Wolf, der Hajduk vom Hajduken
a vazda je soko ot sokola; doch allzeit stammt ein Falke nur vom Fiäkenj
vazda su se sokolovi l^li noch allzeit wurden ausgebrütet Falken
« odiaktt bega Ljubovilai wohl in der Begen Ljubovi6en Heimstatt t
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Ein LjuboTic bewührt sich als Kundwliafter auch bei der Einnahnie von Ofen.
Vergl. ^Wie Mohammed Koprülü Vezlcr geworden.' Ein Guslarenlied slav. Mohamme-
dftuer im Uezzogtum. Pioceeding^ Amer. FbUos. Soc Vol. XXXIl. 1894. V. 696 — 746.
V. 3. Nadi STTimeii kam er -wohl nicbt Dtt müMte sicli auch Milo^an sagen
als Grenznachbar der Syrmier, wenn er über die Worte seiner Lieder nachdenken
würde; er plappert aber gedankenlos die erlernten Verse seines Vorläufers nach, der
auch nicht geistreicher als Milovan war. Wahrscheinlich sang der erste Guslar (der
Dichter): po Lijevnu, okolo Lijevna. (In Delminiom und um Delminluin herum)^ denn
auf diesem Hochplateau war die Rinderzucht, mehr als sonst wo im Lande, besonders
gedeihlich entwickelt.
V. 10. Es ist ein Unding, die Leute von Neveslnje erst an der Narentamündung
den Beg von der Reise abmaluien /u lassen. Das konnten sie doch daheim schon
tun; aber die Verslcchnik uud Poetik erfordert hier eine Wiederholung des Subjektes
des Nachdrucks wegen und dann einen Reim zur ersten Zeilenhälfte. Ob er den dich»
terischen Zweck hiu^iibe, lieber widerspricht der Dichter der Wahrheit.
V. 12 und 35 Kavgu naiinili. Kavga, türkisch Lärm, Streit. Man sagt nicht
k. n., sondern k. uiiniti einen Lärm machen oder k. zametnuti einen Streit anzetteln
(gewöhnlicher), doch das passt hier ganr und gar nicht. In einer Novelle bei Bret
Harte hat ein Goldgräber den Spitznamen Eisenpirat ^ weil er dies Wort für Eisen-
pyrit gebnmchte, das ihm weuger g^ufig war. So verwechselt auch unser Guslar
das ihm sonst nicht vertraute türk. kavl^ Wort, Abmachung, mit kavga^ das er tSglich
hört und äbt. Ich hielt es für unzulässig, den Fehler im Texte zu berichtigen, doch
in der Verdeutschung vermied ich ilm, weil es keinen Sinn gehabt hKtte, ihn betxu-
behalten.
V. 12 und 35 b, Car und cesar sind nur verschiedene siavische Wortformen von
Caesar^ doch bedeutet car den Sultan, ^esar den „Kaiser von Wien**. „Die türkischen
Staatsinteressen brachten es mit sich, dass selbst durch Tributzahlungen kein dauernd
friedliches Verhältnis zu sichern war zwischen dem Sultan und dem „König von
Wien**, wie der tfirkische Sultan tu seinen Diplomen die Kaiser nannte, hkdem er sie
offiziell weder als Könige von Ungarn noch .als Kaiser von gleichem Range anerken-
nen mochte." Salomon, Ungarn im Zeitalter der Türkenherrschaft, deutsch von
G. Jur&ny. Lpzg. 1887. S. 90. „Im J. 1606 hörte Ungarn auf, dem Tfltken den
jährlichen Tribut zu zahlen, statt dessen „einmal und nicht wieder" 200,000 Gulden
in Bargeld, Gold und Silbersachen nach Konstantinopel geschickt wurden. Als inter-
nationale Errungenschaft kann auch das erscheinen, dass der Sultan den deutschen
Kaiser nicht mehr „König von Wien", sondern „römischer Kidser'* nennt." Salomon I.e.
V. 21. Ich übersetzte nach der üblichen Bedeutung: deutsche Kaufleute, aber hier
waren die Käufer keine Deutsche, sondern gewiss Italiener, vlasi, (siehe V. 29 vlaSki
Zadar) Njemaiki wird nun hier im ursprüngliche Wortsinne angewandt zur Bezeichnung
von Leuten, die der slavisclT^n S^^rache unkundig, also gewissermassen sfiimm^ spnnh-
los sind. Vielleicht wäre darum die Übersetzung „fremdsprachig" auch in meiner Ver-
dentsdiung anzubringen.
V. 23. Die Rupien sind ivclch^ weil Gold ein weiches Metall ist. Weiche R. sind
goldene R. — Mit indischen oder persischen R. zahlte man dazumal in Dalmatien
nicht, sondern mit Zechinen oder Dukaten, aber dem Moslim ist R. der Begriff von
Goldgeld. T'ün Dukaten galt zehn Rupien.
V. 32. Türk, tabja, Schanze j aber im serb. Bastion, Bastei, wofUr ich einmal in
einem Guslarenliede das serb. Wort taravarndt fand. der Bastei standen die Ksp
nonen aufgepflanzt:
ajte suinji gradu po bedenu Eilt, Sklaven, auf dem Wall der Burg dahin
pa ndrite puSkam od obraza, und feuert drein vom AntUts mit den Bflchsen,
ja cu biti sa tabalj topnvma! von den Basteien schiess* ich aus Kanonen!
V. 34. Vla&ki Zadar. Vlah kann hier sowohl den Italiener als den Christen be-
zeichnen. In den verschiedenen Gebieten des slav. SOdens hat das Wort andi
verschiedene Bedeutung. Der slavonische Katholik bezeichnet damit vetichtlich den
Altgläubigen, der Serbe im Königreich den Rumaenen u.s.w.
V. 45. Die Ladenflfigeln eines tflrk. Geschiftladens sind zwei Klappen; die obere
wird gehoben und oben an einem Ringe in der Wand eingehängt, so da.ss sie zu-
gleich in ihrer horizontalen Lage als Schirm gegen die Sonne dient, die untere er-
seut wieder ein Ladenpult, Sessel und Tisch. "Qvc Kunde setzt sich gelassen anf den
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nnlerni Flttfel mit imterselilageDen Beinen nieder und der Kanfitnenn ttsst ilun Tor
allem einen Kaffee reichen. Erst nacbdem man sich eine lange Weile ausgeschwiegen
oder ausgesprochen hat, sagt der Kunde so nebenher, was er braucht. Das Geschäft
wicicelt Sieb gewobnBcb glatt ab, denn der Ttttke weiebt Tom festgesefsten Preb
nicht ab und denkt sich: , Kauft es der nicht, kauf' ein anderer. Ich kann warten.
Die Zeit kostet ja nichts, und ob die Ware beim Käufer oder bei mir liegt, hält den
Zeitenlanf docb nicbt auf. Daram soll sie nur bei mir liegen !' Kauft man nidit«, ist *s
auch gut. Man braucht nicht einmal nach einer Ware zu fragen. Der Moslim bietet
sie von selber keinem an. Wenn es einmal da» Schicksal bestimmt hat, dass die
Ware .verkauft werden soll, geht sie schon von sciber ab. Also ist das Reden snr
Unzeit zweckloses Bemühen.
V. 56. ,£r schant nicht, wo der Maurer das Loch gelassen hat," würde man bei
uns sagen.
V. 65. Dijete ist hier Page. Als solcher ist Sekula ohne Waffen. IHe bdüme er
erst als Knappe. Nur seine kindliche Unerfahrenheit konnte ihn zu dem Pagenstreich
verleiten, gegen den wohlbewafTneten Moslim loszugehen. Der straft ihn anfänglich
auch nur mit stummer Verachtung; denn ein Ritler balgt «dl mit einem Weib, eSiem
Geistlichen oder einem Kinde nicht herum.
V. 99. Der Beg war mit einem aus Stahldrat geflochtenen Panzerhemde bekleidet.
V. loi. Alamanka. Es ist ein alemaaischcr, allgemein bekannter, Stossdegen ge-
meint^ mit gerader, schmaler, zwei oder dreischncidiger Klinge. Ein moslim. Edelmann
trug einen solchen gewohnlich mit, um als Kitter keoQtlich^ und nie wehrlos zu sein.
V. it6. Der Kunstgriff des Beg tiestand darin, dass er einen Amoklauf nachahmte.
Vor dem Amokläufer, einem Besessenen, läuft alles scheu davon, während man einen
gewöhnlichen Mörder auf der Flucht auch mit Steinwürfen aus der Feme unschädlich
tn machen sodit. Der Amoklanf war auch den Serben wohlbdumnt. Ich besitie in
meiner Sammlung ein Guslarenlied, das den Vorgang sehr klar veranschaulicht.
V. 118. Der Riegel am Burgtor wurde durch einen Federmechanismus vorgeschoben.
Der Beg serbricht die Feder vnd Icann dann ohne Anstrengung den Ri^d miilek»
schieben. Ispuscali (man Hess los) weist damuf hin, dass don GulaxwDichter die Eia^
richtung gewiss auch genau bekannt war.
V. 135. Die Kleidung des Ban war demt «her und fiber mit Gold beladen, dass
man von ihm zu Ross nur ein wenig heraussah.
V. 150. ,Das ebene Narentagebiet', eine poetische Figur. Eben ist ist hier ,wegsam'
im Ge^nsats zu dem unwegsamen Hochgebirge.
V. 15S. Der Pasa hat seinen Sitz im seher, der (oflenen) Stadt. Wsium der GttSlar
das Adjektiv serin gebraucht, verstehe ich nicht.
V. 163. jali [iive] bege jali [njihove] m. g. Entweder liefere mir ^e Begen lebe&>
dig oder deren tote Köpfe ein.
V. 173. DelibaSa Zugfüher, Feldwaibl.
V. 205. Zum Fagendienst gehörte avch die Obliegenheit, die erhitzten Pferde der
Ritter langsam herumzuführen, damit sie sich abkühlen. Hatte der Junge in solchen
Fertigkeiten eine Übung erlangt, stieg er auf zum Knappen und ward bewehrt. Als
vollwehrtiger Genosse wude er vom HSuptling zum Ritter geküsst^ wenn ihm auf
einem Abentcuerzuge dne Mordtat geglückt war. Anders konnte einer in die Mörder-
gemeinschaft keinen Etnlass finden. Das Verbrechen eint die Menschen fester als Liebe.
So ist z. B. zur Aufnahme in die chrowotisch-patriotische Maflfia zumindest die Able-
gung eines Meineides vor Gericht unerlässlich, wenn sich sonst keine andere Gelegen»
heit zur Verübung eine«; Verbrechens darbietet, durch dessen Mitwissenschaft die Hättp>
ter der Maffia über den Anfanger Gewalt erlangen.
V. 225 u. 304. M ilovan scLber erUärte mir beim Verlesen des V. 304: slaienn
jabuku mit glavu, das Haupt.
V. 280; 286; 350 u. 407: boiun ist ein elliptischer Satz; bolan nc bio ! Sollst nicht
krank sein ! Der AttSmf, um einer bösen Vorbedeutung vorzubeugen. Man sagt audl
im gleichen Sinne, wenn man wirklich ein I,eiden hat und es erkundigt sich wer dar-
nach z. B. groznica me, daleko ot tebc, das Fieber schüttelt mich, fern sei es von dir!
Polnische Juden drttcken sich Ihnlich aus : ,nit Ihnen gesSgt !', um dem Frt^er nichts
Böses an den T.cib txi wünschen. Der Grossvater unseres Mitarbeiters H. Dr. M.
Landau war seinerzeit in Lemberg ein berühmter Gelehrte und berühmter WiUkopf.
£r erreidite ein sehr hohes Alter und konnte snletst die Stab« nidbt mdur verlaMen.
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Als er so einmal zu Bette lag, kam ein Lemberger Bürger zu ihm zu Besuch and
fragte ihn: ,Wo8 fehlt euch eigeatlich, Rebelehenf* — Schlagfertig antwortete der
Greis: , Alterschwäche plögt mcch, nit euch gesögt!' — Da der ursprüngliche Sinn
von ,bolan' verloren gicng und das Wort zu einer Interjection herabkam, musste ich
es dnnsch an den einzelnen Stellen Yenchieden ▼eidentacfattn.
V. 320. Das r.ehendigschinden eil alte Stzafe för Tieabnicli, um den Ehrlosen filr
alle Zeiten zu kennzeichnen.
V. 341. OdMak^ odlalclyk, erbliche Familiengflter fttr Untertanen. Vrgl. Hammer,
Ges L 1 osm. R, VII. 64.
V. 351. eva& erklärte Milovan unbcfragt mit: evo ovako (siehe, auf solche Weise).
V. 355. Car Cestiti geben die Übersetzer ständig mit , wackerer Kaiser* wieder. Bmnent
ein Kaiser gleich einem Bierteutonen ein so nichtssagendes Lobwörtlein ans dem Munde
eines armseligen BoSnjaken?! Gewiss nicht, und dem Guslaren fällt es auch nicht ein.
Cestit ist nur durch den Verszwang und den abgeschliffenen Sprachbrauch zum Bei-
wort von car geworden, ist aber in Wahrheit, wie oben bolan, nur das Bruchstück
eines elliptischen Satzes. Ks j^eht nicht an., den Namen , Kaiser' aus?Hsprechen, ohne
ihm einen Segenspruch anzuhängen, wie dies sonst bei festlichen Gelegenheiten im
Alltagsleben fiblich ist. Man bringt einen Trinkspruch aus: Brate Joco! iestit bio!
5estita ti na ramenu glava! 5esfit hin ! ko te je rodio u.s.w. ,Bruder Joco! Sollst glück-
lich sein ! glücklich sei dein Haupt auf deinen SchuUem ! Glücklich sei auch der, so
dich gezeugt hat!' Ursprünglich lautete also unsere Formel: car, £estit bio! ,der Kai-
ser, er soll glücklich leben!' oder Vurr, nn^er Kaiserlehcn !' Ob man diese Erklnnmg
des , — leben' als Anhängsels an Vornamen im judendeutschen Sprachgebrauche nur
auf ein missverstandenes leve-^ it^ ssrttckswfilliren hat, wie Dr. IC. Güdemann meint
(in der Geschichte des Erslehungswesens und der Cultur der Juden in Deutschland
während des XIV u. XV Jahrh. Wien 1888, S. 109 f.), wäre noch im Einzelnen näher
stt untersuehen.
V. 371. silistar^ türk. silihdar, Reisig«, Tigl. Hammer I. 95 ; Wafientrüger, Schwert-
träger 1. 494i II. 234-, 472; V. 450J 464.
V. 374. Ercef^ovina gebe ich ständig mit ,Herzogtnm* wieder. Indem ich das dent>
sehe Wort in •r-ne ursprüngliche Fassung rückübersetre. Der Einwand^ dass man
nicht wisse, welches Herzogtum gemeint sei, ist mit Hinblick auf die Umgebung des
Wortes, nichtig. Stefan Vultfti£ (1435 — 1466)1 Sohn Sandalj Hrani£*s, Gründers
der selbständigen Ilcrzogdynastie, nahm im J. 1448 den Titel an; bo?.ljüm mllosti
humski herc^ (Durch Gottes Gnaden Herzog des Humgebietes). Darnach erhielt das
Land den Namen hercegova zemlja (Hcrzogland) oder Herccgova, Hercegovina. Vom
Kegelberg (hum) in der Narenumulde in Mostar hatte das Land seinen älteren Namen
Humska, Zahiunlje (Hinterhumland).
V. 401. jan tfiilE. Seite, jandal seitwfirts, po na jandal ziemlidi abseits.
V. 403. Der Apfel auf der Zeltstange als Zeichen der Reichsmacht; die drei hegen-
den Drähte um das Zelt herum sollen Neugierige warnen und wohl auch Pferde
abhalten, am Zelt ihr Gebiss zu versuchen.
V. 490. Majkovic ist unbeweibt. Obgleich ihn die edelgeborene Frau LjuboTi6
als ihren Schwager ehrt und Gebieter heisst, weiss er doch in diesem Falle, dass er
verwaist ist, also, dass niemand seinen Tod so wie den Ljubovic's betrauern würde.
V. 501. Er fasst die Reise nach Konstantinopel richtig als eine Katabasis auf, er
hätte sie aber gleich Xenophon auch als eine Anabasis bezeichnen können,
V. 506. Der Busnier stutzt seines Kusses Schweif nicht; wenn er mit ihm durch
einen Morast watet, schlägt er ihm in den Schweif blos einen Knoten ein.
V. 514. Die Behauptung ist unwahr; denn der Herzogländer verschmäht grundsätz-
lich weder Wein noch Branntwein, letzteren schon gar nicht. Der Vers hat hier kei>
nen Sinn, ausser man nimmt der Ausfall eines anderen aus der stereotypen, vollen
Phrase an : s kim sc bljctn s mim Ja tie pijem ^mit wem ich mich schlage, mit dem
zeche ich nicht", darauf folgt die übliche Wiederholung und Ergänzung: „miV dem
9uiu ük weder Wdn noch BnumtweinP* Mit dnem Zechbruder ranft man oder balgt
sich herum und dann ist man wieder gut Freund mit ihm, dagegen im Duell geht es
auf Leben und Tod.
V. 530. Das Duell ist ein Gottesurtdl. Der Herausforderer fordert fhr seine gerechte
Snrbe das Urteil Gottes heraus und setzt sich dadurch von vornherein ins Unrecht
gegenüber demjenigen, der im Namen Gottes als Partner axiftritt. Der schlaue Araber
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mSdite di« Sache so wenden^ ab ob An Mfl|kovi£ liemnsforderte imd ffberlMast ihm
daher den ersten T.anzenwurf, doch lässt sich unser Herzogländer nicht foppen und
auch Dicht durch die Gaukelei des Arabers, der ihn meuchlings töten will, irre führen.
Er bestraft ihn snf der Stelle mit einem Fanstsclilag, wie man sonst nur ein bdm
Diebstahl erwischtes Mensch zi' htigt. Als der Araber bewusstlus zu Boden lag, trollte
ihn M. nicht umbringen, weil Ermordung eines Wehrlosen unritterlich isU
V. 534. mqe erklärte MiloTan den Zuhdrem (nicht mir) mit mjehore.
V, 549 u. 551. Stefan reitet durch das ganze Täed den Braunen, hier infolge eines
Verredens des Guslaren auf einmal einen Schimmel. Quandoque et bonus dormitatGuslarus.
V. 563 f.: „Geh, Araber, iss nicht Dreck: ,Wir werden dnmal nnd wir werden zum
zweitenmale !' " Natürlich plauschte der Araber dummes Zeug zusammen, nachdem ihm
doch Gott durch den verfehlten Wurf deutlich Unrecht gegeben. Bemerkenswert sind die
veralteten, seit Jahrhunderten in der Volkssprache nicht mehr gebräuchlichen Wort-
formen Jt'änosc und drugaic. Die Erhaltung der Phrase kann ich mir nicht anden er*
klären, als dass sie bei gewissen Ritterspielen des XIV. u. XV. Jahrh. üblich gewesen
sein muss und der Satz als Wortganzes sich behauptet hat. — In einem anderen Liede
sagt der Partner zum Araber auf seine gleiche Zumutung: jedanput mc rodila je majka!
(Nur einmal hat die Mutter mich geboren!). Wie Majkovic hat auch Philipp der Ma-
gyare in einem Kampfe mit dem Schwarzaraber das Glück des Verfehltwerdens. Der
ifeisterfehlschütze fordert ihn auf, filr einen awdten Wnrf stille zu stdien, docb Flii-
lipp erwiedert ihm:
Stani meni arapine moro, Stell mir dich auf, du Trottel aus Arabien,
Stani meni kao i ja tebi, stell mir dich auf, wie ich mich dir gestellt,
stani meni piku na biljegii ! stell auf dem Zielpunkt auf dich hin für michl
nye mene dvaput porodila majka Die Mutter zweimal bat mich nicht geboren
n^o jednom jadno i lalosno! vielmehr nor einmal nnter Wehgekrdbsse!
(Diese Stelle bei Osvctnik, Srpskc n. pj. S. 71).
V. 574. Das sang der Guslar nicht etwa als eine Sentenz, sondern als ein witziges
Apergu, das die ZuhOrer als TorsflgUdi gelungen belachten. Man glaubt kanm, wie
genügsam T,eute in einfach ländlichen Verhältnissen in Bezug auf Witz und Humor sind!
V. 577 Ute'civ wie spaveciv (Urquell 1897, S, 59, V. 74) gebildet. Milovan spottete
solange über ^ese Wortform (Kotizip), bis er sieh mit ihr befreundete und sie selber
nachbildete. Bei antisemistischeu „P'utharkern", den sogenannten „Tintenkulis", die
ständig über die judendeutsche Mundart spotten, kann man es beobachten, dass sie
schliesslich weder judendeotsch noch hochdentsch schreiben können.
V. 590: n^Vh sind die Begen LJubovic", er ist ja Ljubovic's Milchbruder.
V. 592; gmich, der ich gesund bin, hat der Schüttelfrost erfasst" tt.s. w.
V. 603. tOrk. Icatl Mord, katil Mörder, Icatl etmek hinridtten. Im seib. neben katol
auch katal und latur .
molicu se caru (estitome. Den Kaiser, Glück mit ihm ! den werd' ich bitten,
nek mi dade tri katnr feimana; er gebe mir drei Hochgerichtfermane;
ja 6n djecu z glavom rastaviti die Kinder werd* ums Haupt ich kürzer machen,
a ni tvojoj dobro biti ne ie. und auch dem deinen wird's nicht gut geraten.
Ktilu bi ti u begluk krenutil Die Warte dein dem Staatsschatz schlag ich zu!
Unter den achterlei offiziellen Fermanen der Hohen Pforte fehlt der katl f., offenbar,
weil man mit seiner Ausstellung nicht nach dem Amtschimmel verfuhr. Die anderen
seien hier ein für allemal genannt, weil die Namen uns noch öfters in den Liedern
begegnen werden: i) istilam f. Berichtabfordemder, 2) Teekid f. urgirender, 3) tahsil
f. Steuer eintrcilicndcr, 4) tevdzih f. verleihender, 5) saht f. in Besitz setzender, 6)
daavet f. einladender, 7) tedzid f. erneuernder und S) ibka fermani Bestätigungsferman.
Keine Druckfehler sind; 98 ptfbqo, 182 be2e Ljubovic^z, t6l, 179, 357, 379 b^e,
210 gj/, 228 osic, 234, 275, 456 isto/-, 266 v/rna, 276 vr»me, 320, 325 pr/sjefce, 399,
409 t'koljena, 580 u Stambok, 583 d/lje, 601 vc, 599 Dun<nra. In V. 423 ist [se]
und 46S [tieäi] nach V. 599 von mir eingesduütet.
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V
Judendeutsche Volkslieder aus Russland.
Mitteilungen von L. Pcrcz.
Sie unterlag....
I. Oj, oj, oj män 1) liebes Kind
Vün*) män Reich*) willst dii wissen;
Ich hob gehat a tajem Wängarten
Ich flc^ *) ihn than veneUiesien.
II. Er hot sich gur nischt ungefregt,
Kr is in ihm arftngelumineD ^\
lJus schönste Peire'le*)
VUn'm schönsten Zwägele
Hot er ba'mir*) sügeniinnien.
Abschied.
I. As'") ich bin a ") klein Kind ge wen ")
Hob ich mich vüd alle ausgelacht,
Un hänt '■'') wus is var ninne Ojgen'*)
Was der lieber GuU hol vun imr gemacht !
U. Auf dem Bäumele <•), thttt dus Blättele
[blühen,
Jedes Zwagele **) get sin »•) Frucht
[araus !
Himmel ün Erd hot f^ewussi vun uns
[Sekreten »)
Ün lifint") mtiss incn ^i) sich züscliei-
[den, losst sich Alles aus!
III. Och, wi Icän das der lieber Gott züseh'n,
Wi mir M) beide wellen sich /cschcidcn!
As män Harz zieht zU dir, wi a*») Magnes
K'n'ein^") Wort, kän ich zu dir nit reiden!
IV. Men soll susgein *i) alle Gassen
Wet«)
*■) kein so traje*») Liebe
[nischt gefinen ")
Ich soll wissen man ganz I^ben zü ver-
[passen •*)
Ün dicli mUss ich hüben in Sinnen!
Die Enttäuschte.
Bin ich mir a Kaie'') —
Ach wi wojl 3*) is mir!
Freien sich mit mir alle,
Die Freid is nor bei mirl
4. Ftthrt nen mich zu der Chape^,
F'iihrt mrn mich /'rück. —
Steh'n Wäbelech ün .Mcidclcch
On wttnscben mir Glttck.
2. Schikt mir derChuti.scn**)a Briwe'Ic^fl)— 5. Zu morgens in der Friih
Zü küschen") sine Wörter! Is di Simche*®) in Ganzen;
Ch'wollt noch nischt gewollt schwören, Der Chussen sitzt ba'm Tisch,
Dus soll sän män Bescherter! I Di Kaie geht sich tanzen!
3. Schickt mir der Chasen Matttnes — '
Ach wi wojl is mir!
Es freien sich mit mir alle,
Di Freid is nor bei mirl
6. Schabe«;*') in der Früh
Führt man mich in Schul **),
Steh'n Meidlcch Un Wablecll
In di Gassen vieL
i) Mein. 2) von. 3) Reichtum. 4) theaer. 5) Weingarten (symbolisch)
6) pflag, pfläg, pflegte. 7) hereingekommen. 8) Frudit h. v^. 9) bei mir,
10) Als. Ii) ein. 12) gewesen. 13) heute. 14) meine. 15) Augen.
16) Baumchen. 17) Zveigdien. 18) gibt. 19) seine. ao) polnisch: Sekrety
Geheimnisse. 21) Heute. 22) man. 23) wir. 24) werden. 25) ein 26) l<ein
ein. 27) ausgehen. 28) wird. 29) uiah, 30) treic. 31) finderi. 32) ver-
lieren, aufs Spiel setseo. 33) Braut, h. TbO- 34) wohl. 35) Bräutigam h. |nn-
36) Briefchen. 37) küssen. 3S) Geschenke, h. nliDD« 39) Baldachin nDUl-
T — T
40) Freude, h. ni]D^. 41) Sonnabend, b. rO^> 43) Schule - Synagoge. Mäd-
chen besuchen nie die Synagoge. Die Ncuventtfihlte wird den ersten Sabbat nach der
Traung mit Pomp ia die ^Schule" gefUhrt.
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28
In acht Tilg arüm nemen
Schwär ün Schwiger of Köst
Men halt asoj *) mich auf
Wi*8«) Veigele in Nest.
In vier Wochen arüm
Is di Simche aus, —
Dus Weibele schneppt ') arüm
Wi a verssam te *) Maus
9. Kleider fln Nadan •)
Host dü mir gegel: li.
A Schlusarz far a Man
Nemt er mir dus Leben.
10. Ach wi wollt ich gerin ^
Den Schlusarz puter*)
Ach wi wollt ich gerin
Zurück a Meidel weren!
Der Sohn und die Mutter.
I. Mameniu liubeniu>i), Herzeniu^^)
[mins •*)
Var dir well ich mir man Hen ausreiden :
Ich hob mich verliebt in a**) Meidele
[a föns '»)
Dü Bolkt Qns nischt beide tttscheiden!
S. — Wns **) redst dü man Sühn wus
[sagst dü mSn Kind!
Hör schojn auf amul i^) vün dem zü reiden!
Wen ich toll wissen, nSii Leben ztt ver-
_ [Heren,
Ach beide müs'ech 20^ züscheiden!
3. Oj, wen dft fins beide OL sebeiden west
Der Sohn, die Mu
1. Tajcr '«) geschätzter Brillant,
Belächst») mir di ganze Welt!
Ich nem dich vän uiimen Stand,
Ün freg nischt auf kern Geldl
2. D§n») PenimMM)^ db Miene
Hoben ba »») mir a») Chein»!)!
Man sugt of dir niess**) un m*gine>*)
Mir bist dü tajer ün schein!
3. SfihneniuM), tajerer, geschätzter,
Bist b« mir einer sUetn!
Mamenitt, wat nischt sän>^) kein güter
[Sof");
Dil woUst**) doch midi, oh, wei mir,
[gekojlert ^
Asoj») wi der Schojcfaetii) dus Of»).
4. — Wus redst dü min Sühn, wus sugst dtt
[man Kind!
Host da den dus sügesehn ba dän Vuter
[ün Mütter
Dtl llOSt doch schojn M), oh, wei mir
ünsor Punim verschwerzt
Es is uns schojD finster ün bitter!
tter und die Braut.
Kennst hüben a K«le *^ nriit Gdlder,
Nischt mit a Kabsante^ gein?!
,. Mameniu ♦*), tajerc, geschätzte
Bei Gott kein Kontrakt nischt genünunenl
Idi hob schojn gesdi*n wi Gewirim^
Sennen^ «uf Kkwe^*) gekümmcn !
. Getreist sollst dü weren vün Gott,
Däne") Reid") wi Zücker süss!
Der soll sSn tH Schand ttn Spott
Wtts macht mich ba dir miess!
1) So* z) Wie das. 3) Schnappert, lauft herum. 4) sam, h. Qjp Gift, ▼efw
samt vergiftet. 5) Mitgift, h. ^ ScMossenneister, polnisch Slnsarz, russ.
CAecapb. 7) gem. 8) los, h. *nüf3. 9J werden. 10) Mama'chen. 11) Lieb-
chen, polnisch Lnba. 12) IIer7rfirri. 13) meines. 14) ein. 15) feines.
16) Was. 17"! Sohn. 18) einmal. 19) euch. 20) muss ich. 21) wirst,
aa) sdn. 23) Ende, h. F)1D' 24) hättest, würdest. 25) keulen, schlachten.
26) so. 37) Schlachter, h. JäHW' ^S) Geflügel, h. Vf^, 29) Schon. 30) Ge-
sicht, h. Qi^. 31) Teuer. 31} BeleiditesL 33) Dein. 34) Gesichtchen h.
Vp^:^. D^;p- 35) bei. 36) ein. 37) Gunst, Huld, Wohlgefallen h.
38) hSssUch (Miess?) h. DiKD- 39) abscheulich h. n;513)D- 4«>) Söhnchen.
4») Braut h. H^p. 42) arme, mittellose h. J^tt'^^j?. (D\)|H3i?. ^3) Müt-
terchen. 44) reiche D^I'Ti^iJ (wörtlich Herr). 4$) sind. 46) Almosen
«
h. ilQ^
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39
Scaimsch^le
I. Hoiss ich mir Schimschde
Bio ich mir sehr theier !
Ach! gei, gcd kein^ Sewastopd,
In dem erstea Feierl
s. W ich mir a«) Stflbele,
Ch'mcin ') nlscht dus Stübele, nur dem
Gei, gei kein Sewastopel, [Balkea.
West*) MUehnme^ halten!
3. Ch'woja^) mir in a Stttbele,
Die Fensterlech mit Kitt!
Gei, gei kein Sewastopel
Bttd«) dich dort in Blatt 1
Warschau.
4, Mcila '0)^ Milchume halten
Nän >»J Eilen '») tief")!
— Hdr nur sl, min m) teier Leben,
SoUst mir adiriben Brief t
5 Brief wel ») icli dir schrSben
Klug'n west dü, vrie of'n '«) Chorben >*)
^Hör nur zü, man teier Leben
„Schimschele is gestorben !"
6. Wer es sagt, as Schimschele is gestorben.
Der sott nln Jahr fimlent
Gei, gei kein Sewastopel
Schiess mit äseme ») Kolen >*).
Stolpern und Hinfallen.
Vim A. Treichel.
Bei der alten deutschen Sitte, seinem mitgenommenen Kinde bei
der Weisung der Grenzen seines zum Besitz gehörigen Eigenlandes
einige Schläge auf die weicheren Teile der Rückseite zu geben,
damit es diese Stelle desto besser im Gedächtnisse bewahre, kam
es besonders auf die Schmerzerregung der Schläge an. Ahnlich wird
CS von Eltern als erziehendes Moment verwertet, dass sie dem
. Kinde, wenn es aus Unachtsamkeit oder Übereile hinfallt, einen Schlag
dazu versetzen, damit es sich in Zukunft desto mehr in acht
nehme. Gleicherweise sollen aber auch einige Redensarten durch
ihren scherzenden Spott verwunden oder aber durch ihren ironi-
schen Trost zur grösseren Achtsamkeit beitragen. Ich habe ver-
sucht, diese, soweit solche bei uns im Schwange sind, nachstehend
zusammen zu tragen. Teilweise können sie sich auch auf ein Fal-
lenlassen einer Sache beziehen« andererseits auf das Fallen an sich
i) Das Lied wurde sicherlich während des Krimlcrieges componirl. Der junge Ehe-
mann, der sich ein Häuschen baut und bereits bis zum Dache gelaugte und es mit
Fenster Tersehen, wurde in den Kr!^ consignirt. — Er fürchtet, das während seiner
Abwesrr.hrit, seinem geliebten Weibe die Nachricht von seinem Tode zukommen wird.
2) Simson |Vi^DÄ^' 3) g^g^° Nach. 4) Ein. 5) Ich meine. 6) Wirft.
7) Krieg nDn^JD- Ich wohne. 9) Bade. 10) Nun. 11) Neine.
12) EOen. 13) ^htffahoi*** 14) Mein. 15) Werde. 16) Auf den.
T?) Znr tömng CJenuakmi) Omn* Eiserne. 19) Kugeln — polnisch
— Kule. ^
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30
und nehmen an, dass das Kind, damit es nicht gleich nach meiner
Art in Weinen und Lamento ausbreche, und später der grössere,
seinen Schmerz unterdückende Mensch, auf dass ihm wenigstens
keine Entschuldigung fehle, nur so gethan und sich eigentlich nach
einem eingebildeten wertvollen Gegenstande (Thaler) gebückt habe.
Ganz abweichend ist die polnische Fassung dieses Gedankens. Trost-
gründe liessen sich überall wohl noch mehrere finden.
Hierher würde auch gehören eine Betrachtung über Le bonhmr
allemand, wenn Johanna Schopenhauer in ihrem „Jugendle-
ben, Wandcrbilder" (S. 83) scheibt: „Die Franzosen pflegten spot-
tend zu behaupten, dass wir Deutschen, wenn irgend Jemand etwa
em Bein gebrochen hat, ihn immer noch glücklich preisen, weil er
nicht zugleich den Hals brach, was doch leicht hätte geschehen
können. Sie nennen das le bonheur allemand und leugnen lässt es
sich nicht, diese Bemerkung, die obenhin betrachtet nichts weiter
als ein artiger witziger Einfall zu sein scheint, ist auf eine tief im
Charakter unseres Volkes liegende, sehr schätzenswerte Eigenheit
begründet, die uns treibt, auch dem schwersten Missgeschick irgend
eine leidliche, einigermassen Trost gewährende Seite abzugewinnen/*
1. Schon don Stolpernden raft man »1: Heissa, Mutter, wsA Bich! (Fr. I. 3163.
Ffür's Oberland.)
2. Als Wortspiel gilt: Er hat ^nea anschläg'schen (anscUfigigen) Kopfj wezui er
die Treppe rnnteTfUnt^ verfeUt er keine Stnfe. (Fr. I. 3121.)
3. Er ist die Treppe runtergefallen! sagt man von dem, der sich die Haare 1>e»
schneiden hat lassen. Ungleichen Beschnitt der Haare nennt man Treppen.
4. Wieder sehn Thaler verdient! (Fr. 11. 2668.) Wenn man beim Ersteigen einer
Treppe vorwärts stolpert. Es heisst: War treppauf fiillt, bekommt sehn Thaler.
5. Ungeschickt läszt grilszen !
6. Ungeschickt ist (heiszt) mein Bruder. (Fr. R. A. I. 3867.)
7. Da schlag' Einer lang hin und st^* kun wieder auf!
8. Steh' auf und sprich anders.
9. Rufe mich zum Aufslehen.
10. Das kommt in den betten Familien vor.
11. Das kann dem Besten passieren.
12. Wenn ich das noch mal sehe, kann ich's auch.
13. Wenn dtt's noch mal vormachst, so kann ich's auch.
14. Da kann noch mehr liegen.
15. Wie's fällt, so bullert's.
16. Das kommt woU vor (kann woU vorkommen), das» Einer (der Mensdi) fällt
und findet nichts. (Fr. R. A. I. 796.)
17. Hast du was gefunden?
18. Lag da ein Thaler?
19. Der nächste Thnlcr ist aber für mich (mein)!
20. Oddaj mi puiowe! Gieb ab mir die Hälfte!
21. Tyi sobie pewnie w dupie scklank^ stinkf ! Du schlugst dir sicher 1>ei dir ink
H ein Glas A ci !
22. Zwiebel setzen. Cebulg sadsi^ Volkst. II. 192. Weil man sich dabei meistens
bficken nrasz.
23. Das Pferd fällt ttnd hat vier FUsse; warum soll nicht der Mensch fallen, der
nur zwei FUsze hau (Fr. R. A. 1. 794.)
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31
Da:> rford hat vier Füsze und strauchelL Koo laa cztery aogi a si{ postarbuie.
(Fr. R. A. II. 3130.) Auch der Bestgeartete kann fehlen.
25. Es ist nocli nicht so gefährlich ; sie (die A backen) hnckcn noch beide zusammen.
26. Ete p6tCf Krigenföte; morgen ist es bete. Als Zauberformel beim Besprechen
gedacht and hKvfig unter dreimaligem Bespucken gehandhabt Ki^nfftte ist Kiähenfusz,
oft bei Verstauchungen gebraucht, und p5tc w'irc abdann poete^ d. h. Pfotehen| Händchen.
27. Sei man still j bis zur Hochzeit ist's wieder gut.
28. Das ist noch nicht so schlimm, als wenn der Jud* stirbt.
29. Falle Sc nich, Herr Leutnant, et hcft yeghulicst. (gc^'lnttelst.) (Fr. I. 798.^
30. Falle Se nich, Se hebbe noch schön Geld. (Fr. I. 799.}
31. Falle Se nich, Se kunne sdck stete! (Fr. I. 800.)
32. Da Hej^t ein Musikant betjraben !
33. Da kannst nach'm Rathaus gehen und Dir fünf Thaler holen. (Beim Herauf*
Allen der Treppe). (Vergl. N». 4.)
Lebendige Richtschwerter.
Von R. Sprenger.
I. G. Brentano lässt in seiner Geschichte vom braven Kasperl
und dem schönen Annerl die alte Grossmutter fol<:jendes erzählen:
,Vor dem Städtchen, durch das ich musste, kam ich an der Scharf-
richterei vorüber, und weil der Meister berühmt war als ein Vieh-
doktor, sollte ich einige Arzenei mitnehmen für unseren Schubsen.
Ich trat in die Stube und sagte dem Meister, was ich wollte, und
er antwortete, dass ich ihm auf den Boden lolj^en solle, wo er die
Kräuter liegen habe, und ihm helfen aussuchen. Ich liess Annerl
in der Stube und folgte ihm. Als wir znrücke in die Stube traten,
stand Anncrl vor einem kleinen Schranke, der an der Wand be-
festigt war, und sprach: , Grossmutter, da ist eine Maus drin, hört,
wie es klappert, da ist eine Maus drin!* — Auf diese Rede des
Kindes machte der Meister ein sehr ernsthaftes (jesicht , riss den
Schrank auf und sprach : ,Gott sei uns gnädig!* denn er sah sein
Richtschwert, das allein in dem Schrank an einem Nagel hing,
hin und her wanken. Er nahm das Schwert herunter, und mir
schauderte. , Liebe Frau*, sagte er, ,wenn Ihr das kleine liebe An-
nerl lieb habt, so erschreckt nicht, wenn ich ihr mit meinem
Schwerte rings um das Hälschen die Haut ein wenig aufritze*);
denn das Schwert hat vor ihm gewankt , es hat nach seinem Blute
i) Sollte hiermit etne merkwürdige Stelle in Lichtenbergs „Beobachtungen über den
Menschen*'' zusammenhängen? Sie lautet: „Ks fjiht Leute, die werden mit einem
bösen Gewissen geboren — mit einem roten Strich um den Hals.''''
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32
verlanc^t , und wenn ich ihm den Hais damit nicht ritze, SO Steht
dem Kinde gross Elend im Leben bevor."
Ferner berichtet Hein r. Heine in seinen Memuiren (Werke Ham-
burger Ausg. V. 1884, 5 Bd. S. 254}; „Auch werden solche Schwerter
(womit hundertmal das hochotpeinliche Amt verrichtet worden),
meinen viele, durch das viele Blutvergiessen zuletzt grausam und
sie lechzen manchmal nach Blut , und oft um Mitternacht könne
man deutlicii hören , wie sie im Schranke , wo sie aufgehenkt sind ,
leidenschaftlich rasseln und rumoren , ja einige werden so tückisch
und boshaft ganz wie Unsereins und betören den Unglücklichen,
der sie in Händen hat, so sehr, dass er die besten Freunde damit
verwundet.**
Auf diesem Aberglauben vom blutgierigen Rechtschwerte beruhen
nach meiner Meinung auch die in halbem Wahnsmn £^ethanen
Äusserungen Margaretes in Goethes Faust I, 4239 ff. (Ausg. v.
Schröer) :
,Zuin BlutstttU bin ich schon entrückt,
Schon Mttckt nach jedem Nackm
Die Schärfe^ die meh meinem sücit.*'
Schon den Alten erschienen übrigens Schwerter und Lanzen als
„blutgierig". So heisst es in Homers Ilias Buch 21, V. 66 ff.
nach der Übersetzung von J. H, Voss:
Siehe, den ragenden Sp rr erh I der edle Achilleus,
Ihn xa durchbohren bereit j doch er eilt' und rnnfaiiste die Kuiee,
Hctgebttckt; und der, Unweggesatut Uber die Schultern,
Stand in der Erd\ nnd UeJkM^ im UtensehenMuti tu sekwatgen*
Vielleicht auf einer Reminiscenz an diese Stelle beruhen die
Verse in L. Uhlands Ernst, Herzog von Schwaben 3. Aufz. i.
Scene V. 145 (11 10) ff;
Giuta. Herr Graf, vergönnt mir, euer Schwert zu sehn! [Sie ninunt es].
Und ist denn das die mörderische Spitze |
Die muh dem Blute meines Söhnet leehxtr
Northeim.
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33
Volksmedizia.
Von Dr. Emil Fri«dtinder.
(Bei Galizischen Juden), Bei Gelbsucht (hervorgerufen z. B. durch
Leberkrankheiten, Gallensteinkrankheiten u. s. w.) werden dem Kran-
ken cinii^c Schnure Korallen um den Hals gehängt; es soll nämlich
durch die rothe Farbe der Korallen, die gelbe Hautfarbe paralysirt
und somit zum Schwinden gebracht werden.
Bei Augenentzündungen, specicU der Kinder, sah ich in den nie-
drigen Bevölkerungsschichten die kranken Augen mit irischi^ehs-
senem Urin auswaschen, was natürlich fast regelmässig die Entzün-
dung steigerte, wovon jedoch manche, schwer zu iiberzeugen sind.
Andere wiccierun: legen auf die entzündeten Augen kleine m
hüchperzentigen Spiritus getauchte Läppchen, in der Absicht Hitze
(Entzündung) durch Hitze zu vertreiben.
Bei Eklampsie (Fraisen) der Kinder wird mit lautem Geräusch
vor dem in Convulsiüiicn liegenden Patienten ein Topf oder eine
Schüssel zerschmettert ; das Volk glaubt nämlich daran, dass bei
Convulsionen der Patient vom „Bösen", vom „Dämon"' beses.sen
sei, den sie nun in der Weise erschrecken, aufscheuchen und ver-
jagen wollen. — In einer Familie sah ich folgendes Verfahrengegen
Convulsionen. Die Mutter sticht mit einer Nadel dem in Convul-
sionen liegenden Kinde die Finp^erbcere an, saugt etwas Blut auf
und spuckt es 3 Mal aus, während sie ihr eigenes auf dieselbe
Weise entnommenes Blut dem Kinde in den Mund bringt.
Auch sah ich, dass über ein solches in einer Wiege liegende
Kind eine Fensterhälfte gelegt wurde, um die Fraisen zum Schwin-
den zu bringen. Eine passende Erklärung dieses „Heilmittels'*
konnte ich von dem Weibe nicht erlangen; es habe ihr so ein
^Wunderrabbi", deren es ja bei uns in Halb^Asien genug gibt, als
jySgile" ^) (Zaubermittel) warm empfohlen.
Obgleich die Zahl der Zusätze zu den sog. medicamentösen Bä-
dern Legion ist, wie Malz, Kleie, Senf, Salz, Eisen u. s. w., so haben
erfinderische Weiber noch einen, nach ihrer Erfahrung besonders
wirksamen Zusatz den obenerwähnten hinzugefügt, nämlich Pferde-
Kotballen. Solche Bäder sollen die Rhachitis, (engl. Krankheit)
sehr günstig beeinflussen.
3
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34
Erkrankt jemand sehr gefährlich, so wird ihm zu seinem Vor-
namen noch ein zweiter, und falls er glücklicher Besitzer zweier
war, sogar ein dritter Vorname hinzugefügt. Der Zweck dieses Vor-
gehens ist, dass der Satan resp. der Todesentjel, der den Befehl
erhalten hat, ihn von der Erde abzuberufen, ihn nicht hnden könne
da er auf einen andern Rufnamen hört ') !
Skole.
Der Nobelskrug.
Eäne Umfrage tob R. Sprenger.
IV. Von meinem Aufenthalt in Münster her, war mir ein in der
Umgegend befindlicher ^Nobiskrug" in Erinnerung. Ich schrieb
daher an meinen ortkundigen Freund Hermann Reeker, um von ihm
auf Grund der von Dr. Casper angegebenen und von R. Sprenger mit-
geteilten Charakteristiken das Nähere über diesen Krug zu erfahren.
Mein Freund sandte mir einen Auszug aus dem trefflichen
«Führer durch das Münsterland. 1. Bearbeitet von Dr. Longinus,
Münster i/W. 1893", pag. 59/60:
«Nobiskrug. — Der Nobiskrug ist ein altes Wirtshaus (Krug)
an der alten Landstrasse Münster-Telgte gelegen, von welcher
Reste gerade hinter dem Hause noch erkennbar sind. Der Name
, Nobiskrug" wird (fälschlich) von einem lateinischen Spruche ab-
geleitet, welcher auch heute noch über dem Eingange des Hauses
steht. Er lautete früher: Si Deus pro nobis, quas contra nobis,
jetzt also : Si Deus nobiscum sit , qui est contra nos ?
Wahrscheinlich ist das Nobis aus Nops entstanden, lautet doch
auch heute noch im Volksmundc der Name des Hauses ,Nops-
krog". Nops ist, nach der Ansicht der Gelehrten, eine alte heid«
nische Gottheit, die dort ihr Unwesen trieb, wo böse Menschen
vom Leben zum Tode befördert wurden, also an Hinrichtungs-
stätten. An der Nähe des Nobiskruges aber, etwas oberhalb der
alten Landstrasse nach Telgte, stand ehemals ein Galgen. Hier in *
der Nähe befand sich auch der Freistuhl Kasewinkel (alter Name
Kalweswinkele), der zur Freigrafschaft Vadruss gehörte. Am Über-
1) Vrgl. über diesen Brauch bei Krauss, Haarschurgodschaft b. d. SUdsl. Leiden
1894. S. 32.
2) Der jetzige Spruch cnlliält leider nicht mehr den alten originellen FeUcr: COntnt
nobis, dafür aber einen neuen, weniger originellen: qui statt quis.
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35
gange der Werse bei Nobiskrug war eine Zollstätte des münsterischen
Domkapitels. Die erste steinerne Brücke der alten unmittelbar
hinter Nobiskrug herlaufenden Landstrasse wurde anfangs des i8.
Jahrh. erbaut, aus dem Ergebnisse der Prozesse gegen die , Kipper
und Wipper" (Münzfalscher). Diese Brücke wurde im 7 jähr. Kriege
von den Franzosen zerstört, weshalb 1758 die Preussen noch etwas
weiter oberhalb eine hölzerne Brücke über den Fluss schlugen und
die Landstrasse verlegten. Spuren dieser Verlegung sind ebenfalls
heute noch auf beiden Seiten der Werse erkennbar. Der Bau der
jetzigen Kunststrasse wurde (von Napoleon) Anfang dieses Jahrh,
begonnen, dieselbe nebst der Brücke erst in den 30« Jahren
vollendet."
Soweit Dr. Longinus, hinter dem sich der im Münsterlande
weit bekannte und äusserst beliebte, leider zu früh ums Leben ge-
kommene Privatdozent der Zoologie an der Academie zu Münster
Dr. Westhoft" verbirgt ; der auch neben seiner eigentlichen Wissen-
schaft eifrig dem Studium von Land und Leuten huldigte, wie
seine Schriften, namentlich seine Führer durch das Münsterland
zur Genüge bekunden.
Nach Reeker, dessen Freund der Verstorbene gewesen , hat er
, seine kulturgeschichtlichen Anmerkungen nur den Werken zuver-
lässiger Fachgelehrten entnommen und diesen zur Begutachtung
vorgelegt."
Auf meine Anfrage , ob der Nobiskrug eine Gebietsgren/c be-
deute, erhielt ich zur Antwort, dass gerade vor dem Hause auf
der Chaussee der Kilometerstein 5,4 stunde. Von einer Gebiets-
grenze sei hier keine Rede, da Westhoff, der solche stets gewissen-
haft notiere, bei diesem Krug nichts davon verlauten lasse.
Düsseldorf. Josef Buchhorn.
Volksrätsel aus Pomnjem.
Gesammelt von A s m u s i).
I. , Krickelkrumm, wo wist du hen?" ,Kähl afgeschären, wat
geht die dat an!" «Ich bün noch nicht so oft kählschära, as die
1) Wir bringen diese Sammlung bis auf sechs Rätsel, die bereits im vorigen Jahr-
gang unserer Zeitscbrift veröffentlicht sind (S. 209 £ N*. 6, 17, 18, 22, 23, 25) un-
verkürzt zum Abdruck. — Die litterariselien Nachweise und Bemerkungen eind von
Dr. A. Bionk in Stettin.
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n
dei Aes taufrära." — Bach und Wiese. Wossidio, Meckk nburgische Volks-
überlieferungen. Bd. 1. Rätsel N*. t; Blätter für Pommersche Volkskunde. Bd. III, S. 117.
2. Ick schmict wat Rors int Wätä, schwät kümmt't rutä. — Feu-
erkohle. W. 330: B. f. P. V. III 133.
3. Lope Föfs, fief un söss, fief un drei. Woväl Föt hewwe dei? —
Vier (hat ein jeder.)
4. Wo käme d'meistä Sack top? — An der Naht. w. 941: b. f. P. V. V 185.
5. Ick schmet wat Schwats int Wätä, Rörs kümtärutä. — Krebs.
W. 329; B. f. P. V. III 133.
6. Doä liggt wat im Hull (Hok) as en affgegähet Kaub. — Teig
im Backtrog, w. 309; B. f. P. V. III 114.
7. Tck schmet wat Runns iipä Dack, wat Längs kam dä runnä. —
Woliknauel. Vergl. N». 2 und 5. W. 334.
■ o
8. Im Säl hängt wat, blitzt as e AI. — Leuchter, w. 303.
9. Ick was emäl int Hult, däe fund ick e Buffstück as e Finge
dick; ick meick däe ut twei Dischblär (TischM^ttf ein Papemütz,
ein Süwwelspitz (Pfriem). Wae dat utrött, dat is e Witz. — Eichel, vv. 58.
10. Veie rnnn Reil, veie rüg Fell, eie Schibschab, cie Schöll-
schab, eic Klistebidel. Wat is dat? — Vier Räder, vier Pferde,
Peitsche, Knecht und Teertonne, w. 119; B. f. P. V. III 131.
11. Unne breit un bäwen spitz gräd as en Husärenmutz. — Zucker-
hut. Im ersten Teile ähnlich. W. 247.
12. Ett un frett un wad nich fett; hätt drei Bein un kann nich
gähe, hätt ne vSchwanz un kann nich schlähe. — Pfanne. Vergl. W. 387.
1 3. Wohe wähet (währt, dauert) Schäpfleisch am längsten ? — Wenn
das Schaf lebt.
14. Däe geht wat dürcht Dorp, drägt Königs Berr up em Nackä. —
Gans. w. 112; B. f. P. V. TTT 117.
15. Doä steht ein Kecl up eim Bern, hätt hunnetdusend Schwien-
lein. Dei Schwien seige pickschwät, dei Keel is eie Knickstat« —
Kirschbaum, w. 185; B. f. P. V. TTI 116.
16. Wat geht eist (zuerst) in d'Kuch? — Schlüssel, w. 5785 B.f.p. v. v 186.
17. Det Morgens drink ick Thee, det Middags ät ick Reh, det
o
Awends fohr ick äuwre See. — Therese.
18. Klein Fisch in Botte brare, hinne u vöe krumm geräre. Wo
schrifft ma dat mit drei Baukstäwe? — D-a-t.
19. Wat löppt ähn Fäut? — Wagen. B. f. P. V. V 186.
20. Twei Ding stähe, twei Ding gähe, twei Ding käme. Wat is dat? —
21. Hinne Fleisch un vöe Fleisch, inne Mirr Hult. — Pferd, Pflug,
Knecht. So wohl kaum richtig. Wossidio 241 : Vorn Fleesch un hinnen Fleesch, in de
Midd Holt un Isen. Ähnlich aus Frauendorf : Vorn Flesch, hinn Flusch, midden St&hl un Isea.
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22. Hinne osem Hus sitt Peite Krus ; wähe anfött, dem bitt e. —
Nessel, w. 51.
23. Ick was mäl in Eogeland, in Engeland was ick bekannt Däc
kam eie klein witt Hündke, dem fraug ick, wo sin Nanikc heit.
Sin Nämke, dei was mi bekannt. Nu hefick juch all dreimal seggt,
un noch weit ji *t nich ? — Was (= v/uux). Vgl. w. 955; B. f. p. v. 11 63, vi 9.
24. Kamm « Keel vä Hippen u Pippen, dei herr ne Rock va
dusend Flicken; dei Keel dei faeir ne rore B&rt; un säed m'eis,
wo dei Keel rärt. — Hahn.
25. Daue güng wat uppem Hof im ded sich bücken, dat härr ne
Rock von hunnitundusend Flicken, härr na sanftna lorä Biet;
höe eis, wo dei Keel riet Zn 94 vad 35 vergi. w. 31 «nd b. f. p. v. 1 153, iii 1 1 $.
26. In Zwilipp was 'n Bue, dä ging a Ding int Sehne (- Sduuer,
Scheuer, Scheune); was witt un schwart un hett na langa Stät. Rät
taui wat dat wad. » Elster.
27. In use Stuw stähe twei Barke, up dähe Barke is ein Tunn,
Up dähe Tunn is ein Trachte, up dem Trachte is ein Kugel, up
dähe Kugel is ein Hult, dähe spaziere Jung un Ult. — Mensch.
Vei^ W. 164; B. f. P. V. V 168.
2^. Veie ranne Ratsches, veie Wäteklatsches, lope alle glik dull;
keie einzig kriegt sich däe afT. — Wagen und Pferde. VeigLB.f.P.v.mi3i.
29. In min Vires Gäre stähe 32 Polasaäre (P«Ui«ulen). Dat regcnt
nich, dat sehniegt nich, un doch sünd's imme natt. — ^Uine. w. 4».
30. Raue raue rip, wo ein gäl Piep in dem schwäte Sap, wo dei
gäl Piep in Stack. (Rdm »un Buddacn). — Mohrrübe. So «aventiadUch.
/\ NVudaige liegt folgende Fassung vor: Rue nie rtp^ gil 1« de FIp; wdbmttt iM de
Sack, wo de gäl Hp c stack (B. f. P. V. III 116). W. 121.
31. Veie Madamen gripen sich, dei krigen sich im ewgen Lewen
nich. — Windmühlenflügel, w 156- b f. p v in 114.
32. Kümmt ein Mann vom Himmel mit m witta Schimmel. —
Schnee.
33. Ein Soldat mutt Schildwach stähe, hett kein Föt un mutt
doch gähc. — Uhr. Vergl. N". 36.
34. Klippermann un Klappcrmann, dei leipe beer (beide) anne
Barg heran. Klappermnnn leip noch so sehe, Klippermann kämm
doch noch ehe. — Pferd und Wagen. W. 117.
35. Eia Twcibcin satt up Dreibein un herr cia Bein. Doa kämm
eia Veiebcin un namm Tvveibein dat Fiebern weg. Doa namm
Tweibein dära Dreibein un schmct Vciebem, so dat dci Vi u Hein
dat Eicheln faila leit. — Schuster sitzt auf seinem Schemel mit
einem Hasenfuss, den ihm ein Hund entreissen will. W. 15; veigl,
B. f. F. V. m 43.
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3»
36. Ick mutt Schildwach stäha, Heff kein Föt un nitttt doch
gaha. Up da Arm mutt'ck Stein dräga. Heff kein Mund un mutt
doch säga (sagen). — Uhr. W. 87.
37. Rod gebore, gröen erköre, gris gebära, mutt dei ganz Wilt
ernähra. — Roggen.
38. Isern Väre, hultern Mutte, hewwa lute hol! Kinne. ^ Schnei-
demesser, Häcksellade, Häcksel. B. f. P. v. iii 133.
39. Wat denkt de Storch, wenn hei ein dodg Pogg findt? — Na,
so wat lewt nich. b. f. P. v. iii 129.
40. Half Kalf half, viertel dävon aif, wufäl bliwwt dat ? — Nichts.
B. f. P, V. V 185.
41. Däe güng a Vigel schnurre von hie, hätt a Röcke van Fapie,
hätt a Schötke (Schfine) van bruna Läka. We dat utrött, scha bi
mi schläpa. Wat hätt hei an eim Bein? Schee (Scheie) un Schliep-
stein. Wat hätt e am andra? Häme un Tang. Wat hätt eupKopp?
Näga (neun) Drömt Hopp. Wat hätt hei am Niwwe (Schmbel)? Sieben
Fass Wein. Wie kann das wohl ein Vogel sein? — Schiff. Unprüng.
lieh, wie auch die vierte Zeile beweist, zwei Rätsel. Urquell IV S. 14S. 1^. 6; W. loi.
42. Wat is inne ganze Wilt vä acht («verachtet" oder ,vor acht**) ? —
Sieben, w. 909.
43. As ick klein was, kunn ick veie betwinga; as ick grot was,
kunn ick Barg un Grünn ümbringa. As ick dod was, kunn ick vöe
Herre un Fürsta stäha un kunn mit de Brut uppa Danzplatz gäha. —
Ochse, w. 76.
44. Dei Söhn ging tau Böhna (Boden), ehe dei Vaure jung wäed. —
Rauch und Feuer, w. 148.
45. Ich weiss ein Tierlein; ein Tierlein, das ich weiss, hat Kno-
chen überm Fleisch. Wer sich's kann raten, dem will ich's braten;
wer sich's kann denken, dem will ich's schenken. — Krebs, w. 174.
46. In meines Vaters Garten stehen sieben Kameraden. Es sind
keine Buchen und keine Eichen, doch sind sie alle eines gleichen.
Siebengestirn, w. 40.
47 Ich weiss ein bunt bemaltes Haus, ein Tier mit Hörnern
schaut heraus; das nimmt bei jedem Schritt sein Häuschen mit. —
Schnecke.
48. Worum löppt d* Häs öwre Barg? — Weil er nicht durch
den Berg laufen kann. W. 775 ; B. f. P. V. III 130.
49. Worüm kikt sich de Häs um, (wenn hei öwre Barg löppt) ? —
Weil er hinten keine Augen hat. So wohl nicht nchtig. Gilow, De Diere,
S. 215 : Worüm süt sich de IlRs um, wenn 'n de Hunn jägen ? W. 769; B. f. P. V. III 130.
50. Kaiser Karol hatte einen Hund; er gab ihm Namen nach
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seinem Mund. Also hiess Kaiser Karol sein Hund i — Also W. 954;
B. f. P. V. II 144, VI 9.
51* Keiner und Niemand bauten sich ein Haus. Keiner ging vorae
raus, Niemand ging hinten raus, und wer blieb drinn im Haus^ — Und.
w. 960; B. f. P. V. VI 9.
52. Keiner ging über die Brücke, Keiner ging vorne. Keiner ging
hinten. Wer ging in der Mitte ? — Keiner; es waren drei Brüder
namens Keiner, w. 959.
53. Auf einem weissen See ist eine rote Ros' gewachsen. Wer
den weissen See will sprechen, muss die rote Rose brechen. —
Brief und Siegel, w. 33; B. f. F. v. iii 132.
54. Wat ist drist inne Kirch? — Fliege, w. $74.
55. Welcher Monat ist der kürzeste ^ — M-a-i.
56. Wann ist dem Bauer verboten ein Kalb zu verkaufen? —
Wenn er keins hat. W. 672; B. f. P. v. V 18$.
$y. Ich steh' in Gründen und weh' mit den Winden, mein Rock
ist grün und blau, und diene Mann und Frau. — Flachs.
$8. Welcher Ring ist nicht rund? — Häring.
59. Zwei Madamen greifen sich und kriegen sich im Leben nicht. —
,Flüchtatüg*' am Spinnrad, w. 159 (veigi. 158).
60. Grün wie Gras, sag' mir das; weiss wie Schnee, sag* mir we
(wie); rot wie Blut, sag' mir's gut; schwarz wie Teer, sag' mir 's ganze
Rätsel her. — Kirsche, w. 217; B. f. F. v. in 116.
61. Vier Pferde ohne Futter, zwei Kinder ohne Mutter, zwei
Brüder ohne Liebe, zwei Städte voller Diebe. — Elias feurige Rosse,
Adam und Eva, Kain und Abel, Sodom und Gomorrha. Veigl. w. 407.
62. Us Knecht Hippehappe wull eis inne Emma kacke; was dat
Make nicht so flink, schlaug em vöre Ding, dat em d' Pissen un
Kacken verging. — Bierfass. Vergl. Am Ui^ueU Bd. IV, & 148. N*. 7.
Das Kind in Glaube und Brauch der Völker.
Eine Umfrage.
XVII. (Wiegenlieder),
Schluf 2i, schluf 2i, schlaf gssmd
in a gitar SchS ^,
Schluf liy schluf 1^, sclilnf ntas Kpd.
EUu, lu-lu, lu.
D| Lwuni') spay.irl scbcun auch
Araus vm ihr Gozelt^
Es soll dän MasI') in dsr Ueuch*)
Schänan of dar Welu
i) blunde (hebr.).
2) Mond (hebr.). 3) Glüdowtem (hebr.). 4) Höhe.
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40
Wie IS ut amül alles still, |
Dl Erd varschleft, verwigt
jn mtt Briliantnn ün a ZOl
Dar Hunmsl ausgsstiki.
intsrn Kynds Wtgalt
Seh ich eppis stein,
Es IS a gold» Z^alf,
D| sisse Hofnoag alldn.
Dis Zigah wet mit dir handlao,
Git zl schlecht, wer weiss?
St wet dir brengdo Roz|nkalach Mandlan,
jyüB wet sin dSn sisse Treist.
Biody.
XVm». Spi muj synku, na zahridce |
ttSDUli jfi kvftkove,
/.• a vefcm: spSji sladce
na vStvickach dechove. ./
Vii jak dobrd tv-i ?»?stricka
na sv^ni luiku jiz haja.
/.- Jeji dobrd je duliCka
hvisdidca ji riäa. mk. .•/
Ale tebe nendluje,
pryC odvracl o5ka svd,
/.- synek muj mnö zarmucuje,
JeÜlek 1m> potrestft. ;/
K\11V>, Spi detitko, spi,
savH otkn vrf.
Pan Buh bude steboa spaü|
andilkove kolibati. —
Spi d«tät1co, spi.
Spala bych, spala,
iÜe 116 sama,
S mil^m Je2i§kem
A s andiliikama.
Gegend von Mdaik, Bölnneii.
Schluf ii, schlut zu iclilul gasind,
Dar Huhn ot scheun gakrelt,
Satnmdl Keuchss') zt dsrtmgan,
wüs dir Ii» uugagreit.
Dl Jüren leufan dir akSgon,
Dech ZT grissen, dech zi sehn,
Obar Wüs si bieogan vpi duftw^gan.
Weiss Bor Gott allein.
Schlaf Si, sdihif Jh, seUnf gasmd,
in a gitar Sehn,
Schlaf ti, schluf it, schluf mSn Kind,
Eflu, ln>la, In.
Isaak Robinsohn.
Schlaf, mein Kindlein, in dem Garten
Schlummern schon die Blümeleinf
/• Die Abendlüfte auf den Ästen
Eingewiegt, schon schliefen ein. .-/
Sieh, wie dein braves Schwesterchen
In ihrem Beliehen schlummcri süss.
/; Gut und rein ist ihre Seele
Der helle Stern liebt sie gewiss, ./
Aber dich kann er nicht lieben
Wendet weg sein Aug' von dir,
/; Mein Sohnchen mag mich oft betrüben
Das Jesvsldnd ihn straft dafllr.;/
j Schlaf, mein Kind, in Ruh,
Mach* die Äuglein zu.
' Der Hebe Gott wird bei dir liegen
' Die Engelein dich sanft einwiegen.
Schlaf mein Kind, in Roh,
Ich schliefe gerne än,
Aber nicht allein,
I Mit dem lieben Jesns
' Und den Engelein. '
Josefine Kopecky.
XIX. Niederdeutsche Frost- und Schoosslieder aus Lübeck und
Umgegend,
a.
Höte böte
Kreienföte,
Klapp vor 't Gatt,
Beter is dat.
Hdte böte
Kreienföte,
Hasensteert,
Beter weerd't.
3. ötc petöte
Kreienföte,
MoT^ is 'tan wedder göte.
(Gebraucht, wenn das Kind wdie
gethan hat).
i) etwas.
2) Rosinen.
3) Kräfte (hebr.).
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4> Ik ei di,
Ik klei di,
Tk kratz di,
Ik knip di,
De Bor de bitt,
De Hamer de bttmnit.
5. Hest en Daler in de Hand,
Dor kannstu köpen Land und Sand
En Peerd, en Swin en Koh
Un en Itttt Risfthlen dorto.
6. Hest CD Daler,
Geh to Maark,
Köp en Kaarp,
Köp en Fisch,
Wo *n tiltten Steert an is,
Un lat di 'n beten Didellidclllt togc1)cn.
(Bei den leUten Worten kitzelt man das
Kind in die Hand).
7. Baben upp'n Böhn steibt en Kttfferf
In den KuiTer is ne Kist,
In de Kist is en Kasten,
In den Kasten is ne Schachtel,
In de Schachtel is ne Tut,
In de Tüt is Sand,
In den Sand is en Dieling,
Den sasl du hcbbcn.
(Bei jeder Zeile klopft man dem Kinde
in die Hand, und zuleUt kiuelt man diese).
8. Tfonunel up'n Buk,
Trommel up*n Buk,
Smoltpott de miitt dansen.
Le^'n vp*n Block,
Hau*n \ip'n Kopp,
Dat verdrifift dat Kwansen.
(Wenn dem Kinde anfstossen aoU).
9. Hör, hör, hör,
Wat steiht vor unse Dör?
Dor f.t"ih' cn Mann mit sine Kipen,
Pe will uTiö lutt Heine gripen.
10. Hör, hör, hör,
Wer kloppt an unse Dör?
De oll Mann, de mit de Fidel ümgeihl.
De all de lütten Kinner sleit.
11. Hör, hör, hör,
Muskatt sitt in de Röhr,
Mit en Semmel Hnrebrod,
Sla mi dmt Ifltt Mnskatt dod.
12. Pulipp nich beten will,
PuHpp dnrh is,
Söben i'und Lippentleesch
Hett he gewiss.
(Das schmollende Kind macht eine dicke
Lippe),
13. (iram di mau nich.
Gräm di man nich,
Ik heflf noch drc Sössling,
Dat weest du man nich.
14. Na, wene man nich.
Na, wene man nicli.
In de R^re staht KIttmpe,
Du stthat le man nich.
15. KaUkopp Gdöschen,
'n Pott vull Mööschen.
(Päppelbrei für das zahnende Kind).
16. Prööschen,
Lütt Gööschen!
(Beim |Niesen).
17. HUck ttp,
. Lop 't Stack up,
Lop Ungelangs den Rodder,
Kamm min Lefdag nich wedder!
18. Hückup un ik
Cüng'n ober den Steg,
Ilückup füll "rin
Un ik löp weg.
(Gegen den Schlndcen).
19. Bimmel bammel bei er,
De Höhner leggl Eier,
Bimmel bammel bam,
Hett Samt nn Siden an.
20. Bimmel bammel beier,
De Köster mag ken' Eier.
Wat mag he dann?
Speck in de Pann.
O, wat is *tvör *n Leckemannl
91. De is in't Water foUen,
De lictt em 'rut trocken,
De hett em afdröögt,
De hett em to Bed bröcht,
Un de Itttt Schelm hett allen« naacggt
22. Backe, backe Koken,
Bäcker de hett ropen.
Wer will söten Koken backen.
De mfltt hebben sSben Saken:
Eier un Smolt,
Botter un Solt,
Melk un MeU,
Saflran maakt den Kokm gel.
23. Sig', sag',
011 Hans Grag'
Treckt de Sag'
Dörch den Knast,
Dat seggt riss rass
Dörch den Knast,
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24. Sig\ sag',
Alle Dag'
En Kros Ber
Un denn nich mehr.
«5- Sig', sag',
Alle Dag'
Speck in de M«f\
Dörch en Born im durch en Knast
RUch rasch, risch rasch,
AU dat Geld in Kiaa sin Tasch.
26. Sig', sag',
Water dng%
Wölt en groten Born afsagen,
Wölt dorup na Lübeck jagen,
Wait uns Stuten un Twelwck balen.
27. Sig', sag',
Water drag',
Wölt 'n lütten Jungen iit Hamburg
De sali uns den Born afsagen, [halen,
Dat sali butscher liataeter gähn.
28. Si, sa, up de Kar,
Vader hett sin Maria verlar'n,
Up den widcn Felde,
Mit en Sack vull Oelde.
Hadden wl liitt Maria iiian wedder,
Sack vull Geld kern ok woU wedder.
(Karrenschieben).
29. Hai mi den Salhnnd, den Salhttttd to
Tie hett mi de Fisch upfreten, [Land!
He hett mi dat Nett terrcten.
Hai mi den Salhand, den Salhund to
[Landl
30. Hott, hott, hott, ho.
Na Hamboq; hentol
Wat wölt wi dor don?
Dor slacht wi en Hohn,
Dor steekt wi en Swin
Un drünkt en Glas Win,
Dor sali min Heine recht lustig sin.
31. En twe dre ver fif,
Kumm mit mi to Krieg,
Lübeck.
Kumm mit mi na Engelland,
Engelland is toslaten.
Slötel is in 't Lock afbcaken*
Fett an 'n Wagen,
Hulterdipttlter, wat wölt wi jagien
Hamborg up un Lübeck dal!
Degen bi Sid',
Brod inne Kip,
Botter inne Nasch,
Speck inne Tasch,
Ber inne Kann,
Zucker doran,
Un so to LannM
32. Husorcn de knnt riden.
Den Säbel an de Siden^
Smit den Keerl Ton HPeerd *raf.
Hau cm ok en Ohr af,
Lat em aber en Stückschen an,
Dat ik *n wedder kennen kann!
33. Fiddelbum, tiddelbum,
Spefanann sin Jung,
Speimann sin Sadelpeerd,
Is -ken* dre Daler weerd.
34. Zuck, zuck, zuck, zuck, Habermann^
Treck den Bur de Stebcl an,
Treck se em god slur an,
Ritt he as en Eddelmann.
35. Hopp, hopp, hopp, hopp. Habermann,
Treck den Herrn de Stebcl an,
Rid dorinil na Amsterdam,
Von Amsterdam na Spanien,
Von Spanien na Oranien,
Our riden s* all to Gast, to Gast.
36. Zuck, suck, xuck, na MöUigen,
Min Anna up dat Föhligen,
Min Heine up de bunte Koh,
So Tiden s* na de Möhl hento.
Mit en Schepel Weten,
Den sali de Möller upgeten,
Un as de Weten kern up den Rump,
Dnnn seggt de tüöVL^ rapnmp, ra-
[pump.
Colmar Schumann.
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Tierstimmen im Volksmunde«
Eine Umfrage von Dr. A. Brunk.
III. Das Lied der Sdraklbe {Zmaluw, Kemp. ^mIm, Zm/m):
I.
3.
6.
Als ik orer jaar hier was,
Vond ik nog 'nen korcntas
En 'oen deelt met vlas.
*tlB nu al Tttrintadd en venroereii.
W«t voor *ne vnUen boer i» d«t?>).
(Ntveliy Frovitu Osi-FUuider»J.
Toen ik nog kier was,
Vond ik nog 'nen korcnlas^
Maar nu is hij al verteerd,
VeismeenL,
Verfirleftird,
Fiferd, ftörd, ftird!
(Zotrsel^ Antmerpmtr Kmpen).
Als W Iii er lestmaal was,
Vond ik hier koom en vlas;
Maar nu en vind ik niks:
*tls allemaal vertieieltefdl
("Klein Br«Am$t^ ProvittM Antwerpen).
Verleden jaar als ik hier was,
Dan was er 'ncn ta«, *neik taa, *aen tas,
'Ne korcntas^
"Nen ten.'entas,
*Nc schelft v'jI v1:ls,
En nu is 't al verkwittcrd, verkwetterd,
Door 't gat gespetterd,
Verdestmweeid I
(Opwfk^ MaaunsLÜe^ Prewm SraiantJ.
Als ik verleen jaar vertrok,
I/ict ik hier ^en erwtentas,
'Nen korentas,
*Nen schelft vol vlaa,
En nu is *tal verdistmweeid,
Wet, wit, wiet ! »)
(Petyttteiüandy Previnä BraSrnttJ'
Als ik hier vertrokken was,
Vond ik hier 'nen koreataa,
*Nen vlassentas,
'Nen haverentas,
En B« is alles Terkvitterd, verkwet-
[terd, verkwietom ! 2)
CNinove^ Provinz Ost-Flandern).
Der Zaunkönig ( Winter koninkje^ Kemp. JCömngsken^ Winter koningsken^ Retter) singt:
7. LaatstRuud. als iV lUer mSf
Vond ik hier 'nen ItorentaSf
*Nen haverentas,
*Nen vlassentas,
En nu vind ik hier ntet:
Alles is verkwiet!
Kwittcr-kwetter, kwitter-kwetter, kwiet-
[kwiet-kwiet !
'k En zie het niet, 'k en vind bet niet.
En waar is dat gebleven ?
'tis naar de mer(k)t
En door de kcrt (Mühlstein)
Verfrutseld en venvrrreven *).
( Wcst-l-landcrn ).
8. In West-Flandern, nach de Bo:
Wanneer ik weg^ng, xaten de schüren
[vol koom.
Wanneer ik wederkwam, was alles ver-
[swiesdd, verswanseld en verteerd*
9. In Friesland, nach Johan Winkler:
Abs ik uttog (his)^
Hadd' ick kisten en kästen vull,
A&S ick wedderkam, wedderkam,
Har de tperlingi
De dickkop (bh)
Alles vertährt.
I* In ons land daar stoken ze vieren ?
Halfhouten zoo dik als mijn beeaen
En die geUoven in vieren,
En daar nog veel don hout bij !
(Brecht^ Aniwerptner Kempen),
Ne klippel zoo dik als mijn been
En dieiin in splinsters gekloven,
En daar wa' klein hout onder,
Da' brandt 'lijk den donder.
(Jffeitt-ep-deit-Berg^ Frev. Aniw.),
I) Voikekunde, I, bL 82.
1879 — 1880, bl. 190.
a) Ibid.
3) Ibid.
4) S!»nd dm Heerde
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44
Hier
In ons kwaitier
Maken ze vier,
VaD mutsaardkluppels mijn bille dik,
M^n bffle dik<).
1 (West'BrakatHj.
In mijn kwartier
Maken zc vier
Met klippels van een bille dikke
En wat rigshoni,
Wat rijshout
W«t rijshout dttibqis)
(Wat-FUaüUm).
Titirekkelek !
Toorlem van sln-sinl
AI onzcn kant maken re vierstokkeo
Als beenen dik, dik, dik
( Denderiuindeke^ Ost-Flandern ).
Lied des Rohrsperlings (Rietmusch^ Kemp. Kerrekh-f) :
I. Kerre kerre kiet,
'k Woon in 't riet,
Ge kunt me vinden
Otn den duvel niet!
CSU AmandSy Prov. Antmrpm),
%, Kern kerre kerre kiet kiet kieti
Ik woon in 'triet, riet, riet.
Ge kunt mij niet vinden
Om den dwekote niet, niet, niet!
3. Wedde, wedde wiet!
Mijne nest Staat in 't riet,
Niemand en kan 'm nie' vinden,
Nog den duvel zelf niet!
Die Wachtel ffTwakkelJ nStx
Kwit kwit kwit kwidit! ] Kwakkel die in *t koren dtl (Xmpm),
Die Nachtigall singt:
Mebke, zieU ziet, ziet
Wat dat ge doet, doet, doet,
De jongena zijn niet goed, goed, goed. (KtmptHj,
Der Knckack mft:
Dat singt en Unit dat wil, | Ik roep toch niet Y66r Hatf^ApiüI (IKd,).
In KleinoBrabant ruft er beim Anfange von März:
Wdkom, Meert, laat niij leven, | Ik aal u te Md een van m^n jongskens geven.
Beim Ausgange dieses Monats aber sagt er:
Adieu, Meert! | Ik geef u gcen pluim uit mijnen steert!
Wenn die Lerche (Lmmirtky Kemp. Ltemotrk) sich in die Luft erhebt, bitt sie
flehend:
I. Lieven Heerken, laat m^ eens drniken, | Ik zal van mfn kren niet meec vlodcen !
Wenn sie aber niederstreicht. flucht sie tansend Mal:
Sakkerdit! sakkerditi sakkerdit! (St. Antonius^ Kempe»)*
In der Umgegend von Antwerpen sagt sie:
8. Aufsteigend; Deezeken, !aat mij nog een trappeken hooger,
Herabsinkend :
Deezeken, laat mij nog een trappeken leeger!
Dum Deezeke, Deezeke dum!
3. Aufsteigend: Deezeken, mag 'k naar boven komen?
*kZal nooit of uooit meer vloeken.
t) Volktkunde^ \ bl. 79. 2) Ibid. 3) Ibid.
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Hinabsteigend :
4. Ansteigend:
Do^mme, doSmme,, dodmme! (KempenJ.
Zee/ekcu, Zeezcken,
Opent dea hemel iaai mij in !
*k Zal van 01911 levea niet meer vloeken of zweren 1
Heiabsteigend: ZtelegodSf zielegoda, «elegods! ■) (Ost'FUmdirn).
Die Meise (Kemp. KcismetsJ singt:
Kock en k^s, koek en koek en kitel
Obwobl: Tiwa p aijc^! tieu pintjesl tien pinijes! (St, AntotüusJ,
Der Sperling ruft:
Diefl dief! diefl
kZing, 'kzing, 'kzing van Suskc Wiet! (löiJ.J
Driok 'et nit en tapt nog eenl CIHd,J
Der Emmediag (Kemp. Gett weehoMti):
Der Fink:
Die Merle
1. Gele weewaal, kerzen rijp?
Zet er de leer aan,
Ik zalder opgaan. (lbid,J
2. PopnHeienliont,
Lcpclhout,
Lepelhout! (Brabant),
3. Alle bottt en is geen timmeiliont ! C^bid.,
4. Populierenhout,
Lepelhont,
Schrepelliont!«) (West-Flandtm)*
5. Wie gaat er mee naar Ninof (Ninove):
iLHeb er nl geweest. —
Die Turteltaube ruft:
Zgn de kerzekens al r^p? —
Neen ze, Mcneer, z' en bloeien nog
[maar')! (Ost-FianderaJ,
6. Poepelierenhout
Es goe lepelhout^
Maar abeelenbout
Ea nog beter hont. (West'Ptatider»),
7. Ciis, Ciis, Ciis,
G'haalt er eer of!
G*haalt er eer of (Uiä.J
8. 'k Heb vijf kinderen en een w^f.
Steel ik zcven kriekcn,
'k En heb er nog maar 6cne voor my.
Doet de deur toe, zoetelief! | Doet de deur toe, zoetelief !
St. Antonitis>Brecht
Jozef Cornellssen.
t) Volkskunde, I, bl. 77. 2) Ibid^ bL 80. 3) Ibid,
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Folkloristische Findlinge.
V
1. Cechischer Alltags glaube. Brüllt die Leitkuh lustig beim ersten
Austrieb der Herde auf die Weide, so bedeutet das Glück und
Segen fiir den Rinderstand.
2. Wenn das Fohlen beim erstmaligen Eingespannt wer den mit
der Mutterstute das Zugseil überreisst, so wird der Besitzer ein-
mal für das junge Pferd den zehnfachen Wert der Stute als Preis
erhalten.
3. Befindet sich der Bräutigam auf Besuch bei seiner Braut und
der Haushahn kräht sechsmal hintereinander, so stirbt die Braut
als junge Frau im ersten Wochenbette.
KardaS R^c, Böhmen. Moria Frankenstein.
WitderkehretuU GHster, Um zwölf Uhr Nachts ist es gefährlich
die Schulgasse (d.h. die Gasse, wo die Synagoge sich befindet) zu
passieren. Die Toten nämlich fliehen die in der Nacht tätigen
Teufel (Ruchos) und suchen vor ihnen Schutz in der .Schul**.
Dort bleiben sie, bis es zu tagen beginnt. Wer also um jene
Stunde durch die Schulgasse geht der wird von den Toten zur
Thora aufgerufen, muss eintreten, die Augen schliessen und den
Segen über die Thora sprechen; sonst stirbt er sicher im sel-
ben Jahre.
Skole, Karpathen. Dr. Emil Friedländer.
Die Froschhexe. Das 19 jährige Dienstmädchen Katharina Wot-
tawa schrieb der Franziska Holzhackcr, bei der sie früher zu
Bette war, eine offene Correspondcnzkarte , in der sie die l^oliaup-
tung aufstellte, die Holzhacker habe einen Frosch im Leibe und
wolle sie und ihren Geliebten verhexen. Frau Holzharker, die sich
durch diese Anschuldigung in ihrer Ehre gekränkt glaubte , erstat-
tete die Anzeige. Katharina Wottawa wurde vom Strafrichter des
zehnten Bezirkes Dr. Höfner zu einer Geldstrafe im Betrage von
fünf Gulden , im Uneinbringlichkeitfaile zu einer Arreststrafe von
24 Stunden verurteilt.
Wien am 9. November. IC
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Vom Büchertisch.
Der Palm'Esety eine cultur-bistomchc Skizxe von R. von Strelc
Zeitschrift d. D. n. Owt. AlpenTereins, 1S97, XXVIU a S. 135.
Das mit vieler Sorgfalt ttnd GewisKobaftigkcit ge>aaimelte Material sii obigem
Thema^ das den Lesern der Alpenverein-Zeitschrift als ein Beitrag zur Volkskunde
▼orgelegt wird, bringt wieder einen G^^nstand zur Besprechung, über den die Mei-
nungen bisher geteilt waren. Die Einen sehen in dem Palmesel nur eine Ausartung
^nes rein christlichen Volksbrauches am Falmenfeste, die Andern greifen tiefer and
suchen den Ursprung in heiJuischen Zeiten. Auffällig ist jedenfalls, dass der Umzug
auf dem „hukeraen" P.almesel sich vorzugsweise im allemanischen Gebiete iindetj
dass im deutschen Volks)Kauche auch ein Pfingstesel bekannt ist, dass man ^dl in
Tllereichen spöttisch am P:ilmest;l- ufdi Prni^stescltaj^'c Hlück wünscht, dass ninn -mi
uralten, unheimlich geltenden l'latlen am l'aliniiouuLagc den HrcUel-.Markt anhait
(conf. Birlinger, Sitten und Rechtsbräuche II, 65, 66), dass man in Oberstdorf
den Palmesel schon am Palmabend (wie auch anderwärts) von der ,Hexcn"-Kapelle
abholt und dass der am Palmesei mitziehende Verbannte wieder ehrbar und straffrei
wird. Aber die Isolierung dieser Feierzeit im Knltkalender von den übrigen heidni-
schen Festtagen spricht scheinbar doch filr einen ausserfjewöhnlichen Hintergrund,
der nichts mit dem Heidentum zu thun habe. Mag auch immerhin im Laufe der Zeit
eine ernstere dem Cliristentnrae würdigere Anl&ssang der Passionsseit im Volke durch*
gedrungen sein und mnpen auch die unkirchlichen Bei^'alien zum Palmcsel-Zugc zurück-
gedrängt worden sein, sicher ist es, dass sich die Kutenweibe, die Eier» und Bretsel«
Geschenke, die Verpfliehtung der Metzger (und BMeker) tum Ziehen des Pabnesels
leichter aus einem zeitlich verschobenen heidnischen Frühlingsfeste erklären lassen.
Wie der erste Apriltag der letzte Rest eines zu Anfang April mit Possen, Spösscn
tmd lustigen Schwinkra gefeierten FrttUingsfestes sdn Icann, so mag ^an?. wohl sich
auf diesen Blühen-Ostcrtag, grünen Sonntuj,', Blumentng, Blumen-Sonntag, blauen
Ostertag oder Palm-Tag Verschiedenes aus einer heidnischen Frühlingsfeier übertragen
haben, die je nach der Lokalität verschieden frilh oder spltt nut einem gemeinsamen
Knitmahle begangen wurde, weshalb Bäcker und Bretzelnoarkt, Metzger und Hexen,
sowie unheimliche Stätten an diesem Palmta^e eine fortdauernde Rolle spielten. Ver-
mutlich war dabei eine zur Dämonenvertreibung, d.h. zur Erhaltung von Fruchtbarkeit
und Gesundheit einmal im Jahre (im PrOhjahie) sichtbare hölzerne Figur einer Gott«
heit auft^cbtellt und durch die Felder gezogen worden, die später dem Strassenspotte
preisgegeben und noch später mit dem biblischen I'almesel vereinigt wurde, den die
Kirche aber allmählich aus ihren Räumen wieder wegnahm. — Erfreulich ist es, das«
der so hochangesehene D. O. Alpen-Verein bestrebt ist, dem Volkstume in seiner
Zeitschrift die gebührende Berücksichtigung zu erhalten und begrüsscn wir diesen
Beitrag des Sakbntgcr BibliolÜidian ▼on Stf ele «b dne wertvotte Befetchening der
Volkskunde. — r.
Btrgische Sir^eu. Gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben
von Otto S* li" 11 fünf 1 iclitdruckbildcrn, Elberfeld 1897. Ban-
deker (A. Martini und Grüttefien). XXXiV, 608 S. gr. 8".
Zur Zeit, als die Volkskunde in verschiedenen Ländern noch ein literarisch Nach-
geschlumper anderer, älterer Disziplinen war, hätte „man" es als eine Lächerlichkeit,
wo Tiirht als eine Frechheit bezeichnet, wenn es sich ein Spe/ialisl für slavische Völ-
kerkunde erlaubt haben wurde, ein urwüchsig deutsches Buch, eine Sageusammlung
ans dem deutschesten Gebiete, zu bevorworten. Auch dem Bevorworteten hätte „man"
nicht artig die Meinung ausgedrückt. Seitdem wir Volksforscher so und so vieler
Sprachvölker uns (ohne jede ministerielle Sprachenverordnung) verstehen und kennen
Imten, fisnden wir uns am Urquell des Völkergedankens, als Detailfoischer der Völ-
kerkunde zus.ammen und sind einträchtiglich bemüht, unsere 'Wissenschaft, die sich
weder um nationale, noch politische, noch confessionelle Abgrenzungen das geringste
schert, nach Kräften au fördern. Diesem Bestreben, das leider noch nicht weit über
die Schwelleu unserer Studirstuben hinaus gedrungen ist. verdankt auch unser UrqucU
seine Daseinsbedingung, die Möglichkeit seines wissenschaftlichen Fortbestandes.
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4«
All idi jBach vor acht Jahren «nf Zureden meines Vaters zur Rettung des nach dem
I. Hefte dem Untergang verfallenden Urquells entschloss (der dem „Urdsbrunnen"
entsprungen war), nahm ich mir vor, die Welt nach Gesinnung»- und Fachgenossen
abzusuchen und mir welche im schlimmsten Falle heranzubilden. Die Aufgabe war
um so schwieriger, als man mich gerade dazumal schwer anfeindete und mein bür-
gerlicher Erwerb durch die in Wien grassirende geistige Epidemie fast ins Stocken
gcralcQ vfax. Mit Hingabe meiner spärlichen Mitlei machte ich das über und über
bankrotte Blatt wieder flott und gieng auf die Mitarbeitersuche aus. In Sachen der
Volkskunde und des Urquells schreibe ich seit Jahren Tag für Tag mindestens drei
Briefe, und dazu üugcn ständig viele Tausende von Probeexemplaren noch allen Lan-
den ans. Oft erhielt ich Antworten von nur wildfremden Leuten, die mit dem Urquell
sozusagen ihr Herz fUr die Volkslcunde erst entdeckten. Aber, viele sind berufen,
wenige auserlesen!
Zu den auserlesenen Urquelljflngem zählt auch mein wackerer Freund Herr Otto
Schell in Elberfeld. Er ist am Urquell und durch den Urquell zu einem Volksfor-
scher geworden. Sein Buch ist gleichsam eine Ergänzung zu unserem Urquell, und
ich bekli^ dabei nur eines, dasa es mir mein bescheidenes Einkommen idcht gestattet,
jedem Urquellkunden ein Exemplar dieses Buches als unentgeltliche Beigabe zum
Blatte zu 'liefern. Als mich Herr Schell nach Fertigstellung seines Baches um ein
Vorwort ersuchte, erachtete ich es für meine Pflicht, sdnem Wunsche zu entsprechen.
Die Sammlung ist nämlich ausgezeichnet gut und zeigt Seite für Seite den in un-
serer Umfragenschale ausgebildeten Forscher. An Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit
und einer fttr den Niditfiachmann warscheinlich zuweilen ermüdenden UmsttndlicUceit
lässt die Arbeit nichts zu wünschen übrig. Alles ist darnach angetan, dass man diese
Sammlang als ein für die Sagenforschung Deutschlands grundlegendes Quellenwerk
ansehen muss. Die literarhistorischen Nachweise im Anhange sind eine dimkenswerte
und willkommene Beigabe. Hie und da kann ich einigen Deutungen nicht beipflichten,
doch mochte ich Herrn Schell in Einzelheiten nicht dreinreden, weil doch wohl
auch andere anderer Ansicht als ich sein dürften und ich weder ein Schulfuchs bin
noch Herr Schell mein Zögling bt, den ich auf meinn Lehrmmnungen abzuprüfen
hätte. Mein Vorwort soll dazu dienen, die Fachgenossen, die gewohnt sind meine
Empfehlung zu beachten, auf dieses Buch auf kürzestem Wege aufmerksam /.u machen.
Mit solchen Volksüberlieferungen beschäftige ich mich, seit dem ich angefangen, mit
der Feder in der Hand nachzudenken. Daher leite ich für mich die Befugnis ab,
über ein derartiges Buch auch einmal ein vorgreifendes Urteil gegenüber den Fach-
genoesen abzageben. Man schaiTe es sicli an, urteile selber und schöpfe daxans den
Nutzen, den es nnserer wisseMchaftlichen Richtung gewähren kann. Krnuss.
TAe Elevation and Procession of Th« Ceri at Gukbio. An Account
of the Ceremonies Together with some Suggeslions as to their Origiin
And an Appendix consisting of the Iguvine Loitntion in English By
Herbert M. Bower M. A., London 1897. David Nutt, XIT, 146 p.
Wilhelm Meyer (der g Urania-Meyer^') setzte vor Jahren in einem Feuilleton
auseinander, dass die bedeutendsten Errungenschaften und Fortschritte in der Him-
melkunde von Luen, von nichtberufmässigen Astronomen ausgegangen seien. Fast
das Gleiche dürfte einer von der Volkskunde behaupten. Carrington H. Bolton,
einer der namhaftesten Chemiker Nordamerikas erzählte mir, wie er zum Folkloristen
geworden. Einmal sah er aus seinem Labontorinm Kindern zu, die Abzählreime im
Spiel hersagten. Solche Verse kannte er aus eigener Kindheit, und er fragte sich,
nach dem yVarum der ErscheiQung und suchte es herauszubekommen. Seine Schrift
darttber schätze ich als eine Musterleistung unserer Methode und Disziplin. Bower,
dessen sonstigen Beruf ich nicht kenne, ist auch nur ehs Diletto zu unserem Fach-
genossen geworden, aber sein Üucu als eine dilettantische Arbeit hinzustellen, wäre
eine Dummheit; denn, die Nase eingespannt, es ist beinshe ein Seiteustück zu Bol>
ton 's Counting out Rhymes, nur von anderer Art. Da sass er im Frühjahr 1894 an
einem Wirtshaustische zu Mailand und neben ihm ein fremder, gesprächiger Herr, der
ihm voU Entzttcken von einem Volksfest zu Gnbbio cnKhlte. Wer der Herr war,
weiss B. nicht, was Schade ist, denn er verdient auch unseren aufrichtigen Dank.
Bower machte sich nämlich spornstreichs nach Gubbio auf, widmete volle zwei
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Jahre der Erforschung des Festhrauchc^ um! sehiMerte ihn des LaQf;en und Bretten
in diesem von prickelnder Lebensfreude und Feiertagsstimmuug UbcrlUcssenden g€-
lehrten Werke. Die Daratellttng des Festumzuges (Cap. i. S. i — 18) würde jedem
Lesebuche für höhere Unterrichtanstalten zum Schmuck dienen. Auch die elf Photo-
graphieu unterstützen wirksam das Wort. Die Auflassung des Festpatrones (St. Ubaldo)
und die Parallelen sind zweckmässig^ die Beschreibung der Gilden und der Sommer«
festlichkeiten sehr bcfricdij^Lud, doch hätte ich eine Herbeizichung ähnlicher Gebräuche
aus Tirol, Steiermark und Baiem gewünscht; denn den Sprung über die klaffende
Lücke zweier Jahrtausende zurück auf die Betbruderschaft von Eugubium bin ich zu
kurzatmig ihm nachzuwagen. I^t er wirklich notwendig? Er ist auch rein unmogUcll.
Nirgends im Europa hnt sicli ein \\\\x\\<i\\ au c'ntin Orte in j^leicher Weise durch einen
so gewaltig laugen Zeitraum Ijcliauptcl. Auch der Hinweis uuf die ühnlichcu Maifest-
gebrSucIie zur Erklärung des Brauches ist nicht unerl isslich. Näher liegt eine Iler-
leitung von mittelalterlichclnistlichen KirchenreiSpielen. Dieser hunuirlstische Teil
gehörte, wie ich vermute, schon vom allerersten Anfang an unzertrennlich mit zum Kult
des Heiligen. Der Kultdienst ist seinem Gnindzug nach einer Lustbarkeit gleich.
Wertvolle Belege für diese Auffa-^sung enüuilt m)\\o1i1 von Strele's obgenannte
Abhandlung als auch Brinton's hier weiterbin angezeigtes Buch S. l8o — 186. Auf
die F^rm der Tragsäulen, die bizarr genug ausschauen, kann man kein grosses Gewicht
legen; sie mögen am letzten Ende ihre Entstehung einer launigen Schrulle verdanken.
Wer vermag alles zu ergründen? Das ist eine Kleinigkeit, die neben den zahlreichen,
höchst gelungenen Ausftlhrnngen kaum eine Erwähnung verdiente, hätte ihr B. keine
unverdient grosse Betrachtung gewidmet. Dieses Werk ist der XXXIX. Bd. der neben
der Zeitschrift cinhergehendcn Veröffentlichungen der Londoner Folk-Lorc Society,
mit der auch die amerilcanische in rühmlichen Wetteifer getreten ist. Wir Deutschen
konnten es ihnen nachmachen, wenn, — ja, ,wenn's Wenn nit Wär,* sagte der Bauer,
,hätt' der Pfarrer a a Weibi' Krauss.
Religions 0/ primitive peoples by Daniel G. Brinton. New York
& London, 1897. G. P. Futnam's Sons. XVI, 264, 8*.
Der Übersetzer dieses Buches soll den Titel mit ,Grundriss des ethnologischen
Volksglauliens' verdeutschen, damit es gleich augenfällig wird, dass hier im kleineren
Massstabe ein Scitenstück zu A. II. Po st 's ,Grundriss der ethnologischen Jurisitrudenz'
vorliegt (Vergl. Urquell 1895, S. 4SfO* Ks ist eben, wie dieses, ein I.chrbuch im
besten Sinne de> Wortes, nur war Post ein trocken schematisirendcr Rcchtsgelehrte,
Brinton dagegen ist ein künstlerisch sprachgewandter Darsteller, der selbst den
schwierigsten Gegenstand in anmutiger und leibhafter Art zu behandeln versteht. Um
ganz gerecht zu sein, inuss man hcrvrirheben, dass Pust sein Wcuk für ausdauernde
Leser vcrfasste, Hrintou aber sein P>uch in sechs öffentlichen Vorträgen einem Zu-
hörerkreis betzubringen hatte. Für die Bildungsstufe der höheren Schichte der sieben
amerikanischen Grnssstädlc, wo im vorigen Winter diese I.ccturcs on the ITistory of
Religions abgehalten wurden, ist es ein wahrhaft ehrendes Zeugnis, dass sie für solche
tiefsinnige Auseinandersetzungen Verständnis besitzt. In mancher europäischen Gross-
stadt spräche der Redner vielleiehf nur an einem Abende zu einem vollen Sale.
Brinton ist einer von jenen seltenen Forschern, die selbst vor grosser Gesellschaft
in voller wissenschaftlicher RiEstung eigener Geistes- und Gedankenarbeit auftreten.
Kr lusst die Zuhörer (oder uns die Leser) mitdenken und uiitschaiTen, indem er die
Irrtümer früherer J^'orscher dartut und dann mit bündigen Strichen den richtigen Weg
zur Wahrheit zeichnet. £r ist in der fachwissenschaf^lichen WeltKteratur (die der
slavischen Völker ausgenommen) aller Zeiten ei i^ lisch, wie wenige sonst, am
meisten jedoch in der Überlieferung der Indianer. Ei schöpft aus überschäumendem
Strom mit weiser Umsicht, wie einer, der sich seines Reichtums bewusst ist. Nur
entsteht dabei, besorge ich, für den Anfönger in der Volkskunde, ein einseitiges Bild
des Entwicklungszustantles der Keligionc'n. indem das Schwergewicht in Brinfnns
Darlegung immer auf den (jlauben der Indianer fälk; wir in Europa, die wir unter
weisshäutigen Indianern, will sagen unter weissen Völkern forschen, wissen aber, dass
unsere Volkstümer nn wichen T'.ewtisstiickpn, wi«" die von Brinton angeführten, auch
keinen Mangel leiden. Unsere europäischen, landläufigen Mythologien sind nur etwas
zu landsmännisch-national gehalten, so dass die religionswissenschafUicben, allgemeia
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menschlichen nesichtspunlctc dadurch verschoben werden. Wir müssen uns darum die
amerikanische Methode, die Briatoa im ersten Vortrage beleuchtet, mehr anzueignen
tiachteiL, dann liat der zweite Vortrag über den Ursprung und den Inhalt der primi«
tiven Relifrionen, der TIT. TV. und V. über die primitive religiöse Ausdrucksweise
durch das Wort, den Gegenstand und den Brauch, und schliesslich der Vi., der die
Entwicktttn^hicbten primitiver Religionen blosslegt, fttr uns nichts fremdartiges mehr.
Diese Vorträge hat Brinton auch Ülr uns gehalten. Kranss.
VII. Ausweis
über dte zur Grfindung einer Urquellstiftung von 10,000 Fl. mr Förderung der
VolksfoTschung eingeflossenen Spenden:
Stand des Fonds (vrgl. Urquell, N. F. Band I. S. 360) 734 Fl. 6.W,
^Zur Abrundung" spendete Börsenrat Herr LeopoldLanger . . 66 ,
Zusammen 800 « j» n
Weitere Spenden übernimmt der derzeitige Verwalter der ürquellstifitung
Wim VIT/2. Neustlfteasse la. r* • j ■ u o
20. Der. 1897 I'»»«^"«»» S. Kranss.
Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals £. J. BRILL.
INDUSTRIE DES CAFRES
DU SUD-EST DE L*AFRIQUE.
COLLECTION RECUEILLIE SUR LES LIEUX
CT
NOTICE ETHNOGRAPHIQUE
PAK
HENDRIK P. N. MULLER.
DESCRIPTION DES OBJETS REPRESENTÄS
PAR
JOH. F. SNELLEMAN.
(X, 50, 6 ff. musique, 27 planchcs noir et col. avec explication,
108 paedes), gr. in-4''.
Portefeuille en toile dor6 et coul / 17.50
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Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals £. j. BRILL.
i^rchiv für Etbnographie (Internationales), hrsg. voq Dr. Krist. Bahnson, Copen-
hagcn : Prof. F. Boas, Worcester, U. S. A.; Dr. G. J. Doiy, im Haa^; Prof. E. H.
Giglioli, Floreoz; A. C.iif^driLf, St. Petersburg; Prof. E. T. Ilumy, Paris; Prof. H.
Kern, Leideoj J. J. Meyer, Oeogarang (J^^^)) l*rof. G. Schlegel, Leiden: Dr.j.D. £.
Schmelts, Leiden; Dr. Hjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. £. B. Tylor, Oxford. —
RedactioH : Dr. J. D. E. Schmelts. -1887 — 1897. Vol. I — ^X. (Mttcctaw. u. col. Taf.). 4«,
Vannee de 6 lirr ...........y* 12.—
Supplement zu Band I;
Otto Stoll, l^e Ethnologie der Isdi«nersiäinne von Gostemala. 1889. (Mit s
col. T«f.). / 4.—
Supplement zu Band ITT :
Max Weber, Ethnographische Notizen über Flores und Celebes. 1890. (Mit 8
col. T«f.), 4». • • / 9.—
Supplement zn Baad IV:
D«Tid M%c Ritchie, The Atnos. 1 892. (Mit 1 7 col. u. 2 schw. Taf.). 4*. / 1
Supplement zu Band V :
W. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893. (Mit 2 col. u. 6
schw. Taf.). 4". . » . ♦ « , . . / 6. —
Supplement zu Band VII:
F. W. K. Müller, Nang, Siamesische Schattenfiguren im Kgl. Musenm für Völ«
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit 4 SChw. «. 8 COl. Taf.). 4^ / 9. —
Supplement zu Band IX:
Ethnographische Beitrage. Festgabe zur Feier des yoM^n Geburtstages Ton
Ftof. Ad. B«sii«n. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4*. / 6. —
l'm Museen, Bibliothckcu und Privatpersonen. \\elLlic die Zeitschrift bis jct/t
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecuniä-
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern^ habe ich mich entschlossen, den neuen
S'iibscribenfen auf den XI Band die l)i>!ier erschienenen Pamle, so lange der
noch vorhandene geringe Vorrath dies gestattet, zu ennassigten Preisen zu über-
lassen, und zwar:
Bd. I — X (Ladenpreis 210 Mark) zu M. 150. — .
Bd. I — X mit sämmtlichen Supplementen (Ladenpreis 288 Mark) zu M. 170.<>-.
Da von den letztgenannten sieben Bänden mit !älmmtlichen Supplementen nur
noch sehr wenige vullstandi^e Exemplare abzugeben sind, dttrfte CS sich emp-
fehlen, etwaige Jicstcliungeu darauf baldigst zu crtheilen.
Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inncr-Arabieu.J 1896. Theil I. 8*. Mrk. 7.50
Jacobs, J., Het Familie- en Kamponglcven op Groot-Atjeh. Eeue bijdrage tot de
ethnographie van Noord-Snmatra. Uitg^. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk.
Genootsehap. 1894. 2 dln. (Met 17 photlith. en 6 geld. plateu) gr. in-8<*. Mrk. 25.50
gebunden . . Mrk. 28.90
{.»andb^g, C. de, B4sim le forgeron et Harun Er-Rdchid. Texte Arabe en dialecte
d*£gypte et de Syrie. Publik d^aprb lea Mss. de Leyde, de Gotha et du Catre et
accümpagn£ d'une ttadttction et d^iin glossaire. I: Texte, tradition et proverbes«
18SS. S" Mrk. 5.—
Martin , K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf
gc^iuodete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-S**. Mrk. 34.-^
Martin, K., Reisen tn den Molukken, in Ambön, den Ultassem, Seran (Ceran) und
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung
der Niederländischen Regierung^. 1894. a Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf.,
I color. Karte und 18 Textbildcru). gr. in-8*. Mrk. 21. —
Spitta-Bey, G., Contes arahes modernes recueillis et traduits* Texte arabe en caract.
at.^avec la ttadnction fianf. 1883. 8* Mrk. 6.50
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INHALT.
Proben von chinesischer Folklore. Von Gustav Schlegel I.
Guslareniieder. VI. Die Milchbriider. Mitteilungen von Krauss 5.
Judendeutsche VoUnlieder aus Russbtod. Mitteilungen von L. Peres . . . . 27.
Stolpern und Hiafiälen. Von A. Treichel . . .
Lebendige Richlschwerter. Von R. Sprenger 31.
Volksmedizin (hcl galizischen Juden). Von Dr. E m i 1 F r i e dl ä n c3 e r . . • • 33*
Der Nohelskrug. Finc Umfrage von R. Sprenger. Beitrag von Josef
Buchhorn Z4'
VolksrKtsel aus Pommern. Gesammelt von Asmus. Litenuriscbe Anmerkungen
von Dr. A. Brunk .... i .... ^ 35'
Das Kind in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beitrige VOn
Isaak Robinsohn, Josefine Kopccky und Colmar Schumann. . 39»' *^
Tierstimmen im Voiksmunde. Eine Umfrage von Dr. A. Brunk. Beiträge von
Jozef Cornelisscn * 43*
Folklotutische Findlinge, i. Öechischer Alltagsg^ube. Von Moris Franken-
stein. — 2. Wiedokelirende Geister in Galinen. Von Dr. Emil Frted-
l an der. — 3. Die Froschhexe. Von K 4Ä.
Vom Büchertisch: R. von Strclc's Skizze über den „Palm-F.ser'. Angezeigt
von — r. — O. Schell Bergische Sagen j H. M. Bower's Procession of
the Ceii at Gubbio und D. G. Brinton's Religions of primitive peoples.
Angescigt von Krauss 47* -
Wir hitten unsere Mifarbeiti'r^ sich aus Rücksicht für unsere hollandischen SetSCT
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DER URQUELL.
Eine Monatschnft für Volkskunde.
Herausgegeben
Friedrich S. Krauss.
Das Volkstum ist der Völker Jungbrunnen.
« •
Der neuen Folge Band II. Heft 3 und 4.
liUCilllANDLUNG U. DRUCKEREI
E. J. BRILL
LEIDEN — 1898.
G. KRAMER Verlag
in HAMBURG.
St. rauli, Th.il>ir. »4 , I.
1898.
Sedaetioa: Wien, Üstenreicbf Vll/a. K«ustiftgasse 12.
Einläufe.
*' • ••
{A* Bastian]: Lose Blätter aus Indieii. II. Batana. ^897, Alb r «eilt ft C». 140
112 + XXXVI + 8 S., gr. 8»._ ^
Knecht Ruprecht und seine nenonen. Von Frans Weliitek(S. A. Ndl. MitU). Guben
1898. 56 S. 80. Sell.stvcrhiy. • ' -
ManasÜr Kalenic zadu2biaa de^pota Slefana La£arevica.(i405 — 1427) napisao M. Cy.
MUUattt. BcogCMl 1897. XVI, 54 S. 8*. serb. Akttoie).
0a0Ml und Erzählungen aus dem Kreise Kolbei^ — Körlin. GeHurndt und hrigi
P. Aamus und O. Knoop. Kolberg 1898. C. F. Post. 100 S. 8».',
Das St. Martins- und St Nicola«sfiBat in Dttsseldotf, von Kleialer. 8 S. 8«. A.
Schneider, Düsseldorf 1897.
KIu o bum bsdus pai siiin po. Eine verkürzte. Veraon des Werices von den Hun-
' dertuusend Näga^s. Tibetischer Text mit graphischea imd kritisGlwn Erliatemngen.
Von Bathold Laufer. Berlin 1897. G. Unger. 39 S. gr. 8«.
Sder, Robert: Sonderabdrttcke: Der Sagenkreis vom Zaunkönig, Ii S. Der Kuckuck^
in Dichtung und Glauben der Völker, 1 7 S. ^ — Die Bedentung des Stieglitzes auf
alten Madonnenbtldem. — Der Seideniehwans (BonA^pUaglhmUa);
Boas, Franz: Northern Clements in the mytboli^ of die NaTsIio. (Am Antbt.). ~
Eiikinva tales and songs (Folklore Journal).
Hötler, M.: Die geschlossene Zeit. (Big. AUg. Ztg. Mttnchen, 1897, Nr. 286, S. 7).
Pitre, G. : Motti dialogati siciliani. 7 p.
Wlislockl, H. 7.: Das sogenannte ,Pl)araonsUed" der Zigeuner. Z. D. M. G. 1897, p.
485—498. '
Sartori, P.: Glockensagen and (Mockenabergkube. S. A. ZtMhr. d. Vcr. f. V. 1897,
870—86; 385—69.
Rogasener Familienblatt, bisg« v. fiioop. i. Jahrg. (EntiOlt vorwiegend ^oUdote).
Niederl ausitzer Mitteilungep, Guben 1897. V B. (K* GflOdar: Ans dem Gebiete der
Viehzucht, S. 57 — 67).
Antiquarische Kataloge für Folklore. '
Catal(^ue de Livres d'Occasion Anciens et Modernes relatifs aux Sciences Occultes
etc. ete. III. Pub i898..Lacian Bodin, 43. Qu4 ^ts Grands Augustins. &i£hilt
917 Bflcbertitel. Preise aooebrnber. ' * '
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Socialpsychologische und geographische Perspektive.
Von T h. A c h e 1 i s.
Wir stehen jetzt in dem ganzen Gebiet wissenschaftlicher For-
schung unter dem Zeichen der Arbeitsteilung, das erfährt auch
zu ihrem Heile die Völkerkunde; in der Tat kann es ihrer Ent-
wicklung nur förderlich sein, wenn möglichst eingehende Special-
Untersuchungen ihre Basis immer mehr festigen. In dem Gefühl
dieser steigenden Consolidirung, die selbstverständlich ihrerseits wie-
der eine günstige Wirkung auf die Methodik ausübt, vergisst man
gelegentlich die Bedeutung der allgemeinen Principien, der leitenden
Grundsätze der ganzen Untersuchung oder man construirt wohl
einen scheinbar unversöhnlichen Gegensatz zwischen beiden Auf-
fassungen. Das ist unseres Erachtens der Fall bei der Polemik
gegen den B ast i a n 'sehen »Vöikergedanken*, der, nachdem er
vielleicht für eine Zeit lanj^ seine Dienste getan, zum alten Eisen
geworfen werden könne. Wie so häufii^ in der Geschichte der
Wissenschaft droht der übelberatene Eifer kühner Reformatoren
den ruhigen Gang sachlicher Prüfung im Frage zu stellen.
Zunächst suche man sich unbefangen die Situation zu veigegen-
wärtigen, aus der jene socialpsychologische Anschauung als schärf-
ster Ausdruck für die geistige Einheit des Menschengeschlechts sich
mit Notwendigkeit ergab. Nachdem bekanntlich Max Müller
schon mit äusserstem Erstaunen afrikanische Märchen und Fabein
bei den Zulus constatirt hatte, die unseren allbeicanntcn auf ein
Haar glichen, sammelte sich im Lauf der Jahre ein solcher Schatz
übereinstimmender Sitten, Gewohnheiten, m)rthologischen und reli-
giösen Glaubens, künstlerischer und rechtlicher Vorstellungen bei
den stammfremdesten Völkerschaften an, dass (wenigstens bei dem
zeitigen Stande der Forschung) an keine directe Übertragung und
Entlehnung gedacht werden konnte. Ich begnüge mich aus der
schier unübersehbaren Fülle des Materials nur auf die schlagenden
Parallelen im Rechtsgebiet hinzuweisen. Blutrache, Brautkauf, Frauen-
raub, das sog. Männerkindbett, Mutterrecht, Consolidarität des Stam-
mes in Vermögensverhäiitnissen u. s. w. sind derartige gleichartige
4
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Tatsachen im Völkerleben, die man beliebig vermehren könnte.
,Was will die historische oder ethnographische Methode mit der
seltsamen Erscheinung anfangen' (ruft Post aus), »dass bei mehre-
ren Kaukasusvölkern, den Reddies in Südindien und den Chibchas
in Neugranada gleichmässig sich der Brauch findet, dass unmündige
Knaben mit erwachsenen Mädchen verheiratet werden, welche so-
lange mit Männer leben, bis der Knabe zu seinen Jahren kommt,
und dass die Kinder, welche aus diesem Zusammenleben hervor-
gehen, zum Teil als Kinder dieses Knaben angesehen werden?
Wir werden nicht zu erwarten haben, dass uns je eine historische
Kunde darüber zu Teil wird, wie dieser Brauch entstanden ist'
Es hat sich, wie schon angedeutet, unwiderleglich herausgestellt,
dass auch hier keine ethnographische Verwandtschaft, keine sog.
völkerpsychische Individualität irgendwie bestimmend ist, sondern
lediglich die betreffende Organisationsstufe, das sociale Milieu, das
mit organischer Notwendigkeit überall und zu jeder Zeit dieselbe
Institution, dieselbe Anschauung hervortreibt. Diese Universalität
rechtlicher Vorstellungen, welche bis auf einen ziemlich genau
bestimmbaren Kreis sich als ein Gemeingut des Genus Homo
sapiens verfolgen lässt, wird nun gar nicht dadurch erschüttert,
wie man gelegentlich meint, dass in der Tat directe Übertragungen
und Entlehnungen von einem Völkergebiet aus dem anderen vor-
gekommen sind, wie die Reception des römischen Rechts von uns
Deutschen oder das Eindringen islamitischen Rechts in Afrika oder
des indischen in Birma; hier handelt es sich um einen historisch
nachweisbaren Process, wo im Folge überlegener Cultur eine Fer-
mentirung des socialen Lebens stattgefunden hat, die öfter auch
nicht unbedenkliche Gährungen nach uch zieht. Aber auch hier würde
diese Übernahme nicht erfolgreich sein und den ganzen Volks-
organismus umwandeln, falls nicht eine gewisse psychische Gleich-
artigkeit, eine annähernd ähnliche Stufe des Bewusstseins erreicht
wäre; auch hier tritt jede individuelle Bedeutung gegenüber den
grossen socialen Strömungen völlig zurück. Ahnlich liegt der Fall
in Mythologie und Religion, wo die früheren durch die Sprach-
wissenschaft gezogenen Grenzen ethnographischer Verwandtschaft
weit, weit übersprungen sind. Auch dieses Factum gehört trotz
aller Fehlgrifte im Einzelnen zu den unerschütterlichen Documenten
der Völkerkunde, und sie werden nicht irgendwie in Frage gestellt
durch die kühne Vermutung Ratzel's: ,Wir wagen voraus zu
t) Bnitune filr «iike «Ug. RecbtswiM. I, 16.
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53
sagen, daas in der religiösen Sphäre der entferntesten afrikanischen
und australischen Völker Keime oder Reste indischer oder ägypti-
scher Überlieferungen zu finden sein werden, gerade wie in ihrem
übrigen Culturbesitz. Die indischen Elemente im malayischen Glau-
ben gehören schon heute zu den fest bewiesenen Tatsachen und
reichen vielleicht bis nach Hawaii und darüber hinaus nach Ame-
rika' '). Wir können von unserem Standpunkt aus uns nur auf
das Entschiedenste gegen eine solche verhängnissvolle speculative
Behandlung nach gewissen allgemeinen fadenscheinigen Möglich-
keiten bei Problemen erklären, die nur (für die ethnographisch-
geogpraphische Perspektive) durch exacte Nachweise sich lösen
lassen. Ratzel, der hervorragendste Vertreter dieser genauen
topographischen Forschung und ebenso erklärte Feind des sozial-
psychologischen Standpunktes, äusserst sich folgendermaassen : ,Die
Lehre von der Entwicklung des geographischen Besitzes wird nicht
geschaffen werden, solange der Völkergedanke die Geister beherrscht.
Denn dieser lenkt vom Studium der geographischen Verbreitung
ab. Wenn Stäbchenpanzer im Tschuktschenlande, auf den Aleuten,
in Japan und in Polynesien gleichsam durch eine generatio aequi-
voca des menschlichen Intellects in's Dasein treten, so genügt die
Untersuchung eines einzigen Falles dieser Art, alle anderen zu
verstehen. Dann ist es mehr der Geist des Menschen als die Er-
zeugnisse dieses Geistes, welche die Ethnographie interessiren ;
dann hat es geringen Wert, die geographische Verbrc^itung irgend
eines ethnographischen Gegenstandes sorgsam zu untersuchen, und
die Völkerkunde kann die Hülfe der Erdkunde entbehren. Man
sieht, wie äusserlich die Verbindung zwischen Ethnographie und
Geographie sein mviss, wenn die ungeographische Scheu vor gros-
sen Entfernungen dazu fuhrt, eine ganze Anzahl besonderer Schöp-
fungsmittelpunkte von Waffen, Geräten, Sitten und Gebräuchen zu
schaffen, statt zu fragen : ,Wie konnte die Entfernung zwischen
zwei Erdstellen, wo ähnliche Varietäten desselben ethnographischen
Gegenstandes erscheinen, überbrückt werden' ^) ? Ein fest unaus-
rottbares Vorurteil versteckt sich in dieser unfreundlichen Verur-
teilung, nämlich der seltsame Gedanke, dass die socialpsychologische
Perspektive völlig und auf jeden Fall mit der geographischen
Untersuchung unverträglich wäre: Umgekehrt, sie ergänzen einander
auf das beste. Ist bei irgend einer auffallenden Übereinstimmung
zwischen Angehörigen fremder Rassen das Problem zur Beantwortung
I) Vttlkerk. I, 38, 2» Aufl. a) AnÜuopogMp. II, loi.
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%4
gestellt» so wird zunächst eine vorsichtige geographisch-historlsclie
Untersuchung über die etwaigen Berührungen dieser beiden hete-
rogenen Völkerschaften (mit allen Zwischenstation der Übermitte-
lung) einzusetzen haben, und gelingt es ihr, den exacten Nachweis
zu liefern, so wird schwerlich irgend eine Theorie des Völkerge-
dankens dies Ergebniss in Zweifel ziehen wollen. Aber wo dies
inductive Mittel versagt, wo nach Lage der Sache niemals eine
solche Construction gelingen kann und in Folge dessen abenteuer-
liche Phantasien entstehen (wie die Hypothese A. Fornander's
über einen etwaigen Zusammenhang zwischen den Hawaiiern und
den Cushiten), was bleibt da für die Kritik Anders übrig, als zu
der doch gewiss nicht von vorneherein unglaubwürdigen Annahme
von der selbständigen Entstehung gleicher Gefühle und Gedanken
bei ähnlichen Zuständen und äusseren Reizen zu greifen, die schon
der ahnungsvolle Geist Sc hiller 's empfahl und der die meisten
bedeutenden Ethnologen gefolgt sind? Wir können uns nur aus
vollem Herzen der besonnenen Auseinandersetzung Altmeister
Basti an 's ausschliessen, der so den bedrohlichen Streit der An-
sichten zu vermitteln sucht: ,Der Völkergedanke wurzelt in den
geographischen Provinzen, unter topischen Wancklunocn der psy-
chisch begründeten Elernentargcdanken , und insofern besteht in der
Ethnologie kein Gegensatz zwischen psychologischer und geographi-
scher Richtung. Auf den historisch dem Globus längs geographischen
Bahnen eingegrabenen Geschichtsw^egen mögen die hin und her
strömenden Einflüsse auf weiteste Entfernungen hin verfolgbar sein,
auf unbestimmt weiteste a priori; aber deshalb desto unverbrüch-
licher, strenger wird eben postulirt, dass nur uns so genauer (a
posteriori) die Behauptung zu pracisiren sei. Je mehr Möglichkeiten
möglich sind, desto schärfer wird die Beweisführung verlangt, damit
sie beweisend ausfalle. Immanent einwohnend verbleiben dabei die
Elementargedanken im ethno-psychischen Wachstum, dessen Gesetz-
lichkeiten ebenso unab weislich an sich bereits vorauszusetzen sind,
wie die der Zelle als Elemente im pflanzlichen '). Es ist in der
Tat ja recht wohl denkbar (obwohl auch dieser Punkt schwer fest-
zustellen ist), dass, wie Ratzel betont, die menschliche Technik
und Phantasie sich im Ganzen und Grossen von einer erstaunlichen
Beschränktheit und Enge zeigt, dass wenig originelle Erfindungen
an verschiedenen Stellen des Globus gemacht werden, aber es ist
doch anderseits höchst bezeichnend, dass gegenüber den grossen
l) Controversen in der Etbnol. I, 53.
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SS
Parallelen im Glauben der Völker selbst Ratzel sich zu folgendem
Zugeständnis veranlasst sieht: ,\\ cnn wir höher steigen' (es handelt
sich vorher um künstlerische Übereinstimmungen in der Ornamentik),
,so kommen wir zu jenen mythologischen Entwicklungen der Götter-
und Seelenlehren und der Kosmogonien, welche Pflanzen vergleich-
bar, deren Samen der Wind verträgt, uberall wo Menschen sind,
gleich in Grundgedanken, aber auch erstaunlich ähnlich in Einzel-
heiten aufspriessen und oft wuchernd sich entfalten. Die Überein-
stiiuniungcn und Ähn'iclikeiten sind auf diesem Gebiete so häufig,
das selbst Beobachtern, \\elche i^ar nicht einmal weit uin sich
sahen^ solche Anklänge aultlclcn, IlarlL, der eine Satfensamnilung
des Amazonengebietes anlegte, fand sofort die :scluvauenjun;jfraLi,
den Werwolf, das Überholen im Wettlauf eines schnellen '1 icrcs
(Hirsch) durch ein langsames (Schildkröte) heraus. Und sie sind
nicht vereinzelt, sondern treten in ganzen Mythenbauten und Sagen-
kreisen auf, wie Bleek einen im Reineke Fuchs in Afrika darge-
stellt hat. Natürlich liegen auf diesem Fade die Verwandtschaften
nicht so offen vor Augen, me wenn wir Urnen oder Panzer, Ver-
körperungen von vergldchsweb einfu^hen Formgedanken vor uns
haben. Die Phantasie arbeitet ungestaltend an den Vorstellungen,
die ein Geschlecht dem anderen in leicht veränderlichen und selbst
dem Missverstande nicht ganz entzogenen Worten überliefert. Die
Einkleidungen mögen von Ort zu Ort wechseln» wesentlich bleiben
zwei Dinge bestehen: der unverwüstliche Grundgedanke und die
zufällig in diesem oder jenem Teil unveriindert erhaltenen Einzel-
heiten der Einkleidung' '). Zu solchen unverwüstlichen, elementaren
Ideen rechnen wir den grossen, fast unübersehbaren Complex des
Animismus, um mit Tylor zu sprechen, ,des Ahnencultus, der
Dämonologie, der Vorstellungen über die Schicksale der Seele, der
Entwicklungsphasen des religiösen Bewusstseins überhaupt' u. s.w. —
Wer hier noch Hoss mit Entlehnung und Übertragung auskommen
kann, mit dem ist nicht zu streiten, weil er sich absichtlich die
Augen verschliesst. Mit vollem Recht entgegnet R. Andree den
Fanatikern der geographischen Methode (es handelt sich um die
Verbreitung oder etwaige selbständige Erfindung der Masken):
,Man sieht, wohin man schliesslich mit dem Wandern aus einem
Centraipunkt anlangt und letzterer kann dann endgültig nur auf
ein einziges Individuum zurückgeführt werden, in dessen Gehirn
die erste Conception der Masken entstand. X, ein ägyptischer
l) AnOuop. II, 718.
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Priester zur Zeit der so und so vielsten Dynastie, erfand die
Maske. So ungefähr würde im Verfolg die Wandertheorie sich
gestalten, wenn der historische Reweis zu erbringen und die Mö-
gh'chkeit dai t niciit ■^v^kugncL werden. Alle Eisenbahnen der Welt
führen auf das Histörchen vom Theetopf Watt's zurück'
Auch eine wichtige philosophische Erwägung zwingt uns zur
principiellen Anerkennung des socialpsychologischen Gedankens.
Wer in der geistigen Entwicklung der Menschheit mit uns das
inductive Material zum Aufbau einer umfassenden Psychologie
sieht, um die stufenweise Entfaltung des Bewusstseins empirisch
zu erfassen, der kann unmöglich in dem Individuum, in der plan-
mässigen, überlegten Erzeugung geistigen Lebens (sei es nun irgend
eines Werkzeuges, einer Institution oder einer Vorstellung) den
Gipfel und die Kroae des ganzen Vorganges erblicken. Wenden
vnr nur jenen mechanischen Gesichtspunkt äusserer Mitteilung und
Aneignung an, so fallen die grossen treibenden socialpsychischen
Factoren, welche Tun und Treiben- des Menschen und ganz be-
sonders des primitiven Naturmenschen beherrschen, fort, mindestens
kommen sie nicht zu ihrem Recht. Wer sich aber nicht durch
blendende Phrasen täuschen lässt; wer sich klar macht, dass unsere
Seele einen unendlich verschlungenen Complex psychischer Tätig-
keiten darstellt und insbesonders» wer sich dessen gewiss wird, dass
unser persönliches Bewusstsein nur einen spärlichen Ausschnitt
unseres gesammten seelischen Lebens überhaupt ausmacht, der
kann sich auch nicht mit dem landläufigen individualpsychologi-
schen Standpunkt begnügen. ,Nur der Denkproces,' bemerkt Post,
»verläuft vollständig im Bewussten. Alle Gefühle und Begehrungen
werden uns nur als Resultat bewusst, und eine Menge von Urteilen
sind nicht logische, sondern unvollständige, mit der Norm, auf
deren Grund sie gefallt werden, im Unbewussten liegende. Ist dies
richtig, so ist Idar, dass unser Bewusstsein fiir die tiefere Erkennt-
niss des menschlichen Wesens durchaus nicht ausreicht, weil nur
ein ganz kleiner Teil unseres Seelenlebens uns überhaupt unmittel-
bar bewusst wird. Was wir durch Hineinschauen in unsere eigene
Seele ergründen können, ist bald erschöpft. Unendlich aber dehnt
sich das Erkenntnissgebiet aus, wenn man neben der inneren Selbst-
beobachtung die Beobachtung mittels der Sinne zur Erkenntnis
der menschlichen Seele heranzieht, mit anderen Worten, wenn man
aus den Erscheinungen des unbewussten Seelenlebens in der Welt
i) Ethnognph. Fandlelen, N. F. S. loS.
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unserer Sinne Rückschlüsse auf die in uns wirksamen unbewussten
SeeleutciLigkcilcn macht' '). Dass deshalb unsere persönliche Wert-
schätzung irgend welcher ethnologischer Tatsachen weit entfernt
von der wünschenswerten Objectivität eines wissenschaftlichen Ur-
teils ist, leuchtet von selbst ein, und die im Werden begriffene
Social-Ethik wird daher nicht ohne Grund ihr wesentliches Mate-
rial aus dem überreichen Arsenal der Völkerkunde entnehmen
müssen; Derselbe Grundsatz gilt aber mit ungeschmälerter Kraft
für das Verständnis und die Analyse der grossen mythologischen
und religiösen Ideenwelt, die vollends über den beschränkten
Rahmen individueller Kraft und Erfindung hinausreicht. Die Zei-
ten, wo man sich in dieser Beziehung mit dem schönen Bilde der
, Religionsstifter' begnügte, — in ihnen wahre Titanen und selbst-
schöpferische Genies verehrend — sind wohl auf immer dahin.
Ein altägyptischer Weltscliöpfungsmythus.
Von A. W i e d e m a n n.
Auf das Engste hängt im alten Ägypten das religiöse Empfin-
den des Volkes mit seinem gesammten Fühlen und Denken zu-
sammen. Der Ägypter zeichnete sich, wie dies bereits den Völkern
des klassischen Alterthums auffiel, durch seine grosse Frömmigkeit
aus; in jeder seiner Verrichtungen, auch der alltäglichsten, spielten
die Götter oder Dämonen eine Rolle; im Wachen wie im Schlafen,
von der Geburt bis zum Grabe und weit über dieses hinaus um-
schwebten ihn Geister, bald gutherzige, die ihm hülfreich zur Seite
standen, bald bösartige, die ihn und sein Glück zu verderben
strebten. Ihrer musste er Herr werden und bleiben, wollte er irgend
ein Ziel erreichen, sollte seine Gesundheit und sein Leben nicht
Gre&hr laufen, wollte er nicht auf ein Fortleben in einem Jenseits
voll Glück und Befriedigung verzichten. Dieses innige Band zwi-
schen Glauben und Leben wurde dadurch noch fester geknüpft,
dass die Religion nie zum abgeschlossenen Dogma ward, sondern
Hand in Hand mit der übrigen Kulturentwicklung in stetem Flusse
blieb. Im Nilthale gab es keine heiligen Schriften, denen jede
Glaubenslehre ihre Grundl^e und Berechtigung entnehmen musste,
t) Einleitinig in 4m Studium der ethnol. Jumprudenz, S. 14.
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an deren Inhalt jeder Ägypter fest zu halten gehabt hiitte, wollte
er nicht als Abtrunniger vom (ila-uben der Väter erscheinen. Hier
traten keine Dichter auf, deren mythologische Ausführungen das
religiöse Denken hätten beherrschen und systematisieren können.
Solchen Ausweg hatte das Hellenenthum gefunden, um zu einem
einheitlichen Glauben zu gelangen, ohne denselben in die Fesseln
eines Systems zu schlagen. Ihnen schufen Homer und Hesiod, wie
Herodot II. 53, Xenophanes u. a. mit Recht hervorheben, ihre
mythologischen Vorstellungen. Naturgemäss geschah dies nicht in
dem Sinne, dass sie ihre Lehre frei erfanden, wohl aber in dem,
dass sie die Widersprüche der ihnen vorliegenden Mythen aus-
glichen, die Legenden in Verbindung setzten und so Götterge-
schichten und Göttergenealogien feststellten, auf welche die Nach-
welt immer und immer wieder zurückgriff. Dies hat nicht zu ver-
hindern vermocht, dass auf den Boden des alten Hellas, wie später
auf dem Roms, als dieses in historischer Zeit Griechenland die
homerische Götterwelt als eigenen Besitz entlehnte, die alten lo-
kalen Kulte bestehn blieben und sich weiter entwickelten. Die
homerisch-hesiodeische Mythologie war trotzdem der gemeinsame
Boden, auf dem das innerste Empfinden der gräco-italischen Stämme
sich zusammen fand ; allen Wucherungen des Volksglaubens gegen-
über bildete sie ein festes, unerschütterliches Ganzes.
In Ägypten war dies anders. Hier fehlte jede wie nur immer
geartete Dogmensammlung, jeder Versuch einer zusammenfassenden
Darstellung der Mythologie, ja sogar jede Möglichkeit, eine Art
Katechismus herzustellen, dessen Inhalt als die ägyptische Religion
hätte gelten können. Nur einmal im Verlaufe der Jahrtausende
langen Geschichte des Pharaonenreiches ist der Versuch gemacht
worden, dem gesammten Volke einen einheitlichen Glauben auf-
zudrängen. Es geschah dies, als der König Amenophis IV um '
1450 v. Chr. zwangsweise die Verehrung seiner henotheistischen
Gottheit, des AUn, der Sonnenscheibe, einzuführen trachtete. Ihr
sollten alle andern Götter weichen oder in ihr aufgehn; mit ihnen
auch der Gott, der damals seit einigen Jahrhunderten, zwar nicht
dem Namen nach, aber doch thatsächlich das ganze ägyptische
Pantheon zu durchdringen begonnen hatte, der Sonnengott Ra,
der, im Gegensatze zu der reinen Naturgottheit des Aten, einer die
Sonne beherrschenden intelligenten, anthropomorph gedachten Kraft
entsprach.
Der Versuch des Königs, der soweit ging, dass er seinen eigenen
Namen Amenophis ,Gabe des Amon*' abstreifte, da er den Namen
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eines der alten Götter, des Amon, enthielt, und der sich nunmehr
Chu-n-aten ^Glanz der Sonnenscheibe" nannte, misslang. Der
Aten-Kult ward nach seinem Tode durch eine priesterliche Reak-
tion unS'idrückt, de Ra-Glaube begann von Neuem seine Sieges-
bahn. Em Gott nach dem andern ward ihm verschmolzen, aus
Amon ward Amon-Ra, aus Chnuni Chnum-Rä, u. s. f. Die Götter,
die den Namen des Ka vci schmähten , n ihmen doch seine Kigen-
schaften an, so dass zu der Zeit, als die Griechen Ägyptens Boden
besetzten, hier so gut wie alle Gottheiten mehr oder weniger zu
Göttern der Sonne und ihrer Eigenschaften geworden waren, der
Sonne an sich, der Morgen-, Mittag- oder Abendsonne, der ver-
sengenden Sonnengluth, der befruchtenden und ernährenden Son-
nenwärme, und ähnlicher Begriffe. Dieser Prozess war ein durchaus
freiwilliger, der sich wie mit Natumothwendigkeit im Denken des
Volkes vollzog, kein aufgezwungener. Ein Ägypter, auch der helle-
nistischen Zeit» hätte sich sehr gewundert, hätte man ihm gesagt,
sein Glaube sei eine Sonnenreligion. Zwar waren seine Götter in
ihren Lebens- und Machtaäusserungen identisch geworden, allein
soweit ging man nicht, sie einander nunmehr auch dogmatisch
gleichzustellen. Jeder unter ihnen fristete ein selbständiges Dasein
fort, bis das Ägypterthum überhaupt zu Grunde ging und 'das
christliche Kreuz die eingestandenen und die nicht eingestandenen
Sonnengötter zu Boden warf. Nur als Kobolde, Riesen, Schlangen
und sonstige dämonische Wesen von sehr beschränkter Macht haben
sie neben dem Christenthume und später neben dem Islam sich
zu erhalten vermocht. Der alte Glaube ward in den ersten Jahr-
hunderten unserer Zeitrechnung zum Abei^lauben herabgewürdigt,
dem der Priester und dann auch der Ulama feindlich gegenüber
trat
Die Innigkeit, mit welcher dergestalt im Nilthale der Glauben
das Volksleben durchsetzt, zwingt den Forscher, wenn er dem
Äg>'pterthume volkskundlich näher zu treten sucht, stets bei der
Religion den Hebel anzusetzen. Sie ist hier nicht nur eine mehr
oder weniger wichtige unter den mannigfaltigen Erscheinungsformen
des Volkslebens; sie ist unter allen Äusserungen der Volksseele bei
weitem die wesentlichste, ein Gedankenkreis, der alles Dichten
und Trachten, alle Sitten und Gebräuche durchdringt und beherrscht.
Dabei ist die Religion aber, wie bereits angedeutet, keine einheit-
liche, sie setzt sich aus den heterogensten Bestandtheilen zusam-
men, die dem Ägypter alle gleich berechtigt erscheinen. Ihm gilt
es gleich, ob eine Lehre oder ein Mythus auf Grund unserer mo-
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6o
dernen Schultemtinologie in das Gebiet des Glaubens oder Aber«
glaubens gehört, ob wir ihn als Religion oder Magie, als Gottes-
erkenntnis oder Zauberei einordnen würden. Ihm sind alle der-
artigen Klassificationen fremd, für ihn giebt es keine mehr, keine
weniger berechtigte Lehren. Dabei geht der Ägypter so weit, dass
er auch die schroffsten Widersprüche ruhig neben einander duldet,
dass jeder Vorstellungskreis in mehreren verschiedenen Auffassungen
und Abänderungen vertreten sein kann.
Derartige Widersprüche und Abarten der Lehren mussten sich
naturgemäss eigeben, denn Jahrtausende haben an der Bildung des-
sen gearbeitet, was jetzt als ägyptische Religion der Forschung
vorliegt Männer aus allen Volksschichten, vom Könige und Ge-
lehrten beginnend bis hinab zu dem Handwerker und Ackersmann
haben ihr Scherflein beigetragen um im Spiegel des Glaubens ein
Abbild ihres Denkens und Fühlens der Nachwelt zu hinterlassen.
Dabei blieb jeder Beitrag erhalten; nie hat der Ägypter versucht
sjrstematisch alte Lehren auszumerzen, um Raum fiir neue Ge>
dankenkreise zu gewinnen. Die neuen setzte er unvermittelt neben
die alten oder pfropfte sie auf diese in häufig sehr wenig logischer
Weise auf.
Diese Entstehungsweise der ägj^tischen Glaubenslehren hat den
religiösen Vorstellungen des Volkes ihren unverwischbaren Stempel
aufgedrückt. Unmittelbar neben den erhabensten Ideen finden sich
die rohesten und ursprünglichsten Gedankengänge. In ein und
demselben Texte begegnen uns geistige Errungenschaften der ver-
schiedensten Jahrtausende, unbekümmert darum, ob sie zusammen-
passen oder nicht.
' In Folge hiervon tritt die ägyptische religiöse Überlieferung dem
modernen Forscher als ein Chaos entg^en, und es kostet zunächst
einige Überwindung, sich in die Irrgänge dieses Labyrinths hinein
zu wagen. Hat man es aber gethan, hat man sich von dem aprio-
ristischen Wunsche frei gemacht, ein einheitliches ägyptisches Re-
ligionssystem zu finden, wie ein solches eben niemals bestand, und
geht den einzelnen Gedankengängen nach, so gewinnen die Texte
von Tag zu Tag an Interesse. Aus diesen religiösen Texten er-
wächst ein Bild des Sinnens und innern Lebens, der gesammten
Volkskunde im weitesten Sinne des Wortes der Menschen, welche
an den Ufern des Niles weilten von der Zeit der Pyramiden, also
mindestens dem vierten Jahrtausend v. Ch. an bis in die Zeiten
der Griechen und Römer, wie ein solches von gleicher Reich-
haltigkeit und Farbenpracht kein anderes Volk des Alterthumes
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6i
aufzuweisen hat. Jeder ncuerschlosscne Text gicbt dem Bilde neue
Lichter, und neues, frisches Leben erblüht aus jedem Bruchsteine
der ägyptischen Überlieferung. Einem dieser Bruchsteine sollen die
folgenden Seiten gewidmet sein, einem eigenartigen, bisher nicht
im Zusammenhange behandelten und entsprechend gewürdigten
uralten Weltschöpfungsmythus.
Die Zahl der theils vollständig, theils nur bruchstücksweise be-
kannten ägyptischen Schöpfungsmythen ist gross. Eine lange Reihe
von Gottheiten wird gelegentlich als Schöpfer der Welt bezeichnet;
Ra, Osiris, Chnum, Ftah und andere machen sich diese Ehre streitig.
Bald hat ein Gott allein das Werk vollbracht, bald ward er dabei
von andern Gestalten unterstützt, sei es, dass diese als Diener mit
Hand anlegten, sei es, dass sie selbständig die von dem ersten
Gotte begonnene Schöpfung weiter itihrten. Auch die zur Erzeugung
neuer Wesen und Gegenstände ai^ewendeten Mittel sind verschie-
denartig. Bald sind es materielle Kräfte, welche die Götter aus-
lösen; mit Gewalt zerreissen sie das AU und trennen den Himmel
von der Erde. Ein anderes Mal formen sie die Welt auf der Tö-
pferscheibe, dann wieder bilden sie ein Weltei, aus dem alles ent-
steht. Andere Gewährsmänner kennen als Schöpfungsmittel nicht
die Kraft, sondern das Wort. Der Gott sprach den Namen eines
Dinges aus und das Ding ward. Wieder andern erschien auch dieser
Weg noch zu mühselig und einer Gottheit nicht entsprechend wür-
dig. Nach ihnen begnügte sich der Gott damit. Laute auszustossen,
die an sich jeden Zusammenhanges mit dem Dinge entbehrten,
welches bei ihrem Klange entstand; ein Vorstellungskreis, welches
später von den gräco-ägyptischen Gnostikern bis in das Einzelste
durchgearbeitet worden ist Aber auch er bietet wieder Ver-
schiedenheiten dar. Bald sind es beliebige Buchstaben, insbesondere
Vokal-Reihen, welche ertönen, bald wurden diese durch Naturlaute,
ein Lachen, ein Schmalzen mit den Lippen und andere mehr ersetzt.
Auch die eigenthümliche Behauptung, die Pelusier hätten die Blähung
als Gott verehrt scheint in diese Anschauungen hinein zu gehören.
Wenn die dem Munde entspringenden Laute schöpfende Wirkung be-
sitzen konnten, so konnte man eine solche ebensogut jeglichem andern
Naturlaute zuschreiben. Selbst das Weinen der Götter wird in gleichem
1) Vgl. hierzu Dieterich, Abraxas. Leipzig 1891 und Maspero^ Creation by
tbe voice aod the Ennead of Hennopolis in The 9'^ intern. Congress of Orientalists.
Communications. WokiDg 1892, Stüdes de mythol. II p. 372 flf.
2) Hieron. 13 in Jes. c. 46 j cf. Clementin. X. 76; Minucius Felix, Oct. 28^
Tbeoph. Aat. Oct. 1. 15; Orig. c. Geis. V. 36.
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62
Zusammenhange oft erwähnt. Insbesondere den dem Horus-Auge
entströmenden Thränen verdankte die Menschheit zahlreiche Ge-
genstände, vor allem Weihraucharten und derartiges mehr. Dass
ein Mythus selbst die Menschen aus Thränen entstehn lässt, wird
weiter unten des Naiicin auszuführen sein.
Die gewöhnlichste Weise, in welcher die Texte Götter entstehn
lassen, ist die einfach natürliche, dass sie von einem Vater erzeugt,
von einer Mutter geboren werden. Um dies zu ermöglichen, musste
selbstverständlich die Präexistenz zweier Gottheiten, einer männ-
lichen und einer weiblichen, angenommen werden, wie dies denn
in der That in zahlreichen ägyptischen Mythen geschieht. Gele-
gentlich hat man die Zahl der präexistierenden Wesen aber noch
verringert und nur einen Gott bestehn lassen, der allein den
Schöpfungsakt vollzog.
Die Art und Weise, in der sich der Ägypter in einem solchen
Falle den Hergang bei der Schöpfung dachte, schildert am ein-
gehendsten der umfangreiche hieratische, aus dem Jahre 306/5 v.
Chr. datierte Papyrus nr. 10188 des British Museums zu London,
der 1860 in Theben entdeckt erst in die SaninilmiL KhiiiU unci dann
an Uas gcaumile Museum gelangte. Der Inhalt des I'apyrus ') ist
sehr verschiedenartig, — er cntliait Festgesänge der Göttinnen Isis
und Nephthys, Litaneien des Gottes Sokaris, das Buch von Nieder-
werfen des Apcpi — uns interessirt hier zunächst aui eine der m
ihm verzeichneten Legenden, die sich im Texte zweimal (p. 26,
I. 21 ff. und p. 28, 1. 20 ff.) verzeichnet findet.
Das Auftreten eines derartigen Duplikates in einem ägyptischen
religiösen Papyrus hat nichts Auffallendes. Diese Texte enthalten
nicht zusammenhängende Werke, sondern Compilationen aus den
verschiedensten Schriften, aus denen der jeweilige Schreiber oder
sein Auftraggeber bald das eine, bald das andere Capitel zur Auf-
zeichnung in seinem Papyrus sich auswählte. Dabei geschah es
nicht selten, dass der Schreiber, wenn sich zufällig in zwei der
von ihm benutzten Vorlagen ein und derselben Tesct fand, den-
selben gedankenlos zweimal abschrieb, unbekümmert um den wie-
derkehrenden gleichen Inhalt Er konnte dies um so unbesorgter
thun, als sein Werk gleich nach dem Abschlüsse einem Todten mit
l) In hieroglyphischer Umschrift mit Übersetzung herausgegeben von Budge in
Archäologia LII^ Westminster, 1891. Kurse Bemerkungen ttber der Text bei Pleyte
in Ree. de trav. rel. h. l'Egypt. III p. 57—64 und Budge in Pioc. Soc. Bibl. Arch.
IX p. Jti — 2Ö. Ein StUck in poetischer Weise übersetzt von Brugsch, Religion der
alten Ägypter S. 740 ü
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«3
in die Gruft gegeben werden sollte, und somit die Wahrschein-
lichkeit verschwindend klein war, dass je ein sterbliches Auge
seine Leichtfertigkeit entdeckte. Aus demselben Grunde, in dem
Gefühl der Sicherheit vor jeder Nachprüfung ihrer Arbeit, gaben
sich die Schreiber überhaupt bei ihrer Thätigkeit wenig Mühe.
Die für die Todten bestimmten Texte pflegen von den gröbsten
Fehlern, Verschreibungen, Weglassungen von Buchstaben, Worten
und ganzen Sätzen geradezu zu wimmeln. So bewahrt beispielsweise
das Mus^e Guimet zu Paris ein Papyrusblatt der thebanischen
Zeit (etwa 1200 v. Chr.), welches ein Todtenbuchstück vorstellen
soll, thatsächlich aber nur ein Conglomerat zusammenhangsloser
Satzbruchstücke und Buchstaben bildet. Die Un Zuverlässigkeit selbst
der Texte, die auf den ersten Blick sorgsam geschrieben erscheinen
und künstlerisch schöne Vignetten zeigen, geht so weit, dass es
häufig unmöglich ist, ohne zu Ratheziehung mehrerer Abschriften
des gleichen Textes seinen Sinn zu erkennen, seinen Inhalt zu
übersetzen.
So muss es denn auch bei unserem Schöpfungsmythus mit Freude
begrüsst werden, dass ein glückliches Ungefähr den Schreiber des
Papyrus veranlasste, in seiner Flüchtigkeit den Bericht doppelt zu
verzeichnen und so dass Verständnis seiner Gedanken zu ermög-
lichen oder doch zu erleichtern. Die Fassung, in welclie er das
erste Mal seinen Bericiit kleidet, lautet in möglichst wortgetreuer
Ubersetzung folgendermassen, wobei wir die für des Verständnis
des Textes nothwendigen Erläuterungen demselben etwas eingerückt
gedruckt beifügen:
.,Das Buch von Kennen die Werdungen des Ra, von Nieder-
werfen den Apepi'*.
Der Stamm cheper, zuelcher im Folgenden regelmässig mit
Werden und den davon abgeleiteten Substantiven wiedergegeben
wird, bedeutet: werden^ sein, existiren, dann werden lassen, u. s.f.
Von ihm leitet sich u. a. der Name des Gottes Chepera ab,
eigentlich der Werdende, dann die tuerdende Sonne, die Mor-
gensonne, die sich der Aegypter, wie die Sonne überhaupt, männ-
lich dachte. Im Gegensatze zu Chepera gilt bistveilen Tum als
Gott der Abendsonne ; meist ist Tum ebenso wie Rä im Allge-
meinen ein Sonnengott, zuelcher unter dem Namen Tum insbe'
sondere in Heliopolis Verehrung fand.
Apepi ist eine grosse Schlange, welche als Hauptfeind der
Sonne aufgefasst die Mächte der Finsternis und des Bosen
darzustellen berufen ist. Täglich muss sie besiegt werden, soll
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«4
die Samte nicht zu Grunde gehn, und demzufolge wimmeln die
Texte von Beschwörungsformeln, welche diese Niederwerfung
des Apepi ermöglichen und erleichtern sollen. Zu vernichten ver-
mochte man ihn freiUch auch mit deren Hülfe nicht; kaum
besiegt^ erhob er sich wieder, um am neuen Tage von Neuetn
die Samte zu bedräuen. Wie der Wechsel von Licht und Dunkel
nie sein Ende findet, so dauert auch der Kampf zwischen Rä
und Apepi fort bis in alle Ewigkeit, und dies um so mehr,
als der ägyptischen Mythologie der Gedanke an einen Weltun-
tergang gefehlt zu haben scheint,
„Worte des Herrn des All":
Herr des All ist ein häufiger Titel für verschiedene Götter.
Meist wird er m den auf das Jenseits bezüglichen Texten für
Osiris, den Herrn der Unterwelt verivendet. Daneben aber ist
er, wie in diesem Texte, auch eine Bezeichnung des Sonnengot-
tes, der als Schopf er der Welt auch den ersten Anspruch auf
deren Beherrschung haben musste.
„Er sprach, nachdem er ward: Ich bin der Werdende als
Chepera. Als ich ward, wurden die Werdimgen, es ward alles
Werdende nach meinem Werden. Znhireirh waren die Werdungen
(d. h. Gestaltungen), die hervorgingen aus meinem Munde. Nicht
ward der Himmel, nicht ward die Erde, nicht waren geschaffen
die guten uad die bösen Schlangen an dieser Stelle (d. h. auf
der Erde).'*
Eine älinlicJie Schilderung des Zustandes vor der ScJiopfung
findet sich in der Grabpyraniide des Königs Fepi I aus der
^ten Dynastie [um jooo v. Chr.) Z. ööj — ^ ; „Pepi ward gebo-
ren von seinen Vater Tum. Damals ward noch nicht der Him-
mel, nicht ward die Erde, nicht ivurdcn die Menschen^ nicht
wurden geboren die (lOtter, nicht ward der Tod.^*
Der Satz, der mit .„die guten und die bösen Schlattgen' wie-
dergegeben ist, laufet ägyptisch sata-n fedfet-u. Erster es
Wort ist mit dem Deutzeichen der Schrif trolle versehen, so dass
es genau genommen mit Erdbodengegenstände übersetzt werden
müsste. Die Zusammenstellung mit fedfet ^^Reptir zeigt je-
doch, dass hier ein Versehn vorliegt und dass das Deutzeichen
in die Schlange zu verbessern ist. sata bezeichnet nämlich auch
speziell die Schlange und zwar insbesondere die gute Schlange,
den Agathodämon des Tempels. Der Schlangen wird bei duser
Gelegenheit vor allen Wesen gedacht, wie diese Thiere überhaupt
in dem ägyptischen Gedankenkreis eine ungetnetn grosse Rolle
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sfuUn* Immer und immer wieder treten sie in den Texten
auf. Beschwörungen der Reptilien bilden v<m der Zeit der Py-
ramidenerbauer bis zu der der Griechen und Römer den Haupt-
bestandtheü der manchen Formeln; in den Darstellungen des
Jenseits begegnen sie auf Schritt und Tritt, Offenbar waren
die Thiere im Alterthum im Nilthale noch weit verbreiteter als
jettt und wurden dadurch so gefährlich, dass sich die Volks-
Phantasie nothgedrungen immer und immer wieder mit ihnen
beschäftigte.
,Ich erhob sie (d. h. Himmel, Krclc und Reptile) aus dem ür-
gewässer Nu, aus der Unthätigkeit. Nicht fand ich einen Platz, an
dem ich stehn konnte. Ich strahlte in meinem Herzen, ich plante
Schu, ich machte alle Grestalten. Ich war allein. Nicht hatte ich
mich ausfliessen lassen inschcsch) als Schu, nicht hatte ich mich
austräufeln lassen [tef) als Tefnut."
Der Gott Schu und seine Schwester Tcfnut spielen in den
ägyptischen Texten eine ziemlich grosse Rolle. Sie stehn in den
Götterdynastien in Memphis hinter Ptah und Ra, in Theben
hinter Amon-Rä und Tum. Abgebildet tu er den sie bisweilen als
zwei Löwen oder als Doppellöwe und gelten in später Zeit als
Sternbild der Zwillinge, Vor allem ist in Heliopolis von ihnen
die Rede, zusammen mit Tum bilden sie dessen grosse Herrn
{Todtenbuch 88. 4), zusammen mit Rä dessen Geister [l. c. iiß.
7). Dem Todten brachten sie frischen Hauche besonders den
Hauch des Nordwindes. Mythologisch gelten sie zumeist als
Sonnengottheiten. In der Sage von der Vernichtung des Men^
schenge schlechtes setzt beispielweise Ra, als er die Regierung
niederlegt, Schu als neue Sonne für die Menschen ein (vgl,
Wiedemann, Religion der alten Aegypter, S. daher zvird
der Gott auch häufig mit der Sonnenscheibe auf dem Haupte
dargestellt i auch seine Incorporationsform, der Löwe, weistauf
einen Zusammenhang mit dem Tagesgestirn hin. Das Todten-
buch gedenkt seiner schöpferischen Thätigkeit, Er erhob die
Sonne {ly. 50), die Pfeiler des Himmels {lop. j), u, s. f. Für
den eigentlichen Kult kommen Schu und Tefnut weniger in Be-
tracht, in ihm erscheinen sie stets erst an zweiter und dritter
Stelle hinter den Lokalgottern, von denen sie an Bedeutung weit
überragt iverden.
„Nicht ward ein anderer, der arbeitete mit mir. Ich plante in
meinem eigenen Herzen, dass werde eine Fülle der Werdungen, der
Werdungen in Werdungen von Geborenen, in Werdungen von
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66
ihnen Geborenen. — Ich begattete mit meiner Faust, ich trieb
Unzucht mit meinem Schatten, ich liess Flüssigkeit aus meiner
Öffnung flicssen [eher), ich selbst."
Der 'Schatten bildet nach altägyptischer Anschauung einen
Theil des nnsterbliclien Ichs des Menschen und des Gottes {vgl.
Birch in Transactions of the Soc. of Bibl. Arch. VTII, p. ^Sö ff.;
Wiedemanu, the ancient Egyptian doctrme of the tmmortalUy
of the soul. London i8<^5).
Für' Oeffnung hat das Original das Wort re, welches ge-
wöhnlich den Mund bedeutet, daneben aber auch die Mundartige
Oeffnung anderer KörpertJieile und Dinge, hier dem Ztisam-
menhange nach die des nuuudichen Gliedes.
Das Deutzeichen hinter dem Worte eher ist eine ausßiessende
Wunde. Dies zeigt, dass das Wort hier nicht tu seinem üblich-
sten Sinne sprechen aufgefasst werden darft sondern fliessen
bedeuten niuss.
„Ich floss aus [aschesch] als Schu, ich tropf aus [tefnut] als Tef-
nut. — Es sprach mein Vater Nu : Sie zittern."
Wir haben hier eine echtägyptische Inconsequenz vor uns.
Eben noch war Rä der Gott, der alles schuf, jetzt ist unver-
mittelt von seinem Vater Nu die Rede, d. h. von dem personi-
fizirten Urgewässer, bez. dem als Flüssigkeit gedachten Chaos,
aus luelchem andere Legenden die Welt und die Götter cntstehn
lassen. Unser Text fasst dagegen ini Allgetneinen diesen Xn
nur als die präexistirende Materie auf^ tteben welcher der euie
Gott gleiclifülls präexistirt.
^Mein Auge war inntcr ihnen seit Jahrhunderten. Sie trennten
sich von mir, nachdem ich ward aus eiueni Gott diei GoUer in
Bezug auf mich. Ich ward in diesem Lande. Es freuten sich dar-
über Schu und Tefnut in dem ruhigen Wasser, in weichem sie
waren. Sie brachten mir mein Auge in ihrem Gefolge.**
Der Sinn dieses auf den ersten Blick unklar erscheinenden
Satzes ist: Als ich Schu U7id Tefnut erschaffen hatte, zitterten sie —
wohl niejkt aus Ehrfurcht vor ihrem Schöpfer, sondern als Beiveis
ihrer Lebensfähigkeit, wie auch Batau in dem um i joo v. Chr.
niedergeschriebenen Mährchin des Pap. d'Orbiney XIV, i als sein
Leben ihm zurückgegeben wird^ zunächst an allen Gliedern zit-
tert — und mein Auge, die Sonne, war Jahrhunderte lang hinter
ihnen und leuchtete ihnen. Dam aber wurden sie selbstständig,
so dass es nunmehr drei selbstständige Götter gab. Als dies
Ereignis eingetreten war, begab ich mich auf die neu erschaff
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«7
fefie Erde, und als dies Sehn und Tefnut, die zunächst in dem
regungslosen Urgezvässer geblieben zuaren , bemerkten, freuten
sie sich, kamen zu )nir und brachten mir in ihreni Gefolge mein
Auge, die Sonne, die zuerst bei ihnen geblieben zvar, wieder zurück,
„Darauf sammelte ich meine Glieder, icli weinte über sie, da
wurden die Menschen aus den Thränen, die hervorgingen aus
meinem Auge."
Der Gedanke, dass die Menschen aus den Thränen des Son-
nengottes entstanden, begegnet uns öfters in den Texten. In der
Darstellung der vier Menschenracen im Grabe Seti I (um 14^00
V. Chr. — Leps. Denhn. III. 136^'. Z. 10 — 12) sagt der hier
als Horns ber.eichnete Sonnengott von den Aegyptern: Ihr sind
eine Thräne [remitj meiner glänzenden Persönlichkeit in Euerm
Namen als Menschen (ret-u). Der Sonnengott fiiJirt denn auch
den Namen des Weiners (roni. — Naville, Litanies du soleil,
nr. 21, p. ^0), und wird ^.der zveinende Gott'' (remiuti) im
Grabe Ramses IV (um i2§o v. Chr.) angerufen, dem Könige
Leben zu verleihen; es heisst von derselben Gestalt, sie habe
sich durch ihre Thränen gebildet, u. s. f. — Auch andere
Dinge entstanden aus der Thrätien der Sonne; so bemerk! der
magische Papyrus Salt nr. 825 in London, der aus der ersten
Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. stammt (übersetzt von
Birch, Ree. of the Past VI, p. 115)1 ^JVenn die Sonne zum
zweiten Male — das erste Mal fehlt in dem unvollständigen
Texte — weint und Wasser aus ihren Augen fallen lässt, so
verzvandelt dieses sich in Arbeitsbienen, die arbeiten in Blumen aller
Art und Honig und l \ achs zvird hervorgebracht statt Wasser'^
Die Kraft der Thränen schöpfend zu wirken, findet ihre
Begründung darm, dass in ihnen, tvie in jedem Körperiheile
und in jeder Ausscheidung ein Theil des Ichs, dem er zugehört
oder von dem sie ausgeht, sich befindet. Daher verwendet der
uitagyptische Magier geradeso wie dies die Beschwörer in an*
dem Ländern zu thun pflegen, für seine Zauberkünste gern
etwas von dem zu beschwörenden Menschen oder Ding Her-
stammendes um hierdurch seinem Zcmber die fii&thige Unterlage
oder eine vermehrte Kraft zu verleihen. So knetet nach einer
altägyptischen Sage {übersetzt Wiedemann, ReL der Aegypter,
5. 2g ff.) Isis aus Erde und dem Speichel, der aus dem Munde
des Sonnengottes geflossen war, eine Schlange, deren Biss so
verderblich tu werden vermag, dass er den Sonnengott seWst
mit dem Untergänge bedrohte* Nur durch eine Gegenbeschwö-
S
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6S
rung, die er sich von Isis tJieuer erkaufen musste, vermochte
er sich zu retten. Konnte man keines Theilcs des betreffenden
Wesens habhaft ivcrden, so zeichnete inan zvenigsiens dessen
Bild und zauberte an und Uber diesem, denn auch für den
Aegypter verkörperte sich im Bilde ein Theil des dutgcstellten
Wesens. Wer das Bild schädigt, schädigt dessen Urbild, die
Vernichtung des Bildes kann sogar die des Urbildes zur Folge
haben. Statt des Bildes kann endlich beim Zauber auch der
Name des Gottes oder Menschen Verwendung finden, auch er
gilt als ein integrirender BestandtJieil des durch ihn Bezeichne-
ten. Seine Kenntnis und damit seine Besitz kann gegebenen"
falls Macht über den Träger des Namens gewähren ^ ).
,Da ward es (mein Auge) wüthend gegen mich, als es kam und
fand, dass ich mir ein anderes (Auge) gemacht hatte an seiner
Statt» es ausstattend mit Glanz. Ich that es in seinen Platz an
meinem Kopfe. Nachher beherrschte es diese ganze Erde.'*
Rä hat sieht als ir sein Auge im Urgewässer Burüekliess,
ein neues, also eine zweite Sonne, geschaffen. Als die erste Sonne
ihm wieder gebracht wird und dies steht, wird sie Ober den
ErsaU ergiimi, dock gelingt es Ra, sie dadurch gu besänftigen,
dass er sie wieder an ihre alte Stelle in seinem Haupte einsetzt.
,Es fiel ihre (der Augen) Wuth (?) auf ihre Pflanzen» ich ordnete
wieder, was sie (die Wuth) in ihr (der Erde) fortnahm. Ich ging
hervor aus den Pflanzen ; ich schuf alle Reptilien, alles Werdende
in ihnen. Es gebaren Schu und Tefnut den [Seb] und die Nut*).
Es gebaren Seb und Nut den Osiris, den Hor-chent-nen*ma, den
Set, die Isis, die Nephthys aus ihrem Leibe, einen nach dem
andern von ihnen. Ihre Kinder mehrten sich auf dieser Erde.'*
Hor-chent-nen-ma ist eine besonders m der Stadt LetopoUs
verehrte, als bUnd gedachte Form des älteren Horns, des Aro'eris
der Griechen (der jüngere Morus ist ein Sohn der Isis und des
Osiris), welche die Sonnenfinsternis symbolisirt, Ihr war die
Spitzmaus heiäg, die nach Plutarch, Symp, IV. j in Aegypten
gbttUch verehrt ward, weil sie als blind galt und die Finsternis
älter war, als das lacht s).
1) rii 1 rüesen Zusammenhang von Bild und dargestelltem Gegenstand vgl. Wie«
de mann, Image et Mot dans TEgypte ancienne iu der Zeitschrift L'Egypte I p.
573 — 80; ttber die Bedeutung des Namens u. ». Wiedemann, Le livre des Morts
in Le Mus6on XV p. 49 fT.
2) Der zweite Text hat hier nur »Nut", der erste „und Nut" ; die Ergänzung „Seb"
ergiebt sldi daiavs, dass «ndere Urlomden ihn stets mit Nat »1 einem Paar verbinden.
3) Wiedenaaa, Herodots Zweites Buch S. »89 f.
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69
Nach den Angaben des Mythus glühten anfangs die Sonnen
zu heftig auf die neu er grünten P flammen, so dass Rä sich ge-
swungen sah , einzugreifen und die verdorrten und damU von
der Erde fortgenonunenen Gewächse neu zu ordnen, d. h. wie-
derzubeleben. Dann kam er aus den Pflanzen hervor und
erschuf die Reptile, deren liier aus denselben Gründen besondere
Erwähnung geschieht, wie am Anfange der Legende.
Die Reihenfolge der Schöpfung ist demnach diesem Mythus
zufolge: Präexistenz des Rä und der Materie Nu, Rä erschafft
Schu und Tefnut, dann die Erde mit ihrer Sonne, letztere er-
schafft die Alenschen, Schu und Tefnut treten aus dem Urge-
Wasser, die untere und die obere Sonne vereinigen sich, Entste-
hung und Rettung der Pflanzen vor der Sonnengliiih, Schaffung
der Reptilien, Geburt der Götter des Osiriskreises. — Letztere
sind dannach jiuiger als die Pflanzen und Reptile, zcas andern
Legenden widerspricht, die Osiris als ihren Schopf er preisen.
So bemerkt beispielsweise ein der i6'^'" Dynastie entstammender
Hymnus an Osiris ^ ) : „er ( Osiris ) machte mit seiner Hand die
Erde, ihr Wasser, ihre Luft (wörtlich: ihren Wind), ihre
Pflanzen, alle ihr Vieh, all ihre Vogel, all ihr Geflügel, alle ihn
Reptilien^ alle ihre Vierfüssler (wörtlich: ihre Ziegen)"
Die zweite Version, in welclier der zu besprechende M3^hus im
Papyrus auftritt, erscheint zunächst fast doppelt so lang, als die
erste es war; allein bei näherer Durchsicht erkennt man bald, dass
dies nur scheinbar ist. Der Schreiber hat bei ihrer Aufzeichnung
höchst unsorgsam gearbeitet und lange Stücke doppelt aufgenom-
men. Diese Stücke finden sich einmal an der logisch richtigen
Stelle, an welcher sie der erste Text enthält, und dann vorher
oder nachher an irgend einer Stelle, an der der Schreiber durch
irgend ein ähnliches Wort im Texte bewogen, unbekümmert um
den Gesammtsinn, den Satz nochmals aus seiner Vorlage abschrieb.
Auf diese Weise entstand ein wirres, unklares Durcheinander,
welches jedoch immerhin an einzelnen Stellen Versehn des ersten
Textes richtig zu stellen gestattet und die Übersetzung durch
kleine Zusätze philologisch fester zu begründen erlaubt. Ausserdem
aber, und dies ist liir uns hier von fast grösserer Bedeutung, hat
l) Siele zu Paris, Bibl. nat., pnW. T r irain, Mon. Egypt. de la Bibl. nat pl.
21—265 vgl. Chabas, R6v. arch. XIV i p. 65 ff., 193 flF. 1857. Obige Stelle
stdit Z. II.
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17b
der Autor den Wunsch gehabt, emeii neuen mythologischen Ge-
danken in die Composition einzuführen : Er hat zahlreiche Anspie-
lungen auf die Namen der Götter und ihre Zauberkraft angebracht,
um so der Magic und dem Beschwörungswesen mehr Förderung
angcdcihcn zu lassen, als dies durch den Zusammensteller des
ersten, nüchterneren Textes geschah.
Der Beginn dieser zweiten Version, der zum Vergleiche mit der
Fa^sun^^r der ersten hier in Ubersetzung folgt, bietet gleich ein
Beispiel für dieses stärkere Vorwiegen solcher magisch-mystischen
Bestrebungen :
„Als ich ward, wurden die Werdungen, ich ward in den Wer-
dungen des Chepera (d. h. ich nahm dessen Gestaltungen an),
werdend zum ersten Male. Ich ward in den Werdungen des
Chepera. Als ich ward, wurden die Werdungen meines Seins (?)
zu den Götterkreisen, die ich machte. Ich ward zu den Götter-
kreisen in meinem Namen Ausars, die Götterneunheit der Götter-
neunheiten.**
Ausars ist ein sonst unbekannter Götter name oder Beiname.
Man hat an einen Zusammenhang mit dem Namen Osiris ge-
dacht, allein dieser wird in dieser Zeit Usar oder ähnlich
geschrieben und besitzt niemals ein s am Schlüsse, Eher könnte
man, zvenn auch ziveifelnd, in ihm eine Verbalform sehn wollen
au-se-ar-s ^man ituukl ihn'' d. h. den Götterkreis.
^Ich mache alles, was ich wünsche in diesem Lande, ich mache
es breit, ich ordne mit meiner Hand. Ich war allein, nicht waren
sie (die übrigen Götter) geboren, nicht war ich ausgeflossen als
Schu, nicht war ich ausgeträufelt als Tcfnut. Ich biaciite mich
selbst herbei, nämlich meinen Zaubernamen."
Die Schöpfung von Schu und Tefnut wird zweimal hinter ein-
ander wörtlich gleich berichtet: „Ich begattete mit meiner Faust.
Ich brachte mein Innerstes (wörtlich: mein Herz) aus dem männ-
lichen Gliedei es fiel aus meiner Öffnung (re),"'
Das Wort für dtu mätmOeke GUed lautet hier äaä, was auf
den Stamm äa gross sein zurUckgekt, den genauen Sinn zeigt
das Deutzeichen des Phallus, was darum wichtig ist, weil das
Wort sonst nur sehr selten eine entsprechende Bedeutung hat,
doch bezeichnet es immerhin eine ithyphalle Erscheinungsform des
Sonnengottes (NaviUe, Litanies du soleil nr. j^, 44; p. jo, jjj
und mit gleichem Deutöild den als besonders lasciv geltenden EseL
„Ich floss aus als Schu, ich tropf aus als Tefnut, ich ward in
Bezug auf mich aus einem Gotte drei Götter» die "da wurden in
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7>
diesem Lande* Da freuten sich Selm und Tefnut in dem ruhenden
Gewässer, in dem sie sich befanden", u. s. f.
Der Kern dieses Schöpfungsmythus, der Punkt, der sein Haupt-
interesse bedingt, ist die eigenthümliche Art und Weise, in wel-
cher derselbe Schu und Tefnut entstehen lässt *). Die älteste An-
spielung auf eine derartige Schöpfung durch Masturbation *) findet
sich in den Inschriften der Königs-Pyramiden der 6ten Dynastie
(um 3000 V. Chr.), in denen ^) es heisst: „Tum ward ein Onanist*)
in Heliopolis. Er dehnte aus seinen Phallus mit seiner Hand, er
machte sich ein Vergnügen ') mit ihm, es wurden geboren die
Zwillinge Schu und Tefnut." — Im Todtenbuche ist an einer
bereits in den thebanischen Texten häu6g auftretenden Stelle®) die
Rede von Rä, der Unzucht treibt in Bezug auf sich selbst. — In
den Ritualbüchern der Götter Osiris, Amon-Rä, Tum, Ptah und
der Isis, die wir beispielsweise in Abschriften aus der Zeit Seti I
(um 1400 V. Chr.) besitzen '), bemerkt man von Tum „Du fliesst
aus als Schu, Du tropfst aus als Tefnut," ein Satz, der sich in
gleicher Form bereits in den Pyramidentcxten ') vorfindet. — Ein
pantheistischer Hymnus in Hibis aus der Zeit des Königs Darius ')
besagt: ^Die Götter gingen aus Dir, oh Amon, hervor. Du fliesst
aus als Schu, Du tropfst aus als Tefnut um Dir zu formen die
neun Götter am Anfange des Werdens, Du bist das Zwillingspaar
der beiden T.nwen," d. h. Schu und Tefnut. — Etwas jünger ist
ein der Ftokmäerzeit entstammender Text zu Kdfu '*^}, in dem der
1) Nach andern Texten waren Schu nnd Tefilvt die Kinder des RA und der IbUiw
(vgl. z.B. Maspero, Huide de Boulaq p. 157"), und nach einer Pyramiden-Inschrift
(Unas Z. 558 f.) bUdetcB die beiden Gutter des Doppellowen, Schu und Tefnut, selbst
ihre Körper.
2) Nicht in diesen Kreis darf man die häufig ithyphall dargestellten Götter Amon-
Ri, Chem u. a. stehnj sie sind als Götter einer natu^emässen Zeugung gedacht und
auch in den FUlen^ in welchen ihre Bilder mit einer Hand nach den Geschlechts*
theilen greifen (T^eps. Dcnkm. III, 275r) oder diese umspannen (I.eps. Denkm. III,
189^) ist nicht an Masturbation, sondern an eine Begleiterscheinung des natürlichen
Akts an denkra.
3) Pepi I Z. 465—6 = Mer-en-rÄ Z. 528 — 9.
4) Das Wort sau bedeutet eigentlich : von hinten etwas than, hinter jemanden sein,
oder handeln. Es wird an dieser Stdle mit den Bilde eines Mannes, der sein Glied
mit der Hand umspannt, determinirt, so dass über den einzusetzenden Sinu kein
Zweifel bestehn kann. Ursprünglich mag es der Grundbedeutung entsprechend den
FSderasten oder etwas Shnliches beseichnet haben, wie denn Anspielungen atif homo»
sexuale Beziehungen zwischen Männern auch sonst bereits in alten ägj'ptischen Texten
auftreten, wie s. B. Pyramide Teta Z. 286 » Pepi 1 Z. 38 = Mer-en^rä Z. 48.
5) Das Wort ist mit dem Glied detemunirt
6) Turiner Text 17 Z. 9; vgl. Navillc, Todtcnbuch II p. 39.
7) Publ. Marie ttc, Abydos I p. 51; cf. pl. 47/'. Ein unedirter Text der glei-
chen Zeit steht an der Ost-Wand des grossen hypostylen Saals zu Kamak.
8) z. B. Pepi II Z. 663. 9) Brugsch, lliesannis p. 634 Z. a$— 6.
10) Brugsch, DicL g^r. p. 1387 nr. 6.
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72
Gott Amon-Rä von Chois angeredet wird : „Du bist der eine Gott,
der da ward zwei Götter, der Fertiger des Eies, der erzeugte sein
Zwillingspaar," also wiederum Schu und Tefnut.
Unter diesen aus den verschiedensten Perioden der ägyptischen
Geschichte herstammenden Anspielungen auf den in Rede stehenden
Mythus ist von besonderer Bedeutung die zuerst angeführte , nicht
nur wegen ihres hohen Alters, sondern vor allem, weil gerade sie
nur von der Erzeugung des Schu und der Tefnut spricht, und
noch nicht das Ausfliessen des Schu mit dem Zeitwort aschesch,
das der Tefnut mit dem tef, tefen zusammenbringt, die beide aus-
fliessen, bez. austräufeln bedeuten. Es geht hieraus hervor, dass
der Mythus nicht in ätiologischer Weise entstanden ist, um die
Namen der beiden Gottheiten durch eine etymologische Deutung
zu erklären, dass vielmehr dieses Wortspiel erst später in den
Mythus hineingetragen wurde, dessen Grundgedanken beträchtlich
älter sind, als diese Ausschmückung.
Die den modernen Menschen auf den ersten Blick befremdende
Vorstellung, dass der männliche Samen allein zur Erzeugung der
Götter genügt, hat unter Berücksichtigung der antiken und mittel-
alterlichen Vorstellungen von den physiologischen Vorgängen bei
der Zeugung nichts auffallendes. Hat man doch noch nach dem
Jahre 1677, nachdem Ludwig von Ham die sog. Samenthiere in
männlichen Samen entdeckt hatte, die Grundlage der Zeugung und
Entwicklung in diese allein gesetzt, so dass die weiblichen Ge-
schlechtsorgane nur zu Brutbehältern wurden Dass noch damals
eine solche Ansicht laut ward, lag freilich mit an dem Hinein-
spielen einer halbreligiösen Vorstellung in die Erklärung des phy-
siologischen Vorganges. Der noch im I7ten Jahrhundert herrschen-
den Theorie der Evolution oder Präformation zu folge fand bei
der Entwicklung eines Organismus keinerlei wirkliche Neubildung
statt, sondern nur ein Wachsthum oder eine Entfaltung bereits
seit Ewigkeit vorgebildeter und fertiger, nur noch verschwindend
kleiner Theile. Für die Anhänger dieser Lehre konnte es nur frag-
lich sein, ob diese präformirten Wesen im Ei vorhanden waren
und durch die Befruchtung den Anstoss zu ihrer Entwicklung be-
kamen, wie dies die Ovulisten behaupteten, oder ob sie sich, wie
die Animalculisten ausführten, in den Samenfäden befanden und
im Weibe den geeigneten Boden fiir ihre Entwicklung erhielten
1) Carus, Geschichte der Zoologie, S. 400.
2) Vgl. z.B. Haeckel, Anthropogenie S. 27 iT. — Bei Aristoteles, de gener.
Miitt. I. 80 ff. «nd toott, enthilt dM Wdbcben den Stoff, d«r Siuim des MäandMM di«
I
73
Derartige mystische Nebengedanken lagen dem frühen Alter-
thume fern, aber auf Grund seiner Naturkenntnis oder richtiger
iresagt Naturunkenntnis konnte es sehr wohl zu der Annahme ge-
langen, der männliche Samen könne sich nicht nur im Weibe,
sondern gegebenen falls auch sonst in einem andern günstigen
Nährboden zu einem Lebewesen entwickeln, eine Vorstellung,
die der behandelte Mythus voraussetzt. Für den so denkenden
Ägypter wird naturgemäss die von einem Papyrus der saitischen
Zeit (um 500 v. Chr.) auf 10 Monate veranschlagte Zeit der
Schwangerschaft ') zur Zeit des Aufenthaltes des Kindes in seinem
üblichen Behälter für den jedoch gelegentlich ein anderweitiger
Ersatz möglich war.
In seinen Grund zügen trägt der besprochene Schopfungsmythus
alle Kennzeichen sehr alten Ursprunges an sich ; er erscheint be-
deutend älter als die sonstigen bisher bekannt gewordenen, das
gleiche Thema behandelnden Legenden der Ägypter. Dies ergiebt
sich vor allem aus .seiner einfachen erzählenden Form, die sich
fern hält von dem Göttersynkretismus, den die übrigen Schöp-
fungsmythen in reichlichem Maasse zu enthalten pflegen, und durch
welchen diese von panthcistischen Vorhidlungen ausgehend alle
Götter dem Schöpfer gleichstellen, um dieselben dann nur als
seine Eaianationcn, nicht als freie Geschöpfe gellen zu lassen.
Meist lernen wir diese Legenden durch Hymnen auf den heno-
theistisch dargestellten Schöpfer kennen und wird es sich em-
pfehlen, einen charakteristischen derartigen Text hier beizufügen,
welcher in einem Papyrus') der Zeit Ramses IX (um 1200 v. Chr.)
erhalten geblieben ist:
„Wachender, Wachender, Du wachst in Ruhe, Wachender, der
sich selbst zeugt. Nicht wird irgend eine Weidung auf Erden
ausser durch die Pläne seines Herzens. Er lässt werden seine
Werdungen; er ist die Gestalt, welche gebiert alles Seiende, der
Zeuger, welcher schafft die Wesen. Preis sei Dir, oh Fta^-Tatimen,
grosser Gott, der verbirgt seine Gestalt, der eröffnet seine Seele.
KxvSt und Bewegung, welche den Anstow zur Entotehnog des netten . LebeweseM
giebt. Der Körper kommt vom Wcilnhen, die Seele aber vom Männchen, denn die
Seele ist die Grundlage und Wesenheit eines Körpers. Nach II, 23 hat der Same
selbst eine Seele, n. t. f.
0 Pap. Lon<vie nr. 3118 pl. 11 Z. 9; pubL und ttben. Pierret, ^tndes ^gypt.
I. S. 42 ff.
3) VgL UerAr an^ die Mmliebett Anscluninngen bd den Urröllcern Bndliens bei
Karl V. d. Steinen, Unter den Naturvölkern Zcntral-Brasiliens, S. 336 f.
3) Leps. Denkm. VI pl. ii8j die vorläufige Übersetzung bei Fierret, Etudes
€gfpt. I p. I ff. mnis ab venlttt angesehen werden»
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74
Du wachst in Frieden, oh Vater der Väter aller Götter. Die Son-
nenscheibe des Himmels [ist der Glanz] seines Auges, erleuchtend
die Länder mit ihren Strahlen in Frieden. Preis sei Nut, dem
Beginn alles Seienden auf Erden in Frieden. Oh Chnum, Du
Mutter, die gebar die Götter, Zeuger aller Menschen, der sie leben
lässt in Frieden. Grosser Nu (Urgewässer), der Gaben gicbt [den
Menschen], der grünen lässt die Felder in Frieden. Der Du hervor-
brechen (?) lässt die Bitterseen, das Meer, das Überschwemmungs-
vvasser in Frieden. Begründer der Länder, Berge, Inseln,
Bergländer, der ihnen Blüthe giebt durch die Wasser, die da
kamen vom Himmel, in Frieden. Er macht den süssen Wind, [der
da niildet] die Hitze durcli den Hauch, der ausgeht [von Norden].
Wachender, Ruhender, Du wachst im Ruhen. Wachender, der da
durchschreitet die Ewigkeit, ILcn der Nahrungsmittel, der da
spendet den Überfluss durch seine Liebe in Frieden. Er hört,
wenn ihn irgend Jemand anfleht; vor ihm zittern alle; ihn ver-
ehren die Geister in allen Ländern in Frieden. Es kommt zu Dir
der Pharao, zu Dir, oh Gott Ptah, er kommt zu Dir, Du Gott,
Schöpfer der Gestalten. Preis sei Dir angesichts Deines Götter-
kreises, den Du machtest, nachdeoi du wardst ein Gott der Glie-
der, der da baut selbst seine Glieder. Nicht ward der Himmel,
nicht ward die Erde, nicht kam die Überschwemmung. Du hast
geordnet die Erde, Du vereintest Deine Glieder, Du ordnetest
Deine Glieder. Was Du allein fandest, dem machtest Du einen
Platz, oh Gott, Schöpfer der Länder. Nicht hast Du einen Vater,
der Dich zeugte, als Du wardst; nicht hast Du eine Mutter, die
Dich gebar, als Du Dich erneutest. Oh Ordnung, die hervorging
als Ordnung. Du bist erhaben über die Erde in ihren Wesen, die
sie sich vereinte, nachdem Du wardst in Deiner Gestalt als Tatu-
nen, in Deinem Werden zum Vereiniger der Länder, in Deinem
Zeugen Dich. Das, was Deine Hände erschufen, trenntest Du los
aus dem Urgewässer,*' u. s. f.
Auch aus diesem Hymnus lässt sich ein Schöpfungsmythus aus-
schälen, als dessen Held dann Ftah-Tatunen, eine unter anderem
in Memphis verehrte Form des Gottes Pta^, den die Griechen
ihrem Hephästos verglichen, erscheint. Aber, von der Klarheit
der erst behandelten Legende bleibt er weit entfernt. Vor allem
die Identifizierungen des Ptab mit allerhand andern Göttern, der
Sonnenscheibe, der Himmelsgöttin Nut, dem mannweiblichen, wid-
derköpfigen Chnum, dem Nu, u. s. f. zeigen, dass seine Fassung
einer Zeit entstammt, in welcher die Priester sich nicht mehr auf
75
den Kult ihres Lokalgottes beschränken konnten, sondern auch die
Götter anderer Städte und Bezirke in den Kreis ihrer Verehrung
hinein zu ziehn sich fjcnöthigt sahen. Freilich sind die Gedanken
dieses Hymnus poetischer und erhabener als die der ersten T^e-
gende, aber gerade die roh materielle Auft'assung, welche in dieser
herrscht und die so voll und ganz der Denkweise des allem
Abstiakten abholden Ägypterthumes entspricht, zeugt für ihr
hohes Alter.
Wann sie entstand, das wird sich wohl nie mit Sicherheit fest-
stellen lassen, wie sich ja überhaupt die Anfange der ägyptischen
Religion einstweilen noch grösstentheils im Dunkel der Vorzeit
verlieren. In der Zeit der Pyramiden, in welcher das Ägypterthum
in das volle Licht der Geschichte eintritt, in dem Augenblicke,
in welchem die ersten erhaltenen Texte grösserer religiöser Werke
aufgezeichnet wurden, bildete die bchandcite Legende bereits einen
Theil des religiösen Vorstcllungskreises der Nilthalbewohner. Von
diesem Zeitpunkte an ist sie dem Volke gegenwärtig geblieben bis
in die Periode der Herrschaft der PtoleriKu r. in welcher das
Agyptcrthum allmählig abzusterben beginnt. Mahezu drei J.ihrt iu-
sende ist sie dcmnacli lyer^laubt und wiederholt worden und eine
Mythe von solcher Lcbcn^taliigkeit, so innig mit dem Volksleben
verwachsen, dass alle Sturme der Zeit sie nicht auszurotten ver-
mögen, verdient melir als andere, nur gelegentlich auftretende
Kulturerscheinungen zu Rathe gezogen zu werden , wenn es gilt ,
von dem Fühlen und Denken der alten Ägypter, von der Volks-
kunde des Stammes, der an dem Ufern des Niles in fernen
Jahrtausenden seine Wohnsitze aufschlug, ein Bild zu entwerfen.
La festa di Sa Lucia in Siracusa.
Appuati di G. Pitrö in Palermo.
lo non tornerö a discorrere di Lucia per il culto che essa
ha nel popolo siciliano, e per le tradizioni ed usanze che al suo
giorno si legano qua e lä nell* iso!a tutta. Mi restringo soltanto
alle feste che in onore di lei rinnova annualmente il popolo di
Siracusa.
Dico /esU, perchö due e in due tempi diverst son quelle che la
cittä solenntzza in Dicembre e in Maggio«
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"Raccontano i vecchi che quando Lucia fu morta, una im-
provvisa c tcrribilc carestia dcsolo la citta c che avrebbe menata
una vera strage sc non fossero approdate nel porto varie navi
cariche di frumento, le quali, sbarcato rimmenso carico, si allonta-
narono, anzi sparirono come per incanto senza chiedere n^ottenere
COnipenso da ncssuno.
La Icf^f^enda aggiunge che le preghiere dei Siracusani valsero
ad intcnerire la Santa, la quäle affermö la sua protezione Sulla
cittä con quello inattcso miracolo.
Gli eruditi potrebbero forsc vcdcrc in questo fatto la ragione
dclla cuccia, c\oh dcl frumento cotto, che i Siracusani, anzi i
Siciliani tutti mangiano il giorno di S» Lucia. lo, senza escludere
la possibilitä dclla origine, rilcvo la idcntita del prodigioso avve-
nimcnto con quello attribuito a S. Nicola in Giojosa Marca.
E rilevo altresi come la medesima leggenda, con cangiamenti di
particolari, corra anche in qucsta forma:
"Narrasi in Siracusa, da tcmpo immeniorabilc, che essendo la
Cittä vittima di una fiera carestia, non sapendo piü che fare, nel
mese di maggio fu esposta alle preghiere pubbliche la Santa, onde
poncsse finc al malore. E narrasi che una grandissima, immensa
copia di quaglie venne a cadere sulle banchine della marina c per
le vic dclla Cittä. Cadevano le poverine stanche, inanimatc pcl
lungo viaggio, si che i Siracusani non avevano che a stendere la
mano per prcndcrle."
Lasciamo per un istautc questa curiosa leggenda e veniamo alla
festa di Dicembre.
La Cattedrale, che fu giä tcmpio di I\lincrva, e picna zeppa di
devoti, i quali dalle prime ora dcl mattino son Ii per assistere al
trasporto delle reliquie di Santa Luciuzza' come la chiamano,
dalla nicchia della sua cappella riservata, all' altare maggiore :
trasporto che giä prima del mezzogiorno del 13 bell' e compiuto.
& la ripetizione del consimile transporto della statua di S. Fran-
cesco di Paola in Palermo» di Sant* Agata in Catania, e via dia»
correndo. L'eccitamento di quel quarto d'ora h, al colmo, e solo
quando si seda un minuto, una voce di mezzo 'alla folla erompe :
Viva Santa Lucia I E, sentita, si ripete: Saragusani, oviH ancara
tmd? E il popolo: Sif e tutti insieme: Viva Santa Lucia!
Finite le funzioni di rito, il simulacro sopra una pesantissima
bara vien messo fuori nella piazza, per esser portato nel sobborgo
di Lucia, ove rimane tre giomi.
Fu giä notato da un visitatore di quella festa che il direttorc
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della bara b im uomo in tuba, abito nero, guanti bianchi ed il
solito campanello in mano. Ma ü rilievo in Sicilia non colpisce
nessuno, perch^ la guida di codcstc statuc in processione h sem-
pre un laico. N^? fa meraviglia che csso, comc nel caso in fönte,
abbia quel privilegio per una offerta rilevante fatta all' asta, ondc,
superando gli altri offerenti, pote avere aggiudicata — e la fräse
legale, in proposito — il diritto dcl campanello; perche anche
quest' uso ä comunissimo in Sicilia. Quel che mi sorprcnde h
comc mai si sia potuto affermare che '*l'aggiudicatario fa fermare
la Santa davanti a quelli (proprietarii o negozianti) che piü gli
son cari, o che ne lo hano pregato o ne 1' han par^ato." No, caro
anonimo di quest' ultima capestreria! II conduttore dclla bara
puo far delle fermate innanzi ad amici, a parenti, a chiunque
voglia o vogliate, ma non g\k innanzi a chi Tabbia pagato per
questo! La firezza d' un devoto, per quanto vahitoso, rifuggc da
grettezze cosi disoneste !
Nel sobborgo di Lucia la statua rimane tre giorni : e in
quei tre giorni i cittadini si riversano fuori la cittä forsc per la
divozione verso la Santa, ma certo per la bella occasione di fare
una passeggiata di piacere a piedi, una corsa per mare (giacche in
quel sobborgo si va in tiitti e due i modi) c Ü sul posto, uno
spuntino, se non una scampagnata in piena regola.
Quel che divenga il 5?obborgü allora non 6 a dire. Baracche e
tende occupano qualunque metro di spazio libero; e venditori,
soiialüii, funamboli, pulcinclli e persone d' ogni gcnere e d* ogni conio,
vi accorrono, o avide di guadagno, o desiderose di divertimento, o
spinte dal bisogno di adorare la santa vergine, che h per esse
Principio e cagion di tutta gioia,
come direbbe il sommo Poeta.
I tre giorni sono passati, c Santa Luciuzza ricntra, sul cadere
del sole, nella sua casa, nella sua amata cittä, cui ella guarda
sempre con occhio vigile e benevolo. Quel che accade allora ^
piü facile ad immaginare che a descrivere.
La festa di Dicembre si ripete o ha la sua appendice in Maggio
con la "Sa Lucia delle quaglie".
La Satita ^ tratta, come sei mesi fa, dalla sua cappella, rip<»rtafa.
sull' altare maggiorei rimessa fiiori la Cattedrale, coperta degli
eterni ewwa tradizionali. Tutto viene ripetuto come innanzi; ma
c* h un* usanza, che h quella appunto la quäle dä tl titolo alla
festa : tl getto delle quaglie.
Nella piazza della Cattedrale (scrivevo io nel i88i) sorge il
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7»
monastero di Lucia, e le monacelle piü giovani, avvenenti
ragazze come quasi tutte le siracusane, vestite di bianco, perche
deir ordinc cistcrciense, si affacciano al vasto loggiato del mo-
nastero c buttano sulla immcnsa folla plaudente centinaia di qua-
glie, di colombe, di tortorc, di uccclli d' ogni specie ; e gli spctta-
tori a disputarseli , ad acchiapparli coi cappelli, coi fazzolctti.
Molti uccclli sfuggoao volandoi molti aitri vengono presi o ammac-
cati o uccisi.
Suir efFetto che codesto volo d] uccclli, quasi sempre dalle aü
tarpate, deve produrre sullc anime gcntili non si discute.
"E una Seena — si dice — straziante e ributtante ad un tempo,
in quantochc c facile comprendere che sempre la preda e contcsa
fra due o tre prctcndcnti e che ha terminc n^prc con un som-
mario giudizio di Salomoiie! Ne io la difendo; ma noto com*
essa sia fatta con intendimenti ben diversi dagli efifetti, e come
per segno di gioia.
Circa al significato deli' usanza poi, non s' ha a durar fatica a
trovarlo nella leggenda della pioggia delle quagUe nei giorni piü
spaventevoli della carestia.
Die wilde Frau.
(Aus dem Volksglauben der Südrussen in Galizien).
Von Jnljan Jawortkij.
So heisst hier eine weibliche mythische oder dämonische Gestalt,
die jedoch bereits nur in verschwommenen und halbvergessenen
Umrissen dem Volksglauben vorschwebt. Sie heisst auch litawycia,
untrenycia oder pereUstnycia, ohne dass diese verschiedenen Be-
nennungen nach irgend welchem inneren oder topographischen
Gesetze abgesondert werden könnten.
Die wenigen Mitteilungen über die wilde Frau, die unten ange-
führt folgen, stammen alle au.s dem Skolcr Gebirgsrayon, wo ich
sie teils selber gesammelt, teils in den 70-ger Jahren Herr Anton
Aleksiewicz, der mir seine reiche folkloristische Sammlung
freundlich zur Verfügung gestellt hat.
Die wilde Frau ist gewöhnlich sehr hübsch; besonders berückend
sind ihre langen, flachsgelben und goldschimmernden Haare.
Am liebsten zeigt sie sich jungen Burschen, die sich dann in
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sie bis zur Verrücktheit verlieben und aus Sehnsucht nach ihr
dahinsiechen. Solche verunglückte Junglinge fuhrt man gewöhnlich
in die Kirche und besprengt sie mit Weihwasser, oder man
ruft zu Hilfe Walirsagerinnen, die Zauber- und Besprechungs-
formeln wissen, was auch mitunter, wenn der Liebekranke nicht
stirbt, sicher hilft. Aber die dämonische Koketterie der wilden
Frauen beschränkt sich nu ht nur aiil unverheiratete Burschen. Sie
verursachen oft auch Khcti iL;ödieeiK indem sil mauchen braven
Ehemann derart mit ihren Reizen uaiati ickcii, dass er auf einmal
seiner Frau abspenstig wird und sie verstosst. Ks k*»niriit zu ihm,
sagt man dann, die wilde 1 lau. Sie kommt jede Naclit und legt
sich zu ihm, gewöhnlich zu seinen Fussen, schlafen. Bis sie ihn
selbst aus ihrer Macht nicht freilässt, so lange ist er ihr Sciave
und will von seiner Familie nichts wissen.
^Zu einem Bauer," so erzählt man, „kam immer eine wilde Frau,
und iianier, indem sie seine eheliche Frau vom Bette verjagt, legte
sie sich zu ihm schlafen. Doch einmal riet jemand der Frau, dass
sie sich wo anders schlafen lege und wache; wenn die wilde Frau
kommt, dann soll sie ihr das Haar, das wunderschön und lang
bis zur Erde ist, abschneiden. Da, in der Nacht klopfte etwas
an das Fenster, der Mann murmelte etwas im Schlafe und dann
wurde wieder alles still. Die Frau stand auf und machte Licht,
denn die wilde Frau war schon eingeschlafen und hörte nichts*
Sie sieht, die ist so wunderschön zum Verschauen, und hält den
' Mann um den Hals umarmt. Da tat es ihr leid und sie hat sie
nur auseinander getrieben. Ab aber die wilde Frau erwachte,
sagte sie zu ihr: da du mich nicht verunstaltet und entehrt hast,
so wirtschafte hier schon allein und ich werde nicht mehr kom-
men! Dann ist ein starker Wind entstanden und die wilde Frau
verschwand. Und nichts mehr hat man von ihr gehört." (Aus
Oporetz. Aufgeschrieben von A. Aleksiewicz).
Die wilde Frau hat Erbsen sehr lieb, und man kann sie dabei,
wie sie sie im Garten oder auf dem Felde isst, oft ertappen.
Sie hat auch solche Schuhe, dass sie einige Meilen mit einem
Schritt zurücklegen kann. Ohne sie verliert sie ihre ganze über-
natürliche Macht und kann unsere Erde nicht verlassen.
Darum kann man ne, wenn man ihr die Zauberschuhe stiehlt,
leicht iangen. Dann folgt sie dem Menschen in's Haus, dient ihm
treu und redlich, oder wird, wenn er es wünscht, sogar zu seiner
Frau.
,Ein Bursche hatte auf dem Felde Erbsen und da hat ihm
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darin jemand grossen Schaden gemacht, er wusstc nur nicht, wer.
Endlich einmal gieng er auf das Feld und crbHcktc neben den
Erbsen Schuhe. Und in den Erbsen stand so eine wunderschöne
wilde Frau, dass er seine Augen im Kopfe vergass. Er erwischte
dann einen Schuh und sagte: ,Also du machst mir den Schaden?
nun, jetzt musst du mit mir gehen!* Also kamen sie nach Hause,
dann hat er den Schuh schnell versteckt, so dass sie nicht sah,
wohin, und darnach musste sie schon seine Frau werden. Sie
lebten gut mit einander und hatten solch ein schönes Kind, dass
ein schöneres nirgends zu finden war. Aber die Zeit kam und
das Kind starb. Alle jammerten und weinten, nur sie sprach:
»Weswegen jammert ihr denn? hier soll man sich doch freuen t'
Und dann Hess sie die Musikanten aufspielen, also nach dem
Kinde. Alle haben sich gewundert, aber niemand sagte was. In
kurzer Zeit starb wieder der alte Vater ihres Mannes, und da hat
sie so gejammert, dass man's nicht anhören konnte. Das hat schon
ihr Mann nicht aushalten können und er fragte: ,Warum weinst
du jetzt so schrecklich, obzwar das mein Vater ist und nicht der
deine? und nach deinem Kinde hast dich gefreut, obgleich du ihm
Mutter warst?' Sie wollte ihm darauf nicht antworten. — «Du
verstehst es nicht,* sagte sie nur, ,und wirst es nie verstehen 1' —
Er sah, dass sie es ihm nicht sagen will, und so versprach er ihr
schon, ihr den Schuh zurückzugeben. — ,Nun, wenn so, so werde
ich's dir wohl sagen: Du hast nicht gesehen, wie deines Vaters
Seele von Sünden belastet und von Teufeln belagert war, so dass
nicht einmal für jeden ein Knöchlein geblieben wäre; wie ich
aber zu jammern begann, da sind sie alle durchgegangen. Und
wie das Kind gestorben, da war so eine Freude um ihn herum,
dass ich keinen Grund gehabt habe, nach ihm zu trauern.* —
Dann erzählte sie ihm noch vieles andere und er musste ihr den
Schuh zurückgeben. Darauf entstand ein grosser Wind, und nie
mehr hat er sie gesehen. Und als der Fasching kam, da hat er
ein Mädchen geheiratet.** (Aus Jalenkowate. Angeschrieben von
Aleksiewicz).
^Ein Bauer hatte eine wilde Frau in seinen Erbsen gefangen,
nahm ihr die Schuhe weg und versteckte sie in der Kammer. Sie
bat ihn sehr, ihr sie zurückzugeben, aber da er*s nicht tat, so
gii^ sie zu ihm nach Hause und diente bei ihm, wie der treueste
Dienstbote. Sie verrichtete jede wirtschaftliche Arbeit sehr flink,
so dass der Wirt sie nicht genug loben konnte. So diente sie
dort bis zu Weihnachten. Am heiligen Abend half sie der Hausfrau
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Si
beim Kochen; und wie das Naclilniahl fertig war, sagte die Haus-
frau zum Gesinde: ,bitte euch alle zum Nachtmahl!' Alle setzten
sich zu Tisch, nur die wilde Frau setzte sich in den Winkel und
lachte während des ganzen Nachtmales, ass nichts, laciiLc nur.
Man fragte sie, warum sie lache, aber sie wollte es nicht sagen.
Erst nach dem Nachtmahl, als man sie mit Fragen noch mehr
bestürmte, versprach sie zu sagen, wenn man ihr die Schuhe aus-
folgte. Der Wirt versprach ihr das und da erzählte sie: ,wenn ihr
gesehen hättet, was mit eurem Nachtmahl war, so hättet ihr sel-
ber auch nicht gegessen nur gelacht. Die Frau hat anstatt zu
sagen: ,bitte euch alle Getauf ttn zum Nachtmahl,** nur einfach:
„bitte euch alW gesagt, und da sind alle Teufel zusammengeflo-
gen, machten verschiedene Hetzen, sprangen auf dem Tisch
herum, spuckten in die Schüsseln u. s. w.' — Die Hausleute haben
sie noch um manches andere, um verschiedene Arzeneien, Zauber-
mittel und dergl. gefragt und sie hat ihnen alles mitgetheilt. Dann
nahm sie ihre Schuhe und gieng fort. Wie sie aber schon auf der
Strasse war, hat sich noch der Wirt erinnert, dass er sie um
ein Mittel gegen die Wurmkrankheit der Schafe nicht befragt hat
Er lief ihr nach und fragte dies, jedoch erhielt er so eine Ant-
wort: ,nimm das Messer, schlachte und iss!"' (Aus Kruszelnitza.
Au%eschrieben von mir).
Im allgemeinen, wie es aus den oben angeführten Motiven der
Vorstellung folgt, wird die wilde Frau garnicht als schlecht und
schädlich gedacht Im Gegenteil, sie besitzt viele sympathische
und lichte Characterztige. Schon ihre äussere Schönheit allein be-
zeugt hinlänglich, dass sie mit den bösen, schwarzen Geistern
nichts zu schalTen hat; ganz deutlich spricht das die Erzählung
aus Jalenkowate aus, indem sie ihr die Macht, von einer sündigen
Seele die bösen Geister zu verbannen, zuschreibt.
Nichtdestoweniger beschuldigt man in manchen Fällen die wilde
Frau, dass sie an den Brustkindern säugt, weswegen sie blass
und mager werden und wunde Brüste bekämen. Auch spielt
sie manchmal den nachlässigen Müttern einen anderen bösen
Streich. Sie stielt ihnen nämlich das Kind und schiebt ihnen
ihres, das man «widmina** (Wechselbalg} nennt, unter. So ein
Wechselbalg ist gewöhnlich sehr schlimm und dumm, aber er lebt
nicht länger ab 7 Jahre. Am leichtesten kann die wilde Frau ein
Kind umtauschen, wenn in der Nacht im Zimmer kein Licht
brennt
Die wilden Frauen hält man an manchen Orten sogar direkt
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für böse Wesen und man glaubt, dass sie von Hexen und Zau-
berern unter die Menschen geschickt werden, um unter ihnen
allerlei Unheil zu stiften und ihnen Bosheiten anzuLun.
Lemberg.
Volkstümliches aus rutenischen Apokryphen.
Von Dr. Iwan Ff anko.
Apokryphen nannte man ursprünglich religiöse Bücher, welche
geheimgehalten wurden und deren Lesen nur Eingeweihten ge-
stattet war. In der Bibelforschung bezeichnet man mit diesem
Namen einige sowohl alt- als neu-testamentliche Bücher, die ur-
sprünglich nicht zum Kanon gehörten und als zweifelhaft galten,
später aber doch in den Kanon aufgenommen wurden. Jetzt nennt
man „Apokryphen" eine grosse Anzahl vun Schriften sowohl alt-
als auch neu-testamentlichen Inhalts, die zum Theil zwar auf alten
Traditionen beruhen, ci wiesenermassen aber ziemlich spät, zwischen
dem zweiten vorchristlichen und fünften nachchristlichen Jahrhundert
entstaiulcn, eine Menge erdichteter Eiiizellieiten und heterodoxer
Lehren cntlialten und entweder offenbar zum Zwecke häretischer
Propaganda zusammengestellt, oder erst in späteren Bearbeitungen
im Geiste der kirchlichen Orthodoxie halbwegs umgearbeitet und
^gereinigt", den Anforderungen frommer Erbauung angepasst wur-
den. Einige wenige dieser Werke waren ursprünglich aramäisch,
die meisten griechisch geschrieben und haben sodann im Mittel-
alter in' lateinischen, kirchenslavischen, koptischen, arabischen,
armenischen, grusinischen und anderen Übersetzungen und Um-
arbeitungen ihre grosse Rundreise um die ganze civilisierte Welt
gemacht und auf die Getnüther zahlloser Generationen einen
grossen, bisher in allen seinen Einzelheiten kaum gewürdigten
Einfluss ausgeübt. Natürlich können wir auch umgekehrte Falle
beobachten, indem sich bei verschiedenen Völkern unabhängig von
den Apokryphen entwickelte volkstümliche Elemente um diesen
hebräisch^griechlschen Kern gruppierten, sich gleichsam an ihn
herankrystallisierten und so entweder neue, griechisch nie bestan-
dene Apokryphen oder in den aus dem griechischen übersetzten
Texten nette, im Urtext nicht vorhandene Episoden und Exkurse
bildeten. Und wenn wir alle Apokryphen überhaupt als einen
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«3
Ausfluss der Volkstraditioiii wenn auch in schulmässiger Bearbeitung
und manchmals doctrinär und dogmatisch zugestutzt, betrachten
müssen und also ihr Studium für jeden Volksforscher, der, so zu
sagen, nicht an der Scholle kleben und sich im Unbedeutenden
verlieren, sondern weite culturgeschichtliche Horizonte umspannen
will, als unentbehrlich und sehr lohnend anerkennen müssen, so
sind diese neueren Umarbeitungen und Einschaltungen zweifach
interessant, indem sie uns den lebendigen Verkehr der modernen
Volksphantasie und des Volksglaubens mit jenen alten Erzeugnis-
sen vor Augen fuiiren.
Ich habe im vorigen Jahre im Verlage des „Wissenschaftlichen
Scvcenko- Vereins in Lemberg" den ersten Band einer umfassenden
Apokryphen-Sammlung aus den südrussisclien (rutenischen) Hand-
schriften veröftentlicht, der die alttestamentlichen Apokryphen
umfasst und in mancher Hinsicht als ein Supplement zu den älteren
derartigen Sammlungen russischer Gelehrten Pypin, Tichonranow,
Porfirjew, Popow betrachtet werden kann. Aus diesem Buche
will ich nun Einiges herausgreifen und in deutscher Übersetzung
dem grösseren Kreise der Fachgenossen zugänglich machen. Ich
beginne gleich mit dem Interessantesten, mit einem Beitrag zum
rutenischen Dämonenglauben, der in einer rutenischen Handschrift
aus Nordungarn in die apokryphe Erzählung von der Revolte und
dem Sturze der Engel eingeschaltet ist.
Nachdem der rutenische Umarbeiter ziemlich conform der griechi-
schen Sage erzählt hatte, wie Lucifer sich aus Stolz gegen Gott
empörte und einen Engclchor mit sich zur Meuterei fortriss, wie
die Meuti^rer von Gott niedergeworfen und verflucht wurden (hier
giebt es schon Manches, was im griechischen Apocryphum nicht
enthalten ist z. B. der Fluch, Lucifer solle schwarz und hässlich
und die anderen Teufel sollen geflügelt sein) und wie sie 40 Tage
und 40 Nächte wie ein Regenschauer hinabflogen, heisst es weiter:
„Auch dies brauchen wir zu wissen, meine liebsten Christen»
dass nicht alle diese verfluchten Engel in die allertiefete Tiefe (d.
h. in die HöUe) hinabgestürzt sind, sondern hört nur fleissig, wo
verschiedene von ihnen geblieben sind. Die einen, die Vordersten,
stürzten mit ihrem stolzen Herrn durch die Erde in den Al^rund,
in die Hölle und werden dort sitzen in alle Ewigkeit, als Ver-
bannte und Verbrecher an der Gottheit, denn sie haben schon für
alle Ewigkeit die göttliche Gnade verloren, denn der Stolz war
die Ursache ihres Elends« Diese Teufel sind die grimmigsten,
welche unter der Erde sind, damit die Menschen ihr Antlitz nicht
6
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schauen. Die Anderen aber, die Mittleren, stürzten auf die Erde.
Diese erscheinen manchmals den Menschen von Angesicht zu
Angesicht und thun den Menschen Böses an und verführen sie zu
verschiedenen Sünden und Versuchungen : Manche verführen und
versuchen sie zur Sünde, Manche nehmen Besitz von Menschen,
wohnen in ihnen und hetzen sie und werfen sie herum und quakn
sie; sie schlai^ca auch ihre Wohnung auf in den Thierea, in den
Vögehi, in den Hunden, in den Scliweinen und im Vieh und
richten bösen Schabernak an.
„Wir müssen auch dieses wissen: wo nur einer von diesen bösen
Geistern an irgend einem Orte auf die Erde hinabgestürzt ist, und
wenn ein Mensch zufäUig auf diesem Orte schläft, so ergreift ihn
der böse Geist. Oder wenn man auf diesem Platz ein Haus, eine
Scheune, einen Viehstall oder einen Garten anlegt, oder einen
Obstgarten oder einen Hof, so wird es dort kein Glück geben und
kein Heil Itir diesen Menschen. Sogar wenn man auf diesem
Platz eine Kirche, ein Kloster oder eine Festung baute, so werden
sie (d. h. die bösen Geister) Böses anrichten, weil es ihr Platz ist
für alle Ewigkeit.
,Noch Andere blieben in der Luit, in den Wolken hängen; sie
fliegen herum in den Wolken, nachdem sie dort stecken geblieben
sind — die Einen mit den Füssen, die Anderen mit den Flügeln,
die Anderen mit den Händen, wieder Andere mit der Seite und
Etwelche kopfüber. Diese haben sich selbst nach göttlichem Be-
fehl aufgehängt bis zum jüngsten göttlichen Gerichte. Auch diese
Teufel thun den Menschen Böses an mit Sturm, bösem Wetter,
Hagel, Wirbelwinde, und die (Teufel) heissen LunoHker, Auch
das ist ein Lunatiker, was man einen Monatswandler nennt, wer
einen Monat als Weib, und den zweiten Monat als Mann herum-
geht. Und wer unter einem solchen Planeten geboren wird, wenn
es ein Knabe ist und heranwächst, so wird ein solcher Mensch
ein Lunatiker, und wenn es ein Mädchen ist, so wird sie eine
Lunatikerin. In solchen Menschen wird der todbringende Teufel
leben und sie quälen, und bis an ihren Tod sind sie unheilbar.
Das sind bösartige Satane, die Lunatiker, und diese Teufel reissen
sich auch jetzt los in der himmlischen Luft, und wenn sich (so
einer) losreisst, so fliegt er durch die Wolke entweder als Feuer
oder als Funken oder als Stern, und diese Teufel fallen auf die
Erde herab.
,Auch dieses müssen wir noch wissen von diesen bösen Geis^
tem, die uch losreissen und als Sterne auf die Erde herabfliegen.
S5
Jetzt höre Jedermann fleissig zu und liihr* es sich zu Gemüte! Es
gibt unter uns solche Leute: wenn sie sehen» dass ein Stern vom
Himmel zur Erde herabfliegt, so sagen sie» der Stern habe sich
losgerissen. Das ist aber eine Fabel der Ungebildeten, denn wisse
wohl, elender Mensch: wenn nur ein Stern vom Himmel auf die
Erde herabfiele, so würde er diese ganze sichtbare Welt vernichten.
Aber kein Stern kann von seiner Bewegung abweichen, wo ihn
Gott hingestellt hat bis zum jüngsten göttlichen Gerichte. Dieses
aber möge ein Jeder wissen und aus der heutigen Predigt lernen
aus der heiligen hochweisen Theologie: es sind jene Teufel, die
sich losreissen und sich losreissen werden bis zum jüngsten göttlichen
Gerichte. Er erscheint als ein Stern, denn der Teufel kann sich
umgestalten, wie er will. Wenn er will, so verwandelt er sich in
einen Stern, verwandelt sich in Feuer, in einen Vogel, in ein
Thier oder ein Vieh, oder in einen Menschen und ein Kind, sogar
in einen Engel, wie wir das aus verschiedenen Schriften und an
verschiedenen Orten erfahren. Denn auch die Teufel haben keinen
Körper an sich und keine Knochen und kein Blut, sondern nur
den Geist, und heissen böse Geister, verworfene Engel, verführeri-
sche, dunkle Sterne. Uns aber, Brüder, belehrt die heilige Schrift:
wenn du, gläubiger Mensch, einen herabfliegenden Stern oder
Funken in der Luft siehst, so halte still und schlage ein Kreuz
und spucke auf das G^penst, denn es ist der Drache, und dann
wird er verenden und verschwinden. Und wo dieser fliegende
Drache hinstürzt, dort ist ein böser, abscheulicher Ort, der Unglück
bringt den Menschen und dem Vieh" ').
Ich habe mich bemüht, bei der Übersetzung die Unbeholfenheit
der alten Sprache beizubehalten. Die Handschrift, der die.se Er-
zählnnc; entnommen ist, stammt ans dem Anfang des XVIII.
Jahrhunderts und es ist interessant zu erfahren, dass unsere Erzäh-
lung einen Theil einer wirklich gehaltenen Predigt bildete. Wir
sehen also, dass die Vorstellungen und Gestalten des Volksglaubens
bei den Rutenen noch im XVIII. Jahrhundert von der ungebil-
deten und durchaus im Volksglauben auf^nnvachsenen Geistlichkeit
von der Kanzel gepredigt und mit einem naiven Aufputz ortho-
doxer Theologie vorgetragen und erhärtet wurden.
x) Dr. 1. Franko, Apoknfy i Legendy x okninsldch rnkopysiw, t. 326 — 328.
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S6
Blumen, die unter den Tritten von Menschen
hervorsprossen.
Eine Umfraee von B. Läufer.
I. Die Vorstellung, dass unter den Tritten dahinwandelnder
Menschen, besonders edler Frauen, Blumen hervorsprossen, scheint
ziemlich weit verbreitet zu sein; freilich bin ich vorläufig nicht
imstande, die Ausdehnung dieses Gedankens auch nur annähernd
zu bestimmen an der Hand einer grossen Zahl von Beispielen.
Meine Absicht ist nur, die Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung
zu lenken und zum Sammeln gleicher oder ähnlicher Ideen anzu-
regen. Ich führe zwei Citate aus der europäischen Litteratur an,
um dann auf Indien überzustehen. In Clemens Brentano 's
Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf heisst es im
dritten Stücke, als der Müller die Prinzessin, hinter ihr hergehend,
nach seiner Mühle führt: „Er aber sah ganz beschämt an den
Boden, und wie erstaunte er nicht, als er überall, wo die schöne
Amcleya ihren Fuss auf der Wiese hinsetzte, lauter Ehrenpreis
und Königskerzen und Rittersporn und andere adelige Blumen
aufblühen sah, worauf er wieder sehr an seinen Traum gedachte.'*
Calderon dichtet in seinem Drama , Meine Herrin über alles"
(Antes que todo es mi dama), Act I:
War *c ein Wander, Fetix, wenn ich Sie ihr das Geständnis mecbten,
An noch lieblichem Gestaden Ihr entglimm' ihr Frtihlingslebeni
Als £lysiums Gefilde Weil ihr Fuss sie hergetragen
Venns sali, wie sie mit saiten Sanften Tritts —
Blumen spidt* und insgesamt
Dass den Fusstritten einer schönen Dame Blumen entspriessen,
bemerkt dazu der Übersetzer K. Pasch (Ausgew. Schauspiele des
Don Pedro Calderon de la Barca, zum i. Mal aus dem
Span, übersetzt. II. Bd., Freiburg 1892, S. 143) ist ein mehrfach
gebrauchter poetischer Ausdruck Caldeion's: in dem Drama
„La senora y la criada" (Frau und Magd) haben der schönen
Diana nn t ihren Begleiterinnen Rosen utu; Jasmin Schnee und
ruipLii zu vrirLiiilven; in Fincza contra tincza (Aufopferung gegen
Aufopkiuiii^y vcikiliL eine Schöne mit ihrem „Kothuin" dem
Lenze Blumen, während sie von ihrem Kranze aus Steine
spendet. Das in demselben Bande übersetzte Stück „Morgen
des April und Mai*' (Mananas de abril y mayo) hat den Passus
(S. 4S):
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»7
Dass man in deo Blumeogärten
Rosen sich gepflückt^ erblieVt' ieh
Oft; dnss Rosen ninn zurücklässt,
Heut' erst: eines Fusses Tritte
Dankte j« der Hain die Blumen,
Die von der Berfllmng fielen,
Hier der schneeige Jasmin,
Dort die sdnnaebtend blatten Lilien.
Einen Utipel kam herab
Eine Dame, — nein, nicht richtig!
Ein vencUeieit Zanberweaen,
Ein verkletdet Blendwerk i^ien sie*).
Gehen wir nun in den Orient, so finden wir im 3. Märchen des
Siddhi-Kür (Jülg, Die Mädchen des S., Kalmukischer Text etc.
S. 70) eine mit dem Citat aus Brentano autiallcnd übereinstim-
mende Stelle. Der von einer Kuh geborene Massang mit dem
Rindskopf traf auf seiner Wanderung ein ici/xades Mädchen, das
aus einer Quelle Wasser t^^cholt ; indem sie dahin wandelte, sah er
mit Verwunderung, wie unter jedem ihrer Tritte eine Blume nach
der andern hervorsprosste. Ihr folgend gelangte Massang in den
Göttcrhimmel. Daraus geht wohl hervor, dass es sich um eine
Apsaras handelt. In der Buddhalegende wird erzählt, dass der
Knabe kurz nach seiner Geburt, nachdem er ein Bad genommen»
sieben Schritte machte ; auf jedem spiosste schleich eine Padma-
blume (Lotus) hervor, und er recitierte laut folgende Stelle aus
einem alten Lobgesang: „Wenn du, erster der Menschen, chubil-
ghanisch (d.h. durch eine Verwandlung) wiedergeboren und sogleich
auf dieser Erde sieben Schritte schreitend sagen wirst: ,Ich bin
der Oberherr dieses Weltalls*, dann. Trefflichster, werde ich dich
anbeten." Diese Version entstammt einer mongolischen Quelle
und findet sich bei L J. Schmidt, Forschungen im Gebiete der
älteren religiösen, politischen und literarischen Bildungsgeschichte
der Völker Mittelasiens, Petersburg 1824, S. lyi. In andern Bud-
dhabiographien findet sich der Zug der Blumenentstehung unter
den Schritten nicht. Nach Agvaghosha's Buddhacarita macht
Buddha behutsam sieben Schritte, deren Spuren glänzend wie sie-
ben Sterne zurückbleiben. Nach den gewöhnlichen Berichten stellte
er sich auf den Boden, schaute nach allen Richtungen, that sieben
Schritte nach Norden und rief triumphierend aus: «Ich bin der
Höchste in dieser Welt" (s. Kern, Der Buddhismus I, 31, Manual
of Indian Buddhism S. 14). Dem Lalitavistara (7. Kapitel) zufolge
erschien gleich nach seiner Ankunft in der Welt ein grosser Lotus,
auf den er sich setzte und die vier Himmelsgegenden mit dem
Auge des Löwen betrachtete. Diese Erscheinung wie der Bericht,
dass unter den Schritten Buddha*s Lotusblumen hervorkommen.
i) Bei Arlost und Tas- -ind ganz ähnliche Dinge zu finden, wie ich mich aus
ehemaliger Beschäftigung mit ihuen wohl ehonere; ich vermag aber augenblicklich
IteiDC genauen Citate s« geben.
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erinnern an das Motiv der indischen Kunst, das die Lotus als
Sitz oder zwei Lotusblumen unter den Füssen des stehenden
Buddha verwendet (s. Grünwedel, Buddhistische Kunst in Indien,
Berlin 1893, S. 150)'). Ich vermute, dass diese bildnerische Dar-
stellung ihren Ursprung jener literarischen Conception verdankt;
diese Vorstellung lässt sich, nach beiden Seiten hin weiter ent-
wickelt, in der tibetischen Litteratur und lamaistischen Ikonographie
verfolgen, was indessen ausserhalb des Rahmens dieser wenigen
Andeutungen liegt.
Woher kommen die Kinder?
Eine Umfrage von O. Schell.
XL VI. In deutschen G^enden bringt der Storch die junge
Bevölkerung. Auch in böhmischen Bezirken hört man manchmal
seinen Namen in diesem Zusammenhange, aber selten. Hier spielt
auf diesem Gebiete die Hauptrolle der Rabe oder eigentlich die
Rabin. Man hört oft die Mutter zu ihren neugierigen Sprösslingen
sagen: ,Der Nachbarin hat die Rabin einen Buben (oder Mädchen)
gebracht. Sie warf das Kindlein durch den Rauchfang in die
Stube direct unter die Bank. Darüber ist die Frau so erschrocken^
dass sie krank liegt.*'
Das eigenthümliche Geschrei der Raben ist den böhmischen
Kindern eine Bestätigung dieser Wahrheit Im bekannten kri-krä
glaubt das Kind die böhmischen Worte kvim, kvim (zu euch, zu
euch) zu hören. Ist es ein Kind, das gern noch länger alleiniger
Liebling der Mutter bleiben möchte, ruft es dem schreienden
Vogel weinerlich zu: Ach n6 knäm! (Ach, nicht zu uns!). Andere
dagegen, die die Rabin schon mit Geschwistern beschenkt hatte, rufen:
Vrilaa leti,
nese dCti,
my je marae,
neprodimef
Die Rabin fliegt.
Bringt die Kindlein,
Wir haben sie,
Doch verkaufen sie nicht
Um zwei Gulden.
Als ich noch klein war, erzählte mir eine meiner Freundinnen,
dass die Kinder in einem kleinen Bache, Jalovina genannt, der
i) Vergl. auch Waddell, The Buddhism of Tibet, Lond. 1895, S. 338,
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t
8»
durch eine Vorstadt von Melnik fliesst, unter einem Steine wachsen.
Eine komische und für eine unweit Melnik gelegene kleine Ort-
schaft höchst ärgerliche Bemerkung kann man oft hören, wenn
man jemanden fragt, woher er ist. Er antwortet oft scherzend;
,Aus Zitau" (Z Citova).
Mit dieser Geschichte hat es folgende Bewandtnis.
Einer Zitauer Familie brachte einst die Rabin ein Kind. Als
nun die Zeit der Taufe kam, stellten sich die Patinnen und die
Geburtsflau {uiiik'Jich ein. Nun ward in die Kirche gefahren.
Nach vüllzc^ciicr CciLmonie begab sich die ganze Gesellschaft
bestehend aus zwei Patinnen, dem Vater des Kindes und der
Hebamme in das Wirthshaus, da ward ein zweites Frühstück ein-
genommen, und der glückliche Vater vcrgass nicht, auch seine
Gäste reichlich mit süssem Schnapse zu bewirten. Die Gesellschaft
bestieg dann wieder den Wagen und unter lustigem Geplauder
gieng es der Behausung des Bauers zu. Am Hausthorc angelangt,
stiegen zuerst die Patinnen aus, dann der Vater, welcher die
Hände der Hebamme entgegen streckte, um sein Kind von ihr zu
empfangen, damit sie leichter hinunter steigen könne.
Aber . — o Schrecken! Die Hebamme hob die seidene, mit
einem Kreuz gezierte Decke (Plentu) in die Höhe und — fand
nichts darunter.
Die ganze Gesellschaft war plötzlich von ihrem Rausche geheilt.
Man setzte sich schnell wieder in den Wagen und fuhr auf die Suche.
Zum Glücke war das Auge des unglücklichen Vaters durch die
Angst so geschärft, dsas er ein schönes Stück Weges vor sich
bald einen Wanderer erblickte, der ein Kind, festlich angezogen,
auf dem Armen trug.
Nun ward dem Wanderer zugesteuert. Die ganze Geselbchaft
überschüttete ihn' mit Danksagungen und verlangte das Kind.
Dieser aber wollte den Fund nicht so leicht hergeben, sondern
verlangte Finderlohn. Die Gesellschaft sackte alles, was sie bei
sich, hatte für den Wanderer aus. Es waren f Kreuzer und ein
Buchterl (Kuchen).
Seit der Zeit heisst es aber: ,Du bist aus Zitau.*' Oder Leuten,
die keine Kinder haben sagt man: ,Geht nach Zitau. Dort kann
man die Kinder um 7 Kreuzer und ein Buchterl kaufen."
Die Zitauer aber sind sehr darüber ungehalten, wenn man diese
Geschichte aufwärmt* 1^ r 1
Josefine Kopecky.
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Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst.
Urninge von R. Sprenger.
V. Ein Tabuletkrämer, gewöhnlich der Hausierer aus Gudum
genannt, wurde mittelst eines Besemers totgeschlagen und alle im
Hause, die Tochter ausgenommen, sind wol damals mitschuldig
gewesen. Den ersten Tag, da sie seiner nicht los werden konnten,
schoben sie ihn unter das Bett hinunter. Zufällige Besucher mein-
ten, sie hörten den Laut eines Seufzers; die Leute sagten, es sei
die Katze, die unter dem Bette sprudelt Die Sache war aber,
dass der arme Mensch nicht ganz tot war. In der nächsten Nacht
führten sie ihn weg, indem sie die Leiche nach Himmelgaards
Hügel hinfuhren, und begruben ihn in einem Sandgraben. Sie
konnten ihn dort nicht bleiben lassen, denn so oft er auch ver-
scharrt wurde, seine Hand kam beständig wieder zum Vorschein.
Zuletzt nahmen sie ihn wieder aus dem Sandgraben heraus und
fuhren ihn so weit in den Fjord, wie sie nur vermochten, hinaus;
dort warfen sie ihn ins Wasser. Am Ende trieb die Leiche
an der Insel Mors ans Land. Unter den vielen, die sie sahen,
war ein Mann, Andreas Primdal genannt. Sobald er aber den
Toten anrührte, quoll flüssiges Blut aus der Nase der Leiche. Die
Versammelten wollten augenblicklich Andreas als den Mörder
ergreifen, er war doch unschuldig, da er aber etwas von der Sache
wusste, sagte er: „ich habe es nicht getan, irre ich aber nicht,
ist ein Hausierer im Hause meiner Schwester ermordet** So ward
die Sache ruchbar; der Sohn, der der Hauptmann gewesen war,
flüchtete, wahrscheinlich nach Hamburg, denn sie war eine freie
Stadt; die Alten im Hause kamen ins Zuchthaus« (E. T. Kris*
tensen, Danske Sagn IV. 442. 1379).
VL Es wird erzahlt, dass zwei Männer in Sveistrup sich immer
zankten. Am Ende starben sie und wurden begraben; aus den
Gräbern beider aber wuchsen Hände heraus, deren jede der andern
drohte. Den Dorfleuten schien dies ein hässücher Anblick; sie
hieben die Hände ab, Hessen einen kleinen Kasten 'machen, in den
sie die Hände legten. Dort wollten sie aber auch nicht Frieden
halten. Jede Hand wollte die obere sein, und so oft sie auch
eingelegt wurden, man konnte tun wie man wollte, am nächsten
Tage lagen sie immer anders, die eine wollte immer der andern
Meister sein. (Kr ist Sagn V. 245. 87s).
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Ich verweise noch auf Liebrecht, Zur Volksk. S. 343. 6. — Wuttkc, Aber-
glaube nr. 307. — Knoop, Sagen ans Poten S. 129. 5. Knoop, Sagen aus
Hinterpommern & s6. 45. — Deecke, Lflbecker Geschidhten und Sagen, $<• Anfl.
S. 202. 156.
Askov, Dänemark. H. F. Feilberg.
Die Nadel ohne Faden.
Von A. Treichel.
Die Nadel ohne Faden gehört zu den Vexieraufgaben. Es hält
lange an, ehe man auf das Richtige kommt. Meist wird die Lösung
dieser Aufgabe einem Mädchen übertragen. Wenn man einem
Mädchen auftrs^» ,eine Nadel ohne Faden" herbeizubringen, so
ist das gar nicht so einfach, als es scheint, und nur Wenige kom-
men auf das Richtige dabei. Es genügt nicht, dass man nur eine
uneingefödelte Nadel herbeiträgt, sondern die Auflösui^ dieser
volkstümlichen Vexieraufgabe ist die, dass das betreffende Mädchen
sich völlig entkleidet und so die blanke Nähnadel herbeibringt,
also im Evakostüme ohne jeglichen Faden; denn auch die Klei-
dungsstücke bestehen sämmtlich aus Fäden. Man sagt ja auch,
man habe keinen trockenen Faden am Leibe, bei nassen Kleidern,
oder keinen ganzen Faden, bei zerrissenen Kleidern. In dieser
zwiefachen Bedeutung oder vielmehr in der Amplification von
Faden zu Kleid und Körperhülle überhaupt (pars pro toto) liegt
ja eben das Wesen dieses Witzes.
Einmal wetteten zwei Männer um diesen Funkt. Der Eine be-
hauptete, es würde einem Mädchen sehr schwer fallen, eine Nadel
ohne Faden herbeizubringen, während der Zweite, der die Pointe
nicht kannte, nichts wäre, doch leichter, als das, und zur Probe
nach geschlossener Wette ein herangerufenes Mädchen damit be-
auftr^e. Diese aber, welche wusste, worauf es hierbei ankam,
weigerte sich dessen gar sehr zu seinem Erstaunen. Erst als der
Andere, welcher seine Behauptung doch gleich handgreiflich be-
wiesen hatte, ihr einen Thaler ab Belohnung versprach, führte sie
es aus und erhielt darauf ihr Geld von der Summe, welche der
Verlierer der Wette bezahlen musste.
Dieselbe sonderbare Wette kam Anfangs 1897 in der Gemeinde-
versammlung eines Dorfes P. bei Lyck in Ostpreussen zum Aus-
trage, welche zeigt, dass die Dorfväter nach ihren das Wohl der
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9»
Gemeinde betreffenden Beratuogen auch einem derben Scherze
nicht abgeneigt sind. Gegen ein Liter Branntwein als Preis erbot
sich ein Mitglied der Versammlung, dieses gemäss der Behauptung
auszuführen, und überlegen lächelnd kleidete er sich bis zum Hemde
aus und beugte sich, jetzt sicher, dass kein loser Faden auf dem
Körper haftete, zur Nadel nieder. Der Gegner aber, welcher sah,
dass die Wette verloren, spendete dem Sieger nicht den Preis,
sondern goss ihm ein Gefäss mit eiskaltem Wasser über den Kör-
per. Die Folge dieses überaus leichtsinnigen und schlechten Strei-
ches war, da allerdings der Durchnäste die weitere Unvorsichtigkeit
beging, auf seine Gesundheit trotzend, die Kleider über das nasse
Hemde anzuziehen, eine starke Erkältung, welche in ein heftiges
Fieber ausartete, von dem er nur schwer genesen ist.
Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre.
(Grafschaft Hohnstein).
Gesammelt vou Fr. Kiünig, erläuicrl von O. Schell.
1. ifF/V die Gehradörfer gegründet 'wurden. Vor etwa looo Ja^iren lebte zwischen
Ober- uod Niedergebra ein Fischer, der sich von den Fischen nährte, die er in der
Wipper fing. War der Fischfang nicht ergiebig, so ging er mit Spiess und Kenle auf
die Jagd und suchte den Auerochs oder den trrimmigen Bären zu erlegen, dessen
Lendenstücke er in seiner Lehmhütte röstete und verzehrte. Der nahe Wald lieferte
Eicheln und Bnchedceln und das offene Feld bnehte nUeilei KoUarten «ad Wvneln
hervor, überall sprossten saftige Kräuter und wohlriechende Gräser auf den Wiesen.
Aber ungeachtet aller Fruchtbarkeit und Anmut lebte ausser dem Fischer keine Men-
schenseele in der Gegend. Da traf es sich im Jahre 911, dass ein Jude, namens
Gebra^ aus seiner Vaterstadt Boniiabor (Brandenburg) fliehen mussfe und nach vielen
Irrfahrten und Mühsalen in das Wipperthal gelangte. Überrascht von der Anmut und
Fraehtburkeit doselben, beschloss er, sich hier ftlr immer niedersolassen «nd sein
lieben in dieser Gegend zu beschliessen. In geringer Entfernung von einander baute
er zwei Höfe, und die sich später allmählich Dörfer bildeten, welche den Namen des
Gründers Gebra annahmen. Die eine Niederlassung erhielt den Namen „Blauer Hof"
nnd wurde der Anfang des Dorfes Niedergebra, iräirend sich um die andern das Dorf
Obergebra bildet
2. Drei Zwergsagen, a. In einem kleinen Seitenthale der Wipper, nördlich von
Niedergebra, befinden sich einige Zwerp;löcher, aus denen unter lautem Getöse der
Sülzenbach entspringt. In dieser Löchern hausteu vor Zeiten Zwerge. Einstmals
pflügte ein Gebraischer Einwohner Namens Schneider in der Nähe, wobei ihm sein
TTund Gesellschaft leistete. Der Boden war hart und darum die Arbeit sehr anstren-
gend, so dass er öfter ruhen musste. Als er wieder einmal ruhte, hörte er unter sich
eine feine Stimme rufen: „Ihr sollt mengen.'* El, denkt der Mann, will man hier
Kuchen einmengen, so willst du dir auch ein Stück bestellen und ruft laut: „Ihr
könntet mir wohl auch ein Stück bringen." Bald darauf war es Mittag und es zog
2. Drei Zwergsagen, a. In dieser Sage erscheint ein deutlicher Nachklang des Ge-
gensatses zwischen Menschen und Zwergen, weldier nicht selten, wie hier, die Form
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mit den Tieren ins Uorf. Als er wieder auf den Acker kam, sah er auf dem zurück«
gelassenen Pfluge ein StUck Kttcben liegen, schön fett und zum Anbcissen einladend.
Der vorsichtige Bauer aber traute der Sache nicht recht und reichte erst seinem
Hunde einen Teil davon, um den Kuchen su prüfen. Der Ilund verzehrte den Ku«
chen. Doch kaum hatte er das gethan, als ei unter heftigen Scbmenen verendete.
Man erzählt, dass die Zwerglöcher von einem früheren Bewohner der Sühemühle,
Andreas Ackermann, untersucht worden seien. Derselbe soll in einer Höhle einen
steinernen Tiscb, auf dem ein Wetzstein gelegen, sowie eine steinerne Bank voi^e-
fanden haben. Angeregt durch diese Mitteilung hat der noch jetzt leben le Mühlbauer
Karl Ackermann im Jahre 1879 eine der Höhlen untersucht. Die erweitert sich in
einer Entfernung yon 50 — 60 zu einem stubengrossen Raum mit e1}enem Boden vnd
ebener Decke. Doch von irgendwelchem Funde war keine Rede; nur ein grosses
tropfsteinähnliches Gebilde befand sich an der Decke^ das in den Besitz des Bauers
von Witzleben gelangte.
Das Wasser des Sülzenbacfaes hat Sommer und Winter die gleiclie Teokpeiatiir,
friert nie zu und fliesst immer in gleicher Menge, ein Beweis, dass es aus grosser
Tiefe kommen muss. Bald, nachdem der Bach zu Tage getreten, bildet er den Sül-
zenteich, aus dem der Storch die kleinen Kinder holen soll. Dann treibt das klare
frische Wasser die Sülzenmuhle. In der vor dem Hause stehenden Lindenlaube hat sich
schon öfter die weisse Frau sehen lassen, um einen dort vergrabenen Schatz anzuzeigen.
b. Der Einwohner Müller zu Niedergebra besass über den Zwerglöchem einen
Acker, den er mit Roggen besäet hatte. Während er blüthe, trat noch ein starker
Frost mit etwas Schnee ein. Damit die Blüten nicht dadurch beschädigt würden,
lässt Müller durch eine Leine den Schnee von den Ähren abstreifen. Bei dieser
Gelegenheit wnrde einem Zwerge, der sich im Getreide verborgen gehalten, die Kappe
abgerissen, die ihn tinsichtbar machte. Verwirrt und erschrocken eilte BUn der kltine
Mann den Berg hinab und verschwand in den Zwerglöchem.
c. In einem Hause auf der Hintergasse, dem Bodungerhofe gegenüber, wurde
Kindtanfe gehalten. Die ' Paten nnd Gevattern hatten sich versammelt, Braten und
Bier war aufgetragen. Indem nun die G.Tstc sich zu Tische setzen wollen, werden sie
plötzlich gewahr, dass alles vom Tische verschwunden ist. Zwerge hatten es verzehrt.
der Feindschaft annimmt. Die unterweltlichen Schntre, gehütet von den Zwergen,
werden nur dem Landmann vergönnt. Aber verwegenes Kindringen (der Boden war
bart und darum die Arbeit sehr anstrengend) zieht auch einen Fluch nach sich, wie
in unserer Sage, wo der Tod dem Landmann selbst droht, durch seine Klugheit aber
auf seinen Hund abgelenkt wird.
Die Unteiirdiacben erseheinen aber aadi hier, wie sehr oft, als verzwergte Men-
schen, ihnen in ihrer Lebensweise ähnelnd (sie mengen Kuchen ein); dazu vergl.
man Simrock, Handbuch, 6. Aufl., S. 426, 429 ff.
Interessant ist noch die Verbindung dieser Zwerghöhlen durch einen Bach, welcher
ihnen entströmt, mit dem Slllzcnteich, welcher ein Kinderteich ist. Auch darüber
giebt Simrock, Handb., S. 431, 436 Aufschluss. Vergl. ferner Schell, Bergische
Sagen I, 17; VlI, 28 nebst Anmerkungen-, Grimm, Deutsche Mythologie, 3. Aufl.,
S. 428; Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 99 f.; Scham b a c h - M u 1 1 e r, N». 143.
b. Flut, Kappe oder Zipfelmütze sind dem Zwerg unentbehrlich, denn dieses Stück
seiner Kleidung macht ihn unsichtbar, so dass er unter den Menschen weilen kann,
nngesdben von diesen, ihnen vielfach wesentliche Dienste leistend. Die Zahl der
Sagen, welche derartige Züge enthalten, sind Legion. Schon König Goldcmar (Zim-
mersche Chronik, Ausgabe von Barack, III, 84 ff.) ist hierfür ein Beleg. Weitere
Erörterungen und Literaturnachweise siehe Schell, Bergische Sagen VI, 194 etcj
Simrock, Handbuch, S. 435; S c h a m h a c h - M u 1 1 c r , N«. 146, 147.
f. Es ist der häuhg wiederkehrende, hier allerdings etwas humoristisch ausgestaltete
Zug der Zweigensage, nach welcher die Zwei^ unsichtbar von den Speisen der
Menschen geniessen. Auch dadurch (wie durch vieles Andere) suchen sie offenbar ihr
Geschlecht zu erhalten und zu regeneriren. Es ist nach Grimm ein Grundzug aller,
Elben, die Mensdien au necken, wie es hier geschieht. Man vergl. Simrock
Handbuch, S. 436} Grimm, D. Myth., S. 427; Schambach*Mttller, N*. 146.
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3. Der blutende Weulmbaum. In früheren Zeiten hüteten einmal zwei Knaben die
Gänse auf der Bache, einer an der Wipper gelegenen Weide. Beim Frühstück be-
merkte der ärmere von ihnen, dass sein Kamerad köstliches Welssbiot verzehrte,
während er sich mit einem Stück trockenen Schwarzbrotes begnügen musste. Unmutig
darüber, band er sein Brot an einen Weidenbaum und schlug mit einer Rute so lange
danuif, 1^ es in Stflcke ceifi^. Kaum war das geschelien, so begann der Baiun su
bl«ten und der Frevler stilnte tot snr Erde niedn:.
4. Die versunkene Kutsche. Auf dem zu Gebra gehörenden Pfingstriethe befanden
sich bis zum Jahre 1866 einzelne umfangreiche, tiefe T.öcher, welche mit klarem
Wasser gefüllt waren. Von dem grössten erzählt die Sage: Einst kam ein vornehmer
Herr in einer mit vier sdiwareen Pferden bespannten Kntscbe vom Mordtbale
her über das Pfmgstrieth gefahren. Da er wegen des sumpfiger Untergrundes nicht
rasch genug vorwärts konnte, so fing er an, mit schrecklichen Worten Gott und
die HeUigen zu lästern. Doch Imum waren die ruchlosen Worte dem Munde entflohen,
als Mann und Gefährt mit lautem Krache in die Tiefe versanken. Das entstandene
Loch füllte sich mit Wasser an und war, wie schon erwähnt, bis in die neueste Zeit
sichtbar.
Ebenso soll eine Kutsche mit vier Pferden von der Hainleite und «war oben am
Osterstiegswege in die grausige Tiefe gefahren und verunglttckt sein.
5. Sage vom Mordthal. In der Umgegend wohnte vor Zeiten ein Glockengiesser,
der überall als ein tüchtiger \md rechtschaffener Meister bekannt war. Seine Glocken
zeichnete sich durch edle Form und vollen, schönen Klang aus und wurden weit und
breit begehrt.
Er hatte schon gegossen
Viel Glocken, gelb und weiss,
Fttr Kirdien und Kapellen
Zu Gottes Lob und Preis*
Und seine Glocken klangen
So voll, so hell und rein^
Er goss auch Lieb* und Glanben
Mit in der Form hinein.
In der nahe gelegenen Stadt wünschte man auch ein Werk von seiner Hand, und
der Meister bot alles auf, eine vorzügliche Glocke zu liefern, welche ihm zur Ehre
und der Gemeinde zur Freude genesen sollte. Frisch ging er an die Arbeit, um den
Guss vorsichtig zu vollenden. Doch wie viel Mühe und Sorgfalt er auch darauf ver»
wendete — der Cuf;s wollte nicht gelingen. Mis.smut'h'r; vf>rlicss der Meister die
Werkstatt. Kurz darauf trat er eine nothwcndigc Reise au, nachdem er vorher dem
I.chrjungea aufgetragen hatte, verschiedene Vorbereitungen zu einem neuen Gusse za
treffen. Wahrend dieser nun allein in der Werkstatt schaltete, sann er beständig
darüber nach, warum doch seinem sonst so klugen Meister der Guss nicht gelingen
wollte. Endlidi hatte er*8 gefunden!
Ohne Zögern machte er sich ans Werk und siehe da! — nach Verlauf von einigen
Tagen war die Glocke tadellos vollendet. Überglücklich eilte er dem Meister entgegen,
die an diesem Tage surflckkehren urdlte. Im Mordthsle traf er ihn und verkündete
3. Der blutende Weidenbaum. Der Frevel am heiligen Brot, in dieser oder jener
Form verübt, wird schwer gerächt. Am bekanntesten dürfte in dieser Richtung wohl
die Sage von Frau Hütt (Grimm, Deutsche Sagen, N*>. 233) sein, wenn sie auch
den Riesensagen (Grimm, D. Myth,, S. 499; Simrock, Handbndi, S. 410) sngesKhlt
werden muss.
4. Die versunkene Kutsche. Vom „Mordlhal her kam der vornehme Herr gefahren,
scheint also böse Thaten auf dem Kerbholz zu haben (wenn auch eine andere Sage
den Namen anders deutet). Er lästert Gott mit schrecklichen Worten und schliesst
sich damit aus seiner Gemeinschaft aus. Darum fährt er hinab ins Gewässer und ge-
langt damit in die Gewalt der Kixen und Seegeister, wridie dort herrschen im Ge-
gensat?; rw Gott und seinen Heiligen. Die Sage kann kein hohes Alter beanspruchen,
sondern ist unter christlichem Einfiuss entstanden. Man vergl. Grimm, D. Myth*,
S. 933; Bartsch I, 373; Annale» des Niederrheins 41, S. 18; Laistner, Nebd-
sagen, S. 173; Kuhn, Märkische Sagen, N». 131, V^unkene Kutschen und ver-
sunkene Burgen enthalten dasselbe Gnmdmotiv.
$. S^e vom Mordtkal» Das allbekannte Motiv vom Glockenguss. Blan veigl. ti. A.
. kiui.cd by Google
J
9S
Jhm voll Stolz und Freude das frohe Ereigniss. Kaum hatte aber der Meister die
Kmde vernommen, so übermannte ihn eine fnichtbare Wut, dass ihm nicht gelungen
mUTi was der Lehrjunge auf leichte Art erreicht hatte. Drohend erhob er seinen
schweren Reisestock und Hess ihn mit voller Wucht auf das Haupt des Knaben
niederfallen, so dass der zur Erde sank und das rote Blut das Gras benetzte. Das
Blut und das brechende Auge des Erschlagenen brachten den Meister aber wieder zur
Besinnung. Eine fuiclitbarc Angst ergriff ihn, und mit .atemloser Spannung lauschte
er, ob nicht doch noch ein Lebensfunken iu dem schuldlosen Opfer vorhanden sei.
Doch das Leben war entflohen.
Er hört' und sah nicht mehr; | Ach Meister, wilder Meister,
Der Knabe lag am Boden, | Du schlugst auch gar z\i sehr.
Und wie sich draussen die Dunkelheit auf Berg und Thal herahsenkte, so finster und
dttnkel wurde es in sdnem Innern. Von innerer Unruhe getrieben, entfloh er dem
Schreckensorte und durchritt Feld und Wald ohne Ziel und Zweck, unstät und ruche^
los. Endlich kam er zu einem bestimmten Entschlüsse : Er stellte sich selber dem
Gerichte. Den Richtern that der Meister leid, aber helfen konnten sie ihm nicht.
Es kann ihn keiner retten, 1 Er hSrt sein Todesnrteil
Dosn Blnt will wieder Blut. | Mit ungebeugtem Mut.
Auf die Bitte des Meisters begleitete ihn das Geläut der verhängnissvollen Glocke
auf seinem letzten Gange. Von der sagenhaften Mordthat soll das Thal seinen
Namen bekommen haben. In Wirklichkeit aber irUgi es ihn von der frttheren nioo>
rigen BeschafTenheit, so dass es eigentlich ^Moorthal" heissen mttSSte, Wte es im
Flurbuche von 1683 auch wirklich „Mohrthal" genannt wird.
CFwtutwtMgen folgen).
Folklolistische Findlinge.
Hexengesang. Untt r dieser Überschrift findet sich im ^Korre-
spondcnzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung",
V. 1880. S. 33, 43 ff. ein Aufsatz, über einen alten Volksvers
(in mehreren Lesarten), den die Hexen in der Walbur^isnacht
(i. Mai) auf dem Blocksberge (Brocken) bei ihrem wüsten Trei-
ben mit dem Teufel singen sollten. Ein Harzer Fremdenfuhrer
aus Harzburg hat folgenden Vers mündlich überliefert:
„Trümpfig ist das Hündeleln}
TMmpfig ist der Hund;
Trümpfig geht's zum Fenster aus und ein;
Trümpfig ist das Hündeleia;
Trümpfig ist der Hund."
Nach der Mittheilung aus einem Dieburger Hexenprocess im
Jahre 1627 (Steiner, Geschichte der Stadt Dieburg. Darmstadt
ig29} lautet der Reim;
Schell, Bergische Sagen IV, 70 nebst Anmerkungen. Iteidm Quellennuiterial
steuert auch Kuhn (Westfälische Sagen, 340) bei. Die Glocke erscheint in allen
diesen Sagen als ein hervorragendes Kunstwerk, was sehr zu beachten und für die
Deutung wichtig ist. — Die noch für des Jahr 1683 nachweisbaren Namensform
„Mohrthal" fMoorthal) lässt den Schluss zu, dass diese Sage hier nicht ursprünglich
heimisch war, sondern Erldärung des später in „Mordthal" verwandelten Namens von
■ndmnro fibertcagen wude*
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96
^Soll der Hund mt stumpfig sein?
Kreucht zum Hünerloch au& und ein.
Stump&g ist der Hund iu «. w.
Dass dich der Hagel erschlage u. s. w.**
Für die Auffassung des „Stumphiiun les'" als Tanzliedes — schreibt
C. Wendeler in oben benanntem Aufsatze — bietet der Zusam-
menhang einer Anführung bei I. Praetorius (Satyrus etymolo- .
gicus sampt dem sonderbahren Anhange der kleine Blocks-
Berg genannt. 1672) S. 491 genügende Gewähr. Es wird dort
erzählt, dass ein zum Hexenconvent auf dem Blocksberg geschleppter
^Pfeiffer" nach der Mahlzeit angereizt wurde zum Springen und
Hüpfen zu geigen. „Da hat er gefraget, was er denn geigen
solte . . . . Da soll der Teuffcl ihm dieses vorgesungen haben:
Solt der Hund nicht strümpficht seyni
Fährt zum Fenster aus und ein.
Strflmpficht ist der Hund.
Wie er dies Lied ohne Ende gefiedelt, da hatten sie alle gesprun-
gen, als ob sie toll und thöricht wären," Aus der Verwendbarkeit
des , Stumpfhundes'' für die buhlerischen Ausschweifungen unsau-
berer Geister wird man auf seinen zotit^en Inhalt schliessen müssen.
Das Wort Strumpf ist nur eine Nebenform von Stumpf. (Die
Bekleidung des menschhchen Unterschenkels ist nur der , Hosen-
strumpf", d. h. der Stumpf der mittelalterlichen, eng anliegenden,
für den ganzen Schenkel und Fuss einheitlichen Hose). Im obigen
Hexengesange ist unter Stumpf oder Strurniif offenbar Penis
caninus zu verstehen; da<:^cgen scheint „trümphg"' irrthümlich auf
neuerer Verwechselung mit ^strümpfig" oder „strümpficht" zu
beruhen. Der Unterzeichnete entsinnt sich aus seiner Jugendzeit
in Dessau die volkshumoristische Redensart aus dem Munde des
gemeinen Mannes gehört zu haben: „Seinen Strümp ausringen"
(— mingere). Wendeler fährt dann a.a.O. fort: Die Beziehnug
auf den „hellenhunt" (J. Grimm 's D. Myth. Il4, 832), den „hunds-
brautläufigen Teufel" liegt nahe, — und wer den mythologischen
Spuren noch weiter rückwärts folgen will, wird sich mit E. JL Roch-
holz (Drei Gaugöttinnen u. s. w. 1870) vergegenwärtigen müssen,
dass die in der Walburgisnacht auf den Wiesen tanzenden und auf
den Blocksberg fahrenden Hexen ^arge Trübungen einer ursprünglich
edleren Vorstellung sind von gütig gesinnten und ftir das Ernten-
wachsthum bemüht gewesenen Geistern."
Arnstadt. Dr. med. F. Ahrendts.
biyilizüü by GoOgle
97
(Aus dem bukozviner AUtagsglaubcn). i. Wenn es hagelt, so wirft
man auf den Hof Schierhaken, Bürsten und dergl. hinaus. (Czudin
in der Bukowina, rumänisch).
2. Man darf nicht die Hagelkörner in die Hand nehmen, denn
es wird noch länger hageln. (Dortselbst).
3. Nach der Entbindung, bis die Nachgeburt nirbt herauskommt,
darf die Hebamme niemanden sagen, ob ein Bub oder Mädchen
geboren wurde, denn es könnte dem Kinde schaden. (Czudin, jüdisch).
4. Man darf das Kind fremden Besuchern nicht zeigen. In alten
Büchern steht geschrieben, dass unter 100 Kindern 10 durch bösen
Blick sterben. (Dortselbst).
5. Wenn die Wöchnerin von Frauen, die Regel haben, besucht
wird, davon aber nichts weiss, so bekommt das Kind Vierziger.
Um dem vorzubeugen, soll man unter das Bett etwas Wagen-
schmiere legen. (Dortselbst). ^ * t • •
* * ' J. Jaworskij.
Vom Bücher tisch.
Die Lebendigen und die Toten im Volksglauben, Religion und Sage.
Von Rudolf Kleinpaul. Leipzig 1898. G. J. Göschen, VI,
293, gr- 80.
Ob durch Fund bei einem BUchertrödler oder durch ein Geschenk oder eine Erb-
icbaft oder durch einen Zufall, bleibt unentschieden^ gelangte Kleinpaul in den
Be?itr eines Buches von Rippert und eines von Laistner. Er las sie flüchtig
durch, fand, da^s er sie nicht verstand und setzte sich hin, um davon als FeuiUeto-
niit in mehreren Zeitangen Zeugnis abzulegen. Dm genttgte ihm nodi nicht. Er
sammelte seine Auslassungen und gab sie unter dem volltönenden Titel, wie oben, in
Buchform heraus. Ich hielt Kleinpaul nach seinen früheren Büchern, die mir zu
Gencht kamen, für einen Sprachfoncher, der weder die Sprachen noch die Forschung
genügend kennt, jetzt, wo er sich auf Volkskunde verlegt, sehe Ich aber, dass er auch
vom Volke keine ausreichende Kunde hat. Für ihn haben die Volksibrscher nicht
gedacht und nicht geschrieben. Et weiss von der ungeheueren Arbeitleittung, die
gerade auf dem Soudergehietc, das er l)ehandeln wollte, seit einem Jahrzehnt voll-
bracht worden, rein nichts. Dafür macht er mitunter Spassetteln über Din^e, die
aichts weniger als spasshaft sind. Er ist zu häufig weder witzig noch geistreich, er
vitwlt und geistreichclt nur; er schmÖckelt zu oft, wo er mit Tatsachen des VoUtSf
glaubens fir kiü lische Behauptungen auch blos den Schein eines Beweises erbringen
sollte. Wiu, liuijior und Satire sind wohl auch in gelehrten Arbeiten zulässig, doch
dflffen sie nur persönlich polemischer Natur sein, ohne den (icgenstand der Erörte-
ning ins Triviale hinabzuzerren. Freunde leichter, wissenschaftelnder l.eklUrc mögen
bei alledem KleinpauTs Wortgelenkigkeit bewundem und sich seiner erkünstelten
Lustigkeit und schöngeistigen, bftrgerlteh ehrbaren Gescheitheit erfreuen. Er Tersteht
sich auf angenehmes, fiiessendes Salongeplaudcr un ! hat ab und zu auch gute Eilfc«
fälle, ob eigene oder die Anderer, was kümmert es unterhaltungsbedürftige Leser?
Krauss.
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9»
MitUilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde unter Mitwir-
"kxoLg hervorragender Gelehrter hng. von M. Grunwatd. Heft I. H«ni-
bttfg 1898. S. 120. 8*. Selbstverlag.
Die jjüdisch( Volkskunde'"', die ^slovcnischc Gerechtigkeit", ^zionistisches Juden-
tum", und die jfihristliche ChemikaUcnhaadlung" gehören zu einer und derselben
Gruppe von Erscheinungen, deren nähere Besprechung in einer wtssenscliafllichen
Zeitschrift für Volkskunde nicht zulässig 1 lieint. Der Hamburger Verein, von dem
im I. B. des Urquells schon zweimal die Rede war, segelt unter seltsamer Flagge,
sonst aber muss man seine Bestrebungen, Materialien zur Kenntnis jüdischen Volks-
tums oder besser, des Volkstums von Juden aufzusammeln, nur freudig begriissen»
Insbesondere habe ich dazu begründeten Anlass, weil ich als einer der ersten — was
aber Herrn M. Grunwald nicht bekannt zu sein scheint — auf dieses, arg vernach-
lässigte Gebiet die Fachgenossen seit vielen Jahren hinweise und mehr als gmug
Verunglimpfung hiefiir eingchclmüt habe, und dann, weil ich hoffe, dass der neue
Verein mit seinen Mitteilungen unseren Urquell einigermaassen entlasten wird. Die
Einleitung* G.*s lisst den Kern der Aufgabe fast unberührt, denn sie rtthrt von einem
Laien in der Volkskunde her. Das Heft enthält vielen, jedoch meist schon bekannten
und sowohl in ,Am Ur-Quell' als im ,Urquell' veröffentlichten und daraus unkritisch
entlehnten Stoff und einige Bildchen von fragwürdigem Werte. Erläuterungen, die dem
der judendeutschen Mundarten Unkundigen das Verständnis der Texte erschliessen sollen,
fehlen. In ihrer gegenwärtigen Gestalt ist die neue Zeitschrift doch nur für einen
engeren Kreis von Juden berechnet. Der Zusatz im Titel: ,unter Mitwirkung hervor*
ragender Gelehrter' ist unpassend, solang als dem der Inhalt der Beitiige nicht
entspricht. Krauss.
£7Mfr i£w FoHuuaius-Märchm. Von Prof. Dr. B£lft LisAr. Ldp-
lig 1897. G. Foch. 139 S. IcL 8*.
Es ist eine lichtvolle, mit Hinblick auf die reiche, erwiesene Literaturkenntnis des
Verfassers auch gründliche und den Stoff vielseitig behandelnde Sonderuntersuchung,
die als Vorbild für ähnliche Arbeiten dienen kann. Nach einer etwas zu sehr lücken-
haften Sicizze über die Entstehung der schönen Prosa in der westlichen Literatur ei^
örtert L. die Geschichte Fortunat's, den Ursprung des Märchens, das Volksbuch von
F., das historische Lied und F. im Drama uud der Epik bis auf Chamisso und
U bland. F. in der slavisehen Volksttberliefentng fdüt. K.
VIII. Ausweis
über die zur Gründung einer Urquellstlftung von 10,000 Fl. eingeflossenen Spenden:
Stand des Fonds (vrgl. Urquell, N. F. Band IL S. 50) 800 FL ö. W.
Herr Hofrat Dr. M. Höfler in T»U 6,,,
Herr Sigmund Neustadtl in Prag 25 „ ^ „
Herr Dr. Arnold Rosenbacher iu Trag ^Snn»
Dr. F. S. Krauss, Sachverständigengebühr in der Schwurgericht«
Verhandlung Budin c« Condutti (25. I. 1898) 4 » a «
Zusammen 860 Fl. 5« W.
Wdtere Speiden flbemimmt der deneitige Verwalter der Ur^ellstiftnng
Wien VII/2« Neustifteasse 12. rv. • j 1 «. e v
^ ^ i Dr. Friedrich S. Krauss.
1
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■
Verlag der Buciihandiuiig und Druckerei vormals E. J. BRILL.
•
AnIdV für Ethnographie (I n tenurtteaales) , hng» von Dr. KtbC BaIiaioa, Copen-
hagen ; Prof. F, Boas, Worcestcr, U. S. A.; Dr. G, J. Dozy, im Haag; Ttof. E. H.
GiglioH, Florenz; A. Grigorief, St. Petersbnrg; Prof. E. T. Hamy, Paris; Prof. H.
Kera, Leiden; J. J. Meyer, Ocagarang ü^^^)^ Prof- Schlegel, Leiden; Dr. J. D.E.
«Schmeltz, Leiden; Dr. Hjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. B. Tylor, Oxford. —
Kedaction'. Dr. J. D. E. Schmeltz. 1887— 1897. Vol. I— X. (Mit schw. u. col. Taf.). 4«.
Vannie de 6 livr. . ' / la. — •
Supplement" zu Band I ; - . ■ ,
Otto St oll, Die Btlmotogie der ladianerstäntnie Ton 'Guatemala. 18S9. (Mit a
col. Taf.). 4" / 4.—
Supplement zu Band III:
Max Weber, Ethnographische Notizen Uber Flores und Celebes. iS^. (Mit 8
'col Tai:). 4». ..... , . . / 9.—
SupptomMit sn Baad IV;
David Mac Ritchie, The Aluos. 189a. (Miti7eol«tuaMAw.Taf.>4*. / S9^-
Supplemcnt zu Band V :
W. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893. (Mit 2 coL u. 6
seh«. Taf.). 4». .... -..../ 6^
Supplement tn Baad VIT :
F. W. K. Müller, Naog, Siamesische Schattenfiguren im Kgh Mttseiiin Ar Völ-
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit 4 »chw. ^^ 8 Col. Taf.). 4*. , , . . / 9.—
Supplement zu Baad IX: ^ * ' -
£tl»ik«graphis«1itt BeUrttge* Festgabe aar Feier des fo^^tn Gebartstages voti
FMtf. .Ad, .Ba8liatt. 1896. (MH $ etfl. Taf.) 4*. . . . , . . . ^ , f 6^
Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeitschrif' hh jetzt
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecuniä»
ren Opfer so viel möglich sv erleiditem, habe ich mich entsdilosseB, den neuen
Subscribenten auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der
noch vorhandene, geringe Vorrath dies ge8tatte.t, zu ermässigten Preisen s«k über»
' lassen, und swar: ' \ ;
Bd. t — (Ladeapreis aio Mark) zu M. 150. — .
Bd. I — X mit sämmtlichen Supplementen (Ladenpreis 288 Mark) zu M. 170. — .
Da von den letztgenannten sieben Banden mit sämmtUchen Supplementen nur
noch sehr -wenige vollständige I x u plare abaageben siäd, durfte es sich emp-'
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zu ertheilen.
Ettting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner-Arabien. 1896. Theil I. 8°. Mrk. 7.50
Jacobs, J, Het Familie- en Karapongleven op Groot-Atjeh. Eene bijdrage tot de
ethaographie van Noord-Sumatra. Uitgeg. vanwege het Kon. NederL Aardrijksk.
Genootschap. 1894. a dln. (Met 17 pholklith. eii6gekI.phiten)gr.iii-8^. Mric 35.50
gebanden . . Mik. 38190
Landberg, C. de, Bäsim le forgeron et HSrun Er-RSchid. Texte Arabe en dialecte
d*]^pte et de Syrie. Publi6 d'apr^s les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et
aecompagn^. d^une tiaductieii et d*iin glossaire. I: Texte, tradition et pröveibca.
1888. V. Milc 5-—
M^artin , K., T^ci icht uLer eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf
gegründete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-8°. Mrk. 34. —
MarÜQ, K.| Reisen in den Molukken, in Ambon, den U Hassern , Seran (Ceran) und
Bure. Eine Schilderung von X.snd und Leuten. (Herausgegeben mit Untersttttsang
der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf.^
I color. Karte und 18 Textbildern), gr. in-8** Mrk. 21. —
Spitta-Bey, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits. Texte arabe en caragt.
. at. avec la traduction fran;;. 1883. 8** Mrk. 6.50
oogle
INHALT.
Scke
Socialpsychologische und geographische Perspektive. Von Thomas Achelis . 51.
Ein 'altägypUscIier WdtschöpfaogsmythYW. Von A. W ledern ttnft . . i ' . . 57.
La feMa di S«- Lucia in SLrojcusa; Appinttl di G. Patr^. . .. . ..... .. 7$.
Die n Wilde Frau'*. . Ans dem Vol1ii^toit]»en der Südnuaen. Von Jnljan Ja-
worskij . . 73*
Volkstümliches aus ruteniscfaen Apokryphen. Von r>r Twan Franko . . . S2»
Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorspioaeen. Eine Umfrage voix
B. Laafer . . . . .... . ... * . . . > . . . , , S6.
Wober kommen die Kinder? Eine Umfiage von O. Sellen. Beitn^-von Joae*
jTine Kopecky. ... . , ........ . . ~. . 88.
Von der Hand, die aus dem Grabe h^miiawftdist Eine Untfnge «pn B. -Spren-
ger, "^itrag von Tl. F. F^ilberg ..... 90.
Die Nadel ohne Faden. Von A.Tieilchel. 9*«
Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre. Gesammelt von Fr. Krouig, er-
lintert vi O. SckeU . . .' .* . . ... 4 . . . 92.
Folkloristisc&e Findlinge, i. Hejtei^esattg. Von Dr. 'med. F. Abrendts.
2. Rumämspher und galizischer Volksglaube. Von J. Jaworskij 95'.
Vom Buclicriischc. Kleinpaul: Die Lebendigen und die Toten im Volksglau-
ben etc. — Mitteilungen der Gesellschaft f. jiidisclio Volkskunde in Hsunbur^. —
über das Fortunatus-Märchen. Von B. Ldiar. — Angezeigt von Krauäs . 97.
VlU* Ausweis %ur Urquellstiftung 98.
Wir bitten mm ifitarteihr^ sieb aas RüekMcht für nnsere hoIUindischea Setser
in iliren Bntzägen nur einer kabsck leserlichen LMtmue&rift an bedienen.
*
Jeder Mitarbtiter bat Ansprach anf 25 Sooderabsttg« seines Betrages; bedarf er
ihrer mdir, mag er »ch deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einverw
nehmen setzen.
Utqnell erscheint regelmässig in Doppelheften. D«r SuhuriptUnspreis für ätn
gamm yakrgaag beträgt: 4 Mark. = $ K. * 5 ftes = a.50 fl. «• i /.
Abonnmtnts können auch bei der Redaktion des Urquells, Wien VII/2. Neustift-
gasse 12 angemeldet werden.
Druck der ^Buchhandlung und Druckeret vormals E. J. Brill** in Leiden.
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DER URQUELL.
Eine Monatschrift für Volkskunde,
Heraufigc^eben
von
Friedrich S. Krauss.
Das Volkstum ist der Völker Jungbrunnen.
Der neuen Folge Band II. Heft 5 und 6.
BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI
Tormals
E. J. BRILL
xj;iDSN — 1898.
G. KRAMER Verlag
in HAMBURG.
SU Pauli, Thalstr. 9^, I.
Radbidioa: Wien, Österreich, VIV2. -Nenstiftguse ta.
Einlaufe. .
Wossidlo, R. : VolkstUmlichss aus Meckleaburg. Vom Trinken. S. A. Rostocker
Z«itung 1S98. . •
Bolton, H. Carrington: The Revival'of Alcbemy. S. A. Science Vol. VI.
BoUöttr B. Catrlng^; Mora eounting-out rhymes. S. A. Folklore Journal 1897. -
fidtr, Robett: Zur VogeUuma von Gastein. S. A« Omith. Jrb. 1898. (Eiogestreat
foUdoiUtiache Beobaditimgen). • *
Seldal« A«: lEvIeospiesdeien aua Tunis «nd In^en. Ncdd. AUg. Ztg. 26. II. 98.
MddL, Hkt D«f Si^neeschnlr.iiDd seine geognpli. Verbrctitang. &' A. Glolms. LXXill.
Ifellbtrg, H. F.: Der Kobold in nordischer Überlieferung.' S. A. Zeitadir. f. Völkerk. 9B.
Observations on a coUection of Papuan Crania by G. A. Dorsey, witb notes on
preservation and decorative features by W. H. Holmes. Chicago^ 1897* (Field
Columbian Museum^ Vol. II. i) p. 48.
The province of South Australia, written for the South Australian Government by
James Do mi nick Woods J. P., with a sketch Öf Th» northem Territofy, by
H. D. Wilson. Adelaide, C. E. Bristow. p. 446 8«.-
Danon, Abraham: Recueil des Romances Judöo-espagnoles chantees en Turquie avec
la traduction frangaise, ime introductio^ et deä notes. Paris 1896. Durlacher,
6r p. 8».
Zbomik za narodni iivot i obi6aje juSnilk sUvena, Svez. IL nredio Dr.^Ant. Radi€.
Zagreb 1897. 515 p. ^. (Sammelwerk f. sftdslaT. Folklore).
Sbornik za narodni umotvoraoy« etc. Kn. XIV. (Sammelwerk f. bulg. Folklore).
Sofija 1897.
Archiv für Religionswissenschaft f hrsg. von Th. Achelis in Bremen. I. B, i. II.
Xia S. gr. 8«; Freibug i. 6. J. C. B.. Mohr (F.- Siebeck). 1898.
Atif dieser grosstügige^ tmter JUtfmiriung der namhaftesten Forscher unserer Ztit
erscheinende Unternehmen^ kommen -d'ir im fiHch^tm Hefte zu sprechen. Den
Fachgenossen sei es schon jetzt auf das eindringlichste em^fohienj, Preis 14 M.
ganzjährig.'
Insertionen — Beilagen.
^^^^^^^^^
höflichst, gebeten , sich für Inserate und Beilagen ansschli^lich an
die BttcUundliuig vad Drackerei vormals B. J. BRILL in Leiden vendfiu au wollen.
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Das Hirnweh.
Von Dr. Höfler.
St Cornelius ist in Flandern Patron für das Hirn(Hürn)-Weh
(fland, hoarnvie) und zwar zunächst aus Volksetymologie; denn
Corn-elius hat anlautendes corne (= koorne = Blasinstrument) ^
wie ja u. A. auch St. Valentin för die , fallende'* Krankheit Patron
war. Solche etymologische Patronate weisen Flandern und Frank-
reich mehrere auf. Dieser St. Cornelius hilft nun dort gc^cn die
jScssens", (auch ^Seskes** nach De Cock*s Volksgeneeskunde in
Viaanderen S. pj. los), womit wol die »besessen" machenden
Dämonen und weiterhin die Besessenheit und die Besessenen selbst
gemeint sein dürften (und kaum die lateinischen Aceessus), Gerade
bei solchen Volksgebräuchen bildet ein bestimmtes altes, später
nicht mehr verstandenes Schlagwort oft den Kern zu weiteren
volksüblichen Vorstellungen, die durch Volksetymologie sich hin-
zugesellen.
Das, was uns De C o c k tl.c.) und A. Fauwcls (Volkskunde
X. i8g8 121. ff.) über St. Cornelius in Flandern berichten, stimmt
ganz gut uberein mit dem, was im übrigen Deutschland bei der
Besessenheit, die das Hirnweh mit einschliesst, gebräuchliche
Volksmedizin ist. Zum Beispiel : Die Wallfahrt oder Bet-Fahrt zu
St. Cornelius in Machelen, welche die Machelen-Gilde, eine 1323
gestiftete Bruderschaft, am ersten Sonntage nach Johannes so un-
ternimmt, dass sie mit dem ersten Morgengrauen zu Machelen
ankommt; dieser Sippengang entspricht genau den Wallfahrtsge-
bräuchen, welche in Oberbayern bei uralten Kultorten, wie z. B.
St. Leonhard in Tnchenhofen (vergl. Beiträge z. Anthropologie,
Ethnologie u. UrgeschuJitc Bayerns 18(^1. IX. log u. i8g^. XII.)
gäng und gäbe sind hv/.. waren. Das silberne Horn 'mniu}, in
dem St. Cornelius Reliquien geborgen sind , ist das Substitut des
germanischen Hirn-Schadels, der an vielen Kultorten als Trinkschale
ins Christentum übernommen wurde z. B. in St. Nantwein bei Nan-
desbuch, St. Sebastian in Ebersberg, St. Vitalis in Au am Inn,
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100
St. Marinus in Rott am Inn, St. Alto in Altomünster ( VergL des
Verf. Baum- rtnd Waldkult S. ^6. fg. Sj ). Man gab an sol-
chen Orten bis auf unsere Tage den Minnevvein aus der silber-
gefassten Hirn-(Hürn-)Schale zu trinken (Ueber dieses germanische
Trinken aus menschlichen Sc/iääeln s. Correspondenzblatt f. Anthrof.
J882. S. 46).
Für Heilungszwecke opferte man da wie dort lebende Opfer-
tiere, schwarzes Huhn (in Flandern ^PilgrinC' genannt }y auch
Pferde und (dieses stellvertretendes) Reitzeug. Trink- und Ess-
gelage (Minnetrunk) gehören da wie dort zum Kulttage, Kultorte
und zur Kultzeit. Sicher übernahm am Niederrhein St. Cornelius
als Kalenderheiliger die Rolle einer heidnischen Kultpersönlich-
keit; er ist in vielen Kirchen der Hauptpatron gegen Epilepsie
oder wie man früher sagte, gegen das Vergicht.
St. Johannes-Übel und St Cornelius-Siechtum sind identisch und
zwar deswegen, weil die Sonnenkultzeit (Johannes) von jeher eine
Zeit der Heilung der von Dämonen Besessenen war, die man
durch Reigentänze im Anblicke der Morgensonne vertreiben
wollte und zu diesen Besessenen gehörten auch die an Epilepsie
(St. Johannes-Übel und St. Cornelius-Siechtum) Leidenden.
Das universelle Allheilmittel, die Wärme des Himmel-Elementes,
der die nächtlichen Alp- Wesen (Dunkel-Elben) vertreibenden Sonne
und das Tageslicht, dessen höchsten Stand man in der Sommer-
Sonnenwende feierte (St. Johannes) und das als Einauge Wodans
vorgestellt wurde, die Sonne war es, der man die von Dämonen
besessenen Unsinnigen im Reigentanze entgegenfiihrte. Darum ge-
schieht auch die Bet-Fahrt der Machelen-Gilde in der Nacht der
Johanneswoche, um am herkömmlichen Kultorte, der gewiss noch
andere Volksbräuche und Sagen aufzuweisen hat, der aufgehenden
Sonne entgegen zu schauen, die dann ihre höchste Kraft in der
Vertreibung der Sesschen (seskes) hat; die elfenvertreibende Macht
der Sonne gab dieser den Namen Alp-Verdruss (Edda: grae^alfa).
Der Donnerstagssonne führte man darum auch das vom Bürzelwurm
besessene Pferd entgegen; darum hiess auch bei der Armorikanem
(Normannen) die Epilepsie: drouk sant Jann (Ducange V, jij)
d. h. Druck durch die besessen machenden, au&itzenden Alpdä-
monen, welche am St. Johannestage durch den St. Johannestanz
vertrieben werden sollten. Die Sonne ist auch der ^glühende
Cornelius" der bergischen Volkssage (s. 0. Schell^ bergische Sagen
S. jgs, 196), der auch die Gestalt des einäugigen Feuermanns
und des einäugigen Jägers Wodan) im Volksglauben am Nie-
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lOl
derrhein ist. Kurz die Analofriecn zwischen dem deutschen St. Jo-
hannes und dem St. Cornelius des Niederrheins sind so vielfache,
dass wir nicht irre flehen, wenn wir auch die „sessens" der Flam-
länder für germanische besessen-machende elbische Wesen halten,
die das Vergicht, (Gichtern, Epilepsie, Hundswut, Staupe, Convul-
sionen etc.) veranlassen bei den von ihnen bese.ssenen Kranken.
Germanische Heilgebräuche decken sich dort, wie durch ganz
Deutschland, auch mit einem germanischen Namen für die betr.
Krankheit.
Das Hirnweh, ein Symptom der Besessenen (— Geisteskranken),
musste demnach zu dem Heilgebiete der St. Cornelius mit dem
silbernen Hürn oder Horn fallen.
Volksetymologie schuf später manche Volkssagen-Beigabc ; auch
St. Cornelius musste sich solche Etymologie gefallen lassen, aber
nicht blos diese wurde ihm zu Teil; er erhielt auch, wie jeder
Heilkünstler seit Urzeiten, seine Concurrenten ; in Flandern stellte
man ihm den St Ghislenus (St. Ghele3ms, St. Ghilleyn, St. Gislene,
St. Gillis) zur Seite, unseren oberdeutschen St. Gilgen, der zum
sogenannten Nagelpatron (mtU de St* Gillis = Kanker und Schanker)
sich ausbildete, wie St. Leonhard (eonf. Beiir» Anthrop. Bayerns
18^1, IX, S. 114, ff,)
So kommt hinter der oberflächlichen und lokal verschieden ge-
färbten Hülle, die solche Kalenderheilige tragen, immer wieder der
eigentliche heidnisch^germanische Stoff zum Vorschein, der selbst
wieder einen universellen Urkem hat, d. h. Reste der mit der
Naturverehrung zusammenhängenden Urreügion (c<mf, KuluCaUn-
darium in Zeitschr, d, D, u. Oe, Alp, Vereins iS^j S, igs ff,),
Tölz (Oberbayern).
Alte Segen.
MitgeteUt von Otto Heilig.
L Blutsegen aus dem XVI, Jahrhundert (Nach Cod. Pal.
germ. 264). — Cod. Pal. germ. 264, der nach K. Bartsch, «Die
l) über gertnan. Zauberliedci und altd. Segen vergl. Kuhn, Zelts, f. vergl. Spr.
'3» 49 ff« ^-j Grundriss der germ. Phil. II. i6o. Eine beachtenswerte
psychologisdie Wttvdigung der Bedeutung von Segesnsprttchen in deutscher Volks-
medizin liefert Dr. Max Hejfler in seiner Studie ,ÜbeT germanische Volksmediun'
S. 10 — 15. Amsterdam 1897. (S. A. a. Janus').
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I02
altdeutschen Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidel-
berg", Heidelberg 1887, dem XVI. Jahrb. angehört, enthält eine
Menge altdeutscher Segen. Sie sind zwischen Abhandlungen medi-
zinischen Inhalts eingefügt. Den über 40 Segen bliiet zu stellen,
von denen hier nur die wichtigsten zur Veröffentlichung kommen
Süllen, folgen in der Handschr. Pfeil- Wund- und Wassersegen. Die
manche Segenssprüche begleitenden Formahtäten, volkskundlichen
Heilmittel, Gebetsaufforderungen u. s. w. sind hier weggelassen, da
sie für die Segensformel als solche von geringer Bedeutung zu
sein scheinen.
Am Schlüsse der einzelnen Segen (einigemale auch schon in der
Überschrift) stehen die Namen von Gewährsmännen, auf die die
Proben zurückgehen sollen. Es werden für die Blutsegcn genannt:
Franz Brack, Castner barbirer, Johan Kastner Frotonotarien, barbirer
Dreutwein, Erpach, Hanaw, Hensell von Schifferstat, zinmaister zu
Hepffenheim, Fe. Herman, Hurlewegin, Jilge, ph. Leonhardi, Pfef-
finger und Sigersdörffer.
Der Cod. enthält keine Interpunktion. Die Segen haben wir
nach Stoffen geordnet.
yestis, — Cod. S. 9* Staudt bluet in deinen Steden, Als vnser
herr Jhesus cristus stunde in seinen nodten. f Staudt bluet
in deinem lauff, Als vnser herr . . . stunde an seiner marter. f
Stand bluet in deinen ädern. Als vnser stunde in sei-
nem dodte.
S. 9* Godt ist mensch. Das ist gudt. Dem warde gestochen ein
wunden. Das ist gudt. Ich beschwere dich, bluet, f Mit
dem hailigen bluet, f das du stil stehest vnd nümmer gehest
S. 9t» Godt wardt vnindt. Das warde in den hiemell kundt. Durch
sein hailig (linff wunden gesegen ich die sechst die weder
geschwollen noch geschworen. Als wolle dise auch thun...«
Aue on wehe, Aue on .wehe, Aue on wehe. Als wore Maria
gebare vnsern lieben herren . . . Als wole hailen diese wun-
den on alle wehe vnd schmerczen .... Standt, wehtagen, still
vmb des hailigen bluets wille . . .
S. 10* N. Du solt als w^enig gcschwellen oder schweren. Als Godt
dem herren die nagell, die im würden durch sein hailig hende
i) Darüber (von der selben Hand?): ^echs'.
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I03
vnd fiis geschlagen. Das helfT mir Godt, der man, der den
. dodt am hailigen Creucz name .... Das sei dir N. gezelt
oder gesprochen.
S, II» Vnscrs Herren fiinff wunden die wurden nie verbunden; die
verstellen dis menschen N. sechst wunden ....
S. 11* Crist warde geornet zu nazaret vnd geborn zu betlahem
vnd gedaufft aus des Jordans sehe, vnd warde gemartert
zu Jherusalem. Als wore diese vvordt sein, als wore be-
schwere ich dich, bluet, bei im, Das du verstest vnd nüm-
mer gest.
Ahnlich S. ii^ Cristus warde geborn zu betlahem
S. IX* Gudt was die stunde, Do Godt geborn warde; zwirnet als
gudt, Do er gedaufit warde; Drei stund als gudt, do er ge-
martert warde. Gudt woren die stunde; die wollen verstellen
das bluet vnd die wunde.
S. IIb In sanguine Ade orta est mors, In sanguinc Cristi Mors re-
tenta est, In eodem sanguine Cristi precipio tibi, o sanguis,
vt fluxum tuum contineas ').
S. 11^ Gudt sei die stunde, hailig sei die wunde. Nun mus dir als
wenig wehe sein, als der Kelch vnd der wein vnd das
hailig hiemelbrodt, als vnser herr sein zwölff Jungern gäbe
oder bodt.
S. 12* Godtes sune warde fünff wunden geschlagen mit dreien na-
geln vnd mit etm sper. Doraus ranne wasser vnd bluet
Durch des wassers vnd bluets ere. So blude du, blude in
diesem menschen nit mere. Das gebeut ich dir Bei Godtes
hailigem wasser vnd bluet, das du als worlichen bleibest in
in diesem menschen als die milde maget Maria jh. Cristum
gebar.
S. I2b Ich beudt deim bluete Bei dem hailigen roscnfarben bluet,
Das vnserm lieben herren jhesu Cristo durch sein hailig
funff wunden wndt, das du still stest vnd an der Stadt nit
mer gest.
S. 13a Es wachsen drei rosen we aus vnsers herr Godts herzen.
Das ein ist sein giidte, das ander ist sein demudt, das dritt
ist sein gudter will. Bluet, stände still ....
i) Übenchrieben: ,Wem die nase bluet zu sere.'
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I04
S.' 13A Standt stiller, Wan Cristus stunde an dem stam des hailigen
Creucz gekreucziget. In dem namen des vatters . . , vnd in
der ere der hailigen drei künig Caspar, Melchor, Balthazar.
Johannes. — S. 9^ Stand bluet in dir, Also Johannes stunde in
im Stand bluet in deiner ädern, Also Johannes stunde in
seinem dodt. Stand bluet still, Also Johannes stunde ge- 1
kreucziget.
S. 12» Cristus vnd Sant Johannes gingen zu dem Jordan. Do sprach
Jhesus, der gudt man: dauff du mich, Johannes. Er sprach:
Ich enmage, herr. Der bach fleust zu sere. — VfT hübe
Cristus sein handt. Also müs dem menschen geschehen.
Das helflf mir der gudt Crist.
Varianten: S. 14'' «... Do sprach J. Cristus: Wonuub dau&tu nit? Da
sprach der gudt Sunt Johannes baptist: Sie, lieber herre neinster mein; Nnn fleust
der Jordan. — VfT hub unser lieber herre Jhesus Cristus sein gridtlich handt vnd thet
sein Segen über den Jordan, das er gestände. — Also gestand dir, N., dein vnge-
rechtes bittet
S. 13» Do sie zu dem «asser konen, do gestünde das wasser. Also gestaad
des menschen N. bluet.
Longimis. — S. q^» Longinus Cristuni stach — Ich wais nit, was
er an im räch — Viel dicft* durch sein Seiten. Das bluet
flos viel • weidte. Stande, bluet, stille durch des hailigen
Cristus willen.
S. 10» Longinus der man, f Der vnserm herren Godt Jhesu
Cristo sein recht selten vfT gewan. f Doraus ran vrasser vnd
bluet. f Durch desselben hailigen biuets ere so verstehe,
wund, vnd bluet nit mere.
S. ic^ Longinus der man, Der Godt seine selten vfT gewan.
Doraus rann wasser vnd bluet. Ich gebeut dir Bei dem hai-
ligen bluet, Das du nümmer fangest vnnd still standest.
S. Ilt» Longinus ein Jude vnd ein ritter was, Der vnserm herren
Jhesu Cristo durch sein rechte sciten stach. Die stunde was
gudt. Doraus ranne . wasser vnd bluet. Durch des haili-
gen biuets ere ....
Ähnlich S. 13a anfangend: Longinus^) der gudt in sein hailig
Seiten stach ....
S. 12h Longinus miles latus Jhesu Cristi perforauit. Continuo exuit
i) Zu e^nzen ,hics\ 2) Am Rande (von derselben Hand?) die Eifünsnng
jüdling'. 3) Am Rande: ,EUas\
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sanguis et aqua; sanguis in redemtioncm pannendi, aqua
in baptismate. Sanguis sibi restet £t Spiritus sancti non
exeat de corpore vel decumque membro corporis non exeat.
S. 14« Longtnus miles percussit latus domini nostri Jhesu Cristi.
Cessa a punctione Et stedt sangwis iste Et stetit sangwis
iste Sicut sangwis ist
Zacharias, — S. iol> Stedt fluxus sanguinis istius mulieris^) Et
reuificet nostram naturam f amen. Sanctus Zacharias decol-
latus fuit coram altare, Et sanguis eius quieuit. Ita f San-
guis f fluxus istius, tu N. euanescanescat. amen.
S. 9a Fax, max, rcx, Zacharias dccolatus est uitcr templum et
altare. Et sangwis suiis ^} Ecce coagulatus in testimonium
domini nostri ....
Elias, — S. I2l> Santus helias in heremo sas vnd fios im das
bluet zu baiden naslöchern aus. Do b^unde er ruffen zu
Godt vnd sprach: herr Godt, nun hilflf mir vnd bezwinge
das bluet. Als du bezwungst den Jordan, Do dich Sant
Johans doraus dauflfet.
Variante: lob Sant helias sass in der wttnsten. Dem flos das bluet aus den nas-
IScbem beden., Do sprach er: Ehe dich ....
S. 14« Helias in turri sedebat; ambulare eius sangwinabat. Et dixit
Helias: Oro, domine, vt stedt sangwis iste; sicut stetit san-
gwis Alle, sie stedt sangwis iste.
Maria, — S. 11« Also liebe sei dir wunde zu bindende, als
vnser lieben frawen vnd vnserm herren Godt ist der man,
der ein recht vrthell kan vnd des niement entgan.
S. 13a Bluet, vergis deins gangs, Als vnser liebe fraw des maus,
der an dem Suntag ätill stedt vnd nit mit dem Weihwasser
vmb die Kirchen gcdt.
S. 13b In dem hailigen Jordan, do stene drei edeler brunnen. Der
ein flos, Der ander gos, Der dritt stunde still. Also verstehe
die blutig rinnen durch Maria willen.
i) ,iste' zu lesen. 2) Dieser Segen ist Überschrieben: Ad restringendum
sanguinem seu fluxum muUerum per mulierem Veronicam. 3) Schreibfehler fUr
,eius' ?
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Menschenvergöttening.
Eine Umfinge von A. Wiedemann.
IL Die aitheidnische Theorie, wonach es den Göttern anhcim-
gestellt war, sich nach Belieben in Lebewesen und Pflanzen zu
verwandeln, muss in uralter Zeit häufig zur Vergöttlichung von
Menschen geführt haben. Davon sind mehr oder minder deutliche
Spuren in den Mythologien aller Völker vorhanden ; auch die
biblische Mitteilung, wonach sich Söhne der Götter der Töchter
der Menschen bemächtigt, handelt von solchen Vergötterten. In
den historischen Zeiten, wo bereits einzelne Personen mit grosser
MachtfüUe ausgestattet waren, durften sich nur die Gebieter auf
Thronen einen solchen Luxus erlauben; andere die sich für Gott-
heiten auszugeben wagten, nahmen gewöhnlich, als Hochverräter,
ein böses Ende. Dem ist es zuzuschreiben, dass der Geneigtheit,
Menschen, die Ausserordentliches geleistet, für Incarnationen der
Götter zu halten, Unjgrekrönten gegenüber, nun hie und da ent-
sprochen wurde. Au^i^^l^men haben indess auch in vollkommen
historischen Zeiten häufiger stattgefunden, als man annimmt. Simon
Magus und ApoIIonius von Tyana wurden als Götter ver-
ehrt. Die haben anderthalb Jahrtausemle nach jenem Amenophis
gelebt, dessen Vergöttlichung A. Wiedemann dargel^t (Urquell
Band L Heft ii); das zeigt, dass es bezüglich sehr lange ziemlich
gleich geblieben.
Und warum sollte es wundernehmen, dass in den Zeiten eines
Nero und Domitian, auch Schwarzkünstler, deren Taten die unwissen-
den Massen in Staunen versetzt, solcher Ehren teilhaftig wurden?
Merkwürdig ist, dass auch das Mitleid mit einem Hingerichteten,
das seinerzeit die Phantasien sehr erhitzt, einen Gott geschaffen : Die
Hellenen hatten einen Gott, den sie Adonis hiessen. Dem wurde
alljährlich ein Fest gefeiert, an dem die Weiber seinen Tod be-
klagten und Körbe voll Blumen ins Wasser stürzend des Lebens
kurze Blüte beweinten. Die griechischen Mythographen gaben ihn
für einen Liebling der Aphrodite aus und führten die Klskge auf
den Umstand zurück, dass er durch einen ergrimmten Eber getötet
und von den Göttin betrauert und beweint wurde. Das ist als
Mythe gut genug, es fällt jedoch auf, dass der Gott den Hellenen
nur unter seinem phönizischen Beinamen Adon (Herr) bekannt
war, während ihn phönizische und israelitische Frauen unter dem
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wirklichen Namen „Tamus" verehrten und beweinten (Movers,
Phönizien I. 191 , F/echiel 8. 14). Eine eigenartige arabische Le-
gende, die sich die Erklärung der Trauer um Tamus zur Aufgabe
stellt, gibt der jüdische Philosoph Maimonides, in seinem Werke
»Führer der Verirrten', III. Teil Cap. 29: ,Es wird erzählt: Ein
heidnischer Prophet Namens Tamus, hatte einen König aufgefordert
den sieben Planeten und den zwölf Sternbildern zu dienen, worauf
ihn diesen auf sehr grausame Weise hingerichtet. Über den marter-
vollen Tod ihres Lieblings, aufs Tiefste betrübt, kamen die Götter
von allen Teilen der Erde daher und versammelten sich im Son-
nentempel zu Babylon, wo sich das grosse goldene Bild der Sonne
zwischen Himmel und Erde hängend befand. Das Bild fiel zu
Boden, wo es in der Mitte des Tempels, von den herbeigekom-
menen Götterstatuen umringt, vom grossen Unglücke, das Tamus
zugestossen, erzählte, worauf alle Götterbilder wehklagten und die
ganze Nacht weinten; als jedoch der Moigen anbrach, flogen sie
nach allen Richtungen auseinander und kehrten in die Tempel zu-
rück, woher sie gekommen waren. Darauf gründet sich der Brauch,
am ersten Tage des Monates Tamus zu trauern und über Tamus
zu weinen und zu klagen.**
Den Namen führte der vierte der babylonischen Monate und
fuhrt, seitdem die Israeliten die Benennungen der Monate im Exil
den Babyloniern entlehnt, auch der achte der jüdischen. Der
Monat Tamus fällt auf die Zeit von ^Juni — Juli" und seine Be-
nennung nach einem Menschen erinnert an die Ehrung der ver-
götterten Cäsaren, durch die Bezeichnung der Zeitabschnitte Julius —
Augustus.
Darauf passt auffallend der Ausspiucli \\ iclniids Alles Ver-
gangene kommt, wie es scheint, in einer Art von Kreislauf der
Zt'iLen, in mehr oder minder veränderter Gestalt wieder.
Leopold Mandl.
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io8
Der Tote in Glaube und Brauch der Völker.
Eine Umfitage.
I. (Aus Ostgalizien). Sobald der Schwerkranke das Nahen sei-
nes Lebensendes fiihlt, greift er nach dem Gebetbuche und ver-
richtet das sogenannte „AI Cheit" Gebet, das man am Versöh-
nungstage liest und eine Zusammen&ssung aller möglichen Sünden
und Vergehen enthält.
Hierauf bescheidet der Kranke alle Familienglieder zu sich, um
segnend von ihnen den letzten Abschied zu nehmen. Die näch>
sten Verwandten verlassen nicht mehr das Krankenlager und die
männlichen lesen im Vereine mit den hiezu geladenen frommen
Juden Psalmen ; die Frauen dagegen, gewöhnlich die Frau und die
Mutter weichen bei drückender Todesnot vom Kranken» eilen in
die Synagoge um an der heiligen Lade, oder auf die Gräber von
Verwandten oder frommer Juden, Rettung zu erflehen.
Wenn nun der Tod eintritt, wird der Tote rein gewaschen, in
weisse Leinen, der Mann noch dazu in seinen „Talys" (Gebet-
mantel) gehüllt und überdies mit einem weissen Leüach ganz
bedeckt auf den Fussboden derart gelegt, dass seine Füsse zur
Thüre gerichtet dnd. Zu Raupten brennen zwei Kerzen und um
ihn herum lesen fromme erwachsene Männer Psalmen.
Im Wohnhause des Verstorbenen muss man alles vorrätige
Trinkwasser ausschütten und in der Wohnung alle Spiegel um-
wenden.
Die Beerdigung soll noch am selben Tage vor Sonnenuntergang
stattfinden. Die nächsten männlichen Verwandten und Freunde
des Verstorbenen tragen den Leichnam auf einer Bahre bis zur
nächsten Synagoge, an deren Eingangsthur man ein kurzes Gebet
vor der Bahre verrichtet. Dasselbe wiederholt sich vor jeder Sy-
nagoge, die der Leichenzug passirt. Während der Leichenzug
durch die Strasse zieht, darf man aus den Fenstern nicht auf den
Leichenwagen hinunterschauen.
Am Friedhofe spricht man in der Leichenhalle „Bejs Ojlom"
(d. h. Haus der Welt) abermals ein Gebet, und trägt dann den
Toten zu Grabe. Dies niuss 7 Fuss tief sein, und der in Leinen
gehüllte Leichnam wird nur an den Seiten und der nach der Ober-
fläche gerichteten Vorderseite mit dünnen Brettchen belegt, die
ihn vor den Erdmassen schützen sollen.
Am Grabe betet man wieder, schneidet den männlichen näch-
...... ^le
109
sten Verwandten die »Krije** d. i. einen Einschnitt in das Ober*
kleid und die Söhne sagen, in Ermanglung solcher, der Vater oder
andere fromme erwachsene Juden «Kadisch**, ein Gebet, das über-
dies die nämlichen Personen noch ein ganzes Jahr dreimal täglich
verrichten.
Im Trauerhause nimmt man das aus Beugel und Eiern beste-
hende Totenmal ein und von da ab beginnen die sieben Buss^
tage, die einzig und allein dem Andenken des Verstorbenen
geweiht sind. Am Fenster brennt während dieser Zeit ein öllämp-
chen und darüber hängt ein kleines weisses Tuch von Leinen.
Der Ehegatte und die erwachsenen Geschwister, sowie die Eltern
und die über dreizehn Jahre alten Kinder müssen diese 7 Tage zu
Hause bleiben; die Männer im „Minjan**, einer Gemeinschaft von
10 erwachsenen Männern, dreimal täglich beten. Keiner der ,Schiwu
sitzenden" d. i. der trauernden Familienglieder darf lederne Schuhe
tragen oder einen gewöhnlichen Sessel zum Sitzen benützen; nur
auf dem Boden oder einem ganz niedrigen Stockerl ist das Sitzen
gestattet.
Auch im Verkehr mit der Aussenwelt bekundet sich diese sie-
bentägige Trauer m ganz In stuiimter Weise. So darf die Trauern-
den Niemand begrüssen, auch soll keiner einem Geschäfte während
dieser Zeit nachgehen; nur der Samstag oder ein Feiertag unter-
bricht die Trauerzeit.
Nach Ablauf der 7 Tage wird das sogenannte „Ewige Lämp-
chen" ausgelöscht und die trauernden Verwandten gehen auf den
Friedhof, um die Seele des Verstorbenen, die während der 7
Busstage, noch zu Hause unter den ihrigen geweilt haben soll, in
ihre ewige Ruhestätte zu begleiten.
Dann verrichtet man noch am Grabe Gebete und mit dem Ver-
lassen des Friedhofes endet die s-chwere ^Schiwutrauer" um der
leichteren, die noch ein Jahr dauert, Platz zu machen. Innerhalb
dieser sind sämmtliche Vergnügungen zu meiden; doch können
sich die Kinder und der hinterbliebene Ehegatte schon nach (den)
«Dreissig" Tagen verehelichen, was aber beim Volke allgemein
verpönt wird. jjoriz Nadel,
IL Ach soll asoi hüben*) Chibet^ a Kewer^! Der gläubige Jude
legt grossen Wert auf die Ehrung des Toten, namentlich auf
1) Ittben. 3) heb. Ehrang. 3) Grab.
Digitizeu Lj oOOgle
HO
die Lewaje d. i. das Totengeleite zum Beth aulam = zur ewigen
Ruhestätte (auch Beth hachaim = Haus des Lebens; euphemistisch
genannt). Es gilt als gottgefällige Handlung, einem Toten das
Geleite zu geben. Die Menschenmenge ist der jüdische Leichen«
pomp. Jeder andere ist strenge untersagt, kein Sarg, keine Kränze.
Auf einer Bahre wird der Tote getragen — das Fahren ist ver*
boten, in weisses, leinenes Gewand gehüllt in {das Grab gesenkt;
zu Häupten und zu den Füssen ein Holzbrett, in der Hand eine
kleine Schaufel, mit irdenen Scherben auf den Augen.
Es geht die Sage, dass der Tote im Himmel von ebensovielen
Geistern Verstorbener empfangen wird, als ihn Menschen zu Grabe
geleitet haben.
Bukowina. A Brod.
III. Grabgeträuke, Die Kölnische Zeitung von 20. December
1897 (Abend'Ausgabe) brachte folgende, dem «Hamburg. Corresp."
entnommene Mitteilung:
«In Fischerwiet wurde kürzlich ein alter Matrose begraben. An
dem Grabe standen neben seiner Witwe ein paar alte Freunde.
Einer, Thomas Nurse, war ganz aufgelöst in Thränen über den
Heimgang seines alten Kameraden. Als die Gruft sich schliessen
sollte, trat er noch einmal feierlich heran, zog eine mächtige
Schnapsflasche hervor und senkte sie in das Grab. Der Küster
wies ihn zurück und holte die Flasche hervor. ,Er soll aber
seinen letzten Willen haben I" rief der brave Thomas und goss
den duftenden Inhalt über den Sarg aus. Das brachte ihm eine
Anklage wegen groben Unfugs ein. Vor dem Schöffengerichte
sagte der Angeklagte aus, dass er und der Verstorbene viele
Jahre hindurch auf demselben Schiffe gefahren und durch innige
Freundschaft verbunden gewesen seien. Freund Paddy habe ihn
auf dem Totenbette dringend gebeten, ihm eine gute Flasche
seines Lieblingsgetränkes „auf den Weg" zu geben, und er habe
diesen letzten Wunsch seines Kameraden erfüllen müssen. Kirch-
lichen Brauch habe er nicht verspotten wollen; im übrigen sei
es Matrosensitte, den toten Kameraden einen Lieblingsgegenstand,
eine Tabakdose oder so etwas, mitzugeben. Da die Witwe des
alten Seebären sich nicht für beleidigt erklärte, im Gegenteil die
Sache sehr richtig fand, so sprach das Gericht, «da auch keine
Beschwerde des Toten vorlag," den braven Thomas frei.'*
Die Mitgabe von allerlei Gegenständen namentlich von Nah-
rungsmitteln ins Grab ist ja eine in der ganzen Welt, und nicht
I
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III
nur unter Matrosen, verbreitete Sitte und reicht auch in Kuropa
bis in die neueste Zeit. Es seien nur einige dem obigen am
nächsten kommende Beispiele erwähnt. In Neusohl in Ungarn
legte man früher den alteren Leichen ein Flaschchen mit gutem
Branntwein oder altem Methe bei, damit es dem Verstorbenen an
nichts fehle. (Vernaleken, Mythen etc. in Österreich S. 312).
Bei den Permiern im Kreise Ssolikamsk bekam der Verstorbene
früher eine Flasche Branntwein, ein Gcfäss mit Bier und eine
Pastete mit in den Sarg. (Globus 71, S. 372). Bei den Lappländern
am Flusse Kola lag an der Seite des Leichnams eine flasche
Branntwein, Fisch und Fleisch. (Mone, Gesch. d. Heident. im
nördl. Europa, I, S. 29). In Schweden legte man vor noch nicht
langer Zeit mitunter die gefüllte Branntweinflasche in den Sarg.
(Weinhold, Altnord. Leben, S. 493). Ebenso bei den Esthen.
(Schwenck, MythoL d. Slaven, S. 429). In Kurland, (ebda, S. 302),
Bei den Kaschuben am Lebasee. (Globus, 70, S. 283). Im Slove-
nischen legte man noch vor kurzem den Toten ein Laib Brot und
eine Flasche Wein unter den Kopf; ebenso bei Polen und Rute>
nen in Galizien. (Lippert, D. Relig. d. europ. Kulturvölker, S. 82).
Ähnlich in Serbien. (Krauss, VolksgL etc. d. Südslaven, S. 149).
Die Litauer setzten dem Toten Brot und eine Flasche Bier zu
Häupten, damit er nicht Hunger und Dui^t leide. (Globus» g6, S. 375 ;
vgl. Schwenck» .a. a. O. S. 304). Die Wanyamwesi begruben
nach Burton mit einem toten «Sultan** eine Schale des geliebten
yPombe*' (Bier). (Lippert, D. Seelencult etc. S. 29 f.). Auf den
Key-Inseln erhielt der Tote u. A. eine Flasche Palmwein mit auf
den Weg. (Ztschr. f. Ethnol. XVII (1885), VerhandL S. 409). Bei
den alten Mexikanern musste sich der Tote mit einem Gefass mit
Wasser begnügen. (Klemm, Allg. Culturgesch. V, S. 49).
Im übrigen ist es nicht uninteressant, wie uns das Verfahren
des wackeren Thomas Nurse zwei Stufen der Totenpflege in einer
Handlung vereinigt zeigt. Denn das Begiessen des Sarges ist of-
fenbar schon ein bischen weniger materiell. Der Tote geniesst
hierbei statt des Stofles selbst doch eigentlich nur den Duft, die
Essenz, den Geist des Getränkes. Auch diese Art des ,Überleb-
, sels*', wenn man es schon so nennen kann, finden wir nicht selten.
Bei den Bewohnern von Jabel war es noch um 1520 üblich bei
den Beerdigungen zu singen und zu tanzen und die Gräber mit
Getränk zu benetzen. (Bartsch, Mecklenb. Sagen II, S. 98).
Wenn im Dorfe Schönborn bei Neustadt an der Orla eine Beerdi*
gung bevorstand, so gössen die Nachbarn und Verwandten des
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112
Verstorbenen, die das Grab bereiteten, einen Teil des von ihnen
bei dieser Arbeit genossenen Branntweins in das fertig gewordene
Grab (Kitzschel, Sagen etc. aus Thüringen, II, S. 2sK f.l Von
den Liven sagt Münster: „Und wenn sie ihre Gestorbenen zu
der Erden bestatten wollen, setzen sie sich umb den Toten, heben
an zu trinken und bringcns dem Toten auch und giessen sein
Teil über ihn." (Lippert, Relig. d. europ. Kulturvölker, S. 73;
vgl. Schwende, Mythol. d. Slawen, S. 302). Die russischen Dorf-
leute tragen an bestimmten Seelengedenktagen Speisen auf die
Gräber ihrer Toten und begiessen sie mit Wein und Honi^. (Lip-
pert a.a.O. S. 84). Bei den Mohammedanern in Bosnien und im
Herzögischen ist es Brauch, dass der Hausvorstand, sobald die
Grube zugeschüttet ist, einen Krug frisches Wasser nimmt und
vom Fussende des Grabes anfangend das Wasser auf die Mitte
des Grabes ausschüttet und mit dem Rest bis zu Häupten des
Grabes fährt. In der Libation darf keine Unterbrechung stattfin-
den. (Kr au SS, Volksglaube etc. d. Südslaven, S. 152). In Arauco
nimmt man nach Beendigung der Bestattung , von dem Toten
Abschied und bedeckt das Ganze mit Erde und Steinen in Ge-
stalt einer Pyramide, die mit Getränk übergössen wird. (Klemm,
Allg. Culturgesch. V, S. 52). Wenn bei den Wanika das Grab
geschlossen ist, schüttet man i — 2 Mass Sorghum oder Mais auf
das Grab, giesst auch wohl eine fiasche Palmwein darüber aus
und begiebt sich nach Hause, um den Totenschmaus fortzusetzen.
(Ztschr. f. Ethnologie X (1878), S. 403).
Auf einer weiteren Stufe der Entwicklung wird der früher auf
die Gräber gegossene Wein den Geistlichen als Opfer zuteil. (Vgl.
darüber Kr 1 e g k , Deutsches Bürgertum im Mittelalter. N. F. S. 182).
Faul Sartori.
Der Nobelskrug.
Eine Umfinge von R. Sprenger.
V. Bei Hildesheim in der Provinz Hannover, zwischen Emmerke
und Elze, findet sich ebenfalls ein Nobiskrug. Der Name lautet
auch im Volksmunde so. Seifart, Sagen und Märchen von Hil-
desheim, bemerkt darüber: ^Zwischen Emmerke und Elze liegt
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"3
der Nobiskrug. Dies Wirthshau.s hat seinen Namen von dem
grammatischen Schnitzer, welchen eine früher über der Hausthiir
angebrachte Inschrift enthielt. Dieselbe lautete nämlich: „Sic Deus
est pro nobis qui55 contra nobis?" Wie ich nachträglich erfahre,
findet sich die Inschrift heute noch daselbst.
Was den Schnitzer betrifft, so möchte ich ihn nicht zu tragisch
nehmen. Die vuvtx^pofiTi erzeugt in allen Sprachen Seltsamkeiten ,
und so TSk2% auch hier der Volksmund dem Gleichklang zu Liebe
nach pro nobis die Form contra nobis gebildet haben. Den Namen
möchte ich aber nicht vom Ende des Spruchs, sondern von dessen
Anfang ableiten. Pro nobis war durch das Ora pro nobis der
Litanei Jedermann geläufig. Die Juden in Mähren sagen von
Einem, der *müssig hinbriitet: er singt Aprenobis, d. i. ora pro
nobis. Sie können diese sprüchwörtliche Wendung nur aus christ-
lichem Munde empfangen haben, was auf der Hand liegt. Bei der
Geläufigkeit der Phrase lässt sich unschwer denken, das der l^rug
statt pro nobis*Krug allmälig bloss Nobisknig genannt wurden. Die
Inschrift aber an solchen einsamen Häusern sollte das böse Geschick
abwehren. Dergleichen Inschriften trägt übrigens in Hildesheim
iast jedes Haus."
Wien. G.
St. Andreas als Heiratstifter.
Eine Umfrage von A. Treichel.
III, An seiner Stelle gab ich zum Schlüsse meiner Arbeit nur
den Keim des Echo wieder, das auf die Fragen des jungen Mädchens
antwortet. Es ist clami aber die Beziehung unklar und so will ich
denn das ganze Lied hergeben. Es geschieht das in einer Fassung
aus dem Ermlande in Ostpreussen. Herr Benchciat F. J. Braun an
der St. Annakirche in l'raucnburg schreibt mir darüber: .^Die
Bruchstücke dieses Liedes, welche meine 86jahrige Mutter noch
im Gedächtnisse hat, musste icii zusammentraj^en, auch durch un-
wesentliche Ik'ifugungen ergänzen. Das war nicht so leicht, da
fast jedesmal, so oft meine Mutter sie recitirte, sie anders und in
anderer Reihenfolge herauskamen, sodass ich zuletzt mich nur an
das zu binden entschloss, was ich selbst aus meiner Kindheit her
noch im Gedächtnisse hatte von dem, was uns damals vor 50
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114
jähren die Mutter so manchesmal spasseshalber vorsang. Sie selbst
hat das Lied in Wormditt (Ostpr.) um 1820 — 30 von ihren Ver-
kehrs- und Schulschwestern gelernt, die es häufig sangen." Das
Lied wird wohl gleichen Inhalt und gleiche Form haben mit dem,
welches Brentano und Arnim im Wunderhorn abgedruckt
haben. Das Wort »geistlich' in der zweiten Strophe zeigt wohl ge-
nugsam an, dass das Lied in einer katholischen Gegend nicht ent-
standen ist, weil katholische Geistliche nicht heirathen. Mir selbst
ist die Feststellung, dass es im Ermlandc früher wenigstens gesun-
gen wurde, sehr wichtig, weil ich es anfänglich für kein Singlied
hielt wegen seines ernsten Inhaltes und weil es aus Westpreussen
nicht bekannt geworden ist.
Einen Bezug auf den h. Andreas muss dann auch eine pol-
nische Redensart haben, die ich aus Rehden, W. Pr., vernahm:
Swiftego Andrzeja spelniia sif moja nadzieja. (Am h, Andreas hat
sich meine Hoffnung erfüllt.) Das sagt natürlich ein junges Mäd-
chen, welchem der grosse Wurf gelang. — Andererseits scheint der
h. Jacob seine Stelle zu vertreten. Aus Alt-Paleschken, Kr. Berent,
hörte ich die polnische Redensart: Modi sif do swi^tego Jopa, Dos-
taniesz dobrego chlopa. (Bete zum h. Jacob und du bekommst
einen , guten Mann.)
I. Andreas^ lieber Schntspatron,
Gieb mir doch einen Mann ;
Brich doch endlich meinen Hohn,
Sid» mein Atter an!
Giebst dtt einen oder keinen?
Antwort: ,£inen!"
2. „Einen!** das ist wunderschön —
ist er jung und wohlgestnlU'?
Ist er lieblich auzu&chcu,
Ist er Jüngling oder alt?
Ist er gütlich oder weltlich?
Antwort: .Ältlich 1"
3. „Ältlich" — aber doch galant?
Wohl ein Mann, der viel erduldet!
Wier ist ihm denn anverwandt?
Hat er Freunde seinesgleichen?
Antwort: ^Leichen!"
4. Hat er auch sein eignes Hans,
Wo ich mit ihm wohnen kann?
Sieht es hübsch und freundlich aus,
Ist ein Lustesgarten dran?
Ist es gross, von rechter Länge?
Antwort: ^Enge!"
5. „Enge" — aber niedlich doch? —
Fein die Mübel, Linnen fein?
U .Vudrcas, sag" mir noch:
Wie die Bett beschaffen sein.
Wo ich mit ihm schlafen werde?
Antwort: „Erde!"
6. „Freie" — das klingt wuuderUdi»
, Enges Haus" so räthselhaft!
Andreas, o ich bitte dich:
Soll dann meine Jungferschaft
Im «Sarg'" verblühen und verlahmen?
Antwort: .Amen!"
IV. In der Wisla, XL (1897) S. 641—645 gibt H. LopaciAski
eine Nachricht über ,das älteste polnische S^ugnis von Zaubereien
in der St. Andreasnacht*'. Viele, wertvolle Literaturnachweise. K.
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'15
Zum Vogel Hein.
Eine Umfrage von Franz B r a o k y.
II. Nach den Kennzeichen, die uns in der Beschreibung dieses
Vogels (Urquell I. S. 304 fg.) gegeben sind, vermuthe ich, dass
darunter der Bienenfresser (Merops apiaster, L.) gemeint sei. Seine
Vulgärnamen sind: Heuvogel, Heumäher, Seeschwalme u.a.; auf
Teichen Icann er erlegt werden, weil er gern Libellen, Käfer und
dergl. jagt. Wenn er auch mehr dem südlichen Europa angehört,
so kommt es doch vor, dass er bis in den Norden Deutschlands
zuweilen streift, wo er dann als seltener Vogel angesehen wird.
Das Abmalen auf einem Laken fände dann ganz natürliche
Erklärung.
Der Bienenfresser lässt sich auch im Käüch halten. Bei seinen
Nordlandsausflügen kann es vorgekommen sein, dass es gerade zu
der Zeit die Reise machte, als auch Kaiser Maximilian I in
Deutschland von Ort zu Ort zo^, so dass dieser Vogel von Kaiser
und Gefolgschaft beobachtet worden ist. Das schöne Gefieder des
Bienenfressers, sein gewandter Mug ziehen augenbHcklich die Auf-
merksamkeit der Menschen an sich. Da mag schon ein Exemplar
dieses Vogels gefangen und als Rarität im Auftrage des Kaisers
verflegt worden sein.
Die alten Vogelkenner wie Gesner, Aldravandi, Reyer,
Colerus, u.a. geben über diese Hein- Vogel-Frage keinen Aufschhiss;
aber schiessiich sei noch bemerkt dass man dem Bienenfresser allerlei
Schönes nachsagte, so besondere Liebe der Jungen zu den Eltern,
wie das im Physiologus dem Wiedehopfe und auch dem Storche
zugesprochen wird. Er verplegt seine Eltern, wenn sie dessen be-
dürftig sind und trägt sie sogar auf dem Rücken, wenn sie nicht
üi^en können.
Neustadtl bei Friedland in Robert Eder.
Böhmen, 1898.
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ii6
Arabische Sprichwörter aus Egypten.
Von A. SeideL
Mul^ammad *Ajjäd ef-Tantäwl hat in seinem «Tratte de la
langue arabe vulgaire (Leipzig 1848)*' eine Anzahl von cgyptisch-
arabischen Sprichwörtern mi^eteilt (c« 400), die im egyptischen '
Volksidiom abgefasst und dadurch als echte Volkssprichwörter
characterisiert sind. Dies war bisher die einzige umfängreichere
Sammlung von Sprichwörtern in egyptisch-arabischer Volkssprache.
Lane in seinen »Manners and Customs of the modern Egyptians*'
giebt hier und da ein paar zerstreute Proben; auch Burckhardts
Sammlung ist sehr mager und mit vielem der litterarischen Sphäre
angehörigen Material durchsetzt Auch et-TantäwT giebt ein-
zelne Sprichwörter, die ihrer sprachlichen Form nach wohl nur
von litterarisch p^ebildeten Leuten t^ebraucht werden. Dahin gehört
z. B. ettälibuii kcLii welwäsilun kalil ') (der Suchenden sind viel,
aber der Anlangenden wenig). Im Grossen und Ganzen sind die
von ihm überlieferten Sprichwörter aber offenbar wirkliches Eigen-
tum des Volkes. Für die Zwecke des Folkloristen ist indessen seine
Sammlung ebenso schwer verwertbar, wie sie es für die Erforschung
der egyptischen Volkssprache gewesen ist. Er giebt den Text
der Sprichwörter in arabischer Schrift und ohne Vokalbezeichnung.
Bei dem Mangel eines Wörterbuchs der Vulgärsprache — ich habe
ein solches im Anhange zu meinem Handbuch geliefert — war es
daher lange Zeit unmöglich, diese Texte richtig zu lesen und zu
deuten. Zwar ist dem Text eine französische Übersetzung beige-
geben ; es stellt sich aber heraus, dass dieselbe weit davon entfernt
ist, treu zu sein. Meist beschrankt er sich darauf, ohne Rück-
sicht auf den Wortlaut des Originals im Allgemeinen den Sinn
wiederzugeben, und häufig sind die Fälle, wo er einfach ein ver-
wandtes Sprichwort der Franzosen statt einer Übersetzung dar-
bietet.
Neuerdings ist sein Material durch mehrere andere Sammlungen
reich vermehrt worden. Ich hatte im Jahre 1896 Gelegenheit eine
grosse Menge von Sprichwörtern von mehreren Egyptern zu er-
fahren, die Gelegentlich der Berliner Gewerbeausstellung in Deutsch-
i) Hinsichtlicli der Transkription befolge ich hier das System, das idi in. meinem
Handbuch der egyptisch-arabischen UmgangsspfiLChe angewendet habe. Nnr schreibe
ich hier s und $ für scA und g.
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117
land waren. Ferner enthalten die zu Boläl^ ohne Übersetzung er-
sehen l^atä'if ellatä^if (Pflückobst aus der ErgötzHchkeiten, seil, der
Volkslitteratur) eine Sammlung. Ein grössere Zahl findet sich auch
zerstreut im „Kitäb tarwih ennuftls wSmu^^ik el ^abüs vom §Sch
Hasan erälätl (Kairo 1889)."
Die reichste Sammlung — gleichfalls ohne Übersetzung — findet
sich aber in N. Scha^ir's: ,ain^l el ''auwäm ii ma^r wessGdän
wcssära (Kairo 13 12 d. H.)."
Dies gesammte Material habe ich bearbeitet, nach dem Inhalt
geordnet» mit sprachlichen und folkloristischen Kommentar versehen
und werde es im Laufe des Herbstes 1898 veröffentlichen.
Eine- Blätenlese der schönsten und interessantesten Sprichwörter
möchte ich aber jetzt schon den Folkloristen zugänglich machen,
um ihre Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Material zu lenken.
Dabei berücksichtige ich vornehmlich solche Sprichwörter, die bis-
her nicht bekannt waren.
Bei den sprachlichen Bemerkungen verweise ich auf mein , Hand-
buch der egyptisch-arabischen Umgangssprache (Berlin 1895)**
Sprichwörter.
1. bint elfSra ^affära. Die Tochter der Ratte ist eine Grä-
berin ^ Der Apfel fallt nicht weit vom Stamme.
j4iim. httffära von haht (graben); die Fonn bezeichnet ein gewerba- oder gewohn-
hcitsinä-ssigcs Thun. In demselben Sinne sagt der Kairenser: l)int clwizze "auwäme
(die Tochter der Gans ist eine .Schwimmerin). — In Syrien lautet das Sprichwort:
ihn ilwazz ^uwSin (der Sohn der Gans ist ein Schwimmer). — Im Südfin sagt
man : ihn elu izz '^auwäm w2bint elchauwäda tfichüd (der Sohn der Gans ist ein
Schwimmer und die Tochter der Taucherin taucht). Deutsch : Wie die Alten
sungeu^ so zwitschern die Jungen. — Franz.: Bon chicu chassc de race. — Engl.:
like father, like son. - Ahnliche Bedeutung hat auch das Sprichwort eddik elfaslh
min elbeda jeslh (der beredte Hahn schreit vom Ei an). Die Suaheli in OstaTrika
sagen: „Ein Küchlein braucht man nicht scharren zu lehren." Dieselbe Ausdrucks-
wdse haben die Bantn am Nyassatee. Im Türkischen' drückt man sieh ähnlich
aus wie im Deutschen: ,,Der ApfA fallt nicht weit vom Baume, der ihn meagt
hat" (Decourd.).
2. iza käii elkamar ma^ak, la tebäli binnu^Qm. Wenn der
Mond bei dir ist, so kummcrc dich nicht iim die Sterne.
D. h. Wenn das Wichtigere zu deiner Verfügung, in deiner Macht ist, so
bwttchst du auf das weniger Wichtige keinen grossen Wert zu legen.
Tanf. giebt auf S. 224 folgenden Vienceiler, in de» das Sprichwort Verwertet ist:
In kuntS rädl "^aleje, 1 Welli ma'^äh elkamar
Challi-l'^awäzil t!<knm; j Mä-loh wHmä linnugüm.
d. i. Wenn äu mit mir zufrieden bist, so lasst die Tadler sich (gegen mich) erhe-
ben; wer den Mond bei sich hat, was gehen den du» Sterne an«).
l) Ich zitiere dasselbe mit TTdb. — R. ist Reinhardts Grammatik des Oman-
Arabischen. 2) über die Wendung mä Ii — w^mä loh vergl. mein Hdb. S. 297.
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Ii8
3. ibta wcla tichta. Sei (mache) langsam, und du wirst nicht
falsch handeln.
Anm. biti (langsam sein) und chitT (sich verfehlen), nachzutragen im Wörterbuch,
wie misi (gehen), ridi (zustimmen) u. s. w. — Zu sprechen ist ibta und tichu (Cf.
Hdb. S. 3, Anm. 2).
Vergl. das Sprichwort der '^Omän- Araber : ijäk wel'a^le (Hüte dich vor der Eile.
(Reinhardt N<*. 198). — Der Syrer sagt: il "^agli mniiäaitän witta^anni mninal^mäii
(Die Efle ist vom Teufel, «nd die Bedftchtigkeit vom Bannlierxigeik seil. Gott. N.
Sch.). — Ital.: chi va piano, va sano. — Franz.: hate-tollentement. ■■ Engl.: the niore
haste, the worse speed, oder fair and softly goes far. — Suaheli (in Deutsch-O&tafrika):
bankft, bmdca hain« banlca (Eile, Eile luit keinen Segen). — Deütscli: Eile mit
Weile! — die Wolof (in Westafrika): Eile und Überstürzung gebären die Rene
(Boilat). — Die Ösbegen (in Asien) sagen: y,Zur Eile pflegt sich der Teufel zu ge-
sellen." — Im Hindustani heisst es: „Eile ist Torheit, Geduld ist Weisheit.''
4. ishad-li bikahke, bashad-lak bTrarif. Zeuge fiir mich
(in einem Rechtsstreit) um eine Bretzel, so werde ich für dich um
ein Laib zeugen.
D. h. Erweise du mir einen l<leinen Gefallen, so erweise ich dir gelegentlich
einen grösseren, denn eine Hand wäscht die andere und Wohlthun bringt Zinsen.
Statt bIVahke gicbt et-Tant. btlu^me (um einen Bissen). Der Syrer dentet anf
die Möglichkeit einer gelegentlichen Vergeltung hin, wenn er sagt: „Ein Berg und
ein Berg begegnen sich (zwar) nicht, aber ein Mensch und ein Mensch begegnen
sich." Der dem Sprichwort zu Grunde liegende Gedanke wird von den Amlmndii
(in Portugiesisch-Westafrika) folgendermassen ausgedriickt: „Kaufe deinem Freunde
ein Rasiermesser; eines Tages wird er dich damit rasieren." — Im Hindustani
sagt man: ^Was du giebst, wird dir zum Schilde."
5. iddi ''eSak lilfairän welö akal nussoh. Gieb dein Brot
dem Bäcker (zu backen), selbst wenn er die Hälfte davon isst.
D. h. Lass deine Arbeiten von Sachverständigen verrichten, und scheue dabei
sdliet eine erhebliche Eintnisse nicht; denn du ftiirst immer noch besser dabei, als
wenn ein Pfuscher dir alles verdirbt.
iddi nach N. Sch. Gewöhnlich lautet der Imp. mit Aufgabe der Verdoppelung
(tachfif) idi oder verkflrzt di. fiurSn — chabbSz, von fum, Backofen, nuss duiA
Assimilation aus nusf (— nisf) entstanden. Statt akal und achad sagt man häufig
kal und chad (ebenso auch im Syrisch-.\raT). und im '^Om∋ im Tunistsiüien sind
die umgesprungenen Formen klä und chdä üblich).
Der Gedanken des Sprichworts drttckt der Ägypter auch folgendeimassen aus: 8
ramäk "^alä elmurr? käl: amarr minnoh = „Was hat dich zu dem Bittern geführt
(wörtlich: geworfen)? — Antwort: Etwas, das noch bitterer war." In Syrien sagt
man mit einer leichten Nuance, die den Bäcker weniger gefrässig als ungeschickt
erscheinen lässt : Gieb dein Brot dem Bäcker, und wenn er auch die Hälfte ver-
brennt. (So nach Harfouch in seinem drogman arabej N. Scha^^Ir giebt das
Sprichwort genau so wie es in Egypten üblich ist).
6. achras w^'^ämil kädi. (Er ist) stumm und spielt Kadi.
D. h. Er mengt sich in Dinge, für die ihm die wichtigsten Fähigkeiten mangeln.
Man sagt auch: thxO, w8Hüml sarrtf » (Er ist) bUnd und spielt den Wechsler. —
Im Hindustam: «Ein lahmes Eidihörnchen, und das Nest ist im Himmel.**
7. elmerkeb elll-loh raijisSn jirral;. Das Schilf, welches zwei
Kapitäne hat, geht unter.
Die 'Oinän- Araber sagen in demselben Sinne: f,Der Topf der Genossen kocht
nicht ruhig." (R.) Deux cuisiniers gdtent la sauce. Viele Köche verderben den Btei.
Der Chinese sagt: „Tausend Arbeiter, lausend Pläne" (Scarb.).
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8. g^5zi rä^i» we'^es t^kQn inte, ja l^ä^i? Mein Mann ist
zufrieden, und was bist du, o Kadi?
Der Sinn wird klar durch das syrische Seitenstück: irä kän zau'^T räffT, c> fudnl
ilf^l? Wenn mein Gatte sufrieden ist, was (soll) das Geschwätz des Kadi? d. h.
Wenn die nXchstbeteiUgten einventsnden sind, so siemt es fementehenden nicht,
Schwierigkeiten zu maclien.
9. ela^war fi bilad el^omjän (urfa. Der Einäugige ist im
Lande der Blinden eine Rarität.
Vergl. Fmna. an royatune des avcu^Us les bofignes aont rois. Die Tttrken »agen:
,In der Ebene dünkt skik ein kleiner Httgel Berg.**
la ibnoh *ala kitfoh wejdauwar ^alsh. Sein Sohn (ist) auf
seiner Schulter, und er sucht nach ihm.
Bei T»nt. aach in der Form: ibnoh 'ali kitfoh wWir jCdOr *al«b. Vergl. Er
siebt den Wald vor Bännien ntdit.
II. igü j^na^^alO chel essultän, maddet el^chunfuse
rigfIThä. Sie kamen zu beschlagen die Pferde des Sultans, (da)
streckte der Mistkäfer sein Bein hin.
Wird von jemandem gesagt, der sich überhobt und Ansprüche macht, die ihm
nicht zustehen. Der Syrer s&gi ähnlich: igü ta ji^baitrü chSl ilbäsä, maddit umm
Vüwail^ riglhä =■ sie kamen zu beschlagen die Pferde des Paschas, (da) streckte die
Rabenmutter (?) ihr Bein hin.
(Fortsetzung folgt,)
Übernamen.
Eine Umfrage von Frana Branky.
IV, Asgeur ist das Schimpfwort für die Wanderzigeuner, die das
Hintaus der Marchfeld-Dörfer inspiciren und mit Gerten in frisch
aufgeworfene Krdhüj^el stechen, in der Vermutung, es sei dahinter
ein Cadaver verscliarrt, den sie braten und verzehren können.
Beinmarder sind die von Dorßes^ weil sie fremde Bienenschwärme
aus den Heidefeldern einhausten.
Boanlstira heissen die armen Vorörtler von Dotiau/eld, die in
Kehrichthaufen nacli Sudknochen suchen.
Feuerspucker ist das Spottwort für die jildischen Kranimerleute
im March fcld. Sie sollen nämlich «gelegentlich eines Dorfbrandes,
statt Wassereimer zu schleppen, untätig dagestanden und , ihrem
Glauben gemäss" ins Feuer gespuckt haben.
Fdlb^rkocker sind die Dimburger an der Marchs weil sie ein
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mal eine Nacht, im Weidengestrüppe sitzend, mit Krebseiang stt-
gebracht und dennoch nichts gefangen haben.
GolUngdiab ist ein Neckwort fiir die slowakischen Bauern^
knechte» die dem Gerichte den Galgen, worauf einer ihrer Lands-
leute sollte gehenkt werden, gestohlen haben.
Katstlmach^r heissen die italienischen Tagarbeiter der Nordbahn.
Kibitgl sind die von Angem, weil sie im Frühjahr in der «Ki-
bitzau" gern nach Eiern suchen.
KirchengHgiter neckt man die OlUrsdorfer Kirchtagmusikanten,
weil sie auf ihrem Kirchenchor einen Engel haben malen lassen,
der den Geigenbogen mit der linken Hand fuhrt.
KolaiSenfresser heissen die Ostnachbarn der Marchfeldler, weil
ihre Nationalspeise, KolaÖ genannt, andern nicht munden soll.
IManeibrUder schknpft man die Messner der nördlichen March-
ebene.
Oxenschnäpsler ') ist das Stichelwort fiir die kroaHschen Bewohner
der Umgebung von Loimersdarf, weil sie auf ihren Gründen
keinen Wein fechsen und darum mit Wasser vorlieb nehmen müssen.
Flüig^lbnmger heissen die von Wugeiöurg am Rifckusberg\ sie
haben keine Hausbrunnen und holen sich in Henkelkrügcn (Plüt-
zerln) das Trinkwasser von der Agnesquelle.
Schilfgucker sind die Bewohner von Baumgarten an der March,
die im Spätsommer den Rohrdommeln nachstellen.
Schindeyhuibn heissen die Jungen von Prottes^ weil hier der Be-
zirkswasenmeister (Schinder) seinen Sitz hat.
Schlitzkrozvoden sind die Nordnachbarn der Marchfelder um
Themenau scherzhaft benannt.
^Sieben Häuser und vierzehn Dieb" sagt man, wenn man von dem
winzigen Filialorte Wuzelhiirg bei Mannersdorf spricht. Ehedem
sollen dessen Bewohner als Langfinger verrufen gewesen sein.
Stclzfüssler ist das Neckwort für die Slowaken jenseits der
March, die infolge der Machart ihrer Beinkleider einfussig zu uri-
niren pflegen.
Vogclbeisser heissen die Tallesbrunner Kinder, weil eines von
ihnen einmal einen Wespenstich für einen Vogelbiss gehalten hat.
Wasser heilige werden die Pyraiuarter geneckt; sie sollen sich
seinerzeit auf die Heilkraft ihrer Badequellen soviel eingebildet
haben.
l) Als „Oxeoschoaps" bezeichuet man auch sonst in Nied. Ost. das Wasser.
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Weinprotzcr auch Weinschartkr neckt man die Winzer der
Matzner Gegend.
Zeilbesen ist ein Schimpfwort für die armen magyarischen Dienst-
mädchen, die ob ihres leichten Blutes viel gefreit werden.
Graz, Steiermark. Dr. Hans Schukowitz.
Zaubergeld.
Eine Umürage von Dr. Franz Ahiendts.
XV. flDie Bauern gehen um zwölf Uhr in der Nacht am heiligen
Abend auf einen Kreuzweg. Da kommt Er (der Teufel) und fragt
der Bauer, was er will. Und dieser 9,zgt : Ich will Geld haben.
Und da fragt Er, was er ihm dafür versprechen will. Da verspricht
ihm der Bauer sein Weib oder ein Kind, denn der Teufel geht
nur auf Menschen aus. Da giebt ihm der Teufel Geld, und wenn
die Zeit aus ist, holt der Teufel die Person und geht mit ihr weg.
Da war einmal ein armer Bauer, der kein Geld hatte. Der gieng
am heiligen Abend auf den Kreuzweg und wartete um zwölf Uhr
auf den Teufel. Wie der Teufel kommt, fragt er ihn : Was willst
Du denn hier? Der Bauer antwortet: Ich will Geld. Da sagt der
Teufel: Was wirst Du mir geben, wenn ich Dir Geld gebe. Der
Bauer erwidert ihm: Ein Weib mitsammt ihren Kindern. Der
Teufel giebt ihm nun recht viel Geld, und der Bauer geht damit
nach Hause. In Haus zeigt er das Geld seinem Weibe und sagt:
Dafür habe ich Dich und die Kinder dem Teufel versprochen. Aber
furchte Dich nicht. Setzt eine Henne auf. und leg ihr recht viele
Eier unter. Als schon die Zeit um war und der Teufel erschien,
waren die Küchlein schon ausgekrochen, und der Bauer gab jetzt
dem Teufel die Henne mitsammt ihren Jungen. Als nun der Teufel
Henne und Küchlein bekam, schleuderte er sie zu Boden, ver-
schwand und ward nie mehr gesehen."
Nach der Erzählung eines Schlossers slovenischer Abkunft aus
St. Maren in Untersteiermark. i^^u i?^k;«o^i,«
isak Kobinsonn.
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Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre.
(Grafschaft Hohnstein).
Gesammelt von Fr. Kränig, erläutert von O, SchelL
6. Der Kobold im Weher sch'iJT. Tn Niedergebra war schon von Alters her die
Leinweberei ein sehr einbringUcher Erwerbszweig, and viele fremde Gesellen fanden
hier Beschäftigung. Aber kdner von allen den Gesellen im Dorfe vermochte wöchent*
lieh soviel Leinwand anzufertigen int Rossbach, der aus fernen Landen hereingewan*
dcrt war. Kein Fiidchen riss während seiner Arbeit, vinablassig und schnell wie ein
Blitz schnellte das Weberschifflein hin und hei, und an jedem Sonntage waren sechs
Schock Leinwand fertig. Natürlich hielt der Mcistir einen solchen Gesellen wohl io
F.hren und zahlte ihm manchen (Tulden übt-r den bedingten T.ohn aus. ,\bcr keiner
verthat auch mehr Geld, keiner war mehr auf dem ranzpiatze und in der Schenke
unter den Instigen Brttdem vol blicken als unser Rossbaeh, der vom Sonntag gewöhn-
lieh bis Dienstag Mittag feierte und Sommer und Winter hindurch schon 6 Uhr
abends Feierabend machte. Aber ehe es noch wieder Sonntag war, hatte er scheu
auft Neue 6 Schock Leinwand fertig gestellt. Sonst war an dem Gesellen wdter
nichts auflallend, als dass er bei jedem Gelage, sogar in der Kirche und während des
Tanzes das Weberschtfflein in der Tasche bei sich trug, und auf manche neugierige
Frage, warum er tbue, die ausweichende Antwort gab, das sei so der Webergesellen
Sitte und Brauch ! Einst aber war Rossbach stt Spiel und Gelag gegangen und hatte
sein Schifllein oder Schützen einzustecken vergessen. Da spielten des Meisters Kinder
mit Rossbachs Schützen, der auf dem Webestuhle lag, und während sie so tändelten
nnd das platte Werkzeug mit ihren unsauberen Händlein besudelten, da entschlSpft
ein kleines fingerlanges menschenähnliches Wesen aus der engen Behausung und ge-
winnt durch ein Mäuseloch in der Wand das Freie. Kossbach kommt vom Tanze und
Trinkvergnügen halb berauscht nnd wohlgemut nach Hause und setzt sich, die Arbeit
beginnend an den Webestuhl, aber Tritt und Schlag gerät nicht, die Fäden reissen
unaufhörlich und das Schifllein schwirrt so träge in der Lade einher — mit einem
Schrei des Entsetzeus vermisst Rossbach seinen Kobold und sinkt tot vom Stuhle
hernieder. Noch jetzt ermahnt der Meister den neuankommenden Gesellea, so sn
welien wie RosslMch. Th. Rfimpler.
Als Ergänzung mag noch folgende Sage hier stehen:
7. Dtr Weber Rossbaeh. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts erregte ein in
Niedergebra fremd zugereister Webergesell Namens Rossbach allgemeines Aufsehen.
wird erzählt, dass er mit Hülfe eines Kobolds, den er in Gestalt einer Hummef
stets bei sich trug, in einem Tage mehr schaffte, als andere in wochenlanger Arbeit.
Die ersten Tage der Woche machte er regelmässig blau, dafür arbeitete er aber
in den letzten Tagen so emsig, dass für den Meister ein schönes Stück Geld abfiel
und auch sein eigener Beutel nicht zu kurz dabei kam. Im Wirtshause war er ein
gern gesehener Gast, denn nicht nur, dass er selbst dem Kruge fleissig zusprach,
auch die Freunde wusste er dort festzuhalten, indem er ihre Zeche oft bei Heller und
6. Der Kohohl im Webersekiffchen.
7. Der Weher Rossbaeh,
Diese Sagen 1»ehandeln das etwas dunkle Gebiet der vielfach abgestuften Hans*
geis'cr. .\m nächsten kommt des Webers „Hummel" oder sein „kleines fingerlanges,
menschenähnliches Wesen" dem Alraun, allerdings in freier Umbildung. Über den
Alraun vergleiche man Simrock, Handbuch, S. 459 fl".; Grimm, D. Myth.,
S. IIS3 ff.; Grimm, D. Sagen I, 124. Veth, Intern. Arch. f. Ethn. Leiden, 1895
grundlegende Abhandlung.
Digitizeu Lj vjüOgle
123
Pfennig bezahlte. Konte er jemand mit Rath und That unter die ^Vrme greifen^ so
that er es in uneigennützige Weise. Das erfuhr auch ein Weber^ der sAon wodienlaiig
an einem Stück Leinwand webte, ohne damit zu Ende zu kommen, dn die Fäden
dutzendweise rissen. Auf dessen Bitten erschien Rossbuch bei ihm, um <;ein I'rteil
darüber abzugeben, ob es möglich und ratsam sei, das Gewebe fertig zu stellen, oder
ob es sich empfehle, es im unfertigen Zustande wieder abzuziehen. Mit dem langen
Kirchenrock bekleidet, den hohen Dreieck auf dem Kopfe, trat Rossbach In die Woh-
nung. Nachdem er das Gewebe in Augenschein genommen, stellte er seinen Hut auf.
die Fäden und sagte: „ Leute, das Garn ist nicht schlecht, es trSgt ja meinen Hut.*'
Auf den dringenden Wunsch des Webers setzte er sich auf den Webstuhl und bo-
eadete die Arbeit in kurzer Zeit. Er pflegte sein WeberscbiOchen immer bei sich ZU
föhren ; eines Tages aber hatte er es im Hause vergessen, and als er heim kam, fnid
er, dass die Kinder des Meisters damit gespielt hatten und den Kobold in Gestalt
einer Hummel hatten entweichen lassen. Darauf packte er sein Bttndel und verlies«
auf Nimmerwiedersehen das Dorf.
Rossbach ist nicht etwa eine sagenhafte Figur, sondern eine wirkliche Persönlich-
keit. Er hat jahrelang bei dem Weber Göttling in der Schäfereigasse N^'. 58 als
Geselle gearbeitet. Wie es kommt, dass sich die Sage seiner bemächtigt hat, lässt
dch nur Termnthen. Seine dnnkle Herkunft, über die er nie sprach , sein ausserat^
dentlicher Fleiss, dazu gchelmnissvolle AndcutunL;en, die er dann und wann über sein
Vermugeu fallen Hess, sowie sein plötzliches Verschwinden werden die Veran l as s u n g
dazu gegeben haben. Noch lange nach seinem Weggange aas dem Dorf wurde er als
Master eines fleissigen Webers genannt.
8. Das Goldmäntuktn, In Niedergebra stand in dem Garten des Wolfram Wisozky
eine alte dicke Birke. Allenuil in der Fabian-SebastiansiMcht (20. Januar) hatte man
neben diesem Baume einen Mann arbeiten und verschvdnden sehen. Da wurde der
Bauer neufjierig, und da er '-in ^ehr unerschrockener Mann war. fasste er den ge-
heimniss vollen Fiemdcu einmal al». l)icsci bat ilin , er solle ihn nur loslassen, er
wolle ihm das Geheimniss des Baumes verrathcn. Die lürkc sei die Wohnung eines
Goldmännchens und treibe jedes Jahr eine goldene Wurzel in die Erde. Es habe seine
Wohnung hier aufgeschlagen, weil es die Grossmutter und die Mutter des Bauern, die
schöne MSdchen gewesen, geliebt habe, und es bliebe so lange hier wohnen, als es
nicht durch Habsucht daraus vertriel)en würde. Der Bauer fand richticj jeden Fabian-
Sebastianstag eine Goldstange unter dem Baume. Einmal aber erfa&ste ihn die Hab-
sncht, und in der Hoffnung, noch mehr su ünden, hieb er den Baum nm. In dem-
selben Augenblicke aber sass ihm ein gewaltiger Höcker zwischen beiden Schultern,
und das freigewordene Goldmännchen verliess unter heiserem Hohnlachen seine
Wohnung. Th. Riimpler.
Diese Sage ist sehr lehrreich. Sie zeigt nämlich erstens, dass alle Kobolde, gleich-
viel oh sie in der Luft fliegen, oder in der Erde wohnen oder in einem Kasten sich
befinden, Gold bringen, /weiten^ geht daraus hervor, dass die Kobolde eine Nci^riing
für das warmblütige Menschengeschlecht haben, und drittens, dass die eine Art der
Kobolde immer wieder au ihrem Besitzer kommt, wfthrend die andere Art sich von
deren Herrschaft frei »u madien sucht.
9. Der verliebte Koboiä. Vor Zeiten wohnte in Untcrgebra ein Leinweber Namens
GottUng. Einst ruhte er noch im sftssen MorgenscUnmmer auf seinem armsdigen
S. Das Goldmännchen. Das Goldmännchen ist ein an (Jold reicher Zwerg, der d'e
elbische Natxir, sich mit den Menschen durch die Ehe zu verbinden, keineswegs ver-
leugnet, diesen dafür aber einen Teil seines Überflusses an Gold zukommen lässt.
Goldni innchen gerät dafür in die Abhängigkdt der Menschen, ans welcher er durch
deren Habsucht befreit wird.
9. Der verliebte Kobold. Bezüglich dieser Sage sei auf die .\nmerkungen zu N*.
vnd.S verwiesen; femer auf Schell, Bcrgische Sagen II, 96*' b (nebst Anmerkungen)
und VI, 194 (mit Anmerkungen).
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124
Lager, da geht es auf dem Webestuhl klipp Irbpp! klipp klapp l und das Schifflein
mischt emsig durch den wohlgeglätteten Auh:üj^. Guttling wacht aaf von dem Lärm
und sieht mit Erstaunen, wie der Stuhl ohne alle menschliche Hülfe arbeitet, und
das so schnell und kuustj^erccht, wie er es noch nie gesehen. Ehe er sich noch von
seinem Erstaunen erholen kann, Mstert ihm ein feines Stimmchen zu : „Gbttling,
steh a»^ mache Spulen !" Nub, wenn du so gdit, denkt der anue Weber, so mag
ich es wohl leiden. Unverdrossen spult er mit seiner Familie den ganzen Tag an
den schnurrenden Rädern, aber kaum schaffen sie genug für den unsichtbaren Aibei«
ter, der nicht müde wird nnd das feinste Linnen liefert. In der folgenden Nacht, als
die Famillcnglicder sich von dem anhaltenden Spulen erholt haben, tönt es schon
wieder wie den Tag zuvor ganz leise: „Göttling, stehe auf, mache Spulen" und so
geht es Tag fUr Tag, und verwundert sehen die Nachbarn das Gut de« armen Webeis
schnell sich mehren, fünf Kühe, rund, mit strotzenden Eutern, blöken im Stalle; im
stattlichsten Kleide sitzt Göttling in der Schenke und lässt einen harten Thalcr nnch
dem andcru springen, und sein vormaliges so armseliges und baufälliges Häuschen
giebt bald dem schönsten Bauemgnte nichts nach. Der Weber aber Glitte eine gar
holdselige Tochter, die hiess Maria, und ihres Gleichen war nicht mehr zu finden in
Untergebra und in den Dörfern umher. Aber ihrem Vater, der nun schon ein reicher
Mann war, stand keiner an von den stattlichen Burschen, die um das Mägdlein freiten.
Einst war Göttling mit seiner Frau nach Bleichrode zum Jahrmarkt gegangen, die
schöne Maria aber plagten Vorwitz und Langeweile, und sie hätte gern gewusst. was
IHr ein Wesen den rastlos arbeitenden Webestuhl regiere. Sie trat heran und be*
betrachtete den sieh eben bewegenden We1>ebaum : erschrocken fuhr sie zurück, denn
ihrer lebcn'^warmeTi Hand begegnete eine ganz kleine, aber eiskalte; aber Maria
fasste sich ein ilcrz und fragte: „bist du ein böser Geist?" »Mit nichten!" erwie-
derte das unsichtbare Wesen. „So bist da also ein guter Geist?'* Ihhr das Mädchen
fort. — • „Mit nichten!" lautete die Antwort wie vorhin. — - „Ntm, was bist du dann?" —
«Ein Mittelding, ein Mittelding! Ich liebe dich, schöne Maria!" — , Warum fühlt
uian didi und sieht dich doch nicht? Wovon kommt das?" — »Von der Tarnkappe,
von der Tarnkappe! Ich liebe dich, schöne Maria!" — »^^er hat dich in das Haus
gebracht?" . — »Die Butterbarbe, die Butterbarbe aus Gross-Berndten 1 Ich liebe dich,
schone Maria 1** Der arme Kobold war wirklich verliebt; der Webestuhl stand jetzt
manches StBndchen still, und der schönen Maria wisperte es während dieser Zeit
immer in die Ohren: „Ich liebe dich, schüne Maria!" Da ward sie endlich unwillig
und klagte ihr Leid dem Vater, der schon lange unzufrieden war mit dem Kobolde,
weil er jetzt viel seltener rief : „Göttling, stehe auf, mache Spulen." Da verfluchte
Göttling den Kobold und drohte ihm mit diesem und jenem. Ein leises Hohngeläch-
ter war die Antwort auf die Drohungen und Schmähungen des Webermeisters, and
bald stand der Webestuhl ganz verlassen, «nd Mariachen hörte keine iLiebeserklärang
mehr. Aber bald darauf zog das Unglück in das seit einigen Jahren so gesegnete
Haus ein. Das Vieh ging in kurzer Zeit darauf, ein Wetterstrahl ruinirte das schöne
Haus, der Webestuhl fiel zusammen, das baare Geld im Kasten ward diebischer Weise
entwendet, der Acker gab Icaum die Aussaat wieder, und schön Mariechen ging um-
her wie ein Schemen, denn der böse Kobold hatte ihr es angethan, dass sie bald
darauf zu Grabe getragen ward. Th. Rumple r.
IG. Der webende Kobold. Im Jahre 1740 lebte in dem Kirchhof 'sehen Hause an
der Steil ein Weber mit Namen Vollmar. Dieser Mann nährte sich von seinem
Handwerk schlecht und recht und lebte in Rvih und Frieden iu seiuca vier Wänden:
diese hausliche Ruhe sollte aber eine unliebsamen Störung erfahren. Eines Tages
hören die Eheleute ein starkes Rumoren im Ofen, das längere Zeit anliält. Sie an«
10. Der weimde JMold, In den wesentlichsten Punkten berührt sich dieser Sage
mit der vorigen. Das Zeichen des christlichen Kreuzes vertreibt den heidnischen
Gast, der sich selbst für ein Mittelding austriebt. Doch ist dieser Kobold nicht mehr
der gutmütige Hausgeist, sondern trägt schon man che Züge vom „Mönch'' und
„Drak" (Simrock, Handbuch, S. 4SS). Man vergL auch Gonsenbach, Sicil.
Märchen II, 22.
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125
(ersuchen den Ofen in- und axiswendig, finden aber die Ursache nicht. Sie la&sen ihn
abreissen und lunsetzen. Da hört der Spektakel wohl im Ofen auf, erwacht aber
dafir am so lebhafter in der Stube. Die geplagten Leute wissen nicht, was sie be>
ginnen sollen. Fragt Vollmar: „Bist du ein guter oder ein böser Heist-" so antwortet
der uügebetcuc Gcisl : »Ich bin weder ein guter noch ein büscr Cicibt. ' — «Nun,
was bist du denn?" — „Ein Mittelding, ein Mittelding." — „Wer hat dich hierher
gebracht?" — „Butterbarbe hat mich im Korbe hergebracht und noch einen Wickel
Werg dazu." — , Butterbarbe soll dich auch wieder forttragen^ ich will dich nicht
behalten." — |,Butterbarbe will mich nicht wieder haben/* — »Was hat sie denn
mit dir gemacht?" — Wir sind auf Lohra gewesen und haben Schratmehl für das
Vieh geholt." — »Wie seid hier hinein gekommen?" — »Wir sind durchs Fenster
gegangen." — »Bist du allein gewesen?" — n^'^^^) Butterbarbe hat noch den
Grössten und den Kleinsten, ich war der Mittelste." — Alle Anstrengungen, den
Kobold loszuwerden, waren vergeblich; derselbe dachte gar nicht an ein Fort|;ehen.
Nun setzte er sich auf den Webstuhl und webte wie der geübteste Meister, Tag fUr
Tag und Nacht für Nacht. Was der Vorrath von Spulen erschöpft, so klapperte er
nach Weberbrauch mit der Seele. Vollmar aber weigerte sich, neue Spulen zu machen
und hoffte, durch diese Weigerung den unheimlichen (Gesellen zu einem freiwilligen
For^ehen bewegen zu können. Doch weit gefehlt! Machte der Hanswirth keine Spu-
Icn, so musste der Kobold selber an die Arbeit gehen. Und bald schnurrte denn
auch das Spulrad, dass man seine Lust daran hätte haben können. War der Vorrath
verarbeitet, so schnurrte das Rad wieder. Noch einmal suchte der Kobold den Voll*
mar zum Spulenmachen anzuregen^ indem er sprach: ^ Bediene mich nur, ich will
dich auch reich machen." „Ich will durcii dich nicht reich werden," erwiederte der
geplagte Meister und Hess .sich auf gar nichts ein. So ging die Arbeit fort, bald auf
dem Webstuhle, bald auf dem Spulrade.
Die Koljoldgcschichtc wurde schnell in der ganzen Oegend bekannt und Scharen
vou Neugierigen slrumteii herbei, >.ic sich in der Nähe anzusehen. Sogar aus ent-
fernteren Orten kamen Leute zu Pferd und zu Wagen und boten mitunter sogar, den
Vollmarschen Eheleuten Geschenke und Unterstützungen an, was aber von diesen
abgelehnt wurde. Einmal befand sich unter den Neugierigen ein wohlbeleibter Mann,
der den Kobold swingen wollte, die Arbeit auf dem Webstuhle einsnstellen, indem
er die Weberlade festhielt. Die Strafe folgte jedoch sogleich nach. Der unsichtbare
Arbeiter warf ihm nämlich das Weberschifilein so heftig gegen den Leib, dass er sich
vor Schmerzen krttmmte. Am Spulrade hielt man das Rad fest, aber der Kobold be-
wegte die eiserne Welle so heftig, dass sie sich noch im Holze herumdrehte. Als
der gestrafte Zuschauer ihn fragte, ob er auch Schaden anrichten könne, antwortete
er damit, dass er das Schifllein durchs Fenster in den Hof warf, so dass die Fenster-
scheibe klirrend an Boden fiel. Darüber bricht Frau Vollmar in lautes Klagen aus.
Ks sei nicht genug, dass sie von fremden Leuten in ihren häuslichen Arbeiten tag-
täglich gestört würden, so müssten sie auch noch direkten .Schaden erleiden; Armut
vmä. Not wflrden hold hei ihnen einkehren. Doch der Kobold tröstete sie, indem er
bemerkte, dass der Herr von Götz (Besitzer des rothen Hofes) so eben draussen vor
der Thür stehe und geäusserst habe, den angerichteten Schaden ersetzen zu wollen.
Und wirklich tritt der Erwähnte ins Haus. Ein Blick auf die zerbrochene Fenster»
Scheibe und auf das kummervolle Besicht der Frau macht ihm den Zusammenhang
der Angelegenheit klar und erklart, die Scheibe bezahlen zu wollen. Der Edelmann
erkundigt sich bei dem Quälgeiste, wo er sich Aufgehalten habe, als der Ofen umge-
setzt sei. „Im Bett in der Stube," war die Antwort, „mich fror so." Herr von Gätse,
bemüht, den armen Leuten wieder Ruhe 7U verscIialTcn, fuchtelt mit seinem Degen
unter dem Bette herum, nur womöglich den Kobuld zu töten. Das gelaug ihm zwar
nicht, erreichte aber soviel, dass derselbe von nun nicht mehr redet. Der Spektakel
in der Stube hatte al>cr seinen ungestörten Fortganc;.
t)'x geplagten Eheleute versuchten alle angerathenen Mittel, um den hässUchcn
Gast loszuwerden, doch ohne Erfolg. Da rieth ihnen eine alte Frau, sie möchten
einen Topf voll Kohl im Ofen kochen und diesen dann herausnehmen, aber bei
Ge£shr ihres Lebens keinen Blick darauf werfen. Den Topf solle man auf den sogen.
Krenzfleck tragen und dort umstfllpen. Wflrde man genau nach der Vorschrift Ter^
fahren, so würde man den Kobold los. Die Frau Vollmar that, wie ihr gerathen
war, konnte aber doch beim Heraustragen des Topfes der Neugierde nicht wieder-
126
sieben, einen Seitenblicke darauf zu werfen. Und da erblickte nie eine hä&äliche
Kröte mit feurigen Augen. Der Topf waide anf dem bezeiclmeten Flurdielle umge-
stülpt und der Kotx>ld kam nicht wieder. Ruhe und Frieden kehrten im Hanse
wieder ein.
Diese Koboldgeschichte erregte damals ein allgemeines Aufsehen. Der Amtmann
Windler auf Lohra forderte Bericht darüber von dem Ortsschuizen Jos. Caspar Schnei-
der und yerhörte die Butterbarbe, eine übelbeläumdete Butterfrau, Albrecht Schusters
Frau, selbst, musstc sie aber wegen mangelnder Beweise endlich wieder freigeben.
Ja sogar der Kirchenvorstaud nahm sich der Sache an und legte das Ergebniss seiner
Eimittelnngen in emem Schriftstficke nieder, das noch jetzt im Pfarrarchive aufbe*
wihrt wird und also lautet:
„Anno 1740 begnhs sich im Monath Martii (März) zu Niedergebra in einem Hause,
dass es von 6 Ulireu Abends im Ofen iruinmelie als mit einer trummel. Viel Volk
kam hin, solches zu hören. Das Ambt Lohra Hess den Ofen abreissen, da es denn
«lufgchörrt. Das Haus hörte den» Leinweber Vellmar zu und liegt vorn am Dorfe und
die Striegel (Steil) geht durcbhin. Als der Ofen abgenommen, eignet sichs unter des
Hauswirths Bette in die Stube, fing an tn. leinwebem, schmiss das Spulrad entewei,
wurlT dem TTerm von Götzen mit dem Scbiitzen vor den lA-ib, und Diakono Müller
aus Bleichrode den hölzernen Teller durch die Beine hin. Endlich £iug es als ein
klein Kind an tn reden^ rief den Hauswirth mit Namen und wollte, er sollte et
aufnehmen, es wollte ihnen Nahrung bringen. Albrecht Schusters Fratt, die Bntter-
barbe, hätte es im Sack in den Ofen gebracht. Sic hätte einen be<;seren Kobold,
darum hätte es fortgemüsst. E.s halle von Lohra 3 Marktscheffel Korn, Buller, Geld
und von der PCurre zu Wülfingerode Borstenäpfel, Kom, Geld, wie auch vom Elendi*
sehen und Grosswendischen Pfarrer geliolet. Ueber die^e Aussagen sind 10 Personen
eydlich abgehört worden. Endlich ist der Butterbarbe vom Herrn Ambtmann Windler
aufgdeget worden, diesen Kobold wieder aus des Mannes Hause nt schaffen, welches
denn auch geschehen sein mag, indem von 6. April an Niemand mehr etwas von Ihm
gehört hat. Die Winsel aus dem Elende hat ausgesagt, dass dieser Kobold ihr an die
blossen Knie gegriffen, und wäre es wie eines Kind handi als Sammt so weich, doch
kald dabei gewesen. Andere wunderliche Begebenheiten hierbey zu geschweigen.**
Vier Jahre spiter starb die Butter Barbe. Der auf ihr ruhende Verdacht kommt
selbst im Kirchenbuche zum ;\usdruck. Es heisst dort: „1744 ist Barbara Elisabeth
Schusters Ehefrau begraben, 50 Jahr alt. Diese Frau ist wegen des Kobolds, der
sich in Christopf VoUmars Hause hören lassen, sehr verdftchtig gewesen, inmassen
der Kobold sclb.'it in Gegenwart vieler Menschen auf sie bekannt, dass sie ihn TOrher
in ihrem Hause gehabt. Sed de occultis non indicat ecclesia."
Wie der Pfarrer nicht an dem Teufelspuk zweifelte, so noch weniger seine Beicht-
kinder. Das bestätigt eine mündliche Mittheilung, die ich meinem Gewährsmann,
einem bejahrten Manne, verdanke. Diesem hatte seine Grossmutter, eine 9ojfthrige
Frau, versichert, dass die Knboldsgcschichtc sich wirklich in der oben erzählten Weise
zugetragen habe. Sie selber habe als Kind den Vorgang mit erlebt. Nicht ein Jota
sei anders gewesen, das wolle sie hoch und hdlig versicheren.
II. fVir cfie Gebradörfer zu ihrem Waltlc hauten. Der (<raf von Lohra und der
Ritter von Keula lagen in Fehde miteinander. Beide boten alle ihre Vasallen und
Lehnsleute auf, um sich gegenseitig an Streitkräften zu übertrefien. Im Helbetfaale
kam es zwischen ihnen zu einem heftigen Kampfe, wobei auf beiden Seiten soviel
Blut floss, dass die Helbe geröthet war. Die Lohraischen wehrten sich tapfer, mussten
aber endlich, von der Übermacht gedrängt, bis an den Reinhardsberg zurückweichen.
Unter den Mäuem des Schlosses Lohra erneuerte sich der Kampf noch einmal. Der
Graf und seine Männer kämpften wie die Löwen, konnten aber nichts gegen den
II. Wit dU Gebradörfer sw ihrem Walde kamen. Eine Sage in etwas fragwürdigem
historischem Gewände. Zur nähern Kommentierung würden eingehende historische
Untersuchungen erforderlich sein. Man vergl. unter And. Schambach-MüllerN<>. 5.
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127
Keulascheu Ritter ausrichten, der mit seiucr 60 Pfund schweren Keule alles vor sich
her niederschmetterte. Da, im letzten Augenblicke, ab man den Kampf schon ytx-
loren gab und die gräflichen Streiter im Bcgriif waren, das Feld zu räumen, erschien
UDerwartete Hülfe. Als nämlich die Einwohner von Ober- und Untergebra vernahmen,
m welch schlimmer Lage sich ihr Herr, der Graf von Lohra, befinde, eilten sie in
hellen Haufen mit Wehr und Waffen herbei, stür/tcn sich mit Ungestüm auf den
Feind uml trieben ihn bis Keula /uriick. Aus Dankbarkeit schenkten ihnen der Graf
den auf der Hainleite gelegenen Wald, den sie noch heute besitzen. — Nach einer
«ndem Überlieferung soll diie Grttfin Adelheid oder Laura die Gebeiin gewesen sein.
In Wirklichkeit ist aber der Wald kein Geschenk, sondern ein altes Erbe der Väter.
12. Der Xitter Reinhard. In früheren Zeiten stand anf dem sa Untergebra gehö-
rigen Reinhardsberge eine stolze Burg, die dem Ritter Reinhard gehörte I c k lag
in bestandiger Fehde mit dem benachbarten Lohraischen Cirafen, weil ihm dieser
die Hand seiner Tochter Adelheid verweigert hatte. Da niemand vor dem Störenfried
seines Lebens sicher war, verbanden sich viele Ritter und Herren, erstürmten die Bnrg
und machten sie der Erde },'leich. Der Weinkeller des Ritters befand sich unter der
Burg, während sein Weinberg am Rotheu Üwcr lag.
Als Überrest der Ritterburg gilt noch eine etwa */9 Morgen umbssende Umwallung
auf der Spitze dt s Bernes. TMe rmwalhinf; hat jedoch mit einer mittelalterlichen Burg
nichts SU thun, sondern ist eine vorhistorische Wallburg, deren Entstehung vielleicht
m die Zdt des Heilandes surttckreicbt.
Am Keinhardsberge und in dessen Umgebung sind verschiedentlich alte Wftffeu«
stficke, als Lanzenspitzen, Sporen, Dolche, Messer etc. gefunden worden.
13. yakoll Immernüchttrn. An dem Abhänge des bei Sollstedt gelegenen Katzensteins
befindet sich eine Hub]»- w welcher der Räuber Jakcib Iininerniichtcrn lange Zeit
gehaust haben soll. Sie war früher sehr geräumig, ist aber jetzt grosstentheib mit
Laub und Erde ar^eMllt. Das Versteck war gflnstig gelegen. Denn bei einem über-
falle konnte sein Bewohner nach verschiedenen Seiten hin freien Ausp;anp gewinnen.
Wurde ein Angriff von oben herab versucht, so stand ihm das Thal offen, während im
umgekekrten Falle die Ebene der Hdnleite unschwer su erreichen war. Ausserdem
gewährte die Höhle einen freien Überblick über die vorüberfühl ende Heerstrasse.
Immemüchtern hatte es bei seinen Raubzügen hauptsächlich auf die grösseren
llausthierc abgesehen. In dunkler Nacht, am liebsten beim Sturm und Wetter, pflegte
er mit seinen. Diebsgesellen die umliegenden Gehöfte heimzusuchen. Weder Pferde
noch Kühe waren in ihren Verstecken sicher, mochten sie auch noch so fest ver-
wahrt sein. Die geraubten Kühe pflegte er in eine nahe bei Gcrterodc gelegenen
Höhle zu bringen, die noch heute Immemachterens Kuhstall genannt wird. Die
Pferde, als den wertvolleren Besitz, verbarg er in der Höhle am Katzensteine. Das
war sein Pferdestall.
Dabei beging er die Vorsicht, den Pferden die Hufe verkehrt anfimadilagen. Wurde
seine Spur bis zur Höhle verfolgt, ><> nuisste man glauben, er habe sie verlassen;
entfernte er sich daraus, so wiesen die Spuren hinein.
Aber nicht nur Pferde und Kühe, auch die Güter, welche der Kaufmann auf der
Strasse transportirte, waren Gegenstände seiner Diebsgier. Ein sehr lebhafter Verkehr
bewecjte sich zu iencr /dt auf der durch das ohcrc Wipperthal ziehenden Heerstrasse,
auf welcher die Waren von Braunschweig über Duderstadt, Worbis durch den Pass
bd Lohra nach Erfurt geftthrt wurden. Um die ÜberfiUle auf dieselben recht sieher
ausführen können. Icf^e er auf dem Reinhardskopfe eine Schanze an, von welcher
aus er die arglos ankommenden Kaufleute beraubte. Die gestohlenen Gegenstände
worden in der Feme wieder verkauft.
12. Der Ritter Reinhard, Ein sagenhafter Niederschlag der Ritterzeit, vor allen
Bingen der spätem, verwilderten Epoche.
13. "yahoh Int>iu-> nuihtcrn. Kine Räubersage mit meist alllickanntcn Ausschmück-
kungen. Über verkehrt aufgeschlagene Hufeisen vergl. man Schell, Bergische .Sagen,
S. 565, Anmerkung 4. Der Umstand, dass Räuber Armen Wohlthaten erweisen, ist ein
ständiges Requisit der Räubersagen, welches bis zur Neuzeit beibehalten wurde.
I
128
Die zahlreichen Diebstähle machtea in der Umgegend böses Blut. Man gab sich
grbsste Mflhe, den IHeb xii fangen, doch umsonct! Glaubte man, ihn an diesem Orte
sicher zu erwischen, so raubte er einen entfernten Bauernhof aus. Alle Nachstellungen
waren vergebens. Niemand kam auf dem Gedanken, dass lauuernüchtcrn der Gesuchte
sei. Derselbe wusste sich im täglichen Verkehr den Anschein eines braven, redlichen
Mannes zu geben. Des Sonntags besuchte er regelmässig die Kirche und erwies den
Armen Wohlthaten, sobald er sicher war, dass sie bekannt würden. Endlich aber
wurde der geheimnisvolle ÜbelthSter ergri&n. Die ganze Bauernschaft der umliegen-
den Dürfer bewaffnete sich nun und umstellte des Nachts den Wald, in dem er sldi
versteckt hatte. Nachdem man stundenlang mit Faekeln gesucht hatte, vernahm man
beim ersten Hahnenschrei das Wiehern seines Rosses, auf dem der Gesuchte davon
reiten wollte. Augenblicklich entsfiann sich ein harter Kampf, In welchem das Diebs*
geliebter nach harter Gegenwehr endlich besiegt wurde. Tmmernüchtern saink, von
einem wuchtigen Keulenschlage getroffen, mit den Worten: „Ich komme nächstens
wieder** tot vom Kerde.
Noch heute hdsst die Muttor ihten liederlichen Jungen einen Immemflehtem.
14. Der Sehatg unter der heilen Klippe. An den Abhängen der Hainleite hütete
vor Zelten ein schmucker Schäferbursche aus Untergebra in aller Einfalt und Treue
die ihm anvertraute Herde. Eines Nachts nun, als er längst die müden Glieder auf
seinen Lager hingestreckt hatte und bereits in tiefen Schlummer versunken war,
wurde er plötzlich auf seltsame Weise aus seinen fnedlichen Träumen erweckt. Die
Gräfin Adelheid von Lohra, angethan mit fahlem, seidenem Gewände und das Antlitz
mit einem schwarzen Schleier verhüllt, erschien dem erschrockenen Schäfer und for-
derte ihn auf, einen unter der hellen Klippe verborgen liegenden Scltatz zu heben.
Sie sei dahin verbannt, und nur die freiwillige That eines keuschen Jünglings vermöge
den Bann zu lösen. Er brauche sich nicht von ihr zu fürchten, denn auch seine
Hunde hätten keine Scheu gezeigt und sie ungehindert passieren lassen. Dem Schäfer,
der ob dieser Erscheinung vor Staunen und Angst nicht wusste, wie ilun wsr,
schien solches Unterfangen trotz des verheissenen Lohnes doch allzu gewagt; mit
alier Kraft sich vuu äciucm Lager erhebend, lehnte er mit kurzen Worten seine Hülfe
entschieden ab. Darauf verschwand die Gräfin. Noch zweimal kam ste wieder und
bat in immer dringlicherer Weise um Beistand. Da jedoch der Schäfer c-itschlossen
war, das Wagstück nicht auszuführen und ihm der nächtliche Besuch immer unheim-
licher wurde, entfernte er sich aus der . Gegend und suchte einen Dienst an einem
andern Orte.
15. Der Sekatugräher^ An einem schSnen Sommertagc ging ein Knabe von Lohra
auf den nahe gelegenen Reinhardsberg, um Erdbeeren zu suchen. Da trat ihm plöts^
lieh ein fremder Mann entgegen, der sich nach dem dort früher befindlichen Brunnen
erkundigte. Bereitwillig lühile ihn der Kuabc dahin. Erfreut darüber, lud der Fremde
ihn ein, - fibers Jahr, doch genau um dieselbe Stunde, wieder an Ort zu ^elle sn
kommen, dann solle er sein Lohn empfangen. Nachdem der Knabe noch gesehen, dass
sich der Unbekannte an einen um einen Baum gebundenen Stricke in den Brunnen
hinab gelassen hatte, eilte er nach Hause und theilte seinen Eltern das Eflehniss
mit Diese merkten sich sorgKltig Tag und Stande, damit der Knabe anr rechten
14. Der Schatz unier der hellen Klippe. Eine etwas abgeblasste Form des sehr
verbreiteten Sagen von den Schatzjungfrauen. Man vergl. Simrock, Handbuch,
S. 356; Lymker, Hessische Sagen, N«. 128.
15. Der Schatzgräber. Vonhun (Sagen 16) erklärt wohl mit Recht die Venediger
trotz ihres nebeln, der Lagunenstadt entlehnten Namens für verkappte germanische
Zwerge (man ver^. auch Zingerle, Sagen 70). Die Sinnen von den Venedigein
haften fast ausschliesslich in Tyrol. Der Brunnen ist für den Venediger nur der Ein-
gang zum unterirdischen Reiche. Er ist aber fremd am Harz und bedarf darum der
menschllelien Ftthraag. Eine grosse Rdhe sicilianiseher Itirehen von L. Gonaen*
bach nebst den betreffenden Anmerkungen von R. Köhler verdienen bei dieser
Si^e Beachtung.
...... ^le
129
Zeil der versprochenen Lohn holen könne. Als das Jahr um war und die erwartete
Stunde nahte, eiliob sich ein heftiges, von Sturm und Regen begleitetes (iewitter, das
den ganzen Tag anhielt. Da es dem Kji:ii>en unter diesen I mständen nictil inuglich
war, auf den Berg zu geben, uateruahm er den Gang am folgenden Tage, fand aber
Statt des Fremden nur einen Zettel, auf den die Worte standen: »Ich bin festem
zur beistimmten Stunde hier gewesen; warum bist da nicht gekommen ) Dein Lohn ist
aun verfalleri."
Bin Sojahriger Mann aas Gebra theilte mir vor längerer Zeit mit, dass sehk Vater
am Ausgänge des vorigen Jahrhunderts noch einen Schat/'graI)crT einen „Venediger",
auf dem Reinhardsberge gesehen habe, der sich vermittelst eines Strickes in den ehe-
mals dort befindlichen, jetzt aber verschütteten Brunnen hinab gelassen habe.
16. Po Schatz auf dem Ri-inhai a'.d-opfi-. An einem sonnigen Herbsttage ging ein
Eänwühner von i.ohra auf den Reiuhaidskopf, um trockQei> Laub zur Streu fUr seine
Ziege zu holen. Wie er eben beschäftigt ist, das Laub aus dem Gebüsch so haifeen,
bemerkt er mit erstaunen, dass eine Frau, in eigenthümlicher alter Tracht auf einem
nahe liegenden freien Platze emsig Heu wendet. War ihm schon aufTäUig, dass die
Frau an diesem Orte henete, wo doch niemals Heu gewonnen wurde, so war es die
Person in ihrer schweigsamen Geschäftigkeit niich viel mehr. Furcht und Entsetzen
ergriff ihn, und er eilte in voller Hast den Bcfg hinab seiner Wohnun]|' zu. Sogleich
Üieilte er seiner Frau das Erlebniss mit. Doch diese glaubte ihm nicht und schalt
ihn atts, dass er die Zeit unnütz v ibr.icht habe. Auf ihr Zureden ging er am fol-
genden Tage auf den Berg, um da-. \'ersäumte nach/uhulcn. \) -rh V unn hat er zu
harken begonnen, als die seltsame l'rau wieder cr.<.chuint. Zum z^wciteuiuaie ergriff er
die Flucht. Als ihm seine Frau auch diesmal keinen Glauben schenkt, vertraut er
sich einem Freunde an, die ihm den Rath gicbt, die Person nach ihrem Begehr zu
in^pssi. Diesen Rath führte er auch aus, als er sie am dritten Tage wieder erblickt.
Darauf erklärte sie, dass sie erschienen sei, ihm einen Schate su zeigen, der unter
einer nahen Buclie vergraben liege; er könne üin ohne (lefalir heben. Damit ver-
schwand sie für immer. Zutraulich berichtete der Mann seinem Freunde den Verlauf
der Sache. Dieser ging in der Nacht mn die bcMichnete Stelle und hob den Schatz,
wodurch er sehr ifidt wurde.
17. Aus neuerer Z.eii. Im Somraei des Jahres 1853 arbeiteten drei aus Niedergebra
^bürtige Mtthlbauer, Karl Hause, und die Gebrüder Karl und Friedrich Ackermann^
in der an den Austrut gelegenen Thalmühle rw Silberhauseu. Bei der weiten Entfer-
nung war es nicht gut möglich, allabendlich den Heimweg anzutreten, und so gingen
iä/t Männer nur jeden Sonnabend nach Hause, um wenigstens den Sonntag bei den
Ihrigen verbringen zu können.
So hatten die drei an einem schönen Sommerabend nach vollbrachtem Tagwerk
wiederum gemeinschaftlich d«i Heimweg angetreten. Unter munteren Gesprächen
hatte man bald das zum ( 'rebraischen Gefolge gehörige Mackcnhagen erreicht und
darchschnitt nun ohne I' i 1 die schattige Waldung, um noch bei hellem S nnenschein
den Abstieg vom Berge /u erreichen. Da plötzlich blieb Haasc, der voran ging, wie
festgebannt auf dem Wege stehen, unverwandten KUckes das vor ihm befindliche
Gesträuch anstarrend. .Auf den Zuruf der Begleiter, doch vorwärts ni gehen, braclitc
jener mit ängstlichen Gebärden nur die Worte hervor: »Die Frau, eine Frau, sa&s
doch, wdsse Hemd&rmel, schwarser Kopftuch und strickt rasend schnell; o, wie sie
t6. Der Schatz auf dem Reinhard l> ff-:. Man vergl. die Bemerkungen zu N". 14.
17. Aus neuerer Zeit. Im Norden zog man um dünne Haselstäbe heilige Schnüre
(vfibünd); man vergl. Rechts- Altertümer 182, 203, Sic. Diese ThaUache erinnert an
den dünnen Seidenfaden der beiden Rosedgirten» Die seltsame Frau erscheint als
Hüterin des althcldnischen Waldheiligtums, repräsentiert durch die Haselstunde. Ihr
Stricken weist deutlich auf die schützende Einfriedigung hin. Man vergl. Simrock,
Handbuch, S. $14; die Abhandlung »Der beende Faden" in F. Liebrecht, Zur
Volkskunde, S. 305 ff. Avch der Name ,Markenhegen" und die Tracht der Frau
verdienen Beachtung.
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mich anstarrt!" Die Freunde, über dca uiiheimlicheu Zwischenfall bestürzt, obschon
sie nichts erblickten, traten näher herzu und ttherzeugten sich, dass kein lebendes
Wesen im Busche war. Nachdem man sich vom ersten Schreck einigermassen erholt^
beschwichtigte einer den andern, so gut er dies vermochte, und bald schritten alle
drei schweigend nebeneinander, bis der Anblick des heimatlichen Dorfes das Baad
der Zunge wieder löste.
Einige Zeit nach diesem Vorfalle ging Haase denselben Weg, jedoch für diesmal
allein. Im Mackenhagen angelangt, fiel Dim eine schlanke Haselnussgerte auf. Kxm
entschlossen, steckt er sein Richtscheit, das er bei sich führte, in den Boden und
begann sie it^7i5srhneiden. Kaum, dass er damit angefangen hatte, so stand auch jene
rätselhafte !> raucugestalt wieder vor ihm, aucli diesmal mit geisterhafter Geschwindig-
keit die Stricknadeln hörbar bewegend. Zu Tode erschrocken, ergriff Haa&e das
Richtscheit und eilte von dennen, von der gespenstischen Frau verfolgt. F.r-,t auf
der Schneide des Berges war er allein. Von diesem Tage an betrat er jenen Weg
nicht wieder.
Bei der Wahrheitsliebe und ernsten Natur Haases ist jeder Zweifel an dessen Aus-
sage ausgeschlossen, kann auch was den ersten Vorfall anbetrifft, von dem noch
lebenden Karl Ackermann beietigt werden.
18. Das Schloss Sihirmer. An den südlichen Grenze des fiebraischen Gcmeinde-
waldes stand früher ein kleines Dorf, da^ etwa ums Jahr 1500 wüst geworden ist
Wir wissen von dem Dörfchen nur, dass es eine Kirche hatte. Die Ursache seines
Verschwinden? ist nur gänzlich unbekannt. Der Ort hiess Schierenberg, was im
Volksmunde bchirmer lautete. Die Sage erzählt von einem prächtigen Schloss, das im
Orte Schimer gestanden hat. Seine Bewohner lebten in Sans und Braus, bis ein
starkes Gewitter das stolse Schloss verwfistete und seine gotdosen Bewohner tötete.
19. Der Mann ohne Kopf, Zu Anfang diese« Jahrhunderts wohnte auf dem
Blauen Hofe in Niedergci>ra der Amtmann Hauenschild, ein gar stolzer und gestrenger
Herr. Auf dessen \'eranlassung miisste der Nachtwächter des Dorfes die Stunde auch
vor dem Herrenhause abrufen. Als dies wieder einmal geschah und Mitternacht heran
nahte, — es war in der Adventszeit — sah der Wächter von den Ställen her einen
grünen Mann auf sich zukommen. In der Meinung, es sei der ihm befreundete Knecht
Neithardt, ruft er: „Neithardt, bist du es?" Als er aber auf mehrmaliges AnrufcB
keine Antwort erhält, beobachtet er die Gestalt schfirfer und sieht mit Schrecken, dsss
ihr der Kopf fehlt. Doch verlor er den Muth nicht, sondern griff herzhaft nach
seinem Spiesse und stach darnach, traf aber nur eine leere Stelle. Am andern Morgen
meldete er dem Herrn, was vorgefallen war. Dieser befahl, ihn auf der Stelle zu be*
nachrichtigen, falls sich das Gespenst noch einmal zeigen sollte. In der folgenden
Nacht, als oben von den Kirchturme die 12. Stunde ertönte, erschien der Graue wie-
der. Sobald der Wächter den Amtmann davon in Kenntniss gesetzt hatte, erschien
dieser mit einem gelade) i i ' lewehr am Fenster* Auf seinen Zuruf musste der Nacht»
Wächter bei seit treten. Kaum war das geschehen, so krachte auch der Schuss, ohne
jedoch getroffen zu haben.
Am folgenden Tage und swar am hellen Mittage erscheint der Graue nun dritten-
male und nimmt seinen Weg gerade ins Herrenhaus. Nachdem er dreimal angeklopft
hat, tritt er ins Zimmer, in dem sich Hauenschild befindet. Das Gespenst umfasst
ihn, kneift und drtlckt ihn der Art, dass er von Schreck und Schmerz augenblicklieh
seinen Geist aufgiebt. An seinem Körper fand die Todtenfrau überall Spuren von
Fingern und Nägeln, so dass sie es für ratsam hielt, die Leiche nicht mit einem
Totenhemd zu bekleiden, sondern das alte Hemd am Körper zu lassen.
Thatsache ist, dass Hauenschild, der ums Jahr 1820 starb, ganz plötzlich s«neD
18. Das Schloss Sekirmer. Allem Anschein nach ein dürftiger Rest der vielseitigen
Sagen von versunkenen Orten, namentlich Burgen. Man vergl. Schell, Beimische
Sagen IX, 57 nebst Anmerkung.
19. Der Man» ohne Kopf. Eine natttrliche Dentin^ der Sage ist so leidit, dass
sie hier nicht versucht zu werden braucht. Man vergL u. And. Schambach' Müller
NO. 217— 220 j ür-QueU IV, 8, V, 78.
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Geist aufgegeben hat. £s ist ferner wahr, dass die Totenfrau viele blaue Flecke an
der Leiche gefimden hat.
20. Der nächtlkhe Kobold. Der Futterknecht Gottfried Aderhaid in Niedergebra
kam aD eiaem mundhellen Herbstabeud dei Jahres 1830 von einem Besuche zurück,
den er seinem Freunde im Dorfe gemacht hatte. Sofort begab er sich zu Bett, das
in einem zum Blaueu Hofe gehörigen Stalle stand. Kr hatte nur kurze Zelt gelegen,
als die Pferde unruhig wurden und wild an den Ketten rissen. Da sah Aderhaid denn
im Scheine des Mondes ein rauh behaartes Tier von biannw Farbe auf der Krippe
cinherschreiten, das die Richtung auf sein Bett nahm. Die Haare standen ihm zu
Beige, als sich der unheimliche Gast auf ihn legte. Er wollte schreien, konnte aber
nur ichsen und stöhnen unter der unerträglichen Bddem m ung. Nach einher Zeit
entfernte sich die Gestalt, kam aber schon am fol^okden Abende wieder. Dann blieb
sie ganz aus,
21. Ein Vor spuk. Vor etwa 70 Jahren plünderten eines Abends mehrere Burschen
einen Birnbaum des Pfarrgartens. Wie sie wieder von dem Baume herunter klettern
wollen, gewahren sie zu ihrem Schreck einen Leichenzug, der sich lang!>am im Garleu
Üntbewegt. Kurze 2Seit darauf starb ehier der Thdlnehmer.
22. Die Zehntdörfer, Wie bei Niedergebra so stehen auch bei den meisten andern
benachbarten Dörfern steinerne Kreuse. Auf meine Frage über den Grand dieser
Ers heinung erwiderte mir kürzlich ein alter Mann Folgendes; Die Kreuze bezeichnen
die sogen. Zehntdörfer, welche dem Grafen von Ilohnstein den 10. Teil des Getreides
alljihilich entrichten massten. Im Herbste schickte der Graf seine Wagen aus, um
die Frftchte abholen sn lassen. Die Kreuze waren gesetzt worden, damit die Fuhr'*
leute die Zehntdörfer von den andern unterscheiden konnten.
Die gewöhnliche Deutung der sieiuurnc Kreuze ist jedoch die, dass man sagt,
Bonifwil» habe solche an die Orte gesetzt, an denen er gepredigt habe. Diese An-
gaben entsprechen indessen den Thatsachen nicht. Fs sind einfache Mordkreuze, die
der Mörder zur Sühne seiner That musste setzen lassen.
23. Die verstopfte Quellt'. Die Quelle des Sülzenbaches soll mit einer seidenen
Jacke verstopft sein. Wer diese herauszieht, bringt grosses Unglück über das Dorf,
denn eine ungdieuere Überschwemmung wird erfolgen, und das Dorf in ihren
Finten b^raben.
24. Stippehtn in Niedergebra. Vor mehr als 100 Jahren wohnte in Gebra ein Ehe-
paar, das nicht einmal soviel besass, um sich täglich satt essen zu können. Alle
Mühe und Arbeit war umsonst, die Notli blieb immer dieselbe. An die Nachbarn
mochten sich die Leute nicht um Hülfe wenden, denn sie scheuten die üble Nach-
20. Der nächtliche Kobold. Eine Mahrlensage. Über die Mahrt, und die ihr ver-
wandten Wesen verbreitet sich u. And. Simrock, Handbuch, S. 438; man vergl.
femer Grimm, D. Myth., S. 41 1 (f.; Ba r t s c h I, 2515 Schell, Beimische Sagen
VI, 233 mit Anmerkung; Gonzenbach, Sicilian. Märchen II, S. 22.
21. Ein Verspuk. Derartige Züge dUrfen mit Recht den Sagen sugezMhlt werden.
Man vergl. Zimmerische Chronik II. 131.
23. Dit verstopfte Quelle. Zur Erläuterung dieser Sage vermag ich vorläufig nur auf
Simrock, Handbuch, S. 475/6 und Grimm, D. Mykologie, S. 550 fr. zu verweisen.
24. Steppchen in Niedergebra. Diese wertvolle Sage führt den von Stephan
(vergl. dazu die gegensätzliche Meinung von Grimm, D. Myth., S. 965) abgeleiteten
Namen Steppchen (auch Stepche, Stepke) für Dräk auf. Unverkennbar ist der Über-
gang des Drak zum Teufel hier zum Ausdruck gebracht, namentlich dadurch, dass
man ihn zu einem Bündnis zwingen kann (man vergl. Simrock, Handbuch, S. 458/9).
Die Beziehungen Steppchen zu Ullrich vermag ich mcht anzudeuten. In mythischer
Benehnng sd daran erinnert, dass es ein Birnbaum ist, der auf dem Wolserfelde
steht. Man vergL Gonsenbach, Sicil. Märchen II, S. 22; Schambach- Maller
N«. iS2, 184.
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rede. Auf die Dauer jedoch besagte diese Lage weder dem Manne noch der Frau.
Als daher letztere den Vorschlag machte, Steppchen in das Haus einzuladen, um sich
mit dessen Hülfe bessere Tage zu verschaffen, war der Mann damit elnvoistanden,
und schon in der nächsten Nacht stand er unter einem alten Birnbäume im Garten,
warf ein Messer dreimal in die Iluhe und rief den Namen „Ulrich" laut in die
nichdiche Stille hinaus. FlötiUeh entstand ein gewaltiges Sausen und Brausen in der
Luft, und der Geiufene stand unter dem Baume. Auf die Frage nach seinem Begehren
erwiderte der Mann, da&s er jetzt genug gehungert habe und Hülfe von ihm erwarte.
Diese verspracli Steppchen auch, wenn er ihm seine Seele verschreiben woHe. Der
Pakt war beiderseits bald geschlossen und der Gast zog Ins TTaus. Hatte vorher die
Armuth aus allen Ecken herausgeschaut, so sah man bald Wohlstand einziehen. In
Küche und Keller häuften sich iSlerld LebenmütteL nm den Icommenden Tagen mit
Ruhe entgegen sehen zu können. Wollte die Fnit nische Butter haben, so setzte sie
sich mit einer leeren Schüssel nnter den Birnbaum und qui-^lf" darin, und im Nu war
die gewünschte Butter da. Regnete es, so begab sich die hrau in den Stall und
wiederholte dasselbe Manöver. War es Zeit zum Mittagessai, so klopfte man an den
Ofen und erbat sich eine beliebige Speise, .^m Sonntage setzte es gewöhnlich Klös^e
mit Hotzeln. Letztere waren eigentlich nur Mäuse, aber sie schmeckten so köstlich,
dass man sie fiir das schönste Obst hielt. Suchte die Frau auf dem Felde Futter für
die Ziege, so ging sie auf den ersten besten Acker und nahm, was sie brauchte.
Ertappt konnte sie von den Eigenthümem nicht werden, denn sie besass die Gabe,
sich nnsiditbar zu machen, und diese Uniicbibnilceit erlangte sie dadurch, dass sie
drei Knoten ins Taschentuch knUfifte. Wir Steppchen übler Laune, so machte er
allerlei Rumor im Hause. Dann klang es vom Hausboden herunter, als wenn fort-
während grosse Ketten über den Fussbodeu geschleift wurden, oder als ob trocknes
Laub auf das Dach rieselte. ^ erliess er das Haus, so kehrte er nachts in Gestalt
einer Feuerkugel wieder ins Haus zurück. Nach einer Reihe von Jahren, in denen
der häusliche Wohlstand sichtlich zugenommen hatte, suchten die Eheleute den all-
mählich recht unbequem gewordenen Gast 'vrieder loszuwerden. Sie streuten Erbsen
auf den Hausbodcn und hingen an allen Ecken und Kanten Dill auf, dessen Geruch
ihm arg zuwider war. Längere Zeit schienen diese Mittel ihren Zweck zu verfehlen,
endlich aber vediess Steppchen, der fortwlhrenden Belästigungen müde, die undanic«
baren Leute, die schon nach kurzer Zeit wieder so arm waren, wie sie vorher gewe-
sen waren*
Sagen von der Burg Lohra (Grafschaft IJohnsteinJ, Die Burg Lohra liegt auf
einem Bergvorsprunge der Hunleite. Ehemals war sie der Sitz des I^astengeseUeehts
der lohraischen und später der hohnsteinschen Grafen, bis i\\c-c T;^f)3 ausstarlien.
Jetzt wird die alte Vestc von einem Pächter bewohnt. Die Sage erzählt von der Burg
Folgendes:
1. Die Riesen erbauen die Burg Lohra. Auf dem Berge auf welchem Lohra liegt,
hausten vor Zeiten Riesen. Es gefiel ihnen hier so wohl, dass sie beschlossen, da-
selbst eine Burg zu erbauen. Diesen Entschluss führten sie auch bald aus und nann-
ten die Burg nach einer schönen Ricsentochter „Lohra". Während des Baues kam es
aber zwischen ihnen zu einem heftigen Kampfe, wobei soviel Blut vergossen wurde,
dass es an der Buigmauer hexabfloss. Noch heute soU das Blut an der nördlichen
Mauer sichtbar sein.
I. Die Riesen erbauen die Bur-^ Lohra. Besondei-s charakteristische Zuge fehlen
dieser Bergriesen-Sage. So wohnen sie z. B. meistens in Erdhöhlen, wenn auch in der
durch Chamisso's poetische Bearbeitung allgemein bekannt gewordenen Sage von der
Burg Niedeck die B^[riesen ein Schloss bewohnen. Der berichtete Kampf entspricht
mehr ihrer innersten ungestümen Natur.
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a. Das eingemauerte Kind auf Lohra. Am Fusse des Burgberges steht auf einem
kaum mehr erkeanbarcn Grabhügel ein aus rotem Sandfelsen gehauener Gedenkstein.
An diesen Stein knüpft das Volk folgende Sage: Bei Erbauung des Hauptturmes auf
der Burir Lohra tnicjs sich dass allemal über Nacht einstürzte, was am Tacfe zuvor
mit Fkish und Muhe war aufgebaut worden. Doch wusste niemand von dem unge-
wöhnlichen Vorgange mehr zu sagen, als was sich dem Auge aller an Ort und Stelle
täglich bot. Den Werklenten aber wollte schier die Lust vergehen, weiter su schaffen,
was sichtlich keinen Bestand gewinnen sollte.
Nun wohnte in der Nahe ein alter Meister,' der bei Alt und Jung hoch angesd^
war, weil wohl erfahren in allen Nöten des Trebens. Zu dem y'ing man, sich Rats
erbittend. Von ihm erfuhr man, dass hier der Teufel seine Spiel treibe und dass die
Foitf&hrung des Baues nur dann gesichert sei, wenn ein unschuldiges Kind mit ein-
gemauert würde. Sogleich brachte man diese Kunde vor den Grafen von Lohra, der
Geld über Geld bot, ein Opfer für den ersehnten Turmbau zu gewinnen. Allein,
soviel man auch fragte und forschte, in weiter Runde war kein Mutterherz zu finden,
das seines Kindes Leben für noch so vieles Geld hätte opfern wollen.
Woche auf Woche, Monde auf Monde verstrichen. Schon glaubte man die Wieder-
aufnahme des Baues für immer preisgegeben. Da eines iages sprach auf Luhra ein
von Hanger und Kummer abgebänntes Weib vor um ein Almosen für sich und sein
Kind, das es in den Armen trug bittend. Der Graf, statt durch eine Gabe die Not
der Frau zu lindern, nützte unbarmherzig deren Elend aus, indem er sie zu bereden
sochte, ihm ihr Kind ittr Geld zu fiberlassen. Die bittere Not machte die Frau
zaghaft und Hess sie für einen Augenblick wie nicht ungewillt erscheinen. Ein
Haufe blanken Silbergeldes ward von den Augen der Erschrockenen ausgeschüttet,
doch zögernd trat sie zurück. Unwillig schlug der Graf auf den Tisch, kurzen Ent>
scheid fordernd, ob Geld oder Kind! Da liess sich die schwache Frau bethören —
und schlnss den armseligen Handel ab. Hastig Strich sie das Geld in die Schürze und
verliess erregten Herzens die 15urg.
Rüstig nahmen nun die P>auleute das Werk wieder in Angriff. Sogleich richtete
man ein viereckiges I,och her, legte das Kind hinein und vermauerte es, nachdem
man ihm noch eine Semmel in das Händchen gegeben hatte. Eine weisse Taube
brachte ihm dann durdi ein in der Mauer befin&ches Loch tügllch etwas Nahrang.
Dieses merkend, verschlossen die harten Menschen die Stätte, und Ruf und Kind
erstarben gar bald. Von nun an nahm der Bau seinen ungestörten Fortgang und
wurde ohne Unfall beendet.
Nur kurze Zeit hatte der Glanz des Geldes das],Mutterherz bethört. Je weiter sich
die Arme von der Burg entfernte, desto mehr gedachte sie ihres Kindes. Mit einem
wilden Fluche warf sie die Silberstücke von sich und stürzte auf der Stelle, auf der
»cb später ein steinernes Denkmal erhob, entseelt 7u Boden.
Als der .\mtmann Smalian 1780 den C 100 Fuss hohen Turm wegen BaufrilliL'koit
bis zur Hälfte abtragen Hess, will man in der Mauer ein Kinderskelett uebsl ciuei
Schrift gefunden haben, aus der zu ersehen gewesen, dass die Mutter des Kindes eine
gebofene Schrecke aus Niedergebra sei.
3. Der Ritt auf der Bergmauer. Die Grifin Adelheid von Lohra hatte ihren Vater
2. Das eingeptauerie Kind auf Lohra. Die vielfach auftretende Sage von der Ein-
mauerung eines Kindes bertthrt sich in den wesentlichsten Punkten mit den Sagen,
in welchen der Teufel einen Bau (selbst Kirchen) ausführt, dafür aber eine Seele
verlangt. Man vergl. dazu Schell, Bergische Sagen XI, 23 mit den reichen Quellen-
nachweisen. Über Einmauern von Tieren und Kindern handelt Grimm, D. Myth.
S. 1095. ^^^^ trefüiche Abhandlung dazu bringt ferner Fei. Liebrecht, Zur Volks-
kunde, S. 284 ff.; man vergL noch S c h a mb ach -M ü ] 1 er N*. 6, I4, 16, «3, 24;
Kraus s, Das Bauopfer bei den Südslaven, Wien 1SS6.
3. Der Ritt auf der ßergnumer. Diese Sage hat sehr interessante, offenbar echt
mythische Bezüge zum Glasberg, welcher namentlich in deutschen Märchen auftritt.
Man vergL dazu Simrock, Handbuch, S. 49, 145, 183, 184, 428; Grimm, D.
Myth., S. 781, 796; Sommer, 99; Mannhardt, German. Mythen, S. 330C;
Landau, die Quellen des Dekameron, 2. Aull« S. 30, loi ; Felix Liebrecht,
Zur Volkskunde, S. 100, 133.
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in einer blutigen Fehde verloren. Da fasste die den Entschluss, imvermählt zu blei-
ben, tim ihr ganzes Leben dem Aadenken ilires betss geliebten Vaters widmen nt
können. Auf der Stelle, wo er den Tod gefuudca hatte, Hess sie ein steinernes
Kreuz errichten, das sie täglich besuchte. In ihrem Schmerze verlor sie aber das
Wohl ihrer Unterthanen nicht aus den Augen, sondern sucbte Not und Elend nach
KittfteD zu lindem. So lebte sie längere 2S«it ruhig und in Frieden. Den beutegieri-
gen Nachbarn war ein solch mildes Frauenregiment sehr willkommen : konnten sie
doch ungestraft in der Grafschaft Lohra rauben uad plündern. Die armeu Uaterthaoen
mnisten diesen Frevel nthig Aber sich ergehen lassen, da sie von ihrer Herrin keinen
thatkräftigen Schutz erwarten durften. In ihrer Bedrängiilss eilten die T.cutc zur Burg
und ßehten die Gräfin an, ihnen einen Herrn zu geben, der sie gegen die Feinde
beschfitzen könnte. Lange weigerte sie sich; endlich aber willigte sie ein, den Wtmsdi
zu erfüllen. Sie erklärte aber, nur den als Gemahl annehmen zu wollen, der dreimal
die Ringmauer der Burg umritte. Schnell wurde dieser Entschluss bekannt, und es eilten
▼ide Grafen nnd edle Herren borbei, den boben Preis zn erwerben. Nun war Lohn*
damals eine gar prächtige Bnrg, rings von eine gläsernen Mauer umgeben. Der Ritt
auf der hohen platten Rahn war ein gefährliches Unternehmen, wenn auf den Pferden
gestattet war, die Mauer ohne Hufeisen zu betreten. In der Mitte des Burghofes
wurde eine Burg erbaut, vaa welche dn Balkon angebracht war. Von hier aus sollten
Pauken und Trompeten ertönen, wenn ein Ritter den kühnen Ritt wagte. Ein
eichsfeldischer Ritter eröffnete den Reigen. Als er in prächtiger Rüstung erschien,
empfing ihn lauter Zuruf der Zuschuer. Die Trompeten scbmetterten; der Ritter
schwang sich auf sein Ross und begann das gefährliche Wagstück.
Nur erst einige Schritte hatte das Ross gethan, als ein Vogel aus dem nahen
Walde sich näherte. Hocbauf bäumte sich das edle Tier nnd stflrzte mit dem Reiter
in die Tiefe.
Voller Hoffnung bestieg der zweite Ritter die Mauer. Sein Pferd stand ruhig und
fest. Wiederum schmetterten Pauken und Trompeten. Die ersten Zinnen waren be*
reits umritten, da glitt das Ross anf einer spiegelglatten Marmortafel, welche die
Gräfin heimlich hatte anbringen lassen, aus — und der kühne Reiter lag zerachmet-
Icrl am Felsen.
Bald meldete sich eine andere Ritter in rostiger Rüstung und mit geschlossenem
Visir, der von einem schönen, lockigen Jüngling begleitet war. Der Ritter erbot sich
zu dem kühnen Unternehmen, behielt sich aber im Falle des Gelingens vor, das Visir
erst nach beendigten Ritte zu öffnen. Die Gräfin betrachtete mit Widerwillen den
Fremden, willigte aber in dessen Begehr. Unter Trompetengeschmetter bestieg der
Ritter $ein Ross. Rasch umritt er die ersten Zinnen, dann die folgenden und so fort
Als er an die glatte Marmortafel kam, streute er eine Hand voH Asche darauf, ^Btt
glücklich darüber hin und beendete die gefährliche Bahn. Zitternd vor Aufregung
empfing ihn Adelheid, die in ihm den alten Grafen von Cletlenberg erkennte. „Nicht
für mich," sagte der Graf, „habe ich die Ge&hr gesucht, sondern für meinen Sohn,
den Ihr hier vor Euch seht. Nehmt ihn zu Euerem Gemahl." Mit Freuden willigte
Adelheid ein, und bald wurde unter dem Jubel der fröhlichen Unterthanen die Hoch^
zeit auf Lohra in aller Pracht gefeiert.
4. />/> z<erzauberte CrSßn. F/in junger schmucker Mofknecht, Namens Andreas,
hörte eines Nachts seinen Namen zweimal in klagendem Tone rufen. Da er von der
Tagesarbeit sehr ermüdet war, achtete er nicht sonderlich darauf und schlief wieder
ein. Als sich aber in der folgenden Nacht die Stimme in noch beweglicherer Weise
vernehmen liess, erregte es seine Aufmerksamkeit, und er fragte einen Freund, was
der von Aia Sache denke und wie er sich dabei zu verhalten habe. IMeser bedeutete
ihn, den Rufenden auf alle Fälle nach seinen Wünschen zu fragen. Das that er auch
in der dritten Nacht, in der er seinen Namen wieder ganz deutlich nennen hörte. Da
vernahm er denn, dass er mit der Gräfin Adelheid rede, welche in der Nähe der
Bu^ und awar bei einer am Wendischen W^ befindlichen Hainbuche veifaannt
4. IHt verzauberte Gräfin. Das viel varierte Schatzgräbersagen«Motiv ndt etvis
anderem Aufputz. Man vergL Simrock, Handbuch, & 351, 374; Lymker, Hes»
sische Sagen W^. 128.
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worden sei. Dorl lagere ein schwarzer Hund, welcher einen kostbaren Schatz von
Gold und Silber bewache. Sobald der gehoben, sei der Bann von ihr genommen.
Ihn habe sie ausersehen, das Werk zu vollbringen. Er möge in der Mitternachtsstunde
des dritten Tages sich bei der Hainbuche einfinden und ein rotes Tuch über den
Hund werfen. Damit wefde ihm der Schatz zufallen und mit diesem auch ihre Hand.
Der Knecht teilte das merkwürdige Erlebnis dem Burgborni Hiit, der ihn ermunterte,
(las Verlangen der Gräfin zu erfüllen. Auch lieas er ihm, da er dem Burschen gewo-
gen war, das erforderliche rote Tuch geben.
Zur bestimmten Stunde begab sich Andreas auf den Wendischen Weg. Da sah er
gewaltige blaue Feuerflammen aus der Erde herausschlagen und mitten drin einen
grossen schwarzen Hund liegen, aus dessen Augen und Rachen Feuer sprühte. Sobald
er sich dem Ungetüm näherte, das Tuch darüber su werfen, zeigte es die Zähne und
wollte auf ihn lossprint^on. Das geschah mehrmals. Da sank dem Knechte der Mut.
Der Angstschweiß stand auf seiner Stirn, es däuchtc ihm das Unterfixnfjcn doch j^ar
SU gewagt. Er stand davon ab und wollte sich entfernen. Da rief es ihn wieder bei
seinem Namen, und noch einmal wurde sein Vorsatz fttr wenige Augenblicken wan*
kend, rasch jedoch hatte er seine Fa^isunp wieder, stand von jedem Versuche ah and
eilte nach der Burg zurück. Noch ein Mark und Bein erschütternder Aufschrei —
and alles war verschwunden. Kurze zeit darauf aber fand Andreas bei der Hainbuche
seinen Tod.
5. Deu Comtesschen auf Lohra. Das Comtesschen — so wird Gräfin Adelheid ge-
wöhnlich genannt — waltet und schaltet seit unvordenklichen Zeiten als freundlicher
Hausgeist auf der Bur^ Lohra. Es füttert das Vieh im Stalle, melkt die Kühe, macht
Butter und Kase und halt auf Ordnung im Hause. Es weckt die Mägde frühzeitig
und wehe deijenigen, die den Weckruf unbeachtet vorttber gehen lassen wollte. Das
Comtesschen würde sie mit Ruten aus dem Bette treiben.
Zu gewissen Zeiten erscheint es io einem fahlseidenen Kleide, mit dem Schlüssel-
bunde an der Seite und das Gesicht mit einem weissen Schleier verhUUt. Mit Httlfe
eines auf der Burg befindlichen Zauberbuches war es mfiglicli, das riusclhafte Wesen
nach Belieben sichtbar zu machen. Man musste nur in dem Zauberbuche lesen und
sofort war die Gewünschte da; las man rttck^rts, so verschwand sie wieder. Ein
Bewohner der Burg war einst so vorwitzig., aus reiner Neugierde den Besuch der
Ciräfin zu veranlassen. Ernsten, vorwurfsvollen Blickes stand sie i>l()tzlic]i vor ihm,
und er fand kaum die Besonnenheit, durch Ruckwarlslcse» den unheimlichen Gast
verschwinden zu lassen.
Ein junger Bursche von unbescholtenem Rufe wollte das ComtcsscTicn erlösen, aber
dass hielt ihm vor, dass er sich einmal eine Stecknadel unrechtmässig angeeignet
habe, und so musste sein Vorhaben unausgeführt bleiben.
.■\uf dem der Berg Lohra *^ey;cnüberliegenden ReinhardtsVicri^e blüht alle 7 J^hre
am Johannistage von 12 — i Uhr eine blaue Blume. Wer sie findet, kann damit die
Schatzkammer der Grafin öffnen und sich Gold und Silber nach Betie1»en aneignen.
Veigisst er aber, die Blume wieder mitzunehmen, so ists um ihn geschehen; er muss
dann für immer in den unterirdischen Kämen verbleiben.
6. Der Zauba ^^ai toi. Kin Bauer aus dem unter der Burg Lohra gelegenen Dorfe
Wenden, der Hochzeit machen wollte, suchte im Walde ein Keh zu erjagen, um es
als Hochzeilsbraten zuzurichten. Nach langem Suchen traf er endlich eins, das er
über Belg und Thal verfolgte, ohne es jedoch erreichen zu können. Plötzlich ver>
schwand es in einer Felsspalte, in die auch der Bauer kurz entschlossen eintrat.
5. Das Comti'':s<-/'tc'i auf Lohra. T^Icse Sage enthält viele Züge der guten Haus-
geister, mutmasslich unter Anlehnung an eine wirtschaftliche, historische PersoQ.
Der verzauberte Wesen erlösen will, mu» makellos sein; dazu vergl. man Scham>
bach-Müller, N". 240 mit Anmcrkunt;; Firmen ich I, 332. — Die blane Blume,
welche hier erscheint, vertritt in den Ürtsagen dif bekannte SprinRWHryel. Näheres
sehe man in Simrock; Haiidl)uch, S. 397J Gnmm, D. Myth., .S. 924 ff.
6. Dar Zaubergarttn, Eine etwas märchenhafte AvsschmUckung der Sagen von den
Schatzjungfrauen, welche überall begegnen.
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Da erschieu ihm ein Zwerg, der ihn aufforderte, ihm zu seiner Gebieterin, der Gräfin
Adelheid, welche in einem prächtigen Schlosse wohne, zu folgen. Mit Stannen und
Bewunderung betrachtete der T?aucr den Wundergarten, in dem alle kostbaren Blumen
und Bäume des Südens, mit den herrlichsten Früchten behangen, zu erblicken waren,
während drausseu Eis und Schnee die Erde bedeckten. Zwischen den Beeten und
Baumgruppen schlängelten sich soviel Wege in den mannigfaltigsten Windungen
dahin, dass niemand ohne sichere Führung den (iarten zu durchschreiten vermochte.
Nach mehrstündiger Wanderung erreichten die beiden die Gräfin, welche soeben mit
goldduichwirkten Kleidern angethan aus dem Sdilosse trat. Ihre freundlichen Augen
ruhten mit Wohlgefallen auf dem schmucken Burschen, den sie mit einer Menge
schöner Früchte beschenkte und ersuchte, wiederzukommen, wenn er in Not gerate,
doch mflsse er ttber den Besuch des Gartens nnverbrilchliches Stillschweigen beob-
achten. Von dem Zwerge geleitet, kehrte der Bursche, erfreut über die seltenen
Früchte, welche er in der Tasche trug, in seine Wohnung zurück. Wie erstaunte er
aber, als er statt der Früchte edles Gold darin fand.
Lange Zeit hindurch blieb er durch das kostbare Cieschenk von jeder Not geschUtit,
als aber Sorge und Elend bei ihm einkehrten, erinnerte er sich der freundlichen
Gräfin, ging abermals in den Wald und suchte die Felsspalte, fand sie aber nicht —
er hatte das Geheimnis seiner Frau mitgeteilt I
7. />/V beiden Ih iiJcr. Vor vielen Jahren lebten in der Nähe von Lohra zwei
Brüder, die an Gesinnung sehr ungleich waren. Der ältere strebte nur nach Reichtum,
wahrend der jüngere im häuslichen Glücke das Ziel seiner Wttnsche fand. £r hatte
eine Braut, schön und gut, abi;r ohne alles Vermögen, weshalb der Bruder ihn auf
alle Weise von der Geliebten abwendig zu machen suchte.
Einst ging der jüngere Bruder in dem Walde, wdcher an der Burg Lohra nch
hinzieht, auf und ab, als er plötzlich vor einer Felsenspaltc stand, die er noch nie
gesehen hatte. Kr trat naher, und ehe er sie erreichte, schritt aus ihr ein niedlicher
Zwerg heraus, der ihn mit den Worten einlud, näher zu treten :
Überrascht folgte er dem Zwerge, der ihn vor eine Thür von glänzendem Metall
führte. Der Führer zog einen goldenen Schlüssel hervor und öffnete sie. Der Jung-
lii^ stand wie verzaubert, denn er schaute in einen Garten, in dem die herrlidisten
Blumen dufteten und sich Vögel mit [^oldgrünen Schwingen auf den l^aumen wiegten
und mit verständlicher Stimme unter einander plauderten. Der Zwerg Hess ihm aber
nicht lange Zeit, all die Herrlichkeiten zu betrachten, sondern sehritt auf eine Rosen-
laube zu, in der die Göttin Lohra seiner harrte. Mit freundlicher Augen betrachtete
sie der Jüngling und reichte ihm eine dunkelblaue Blume mit den Worten : „Du liebst
treu und aufrichtig ein armes Mädchen, du wirst von ihr wieder geliebt — hier nimm
diese Blume und l)ewahre sie wohl; so wirst du das höchste häu.sliche Glück gcnies-
sen. In Eintracht werdet ihr eure Tage verleben, blühende Kinder werde euch um-
spielen, und am späten Abend eures Lebens werdet ihr vereint in das Grab sinken.
Gehe und sei glflcklicfa."
Der Jüngling nahm dankbar das Geschenk an und entfernte sich unter Führung
des Zwerges aus dem Garten. ,Du betrachtest diese Früchte so neugierig," sprach
dieser, „warte ein wenig, dass ich dir einige pflücke." Schnell waren die schönsten
Früchte herabgeschüttelt und des Jünglings Taschen damit angefüllt, der fvoh /u sei-
ner Geliebten eilte, .\tcmlos erzählte er ihr, was ihm begegnet sei, und da sie ihn
ungläubig anblickte, griff er in die Tasche, um sie durch den Anblick der schönen
Früchte zu überzeugen: aber wie erstaunten beide, als sich alles in Gold verwandelt
hatte. Die Freude der Liebenden war ohne Grenxen. Pankbar priesen sie die
7. Die hciih'ri Bi itder. Man vergl. hierzu die vorstehenden Anmerkungen zu N'^. 5
und 6; ferner Schell, Bergische Sagen I, 15; Grimm, Kinder- und Hausmärchen,
20. Aufl., S. 104; Linnig, Mythen-Märchen, S. lOofT^ Landau, Quellen des De-
kameron, S. 1 50 : Offenbar hat unsere Sage eine starke Anleihe bei der »Fran Holle**
unserer deutschen Märchen gemacht.
Guter Jiingliiig, komm herein,
nimmer soll es dich geieun !
137
rcundliche Göttin, kauften sich einen schönen Bauernhof und fanden in ihrem gegen-
seitigen Besitze den Himmel auf Erden.
Der ältere Bruder hörte mit Verwunderung von den günstigen Umständen des jün-
geren. Von Neugierde getrieben, machte er sich auf den Weg zu ihm. Kr fand alles
bestätigt, was man ihm mitgeteilt hatte, und konnte sich nicht enthatten, ihn nach
der Quelle seines Glücks zu fragen. Da die Göttin keine Verschwiegenheit verlangt
hvtlef so konnte er alles mitteilen. Der Geldgierige horchte hoch auf und er machte
sich sogleich aaf, den Eingang to den Berg; tu suchen. Er stand, so fögt die Sage
hinzu, cV)cn Im BegrifT aus Nut ein altes zanksücliti^es, aber reiches Weib zu heiraten.
Ha, dachte er, wenn dir Lohra ebenso günstig ist wie deinem Bruder, so lasse ich
die Alte sitzen und nehme mir eine Junge! — Sorgsam forschte er nach der Hohle
und nach langem Sachen fimd er sie denn auch. Ein hässlich gestalteter Zwerg be-
wachte den Eingang. Auf seine Bitte erhob sich das kleine Ungetüm und führte ihn
in den Berg hinein^ aber der Wep war so dunkel, dasis er bald zu Boden fiel. End-
lich gelangten sie in den Oarten. und er sah bald die I^ube, in welcher die Outtin
sass. Keck trat er vor sie hin und verbeugte sich nicht ohne Anrnut. „Elender," rief
die Göttin, ^du wagst es, mit unreinem Herzen vor mir zu erscheinen!' Du, der du
die heilige Liebe missbrauehst und anter ihrem Namen nur deine Geldgier befriedigen
willst!' Du hoffst von mir Schätze zu erhalten? Auf, ihr meine licn tbaren (Icister,
straft ihn für seinen frechen Übermut und werft ihn aus meinem Gebiete!*' Da eilten
viele Zvretgt herbei, stiessen, schlagen und krattten ihn und warfen ihn endlich d«a
Berg hinunter, und mit donnerühnlichem Krachen schloss sich der Eingang su der
Höhle hinter ihm.
Wfltend eilte der Getäuschte nach Hause und nach einigen Wochen sah er sich
genötigt, sein altes Liebchen xu heiraten. Es war aber kein Glück in der Ehe.
Schon in den Flitterwochen rumorte die Alte grimmiger als der Teufel, und cl.-xs er-
hebliche Vermögen verschwand unter ihren I landen wie Wasser. Jel^l war der Mann
inner wie vorher. Von seinem ganzen Besitztum war ihm nichts weiter übrig geblieben
sls seine ~ Alte. C. Dnval.
8. Dat Zatiker^h, Auf Lohra be&nd sich vormals ein seltsames Buch, in wel-
chem für alle künftigen Zeiten festgesetzt war. wie viel Dienstleute, Gesinde und
Pferde gehalten werden sollten, und es durfte kein Bui*gherr ohne schweren Schaden von
dieser Bestimmung abweichen. Es war aber dieses Buch ein Zauberbach, das an
einem geheimen Orte aufbewahrt wurde, damit es kein Uneingeweihter missbrauche.
Ein Lohraischer Einwohner, der davon gehört halle, brannte vor Begierde, das Buch
einmal zu sehen. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, den heimlichen
Aufbewahrungsort zu erspähen. Eifrig begann er in dem Buche zu lesen. Kaum hatte
er aber einige Seiten gelesen, als die Pferde im Stalle unruhig wurde, an den Ketten
zerrten und sich wild aufbäumten. Die Burgherr, welcher der I.,ärm vernahm, erriet
sofort, dass nur das geheimnisvolle Buch die Veranlassung dasu sein könne. Schnell
eilte er herbei, las einige Seiten rückwärts und der Lfirm hörte auf.
9w Der silberne Sarg. Ein Graf von Lohra hatte bei Lebzeiten einen grossen
Reichtum an goldenen und silbernen Geräten In der Schatzkammer der Burg aufge-
häuft. Kurz vor seinem Ende bestimmte er in einem Testamente, dass ein Teil des
Themen Schatzes eingeschmolzen und daratts ein Sarg hergestellt würde, in dem er
einst begraben sein wollte. Bd seinem Tode fertigte man auch den silbernen Sarg an,
legte den toten Herrn hinein und begrub ihn unter ein Thor der Barg, wo er heute
auch ruhen soll.
In früheren Jahren hat man Nachgrabungen veranstaltet, aber nichts gefunden, an-
geblich, weil man das rechte Thor nicht kennt, unter dem der Sarg ruhen soll.
lo. Das VermäehtHis, Ein frttherer Graf von Lohra bestimmte anf seinem Toten-
S. Das Zauteriuek. In den Grundsügen identisdi mit N<*. 5 der vorstehenden Sagen.
9. Per silberni- Sarg. Man vergl. Schell., Bergischc Sagen IX, 45, X, 33, XllI, 31.
10. Dm VerBüUhlnis. Der Sqgen des Wohlthuns und der Heilighaltung des Ver-
nächtnis^ der Ahnen erscheint hier mit sagenhaftem Aufputz.
138
bette, da&s seine Nachfolger auf ewige Seiten verpflichtet sein sollten, zwei arme Leute
mit Speise und Trank zu unterhalten. Segen nnd Gedeihen werde dann liir immer
auf der Burg ruhen, während im andern Falle über die Burgbewohner wie auch über
Haus und Hof allerlei Unglücksfälle gewisslich hereinbrechen würden.
Getreulich erfüllten die Nachfolger den letzten Willen des Ahnherrn und alles, was
sie unternahmen, gedieh sichtlich. Da kam ein Burgherr auf, der kehrte sich nicht
an jene Anordnunj^, sondern «;ah in den herkümmlicheii Gaben nur eine Schädigung
seiner Wirtschaft und erbot deren weitere Verabreichung. Wohl baten die Armen, die
wegen ihres hohen Alten ni jedem Erwerbe unfähig waren, ihnen die bisherige
Untcrstiirüung zu belassen, Verwandte und Freunde de; Burgherrn n-.^.chten auf die
Folgen aufmerksam, doch alles umsonst j der Graf blieb bei seiner Weigerung.
Die angekündigten Unglücksftlle liessen nicht auf sich warten. Im Felde trat
Dürre und Misswachs ein; die Pferde im Stalle wurden ohne sichtbare Ursache un-
ruhig und bäumten wild auf, so dass sie oft die Nacht über mit Schweiss bedeckt
waren. In der Milchkammer nahm die Milch eine blaue Farbe an und wurde so zu
jeglichem Gebrauche ungeeiget. Und nicht nur das, auch die Ruhe des Hauses erlitt
eine bedenkliche Störung. Allnächtlich wurden die Thüren von unsichtbarer Hand
auf- und zugeschlagen und Kisten und Kasten geöffnet. In der Schlafkammer ver-
nahm man oft das Rauschen eines Kleides, ohne doch jemand zu erblicken. Ab der
Graf einst um Mitternacht nach Hause kam, sah er eine seltsame Frauengestalt die
Treppe herabkommen und in der Küche verschwinden. Das totenbleiche Gesicht der
Fnu war von etner altertümlichen Haarfrisur umgeben, und ein seidenes, schwarees
Kleid rauschte hörbar auf dem Fussboden, während die linke Hand viele Schlüssel
trug, die an einem gelben Ringe befestigt, in beständiger Bewegung waren. In der
KUche warf der unheimliche Gast das vorhandene irdene Geschirr, doch ohne Scha-
den zu verursachen, cur Erde, schlug mit der Hand auf das in einem Fasse befind-
liche Wasser nnd verschwand endlich durch eine Thür, die sich gerftusciüos von selbst
öffnete.
Alle diese Vot^nge jedoeh vermochten keine Sinnei^nderung des Herrn herbeheo-
führcn. Die Anordnung in BctvefT der alten Leute blieb unverändert bestehen. Da
endlich sollte sich Jene Verheissung des Ahnherrn im vollen Umfange erfüllen. Eines
Nachts, als der Graf schlaflos auf seinem Bette lag, sah er, wie durch eine ihm gegen*
über befindliche Thiir ein Mann kam, der ganz aus Spinngewebe zu bestehen schien,
bis an sein Bett trat und sich über ihn streckte. Grauen und Entsetzen ergriff Um
unter der unheimlichen Last; tags darauf verfiel er in eine heftige Krankheit, die
r u h bald seinen Tod herbeifOhrte. Die überlebenden Bnrgbewolmer kannten gar
wohl Ursache und Zusammenhang all der eingetretenen Unglücksfalle und liessen es
sich daher .angelegen sein, den so schnöde vernachlässigten Bestimmungen ihres Vor-
fahren aufs gewissenhafteste wieder nachzuleben. Spuk und Unruhe sdiwanden, und
Wohlergehen und sorglose Freude kehrten wieder auf die Bnig ein.
11. Der SchlangenkSnig. Im Bnrggarten zu Lohra lässt sich alle sieben Jahre ein
Schlangcnkönig sehen, der eine goldene Krone trägt. Wer diese haben will, muss ein
seidenes Tuch über die Schlange werfen. Die legt die Krone darauf und verschwindet
dann für sieben Jahre. Auf der Burg soll eine solche Krone aufbewahrt werden.
12. Der Lnchemti^. Auf dem von dem Schlosse Lohra nach Wenden führenden
Burgstiege bewegt sich oft nachts unter Trauergesang ein Leichenzug thalabwärts,
der von kopflosen Mitnnchen, die Lichter in den Hfinden tragen, begleitet wird.
13. Der Schweinehirt. Ein Burgherr auf Lohia befahl seinem Schweinehirt, mit
11. Dtr Schlangenkönig. Man vergl. Schell, Bergische Sagen VIII, 10 mit An-
merkung, wo ausiführliche Quellennaehwdse etc^ Simrock, Handbuch, S. 503;
Grimm, D. Myth., S. 650, 929.
12. Der Leichenzug. Eine Variante der ungeheuer zahlreichen Sagen von kopflosen
Geistern. Zu letztern vergl. man u. And. die Umfrage von H. F. F e i l b e r g im 4.
und 5. Jahrgange des Ur-Quell.
13. Der Schvtftnehirt, Eine Sage ohne tiefere Gehalt.
. ly j^cLj L^y Google
139
der Herde nicht eher wieder zurückzukommea, bis die Sonne untergegangen sei.
,Ei," antwortete der einftlttge Mann, ^da mag der Teufel Schweinehirt sein. Wenn
ihr n wrl^t, Herr, so komme ich mein T.ebtig nicht wieder heim^ denn wenn die eine
Sonne untergegangen ist, geht die andere wieder auf/' Am andern Morgen trieb er
die Herde aber doch in den Wald und war noch dort, als der Mond schon längst
am Himmel stand und ihn der Hunger arg plagte. In dieser verdriesslichen Stirn*
mung traf ihn ein Riese, der in der Gegend sein Unwesen trieb. ^Nun, was machst
du jetzt noch hier?" redete ihn der an. «Ach, ich darf nicht eher wieder heimkom-
men, bis die Sonne untergegangen ist^ und wenn die eine verschwunden ist. geht
die andere wieder auf." „Dummer Kerl, das ist ja der Mond ; jjeh nur getrost nach
Hause." Darauf hin trieb er die Herde nach der Burg, wurde aber von dem Herrn
flbd mpfangen, da dieser ihn schon lange vergeblich erwartet hatte. Als er aber von
der Begegnung; mit dem Riesen erzählte, den er einen pressen stocksteifen Kerl
nannte, erheiterte sich das Gesicht des Herrn wieder auf, weil sich ihm hier eine
Gelegenheit bot, den Terhassten Riesen unschftdlich zn machen. Vertraulich legte er
dem Hirten seine Hand auf die Schulter und sagte, dass er ihm seine einzige Tochter
zur Frau geben wolle, wenn er den Riesen, der die Burg Lohra fortwährend drang-
salierte, beiseit bringe. Der Schweinehirt kratzte sich verlegen hinter den Ohren,
meinte aber doch siMiesslich, dass er die That wohl ausfuhren könne, wenn ihm die
Jungfrau nur zum Manne nehmen wolle. Diese beruhigte ihn aber mit den Worten :
..Was mein lieber Vater wünscht, ihue ich jeder Zeit." So zufriedengestellt überlegte
der Schweinehirt wie er am sichersten den Riesen zu Fall bringen könne. Wenige
Tage später fand er ihn auf der Burgmauer stehen. Geschickt trieb er seine Heerde
in die Nähe und gab dem Kiesen einen gewaltigen Stoss in den Kücken, dass er in
die Tiefe hinabstürzte und alle Knochen in Leibe zerbrach. Voller Freude begab er
sich nun zu dem Burgherrn und forderte seinen Lohn. Doch der erklärte ihm rund
heraus, dass er seine Tochter nie und nimmer bekommen könne, er bot ihm aber so-
viel Geld, als er in der Schürze fortzutragen imstande würe. Wohl oder Übel musste
er sich damit begnügen, bedingte sich aber den Besitz der Burg nach des Herrn Tode
aus, was ihm der auch mit einem feierlichen Eide zusagte. Und so kam es, dass
später ein Schweinehirt Herr auf Lohra wurde.
14. Die Geisterkut.u he. Fin f.ohraischer Kinwohner hörte sich in verschiedenen
Nächten .nach einander von einer ihm gänzlich fremden Stimme anrufen. Auf die i' rage
nach dem Begehr des Rufenden wurde ihm bedeutet, sich zur Mittemacht bei der
Cebraischen Holzecke einzufinden und der Weisungen zu harren, die ihm dort zugehen
würden. Führe er diese stillschweigend aus, so solle ihm ein grosser Schatz von
Gold und Silber zufallra. Der Angerufene aber fand den nächdichen Gang doch
:illzu gewagt und bat daher einen vertrauten Freud. Ihn zu begleiten. Dieser willigte
auch ein, und beide traten stillschweigend «u der bezeichneten Zeit den Weg nach
der Holzecice an, sich nur durch Zeichen und Geberden verstinddgend. Als sie dne
kurze Zeit daselbst gewartet hatten, hörten sie durch die Stille der Nacht aus der
Feme das dumpfe Rollen einer Kutsche, die von vier kohlschwarzen Pferden gezogen,
baldwie auf Flügeln des Sturmes getragen, an ihnen vovübereilte, ohne dass die
Kader den Boden berührten. Gespenstisch leuchtete das falbe Mondlicht in das toten-
bleiche Antlitz eines grossen Mannes, der regungslos in der Kutsche sass, während
ein Kutscher von rätselhaftem Anblick wie mit Geisterhänden das Gefährt lenkte.
Hinter dem Wagen aber pfiff und sauste es unheimlich drein, wie wenn eine zahllose
wilde Meute lo: gelassen sei. nützlich ertönte aus dem Hrdlcnlärm eine scharfe, durch-
dringende Stimme, welche fragte, ob dieser Weg dem Grafenschlosse von Lohra zu-
führe. Kaum hatten jedoch die MSnner <fie Frage beantwortet, als ein furchtbarer
Donnerschlag erfolgte, mit dem Wagen und Rosse verschwanden. Zu Tode erschrock-
ken eilten die Männer ihren Hütten zu, ohne sich später auch nur die leisesten Vor-
würfe darüber zu machen, durch ihre laute Antwort das ihnen zugedachte Glück ver-
scherzt zu haben.
14. Die Geisterkutsrhe. Man vcrgl. Schell, ßergische Sagen II, 68; III, 6; IX1
41; XIV, S mit Anmerkung; Scham bach- M üller 227.
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140
15. Der nächtliche Räuber, Ein J^mdmaun aus der Umgegead vou Lohra halte
sich an den Hnnden des Lohratschen Grafen vei^ffen und war zur Strafe dafür in
den Tuini f^esperrt worden. Nach etlichen vergeblichen Versuchen gelang es ihm
schliesslich, zu entfliehen. Aber wohin? Nach Hause durfte er nicht zurückkehren,
weil ihn dort die Häscher des Grafen sicher aufgespürt hätten. So zog er es vor,
seinen Aufenthalt in einer Höhle zu nehmen, die sich oberlulb des Dorfes Sollstedt
befand. Die Höhle war nur von einem Felsvorsprunge flus zugänglich und war daher
ein sicherer und jederzeit geschützter Zufluchtsort. Um sich die notigen Lebensmittel
zu verschaffen, sah er sich gezwungen, in der Umgegend zu stehlen. Zur besseren Er-
reichung dieses Zweckes hing er sich ein Schaffell um und licfestigte auf dem Kopfe
zwei Hörner j setzte auch wohl, wenn die Beute schwierig zu erlangen war, eine
eiserne Pfanne mit glühenden Kohlen dazwischen. So ausgerüstet ging er unter lau-
tem Geschrei auf sein Ziel los, mochte er nun in dunklen Nacht ein Bauernhaus
plündern oder ein Schaf aus der Hürde stehlen. Als er einstmals an einem warmen
Sommertage im Walde nach WUd umherstreifte, bdt sich ihm ein seltsamer Anblick
dar. Auf einem freien Platze fand er die Grafentochter, eben von einem Jagdzuge
zurückgekehrt, mit ihren Dienern und Jägern im tiefen Schlafe liegen, w.ihrend die
Pferde angcbuudexi in der Nähe standen. Leise schlich er heran, nahm der Grätin
Jagdhorn und Jagdross, kenntlich an der edlen Gestalt und dem kostbaren Reitzeuge,
und eilte davon. Das Ross übte er nun ein, sicher seine Höhle von der vorliegenden
Felsplatte aus durch einen Sprung zu erreichen. Nachdem diese Sicherheit erlangt
war, eilt er in dunkler Nacht nach der Bnr^ Lohra nnd sprengte um Mitternacht Uber
den Sclilossplatz, Indem er dabei laut ins Horn sliess. Diesen nächtlichen Ritt hatte
er mehrmals unternommen, bis der Graf, auf ihn aufmerksam geworden, die Verfol-
gung be&hl. Der Verfolgte eilte auf bekannten Wegen seiner Höhle zu und gelangte
durch einen sicheren Sprung glücklich hinein. Der Graf beteiligte sich lebhaft an der
f.ilLriuHj^. alxr obwohl er den besten Renner aus seinem Marstall ritt und wie der
biurmwiud einlierjagte, gelang es ihm doch nicht, den Flüchtigen einzuholen. Er
konnte nur eben noch sehen, wie der in der Höhle verschwand. In seinem
Eifer vereuchte der Graf den kühnen Sprung ebenfalls; aber sein Ross strauchelte, er
selbst fiel in den Abgrund und brach ein Bein. Mit Hülfe seiner Diener wurde er
cur Burg zurttckgebtacht. Nachdem so der geheime Schlupfwinkel des Verfolgten ent-
deckt worden war, hielt es dieser für ratsam, sich aus der Gegend zu entfernen. Er
begab sich in die Umgegend von Artem, wo er mit seinen Söhnen zusammen-
traf, welche im Dienste eines Raubritters gewesen waren und dcb in mannigfach«i
Fehden durch Mut und Tollkühnheit hervorgethan hatten. Jetzt vereinigten sie sidi
mit ihrem Vater ?u einer zwar kleinen aber gefürchteten Räuberbande, die in kurzer
Zeit Schrecken und Furcht in ganz Thüringen verbreitete.
Bremen«
15. Der iiliih (liebe Räuber. Die Sage hat viel geschichtliches Kolorit angenommen,
ob vorwiegend allgemein geschichtlichen oder ein lokalgeschichtlichen Charakters soll
hier nicht entschieden werden.
Dig'itizecj Ly <jt>
141
Folkloristische Findlinge.
Die Tetifehgcburt, Vor einigen Monaten wurde die [yjaliri^e
Arbeitergattin Marie Schönhein von mir entbunden. Infolge ihres
sehr engen Beckens und der UnmöL,^lichkeit der Entfernung der
Frucht in toto wurde der Schädel enthirnt. Auf ein der zufällig
anwesenden Weiber mochte der ungewohnte Anblick dieser entstell-
ten Frucht einen grausigen Eindruck gemacht haben. Vor einigen
Wochen nämlich erschien bei mir die von der Operation völlig
hergestellte Schönbein mit dem Wunsche, ich möchte ihr schwarz
auf weiss bestätigen, sie hatte nicht den Teufel geboren, sondern
ein iL'irkliches Kind; ihre Nachbarin, die Frau Hagemann habe
nämlich überall erzählt, es habe der Uoctor F. bei ihr (der Schön-
bein), den Teufel herausgenommen und sie habe ihn selbst gesehen.
Es glaube schon, klagte mir die untröstliche Schönbein, die ganze
Arbeiterbevölkerung der Dampfbrettsäge daran und sie werde von
Allen gemieden. Sie habe deshalb eine Anklage gegen die Urhe-
berin des Gerüchtes erhoben und verlange, ich m(^e ihr ein Zeug-
nis ausstellen, damit der Richter daraus ersehe, dass sie einem
wirklichen Kinde das Leben geschenkt und nicht die „Teufelsmutter"
sei, wie sie schon von allen Nachbarn genannt werde. Alle meine
Einwendungen, dass es doch lächerlich sei, darüber ein Zeugnis
auszustellen, da doch Teufel überhaupt nicht existieren, blieben
erfolglos; sie müsse es haben, meinte sie, um die närrischen Weiber
vom Gegentheil zu überzeugen. Ich musste ihrem Wunsche willfahren.
Auch vertraute sie mir an, ihr Mann zögere mit ihr ^zusammen-
zukommen", weil er furchte, sie könnte wieder einem Teufel das
Leben schenken. Die geklagte Hagemann bezahlte ihren Glauben
an den Teufel mit 5 il. Geldstrafe.
Skoic, Karpaten, 27/1 *98. Dr. Emil Friedländer.
Das Erntt-kind. In Theodor Storms Novelle „Waldwinkel"
Hd 4, S. 135 (Neue Ausgabe in acht Randen, Hraunschweig 1898)
lesen wir: Wie hingezogen von den Fauten schritt Franziska in das
wogende Ährenfeld hinein, während Richard, an einen Baum gelehnt,
ihr nachblickte. — Immer weiter' schritt sie; es wallte und fluthete
um sie her; und immer ferner sah er ihr Köpfchen über dem un-
bekannten Meere schwimmen. Da überficrs ihn plötzlich als könne
sie ihm durch irgend welche heimliche Gewalt darin verloren gehen.
Was mochte auf dem unsichtbaren Grunde liegen, den ihre kleinen
142
Füsse jetzt berührten? — Vielieicht war es keine blosse Fabel, das
Erntekind, von dem die alte Leute reden, das dem^ der es im Korne
liegen^ sah, die Augen brechen macht.
Weder in Wutkes vortrefflichem Buche über den deutschen
Volksaberglauben 2 (S. 659), noch in sonstigen mir zugänglichen
Büchern finde ich etwas über das Erntekind. Doch beruht Storms
Bericht unzweifelhaft auf Volksüberlieferung. Weiss jemand aus dem
Leserkreise näheres über diese Form des Volksglaubens zu berichten?
Northeim. R. Sprenger.
Vom Büchertisch.
Knecht RupTHhi und seine Gencseen. Von Frans Weineck. Nie-
derlausitzer Mitteilungen 1898 (Guben).
"Wiilirend A. Tille (Deutsche Weihnachten, Leipzig 1893) in Jem weihnäclitlichcn
Kiudersclirecken „Knecht Ruprecht" ,den volkstümlichen Typus eines Knechtes
sdilechthin" sieht, kommt Weineck zu der Annahme, in Ruprecht (oder Pelzinärtel,
Märte, Bartel, Grampus, Klaubauf, Putenmandl, Schnittt«, Hanns Trapp, Rüpelz,
Schandeklus, Sunnerklaus und Erbsbär) erscheine eine von unseren Urvätern in heid-
nischen Zeiten verehrte Gottheit, nämlich Donar mit dem Bocke (Klapperbock,
Schnabbuck, Ziege, Habersack, Habergeiss). Wie ist es möglich, dass zwei Forscher
in einer solclu'n l'rage r.u ^zn? entgegengesetzten Annahmen [gelangen - Vermutlich,
weil sich beide von dem Grundboden des V^olkstumes zu weit entfernten. Nur auf
Grand des gesamten, volkstümlichen Btanches lassen sieh solche einzelne Figuren erldKren.
Wer an dem Hcstande der winterlichen Sonnenwendfeier zweifelt, der müsste an
dem Dämonenglaube ebenfalls zweifeln. Wie die einzelne Nacht die Schwärmzeit der
elbischen Geister ist, so ist es auch die Jahresnacht, jene Zeit, in der die Sonne am
längsten ausbleibt, die Nächte am längsten sind, in welcher auch die Kraft der elbi-
schen Nachtgeister am stärksten ist. (So entspricht auch anderseits dem Mittagsalp
die Schwarmzeit der elbischcn Geister in der sommerlichen Sonnenwende).
Die überwiegende Mehrzahl der Volksgebriluche in den winterlichen 12 Zwischen-
oder Rauchnächten (im Gegensatze zu den ^.anderen Zwölffen" der Maizelt) besteht in
Ehrung der günstig gesinnten Elben durch Kultopfer (Kultspcisen, Erbsen z. B.) oder
in vetsdiiedenartig durchgeführter Vertreibung der bösen Elben. Kultseit, Knltmittel
und Kultort sind universell; je nach Lokalität gicbt es auch kleinere Abwechselungen
bei den verschiedensten Völkern. Überall aber finden wir das täglich aufgehende
wärmespendende Element des Sonnengesttmes als Vertreiberin der KSlte (= Qual,
Alpqual, Marenqual); ein Sonnenkult ist überall, damit auch eine Feier der Sonnen-
wende. Die Zeit, in welcher der Weltlauf der tiefsten oder längsten Nacht entgegen-
geht, ist die „gesdüossene Zeit** in der der elbische Einfluss auf die zukünftige Frudit
und Fruchtbarkeit am höchsten ist, in der die Kinder a]s Gabe („Göb", vom Storche)
eingelegt werden: es ?;ind dies die fiübnachtc de«; sog, Kindflmönaf-. in dem der
Kiaderfrcund und Bischof Sl. Nicolaus und das Fest dcv uaschuldigeü Kii.der gefeiert
wird. Dem Einflüsse der bösen Dämonen wird diese Zeit verschlossen durch das
Verbot der Hochzeiten; sonst kommen aus solchen Ehen in der geschlossenen Zeit
eingelegte Wechselbäige zum Vorscheine. Die elbiscben Dämonen, die in der wilden
Jagd oder im wütenden Heere durch die Lüfte Aber die Häuser weg fahren, erhalten
noch ihre Kultspcisen ^'ausgestreute Erbsen, die den Elben gehören); In den Rauch-
nächten darf man darum keine Erbsen oder liuhnen essen, sonst bekonuut man Hanl»
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143
schwären (Erbflecken) oder wird clbisch verwirrt (= „er hat Bohnen gegesseo" d. h.
tat unrechten 2^t und wird so von den Elben bestraft). Die elbischen Unholden
werden similia similibus vertrieben durch Lärm. (Schlagen, Peitschen, Schiessen, Pol-
tern, Brüllen, Vermummung in zottiger Tiei^estsilt (Erbsenbär z. B.). — Aus diesem
Elbensch warme in der Zeit der Sonnenwende ragen nun zwei Gestalten besonders her-
vor: der mlnnliche Schimmelreiter (Wode), der Sturmgeist „dessen Name zu Wodan
ebenso sich verhält wie im Norden Od zix Odin" (Colt her, Myth. 285) „als der
wutige, als Wode wurde bchoa in Liicilcn der Siuriuwiud persönlich gedacht" (1.
cod.); «nderseits: die weibliche Perchta mit dem clbisch deformierten und mit der
Fusse Fiss (oder Schrecken) Nase, die Krau Precht, der ebenfalls Essen und Trinken
zugerichtet wird, die aber keine Göttin ist, sie entspricht der Holda>Hera. Stampa-
Tierapa; und hierbei ist zu vermuten, das« die tretende Elben- Anftthrerin mit dem
Kosenamen Perchta (Precht) im VolksVjrauche zum Hans Trapp und damit zum Precht
fRupaprecht") geworden ist, wie auch die Unholdin zum männlichen Teufel sich um-
gebildet hat. Neben dieser Perchta (Preebt) hat der die stürmische wütende Seelen-
schaar (Elben) anführende sich nur der männliche Wode, der sich zum Gotte Wodan
entwickelte, der aber von diesem getrennt zu behandeln ist, im Volksbraucho der
Weihnachten erlialleu. Die clbischen Wesen dauerten aui h im Christentume uuch an j
sie wurden eben zum Anhange des Teufels. Solche Gesellen des erniedrigten Höllen-
fürsten konnten gnnz wohl im Volksbrauche auch zum Knechte eines Kalenderheiligcn,
zur Kinderscheuche werden; die germanisch-deutschen Gottheiten jedoch waren vom
Christentnme beseitigt worden.
Man darf darum nicht „finster aussehende Gestalten, sch'A i-'c Gesichter, grossen
Uart, Poltern, Kcttengera&sel, Klingeln, knatternde Geräusche, rauhe Stimme, zorniges
Auftreten, heftiges Brummen" oder Hahnopfer, Bockgestalten, Besen, Raten, Beigaben
etc. als Beweise für die Göttlichkeit der weihnachtlichen Gestalten, hier für den ger-
manischen Gott Donar aufführen; denn dass sind alles nur dämonenvertreibende Mittel.
Im Übrigen aber ist Weineck 's „Knecht Ruprecht^' eine mit viel Umsicht und
Verständnis bearbeitete Studie. — r.
Die rjahlbauern. Silhouetten au55 slavonischen IVsitzen. VonVilim
Korajac. Frei verdeutscht von Friedrich S. Krauss. Wien 1898.
S. 84. Daberkow*s Verlag. (Heft 193—193 d. Allgem. National-
bibliothek). —
Die Wahrheit über Bulgarien dargestellt von Josef Beckmann.
Leipzig 1898. IV, 141 S. 8*. G. H. Meyer.
Die Erwägungen, die mich trotz aller Überlastung mit wichtigen Arbeiten, be-
stimmten, „die Pfahlbauern" des Pfarrers von Semlin zu verdeutschen, erlauben mir
auch, das Werkchen im Urquell anzuzeigen. Folkloresammlungen schildern durch-
schnittlich das Volk, wie es sich in gehobener Stimmung von der Wiege bis zum
Grabe gehabt, seltener den Alltagsmenschen in seiner geschäftigen Gewöhnlichkeit.
Darum gleichen so viele gelehrte Berichte altegyptischen Wandgcmdldcn, denen die
Perspektive mangelt. Korajac 's Arbeit ist aber lauter Perspektive, die nur ein zum
Volksforscher geborener, literarisch treflllich veranlagter Mann Hefern konnte. Man
gewinnt durch sie einen weiten Einblick in das südslavischc Volksleben während
eines jähen Verfalls altslavischer, väterrechtlicher Organisation. Man stelle sich mal
die Nachkommen der Guslarenliederhelden und deren Gefolgschaften, die noch nicht
Anschauungen des epischen Zeitalter-, gän/.lich entfremdet sind, in deren TTerzen noch
immer die Sehnsucht nach Abenteuern und ia:»chem Gewinn wacht, durch den Zwang
westeuropäisch>staatlicher Ordnung eingeengt vor, wie sie nunmelir unternehmende
Handelsleute werden; wie sie auf dem neuen, ungewolmten Arbeitfelde von Dummheit
zu Dummheit eilen, weder Helden noch Ackerbauer und am allerwenigsten verstän-
dige Haudclsleule sind; man stelle sich diese Leute vor und man hat die Pfahlbauern
vor sich. In der Vorrede sagte ich, dass midi die Gcschichtchen traurig stimmen und
nur die witzigen, geistspriihcnden Bemerkungen des Erzählers erheitern, aber, wer
nicht, wie ich in diesem l<alle, Parteimann ist, wird aus den ,Pfahlbauern' eine gute
Dosis nrwttchsiger Komik, von jener echten, tmverwttsttichen Komik schöpfen, die
dem tiefen Gegensatze unserer eigenen Kultur und jener der Pfahlbaucrn entspringt.
Korajac und ich entstammen demselben Pfahlbauernbezirke ; er schildert hier meine
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und seine Freunde, denen wir, jeder in seiner Art, eine treue Liebe im Leben bewah-
ren. Ich lege einen Stolz darein, meinen ehemaligen Gangenossen Korajac als einen
klassischen Volksbchilderer für das Abendland zu entdecken. Ob ich meint: Sache gut
gemacht ? — Korajac war von meiner Verdeutschung derart befriedigt, dass er mir
fiir unsere Urquellstiftung 50 Gnlden^ „die Hälfte des Monatgehaltes als Zeichen der
Anerkennung" zusandte. Er habe, schrieb er mir, brüderlich (bratinski) geteilt. Wie
schade, dass er nur ein slavonischer Landpfaner und nicht ein Fttrsterzbischof VOB
Wien mit einem Mouatgehalt von iSo,ooo dulden geworden!
Beckmanns Werk gibt sich als eine staatspolitische Schrift, doch geht dabei die
Volkskunde nicht leer aus. Weil wir schon bei den Vorstellungen sind, stelle man
sich vor, unsere Pfahlbauem wäxen mit einem Ruck Gesetaigeber, Diplomaten, Beftmle,
OiRdere, Künstler, Schriftsteller, Zeitungs-, Bahn- und Fabriksuntemehmer geworden,
die den P>enif in sich fühlen, Furopa in die Schranken zu fordern, und man hat das
moderne Bulgarien vur sich, wie es Beckmann darstellt. Den blaublütigsten Prinzen,
Att cur Zeit ttber Bulgarien als Fürst henscht, betrachtet Beckmann durdt die
Kultlirbrille, nicht zum Vorteil des Betrachteten und dessen höfischer Umgebung, gc>
wiss aber zum Ergetzen des unbeteilii;tcn Lesers, der hier a!h- Ali^fufungen feiner
Ironie und giftiger Satire lachend durchgeniesscn kann. Wenn mau dcu IJegrilT eines
deutschen, politischen Schriftstellers haben will, mag man Beckmann lesen, vinso-
mehr als er augleich mit seiner Art im deutschen Volkstum wurzelt.
Krauss.
Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprticken, Mit besonderer
Beriicksichtigunj; der Deutschen Kolonien, hrsg, von A. SeideU
Berlin 1897. i>. Reimer. ITL Jrg. H. I— Iii.
Zur Empfehlung dieser unter Mitwirkung der gelehrtesten Afrikaforscher der Gegen*
wart erscheinenden Zeitschrift viele Worte su gebrauchen, ist vom Obetlus; denn sie
empfielilt sicli von selbst. Sie birgt ungemein viel wertvolles Material für die Volks-
forschung als einer Wissenschaft vom Menschen. Sogar von einer Inhaltangabe der
vorliegenden Hefte will ich hier absehen, finde es aber dabei mit meinem Gewissen
unvereinbar, mit Schweigen Uber den Aufeats H. Seidels (S. 157 — 185) betreffe
des Y"'''^^ niicnsies im TogoIanJc hinwoL'^/uf^ehen, den er nach einem Manuskripte des
chcniaiigen Yew epriesters und jetzigen ^i'.vangelisten" Stephau Hiob Kuadzu aus
We verfasste. Wir alle, die wir den Menschen nicht bloss erforschen, sondern auch
als Menschen lieben, miisscn Herrn II. Seidel für diese Mitteilungen herzlichst dank-
bar sein. Alles, was Schlechtigkeit und Ruchlosigkeit in den ersten vier Jahrhunderten
unserer Zeitrechnting zum Vorwand fttr Christenverfolgungen, alles, was das bliftge-
tränkte Mittelalter zur Schande und zum Schaden der Juden tückisch ersann, aU<!s dies
wird von den schmachvollen Erdichtungen übertrumpft, die der Renegat oder Convertit
Kuadso in seinem Veri>recherge1iinie ausbrfitete, um seine Stammgenosten einem
Schicksal zu überliefern, wie eines einmal die Indianer Amerikas heimgesucht hat.
Kuadzo^s Angaben sind durchwegs handgreifliche Verliiumdungen, die zur Ausrottung
der Neger aufreizen sollen. Seine schmachvollen Klucubratiuncu werden iu den
Missionskirchen verlesen und damit diese zu Lasterstätten herabgewürdigt! Ich bin
kein reichsdcutscher Staatsbürger und daher nicht berechtigt, die deutsche Colonia!-
r^erung auf die Umtriebe Kuadzo's hinweisen, ich fühle mich auch gar nicht
bnufen, fUr cUe Missionskirchen einzutreten, nur als Philanthrop erhebe ich meine Stimme
gegen die beginnenden Negerhexenprozesse. Eine Organisation, wie sie uns Kuadzo
weiss machen will, könnte nirgends in der Welt acht Tage lang bestehen; hätte je-
doch eine auch nur einen Tag lang bestanden, an diesem Tage wäre ein Kuadzo zu
Brei zerstampft und zermalmt worden, so aber darf er ungestraft grässliches Elend
einleiten. Was er an glaubwürdigen Tatsachen vorbringt, kennen wir Ethnologen schon
seit langem weitaus besser aus den Schriften Livingstuns, Bastians und vieler
Anderen. Deutschland würde sich mit einem unendlichen Fluch belasten, sollte es nach
dem Willen eines Kuadzo gegen die Neger vorgehen. Negcr\'ölkcr sind widerstands-
kräfiiger als Indianer; eines Tages konnte in den Colonien eine Christenverfolgung
ausbrechen und tausende Mtttter in Deutschland würden wehekbgend Tranerkleidcr
anlegen — und alles dies, wdl man einem Kuadzo nicht rechtzeitig das Handwerk
zu legen verstand! Krauss.
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Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals £. }. BRIlt'l'.
Archiv für Ethnographie (Internationales), hrsg. von Dr. Krist. Bahnsen, Copen-
hagen ; Prof. F.' Boas, Worcestei, U. S. A.; Dr. G. Ji, Doxy, im Haag; Prof. E. H.
(liglioli, Floren/:; A. Grigorief, St. Fetefsburg; Ptof. E. T. Hamy, Paris; Prof. H.
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Oengarang Qiiva); Prof. G. Schlegel, Leiden; Dr.J.D.E.
Scbmeltz, Leiden; Dr. Hjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. £. B. Tylor, Oxford. —
RtAtcHmx t)r. J. Dl E. Sdunelti. 1BS7— 1897. Vot. I— X. (M U scbw. n. col. Taf.). 4«.
Vtamie eU 6 livr» - . . / xa.^
Supplement zu Band I:
Otto St oll, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. (Mit 2
ccl. Taf.). 4O / 4.—
Supplement zu Band III:
Max Weber, Ethikogrftpliisclie Notisen Uber Flores und Celebes. 1890. (Mit 8
col. Taf.). 4^ ; ......./ 9.—
Supplement zu Band IV:
David Mac R i t c h i e , The Ainos. 1 892. (Mit 1 7 col. u. 2 schw. Taf.). 40. / 13. —
Supplement zu Band V:
W. Joest, Ethnogzaphischet und Verwandtes «us Quyan«. 1893". (Mit 2 col. «. 6
schw. Taf.). 40 / 6.—
Supplement zu Band VII:
F. W. K. Müller, Nang, Siamesische Schatten Figuren im Kgl. Museum für Völ-
kerkunde su'BerUti. 1894. (Mit 4 schw. n. 8 coL Taf.). 40. . . . . / 9. —
Supplement za Band IX: ^
Ethnograph isclie Beitrüge. Festgabe zur Feier des yo****» Geburtstages von
Prüf. Ad. Bastian. i%()6. (Mit 5 col. Taf.) 4» . . / 6.—
Um Museen, Bibliotheken und l'rivatperäonen, welche die Zeitschrift bis jetzt
noph nicht besitzen, die .\nschaffung derselben durch Verringerung der pecunUl-
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen
Subscribenten auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der
nocb voxiuaidene geringe Vorratb dies gestattet, zU ennässlgten Freisen sn.übei^
. lassen, und zwar :
Bd. I — X (Ladenpreis 210 Maxk) zu M. 159. — .
Bd. i— X mit stiwntliclien Supplementen (Ladenprds 288 Mark) zu M. 170. — .
Da. von den letztgenannten sieben Banden mit sämmtlichen Supplementen nur
noch sehr wenige vollständige Exemplare abzugeben sind, dürfte es &ich emp-
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zn ertheilen.
Suting, Jul., Tagbucb einer Reise in Inaer<Arabien. 1896. Theil I. 8". Mrk. 7.50
Jacobs, J., Het Faniilie- en Kampongleven op G(Oot«Atfeh. Eene bijdrage tot de
ethnographie van Noord-Sumatra. Uitgeg. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk.
, Genootscliap. 1894. 2 dln. (Met 17 phot lith. en 6 gekl. platen) gr. in-S". Mrk. 25.50
gebunden . . Mrk. 28.90
Landberg, C. de, Bdsim le forgeron et Härun Er-Rdchid. Texte Arabc en dialecte
d*£^pte et de Syrie. Publik d'apres les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et
accompagn^ d'une traduction et d'un glossaire. 1: Texte, tradition et proverbes.
1888. 8» Mrk. 5.—
Martin, K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf
gegründete Studien. 1888, 9 Bde; (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-8*. Mrk. 34. —
Maithl, K./ Reisen in den Molukken, in Amben, den Uliassern, Seran (Cetan) und
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung
der Niederlandischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf.,
T color. Kaste und 18 Textbildem). gr. in-8* Mrk. 21. —
Spifül«Bey, G., Contea arabes modernes recueillis et traduits. Texte ambe en caiact.
tCL «vec la traduotion fran^ 1883. 8^ Mrk. 6.50
INHALT.
Seile
Das Ilirnweh. Von Dr, Höf 1er (Tölz) . . . 99.
Alte Segen. Mitgeteilt von Dr. Otto Heilig ........... lOX-
MenschfuvergötteiuQg. Eine Umfrage von A. Wie de mann. Beitrag von
Leop old Mftii^l ^ .*.*... ^ ...*»*•:•->,• 106.
Der Toto'fn Gknbe und Bnocli der V^er. Eine Urninge^ BcfittiB« «Ott
Moriz Nadel, A. Brod und Faul SartOfi . . , 108.
Der Nobelskrug. Eine Umfrage von R. Sprenger. Beitrag von G. in Wien,. 112.
St. Andreas als Ileiratstifter. Kinp Umfrage von A. Trcichel . . ' 1x3.
Zum Vogel Heii^ Eine Umfrage von Franz Branky. Beitrag von Robert
Eder \ . 1x5.
Anbisclie Sprichwörter «as Egypten. Bdtng yon A. Seidel ' . . . . . . St6.
Übernamen. Eine Umfrage von Frans Branky. Beitrag Von Dr. Hans
Schukowitz 119*
Zaubergcld. Eine Urofoige von Dr. Fran« Ahrendts. Beitrag von Isaak
Robinsohn X2I.
Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre. Gesammelt von Fr. Krönig, £r<
Htutert V. O. Se^ell (Fortaetiong)r . . . . . . .. . . ...... 12a.
FolUolistische .Fittdiiage. 1. Die Tfsufdsgelnnt. Von Dr. Emil Friedliln»
der. — 2. Das Erntekiud, Von lUSprenger 141."
Vom Büchertisch. F. Weineck's Knecht Ruprecht. Angezeigt v6n — r. —
Korajac's Pfahlbauern, Beckmanns 's Wahrheit über Bulgarien und A.
Seidel 's Zeitschrift f. afrikanische und oceanische Sprache. Angezeigt von
Kranas ....•..*.....*....• 142.
Wir bitten »ins^rf Mttarbtiter^ sich aus Rücksicht fUr unsere holländischen Sctser
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lattimchrift zu bedienen.
* ■ •
Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf 25 Sonderabzüge seines Beitnqses; bedarf er
ihrer mehr, mag er Stell deslialb vor dm Abdruck mit denr .Vetleger ins £iav«r»
nehmen setzen.
Der Urquell erscheint regelmässig in Doppelheften. Der Suhttripticm^tis für tlem
ganun Jahrgang beträgt: 4 Mark. 5 K. «■ 5 ftcs = a.50 fl.
Iis können auch hei der Redaktion des UrqudUs, Wien VII/3. Nenstif^
gasse 12 angemeldet werden.
Druck der ^Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. B&ILl" i" T <»;»<»n
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DER URQUELL.
Eine Monatschrift für Volkskunde
'Herausgegeben
von
Friedrich S. Krauss.
Das Volkstum ist der Völker Jungbrunnen.
Der neuen Folge Band II. Heft 7 und 8.
BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI
Torni(tU
E. J. BRILL
LEIDEN — 1898.
G. KRAM ER Verlag
in HAMBURG.
St. Pauli , ThaUtr. 34 , I.
1898.
Redactioa: Wien, Österreich, VII/2. Neustiftgasse 12.
Einläufe..
[Bastian, A.] Lose Bttttcir an» indiea. III. Batayia 1898^ Albra«Ait & G*. 136 +
68 -\- XXV. (Mft einem Excurs über deii „schmlthlichrtett Sp<irt"» d.i. das Bad-
fabren im Spiegel des Väll^ergcdankcns).
MeiCTi Dr. John : Volkslied und Kunstlied in Deutschland. Miinphen iä9& 34 S. 8<>. S. A.
twaboLtM, C. ft JU«& HeHükmi IMEed Hornau Bones Crom « Preldstaric Taiasoo
Indian Burial Place in the State «f Miehoacan, Uea^ NeWY. 1898. 24 p. 8^ S. A,
SosonoviS, I.: K voprosu 0 zapadnom vlijanii na slavjanskuju I russkuju poeziju (Zur
Frage ül?eT den wert. Einfluss auf die slavische u. russische Poesie). Warschau
• , 1898, XX + 568. gr. 8».
(ÖM SriMke Kr. aXademlje. LIII. Belgr. 1898. 231 5. 8«. (Kost ic, Geheimschriften
in serb. Denkmälern. Gjorgjevic, P. P.: Die Wortfolge In der '^erb. Sprache).
Zbornik za narodni iivot 1 obi^aje Juioih slavena. B. II. hrg. y. A. Radi^. Agr..
. l$9f S. 515. 80. ^•
SkräuM, Ad<M (Hehuleli voa WUsIpdd?!) Die Bolgaien. EthiMerapUBclie Stuaen.
Lzg. T.. Fern au, Griebens Verlag. 1898. VII^ 477. 8«.
Fewkes, J. Walter: The Wifiter Solstioe ceveoBony at Walpi. Wash. .1898. Am. Aa-
thropologist. . •
VehMUf KmAi Erstes BeOieft an Über Plan ima EtiiTiclititiq; des Romaniactieii
. Jahresbtuichtes. Erlangen, Fr. Junge. 1897. p. 88. S».
Hautteeeotir, Heniy: Le Folklore de VUe de Rythnos. Bruxelles, X. ^aTermans.
• 1898. p. 40. .
BtüMit H.: Der Jerlie-Kult in Togo und seine ADhKngcr» Nadi Sltenn nnd neaemi'
Quellen geschildert. S. A. „Afrika", Neuhotdeoileben, C. A. Eyrand. 13 & 8".
Seidel, A.: Ein Suaheligedicht über die Vot|^Uige beim letxten Thronwedndl in San-
sibar. S. A. „Kolonialzeitung". 7. 1898.
Vuletic, Vid Vukasovic: Starina Novak, Bosanska VUa i. XUI. 1898. Sarajevo.
Maain, Dr. Sioum: Der Bann. Beitrag sam moaaiseli-n^binuebea- Sinfirechi dai^
gestdlt nach der Bibd imd der rabfainisehen. liteiatnr. Brfinn •X898. B. £pa.teia
& C». 51 S. 80. * '
Treichel, A.: Der Thiergarten zu Stuhm nach dem D. O. Tresslerbuche. S, A. 17,8.—
Locationsprivileg für die Stadt Bereut. S. A. 3 S. — Sagen 16 S. — Von der
Pidch'-n- ndrr Hclltafel. S.- A. Altpr. Mtsch. XXXV. l u. 2. •
Jaworai^i» Juljan: St. Stölprian. S. A. Zt. f. Vlkk. 1898. 5 S.
j
Folklore Kataloge.
I. Pierre LedMntsax, 65, Rue de Ridtelie«^ F^. Catalogne Nr. 34, p. 24. Nvr
franz. Bücher. — 2. A. J. Hofinann, Frankf, a. M. Allerheil. Str. 87. Kai. Nr. 3.
Hebraica & Judaica. 2x55 Nrn. — 3. Von Zahn & Jttoacb, Dresden, Waisen hausstr.
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Rossmarkt 18. Kat. Xr. 397. Folklore. 1607 Nrn. — 5. K. Th. Völker, FtanVT. M.
Rümerberg 3, Kat. 216: Culturr u. Sittengeschichte. 2175 Nrn. — 6. Gilhoüer V.
Ranschburg, Wien 1, Bogncrg. a, Kat. 45 — 46, Nr. 2572 — 31 17.
Insertionen — Beilagen.
119^ ^ wird höSicikst gebeten, sicb,fUr Inserate mxd Beilagen «iriksdiüesaUdi an
die BnäblMfidliliic imd SnielBerel Tonrndi E. J. BRILL in Leiden wenden su «oBea*
über eine Gattung mongolischer Volkslieder und ihre
Verwandschait mit türkischen Liedern.
Von B. Lauf er.
Die mongolischen Stämme erfreuen sich nicht nur einer religiö-
sen und historischen, sondern auch einer epischen und lyrischen
Litteratur. Ihre Annalen berichten, dass es bereits im Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts Dichter und Sänger von Beruf gab. Das
Wort chürdi bedeutet , Lautenschläger", von chür, contrahiert aus
chughur ') „Laute" und war der officielle Titel eines wichtigen
und ziemlich geschätzten Hofamtes , der von den mongolischen
Herrschern veritehen wurde Die Namen zweier mit diesem
Epitheton geschmückten Männer sind uns ausdrücklich überliefert
worden. Der eine ist Arghasun Chüröi, der am Hofe des Chinggis
Chan gelebt und sehr lange zu dessen Gefolge gehört hat. Er
muss bei dem Machthaber in grosser Gunst gestanden haben, denn
man pflegte ihn in vertrauten diplomatischen Angelegenheiten, die
viel Takt und Zartgefühl erforderten , mit Erfolg zu verwenden ^) ,
und in einem Falle nahm Chint^gis ein über ihn verhängtes Todes-
urteil wieder grossmütig zuriick *). Der Sänger hatte eines Abends
mit seiner goldenen Laute die Ürdu des Herrschers heimlich
verlassen und anderwärts übernachtet, woraui dieser in heftigem
Zorne zweien seiner Feldherrn befahl, Ai^iiasun zu töten. Die nun
geschickt gespielte Comödie , die den Mächtigen wieder versöhnt,
erzählt der mongolische Geschichtschreiber nicht ohne einen An-
flug von Humor. In den Versen , die hier der Sänger zum besten
gibt, bietet er eine naive Charakterschilderung seiher Person, welche
i) Über diese Lauterscheinung vei^l. Bobrownikow, Grammatik der moagolisch-
kalrnttklsclien Sprache (russisch), Kasan 1849, S. 17; Radioff, Phonetik der nördli*
chen Türksprachcu, I.clpzij; 18S2. S. 102 — 104; Grunzel, Entwurf einer verglei-
chenden Grammatik der altaischen Sprachen, Leipzig 1895, 3^) ^ ^' Müller,
Grandriss der Sprachwissenschaft, II. Bd., 2. Abt., S. 263. 2) 1. J. Schmidt,
Philologisch-kritische Zugabe zu den zwei mongolischen Originalbriefen der Könige
von Persien Argun und üldshäitu an Philipp den Schönen, Petersburg 1824, S. 24.
3) Geschichte der Ostmongolen und ihres Fürstenhauses verfasst von Sanang Setses
ttb. V. L J. Schmidt, Pet. 1829, S. 77. 4) Sanang Selsen, S. 79 — 81.
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vielleicht für den ganzen Stand typisch «rewesen sein mag: „Seit
zwanzig Jahren bin ich in deinem Gefolge, aber an schlechte
Streiche habe ich nie gedacht; es ist wahr, ich liebe berauschende
Getränke, aber Arges kam mir nie in den Sinn; seit zwanzig
Jaliren bin ich in deinem Gefolge, aber boshafte Tücke ist mir
unbewusst; zwar liebe ich starke Getränke, aber nie war mein
Gemüt zur Bosheit geneigt." Überwältigt jedenfalls von der in
diesen Worten steckenden Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe ruft
der Herrscher: „Mein redseliger Arghasun, mein plauderhafter
Chüröi!" und begnadigt ihn. Das ist alles, was wir über die
Lebensschicksale dieses Mannes erfahren. Wie Chinggis seinen
Hofmusiker und -dichter als Gesandten verwandte, so auch der
mongolisch-persische Argun Chan seinen poeta laureatus Muskeril
Chürci. Diesen schickte er im Jahre I304 mit einem Schreiben an
König Philipp IV. von Frankreich, vor welchem Muskeril Gelegen-
heit fand, von seinen Talenten als Dichter, Redner und Improvi-
sator in seiner Note diplomatique Proben abzulegen Doch ausser
diesen officiellen Vertretern der schönen Kunst gab es im alten
Mongolenreich auch andre Männer, darunter Krieger und Helden,
welche Gesang und Dichtui^ pflegten* So hat uns SanangSet>
sen drei Lieder des Kiluken Baghatur, eines Feldherrn von
Chinggis Chan, mitgeteilt, ein Trost- und Ermahnungslied an seinen
klagenden, im Sterben liegenden Herrn und zwei Klagegesänge auf
den dahingeschiedenen Weiterobrer'), die ein ergreifendes, edles
und einfaches Pathos auszeichnet; was Rythmus und Formenschön-
heit angeht, so dürften sie sich vielleicht mit Manzoni's Ode Ii
Cinque Maggio messen, wiewohl es mir natürlich fern liegt, dem
hohen Gedankenschwung dieses Meisterwerkes die mongolischen
Erzeugnisse zur Seite stellen zu wollen. Auch die Epik, deren
Betrachtung wir an dieser Stelle ausschliessen , birgt manche lyri-
sche Bestandteile. In der Heldensage von Geser Chan treibt
loro — so heisst Geser in seiner Jugend — die Viehherde mit
Gesang und Geräusch vor sich nach Hause'). Als er eines Tages
in Begleitung seines Vaters eine Elster und einen Fuchs sieht,
wettet er mit dem Alten, der aber jedesmal fehlschiesst und nun
i) Scliinidt, Mong. Originalbriefe, S. 5, 24. Diese Briefe hat neuerdings Prinz
Roland Bon aparte in seinem grossartig ausgestattcicii Atlas Documents deTipoque
mongolc reproducieren lassen. Sannng Setsen, S. 3S1. 2) Sanang Set-
sen, S. 104—109. 3) I)ic Thatcu Bogda Gcsci Chan's, des Vertilgers der
Wvnel der sehn Übel in den zehn Gegenden. Kinc ostasiatische Heldensage, aas
dem Mong. üb. v. I. J Schmidt. Pet. 1839, S. «7. Schmidt hat das Beiwort aöta
^wohlthätig" in der Überschrift vergessen.
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durch die magischen Kräfte seines Sohnes regungslos festgebannt
wird, indessen dieser auf Grund der Wette ein Rind und ein Pferd
schlachtet und allein verzehrt; darauf singt er ein Spottlied: «Was
verdient wohl mehr Schande und Spott als die Elster, welche die
Rückenwunden der Pferde aufhacken, als der Fuchs, welcher die
Kühe vergiften und als der Alte, welcher beide totschiessen
wollte }** Auch bei primitiven Stämmen, wie Australiern und
Eskimos, sind bekanntlich satirische Stoffe äusserst beliebt'). Zu
dieser Gattung gehören auch die Spottlieder, welche Geser auf den
Chan singt, der ihn in die Schlangengrube, die Ameisen-, Läuse-,
Wespen- und Raubtierhöhle u. s. w. werfen lässt *)* Es ist natur-
gemäss, dass satirische Ausfalle Folge und Wirkung von bestimm-
ten Geschehnissen darstellen. Wie aber, nach Goethe 's Ausspruch
jedes Lied ein Gelegenheit^edicht ist, so wurzelt schliesslich alle
"Lyrik in Ereignissen, d. h. also in epischen Stoffen und Darstel-
lungen. Diese geben dem Dichter die Veranlassung, seinen Em-
pfindungen lyrischen Ausdruck zu verleihen. Besingt ein Poet die
Schönheit des Frühlings und beginnt mit den Worten: ,Der Lenz
ist gekommen !*', so ist eben die Ankunft des Lenzes das zeitliche
Ereignis, welches ihn zu seiner Betrachtung inspiriert; diese Worte
enthalten ein Factum, einen Bericht, werden aber dadurch, dass
sie unmittelbar aus dem Gefühl kommen und zum Gefühl sprechen,
gleichzeitig lyrisch wirksam. Bei der fast zur Eintönigkeit gewor-
denen typischen Beschaffenheit der europäischen Lyrik gelangt uns
ihre schildernde Grundlage, ihr epischer Ausgangspunkt wenig
oder fast gar nicht mehr zum Bewusstsein, aber in einem ursprung-
licheren Entwicklungsstadium ist noch deutlich zu erkennen, wie
sich der lyrische Gedanke aus dem epischen entwickelt. Die mon-
golische Poesie knüpft jede Gemütsverfassung, jede Seelenstim-
mung, Trauer oder Fröhlichkeit, unmittelbar an ein Ereignis des
Menschen- oder Naturlebens an, und diese Erscheinung wirkt auf
die gesamte Gestaltung der Metrik zurück.
Die Quellen, auf welche die alten mongolischen Chroniken zu-
rückgehen, sind meist grosse Fragmente dereinst im Volke leben-
dig gewesener epischer Lieder, die in ihren schwachen Bruchstücken
auch jetzt auch erkenntlich sind. Bereits H. C. v. d. Gabelen tz
i) Der Fndit bdsst in dts Gras und begeifert es; firessen es dann die Kühe, so
wirl<t es bei ihnen allmählich wie Cift unrl bringt Hincn den Tod. 2) Ccscr
Chan, S. 32. 3) £. Grosse^ Die Anfänge der Kunst, Freiburg 1894, S.
238 — 231. Vergl. auch Pallas, Reise durch verschiedene Provtnsen des russisclien
Reiches III, 67 über die Ostjaken. 4) Geser Chan, S. I04~I07. 5) Zeit-
schrift fUr die Kunde des Morgenlandes Bd I, Heft i.
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hat den Versuch unternommen, die dichterischen Bestandteile aus
Sanang Setsen auszuscheiden. Aber Sanang Setsen ist entschie-
den ein Tendenzhistoriker gewesen, am ehesten den Annalisten
der römischen gentes vergleichbar, und hat zudem, wie wir noch
erkennen werden, manche Züge der ursprünglichen Tradition gar
nicht mehr verstanden, was ihn verleitet hat, das bequeme Ver-
fahren einzuschlagen, welches man den von Friedrich dem Grossen
nach dem siebenjährigen Kriege als Schullchrern angestellten pen-
sionierten Unteroüicieren nachrühmte, die ihren Schülern, sobald
sie auf einen unverständlichen Ausdruck oder Begriff trafen, »l^üpf
über" zugerufen haben sollen. Die relativ reinste und treueste Quelle
für die alten Sagenbildungen des Volksgeistes ist das Mtan Tadä
d. h. wörtlich «goldener Knopf", mit der Bezeichnung , mongolische
Chronik" herausgegeben von dem Burjaten Galsang Gombojew
mit nissischer Übersetzung in den , Arbeiten der orientalischen
Abteilung der Kais, archäologischen Gesellschaft", Teil VI, Peters-
burg 1858. Ich greife aus diesem Werke eine um den Vater
Chinggis Chan's gebildete Sage heraus, um daran zu zeigen, wie
sich in den Anfangen der mongolischen Dichtung an ein Stück
von ausgesprochen epischem Charakter ein lyrischer Erguss an*
reiht, wie sich aus der Erzählung das singbare und gesungene Lied
abschält; ich übersetze ausschliesslich nach dem mongolischen
Original, das leider von Druckfehlern wimmelt.
«Jisugei Baghatur nahm eines Tages seine beiden jüngeren
Brüder Daritäi und Utsukun ^) und ging mit ihnen auf die Jagd.
Da sprach er: «Ist das nicht ein weisser Hase?" und schoss.
Siehe, da erwies sich das, was er geschossen, als der Urin eines
Weibes. Indem er diesem auf der Spur eines Wagens nachging,
sagte Jisugei zu seinen jüngeren Brüdern: «Jene Frau wird einen
wackeren Knaben gebären." Der Spur des Wagens folgend, er-
kannte er, während er weiter ging, dass es ölatu von den Taitsut
war, der mit der ÖgMen Eke in die Heimat zurückkehrte. Als er
sie auf seiner Verfolgung eingeholt hatte, sprach Jisugei zu seinen
beiden jüngeren Brüdern: , Dieser da wollen wir uns bemächtigen.**
Indem sie herankamen, sagte (^elen Eke zu ihrem Manne ölatu:
,Du, bemerkst du nicht die böse Absicht der drei Männer? Mach
dich davon !" Mit diesen Worten zog sie ihr Hemd aus und
1) abCu, wie das indische ftdftya und das griechische Mtß6v. a) Bei Sanang
Setsen heissen sie Negun Tai§i und Daritä ÜtSÜken. Vergl. aucli Erdmann,Te-
mudschin der Unerschütterliche S. 252, 253. 3) Vielleicht an dieser Stelle, wie
sonst bei den KalmükcD, Symbol der ehelichen Treue.
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149
übergab es ihm. Die Brüder bemächtigten sich ihrer zu dritt.
Obwohl sie Cilatu über drei Flüsse nachsetzten und über ebenso
viele Höhen verfolgten, vermochten sie ihn nicht einzuholen. Die
Ögelen Eke machte Jisugci zu seinem Weibe. Als sie darauf auf
dem Rückwege in die Heimat begriffen waren, weinte seine
Gemahlin Ögeien unablässig. Da sprachen Daritai und Utsukun zu
ihr das Wort:
Drei Flisse liaben wir ttberacinitten,
Drei Höhen haben wir überstiegen !
Sucht man, so ist keine Spur mehr da,
Hilt man Umschau, nichts ist su erspähen,
Weinst du auch, so hört man dich nicht i
Als Ögdlen Eke dieses Wort vernommen, schritt sie lautlos
weiter dahin.'*
Dieser Schlusspassus ist in Versen verfasst, während das übrige
in Prosa geschrieben ist. Die Strophe lautet im Original :
ghnrhan glifl! gotulkobe
ghurban ghurbi tabagliiilaba
charifaAsn mar ugei
charabdsu l)avagha uizci
chailabäsu uhi sonoaunam.
Sanang Selsen überliefert gleichfalls die Versform (S. 62) mit
folgenden Varianten: t^etulbe, tababa, chaibäsu „wenn man sucht'*,
was ich für richtiger halte als charibäsu „wenn man zurückkehrt",
was sicher auf das kurz vorhergehende chariju irekui dur zurückzu-
führen ist, endlich sonosom. Man erkennt hier bereits, wie der Inhalt
auf die metrische Beschaffenheit der Verse wirkt; die inhaltlich zu
einander gehörigen beiden ersten Verse sind durch die gleichen
Alliterationen verbunden, ebenso die drei letzten Verse. Ich muss
es mir leider an dieser Stelle versagen, auf den Inhalt dieses, einen
Frauenraub schildernden Stückes näher einzugehen, ebenso auf
einen Vergleich mit anderen Versionen; ich bemerke nur, dass
Sanang Setsen die dichterische Stelle gar nicht verstanden hat,
da er die Verfolgung des Cilatu mit keinem Worte erwähnt, die
zu berichten selbst der verständig nüchterne und die alte mongo*
tische Legende sonst stark abkürzende Jigs med nam mk'^a nicht
umhin kann
Gehen wir zur modernen Lyrik der Mongolen über, soweit wir
sie aus einigen wenigen Sammlungen kennen, so dürfte es wohl
am zweckmässigsten sein, dem Inhalte und seiner Behandlung nach
drei Gruppen zu scheiden, i) Lieder, die an historische Begeben-
1} Hath, Geschichte des Buddhismus in der Mongolei II, 14.
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ISO
heiten oder bestimmte Verhältnisse des täglichen Lebens anknüpfen
und Empfindungen in mehr oder weniger breiter und malerischer
Darstellung dahinströmen lassen. Zu dieser Klasse gehören die
Klagelieder auf den Tod Chinggis Chan's, zwei Elegieen auf
den Abzug der wolgischen Horde » die Pallas, Sammlungen
historischer Nachrichten über die mongolischen Völkerschaften I
^77^1 P* ^5^/7 niitcreteilt hat, ferner zahlreiche Stücke in der
Sammlung von A. Posdnejew, Proben der Volkslitteratur der
mongolischen Stämme I, Pet. 1880. 2) Mehrstrophige Lieder, wel-
che ein- und denselben Grundgedanken mit nur leichten Verände-
rungen durch sämtliche Strophen variieren. Als Beispiel übertrage
ich das erste Lied aus Posdnejew in deutschen Trochäen; es
kann als Typus einer ganzen Gattung gelten, in weicher sich das
tiefe Heimatsgeiiihl, die oft fast zur Sentimentalität gesteigerte
Liebe zu Eltern, Geschwistern, Gattin, Kindern und Freunden
kundgibt (vergl. das Lied bei Pallas, S. 155).
An des Changi^ltai-flusses i) Quelle
Schallt der Ruf des Königs Kuckuck
Meiaen treugeliebteu Freunden
Send' icli Grttsse, also singt er.
Auf des hohen KekCi Gipfel
Schült der Ruf des Jungherm Kuckuck:
Meinem MUtterlein, dem grauen
Send' ich Grusse, also singt er.
An des Nordstroms QucUcnrande
Schallt der Ruf des Gold-Gbutghultai :
Meinen ruhmesstarken Vater
Send' ich Grttsse, also singt er.
An des Kerolttng-stfoms Quelle
Schallt das Lied des Kuckuckvögleins;
Meinen Kindern, meinen Brüdern
Send' ich Grüsse, also singt er.
An des Kräuternusses Quelle
Schalk der Ruf des bunten Vogels:
Meinen trauten Jugendfreunden
Send' ich Grflsse, also singt er.
5) Kurze, epigrammatisch zugespitzte, meist zweistrophige Lieder
von höchst eigenartiger Beschaffenheit. Zu diesen gehören die fünf
Gesänge, welche ich an dieser Stelle mitteilen will. Annahemd
verwandte Stücke sind bereits von C. Stumpft) veröffentlicht
worden. Freilich scheinen die Texte zu den hier mitgeteilten
Noten meist unvollständig zu sein, in manchen Fällen nur die
erste Strophe zu enthalten, wie in Nr. 3, wo von 20 Strophen
leider nur eine einzige bekannt gegeben wird, ebenso in Nr. i;
es ist daher schwer, sich über den Inhalt und die litterarische
Stellung dieser Lieder ein festes Urteil zu bilden. Das zweite
l) Der Orchon, der an dem Berge Changghai entspringt. Timkowski, Reisenach
China durch die Mongolei I, 140. 2) Über die Sagen vom Kuckuk, der sich
nach der Heimat selint und durch seinen Ruf die Wanderer zur Heimkehr mahnt s.
Schott^ Einiges zur japanischen Dicht- und Verskunst, Abh. Berl. Akad. 1878,8.
160. Zu dem hier gegebenen Citat aus Wells- Williams veigl. den norwegisclxeo
Volksglauben bei Lieb recht, Zur Volkskunde S. 332. 3) Mongolische Ge-
sänge in Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft III 1887, S. 297 — 304.
...... ^le
151
antiphonische Lied: „Liebesbotschaft", in welchem der Liebende
in einem Verse die Geliebte grusst und diese ihn als Antwort zu
sich entbieten lässt, erinnert stark an die türkischen Gedanken-
lieder mit welchen es unzweifelhaft in einem bestimmten Zusam- •
menhange stehen muss. Die Nr. 4 und 5 sind Trinklieder, die im
Leben des Mongolen keine unwichtige Rolle spielen; man ver-
gleiche mit diesen ein von Castren') aufgezeichnetes burjatisches
Lied und ein hochpoetisches, welches Timkowski') mitgeteilt
hat »Der fröhliche Bacchus/' bemerkt der russische Missionar *),
,hat nicht selten in den mongolischen Wüsten seine eifrigen An-
hänger, die ihm, besonders zur Sommerzeit, mit Airak (Brannt-
wein aus Schaf- und Kuhmilch), Kumys und Branntwein, den sie
bei den Chinesen kaufen, Ehre erweisen. In Unterhaltungen wahrer
Freundschaft, im Kreise sitzend um den immer glimmenden Argal
in der Mitte der Jurte, bringen die Mongolen in Stunden der
Müsse, die für sie so gewöhnlich sind, und noch mehr bei Über*
fluss von Milchbranntwein, die Zeit zu in schwermütigen Erinne-
rungen an den Ruhm entwichener Zeiten und die Thaten ihrer
vaterländischen Helden und vergessen die Beschwerden des Lebens
und die Last des mandschurischen Scepters. Aus dem Munde der
von Branntwein Begeisterten strömen scharfsinnige Scherze, unter-
haltende Geschichten oder Erzählungen von der Kühnheit und dem
Glücke der Jäger, von der Schnelligkeit berühmter Renner u. s. w.
Dann erklingen auch die melancholischen Töne ihres Gesanges,
bisweilen von einer Flöte und Balalaika (Art Zither mit drei Sai-
ten) begleitet.'* Das sechste Lied bei Stumpf gehört in die von
mir unter Nr. i rubricierte Gattung; es enthält die rührende
Klage eines sterbenden Kriegers und soll aus der Heldenzeit des
Cbinggis und Ttmur stammen.
Doch keines dieser Stücke stimmt genau in Inhalt und Form
mit den im Folgenden mitgeteilten fünf Liedern, überein, die ich
der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Gabriel Bälint, ord.
Professor an der Universität zu Koloszvär (Klausenburg), verdanke;
er hat sie zwar bereits vor Jahren unter dem Titel: Tabun Khä-
lymik dün^), öt Khälymik dana in einer magyarischen Zeitschrift
in Transcription mit ungarischer Übersetzung veröffentlicht, und
i) !. Kitnos, Türkische Gedankcnlicdcr au> Ada-Kulc. Ethnologische Mitteilungen
aui Lagara Ii, 51. 2) Versuch cinci buijatischcu Sprachlehre, VcL 1857, S. 227«
3) Reise nftch Chin» dnrch die Mongolei in den Jahren 1820 und t82I. Aus dem
Kussischen Übersetzt von Schmidt. Leipzig 1825 — 26. III. 13d., S. 295. 4) 1. C.
S. 293. 5) Aus daghun »Ton, Lied, Gesaog' eutsUnden.
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was von grossem Werte ist, die Noten mit ansprechender Klavier-
begleitung hinzugefügt. Da es mir zunächst darauf ankam, Material
zum Studium der mongolischen Volkssprachen zu erlangen, sandte
mir Dr. Bälint eine erneute bedeutend verbesserte Umschrift der
Originaltexte zu mit der gütigen Erlaubnis, sie nach Belieben wie-
der zu veröffentlichen ; auf Grund dieser Mitteilungen versuchte ich
denn mit den uns zu Gebote stehenden grammatischen und lexi-
kogrsiphischen Hülfsmitteln eine Übertragung ins Deutsche zu er-
zielenj für die ich schliesslich natürlich auch die schon vorhandene
ungarische Übersetzung verglich und zu Rate zog. Dem zweiten
Ltede bei Bälint habe ich seine Stelle vor dessen fünftem Liede
angewiesen, weil mir diese beiden inhaltlich in engem Zusammenhang
zu stehen scheinen. Die Umschrift der Texte ist nach Möglichkeit
der in Kowalewski's grossem Wörterbuch befolgten angepasst.
1. £iktnni urghukson äalugi
einin töle chadlabi,
ti mana clioyorSgi
dsayän fcigi charghülchuS.
ulftson du urghukson alimaigi
uichon camdäD ügblebi,
uiehoii temtdln dglibötigi
urida-ln dsayftn dutrghfllclittS.
a. El Sikirtei nftr-tn köbe dfl
Sil Gharklä bäiJin dü
Sibbildsekscn Charla Site
melmeldseji slldak böi.
E ! örkö-!n Colöger chäliächuni
ölü sobüni liäidältäi
öbörölji süchuni
örbölg^tt jölökdn.
3. dsachan gburban gennttd tfl
d'salayha mnlaghata Chalghi
dsalagha malaghata Chalghäin öiresü
dnttn ttnflr küngküned.
ghügin ghurban germüd tü
ghuljing biiiken CUalgha
ghuljing biiiken ChalgMin öirfatt
ghügin Uottr kUngkttned.
4. nomoghon boro morin (ini morin Sini
nnson t^iilbmighÄii unjuilSd
uoyuu diin chairtäi Jojä-gi
noghona tflrttnleni SukSflUUU
Den im Teich gewachsnen Schilf
Hab* ich dir zu lieb' geschnitten;
Doch un«; beiden zürnt das Schicksal,
Will uus nimmermehr verbinden.
Apfel «) den die Pappel trug,
Hab' ich, Holde, dir gegeben;
Ob Ich ^ek^ ilm dir gegeben,
Will das SchidcMl nna nicht binden.
An dem Hand des Sees von Zucker,
In dem Phönix-GIas-Palaste
Weilt erregt die Charla Sise,
ThiSnen immerdar vergiessend.
Schaut man durch des Rauchlochs ÖfTnang,
Ist sie gleich dem llabichtvogel;
Aber weilt sie in Umarmung,
Ist sie weicher noch als Flaum.
In den drei Hflnsem am Rande des Weges,
Da %vohnt die Chalgha mit quastiger Mütze
Nahe der Chalgba mit quastiger Mütze
Lässt sich Tcmehmen Muskatnnssgeracb.
In den drei Häusern unten im Thale,
Da wohnt die kleine, liebliche Chalgba;
Nahe der kleinen, lieblichen Chalgha
Lässt sich vernehmen Melonengeruch.
Ach, deinen zahmen grauen Schimmel
lAsst man da^ wollene T.citseil tragen;
Die ihrem Fürsten liebe Joja
LKsst man im Lens von dannen sieheo.
l) Der Apfel als bekanntes Symbol der Liebe; vergl. auch Schott in den Sit-
zungsberichten der Berl. Akademie 1S86, p. 1220. Krauss in öittc und Brauch der
Sttdsl. p. 53, 181, 220 usw.
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153
neriken kendir kiligi tini kUigi iini
neigini olji saghulna sagholna
neirsek bäidältei Jojdgi
neqi Namjiivti8u>mcholjiül&d,cholji&lid.
Nun wird dein liemd von zartem Hanf
Gesponnen erst und dann genaht,
Doch Joja, ach, bereit zur Liebe,
Entreisst man ihrem lieben Namjir.
5. Berim i^'te chanjal 5im
Basang-in Cok&d dsokiUtai
bacban kuken Jojäigi
bar* nftsu sugh ab'labi.
Dein mit GriflF geschmückter Dolch
Zicinl sich Basang''^ Sohn, dem Cokaj
Doch die liebe kleine joja
Nahm ich weg aas ihrer Htttte.
öndör tsaghan jolm' l^ini
örkdni tsömörktt boltogha
örifjg'te cir'tc Jojaigi
Deines hohen, weissen Zeltdachs
Rauchfang soll ausammenstttrsen ;
Denn die glanzgcslchtlge Joja
öb'r^üu sugh' ^d ab'labi.
Riss ich weg von seinem Busen.
Prof. B dl int hat den einzelrun Stücken Icüler keine Erläuterungen beigefügt, ja
nicht einmal den Ort näher bezeichnet, an dem er sie gesammelt: indessen lässt die
Sprache der Texte keinen Zweifel darflber zu, dass sie ihren Ursprung den wolgischen
Kalmüken zu verdanken haben. Ich selbst bin ebensowenig in der Lage Erklärungen
zu geben, die dem Gesamtinhalt völlig gerecht werden und für alle Einzelheiten be-
friedigen ; die Übersetzung des zweiten Liedes scheint mir durchaus nicht einwandfrei
zu sein und noch mancher Berichtigung zu bedürfen. Die Erwähnung des Vogels
{}hari<lri (= Caruda) mochte auf Indien hinweisen, ist aber immerhin kein vollgültiger
Beweib dafiir, dasü der SlotT des Liedes aus Indien entlehnt ist, so lange es sich nicht
genau darlegen lässt, dass es einen solchen indischen Stoff tatsächlidi gibt; dass kal»
mükische T.icder vorkommen, die indische Erzählungen behandeln, werde ich am
Schlüsse dieser Ausführungen zeigen. Wie wir aus zahlreichen Stellen bei Pallas
«nd Bergmann, den besten und bisher unerreichten Kennern des mongolischen
Volkslebens, entnehmen können, hat sich der f.aruda -o tief in das allgemeine Bc-
wusstsein festgesetzt, dass er aus dem Rahmen buddhistischer Gedankenkreise heraus-
tritt und in die Erzeugnisse einheimischen Geistes verquickt wird, ein Fall, der wohl
auch in unserem zweiten Liede zur Anwendung gelangen dürfte. Die epische Voraus-
setzung des Gedichts scheint mir die zu sein, dass der Vogel ein Mädchen geraubt
und in seinen Palast gebracht hat, wo sie nun ihr Schicksal beweint, ohne sich gegen
die Umarmungen ihres Liebhabers zu sträuben wieder ein vollgültiger Beweis dafür,
dass das Ijcd gleichsam eine Schale vorstellt, die einen epischen Kern einschliesst.
Als rein lyrisch wäre streng genommen nur das cr.sic Lied bezetchueu : Thema ist
wie in allen diesen Stucken die Liebe; Grundmotiv: Klage um die Trennung von der
Geliebten, durchgeführt in zwei Variationen nach den strengen Knn<;tgcsct7.en, denen
diese Liedchen folgen müssen j variiert wird nur die epische Basis: i. Schilf habe ich
ittr dich geschnitten, 2. Apfel habe ich für dich gepflflckt, während düe lyrisch«
Sdllussfolgerung : „dennoch steht uns ein grausames Schicksal entgegen," beide Male
die nämliche bleibt. In musikalischer Hinsicht ist m bemerken, dass dieses Lied wie
alle anderen durchkomponiert ist, die zweiten Strophen also nach der Melodie der
ersten gesungen werden: Nr. i und 4 schlicssen auf der Sekunde, Xr. 2 auf der
Quinte, Nr. 3 auf dem Grundton, und Nr. 5 auf der Quarte; die beiden letzteren
Fälle sind meines Wissens bisher noch nicht beobachtet worden (s. Stumpf 1. c. 304).
Der Bau des dritten Liedes stimmt mit dem des ersten genau überein; der einzige
Unterschied besteht darin, dass nicht der Inhalt der beiden Strophen variiert wird,
sondern nur je ein Attribut der erzählenden Überschrift und der lyrischen Nachschrift.
Dass der Liebhaber den Wohlgeruch seiner Angebeteten verherrlicht, ist im Hinblick
atif die nicht gerade einschmeichelnden Düfte der mongoli.scher Jurte doppelt wirk-
sam. In einem barmanischeu Poem wird der auf Reisen befindliche Jüngling senti-
mental, wenn er das Taschentuch zur Nase zieht, in dem das am Mittag verzehrte
Huhn, ein Geschenk seiner Donna, eingewickelt gewesen ist. Zwischen 4 und 5 muss,
wie gesagt, inhaltlich ein Zusammenhang bestehen. Das beweist schon der in beiden
Uedem auftretende Name Joja ; sie ist die ^Heldin". Beide Lieder tragen ausgespro-
t) Man vergleiche übrigens die 7. Erzählung des Siddhi-Kür (cd. Jülg).
154
chea epischen Charakter und scheinen entweder einer aus quasi Romanzen bestehendeu
grösseren RhajModie anzugehören oder abgekflnete Versbearbeitungen längerer Prosa-
erzählungen, wenn nicht in solche eingestreute Strophen darzustellen. Die Cleschichtc,
auf die das Lied Nr. 4 anspielt, ist ohne Zweifel so zu fassen: Joja Liebt Namjir,
einen Mann ans dem Volke; doch ein Fürst vernarrt sich in sie, dem sie im Lent
vermählt werden soll. Die Phrase „man lässt sie im Lenz von dannen ziehen," drückt
das Original mit den Worten aus „man lässt sie im Anfang des Grases weinen."
Wlhrend über den Inhalt des 5. Liedes an sich kaum Meinungsverschiedenheiten
herrschen können, Hessen sich hinsichtlich seiner Verknüpfung mit dem vorausgehen-
den nlnvciclieiidc Anschauungen geltend machen. Meine Anffnssnng is' ■ Xnmjir nicht
sich, raubt dem Fürsten die Geliebte und singt nun ein Spülllied auf ihn. Üb Coka
der Name des Fiirsten ist, mag dahingestellt bleiben. In monkalis^cher Beziehung
unterscheiden sich die beiden cyklischen Slücke durch einen wesentlichen Zug von
den drei übrigen. Während in diesen die Melodie die ganze Strophe umspannt, reicht
sie hier nur bis zum Schluss des zweiten Verses und wird in den beiden folgenden
Versen einfach wiederholt, in Nr. 5 rnit der Abweichung am Ende, dass auf n statt
d d die Sekunde g g folgt. Ich möchte daraus schliessen, dass diese antiphonischen
Lieder von zwei Stimmen oder Chören, die beiden ersten Verse etwa von minnli-
chen, die lielden letzten von weiblichen Stimmen gesungen werden (vergl. das zweite
Lied bei Stumpf S. 299). Der eigenartige Rhythmus des fünften Gesanges scheint
einem Tanzscliritt zu entsprechen:
•
1 •
Die musikali^iche Beschaffenheit scheint mir ebenfalls für die Zusammengehörigkeit
der Stanzen 4 und 5 zu sprechen. Wer nur einen oberflächlichen Blick auf den Inlialt
und insbesondere die Form der wenigen hier mitgeteilten Lieder wirft, wird ogleich
erkennen, dass wir es mit einer hoch entwickelten Kunstpoesie zu thun haben, der
ein feines Gefühl für die Schönheit der Formen und Linien anerzogen ist. Diese
Eigenschaften sind aber, soweit wir sie bisher kennen, allen mongolischen Liedero
beizulegen. Höchst naiv mu'^?; daher das Urteil eines neueren, sonst nicht ungeschick-
ten Litterarhiätorikers, A. Baumgartner, berühren, der in seiner Geschichte der
Weltlittcratur, Freiburg 1897, Bd. II S. 445 den Mongoloi «^iiic ziemlich primitive
Vollvspoesle, wie sie sich bei allen Völkern wiederfindet,'^ zuschreiben zu müssen
glaubt. Freilich mögen die Herren von der Ästhetik, dem Ruin aller wahren Wissen-
schaft, vbvr den Begnff des „Primitiven" und ^ des „ziemlich Primitiven** ihre
eigenen Ansichten haben.
Ich will nun versuchen, die historische Stellung jener fünf Lie-
der, die offenbar zu ein- und derselben Klasse oder Kategorie von
Kunstdichtung zu zählen sind, annähernd dadurch zu bestimmen,
dass ich sie zu Liedern derselben Art eines türkischen Volksstam-
mes in Beziehung setze. Es ist hier nicht meine Aufgabe, auf die
Verwandtschaftsverhältnisse und den Fonds gemeinsamen Kultu^
besitzes von Mongolen und Türken des näheren einzugehen; es
genüge für unsere Zwecke, auf die Analogieen hinzuweisen, die
Schiefner in der Vorrede zu seinen Heldensagen der minussin-
schen Tataren, Pet. 1859, zwischen den Epen beider Gruppen ge-
zogen hat. Radioff, Über die Formen der gebundenen Rede
bei den altaischen Tataren in der Zeitschrift ftir Völkerpsychologie
und Sprachwissenschaft, Bd. IV, S. 103, beschreibt folgendermassen
die vierzeilige Strophe:
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155
„Sie ist die verbreitetste von allen Versarten; in allen Liedern,
sowohl in Improvisationen wie auch in historischen Liedern ist sie
fast ausschliesslich allein angewendet. Jede Strophe besteht aus
vier Versen und zwei dieser Strophen gehören stets zusammen.
Improvisationen und kleinere Lieder bestehen eben nur aus zwei
Strophen, während die längeren historischen Lieder eine Anzahl
von Strophen paaren bilden. Sowohl dem Inhalt, wie auch der
Form nach stehen die einzelnen Verse der Strophen in gewisser
Beziehung. Bei den Versen ist zu bemerken, dass je zwei dem
Inhalt nach ein Ganzes bilden, die letzten beiden Verse der
Strophe sind entweder eine Vergleichung oder eine Nutzanwen*
dung der ersten beiden. Die zweite Strophe wiederholt im allge-
meinen mit anderen Worten den Inhalt der ersten." Und weiter
heisst es auf S. 104: „Da der Inhalt zweier zusammengehörigen
Strophen tast derselbe ist, so bemüht man sich auch, der Form
nach sie entsprechend einzurichten, die Art aber, wie dies hervor-
gerufen wird, ist durchaus dem Dichter überlassen, und lassen sich
darüber keine genaueren Regeln angeben; gewöhnlich geschieht es
durch Versreim in den entsprechenden Versen der beiden Stro-
phen, oder auch durch correspondierende vokalische Gleichklänge
und Alliterationen." Diese Bemerkungen müssen ohne jede Ver*
änderung auch fiir die mongolischen Versformen in Anspruch ge-
nommen werden, und fugen wir noch das auf S. 105 citierte
Beispiel an»
Mein debenjähriger Fuchs
hatte Heimweh und wieherte,
die sielicn^igjährige Alte
dachte an frühere Freuden und haimtc ^ich.
Mein scchjuhrigcr webser Schimmel
dachte an den Altai und schrie,
'Ii" ';*".-l!7i._'';>lir'igc Alte
dachte an Ii uhere Freuden und härmte sich.
SO ei^bt es sich klar, dass sich Form, Gegenstand und Behand-
lung dieser Strophen mit den oben mitgeteilten völlig decken.
Weitere Lieder dieser Art findet man in Radioff *s Proben der
Volkslitteratur der türkischen Stämme Südsibiriens, I. Teil, S.
246—260. Ich beschränke mich auf die Anführung zweier Lieder:
I Wenn von links ein Wind weht,
Bew^t er die Häupter des Schilfes;
Wenn ich all meiner Vcrwaiulten gedenke.
Kommen Thränen mir aus den tiefen Augen.
Wenn von rechts ein Wind weht,
Biegen sich die Häupter des Schilfes;
Wenn ich all meiner Verwandten gedenke,
Kommen Thränen mir ans den tiefen Augen.
2 Meine Gans, wohin flatterst du
l'nd ermattest deine Flügel?
Mein Geliebter, wohir) lachst du,
Entzündend das cnlbrauulc Ilerx?
Mein Schwan, wohin nattcrst du
Und ermüdest den Flügelknochen?
Mein Freund, wohin gehst du.
Entzündend das entbrannte Hers?
Diese Gattung der Poesie in ihrer strengsten Form beschränkt
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156
sich nun auf die Altajer und Teleuten des Altai. Da die Kalmii-
ken ihnen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert benachbart
wohnten, so ist mit dieser Tatsache auch der historische Beweis
geliefert, dass die in Rede stehenden Geisteserzeugnisse beider
Völker derselben Richtung anirehören, den gleichen Verhältnissen
entwachsen, der nämlichen Quelle entsprungen sind. Wer der Ur-
heber, der Schöpfer, wer der Entleliner, der Empfangende gewesen
sei, ist eine Frage, die sich vor der Hand nicht im geringsten
entscheiden lässt. Es käme zunächst insbesondere darauf an, zu
zeigen, ob der geographische Verbreitungsbezirk jener Liedform
in Wirklichkeit nicht grösser ist als uns bisher bekannt, und zu
diesem wie für alle übrigen Zwecke muss sowohl mehr mongoli-
sches als tiirkisches Material gesammelt werden. Jedenfalls ist ein
kleiner Fingerzeig gegeben und in chronologischer Hinsicht fest-
gestellt, dass die oben mitgeteilten fünf epigrammatischen lyrisch-
epischen Lieder, deren Form man annähernd mit unserm Distichen
oder den altjapanischen Uta's vergleichen könnte, nicht modernen
Ursprungs sein können» sondern in eine Periode zurückreichen, die
vor der Einwanderung der Kalmüken auf russisches Gebiet liegt.
Ist dieser Gewinn auch vorläufig gering, so ist es darum nicht
augeschlossen, dass er für eine an Sammlungen reichere Zukunft
an Bedeutung zunehmen kann.
Anhang. H. A. Zwick teilt am Schlüsse seiner „Grammatik der
West-Mongolischen, das ist Oirad oder Kalmükischen Sprache",
Königsfeld 185 1, den Text eines siebenstrophigen Gedichtes nebst
Übersetzung mit. Es ist in ein Märchen eingeschaltet und gibt die
Klageworte eines herumirrenden Königs wieder, der auf der Suche
nach der ihm geraubten Gattin ist. Zwick glaubt hierbei Ähnlich«
keiten mit der Qakuntalä herauszufinden, allein er hat den wahres
Sachverhalt verkannt Das Gedicht ist nämlich nichts anderes als
eine Nachahmung des vierten Aktes von Kälidäsa's Vikramorvagt,
wo der König PurOravas im Walde umherirrt und alle ihm begeg-
nenden Tiere und Pflanzen anfleht, ihm zur Erlangung seiner ent-
schwundenen Apsaras Urva^i beizustehen. Den Mongolen ist diese
Geschichte, wie der grösste Teil ihrer Litteratur, auf dem Wege
über Tibet zugekommen; denn sie findet sich im tibetischen
Kandjur, aus dem sie Foucaux mit der Bezeichnung Elegie unter
dem Titel Plaintes de Norzang ä la recherche de Yidphroma in
seinem Buche Le tr^r des belles paroles, Paris 1858, S. 45, über-
setzt hat. Inhaltlich deckt sich diese Version genau mit der kal-
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157
mükischen; die angeredeten Tiere und Gegenstände werden in
derselben Weise und Reihenfolge abgehandelt, und zwar i. Mond,
2. Gazelle, 3. Biene, 4. Schlange, 5. Kuckuck, 6. Baum. Im indi-
schen Drama ist die Zahl dieser Wesen noch weit grosser* Das
tibetische Yfd*op*^ro>ma (d. h. die Herzerfreuende) ist wörtliche
Übersetzung des Sanskritnamens Manohari, was die Kalmüken als
Manuhari beibehalten haben. Die wertvollste Beobachtung nun,
die wir bei Gelegenheit dieser Zusammenstellung — es ist zu ver-
wundern, dass sie niemand zuvor gefunden hat — machen können,
ist die, zunächst, dass auch nicht-buddhistische Stoffe der indischen
Litteratur zu den lamaistischen Völkern gedrungen sind, sodann
dass solche Stoffe nicht in ängstlich wörtlich-sklavischer Überset-
zung, wie dies in der religiösen Litteratur der Fall ist, sondern in
freier Souveränität, in dichterischem Waltenlassen eigener Phantasie,
die alles dem Volksgeist Fremde entfernte oder diesem assimilierte,
herübergenommen worden sind. Die Mongolen vollends copierten
nicht, sondern schufen nach, dichteten nach. Was ihre Märchen
betriflflt, so hat bereits die Sammlung des Siddhi-Kür fiir diesen
Zug beredtes Zeugnis abgelegt; so ist nunmehr auch ein Beispiel
erbracht, das fiir ihre poetische Litteratur dieselben Kräfte wirk-
sam zu sein scheinen. Denn das fragliche Lied ist in strengge-
bauten Alliterationsstrophen nach allen Regeln der Kunst abgefasst
und formell nicht von einheimischen Produkten zu unterscheiden;
daher ist es Blut von ihrem Blut und Fleisch von ihrem Fleisch
geworden.
Chinesische geheime Gesellschaften.
Von Wilhelm Gruner.
Dieser Gegenstand ist äusserst merkwürdig. Die Anzahl der
Geheimbünde ist sehr gross, und obzwar der grösste Teil mit öf-
fentlichen Angelegenheiten nichts zu tun Iiat, und die mcissten
von ihnen verfolgt werden, so ist jedenfalls auch nicht ein einziger
darunter der regi« 1 u:i;^sfreundlich waix. Die grössten dieser „Ge-
sellschaften" sind aber der Regierung besonders feindlich gesinnt.
Austreibung der 'iatai\jii, uiul, wie wir es nennen würden, »China
für die Chinesen' ist ihr Feldgeschrei. Sie arbeiten ohne Aufhören
an dem Umsturz der Dynastie; jedes Jahr erheben sie Revolten
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iSB
und in Intervallen grosse Revolutionen. Die Taiping Revolution
war das Werk der T'^ien-Ti^Hwey ^itk'^* und kein anderer
„Geheimbund" hatte eine solche Macht bewiesen. Es ist wenig-
stens gewiss, dass die Unruhen, die den fürchterlichen Ausbruch im
J. 1849 erregten, durch Hung Sin-Tsiuen ^ ^ einem
Grossmeister der T'^ien-Ti-Hwey hervorf^erufen wurden.
Wo immer Chinesen leben, luLbcn :3ie ihre Gehcinibundc, unter-
geordnet der Muttcrloge und der Hauptzweck besteht meistens
darin, die Mandschu Dynastie zu stürzen. Es ist zweiielhatt ob
die Emigranten von San Francisco oder Melbourne sich um die
heimatliche Politik bekümmern, aber ein Teil der Beiträge wird
der Muttcrh^ge in China übermittelt. Kurz, den, der mit den Ver-
hältnissen bekannt ist, wird eine Revolution in China gewiss nie
überra-schen.
Die erste dieser Gesellschaften in jeder Hinsicht ist die der
THen- Ti-Hiuey.
Frappirend ist die Ähnlichkeit der Gebräuche und Rituale die-
ser Gesellschaft mit jenen der Freimaurer, und ich kann nur auf
das berühmte englische Werk Dr. Schlegel 's „The Thian-Ti-
Hwey or Hung Leagiie in 1866" hinweisen.
Seine Forschungen waren durch einen glücklichen Zufall unter-
stützt. Ein Chinese wohnhaft in Padang, auf Sumatra, war eines
Diebstahls verdächtigt und die Polizei hielt bei ihm eine Haus-
durchsuchung ab. Sic fanden dort eine Menge Bücher und Docu-
mente, die erwiesen, dass in Padang eine Loge der T^ien-Ti mit
circa 200 Mitgliedern existirte. Schlegel erhielt diese Documente
und alle andern Beweismittel vom Governement zu seiner Ver-
fügung. Auf Grund dessen verÖHentlichte er sein obgenanntcs
berühmtes Werk, wozu er jedoch nicht die geringste Unterstützung
seitens der Chinesen erhielt. ^Ich konnte keinen einzigen unter ihnen
finden" sagt er, „der mir auch nur die allergeringste Äusserui^
hierüber geben wollte."
Nichtsdestoweniger gelang es doch später dem Mr. W. A. Pi-
ckering, Protector der Chinesen und Registrator der Geheimen
Gesellschaften in Singapore bei den Häuptern der «Hung" Lt^
ein solches Vertrauen zu gewinnen, dass sie ihm erlaubten an
einigen ihrer Versammhmgen teilzunehmen, aber er schmeichelt
sich nicht mit dem Glauben, dass der Ritus, der in seiner Gegen-
wart vollzogen wurde, derselbe sei, der unter andern Umständen,
d. h. bei seiner Abwesenheit ausgeführt worden wäre.
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Die T^ien-Ti, oder ^Htmg" Lo<^c beansprucht ein undenkliches
Alter. ^Seit der Erschaffung der Welt" sa^t der Catcchismus,
„trai^en wir den Namen „//////^<,'-"." Als Hauptbeweis des hohen
Alters dieser Loge gilt die Ehruns^f der Helden Liu-pi, Tchang-
fi, und Kwan-yü, deren Ruhm im Jahre 184 a. blühte.
T^ien-Ti'Hiuey bezeichnet soviel als Vereinigung von Himmel
und Erde. Ihr Symbol ist das Dreieck. Auffallend ist die Rein-
heit ihres Moral Codex: Gleichheit der Menschen, Wohlwollen,
die Vergebung von Beleidigungen, werden darin immer und immer
erwähnt. Wie es jedoch in der Wirklichkeit damit steht, werden
wir gleich hören.
Dieser Bund besitzt noch einen andern Namen, Savi-hap, über-
setzt „Dreiheit", mit welchem Namen er mehr unter Ausländern
bekannt ist; aber die Bedeutung ist dieselbe, — Himmel, Erde,
Mensch. Praktischer bezeichnend ist der Titel „Hung" Loge.
jHun^;*' -teilt für „Wasser", auch „viel" also figürlich ^allesumfas-
send*'. Auf Grund dieser bezeichnenden Titel beansprucht der
Bund Treue und Hingebung von alUn Chinesen. Er hält sich be-
rechtigt jedes Mittel anzuwenden, um sich der Bekehrten zu ver-
sichern und jene zu strafen, welche den Bund verwerfen. Die
, Rechte" der katholischen Kirche im Mittelalter sind eine genaue
Parallele. Die , Einführungen" erfolgen daher weniger freiwillig,
meist gezwungen. Jede Loge hat eine Anzahl Tai-ma ^ ||| ,
deren Pflicht darin besteht, Rekruten zu erjagen. Nachdem eine
Person herausgefunden wurde, deren Beitritt aus einem oder dem
andern Grunde erwünscht oder von Vorteil wäre, so wird sie durch
eine kurze Notiz aufgefordert, sich an den und den Ort zu bege-
ben. Der es unterlässt, dieser Aufforderung nachzukommen, thut
am besten die Nachbarschaft zu verlassen und seine neue Adresse
zu verheimlichen. Prügel oder eine falsche Anklage würden ihn
sicher treffen und er könnte von Glück sagen wenn ihn nichts
ärgeres träfe. Aber Niemand wird sich weigern dem Befehle nach-
zukommen, ausser er zieht ein Exil vor. Jedoch, wenn es schon
sein muss, so bringt auch die Mitgliedschaft Ersatz dafür. Oder,
der vom „Schicksal" bestimmte wird in einem öffentlicher Locale
angehalten und aufgefordert, dort und dem zu folgen. Ja, wenn
sich Gelei^enheit bietet, so wird er auch mit Gewalt an den be
stimmten Ort gebracht. Eine beliebte Weise ist auch die: Der
Aufgeforderte erhält einen Schlag ins Gesicht. Er verfolgt seinen
Angreifer und eine Anzahl eingeweihter Spaziergänger beteiligen
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sich an der Verfolgung, welche sie zu einem entlegenen Platze
führt, wo sie plötzHch den Angegriffenen anfallen.
In allen Ländern wo die T^ien-Ti bestehen, befinden sich ihre
Logen an den geheimsten, unauffindbarsten Plätzen. Der Eingang
ist so compUcirt wie nur möglich, jeder Zugang ist mit Fallen,
Fallgruben, etc. unter Aufsicht bewaffneten Manner umgeben, j
welche sich verborgen im Busch, zwischen den Bäumen etc. auf-
halten, natürlich nur wenn eine ^Versammlung" abgehalten wird.
Das erste Thor welches zur Loge führt heisst «Ang" jjjOC* Gegen^
über dem ,Ang" Thore liegt das Ost Portal mit den bewaffneten
Wachen und Officiren. Nord, Süd und West sind ebenso bewacht, ^
jedes Thor unter der Aufsicht eines , Generals" mit seiner Flagge7*<
Wenn man von Osten die Loge betritt, so kommt man in den '■
, Rothen Blumen Pavillon" fk't^i^f wo ein Bassin mit Wasseryj
aus dem «heiligen Sam-ho" ^ jgf Flusse zur Reinigung der „See- 1|
len*' gehalten wird. Dann passirt man durch den Kreis des , Him-
mels und der Erde" zur Brücke, an welcher der «Rothe Jünger"
mit einem Speere bewaffnet sitzt, um jene Unwürdigen nieder- |
zustechen die der Wachsamkeit des So-Ang-Kuang am «Angf" j
Thore entgangen Nächst der Brücke liegt der «Markt des Welt- 1
friedens" und der Tempel «des Friedens und der Glückseligkeit'*.
Hier sind wir nun in der «Statt der Weiden" oder «Pfirsich Garten" '
genannt, in der Loge selbst. Wenn jemand dies liest und glaubt
im Geiste, ein mit vierfachen Wällen umgebenes Gebäude zu sehen,
der ist im Irrthum. So sind sie in Singapore, wo sich die Geheimen
Gesellschaften ohne Furcht schöne Logenhäuser erbauen konnten.
Aber anderswo ist alles viel ernster: Die Gitter solid, die Brücke
gefährlich, die Schwerter scharf und die Wachen nur zu bereit,
sie benützen. Eine Loge der «T^ien-Ti" ist ein kleines befestigtes
Lager. Vom. »Ang'* Thore «bis zur Stadt der Weiden" sind es
mehrere Kilometer, verderbenbringend und verhängnissvoll mit
jedem Schritte für den Uneingeweihten. — Um die Ceremonien
der «Einführung" zu beschreiben, die ausserordentlich interessant
sind und einige Ähnlichkeit mit jenen der Freimaurer haben,
müsste man ein dickes Buch liefern. Kurz: der Novize wird von
dem «General" ausserhalb des «Ang" Thores empfangen. Er muss
entweder mit ganz neuen weissen Kleidern, oder wenn davon
dispensirt, mit frisch gewaschenen Kleidern versehen sein. Der Zopf
ist lose, als Zeichen des Widerstandes gegen die Mandschu Dynastie;
seine Taschen geleert, seine rechte Schulter und seine Knie nackt.
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So vorbereitet muss er seinen Namen, Geburtsort, etc., dem
jRegistrator** angeben, einen Betrag von circa lo fl. entrichten
^ '■' und kniend warten. Der Wache-General des »Vau" Theres hat
unterdessen den „ Meister*' um die Erlaubniss gebeten, einen No-
^ vizen einitihren zu dürfen, welcher sodann sofort durch's Thor,
und einen aus Schwerten gebildeten Gang, und unzähligen For-
malitäten zur , Stadt der Weiden'* gebracht werd. Der Spektakel
^ nun ist hier unbeschreiblich. Nach Abnahme eines feierlichen
^ Eides in 36 Artilden, die Gesetze und Vorschriften der Loge zu
mütt befolgen, erklärt der Novize, dass alle seine Verwandten, etc. für
2cr ihn „tot** sind, weil die Mitglieder durch keine verwandschaftlichen
Bande gebunden sein dürfen. Vor dem Throne des , Meisters'*
dei liegt der Novize nun hingestreckt, die Schwerter der 8 »Ritter**
berühren seine nackte Schulter, bis seine Aufnahme ausgesprochen
ist. Dann wird ihm eine Tasse mit »Arrack" gereicht, er ritzt
seinen Arm und lässt ein bisschen Blut in die Tasse tropfen,
worauf er selbe austrinkt. Nächsten Tag erhält er vom Logen-
SekreÜlr die einfachen Fassworte und. Zeichen, sowie ein Instruc-
tionsbuch, — aber die noch zu erlernenden , Geheimnisse** sind
endlos.
Die T^ien-Ti bestehen aus 5 Grosslogen — in Fuk-kien, Kwang-
tung, Yun-nan, Hunan, und Tsche-kiang — einer von diesen sind
alle Zweiglogen unterf2;eordnet. Die , Meister" dei i^ciicuinten Logen
haben als „hoher Rat" die Z\veiglü<^en in allen Teilen der Krde
zu leiten, wenigstens ist dies die Theorie. Jede Localloge hat
ihren Präsidenten, zwei Vice-Präsidenten, einen Meister, zwei Ein-
führer, einen Cassier, und 13 Berater (Ritter), von welchen acht (8)
ein „quorum" formiren. Die Mitgliedcrzahl wird auf mehrere Mil-
lionen c^eschätzt. Nachdem wir auf die Or<:^anisation der T'^ien-Ti
einen l<urzen Überblick geworfen haben, müssen wir noch ihren
wirklichen Einfluss in Betracht ziehen. Gewisse Artikel ihrer
Eidformel unterstützen uns hier. Einer der ersten Artikel darin,
•'^1 befiehlt jedem Mitgliede sich bloss um seine eigenen Angelegen-
heiten zu kümmern, der zweite verbietet unter Strafandrohung
j einem iV^'cÄ Mitgliede Vertrauen 7,u schenken; der 34. Artikel
■\ verurteilt ihn zu einem grausamen Tode, wenn er Polizei, Magistrat
• i oder sonst eine Regierungspersönlichkeit in irgend einem Ealle
•I anruft, unter allen Umstanden; der 35. verspricht ihm ein fürch-
terliches Loos wenn er Zeugenschaft vor Gericht ablegt — ausser,
: wohlverstanden, auf Befehl seiner Vorgesetzten — das ist gewöhn-
lich für falsches Zeugniss.
II
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l62
In der Ansprache des „Meisters" an die Candidaten wird schon
gesagt, dass alle Klagen, Beschwerden, u. s. w. dem „Meister" vor-
zul^en sind, welcher Recht und Urteil schaft — niemals aber
sich an ein Gericht gewendet werden darf. — Diese Grundsätze,
die Verwerfung der ganzen öffentlichen Gerichtsbarkeit und die
Ausübung ihrer Macht durch ein unverantwortliches Tribunal hat
ein „imperium in imperio" hervorgebracht das faulste, blutigste
und drückendste, was in dieser Hinsicht bestehen kann; die ,Hung"
Loge hat Bruderkrieg und Mord noch überall hingebracht, wo sie
besteht.
Die Colonial Filiallogen der T^ien-Ti sind gegeneinander mörde-
risch feindlich gestirnt. Sie haben, faktisch, kein raison d*^e —
ausser der Feindschaft gegen die Mandschu, sehr unbestimmt in
Wirklichkeit, ausser interne Kri^e. — Ihre Häupter besitzen
enorme Reichtümer. Chang Ah Kwi, ein Hauptmitglied der
Gin-seng Zweigloge in Penang, besass 2 Millionen Pfund Sterling,
als er wegen eines Mordes hingerichtet wurde. Sein Complice,
der zugleich mit ihm in Untersuchung sass, war ebenso reich; der
Districts-Grossmeister Khu-Than^Tek, welcher vom obersten
Gerichtshofe ebenfalls formell verurteilt wurde, erklärte, dass das
Governement ihn nicht hängen dürfe — und er bewies insofeme
dass er Recht hatte, weil er begnadigt werden musste.
Die Arbeit dieser Wühler in China ist unnötig zu detaillieren;
Fast zwei Jahrhunderte kämpft die kaiserliche Regierung gegen sie,
und mit welcher Strenge, ist daraus zu ersehen, das in CanUm an
einem Tage 3000 Mitglieder geköpft, und circa 10000 in die Ge-
fängnisse bei Peking gesteckt wurden, wo die meisten von ihnen
in Folge der Unruhen im Jahre 18 17 zu Grunde gi engen.
Die nächste grosse geheime Gesellschaft nach der T^ien-Ti ist
die tlcr ^Wn-Wci-Kiao''^ 5^ Das hcisst „Thue Nichts,
Lehre" oder ^Lehre der Enthaltsamkeit". UiT^cre Bekanntschaft
mit ihr ist nicht gross, weil sie in den Colonien, soviel ich weiss,
fast gar nicht vertreten sind, und sie in China mehr c^efiirchtet
und gehasst als die TSen-Ti Loge ist. Trotzdem gelang es mir
während meines Aufenthaltes in China einiges über sie zu ergrün-
den. Es erscheint als gewiss, dass die Wu-Wei-Kiao die directen
Abkömmlinge der „Weissen Lotus" Loge sind, einer Gesellschaft
welche eine furchbare Rolle in der chinesischen Geschichte spielte.
Zu allererst wird ihrer in einem Edikt des Kaisers Yung
Tching, 1727, gedacht, das gerichtet ist gegen geheime Gesell«
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schaden und falsche Gesetze, .welche," sagt das Edikt, Jene
sind die das Volks aufreizen zur Rebellion, unter dem Vorwand,
ihm Tugenden gleich den Gesetzen der «Weissen Lotus*' einzu>
prägen*
Ich vermute, dass die Religion in diesem Bunde einen grössern
Einfluss hat als bei andern. Färbige Kleider sind verboten. Die
Mitglieder gehören zu den allerstrengsten Vegetarianern ; sie be-
nützen keine spitzigen Instrumente; ja noch mehr, ihr ganzes Hab
und Gut wird dem Bunde zur Verfügung gestellt. Auch Frauen
können beitreten. Eine ^osse Anzahl der Mitglieder gehört der
reichen Classe an, wodurch die Loge über grosse Summen verfugt.
Wie es auch immer mit der T^ien-Ti Loge bestellt sein mag, ge-
wiss ist es, dass die Wu-Wei-Kiao Loge nur durch eine Person
geleitet wird. Ein gewisser Fang Yung-Chen war Grossmeister
wahrend der Regierung des Kia-king, und er fasst, angestiftet
von seiner Gattin Ma.-erh Ku-liang den Plan, den Palast in
Peking in die Luft zu sprengen. Viele Monate wurde der Plan
ausgebrütet, und obzwar dabei mehrere tausend Personen, männ-
lich und weiblich, beteiligt waren, so erfuhr die Regierung doch
nicht die geringste Andeutung davon. Erst als die Verschworenen
den Palast betraten, verlöschte plötzlich ein starker Windstoss die
Lichter, und einige der Verschworenen, von panikartiger Furcht
gepackt, schrien auf, wodurch die Wachen alarmirt wurden; so
kam das projectierte Attentat zur Kenntnis der Regierung. Dies
geschah im Jahre 18 10. Kaiser Kia-king übte von nun an seine
volle Macht zur Vernichtung der „Weissen Lotus" Bruder aus.
Ihr Hauptquartier war damals gerade wie jetzt in der Provinz
Nanking, wo die Brüder zu den Waffen griffen und sich durch
einige Monate verteidigten. Doch die Gefangennahme des Gross-
mcisters Fang-Yung-Chen nach einer verzweifelten Sclilacht
beendete die Revolte. Viele Tausende wurden i^afangen, so viele
dass sogar ein chinesischer Vicekönig geneigt war, gnädig gegen
selbe zu verfahren. Er machte ihnen den Vorschlag, sammtlichc
Todesurteile über jene aufzuheben, welche einwilligen wurden,
Fleisch zu essen. Sehr wenige gingen darauf ein. Aber der l^und
prahlt, cLl'^'s jeder dieser Wenigen vom „Bunde" nachher gefangen,
verurteilt und gemäss den ^Bedingungen" des verletzten Eides
hingerichtet worden sind.
So heiss und so lang wurde nun die Verfolgung der „Lotus"
Brüder fortgesetzt dass sie sich ent.schlo.s.sen, den Namen ihrer
Loge von ^Weisse Lotus" in , Wu-Wei-Kiao" (D. h. ,Thue Nichts")
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abzuändern. Es ist mir nicht bekannt dass sie seit dieser Zeit eine
offene Bewegung gegen die Mandschu Dynastie versucht hätten.
Aber der Einfluss dieser Loge ist gross und scheint sich fort aus-
zubreiten. Sie arbeiten mit der Furcht der Bevölkerung, welche
die ,Wu-Wei-Kiao" als eine Bande von unheimlichen Zauberern
betrachten. Alle Arten von Teufelsg^ewalt werden ihnen beigelegt.
Ich wurde von erfahrenen und intelligenten Chinesen allen Ernstes
versichert, dass die Genannten im Stande seien, aus Papier Vögel
herauszuschneiden, und sie mittelst einer gewissen Hexerei mit
Leben und Bewegung zu erfüllen. Durch eigene Anschauung
glaube ich, dass einige der „Häupter** es durch fortgesetzte Übung
dahin gebracht haben, ihren Atem eine unglaublich lange Zeit
zuzückzuhalten. Sie werden dann ganz schwarz im Gesichte und
fallen in eine Art Starrheit; „inzwischen** heisst es, „verlässt die
Seele den Körper und sammelt Informationen über alle möglichen
und unmöglichen Sachen ein.'* Wenn die Starrheit vorüber ist
kommt die „Seele** zurück, der Atem funktionirt wieder und die
„Offenbarung** wird verbreitet. Einmal versäumtes ein Mann seine
„wandernde Seele** zurückzurufen, und er starb — zum grossen
Missbehagen seiner „Brüder**.
Eine andere mächtige Gesellschaft ist die Ko-Lao-Hwey'^ ^
oder Loge des Altern Bruders. Sie besteht erst seit der Taiping
Revolution; wie der Bericht lautet, errichtete sie General Tseng-
Kuo-fan ^ ^ während der Belagerung von Nanking, Es
ist dies ein sehr gefahrlicher „Bund", mit immer mehr zunehmen-
der Stärke. Nachdem die T^ien-Ti ihren Sitz in Hok-kien, und
die Wu«Wet-Kiao in Nanking haben, so errichtete die Ko-Lao ihr
Hauptquartier in Hunan und Honan, den Centraiprovinzen. Sie
geben sich als „Vertreter der reinen chinesischen Rasse", den
Söhnen Han*s, aus, zu welchen die Einwohner des Südens und
Westens so entfernt stehen wie die Tataren. Diese Unzufriedenen
stehen hinter der Ming Dynastie, wie schon der Name der Loge
„Altere Brüder*' sagt, zur Hauptlinie des Tang, welche schon
längst als ausgestorben vermutet wird, aber zweifellos wird ein
„Propfreis vorkommen, wenn der Thron mal erledigt sein wird.
Dieser Bund besteht meist aus Soldaten, einer desperaten und
missachteten Bande; dort wo sie Einfluss haben bestehen sie aus
einer colossalen Anzahl schlechter Charactere. Der „Ko-Lao** ist
faktisch ein Militärbund. Ihre Agenten reisen gewöhnlich als
„Arzte**, Nachrichten bringend von einem Punkte zum andern.
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und machen auf ihren Wegen Proselytcn. Eine (jcscilschaft von
alten Soldaten, die den Zweck verfolgt die Civil-Macht zu stürzen
ist natürlich sturmbewegt. Die Ko-Lao haben auch während ihrer
kurzen Existenz bereits mehrere Revolten anq^efacht. Im Jahre
1870 und 1871 veranstalteten sie frcfahrliche Unruhen in Hunan,
aber die grosse Bewegung wurde durch einen glücklichen Zufall
niedergeworfen. Ein geheimer Brief, welcher den Plan enthielt das
Pulver-Magazin in Hukow in die Luft zu sprengen, gelangte aus
Versehen an eine falsche Adresse. In diesem Briefe waren mehrere
der Hauptanstifter mit Namen genannt, welche sodann ergriffen
und promptest enthauptet wurden, und es gelang für eine Zeit
diese »Loge" zu unterdrücken.
Es giebt noch viele andere Geheimbünde, die ich hier gar nicht
anfuhren kann. Die Mohammedaner, die officiell mit 20 — 25 MiU
Honen angenommen werden, haben einen geheimen Bund, den
^Hwuy-Hwuy'Jin/^^ [eI ImI ^ • ^^'^ Neuaufgenommener muss sich
vor der Einfuhrung einer gründlichen Reinigung unterziehen und dies
geschieht durch — tüchtige Prügel! Nachher wird über ihn die
^qucstion de l'eau" verhängt, — indem er eine ungeheure Quan-
tität Wassers mit Seife trinken muss — damit alles Schweinefleisch
und »Unreine" aus ihm herausgetrieben wird. Aber seit den furcht-
baren Massacres zu Kaschgar sind diese Sektirer eingeschüchtert.
Tientsin hat die Tsai-U-Hwey, augenscheinlich eine religiöse
Loge. Die Mitglieder kleiden sich nur in Weiss, sogar weisse Hüte
und Schuhe müssen sie tragen j sie enthalten sich aller geistigen
Getränke, Opium, Tabak, und fallen in Extase, wenn sie beten.
Nachdem sie leicht erkennbar sind, so werden sie sehr verfolgt.
Andere Gesellschaften, deren Geheimnisse voUstandii; unbekannt,
sind die Tsze-T^ivan-Kiao, und die Tan-Pei-Kiao. Uber die erste-
rcn konnte blos das ermittelt werden, dass sie fast nur kleine
KIÖHse essen, jedenfalls hat dies eine symbolische Bedeutung. Die
Letzteren knien auf einem i^rossen Teppich uiui beten; in einem
gewissen Momente werden die 4 Ecken des Teppichs gehoben,
über die Köpfe gezogen, und festgemacht. Der in Verzückung
geratene „Inhalt" verfällt in Starrsucht und prophezeit. Unser
Wissen über diesen Punkt ist sehr gering und dieses Wenige
wurde nur durch ihre Feinde, die Mandarinen, der Öffentlichkeit
bekannt gegeben.
Was die einzelnen »Logen für gute Werke" anbelangt, so giebt
es deren eine Legion.
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Der Tote in Glaube und Brauch der Völker.
Eine Umfrage.
II. In Portugal. Theophilo Braga schildert in seinem Werke
„Ethnographia Portugutv.a" Lissabon i886, livraria Ferreira, in
einer historischen Zusammenstellung die Trauerriten in Portugal.
Der Ritus der Totenbestattung lässt sich nach seiner Zusammen-
setzung und Verschiedenheit der Ausiibungen beim Tode und
beim Gedenken der Verstorben cn , in drei Gruppen einteilen ^
l) Was die Beisetzung der Vcr t iDenen betrifft. 2) Was sich auf
die Hcilighaltung seines Gedächtnisses an den Jahrestagen bezieht.
3) Was aus dem Aufgeben des Kultus entspringt, wenn die Toten
böse Geister werden, die Furcht erregen, und nur durch, bestimmte
Handlungen wieder zu versöhnen sind.
Der Gebrauch, die Alten oder Unheilbaren durch die Hand der
eigenen Verwandten zu töten, gehört den Zeiten an, wo Mangel
an Existenzmitteln oder Kriegszufälle den Stamm zu diesem ge-
waltsamen Hilfsmittel nötigten.
Diese Sitte muss demnach tiefe ethnologische Wurzeln haben,
da sie noch in volkstümlicher Erinnerung besteht uud auch aus-
nahmsweise noch geübt wird
In den Dörfern giebt es gewisse Weiber, die in die Häuser
gehen, um den Leidenden „beim Sterben zu helfen" und die beim
Todeskampf am Kopfende des Lagers rufen, um den Teufel zu
verjagen: „Sprecht mit mir aus dem Grunde der Seele: Hilf
Jesus, ich sterbe!" !
Dieser Zug findet sich noch primitiver in Nisa, wo diese Weiber
die Schmerzstillenden (despenadeiras) genannt, zur Beschleunigung
des Todeskampfes dem Sterbenden den Brustkorb eindrucken. '
Manchmal bitten sc^r dann die Kranken »ihnen noch nicht die
Schmerzen zu stillen." 1
Von der Gemeinde in Cabreira wird berichtet: ,In den ersten
Zeiten der christlichen Kirche führten die Söhne, wenn die Eltern
nicht mehr arbeiten konnten, diese an eine abschüssige Stelle des ,
Berges und stürzten sie in den Fluss." \
Die Behandlungsweise der Leichen, das Beerdigen, Verbrennen
1) Daiübei vcrgl. T. Sartori's gruudlegende Untersuchung: Die Sitte der Alten
tötung. (Globus).
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oder Aussetzen, 'entspricht den verschiedenen Racen und Kultur-
epochcn.
Die Verbrennuiiä^^ der bekleideten, juwelcngeschmückten Leiche
herrschte bei den Lusitaniern und Galliziern und ist echt celtisch.
Es werden Aschenurnen erwähnt, die sich in Gallizien in den
Tumuli gefunden haben.
Die Grabhügel — die von einer prähistorischen Bevölkerung
hinterlassen wurden, finden sich noch häufig in Portugal, (in der
Volkssprache heissen sie mamoas, antellas, und antinhas), trotz-
dem schon ein grosser Teil durch Ackerbau oder gelegentliche
Schatzgräbereien zerstört wurde.
Dr. Martins Sarmcnto giebt eine Notiz über die Hügel im
Valle Ancora, von denen einige gruppenweise zusannnenliegen :
„Die Prüfung der Dolmen und der Tumuli in Ancora zeigte, dass
sie immer einen kleinen Hügel bildete, der Grösse des Grabes ent-
sprechend, und der immer in derselben Weise aus Erde und
Kiessand bestand." (Revista „O Pantheon" pag. 4).
Die Gegend zwischen Citania und Sabroso, wo sich ehemals ein
solcher Grabhügel befand, heisst noch immer Monte d'Antella; in
Pampolide hat das Campo das Antinhas verschiedene in den Fel-
sen sich fortsetzende, offene Grabstätten.
In der christlichen Zeit begrub man in Portugal nur an ge-
weihten Plätzen, also in den Kirchen oder auf dem Vorplatz der
Kirche — man warf Steine auf die Gräber und nannte die Hügel
a Gläubige in Gott" oder „Montes Gaudios". Im Elucidario des
Viterbo ist davon die Rede: „In dem ganzen Reich sieht man
diese Steinhaufen auf den Strassen, und es besteht kein Zweifel,
dass sie absichtlich und nicht zufällig errichtet wurden.*'
Viterbo führt den Brauch auf griechischen Ursprung zurück,
von der Sitte abgeleitet zu Ehren von Hermes oder Merkur Steine
zu werfen, um die Reise glücklich zu vollenden — aber der Gott
der Reisenden war ursprünglich ein Psychopompus, der Seelen-
fiihrer der Toten, und daher muss man auf den mythischen Ur-
sprung dieses Bestattungsbrauches zurückgehen.
Aus der Provinz Minho bemerkt Teixeira Bastos: ,Wenn
ein Dorfbewohner an einem Kreuz vorübergeht, das an eine
Mordthat erinnern soll, betet er fUr die Ruhe des Toten und wirft
einen Stein zu dem Hügel des Kreuzes zu. Zuweilen trägt er
wohl auch solchen Stein von weither zu, wenn in der Nähe keiner
mehr zu finden ist, um dem Brauch nachzukommen. Wenn nun
die Sitte des Steinwerfen's auf die Gräber gegenwärtig nicht mehr
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besteht, -,o halt doch in den landHchcn Distrikten die Trauerbe-
glcitung für relij^iösc Pflicht dem Verstorbenen eine Piand voll
Erde in 's Grab zu werfen.
In den Volkssagen Portugals finden sich noch Spuren von
GrabbaunT.-n, vulüg in einer mythisch anthropoloc^dschen Bedeutung.
Man pflanzt in der Gegenwart die Cy presse in dem gleichen Gefühl
der Trauer auf die Graber, wie sie einst in römischer Zeit vor
dem Hause des Patriziers das Zeichen der Trauer bedeutete.
Der Baum des Grabes ist in der Romanze vom Conde Ninho
beschrieben :
Hincr starb und dann die andere,
L'nd man eilt .sie zu bestatten.
Aus diesem wächst ein Fichtenbaum
Aus jener dort die zarte Finte.
Einer wäch>it und auch die andere
Und die Gipfel einen beide.
Als der Kihtig geht snr Messe
Sie den Weg ihm hindernd schrankeil.
Flugs befiehlt der böse Herrscher
Dass man alsobald sie fälle.
Aus dem einen lautre Milch fliesst,
Aus dem andren echtem Blut.
Fluchtet hier die scheue Taube
Und der Tanber von den andrai • • • •
Wir sehen hier wichtige mystische Zuge, der Baum der Blut
flicssen lässt, der Fichtenbaum als den Toten heilig, und die Taube
als konkrete Form der abgeschiedenen Seele. Die gleiche Wech-
.selbcziehung zwischen Leben und Tod die sich durch die gewor-
fenen Steine und die totenheili^^en Bäume ausspricht, ist es auch,
die flie Gesänge und Trauertanze bei der antiken Leichenverbren^
nung und Bestattung veranlasste.
„Nenias"-Klagclieder , hiessen die von Tänzen begleiteten Ge-
sänge, die man bei den Scheiterhaufen anstimmte» und die die
Römer laudes nannten. Titus Livius bezeichnet sie als tripudia
Hispanorum; Silvis Italico bringt eine Anspielung auf die
barbara carmina der Lusitaner, die den Römern so eigenartig er-
schien, dass sie solche als Hiberae naeniae bezeichneten.
Diese Gesänge herrschten in der Tradition des Westen's und
gingen in die volkstümlichen Gebräuche der „Voceros Clamorcs"
(Klagelieder) und der Klageweiber (^Carpideiras" über. Die Kirche,
die die Volkssitten unterdrückte, verbot diese Ceremonien, die das
moralische Bindeglied zwischen Familie und Vaterland darstellen.
Costa, in Foesia populär espaiihola stellt fest: ,An den Seiten
der Pyrenäen giebt es noch heute Teile der Bevölkerung, die bei
dem Tode der Kinder, der Eltern, Gatten, öffentlich den Schmerz
ausdrücken, indem sie die Vorzüge des Verstorbenen hervorheben/*
Der frühzeitige Tod des Kronprinzen und einzigen Sohnes von
l) Man vei^l. die Umfrage Les arbtes culrekcees in Gaidoz* Melusine.
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Alfonso VI im XI. Jahrhundert, veranlasst den eigenen Vater zu
dem folgenden Klagelied, von Sandoval überliefert:
Weh! mein^Sohn! Weh! mein Sohn!
Du Freude meines Herzen*»!
Licht meiner Augen!
Trost meines Alters l
Ach! mein Spiegel
In dem ich mich sah.
An dem idi hatte
Vid grosse Freude!
Ach! Du mein Erbe!
Ritterl wo licssot Ihr Ihn?
Giebt mir meinen äohn wieder, Fürsten!
Auch bei dem Tode des Königs Don Diniz, des Troubadours»
machte ein fahrender Sänger folgende Reime:
Verliebte, die vereinigt Liebesband,
Wie müssen sie fühlen so grosses Leid,
Und nimmermehr haben etliche Freud',
Da sie verloren den. Herrn, den so gut
[man erfand,
Wie den König Dou Diniz von Portugal.
Das Adelsgeschlecht und der Bürgerst and
Die vom Könige hatten gar reichen Schoss,
Die Herren und der Knappen Tross
Sic müsslen sich töten mit eigner Hand,
Sie verloren den Herrn, den so gut man
[erfand.
Hier ist eine Anspielung auf die Totenopfer der Barbarenkönige,
bei denen Frauen, Freunde und Sklaven geopfert wurden.
Die Totenlieder und Tänze haben ähnliche Züge mit den Wall-
fahrtsfesten, die die Bevölkerung aus der Umgegend Lissabon *s
alljährlich nach der Grabstätte des Condestavel, Nuno Alvares
de Ferreira, führt.
Der brado, die Veranstaltungen des Volkes bei der Totenklage
erscheint in der Form des baladro, eine Dichtungsart, die sich in
der portugiesischen Literatur zu einer Art Spezialität herausgebil-
det hat; ein Beispiel davon bietet der baladro des Merlim
Garcia de Resende beschreibt die Vorgänge beim Tode des
Fürsten Alfonso am 12. Juli 149 1.
,Und dadurch erhob sich unter Allen ein sehr grosses, trauriges
unglückseliges Leid. Man gab sich viele Backenstreiche, viele
ehrenwerte Bärte und Haare wurden abgeschnitten. Die Frauen
zerkratzten mit ihren Händen die Schönheit des Antlitzes, dass
das Blut floss, eine so erstaunliche und traurige Sache, die man
niemals sah, noch vermutete. Der König Hess sich des grossen
Verlustes und der grossen Trauer wegen scheeren. Und die
Prinzessin schnitt ihr kostbares Haar ab, kleidete sich ganz in
grobes Zeug und bedeckte den Kopf mit schwarzem Stoff. Und
am Hofe und im ganzen Reich war kein Herr noch vornehme
Person, die sich nicht scheeren Hess. Und das arme Volk, das
i) So ist die Balata eine dramatische Totenfeier der Griechen, die durch ein Geseta
des Solon verboten wurde — ebenso der Lessus, der als barbarische Sitte von den
Zwölf Tafelgesetzen aufgehoben wurde.
I/o
nicht Geld hatte, um grobes Sacktuch zu kaufen, wovon die Elle
3CX) Reis kostete, ging die Zeit über mit umgewendeten Klei-
dern .... und weil nicht soviel Sacktuch vorhanden war, verkauf-
ten die Bauern und niederen Leute ihre Bettücher im Preise von
feinem Tuch» und die Leute hüllten sich in Säcke und Decken
vom Vieh."
Über die Leidtragenden vom Kloster äussert er sich: «Und
viele sah man, die auf dem Leichengerüst sich grausam den Kopf
schlugen, dass es war, als ob die Köpfe zerbrachen, und hatten
alle Haar und Bart geschnitten und gaben sich viele Backenstreiche.
So thaten es Männer wie Weiber etc."
Die Totenklage, die man über den Tod des Fürsten Don Al-
fonso sang, von Gaston Paris in einem Manuscript des XVI.
Jahrhunderts aufgefunden, lautete:
Weh! Weh! Weh! Welch grosser SchineR! In ihzem KonigsscUosse
Weh! Weh! Weh! Welch grossei Leid! Mit der Infantin von CastiUen
So sprach die Königin Prinzessin von PortngaL
Vier weiter erzählende Strophen folgen, immer von dem düstren
Refrain begleitet. Gregorovius beschreibt diese Gebräuche und
sagt, dass die Frauen dythriambisch improvisierten, und der Chor
bei jeder Strophe schrie:
Deh! Deh! Deh!
Bei der Totenkiage um den Fürsten Don Alfonso:
Weinten alle Frauen ) Difi Verheimteten und Unverheirateten.
Im löten Jahrhundert wiederholt sich die Ceremonie der Toten-
klage, und wenn sie sich auch etwas verwischte, so erhielt sich
doch auf den Dörfern die Sitte und wurde am Hofe durch die
starre Etiquette festgehalten.
Frei Luis de Susa schreibt von dem Tode des Königs Don
Manuel: „Am vierlen Tage nach dem Tode wurden die Trauercere-
monien angeordnet von denen, die der Stadtver ualtuiig vorstanden.
Geordnet schnUen die Schoppen zu Fuss einher, in grosse Traucf-
kapuzcn gehüllt, mit schwarzen Stäben in den Händen. Sie be-
gleiteten ein langes schwarzes Banner, das der Stadtbannerträger
trug, der auf dem Pferde ritt und die Zipfel des Tuches auf der
Erde nachschleppen Hess. In solcher Ordnung zogen sie durch die
Hauptstrassen der Stadt, von den Herren und vornehmsten Edci-
leuten des Hofes gefolgt. An drei besonderen Plätzen zogen sie
vorüber, wo sie die Schilde zerbrachen, die von ehrenwerten Kam-
merherren auf dem Kopfe getragen werden mussten. Diese schwarzen
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Wappenschilder sahen traurig aus und das Zerbrechen derselben
sollte dem Volke das Fehlen eines Herrn versinnbildlichen, der
mit tapferem Schild seine Länder geschützt und die Fahne immer
hoch gegen die Feinde getragen hatte ').
In den Volksliedern sind noch Reminiscenzen der teilweis ver-
schwundenen Bräuche enthalten. In der „wunderbaren Geschichte
meines Alten" ist eine Art Parodie der Klagelieder oder Toten-
gesänge mit Beziehung auf die Schmerzstillenden" die Klageweiber
und die auf die Gräber geworfenen Steine, erkennbar:
Ich limd meinen Alten tot
Tn der Kelter vor dem Stein
Mit einer Heugabel warf ich UuHf
Und ntaclite ilin gant tot.
Dann holt ich die Klageweiber
Dass er beweint werde.
Gut oder scUeclit geweinet
Der Alte wird b^raben.
Der Stein, den ich ihm werfe
Sei hundert Centner schwer.
Im Kirchspiel von Suajo (Arcos) pflegen die Klageweiber, den
Rock über den Kopf geschlagen, zu Füssen des Toten zu weinen,
damit sie ein Stück Kabeljau, Brod und ein Quart Wein, oder
statt dessen baares Geld erhalten. Der Rock über dem Kopf, ent-
spricht dem alten Trauergebrauch den Kopf zu verhüllen.
In der Gemeinde von Deäo ist es üblich, dass beim Todes&U
die Verwandten am nächsten Tage in die Kirche gehen. In Ka-
puzen gehüllt, die Ränder der Hüte niedergebogen, die Arme
gekreuzt, d. h. die Hände unter die Achseln gesteckt, bleiben sie
sitzen ohne das Haupt zu entblössen, resp. aufzustehen, wenn
Hostie und Kelch hochgehalten wird. Die Frauen klagen laut,
rufen San Pedro an, dass er den Verstorbenen so früh von dieser
Welt genommen.
In einem Dokument aus dem 14. Jahrhundert werden zwei
Arten der Trauer erwähnt, die eine, ein Jahr lang von der Diener-
schaft gehalten, heisst: Die Sacktrauer oder weisse und grobe
Zeugtrauer; die Stammtrauer, die den nächsten Verwandten zu-
kam, ist die eigentliche Trauer. Hieraus erklärt sich aucli die für
die Könige festgesetzte Trauer, die ihr Volk als Vasalien be-
trachteten
Nach dem Tode Don Joäo am 31 Juli 1750 verordnete der
Senat von Lissaboi! im i. August, dass arme Männer Kappen
und die Frauen Hauben, aber nicht gekräuselte, tragen sollten.
1) Annaes de Don Joau pag. 20. Wie Spencer fcisthlelU, geschah das (ilciche
noch bei dem Tode der Donna Maria II, und bei Don Pedro V, 1861.
2) Im Vertrage von C>oa mit den Engländen werden die Portugiesen Vasallen des
Königs von Portugal genannt.
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1/2
Ausserdem musste die Trauer zwei Jahre dauern. Das erste Jahr
tief, dann Halbtrauer; ebenfalls bestimmte dann noch die Kammer
am I, Aug. d. J. 1750, dass alle Bürger dem Schildbrechen beizu-
wohnen hätten, in tiefer Trauerkleidung, bei Strafe von 2000 Reis.
Beim Tode des Königs Don }os6 wurde die Geldstrafe auf 400
Reis herabgesetzt.
Wenn jemand stirbt, wird das Signal mit der Kirchenglocke der
Gremeinde kundgegeben, und das Lauten bei dem Begräbniss heisst:
die Signale.
In Beira Alta läutet man drdmal beim Manne, zweimal bei der
Frau und das Festgeläut beim Kinde
Die Glocke spielt eine wichtige Rolle bei den Riten.
In Basto giebt es zwei aneinandergrenzende Kirchspiele, zwischen
denen ein Pfahl für die Fahne steht, die man beim Todesfall her-
auszuhängen pflegt. Stirbt nun Jemand in dem einen Kirchspiel,
so hängt das andere die Fahne heraus, und zwar ist sie schwarz
fUr einen männlichen Verstorbenen, weiss ttir die Frau und rot iiir
das Kind. Wer nun zuerst in diesem selben Kirchspiel die Sterbe-
glocke läutet, gewinnt dadurch die ewige* Seligkeit.
Auch der Aberglauben spielt dabei seine Rolle. Wenn die
Glocke beim Totengeläut lange nachhallt, „so ruft sie nach einem
andren Toten.** (Sckluss folgt.)
M. Abeking.
Alte Segen.
Mitgeteilt von Otto Heilig.
II. Aus Cod. Pal. germ. 255*), S. 193^ Vor el bogen. So
solltu nemen vff ein samstag zu morgen vnd sollt abschneiden ein
heselen ruet, die in dem selben jor gewachsen sej, vnd sprich
also, wan du sie schneitst: f In dem namen des vatters, vnd als
vor vnd am andern ende dar gegen ein schnit in der mos, als
vnser her in der alten che beschnitten wart, auch in dem namen
des vatters . . . . , vnd bestreich es an eim morgen am samstag do
1) Davon ausgehend, dass ein Engel in den Himmel kommt.
2) Über diesen Codex, der dem XVI. Jahrh. angehört, vgl. K. Bartsch, »Die
altd. liandschr. der Univenitätsbibl. in Ileidelbetg," Heidelberg 1887. — Die Hs.
ohne InterpunktioB. Kttnungen hier au^elöst.
"73
mit vnd sprich diese vvort als hcrnoch [geschrieben stett : Do
vnser here das heilig kreucz vmbvieng, dornoch wuchs nie
kein berg noch stein. Also soll dir thun dis gebein. Also wor das
ist, so hillff vnd gott vnd der heilig krist, Dornoch vnser her
gott warde geborn zu bethlahcm, er wurt gemarthelt zu Jherusa-
lem. Das geschieht nun furter nimermer. Also soll dir, pfert, die-
ser schad vergen. Die wort seint wor in dem namen etc. Das thu
iij samstag noch ein ander vnd almol ein frisch holcz, als ob ge-
schrieben stett, vnd lege das alt in den stall in ein loch, das durch
aus geth vnd leg sie bej ein ander, vnd wan die hölczer dorren,
so soU der schade auch dorren, es sein elbogen, schin, vbcrbein,
leist oder spatten, die anders nit vber das jor seind. Hillfft es
aber nit, so los es brennen oder ein rimen stossen; das kreucz
Ix xi der schnit; also soUtu das holcz schneiden mit dem
kreucz.
S. 194A. Vor elbogen, Sprich: elbogen, also sej dir hie zu
wachsend, alls vnserm herren gott ist ein man, der ein recht zu
eim vnrecht macht vnd ein bessers kan. Hie mit soUtu ein iglich
pfert segen, dass den elbogen hott; vnd segen es hiemit zu einem
mol, domit ist es genug, an einer haseln hursjt» die do wachsend
ist; vnd soll nemen also ein rut, die des johr gewachsen ist, mitt
beden henden vnd soll die ruten streichen vber den elbogen zwi-
schen den zweien henden vnd sollt den segen domit sprechen vnd
ein pater noster vnd aue maria vnd nim dan die ruet zwischen
den zweien henden in ein hant vnd schneid die ruet mit der
andern hant tndenan vnd obenan ab vnd nim das stück, das dir
in der hant bleibt, vnd Spalt es mitten von ein ander, so du glei-
chest magst, vnd nim dan die zwejstück vnd leg sie kreuczweis
zu samen vnd streich sie aber vber den elbogen vnd sprich den
segen domit noch eimmol vnnd sprich ein pater noster vnd ein aue
maria vnd nim die zwejstück vnd lege sie wider zu samen vnd
schlug ein fadem dorumb, als dick du willt, vnd nim die bcde
hende vnd drehe sie vnd krüni sie mit vnd sprich v pater noster
vnd V aue maria vnd nim dan das vnd heis es le<^en vber die
thür, do dds pfert aus vnd ein geth. So das holcz durr wirt, so
ist das pfert genesen.
S. 195. Ein segen vor den elbogen. Zu dem ersten so zihc
das pfert drcw mol umb ein hasellbusch vnd schneid zu idem
mol drej zweig, die in dem jor gewachsen sein, vnd sollt zu dem
ersten, so man das pfert vmb den haselbusch zeucht, sprechen: f
in dem namen des vatters, zu dem andern mol sprechen: in dem
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namen des Suns, vnd zu dem dritten mol: in dem namen des
hailigen geists. Vnd nim dan die neun zweig vnd bind sie kreucz-
weis zu samen vnd knie nieder, wan du in s^st, vnd hebe das f
mit den zweigen vif den elbogen vnd sprich neun pater noster
vnd neun aue maria, vnd wend es dan zu dem andern mol vmb,
vnd sollt aber also viel sprechen, vnd wend es dan zu dem drit-
ten mol vmb, vnd sprich aber so viel das wirt xxvij pater noster
vnd souiel aue maria, vnd nem ein pfennig vnd opfTer den in St.
Stef&ns ere oder namen, vnd löse den wider mit eim andern % vnd
kauff dan ein weck vmb den selben pfennig vnd schneid den weck
in vier stück vnd geb das armen leuten vnd streich dem pfert
den elbogen last vnder sich mit den zweigen. Ye dicker man das
thut, ye besser das ist, vnd stos das f von den zweigen allw^en
vber die thür, do das pfert vnder aus vnd ein geth.
S. 196». Wer einem pfert ein elbogen ab will segen, der soll
im thun, als hernoch geschrieben stett. Zum ersten soll man vfiT
einen samstag zu obent drej heselen schüssling, die von dem Jor
gewachsen sein, die man nent sumer latten, nemen vnd soll die
an eim suntag, ehe die sunn vfT geth, vff die erden seczen vnd
dem pfert messen bis an den elbogen, vnd dan oben abschneiden
vnd spalten vnd in jglichen ein guten pfennig stecken, vnd soll
das pfert mit dem elbogen gegen der sunnen stellen vnd soll im
den pfennig vnd die sumer latten an den elbogen heben vnd soll
sprechen: f Ich beschwer dich Sunnen bej vnsers
hern gots heiligen funff wunden, das du nimer mer bescheinest
das holcz, du büssest dan das wunder. Das dem pferde an das
bein ist gebunden. — Das soll man mit jglicher sumerlatten be-
sunder thun vnd zu jglicher also sprechen, vnd soll die drei pfen-
nig dreien armen menschen durch gottes willen geben, vnd soll
der des das pfert eichen ist, vnsers Iv riLj] j^ots v wunden, v pater
noster vnd v aue auuia sprechen zu lobe vnd zu crcn, daz soll
man iij suntag noch ein ander in obgeschricbenem mos thun, vnd
soll man die sumerlatten alzuhin (?) bej dem pfert haben. Dan als
lang das holcz dort, als lang dorret der elbogen auch.
S. 289''. her Jörgen von ebe leben segen zu den wun-
den vor gestochen, gehawen, geschossen, gebrochen, vnd vor ge-
schnitten. Wan es aber gebrochen ist vnd allt, so mach den
bruch wider new oder frisch, vnd der segen soll drew mol gespro-
chen werden also, vnd grabe ein gebiesterten stein aus vnd nim in
zu dem kraut, genant rötich, und sprich: Röttich, ich plantz dich
im namen des vatters vnd des suns vnd des heiligen geists amen,
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Das du aiissdreibest die maden vnd das faul fleisch vnd heilest
von grund heraus. Sprich ein pater noster , vnd so solcher
segenn gesprochen wirt» so nim das kraut vnd den kisellstein vnd
grabe das kraut vnder den kisellstein» do er vor ist gestanden
vnd du in aus host graben, das er versorgt sej» das man in nit
aus grabe, vnd wan das krautt fault, so heilt die wunde; das ist
pferden vnd hunden gut. Probatum est vere.
S. 290K Item ein wunt segen. Sprich: Ich heb an in dem
namen des vatters ; ich segen dich heut, vermaledeit
wund, vnd gebeut dir bei der rechten trinitatt, das du lossest dein
riesen sein, das du lossest dein schiessen sein, das du lossest dein
schwellen sein, das du lossest dein schweren sein, das du lossest
dein sauren sein, das du lossest dein faulen sein, das du lossest
dein schmacken sein. Alle vnkeusch müssestu vermeiden, es sein
spinnen oder Aigen oder ander vngenant würm, die müssen al dot
sein in gottes namen amen. Vnsers herren gebenedeite wunden,
die heilten aus zu grunt; sie entrusent noch entschussent, sie
entsawerten noch entfaulten, sie entschwuUent noch entschwurent.
Do schlug kein vnglück dozu. Also mus auch zu dieser wunden
thun in gottes namen, amen; vnd sprich xv pater noster vnd xv
auc maria vnsers herren v wunden 7ai lobe vnd cre. Hie mit
segen alle vihe, das wund ist. Ks geniest, vnd Iiciss nit anders
dorzu thun, vnd wan du es anfachst zu segen, so nim wasser
etwar ein vnd segen es drew mol, wie vor oben geschrieben stett
noch ein ander, vnd zu idem mol so geus im das wusser mit der
rechten hant in die wund vnd schütt zu hinderst das vberig wasser
in die wunden, vnd so du anhebst zu seilen, so heis die wund
schön weschen vnd ausschneiden, was bös dorin ist.
S. 370'^. Wann ein mensch oder vihe maditj wunden
hot, die heraus zu treiben. So nimm ein distell die allein
stett. Die dreib oder reibe drew mol vnd sprich: Distell kraut,
Ich reibe dir umb deinen kragen, das du aus dreibst dem men-
schen die maden. Im namen .... vnd los die distel! sten dorufT
vnd bett Dornoch j pater noster . . . ; doch mustu vorhin zu den
disteln räumen, vnd daz sie dannoch nit vmbfall.
Des meczlers kunst zu Freising.
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176
Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst.
Eine Umfrage von R. Sprenger.
VIL In der Selbstbiographie, die Heinrich Schliemann
seinem Werke: »Uias, Stadt und Land der Trojaner* vorangehen
lässt theilt er eine Reihe örtlicher Sagen des Dorfes Ankershagen
in Mecklenburg-Schwerin mit, wo er die ersten Jahre seines Lebens
verbrachte. Unter diesen steht auch ein Beitrag zu Sprengers
Umfr^e wie folgt:
„ Auch ein altes mittelalterliches Schloss befand sich in
Ankershs^en mit geheimen Gängen in seinen sechs Fuss starken
Mauern und einem unterirdischen Wege, der eine starke deutsche
Meile lang sein und unter dem tiefen See bei Speck durchführen
sollte; es hiess, furchtbare Gespenster gingen da um, und alle
Dorileute sprachen nur mit Zittern von diesen Schrecknissen. Einer
alten Sage nach war dieses Schloss einst von einem Raubritter,
Namens Henning von Holstein, bewohnt worden, der, im Volke
, Henning Bradenkirl" genannt, weit und breit im Lande gefürch-
tet wurde, da er, wo er nur konnte, zu rauben und zu plündern
pflegte. So verdross es ihn auch nicht wenig, dass der Herzog von
Mecklenburg manchen Kaufinann, der an seinem Schlosse vorbei-
ziehen musste, durch einen Geleitbrief gegen seine Vergewaltigung
gen schützte, und um dafür an dem Herzog Rache nehmen zu
können , lud er ihn einst mit heuchlerischer Demut auf sein Schloss
zu Gaste. Der Herzog nahm die Einladung an und machte sich an
dem bestimmten Tage mit einem grossen Gefolge auf den Weg.
Des Ritters Kuhhirte jedoch, der von seines Herrn Absicht, den
Gast 7.U ermorden, Kunde erlangt hatte, verbarg sich in dem Ge-
büsche am Wege, erwartete hier hinter einem, etwa eine viertel
Meile von unserem Hause geles^enen Hijgel den Herzog und ver-
riet ihm Hennings verbrecherischen Plan. Der Herzog kehrte augen-
blicklich um. Von diesem Ereignis sollte der Hügel seinen jetzigen
Namen „der Wartensberg" erhalten haben. Als aber der Ritter
entdeckte, dass der Kuhhirte seine Pläne durchkreuzt hatte, liess
er den Mann bei lebendigem Leibe langsam in einer grossen eisernen
Pfanne braten, und gab dem Unglücklichen, erzahlt die Sage weiter,
als er in Todesqualen sich wand, noch einen letzten grausamen
Stoss mit dem linken Fusse. Bald danach kam der Herzog mit
einem Regiment Soldaten, belagerte und stürmte das Schloss, und,
als Ritter Henning sah, dass an kein Entrinnen mehr für ihn zu
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denken sei» packte er alle seine Schätze in einen grossen Kasten
und vergrab ihn dicht neben dem runden Turme in seinem Garten ,
dessen Ruinen heute noch zu sehen sind. Dann gab er sich selbst
den Tod. Eine lange Reihe flacher Steine auf unserem Kirchhofe
sollte des Missetäters Grab bezeichnen, aus dem Jahrhunderte lang
sein linkes mit einem sckwareen Seiäensirumpfe bekleidetes Bein im-
mer wieder herausgewachsen war. Einer späteren Tradition nach
sollte eines dieser aus der Erde gewachsenen Beine dicht vor dem
Altar begraben worden sein. Seltsamerweise nun wurde, wie mir
mein Vetter, Fastor Hans Becker, gegenwärtig Pfarrer von An-
kershagen, mitteilt, bei einer vor wenigen Jahren vorgenommenen
Ausbesserung der Kirche in geringer Tiefe unter dem Boden und
dicht vor dem Altar ein einzelner Beinknochen aufgefunden. So<
wohl der Küster Prange als auch der Totengräber Wöllert be-
schworen hoch und teuer, dass sie als Knaben selbst das Bein
abgeschnitten und mit dem Knochen Birnen von den Bäumen ab-
geschlagen hätten, dass aber im Anfange dieses Jahrhunderts das
Bein plötzlich zu wachsen au%ehört habe. Natürlich glaubte ich
auch all dies in kindischer Einlädt , ja bat sogar oft genug meinen
Vater , dass er das Grab selber öffnen oder auch mir nur erlauben
möge, dies zu tun, um endlich sehen zu können, warum das Bein
nicht mehr herauswachsen wolle."
Wien. . Isak Robinsohn.
Vlll. ilcinrich v. \V 1 i s 1 o c k i teilt in seinem Aufsatze „Aus
dem Leben der ur>L,ui laiKÜschen Zigeuner" in Reclam's Universum
14. Jahrg. S. 30 folgende Verse eines eingekerkerten Zigeunerkna-
ben in deutscher Übersetzung mit:
Jene Hand wachs' aus dem Grabt ^ j Blau und blutig hat geschlagen
Die mich mit dem HaseUtabe | Und vermehrt hat meine Piagent tt. s. w.
Northeim. ■ R. Sprenger.
Lebendige Richtschwerter.
Eine Umfrage von R. Sprenger.
Dass die Hieb- und Stichwaffe Blut trinkt, nach Bhit lechzt,
ist eine aligemein verbreitete Vorstellung. In den meisten h'ällen
ist es wohl nur eine poetische Figur, steigert sich aber oft zur
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ausgefuhrteren Personification. In der Volkspoesie mag bei diesem
nicht seltenen Bilde mitunter eine Anlehnung an einen concreten
Volksglauben stattfinden.
Besonders praegnant gelangt die Anschauung vom blutgierigen
Eisen zum Ausdruck in einigen rumänischen Zigeunerliedern der
Sammlung : „Lieder aus dem Dimbovitzathale. Aus dem Volksmunde
gesammelt von Helene Vacaresco, ins Deutsche übertragen
von Carmen Sylva, Bonn, 1889". Ich hatte die Zigeunerlieder
dieser höchst eigentümlichen Sammlung in ungarischer Übersetzung
im Jahrgang 1891 der magyarischen Zeitung „Brass6" veröffentlicht,
dieselben dabei charakterisiert und ihre Echtheit nachdrücklich
bezweifelt. Nun, ob genuin oder nicht, für unser gegenwärtiges
Thema sind diese Poesien recht interessant.
Kinc besonders ausgeführte, zum Dialog und Drama dämonisch
gesteigerte Personification des blutdurstit;cn Messers zeigt das
^Mcsserlied" (S. 8i — 82), das wohl ebenso angeführt 7a\ werden
verdient, wie die bezeichnende Stelle aus Brcntano's berühmter
Geschichte:
Messerlied. (Zigeunerlied).
Das Messer tanzt im Gttrtel mir,
Sobald ich tanze.
Doch wenn den Wein ich trinken geh\
So wird es traurig.
Venn es hat .scl1>cr Durst , das Messer:
Es trinkt gern Blut.
Gieb mir xu trinken, Henri so spricht es,
Denn bleib' ich ohne rotlie Flecken,
So schämt steh ja der Sonnenscliein,
In mir sich abiUbpicgeln,
Gieb her, dass ich am warmen Trank
Mich auch betrinke ,
Der aus den Wunden quillt.
Dem Mägdlein wird dein Kttssen sttsser,
Wenn du gestillt mein Dflrsten,
Und luät'gcr werd' ich dir im Gttrtet
liei deinem Tanze. [tanzen
Und hört' ich auf mein Messer, ging
[ich Nachts
Dich aufzusuchen. T.ii-hchen,
Und unter deinem Hemde sucht ich fein
[die Stelle,
Wo dir das Herschen schlägt.
Und schenkte meinem Messer
Die Wärme deines BluLcs,
\Vcil du mir deinen Kuss verweigert;
Und nach dem Knss hab' ich gedürstet,
Sowie mein Messer nach dem Blute
[dürstet.
u. s. w.
Auch in einem andern Ziegeunerlied ,Die beiden Messer" (S. 109)
spielt das Eisen eine bedeutsame Rolle, doch tritt es nicht spontan
selbsttätig blutdürstig auf. Es heisst da:
Wenn in der Kammer sehr schwarz die Nacht,
Hör' ich reden die Messer zusammen.
Spricht's eine: Die Ehefrau hab' ich erstochen.
Sj.iicht's andre : Ich habe den Mann getödtet.
Da sprachen die Seelen:
Was hallt ihr mit unserem Blute gemacht?
Wir haben's getrunken und glänzen.
Auch sonst kommt das Messer noch häufig in Verbindung mit
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dem Blute vor* Ich will nur noch eine Stelle aniiihren, aus dem
Drama: Herbst (S. 403).
Das Messer:
Das Blut, das ich getrunken, | Das war dein eigen Blut.
Budapest. Anton Herrmann.
Wie viel ist die Uhr?
VolksthUmliche Plauderei von A. Treichel.
Es ist ein alter und landläufiger Fehler, auf dessen Ausmerzung
die Herren Lehrer schon bei der Jugend bedacht und beflissen sein
sollten, dass man seinen Dank in die Worte kleidet: Ich danke
schön! Wo ich's bieten kann, ist, um zu unterweisen, meine Ant-
wort darauf: „Schön — dankt der Pudel!" denn es soll nicht die
Art und Weise, sondern der Grad des Dankens ausgedrückt werden.
Es muss also heissen: Ich danke j^Är! Auch würde das einfache
^Tch danke" f:^eniif^en. Übrigens dürfte bekannt sein, dass der Eng-
länder, wird ilini etwa von der Hausfrau noclr ein Glas Thee an-
geboten, sei^ien Dank der Frage an und für sich gelten lässt, ein
folgendes Ja oder Nein aber erst seinen Entschluss der Bejahung
oder Verneinung kund thut. „Ich danke, jai" hiesse also: ich bitte!
,Ich danke, nein!" ist unser: ich danke.
Ebenso landläufig und falsch ist auch , dass man die Frage nach
der Zeit in die Form kleidet: j,lVas ist die Uhr?" Um nun zu
zeigen, dass diese Frageform nur der Erklärung der Gegenstandes
gelten darf und auf die gewünschte Wissenschaft der Zeit gänzlich
ohne Einfluss ist, giebt es dann mehrere hinweisend-belehrende
Antworten, als da sind: i. Ein Zeitmesser. 2. Ein Instrument zur
Zeitmessung. 3. Ein Kunstwerk, 4. Ein künstliches Räderwerk.
5. Eine runde Figur. 6. Ein Instrument aus Metall und Glas (Holz
bei Wanduhren) zum Bestimmen der Zeit. 7. Was sie gestern um
diese Zeit war. Die letztere Antwort wird aber auch gegeben, wenn
richtig gefragt wurde: Wieviel ist die Uhr? Man fühlt sich einfach
nicht bemüssigt, die Uhr hervor zu holen und nachzusehen. Auch
hierin kamen mir die Bl. f. Pomm. V. K. IV. 1896. S. 15. mit
dortigen Beiträgen zuvor. Es giebt Leute, welche, um doch die
Zeit zu füllen, tagsüber jeden Ankömmling wohl mehrmals nach
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der Zeit befragen, um jedes Mal ihre Uhr getreulich immer anders,
aber „auf die Minute" zu stellen. Ein Dienstmädchen wollte sich
sogar ein paar Lorbeerblätter „zugeben" lassen, als sie im Kauf-
mannsladen jene Frage that. Eine andere Geschichte ist die zeitig
zutreffende Antwort: Eins hat's geschlagen! indem man dem Frager
einen (leichten) Schlag giebt. Übler wäre dieser bei einer solchen
Behandlung der Sache dran gewesen, wenn es die zwölfte Stunde
geschlagen hätte.
Es kann nun aber auch sein, dass man eine Uhr hat, die un-
richtig, ungenau, falsch geht. Da heisst es denn: i. Seine Uhr
geht nach Erbsen. 2. Sie ist dreiviertel auf graue Erbsen. 5. Drei
Veerdel op e Böxeknop. (Fr. R. A. I. 3857). 4. De Glock geiht na
Schemper (Dünnbier). (Elbinger Niederung. Werder.) 5. Die Uhr
geht nach Buttermilch. (Fr. I. 5S56). 6. Seine Uhr geht nach*m
Chausseegraben und wenn sie schlägt, schlägt sie Hammelfleisch.
Letzteres so im Kr. Putzig. So unverständlich das ist, so scheint
diese Redensart einer vergessenen Thatsache ihre Entstehung zu
verdanken. Wer aber gar keine Uhr besitzt und aus Eitelkeit als>
dann vielleicht nur den Uhrschlüssel an der härenen Kette in der
Tasche trägt, da heisst es dann: , Meine Uhr ist beim Klempner!*'
oder: ,sie ist beim Stellmacher!" um spassig das richtige Hand-
werk zu verdrehen, wiewohl der Stellmacher als eine mehr sprack-
Uche Verstellung erscheint. Beim Bruder Studio allerdings lautet die *
vorgebrachte Ausrede und Entschuldigung ganz anders; dessen Uhr
, lernt hebräisch", da sie gewöhnlich bei einem jüdischen Pfandleiher
versetzt ist. Selbstverständlich giebt es auch manche volkstüm-
liche Ausdrücke, selbst spasshafter Art, für die Uhr selbst. Ich
führe deren einige an: Kartojjcl (von der runden Form), Knarre
(von dem Ton beim Aufziehen), Ztineback (von der Form), Butter^
büchse (vom regelmässigen Räderwerk), die Bimm (malend vom
Tone einer Schlaguhr) und die Ticketacke (vom Geräusch). Kinder-
rätsel: ,Es hängt an der Wand und macht Ticktack." Von der
Form her hiessen die Taschenuren bald nach ihren Erfindung, wie
bekannt, Nürnberger Eier. In unseren Schöffenakten heist die
tragbare Uhr, Pectorate, weil sie am Bande um die Brust ge-
tr£^en wurde. Auch im Marienburger Tresslerbuche (1399 — 1409)
kommen für den Deutschen Orden schon Uhren vor. 1399 wurde
dafür I m. (heutige 13 m.) ; gegeben doch wohl nur für Reparatur.
Es waren mechanische Uhren, die auch damals nach ihrer Thä-
tigkeit zeiger oder seiger hiessen. 140 1 kostete eine solche Uhr
„an aclit steyne ungerisch ysen, vor dy spera (Zifferblatt) zum
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zcij^er (hier also der wirkliche Zeiger) das koperynnc blech, für den
cieynsmedc, der den zci<^er hat [^emachet, dem smede, dem zci-
germaclier , als er wce^zo^^ , dy sjjera zu molen (malen, anstreichen)
und [3 tirdungj vor den stern an der spera" fast 33 preuss. Mark
und wird die Angabe sich wohl auf eine Thurmuhr beziehen,
zumal da noch von einer Glocke die Rede ist. 1409 kostete eine
Besserung desseygers dem Groskompthur abermals i preuss. M.
Vor Erfindung der Taschenuhren wurden früher die Zeiten, na-
mentlich in Klöstern, durch eine Glocke kund gethan. Noch heute
wird durch Glockenton vielfach Zeichen gegeben. Stellt man damit
ein Uhrwerk in Verbindung, wie bei der Schlaguhr, so wird durch
den Ton die Zeit anc^ezeigt. Kommen daher die Redensarten .von
«an die grosse Glocke hängen" (unter die Leute bringen, auspo-
saunen) und „die grosse Glocke ziehen" (laut sprechen oder schreien,
um sich Gehör zu verschaffen), so ist noch erklärlicher die Über-
tragung des Wortes Glocke auf die Uhr selbst. Man fragt: „Wat
ÖS de Klock?" „Die Glocke schlägt!" Der Volksmund reimt: „Schlaf*
sacht, Bis Morgen früh Klock acht !" Dass die Klock* nach Schem-
per geht, ist schon oben angegeben. Bei Frischbier heisst's in
V. R. : Klock Sechsen fangt man an zu hexen, Klock sieben wird
er (der Kaffee) gerieben; und in R. A. I. 1305: Klock ös Klock,
Mutter göft Etel Es heisst ferner: ,Er wird ihm zeigen, was die
Glocke geschlagen hat!**, wenn Jemand Strafe verdient hat. Als
früher Nachtwächter mit Spiess und Knarre von 10 Uhr abends an
die Zeit verkündeten, war ihr Begleitgesang: ,,Hört, Ihr Herren,
und lasst Euch sagen, Die Glocke, die hat . . . geschlagen; Bewahrt
das Feuer und das Licht, Damit kein Schade nicht geschieht!**
Ähnlich bei^nnt auch C. F. Scherenberg *s tiefernstes Gedicht
vom Thürmer: «Zwölf hat die Glock geschlagen! Lobet den Herrn!
Mitternacht! ringsum die Thürme sagen; Mitternacht! tÖnt*s nah
und fern!** — Glocken-Kapitän soll nach G. E. S. Hennig (Preuss.
W. B. 1785. S. 85) eine (scherzhafte) Benennung illr den Aufseher
über die Glocken und das Geläute gewesen sein. In alten Stadt-
ordnungen und- Rechnungen finden wir, dass dem, der die Thurm-
uhren aufzuziehen hat, ein kleines Jahrgehalt zugewiesen wird.
Wiser heisst die Uhr, weil sie zeigt; dieses weisen, pltd. wisen,
ist tn der Bedeutung von dirigere, conducere zu nehmen. Nach
Frischbier, Preuss. W. B, II. 336 ist Seger ^ Sega, Söger , m., als
Seiger die Uhr, weil sie zeigt. Im Platt des Samlands heisst die
Taschenuhr Fupkeseger* Die Fupp ist die Tasche. Der Ausdruck
seger, Seiger kommt her vom ahd. stkan, stgan, nhd. sigen, sin-
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l82
ken (auch vom Tage oder Schatten), tropfenweise oder tröpfelnd
sich abwärts bewegen, bei der (Sand- oder Wasser-) Uhr also von
dem Sinken (Abwärtsrinnen) des Sandes oder Wassers. Vgl. Wei-
gand, D.W.B. II. 682, An Beispielen führt Fr. an: DeSigaschlog
ent. Volksr. 10 1, 450. De SSger ös e Lüdbedreger Sprw. I. 3462.
Wieveel mach doch de Seeger sön ? Volksr. 264, 922. Möt Hot on
Tasches^er de Lehrer vär di steit. Lehrerzei*^^^^ 4, 355^. Nu geit
de S^ger recht, wenn etwas verkehrt ausgeführt wird. Wie der
Seger gehet, so gehet das Regiment. Stein, Peregrinus XVII. 14.
W. Mtsbl. VI. 189.
Oft hört man auch die Frage, wieviel denn eigentlich eine rich^
tig .gehende Uhr sei! Als die richtigstgehende wird die Bahnuhr
angenommen, weil Jeder, der reisen thut, sich nach ihr richten
muss. Der nun geltenden , mitteleuropäischen" Zeit wird bei der
Frage nach der Tageszeit jetzt auch meistens speciell noch Er-
währung gethan, einmal um seine Kenntnis von allen Neuerungen
zu zeigen und dann, um auch recht berichtet zu werden. Die
Wirtschaftsuhr wird gewöhnlich eine Stunde vorgestellt, damit
die Zeit der Arbeit desto früher beginnen soll; hiernach heisst so
eine viel zu früh gehende Uhr auf dem Lande, wo man aber noch
vielfach die Zeit nach dem Laufe der Sonne bestimmt, und die
Uhr nach der meistens im Kalender angegebenen Stunde des Son>
nenauf* und Unterganges gestellt wird. Im Werder heisst es, wenn
die Uhr vorgerückt wird: „Middäg m6k wie, wenn wi wille; de
Awend kümmt von selwst." Hier ist zu erinnern an die Antwort
eines berühmten Mannes auf die Frage, um wie viel Uhr man
seine Mahlzeit einnehmen solle: ,Die Reichen, wenn sie m<^en,
und die Armen, wenn sie etwas haben!** „Es ist die höchste
Eisenbahn!** oder: „Es ist der höchste Omnibus!*' sagt man
scherzhaft für: „es ist die höchste Zeit!", weil jene (Eisenbahn und
Omnibus zum Bahnhofe hin), ebenso wie die frleichmässij^ vorrückende
Uhr durch ihre Regehiiässigkeit zur l'unkLlichkeit aidialLen. Noch
zu Anfang unseres Jahrhunderts war eine Uhr in der Tasche ein
seltenes Besitztum. Daher stammt die polnische Redensart: Wer
Uhren trägt, muss Rittergüter (Vorwerke) haben. (Kto nosi zegarki,
musi miec folwarki.) Dann kamen sie als Geschenke zur Einsegnung
oder zum Geburtstage bei höheren Semestern. Heutzutage hat sich
ihr Besitz sehr stark verallgemeinert. Eine Uhr trägt schon der
Quintaner, wie auf dem Lande eine solche eher zukommt dem
Hofmeister als Leutebcsteller und Arbeitsuhr und dem Kutscher
als etwaigem Bahnfahrer, während früher kaum der Inspector eine
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183
solche besass. Jetzt macht nur noch das Metall einen Unterschied
und bei bevorzugteren Gelegenheiten c^eht es selbst in minder gut
situirten Kreisen kaum ohne goldene Uhr ab. Früher war sie die
höchste Gabe an die Frau bei der Iloch/.cit als dem bedeutsamsten
Lebensabschnitte, ein Nonplusultra, wenn i^ar mit goldener, ver-
erbbarer Kette, heute beim Uhrmacher ein leiclit gekauftes „Stuck
in die Wirtschaft", das man sich für baares Geld und sonst auch
auf Pump schon bei Verlobungen leisten kann. Die Uhr des Bauern
war ausser dem Laufe der SonnC, sowie dem Mondschein, der
häufig nur im Kalender steht, aber in Wirklichkeit nicht vorhan-
den ist, früher insbesondere auch das Krähen des Hahnes, das zu
dreien Malen über Nacht zu bestimmten Stunden eintritt, der oder
das Hahnenkräh\ doch richtet er sich auch sonderbarerweise, aber
häufig wohl durch die Wirklichkeit und Regelfolge bedingt, in
recht derber Art — dass ich's nicht verhehlen darf nach den
Bedürfnissen seiner eigenen menschlichen Natur.
Wie machen es aber die Indianer, wenn sie wissen wollen, wie
viel die Uhr ist? Die scherzhafte Antwort lautet: Sie gehen in den
Urwald. — Die Kinder endlich pusten über die abgeblühte Butter-
blume, Taraxacum officinaU Web., hinweg, aber nur einmal, und
sagen, soviel grosse Löcher von den weggeflogenen Samen auf dem
Blütenboden nachzuweisen sind, «soviel is use UhrT* (Saalfeid. £.
Lemke).
In alten Standuhren (Gehäuse oder Hotzkleid) wurde früher Geld
verwahrt, wie heutzutage rundgeschntttene Fahrpläne oder Brief-
marken unter dem Gehäuse von Taschenuhren. Sonnenuhren stel^
len sich noch die Lehrer auf dem Lande mit Leichtigkeit her,
sowie ebenda die Kinder mittelst zweier in den Sand gesteckter
Hölzchen. Vor Zeiten traf man sie häufig an Pfarrhäusen und bei
Kirchen, als deren Besatzstücke sie inventarisirt und dann als Merk-
würdigkeit aufbewahrt wurden. Eine Art kleiner Sanduhren gebraucht
man noch heute beim Kochen von Eiern; dabei heisst es auch,
wenn sie pflaumenweich werden sollen, dürfen sie nur so lange
in heissem Wasser kochen, als wie man drei Vaterunser zu beten
vermag. Noch weise ich auf die Sanduhren hin, die noch in
heutiger Zeit beim Loggen der (Segel-)Schiffe in Gebrauch sind,
um zu erfahren, wie viel Meilen das Schiff zurückgelegt hat.
Endlich noch eine scherzhafte Aufgabe: man soll die Stunden-
zahlziffern der Uhr richtig aufschreiben. Ob geradeaus oder in
der Runde geschrieben, gemeinhin wird man die römische Ziffer
IV und nicht IUI, wie sie doch wirklich zu finden, schreiben,
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lS4
sowie auch die vielfach bei einem Minutenzifferblatt aus Platz-
mangel fast fortgefallene VI nicht fehlen lassen. Es ist diese
Aufgabe gerade so verzwickt, als die Zahl eilftauscnd eilf hundert
und eilf zu schreiben, was in den meisten Fällen mit ii iii
fälschlich ausgeführt wird (statt 12 iix).
Ruthenische Sagen.
Mit^^etheilt von Dr. £. Friedländer.
I. Am I. April fallt ein Sternlein vom Himmel zur Erde nieder.
Der Vülksmund weiss Wunder von diesem Sternlall zu erzählen.
Auf Veranlassung der heiligen ]3albina, der bäuerlichen Schutz-
patrüiün dieses Tages, die der Sage gemäss dem Bauernstände
entstammen soll, fällt jedes Jahr am i. April eine menschliche
Seele in der (restalt eines leuchtenden, glitzernden Stcrnleins zur
Erde nieder. Diese Seele wählt sich auf dem ganzen Eidcaiuadc
nur ein Dorf aus, jedes Jahr ein anderes. Sie fällt gleich bei An-
bruch der Nacht nieder. War es bei Lebzeiten in der udisclien
vergänglichen Hülle eine Bauernseele, so fallt der Stern auf einen
Kirchhof, war es aber die Seele eines (jutsherrn oder Gutspäch-
ters, so iaiU das Sternlein mitten auf dem Herrnhof der Pfarrei
nieder. — Was sie nachher auf dieser Erde treibt — das weiss
niemand und darf auch niemand wissen. Das Eine nur wissen die
Dorfbewohner bestimmt, dass jene Seele bei Lebzeiten viel, sogar
sehr viel Arges jenem Dorfchen zugefügt habe, auf dessen Terri-
torium sie nun in Gestalt eines Sternleins niederfallt. Auch das ist
sicher, dass diesem Dorfe in demselben Jahre sein Gliickstern
leuchten wird, weil es weder von einer Überschwemmung noch von
einer Feuerbrunst heimgesuchr werden darf und kann. Das bewirkt
bei allen Heiligen die heilige Balbina für das unter ihrem beson-
dern Schutze stehende Landvolk. Aber bewahre Euch der Himmel,
auf jenen Stern hinzusehen, sobald er über dem Dorfe schwebt,
um niederzufallen ! ! Ansehen dürfen ihn nur ausnahmsweise Kinder ,
die noch unschuldig und frei von Sünden sind; ein Erwachsener
hingegen soll , sobald er von einem Kinde an diesem Tage ver-* •
nimmt, dass ein Stern fallt, sich sofort schnell auf der Fusssohle
stehend mit geschlossenen Augen umdrehen, drei Mal das Kreuz
schlagen und zur heiligen Balbina beten.
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185
II. Sagen der Bojko*s (der südruthcnischen Bauern) über die
Entstehung eines Berges in den Karpaten. — Der „mittlere Beskid",
wo eben das Städtchen Skole, der Sitz meiner Praxis, Hegt, ist im
Verhältnis zu den übrigen Beskiden, die mehr nach Westen sich
hinziehen, niedrig, da ein Gebirgszug über 1500 Meter hoch zu
den Seltenheiten gehört. — Der höchste Berg in diesem Gebirrrs-
rayon ist die sogen. Paraszka, eine kleine Meile von meinem vSitze
entfernt, wohin die hier im Sommer weilenden Curgäste und Tou-
risten häufig Ausflüge machen. — Da dieser Berg der höchste und
zugleich von der Natur mit ungeheuren nackten Felsen, Schluchten
und Quellen ausgestattet ist, so betrachten ihn die Bojko's mit
Ehrfurcht und Bewunderung und bringen dessen Entstehung mit
verschiedenen Sagen in Verbindung.
Besonders interessirten mich zwei. Die eine Sage lautet; Als
Danilo, der Fürst von Halicz (nach dem Fürstenthum Halicz wurde
später das Land Haiizien oder Galizien genannt) vor den Horden
der Tataren über die Karpaten nach Ungarn fliehen musste , da
licss er im Schlösse bei Skole seine Schätze und seine Tochter
Frakseda oder Paraszka zurück. Die Tataren, die davon Wind be-
kamen» eilten herbei, zerstörten das Schloss, raubten die Schätze,
ermordeten die junge Fürstentochter und an der Stelle, wo diese
von den Urahnen pietätvoll begraben wurde, erhebt sich heute die
prachtvolle Paraszka. — Diese Sage hat einen geschichtlichen Zug.
Eine andere Sage lautet: In dieser Gegend wohnte vor vielen
Jahren ein Riese, der seine hübsche Tochter Paraszka dem in der
Nachbarschaft wohnenden Riesen keinesfalls zur Frau geben wollte.
Als aber diese gegen den Willen des Vaters zu ihrem Geliebten
floh , da schleppte der Gewaltige einige Berge zusammen , mit denen
er die beiden bei einem trauten Stelldichein bedeckte. Seit also
unter diesen Bergen die liebliche Paraszka ruht, wird dieser Berg
so benannt.
III. Ausser dieser Sagen über die Paraszka fand ich noch hier in
der Gegend eine Sage, die mich deshalb interessirte, weil sie Bezug
hat auf die sogen, und bei dem Landvolke bestgehasste ,paÄszc-
zyzna" oder »Robot". — So hört man von vielen alten Bauern
Reminiscenzen an einen berühmten Banditenhäuptling Dobosz, der
seine geraubten Schätze in den Höhlen zwischen den Felsen in den
Dörfern Bubniszcze und Urycz versteckt haben sollte. Die Gestalt
dieses Banditen wird noch heute mit der Aureole des Volkshelden-
thums umgeben.
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Dobosz soll der mutigste Verthcidiger der Bauern gegenüber den
^Herren" gewesen und stets für die Befreiung der armen Hauern
von dem Joch der sie zu Frohndiensten zwingenden ^Herren" ein-
getreten sein. Deshalb erfreute er sich der Sympathie der Hauern ,
während ihn die Herren fürchteten und ihm wegen seines tollen
Muthes doch nichts anhaben konten.
IV. üic Sage vom Veilclien. In Muszyna am Poprad im westlichen
Galizien ist beim Bauernvolke seit altersher eine Sage über die
Entdeckung resp. Auffindung der ersten Veilchen verbreitet, die
ich des Interesses wegen hier nach dem „Siowo polskie" (Lemberg
1898, Nr. 84, S. 3) mittheile.
Ais auf dem polnischen Throne 111 Krakau König, namens
Surowy regierte, brach ein neuer Krieg in Holen aus. — Der Kö-
nig war schon sehr alt, er blieb daher diesmal, trotzdem er sein
ganzes Leben in Schlachten zugebracht, zu iiausc, während er sei-
nen Sohn, den Prinzen Fioiek (Veilchen) auf's Schlachtfeld schickte.
Das Prinzlein, das noch jung war und kaum einen Anflug von
Schnurrbart hatte, wurde von seiner Mutter, während der Ab-
wesenheit des Vaters sehr verweichlicht und war auch in seiner
physischen Entwicklung sehr zurückgeblieben. Da der Alte aber
dabei blieb, dass der Prinz hinaus müsse, so musste er sein Ross
besteigen und mit den Reitern zwischen Bergen und Schluchten
dem Feind entgegenziehen. — Man schlug das Lager am Poprad,
hinter dem Walde auf. Der Prinz befand sich das erste Mal in
dunkler Nacht unter freiem Himmel — in einem Zelte. Er wurde
deshalb sehr traurig. Auf Geheiss seines Vaters behandelte man
ihn als einfachen Krieger und man befahl ihm daher beim Kessel
zu stehen, um den die Ritter lagen und der Ruhe pflegten. Fioiek
nahm nun Gerüche und Ausdünstungen wahr, an die er nicht
gewöhnt war: theils vom Kessel, theils vom Pech» mit dem man
die Stiefel schmierte. Er bekam Kopfschwindel — bis er endlich
ohnmachtete und zur Erde fiel. Die Kriegsgenossen sprangen
erschreckt herbeii hoben ihn vom Boden auf und trugen ihn vom
Zelte weg. Alsdann legten sie ihn am Rande des Waldes nieder,
auf den kühlen, grünen Rasen. Es nützte jedoch dies nicht viel,
es gelang durch nichte den Prinzen in*s Leben zurückzurufen.
Die altern Genossen schüttelten betrübt die Köpfe, und mein-
ten , dass hier alles Bemühen vergeblich sei . . . Inzwischen liess
sich in der Umgebung des Halbtoten ein wunderbar angenehmer
Geruch wahrnehmen, wovon die Luft geschwängert war. Der Prinz
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begann zu athmen und kam aihnalii; zu sich dank dem starken ,
angenehmen Dufte, den auch die Ritter spurten. — Darüber ver-
wundert, beginnen sie die Ursache dessen zu suchen — luid sie
fanden im Grase bescheiden versteckt eine Menge kleiner, schöner
Blümchen , die sie früher nie gesehen hatten. Sie sammelten nun
i^anze Strausse dieser liebliclien , wonnigen Blümlein und steckten
SU sich in die Panzer. Zur Erinnerung aber, dass durch diese
i>lumchen der Prinz Fioiek seine Gesundheit wieder erlangte —
nannten sie sie .fiolki" (Veilchen). Das erste Strausslcin dieser
neuen Blumlcin vua besonders angenehmen Dufte brachte der Prinz
Fiotck seiner Mutter. Die Königin Hess sie im Garten pflaa/cn
und seit der Zeit verbreiteten sie sich in ganz Polen, von wo sie
später Ausländer in die Fremde trugen.
Polkloristische Findlinge.
Das Ernte Kind, [zu S. 141]. Das Erntekind ist das Kornkind,
Ahrcnkind, der Kornengel, ein elbischer Geist, der die Ernteleute
im Mittagsschlafe beängstigt, erschreckt, blendet (durch Sonnenstich)
und Kinder entführt. Wie Fan mit dem Pan'schen Schrecken den
griechischen Hirten im Mittagsschlafe plagte, so beängstigen die
Mittagsgeister (meist als Korngeister) die deutschen Erntearbeiter
und deren Kinder, die im Freien schlafen. Der Dämon meridianus
spielt namentlich bei den sudlichen Völkern eine grössere Rolle,
als bei den nördliche und ist identisch mit dem Mittai^salp.
Vergl. Manniiardt, Die Korndamonc. HerHn 1 867 i Golther,
Mytholog. 156^ Roch holz, Deutsch Gl. u. Br. I. 67. — r,
Mittel gegen Regen. Im Diarium Parmense (bei Muratori Scrip-
tores rerum ital. lom. 22) wird erzählt:
„Sepultus fuit anno 1478 niense Junio in ccclesia S. Francisci
quidam cives nomine Franciscus de Pizzicardis, maximus et cru-
delis usurarius cum veste, berrettina et cordone S. P'rancisci. Cum
pluvia foret ingens et continuata, orta est iar.ia in popuU) , quod
dicta pluvia numquam cessaret , donec cor[)us dicti usurarii esset
in sacrato. Pueri civitatis, tjuasi omnes dicto corpore ab episcopo
requisito, eoque recusante, iverunt simul uhili ad dictam ecclesiam,
portas dejecerunt, ipsumque corpus e sepulcro avulserunt et dicto
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cordone quo cinctus erat appenso ad Collum , per civitatem ti axc-
runt... et fuit dejectus tandem in flumine Padi, et fuit mirabiie quod
pluvius illico cessavit." Mitgeteilt voß Dr. M. Landau.
Zu Urquell IL S. 114.. — - Verfasser des Liedes .Andreas, lieber
Schutzpatron' ist J. W. von Beust, 1772. Als Volkslied bei
Iloffmann v. F. VL.3 iii, Nr. 49. Böhme VL. 511, Nr. 683.
Vcrgl. Spitt a VfMG. i, 65, Anm. 5. W. Ohorn, 3, 270. Erk-
Irmer 4, 56, Nr. 51. Bernhardi l, 4, Nr. 7. Die Volksharfe 3.
Bdchen (1838) S. 65. Kretzschmer i, 257, Nr. 146. Steiermark
(Schlossar 388, Nr. 351)« üstpreusseii (F r i sc h b i e r- S c m-
brzycki 90, Nr. 73), Kgl. Bibl. Berlin Yd 7902 und 7904.
Halle a. d. S. Dr. John Meier.
Zu II. Iltfi 1 ti. 2 fiSc^i?) S. ^j. — • In Wien ruft dci <:jemeine
Sperling (Spatz): ^Diab, diab!" (dieb); die Wachtel: „Wau, wau ,
wau, findst mi-net !" daran schlicsscn sich auch die Verse: „Hin-
tern Bett bin i nct, hätt' i a wen*;" fürigschaut, hast nii brav aufig-
haut!" Diese Annahmen gelten übrigens' auch für Niederösterreich,
oder vielmehr, sie gelangten wol vom Lande in die Residenz. — Die
Oberö.sterreicher legen der Goldamsel folgendes in den Schnabel :
gSetz die Kugl auf, wirf die Kugl var (herab)." Die Niederöster-
reicher ähnlich lautendes, aber nicht leicht zu erklärendes.
Zu Bd* L Heft 10. i8gf, S, 264., — In Wien (mir seit den
Sechziger-Jahren bekannt) sagen die Kinder auf ,Was?" .Alfs
Fass!** Das geschieht manchmal ärgerlichi manchmal um seinen
Kameraden „aufsitzen" zu lassen. Im letzteren Falle wird etwas
undeutlich gesprochen und wenn dann der so Angeredete Was?
fragt, die obige Antwort gegeben, worauf der Missethäter sofort
reissaus nimmt. — Aber auch Erwachsene gestatten sich diese
Antwort. Eine übermüthige Dame, die stets rasch Reime zur Ver-
fügung hat, setzte noch hierzu ,,G'faults Gras!**
5. 266. — Eine Dame in Wien verliess den gastlichen Tisch
meist mit den Worten „Bitt' nur christlich." Angeblich soll dies
in Tirol der Brauch sein, wenn man sich von einer Gesellschaft
entfernt; man bittet damit, nicht allzu schlimm durchgehechelt
(, ausgerichtet") zu werden.
30/3 1898. Böck.
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Friedrich Müller.
In der Nacht vom 24. auf den 25. Mai verlöschte zu Wien diese
Leuchte neuzeitlicher Sprachenforschung. Geboren ward F. M. am
5. III. 1834 zu Jemnik in Böhmen von sehr armen Eltern. Von
den ersten Entbehrungen der Jugendzeit abgesehen» war seine Lauf-
bahn nach aussen hin sonnig. Sein Leben bewegte sich nur zwischen
Wien und Jemnik. Das war sein bürgerlicher Horizont, trotzdem er
zu den bedeutendsten Ethnographen volle zwei Jahrzehnte hindurch
zählte. Seine Werke findet man in jedem Konversationslexikon ver-
zeichnet, so dass deren Anfuhrung hier entfallen mag. Als Folk-
lorist trat er einmal mit der Herausgabe ihm von anderer Seite
gelieferter Zigeunermärchen hervor. Ich war vier Jahre lang sein
Schüler, sogar sein Lieblingsschüler (ein Semester hindurch allein
sein Hörer), und er blieb der einzige von allen meinen Lehrern,
mit dem ich auch nach zurückgelegten Universitätstudien Bezie-
hungen unterhielt. Wenn einer, so bestärkte er mich seinerzeit
in meinem Entschlüsse, mich der Volkskunde als einem Lebensbe-
rufe zuzuwenden. Dies mögen ihm diejenigen nachtragen, die an
meinen Bemühungen kein Vergnügen finden. Er selber verübelte
es mir, dass ich nicht sein Jünger geworden, sondern mich der
Richtung eines A. H. Post, A. Bastian, Gaidoz, der Eng-
länder und Amerikaner angeschlossen. Er verkannte, dass seine
sprachwissenschaftliche Methode nicht ohne weiteres für die Volks-
künde tauge und dass der Wert seiner Systematik der Völker- und
Racenkunde ftir mich rein imaginär sein musste. Nach drei Dispu-
tationen, die er mit mir darüber führte, veröffentlichte er jedesmal
im «Ausland" und später in , Globus** geharnischte Aufsätze zum
Schutz seiner Theorien. Bekehrt hat er vielleicht andere, und meine
Verehrung fiir ihn bewies ich damit, dass ich niemals mit ihm
öffentlich stritt. Er war ein Mann voller Extrav^anzen, die man
als Originalität auslegte, es waren aber nichts denn beklagenswerte
Äusserungen seines Gedärmekrebsleidens, das ihn mindestens fünfzehn
Jahre lang gegen so manchen gesunden und lebensfrohen Menschen
verbitterte, ungerecht und erbarmungslos grausam machte. Er war
von der übertriebensten Sparsamkeit und besass einen ungemein
entwickelten Erwerbsinn, so dass er ein namhaftes Vermögen an-
sammeln konnte.
Er ruhe in Frieden! Seine Forscherarbeit verbleibt in Ehren
hochgehalten ! K r a u s s.
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Vom Büchertisch.
C Roll de, Psyche. Seelencult und Unsterbliclikeitsglaube der Grie-
chen. Zweite verbesserte Auflage. Zwei Hände. J. C. H. Mohr (P.
Sieheck). Frcihurt; i. I?r. iSqS. l'reis 20 M.
Nicht um den eigentlichen fachwissenschaftlichen Werth des vorliegenden Buches
zu würdigen, Wfts wir gern den Herren Philologen Überlassen, sondern wesentlich aus
methodischen Rücksichten möchten wir mit eini^'cn Worten diese letzte Arlicit des für
die Wissenschaft leider viel zu früh verstorbenen Verfassers besprechen. Wir begrüs-
sen darin, kurz gesagt, den erfreulichen nnd erfolgreichen Versuch, den engen Hori«
w>nt der classischen Alterthumswissenschaft zu durchbrechen und die Grundsätze der
vergleichenden Völkerkunde auch für das ,geheiligte' Areal griechischer Entwicklung
in Anwendung zu bringen. Es mag viel mit unzutreffenden Analogien gesündigt s«in
~ das wollen wir rückhaltlos zugeben — , aber, dass sich anderseits dieselben Gesetse
des psychischen Wachsthums, besonders in den primären Stadien, ebenso in dem er-
leuchteten Volk der Hellenen bekunden müssen, wie bei irgend einem Naturvolk,
scheint uns ein so sehr durch die übereinstimmenden Ergebnisse der vergleichenden
Mythologie bcsi-itigtes Axiom, dass wir darüber unbefangenen Eeurtheilern des Sach-
verhalts gegenüber kein Wort mehr zu verlieren brauchen. Soll überhaupt vou einer
indudiven Payehologie die Rede sein, von Eleraentargedanken im Basti an 'sehen
Sinne, <;o kann von dieser schlcclithin allgemeinen Perspektive nicht iri;end ein
Stamm, und sei er noch s» hervorragend beanlagt^ ausgenommen werden — oder die
Rechnung stimmt überhaupt nicht und das Get^ude bricht in sich zusammen. Um
dns an einem conrrctcn Beispie! zu erläutern, sei es uns gestattet, auf die Kigentüm-
lichkeit des primitiven homerischen Seelenbegriffs mit einigen Worten einzugehen.
Diese Psyche ist, kurz gesagt, das unsichtbare Abbild des Menschen, welches nach
dem Tode völlig frei wird, w-ihrend cs im psychophysischen Zusammenhange nur hin
nnd wieder sich von seinen Beziehungen zu lösen vermag. Mit vollem Recht hat sich
Rohde^ um seinen Fachgenossen das Befremdliche dieser Vorstellung zu benehmen,
auf die alHiekannten Ausführungen HerV)erl Spencer's berufen, in welchen dieser
denselben Glauben bei den Naturvölkern darlegt. Ich erlaube mir, diese Analogien
durch den Hinweis auf die völlig entsprechende hawaiische Anschauung zu vervoll»
ständit:;en, nach welcher wir gleichfalL ein solches andere Ich in der I'hane ola be-
sitzen, welche besonders in Träumen und Ekstasen den Leib zu verstarren im Stande
ist im Gegensatz zu der Uhane make, welche an den Leib gebunden ist. Ebenso
steht für Homer, wie für die ganze primitive Theologie, die Realität der Traumer-
scbeinungen ohne Weiteres fort, kein fressender Skepticismus hat den schlimmen Un-
terschied des Ideellen und Realen aufgedeckt. Nun ist das Seltsame, das Homer
einen eigentlichen Seelencult in der bekannten religiösen Observanz nicht kennt, die
Psyche losgelöst von den leiblichen l eben ist ohnmachtig und vermag keinen Schaden
anzustiften, — sobald der Leib verbrannt ist uänilich — , hier wurden alle Parallelen
mit den Naturvölkern versagen, wenn es uns nicht gelänge, einem tieferen, nur in
den grossen epischeii * i'i'ichten schon verdunkelten, überwucherten Zusammenhange
auf die Spur zu kommen. Auch au diesem Punkte setzt die ethnologische Methode
ein; es gilt nur, sagt der Verfiisser sehr richtig, die Augen nicht in vorgefasster Mei-
nung zu verschliessen vor den Rudimenten (survivals nennen sie deutlicher englische
Gelehrte) einer abgethanen Culturstufe mitten in Homer (S. 14), und nun wird höchst
einsichtsvoll aus diesen spfirlichen Reden und unter Benutzung älterer Ideen, wie sie
noch bei dem vom Wellenschlag höherer Civilisation nicht berührten Hesiod zu er-
kennen sind, der allbekannte Seelencult entwickelt, der uns, ebenfalls gleichartig in
seinen Grundzfigen bd allerhöchster Diiferenrirung, überall auf niederen Entwicklnngs»
stufen entgegentritt. Dieser Beleg mag für unsere Behauptung geniigen, für den ver-
ständnissvollen Leser ist damit das Princip der Forschung genügend veranschaulicht.
Wie bereits bemerkt, wir halten es im Interesse einer gedeihliehen wissensehufUichen
Entwicklung, welche doch überall auf einen möglichst harmonischen Ab-,chluss der
Forschung abzielt, für äusserst wichtig, wenn gerade für das Studium mythologischer
und religionswissenschaftlicher Probleme sich Sprachwissenschaft und Völkericunde
immer enger an einander schlicssen. Die öde, unfruchtbare Polemik hat gerade lange
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gcnup c^c «lauert und da" gegenseitige blinde Anschuldigen kaum einen nenncnsweithen
melhodischcQ Gcwiua emelt, es wird Zeit fUr eine grundsätzliche Umwandlung der
VetfaKltnlsse/die beiden Ittterresseaten mu zu Gute konnnen kann. Dass dabei eine
ehrliche, sachliche Polemik nicht ausgeschlossen, sondern umgekehrt geboten ist, veT^
steht sich von selbst. Th. Achelis.
Archiv für Rellgionmmtmchaft^ in Verbindung mit vielen Fach*
gelehrten hrsg. v. Dr. Th. Achelis. Freibarg i. B. J. C. B. Mohr,
(Paul Siebeck). Preis 14 M. ganzjährig, i H. 112 S. 8«.
Man mag sich verwundert fragen, warum denn die prachtvollen Studien und Auf-
sätzchen dieses Heftes nicht etwa in unserem Urquell oder im Intern. Archiv f.
Ethnographie oder in der Zeitschrift f. Ethnologie, denen sie auch zur Zierde gereicht
haben würden, erschienen sind. Die Antwort ist einfach die, dass man sie den gje-
nannten drei Redactionen nicht eingeschiekt hatte. Die Mitarbeiter des neuen Archivs
sind durchaus keine Sczessionistcn, die einen Salon der Zurückgewiesenen gründen
wollen, sondern selbstbownsste. tücLtigc l'orschcr, die der Ansieht sind, dnsf; die
Volks- und Vollverkunde einer Spciialisiiung in Bezug axif Religionsvvis^cn.schaft
bedarf. Das trifft zu, und es spricht manches dafür, dass die Mutter Ethnologie bald
auch noch andere Kinder sel!>st>t:indig sehen wird. Ich denke z. T?. an eine Zeitschrift
für epische und lyrische Volksdichtung, die die Sonderforscher auf diesem Gebiete zu
regerem Gedankenanstausch sammeln wird. Es wird einmal auch die Zeit kommen,
wo sogar der Begriff Religionswissenschaft als 7x\ vag gelten und die vierzehn Diszi-
plinen, die Achelis im Prospekt als zur Rlgw. gehörig abgrenzt, unter eigenen
Namen auftreten werden. Achelis möchte ^die so wünschenswerte Fühlung zwischen
Sprachwissenschaft und Völkerkunde, rds den zunächst !)citciligten Disziplinen wieder-
herstellen,'' ein ganz vergebliches Beginnen ; vergeblich darum, weil es bei einer
Zeitschrift selten auf den Wunsch des Herausgebers, immer aber auf die Neigung der
Mitarbeiter ankommt. Der Redaeleur sehiel^l nicht, er wird geschoben. Freilieh, bei
Achelis sind alle Vorbedingungen für einen der besten Redacteure gegeben, und
vielleidit erreicht er das Unverhoffte, aber es frägt sich ernstlich, ob die erwähnte
Wiederherstellung sachgcmäss durch ihre Methoden getrennter Disziplinen wirklich
ein Ziel fttr die Religionsmssenschaft sein muss. Ich verneine es und halte mich
dabei an das, was uns das Archiv tatsächlich darbietet, und das ist sehr viel und sehr
wertvoll. Sollte es sich, was ich für allein wünschenswert halte, auf der Höhe der
Beitrage E. Hardy's, W. H. Roscher's, Seler's, Vicrkandt's und Fr.
Branky's (im I. H.) auch weiterhin behaupten, dann können wir uns einer Zeil-
schrift bcrühmen, die eine unentbehrliche Ergänzung zu jeder ethnologischen Revue
bildet: d.h. wenn der Verleger, Herr Siebcck von seinen moralischen Gnindsätren
nach- und die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge den .Tutoren und dem
Redakteur allein überlässt. Mich nötigte er, aus einer Studie einen Passus zu
streichen, der ihm unsittlich vorkam, such wollte er, dass ich Verstümmelungen an
einem Guslarenliede vurnelmic. Zu Ausnierzungen aus Texten der Volksüberliefcrung
ist niemand berechtigt. Soweit ich meine Fachgenossen kenne, wird jeder solche
Zumutungen ab\scisen und seine Beitrüge lielier unkeuschen ethnologischen Zeitschrif-
ten zuwenden als sie im Archiv versittlicht sehen. Herr Siebcck möge sich glück-
lich schätzen, dass er das Archiv besitzt und dessen Bestand nicht aus hinfälligen
Rücksichten auf ein Publikum, das bei einer solchen Zeitschrift gar nicht in Betracht
kommt, gefährden. Krauss.
Utbtr das Bampfer, Von Faul Sartori. S. A. Zeitsch. f. Ethn.
1898. S. i~$4.
F.ines der ersten Guslarenlieder meiner Sammlungen, das ich mit Erläuterungen ver-
sah und herausgab, handelte vom Bauopfer. Der Gegenstand bot den Anstoss zur
Entstehung einer nicht geringen Literatur aus aller Welt, so dass ich den Vorsatz
fasste, die .\rbeit wieder gelegentlich aufzugreifen. Sartori kam mir zuvor, und
zwar löste er seine Aufgabe so mustcrgiitig und meisterhaft, dass ich neidlos erkläre,
ich würde sie schwerlich sauberer ausgeführt haben. Auch knüpfe ich daran den
Wnnach, die Fachgenossen mögen diese Studie fleissig lesen, um daraus zu lernen,
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192
wie man folkloristische Materialen psychologisch zu ergründen habe. Uns drückt
leider kein Übcrfluss an so gediegenen Monographien. Kranss.
Es liegt mir nua der II. B. der ccchiscben Zeitschrift f. Ethnologie (Ndrodopisny
Sbornfk Ceskoslovansky, hrsg. v. Pastrnek nnd E. Kovdf, Prag 1898,
130 S. I.cx. Form.) vor. Wilhrend für die Zagrebaekcr südslav. Akarlemie die cluu-
wotische Sprache eigens erfunden werden mü&stc, falls nie unglücklicherweise nicht
schon bestSnde, nm den grösseren Teil ihrer Publikationen vor dem Hohngelächter
urteilsfähiger Menschen zu bewahren, darf man ruhig sagen, dass der Inhalt dieser
£echischen Zeitschrift in jeder modernen Kultursprachc Anerkennung und Beachtung
bei den Forschem fände. Cechi&ch-national oder slavisch ist hier nur die Sprache und
mmeist der Forschungsg^enstand, die Forschungsmethode und Kritik darin aber
international, ich meine wissenschaftlich. Man täte den Mitarbeitern an den zwei
ersten liändcu dieses Sborm'k sündhaftes Unrecht an, wurde man ihnen den Deutschen-
und Vülkerhass des Cechischen Pöbels vorhalten, mit dem sie offenbar in keinerlei
r^eziehung stehen. Sehr beachtenswert ist in vorliegenden B. S. i — 49 PoHvka's
Studie über die vergleichende Folkloreforschung und desselben produktive Referate
S. 93 — 112. Algemeineres Interesse verdient A. Kraus' kleine Abhandlung über
den Gott Pcrun, worin er wieder den slavischcn Mythomancn Krek und Nodilo
(der Ausdruck Mythomanen für diese zwei Herren ist von Polivka) einen Tritt ver-
setst. Gut ist auch Holuby's Aufsats ftber Schlangen, Drachen usw. Krek und
Nndiln sind eigentlich keine Mythomanen, sondern eher Rcltgion?;stifter, wie Joe
Smith, der Vater nf the Latter Day saints und ihre Werke sind nur scheinbar vom
Book 4^ Mormon verschieden. Zu ihrer Sekte zahlen die heiUgen Schwärmer, die
nicht alle werden. Die Mitarbeiter des cechischen Sbornfk tjchören nicht dazu, und
dies macht sie mir, dem Feinde alles Mystizismus und jeglichen Schwindels, lieb und
teuer. Kranss.
TAe sociai organizations and the seertt societics 0/ the KivakiuÜ
Indiatty von Franz Boas (Smithsonian Institution. U. S. Nat. Mus.).
Wash. 1897. 427 p.
Will einer ernstlich in der Volks- und Völkerforschung wissenschaftlich emporkom-
men, lerne er mit aller Emsigkeit aus den Werken der amerikanischen Fachgenossen.
In dieser Hinsicht gilt auch der Deutsche Boas als ein echter Nordamerikancr für
uns. Er ist ein ausgezeichnet gut geschulter Beobachter^ ein rastlos tätiger Sammler,
ein gewandter Schriftsteller und über alles dies ein merlcwürdig kritischer Kopf. Ich
habe eine Reihe kleiner kritischer Aufsät/c aus seiner Feder über die Methodik und
Systematik unserer Wissenschaft gelegen, die im einzelnen mehr positiver und anre-
gender Gedanken enthalten, als so manches dickleibige Buch, das unter dem hoch-
trabenden Titel anthropologischer, oder ethnographischer, Studien erschienen ist. Die
seltenen Vorzüge einfacher, wissenschafilieher Darstellung Boas' kommen im vorlie-
genden Werke ganz besonders zur Gellung und man kann es in gewissem Sinne als
eine Ergänzung zu Mooney*» Geistertanz der Indianer betrachten. Die von 6.
klarf:;elcc;tcn primitiven Sippen- und Stammeinrichtungen, das Vater- und Mutterrecht,
die iiochzeitsgcbrauche, die Stammsagen, der Geisterglaube, die Riten der verschiede-
nen Jabrseiten und die Schilderung der Geheiragesellschaften sind im Werte Entdeck*
ungen gleich- ich ineine, T. oas entdeckt für unsere Wissenschaft einen guten Teil
Amerikas aufs neue. Von der Fülle gelungen ausgeführter Bilder, die das Buch
schmucken nnd die Worte wirksam erlSntem, sowie von der wunderbaren Ausstattung,
ist nichts tu Mgen, als dass uns die Amerikaner auch in diesen Dingen überlegen
sind. Kranss.
B e r i c h t i g u n c;; e n.
S. loi. Z. II. v.o. lies; des^ statt: der. — S. 143. Z. i. v.o. lies: Olfleckenj statt:
Erbflecken. — Z. 9 v. o.: lies: mit dem elbisch deformierten Fusse nnd mit der Eiss*
(Schrecken-)>.*ase. — Z. 16 v. o. lies: Nelnn dieser Perchta hat sich der die wütende
Seclcnschar anführende männliche Wode, der sich zum Gotte Wodan entwickelte, er-
halten. — Z. 35 o.: lies: Ruten Beigaben.
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Verlag der T^uchhandlung, und Druckerei vormals E. J. l^RILL.
Archiv für Ethnographie (Internationales), lirsg. von Dr. Krist. Bahnsen, Copeu
hagcn; Prof. F. Boos, Worcestcr, U. S. A.; Dr. G. J. Dory, im Haag; Prof. E. H.
CiigUoli, Floren/.; A. Grigorief, St. Petersburg; Prof. E. T. Hamy, Paris; Prof. H.
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Oengarang (Java); Prof. G. Schlegel, Leiden; Dr. J. D.E.
Schmeltz, Leiden; Dr. Mjalmar Stolpe, Stockholm; Prof. E. B. Tylor, Oxford. —
AV : Dr. J. D. E. Schmeltz. 1887—1897. Vol. I— X. (Mit schw. u. col. Taf.). 4«.
L\: . V 6 /izT /- 12. —
.-upplement zu Band I:
Otto StoU, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. (Mit 2
col, /■
uppleniciiL zu liaud III:
Max Weber, Ethnographische Notizen über Flores und Celcbe^. iSqo. 'Mit 8
col. Taf.). 4» —
--iipplcment zu Band IV :
David Mac Ritchie, The .\inos. 1^92. (.Mit 1 7 col. u. 2 schw. Taf.). 4O, / 12. —
buppleraent zu Band V:
\V. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893. CSVn 2 col. u. 6
.schw. Taf.). 40 • . . .
Supplement zu Band VII:
F. W. K. Müller, Nang, Siamesische Schatlentigurcn im Kgl. Museum lur Völ-
kerkunde zu Herlin. 1894. (Mit 4 schw. u. 8 col. Taf.). 4*' / 9. —
Supplement zu Band IX :
Ethnographische Beitrttge. Festgabe zur Feier des 70»'*" Geburtstages von
Prof. Ad. Bastian. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4<». . . / 6.—
Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeitschrift bis jetzt
noch nicht besitzen, die .Anschaffung derselben durch Verringerung der pccunia-
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen
Subscribcnlcn auf den XI Band die bisher rrschienencn B.inde, so lange der
noch vorhandene geringe' Vorrath dies gestattet, zu ermässigten Preisen zu über-
lassen, und zwar :
Bd. I — X (Ladt iij/icii 210 Mark) zu M. 150. — . *
Bd. I — X mit siimmtlichen Sui^plemcnten (Ladenpreis 28^ Mark) zu M. 170. — .
Da von den letztgenannten sieben Bände«, mit sämmtllchen Supplementen nur
noch sehr wenige vollbtändige E.xemplarc abzugeben sind, dürfte es sich emp-
fehlen, etwaige IJcstcllungon darauf baldigst zu ertheilen.
Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner-Arabien. 1S96. Theil I. 8*. Mrk. 7.50
Jacobs, J., Het Familie- en Kampongleven op Groot-Atjeh. Eene bijdrage tot de
ethnographie van Nöord-Sumatra. Uitgeg. vanwegc het Kon. Nederl. Aardrijksk.-
Genootschap. 1894. 2 dln. (Met 17 phot. lith. en 6 gekl. platen) gr. in-S". Mrk. 25.50
gebunden . . Mrk. 2S.90
Landberg, C. de, Bäsim le forgeron et Hflrün Er-Rächid. Texte Arabe en diaJecte
d'Iigypte et de Syrie. Publik d'aprcs Ics Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et
accompagn6 d'une traduction et d'un glossaire. I : Texte , tradition et proverbcs.
1888. 8° •. . Mrk. 5.—
Martin , K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf
gegründete Studien. 1888, 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-S*. Mrk. 34. —
Martin, K., Reisen in den Molukkcn, in Ambon, den Uliassem, Seran (Ceran) und
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung
der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf.,
1 color. Karte und 18 Textbildem). gr. in-S* Mrk. 21. —
Spitta-Bey, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits. Texte arabe en caract.
at. avec la traduction franq. 1883. 8° Mrk. 6.50
INHALT.
(, ' ■ • ' *
• • • : - - -• . ■. - ■ .'. - i- ' Stile
über eine Gattung mongolischer Volkslieder und ihre Verwandtschaft mit tür-
kischen lAedern. Von B. Läufer " 145.
Chinesische geheime Gesellschaften, Von WilhelmGrüner . . . . . . 157.
Der Tote in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beitrag aus Por-
tugal. Von M. Abeking '. . . . . . 166.
Alte'Segen. II. Mitgeteilt von Otto Heilig '.. . . i «'■172.
Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst. Eine Umfrage von R. Spren-
ger. Beiträge von I. Robinsohn und R. Sprenger 176.
Lebendige Richtschwerter. Eine Umfrage von R. Sprenger. Beitrag von A.
Herrmann 177.
Wieviel ist die Uhr? Eine volkstümliche PLiuderei. Von A. Treichel . . 179.
Ruthenische Sagen. Von Dr. E. Friedländer 184.
FolklQristische Findlinge, i. Das Emtekind. Von — r. — Mittel gegen Regen.
Von Dr. M. Landau. — Zu Urquell II. S. 114. Von Dr. John Meier. —
Nachträge. Von Böck . . 187.
Friedrich Müller. Von Dr. Krauss 189.
Vom Büchertisch. Roh de 's Psyche. Angezeigt von Th. Achelis. — Ache-
lis' Archiv für Religionswissenschaft; Über das Bauopfer, von Paul Sar-
tori; F. Pastrnek und E. Kovdf 's Cechische Zeitschrift für Ethnologie;
Franz Boas, The spcial Organisation and the secret societies of the Kwa-
kiut! Indians. Angezeigt von Krauss , 190.
Berichtigungen . I'-^/iJ . 192.
■ . ■ • •. . " 1 ...7.- %
. •■ • • ■ . - V • „• ^" • - -
■ ■' ... ■ v - " - ' ■•• '
-» ■ . .- ,• ■ • -. ' ■ :
* Wir bitten unsere Mitarbeiter^ sich aus Rücksicht für unsere holländischen Setzer
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lateinschrift »u bedienen.
Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf 25 Sonderabzüge seines Beitrages; bedarf er
ihrer mehr, mag er sich deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einver-
nehmen setzen.
* ■ , . - ■ - '
Der Urquell erscheint regelmässig in Doppelheften. Der Subscripticnspreis für den
i^anzen Jahrgang beträgt: 4 Mark. = 5 K. = 5 frcs = 2.50 fl. i /.
Abonnements können auch bei der Redaktion des Urquells, Wien VII/2. Neustift-
gasse 12 angemeldet werden.
Druck der „Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. Brill"
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DER URQUELL.
Eine Monatschrift für Volkskunde.
Herausgegeben
Friedrich S. Krauss.
Das VoHistoiB ist du Vdllcer Jungbrunnen.
# • ■
Der neuen Foige Band II. Heft 9 und 10.
BUCIIHAMDUJNG U* DRUCKEREI
£. J. BRILL
XJ3DBir«^i898.
G. KR AM ER Verlag
in HAMBURG.
St. Paidi, Ihalstr. «4, L
1898.
Redaction: Wien, Osterreich, VII/2. Neusüflgasse la.
Einlaufe.
Löwy, Dr. Albert: Midas jomünu. The mcasurc day-;. A tri-lingual suu-. i >>n
don 1S97, p. II. S*".
Caland, Dr. W.: Die altindischen Todlcn- und IJestattungsgebräuchc. Mit Benützung
handschrifilicher Quellen dargestellt. (Verh. d. kgl. Ak. d. Wiss. zu Amsterdam).
1896. J. Müller. XIV, 194. gr. 8».
Wiener, Leo: Populär poetry of the RiLs.sian Jews. S. A. Amcricana — Germanica,
Vol. II. Nr. I. 26 p. 8'. — On the Hebrcw element in Slavo-Judaeo-German. 14
p. gr. 80. (Zwei der besten Studien über juddeutsch. Volkstum). — America's sbare
in the regencration of Bulgaria (Mod. Lang. Notes. XIII. 1898. 8 p. gr. 8",).
Frankl — Grün, Dr. Ad.: Geschichte der Juden in Kremsier mit Rücksicht auf die
Nachbargemeinden. Nach Original-Urkunden. Frankf. a. M. 1898. J. Kauffmann.
VI, 180 S. gr. 80.
Winternitz, Dr. M. : Georg Bühler und die Indologie. In memoriam. München 1898.
S. A. xMlg. Ztg. 23 S, 80.
Wiedemann, Dr. A. : Obscrvations on the Nagadah period. London 1898. p. 16. — La
Stele d lsrael et sa valcur historique. 19 p. 8*.
Mahler, Richard: Siedelungsgebiel und Sicdelungslage in Oceanten unter Berücksich-
tigung der Sicdelungen in Indonesien. Suppl. zu B. XI. des Intern. Archives f.
Ethnographie. Leiden, E. J. Brill. 1898. 72 S. gr. 4O. (Eine treffliche Leistung).
Boas, Franz: The Jesup North Pacific Expedition. I. Facial Paintings of the Indians
of Northern British Columbia. Memoirs of the American Museum of Natural History.
Vol. II. 24 p. 4O and 6 plates.
Jaworskij, Juljan: Südrussische Vampyre. S. A. Zeitschr. f. Volksk.
Bastian, Dr. A. : Die Aufga!ipn der Fthnolnrr;,. I^atnvin 1898. Albi .
23 S. 80.
Lose Blätter- aus Indien. IV. 144. Ebenda. V. Colombio, Ceylon, A. M. & J.
Ferguson. 1898. 53 S. 80.
Maurmann, Emil : Grammatik der Mundart von Mülheim a. d. Ruhr. Grammatiken
deutscher Mundarten. B. IV. Lpzg. 1898. Breilkopf & HärteL 108 S. (S. 81 — 85
Volksüberlicferungen).
Cemy, Adolf: Mylhiske bytosce lu^iskich Serbow. Budysiii 1898 M. il cu
Dr. E. Muka). 1898. S. '239— 462.
British Association for the Advancement of Science. Toronto Meeting, 1897.
Report on Üie Elhuographical Survey uf the United Kingdom. p. 452 — 511.
La Tradition en Poitou et Charentes. Art populaire. — Ethnographie. — Kolk-
Lorc. — Hagiographie. — Histoire. Paris, Niort. 1897. XXI, 416. gr. 80.
Glavic, Baldo Melkov; Narodne pjesme iz naroda za narod. D«brovnik 1897. II. kn.
Str. 208. 8-«.
Archiv für Religionswissenschaft hrsg. v. Dr. Thomas Achelis, Freiburg i. Lii.
lieft 2 und 3 (bis S. 304) bringt eine weitere Reihe äusserst gediegener .\bhand-
luiigen, die für die Völks- und V^olkcrforschung von grossem Belang sind.
Insertionen — Beilagen.
1^^^* Es wird höflichst gebeten , sich für Inserate und Beilageil ausschliesslich an
die Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. BRILL in Leiden wenden zu wollen.
Von der Wiedergeburt Totgesagter
Eine Umfrage yon W. Catand.
Bei den alten Indern war es für die Seeligkeit, d. h. um die
Seele die Wohnung des Gotte«? Yama erreichen zu lassen, uner-
lässlich, dass die sterbliche Hülle nach ausführlichem Ritual zu
Asche gemacht wurde. Sogar ein Abwesender, dessen Überreste
man nicht hatte finden können, wurde /// effigie verbrannt; an
einer aus 360 Blattstielchen dargestellten menschhchen Figur wur-
den alle die erforderten rituellen Handlungen vollzogen. Nun
konnte es sich aber später heraustellen, dass der Totgci^laubte in
der Tat nicht tot war und zu seinen Verwandten zurückkehrte.
Da fand sich der Hindu vor einem nicht leicht zu lösenden
Dilemma gestellt: der Mann war tot gewesen und nun wieder
lebendig; das Geschehene konnte aber nicht ungeschehen gemacht
werden und so wurden denn nach gewissen Ritualtcxten die fol-
genden Massregeln genommen. Wenn ein Feuer durch Reibung
erzeugt war und darin nach den gewöhnlichen fürs häusliche Opfer
geltenden Vorschriften gewisse Spenden dargebracht waren, wurde
hinter dem Feuer (d. h. westlich davon) ein goldenes Fass oder
ein grosser irdener Topf hingestellt und mit tlussiger Butter und
Wasser gefüllt. Der Vater des Totgeglaubten spricht über dem
mit Fett gefüllten Topfeinen Vedaspruch aus, ans dessen Inhalt
hervorgeht, dass der Topf als der Mutterschoss betrachtet wurde.
Der aus dem Tode Zurückgekommene nimmt nun, gleichfalls wah-
rend ein passender Spruch ausgesprochen wird, in dem Topf Platz
und bringt, wie ein Embryo die Fauste ballend und ohne zu spre-
chen, eine Nacht in der Flüssigkeit zu. Am nächsten Morgen
werden vom Vater oder dessen Stellvertreter alle die Ceremonien
(Sacramente) an ihm vollzogen, welche an einer schwangeren Frau
verrichtet zu werden pflegen, dann mu.ss er aufs Neue geboren
werden, indem er das Fass an der Hintenseite verlässt. Nun wer-
den noch die Geburts-, Tonsur-, ILinfuhrungs- und andere Sacra-
mente an ihm verrichtet, er niuss seine frühere Gattin in optima
13
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forma wieder heiraten oder sich eine andere nehmen und endlich
seine Opferfeuer wieder gründen. Erst dann ist er seinen Mitt-
menschen gleichgestellt und darf den Göttern wieder opfern.
Eine Parallele dieses merkwürdigen Rituals hndet sich bei den
alten Griechen. Plutarch berichtet uns in seinen Quaestiones
Romanae (V) das Folgende. Dicjeni<^fen für die, weil man sie tot
geglaubt, die Ausfahrt statt<::^cfunden hatte und ein Grab errichtet
worden war, hielten die Griechen für unrein und schlössen sie
vom Verkehr und von den Tempeln und Opfern aus. Es wird
nun erzählt, dass ein gewisser Aristinos, ein Opfer dieses Aber-
glaubens, nach Delphi sandte und den Gott bat ihm einen
Ausweg aus den Unangenehmheiten zu zeigen» die dieser Brauch
ihm verursache. Die Pythia antwortete;
d.h. ifAUe Handlungen, die im Bette an einer schwangeren Frau
verrichtet werden, die sollst du wieder verrichten und dann (darfst
du) den Göttern opfern."
Aristinos soll dies Orakel begriffen haben und sich, wie einer,
der aufs Neues geboren wird, von den Frauen haben waschen,
einwickeln und säugen lassen. In gleicher Weise sollen von da ab
alle sogenannte ^mpiireTßoi (aus dem Tode Zurückgekehrten) ver-
fahren haben. Einige berichten, dass man schon vor Aristinos die
^ip6iroTfAct so zu behandeln pHegte und dass der Brauch aus alter
Zeit herrühre. So Plutarch.
Die Übereinstimmung zwischen der indischen und griechischen
Sitte, wie auflfallend sie sein möge, zwingt uns doch noch nicht
anzunehmen, dass die Sitte aus der proethnischen Zeit stamme und
schon den arischen Urstämmen bekannt gewesen sei. Bei jedem
der beiden Völker kann der beschriebene Ritus eine natürliche
Consequenz der Überzeugung gewesen sein, dass sein Totenritual
die Seele des Verstorbenen wohlbehalten ins Jenseits hinüberzu-
bringen vermochte. Es kommt drauf an, ob noch bei anderen
Völkern sich Derartiges findet. Ist vielleicht den Lesern des , Ur-
quells" Ähnliches bekannt^
Breda.
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195
Notizen zur Geschichte der Märchen und Schwanke.
Von Juljan Jaworskij.
I. Drei Orangen. Ein Prinz sucht für sich die Frau. Er be-
kommt drei Orangen, aus denen drei Jungfrauen herauskommen
sollen. Er darf sie aber nicht eher aufschneiden, als bis er nicht
ans Wasser kommt. Unterwegs macht er eine, dann die andere
Orange auf; aus diesen kommt j'e ein Mädchen heraus und ruft:
Wasser! Da keins in der Nähe ist, sterben beide Mädchen von
Durst. Nur die letzte Orange bringt der Held glücklich an eine
Quelle. Die Jungfrau kommt aus der Orange heraus, bekommt
Wasser zu trinken und wird dann seine Frau. So erzählt Basile
im Pentamerone Nr« 49 (cd. Liebrecht, Bd. II, S. 237 — 239).
Das Märchen ist weit verbreitet. So kennen es die Griechen (Beruh.
Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder S. 71 — 72),
Türken (Ungarische Revue, IX, 37 — 38), Ungarn (Stier-Erdelyi,
Ungarische Sagen und Märchen, 84 — 86), Korsikaner (Ortoli , Contes
populatres de l'Ile de Corse, 76 — 78), Rumänen (Säincnu, Basmeie
romdne, 330 — 3 10), Slovenen (D o b ä i n s k i , Prostonärodnie sl v cnske
povesti, VII, 67 — 69), Kroaten (Valjavec, Narodne pripovjesti
(i8go), 212 — 214)' und Polen in Galizien (Ciszevvski, Krakowiacy,
I, N«> 57, und Zbiör wiadomo^ci de antropologii krajowej, V, 224).
Vei^l. auch die Parallelen, welche Prof. Polivka zu Ciszewski
Nro 57 im Archiv für slavische Philologie, XVII, 573, mitge-
theilt hat.
II. Der Schultheis und der Bauer. In Kirchhofs Wendunmuth
(Buch I, Nro 64) wird erzählt, dass ein, seines Amtes enthobener
Schultheis über einen Räch zu gehen hatte, er blieb aber vor
ihm ^anz verlegen stehen, als er wahrnahm, dass das Hochwasser
die Brücke wcgejci issen hatte. Da kam ein Bauer, welcher von
der Absetzung des Schultheises noch nichts wusstc, und als er
ihn in solch' einer Verleihen heit sah, bat er ihn, ihn über das
Wasser zu tragen. Inmitten des Baches wurde aber der Schultlieis
von Dankbarkeit gerührt und sagte, dass wenn er nur wieder
einmal Schultheis werden wird, so wird er schon dem Bauer
seinen Dienst vergelten. — So bist du jetzt nicht melir Schul-
theis? — Nein! — Was trage ich denn au dir Schehiien r sagte
der Hauer und warf den gestürzten Würdenträger ins Wasser.
(Wendunmuth, ed. Ocsterlcy, Bd. I, S. 79 — 80). Im V-ten
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196
Bande (S. 35) führt Oesterlcy zu diesen Schwanke viele ältere
mitteleuropäischen Parallelen an; in der zeitgenössischen Volks-
überlieferung scheint er aber schon vergessen zu sein.
Nur bei den Südrussen bei Kiew fand ich den Schwank wieder.
Ein Dorfschreiber gieng in neuen Stiefeln 7ai Besuch. Auf dem
Wege traf er auf eine grosse Kothlake und konnte in den neuen
Stiefeln nicht herüberkommen. Da musste ihn ein Bauer tragen.
Der dankbare Schreiber äusserte in der Mitte des Kothes das
Versprechen, dass wie er nur witrder sein Amt bekommt, wird er
dem Bauer die Gefälligkeit nicht vergessen. — Bist du denn nicht
mehr Dorfsciireiber ? — Ach nein! heute hat man mich entlassen. —
Als der Bauer dies hörte, warf er den Schreiber sammt neuen
Stiefeln in den Koth herunter. (Cubinskij, Trudy etnograf*-
Statist, ekspeditzji, Bd. II. S. 623}.
III. Die Augeyi herausnehrtien. In den Gesta Romanorum (Cap.
76, De concordia, ed. Oesterley, S. 393) wetteifern zwei be-
rühmten Ärzte in ihrer Kunst. Da nimmt einer dem andern die
Augen heraus, dann setzt er sie ihm geschickt wieder ein.
In einem niingrelischen Märchen legt ein Zögling der Ndemi
(Riesen) zwei Finger an die Augen einem Ndemi; dav'^on springen
dem die Augen heraus. (Sbornik niaterjalow dla opisania mjestnostej
i plemen Kawkaza, Bd. X, Abth. 2, S. 281).
Bei den Südrussen erzählt man auch vom Wetteifern zweier
Zauberer. Gewöhnlich geschieht es bei einer Hochzeit; einer will
den liochzeitsleuten Schaden anthun, der andere vertheidigt sie.
Dabei nimmt er dem Gegner durch Zauberworte oder mit blossem
Blick die Augen heraus. (Vergl. Manzura, Skazki, poslovicy i t. p.
S. 69 — 70; Etnografiöeskoje Obozrenie, Bd. 29 — 30, S. 119 — 120
und 171 — 172).
IV. Warum die Juden kein Schwein fleisch essend Als noch
Jesus Christus auf Erden wandeile, kam er einmal in ein Judcii-
haus zu Besuch. Die Juden wollten ihn überführen und, nachdem
sie die Hausfrau mit den Kindern unter einer grossen Molter ver-
steckt haben, fragten sie Jesus, ob er weiss, was unter der Molter
versteckt liegt? — Eine Sau mit Ferkeln, antwortete Jesus. Die
Juden lachten darüber, als sie jedoch die Molter aufgehoben haben,
fanden sie dort wirklich anstatt der Frau und der Kinder nur
eine Sau mit den Ferkeln. Deshalb essen jetzt die Juden kein
Schweinfleisch mehr. — Über diese Legende eröfTnete die Revue
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des traditions populaires eine Umfrage und brachte viele west-
europäische Varianten zusammen. (Bd. IV, 362, 409, V, 435, VI,
727, VII, 487, 717, X, 120). Vergl. noch dazu Zeitschrift des
Vereins für Volkskunde, V, lOi ; Bartsch, Sagen, Märchen und
Gebräuche aus Meklcnburg, I, 523 — 524; Merkens, Was sich das
Volk erzählt, I, 69.
Die Legende ist auch bei den Slavcn, besonders bei den Russen
sehr verbreitet. V^ergl. Atanasjew, Narodnyja russkija legendy,
S. X XI; Uragomanow, Malorusskija nar. predania, S. 4; Cu-
ljins]:ii, 'irudy, I, 49 — 50; Kiewskaja starini, XXI II, 143; XXXII,
.14;' 449; Zytje i slowo, 1894, Ii, 102, Eiaugiaficeskoje obozrcnie
Xlll — XIV, 251 — 252, Zapiski gcograf. obsdestvva po otd. etno-
grafii, V, 715; Romanow, Bjelorusskij sbornik, IV, 159; D o-
browolskij, Smolenskij ctnograf. sbonuk, 1, 243; Dikarew,
Cornomorski narod. kazki i anckdoty, S. 5; 2iwaja starina,
1895, H. 3 — 4, S. 441; Mrocko, Sniatyhszczyzna, I, 62, Kel-
berg, Chcimskie, II, 157, Swietek, Lud nadrabski, 583 — 584;
Zbiör wiadomosci do antropologii krajowej, II, 130 — 131, V, 167,
VII, 108—109, XI, 39, XV, 265.
V. Die wunderbaren Brautiverber. An das bekannte Märchen
von den Brüdern mit wunderbaren Eigenschaften, welches Benfe y
eingehend untersucht hat (Kleinere Schriften, B. II), scliliesst sich
ein anderes, von der Brautwerbung mit Hilfe wunderbarer Gesellen,
an. Der Held will die Tochter eines Königs oder Zauberers heim*
fuhren. Unterwegs begegnet er einigen wunderbaren Gesellen; der
eine lauft sehr schnell, der zweite sieht sehr weit, der dritte isst
sehr viel, der vierte ist ein ausgezeichneter Schütze, der fünfte
blast sehr stark u. s.w. Die alle nimmt der Held mit. Der Vater
der Braut verlangt vom Bräutigam die Erfüllung einiger schwierigen
Aufgaben. Zuerst muss er ihm in einer sehr kurzen Zeit irgend
einen Gegenstand aus weitentferntem Orte bringen. Der Weitläufer
ist mit einem Satze dort, auf dem Rückwege schläft er jedoch ein.
Der Weitseher sieht dies, der Schütze schiesst und weckt den
Boten auf. In einem Nu ist dieser zurück. Dann sollen die Braut-
werber eine ungeheuere Menge Fleisch und anderer Speisen auf-
essen. Der Vielesser tsst das alles auf und schreit dabei: „gebt
noch, wir sind hungrig !" Endlich müssen sie auf einem eisernen
sehr angeheizten Ofen sitzen. Vom Blasen des letzten Gesellen
wird der Ofen ganz kalt und die Brautwerber überstehen die
Probe. Der König muss die Tochter geben und der Held heirathet
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sie. Manchmal sind die Eigenschaften der Brautwerber anders und
dementsprechend ändern sich auch die Aufgaben, welche sie er-
füllen. Vergl. Orient und Occident, II, 296 — 299; Archiv für slavische
Philologie, II, 639 — 640 ; Dragomanow, Malorusskija predania,
274 — 278; Nowosielski, Lud ukrainski, I, 270 — 276; Roma-
now, Bjclor. sbornik, III, 118 — 119, 131 — 132; Man£ura, Skazki,
26—27; Ungarische Revue, V, 735—739; Beneä-Tf ebizsky,
Nirodni pohädky a povesti, 2. Aufl. 94 — 99; Ciszewski, Kra-
kowiacy, I, 189 — 190; Etnogr. obozrenie, XII, 42 ff.; Germania,
XV, 186 — 187; Sbornik materjalow dla opisania Kawkaza« XIV,
Abth. 2. S. 206—208, XVIII, Abth. i. S. 64—69, XIX, Abth. 2.
S. 4 — 7; Zbiör wiadomosci, IX, 81 — 84, iio — iii; Säin^nu, Ba-
smeie romäne, 914 — 915; Carnoy und Nicolaides, Traditions
populaircs de TAsic Mineure, 49 — 56.
VI. Eine alte Legende. G. Cederschiöld theilt in der Ger-
mania (XXV, S. 135) aus einer isländischen Handschrift des XIV.
Jahrhundertes folgende Legende mit: Ein Landmann führte ein
rechtschaffenes und frommes Leben; als er aber starb, da wurde
ein furchtbares Gewitter und die Leiche begann gleich zu faulen
und zu stinken. Alle Leute dachten deswegen, dass er ein sehr
grosser Sünder gewesen sein muss, und wollten ihn nicht einmal
auf dem Friedhofe begraben. Die Wittwe lebte lustig und sünden-
haft, jedoch bei ihrem Tode war ein wunderschönes Wetter. Die
Leute hielten sie darum für heilig. Nach diesen Eltern ist aber
eine Tochter geblieben. Diese wurde über die Naturerscheinungen
beim Tode ihrer Eltern betroffen und dachte darüber viel nach.
Sie kam zur Überzeugung, dass die Lebensweise der Mutter bes-
ser sein muss, als die ihres Vaters, und entschied sich so zu leben,
wie die Mutter gelebt hat. Da nahm sie im Traume ein Engel,
führte sie in den Himmel und in die Hölle und zeigte ihr die
Himmelsfreuden des Vaters und die Höllenqualen der Mutter.
Das Mädchen begann nun ein rechtschaffenes und frommes Leben,
wie es ihr Vater geführt hat
Dieselbe Legende befindet sich auch in einem galizisch-russischen
handschriftlichen Sammelwerke aus der Mitte des XVIII. Jahr-
hundertes (Bibliothek des Ossolinskischen Institutes in Lemberg,
N° 2189). Ein alter Einsiedler verirrte sich einmal im Walde und
nach einigen Tagen kam er zu einer Höhle, in welcher er eine
heilige Einsiedlerin fand. Diese erzählte ihm ihre Lebensgeschichte.
3ie stammte aus dem Dorfe Enom in Palestina und war Tochter
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199
eines Landmanns, der hiess Theodor. Ihr Vater war schwach und
kränkhch, dennoch aber arbeitete er sein ganzes Leben scliwer
und war rechtschaffen und fromm. Die Mutter hingegen, Namens
Marianna, war immer gesund und schön, sie war aber sclilcchL und
gottlos und führte ein liederliches Leben. Als der Vater starb,
war durch einige Tage solch ein schreckliches Gewitter, dass man
ihn nicht begraben konnte. Die heute fluchten ihm, da sie ihn
für einen grossen Sünder hielten. Die Mutter lebte noch in Sün-
den zwei Jahre, als ae aber starb da war ein sehr schönes Wetter ;
zum Begräbnis sind viele Leute zusammengekommen und sie
priesen sie alle för heilig. Die Tochter dachte nach alle dem,
dass es doch besser sein muss, liederlich und sündenhaiti wie ihre
Mutter, zu leben. Im Traume aber zeigte ihr ein Engel das
Glück des Vaters im Himmel und die Qualen der Mutter in der
Hölle, so dass sie sich bekehrt und beschlossen hat, fromm und
rechtschaffen, wie ihr Vater, zu leben. Sie verschenkte alle ihre
Habe den Armen, gicng in diese Wüste und blieb da vierzig
Jahre, ohne je einen Menschen zu sehen. Nachdem sie dem Ein-
Siedler ihre Geschichte erzählt hat, betete sie zusammen mit ihm
und dann starb sie (pag. 48 V. — 52 V.). Vergl. auch 2urnal minis-
terstwa narodnaho proswjeSj^enia, Bd. 217, S. 94 — Ii 2.
Lemberg.
Perchta.
Von Dr. M. Höf 1er.
Früher machte man die Perchta zu einer germanischen Göttin,
was sie sicherlich nicht ist. Dass sie aber nur aus dem Kalender-
namen (Perktennaht = Nacht der Perhte = Perchtag, Prechtag
= Epipkania, befama) entsprungen sein soll, ist ebenso zweifelhaft
als dass sie blosse Kinderscheuche im Gespensterglauben des deut-
schen Volkes war.
Wie Trud (Drude) auf eine Koseform trüt = die Traute, Ge-
liebte zurückgeht, so beruht auch Perchta auf demselben Frinzipe
der Namenbildung wie etwa die griechischen Eumeniden; akd*
prehan = glänzen, leuchten, giperahta naht = die leuchtende Nacht.
Perchta = die Leuchtende, Glänzende. Gleichwie Frau Holle
einzeln aus der Schar der Hollen (Holden) ragt, so ist auch die
20O
Perchta die Anführerin der Elbenschar. Sie ist eine weibliche
Elbenügar. Das Kinderheer der Percht ist der Schwärm der nächt-
lich einkehrenden Alpvvesen, die das Volk als ungetaufte oder
unzeitig geborene (unschuldige) Kinder annahm und die zur Berch-
telnschar wurden, zum Schwarme der in den Rauch« oder Göb-
Nächten ausfahrenden Geister Gdbnackt'Perchtl , Sechst, Alpög,
öj), Perchta trägt nur elbische Gestalt : i) sie schwärmt zur Zeit
des niedersten Sonnenstandes in der Herbstnachtgleiche und in
der Winter-Sonnenwende; 2) sie erhält eine Kultspeise (Berchten-
mtlch) (Sckmeller L ^70. 271); 3) sie wird durch den Berchtentanz
(ßercht'Laufen) verscheucht; 4) sie wird durch Bercht-Runen (aus
dem ahd. Personennamen Berktrün wie Alumnat AdalrUm etc, zu
erscMiessen) weggezaubert; 5) sie lebt wie andere Elbengestalten
auf Wiesen (lo, Jahrh.) perten wisun (0, B. V, A. i8gf, 3S3),
Perehiwiese (Heyl 660)*
[Zum Vergleiche seien hier angeführt: Idisia-viso — Idisen- Wiese
( Goltk. iio), Engel- Wiesen (Ingelwis) (Sepp 2j6), Elben- und Butten-
Wiesen (Buch 42, 56)^ Zwergen- Wiese ( Vemaleken 202 Hexen-
wiesen^ Trudenwiesen, Teufelwiesen ( Schell s^sh ^^^^ ^
verschiedenen verwunscßtenen, verschworenen (Schwur-), Fiuch^Wiesen
etc.]* Auch im Loh: Berchten-,Loh" (Berahti-Loh) (Bechst. Alpbg,
yp) und auf , Steinen" (Berchtenstain) (Verf, Baum- und Wald-
kult S, 10) tritt sie wie andere Elbengestalten euf.
6) sie hat elbtsche Körperzeichen an sich:
a) Fussgebrechen: la reine Berte au grand pied (i2'js)t l^ reine
pidoque (= cum pede aucae = Gänsefuss, Entenfuss), behrte mit
dem fuoze (H* A. Rh. sS)'
b) Nasengebrechen: die fraiwu die do haiszent Precht mit der
eysnen Nas (Zingerle 18g) ^= Eiss-, Schreck-Nase) (Schmeller /.
2jo), yahn 2S2; Z, d. D, Oe. A, V. jSSi, iSp. ipj) = Potz-Nase;
eiserne Beata; Frau Precht mit der langen nas (H, A. Rh, js)'
1) sie bringt wie alle elbischen Gestalten bei Menschen Krank-
heiten:
a) sie schlägt mit Blindheit, blendet anblasend d.h. macht Blat-
tern (Variola) mit nachfolgender Erblindung (Köhler Vb. ^p/;
A, Rh. ^3).
b) sie nistet als Perchte in ungekamten Haaren (Wichtelzopf,
Weichselzopf, Holdenzopf) (Alpbg. Sjo),
5) sie tritt die Kinder d. h. macht Alpdruck und Eiss d. h.
Nachtschrecken (Pavor nocturnus) (Golth. 4.^3, Schmeller /. 272)
= Eisender tha (Rüchh. /. 6$),
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d) sie hackt mit einem Beile in Schulter und Knie d. h. macht
rheumatischen Gliederschmerz (Manvh. öy. H, A. Rh. sSj).
e) erzeugt die berchtischc Truden-Phantasie (= Wahnvorstellung)
(Schmeller 1. 2'] 2}.
f) macht geschwollene Köpfe — Parotitis epidemica (Z, d, D.
Oe. A. V. j88i. 183).
g) sie entführt Kinder und Wöchncrinen (= Eclampsia).
8) sie ist wie andere weibliche Dämonengcstalten geburtshilflich
thätig und wird im Volksglauben zur , Hebamme", „Wehmutter'*
(Panzer 24.']}.
a) sie schneidet den Bauch auf (Kaiserschnitt?)
b) sie hat einen grossen Kindsfuss (Uterus-Compression) (s. Janus
iSgy. S. 146) und nach ihr hiess das Schlossbein (Geburtsschloss)
os Bertram bei den alten französischen Hebammen).
c) sie trägt blutige Hände (als Hebamme) (Kuhn I. 6i }.
d) sie trägt eine Kuhhaut (Geburtslager) (Z. </. D, Oe. A, V*
188 1. J82).
e) sie bringt Kinder durch das ^berchtelnde" anklopfende elbi-
sche Kleinvolk, das in den Rauchnächten, 12 heiligen Nächten
(zc wlhen nahten umgeht).
f) Die Lebensrute wird zum Berchtelboschen dem Vorläufer des
Weihnachtsbaumes (Allg. Zeitung. i8g^. No, jj6, Jjj, Jj^. Verf,
Baiwi- und Waldkult S. iio).
Wie alle elbischen Gestalten hat Pcrchta demnach eine holde,
milde Seite imltcn Rehte) und eine unheimliche, schreckliche Seite
(wilde, Ein , l'iss-Berta).
Aus der i'erchtenschar, dem Schwarme elbischer (jeister oder
dem Kinderheere der Percht bildeten sich 3 Pcrchten aus (die den
3 spinnenden Basen, 3 tieilrätinen, 3 Schwestern etc. entsprechend)
zu Schicksalfrauen wurden, welche zu den seelischen Geistern ge-
hören wie die nordischen Nornen. Die eine hiess Ein-Perta (—
egin, agin — erschreckmidt: , Laistncr II. 400) = Einbet (Einbeht,
Aünbert); die zweite hiess: Wil-Perta {ivila = Weile, Stunde) die
die Schicksalsstunde bestimmende Wilbeht, Wilipeht; die dritte
hiess: War-i^tx-, Ger-, Gwer-, Wer-, Bor-, Wal-, Bar-)i'^/a (Beht-,
-Bert) = die wahrnemende Perta.
Diese 3 Fräulein gehen in den Weihnächten um und gehören
im Volksglauben auch zum Gefolge der h. Ursula mit den 11,000
Jungfrauen (= Elbenschwarm, der im Altweibersommer oder in der
Galluswoche durch die Lüfte fliegt und dann besonders rührig ist).
Aus diesen Haupttypen der Perchta ei^bt sich, dass sie keine
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Göttin war. Ganz unglaublich ist es aber aucli, dass Pcrchta
nur die Personifikation des Epiphanien- oder Prcch-Tagcs wäre
und erst aus christlicher Zeit und l^irchh'chcn Kreisen entstamme.
Kein einziger K.ilenderheihge träfet so deuthclic Elbengestalt wie
Perchta; keiner hat nur irgendwie solche verbreitete Volkstümlich-
keit als Elbenschwai iiituiirer wie Perchta, die schon die Germanen
nach Frankreich und Italien verpflanzt zu haben scheinen.
Eine geburtshilflich gütige P>au des Volksglaubens kann nie aus
ihm ganz verschwinden; dass aber ein christlicher Kalender-Tag
zum Namen einer solchen geworden sein sollte, glaube, wer es
glauben kann.
Litteratur. Mythen und Sagen Tirols von v. Alpenburg ( Beck'
stein) ( iS^y ). — War /er buch, bar er. v. Schmeller-Fromann^ { i86g). —
Ober-Bayer. Vereins-Archiv für Geschichte. — Duck, Flurnanien
(1880). — Heyl, Volkssagen {18^"]}. — Henne Am R/iyn, deutsche
Volkssagen (i8']g}. — Golther, gertn. Hfythologie (iSq^). — Kohler,
Volksbrauch (i86j). — Sepp: Altbayerischer Sagensc/iats. — Laist'
ner, Rätsel der Sphinx (iSS(;). — Vernalecken, Alpensagen (18^8). —
Pamer, Sagen. — Jahn, deutsche Opfergebrauche (iSS^). — Roch-
holz, deutscher Glaube (186^). — Zeitschrift des Deutschen und
Oester r. Alpen-Vereins. — Kuhn, Westphäluche Sagen {18^9).
Tölz.
Der Tote in Glaube und Brauch der Völker«
Eine Umfrage.
IV. In Portugal, (Schluss). In der Umgegend von Porto lässt
man, wenn der Todeskampf bei einem Sterbenden lange anhält,
zur Beschleunigung die Kirchenglocke siebenmal anschlagen. Dies
ist noch eine Erinnerung an die alte heidnische Sitte der ^Tod-
Vollstreckung seitens der Verwandten.*'
In Braganza wiederum meint man, dass Reisende eine Münze
mit einem Kreuzzeichen bei sich tragen sollen, um bei {»lötzlichem
Tod ihre Zugehörigkeit zum Christentum darzuthun, und auch um
in geweihter Erde bestattet zu werden. Ebenfalls soll dann San
Pedro die Himmelsthür auch ohne das letzte Sakrament auüschlies-
sen, wenn der Verstorbene im Übrigen ein gerechter Mann gewesen.
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Eigentlich ist dies nur das Begräbnissgeld im katholischen Sinn,
immcrliin liegt auch der Mythus darin, den Eintritt in den Him-
mel dadurch zu erhalten.
Leite de Vasconcellos, der sorgsame Erforscher der Sitten
Portugals, bezieht obiges auf das „Geld für Charon" erwähnt auch,
dass man Geld in den Sarg thut, damit die Verstorbenen den
Totenfluss passieren können.
In der Gemeinde von Guifoes (bei Mathosinho) legt man den
Toten Kreuzergeld in den Sarg, damit der Verstorbene San Thiago
de Galliza passieren kann, daselbst soll sich auch ein Höhle be-
finden, durch die jederman ob lebend ob tot dermaleinst gehen
müsse.
Im Cimbres wirft man ebenfalls Geld in den Sarg, damit der
Tote zur Harke (oder Brücke) gelange. Ähnlich ist es in Sinfaes
und auch in Minho. In Porto und Villa Real sticht man eine
Nadel in das Gewand des Toten, damit er droben vor Gottes
Thron der Lebenden gedenke.
Durch den Glauben an die Totenbarke veranlasst, entstanden in
der portugiesische Literatur die kirchlichen Festspiele des Gil
Viccnte, die Barke der Hölle, des Purgatoriums und des Paradieses.
Der Glaube von der Brücke bezieht sich auf die Milchstrasse,
volkstümlich ^San Tliiago's Weg" genannt. Die Psychotasia, oder
das Wagen der Seelen um ihre Verdienste abzuschätzen, vom
Erzengel Michael vollzogen, ist beim Volke allgemein geglaubt,
und in einem traditionellen Gebet (Porto) beschrieben:
San Miguel wägt die Seelen, I>egt Unsere Liebe Frau den Mantel sa^
Legt Gewichte in die Waage, Die Gewichte bleiben schweben:
So viel sind der Sünden drin Durch Maria's Gnade
Dass sie mit zu Boden üakx. Ist meine Seele gerettet.
Die Idee, dass der Tote in einer anderen Welt wieder auflebe,
veranlasste die Urvölker dem Leichnam die Geräte seiner irdischen
Thätigkeit mit ins Grab zu geben, damit er sie im Jenseits wieder
gebrauchen könne
Eine Spur solcher ani mistischen Vorstellung besteht noch heute
in Portugal bei der Beisetzung des Königs. Bei der Überführung
der Leiche aus dem könighchen Palast, sagt der draussen wartende,
l) Johannes Müller erwähnt in seiner Weltgeschichte den chinesischen Brauch,
dem toten Künig die Tafel zu decken, und sagt: „Diese Sitte, die sich nodi heute
in China findet, bestand in Frankreich bis zu Zeiten Ludwigs XIV, wo man den
Königen noch vierzig Tage lang nach ihrem Tode, die Tafel deckte."
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nächste Verwandte zu der königlichen Leiche; „Eure Majestät
kann abreisen."
Das Banket für den Toten oder die Mahlzeit die man ihm mit
ins Grab gab, wurde dann später an die Leidtragenden verteilt
Als die Sitte des Totenbankettes in irgend einer Form zu katho-
lischen Bevölkerungen gelange, war es der Priester, der das Mahl
als ,Mes50pfer oder Altaropfer*' schliesslich empfing
Im 14. Jahrhundert bestimmte ein gewisser JoSo ^Barbadäo in
seinem Testamente: Am Tage meiner Beisetzung mache man mir
den Totendienst mit drei Lektionen und Messe mit ihrer Verrich-
tung und ich befehle, sie zu halten mit Brot und Wein und Lich-
tern nach dem Gebrauch." Und weiter unten steht: «Und ein
Jahr danach, zu meinem Gedächtniss sollen angeordnete Messen
gelesen werden, und ich befehle, sie auszurichten mit Brot und
Wein und Lichtem nach meinem Testament.'*
Hier ist das Erinnerungsmahl mit dem Totenkultus verbunden.
In Minho ist das Messopfer bei Begräbnissen noch heute üblich,
wobei dem Gemeindeabt ein Korb mit einem Stockfiigh (dessen
Schwanzstück sichtbar sein muss) überreicht wird. Die leidtragende
Familie giebt den Teilnehmern ein Essen, wofür diese ein Toten-
amt lesen lassen, das man ,Clamores" nennt. Weissbrot wird an
die Anwesenden verteilt, und das Essen besteht meistens aus
Bohnen oder andren Pflanzen *, *).
In Coimbra nehmen auch die Kinder an den traditionellen
Erinnerungszeremonien teil, und betteln eifrig an den Thüren.
Auch Viterbo spricht von den Totenmessen: In den Minho,
Beira, Tras os Montes Provinzen, hat man die Regel der Wachs-
kerzen und Kirchenopfer noch nicht völlig vergessen, denn nicht
nur wenn Jemand stirbt, bringen sie Wachs, Brod und Wein und
andre Dinge dem Pfarrer, sondern auch an Sonn- und Festtagen
1) Die Egypter pflegten Trauerbaakette bei Bestattungen abzuhalten; die Griechen
hatten dafür die Colyben (Verteilung von Pflanzen und Früchten). Auch die römische
Bestattxing endete mit einem Gastmahl, und man verteilte Fleisch unter das Volk.
Bei den Lithauem wurde Meth, Milch und Bier vor dem Scheiterhaufen getrunken,
um den man tanzte. Tn Russland Lcslclit noch das Banket unter dem Namen „trigna".
2) Gubernatis erwähnt die Verwendung vou Gemüse (Erbsen), bei Begräbnis-
zeremonien, im vedischen Ritual; in der griechischen Glaubenslehre zur Bezahlung der
Fahrt und als Reisekost. Im Piemout ist am 2 Novemher (Totenfest) eine Verteilung
von Bohncu an Arme üblich, um für das Seelenheil Verstorbener zu beten.
3) Auf den Azoren San Miguel wird am Totenfest Linsensuppe gegessen.
4) Vom y^Brod der Toten" schreibt Labrös in Rivista di lelteratura popolare de
Sabatini pag. 53. Roma. In Catalonien verwendet man beim Totenfestmahl das Mehl
der Kichererbse.
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tragen sie bestimmte Brode, Kannen oder Flaschen Wein zusam-
men mit einem brennenden Licht auf das mit einem Tischtuch
bedeckte Grab. Der P&rrer liest das Kesponsorium und sammelt
die Gaben ein.
Diese Zeremonie heisst „Ementar", vermutlich eine Verstümme-
lung des Wortes „Memento" mit dem das Responsorittm b^innt.
Auch Ribeiro (Elucidario t. I. pag. 139 Ed. Innocencio)
bestätigt diese Beobachtungen: Bei den Begräbnissen auf den
Dörfern findet man eigenartige Sitten, ebenso lächerlich wie aber-
gläubisch. Manchmal wird die Altargabe von einem Manne dem
Leichenzuge vorangetragen, der in einen Mantel gehüllt, die Hut-
ränder niedergekrempt, auf der Spitze seines Stockes eine Orange
aufgespiesst hat, die die Altargabe in baarem Gelde enthält.
Bei andren wird die Spende von einer Frau getragen, die Maria
heisst und Kinder ausser der Ehe haben muss.
Wieder in andren Gemeinden besteht das Opfer aus Brod, Wein
und einem lebenden, männhchen Lamm, das in einem Korbe ge-
tragen wird, wobei man die TLtiquette beobachtet, die zusammen-
gebundenen Beine des Lammes unter dem bedeckenden Tuche
vorsehen zu lassen.
Bei dem Beerdigungsbankett verzehrte man ehemals einen ein-
jährigen Ziegenbock oder ein Lamm.
Bei Ar^ueda bezahlt die Familie des Verstorbenen den Wert
eines Hammels für den Mann, eines Huhnes für die Frau, an den
Gemeindegeistlichen.
Auch der Weg zur Beerdigung hat seine ganz bestimmten Vor-
schriften. Wenn in Basto ( Minhoprovinz) die Leiche eine Brücke
passieren muss, um im benachbarten Kirchspiel begraben zu wer-
den, geht der eine Pfarrer mit bis zu der Brücke. Die Begleitung
(nur Männer) nehmen händevoll feinen Sandes, werfen ihn ins
Was'^cr und sprechen dabei: „Soviel Engel sollen dich in den
Himmel begleiten, wie Sand ins Wasser fällt." Dabei halten sie
sich die Ohren zu um nicht das Geräusch im Wasser zu hören.
Der Pfarrer aus dem andren Kirchspiel nimmt dann die Leiche
in Empfang und führt sie zur Kirche (Leite de Vasconcellos,
Tradicoes pag. 243).
In Paraduga (Lcomil) tragt der Trauernde .sein Hemd während
eines Monats. Danach begleitet ihn die Gemeinde zur Messe. In
Gondifellos (Famalicäo) rasiert sich der Leidtragende einen Monat
nicht.
Wenn auf den Azoren (Insel Maio) jemand stirbt, wird das
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Klagen „o coro" unmittelbar veranstaltet, ebenso wie auf dem
Capverdischen Archipel, (beides sind portug. Colonien). Auf den
letzteren ist die Sitte der „esteira" (Matte, weil der Tote auf einer
Matte liegt) gebräuchlich, die je nach dem Reichtum 8 — -14 Tage
dauert. Das Bec^räbnisfest heist csteira. In einem Winkel des
Hauses kauert in völliger Dunkelheit die Witwe, den Kopf ver-
hüllt. Die zahlreichen Besucher spielen Karten und die Verluste
werden in Paternostern vor dem Kreuz wett gemacht. Zugleich
ist das Haus der esteira der Rendez-vous Platz der jungen Welt
und beim Beten nächtlicher Weile verabsäumt man nicht die zärt-
lichen Gespräche. Der letzte Trauertag ist die eigenthche esteira; .
es giebt ein grosses Festmahl, dessen Menu aus Ziegenbraten,
Kürbis und dem nicht zu vergessenden Branntwein, ohne den kein
Fest möglich ist, besteht.
W^enn auf Madeira in Louracs eine Kind stirbt, hüllt man es
weiss ein, befestigt es mit Bändern und Schleifen auf einem Tisch
und ladet die Nachbaren zum Tanz bei dem Engelchcn ein. Die
Geige wird gespielt, und bis zum andren Tage — dem Begräbnisse
getanzt. (Almanach de Lembrangas 1877, pag. 263). Den Stcrbe-
und Begräbnisgebräuchen entsprechen die jährlichen Gedenkfeiern
— die letzten Reste des Totenkuitus, von der Kirche als Toten-
fest sanktionirt.
Auch diese Riten bestehen in Gesängen, Tänzen und Festmäh-
lern an den Gräbern
In der ersten Kirchenzeit erhielt sich auch noch der Brauch,
wie das Wort des San Agostinho beweist: „Non sint sumptuo sac",
empfiehlt er in Bezug auf die Trauerbankette.
Bei den skandinavischen Völkern scheinen die Grabbankette ein
Teil der religiösen Feste gewesen zu sein.
Thierry leitet diesen Brauch der gemeinsamen Gastmähler der
Brüderschaften vom Mittelalter her, bei denen sich der Vertei-
digungsbund erneute. Das dritte Glas war Verwandten und Freunden
geweiht, deren Graber kleine Rasenhügel in der Ebene bezeichneten.
Zuweilen trug solche Vereinigung die gemeinsame Gedenkopfer
darbrachte, den Namen der Freundschaft „Minne", doch meistens
1) Die Gnbges&nge und die Totenmahle waren die gallische Dadsila (DihsUa wie
Bcllogitet verbessert), von den Kapiteln Karls des (liosscn verboten, sie sollten
nach Gregorius von Tours in der Auvergne noch existiren, ebenso im XI. Jahrhundert
in Deutschland (Ethnoginie gaulolse t. I, pag. 316).
2) T5ei den Uidcn der Gedenkritus aus Tobias IV, V. 18: Gieb Almosen von dei-
nem. Brod und Wein bei dem Begräbnis der Frommen !.... '
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hiessen sie , Gilde", d. h. gemeinsam bezahltes Mahl, ein Wort,
welches ebensowohl Genossenschaft wie Brüderschaft bedeutete»
weil die Opfernden durch Eid gelobten einander beizustehen wie
Brüder. (Considerations sur l'Hist. de France, cap. 6).
Die Toaste mit Wein gelten auch heute noch als Zeichen der
Freundschaft, ebenso wie die Festmahlzeiten bei den Heiligenfesten»
die Spuren des Heldenkultus aus den alten Gildenfesten sind.
Thicrry beschreibt die Wandlung der Sitte, wie sie sich auf
der iberischen Halbinsel an die bestehenden Brüderschaften schloss.
Die Germanen brachten diesen Brauch auf ihren Wanderungen
. überall mit, er erhielt sich auch noch nach ihrer Bekehrung zum
Christentum, indem die Anrufung der Hcih'gen an Stelle der von
Göttern und Helden trat und fromme Werke den positiven Interes-
sen zugefügt wurden, die ursprünglich der Zweck dieser Verbindung
gewesen waren. Der „Becher für die Tapferen" wurde iri^end einem
besonderen Heiligen dargebracht, oder einem irdischen Herrn; den
„Becher für die Freunde" trank man im (iedenken der Toten, für
deren Seelenheil man «gemeinsam nach der Festfröhlichkeit betete.
Die Geschichte der bri.iderlicht:n Verbindungen der ^Irmanandades"
und „Confrarias" ist noch mit dieser Sitte die in den Trauerge-
bräuchen erhalten ist, verknüpft, aber ohne dass man sich des
eigentlichen Zweckes ihrer Entstehung mehr bewusst ist. Indessen
muss man die Altaropfer, die „Übradorios" oder ^Oblatas", die bei
Messen, Begräbnissen üblich sind, von den „Banketten an den
(Trabern" unterscheiden j die einer höheren sozialen Phase ent-
sprechen.
Am deutlichsten erkennt man den Charakter der letzteren in
den gesungenen „Seguidilhas" am Grabe des Condcstavel Nuno Alves
de Ferreira, die mithin zu rehgiösen Tänzen Veranlassung gaben.
In Santarem hnden wir auch die Übereinstimmung mit den
Dadsila.
In der Fastenzeit singen neun Landleute nachts vor den Thüren
und bitten um Gaben für die Seelen. Von dem Oelde muss der
Prior Messen für die Seelen im hegefeucr lesen und ausserdem
den Sängern eine Mahl geben. Diese Trauerbankette bestanden in
Lissabon noch ums Jahr 1872.
Auch Viterbo im Elucidario t. I. pag. 140 beschreibt die
Bankette die man an den Tagen der Heiligen unter dem Namen
„Bodos" veranstaltete: Die Mitglieder der Trmandades und Con-
frarias vereinigten sich an bestimmten Jahrestagen zu Gastmählern,
wo von den Einkünften der Gesellschaften die Armen gespeist
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wurden. Auch Legate wurden für solchen Zweck gestiftet. Viterbo
führt den Namen „bodos" auf „bodano«;" zurück, die germanischen
Bankette, die zu Ehren des Wodan jj^efeiert wurden.
So wie bei den arischen Völkern die Toten einen heiligen
Charakter darstellten, der angebetet und verehrt wurde*), fürchtete
man sie auch andrerseits als böse Wesen, wenn verabsäumt worden,
die Trauer- und Erinnerungsriten in der vorgeschriebenen Weise
auszuführen.
Die ruhelose büssende Seele, ist solch übelwollendes Wesen,
weil ihr lester Wille nicht erfüllt wurde.
Nach Fustel de Coulangc hat sich diese Seite des Toten-
kultus am meisten bei der portugiesischen Race als „Furcht vor
den Seelen des Jenseits" erhalten.
Unzählig sind die Beispiele des Aberglaubens, die sich an den
Weg, die Bestattung und die Fürbitten für die Seelen im Fege-
feuer knüpfen.
Einige solche Beispiele sind von Consiglieri Pedroso ge-
sammelt: W^enn jemand stirbt, ist es gut sein Bett zu verbrennen,
damit er nicht in die Welt zurückkehre.
Wenn jemand im Sterben liegt, soll man das Fenster im Zim-
mer öffnen.
Wenn jemand stirbt muss man die Lichter die bei ihm brennen
nicht eher auslöschen, als bis die Leiche in der Kirche ist.
Manchmal erscheint die Seele des Verstorbenen in Gestalt eines
schwarzen Hundes. Wenn ein Kind mit offnen Augen stirbt,
stirbt auch der, den es am meisten liebte. Es ist gut Stecknadeln
in das Sterbekleid des Engelchens (junge Kinder) zu stecken,
denn es betet dann für den Betreffenden. Wer eine Wunde hat,
soll ein Tuch nehmen, sie abwischen und das 1 uch unter den
Kopf des Toten legen und dabei spreciien; ^ühDui maim mir das
mit ins Jenseits.'*
Das Volk kuriert auch Skropheln, indem es diese mit den
Nägeln des Toten kratzt.
Damit der Tote nicht wiederkomme giebt es auch verschiedene
Vorschriften.
So die Zeremonie des „Totensäen".
Dazu muss man dem Sarge folgen bis auf den Kirchhof und
geglühtes Salz mit Gerste vermischt, heimlich fallen lassen. Wenn
i) Bei dcu kriechen: „die Unterirdischen", bei den Römern «die Maneii"| b«
Christi. Völkera j^dit ScUgea, Verklärten".
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209
der Verstorbene einen Lebenden vielfach beunruhigte, mnss der
letztere Lupinen, Salz und Gerste dorren und dem Leichenzug
folgend, wie ein Säemann davon auf den Weg streuen, und dabei
sprechen :
Dieses S«lz wieder ulng wird,
In Minho streut man einen Scheffel Hirse um den beunruhigen-
den Geist zu versorgen; da er im Jahr ein Körnchen braucht, ist
er für lange Zeit versehen.
Auch viele andre Erscheinung von Toten giebt es nach dem
Aberglauben des Volkes, die Veranlassung zu einem ganzen
grossen Cyklus von Legenden und Geschichten über die Seelen
des Jenseits geworden sind.
So z. B. „vom Sturme" nimmt man an, dass die aufgewirbelten
und wieder niederfallenden Blätter und Halme den Ort anzeigen,
an dem Verstorbene Diebstahl begingen.
Die Proz-ession der Toten (wohl der Ursprung der Tradition
vom Totentanz), an die man besonders in Guimaraes, Valenga und
Gallizien glaubt, vollzieht sich alltäglich beim Ave Maria (um die
Vesperzeit). Wer sterben wird, sieht sich sieben Jahre vorher in
dieser l'rozession. Aber nur die können es sehen, die ein Wort
zu wenig bei der Taufe erhielten, diese wissen aber auch, wer
sterben wird.
Eine andere Vorstellung von ruhelosen Seelen wird mit einem
angeblichen V^ogel in Verbindung gebracht, der sich alle 7 Jahre
in Alemtejo und Algarve hören lässt, der Zorra da üdeloca heisst,
und um Mitternacht oder um Mittag schreien soll.
Viel häufiger als man annimmt, kommt noch das Töten von
Sterbenden vor.
In einem Dorfe bei Tondello wurde eine alte Frau, als angeb-
liche He.xe, als sie im Sterben lag, kräftig mit dem Kreuz geschla-
gen, damit der Teufel durch die Berührung mit dem heiligen Holz
entweiche. Ebenso wird oft den Sterbenden das Kopfkissen weg-
gezogen, um den Todeskampf zu beendigen.
Die Beziehung zwischen Trauer- und Hochzeitsgebräuchen, be-
stätigt sich im Sprichwort: „Hochzeits- und Totenkleid wird im
Himmel zugeschnitten" und in ländlichen Sitten: In Tras es Montes
wird seit undenklichen Zeit der Gebrauch befolgt bei Hochzeiten die
Sterbeglocke zu läuten. Abeking.
Wenn diese Lupine kelmea wird,
Diese Gerste wachsen^
Sei es, dass Du wiederkehrest
Mich zu quälen.
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2IO
Volksmedizin und Volksrätsel aus Niederdsterreich.
Von Josef Böck-Gnadenan*
(Zu S. jj, j^J. Zu diesem Thema vermag ich einiges aus Nie-
derösterreich und Wien beizubringen und zwar überwiegend aus
dem ^ Wissensschatzc" meiner Mutter Aloisia geb. Kranzer, Mül-
lerstochter aus Hadersdorf am Kamp, politischer Bezirk Krems an
der Donau; meine Mutter wurde 1825 geboren, lebte, mit ganz
kurzer Unterbrechung, bis zum 25, Jahre in ihrer Heimat, lieiratete
1830 und siedelte aus diesem Anlasse nach W ien über. Was sie
reproduciert stammt, wie sie selbst behauptet, aus ihrer Heimat,
selbst dasjenige kannte sie, was sie erst als Muttergevvordene in
Wien anzuwenden in die Lage kam und rührt von den „verheira-
teten Weibern" her, die ins Vaterhaus kamen; es macht auch auf
mich den Eindruck, dass sie in ihrer neuen Heimat nur mehr
wenig in sich aufgenommen hat, obgleich die Versuchung nahe
liegt, da ja das Zusammenströmen der verschiedensten Kiemente
in der Residenz unwillkürlich die Einwohner gegenseitig beeinflus-
sen muss.
Theils aus den Mittheilungen tlieils aus Erinnerungen schöpfe ich
also folgende Volksheilmittcl : Wenn Kinder „unterwachsen" sind.
Leider vermochte ich nicht zu constatiren, welcher gelehrte Name
für diese Kianklieit der Kinder existirt; ob es sich um Muskel-
schmerzen des Oberkörpers oder um eine Rippenfellentzündung
odci alinhches hcuidelt vermag ich nicht zu sagen ; um die Krank-
heit zu constatiren, werden dem Kindlein im Hade z. B. der rechte
Fuss gegen die linke Brustscite gedrückt, schreit der oder die
Kleine, so ist das Kind unterwachsen. Man nimmt nun Kohlblätter,
entfernt die Blattrippen, streicht Butter darauf, legt dies auf die
Rippentheile (Brustkorb) und lässt dies „Medicament" so lange
liegen, bis es vollständig dürr geworden ist; die „Entzündung"
ist dann behoben oder „die Hitze ist ausgezogen". Andere Mütter
verwenden in solchen Fällen ihren eigenen warmen Urin; es muss
zu diesem Zwecke jedoch ein Stück von einem blauleinenen Fürtuch
(Schürze) verwendet werden. — Ohrringe gibt man den Kindern
schon frühzeitig, um Augenkrankheiten zu verhüten. Mein Bruder
{geb. 1865) lag noch im „Deckerl", als ihm das rechte Ohrläpp-
chen durchstochen wurde. Bei diesem Anlasse wurde mir, dem
allerdings schon Sechs- bis Achtjährigen, gleichfalls das rechte
Ohr mit einem Goldringlein versehen; als ich jedoch das 18.
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211
Lebensjahr erreicht hatte, entfernte ich dasselbe auf Anrathen
eines Herrn Rudolf Schcier (Chemiker und Journalist) in Wien;
ich war damals eben im l^cgriffe nach Paris zu i,a:hen und Herr
Scherer meinte, die Franzosen erblickten in einer männlichen
Person mit OhrrinLien einen beschränkten Menschen; da ich offen-
bar als solcher nicht gelten wollte, obgleich ich mich an meinen
damaligen Gedankengang nicht im Geringsten erinnere, entfernte
ich den Goldring und heute ist keine Spur weder vom Ring noch
von der Ohrläppchen- Verletzung übrig. Mein Vater (182 3--- 1890)
erhielt in Gemeinschaft mit seinen zaheichen Geschwistern auch
frühzeitig ein Ohrringlein; er trug dasselbe bis zu seinem Tode.
Der Vorgang wie man in seiner Jugend das Ohr durchbohrte
erschreckt uns allerdings heute, in der Zeit der Antistjptik. Man
beniitzte damals weder eine gemeine Stecknadel noch eine soge-
nannte Stechmaschine, wie sie auch der Goklarbeiter schon 1865
oder 1866 verwendete, sondern man gebrauchte einen Ring, der
angeblich aus Blei war; dieser Ring wurde in das Fleisch gedrückt
und ätzte das Läppchen nach und nach durch ; natürlich giengen
Entzündungen und Eiterungen Hand in Hand; hatte sich das Blei-
ringlein durchgefressen, so wurde ein Seidenfaden in die Wunde
eingezogen und dieser erst spater durch ein Goldringlein oder ein
„Flinserl" mit Schräubchen ersetzt. — Da wir bei den Augenkrank-
heiten sind, sei auch des Volksmittels „Krebsenaugen" erwähnt,
welche man in die Augenhöhle einführt, sobald sich ein fremder
Körper, ein Staubkorn etc. hinein verirrt hat; angeblich unischleimt
sich dieses Krebsenauge und nimmt dann auch den fremden Kör-
per mit; ich bin der Meinung dass zu dieser Procedur auch eine
robuste Natur gehört. Man kennt dieses Mittel auch in Wien und
schon als Knabe hatte ich in meiner „Naturalien-Sammlung" solche
Krebsenaugen. Eines Tages glaubte ich das Mittel anwenden zu
sollen; doch kam mir .so ein „Auge" doch zu gross vor und ich
pulverisierte es daher, gab aber sofort nach der ersten Dosis die
Absichten, auf diese Art mein verunreinigtes Auge zu retten auf;
später holte ich fremde Korper miL Anwendung eines Spiegels und
eines Taschentuchzipfcls heraus. Meine Mutter erzäldt übrigens,
dass bei ihr zuhau.se nur die ganz kleinen „Augen" der sog.
Weichkrebsen verwendet wurden. — Gegen einen schuppenartigen
Gesichtshautausschlag, „Zitterich" genannt, wird h^enstcrsch weiss
(dialectisch — schwitz) verwendet. In Wien wendete eine jüngere
Frau gegen einen Gesichtsausschlag auch ihren eigenen Urin an;
sie wusch sich damit. Der Urin .scheint übrigens für allerlei gut zu
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212
sein, auch zur Hciluuf^^ von wenigstens kleinen Verwundungen ; ein
in Wien lebender bekannter Gelehrter, k. k. Hofrath und Director
eines berühmten Institute, weigerte sich beharrlich, für eine kleine
Verwundung an einem Finger Carbolwasser zu verwenden ; er
gieng zum Pot de chambre und „wischerlte" sich auf die Wunde,
in der Uberzeugung dies sei das trefflichste Heihiiittel in solchen
Fällen. Die chemische Analyse des Urins weist nach: Harnstoff,
Harnsäure, Hippursäure, Milchsäure, Kreatinin, Farbstoffe, flüchtige
Säuren, Salze etc. Ob hievon etwas antiseptisch wirkt vermag icli
nicht zu sagen, ein oder der andere chemische Theil wird wol
zusammenr/iehend wirken. — Ein recht unappetitliches Heilmittel
sah ich als Knabe längere Zeit verwenden j eine Frau (Nieder-
österreicherin) hatte einen wunden Fuss, den musste „Mylord" der
Hund, täglich schlecken; angeblich gereichte dies der Wunde zum
grossen Vortheil. — Gegen die sog. engli.sche Krankheit (Rhachitis),
zu der mein Bruder hinneigte, verwendete meine Mutter Tropfwein
und rohes Mark vom Rind. Wein der von der Fasspippe abtropft
wird mit feingeschabten rohem Mark in der Wärme destilliert
und das Product zur Einreibung der betreffenden Glieder ver-
wendet. — Gegen Skropheln wird in Niederosterreich ein Abguss
des wilden Wermuth (Artemisia absinthium) verwendet. — Gegen
Frostbeulen, die wir uns auf der „Schleifen" (Eisbahn) holten, er-
hielten wir einen Absud von den Schalen der sü.ssen weissen Rübe
(Teltower etc.). — Gegen Nasenbluten sah ich zwei Mittel in Wien
anwenden: den Nasenblutenden wird entweder heimlich ein eiser-
ner Schlüssel in den Nacken gelegt oder es werden ihm an die-
selbe Stelle einige Tropfen kalten Wassers getropft; in beiden
Fällen handelt es sich um ein Erschrecken. Ich sah selbst, wie
das Nasenbluten sofort aufhörte. — Ein merkwürdiges Heilmittel
gegen Kolik thcilt mir meine Mutter aus ihrer heimatlichen Mühle
mit. Ein Müllerknecht litt an dieser abscheulichen Krankheit ; als
der Anfall einmal besonders stark war, sammelte ein älterer Knecht
das Ohrenschmalz sämmtlicher in der Mühle anwesenden Personen;
jeder gab was er eben besass. Zwischen zwei Brotschnitten auf-
gestrcichen, musste es der Kranke verzehren. Der Erfolg ist nicht
mehr in Erinnerung; gestorben ist der Mann damals allerdings
nicht. — Ein etwas ekliches Heilmittel, welches aber offenbar
mehr in die Categorie der ^Synipathiemittel ' gehört, lernte ich
vor einem Jahre kennen; den Jkricht erstattete eine in Wien in
aristokratischen Kreisen lebende Dame. Zwischen zwei Brotschnitt-
chen, einen Bissen bildend, wird eine lebende Bett-Wanze einge-
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213
presst; diese Geschichte verspeist, hilft gcf^en Epilepsie; die Ver-
speisung des HalblliiL^lers geschieht ohne Wissen des Kranken. —
Zum Schlüsse sei endlich erwähnt, dass auch frischer Kuhkoth,
angeblich gegen Entzündungen verwendet wird; ich erinnere mich
auch, dass speziell gegen Erkrankungen der Lunge Umschläge mit
Kuhkoth gemacht worden sind.
Volksrätsel aus Pommern (zu S. — 3g}. Hier handelt es sich
vornehmlich um Beiträge, welche die Verbreitung einiger Volks-
räthsel betreffen. Zu Nr, Ii sei bemerkt, dass wir als Kinder das
Räthsel kannten: „Oben spitzig, unten breit, durch und durch
voll Süssigkeit" {Zuckerhut). Zu Nr. 30. Auch in Oberösterreich
kennt man ein Rätsel, dessen Auflösung die Mohr-(gelbe) Rübe
ist; es lautet: ^Eier rei rippn | Wie gelb ist die Pippn | Wie
schwarz ist der Sack | Wo die Eier rei rippn | Sein' Pippn drin hat.'*
In der Heimat meiner Mutter (s. vorig. Art.) existiert Folgendes:
,Rirum-ra-ripfel | Schwarz ist das Zipfel | Schwarz ist das Loch |
WoderRinim-ra-ripfel ausser schlof." (Schwarzer Rettich). Es herrscht
kein Zweifel, dass ältere Personen diesem Räthsel einen lasciven
Schein geben. Zu Nr. 33 und 36. In Niederösterreich und Wien
ist folgendes Rätsel (Uhr) bekannt: ,Es timmerlt und tammerlt |
In meinem Schlafkammerl | A Wippn a Wappn | a eiserne (glä-
serne) Kappn." Frau Karolina Grädinger geb. Rasch deutscher
Abkunft, in Semlin geboren, in Temesvar verheiratet, im '74. Jahre
1868 zu Wien gestorben, hat ihrer noch lebenden Nichte dasselbe
Räthsel mitgeteilt; die erste Zeile lautet nur: ,£s timmerlt, tim,
tammerlt." — Nr. 48 ist auch hier bekannt, gilt aber nicht als
Rätsel, sondern als „Aufsitzer**. — Auch Nr. 50 ist in Wien be-
kannt; eine Dame (1840 geboren) berichtet, dass sie es als Kind
unter Kindern kannte. — Zum Schluss sei ein Volksrätsel aus der
G^end meiner Mutter mitgeteilt, welches in den Rahmen dieser
Mitteilungen passen dürfte: «Ari botari ober der Bank | Aribotari
unter der Bank | Ist kein Doctor im ganzen Land | der das Ari
botari curieren kann. (Auflösung : das Ei). Dunkel erinnere ich mich,
das whr das Rätsel als Kinder mit „Wigele, wagele'* hersagten.
Wien.
Böck.
214
Unbestimmte Zeit
(Volkssprachliche Parallelen.)
Von A. Treichel.
a. Läny^stvergangen. — i. Anno Kent, als der j^rosse Wind war!
(Fr. R. A. I. 88.) So sagt man in Konii^sberj^, wenn man ausser
Stande ist, eine i^cforderte Zeitani^abe ^L-uaii zu machen. Man
meint damit den am 3. November 1801 in Könit^sberg wüthcndeii
Orkan, der dort vielfach beträchtliche Beschädigungen anrichtete
und an den noch heute eine Denkmünze erinnert. 2. Auch mit dem
scherzhaften Zusätze : on de Sparling' Sevel droge (Säbel trugen) !
3. Anno als de grote Wind blies. 4. Abgekürzt: Anno Wind. (Fr.
W. B. I. 28.) 5. Anno Schnee. (Als ein grosser Schneefall stattfand.
6. Anno als de Wiszel (Weichsel) brennd'. 7. Anno Damals, als
die Warthe brannte und die Hunde mit den Strohwischen rannten.
(Jerrentowitz. Fr. W. B. I. 28). 8. Anno Dazumal. 9. Anno Tid
(Zeit). 10. Anno Krück. Krücke nennt man einen gehenkelten
Steinkrugf in Cylinderform oder bauchig mit engem Halse j davon
übertragen auf einen etwa so gestalteten Menschen; hier sogar ein
Ereignis, vielleicht die Zeit von deren Erfindung, vielleicht ganz
unbestimmter Natur. 11. Von Anno Krupp (Kr. Lauenburg i/P.).
12. Anno Schniefke. (Fr. R. A. X. 89.) 13. Von Anno Schniefke
her. (Schniefke ist Schnupftaback). 14. Von Anno Toback. (Fr. R.
A. I. 90.) 15. Wt de Tater (Tartar) önt Land k£m on w! et
Kringel regend'. (Labiau. Fr, IL 2623.) 16. Als de ohl Fritz Ge-
freiter wär! (Fr. L 1002.) 17. Das ist alt von höne hönel (wer
weiss, wie alt). Höne heisst etwa: siehe da! Als Ausdruck der
Überraschung. 18, 19. Das ist noch von Grossvatern — Grossmuttern
her (längst gewesen). 20. Von der Kurrenpest her! (Mohrungen*
Fleischer) d. h. als ein Sterben war unter den Kurren ; dies entweder
Pute, Truthahn, Mekagris gaihpavo, oder aber Huhn, vom poln.
kur, Hahn, kura, Henne. 21. Seit Olim's Zeiten. (Olim, latein.
ehemals). 22. Von Adams Zeiten. (Adam, der erste Mensch.)
23. Vorsindflutlich.
Christkünftig (um einen älteren, mir eigentlich nur literarisch
belcannten Provinzialismus zu gebrauchen, auch im Sinne von
niemals oder ungewiss); sckirskünftig dagegen nach pommerschen
Tagebüchern (Genskow) ist nächstkunftig. — i. Up Uhlepingste
(Eulenpfingsten), wenn dem Buur sin A.... bleegt (blüht). (Fr. R. A.
\. 775.) 2. Op Flumepingste (Pflaumenpfingsten)! (Fr. L 2930) d.
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215
h. wenn's zu Pfingsten schon Pflaumen geben wird, 3. Auf weisse
Pfingsten. (Fr. I. 2924). Liegt zu Weihnachten Schnee, so spricht
man von weissem Weihnachten; fehlt derselbe aber, so aber von
schwarzem Weihnachten ; ebenso von schwarzen oder weissen Ostern,
je nachdem der Schnee foi tgcschmolzen ist oder nicht; auch von
grünen Ostern, wenn schon die Gräser auf befreiter Erde sprossen.
Weisse Weihnacht soll im Volksaberglauben grüne Ostern geben
und umgekehrt schwarze Weihnacht weisse Ostern. Weil es aber
ganz gegen die Naturregel wäre, wenn selbst das sieben Wochen
nach Ostern fallende Pfingsten ein weisses, also mit Schneelage
begabtes wäre, so steht hier weisse Pfingsten für den Nimmerstag.
4. Wenn Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen. 5. Wenn de
Uhl ehr A..« bleegt. (Fr. I. 1238.) 6. Wenn de Uhl ehr A
Knoppes (Knospen) kiöggt. 7. Op e Nömmersdag. Auch mit den
beiden obigen Zusätzen. (Fr. I. 2792.) 8. Auf den heiligen Nim*
merstag. (Mewe. Fr. W. 6. IL 100.) 9. Er bezahlt's am Nimmer-
mehrstage. 10. Am zweiunddreissigsten. (Fr. L 1234.) 11. Es ge^
schiebt, wenn die Katze ein Spretuch (Spreittuch) trägt. (Fr. W.
B. IL 356. Vgl. R. A. 1. 2644.) 12. Wenn der Kater Junge
kriegt. (Fr. I. 1236.) Daher der häufige scherzhafte Stammbuchvers:
Unsre Liebe, die soll brennen | Wie ein dickes Dreierlicht; |
Freunde wollen wir uns nennen, | Bis der Kater Junge kriegt.
13. Bis der Kater Eier legt. 14. Wenn die Katze ein Ei legt.
(Fr. L 1234.) 15. Öss dat eine Mäglichkeit, Dat de Katt op Schlorre
geit. (Fr. I. 2650.) 16. Dat öss doch de reine aschgraue Möglich-
keit! (Fr. I. 264.) 17. Bis in die aschgraue Unmöglichkeit. 18. Bis
zur Unkenntlichkeit. 19. Bis in die Pechhütte. 20. Im Sommer,
wenn es Sonntag ist. 21. Op em Sommer, op em Sonndag, wenn
de Schotte käme. (Samland. Fr. I. 3532.) 22. Warte, bis die
Schotten kommen ! d. h. bis es Gelegenheit giebt. Aber auch als
Trost oder als Aufmunterung, das Heute zu gentessen: morgen
kommen die Schotten .... Schotten oder Schottenhändler sind
Krämer oder Händler, welche mit kurzen Waren auf dem Lande
umherziehen. Nach Kenn ig, 244 kommt das Wort von (Alt-)
Schottland, einer Vorstadt Danzigs. 23. Op em Sommer op em
Sinndag, wenn de lange Dag' sönd. (F. L 3532). 24. Op em
grote Sinndag, wenn twee ön £nem sön. (Natangen. Fr* L 3531.)
Wenn eine Angelegenheit in's Ungewisse verschoben werden soll,
ein Versprechen in das Ungewisse. 25. Op em Samer op em
Sinndag, wenn twee ön enem sön. (Fr. I. 353i>) 26. Am grossen
Sonntag, wenn*s Keilchen regnet! Das ist der Sonntag nach
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2l6
Trinitatis. 27. Das kömmt nach, wie bei der alten Frau dat Sogg.
(Gesäuge). (Fr. I. ?). Niemals. 28. Ja, in der Woche Nachmittags.
Ganz unbestimmt nach Tag und Stunde. 29. Und wenn er sich
99 mal auf'n Kopf stellt. (Fr. I. 1237.) 30. Ewi^^ und drei Tage.
(Langes Andauern). 31. Bis man schwarz wird. 32. Uas dauert
'ne halbe Ewigkeit. 33. Ein halbes Jahr länger als die Ewigkeit.
34. Bet de Sparling sine graue Rock uttitt. (Fr. II. 2512. Samland,
Littauen). Zur Bezeichnung ewiger Dauer, z. B. beim Briiderschaft-
trinken. 35. Ein neuzeitiger Trinkspruch beim Anstosscn (studen-
tisch) lautet: Das soll uns aber weiter nicht abhalten, vertrauensvoll
in die Zukunft zu blicken und die Fahne der Wissenschaft hoch
zu heben, bis zur Barriere der Unniöt^iichkeit ; denn wer weiss wie?
In diesem Kaluncn könnten allerdings die ausschliesscnden Be-
zeichnungen oder komischen Umstellungen leicht auch wechselsweise
für vergangen und küntti^^ m Betrachtung genommen werden. Ich
bescluankte mich bloss auf die beiden Fruvinzen Preussen. Sonst
führe ich als hergeluuig nur an: Wenn's Kirschkuchen regnet und
Bratwürste schneit, Dann werden die Jena'schen Macchcn gescheid.
Ahnlich heist's bei uns, wenn sich's weniger um die Zeit handelt,
zur Abwehr: Ja Kuchen, aber nicht London I oder zum Spotte:
Ja, wenn's Kirschkuchen wär' !
Es giebt also zahlreiche Redensarten, um eine Zeit anzudeuten,
welche niemals recht gewesen ist und welche niemals kommen
soll. Dabei nimmt der Volksgcist oft seine Zuflucht zu kirchlichen
Festen, denen man in komischer Weise eine Unmöglichkeit hinzu-
fügt. Darüber hat auch A, Gitt^e Manches in seinen „Scherzhaft
gebildete und angewandte Eigennamen im Niederländischen" (Z. S.
d. V. f. V. K. 1893. III. S. 433) vorgebracht. Mein Pflaumen-
pfingsten ist dort Fruimpaschen, also Pflaumenostem. Er hat itir
die Niederlande noch dabei den Zusatz : wenn die Kälber auf dem
Eise tanzen („als de kalveren op 't ijs dansen"). Er kennt auch
das Zusammen&llen von Ostern und Pfingsten. Neu ist: wenn
Ostern auf einen Montag föllt („als Paschen op een maandag valt**).
Aus dem Französischen führt er an: wenn die Fasten sieben Jahre
dauern („st la careme dure sept ans"); auch: die Woche der drei
Donnerstage („la semaine des trois jeudis"), oft mit dem Zusätze:
vierzig Tage nach Nimmer („quarante jours apres jamais"). Der
Italiener antwortet alsdann: II di di San Belltno, Tre di dopo il
giudidio, d. h. am Tage des S. Bellino (ersonnener Heiliger), drei
Tage nach dem letzten Urteil. Weiter (S. 434) lässt Herr Gitt^e
sich aus über das Niemals. Um Lüttich hört man daltir: wenn
. ijui. u i.y Google
21/
der Klee aus dem Felde sein wird (als de klaver uit *t veld is).
Auch das Jahr Eins kommt vor. Flandern spricht und schreibt:
im Jahre Eins, wo die Eulen predigen (in 't jaar Een, als de uilen
preeken). Es ähnelt also schon der Name der Eule. In Maastricht
weicht es etwas ab: in et jaar ein, esten uil prcck.
Die Ausdrücke Krück, Tied, Toback meiner längst vergangenen
Zeit verwandeln sich nach ihm für das künftige Nimmer in West-
flandern in das Jahr Block, das wieder mit der Eule zusammen
kommt: im Jahr Block, wo die Eulen krähen und die Kühe mit
Holzschuhen gehen (in 't jaar blök, als de uilcn kraaien en de
koeien met patijnen gaan). Nach Gittec hat man auch sonst in
Deutschland das Jaar Een, da C. M ü 1 1 e r- 1'" r a u r c u th (Lügen-
dichtungen S. 104) bemerkt: „das Jahr Eins, wo die Elbe brannte
und die Bauern mit Strohwischen löschen kamen." Also ein Non-
sens. Auch vor drei Jahrhunderten stellte schon Fischart (Binen-
korb 200) um: „Zur zeit da die bach branten und man mit stroh
leschte, die bauren boUen, die hund mit spissen herausloffcn, nem-
lich zur zeit des strengen Finkenritters." Diese ähnliche Fassung
war also schon damals nicht neu.
Dergleichen Naturereignisse, wie grosser Wind, Sturmflut, Was-
sersgefahr, Feuersbrunst, Kriege und Schlachten, plötzlich und
mächtig und voll Wirkung aufgetreten, prägten sich früher noch
mehr wie jetzt dem Gedächtnisse und der Erinnerung der Menschen
ein und wurden Ausgangspunkte für zeitliche Bezeichnungen von
Grossvater auf Vater zu Sohn und Enkel. Ähnlich hcisst der
„ Wustrow'sche Wassertag" der 10. Februar, weil für jene 1 ialhinsel
die grosse Stuimilut jenes Tages 1625 kaum minder verderblich
gewirkt hatte, wie die Nacht des 12/13. Novembers gleichen Jahres
ebenda für die mecklenburgischen Küsten, Vergl. Quartalbericht
d. \ . t. lueckl. Gesch. u. A. K. 1894. S. 24. Der Seebär kommt!
So heisst es im Munde des erschreckten Volkes an den Küsten
des Ralticum, wenn zum Lande wehende stärkste Winde die brau-
send tönenden und so der Stimme eines Bären, der da brummt und
gurgelt, ähnlichen Wasser des grossen Seebeckens auf die Lande
zujagen, verderbnissvoll und zum Untergange des namentlich platten
Vorlandes, das in die Wogen rückläufig hineingezogen oder übersandet
wird, jedenfalls untergeht nach menschlichem Sprechen, und wohl
ebenso oft in früheren Jahrhunderten, als die Sage davon meldet. Ben
frühesten historischen Beispielen von Vineta und lulin reihen sich öst-
lich an, falls ich alle weiss, Leba, ein Dorf am Chaustbach, Karwen,
Heia. Aus neuester Zeit erinnere ich an die Sturmfluth fUr Grreifswald.
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2lS
Knicker-Kugel-Steinis.
Eine Umfrage von Josef Buchhorn.
Umfragen, mögen sie ein noch so beschränktes Gebiet umfassen;
mag der Gegenstand, um den es sich handelt, ein noch so unbe-
deutender sein (oder besser gesagt: als solcher scheinen) — nie
werden sie ihren Zweck verfehlen, Bausteine zu sein zum grossen
Gebäude der Volkskunde. Das mag deshalb betont werden, wdl
sich so manche, selbst akademisch Gebildete lächelnd von derarti-
gen Untersuchungen abwenden und sie unter die Rubrik der Zeit-
verschwendung reihen*
Als ob nicht alles Grosse stets aus Kleinem hervorgegangen ist!
Die Umfrage, die ich veranstalten möchte, betriffl: einen kieinen
Gegenstand, ein Spielzeug der Kinder oder genauer der Knaben.
Wer kennt nicht die kleinen Kugeln, zum Teil aus Thon geformt,
zum Teil aus Glas gegossen, in der Grösse variierend von etwa i
cm. Durchmesser bis zu einem solchen von 7, 8 oder gar noch
mehr cm., mit denen die Knaben (meistens wenigstens) zur Herbst-
zeit eifrig hantieren I
Das Spiel ist verschiedenartig. Am gebräuchlichsten und häufig-
sten wohl in folgender Ordnung:
II III
I
d e
a Standort der Mitwirkenden beim Beginn des Spieles; b eine
kleine Grube*); I, II, III Standort nach dem ersten Wurf^).
I hat begonnen; seine Kugel ist bis c gelaufen; II folgte und
gelangte bis di III endlich bis e. Nun kann I entweder in die
Grube oder auf d ziehen; beides zählt 10 ; I spielt, bis er eins
von beiden verfehlt. Dann folgt II (in derselben Weise); zuletzt III.
Wer von den dreien zuerst bei der Zahl 100 anlangt, hat ge-
wonnen.
Eine andere Art des Spieles ist die: I wirft die Kugel gegen
eine Mauer; II folgt und sucht möglichst nahe an I heranzukommen.
1) Im ndrheinischen „KuUe" genannt, die Diminutivform laiitet „KüUeken".
2) Wurf ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, da die Kugel an den Zeigefinger
gelegt und mit dem Damnen ftbgestoBsen wird.
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Kann er die Entfernung der beiden Kugeln mit dem Daumen und
Zeigefinger umspannen, so gehört die Kugel des I ihm. Und so fort.
Der erste Teil meiner Umfrage sucht die Arten der Spiele zu
sammeln; der zweite die Bezeichnungen für diese Kugeln zu no-
tieren. Ich bemerke, dass Kugel der gebräuchliche Ausdruck in
Mecklenburg ist, natürlich im Hochdeutschen. Wie es mit dem
Niederdeutschen steht, vermag ich nicht zu entscheiden. Knicker ')
ist im Rheinland üblich; Steinis in einem Teile Süddeutschlands.
Ausserdem ist mir noch bekannt, dass man in Ulm a. d. Donau
Marbel^ in Nagold i. W. Schneller, in einem Dorfe bei Nagold
Ballettle, in Cöln a. Rh. Oemmer, an der holländischen Grenze (in
der Nähe von Geldern) Steene sagt. Auch kommt in Süddeutsch-
land der Name Glugger vor
Tübingen, Juni 1898.
Der Nobelskrug.
Eine Umfrage Ton R. Sprenger.
VI. Die in N*^ V geschilderte Verdrehung des ora pro nobis ge-
mahnt mich an ein Spässchen des Volkes in einem mehr polnischen
Thcile von Westpreussen. Auch hier betete der katholische Priester
das Ora pro nobis. Da war nun ein Bäuerlein in dem Kirchdorfe,
das Nobis hiess. Es muss nun noch bemerkt werden, dass ora
auch ist die 3. Fers. Sing. Ind. Praes. von orad« pflügen, also auch
heissen kann: er pflügt. Somit entstand ein grosses Wundern
unter den lateinlosen polnischen Bauern, dass der Pfarrer von
einem unter ihnen, dem Collegen Nobis, besonders hervorheben
konnte, dass er pflüge. Es beweist diese Geschichte, ob nun wahr
oder erfunden, wie leicht aus sprachlichem Gleichklang durch
Missverständniss eine Seltsamkeit entstehen kann. Jedenfalls hörte
ich sie als Witz erzählen.
VII. Nobiskrug. Vergl. Dr. Richard A n d r e e : Rraunschwei-
gische Volkskunde, wo auf S. 65 darüber gehandelt wird.
A. Treichel.
1) Statt K/ficker auch Kicker.
2) Cfr. F. M. Böhme „Deutsch. Kinderlied und Kinderspiel. Leipzig 1897" P*8»
615* B.'s Ausführungea sind 7.iemltch oberflächlich uud uichl uricntierend.
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220
VIII. Ein Nübishaus ist auch die kaiserliche Hofburg in Wien.
In den ersten grün angestrichenen Stiegenpfeiler im Torwege zum
Schweizerhofe ist unser Spruch so eingegraben zu lesen:
i6 IDMVN E
SIDENS PRONOBIS QUIS
CONTRA NOS 1660
Dens ist für Deus! K.
Blumen, die unter den Tritten von Menschen
tiervorsprossen.
Eine Umfrage Yon B. Laufer.
II. Georg Ebers lä^^t m seinem historischen Roman ^Eine
ägyptische Königstochter" von Kambyses, dem König von Persien,
folgendes erzählen. ^Thm hatte geträumt, dass er sich inmitten
einer dürren Ebene b< finde, die, dem Boden eine Tenne ähnlich,
keinen Halm erzeugte. Missgcstimmt über den öden, traurigen
Anblick des Platzes, wollte er soeben andere, fruchtbarere Orte
aufsuchen, als Atossa (des Königs Schwester) erschien und, ohne
ihn zu bemerken, einer Quelle entgegenlief, die plötzlich, wie durch
Zauberei mit fröhlichem Gemurmel aus dem dürren Boden empor-
quoll. Staunend sah er diesem Schauspiele zu und bemerkte, wie
sich überall, wo der Fuss seiner Schwester das versengte Land
berührt hatte, schlanke Terebinthen erhoben, die sich, da sie
grösser wurden, in Cyprcssenbaume verwandelten, deren Gipfel bis
in den Himmel ragten."
Wien. Adolph Löwy.
III. U bland hat im Ver sacriim diese besonders bei romani-
schen Dichtern sich findende Vorstellung so weiter gebildet, dass
er sogar unter den Hufen der Rosse der siegend heimziehenden
Latiner Blumen emporsprossen lässt:
Und jene zogen heim im Siegesruf, 1 Feldblumen sprossten unter jedem Huf i
Und wo sie jauchxten, wud die Gegend grün ; | Wo Speere strdften, sah man ßHnm* erblfin.
Northeim. R. Sprenger.
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221
Judendeutsche Sprichwörter aus Ostgalizien.
Gesammelt von Isaak Robinsohn.
I. Der ErUiukardar chapt 'j sach ün la a Scharf vm a Schwert. — 2. Wenn freit-
sech a Urim-maan*)? As 9t verliert m gcfmt. — 3. As dar Won» totschit*) ;m
Chrein *), meint ar as dus ts Anj^Dmachts *). Var. — , nv int nr, as kein Bcssers is
nii>cbt du. — 4. Bessar mit akltg.)u zi variieren^ wie mii a Narr zi gawinnan. —
5. As a Narr warft arSn a Stein in GQrtan arSn, konnsn em kan zehn kliga niseht
arausnemmcn. — 6. As a Chasir ') kricht tn Gurtan arän, totschit ar di Beitan 8). —
7. As mi schert di Schuf, zittaru di Lemmalach. — 8. As das Ferd esst Hubar
brtkiwtt *) 9S. — 9. As zwei 'sugsn sckikar M), geit dar drittar sehluran. Var. — mn
sach dar drUtor leigan. — 10. A Tlind, wüs ar hauktt bässt ntscht. — 11. As
a-sach Balbustis is di Stib ntscht ausgekehrt. — 12. AfUi a Katz konn auch
kali t*) machsQ. — 13. A Kate ktmmt mscht sink m Haus aran^ wie man bot
ir dam Schwonz ubgahakt. — 14. Vin jnnsr Welt is keiner nischt zmk gaktmmon. —
15. Gil bei a Chasjr a Hur vjn ira Schwonz ausgartsseD. — 16. A Ferd fürt kan '*)
Lapsk*'«), in ktmmt ztrik a Ferd. — 17. A(n) Ocbs blÄbt a(n) Ocbs. — 18. Red
\veinig:ir wct mon mein.-)n bist a Cliutlum ''•). — 19. Wüs weintgar mi ret, ts
gasinder. — 20. A-sach '8) Maluchjs m weinig Bruchjs — 31. Aseu wi mi git
dl Teudti^i) z, cssan, asl Punim**) (h)obtn st. — 22. Var a Ganiw ä3) tar man
nischt sugan : hengan. — 23. Of'n Gauiw brennt is IlittiPS). — 24. Dom
Ganiw stdh man var dar Thir (um ihn unschädlich zu macheu). — 25. As si
bittlit ofn beissan, hlTlst man ofn kaltan. — 26. As mi scbmirt di Redar, furt der
Wugan. — 27. Si git zt hubtn a Maki 2«) ba jenam tntarn l'rm 27). — 28. Vin a
Chasar-schweozal konn man kan Stramal nischt machan. — 29. Jeder Wu»
rnn bot san Dürim — 30. Aseu lang dar Stelmach **) sitst oft» Benkal, bot er
cbotschi ") Späncr. — 31. Jedes Mos *♦) is scbein of dar Mazeiwi — 32. As a Narr
geiht ofn Mark, freien sach di Krämers. — 33. A Barg mit a Barg begegaut sech
nischt, ober a Mensch mit a Menschan jo. — 34. Wie a-seu mi leigt am Cheuli*")
thiit in weib. — V.n Fingar konn man kein Faust nischt machon. — 36. Mit a
Jüden is nor git Kignl 7.1 essan. — 37. Alle Schister gelan bürwis^S)^ tn alle Schnä-
dar geian nackjt. — 38. A Schiksa ^i^) ba a Ruw konn auch paskiaau Schä-
lt» M). — 39) Geld geit st Geld. — 40. Geld is kakcbtg«*). — 41. Der Seichal«*)
i) packt. 2) arme Mann. 3) tocxe (rutb.) wühlt, frisst.
4) cbrzan (poln.) — Kren, Meerrettich. 5) Eingemachtes. 6) Schwein.
7) wie 3. Beete. 9) boryka (poln.) = bäumt sich, wird wild. 10) besof-
fen (bebr.). 11) bellt. 12) Ilausfraoea, Wirtbinnen (bebr.). 13) sogar
(talm.). 14) verderben, schaden (hebr.). 15) gen, nach. 16) Leipzig.
(Eine Reise zur Messe nach Leipzig bedeutete für den Juden in Galizien dasselbe,
was die Wanderseit für den Wanderburscben. 17) V^'m Klager (bebr.). 18) viel
(hebr.). 19) Handwerk (hcbr ). 20) Segen (hebr.). 21) Todte. 22) Aus-
sehen (hcbr.). 23^ Dieb (hebr). 24) Auf dem. 35) der Hut. Das
Spricbwort besiebt sieb auf folgende Anekdote. Ebi Herr mntmasste, daas einer seiner
Diener der Urheber eines bei ihm vorgekommenen Diebstahles sei. Um den Dieb zu
entlarven liess er seine Dienerschaft sich in Reih und Glied vor ihm hinstellen und
rief plötslicb: „Auf dem Dieb brennt der Hut." Der flberrampelte Schuldige griff
nach dem ITut Und wurde so erkannt. Vergl. L. Mandl, ,Am Urquell' IV. S. 75 f.
26) 1 unmkel. 27) Arm. 28) Schwcincschwanz. 29) ScbabbesdeckeU
wird gewöbnlicb aus feinerem Pelzwerk verfertigt. 30), 31) Jedes Warum, hat
•ein Darum. 32) Tischler (slav."). 33) wenigstens (slav.). 34) Todter
(bebr.). 35) Gral)stcia (hebr.). Die Crabschriften der galizischeu Juden sind ge-
wöbnlicb übertriebene panegyriscbe Verse. De mortufe nfl nisi bene. 36) Kranke.
37) Kugel. Nach ihrer Form benannte Samstagsmehlspeise. 38) barfuss.
39) Dienstmädchen. 40) Rabbiner (hebr.). 41) beantworten, entscheiden (hebr.).
42) rituelle Fragen (hebr.). 43) rund. 44) Verstand.
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222
k;mmt nuch di Juran. — 4a. Ddr Wintsr kimmt nuch di Kleidsr. — 43. Vm sugsn,
werd mon nischt trugan '). — 44. As mi esst Chasir, soll rinnen jher di Ptskis '). — -
45. Jings Chachumim 3) sansn alte Nanmim *). — 46. Haadalschaft ts ka Bridsr-
schaft. — 47. Of dar Eck Zmg wenhnt di ganzs Stndt. ^ 48. Der Raw*) kenn im
Schamis in dar Schamis kenn di ganzs Studt. — 49. Pirim ■>) is nischt ka Jon-
tiw 8), in Kaduchis ') is nischt ka Krenk •). — 50. Var a Ganiw ">) helft uischt ka
Schloss^ in a(n) Ehrlachsr bsdarf nischt ka Schloss. — S^- ^ ganzer Narr is a haibar
Nuwi "). - - 52. A iiiul senan dl Maluchim >3) arim gigaugan of dar Erd, hant geian
sei afili ofn Himninl nischt anm. — 5;^. Si!ni is a l.igind'*). — 54. AsdarWugin
fallt, scnan di Kedor schwer. — 55. As di Mcidlach konnan nischt tanzou, sugon sei
as dl Klesmar'*) konnan nisckt spielsn. — 56. Bessar a Jid un a Büid '8), wieaBürd
ün a Jid. — 57. A Narr is a cibigsr Zaar '*). — 58. As ']• I i': 1 ti is Schllm^'^al-
nui is dl Katz a Berjj ^*). — 59. \u trgslou lluid Ktmmt un dis besto Stick
Flelfldl. — 60. As si nisckt du kein Meidlach, tanzt man mit Schiksis^'). — 61. Far
Pamüsi wegan tanrt mnn mu JaSkin 2*). — 62. Jeder Sclienknr Icubt san Wan. —
63. Be&ssr zehn Schlössdr^ eidar ein Dalis ^*). — 64. Besser zehn Frand eidar ein
SeuBi — 65. Dis andsrs Wlb^ hot a goiden Lab. — 66. D|s Epal| &1lt ntscht
wat fin im Bcimali. — 67. Bcssnr n Quint Masl*^), eid»r a Centnar Gold. — • 68. A
lechangsn Sack ksn man nischt ünfillan.
Beiträge zur Volk^ustiz im Bergischen.
Von Otto Schell.
Die Rechtspflege des Volkes ist wesentlich anders geartet, als
die der rechtskundigen Gelehrten. Vor allen Dingen fallt bei den
volkstümlichen Rechtsäusserungen eine weit grössere Mannigfal«
tigkeit, eine strengere Individualisierung und stärkere Anlehnung
an die jeweilig gegebenen Umstände und Verhältnisse auf. Aber
von einer Justiz darf man doch insofern reden, als in einer und
derselben Gegend fiir dieselben Vergehen, welche nach dem
Rechtsgefühl des Volkes der Ahndung bedürfen, dieselben Strafen
festgesetzt sind. Er ist also im Volksbewusstsein ein gewisser
i) tragend, schwanger. 2) pysk (poln.) = Wund. Wange. 3) Kluge (hebr.).
4) Narren (hebr,). Sinn: Altkluge Kinder stellen sich spätera Is dumm heraus.
5) Rabbiner (hebr.). 6) Synagogendiener (M>r.). 7) Purimfest (hebr.).
8) Feiertag (hebr.). 9) Fieber, lo) Krankheit. 11) Prophet, fhebr.).
12^ Engel (hebr.). 13) sogar (hebr.). 14) Legende = Lügende, Lüge.
15) Eigentlich Musikinstrumente, hier und sonst nur Musikanten, (hebr.). 16) Bart.
17) KränkuiiLj, Herzleid (hehr.). iS) ITausfrau (liclfr.). 19) Entstanden aus:
sclilimm und Masl *) ^ Glück, Geschick, bezeichnet das Wort regelmässig eine un-
geschickte, nach1i(8sige Frau^ unp^cfähr wie das Wienerische ^schlampert". 20) Wört-
lieh: Geschöpf (hebr.) = fieissirre. geschickte Hausfrau. 21) r.auennnäJcl.
22) slav. Jaiko, häufiger Bauernname. 23} eickr = ender, (ebendcr) als.
24) (hebr.) Personificirte Armuth. 25) Feind. 26) Apfelchen. 27) Glttck).
*) Im Ungar, jdd. slamazl, §lumazl und ^lemazl weisen auf hebr.: §e lo mazol (was
kein Gluck ist) hin. K.
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223
Codex des Rechts ausgebildet; und dieser Umstand eben, der
also jede Willkür pewissermassen ausschliesst, berechti<][t uns, von
einer Volksjustiz in diesem oder jenem durch die ^atur oder
Geschichte t;ezogenen Rahmen zu reden.
Nur eini<^e Beispiele für das ehcinalij^e Bergische.
Bis in die 60«^ jähre unsers Jahrhunderts war es in der Um-
gegend von MeUwann übHch, dass man einem Bauer, der sich
durch Strenge und Harte gegen seine Knechte und Mägde aus-
zeichnete, in einer Naciit einen Wagen .iUhcinandernahm und dessen
einzelne Teile auf das Dach des Hauses, der Scheune oder des
Stalles praktizierte. .Man musste eben uul der östachcn Lage des
Schlafzimmers des Bauern bei dieser Unternehmung rechnen. Oft
versammelten sich zu diesem gewiss mühsamen W'erk 12 — 20 und
noch meiir junge Burschen. Alles ging lautlos und still zu und
ein Verräter fand sich nie. Auch hält es heute, wo dieser Brauch
nicht mehr in Übung ist, sehr scliwer, nähere Einzelheiten zu
erfahren.
Bis zur Stunde ist es in des Krei.sstadt Mettmann selbst noch
üblich, dass man zur Herbstzeit, wenn Rübstiele eingemacht wer-
den, den Abfall des Gemüses vor die Thür eines Mädchens oder
eines Burschen streut, die sich bei Anbahnung eines Verkehrs mit
dem andern Geschlecht zu viel Freiheiten herausnahmen und nicht
den althergebrachten strengen Sitten treu blieben.
Einem von seinem Burschen verlassenen Mädchen oder einem
Burschen, dem sein Schatz untreu wurde, stellt man in Mettmann
einen bekleideten Strohmann oder eine Strohfrau hinter das Haus.
Das besorgen die um das Verhältnis wissenden jungen Leute, aber
auch hier mit der grössten Heimlichkeit. Auch im ehemaligen
Amt Steinbach setzt man dem getäuschten Freier eine Strohfrau
vors Fenster des Schlafzimmers oder an die Hausthür.
Der Zug der Geheimhaltung ist überhaupt charakteristisch für
diese Zweige der Bergischen Volksjustiz.
Am bekanntesten ist in der Bergischen Volksjustiz das „Tier-
jagen'*. Es dürfte kaum eine Gegend des Bergischen zu finden
sein, wo nicht diese Sitte, auch , Austrommeln'* genannt, geübt
würde. Selbst in den grossen Industriestädten Elberfeld und Bar-
men hat sich dieser Brauch bis heute erhalten, und kaum vergeht
ein Jahr, dass nicht hier oder dort der Spektakel losgeht, dem die
Polizei meist machtlos gegenübersteht. Der betreffende Übelthäter
— meist sind es Männer und junge Burschen — ist bekannt. Am
Abend versammelt sich Gross und Klein vor seiner Wohnung und
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224'
bcj^nnnt einen ohrzerrcisscnden Laim mit Pfeifen, Johlen und Be-
arbeiten tler verschicdcnartifTstcn Blechinstrumente. Stundenlang
wird der Lärm fortgesetzt. Das ijeschieht an drei aufeinandt;rfol-
genden Abenden. An eine bestimmte Jahrzeit ist die Ausübung
dieses Brauche.s nicht gebunden; ebensowenig an gewisse Wochen-
tage. Geübt wird er meistens gegen Männer, welche ihre Frauen
geschlagen oder das 6. Gebot übertreten haben.
Früher wurden dem armen Sünder auch in derben Knittelversen
seine Verbrechen vorgehalten. Solche Verse lauten:
Hört, ihr Leute! ich will euch was sagen,
Der Spass-Pitter bat das Fraumensch vernagelt j
He het et em Ferkesstall verneit.
Bewahret das Feuer und das T.uht,
Dass dem Spass-Pitter kein Unglück geschieht.
In dem vorliegenden konkreten Falle hatte sich der erwähnte
, Spass-Pitter" mit der Frau eines Nachbars im Schweinestall ver-
gangen.
Eine andere Strophe lautet:
Der N. N. hat seine Frau geschlagen,
Das wollen wir dem Richter klagen.
Der Richter dacht' in seinem Sinn:
In der Frau, da steckt der Teufel drin.
Was Montanus (,Die deutschen Volksfeste" etc.) darüber
schreibt, S. 95 ff., sie hier nur erwähnt.
Über die Art und Weise des Tierjagens im Amt Steinbach
folge ich einer Mitteilung aus dem Anfang der 6o^r Jahre, welche
lautet: „Das früher übliche Tierjagen war dem Haberfeldttreiben ,
welches die bairische Regierung vor einigen Jahren unterdrückt
hat D. Verf.), sehr ähnlich. Verbrecherische, besonders ehebre-
cherische Liebschaft war die Veranlassung. Wenn der Attentöter
grade in dem betreffenden Hause war, wurde es plötzlich von
einer grossen Schar umstellt. Es wurde sogleich ein Höllenlärm
gemacht mit Schreien, Rufen und allerhand Instrumenten, wodurch
noch mehr Menschen herbeigerufen wurden. Nachdem sich der
Lärm gelegt, wurden die erschreckten und bestürzten Übelthäter
aufgefordert, herauszukommen; wurde keine Folge geleistet, so
fing man an, Schlagladen und Thüren, Fenster und Wände einzu-
schlagen. Mittelst Rauch und Gewalt wurden sie aus dem Hause
getrieben und nun gejagt, gestossen und geschleift, bis man sie in
einer Mistjauche oder in einem Weiher hatte; es ging aber nicht
ums Leben.*'
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325
Ahnlich berichtet Ernst Wey den (»Das Siegthal" etc., Bonn
1865) von der Sieg: ^Auch üben die Burschen noch zuweilen in
den Gemeinden die altherkömmliche Volksjustiz des „Tierja^ens"
wider Ehemänner, die nicht allzu zärtlich gegen ihre Ehehälften.
Mit allen nur denkbaren lärmmachenden Instrumenten ziehen die
Burschen in der Nacht vor die Wohnung des zu ZAichtigenden. Je
toller das Peitschengeknalle, das Kettengerassel, das Schallen der
Pfannen und Kessel, je ungestümer das Heulen und Toben und
Brüllen, als wenn das wilde Heer im Anzüge, um so grösser ist
das Vergnügen, von dem aber die Ortspt^lizei nichts wissen will."
Am besten entwickelt hat sich diese Volksjustiz im sogenannten
Haberfeldtreibcn Oberbayerns erhalten. Da dieses allgemein be-
kannt sein durfte (siehe unter andern die treffliche Arbeit im
Sonntags-Anzeiger der Elberfelder Zeitung vom 26. November
1893), so wollen wir hier einen kurzen Vergleich zwi.sclien dein
Ilaberfeldtreiben in Bayern und dem Tierjagen im Bergischen,
soweit letzteres mit seinen dürftigen Zügen dieses gestattet, an-
stellen.
Das Habern geschieht nur im Herbst; das Tierjagen zu allen
Zeiten.
Jenes wird sehr geheim ausgeführt, dieses vollständig Öflentlich.
Das Haberfeldtreiben wird als bäuerliche k'ortsetzimg des \'on
Carl dem Grossen eingeführten und durch geistliche und weltliche
Sendboten in den einzelnen Grafschaften abgehaltenen Rügegerichts
aufgefasst. Eine solche Verbindung ist beim Tierjagen nicht mehr
erkennbar.
Beides — Haberfeldtreiben und Tierjagen — ist Volksjustiz in
uralter Form. Darum stehen sich Volksforscher und Jurist bei der
Beurtheilung dieses Brauches, wie gar oft, als geschworene Feinde
gegenüber.
Die Haberer beziehen sich immer auf das alte Herkommen und
erwähnen stets Carl den Grossen. Es hat sich dabei ein gewisses
gerichtsmässiges Verfahren erhalten, was wenigstens in der äussern
Form bei unserm Austrommeln nicht mehr erscheint.
Das Gebiet, in welchem das Haberfeldtreiben noch üblich ist,
beschränkt sich heutzutage auf die Gerichtssprengel von Tegernsee
und Miessbach. Das Tier jagen hat sich in einem weit ausgedehn-
teren Bezirk erhalten und war nach Schmitz, Sitten, Sagen und
Legenden des Eifler Volkes I, S. 63, beispielsweise auch in der
Eifel bekannt; auch heute noch wird dieser Brauch, doch verein-
zelt geübt.
"5
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226
Der Name des Brauches ist noch nicht genügend gedeutet, doch
werden wir diesen Punkt weiter unten noch berühren.
In Rayern sowohl als am Niederrhein <^ilt der für entehrt, der
in dieser Weise vom Volke justifiziert wurde.
Die Habercr bilden einen festgeschlossenen Bund ; am Austrom-
meln lind Tierjarrcu kann jedermann Anteil nehmen.
Auch steckt das Haberfeldtreiben seine Grenzen weiter, als das
Tierjagen. Ihm verfallen alle, welche von der weltlichen Gerichts-
barkeit schwer erreichbar sind: Guterzcrtrummerer, Mädchenvxr-
führer, Wucherer, leichtfertige Mädchen, Prozesssüchlige, Betrüger,
sehr oft die Köchinnen der Geistlichen, strenge Beambte und dergl.
Die Haberer tauchen heimhch im Schleier dunkler 1 lerbstnächte,
auf. Darauf nimmt man beim Tierjagen keine Rücksicht.
Lärminstrumente aller Art sind hier wie dort gebräuchlich.
Knittelverse mit einem Sündenregi.ster sind hüben wie drüben
üblich. Aber in Oberbayern werden .sie durch einen sogenannten
Sekretär, hier vom ganzen Volkshaufen in wildem Gejohle vorge-
tragen.
Das bayrische Ilaberfeldtreiben lässt deutlich den alten Ursprung
erkennen, und die Berufung auf Carl den Grossen ist vielleicht
buch.stäblich zu nehmen. Bestehen nun aber auch zwischen dem
Haberfehltreiben und dem Tierjagen manche Verschiedenheiten,
so i.st doch die Übereinstimmung der Grundzüge unverkennbar.
Aber wir können den Ursprung dieses Volksgerichts noch hinter
Carl den Crossen zurückverfolgen. Aus dem 6. und y. Jahrhundert
besitzen wir Bu.ssordnungen, welche wiederholt eindringlich gegen
einen Brauch eifern, bei dem man sich in Tierfell hüllte und Tier-
haupter aufsetzte. Eine Verordnung des Bischofs Hugo von Bcrry
aus dem Jahre 1338 redet von einem a]ii;lichen Brauch, welcher
Charawall (woraus Carne\'all wurde:) genannt wird. Die Teilnehmer
dieses Charawalls erschienen in Tierfellen; s])e/.iell werden genannt
Hirsche, Kälber. Auch wurden die Stimmen verschiedener Tiere
nachgeahmt. Da dieser Gebrauch von Montan us beim Tierjagen
am Niederrhein ausdrucklich bezeugt wird (welcher Mittcikmg
man wold (ilauben schenken darf), so ist damit der Nauic „Tier-
jagen" hinlänglich gedeutet. Mit Simrock zu reden, hat der
Brauch deswegen diesen Namen erhalten, „weil er unter Ticrlarven
gegen das Hervortreten des Tierischen im Menschen gerichtet ist."
Dafür, dass dieser Brauch, das alte Charawall, schon in den ältesten
Zeiten gegen das Obscöne gerichtet war, haben wir genügende
Anhaltspunkte.
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22/
Der Brauch scheint ehemals unter allen deutschen Volksstämmen
im Schwani^^e gewesen zu sein. Und Sh.ilvC:3peare hat in seinen
„Lustigen Weibern von Windsor" das Tierjagen auf die Bühne
gebracht. Aus diesem Teil des Shakespearschen Buhnenwerkes er-
sehen wir auch den innigen Zusammenhang zwischen dem Haber-
feldtreiben und den Redensarten : ins Bockshorn jagen, Hörner
aufsetzen etc. Man vergl. dazu Sirarock, Handbuch der deut-
schen Mythologie, 6. Aufl. S. 553,
Fabeltiere im altjüdischen Volksglauben.
Von Leopold Mandl.
Wie alle Völker wussten auch die Israeliten viel von Wunder-
wesen 7.U erzählen. Thre be/ui^lichen Sagen sind zum Teile Scliöp-
fungen der eigenen Phantasie und andern Teils fremder Fabulistik
entnommen.
Besonders merkwürdig ist, was in de Talmud und Midrasch-
T.iteratur von dem Schamir und vom Salamander erzählt wird.
Von un verbrennbaren Wesen, dessen Namen die bekannte harm-
lose Eidechse trägt, hatte man grundverschiedene Vorstellungen.
Nach den Einen war es eine Art Amphibium '), nach Andern
eine Maus und nach Ansicht Dritter hatte es die Gestalt einer
Spinne
Die verschiedenen Vorstelluni^en von einem Wesen, das eigent-
lich niemand gesehen, sind nur natürlich; minder natürlich ist,
was uns über die Entstehungs- und Eigenart des Salamanders er-
zählt wird. Sein Werden wird der Feuersglut zut^eschrieben. Wenn
die Glaserzeu<(er sieben Tage und sieben Nachte ununterbrochen
heizen, entsteht im Ofen jenes Wundertier, das weil durchs Feuer
entstanden, unverbrennbar ist und ein Schutzmittel gegen Ver-
brennung bietet *).
Der Judäerkönig Achas hatte den Kronprinzen, seinen Sohn
Hiskia, dem Moloch geopfert; doch der (jeopferte verbrannte
nicht, weil ihn seine Mutter vorher mit dem Blute eines Salaman-
der cingeschmiert -"j.
i) Talmud, Chulin. 2) Targum, Jeruschalmi. 3) Midrasch Tatsche,
4) Daselbst. 5) Talnmd S«nhedrin, 63.
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228
Das hebräische Wort Schamir, Dorn, später auch Bezeichnung
des Diamanten, hat die israelitische Volksphantasie zur Benennung
eines einzigen Wandet wcsens gebraucht, das am sechsten Tage,
knapp vor Eintritt des Sabbathes, erschaffen worden sein soll
Von dem wird erzählt, da'^s es Steine und Balken, auf die man
es gelegt, gespalten und selbst Eisen geteilt, und dass man es,
weil nichts davor Bestand hatte, nur in weiche Wolle gewickelt,
in einem mit Gerstenkieic gefüllten bleiernen Gefasse aufbewahren
konnte
Eine Sage berichtet, dass ein Adler das Tierchen, das nicht
grösser als ein Gerstenkorn gewesen, aus dem Paradiese geholt
und dem Könige Salomo gebracht, der es beim Baue des Hei-
ligtumes, weil kein Eisen gebraucht werden durfte, zum Spalten der
Steine verwendet habe
Zum Vogel Hein.
Eine Umfrage von Franz Branky.
III. Ich meine hier zunächst den Vogel des Kaisers Maximilian. —
Dieser Vogel war entweder Fregilus graculus, die Alpen- oder
Steinkrähe, der Gebirgs> oder Feuerrabe, die Krähendohle, der
Eremit, Klausrabe oder Turmwiedehopf (alles Namen für denselben
Vogel), oder Fyrrhocorax alptnus die dem vorigen naheverwandte
Alpendohle od^r Schneekrähe, die Berg- und Steindohle, die
Flütäfie oder Alpenamsel. (Das Nähere s. im Brehm.)
Nun der Name! Dieser entstammt unserer keltischen Vorzeit,
ist also keltisch und bedeutet Feuervogcl; irisch can, eun, en,
gälisch ean, eun, bedeutet Vogel, ebenso die mankischen Wörter
eean, yeen (N. B. mankisch ist der Dialekt der Insel Man, altgä-
lisch) und irisch, ain Feuer; ain-en ist Feuervogel.
Nun ist merkwürdig, dass Fregilus graculus Feuerrabe heisst
und über Fyrrhocorax alpinus im Brehm sich folgendes findet:
, Dieser Vogel ist einer von denjenigen (sagt Sa vi), welche sich
am leichtesten zähmen lassen und die grüsste Anhänglichkeit an
ihren Pfleger zeigen, — — — — Er hat ein seltsames Gelüste
i) Sprüche der Väter. 2) Tosefta su Sota Cap. 15. 3) Midrasch Jalkut
zom «tsten Buche der Koaigc.
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229
zum Feuer, zieht oft den brennenden Docht aus den Lampen und
verschluckt denselben, holt ebenso des Winters kleine Gluten aus
dem Kamin, ohne dass es ihm im geringsten schadet. Er hat eine
besondere Freude, den Rauch aufsteigen zu sehen, und so oft er
ein Kohlenbecken wahrnimmt, sucht er ein Stück Papier, einen
Lumpen oder einen Splitter, wirft es hinein und stellt sich dann
davor, um den Rauch anzusehen. Sollte man daher nicht vermu-
then, dass dieser der „ brandstiftende" Vogel (Avis icendiaria) der
Alten sei?"
[N. B. : In der Magdeburf^er Chronik von Pomarius aus dem
l6. Jahrhundert heisst es (wie mir erinnerlich) an einer Stelle: In
diesem Jahre (? Jahreszahl liabc ich vergessen) sah man Krähen (?)
und andere Vögel mit glühenden Kohlen in den Schnäbeln her-
umfliegen, die steckten Häuser und Scheunen an.]
Ich erkläre mir die Sache so : beide oben genannte Vögel (Krä-
henvögel) sind einander sehr ähnlich, und so konnte es kommen,
dass Brehm vom Volke der falsche Vogel als Feuerrabe ge-
nannt wurde; so scharf als der Vogeikenner unterscheidet das
Volk nicht.
Nun der Mecklenburger Hein.
Hein (Hein'n) halte ich für eine gekürzte Form von Heinen.
Entweder ist das derselbe Vogel (dass er er auf einem Teich ge-
schossen wurde, kann auch bedeuten auf einem Ikiume etc. im
Teiche ') oder es war ein (seltenes?!) Wasserhuhn. In diesem Fall
wäre der Name abzuleiten von irisch ean, eun Vogel und ir. en
Wasser (en bezeichnet sowolil einen Vogel als auch das Wasser);
ean(eun)-en = Wasservogel (der Kelte setzt das Bestimmungs-
wort oft hinten hin); oder noch besser abgeleitet: mankisch eean,
yeen Vogel, das Junge eines Vogels und — das junge Huhn und
ir. en Wasser; eean(yeen)-en also Wasserhuhn.
Biere bei Schönebeck a. d. £. Rabe, Lehrer.
IV. Noch ein Nachtrag bezüglich des Namens Hcun als Be-
zeichnung des Uhu. In diesem Falle durfte der Name zusammen-
gewachsen sein aus irisch ai weise und irisch en, ean, eim Vogel.
Heun also weiser Vugel. Die Kuie war bekanntlich das Sinnbild
der Weisheit. Rabe.
i) Kdnnte oidit «Tdcli** oder «Teiche^* bedeuten}
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230
Polklorisüsche Findlinge.
Lebende Tieropfcr. — Von einer Volksbräuche genau beobach-
tenden Dame, Frl. E. in Salzburg, erhielt ich jüngst die Mittei-
lung, ^dass nahe bei Reiclienhall noch lebende Opfer von schwarzen
Hennen vorkommen. Auch viele ... ex voto giebt es noch dort,
worauf es stets hcisst: und verlobten sich mit einem lebendigen
Opfer. Unsere eigene alte Köchin aber erinnert sich noch, wie
sie als Kind einst ihre Mutter eine Henne schlachten sah, der
Vater einige Ziegel aus der Fesselgrube riess, die Henae hinein-
legte und das Loch wieder vermauerte."
Solche Mitteilungen, die die Andauer des lebenden Tieropfers
bis auf unsere Tage bezeugen, sind wert der Veröffentlichung im
,Urquell'.
Tölz 1898. — r.
Blauer Safran (Urquell 1897, S, 249 U. 352). — Seite 352 soll es
imstatt „erster": erster Safran heissen. Bei diesem Anlasse kann
mitgeteilt werden, dass gedruckte Preis- Verzeichnisse speziell fol-
gende markante Sorten von Crocus anbieten: „König der Blauen**,
„Himmelblau (Lilaceus)" und „Lilaceus (hellblau)". Erwähnenswert
ist vielleicht auch die im Herbste blühende blaue Sorte „Safifran."
Wien. Bk.
Dtmnerkeile. — In einem alten Buche „dem Boten aus Thürin-
gen*' vom Verfasser Carl von Carlsberg, 1789, fand ich auf
S. 47 über Donnerkeile :
Schul m.: „Glaubt er denn im Ernste, dass es mit Donnerkeilen
einschlägt ?"
Hann: Und warum nicht? — Nachbar Christoph hat zwei Sor-
ten Donnerkeile, die er ausgeackert hat; die will ich holen
Nun ihr Herren was ist denn das? — Das ist ein rechter und das
ein linker Donnerkeil, mit jenem schlägt es warm ein und mit
diesem kalt."
(Hierauf belehrt der Bote den Mann, das der eine Donnerkeil
eine Streitaxt und der andere ein Belemnit ist).
D. Giesshübei. Josef Stibitz.
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231
Vom Büchertisch.
Saj^en unJ Erzahiungen aus dem Kreise Koiiterg-h'orlin. Gesammelt
und herausgaben von F. Asmns und O. Knoop. Kolbei^ 1898.
F. c. Posi. 100 a 8«.
Kcidc Herren sind den Lesern unseres Urquells als dc?sen Mitarbeiter woM vertraut
und CS ist kaum nötig, irgend etwas noch zur Empfehlung ikrer Gcsclhchaftarbcit
hervorauheben ; denn sie ist, wie dies nicht anders zu erwarten war, trefilich. Die
Sammlung cnthrilt geschichtliche Sagen und Erzählungen, Wassergeister-, Wildejagd-^
Teufel- und Kobold- und Doppelgängersagen, Diebsegen, Hexenzauber, Mahrgeschichten,
Gespensterglauben, und Uber vergrabene Sehäue, Gebäude, Bäume) Berge^ Steine, Seen,
Grenzen, (»cstirnc, Tiere usw. Mitteilangen, die vielen Fonchern vieles von Belang
aas unseren Tagen darbieten. Krauss.
Beide Sammler sind den Vachgenossen in Folklore längst aufs Vorteilhafteste be-
kannt; ihre Zeitschrift ,Vulkskundc', die nun schon im II":" Jahrgänge erscheint, ist
für jeden, der sich luit inoJcrlamlist her Folklore befasst, unentl)chrlich und für unsere
Disziplin höchst schäubai als cice un^cmciu reiche l uudbtattc bestens erhobener
Tatsachen. De Cock verdankt man ausserdem ein vorzügliches Werk zur Volks-
medizin, das leider nur seiner Sprache halber nf<Lh nicht allgemein gewürdigt wird.
Es sollten sich zumindest deutsche Volksforscher die kleine Muhe der Erlernung des
Holländischen nicht verdriessen lassen, um vom Fleiss unserer niederdeutschen Sprach-
brücler den entsprechenden Nutzen zu ziehen. .\uch das vorliegende Buch, das iGq
Numern zahlt, drängt einen dazu. £s sind vorwiegend StoHe, die der europäischen
Folklore Oberhaupt angehören, von den Klabaateraiannsagen abgesehen. So manches
Stück liest sich, wie ein neugriechisches oder bulgarisches Märchen in fremder
Sprache. Eigentlich nationalniederländisch ist darunter fast nichts zu hndeo, was ja
bei dieser Art Wandergut von vornherein zu erwarten war. Auf eine stattliche AnsiÄI
Parallelen verwciscti schon die Herausgeber in ihrer sehr lehrreichen Kiuleituug.
Bemerken möchte ich, dass das Märchen vom Bauer, der mit seinen Lügen die
Königstochter gewinnt (S. 32 ff.) auch bei den Südslaven sehr beliebt ist. Eine Fas-
sung brachte die Zeitschrift von Praus. die in den öc^"" Jahren in Agram deutsch
erschien. De Kerkzaugers van Sintcr-Goclcn (S. 47 ff.}, sind uns als die Bremer
Stadtmusikanten altbekannt. Sehr vertraut ist den Südslaven auch ,St. Pieter krijgt
klop' (S. 150 f.) und nicht minder der Schwank vom Schmieden, der den Teufel
festsetzt (289 IT.), d. t. die Geschichte vom Gevatter Tod, die Gustav Meyer als
international nachgewiesen. Von der allgemeinen Verbreitung der beigebrachten Her-
sagen ist nichts zu sagen, nur muss man sich wundern, dass im Ursprungslande
einer der ältesten gedruckten Fassungen der Rcineckesagen die Tiersagen keine be-
sondere Ausbildung erfahren haben. Es scheint, als ob die mündliche Überlieferung
von Volk zu Volk nachhaltiger die Folklore der Niederlande beelnSttSSte als das ge-
druckte und leicht vergessene Büchlein, das der Gelehrtenfleis neuwieder ans Taglicht
gezogen. — Die Stoffanordnung ist übersichtlich, beweist aber mit dem Anhang, dass
die übliche Katalogisirung der Erzählungen in Rubriken, deren Namen die Volks-
kunde der alteicn läteiargeschichte entlehnt, nn/urciclund ist und dass bei solchen
Materialien ein ausfahrliclies Schlagwörterverzeichuis am ehesten unseren Bedürfnissen
gerecht wird, man mauste denn ( ine international gütige Nomenklatur fttr immertPirie-
derkehrende Sagen uml Märchen feststellen. l>as Hesse sich machen.
Die Bilder, die in altniederländischer Holzschnittmanicr gehalten sind, liefern einen
anmutigen Schmuck des prächtig ausgestatteten Buches, das jedem Folkloristen eine
Freude bereiten muss. Krauss.
Pol De Mont & Alfons De Cock: Dit sij'n Vlaamseke VerteU
seh uit Jett Volksmond opgeschrenen. Met 30 Teekeningsn van Karcl
Doudelct. Gent, Van Der Poorten & Deventer, Kluwer & Co.
l8g8. XVI, 452 .S. gr. S".
232
Dr. Simon Mandl, Rabbiner in Kostel : Der Bann. Ein Bdirag
zum mosaisch-rabbinischcn Straf recht dargestellt nach der Bibel und der
rabbinischen Literatur. Brünn 1898. B. Epstein & Co. 51 S. gr. 8".
Die Türken haben auf der Balkanhalhinsel den Christen den Popen und den
Franziskaner zum Kadi aufgenutigt, in Mitteleuropa dagegen die römischen Kaiser
deutschen Reiches den Juden den Rabbiner ab einen Seelsorger nach Art katholischer
Pfarrer. Das Rabbinat ist seinem Ursprung nach gar keine iüdische Institution und
daher nehmen im Grossen und Ganzen die Rabbinen in den judi^clien Gemeinden
keine beneidenswerte Stellung ein. Eine Ausnahme bilden jene Ralibinen, die sich
mit der Tliora, d. Ii. der Wissenschaft heschSftii^en und sieh als Gelehrte ein Ansehen
zu vcrscliafleii vcrmugcu. 1 reilich sind die BcgrilYc der Menge der stimm- und wahl-
berechtigten Gemeindemitglieder von der Wissenschaft grundverschieden von den
«nsrigen , die wir den Feinheiten und Schönheiten der Theologie und Kanzclbered-
samkeil nicht nachgehen, aber auclr die Rabbinen kümmern sich durchschnittlich um
die Volks- und Völkerkunde nicht. Das muss man lebhaft bedauern; denn die sehr
umfangreiche jüdische Literatur, die einen Zeitranm von mindestens 25CO Jahren um-
fasst und das Volksleben der Juden nahezu auf der ganzen Ökumene böten ergiebigen
Stoff für ethnologische Untersncliangen dar. Das zeigt auch vorliegende, mit vielem
Fleiss und soweit ich mir ein Urteil darüber erlaaben darf, mit grosser Gewissenhaf-
tigkeit verfasste, von theologi-sch-rabulistischen Streifzügcn freie Untersuchung. Der Vf.
strebte eine möglichst erschöpfende Zusammenstellung aller in der IJteratur vorhanden
nen Angaben an, um ein Bild der geschich'liehen F.ntwicklung des Bannes zu liefern.
Die Geschichte des Bannes kann nur vom ethnologischen Gesichtspunkte aus erörtert
werden, etwa im Anschluss an Dr. A. H. Postas Schriften. Die drei Kapitel (der
Bann im biblischen und im talmudisthrn Schrifttum, in den rabbini>ehcn Codices)
geben scheinbar einheitliche Gruppen, während es sich im Einzelnen um verwickelte
Probleme handelt, die ein Theologe mit seinen isoltrten Mitteln unmöglich lösen
kann. Eine brauchbare und hübsche Vorarbeit für den Erforscher ethnologischer
Jurisprudenz ist die Schrift zu nennen, und darum ist sie nützlich.
Auf S. 17, Anm. erörtert Vf. die Etymologie von Cherem-Bann. Der Verweis auf
das griech. charme(?) ist unzulässig. Aus karma entstand (H)armatol = der Krieger,
aber das arab.-türk. Aramija oder Haramija = der Räuber (auch bei den Siidslaven)
ist der Vervehmte, der aus der Gesellschaft Ausgesto.ssenc, der mit Rann Belegte. Im
Guslarenliede unterscheidet der Sprachgebrauch ziemlich genau zwischen Hajduken, den
unabhängigen Mili/ni'inncrn des TT>)eh\valdes und den arainije prokletnici Aramis den
Vertiuchlen, mit denen selbst die Hajduken auf Kriegsfuss stehen, .\raoibasa ist türk.
ein Räubcrhäuptling, und dieser Ausdruck verdrängte den altslav. Cetovogja und
vojvoda fiir Rottenhauptmann. Kraasa.
IX. Ausweis
über die zur Gründung einer Urquellstiftung von 10,000 Fl, eingeflossenen Spenden;
Stand des Fonds (vrgl. Urquell, N. F. Band II. S. 98) S60 Fl. ö. W.
Herr F. D. Mocalta in l.ondun .. 200 « n Ji
Hoch würden Herr Vilim Korajac, Stadtp&rrer in Semlin ... SO « » »
Herr Josef Reckmann in Wien ^ -n ■» 9
Herr 11. N. in Wieu 10,,ig
Herr W i 1 h e 1 m W o 1 f g a n g , 7 ■ » »
Herr Kariolics in Wien (einen Fundgewinn) X«»«
Zusammen 1136 Fl. ö.W.
Weitere Spenden ilberoimmt der derzeitige Verwalter der Urqtiellstiflttng
Wien Vll/a. Neustiftgasse l«. n- ir • j • t. e ir
' * Dr. Friedrich S. Kraus«.
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Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. THRILL.
Archiv für Ethnographie (Internationales), hrsg. von Dr. Krist. Bahnson, Copen-
hagen; Prof. F. Boas, Worcester, U. S. A.; Dr. G. J. Dozy, im Haag; Prof. E. H.
Gii;lioU, Florenz: A. Grigorlefi St. Petersburg: Prof. E. T. Hamy. Paris; Prof. H.
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Ocngarang ÖJ»'^^)' Prof. G. Schlegel, Leiden; Dr. J. D.E.
Schnleltz, Leiden ; Dr. HJalmar Stolpe, Stockholm ; Prof. E. B. Tylor, Oxford. —
Redaction: Dr. J. D. JE. Schmeltz. 1887—1897. Vol. I— X. (Mit schw. u. coL Taf.). 40.
Vannee Je 6 livr. /' 12. —
Supplement zu Band 1 :
Otto Stoll, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. 2
cül. Taf.). 40 / 4.—
Supplciucut zu Band III :
Max Weber, Ethnographische Notizen über Fliires nnd Celcbcs. 1S90. (Mit 8
col. Taf.). 40 y y —
Supplement zu Band IV:
David Mac Ritchie, The Ainos. 1892. (Mit 1 7 col. ui 2 schw. Taf.). 4". / 12. —
Supplement zu Band V :
\V. Jücst, Ethnographisches und Vei"wandtcs aus Guyana.' 1S93. (Mit 2 cöl. u. 6
schw. Taf.). 4O / 6.—
Supplement zu Band VII :
F. W. K. Müller, Nang, .Siamesische Schattenfiguren im Kgl. Museum für Völ-
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit 4 schw. u. 8 col. Taf.). 4t* f 9. —
Supplement zu Band IX:
•^Ethnographische Beitrüge. Festgabe zur Feier des 70*'«n Geburtstages von
Prof. Ad. Bastian. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4» . . . / 6.—
Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeitschrift bis jetzt
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecuniä-
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen
Subscribcntcn auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der
noch vorhandene geringe Vorrath dies gestattet, zu ermässigten Preisen zu über-
lassen, und zwar:
Bd. I — X (Ladenpreis 210 Mark) zu M. 150. — .
Bd. 1 — X mit sämmtlicheu Supplementen (Ladenpreis 28S Mark) zu M. 170. — .
Da von den letztgenannten sieben Bänden mit sammtlichen Supplementen nur
noch sehr wenige vollständige Exemplare abzugeben sind, dürfte es sich emp-
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zu ertheilen.
Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner- Arabien. 1896. Theil I. 8*. Mrk. 7.50
Jacobs , J., llet Familie- en Kamponglevcn op Groot-.\tjeh. Eene bijdrage tot de
ethnographie van Noord-Sumatra. Uitgeg. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk.
Geuootscbap. 1894. 2 dln. (Met 17 phot. lith. en 6 gekl. platen) gr. in-8°. Mrk. 25.50
gebunden . . Mrk. 28.90
Landberg, C. de, Bdsim le forgeron et Hdrön Er-Rächid. Texte Arabe en dialecte
d'lSgypte et de Syrie. Public d'apres les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et
accompagn^ d'une traduction et d'un glossaire. I: Texte, tradition et proverbes.
1S88. 8"» Mrk. 5.—
Martin , K., Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf
gegründete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und 4 col. Karten), gr. in-8°. Mrk. 34., —
Martin, K., Reisen in den Molukken, in Ambon, den UUassem, Seran (Ceran) und
Buru. Eine Schilderung von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung
der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf.,
I color. Karte und 18 Textbildern), gr. in-8° Mik. 21. —
Spitta-Bcy, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits. Texte arabe en caract.
l:it. avec la traduction frang. 1883. 8* Mrk. 6.50
INHALT.
- " • * ■ ' . Seile
Von der Wiedergeburt Totgesagter Von W. Caland. .' , . 193.
Notizen zur Geschichte der Märchen und Schwanke. Von Juljanjaworskij . 195.
Perchta. Von Dr. M. Höfler 199.
Der Tote in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beitrag aus Por-
tugal. Von M. Abeking , 202.
Volksmedizin aus Niederösterreicli. Von J. Bök 210.
Unbestimmte Zeit. Von A* Treijchel 214.
Knicker — Kugel — ^teinis. Eine Umfrage. Von Jos. Buchhorn . . . 218.
Der Nobelskrug. Eine Umfrage von R. Sprenger. Beitrage von A. T rei-
che! und Krauss 219.
Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorsprossen. Eine Umfrage von
B. Lauf er. Beiträge von Adolph Löwy und R. Sprenger . . . . 220.
Judendeutsche Sprichwörter aus Ostgalizien. Von Isaak Robinsohn . . . 221.
Beiträge zur Volksjustiz im Bergischen. Von Otto Schell 222.
Fabeltiere im altjUdiftchen Volksglauben Von L. Mandl 227.
Zum Vogel Hein. Eine Umfrage von Franz Branky. Beitrag von Lehrer
Rabe 228.
Folkloristische Findlinge. l. Lebende Tieropfer. Von — r. — 2. Blauer Safran.
Von Bk. — 3. Donnerkeile. Von Jos. Stibitz 230.
Vom Büchertisch. Werke von Asmus und Knoop, Pol de Mont und A.
De Cock, S. Mandl. Angezeigt von Krauss 331.
IX. Ausweis zur Urquellstiftung . 232.
Wir bitten unsere Mitarbeiter^ sich aus Röcksicht für unsere holländischen Setzer
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lateinschrift zu bedienen.
Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf 25 Sonderabzüge seines Beitrages; bedarf er
ihrer mehr, mag er sich deshalb vor dem Abdruck mit dem Verleger ins Einver-
nehmen setzen. . • ^
Der Urquell erscheint regelmässig in Doppelheften. Der Suhscriptionspreis für den
ganzen Jahrgang beträgt: 4 Mark. = 5 K. = 5 frcs = 2.50 fl. l /.
Abonnements können auch bei der Redaktion des Urquells, Wien VII/2. Xeustift-
gasse 12 angemeldet werden.
Druck der „Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. Brill'
DER URQUELL.
Eine Monatsckrift für Volkskunde.
Herausgegeben
. Friedrich S. Krauss.
Dm Volkitiwi- S«t der-Vtaicer Jungbraimeiu
Der neuen Folge Baad IL Heft ii und 13.
BUCHHANDLUNG U. DRUCKEREI
Tormala
E. J. BRILL
G. KRAMER Verlag
in HAMBURG.
St. Emvli, Thalstr. «4, t
RrtM tto i; Wien, Ottendchf vn/a» NeasUftguM is.
An die Freunde des Urquells!
pg;^ Es liegt mir die Verpflichtung ob, ein umfangreiches Werk über die pri-
mitiven kriegerischen Organisationen der Slaven, als eine Fortsetzung zu meinem
Buche tiber , Sitte und Brauch der Südslaven' zu vollenden. Ueberdics muss ich
meiner Zusage gemäss, eine Gesamtausgabe der besten Schriften meines verewig-
ten Freundes Eduard Kulke veranstalten. Um Müsse zur Erledigung beider
Aufgaben zu gewinnen, sehe ich mich genötigt, im Erscheinen des Urquells eine
Unterbrechung eintreten zu lassen. Die Freunde der Volkskunde werden voraus-
sichtlich dabei nach keiner Richtung hin zu kurz kommen, denn auch Kulke's
Nachlass birgt manchen für unseren Wissenszweig kostbaren Stoff.
Wien im Dezember 1898. Friedrich S. Krauss.
Einläufe.
Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn, hrsg. v. Prof. Dr. Anton Hermann,
Budapest 1898. 13. VI.' [Sehr reicher Inhalt].
Letopis Matice Srpske (Jahrbuch der serbischen Bienenkönigin). 1891 — 1898. (Heft
166 — 196). Eine Fundgrube für die Serbenkunde. Red. Milan Savic.
Grünhut, Dr. L. : Midras Sir Ha Sirim. Zum i. mal nach einer aus d. 12. Jahrh.
stammenden, in Egypten Hs. edirt usw. usw. Jerusalem 1898.
Godisnjak Srpske Kr. Akademije (Jahrl). der Srb. kgl. .\kad.) 1897. S. 274. Belgrad 1898.
[Bastian] : Lose Blätter aus Indien, VI. Berlin, D. Reimer, 1898. 151 S. gr. 8*.
Bjerge, Poul: Aarbog for Dansk Kulturhistorie, Aarhus 1898. S. 191 (Enthalt S.
lo — 76 eine Abhandlung über Gäder [Rätsel] von H. F. Feilberg).
Gavrilovic, A.: Spomcnica o prenosu praha Vuka Stef. Karadiica iz Beca u Beograd
(Gedeukschrift von der Überführung der Überreste Wolf St. K. aus Wien nach
Belgrad) 1898. 384 S. gr. 8«. Ed. v. d. Scrb. kgl. Akademie.
Höfler, Dr. M. : La pcsic di Freto. Amsterdam 1898. 5 S.
Winternitz, M. : Witchcraft in Ancicnt India. 20 S.
Brunk, August: Plattüeutsche Volkslieder aus Pommern. S. 31. Lex. 1 .
Brinton, D. G. (Separatabdrücke): The factors of heredity and cnvironmcui in man. —
The peoples of the Philippines. — The archaeology of Cuha. — Note on thc cri-
teria of Wampum. — The Dwarftribe of thc Upper Amazon.
Schwarzfeld, M. : Evrei in literatura lor popularä sau cum sc judecä evrei insusi
studiu elnico-psichologic. Bucaresti 1898. — Chazari sau Evrei? Rcflcxii critice pe
tärlmul folkloric. — Poesiile populäre, Colcctia Alecsandri sau cum trebue culese
si puhlicate canticele populäre. Jasi. — Llt. pop. Israclita ca elementi etn.-psich. —
Scrisoare c&tre dumnezeu cercetare folcloristica. — Evrei in Literatura populari
Rom.mä. Buc. — Basmul cu pantoful. studiu folkloristic.
Saineanu, Lazar: Jidovii sau Tatarii sau Uriasii. 8 S.
Gaster, Dr. M.: Basme evreesti de o mie pe ani. 1S96. 16 S. — T i'en'Mra popularä
evreo-spaniolä.. 13 S.
Strele, Richard von: Wetierläuten und Wetterschiessen. 1898. 24 S. .München.
Boas, Franz: Traditions of the Tillamook Indians, S. .\. 127 p. — Introduction to tradi-
lions of the Thompson river Indians of British Columbia. S. A. Amer. F. L. Soc. VL
Treichel, A. : Fleischpilze aus dem Kreise Berent. S. A. — Nachtrag zur Pielchcn
oder lielltafel. — Volkstümliche Bruchrechnung usw. — „Bubeschenkel". — Pilz-
Destillate als Rauschmittel.
Laufer, B. : Studien zur Sprachwissenschaft der Tibeter. Zamatog. München l8g8, 73 S. S",
Insertionen — Beilagen.
Es wird höflichst gebeten, sich für Inserate und Beilagen ausschliesslich an
die Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. BRILL in Leiden wenden zu wollen.
Ein Vorrecht der Volkskunde.
Ein Bericht von Krauss.
Die Zeufitr^ in Siife^ Bratuk und Glauben der Sädtlawn, 1. TeiL
Lieder. Verlag von H. Welter. Paris, 1899. ULftnrrdtsn, t. VL
Vor anonym erscheinenden Schriften muss man auf der Hut sein;
denn es ist oft der Fall, dass der Verfasser guten Grund hat,
Versteckens zu spielen und den Leser zu narren. Bei diesem Werke,
das mich zum Urheber hat, entfiel die Namensnennung nur mit
Hinweis auf die früheren Bande der Kryptadien^ammlung, die auch
namenlos erschienen sind. Armut und einen dicken Bauch kann man
nicht verbergen, sagt das Sprichwort, uiul ich fuge hinzu, auch seine
wissenschaftliche Methode und seinen Stil nicht. Ich hatte mich sonst
genannt, denn ich fürchte niemand und brauche mich meiner Arbeit
nicht zu schämen, so s^^handlich und siebenfachen Eckel erregend
stellenweise ihr Stoff dem einen und dem anderen Neuling in der
Volkskunde auch vorkommen mag. Bastian bemerkt in seinen
»Losen Blättern aus Indien' (VI. 1898, S. 16. Berk Dietr. Reimer)
mit Hinblick auf derartige Untersuchungen: „So widrig abstossend
auch diese Dinge sind, so wenig dürfen sie doch ausser Beacht
gelassen werden. Der Arzt wird sich durch stinkende Jauche nicht
abschrecken lassen, einen Eiterungsprozess zu untersuchen, und so
muss die ethnologische Sonde zur Erprobung eingesenkt werden,
wo es solcher bedarf."
Sehr schön, verehrter Altmeister, aber dem Arzt muss sich der
Kranke anvertrauen, uns aber hält er in diesem Falle för müs^e
Vorwitdinge, die ihn unnütz behelligen. Si duo idem faciunt, non
est idem vor dem Tribunal des grossen Publikums mit gesundem
Menschenunverstande. Dann wird auch mancher verblüfft fragen:
Ja, wo hast du, Krauss, alle diese unerhörten Säuereien aufge-
klaubt^^ Du musst dich wohl jahrelang unter dem Abschaum der
Gesellschaft bewegt haben, um derlei so genau zu erkunden!'
ßtwas wahres ist vielleicht daran, denn man kann sich Tatsachen
16
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^34
des Volkslebens nicht aus dem kleinen Finger heraussuzcln, nur
gilt auch hier das Wort vom Reinen, dem alles rein ist. Der Arzt,
der ein Buch über die sogenannten geheimen Krankheiten veröf-
fentlicht, braucht nicht ein einziges von den beschriebenen Leiden
am eigenen Leibe durchgeprüft zu haben, um deren berufener
Kenner zu heissen. Umständliches, wissenschaftHches Beobachten
der Erscheinungen bei den Rehafteten, Befallenen und Belasteten
reicht zu dem Forschungszwecke vollkommen aus.
Auf die Gabe der Bcobachtun«/ und die darin durch Selb.st-
zucht gewonnene Kunst fertii^kcit kommt es an. Wer unbefangen
ist, wird bald herausfinden, dass meine bescheidene Arbeit dem
Ethnologen reichlich mehr und ergiebigeres Material liefert als
R. V. K ra fft- E b i n s klinisch-forensische, dicke Studie: ,Psy-
chopathia scxualis mit besonderer Berücksichtigung der conträren
Sexualempfindung'. Er hat den kranken Menschen vor sich, die
anwidernde Ausnahme. Er urteilt schier, wie einer, der in jedem
Menschen einen Kranken wittert. Und dabei sind ihm doch
einige Formen sinnlicher Verirrung, so z. B. die chrowotische
Triebe, die ich beschreibe, unbekannt geblieben. Und weil er es
als Arzt nur mit vereinzelten Individuen jeweilig zu tun hat, die
er heilen oder vor der Wucht unserer veralteten Strafgesetze
verschont wissen möchte, entgeht ihm das ethnologische Moment,
das bedeutsamer ist. Die ihn oder einen anderen Arzt seines
Sonderfaches aufsuchen und jene, die vors (Bericht gelangen, sind
schon auf den letzten Taken, wir Folkloristen dagegen suchen
das Volk auf und stellen die Xorm, das allgemein giltige fest,
wobei es für unsere Forsc hu nijsz wecke ohne Belang ist, ob dieser
oder jener Brauch gesundheitgefahrdcnd sei oder im Widerspruch
mit dem Oesterr. Stgsb. § 128. 132, ]). Stgsb. § 174. 176^ steht.
Es wäre daher durchaus falsch, die Südslaven von unserem geläu-
terten und verfeinerten moralischen Gesichtspunkte aus zu beur-
teilen. Man muss sich solcher konventionellen Anschauungen be-
geben und ohne Voreingenommenheit in den Gedankenkreis des
uns scheinbar urfremden Milieu's hineinleben iiucsentlich fremd sind
ja derlei Dinge auch dem deutschen Bauernvolke nicht) ; so kann
man gerecht sein, ohne zu richten, denn zu richten utui rw rech-
ten, ist nicht Saclie des Ethnoh^L^en. Ich will rl inii: nur sagen,
dass unsere Methode zu forscheu nicht minder unanfechtlMr ist als
die des Psychiaters und dass man sich am Geiste der freien Wis-
senschaft versündigt, wenn man just unsere einschlägigen I-'orschun-
gen schmählt und schilt. „Das traurige Vorrecht der Medicin und
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235
speziell der Psychiatrie, dass sie beständig die Kehrseite des Le-
bens, menschlicher Schwäche und Armseligkeit schauen muss»"
geniesst im vollen Maassc auch die Volksforschung. Wer, als nur
ein Dummkopf oder ein Böswilliger, kann die Richtigkeit dieser
altbackenen Wahrheit bestreiten ?
jetzt vor 12 Jahren schrieb mir aus Marienbad mein seither
verewigte Freund Prof. Isidor Kopernicky, dass er an den
damals bei den Gebrüdern Henninger in Heilbronn verlegten
Kryptadien mitarbeite und lud mich ein mitzutun. Er wollte
mir die bis dahin veröffentlichten Bande leihen. Ich lehnte aus
Schonung der Vorurteile gewisser Leute alles ab und auch, weil
mir vor den Sachen graute. Da er wusste, dass ich mich als
Sammler um derlei emsig bekümmert hatte, verlangte er Aufzeich-
nungen und ich überliess ihm beiläufiL; 150 zwei- und eindeutige
Rätsel und etwa 30 Lieder, von deren Verbleib ieh seither nichts
mehr erfuhr. Ich wollte daniit wirklich nichts zu schafTen haben,
doch im Rntc slovenischer und chrowotischer Göttermacher und
Antiquitätenerhnder ward der Heschluss gcfasst worden, mir Ehre
und Seele und bürgerlichen Erwerb al)zu.schneiden. Literarische
Gaukler, die ich niemals gekannt und genannt, denen ich mein
Lebtag auch nicht das allergeringste in den Weg gelegt, streuten
über mich die abscheuiiclisten und nichtswürdigsten Verläumdun-
gen aus, die meinen greisen Eltern schweren Kummer bereiteten.
Aus Notwehr fasste ich den Vorsatz, das Treiben dieser seltsamen
Biedermänner näher kennen zu lernen und aufzudecken. ,Die Böh-
mischen Korallen aus der Götterwelt' '), mit denen ich die Taten
und Meinungen der Afterfolkloristen beleuchtete, bewirkten, dass
die Kläffer von mir abliessen, weil sie mit sich zu tun bekamen.
Die Cardinalluge der sudslavischcn Schwindler, dass von ihrem
Humbug Ehre und Ansehen des Slaventums abhänge, fieng man
nun zu wmrdigen an. Vollends brach über meine Schrift unter
der studircnden Jugend ein Jubel aus, weil sie sich dadurch
der gehirnerweichenden Verpflichtung entbunden sah, die öden
Phantastereien der Gdtterfabnkanten zu buft'eln. So unsittlich und
schmachvoll das Gotter- und Antiquitätenerzeugen auch ist, über-
troffen wird es noch von der verwerflichen Lebens- und Schreib-
weise der Fabrikanten. Nachdem ich diese übelriechende Campagne
durchgemacht, konnte ich leicht jede Scheu vor einer Publizirung
meiner Kryptadiensammlung bezwingen, und dies um so mehr, als
i) Zweites Tausend. Verlag von Low it. Wien, 1897.
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auch diese Arbeit dazu beiträgt, mit den in die slavistische Lite-
ratur eingeschmuggelten Alfanzereien aufzuräumen.
Wenn man den wunderlichen Oft'enbarungcn der bewussten
Mythenerdichter lauscht, muss man glauben, dass es bei den
„alten" Slaven noch langweiliger und verlogener zugieng als in
den G e s s n e fischen Idyllen, in denen freilich noch ein Hauch
sentimentaler Salonpoesie weht. Der Unterschied zwischen Männlein
und Weiblein bestand darnach blos darin, dass die Manner
keine Kitteln trugen , und wie die Volksvermehrung denn doch
erfolgte, bliebe ein ewiges Geheimnis, hätte nicht die südslavische
Akademie durch Propagirung einer „himmlischen Schwerenots-
mutter" den Schleier ein klein wenig gelüftet. Wollte es einer
unternehmen, unter klassischen Philologen oder unter Chenukcni
mit Fälschungen und nichtigen Erdichtungen vorwärts zu kom-
men, er würde gar bald unter der Last allgemeiner Verachtung
zusammenknicken. In der .slavischen Folkloristik war dies bis vor
kurzem ganz anders. Wer sich für einen Retter und eine Stutze
des Slavcntuin-. ausgab oder als Sprössliiig urslovcniscliei oder ur-
chrowotischer Aliucn erklärte, gewann damit einen Freibriet, allen
erdenklichen Unfug auch auf dem Gebiete der Volkskunde straflos
zu verüben.
Die ernüchterten und ernsten F.icligenossen, die es satt bekom-
men, sich unter dem Vorwande des slavischen Patriotismus und
der Wahrung slavischer Nationalität ulken zu lassen, werden aner-
kennen, dass meine Publikation, obwohl ihr Inhalt nur unmoralische
Sitten und Gebräuche behandelt, durchaus moralisch zu nennen
ist; denn das Suchen nach der Wahrheit und dem Zusammenhang
der Dinge ist der vornehmste Ausdruck der Sittlichkeit.
Das Werk bringt neben den einleitenden Abschnitten, die man
aus Rücksicht auf das Pressgesetz in einer jedermann zugänglichen
Zeitschrift nicht besprechen darf, hundert und fünfzig chrowotische,
serbische und bulgarische Volksliedertexte mit Verdeutschungen.
Es ist zum Teil wichtiges Material für die vergleichende Literatur-
geschichte und namentlich Poesie. Das Nachtigallenmännchen schlägt
die entzückendsten Triller an, wenn es um das Weibchen wirbt. So
zählt auch so manches unter den erotischen Liedern dieser Samm-
lung zu den lieblichsten und vollendetsten Blüten südslavi scher
Volksdichtung. Der feinste und der gröbste Witz, übermütiger,
launigster Humor des Liebegirrenden, der Jammeraufechrei der
Entehrten, das Gewinsel des Angesteckten, die Verspottung der
Männersüchtigen, die Neckreden der Urninge und das Geprahle der
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237
Päederasten, sprudelnde Lebenslust und viehische Brunft kommen
in diesen Liedern kräftij^ und klar verständlich zur Aussprache. In
gewissem Sinne sind auch die Südslaven vom Stamme jener Asra,
welche sterben, wenn sie lieben. Sie heben im Übermaasse tollen
Genuss; sie entarten leiblich und geistig und verkommen wirtschaftlich.
Nach diesen Texten, in denen sich un verhüllt das Volk selber
schildert, erscheint ein von dem landläufigen wesentlich verschie-
denes Bild der sexuellen Verhältnisse bei den Sudslaven. Von der
berüchtigten Sittenverlotterung und -Fäulnis der sogenannten guten
Gesellschaft bei den Chrowoten soll hier ebensowenig als in meiner
Schrift eine Rede sein; das raffinirt gezüchtete Laster, das im Sumpf-
luftbereich chrowotischer Bolitik üppig gedeiht, liegt ja ausserhalb
unserer Betrachtung^. Wir sprechen vom Bauernvolke. Unter den
unverheirateten LcL.tc!i herrscht vor der Rheschlicssung, bis sich das
Frauenzimmer in die Mundschaft eines Mannes begibt. L/clcLientlich
eine Art freier Liebe oder geschlechtlicher Promiscuität innerhalb des
Dorfbezirkes vor. Aus manchen Gründen könnte man der Ansicht
sein, dass diese Erscheinung grösstenteils ein verhältnismässig junges
Entwickiungsergebnis sei, das nach dem Zerfall der alten väter-
rechtlichen Hausgemeinschaft und StammgHederung, sowie der Ab-
schwächung der patria potestas von selber eintrat. Ich bleibe indess
mit der Formulirung meines Endurteiles noch zurück; denn man
hat sich unter anderem vor Augen zu halten, dass der Bestand der
väterrechtUchen Hausgemeinschaft keineswegs die geschlechtliche
Promiscuität unter ledigen Leuten ausschüessen muss und dass sich
geschlechtlicher Umgang dieser Art noch lange nicht mit dem
Begriff der Prostitution deckt, ja dass er sogar mit Ehrbarkeit, fast
möchte ich sagen, mit Keuschheit, nicht unvereinbar ist.
Die eigentlichen, geschlechtlichen Ausschreitungen unter den
jungen Leuten sind, was auch besonders angemerkt zu werden ver-
dient, nicht endlos, sondern fallen hauptsächlich in die erste Herbst«
zeit nach erledigter Einheimsung der Feldfrüchte. Es kommt einem
vor, als ob sich die mannbare Jugend während zweier, dreier Wochen
im Jahre, wie liebestoll geberdete. Sie stampfen ganze Nächte hin-
durch den Reigen bis zur Erschöpfung und singen bis zur Heiser-
keit vorwiegend die obszoensten Lieder. In Grossstädten hatte ich
einigemal Gelegenheit, den übel berufenen Cancan tanzen zu sehen,
aber ich meine, dass ihm ein herbstlicher Kolotanz, den hochge-
schürzte Mädchen, den Busen voll stark duftender Blumen und
Kräuter, mit angetrunkenen Burschen im fahlen Mondschein auf-
fuhren, an sinnlich aufregender Macht erheblich überlegen ist. Es
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ist auch ein bedeutender Unterschied, ob nian einem Cancan zu-
schaut, den gemietete Personen protessionell tanzen, oder ob man
Junglinge und Mädchen vor sich sieht, die sich im wilden Kolotanz
schwingen, weil sie dem Ansturm des Geschlechtstriebes gehorchen
und den ererbten Brauch befolgen. Entschieden hat man es mit
einem ererbten Brauch zu tun, und ich möchte nicht von vornher-
ein die Vermutung abweisen, dass diesen herbstÜchen Tänzen ur-
sprünglich irgendwelche reHgiöse Motive mit zu Grunde gelegen
seien. Recht anschaulich bei aller Knappheit und Zurückhaltung
schildert Vuk Vröeviö im Niz srpskih pripovjcdaka (PanCevo
1881, S. 326 f.) aus dem Herzogtum einen Herbstreigen, den Mäd-
chen einberufen hatten. Es kam damals zu einer blutigen Schlägerei
unter den Burschen, die sich in Liebeswut um die Mädchen rissen
und sie einander streitig machten. Mit einer nicht geringen litera-
rischen Feinföhltgkeit weiss Vr£evi£ das punctum saliens des
Vorfalles, der so schlimm zu der als Vorbild fiir die Städter an-
gepriesenen Sittenstrenge und -Reinheit seiner Gestalten passt, zu
umgehen und das Hauptgewicht auf die nachträgliche Vermittlung
der Friedensrichter zu legen, lässt es aber auch auf der Andeutung
des Verlaufs beruhen. Ein Folklorist unserer Richtung würde den
Voigang zweifellos umständlich beschrieben und ebenso zweifellos
im Süden keinen Drucker und Verleger für seinen Bericht gefunden
haben.
Nicht blos der Reigen, auch die fiir den Reigen bezeichnenden
Lieder sind nicht von gestern und heute. Der im Reigentanze häufig
bis zur Raserei aufgestachelte Geschlechtstrieb erheischte auch in
«alter Zeit** naturgemässe Befriedigung, und da verheiratete, unter
Mundschaft eines Gatten befindliche Frauen vom Reigen ausge-
schlossen waren, durften nur die Teilnehmer des Reigens, also die
ledigen Leute einander froh werden. Ihre Lieder konnten unmög-
lich in Vei^essenheit geraten. Man bewahrt ja zum Gebrauch gern
das altüberkommene, zumal da, wo es mit der Erfindergabe happert.
Im alten Volke ersinnt man nicht sobald neue Lieder. Es hat
darum wenig zu bedeuten, dass die mechanische Niederschrift der
Texte metner Sammlung gar nicht alt ist und dass die anderweitigen
,alten*', publizirten Texte diese Seite des Volkstums kaum berühren.
Die früheren Sammler gaben im Grund genommen blos ausgewählte
Proben der Volksdichtung zum Besten, die die Sittlichkeit, oder
was man darunter verstand, nicht grob verletzen. Die Guslaren-
lieder, auf die es hauptsächlich ankommt, wurden sogar kastrirt
edirt; zudem erzählen sie in erster Reihe von der Lebensführung
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der bevorzugten ritterlichen Klasse, der Kriegerkaste der Bevölke-
rung, nicht aber von der Durch.schnittsmenge des Volkes. Das geht
soweit, dass man z. B. nur auf Grundlage der Guslarenlieder schwer-
lich in der Lage wäre, ein halbwegs zutreffendes Gemälde der
Hausgemeinschaft und der Stamnigliederung zu gewinnen, und ein
grosser Teil des bäuerhchcn Volksglaubens bliebe uns ohne sonstige
Quellen und Belege für immer unbekannt.
Es ist vielleicht nicht überflüssig, bei dieser Gelegenheit hervor-
zuheben, dass den Texten meiner Sammlung zufolge, die Anmaas-
sung eines ius primae noctis, die von Chrowoten den bosnischen,
moslimischen Edelleuten verläumderisch nachgesagt wird, nichts
anderes, denn eine der abendländischen Literatur entlehnte Mythe
ist. DieseFrage ist für die Südslaven, wie sich dies auch sonst
harschan dartun lässt, rein gegenstandlos.
Der zweite Teil dieser Schrift wird Sprichwörter, Rätsel, Zau-
bersprüche, Sagen, Märchen, Schnurren und Schnaken enthalten.
Damit das Buch nicht unter unreife Leute komme und Unheil
stifte, ist die Auflage blos auf 150 Exemplare beschränkt. Zudem
kostet jedes Exemplar 25 fr. Zum Überfluss wird es mit Vorzug
an Universitätsbibliotheken und auch nur an Männer abgegeben,
die es zu wissenschattiichen Zwecken studircn wollen.
Ich wurde es neben der Anerkennung meiner Fachgenossen als
den schönsten Lohn meiner Bemühung erachten, sollten sich ehrliche
(veiinullich gibt es welche) SozialpulililvCi der Südslaven din'ch mein
Buch angeregt fühlen, über die Mittel und Wege nachzusinnen, wie
den angedeuteten, unsäglich beklagenswerten Misständcn, die den
Chrowoten und Serben auf das Aussterbeetat setzen, wirksam ab-
zuhelfen wäre.
Knicker-Kugel-Steinis.
Ein Umfrage ▼on Josef Buchhorn.
IL Die Kugelspiele sind uralt und sehr weit verbreitet. Das unter
der Kinderwelt von Niederösterreich allgemein bekannte Paschen,
war schon, wie Grasberger bezeugt, auch den Kindern der alten
Griechen ganz geläufig, nur warfen diese auch Würfel, Knöchel,
Eicheln u. dgl. ins Grübchen. S. Dr. Karl Schmidt, Geschichte
der Pädagogik, 1. B. S. 465 (Göthen 1886).
Kugelspiele, denen sich unsere Jugend mit Eifer wiedmet, sind
in ähnlicher Weise unter den Kindern der Polynesier heimisch,
bemerkt Dr. H. Floss (Das Kind in Brauch und Sitte der Völker
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II. 294), wobei er zugleich auf Gerland, Die Völker der Südsee
(S. 103) verweist.
Die Knicker, kleine Kugeln von Thon, Sandstein, Marmor oder
gar Alabaster, heissen im 01denbur<;ischen Murmel. Auch das
Spiel wird so benannt: „Z?/V MKrinf! sind des letzte Spiel im
Freien." (Aus dem Kindericben. Ohlcnburg 1S51. S. 17).
Die Stcinkugel, die zum Auf tatzeles, { Auf tätscher Ics, Balletle
oder Stemles) in Verwendung kommt, heisst in Heidelberg Ha-
cker, am Rhein Bopser, in Tubingen dw Scklagerin, in Bühl Hopper.
(Ernst Meier, Deutsche Kinder- Reime und Kinder Spiele aus
Schwaben. Tübingen, 185 1, p. 145.)
Einige Knopf und Kugelspiele habe ich in den Spielen und
Reimen der Kinder in Österreich (Wien, Sallmayer und Komp.
1876, S. 25) beschrieben: das DtinscJirollen, Bockscheiberiy Simmein,
Tiktfiki, Patoky und das bereits erwähnte Paschen.
Die interessantesten Thatsachen über die Kugelspiele bringt
E. L. Roch holz im Alemanuischen Kinderlied und Kinderspiel
bei, p. 420 fg.:
Ovid und Philo erwähnen ein Spiel, das an das Spicken, ital.
spiccare erinnert. Eine Papier-Handschrift aus dem 15. Jahrhundert
meldet wie die GlasscJiusser gemacht werden. Hugo von Trim-
berg spricht im Renner über die Trieb kugeln. Züricherische Sit-
tenmandate verboten im 16. Jahrhundert sogar das Kluckern mit
steinernen Kügelchen bei Strafe der Gätterei ; letzteres \\ar eine
hölzerne Drehmaschine, in welcher der Sträfling bis zum Erbrechen
herumgewirbelt wurde. Das Nordlinger Spielgesetz vom Jahre
1426 erlaubt der Jugend u. A. auch Topfspiel imd SchellkügLichen.
Der Name des Schncllkugelchens Glucker, holländ. klikker, scliemt
dem Schall zu gelten, den es beim Aneinanderstossen macht,
Klippel ist sein verwandter Name an Main und Donau.
Fischart führt unter den 620 Spielen des Gargantua c. 25
auch die des Grübleins und des Gluckerns und der breiten und
halben Kugel an.
Von Kugelspielen beschreibt noch Rochholz a.a.O. Schlosslein,
Zeilt Grübli und Kugelitrölen.
Aus Mones Anzeiger teilt J. V. Zingerle, Das deutsche Kin-
derspiel im Mittelalter 2, Innsbruck, 1873, S, 28 die Stelle mit: „das
sint du gelben kugelin, do die schuler mit spilen, und sint gar
wolfcl."
„Im Kleiderbuche der beiden Schwarz," heisst es weiter a. a. O.
„spielt der kleine Mathias 1508 mit ScknellkügelckeH und der kleine
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Veit wirft etliche marmorne Klunkern in ein Grübchen mit der
Beischrift : Es <^elt zwei Marbel, ich tuollt grad einschiessen.
Das Kugelspicl hat in Wien auch den plastischen Darsteller ge-
funden, Wol^^ang Schmält zl, der Schottenschulmeistcr, schil-
dert im Lobspruch der hochloblichcn weitberuhmtcn königlichen
Stadt Wien in Österreich den Predigtstuhl in der Stephanskirche,
wobei er bewundernd ausruft:
. . . . wo lebt ein mensch, der knn
Von staiawerg so subtil ding machen?
Mein hertz vor frendn tntr thet lachen.
Die kitulltnn gleich wie in den lanff
Sich narten, kherlen gugcl auff j
Auch manche krot, Hdcr vnd schlang
In stain gehaweu aufT dem gaug,
Sich luttmbten, paumpten v^rs ich
So frey als werens lebendig.
(V. 460—468).
Den Simplicissimus verdross es über die Massen dass er in
schwedischer Gefangenschaft von dem Regimentsschulzen mit »Kind"
angeredet worden ist: „Kind, was hat dir der Schwed gethan, dass
du wider ihn kriegest?" Darauf ontwortete Simplicissimus: »Die
schwedischen Krieger haben mir meine Schnellkugeln oder Klicker
genommen; die wolle ich gern wieder holen. (Der abenteuerhche
Simplicissimis, ed. j. Tittmann, 1. 245.)
Franz Branky.
III. Über dieses und verwandte Spiele im fernsten Ostasien
handelt mit umständlichster Gründlichkeit Stewart Culin in
seinem für die methodische Erforschung der Spiele überhaupt
grundlegenden Werke: Korean Games with notes on the Corres^
ponding games of China and Japan. Philadelphia iii95>
Krauss.
Alte Segen.
Mitgeteilt vou Otto Heilig.
III, Pfeil- Sthuss- und Wvnäsegen nach Cod. l'al. gcrm. 264. Vgl. Iber diese
Handschrift Urquell, der neuen Folge Band 11, Heft 5 und 6. Seite lOI.
1 8<3t. Ein segen ein p/eil zu ziehen, N i c o d e m u s ein i u d e vnd r i 1 1 e r was,
Der vnscrm herren Jhcsu Cristo die drei nageil aus henden vnd füsscn 7och. Als das
ist, Als die wordt <^tnd, Also helff mir die waich saiu ta Maria vnd all hailigen gudt
Kind, die in dem hicmmell vnd vff ertrich sind, Das ich diü eisen vnd schafft aus
bluet vnd aus bain gedegen mUge vnd mas. In godtes namen amen; vnd sprich iij
pater nostcr vnd iii nne mnrin vnd \ f^lauben. Wer nun diesen segen sprechen will,
der soll verloben den suntag kain fläische zu essen. Des gleichen der man auch, dem
man den pfeil zeucht, Vnd soll die xwen daumen gestreckt halten fftr die andern
fin^'ci kreuc/weis vIrt ein ander T'uv den pfeü schus, auch wanden. Diesen segen
soll man drew mol sprechen. — Dreutwcin.
190 und Ein se^en^ -ioa» «iner mU eim pfeil ist geschossen. Sprich: Ich gebeut
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dir, pfeil, ia flatsch, in bluet, in gebain. Tch gebeat dir in dem namen des ▼atters
vnd des suns vnd iU> hailigen gaists vnd dir lieben mutUr ^Taria, vnd liei den vier
ewaogelisten vud bei dem längsten gericht, Das du herausgangest ou aller bandt
scimierczen, Als vnser lieber berr ging aus seins vatters bercsen, Do in Maria ent-
pfing. Tn dem namen etc — Jilg<-'-
19^. f/ei/ vnä hoicz aus den wunden zu bringen. So Re recipe^ bloe wegrosen
blnmen, zeidosen blumen, hirscben unscblit^ hasen scbmalcz vnd birschwnrcz. Das
stos vnder ein ander vnd mach ein blaster doraus. Doruff nwe dan bullaer, gemacht
aus hirechwurcz vnd magnetenstain, auch widcrthadt, vnd segen im vorhien die wund
mit diesem segen vnd spricb: Ich gebeut dir, pfeil vnd stumpff^ in diesem
blttcdt, flaisch. ^e1>ain vnd geeder. Bei godt dem matter vnd dem sune vnnd dem
hailigen gaist, I)a> du heraus {»est nn allen schmcrczcn, Als mein frawe Santa Maria
vnsern herren Jhesum Cristura gebar on allen schmcrczcn. Vnd als wor vnser herr
Jhesns Cristus gienge aus sein vctterlicben herczen vnd sie in gebar on allen
schmerc7en, Also wor mustu, pfeil oder sfumpff. au«; diesem bluet vnd flai^chc. Tn
dem namen Godt des vatters vnd des sun> vnd dct. hailigen Ciaists, Amen. I diesen
segen sprich alwegen zu dreien moln vnnd zu ieder fart. Bedt j pater noster vnd j
anp Maria vnd gibe dem wunden zu drincken WL-in, dorinne hirschwurcz, diptam vnd
hidw urcz gesotten sei. Gibc im auch zu essen hirschwurcz vnd eberwurcz. — M. w. Cal.
21J. Wer geschossen vnrdt^ ein segen. Sprich: Longinus, Der was ein Jfide;
da!> isi war, Vnd Longinus wn'« blint; das ist wore. Vnd Longinus stach vn?;ern
herren Jhesum Crislum mit einem sper in sein kailig seitenn. Doraus ran wasser vnd
bluet. Das ist wäre. Vnd Longinus der begert applas aller seiner sttnden. Das ist
v arc. \x\i\ nl> warr da^; alles ist, als wäre gebe du pfeil heraus zn dieser firischL
dem namen ... — Canczlcr.
Anm. Fast wörtlich so ztb Bin pfeil segen.
2\ti. Jfu'/i tirjcr gescfiossert wirJt mit ilm pf'U.^ ein segen. Sprich: In dem
namen.... so hebe ich an: Crist ward geboren; das ist wore. Crist ward ver>
loren; das ist wore. Crist ward wieder gefunden; das ist wäre. Vnd Crist warde an
das hailig fron CrciK/ genagelt vnd j^i ljundcn : das ist wäre. Vnd als wäre das alles ist,
als wore gehe du, pfeil, heraus zu dieser frischt. In gottcs namen Amen. — Canczler.
22*. Ein segen ein pfeil aus tu tiegen mit den vtoaien vngenanten fingern. Sprich:
In Godtes namen, amen. Nicodcmus was der man, der vnsmm herren die hai-
ligen drei negell aus benden vnd ans füssen gewan. Also müssestu mir, pfeil, her-
noch gan. Das helfT mir der man, der den vnschüldigen dodt an dem heiligen krencs
namc. In Godtes namen amen. Vnd sprich v pater noster den v minnenden zaichen
zu lobe vnd ere. Gibe auch v den vmh godtes willen. Wan du nun den segen
sprichst, So lege die zwen nechsten finger bei den klain an den pfeile vnd zeuch
domit. Er fulj^t. — C. barbirer, Dreutwein.
23a. Ein Pfeil Segen. Also thu im : Setze die zwen namlosen finger, Idtweder halb
dere wunden, Do der pfeil ein geschossen ist, ihc ein fmger vflF blosse handt vnd
sprich: Das ist an; In Godtes namen, amen. Nun walt sein GodL Sanctus
Longinus, der TiMisch rittcr der stach Hudt ein wunden. Doraus so gienge mensch-
lichs bluet vnd ü jdtlicha wasscr. Sauet Longinus was bei im gar on hass. Sanctus
Benedictns, der Godt aus seinen hcnden vnd füssen brach die nageil., die Godt durch
sein hend vnd fii^s wurden geschlagen. Doraus gtcnge ein geruch, Der was gar
zuekcr .süsse. Al.su gen aus eisen vnd bain vud aus flaisch. Das gebeudt dir der
hailig her. Sant I,oni;inus Stach Godt ein wunden. Ist das wore. So gehe du eisen
heran.-.! T>re\v mole sprich da«;: Nun gehe eisen heraus. Das r^ebeudt ich dir Bei
der gebuit, die Maria vnder irem herczen druge, Vnd bei der hailigen weaterbare,
Die Maria druge an irem Arm, vnd dem woren keuschen magdum, den Maria hedt.
Iren ♦) herczon lieben *) sune vor mir an die erden, T>as du kainem menschen nilmmer
schadest. Daz hei ff mir, Mein fraw Sancta Maria vnd mein fraw Sant feie vnd alle
die hailigen, Die mit Godt seiot, Amen. Das ist gar ein gndter segen. Wisse auch
für war. Das über hundertt mnlc vcrsüecht ist. — Durst.
Anm. *) Über n der Worte ,Iren' und ,lieben' steht ein r, Satz lückenhaft.
24<r. Ein Segen ein pfeile m aihen. Diesen segen sprich drew mole mit iij pater
noster vnd iij aue maria. Vnd ziege In ans mit den zwaicn Godtfingera. Vnd wer
dobei ist, Der Ilaisch gessen hodt an samstage oder vnkeuschhait uieben, Den hais
wieder flaisch essen oder hien wc^c gen. Vnd [sprich] also: Longinus [was] der
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Jüde, Der vusein licrrcn Jhc^um Cristum slacli. Ich wais nit was er an
im nch« Durch sein redUe seilen Er in stach. Doraus flösse wasser vnd bluet; Das
was allcf; f^nr hailig vnd gudt. Das brocht vn^ hailes vrif! wunder ijros. Ich p;cbeut
dir^ pfcile vud auch geschos, Bei der selben wunden vnd blutes ere, Das du gangcst
vnd grusest sere aus diesem menschen vnd flaiscli vnd on bain, durch Maria die magt
rahi. Die Jhcsum vnsem herren on wc genas, Der vatter gudt vnd mensch was vnd
durch den hailigen laichnam fron, die nageli vnd ein krön vnd ein scharpfes
eisercn sper — durch das alles vnd durch des hailigen dages ere, dü Godt die inarter
an laidt. Das hclfT vns die hailig dreifaltickait, der vatter vnd der sone vnd der
hailig gaist Amen. — Sigersdörffer.
iii. Em foundt segen. Sprich: Drei seligen brttder gingen ein seligen
Wege. Do begegnet in vnser her Jhesus Cristus. F!r sprach: „war wolt ir seligen
brQder drei?" Sic sprechen: „berr vnd mainsler, wir süechea kraut, Das zu den
wunden gut ist Er sprach: „keret wieder, ir seligen brilder; folgt mir vnd der
rnuttei mein \''nd [Tücke] den berg oliiu'ti: nenipt die woW von den schoff vnd den
öle vuii dem bäum vnd drücks vff die wunden. Die wund sei gehaweu oder geschla-
gen, geschossen oder gestochen; Die wunde sei wie sie sei; Der wanden geschehe
als der wunden geschach, Als I.onginus vnscnn liericii Durch ^ein rechten seilen
stach. Die Schwall oder kall, nie schwur oder schlug kain vugcvell zu!" Also müs
dieser wunden auch geschehen. In namen .... Du solt niemants verhalten diesen
segon noch verschweigen, Gab oder miedt douon nemenn ....
Ein uiundt stgen^ drew mal %u sprechen. Sprich: In dem namen 'ih
rain müs sei» diese wmnde^ Als was die statt, do Maria Cristum gebar. Die cntphng
weder aiter noch bluet. Also müs diese wunde auch thun. Das werde woi in Cristi
namen, Amen. Dornoch sprich v pater noster vnd v aue maria Den balligen wunden
gottes zu lobe vnd ercn. p.
82a. Ein guter segen zu wunden^ Auch zu dem Dritt. Sprich: V'nserm herren
Jhesu Cristo wurden drei nageil durch hend vnd füs geschlagen. Die selben
drei nageli mochten *') im vier wunden. Die selbenn vier wunden Gesegen dir die
lUnlften von gmndt bis oben aus. Im namen ....
A n m. *) machten ?
84«. Ein ii-Htuil 'ivasitr zu J<^'f«, vom Lantschreiher. Sprich also: Du müsseüt
gesegnet sein^ Als der Jordan was; vnd ist Godt dorlt^ i^ednufTi; im namen....
Das sprich drew mol vnd wirff das wnsser aus drew niol, Wie der brister den sogen
gibt vnd du wol gesehen host. ] 'an sprich xv pater noster So ist das wasser
beraidt vnd ist allwegen gudt. Du magst es auch mit eim andern wasser mercn vnd
du must drew Ijundl kreucz weis <lon:lier legen von Icinem ducli, nko wasser in der
form ♦ Vnd in die wunden schlissen legen, Daz es nit zu bald hitilc. Lege diiu ein
driffachs duch vber die drew kreucz weis bandt vnd binde es mit eim andern bandt
zu. Es mus auch allwcf^en nas sain. Vnd an dem andern dage binde es vff vnd
luge, das die schlissen recht liegen, Das es> nil zu bald oben zu hail. Binde es dau
wieder su, wie vor. So hailt es on beißen vnd on maissein. Wer aber die wunde
verbunden gewesen. So wesch die salb sauber herab Vnd verbinde es, wie ob
stett. h. J. T.
S7ff. Vor gesckwulst der wunden. Sprich: Vnser lieber herr Jhesus Cristus
Wardt w u n d t. Das ward in dem hiemcll kvmdt. Vl\\ den haili<;en fünff wunden
gesegen ich die sechst. Die weder schwollen noch schwuren i also müs die auch thun
in dem namen .... v pater noster vnd v aue maria sprich drew mol vnd kg« ein
rainen flachs mit wasser doruff. Wan du es dan wiUt vff binden, So waiches vff mit
warmen conent. — Churfürst.
99^. Ein wasser segen. Alf seheden damit xtt hailen. Thu rin frisch bmnnen was-
ser in rin schiissell vnd halt dich dorüber, Mach ein Creucz vnd blos dorein mit
deim adtem. In dem namen.... Crist ward geborn; Crist ward verlorn;
Crist ward wieder funden. Nun f hai! mir daz wasser die plog vnd die wunden vnd
den bruch von bain vnd vom grundt. Das helff mir die hailig Güdllich krafTt, die
Godt selber hodt, do er himmel vnd erden vber sach vnd alles hiemelisch her. Nun
mfiss das wasser als wol gesegnet f sein, Als der hailig iordan was, do Godt selber in
gedauK warde. helffen mir die ballige Gödllichen wordt, die vnser lieber herr
Jhesus Cristus am stammen des hailigen t sprach, amen: Aue on wej Aue on we;
Aue on we. Vnd wo das wasser hien kumme zu andern wassern. Das sie dan baide
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als wol ge t segnet sein als der liulig iord&n was, Do Godt sdlier in gedaafft
warde. t Nun hclffen mir die Gödtlichen wordt, die vnser lieber heir an dem stam-
men des hailigen f sprach, Amen: Aue on wc; Aue on we; Aue on we. Ich ge f
segen dich, edels wasser, durch die krafft Godtes vnd durch die hilff Godtes — Es
sein Würm oder spinnen oder welcherlai das sei, — das es Ton den woidteil dodt
sei, Die ich hic ge f segnet habe durch die krafft Godtes, amen. Aue on we; Aue
on WC. Das sprich zu dreien moln Vnd alwcgen iij pater nostcr, iij aue maria vnd j
glauben. Würff dan doretn Geweicht saU/. krcucz weis. Im namen.... amen — viT
den knien. — Dmton mnch dan ein lilaster mit newen schönem flachs vnd doruff
gelegt vüd ein audei düciüen oben duiuff; hanf werck oder düchlen ist auch gudt.
Doch wirff die blaster nit vndcr die füs. Das thu Godt vnd den wordten zu eren.
Hedt aber der schad faul llaisch^ So mach IniMucr au«5 rohen aier schalen. Das sewe
dorein. Es vergedt, Wan es zu nas woh sein, vnder dem blaster. — Dretuwein.
Nachträge zu W o 1 f s Niederländischen Sagen.
Von Dr. W. Zuidema.
1. Das Frauensand. (Beide TOB Wolf au^gClxnamenen Gestalten sind unvollständig.
Dem Befehl das Getreide ins Meer zu werfen, muss folgen :) Da .sprach der Schiffer;
,Edle Frau, es könnte noch vvol einmal so kommen, dass Ihr selber des Brotes Man-
gel hättet." Erzürnt zog die Wittwe ehien kostbaren Ring vom Finger und schleu-
derte ihn in die Wellen, mit den Worten: .,So wenig wie jener Ring jemals zurück
kommen kann, kann icli jemals Mangel cmplludeu. " Der Schiffer wagte nun nicht
meliT ihr zn widersprechen : und das Korn wurde iu's Meer geworfen. Allein schon
am nächsten Tage fand ihr Koch den Ring in einem eben gekauften Fisclic.
Und am Eingang des Hafens stieg eine Saudbank empor; und auf ihr ein unbe-
kanntes Gewächs, dem Waizen ganz ähnlich, nur ohne Kömer. Dem Handel der
Stadt war der Nerv abgeschnitten ; und sie verfiel gans und gar. Die Wittwe aber hat
in ihren alten Tagen ihr Brott betteln müssen.
(Mündlich. — Verg. Kuhn und Schwarts, Norddeutsche Sagen W. 339, 347.*
Zur Ringepisode vcrgl. Wolf 152 und Polykrates. Der „Waizen ohne Korn"
wächst noch heute auf dem Frauensande, ist aber nichts als der j^helrn"' (arundo
arenaria L.) der^ in den holländischen Dunen sehr gewöhnlich^ in Friesland eben
nur hier vorkommt. Das Versinken der Stadt in Simrocks Gedicht ist von ihm
hinzugesetzt, wol aus ahuUehen Sagen wie Wolfs NO. 4, 8 und 306.)
2. Vor Gottes Geruht icrnfen. Die grausame Ketzerverfolgung des i6cn Jahrhun-
derts traf auch einen schlichten frommen Bürger in Beverwijk, Namens Augustiu und
seines Zeichens Backermeister. Als er sum Holzstoss geitthrt wurde, rief er unterwegs
einem seiner Bekannten „I.ebewol" zu. Dieser antwortete: «Auf Wiedcr?;chn in der
Ewigkeit." Da fuhr ihn der Bürgermeister an: «Dort wo Ihr kommen werdet, kommt
er nicht, sondern geht von diesem in*$ ewige Feuer.** Fldtzlidi wandte sich Augustin
zum Wütcricli und sprach: „Innerhalii dreier Tage lade icli Euch vor Gottes Gericht."
Und kaum hatte er in den Flammen seinen Geist aufgegeben, als der Bürgermeister
wie von einer Raserei ergriffen wurde, in der er nur rief; „Torf und Holz, Torf und
Holz"; und am dritten Ta^c Immer noch ganz ;iusser sich, verendete. {Hist. der
Doopsgezinde Martelaren 245; und ihr entnoraraen bei Brandt, Hist. der Rejormatic
I, 197. Vcrgl. Wolff 313; und die von ihm Zitirten; über Dumolay jetzt auch
Hocker, Templersaj^cn, Ztschr. f. deutsch. Myth. II, 1855).
Ähnliches wird erzahlt von Nanniag Koppersz., einem Mitgliede der römischen
Kirche in Boom, der auf einem (wie sich zu spät ergab, unbegründeten) Verdacht
der Verschwürung wider den Prinzen von Oranien hin, auf die Folter gespannt und
hingerichtet wurde, obgleich der Prinz selber sich für ihn einlegte. (Brandt I, 563).
3. Unverwestcr [ cuhnam. Bei einer Aushcsscrun;^ des Fussbodcus in der Kirche
zu Franeker sticssen die Arbeiter auf einen Sarg, dessen Deckel so vermorscht war,
dass er bei der Berührung gleich in Trümmer zerfiel; allein der Leichnam drin, ein
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junger Maua, sah noch aus als wäre er erst eben verstorben j auch die unteren
Bretter des Sargs waren wie neu. Die Kunde von diesem Wunder rief bald eine grosse
Menge herbei : uiui auch t inc alte Krau. (V\c im Toten den ^Tann wiedererkannte, der
sich vor langen Jahren mit ihi* verlobt, Kluge gewechselt, sie verführt und dann ver-
lassen. Und sie sprach: „Wenn Diess ein Zeichen des göttlichen Zornes sei über das,
was er ihr angetan, so verzeihe sie es ihm vom ganzen Herzen und bete, dass auch Gott
ihm verzeihe/' Gleich ging die Leiche in Verwesung über und war nach wenigen Tagen
bis auf die Gebeine verschwunden. (Winsemius, Chroni(jue van Frieslami^ 518.)
4. Verschlossenes Zimmer. lu einem der alten Häuser am Ossenmarkt in Groningen,
die schon seit Jahrhunderten von den nSmlichen Patrizicrgeschlechten bewohnt wer-
den (nur weiiis man nicht recht, in welchem';. giel)t es ein verschlossenes Zimmer, das
niemals geöffnet werden darf. Und den Grund dazu darf auch immer nur ein leben-
diger Mensch wissen. Wenn der jeweilige Herr des Hauses im Sterben U^t, vertraut
er das Geheimniss seinem ältesten Sohne; und Dieser verschweigt es wieder, bis
auch an ihn der Tod herantritt. (Aus eigener Jugenderinnerung).
5. Unschuldig Cehcnhtcr ; und iinhcit>tlu hcr ßatitn. Tin englischen Wäldchen (Ster'
renhoschj bei Groningen stand noch vor etwa 35 Jahren eine sehr schwere Buche, in
deren Rinde einige gar grosse, aber unleserlich verwachsene und bemooste Buchstaben
geschnitten waren. Unter ihr (so erzählte man sich) hatte sich einmal ein Knabe aus
dem städtischen VVaisenhause zu schlafen hingelegt; und schlief so ruhig, dass er nicht
einmal erwachte, als ganz in der Nähe ein Mord verübt wurde. Das benutzte der
Mörder und steckte zur Ablenkung des Verdachts dem Knaben das blutige Messer in
die Tasche. Und richtig, man fand den Ermordeten, den noch immer schlafenden
Knaben, und in seiner Tasche das Messer; er wurde verurteilt und au der Buche ge-
henkt. In seiner letzten Stunde erbat er sich die Erluubniss, Etwas in die Riiule zu
schneiden ; man kann es aber nicht mehr lesen. Allein noch heule dürfen die Wai-
senkinder, weou !>ie im Wäldchen oder an ihm entlang spazieren, nicht singen; es
würde eine Stimme ans dem Baume sich in ihren Gesang mischen. (Wie oben).
6. Marienbild geht umher. Im Hofe eines Hauses in Her/.ogeubusch steht eiu
altes holzgcschnitztes Marienbild. Als einmal eine Pest in der Stadt grassirte, bat das
Bild seine Stelle verlassen und ist herumgegangen. Und überall wo es hinkam, vep«
schwnad sogleich die Seuche. (Mündlich. — Vergl. Wolf 345).
7. Das Spiel vom Jüngsten Gericht. Zur Turmuhr der Johanneskirche in Herzogen-
busch gehörte vordem ein gar künstliches Puppenspiel. Wenn die Uhr schlug, öiTuete
sich eine Türe und es erschienen Gottvater und Sohn, die Engel und Teufel, der
Tod, die Auferstehenden; und das ganze jüngste Gericht spielte sich ab. Jetzt <;ind
aber nur noch Trümmer vorhanden. Das Volk erzählt sich davon: Der Magistrat habe
dem Künstler, der es gemacht, die .Augen ausstechen lassen, damit er niemals ein
Gleiches machen könne Dann sagte er, das Spiel sei noch nicht ganz vollkommen ;
und bat, dass man ihn hinanführe, die letzte Hand dran zu legen. Dies geschah;
und nun zerschnitt er den Faden, der das Ganze in Bewegung setzte. Seitdem hat
es stille gestanden; alle Versuche es wieder in Gang zu bringen, waren umsonst;
und zuletzt ist.es vor Alter ganz verfallen. (Mündlich. — VergU Wolf 372; Kuhn
und Schwarte, 78, 81, 166.
8. Das Ameiander Wappen '). Die Amelander wollten einen Galgen errichten,
hatten aber kein Holz. Da fuhren sie in einer Mondnacht zum benachbarten Ter-
schelling hinüber und raubten drei Balken. Diese bilden jetzt mit dem Halbmonde
Oir Wapen.p
9. Schwarzes Friittlein. Unfern der Stadt Groningen an der Ueerstrasse nach Fries-
land hin steht inmitten der Wiesenfelder eine Mtthle. Dort geht ein schwarzes
Fräulein herum; und zwar am hellen Tage. Meine eigene Mutter hat es gesebn, als
sie noch ein Mädchen war. (Mündlich).
i) Ameland ist eine friesische Nordseein&el.
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10. Turm auf RindshäuUn. Der Turm der Sankt-Martinskirche iu Groningen
steht auf einer Grundlage von Rtndsliftttten ; darum (?) scliw«»kt er ein wenig, wenn
es sehr stark weht; wird «her niemals fallen. (Aus etgener Jttgenderinnerane. Vergl.
Wolf 37).
11. f.ln ^i Spenstiges Gtrippi' hat man (noch um 1S65!) hin- und hergehend gCSChn
am Festuagwall in Groningen, nahe an der Steentilpoort\ was es damit fttr eine
Bewandtnis habe, weiss a1>er Niemand. (Wie oben).
12. Herzogin Eleamra. Herzog Reinhold II von Geldern hatte in zweiter Ehe
Eleanora von England, die ihm zwei Söhne Reinhold und Eduard gehar. Dann aber
raunten ihre Feinde ihm zu, sie sei mit Aussatz behaftet: und er entfernte >Ie vom
Hofe. Als er nun einmal mit seinen Edeln festlich zusammen war, trat plötzlich Eleanora
in den Saal, nur mit einem seidenen Hemde und einem Mantel darüber beldeidet; ihre
beiden Knaben führte sie an der Hand. Ocrade von dem Herzog stellte sie sich hin,
warf den Mantel ab, eutbiösste sich biä i^ur Scham (nach anderer Lesart war ihr Unter-
kleid ganz durchsichtig) und sprach : »Sieh', lieber Herr, wie man mich verleumdet
hat; und wie ich am gan/cn l eihe gesund liin. Hier stehen an?.re Kinder, zwei
frische Knaben; es könnten ihrer mehr sein, wenn Du nicht auf Verleumder gehört
hättest. Ich ftirchte, Geldern wird Diess noch einmal beklagen, wenn es keinen Herrn
ans unserem Samen mehr hat." Da ging der Herzog in sich und nahm sie wieder
an als sein Weib. Allein ihre Furcht ward nur so sehr bestätigt; denn ihre beide
Söhne starben nach einem greulichen Brttderstreit ohne Kinder; und erst nach einem
Jahrhundert bekam Geldern wieder einen Hersog aus Nassanischem Geschlcchte
(Slichtenhorst, Geld. Geachiedenissen, u.a.).
•
13. Der Ausgang Wilhc'ni VI von Holland. Als dieser Graf mittelst Hinterlist und
Verrat den Herrn von Arkel iu Haft bekommen und seine Stadt Gorinchem erobert,
geschah es daselbst nicht lange nachher, dass vier ganz junge Bürgerssöhne gegen
Mittemacht aus dem Wirtshause kamen und über dem Friedhof heim gingen. Da
sahen sie auf einmal ein Licht wie ein Blitz; und hörten eine deutliche Stimme:
„Verflucht sei Gott, der micli geschaffen! Verflucht Vater und Mutter, die mich ge-
wonnen! Verflucht dieses Land, das ich es je gesehn !"' Von Schrecken gelahmt,
blieben sie stchn; rannten aber, als dasi Licht sich ihnen näherte, zum Wirtshaus
znrück und fielen daselbst erschöpft in Ohnmacht. Man brachte Jeden nach seiuem
Hanse; dort erwachten sie und erzählten Alle genau Dasselbe. Am nächsten Tage
aber erschien ein Fllbotc aus dem Haag mit Befehl vom Rate, die Toren zu schlles-
sen und gute Wacht zu halten; denn der Graf sei um die Mitternacht gestorben.
(Slichtenhorst).
Amsterdam.
Jüdisch^deutsche Schnurren.
Von Max W e i s s b e r g.
Maase bo'siJc.'CfCi- A'/rri' '). Tn Ri,>lsch\vcc ist der Ruw niftar ') g'worn.
'Ot men arümgeschickl a Krus''), üu ut uuychujlien zu suchen a Ruw. 'Ob'u sech
g'mold'n ') asach •) Rhunim ün taki ^) auch der krisnnpoler Kuw. 'Ot men ungefragt
die KilU") m'Krisrino]>ol '), wüs var a Min Brie '"j düs isr 'Ob'n sei 5:nickgeschrieben:
,Er ist Mojsche Kabeinü •'), er is Schiller, er is Gott." 'Obn sei ehtu lajkif imijad ")
anngeschickt a Konsens. Is er gekümmen zu fuhren, *ob'n sei geseh'n, as er is än
Am-htturec ■*) mi-do-raisn >*). 'Ob'n sei geschrieben mit a Gewalt Icein Kristinopol :
i) hcbr. Rabbiner. 2) Bolschowce, ein Städtchen in Ostgalizien. 3) neuhebr.
gestorben. 4J talmud. Ausruf. 5) gemeldet. 6) neuhebr. viel. 7) slav. auch.
8) hebr. Gemeinde. 9) me, hebr. Butikel — von. 10) hebr. Art Geschöpf.
Ii) helir. l'nser Lehrer. 12) nciihel«. so|^eich. 13) liebr. RttsCicns. 14) tal-
mud. wie er in der Thora steht.
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„S'tätscb? *) was 'ot ihr uns dü geschickt?" 'Ob'n sei geenfert: m'o'mer
g'schrieb^n is emes-w^usehet" MVmcr (geschrieben, er is Mojsche Rabentt. Mojsche
Rabenü 'ot nischt j^ekünnt kaan Dätsch, er kenn auch nischt kän Dälsch. 'M'omLr
geschrieben, er U Schiller. Schiller 'ot nischt gekonnt kän Jüdisch, er kenn auch
kSn Jüdisch nischt. M*om*r geschrieb*n, er b Gott. Gott is nischt kän Mensch, er is
«neh nischt kSn Mensch. Er is & pttschite Bebeitne *).
Maase vun'm «bgekimmen *) G*wir Reb Todros der Studg^wir is loj aleicbem
ubgeklmen. 'Ot Kühl ün^ehojben zu l aileu eii '') . nrsoirin such'n :i Icuschcrc
Famusse'i). 'Ot einer gesugt, 'swoU g'wfin a Jojscher '2), m'soll'm mach'n var Stud<
chasen wSl er 'ot a schein Kol ^) Un a Madras puniin Rüft sieb un der an-
dere: »Reb Todros varhikct sech lamchile bam daw'ncn '*)" Git wieder einer än
£ize reb Todros sol w6ru a dardike Melamed Halt er ober düs Sider var-
kehrt, is wieder kin Geschäft nischt. Aklal*') mMcQlt sech iln kQlt sech^) Ün
schmüsf ■^^) über, ünser Upgekimencr soll wcr'n :i starszy Molojczy Will men
Unser Reb Todros überprüwca, cy '^^) er is nischt kän liälpached stellt men ün a
Burlak, tut ehm ün Tachrichim ^i) Un leigt ehm in a Haasel er^z in mitt Feld ün
rilft reb Todros'n, er soll a ganze Nacht bäm Mes auf san ün Tilem 'O) sögen.
Wie er sitzt etscher a halbe Schu ") sugendig'*), heibt ün düs Mes zu trcsscn
mit die Füss. Zittert of reb Todros'n 's Pelzel ün er sügt zün M5s bsch halu-
schen •^*). leben, 5ch bin nischt kän hantiger'*), ech hob übergeschn milias-
sea 5®) Meisim ^^), ober jeder is sech {;elegen ordentlich i iihiL,^ bis er is gekümen zü
Kciwcr Jisruel**^). Lieg i:e 39) auch ruhig.*' Is taki a Sehn anderhalben rühig, der
nuch heibt s'Mess auf a Hand ün a füss im m Kwp un tut a Glotz mit die Ojgen.
werd reb Todre«; puschit heis, er f^cii zu dem Mes mit uiii Kaas*^): „Kch seh
azünd, as man Habe Zurtel IVanf, .^ichrojno liwrucho ut taki rechtgehäi, as zwi-
schen die Meisim günen sech nuch verschärte Schkuizm <*). Bgt cch doch noch
a mül, o!) ()ci\x tn Harz, as nischt istü 'uhn' ♦"') a Mapule **) ün a schwarzen
Sof **) darzü. is wieder abissl rühig, darnüch heibt sech 's Mes auf bis lix die Plei-
ds**) an tat a Ritsch»), as 's bot at») getrasket»). Wert flnser starssy Molojczy
ftngezttnen wie a hollisch Feuer: „Bistü a Mes, licg-'ie rühic; /lun schwarzen Juhr**)!"
Ün git ehm a pur Lims mit'ra grob'n Stocka. Düs Mess tut a Sifz ün bl&bt
Still li<^^. Is sech reb Todros gSr mchajeSi) ttn sSgt: ,,Bch bet dech aber Mes
leben var die FVr Stork UEh seh taki, as da-bist e Baal-derech-erec h).» Ganz
l) Was, wie ZU deutsch? = wie heisst? 2) hebr. wahihaftitj und gerade.
3) neuhebr. einfach. 4) Vieh. 5) part. perf von üpkiaunca = abkommen
= herabkommen. 6) hebr. Gewaltiger, Reicher. 7) hebr. nicht euch gesagt
= mög's euch nicht treffen. S) hcln". die f'cmcindc, lesj). die Gemeindever-
tretung. 9) slav. rathea. 10) hebr. saubere, reinliche = anständige. 11) hebr.
Versorgung. 12) hebr. recht tind billig. 13) hebr. Gemeinde-Cantor. 14) hebr.
Stimme. 15) hebr. stattliches .\\issehei). 16). slav. stottert. 17) Wort
unbek. Urspr. beten. iS) hebr. Rath. 19) Aram. und iiebr. Elementar-
lehrer. so) hebr. Gebetbuch. 31) hebr. schliesslich. 2S) Verb. der.
von Kuhl-Gemeinde, berathen. 23) bespricht. 24) slav. Vorsteher der Todten-
gräberzunft. 35) slav. Partikel. 26) hebr. furchtsam. 27) hebr. Lei-
chengewänder. a8) hebr. Todter. 29) Auf sSn » wachen. 30) hebr.
Psalmen. 31) hebr. Stunde. 32) part. praes. act. v. sügen » sagen, beten.
33) slav. schütteln. 34) hebr. mit dieser Zunge, — folgendennassen.. 35) Icein
heutiger = keiner von der jetzigen Generation. 36) Millionen. 37) plur.
V. Mes. 38) hebr. israelitisches Grab «* rituelle Beerdigung. 39) fee = le,
slav. Partikel, doch. 40) >lav. scdchennasscn. 41) hebr. ctiifach. 42) hebr.
Zorn. 43j altdeutsch und slav. Grossmultcr. 44) unbek. L'rspr. wild,
sachtlos. 45) hebr. eig. Verwahrloste, fibertr. gottlos, ungezogen. 46) Zusam-
mengez. aus: wirst du. 47) haben. 48) hebr. Niederlage. 49) hebr. Ende.
50) slav. Schultern. 51) slav. Gebrüll. 52) slav. Partikel, fast, beinahe.
53) gekracht. 54) « zum TeufeL $5) unbek. Ursprunges: SchlSge. 56) Seufzer.
57) hebr. erquickt sich. 58) slav. Rlppenstösse. 59) hebr. Mann von Le-
bensart.
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24S
früh, l'ojr hajojm ') fallt der Ojlam *) arSn iin wfll secli machen a KennescU *). Is
sech mja-schew ♦) "s Mes ün rührt sech gür uischl. Wert a Gewalt, a Gcpilder ün
m'schleppt dem mascldigeu Hüs zum Schojfet Tnanct ^) reb Todros : „Rabosaj 8)
ecli weiss kein Chochmes*) nischt. Vün Uwos-awojsei weiss ech, as in ordentlech
Mcss darf liegen rühig. 'Ot der Schkuz ") üngehojbea sech zu machen Ktuweslech '2),
'ob-'ch-'m a pur mül derlangt, as er 'ot sech beleckt." 'Oba-s'm araosgelost >*) ttn mUs
vän'm demach tiimid söer ittfrieden gwCn.
Stanislau. •
Bauernanekdoten aus dem Marchfeld.
MitgeteUt von Dr. Hans Schukowitz.
1. Trmnff auf Trumpf. — Zu mein' Aehnl seinen Zeiten ist der RaJics Ilonziagl ")
Nachtwächter zu ßockßUss gewesen. Aus sein' feuerroten G'sicht hat a grossmächtige
Bimnasen g'laclit und sein kugelrands Wambarl >*) haben ein paar grStenkrumme Beine
'tragen. Auch sonst ist der Honziagl ein recht putziger KaxU? g'wesen. Hat 'n eins
g'neckt^ SU ist er ihm trefflich über'u Rüssel gTahr'n, dass 's gn'ug gehabt hat für sein
Lebtag. Einmal hat er nun Matten vor GVicht steh'n müssen. SpringgifUg rennt er
halt in der .\nklagstu!i'n auf und ab. Meint einer von den Selireihern, der merkt, dass
kein Stuhl an der Stcir ist zum Sitzen, wegen was sich der Vetter nit niedersitzen
thät. «Ja.,'* sagt der Honziagl drauf schelmisch, „auf was denn, wann i bitten dSrf."
Jetzi schmunzeln die Herrn, was 'n TToii/iau;! harbt. „Ver/eih'n die Herrn schon," meint
er dann boshaft. ^Däs Sluberl da kimmt mV v'oUi wia mein Ileustadl >'') dahuam vur;
dsem sand a Roani Bänk, awar desto mehr Flögt
2. Der Krowoden-Sehuss. — Im Jägcrlcxicon der MarchfeldUr ist das ein ganz ge-
läufiges Stichelwörtchen. Herrtthrt es aber von einem Meisterschuss, den einmal ein
kroatischer Protz aus Lohnersdorf geleistet haben soll. Er hat nämlich mit einem SchUM
einen Hascn^ einen Hund und einen Treiber angeschossen. Der Treiber wurde dann ins
Spital überfuhrt, der Hund dem Bader Übergeben, Meister Lampe hat bei Mutter Grün
Schutz gesucht und der Meisterschtttz ist vor*s Bezirk^erlcht geladen worden.
3. Ein guter Rat. — Mit kläglichen Worten erzählte einmal ein einfältiger March-
feldler einem witzigen Studenten, der just durch's Hcidcfeld hingieng, dass ihm die
Maulvsürfe alle seine l eider zugrunderichteten. „Na," meint der junge Mann ernst,
„und da weiss i>ich der Vetter kein Gegenmittel?'' »Mir is koans bekannt!'' erwidert
der Hauer. „Weiss gar Er eins?" „Ja wohll'* Bchloss der Student lackend: ,|lch liesse
mir einfach meine Felder pflastern t"
4. Ein Strich durch die Rechnung. — In Tasthelbach hat 's schon in alten Zeiten
viel Schulkinder gegeben und bloss äiwn Lehrer und der hat also viel Flag g'habt,
aber verflucht wenig Einkommen. Einmal sagt er nun zum kleinen Krauthofer Sepp :
,Jetzt mflss'n wir a bissl kopfrechnen, Seppl! Fa» also auf! Ich geh' zu dein* Vatem
kebr. mit Tagesanbruch. 2) hebr. das Publicum. 3) slavisirtes deut
aches Wort, Kirchmess, ünterhaltunt^, Hetze. 4) hehr, überlegt sich. 5) mascl-
dig, hebr. glücklich. 6) hebr. Richter. I) lalmud. mus einer man setzen.
8) kebr. meine Herrn. 9) 1kd>r. Spitzfindigkeiten. 10) hebr. yon Uriiltem her.
ii> Vgl. Anm. 45, S. 247). 12) hebr. Spässe. 13) = herausgelassen, befreit.
14) immer. 15) Honziagl >= Hans Georg. i6) Wambarl = Bäuchlein.
17) Heustadl - Scheune. 18) Flögl - Diiachl [Dveschflögel].
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■'nauf Ins Wirtshaus ünd trink a Mass Bier, die kosf 7 Kreuzer unJ iss dazu nm 2
Kreuzer Biot. 7 und 2 macht 9. Verstehst 's Seppl r" „0 ja, Herr Lehrer!" „Na, jetzt
668* ich aber noch um 5 Kreuzer Kfts dazu; wieviel macht mein Rechnung jetzt aus ?
Na, weisst 's noch nit? Zähl' nur nach! 7 und 2 macht 9 und 5 dazu, na?" Drauf
antwortet der kleine Sepp, der die Auspielung schier verstanden hat: „Ah geht der
Lelirer nur aufit Der Vodar lasst Eng ja so nix laU^nl**
5. Der verkaufte Jude, — Ein GaunersJor/er^ der sich rühmte» klüger zu sein als
der klügste Jude, kam einmal beim Weinglas mit einem Nacbbarörtler tflchtig ttber^s
Kreuz. Keiner wollte nachgeben. Endlich schrie der Gaunersdorfer höhnisch: „Glaub
m'r's, Freundarl, dass i di zehnmal vakaf, eh du mt nir >} oamall" „Recht hastl" fiel
ihm sein G^er frohlockend in die Rede. «Ganz recht, denn fiir kein* elnxig'n aus
Euem Ort geb' eins a nnr ein rot*n Pfennig herl**
6. EHe Gebetprobe. — Tm Marchfeld ist *s noch heute Brauch, dass die Kleinsten der
Familie, die nooh nicht in die Schule gehen, vor Fremden häufig Proben ihrer Geliet-
kenutnisse ablegen mUsscn War da auch ein menschenfreundlicher Dorfpädagoge zu
Sekönksrcken^ der ab und zu in eine gastliche Batiemstube einkehrte. nFranel," fragte
er einmal des Ürtsschreiners Söhnchen, „kannst schon 's Vaterunser beten?" Kränzchen
schwieg scheu. „Na geh, Franzerl," redete ihm jetzt die Mutter zu, „zeig doch 'n Herrn
Lehrer, was D' g'lernt hast!" „Vater, Vater unser — '* begann das Knäblein verlegen
nnd schwieg dann. Da wurde aber unser Schulmonarch ob des axigenscheinlichen Eigen-
sinnes des Kleinen aufgebracht. Was Wunder also, dass er ihn anfuhr: „Bet' doch
weiter, Esell" ^Der, der, der Du bist!" führ der Kaabe schelmisch fort und lief
kichernd aus der Stube.
7. Das beant'vo) tt'te Gebet. — In den teueren Zeilen anno 1S16 uud 17 hatte ein
Bauer seinen Dienstleuten allzuwcnig Brocken in die Suppe gegeben. Allabendlich
pflegte er nun in der hölzernen Martyrerkapelle zu Le;en. Einmal versteckte sich aber
der Knecht unter m Kapellendach. Der Bauer kommt, kniet nieder, hebt die Hände
auf tmd sagt laut:
„Gelt, liawar Ilergod, i bin halt der Dein,
Und du bleibst, wiax immer, der Mein?"
Dwnmf der Knecht mit hohler Stimme :
„Na., na, Frcundarl, du bist nimmer der Mein^
Weilst dein' Leut'n so sparli brockst ein!"
' Ersdueckt rennt der Ksanser heim, holt allsogleich die zwei grössten Laibe aus der
Kammer und sagt zu seinem Weib:
„Waberl, brock ja 'n Leut'n ein,
Sonst bin i nimmer der Seinl**
8. Das Stegl ins Sthla/kammerl. — Die Mädchen der Matzner Gegend sind hie und
da unter dem Spitznamen „harbe Weinschartl** bekannt, weil sie. wie man weiss, auf
Neckereien so schlagfertig herauszugeben wissen. Wollte da auch einmal ein stutziges,
junges Stadtherrlein so ein i^rar schwarzäugige MatsMerV\xi.^tx auf die Redeprobe stellen
und fragte sie arglos: „Heda, schöne Kinder, könnt Ihr mir nicht das Stegl zeigen,
auf dem ich in Euer Schlafkammerl gelangen konnte'?"' „Warum nit!*' entgegneten die
Mädchen etwas verlegen. „Das Kircharl am Bergl droben 1" Und hicbei deuteten sie
lachend mit den Sichdn über die blähenden Komfdder.
9. Die müde Taschenuhr. — Es ist noch nicht gar so lang her, dass unsere Lands»
leute ihre Einkäufe mit Vorliebe auf den Wochenmärkten „am Spitz" ') besorgt haben.
Heute fahren sie lieber gleich mit der Nordbahn nach Wien hinein. War da auch in
jenen guten alten Zeiten ein Liedere^ Bäuerlcin, da.s sich einmal gegen seine paar sauer
erworbenen I/uhugruschen bei einem Krämer „am Spitz" eine silberne Taschenuhr
1} nir — nur. 2) Über Kiudergebete vgl. Z. f. öst. V^kde. Wien u. Prag, 1897.
S. aSo — 283. 3) „Am Spitz** ist eine Localbezeichnung für den grossen Markt»
plAts in Fioridsdorf»
17
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erstand. „Und gellt 's a guat?" fragte es nochmal beim Fortgehen. gewiss!" lautete
die Antwort. rennt wie ein RehT* Wolgemut trabbte nan das Bäuerlein heim und
war froh, ein treffliches Horolog zu besitzen. Aber siehe ! Nach zehn Stunden verstummte
plötzlich das zierliche Tik-tak im Gehäuse, und es konnte trotz alles ,Aufuehens^'
nicht wieder wach gernfen werden. Verzweifelt eilt jetzt unser betrogenes BSuerlein zum
Kramer Zunick und macht ihm darob d'ic ^röl)Sten Vorwürfe. „Ki, ei," erwidert der
Verkäufer kühl und kalt. , Lauft der Vetter einmal zehn Stunden, ohne steh'n z'bleib'n!'*
lo. DU Ehe ein K'arUnsph-L — - „Wa?; hör' ich, Michl, du lebst in Unfried mit dein'
Weib? Mass eins denn gleich d' Faust brauchen gegen ein z'widers Weibsbild! Das
schickt sich wahrlich nit ffir ein christgläubigs MannerletttT* »Was gar, Pfarrer, hast
do varwichen selber d' Eh' mit 'n Karteugspiel verglichen!" „Das wol, Michl — aber
dann hast du 's nit verstanden, was ich hab' sagn woll'ni D' junga Leut, hab i
gemeint, rennen oft z' samm% g'rad wie der Pickbub und *s Herzass im Kartenspiel!**
,Kreazhimmel, Pfarrer, musst schon anhörn, wia i m'r do's Ding z'recht glegt hab in
mein viercckign Hirn!" „Na, wie denn, Michl:" ,Mann und Weib, hab i m'r denkt,
sollen sein wie Herzass und Pickbua. Bein Tag than's streitn, dass der Wirtshaustisch
wackelt und — und bei der nacht liegani* halt friedlich und fein stad *) wieder beiaamm' l
II /)' Bibl geht um! — „Ja!" schreit der Knecht. „Na!" schreit die Dim. Und
nomal y)^" . sagt der Knecht und wieder »na" meint die Dirn. Drauf sind sie sich
handgreillich gegeiif^citi^ In d' Haar g'fahren \md haV)C'n sich winiJeUveich durchprügelt.
Kommt ju.st der Hochvsiirdcu des Wegs uud fragt nacli der bösen l'rsach. Trulzig
meint der Knecht: .,Z'samm that m'r g'hörn wia Healinl und Hahn, awar na sagt die
Dirn, i mag kau Man!" Drauf pfiffig der Hochwürden: „Wisst s denn nit, junge Leut,
was in der Hibl slehn thut?" „Was denn, HeiT Tfarrei „Na, was uuser Herrgott hat
*bttnden auf Erden, bleibt 'bunden für 'n Himmel!" „Bunden", meint drauf der Knecht,
„das tnöcht i ja sein!" „Na. so hol halt ein Strick aus der Kammerl" sagt der Pfarrer,
g's kann gleich sein!" Flugs ist der Strick da, aber der Hochwürden ist stark und
g*waehtfen wie ein Waldbaum. Behutsam faltet er den Strick dvdmal und -viermal, dass
'n Dirnd! schier die Grausbirn aufsteigen — ■ und pumps! haut er lustig drauf los auf
'u Bugl ^} und auf d' Gugl dass alsogleich die Zwei auf andre Gedanken sind'
kommen. Seit dem Streich klagen aber die Dörfler nicht wieder so leicht was ihrem
Seelcnliirlen. Sie halten 's lieber geheim, und .,pst! pst!" heisst 's gleich, sobald nur
ein verliebtes Pärchen 'u Hochwürden daherkommen sieht. «Pst, pstl d' Bibl geht um!"
12. .Ins dem Jinsdts %oieder gekommen. — Zwei Fuhrleute, die sich ab und zu gern
neckten, kamen beim Glase Wein auch auf ihre Todten zu reden. nAb," meinte der
eine, der nicht als der dämmere gelten wollte, „'s geht ihnen droben bestimmt besser
wie da unter uns!" „Ja, woraus schlicsst, denn das ;^" fragte ihn der andere, stutzig
gemacht. , Woraus? Freundchen, das ist ja einfach: Weil keiner zurückkommt, wenn
er einmal dort istl" ^Ah wol,^* fiel ihm der Zweite rasch ins Wort «Einer iat doch
wiederkommen!" ^Wer denn, ha?" „Na, dein SchurschH)!** „Pa, weil — der Lump
selbst für d' Holl drenten /'schlecht g'wesen ist!"
Man muss nämlich wissen, dass des Fuhrmanns Söbnlein Schurschi fUnficehn Jahre
im Kerker abgesessen hat.
13. Z)' Brockhul pi-. — Die Bäuerin hat 's ja nur ihren Hausleulen gut gemeint,
wenn sie heut die \ cspersuppe ein wenig vor die Tür hinausgestellt hat zum Aus-
kühlen. A!>er sieli, da hüpft jubt ein hungriges Erdkrötlcin herbei. Phinips, liegt 's
auch schon in der Schussel. „Ei, Mullerl,'' mciut dann die kleine Kati, wie alle recht
appetitlich draus löffeln, hat denn 's Broekerl a Angln?**
14. Ein scltiamet- ihlfeshelfer, — JedUrsdorf hat in den dreissiger Jahren einen
herzensguten Caplan gehabt, den jedermann geschätzt hat. So hat er nicht einmttl
Handwerksburschen auf offener Strasse sein gutes Schuhwerk ga«henkt. Einmal brachen
i) Stad ^ still. 2) Bugl ^ Rücken. 3) Gugl hdpt das Kopftttch der Midchen.
4) Schurschi — Georg. 5) drenten = jenseits.
«51
nun des Nachts Diebe ein in seinea Hauskeller. Der Pfarrer kam gerade zur Stelle,
sciüoss rasch die Tür, und so sass einer von den Strolchen hinterem Riegel. Nun that
der Pfarrer einen Pfiff und üffnetc sachte ein Kellerfenstcr. T'ter Gefangene meinte, es
sei sein Kamerad und bat, ihm nur die Hand zu reichen, damit er entweichen könne*
Der Pfarrer liess sich *s nicht zweimal sagen, und so ward der Dieb ins freie gesetzt.
Wie ersclirak aber dicker, als er sich pluizlich dem Eigentümer gcgenübersnh. Voll
Milde erkundigte sich nun der Pfarrer bei dem Diebe um die Ursache dieses Einbruches,
und wie er erfuhr, dass ihn die Not der Seinen hiezu gezwungen, holte er schnell die
xwei letzten Laibe aus der Kammer und Ubergab sie dem reuigen Diebe mit den Wor-
ten : „Schau, Kammer und Keller sind nun leer. Du suchest dnrinen vergeblich !
Sag es auch deinem Genossen und gib ihm diesen Laib! Den da aber trag Deiner
hungr^oi Familie heim!" Sprach's nnd entUess ihn in gewohnter SamaritennUde.
15. Unter der Blume. — Dass der Marchfelder seine Jiingen in die „Studie" schickt,
ist heute noch was Seltsames. Kiner hat 's vor Zeiten über's Herz gebracht, obgleich
er auf die studirten Herrn „nie nix" gehalten hat. Das war der Hufschmied von
Zwerndorf. So hat er hali i ag für Tag unverdro-sacu auf seinen Ambuss niedergehäm-
mert, dass ihm die hellen Schweissperlen herabtroffen. „Wo hat er denn i^einc Jungans,
dass er allein ist"? fragte da eines Tages der Gutsherr des nahen Herrschaf lliof es zum
Fenster hinein. ,Ei, Euer Gnaden," antwortete der Schmied etwas verlegen, „die bilden
sich alle zwei eu Mördern ausP* »Wie? was? Ist er von Sinnen?" „Gott beileibe nichtl"
fuhr der biedere Handwerker erklärend fort: „Der Grössere will nSmlich Menschen — ,
der Jüngere aber Vieharzt werden. Euer Gnaden!" —
Das Kind in Glaube und Brauch der Völker.
Eine ümfnge.
XX. Kinder- und Volksreime aus der Grafschaft Rappin, gesammelt von K. Ed.
Haase zu Neu-Kuppin. — 1. Aus der Kinderstube.
I. Wiegenlieder.
0. Bi bi bi betchen,
Kocht dem Kind ein Breichen (oder: Ei-
Legt ein Stückchen Hutter dran, [chen,
Dass das Kindchen schlafen kann (oder:
[kosten kann). — Neu-Ruppin.
b. Variationen zu , Schlaf, Kindchen, schlaf."
Schlaf, Kindchen, schlaf!
Der Vater hüt' die Schaf,
Die Mutter schüttelt's Bäumelein,
Da fallt herab ein Träumelein.
Schlaf. Kindchen, schlaf!
Schläp, Kindckcn. schläp !
Där büten gähn twei Schäp,
Dir bftten gRhn twei ULmmerlcens,
De häl)b>"i fi^'l-r: dragenl bunte Bännerkens.
Schiäp, Kindekeu, schlapl
Schlaf, mein Kindchen, schlafe, .
Dein Vater hut* die Schafe, |
Deine Mutter hüt' die Lämmerchen,
Mit den bunten Bünderchen.
Schlaf, mein Kindchen, schlafe!
Schlaf, mein Kindchen, schlaf!
Da draussen gehn zwei Schaf,
Ein schwarzes und ein weisses,
Und wenn das Kind nicht schlafen will,
Dann kommt das schwane und beint es.
Schlaf, mein Kindchen, schlaft
Dein Vater ist ein Graf,
Deine Mutter ist 'ne gnädige Frau,
Und du bist eine kleine Sau.
Schlaf, Kindchen, schlaf !
Schlaf, Kindchen, schlaf!
Deine Mutter ist ein Schaf.
Dein Vater ist ein grosses Tier (oder: ein
[Dusseltier);
Was kannst du, armes Kind, daflür?
Schlaf, Kindlein, schlaf!
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2$»
2a. Grete wollte Ixjckcn trugen.
Musst' sie erst Mamachen fragen.
Mamachen sagte : „Nein
Da fing sie an xu ächieia.
Neu-Ruppin, FrotKn.
bm Emma wollte Locken tragen,
Muäät äie ersl den Wilhelm fiageo.
Wilhelm sagte: nNein,
O, du holdes Mädel, lass das sein."
Emma wollte Wilhelm haben,
Muss tde tote BSnder tngen.
Rote Bänder trägt sie nicht :
Kriegt sie auch den Wilhelm nicht.
Langen^)*
3. Ztbel, zahel,
Entenschnabel,
Wenn icb dici im Himmel habe,
Zieh ich dir ein PötcTicn aus,
Mache mir eine Flöte draus.
Neu-Kuppin.
4. Da hast du einen Thaleti
Geh nach dem Markt,
Kauf dir eine Kuh^
Ein Kälbchen da/u,
Kälbchen mit dem Schwänzchen,
Dideldideldänzchen. Neu-Ruppin.
5. Salz und Brot
Macht die Wangen rot,
Aber Butterbröter
Machen sie noch röter,
Und belegtes Butterbrot
Giebt das beate Wangenrot.
Nm'Ruppin.
6a. Det is de Ddm,
De schdildelt de PUbs,
De lest se up,
De frätt se up,
Un de seggt aUens nah. NtuRuppin,
oder:
Un de klene seggt allens nah.
Miitt Hau himm (Schläge haben).
rrotzen »).
b. De Kleine is in 't Wäter fallen,
De Hübsche het'n rüter treckt,
De Lange het'n nah H«s dräggt,
De Starke het'n iu't Bett leggt,
Un de Dicke 1iet*n todeckt.
yiu-Riippin,
•Ja. Hopp, hopp, hopp, hopp, Reiter,
Wemi er filllt, da scbreit er;
Fällt er in das Gras,
Macht er sich sein Röckchen nassj
FUlt er itt dem Graben,
Dann fressen ihn die Raben;
FMUt er in den Sumpf,
Dann maicht der Reiter plump.
Neu-Ruppin.
b. Hopp, hopp, Reiter,
Wenn er fült, dann schreit erj
Fallt er in den Graben,
Fressen ihn die Raben;
Fällt er in den weissen Klee,
Schreit er gleich: „Au weh! Auweh!"
MtU'Rupptn,
8. Hopp, hopp näh de Möllen,
Unse Erich sitt up *t Folien,
Lida up de bunte Koh,
So jeiht H Qminer nSh de Höllen to.
Frotun,
9. Eins, zwei, drei und vier,
Mutter, mRlv de Husdöhr np,
De Leiermann is hier. Neu-Ruppin.
10. Indem man das Gesicht kleiner Kin-
der von unten nach oben mit dem
Finger berührt, sagt man: Kitne Wipp-
ken, rote I.ippken, Näse Drüppken,
Auge Thraneken, Stime Wtthmeken,
ziep, ziep, ziep in *t Häreken.
Nm-Ruppm*
11. Backe, backe Kuchen!
Der Bäcker hat gerufen,
Hat gerufen die ganze Nacht,
N. (Vorname) bat keinen I>:;^ gebracht}
Bekommt sie auch keinen Kuchen.
Schief in*t, schief in*t Ofeken.
NetfRuppin.
12. Der Wundergarten.
Hinterm Hause war ein Garten, hier
[ein Garten und da ein Garten,
und das war ein Wundergarten.
In dem Garten stand ein Baum, hier
[ein Raum nnd da ein Baun,
und das war ein Wunderbaum.
Auf dem Baume war ein Nest usw.
In dem Neste war ein Fi usw.
Aus dem Ei, da flog ein Vogel usw.
Aus dem Vogel flog *ne Feder usw.
\ ; den Federn ward ein Bett USW*
in dem Bette lag ein Kind usw.
Vor dem Bette stand ein Tisch usw.
Auf dem Tische lag ein Brief usw.
In dem Briefe stand geschrieben:
*Änndien soll die Mama lieben.
io dem Bett, da lag 'ne Muhme usw.
Vor dem Bett, da stand ein Tisch usw.
l) Hier anch als Abzählreim; dann lautete der Schluss: i, a, u. Weg bist du; |
i, a, i, Weg sind sie; | i, a, n, du kannst rennen. 2) Die Namen der Fiiq^er
sind der Reihe nach; Kleinfinger, Goldfinger, Lang David, Botterlecker, Lüsen-
knicker. — ProtMm.
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253
Auf dem Tisch, da lag ein Buch usw.
In dem Buch da stand geschrieben:
Du sollst Vater und Mutter lieben,
oder:
Ich will eiKh was erzühleDf
Von der Mnhme Rdilen.
Muhme Kehlen hatt' einen Garten usw.
In dem Buche sland geschrieben:
Morgen essen wir weisse Rüben.
XXL Aus dem Sckwadenianäe, Böhme giebt in seinem bereits
oft citierten Buche „Deutsches Kinderlied und Kinderspiel** auf
pag. 297 ff, Sätze zu schnellen und wiederholtem Nachsprechen,
die zu ergänzen ich schon Gelegenheit hatte.
Hier mögen noch einige Nachträge folgen:
1. Es liegt e Klutzle Ulei glei bei Blaubeure
2. Z* Altensteig ^) auf der Steig do hot mer alts guts Gaisilaisch feil.
3. Jetzt gang i an Urcidebach un brich mcr e brelts Bieidebach (= Pappslblatt) ab.
4. Metzger wets dei Metzgermesser, dass de känscht dei Säule steche.
Den a. a. O. pag. 389 milgeteilten ^Ausgäkireimen** fiige ich
noch an:
I. Enzeric, Zcnzcrle,
Zizcrle Zä —
£ichele, Beichele
Knell.
im Eenc dene dus,
Kappennalle nds,
Isefallc bumbenalle
2jechepfanne düs.
(Wagold im Schwarzwald).
Eine alte Frau kocht Speck.
Ick oder du mvsst weg»
Zu den im Abschnitt ^Das Kind im Verkehr mit der Naiur, A.
Verkehr mit der Tierweif* a. a. O. auf pag. 155 notierten Sprü-
chen bringe ich:
Habs, Habs, dei Häusle brennt,
Sind siebe Junge drin.
Siebe Junge sind net gnuag,
Kommt en alte Hex dasa.
Zu demselben Abschnitt, Unterabteilung C: y,Das Kind und die
Naturerscheinungen pag. 199 ff. mögen folgen:
I. Heile, heile Segen,
Drei Tag Regen,
Drei Tag Schnee,
Bis Morgen tbut's nimmer weh.
Und 2. Es regelet, es tröpfelet,
Es g6ht e kftler Wind,
Un wenn der Teufel d' MädleS)holt
N6 isch 's kei arge Sünd.
Hierhin dürfte auch folgendes gehören:
Wenn ein Kind auf den Regenbogen deutet, wird es von seinen
Mitgespielen verprügelt, wobei sie rufen: „Nicht deuten, nicht deu-
ten** in der Annahme» dass der Regenbogen verschwindet, sobald
auf ihn hinggewiesen wird.
l) Blaubeuren, Obcramisstadt bei Ulm,
gehörig. 3) Kesp. „Buble",
2) Altensteig, »um Obeiamt Nagold
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254
Wenn der Schäfer mit seiner Herde ins Dorf zurückkehrt, fra-
gen die Kinder:
Hanimelc mäh,
Wo bisch gwäh?
Auf der Weide}
Was hoscht gsäh?
Lauter Hammele mäh.
Der Kaminfeger wird mit folgendem Spruch begnisst:
KamenßLger kreideweiss
Hat n Sricklc voller Latts,
Kanns nemme trage,
Sehmeisst *s uf de Wage,
Un wenn der Wnj^e bricht,
Daun sehmeisst er's auf den Mischt.
Hört jemand auf den schönen Namen Gottii^ oder Gottlob, so
erfreut man ihn durch den Zuruf:
Gotiliebele, Gottlebele,
Was machet deine G€s *)?
Se päunderet, se pHaderet,
So wüschet ihre SchwSnz.
Recht schmeichelhaft für die Stuttgarter Mädchen ist folgender
Gesang:
Welast du nicht, wo Stuttgart liegt?
Stuttgart liegt im Thalc.
Wo so schöne Mädchen sind,
Aber so brutale.
Krüpf und Buckele hahcft sie
Wie die Pomeraiuenj
Waschen dch mit Eieiscfaalen,
Dass de besser glansen.
Gan^ iner weg met Sametschühle,
Gang mer weg mit Bändele.
Bauiemkdle sen mer lieber
Als so Kaffeebemmbele.
Den Schluss dieser Mitteilungen, für deren Vervollständigung
ich meinem lieber Freunde G. Schuon recht herzlich zu Dank
verpflichtet bin, mögen zwei KreisUeder machen, die hier zu Lande
viel gesungen werden:
Ringe, Ringe, Rcle —
Kinder gehn in Schleie.
Kinder gehn in Holderbnsch,
hbkchet alle husch, husch, husch.
Tübingen, Würtemberg.
Unda.Muss wandern, muss wandern.
Von einer Stadt zur andern.
Da kommt ein lustiger Butsch*) herein,
SchüllL'lt den Kopf,
Stampft mit dem Fuss,
Komm wir woU^ springen gehm —
Andre mttssen stille stehen.
Josef Buchhorn.
XX. H. Zu: ZiiHi^t nubungoi an< I reitssen, (Urquell i'öij^.. Ii. 5 — «lo).
1. Ich nun aber jedoch für iiiein Teil wenigstens also....
2. Assessors Antritts-Audienz.
3. Der vom Präfect plötzlich entdeckte Dcfcct eines Confccts ist
der schmerzlichste Affect eines pcrfcctcn Conditors.
l) Ges = (iänsc.
2) Sonst: ^ein muntrer Springer".
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255
4- Feuerwehr.
Es kommt gerasselt die Feuerwehr, I Und nicht zu lan^^e das Feuer währ';
Zu sebeO) wo deno das Feuer war'. Denn wer löscht am schnellsten das Feuer,
Sie «iltf damit sie dem Feuer wehr* [ Die tapfere Berliner Feuerwdir! [wer^
(Berl. Volks^Zeitung 1880. Nr. 19 t. 17. August.)
5. Ein Kater ist ein durch Superlative Absorbierung von Fluidums-
quantitatcn procrcitcr, abnormal provisorischer Übergangszustand,
dessen generelle Corporalniiserabilitätsschwäche sich von der all-
gemeinen Stomachalcerebralpatientiabiiität zu deliberieren sucht.
(K, V. Z.)
6. Hinter Hanses Hinterthür hängen hundert Hasen, (Hosen,
Hemden, Hammel) aus; hundert Hasen (Hosen u. o. w.) hängen
aus hinter Hansens Hinterhaus.
7. Hitzpickel aufm Puckel, Hitzpickel aufm Puckel,
8. Maxens Wachsmaske, Mäxchens Messwechsel.
9. Mainzer Weinmanscher.
10. Glatteis für Znns^en. Den Züricher Schützen widmet ein
Schützenbruder in der „Schweiz-Schützen Zeitung" nachstehenden
Spruch zum Schncllsprechen bei — wie er sich discret ausdrückt —
„später Abendstunde" :
Dass die Schützen Schützenlebeil SChätsen, Schätzen Schützen ihre Schätze,
Das ist gaos am Platz; Jeder Schütz den Schatz beschützt;
Doch ne icliBtaen aaeh dtnebeB Hoch der'i.Schfttz den Schtttsen schätze,
Ihren treuen Schütsen^Schatz. Schfitsen<Sdiatz schätzt seinen Schütz.
11. Schnief ke schnuwe bchnuwt hei nich, ma Priemke priemen
prömmt hei sehr.
12. Wenn i Kimm, Kimm i, aber [faus] i Kimm Kam [Kaum].
13 Wenn i Kimme K6, Kimm i scho; i glab, aber Kam, dass
i Kimme K6.
14. 's Milimadl hat a Mi Ii lad 1 und a Macaroninudelladl a. (Milch-
mädchen, — Milchladen, — auch).
15. 's e is' eh' ä; jetzt is's a ä ä. (Das E ist eher ä; jetzt is
das a auch ä).
16. Springt der Hirsch übern Zaun, brockt si* drei dridoppelte
schone grüne braune Birnbleckerblattln ä (ab); sagt der Hirsch:
dös is' a MÖr, der si' drei dridoppelte schöne grüne braune Birn-
bleckerblattln abbrecken kä. (Diese fünf aus Süddeutschland).
17. Ich stand mal am Rheinfall, | War* dieser Rheinfall ein
Wcinfall, I Da hatt' ich 'nen Einfall, | Das war* so mein Fall!
18. Gruss, Kuss, Schluss!
19. Urcn kelchen, stiefen Kelchen sassen in dem Pelzer melchen.
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256
20. „Wackerer Wecker, wecke pünktlich den wampigen Weckerle
als wackerer Wächter!" Aufschrift einer alten Weckeruhr des un-
garischen Ministerpräsidenten Weckerle, welche derselbe s*Z. im
Obergymnasium von einem seiner Professoren als Geschenk erhal-
ten hatte und die jetzt auf dem Schreibtische auf seiner Besitzung
in Danos sich befindet.
21. Die Zehe zählt zehn.
22. Vers auf einer illustrirte Postkarte für die Bastei, Sächs. Schweiz:
Wer da will auf die Bastei, Weg vom , Wehlen" wohl zu wählen j
Hat dei' Wege vielerlei. Regnet*» «lier, kann man tratsclien
Weg von „Lohmen" ist zu loben, Und vergnügt dutch «Pötache** patscliai.
Weg von »Rathen" anzuraten,
23. Was ist ein Stammtisch? Eine Antwort auf diese Frage hat
ein moderner Philosoph in diesen Worten gefunden: ^Ein Stamm-
tisch ist ein bestimmter Tisch in einem bestimmten Winkel eines
bestimmten Locab, an dem zur bestimmten Stunde bestimmte
Gäste auf bestimmten Plätzen bestimmt sich niederlassen, um aus
bestimmten Gläsern bestimmte Mengen eines bestimmten Getränkes
zu vertilgen, dabei über bestimmte Themata zu sprechen und dann
zur bestimmten Stunde aufzubrechen, weil man zu Hause zur be-
stimmten Zeit bestimmt erwartet wird.
A. Treichel.
Der Tote in Glaube und Brauch der Volker*
Eine Umfrage.
V. Bei den Ceehen, — Im Glauben des Volkes gibt es unzählige
Zeichen, die dem Menschen den Tod verkünden. Ein Todesfall
tritt fast nie unangemeldet ein, ein Traum oder ein anderes Zeichen
war fast immer da, wenn ein Erwachsener gestorben bt. Anders ist
es freilich bei Kindern, obwohl auch bei ihrem Tode Zeichen auf-
tauchen, aber viel seltener.
Das gewittsel eines Hundes darf nie fehlen. Ist kein Hund im
Hause, so ist ein solcher nicht weit. Der Hund winsel, weil er den
vorüberziehenden Tod sehen soll.
Das Aufgehen der Thüre, ohne dass Jemand eingetreten wäre,
ein Krachen in der Stube, ohne dass man weiss, woher es kommt,
plötzliches Stehenbleiben einer sonst gutgehenden Uhr und viele
andere Zeichen, werden als Vorboten des Todes bezeichnet.
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257
Ich hörte oft erzählen, dass wer einen Sterbenskranken pflege,
dessen Namen um zwölfe in der Nacht von einer unbekannten
Stimme rufen höre; dann sterbe der Kranke noch in derselben Nacht.
Träumt Jemand vom Herausfallen eines Zahnes aus dem eichenen
Munde, von einer Hochzeit, einem Priester oder einem weissen
Pferde, so muss er sich auf einen Todesfall in der Familie ;^'efasst
machen. Die weisse Farbe im Traume ist überhaupt von sciilimraer
Bedeutung.
Auf Hühnerfedern dauert der Todeskampf lange, darum werden
sie auch wenig gebraucht. Ein Mensch, den sein böses Gewissen
drückt, kann im Bette nicht sterben, sonder nur auf dem Strohsack,
auf dem Fussboden, oder anderswo.
Ein Stück Brod muss ininiLi vom Laibe ganz weggeschnitten
werden. Hat jemand ein Brod bloss an<4eschnitten, so dauert einmal
sein Todeskampf so lange, als die angeschnittene Brodkrume am
Laibe noch haften bleibt.
Dem Toten werden die Augen mit grosser Sore^falt zugedrückt,
denn bleibt ihm ein Auge eine wenig offen, so muss ihm bald
Jemand aus der Familie nachsterben, den er sich .,ausgeschaut" hat.
So lange der Tote im Hause weilt, weiss er alles, was um ihn
geschieht. .Sowie man die Leiche aus dem Trauerhause hinausge-
tragen hört dieser Zustand auf.
iVuch keine Thränc soll auf den toten Körper fallen, denn die
'i hi anea brennen den Verstorbenen und rauben ihm im Grabe die Ruhe.
Wie ie.,t dieser glaube im Volke eingewurzelt ist. beweist ein
Traum einer Frau, den sie meiner Mutter erzählt luit, und Träume
spiegeln, wie be]::inni, Gedanken und Sorgen der Menschen wieder.
Dieser Frau war Mädchen, das einzige Kind, das sie beses-
sen hatte, gestorben und darum war lar Schmerz noch grösser. Sie
weinte, wo sie gieng und einmal kam sie zu meiner ^Iuttcr und
erzählte, dass sie von ihrem Madchen geträumt habe. Es erschien
in seinem Totengewande, das es in den Händen aufgehoben hielt
und sprach: „Sieh, Mutter, das sind die Thränen, die du ausge-
weint hast. Die brennen so sehr und ich habe im Grabe keine
Ruh." Dabei faltete sie das Hcmdchen auseinander, das mit Thrä-
nen beperl war.
Alles, was der Mensch bei Lebzeiten geliebt hat, soll ihm ins
Grab mitgegeben werden. Manche Familien halten noch jetzt an
diesem Brauche fest. Als Kind gieng ich einmal die Leiche eines
Mädchens anschauen, in dessen Sarg zu Füssen Fuppe, Fingerhut
und Nadel lagen.
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25»
Eine Frau in der Melniker Vorstadt Podol trug bei jedem Wet-
ter, ob schön oder regnerisch, ob es warm war oder fror, so lange
sie lebte, einen Regenmantel. Als sie gestorben war, legte man sie
im Mantel ins Grab.
Kleider eines Verstorbenen sollen nicht getragen werden. Ein
Kleid beginnt sofort auseinanderzufallen, sobald der Körper im
Grabe zu faulen anfangt.
Hat ein Jüngeres von Greschwistern, das Ältere geschlagen, so ver-
fault die Hand, die schlug, nicht im Grabe. Dieser Glaube schützte
oft meine Schwester vor meinem Jähzorn.
Am Friedhofe werden die Blumen, obwohl untersucht, nicht berührt.
Gieng vom Grabe etwas verloren, holt es sich der Tote. Auch
gerochen wird zu Grabblumen nicht ; wer es thut verliert den Geruch.
Jeder Mensch hat am Himmel sein Stemlein. Wir schauten oft
gegen den Himmel und suchten das unsere. Erlosch ein Stern im
Augenblicke, wo wir ihn ansahen (Sternschnuppe), betrübte es uns»
denn die Mutter pflegte es uns so zu erklären: «Ist ein Sternlein
vom Himmel gefallen, ist ein Mensch auf der Welt gestorben."
Erlischt eine Kerre am Hochaltare während der Messe, dann
stirbt ein Mitglied des Regentenhauses.
Schauerliche Sagen erzählt sich das Volk von den Seelen der
Leute, die im Leben nicht ganz recht gehandelt haben.
Eine alte Frau erzählte uns einst folgendes:
In einem kleinen böhmischen Dorfe starb ein Bauer. Bald fürch-
teten die Leute an des Verstorbenen Feldern in der Nacht vorüber-
zugehen. Denn es spukte dort, so erzählten viele Dorfleute, gar
ungeheuer. Die Bauern, die dort in der Nacht vorbeigiengen, sahen
hinter sich eine Mannesgestalt, die einen Grenzstein in den Händen
trug und beständig vor sich hinmurmelte: , Wohin mit ihm, wohin
mit ihm?"*£rfasst vom Grausen, liefen gewöhnlich die Leute davon
ohne sich umzusehen. So dauerte es längere Zeit. Einmal gieng
aber ein Betrunkener an diesen Feldern vorüber und sah und hörte
dasselbe, was schon so viele vor ihm gesehen und gehört. «Wohin
mit ihm, wohin mit ihm?" murmelte die wunderbare Gestalt. Der
Betrunkene wandte sich rasch um und sprach: ,Nun wohin, mein
Lieber? Dorthin, woher du ihn genommen." „Ich danke dir," sprach
die Stimme, „nun erst werde ich Ruhe in meinem Grabe haben."
Seit der Zeit, ward dort nichts Wunderliches mehr gesehen. Daiiir
aber sass der Grenzstein seit jenem Tage ein hübsches Stück im
Felde des Verstorbenen, dem Nachbar einen guten Theil seines
Ackers zuweisend.
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259
Von einem Erhängten erzählt ein Märchen:
Eine Frau gieng in den Wald, um Holz zu sammeln. Da, als sie
einen dürren Ast abbrechen wollte, sah sie einen Erhan^^ten daran.
Die Frau nahm nun ihr Taschenmesser heraus, schHtzte ihm den
Körper auf, riss ihm die Lunge heraus und gieng nach Hause. Dort
stellte sie einen Topf aus Feuer, gab die Lunge hinein und kochte.
Als die Lunge zu sieden begann, kroch sie in die Höhe und lief
über. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thure und auf der
Schwelle stand der Erhängte und murmelte:
Moje plice
lezou z hruce.
Meine Lunge
kricht zum Topf hinaus.
Dabei gieng er auf die bleich dastehende Frau los, zerriss sie
in Stücke, nahm seine Lunge wieder und verschwand.
Wien. Josefine Kopecky.
Besprechungen aus Lübeck.
Von C. Schumann.
1. Gegen Muncilaule (Foss). Der Fuchs und der Mund, die
fallen ins Meer, | Der Fuchs ziehe hin, und der Verschwund
komm' her.
2. Gegen Rose. Rose, ich verbinde dich. Rose, mit unsern
Herrn Christus seiner Hand stille ich dich. Rose, der heilige
Geist fahr' über dich !
3. Gegen Magenschmerzen (Rewko un Hartspann). Herr Jesus,
ich komm' in der Nacht, | Nimm von dem Kind die Schmerzen ab!
4. Gegen Schmerzen (Schrinen) in der Brust. Schreien, ich ver-
binde dich mit unsern Herrn Cristus seiner Hand. Der heilige
Geist fahr' über dich.
5) Gegen Brand. Wie rot ist der Heben (Himmel), | Wie kalt
der Nebel, | Wie eiskalt die Totenhand! | Damit still' ich die-
sen Brand.
6. (iegen Ausschhig. In dieses Wasser hat sich versoffen | So
manche Katz und so mancher Hund. | Damit stille ich diesen
Beingrund.
Eine Schüssel mit Traveuasser wird auf den Tisch gestellt, drei
Butterbrude daneben gelegt. Einer wird ins Wasser getaucht und
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26o
damit die leidende Stelle bestrichen während des Sprechens. Dann
giebt man Brod und Wasser einem Hunde oder einer Katze zu
geniessen.
7. Gegen das Verfangen eines Pferdes oder Rindes. (Gestörte Ver-
dauung). Hast du dich verfangen in Wasser, Futter oder Wind, |
So still' ich dich mit unsern Herrn Christus sein Kind.
8. Zum Blutstillen. Blut steh' in deinen Wunden, j wie bei
unserm Herrn Cristus in seinen letzten Stunden!
Zu allen Sprüchen wird hinzugefugt : Im Namen Gottes des
Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
9. Gegen Ungeziefer. Fest ist das Haupt, was ich angreife. Zehn
Jahre sollst du sicher sein vor Ratten und Mäusen und endlich
auch vor Kopfläusen.
10. Gegen Brandwunden. Hoch ist der Heben, rot is de Krew
(Krebs), kolt is Dotmanns Hand. Damit still ik Hitt un Brand.
11. Gegen ein stal auf dem Auge. | Pus (blase) dat Mal von't Og, |
Pus dat Mal von't Og, | Pus dat Mal von't Og.
12. Gegen allerlei Süchten. Fruchtbom, ik klag di de Gelsucht,
de Bähsucht, de Lungsucht, Rewko un Hartspann, dat plagt mi.
13. Gegen Warzen. Wat ik ankiek, dat gewinnt, Wat ik öberstriek,
dat versvvindt.
Lübeck.
Der Nobelskrug.
Eine Umfrage von R. Sprenger.
IX. Aux environs d'Eecloo — ville de la I I andre Orientale, si-
tuee au nord-oucst de Gand — on raconte cc qui suit :
Nobus etait un am iteur de Bacchus. Un jour il avait vendu
son amc au liiable pour pouvoir paycr ses dettes. Apres dix ans,
il devait I.i livrer. Le tcmps ccoule, notre soülard, au lieu de
ceder son anu a Satan, lui caressa Techine a coups de baton.
Depuis ce teuips-la Nobus se soüla tous Ics jouio. .Mais les bcllcs
choses n'ont pas de longue duree .... Nobus mourut. II s'en alla
vers le ciel, mais il y trouva visagc de bois. Alors il s'en fut a
l'enfcr, et la porte s'ouvrit . . , — ^Nobus" cria le diable. C'etait
justement celui auquel notre ivrogne avait administre une volee de
coups. La encore, on l'cnvoya promener. Que faire iiiciiutcaant r
Nobus üuvrit un cabaret, entre le ciel et Penfer, et ecrivit sur
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Venseigne: In Halfweg woont Nobus {— Dans Mi-chemin habite
Nobus).
La il enivre tous ceux qui entrent. Ceci explique pourquoi un
cabaret, situe a ögalc distance de deux communes, est appele:
halfiveg- ou hahcrweghuiseken (= maisonnette ä mi-chemin). Voilä
pourquoi aussi on dit d'un honime qui est dans les vignes: Hij
keeft in Halfweg gezeten (= II a ete au Mi-chemin).
Comp, les provcrbes neerlandais : Hij zit in nobiskrocg, onder
Lucifers Stuart (II est au cabarct de nobis, sous la qucue de Lu-
cifcr). Eer en tromu is in noluskroeg verzopen (= Le cabaret de
nobis lui a fait perdre l'honneur et la probit^).
A. de Cock.
Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst.
Eine Umfrage von R. Sprenger.
Herr Lehrer a. D. Schatz zu Suderode a* Harz erzählte mir:
Zu Rosenburg a. d. Saale lebte ein junger Mann, der seinen alten
Vater aufe übekte behandelte und sich wiederholt thätUch an ihm
verging. Als bald nach dem Vater auch der ungeratene Sohn ge-
storben war, bemerkten die Bewohner des Orts mit Grausen, dass
eine Hand aus seinem Grabe herauswuchs* Es wurde nach langer
Beratung beschlossen, dass sie mit einer Sense abgeschnitten werden
sollte. Nachdem dies geschehen, erschien das Wunderding nicht
wieder. Die vertrocknete Hand wurde in der Kirche aufgehängt
und dort lange Jahre zur Warnung für ungeratene Kinder aufbewahrt,
bis die Kirche durch -eine Feuersbrunst vernichtet wurde.
Northeim. R. Sprenger.
^Aus dem Grabe wachsen solche Hände" (siehe ,das Friedens-
fest. Eine Familienkatastrophe". Bühnendichtung von Gerhard
Hauptmann. Berlin, 1894. V. Fischer. Die Vorgänge spielen
steh ab in den 80^ Jahren in einem Landhaus auf dem Schützen-
hügel bei Erkner, Mark Brandenburg. (Seite 11, dann 29, 35, 38,
39> 48)- Bök.
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262
Obernamen.
Eine Umfrage von Frans Brankj.
V. Beinamen russisch-judischcr StadthcwoJiner . r. Gouv. Bessa-
rabien : Ik-ssaraber maineliznikcs ') ; Hricaner jabednikes ; Lipka-
ner durakcs ''); Skuljener pekelmachcr ^ Telesiter pelcn ^ji Uriwer
mesigene"). 2. Gouv. Cernigow: Njczener §ikurim'); Osterer-mir iz
sem alc ejus wi der Ostercr mojd 3. Gouv. Chcrson: üdesser
Soltekcs''); Rowncr lojzakcs '"^) ; Salasncr inglach 4. Gouv.
Grodnö: Janewer labrcs'^); Malier soloduchcs ; Rogiöener bck
5. Gouv. Kalis: Klcccwcr farbrcntc farfl '^); Kuniner loksnfrcser ;
Slipcer ganowim ''^). 6. Gouv. Kanicncc-Fodolsk : Orinjener ganü-
wim"); Fikcwcr pelcn 7. (touv. Kiew: Buziwkcr sisters '^);
Kiewer bosckamandc sarLatancs -'^) und izwoäöikes Motesier
ejer ") ; Omaner naronim^^); Fawclicer kase mit fislach"); Pjatcrer
balagules ^'j ; Stawisccr pipkes *") und griwn"); ^tipeniccr rOw "-^");
Teticweser sikirim'); Wolodcrkcr smoljarcs Zaskewer gano-
vvim"); ^^iwctower pelcn 8. Gouv. Kowiio; Abolniker morcr^'^jj
Cajkcsiker bek ") und oign^'); Kadaner krjuike.s ; Keim -~ in
Keim Sloft nien "); Xa jstetcr danoscikes ; Ncmokstcr derwcr-
gers ; Regok^r \varcmcs^"|; Ritcwcr nczcr '*'); Sader farfioimes ") ;
Salaler Putrcnikcs '''^j ; Sniargoner bcrntrajber ; Soloker lewones ■*') j
Suwajnikcr skichtes ; Weger strejenc dcchlach ; Widukler
oign 9. Gouv. Lomza: jedwabner krichers*^)j Makewer chl'a-
l) Maisesscr^ v. russ. mamaliga) Maispolenta. 2) russ. jabeduik, DeuuDCÜuit.
3) nus. darak, Narr. 4) Schmuggler, Teigl. bayr. ptickeln, heimlich than
(Schmeller, Bayr. Wtb.). 5) Pelze. 6) h. '^g^gf^t^ Wahnsinnige. 7) h.
Q<n!|3^, Betrunkene. S) Ist mir ganz gleich, wie den Mädchen Ton Ostnu
9) ? Spitxbuben. 10) Lausbuben. 11) Jungens. 12 ^ 13) russ,
soloducha, siisslicher Brei aus gegohrenem Roggen oder Haidekommehl. 14) Böcke.
15) Verbrannte Farbel (vergl. Farfelsuppe in Schmeller). 16) russ. lapla(^).
Nudel? also: Nudelfresser. 17) h. Diebe. 18) Schuster. 19) russ.
bosaja komauda, Baarfussarm6e. 20) Chariatane. 21) russ. izwozCik, Kut-
scher. 22) E^er. 23) Narren. 24) russ. ka&a, Grütze, und kleine
Fische. 35) h. ^3 Wagentretber. jt6) russ. pupok, Leber. 27) Giie*
ben. 28) h. 3% Rabiner. 29) russ. smoljar*, Tbeerbrenner. 30) h. *^f^,
Bitterspeise. 31) Ziegen. 32) russ. krju6ek, Haken. 33) In Keim
schlaft man. 34) russ. donoscik, Denuncianten. 35) Erwürger. 36) CWarme)
Mi Itagsmahlzeit. 37) Nasen. 38) Farbelgemuse (vergl. Zimmes bei Schmeller).
39) Butterkuichen. 40) BKrentreiber. 41) h. niD^i Monde. 4a) poL
szlachta, Edelleute. 43) Strohdücher. 44) Kriecher.
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263
pes ■''"') ; Stawjc^^kcr cimbakes lO. Gouv. Minske: Kapulcr na-
ronim*'); Klccker ganowim'^); Mirer krupriikes * ; Ncswizer la-
suncs ''^). II. Gouv. Flock: Drobniner kozes ; Mlawcr frcscrs "'').
12. Gouv. Poltawa : I ladjiccr jabcdnik ^) ; Lochwecer zadi ipkes
und ganowim'^); Piratcncr oifrn"); Poltawer apikorsim Prilu-
ker chazejrim ; Romener hultjajes ; Zinkewer kartjoznikes *®).
13. Gouv. Suwalk: Kalwarier kakikotkes ; Lazdcjer linzn '^^j;
Libovvcr oign^'); Marienpoler ganowim '"^) ; Najstoter smotres^^);
Prener plotkes *^") und jachsonim ; Simmer mejsim ; .Suwalker
pricim^'); Wolkowisker hcncr*'*). 14. Gouv. Warschau: Makewer
malcliemowesn ) ; Nasielsker chajsck *'^) ; Praeter nasers '^^); WarSe-
wer fl'aders *'^). 1$. Gouv. Wilno: Aiiter holcpjatriikes •'^) ; Araner
mejsim"); Dojger oign^'); Drajni^oker latusnikes "°) ; Janewer fur-
manes^'); läeSker kanewodes ; Mechalisckcr srumpers ; Lider
pjanices '^*) ; Namenajcer pjanices ; Punjer batlonim^*); Radiner
äwenc''"); Skuder farflcimes ^'"'j ; Swirjer zgures"); Walkinikcr dra-
Aices^'). 16. Gouv. ^itomir: Altkosentiner balagules ; Mezirccer
nisrufim Tiöener warnickes 17. Verschiedenes: Petersburger,
Deneborger zulikcs ; Razaner kosepuzcs "*) ; Piltener (Kurland)
najnougn'*); Litwak cejlemkop ^').
Gesammelt von Leo Wiener.
Harvard University» Cambridge, Mass.
45) pol. chlapac, schlampem; VerschUtmperte. 46) Cymbalisten. 47) wie 23.
48) russ. Krupnik, Graupen. 49) russ. lasun, Nascher. 50) russ. koza, Ziegen.
51; Fresser. 52) kl. ni^s. zadripa, Weib mit zerlumpten, unten aufgedrieseltem
Kleid. 53) h. 2^Cn.P"'St«i Abtrünnige. 54) h. njn, Schweine. 55) kl.
russ. hultaj, liederlicher Kerl, Gauner. 56) russ. karteinik, (falscher) Kartenspieler.
57) PurimscluuuTe, vgl. klokotat*, brodeln. 58) Linsen. 59) russ. smotr, Fkrade.
60) pol. plotka, Intrigue. 6t) Qlj^}||^ guter Abstammung. 6a) b. Q^r)l^>
Tote. 63) b. D^itnp» Edellente. 64) HiOme. 65) h. npn"'^N7D.
Totesengel. 66) p^n, Ltetender. 67) Nascher. 68) pol. flader(^),
flatterhafte Person. 69) kl. russ. holopjatmk. Haderlump. 70) pol. latacz,
Altflicker. 71) Fuhrleute. 72) russ. konowod, Pflerdexficbter. 73) Schlamper.
74) pjanica, fiesoffene. 75) b. □>;^3i Mttssigganger. 76) Schwänze.
77) ? Art kleiner Fische. 78) russ. drjan* Nichtsnutz. 79) h. T)by^ b}l^
Wi^entreiber. 80) h. D^p'l'ltC^:, Abgebrannte. 81) mss. vatenik, Kloss.
82) mss. SttUk, Spitzbube. 83) mss. kosapuza, Krummbauch. 84) Neunaugen.
^5) ^' — Krenz, also Kreuzkopf.
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Posener Verwandtschaft des Dessauer Mellespiels.
Zu dem von mir beschriebenen Mellespiclc („Am Urquell" Bd. 6.
S. l84.)i welches ebenso oder ähnlich im östlichen Deutschland
unter verschiedenen Namen von den Kindern gespielt wird (vgl.
,Der Urquell" Bd. i. S. 212.) theilt Hr. Sanitätsrath Dr. Köhler
zu Posen mir noch Folgendes mit.
„Das Spiel, welches in der Stadt und der Provinz Posen viel in '
Übung ist, wird hier ^Paliint", ^Steckoipferd''' und y^Ktöcki'' (— '
Klötzchen) sowohl von Deutschen, als auch von Polen genannt.
Das Spielviereck (in Dcs<?au : Poske) wird vom Volke ^ni^nta" (eigent-
lich ^meta" ~ Ziel), wohl auch ^Mcnte" von Deutschen genannt; ^
die Grenze des Vierecks hcisst (auch im Polnischen) der ^ Kesser.
Von den beiden Spielern steht der erste gory" {^^ oben), d. h. 1
am Kessel, der andere ^doli^ (— unten), d.h. entfernt von der
menta. Spieler I. hält ein kurzes an beiden Enden zuj^espitztcs
Stäbchen, ^Klocck'' ( - Klötzchen; in Dessau: Melle) mit der linken
Hand, mit der rechten den andern, länj^crn Stock, Der Spieler
sucht nun das Klötzchen durch Anschlagen mit dem Stocke in der
Luft nach der Mitte, d. h. in den abgeschlossenen Raum zu treiben.
Gelingt es ihm, so ist das Spiel gewonnen, und man sagt dann : „Tot".
(Letzteres Wort ist wiederum ursprunglich deutsch.) Ist aber das
Klötzchen über die Grenze hinausgeflt>gen, so geht 1. hin und
schlägt dreimal auf das eine Ende des Klotzchens, damit es jedesmal
ein Stückchen weiter von dem Kessel entfernt wird. Nun kommt
N" IT. an die Reihe und sucht von dieser Stelle aus das Klötzchen
durch Anschlagen in der Luft in die m^'nta zu treiben. Gelingt ihm
dies, so hat er gewonnen. Wenn nicht, so misst man mit dem
Stocke, wie viele Längen das Klötzchen von dem Kessel entfernt
blieb ; diese Zahl wird der II. zugute gerechnet. Wer gewonnen
hat, der spielt weiter. Man pflegt um 50 oder 100 Stocklängen zu
spielen ohne Einsatz und ohne Strafe, nur um die Ehre des Ge-
winnens.
Zu meiner Knabenzeit gab es dieses Spiel in Posen noch nicht;
es kann hier höchstens seit 40 Jahren eingeführt worden sein und
zwar nur aus Deutschland, was die deutschen, nun auch in's Polni-
sche eingedrungenen Spiclausdrückc beweisen.*'
Arnstadt i./Thüringen. Dr. med. Franz Ähren dt s.
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Polkloristische Findlinge.
Zur Namen gebung bei Juden, Es ist in meiner Heimat Bukowina
Sitte, die ersti,^eborenen und Lieblingskinder nicht nach den ihnen
bei der Geburt gegebenen Namen, sondern mit dem Prädicate
„Alter" zu benennen, resp. „Alte" bei Mädchen. Gewöhnlich *
wurden auch solchen Kindern die Ohren mit einem goldenem
Reife versehen. Es ist mir erinnerlich, dass einer meiner Freunde,
mit dem Namen „Alterl" von seiner verstorbenen Grossmutter bis
in seine alten Tage angesprochen wurde.
Wien. Moriz Amster.
Ein Lebcnsmass. — Die Genfer Schreckensthat fand, natiirlich, auch
in den weitesten Volksschicliten einen tiefen Wiederhall. Inden ver-
borgensten Winkeln wurde darüber nachgedacht, discutirt, mitgefühlt.
— Und man hat die arme Kaiserin auch so geschnitten, wie die
anderen Leute? fragte einmal unser Dienstmädel, Ilana Kejuk aus
Oschechleby in der Bukowina, welches unserem Tiscligespräche un-
bemerkt zugehört hat. — Ja, antwortete man ihr. — Nun, und
wie lange hätte sie noch leben sollen ? fragte sie weiter. — Das
kann man ja nicht wi.ssen ! — Warum nicht gar, die Arzte wissen
es schon! sagte sie überzeugt. — Nun, wie so? — Die Ärzte neh-
men dem Ermordeten das Gehirn heraus und legen es in eine
Schüssel mit Wasser. Wenn ihm nicht länger zu leben bestimmt
war, so geht das Gehirn unter, wenn er aber noch zu leben hatte,
so schwimmt es oben und dreht sich. Da halten die Ärzte solche
„Grade** und messen ab: wie viele male das Gehirn sich umdreht,
so viel hätte dieser Mensch noch leben können ! —
Gisela Jaworskij.
Die wunderbaren Brautwerber, (Nachträge zu Bd. II. S. 197 — 198). —
Bei meinen weiteren Märchen.studien fand ich noch einige Parallelen
zu diesem stark verbreiteten Märchen. Es sind dies: Chudjakow,
Wclikorusskija skazki, I, 118 — -i2i; Sapkarcw, Sbornik ot bolgarski
narodni umot uorcnija, VIII, 14 — 16, IX, 399 — 400; Dobros.iwlewic,
Pripowctkc iz srpskoga naroda, 78 — Si; Sbornik materjalow po et-
nografii, izdawajem\'j pri daskowskom muzeje, III, 151 — 153; Blade,
Contes populaires de la (jascognc, III, 18 — 22, 38 — 40; Radioff,
Proben der VolkslitleraUu der türkischen Stämme Südsibiriens,
IV, 460 — 469; Potanin, Ocerki sjewero-zapadnoj IMongolii, IV,
201 — 203, 303 — 504, 787 — 788. J. Jaworskij.
18
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Vom Büchertisch.
Klu oBum ßsdus Fat Shin Fo. Eine vcrkurzie Version des Werkes
▼on den tranderttatisend Näga's. Ein Beitrag zur Kointniss der Tibetischen
Volksrelifjion von Dr. Berthold Laufer. Einleitung, Text. Cbetseinmg
und Glossar. Plclsingfors (M^moires de la soci^t^ Finno-Oagrienne.
XI), pp. V, (20), 120, lex. 8*.
Es ist ein erfrenticties Zeichen der Zeit, dass die Philologie sich immer enger mit
der ethnologisichen Forschung verbindet. Frazer auf dem Gebiete der cla^si^chen
Philologie. Robertson Smith auf dem der semitischen, Oldenberg und eine
ganze Reihe hervorragender .Sanskritisten anf dem der Sanskrit pbilologie haben hoch-
wichtige Beiträge zur Ethnologie, namentlich snr Religionswissenschaft, geliefert. Mit
Freuden begrüssen wir ein Werk, in welchem ein trclllichcr Kenner des Tibetischen
uns die tibetische Literatur fiir ethnologische Zwecke zugänglich macht.
Was nns bisher über die tibetische Volksreligion, die sogenannte Bon-Rilipon^ be-
kannt i^ewordrn, i>t ;^li'^he^st dürftig und spärlich und, tia es fast au5sch!ie>>lich aus
buddhiaLiichcii und daher gelrublcn '^'uellen entstammt, keiaeswegs sehr zuverlässig.
In einer wertvollen Einleitung [pp. lo ff.] hat Laufer die Literatnr aber die Bon-
Rclij^i jn übersichtlich zusammengestellt. I>:i^ Werk -elbst. .scIches un< Lnnfer in
Text und Übersetzung mit wertvollen Auuicrkuugeu i,ibi . ist p. (iSjif. nachge-
wiesen wird] eine ziemlich plump durchgeführte buddhistische Umarbeitung eines ur-
spriinf^'lichen Werkes der Bon-RellgL n. Wir 1 rauchen aber bloss die Uebersetzung zu
leseuj um zu sehen, wie viel Volkstümliches in dem uberiicizten Text trotz des budd-
histischen Gewandes nodi erhalten geblieben ist.
Wir sehen hier den Schlav.-^^ncuJt bi=: an die ritiv^crstc Grenze der .Möglichkeit ent-
wickelt. Die Nägas oder Schlangcngottheitcn werden als Elementargeister angerufen,
^hausend auf den im Kosmos, Erddl und In der SdiÖpfnngswelt gelagerten Meeren
und Strömen, Flussufem, Seeen, Quellet V ictcn. Bachen, Teichen und andern Gewäs-
sern, auf den sieben Bergen, Felsenbergen und erdigen bteinen, in Wind, Feuer, Wal-
ser, Aedter, in allen jenen Elementen". AUe Arten von Opfer werden ihnen darge-
bracht: man fleht sie i;m Schutz und Schirm in allen Lebenslagen an, naniendich
erbittet man von ihnen Regen (p. 57). Ja, man beichtet den Nägas alle Sünden und
bringt ihnen Suhnopfer dar (pp. 46, 50, 55).
Wie beim indischen Schlangcncuh den Schlangen nicht nur Opfcr<;al len. wie Speise
und Trank, sondern auch Wasser zum Baden, Salbe zur Toilette u. dgL dargebracht
werden, so werden in dem vorliegenden tibetischen Text den ScUaogen auch alle Arten
von .\rzncimitte!n dargebracht, und bei dieser Gelegenheit gewinnen wir einen über-
aus interessanten Einblick in die tibetische Volksmedizin.
Einige Partien des Werkes werfen ein wertvolles Licht auf die primitiven Ideen vom
Opf n- vmd vom Gebet. Wenn wir solche Formeln lesen wie: „Weil ich alle Arten von
K^auchcrwerk dargebracht habe, möchte ich wohlriechend und beliebt werden. Weil ich
alle Arten von Arzeneien dargebracht habe, möge ich von den . . . vier Krankheilen
befreit werden. W'eil ich alle Arten von Getreide dargebracht habe, möge ich vom
Elend der Hungersnut, des Grasmisswuchses und der Missernte befreit werden," u. s. w.
(pp. 45, 57) — wenn wir dies lesen, können wir allerdings an die buddhistische Lehre
vom Karman (der That, welche unabwendbar ihre Folgen iiaben mnss) denken; es
drängt sich uns aber auch die Verglcichung mit dem sogenannten „Sympath-czaubei "
auf. So wie man in der Volksmedizin .A.chnlichcs mit Aehnlichem heilt (sinulia simi-
lilnis curantur), so ist es auch mit dem Opfer: .Aehnliches bringt Aelinliche- hervor.
Laufer ist ein tiichtii;er Plaloli ij^e, der aber auch ein scharfes Auge für alle> Eth-
nologische hatj und auch mauch feine \ <ilkerpsychologische Anmerkung findet sich in
dem „Glossar", welches nicht bloss ein Wörterverzeichnis ist, sondern auch eine Fülle
von philologischen und ethnologi clien I j iHiiterungen zu dem übersetzten Text bietet.
Wir hofien dem gelehrten Verfasaci auf diesem so wenig bebauten Gebiete noch oft
zu begegnen. Ethnologen und Religionsforscher werden weitere Aufschlüsse Uber die
til et! che Volksreligion und deren Literatur el>en$o dankbar b^rüssen, wie die vor>
liegende Schrift.
Prag.
M. Winternita.
26/
D«r Privatlehrer. Bilder aus dem jüdischen galizischea Leben. Von
M. M. Oiserkis. In 4 Bänden. 8<>. Drobobycz 1897 u. 1898.
Die jüdisch-deutsche Litteratur ist das Verständigungsmittel, durch das die Juden des
Ghetto auf allen Gebieten des Wissens mit modernen Bestrebungen zunächst in Ver-
kehr treten. Mit jüdischem Wite und jttdiscber Tronic werden häufig die alten Zustände
gegeisselt. Es wird dem Juden gezeigt, wie er sein soll, und entgegengehalten, wie er
ist. Gerade der letzte Umstand macht aber diese Litteratur für die Folklore bedeutsam.
In diesen Werken bleibt jüdisches Volkstum in seiner natürlichen Gestalt dauernd
aufbewahrt: jüdische Sagen, Bräuche, Sprichwörter, Redensarten und nicht zuletzt spe-
cihsch jüdischer Witz. Da/u nicht !o5;^;el^)^t vom Zusammenhange und in ermüdenden
Colonncn hintereinander gereiht, simderu im l)unten Wechsel Icbcuswarm aus dem
Munde <lcr Menschen kommend, die uns vor Augen geführt werden. So bewahrt das
jüdisch-deutsche Schrifttum die Denkmale eines in seiner Art eif;cnthümlichen deutscheu
Volkstums, desäCD Zerstörung es sich zur Aufgabe inaeh;. Lad wie man cgyptische
Volkskunde wohl aus Hieroglyphen-Inschriften auf Pyran^dcn und Obelisken aber nicht
aus Romanen von Ebers kennen lernen kann, ebenso wird man einst jüdische Volks-
kunde aus den Werken des jüdisch deutschen Schrifttums schöpfen und nicht aus Er-
Zählungen eines Kompert, Auerbach, Sacher-Masoch, wie gediegen diese auch
sein möc^en.
Mit diesen allgemeinen Ausführungen ist zugleich der vorliegende Komap chaiacterisirt.
Der Privatlehrer, ein fein gebiltleter, armer Mensch wird Cultvrträger in einem kleinen
galizischen Ort. Wie Regen auf Frühlingsaat wirkt sein Wort auf die wissensdurstigen
Seelen der jungen Generation. Aber die Alten haben die Gefahr bald erkannt. Sic
sehen etwas zu spät ein,, dass man nicht fremdes Wissen und Wesen ohne Übergänge
auf seine Cullur pfropfen kann. Es beginnt der Kampf der alten Zeit gegen die neue,
der wie überall mit dem Siege der Jugend endigt. Das werk würde eine Verhochdcut-
schung verlohnen.
Wien. I. Robinsohn.
Dennett, R. E.: Notes on ike folklore of the Fjort (Frenek Congo).
With an Introduction by Mary II. Kingsley. London 1S9S. XXIV,
XXXII, 170 p. 8f. Published for the Folk-Lore Society by David Nutt.
Das ist der 41. B. der für die Volks- und Völkerkunde früchtereichen Schriften
dieser vorbildlichen Gesellschaft, mit der die nordamerikanische wetteifert. Beide leisten
vortrefllichcs, weil jedes Werk als eine Ehrensache der Societät aufgcfasst wird und
alle nächsten Fachgenussen des Urhebers einer Arbeit pilichtgemäss zu deren Vollendung
beitragen. So stellt man eine Sache in die richtige Beleuchtung und der Lernende,
d.h. der Leser, der lernen will, weiss gleich woran er ist. An diesem Buche beteiligte
sich auch E. Siduey Hartlau d, der das Rohmaterial des im fernen Afrika hausenden
Sammlers in brauchbare Ordnung brachte. Frau Kingsley lieferte auch noeh den
Anhang von S. 116 bis zum Schlüsse, der mehrere Totenklagelieder im Text, teilweise
mit luf cint'^cher Dulmetschung bringt. Wozu wäre denn die lateinische Spraehe erfunden,
sagt der Sehulmeisler bei Müller von Itzehoe, als für solche Dinger Die Einleitung
orienlirt uns in vollkommen befriedigender Weise, sowohl über die Art der bisherigen
Sammler als über die Ertjelsnisse ihrer Tnligkeit. Heli Chatclains vorziigüchc Folk-
Tales of Angola und die Zeitschrift f. afrik. u. oeean. Sprachen werden darin auffälli-
gerweise nicht erwähnt. Hübsch ist die Würdigunj/ des Volk^laubens und der Über-
lieferungen. Die Frage, woher zu den Negern der I ndinesagenstoff und andere uns
bekannte Motive gelangt sind, beantwurict .-.ich leicht, woferu überhaupt eine Ent-
lehnung angenommen werden muss. Frau K. gibt sich ja selber Antwort, indem sie
die Geschichte der sichtlich crgckmislosen Ikkehrunf^en duieli portugicsI^Lhe Missionare
des XVL u. XVII. Jahr, skizzirt. Man braucht auf die katholischen Missionare keinen
Stein zu werfen; die christliche Kirche hat ja bei den SQdslaven nicht einmal im Laufe
eine- Tahrtan«scnd> einen bedeutend tieferen Frfulg crrnni^en. Mit Fabeln und Mythen
können die Völker selber im Cberlluss aufwarten und mit religiösen Vorstellungen nicht
minder. Was sie brauchen, ist Sicherheit der Person und des Eigentums, Agrikultur,
Technik, Handel und Verkehr. O, diese Neger sind gar feine und witzige Kujife, wie
man aus den XXX Erzählungen dieser Sammlung ersieht (mehrere sind zudem noch
in die Schilderung mit hioeinverwohen). Die Tiergeschichten Übenviegen \ sie sind vom
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Teil gar luitig und anmutii^, rech: gefällige Seitenstücke zu unseren Tiersagen. Maa
mnss diesen Dingen mit Eifer und Aufmerksamkeit nachgehen. Die afrikanische Folk-
lore i'^t f'ir die Fürschung beinahe so wichtig als die australische. Hier, an diesem
Material tnuss man sich schulen, um un.ser eigenes, europäische^ Volkstum ohne ge-
schichtlich-literarische Vorurteile in seiner ge.schichtlichen Entwicklung zu erkennen.
Selbstverständlich weist das Buch ein gutes ScUagwöitareffeichnis auf.
Kr auss.
Dr. W. Caland: Die altindischen Toten- und Bestattungsgehxäuche,
Mit Benützung handschriftlicher Quellen dargestellt, Amsterdam 1896.
J. Müller. 192 S. 8».
So oft ich ein gutes, wissenschaftliches Werk fiher die Inder sur Hand nehme und
drin lese^ was öfters geschiehti befallt mich eine Art Heiterkeit; denn ich muss dabei
immer an das Göttermacherpaar Krek und Nodtlo und an deren religiöse Glau»
bcnsartikel von der indischen Abstammung der Slorenen und Chrowoten denken.
Beide Herren emp&nden das Bedürfnis gleich so manchen Parvenüs, die von ihnen
entdeckten Urslovenen und Urchrowolcn mit einer Ahnengallerie anrustattcn. Tm vo-
rigen Jahrhundert war es noch Mode, den Ursprung europäischer Volker von dunkler
Vergangenheit auf die zehn verlorenen Stilmme Israels zurückzuführen; in unserem
Jahrhundert der Antiscmitorci kam man von die«;er Narretei wohl ab, aber weil man-
che Leute ohne Possen sulchei Art die Welt zu langweilig finden, machten sie die
indischen Eroberer (Aryas) zu Stammvitem oder Stammväterbrudern des grössten
Teils der europäischen l'evölkerun<T. Wer tanzen will, dem ist bald gefiedelt, und der
Parvenü lässt sich leicht ciaeu Stammbaum aufschwindeln. Die Slovenen sowohl als
die Chrowoten sind ein herrlich schöner Menschenschlag; man kann in diesen swei
kleinen Gebieten zahlreiche prächtigen Typen des europäischen — meinetwegen des
germanischen, romanischen oder slavischen — Menschen tinden, aber nur, wenn man
sehr eifrig und ausdauernd sucht, hie und da welche, die nach unseren Begriffen
ebenso hässlich und abstosscnd ausschauen, wie das Gros der Inder. Eine leibliche
Abstammung der Slaven von den Indern zu behaupten, wäre augenscheinliche Toll-
heit. Das ficht einen Krek natürlich nicht an. Ihm genttgt es, dass im Anfange des
X. Jahrhunderts ein arabischer Reisende in 'Russland einer fürstlichen Leichenver-
brennung beigewohnt hat, um i. diesen Brauch trotz allen gegenseitigen Zeugnissen
för ursprünglich und allgemein slavisch und 2. die Slaven als Indersprösslinge für
erwiesen hinzustellen. Wie hinfällig und nichtig seine Deduction i-t, ersieht man
aus Calands grundlegender, den indischen Brauch in erwünschtester Weise beleuch-
tenden Monographie. Mit der Untersuchung slavischer Totengebiüuche habe ich mich
schon viel beschäftigt, mehr als einen .\bschnitt darüber veröffentlicht und habe Stoff
für ein Buch beisammen; auf Grund dieser Kenntnis beliaupte ich angesichts des
Cal an di sehen Werkes, dass die slavischen Totengebriluche ebensoviel und eben«
sowenig als die deutschen irgend etwas für die Hypothese des Indogermanentums
oder Indoeuropäertums beweisen. Die Verschiedenheiten bind nicht viel kleiner als
die zwischen unseren und indianbchen entsprechenden Gebräuchen. Das, was allen
gemeinsam ist, muss man hier vorzüglich innerhalb des Rahmens des Völkergedan-
kens suchen. Calands Arbeit gibt sich zunächst als eine gewissenhafte philologische
Leistung, ist aber dabei von bedeutendem Werte für die Volksforschung und reiht
sich bestens Lucian Scherman's ^Materialien zur Geschichte der ind. Visionslitte-
ratur' (Leipzig 1892) an, die es nach einer bestimmten Richtung hin erfolgreich
er^nzt.
Einen prächtigen Nachtrag zu seiner Arbeit liefert Caland i^elber mit der eben
erschienen Untersuchung: Een indogermaansch l.iisf/ otii-qcöruik ^ Amsterdam 1898,
P- 5*> ßf. 8*. Es wird sich mir noch eine Gelegenheit darbieten, beide Leistungen
Calands eingehend zu würdigen, sobald ich meine einschlägige Monographie fiber
südslavische Totengchräuchc wieder vornehme. Vorläufii; mache ich die Fachc;enos';en
auf Calands Bemüliungen nachdrücklichst aufmerksam. Kr auss.
X.
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INHALT.
[Nach Abschluss von zehn Banden soll für alle ein genaues Schlagwörterverzeichnis
angefertigt werden].
Abeking, M.: Totengebräuche in Portugal, i66 — 172*, 202 — 209.
Achelis, Th. : Socialpsychologische und geographische Perspektive, 51 — 57. — E.
Roh de 's Psyche (Anzeige), 190 — 191.
Ahrendts, Dr. med. F.: Hexengesang, 95 — 96; — Zaubergeld (Umfrage), L2J- —
Poscner Verwandtschaft des Dessauer Mellespieles, 264.
Amster, Moriz: Zur Namengebung der Juden, 26s.
Asmus: Volksrätsel aus Pommern, (mit literar. Nachweisen von Dr. A. Brunk in
Stettin), 35—39-
Böck-Gnadenau, Josef: Zu Urquell II. S. 4^ — LS. 264; afiiL auf S. 188; —
Volksmedizin und Volksrätsel aus Niederüsterreich, 210 — 213; — Blauer Safran,
230. — Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst, 26L.
Branky, Franz: Zum Vogel Hein (l'mfrage), 115: 228 — 229. — Übernamen (Um-
frage), 119 — 121; 262 — 263. — Knickcr-Kugel-Stcinis, 239 — 241.
Brod, A. : Jüdische Totengebräuche in Ostgalizien, 109 — iio.
Brunk, Dr. A. : Tierstimmen im Volksmunde, 43 — 45. — Literar. Nachweise zu
Volksrätseln aus Pommern, 35 — 39.
Buchhorn, Josef: Knicker-Kugel-Stcinis (Umfrage), 218 — 219; 239 — 241. — Kinder,
lieder aus dem Schwabenlande, 253 — 254.
Caland, W. : Von der Wiedergeburt Totgesagter, 193 — 194.
Cock, A. de: Der Nobelskrug, 260 — 261.
Eder, Robert: Zum Vogel Hein, iitj.
Feilberg, H» F.: Von der Hand, die aus dem Grabe herauswächst, 90 — 91.
Frankenstein, Moriz: ^echischer AlUagsglaubc, 46.
Franko, Dr. Iwan : Volkstümliches aus rutenischen Apokryphen, 82 — 85.
Friedländer, Dr. Emil: Volksmedizin bei galizischen Juden, 33 — 34. — Wiederkeh-
rende Geister, 46. — Die Teufelsgcburt, 141. — Ruthenische Sagen, 184 — 187.
Grüner, Wilhelm: Chinesische geheime Gesellschaften, 157 — 165.
Güdemann, Dr. M. : Der Nobelskrug, 112 — 113.
Haase, K. Ed.: Kinder- und Volksreime aus dem Grafschaft Ruppin, 251 — 253.
Heilig, Otto: Alte Segen, loi — 105; 172 — 175; 241 — 244.
270
Hennann, Anton: Lebendige Richtschwerter, 177 — 179.
Höfler, Dr. M.: Das Hirnweh, 99 — 101. — Perchta, 199 — 202.
Jaworskij, Gisela: Ein Lebensmaass, 265.
Jaworskij, Juljaii: Die wilde Frau (Volksglauben der Südrussen), 78 — 82. — Aus
dem bukowiner Alltagsglauben, 92i — Notizen zur Geschichte der Märchen und
Schwanke, 195 — 199. — Die wunderbarer Brautwerber, 265.
Kopecky, Frl. Joseflne: Cechisches Wiegenlied, 40. — Woher kommen die Kinder,
88 — 89. — Totengebräuche bei den Cechen, 256 — 2SQ.
Krauss: Die Milchbrüder. Ein Guslarenlied, 5 — 26. — Die Froschhexe, ^ — Frie-
drich Müller (NachruQ, i8q. — Der Nobclskrug, 220. — Ein Vorrecht der Volks-
kunde, 233 — 239. — Knicker-Kugel-Steinis, 241. — Referate über Schell, 47 ;
M. Bower, 48 f.; D. G. Brinton, ^ f.; Kleinpaul, 97 ; M. Grunwald,
98 ; B. Ldzdr; V. Korajac; J. Beckmann; A. Seidel; Achclis (Archiv f.
Rel. Wiss.) 191 ; Sartori (Bauopfer); Pastrnck und Kovdf (Narod. C. Sb) 192;
Asm US und Knoop, 231 ; P. de Mont und A. De Cock, 231 ; S. Mandl,
232; R. E. Dennet, 267 ; W. Caland.
Krönig, Fr. : Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre, 92 — 95 ; 122; 140.
Landau, Dr. M.: Mittel gegen Regen, 187 — 188.
Laufer, B. : Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorsprossen, 86 — 88;
221L. — über eine Gattung mongolischer Volkslieder und ihre Verwandtschaft mit
türk. Liedern, 146 — 157.
Mandl, Leopold: Menschenvergötterung, 106 — 107; Fabeltiere im altjüdischen Volks-
glauben, 227 — 228.
Meier, Dr. John: Zu Urquell IL S. 114, iM.
Nadel, Moriz: Jüdische Totengebräuche in Ostgalizien, 108 — 109.
Perez, L. : Judendeutsche Volkslieder aus Russland, 27 — 29.
Pitre, G. : La festa di Lucia in Siracusa, 75 — 78.
— r: Referat über R. v. Strcle's ,Palmeser, 4^ — Wein eck 's ,Knecht Ruprecht';
Das Emtekind, 187. — Lebende Tieropfer, 230.
Rabe, Lehrer: Zum Vogel Hein, 228 — 229.
Robinsohn, Isaak: Judendeutsche Wiegenlieder, 39 — 40. — Zaubergeld, tai- — Von
der Hand, die aus dem Grabe herauswächst, 176 — 177. — Judendeutsche Sprich-
wörter aus Ostgalizien, 221 — 222. — Referat über M. Sl. Oiserkis, 267.
Sartori, Paul: Grabgetränke, 110 — 112.
Schell, O. : Woher kommen die Kinder (Umfrage), 88 — 89. — Erläuterungen zu
Sagen aus Niedergebra und der Burg Lohre, 92 — 95, 122 — 140. — Beiträge zur
Volksjusliz im Bergischen, 222 — 227.
Schlegel, Gustav: Proben von chinesischer Folklore, i — 5.
Schukowitz, Dr. Hans: Übernamen, 119 — 121. — Bauernanekdoten aus dem March-
feld, 248—257.
Schumann, Colmar: Niederdeutsche Frost- und Schoosslieder aus Lübeck und Um-
gegend, 40 — 42. — Besprechungen aus Lübeck, 259 — 260.
Seidel, A. : Arabische Sprichwörter aus Egypten, 116 — 119.
Sprenger, R. : Lebendige Richtschwerter, 31 — 32; 177 — 179. — Der Nobelskrug
(eine Umfrage), 34 — 35; 112; 219 — 220; 260 — 261. — Von der Hand, die aus dem
Grabe herauswächst, 90 — 91; 176 — 177; — Das Emtekind, 141 — 142. —
Blumen, die unter den Tritten von Menschen hervorsprossen, 220.
Stibitz, Josef: Donnerkeile, 230«
Treichel, A. : Stolpern und Hinfallen, 29 — 31. — Die Nadel ohne Faden, 91 — 92. —
271
St. Andreas als Heiratstifter, 113 — 114. — Wieviel ist die Uhr, 179 — 184. — Un-
bestimmte Zeit, 214 — 217. — Der Nobelskrug, 219. — Zungenübungen; Glatteis
für Zungen usw., 254 — 256.
Weissberg, Max: Jüdisch-deutsche Schnurren, 246 — 248.
Wiedemann, A. : Ein altägyptischer Weltschöpfungsmythus, 57 — 75. — Menschenver-
götterung, 106 — 107.
Wiener, Leo : Übernamen russ.-jüd. Stadtbewohner, 262 — 263.
Winternitz, M. : Referat über B. Laufer's Klu o Bum Bsud etc. 266.,
Zuidema, Dr. W. : Nachträge zu Wolfs Niederländischen Sagen, 244 — 246.
Vom Büchertisch. — Achelis, 191. — Asmus und Knoop, 231. — Beck-
mann, J., 144 f. — Boas, Fr., 192. — Bower, ^f. — Brinton, D. G., —
Caland, W., 2ßiL — Dcnuett, R. E., 267. — Grunwald, M., 38. — Klein-
paul, R., q2i — Korajac, V., 143. — Lauf er, B., 266. — Läzär, B., 38. —
Mandl, S., 232. — Mont, P. De und Cock, A. De, 231. — Oiserkis, M.,
267. — Pastrnek und Koväf , 192. — Rohde, E. 190 — 191. — Sartori, P.,
191 f. — Schell, O., 4^ f. — Seidel, A., 144. — Slrele, R. von, ^ —
Weineck, F., 142 f.
Verlag der Buchhandlung und Druckerei vormals E. J. BRILL.
Archiv für Ethnographie (Internationales), hrsg. von Dr. Krist. Rahnson, Copcu-
hagen; Prof. F. Boas, Worcester, U. S. .A.: Dr. G. J. Dozy, im Haag; Prof. E. LL
Giglioli, Florenz; A. Grigorief, St. Petersburg; Prof. E. T. Hamy.^ Paris; Prof. LL
Kern, Leiden; J. J. Meyer, Oengarang (Java): Prof. G. Schlegel^ Leiden; Dr. J. D.E.
Schmeltz, Leiden; Dr. Iljalmar Stolpe, Stockholm; Prof. E. B. Tylor, Oxford. —
Itedaction\ Dr. J. D. E. Schmeltz. 1887 — 1897. VoL I — X. (Mit schw. u. coL Taf.). 4«.
Vannie de L livr / —
Supplement zu Band I :
Otto Stull, Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala. 1889. (Mit 2,
col. Taf.). 40 / 4-—
Supplement zu Band III :
Max Weber, Ethnographische Notizen über Florcs und Celebes. 1890. (Mit Ü
col. Taf.). 4O. / 9.—
Supplement zu Band IV:
David Mac Ritchie, The Ainos. 1892. (Mit 17 col. u. 2 schw. Taf.). 4®. / LZ. —
Supplement zu Band V :
W. Joest, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana. 1893« (Mit .1 col. u. ü
schw. Taf.). 40 ' / {L=^
Supplement zu Band VII :
F. W. K: Müller, Nang, Siamesische Schattenfiguren im Kgl. Museum für Völ-
kerkunde zu Berlin. 1894. (Mit ^ schw. u. Ü col. Taf.). 4" / —
Supplement zu Band IX :
Ethnographische Beiträge. Festgabe zur Feier des 7o=>'«" Geburtstages von
Prof. Ad. Bastian. 1896. (Mit 5 col. Taf.) 4^. /
Um Museen, Bibliotheken und Privatpersonen, welche die Zeilschrift bi jetzt
noch nicht besitzen, die Anschaffung derselben durch Verringerung der pecunia-
ren Opfer so viel möglich zu erleichtern, habe ich mich entschlossen, den neuen
Subscribenten auf den XI Band die bisher erschienenen Bände, so lange der
noch vorhandene geringe Vorrath dies gestattet, zu ermässigten Preisen zu über-
lassen, und zwar: '
Bd. I — X (Ladenpreis ^ »n Mark) zu M. 150. — .
Bd. I — X mit sämmtlichen Supplementen (Ladenpreis 28S Mark) zu M. i 70. — .
Da von den letztgenannten sieben Bänden mit sämmtlichen Supplementen nur
noch sehr wenige vollständige Exemplare abzugeben, sind, dürfte es sich emp-
fehlen, etwaige Bestellungen darauf baldigst zu ertheilen.
Euting, Jul., Tagbuch einer Reise in Inner-Arabien. 1896. Theil L 8". Mrk. 7.50
Jacobs, J., Het Familie- en Kampongleven op Groot-Atjeh. Ecne bijdrage tot de
ethnographie van Noord-Suinatra. Uitgeg. vanwege het Kon. Nederl. Aardrijksk.
Genoolschap, 1894. z. dln. (Met \j_ phot. lith. en ö gekl. platen) gr. in-8®. Mrk. as.jjo
' gebunden . . Mrk. 28.90
Landberg, C. de, Bäsim le forgeron et HArun Er-Rächid. Texte Arabe en diaiccte
d'Egypte et de Syrie. Public d'apres les Mss. de Leyde, de Gotha et du Caire et
accumpagnd d'une iraduction et d'un glossaire. I: Texte, tradition et proverbes.
1888. 8° Mrk-
Martin, K., Bericht über ein.. ixci.-<e nach Niederländisch West-Indien und darauf
gegründete Studien. 1888. 2 Bde. (Mit 24 Taf. und ^ col. Karten), gr. in-8''. Mrk. —
Martin, K., Reisen in den Molukken, in Ambon, den Uliassem, Sejan (Ceran) und
Buru. Eine Schildemng von Land und Leuten. (Herausgegeben mit Unterstützung
der Niederländischen Regierung). 1894. 2 Bde. (Mit 50 schwarzen und color. Taf.,
I color. Karte und iS Textbildern), gr. in-8** Mrk. Ul, —
Spitta-Bey, G., Contes arabes modernes recueillis et traduits, Texte arabe en caract.
lat. avec la traduction fran^. 1883. 8° Mrk. 6. so
t
INHALT.
Seite
Ein Vorrecht der Volkskunde. Ein Bericht von Krauss 233,
Knicker-Kttgel-Steints. Eine Umfrage von J. Buchhorn. Beitrag von Franz
Branky Z39»
Alte Segen. Von Otto Heilig '. 24.1 ♦
Nachtrage zu Wolfs Niederländischen Sagen. Von W. Zuidema .... 244. .
Jüdisch-deutsche Schnurren. Von M. Weissbetg 246.
Bauenmnekdoten aus dem Marchfeld. Von HansSchukowitz " 248.
Das ' Kind in Glaube und Brauch der Völker. Eine Umfrage. Beiträge von
K. E. HaasCf Ji Buchhorn und A. Treichel 251.
Der Tote in Glaube nnd' Brauch der Völker. Ein^ Umfrage. Beitrag von Jo*
sefine Kopecky 256.
Besprechungen aus Lübeck. Von C. Schumann '. 259.
Der Nobelskrug. Eine Umfrage von R Sprenger. Beitrag von A. De Cock afio.
Von der Hand die aus dem Grabe herauswächst. Eine Umfrage von R. Spren-
ger. Beiträge von R. Sprenger und Böck 261*
Übernamen. Eine Umfrage vön Franz Branky. Beitrag von Leo Wiener 2dr.
Poseacr Verwandtschaft des Dessauer Mellespiels. Von Franz Ahrendts' . 263. '
Folkloristische Findlinge, Znr Namengebung bei den Juden. Von M. Am-
ster. — 2a Ein Lebensmaass. Von Gisela Jaworskij. — 3. Die wun-
dejbaren Brautwerber. Von J. Jaworskij 264.
Vom Büchertisch. Lanferts Klu o Bum Bsdus Pai Snin Po. Angezeigt von '
M. Win-tcrnitz. — Oiserkis* Privatlehrer. Angezeigt von L Robin-
sohn. -r- Donnet 's Folklore of the Fjort und Ca Und 's Indische Toten-
gebräuche. Angezeigt von Krauss 266.
Wir bitten unsere Mitarbeiter^ sich aus Rücksicht für unsere holländischen Setzer
in ihren Beiträgen nur einer hübsch leserlichen Lateinschrift zu bedienen.
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